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German Pages 457 [460] Year 2009
Christine Tauber Manierismus und Herrschaftsp
STUDIEN AUS DEM WARBURG-HAUS HERAUSGEGEBEN VON
UWE FLECKNER WOLFGANG KEMP GERT MATTENKLOTT MONIKA WAGNER MARTIN WARNKE
Band 10 Christine Tauber Manierismus und Herrschaftspraxis
Christine Tauber
Manierismus und Herrschaftspraxis Die Kunst der Politik und die Kunstpolitik am Hof von Fran$ois Ier
Akademie Verlag
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-05-004565-8
© Akademie Verlag G m b H , Berlin 2009 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach D I N / I S O 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Ubersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Satz: Werksatz Schmidt & Schulz G m b H , Gräfenhainichen Druck und Bindung: D Z A Druckerei zu Altenburg G m b H Printed in the Federal Republic of Germany
Inhalt
1. Einleitung
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2. Italianita oder Gallita? Die Herrschaftsinszenierung des französischen Königs in seinen ersten Regierungsjahren
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2.1. 2.2. 2.3. 2.4.
Der Blick der Italiener auf den Tanz der französischen Signifikanten Die Renaissance der Angouleme: Ein inszenierter Neubeginn Gallita und Caesarismus Porträtpolitik nach 1526 2.4.1. Der lächelnde König 2.4.2. Der König als Monster: Das Kompositbildnis Frangois' I er 2.4.3. Der Kaiser und die Ironie: Parmigianinos „Allegorie Karls V."
. . . .
. . . .
3. Kunstspiel als Uberlegenheitsdemonstration: Zur Strukturlogik manieristischer Kunst 3.1. Bronzinos „Allegorie" als Modell der Überbietung größter Kunstvorbilder 3.2. Die „Allegorie" als gemalter Beitrag zurparagone-Debatte? 4. Politischer paragone: Überbietungslogik
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Zeremoniell und „manieristische"
4.1. Frankreich gegen England: Das Treffen auf dem Güldenen Feld 1520 . . . . 4.1.1. Die Ausgangslage 4.1.2. Das „Interview" zwischen Henry VIII und Franiois I er : Autopsie und Potlatch 4.1.3. Angst im Vorfeld und der erste Blick auf den Rivalen 4.1.4. Der „bon ordre" und seine ästhetische Inszenierung zum „bei ordre" 4.1.5. „Jouer un bon tour": Gezielte Ordnungsstörung als politische Autonomiedemonstration 4.2. Duello versus paragone: Die Zweikampfangebote 1526/28 und 1536 zwischen Karl V. und Francis I er 4.2.1. Das Duell, das nie stattfand 4.2.2. Kaiserliche „honra" 4.2.3. Königliche „perfidia" 4.2.4. Das Satyrspiel: Die „Ostermontagsrede" Karls V.
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5. „Rex artifex": Spezifika der Kunstpatronage unter Francois I er 5.1. Rosso Fiorentinos Bild „Moses verteidigt die Töchter des Jethro" als sein . Entreebillet zum französischen Hof 5.1.1. Der Künstler als Höfling 5.1.2. Das Bild als Allegorie der gelungenen Patronagebeziehung 5.2. Der autonome Outlaw am französischen Hof: Benvenuto Cellini 5.2.1. Cellinis Professionalisierungsgeschichte und die Stilisierungen der Vita 5.2.2. Der König als Freund und Förderer der Künstler: Cellinis Arbeiten für Francois Ier 5.2.2.1. Die Saliera als Präsentationsstück 5.2.2.2. Die olympischen Götterkandelaber und die Jupiter-Statue . . 5.2.2.3. Das kolossale Marsprojekt 5.2.3. Das charakteristische Scheitern einer Patronagebeziehung
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie und die königliche Deutungshoheit 6.1. Programmatische Programmlosigkeit 6.1.1. „A travers la Galerie" 6.1.2. Uberbietung durch Verdoppelung: Metamorphotische Spiegelungen . 6.1.3. Ästhetik der Uberforderung: Reaktionen der Betrachter 6.1.4. Der Kaiser als idealtypischer Besucher und der Zeremonialweg bis zur Galerie 6.2. Altera Roma: Der König als antiker Imperator 6.2.1. Caesar/Augustus und Pontifex maximus 6.2.2. Römische maniera auf französischem Boden 6.2.3. Hermetische Hieroglyphen
7. Strategien der Souveränität: Antikenimport und Reproduktionshoheit 7.1. Primaticcios Abgüsse der Belvedere-Antiken 7.2. Kopie als Authentizitätsrestitution 7.3. Moderne reproduzieren: Die Michelangelo-Kopien und die GalerieTapisserien 7.4. Mantua in Fontainebleau: Die Grotte des Pins 7.5. Die Grotte als museion und ihr königlicher Kustode
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195 200 205 230 241 248 268 269 277 282
291 294 305 312 319 327
8. Anhang Ausgewählte Beschreibungen von Fontainebleau und der Grande Galerie (16.-19. Jahrhundert)
9. Literaturverzeichnis
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9.1. Quellen
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9.2. Literatur
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10. Abbildungsnachweise
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Personenregister
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1. Einleitung
D a s G e s c h e h e n am französischen K ö n i g s h o f in der ersten H ä l f t e des 16. J a h r h u n d e r t s gleicht, aus heutiger Sicht betrachtet, bisweilen einem absurden Theater - und dies trifft auf Arcana der K u n s t wie auf Rätsel politischen H a n d e l n s gleichermaßen zu: -
Eine grazile Figur in antikisierend g e s c h ü r z t e m G e w a n d , mit G o r g o n e n b r u s t p a n z e r , Schwert und C a d u c x u s ausgestattet, präsentiert sich als m o n s t r ö s e s a n d r o g y n e s Mischwesen. Sie kombiniert die Attribute antiker G ö t t e r - Minervas, M a r s ' , M e r k u r s und A m o r s . D o c h das Gesicht, das dieses mixtum compositum an J u p i t e r s Stelle bekrönt, ist eindeutig erkennbar das des französischen K ö n i g s F r a n c o i s d ' A n g o u l e m e , Premier de ce nom.
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Zwei der mächtigsten H e r r s c h e r E u r o p a s im 16. J a h r h u n d e r t treffen sich im J a h r 1520 unter höchster Prunkentfaltung und stärkstem repräsentativen Muskelspiel auf d e m sogenannten „ G ü l d e n e n F e l d " , auf d e m die F r a n z o s e n Zelte aus d e m namengebenden G o l d s t o f f errichtet haben. Eine bis ins letzte Detail durchchoreographierte Inszenierung zeichnet das Zeremoniell dieses berühmten Treffens aus. D o c h einer der beiden H e r r scher nutzt diesen M o m e n t höchster Sicherheitsvorkehrungen, u m durch eine regelsprengende A k t i o n seine intellektuelle und damit herrscherliche Überlegenheit zu demonstrieren: E r überrascht seinen G e g n e r f r ü h m o r g e n s in seinem wohlbewachten Schlafzimmer.
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Eine nackte F r a u räkelt sich lasziv im Bild und streckt einem deutlich jüngeren, ebenfalls unbekleideten M a n n , der mit der rechten H a n d in einem zwischen Intimität u n d O b s z ö nität oszillierenden G e s t u s ihre B r u s t w a r z e zwischen D a u m e n u n d Zeigefinger hält, ihre Z u n g e n s p i t z e entgegen, während sie ihm gleichzeitig einen goldenen Pfeil aus d e m K ö c h e r stiehlt.
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1528 fordert der französische K ö n i g den römisch-deutschen K a i s e r z u m Duell heraus. D i e spanische, deutsche u n d f r a n z ö s i s c h e Publizistik der Zeit überschlägt sich, in der diplomatischen K o r r e s p o n d e n z werden h e m m u n g s l o s Beleidigungen ausgetauscht und nationale Vorurteile gepflegt. H e r o l d e reisen aufgeregt zwischen den H ö f e n hin und her. A m E n d e verläuft sich die Angelegenheit im Sande, weil der französische K ö n i g einseitig die K o m m u n i k a t i o n abbricht.
K u n s t w e r k e , die in ihrer Skurrilität u n d Vielschichtigkeit die sinnliche A u s g a n g s e v i d e n z f ü r eine lohnende Betrachtung bieten u n d zugleich den K u n s t k o s m o s des französischen K ö n i g s bilden; historische Szenen auf höchster machtpolitischer Ebene, die sich in ihrer
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1. Einleitung
kommunikativen und zeremoniellen Funktion erst dem ethnographisch-verfremdenden Blick erschließen; ein höfisches Milieu in einer sehr spezifischen Ausprägung, in dem Intellekt, Erotik und Witz eine unauflösliche Verbindung eingehen: Was könnte ein passenderer Gegenstand für eine Arbeit sein, die den Spezifika von Manierismus und Herrschaftspraxis am Hof von Frangois I er auf die Spur kommen möchte? Eine Untersuchung von Politik und Kunst am französischen Hof des 16. Jahrhunderts muß notwendig interdisziplinär ausgerichtet sein: Daher versucht diese Arbeit den Brückenschlag zwischen politisch-ikonographisch orientierter Kunstgeschichte einerseits und herrschaftsgeschichtlicher Historiographie andererseits. Sie versteht sich als ein dezidierter Beitrag zur Kunstgeschichte des Politischen 1 und zu einer politischen Kulturgeschichte, wie Wolfgang Hardtwig sie jüngst vertreten hat.2 Die sie leitenden Fragen, die sich gleichermaßen auf die Analyse künstlerischer, kunsttheoretischer, literarischer, ereignishistorischer und politischer Quellen stützen, sind hierbei die nach der Inanspruchnahme von Kunst zur Herrschaftsrepräsentation, nach vergleichbaren Strukturen im Herrschaftshandeln wie in der Kunstförderung durch den französischen König, nach Ritualen und Zeichensystemen der Macht am französischen Königshof der Hochrenaissance im Kontext des europäischen Mächtesystems nach 1500. Zwei Phasen der Konstitution des spezifisch französischen Zeichensystems sind hierbei zu unterscheiden: Zum einen die Zeit vom Herrschaftsantritt F r a n c i s ' I er 1515 und seinem Überraschungserfolg von Marignano bis etwa 1525, als Karl V. zur entscheidenden Gegenoffensive in Italien ansetzt, die dann für den französischen König mit dem Desaster von Pavia endet. Zum andern die Phase nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft in Madrid, in der sich das Herrschaftskonzept F r a n c i s ' , die Mittel zur Durchsetzung seiner Herrschaft sowie sein Verhältnis zur Kunstförderung im allgemeinen wie zur italienischen Kunst im besonderen grundlegend ändern: In den Jahren 1515-1525 griff Frangois I er auf ein genuin französisches Motivarsenal zur Selbstdarstellung zurück, da er zu diesem Zeitpunkt noch glaubte, das französische Regnum Italiae in Italien selbst aufrechterhalten zu können. Erst nach 1526, als der „Italienische Traum" gescheitert ist, wendet er die Strategie an, Italien gewissermaßen nach Frankreich zu transferieren und sich dort - vor allem in Fontainebleau - sein eigenes Italien zu bauen, dessen Anspruch jedoch über den reinen Kulturtransfer weit hinausreicht: Der französische König will durch seinen gezielten Künstlerimport Italien in Frankreich überbieten und eine Nuova Roma errichten, die das alte Rom an Virtuosität, Differenziertheit und Modernität in den Schatten stellen soll. Sein manieristisches Kunstspiel will in Fontainebleau programmatisch italienische Italianita durch gallisch überfeinerte ersetzen. Diese Ambition bezieht auch den imperialen Herrschaftsanspruch ein, der nicht aufgegeben, sondern in künstlerisch sublimierter Form prononciert
1 Vgl. hierzu - neben den wegweisenden Überlegungen Martin Warnkes zur politischen Ikonographie (u.a. in: Visualisierung der Macht im 16. Jahrhundert, sowie in: Politische Kunst) und dem Sammelband „Iconography, Propaganda, Legitimation" - Mergel, Überlegungen zu einer Kulturgeschichte des Politischen, Stollberg-Rilinger, Zeremoniell, Ritual, Symbol; Hofzeremoniell als Zeichensystem; Zeremoniell als politisches Verfahren; Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?; Landwehr, Diskurs - Macht - Wissen, und Reinhard, Was ist europäische politische Kultur? 2 Dem von mir vertretenen Ansatz am nächsten und Mergel differenzierend: Hardtwig, Einleitung: Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit.
1. Einleitung
3
vorgetragen wird. Ein besonders demonstrativer Akt des Imports von Romanita ist der Auftrag an Primaticcio, diejenigen römischen Antiken abzugießen, die mit dem höchsten päpstlichen Repräsentationsanspruch verknüpft sind: die Statuen des Cortile del Belvedere, deren machtpolitisch hochaufgeladene Semantik der französische König für die eigene Machtdemonstration nutzt. Die ständige wechselseitige Überbietung der europäischen Höfe im Vorzeigen von Herrschaftszeichen kennzeichnet die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts in besonderer Weise. Der paragone als Leitmotiv der Kunst ist ein hinlänglich bemühter und geläufiger Terminus des ästhetischen Diskurses der Zeit - zumindest in Italien. Doch auch für die politischen Umgangsformen der Renaissance ist der paragone handlungsleitend. Daher beansprucht diese Untersuchung zwar nicht, eine Gesamtschau von Kunst und Politik während der Regierungszeit Frar^ois' I er zu bieten. Aber sie will über exemplarische Einzelfallanalysen typischer Konstellationen des politischen Handelns und besonders signifikanter Momente der Kunstförderung zu Strukturgeneralisierungen gelangen, die sowohl die Herrschaftspraxis des französischen Königs als auch seinen spezifischen Umgang mit manieristischer Kunst als Modellfall (früh)moderner Politik darlegen sollen. Daß hierbei immer wieder „Gipfelgespräche" rekonstruiert und nicht im Käse der Alltagsgeschichte gebohrt wird, erklärt sich aus dem Ansatz der Konstellationen-Rekonstruktion auf höchster politischer und künstlerischer Ebene. Die - nicht nur - zeichenhaften Auseinandersetzungen der europäischen Potentaten sollen als machtpolitischer paragone, als bewußte gegenseitige Rezeption und ideologische Umdeutung sowie als politische Inanspruchnahme bestimmter künstlerischer Stile interpretiert werden. Devisen, Embleme und Impresen werden hier zu Herrschaftszeichen, die im Kampf um die Vorherrschaft in Europa als real wirkmächtig eingesetzt werden; Manierismus ist dann die avantgardistischste Stilrichtung, derer man sich zu politischen Zwecken der Überbietung bedienen kann. Manieristische Kunst spricht primär den Intellekt des Betrachters an und substituiert damit zugleich einen kunsttheoretischen Diskurs, den es in Frankreich im Gegensatz zu Italien in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht gegeben hat. Selbstreferentialität, Darstellung der generativen Bedingungen in der Entstehung von Kunstwerken, Überbietung größter Kunstvorbilder sind konstitutive Merkmale manieristischer Kunst, die sich der Strategien des verdeckten Zitats, der abwandelnden Wiederholung, der Strukturtransformation, aber auch der Ironisierung und der Persiflage bedient. Die Analyse der selbstreferentiellen Mechanismen ist somit trotz der derzeit grassierenden Mode der Autopoiesis, in der sich jeder Text „selbst generiert", jedes Bild sich „selbst ausstellt" und damit seinen Autor und Maler arbeitslos werden läßt, für den Manierismus unabdingbar. Der Blick des Interpreten muß sich bei der Analyse dieser hochartifiziellen Kunst mehr auf Differenzen und Oppositionen als auf Identitäten und Identifikationen richten: Die signifikante Abweichung vom Muster ist - gerade im politischen Vorzeigen und gegenseitigen Überbieten von Herrschaftszeichen sowie für die spezifische Ausprägung manieristischer Kunst am französischen Hof - aufschlußreicher als die einfache Reproduktion von Vorbildern. Ebenso wie Francois I er in seiner Rolle als Kunstauftraggeber und Sammler auf die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts subtilste und „modernste" Kunstrichtung setzt, zeichnet sich - strukturell parallel - sein Herrschaftskonzept (gerade im Vergleich zu dem Karls V. und Henrys VIII) durch Modernität aus: Der Verrat am Bündnispartner, das raffinierte Spiel mit Gunsterweisen und Zurücksetzungen im diplomatischen Bereich, die rein rational und strategisch kalkulierte Übereinkunft selbst mit den „Feinden der Christenheit"
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1. Einleitung
sollten sich gegenüber dem ritterlich-anachronistischen Herrschaftsmodell, das der Kaiser weiterhin verfolgte, als rein machtpolitisch wenig erfolgreich, theoretisch jedoch als die überlegene, da modernere und zukunftsträchtigere Form von Machtpolitik erweisen. Francois I er setzte auf eine hochintellektualisierte Form der Machtausübung, die gerade an ihrer zugespitzten Hermetik und ihrem arkanen Charakter realpolitisch scheitern mußte. Nach 1526 traten Bildung und Kunstförderung als die neuen Legitimationsformen von Macht für den französischen König an die Stelle von militärischen Erfolgen. Entgegen der verbreiteten These, er habe sein politisches Scheitern 1525 in der Schlacht von Pavia durch Kunstförderung zu kompensieren versucht und sich in die innere ästhetische Emigration begeben, 3 die sich fortan der „weichen Form" der Repräsentation durch Kunst bediente, 4 soll hier gezeigt werden, daß Fran§ois I er in seinem herrschaftspraktischen Handeln wie in seiner Kunstpolitik dieselben Strategien verfolgte: Kunstförderung war für ihn die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln. Das autonome Hervorbringen neuer zeitlicher und räumlicher Ordnungen, Symmetriebrechungen, Störungen verordneter Handlungsabläufe sind strukturelle Merkmale, die sich sowohl in der Herrschaftspraxis wie in der von F r a n c i s bevorzugt geförderten Kunst aufzeigen lassen. Die modernen Machtmechanismen des Taktierens, Uberlistens durch raffinierte Musterabwandlung und der Aushebelung von Zeremonien sollen daher strukturhomolog mit der Kunst als „manieristischer Habitus" der Herrschaftsausübung Frangois' I er bezeichnet werden. So könnte sich am Ende sogar zeigen, daß sich das von Burckhardt in seiner Cultur der Renaissance in Italien postulierte Modernitätsparadigma eigentlich erst wirklich auf französischem Boden entfaltet: Fontainebleau wäre dann die Reinform des „Staates als Kunstwerk", denn dort schuf der französische König ein Reich mit künstlerischen Mitteln, über das er - da künstlich unter idealtypischen Voraussetzungen von Exilkünstlern hervorgebracht - jederzeit im Sinne der Deutungshoheit als Herrschaftsakt verfügen konnte. Besonders deutlich lassen sich die hier beschriebenen manieristischen Strategien an der Struktur des Kernstückes königlicher
3 Vgl. z.B. die Einleitung von Marc Fumaroli zu Lecoq, Frangois Ier imaginaire, p. 9: „Plus tard, apres le desastre de Pavie et l'humiliante residence forcee du roi ä Madrid, autre coup d'Etat: Francois Ier, faute d'avoir pu se tailler un royaume tout ä lui en Italie, importe l'Italie ä Fontainebleau et fait de ce chateau le premier ,musee' d'art officiel, entierement congu par des etrangers et sur un modele etranger"; Rohwetter, Zur Typologie des Herrschers im französischen Humanismus, S. 7; 50: „Ebenso wie die magischen Riten des roi thaumaturge hatte auch das Mäzenatentum kompensatorische Funktionen zu erfüllen"; ebenso eindimensional Schneebalg-Perelman, Les chasses de Maximilien, p. 120, die das Kompensationsmodell zu einem Akt der Selbsttröstung banalisiert: „Ne pouvant mener de guerre victorieuse, Frangois Ier se console en creant des universites, en bätissant d'innombrables chateaux, en s'entourant d'une Cour de savants et d'artistes"; Rebecca Zorach geht in ihrer Interpretation (Blood, Milk, Ink, Gold, p. 36) noch einen Schritt weiter: „We might see these continuing cultural expressions as a kind of work of mourning, in Freud's sense, for military loss: an incorporation of Italian culture as compensation for loss of actual territory." 4 Horst Bredekamps berechtigte Kritik am derzeitigen Repräsentationsbegriff führt nicht dazu, daß er selbst einen klarer politisch konturierten Handlungsbegriff entwickeln würde: „In vielen Disziplinen ist die gegenwärtige Theoriedebatte von einem Paradox geprägt: zwar rücken visuelle Ausdrucksformen in das Blickfeld, aber die Mittel, sie zu analysieren, bleiben von der Methodologie einer linguistisch geprägten Semiotik bestimmt. Dies gilt auch für die Erforschung des Begriffes Repräsentation'" (Repräsentation und Bildmagie, S. 7).
1. Einleitung
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Herrschaftsrepräsentation, der Grande Galerie in Fontainebleau, herausarbeiten, deren „Programm" ganz auf eine Ästhetik der intellektuellen Überwältigung des Betrachters durch ikonographische Spitzfindigkeit und subtile Zitate einerseits, Materialreichtum und -mischung andererseits setzt. Hermetik und Verschlüsselung des Dargestellten bis zur Unverständlichkeit wurden von Frangois I e r bewußt als Herrschaftsinstrumente eingesetzt ein Befund, der durch die Untersuchung von Entrees und Festen der Regierungszeit nach 1526 gestützt werden kann. Zugleich ermutigt die Analyse der von Frangois I e r geförderten Kunst zu der Hypothese, daß gleichermaßen der Intellekt des Betrachters auf die Probe gestellt werden soll wie auch seine Fähigkeit, ironische Musterabwandlungen zu goutieren und witzige Anspielungen zu verstehen. Durch Spott gebrochenes und zugleich subtilisiertes Herrscherlob, das in F o n tainebleau vom Herrscher selbst unter Aufbietung aller Kunstkräfte in Szene gesetzt wurde, ist typisch für das raffinierte Spiel mit Bedeutungen in der spezifischen Ausprägung manieristischen Kunst am französischen H o f . D e r manieristische Habitus, wie er im folgenden gefaßt werden soll, überschlägt sich geradezu darin, die größten Vorbilder der Kunst geistreich und persiflierend zugleich zu überbieten. Eine der Hauptfragen wird im folgenden daher sein, durch welche Maßnahmen Fran£ois diese sprunghafte, persiflierende, sich der Festlegung entziehende manieristische Kunst in seine Herrschaftsrepräsentation zu integrieren wußte. Diese Untersuchung sieht ihre Aufgabe weniger in der Erschließung neuer Quellenbestände, sie hofft vielmehr, in der Analyse größtenteils bereits erschlossenen Materials eine neue Sicht auf die Modernität der Kunstpolitik und der Kunst der Politik des französischen Königs zu eröffnen. U t e Daniel hat zu Recht eine „prinzipielle Bevorzugung strukturtheoretischer Erklärungsmuster" in der Hofforschung „bei weitgehender Eliminierung der nur hermeneutisch zu erschließenden Wahrnehmungs- und Handlungskontexte, Wert- und Bedeutungsgefüge" moniert. 5 Flankiert werden diese oft trocken kategorisierenden strukturtheoretischen Überlegungen 6 von materialreichen Detailstudien zu einzelnen Höfen (zumeist des 17. und 18., weniger des 16. Jahrhunderts), die jedoch ihrerseits häufig eine theoretische Einbettung des jeweiligen Einzelfalls vermissen lassen und wiederum nur selten zu Strukturgeneralisierungen vordringen. 7 Die vorliegende Arbeit beschreitet methodisch einen anderen Weg: Sie orientiert sich an der von Ulrich Oevermann in den letzten Jahrzehnten für die Erfahrungswissenschaften von der sinnstrukturierten Gegenstandswelt (also die Sozial-, Kultur-, Geistes- und Kunstwissenschaften) entwickelten sogenannten „objektiven Hermeneutik" 8 . Diese Methode
5 Daniel, Hoftheater, S. 451. - Die von ihr aufgebaute Opposition ist freilich irreführend, da in den Erfahrungswissenschaften die privilegierte Methode einer Strukturanalyse immer nur eine hermeneutische sein kann. 6 Vgl. Volker Bauers Typologien in: Die höfische Gesellschaft in Deutschland. 7 Zum Beispiel: Winterling, Der H o f der Kurfürsten zu Köln, 1 6 8 8 - 1 7 9 4 ; Ehalt, Ausdrucksformen absolutistischer Herrschaft: Der Wiener H o f im 17. und 18. Jahrhundert; Plodeck, Hofstruktur und Hofzeremoniell in Brandenburg-Ansbach vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Positiv hervorzuheben sind die Arbeiten von Thomas daCosta Kaufmann zum rudolfinischen Hof: The School of Prague; Variations on the Imperial Theme. 8 Hierzu Oevermann, Die objektive Hermeneutik als unverzichtbare methodologische Grundlage für die Analyse von Subjektivität; Bausteine einer Theorie künstlerischen Handelns; Beckett's
1. Einleitung
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entspricht einerseits dem hier vertretenen interdisziplinären Ansatz in idealer Weise, weil sie ein Rüstzeug zur Untersuchung ganz heterogener Quellengattungen bietet und damit geeignet ist, gleichermaßen den Sinn politischer Interaktionen eines Herrschertreffens zu entschlüsseln wie auch die ästhetische und politische Botschaft eines von Frangois I er in Auftrag gegebenen Freskos in der Galerie von Fontainebleau zu entziffern. Andererseits läßt sie die Kluft von Ikonologie und Stilgeschichte einerseits und Funktionsanalyse andererseits gar nicht erst aufbrechen,9 da sie dem untersuchten Kunstwerk als autonomem ästhetischem Ereignis in höchstmöglichem Grade gerecht wird und zugleich die politische Intention des Einsatzes von Kunst zu Herrschaftszwecken zu berücksichtigen in der Lage ist. Eine Methode bewährt sich idealerweise in ihrem Vollzug - dies werden hoffentlich die Einzelanalysen der folgenden Kapitel belegen. Dennoch sollen hier kurz die Hauptprämissen der objektiven Hermeneutik skizziert werden, der diese Arbeit vielfältige Anregungen verdankt, ohne ihr schulmäßig zu folgen. Objektiv ist diese hermeneutische Rekonstruktion in der Vergangenheit generierter Sinnstrukturen in dem Sinne, daß ihr Gegenstand nicht in subjektiv gemeintem, sondern durch bedeutungsgenerierende Regeln erzeugtem objektiven Sinn besteht. Dieser Sinn kann durch Rückgriff auf genau diejenigen bedeutungsgenerierenden Regeln, die ihn hervorgebracht haben, rekonstruiert werden wie auch - im Falle einer Strittigkeit der Auslegung - die Regeln selbst. Zugleich wird von vorneherein der methodische Kurzschluß vermieden, Kunst nur unter dem Aspekt der Mimesis von Natur zu betrachten, da Komponenten der Nachahmung im zu analysierenden Bild-Text ebenfalls unter der Prämisse interpretiert werden, daß sie sinnartikulierend sind. Die Rekonstruktion vergangener Bedeutungsstrukturen, die immer Resultat der Formung einer besonderen (also jeweils individuellen), sinnlich faßbaren Ausdrucksmaterialität sind, kann sich dabei immer nur auf die Protokolle (seien es schriftliche Quellen, seien es Kunstwerke) vergangener Lebenspraxis beziehen, niemals jedoch auf die „Wirklichkeit" der Lebenspraxis selbst.10 Handeln wird nie „thematisiert als es selbst, sondern als Darstellung von Handeln, dessen Erscheinen an ein semiotisches Kommunikationssystem gebunden ist". 11 Diese „Darstellung von Handeln", also das Protokoll, hat eine je spezifische Ausdrucksgestalt, die nach geltenden Regeln sozusagen algorithmisch im Sinne einer ultimativen Entscheidung zwischen a und Nicht-a erzeugt wurde und als solche rekonstruierbar ist.12
„Endspiel" als Prüfstein hermeneutischer Methodologie; Eugene Delacroix - biographische K o n stellation und künstlerisches Handeln; Oevermann/Allert/Konau/Krambeck, Die Methodologie einer „objektiven Hermeneutik" und ihre allgemeine forschungslogische Bedeutung in den Sozialwissenschaften. 9 Hierzu Thürlemann, Vom Bild zum Raum, S. 12. 10 Oevermann, Die objektive Hermeneutik, S. 113. 11 Stierle, Semiotik als Kulturwissenschaft, S. 115. 12 Die objektive Hermeneutik entwickelt strukturalistische Ansätze weiter, die ähnlich auch in der Semiotik der Vertreter der sogenannten Ecole de Paris zu finden sind, deren Hauptverdienst die Transformation des semiotischen Ansatzes von einer
Zeichen- in eine BedeutungswKszmchzit war.
Algirdas Julien Greimas beispielsweise beschreibt den Prozeß der Bedeutungsgenese im Text mit dem Begriff des sogenannten „generativen Parcours", einem Schema hierarchisch gestufter Artikulationsebenen von Sinn (hierzu Thürlemann, Vom Bild zum Raum, S. 7 - 1 7 ; 1 8 1 - 1 9 0 ; unter
1. Einleitung
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Weiterhin zeichnet diese Protokolle aus, daß sie allein sprachlich faßbar sind beziehungsweise (auf Werke der bildenden Kunst bezogen), daß der jeweils zu untersuchende Bedeutungsgehalt des vorliegenden Protokolls versprachlicht werden kann. Sinn ist erfaßbar nur als artikulierter Sinn, Handlungen können sich als sinnvolle Handlungen - also als solche, die in einem kulturellen Handlungssystem vorkommen und verstanden werden nur darstellen, sofern sie sprachlich benennbar sind.13 Dies rechtfertigt, nicht nur bei im eigentlichen Wortsinn sprachlichen Gebilden von Texten zu sprechen, sondern auch Bilder als Bild-Texte zu fassen, deren Sinnstruktur, die in der Ausdrucksgestalt latent enthalten ist, in der deutenden Entzifferung manifest zu machen ist. In der Kunstgeschichte kommen diesem hermeneutischen Ansatz die präzisen und scharfsinnigen Analysen Max Imdahls von narrativen Abläufen und Zeitstrukturen in Bildern am nächsten.14 Seine Fragen nach der sprachlichen, somit sukzessiven Vermittlung der im Bild simultan erfahrbaren Sinnschichten hat die objektive Hermeneutik durch ein streng sequenzanalytisches Verfahren beantwortet, ohne daß je ein direkter Dialog zwischen den beiden Positionen stattgefunden hätte. Beide nehmen ihren Ausgang von der sinnlichen Evidenz ästhetischer Erfahrung in Verbindung mit einer kongruenten Formevidenz, aus deren Zusammenspiel dann semantische bzw. szenische Aussagen destilliert werden.15 Strukturell sind die Prinzipien der Bedeutungskonstitution in jedem formbildenden Prozeß identisch und somit nachträglich identifizierbar. Im Einzelfall jedoch liegt dem Interpreten für den rekonstruktiven Deutungsakt ein begrenztes, da historisch abgeschlossenes Repertoire an sprachlichen und bildnerischen Ausdrucksmöglichkeiten vor. Das heißt aber, daß nur die jeweilige Einzelfallanalyse des gegebenen Protokolls dessen Sinnstruktur erschließt, die dann Grundlage für die Strukturgeneralisierung ist. Damit wird auch der Vorwurf obsolet, man mindere den Kunstcharakter eines Kunstwerks, indem man es als historische Quelle verwende. Der hier skizzierte Ansatz wahrt gerade die Autonomie der individuellen Ausdrucksgestalt als eigenlogische bedeutungstragende Äußerung, ohne die Bedingungen zu vernachlässigen, die zur Entstehung dieser spezifischen Ausdrucksgestalt geführt haben - mag dies eine Textvorlage, ein bestimmtes Material, der Wunsch des Auftraggebers oder aber die künstlerische Intention gewesen sein.
den Schriften von Greimas sind beispielsweise zu nennen: Semantique structurale, Paris 1966; Du sens: Essais semiotiques, 2 vols., Paris 1 9 7 0 - 1 9 8 3 ; Essais de semiotiques poetiques, Paris 1972). Oevermann selbst bezieht sich allerdings auf Charles Sanders Peirce und dessen Pragmatismus; vgl. z . B . Krise und Muße. Struktureigenschaften ästhetischer Erfahrung aus soziologischer Sicht; Die Farbe - Sinnliche Qualität, Unmittelbarkeit und Krisenkonstellation; Die Philosophie von Charles Sanders Peirce als Philosophie der Krise; Wissen, Glauben, Überzeugung - Ein Vorschlag zur Theorie des Wissens aus krisentheoretischer Perspektive. 13 Stierle, Semiotik als Kulturwissenschaft, S. 102; 106. 14 Vor allem Imdahl, Bildsyntax und Bildsemantik; Sprache und Bild - Bild und Sprache; Uber einige narrative Strukturen in den Arenafresken Giottos; vgl. auch Thürlemann, Vom Bild zum Raum. 15 Vgl. Imdahl, Bildsyntax und Bildsemantik, v.a. S. 93.
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1. Einleitung
Dank Felix Thürlemann sei hier an erster Stelle für seine spontane Bereitschaft gedankt, meine Arbeit an der Universität Konstanz als Habilitationsschrift zu unterstützen. Ulrich Gaier hatte in einem für mich krisenhaften Moment den Kontakt vermittelt, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Den Schritt in die Autonomie freien Forschens hätte ich nicht wagen dürfen, wenn mich die Dr. Meyer-Struckmann-Stiftung der Studienstiftung nicht in großzügigster und liberalster Weise durch ein dreijähriges Stipendium finanziell unterstützt hätte. Das gleiche gilt für das einjährige Postgraduiertenstipendium des Graduiertenkollegs der B o n ner Universität „Die Renaissance in Italien und ihre europäische Rezeption". Ich danke hierfür insbesondere der langjährigen Sprecherin des Kollegs, Barbara Schellewald. Andreas Tönnesmann hat mich stets auf das Liebenswürdigste gefördert und sich dankenswerterweise bereiterklärt, meine Habilitation mitzutragen. Auch Rudolf Schlögl danke ich für die Begutachtung. Bernd Roeck gab mir den Mut, mich thematisch offensiv zwischen Kunstund Kulturgeschichte anzusiedeln. Lehraufträge an der Universität Zürich, die ich ihm verdanke, ermöglichten mir, mit hochmotivierten Studenten meine Thesen zu diskutieren und zu überprüfen. U n d es ist sogar möglich, daß eine von R o e c k und Tönnesmann gemeinsam geleitete Exkursion an die Loire und nach Fontainebleau vor vielen Jahren den ersten Keim des Interesses an Frangois I er in mir gelegt hat. Andreas Beyer danke ich nicht nur für viele anregende Gespräche voller „sprezzatura", sondern vor allem auch für seine Bereitschaft, als auswärtiger Gutachter zu fungieren. Zwei gemeinsam mit Ulrich Oevermann organisierte Workshops zur Kunstpatronage gaben der Arbeit eine ganz entscheidende Ausrichtung. Patrick Bahners, Martina Bretz, Susanna Burghartz, Dietrich Erben, Etienne Frangois, Victoria Coates Gardner, Marcia Hall, Wolfgang Hardtwig, Klaus Krüger, Wolf-Dieter Lange, Maximilian Lanzinner, Niels F. May, Leatrice Mendelsohn, Jürgen Müller, Christiane Neerfeld, Ulrich Oevermann, Olaf Peters, Grischka Petri, Georg Satzinger, Christoph Schmälzle, Marc H . Smith, Barbara Stollberg-Rilinger, Johannes Süßmann, Barbara Vinken, Gerrit Walther, Kathleen Wilson-Chevalier, Henning Wrede und Rebecca Zorach waren wichtige Diskussionspartner, denen ich für Lektüre, vielfältige Denkanstöße und Unterstützung danke. Mehrere gemeinsam mit Ulrich Rehm geleitete Seminare haben der Arbeit entscheidende Impulse gegeben, und er war stets einer meiner wichtigsten Gesprächspartner. Mein schärfster Kritiker war Klaus Heinrich Kohrs: E r hat die argumentative Feinversäuberung des Textes zu seiner Sache gemacht, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Robert Cramer schließlich, der unermüdliche Freund, hat sich der undankbaren Aufgabe akribischen K o r rekturlesens unterzogen. Ihm sei als erfolgreichem Jäger vielzähliger Katachresen ganz besonders herzlich gedankt. Martin Warnke und den Mitherausgebern der „Studien aus dem Warburg-Haus" danke ich für die Aufnahme meines Textes in diese renommierte Reihe. Für großzügige finanzielle Unterstützung des Druckes gebührt der Aby-WarburgStiftung, der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung und der Geschwister Dr. MeyerStiftung mein aufrichtiger Dank.
2. Italianita
oder Gallita ?
Die Herrschaftsinszenierung des französischen Königs in seinen ersten Regierungsjähren
In der gerade in den letzten Jahrzehnten anwachsenden Literatur zu Frangois Ier hat sich die Forschungsmeinung herausgebildet, daß die französischen Italienfeldzüge Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts zu einer kulturellen und personellen Italianisierung des französischen Hofes geführt hätten. Auch Robert Jean Knecht, der kenntnisreiche Biograph Fran5ois' I er , vertritt diese Auffassung, wobei sich freilich seine Vorstellung vom Kulturtransfer der Italianita etwas eindimensional ausnimmt: „They found that women in Italy were considered an essential adornment of court society and that close attention was given to literature and the arts. As a result of the ideas which they brought back, the court of France became more refined." 1 Versteht man hingegen unter Italianita nicht nur die Anwesenheit von Italienern im Umfeld des französischen Königs, dessen früh bekundetes Interesse an italienischer Renaissancekunst oder die Einführung italienischer Kleidungsstücke und einiger italienischer Tänze bei höfischen Festen, sondern - und so soll der Begriff im folgenden gefaßt werden - die bewußte Instrumentalisierung italienischer Kultur und Kunst für die eigene Herrschaftsrepräsentation, dann ist es um die Italianita am Hofe Francois' I er in seinen frühen Regierungsjahren schlecht bestellt: Gallita überwiegt im Zeitraum von 1515 bis 1525 am französischen Hof deutlich.2 Die starke Präsenz von italienischen Botschaftern, Geistlichen, Bankiers, Kaufleuten, Handwerkern und Hofnarren in Frankreich geht bereits auf die Zeit von Charles VIII und Louis XII zurück, die im Zuge ihrer Italienpolitik 3 all diese Fregosi, Trivulzi, San Severini, Caraccioli und Triboulets aus Mailand und Neapel an den französischen Hof gezogen hatten; die Hauptwelle der Einbürgerungen von in Frankreich ansässigen Italienern mit Zentrum in Lyon vollzieht sich allerdings nicht vor der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. 4 1 Knecht, Francis I. Prince and Patron of the N o r t h e r n Renaissance, p. 101. 2 H i e r z u und z u m folgenden: Tauber, Italianitä am H o f von Frangois I e r (1515-1521). - D i e in der Literatur häufig geäußerte Ansicht, daß bereits in den ersten Jahren nach dem Regierungsantritt von Francois I e r ein starker Einfluß italienischer G e b r ä u c h e und Zeremonien auf die französische H o f k u l t u r zu bemerken sei, muß deutlich relativiert werden: Vgl. z . B . Smith, L e s diplomates Italiens, observateurs et conseillers artistiques ä la cour de F r a n c i s I e r , p. 27 und Knecht, Renaissance Warrior and Patron, p. 124. 3 H i e r z u Scheller, Imperial T h e m e s in A r t and Literature of the Early French Renaissance (zu C h a r les VIII); Gallia cisalpina: L o u i s X I I and Italy 1499-1508; U n g fil tres delicat: L o u i s X I I and Italian Affairs. 4 Vgl. D u b o s t , L a France italienne, pp. 23-33; Boucher, Presence italienne ä L y o n ä la Renaissance.
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2. Italianitä oder Gallita?
Und erst unter Caterina de' Medici kann man von einer tatsächlichen Italianisierung des französischen höfischen Milieus sprechen. Es waren die Medici, die das größere Interesse an Heiratsverbindungen mit dem französischen Hof hatten und diplomatische Kunstgeschenke - mit zum Teil recht evidentem Symbolwert - nach Frankreich schickten; man denke nur an das Kreuzreliquiar, das Leo X. Fran9ois 1516 in Bologna während des Konzils als unverhohlenen Kreuzzugsaufruf in die Hand drückte, oder an Raffaels Hl. Michael, der dem französischen König als drastisches Exemplum dienen sollte, wie die personifizierte Ungläubigkeit niederzustrecken sei. Natürlich konnte man damit rechnen, Fran5ois als Liebhaber italienischer Renaissancekunst mit diesen Geschenken zu erfreuen, auch wenn die italienische Meinung von der französischen Kunstkennerschaft in diesen Jahren nicht die beste war und man durch kostbare Kunstgeschenke auch gerne auf die eigene zivilisatorische Überlegenheit hinwies. Immerhin hatte Frangois seinen Geschmack in dieser Hinsicht nicht nur an den 40 Tonnen „objets d'art" „tapisseries, librarie, paintures, pierre de marbre et de porfire et autres meubles" 5 - bilden können, die Charles VIII als Souvenirs von seinem Italienfeldzug mitgebracht hatte. Er erbte auch die beträchtliche Sammlung italienischer Frührenaissancemalerei seines Onkels zweiten Grades, Louis' XII, und man kann von frühen prägenden Kunsteindrücken für Frangois an dessen Hof ausgehen. Doch die berühmte Äußerung des Zehnjährigen, die Niccolo Alamanni 1504 überliefert hat, sollte in ihrer Aussagekraft für das frühkindliche Kunstinteresse Frangois' nicht überschätzt werden: „nostro picolo principe d'Angholesme, m'ä detto arebbe piacere Ii facessi venire qualche quadri di pictura de quei maestri singulari d'Italia, come collui che se ne dilecta" 6 . Selbst die Translokution Leonardos nach Frankreich könnte man ebenso wie den angeblich versuchten Kunstraub seines „Abendmahls" 1515 (ein Versuch, der eventuell gar nicht von Francois selbst, sondern bereits von Louis X I I unternommen wurde) 7 mehr als Machtdemonstration gerade gegenüber Mailand und Ausdruck kultureller Superioritätsansprüche der Siegermacht Frankreich interpretieren denn als tatsächlichen Patronageversuch, zumal es keine Belege für Malereiaufträge des Königs an den alternden Künstler gibt.8 Und eine detaillierte Formanalyse der aile Frangois Ier (nach einer neuerdings vorgenommenen Frühdatierung von 1515 bis ca. 1518) 9 und des Treppenturms von Blois ergibt eine starke Rückbildung der vermeintlich so italienischen Formenmorphologie an französische Bautraditionen.10 Zeitgenössische italienische Berichterstatter beschreiben die Fassade von Blois trotz
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Zit. n. Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 69. Zit. n. Cox-Rearick, ibid., p. 71. Vgl. Cox-Rearick, ibid., pp. 134s.; vgl. Kapitel 7.1. dieser Arbeit. Vgl. Cox-Rearick, ibid., p. 135: Neben ephemeren Festdekorationen ist der einzige belegte Auftrag der Entwurf (oder besser: die schüttere Zeichnung) für das Schloß von Romorantin. - Vgl. Prinz/ Kecks, Das französische Schloß der Renaissance, S. 393-398; Heydenreich, Leonardo da Vinci, Architect of Francis I.
9 Smith, Francois I er , l'Italie et le chateau de Blois; Cosperec/Smith, L'aile Frangois I er du chateau de Blois; zu Blois vgl. weiterhin: Loeffler, The Arts in the Court of Francis I, pp. 225-232. 10 So Prinz/Kecks, Das französische Schloß der Renaissance, S. 107: „Aber alle diese italienischen Meister haben sich - bis auf Leonardo - weitgehend der französischen Bautradition unterwerfen müssen. So sehr auch die italienische Architektur die Bewunderung der französischen Könige und ihrer Begleiter auf den Feldzügen erregt hatte, findet sie doch vorerst keine praktische Anwen-
2. Italianitä oder Gallita?
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ihres akzentuierten Belvederecharakters bezeichnenderweise nicht als italienisch. A u c h der Bau von Chambord, dessen Beginn in den hier untersuchten Zeitraum fällt, orientiert sich nicht an italienischen Vorbildern, sondern an den genuin französischen Traditionen des Schloßbaus, so am Chateau de Vincennes. Selbst der bereits 1515 erfolgte Auftrag für das Grabmal von Louis X I I und Anne de Bretagne in St. Denis an die italienische Werkstatt der Giusti, dessen Ausführung sich dann allerdings bis 1530 hinzog, scheint eher eine pietätvolle Reverenz gegenüber dem Kunstgeschmack des Verstorbenen 1 1 und ein Rückgriff auf das von diesem favorisierte Künstlerpersonal zu sein. Denn auch hier zeigt sich in der D o p pelung der beiden Körper des Königs in transi und priant der Rückgriff auf einen französischen Grabmalstypus, wie ihn bereits Anfang des 15. Jahrhunderts der königstreue Kardinal Jean de la Grange in seinem monumentalen Grabmalsentwurf für St. Martial in Avignon bereitgestellt hatte. 1 2 Die im folgenden näher zu entfaltende These lautet somit: In den Jahren nach 1515, nach der überraschend schnell gelungenen Rückeroberung Norditaliens und in der darauf folgenden Periode der „grande paix", bedient sich Franfois I er in seiner Herrschaftsrepräsentation und Selbstdarstellung traditionell-französischer Motive, da er zu diesem Zeitpunkt bis zur Schlacht von Pavia und seiner Gefangennahme - die Hoffnung auf die militärische und damit kulturelle Rückgewinnung Italiens für Frankreich noch nicht aufgegeben hat. Diese „grande illusion" scheitert erst 1 5 2 5 / 2 6 . In einer radikalen Kehrtwende verlegt er sich ab diesem Zeitpunkt auf die Strategie, Italien in Frankreich neu - und damit raffinierter, schöner und geistreicher - zu errichten.
dung. Eine Verwirklichung dieser architektonischen Ideale hätte eine Abkehr von der eigenen künstlerischen Tradition bedeutet". Zu Blois: ibid., S. 385-392, v.a. S. 392: „Betrachtet man die Fassade [der aile Frangois 7er] nicht in ihren Einzelheiten, sondern als Ganzes, so suggeriert ein erster Uberblick ein anderes Bild: Die vielen Offnungen erwecken nun den Eindruck einer großen Bogenwand - ein Eindruck, der für Frankreich um 1520 ungewöhnlich war und hinter dem die Forschung immer wieder italienische Einflüsse, etwa der Architektur des Damasushofes im Vatikanischen Palast zu Rom, erkennen wollte. Doch wo in Italien Arkadengänge kontinuierlich der Fassade folgen, sind es in Blois nur schmale Logen, eine Kombination aus Fenster und Balkon eigentlich, die, jeweils einzeln zu betreten, für sich bestehen und nicht miteinander kommunizieren." 11 Vgl. Fleurange, p. 45, der die besondere Pietät Frangois' - als Zeichen seiner magnaminitas - nach dem Tod und bei der Beerdigung seines Amtsvorgängers betont: „Lui mort, Monsieur d'Angoulesme se vestit de deuil, comme le plus prochain de la couronne, et s'en vint au palais, et incontinent fist advertir en diligence tous les princes et dames du royaume, et specialement madame sa mere; et, sans point de faulte, ce lui feust une belle estregne pour un premier jour de l'an, veu que ce n'estoit point son fils. [...] Et quand tout feust faict, ce qu'il appartenoit de faire ä Nostre-Dame, feust convoye, par les princes et seigneurs de son royaume, ä Sainct-Denis, lä oü feust faict son enterrement, lequel feust merveilleusement beau et triomphant. Et vous asseure que monsieur d'Angoulesme, daulphin, et madame Claude, sa femme, et fille dudict seigneur feu Roy, en firent merveilleusement bien leur debvoir; car il n'y feust rien oublie ni epargne, comme Ton doit faire ä l'honneur d'ung tel prince." 12 Hierzu demnächst: Tauber, De arte moriendi. Das Grabmal des Kardinals Jean de la Grange als Autobiographie post mortem-, vgl. Anne Morganstern, The La Grange Tomb and Choir, pp. 52-69.
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2. Italianitä oder Gallitä?
2.1. Der Blick der Italiener auf den Tanz der französischen Signifikanten Die Erfahrungen der Italiener im Umfeld des französischen Königshofes Anfang des 16. Jahrhunderts sind primär Differenz- und Alteritätserfahrungen. Die banale Einsicht, daß Fremde im Ausland immer nur das Eigene suchen und sehen, läßt sich einmal mehr anhand der Augenzeugenberichte von Pasquier Le Moyne während des Italienfeldzugs Frangois' I er belegen. Bei seinen Städte- und Kunstbeschreibungen in Le Couronnement du roy Frangois premier de ce nom / voyage & conquests de la duche de millan / Victoire et repulsion des exurpateurs dicelle avec plusieurs singularitez des eglises / couvens / villes / chasteauex et forteresses dicelle duche Fais lan mil cinq cens et quinze / cueillis & rediges p[ar] le moyne sansfroc richtet er besonderes Augenmerk auf typisch französische Elemente wie gotische Kreuzrippengewölbe, „fleur-de-lys", Gärten und verspielte Ornamentik. 13 Diese bewußte nationale Distinktion hat Marc Hamilton Smith in seinen Untersuchungen zu italienischen Botschaftern am französischen Hof auf die diametral entgegengesetzten Begriffe der „politesse italienne" und der „familiarite fra^aise" gebracht.14 Im Kanon nationaler Vorurteilsbildung setzen die Italiener ihre aristokratische Höflichkeit und Höfischkeit, ihre umanita, gravitä und vor allem civilta von der unzeremoniellen domestichezza der Franzosen ab. Aufschlußreich für dieses Frankreichbild ist eine von Vasari überlieferte Äußerung des Kardinals Bibbiena: Dieser meinte nämlich, dem Wunsch Frangois', den Laokoon nach Frankreich zu transferieren, durchaus auch mit einer möglichst realistischen Kopie entsprechen zu können, da die Franzosen weder Skulptur- noch Antikenkenner seien, sondern nur Dilettanten: „'1 re Francesco non aveva cosa alcuna di marmo ne antica ne moderna, et se ne dilettavo molto." 15 Der französische König, als roi tres cbretien hinlänglich distinguiert, hatte es nicht nötig, Distanz zu seinen Untertanen zu halten. Er setzte vielmehr familiäre Umgangsformen im direkten, öffentlichen Kontakt mit ihnen bewußt als Herrschaftsmittel ein und stilisierte sich so zum Pater Patriae - ein Topos der väterlichen Volksnähe, den bereits Cosimo de' Medici in Florenz und Federigo da Montefeltre in Urbino erfolgreich eingesetzt hatten. Der französische Hof präsentiert sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts in seiner Selbstdarstellung als noch stark mittelalterlich-ritterlich geprägt. Dies zeigt sich an den Argumenten, die Frangois ins Feld führt, um den jungen Federigo Gonzaga, der sich ihm 1515 in Mailand als Geisel ausgeliefert hatte, zu überreden, mit ihm nach Frankreich zu kommen: Nicht nur die „gran paesi" (im Sinne eines ländlichen Gegenbegriffs zur Urbanen Prägung Italiens) und die „belle Donne" 1 6 werden da bemüht, vielmehr betont Franfois, der größte Nutzen und die größte Ehre („gran utile et honore" 17 ) werde Federigo dadurch zuteil, daß er am französischen Hof „se faria il piü gentil principe di Italia" 18 , er also dort, in Frankreich, zum edel13 Vgl. Snow-Smith, Pasquier Le Moyne's Notes on Painting, Sculpture and Architecture in Pavia; Milan after the Battle of Marignano, 1515. 14 Smith, Familiarite franijaise et politesse italienne, pp. 194-232; vgl. auch: id., Les diplomates Italiens. 15 Vasari (Barocchi), vol. 5, p. 245. Vgl. hierzu Kapitel 7.1. dieser Arbeit. 16 Tamalio, Federico Gonzaga alla corte di Francesco I di Francia, p. 145 (Brief Federigos an seinen Vater vom 6.12.1515 aus Parma). 17 Tamalio, ibid., p. 147 (Brief Federigos an seinen Vater vom 9.12.1515 aus Modena). 18 Ibid., p. 101 (Brief von Stazio Gadio an Francesco Gonzaga vom 3.6.1515 aus Vigevano); vgl. auch Lecoq, Francois I er imaginaire, p. 170, die bemerkt, daß im französischen Verständnis auf den „roi bourgeois" Louis X I I mit Frangois I er der „roi gentilhomme" gefolgt sei.
2.1. Der Blick der Italiener auf den Tanz der französischen
Signifikanten
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sten, nobelsten, höfischsten Fürsten Italiens werden könne. 19 Wie sehr Selbstverständnis und Fremdwahrnehmung hier auseinanderklaffen, zeigt sich daran, daß die italienische Außensicht den vertraulichen Umgang des Königs mit seinen Höflingen als übertrieben anbiedernd und direkt empfindet, dabei aber den ausgeprägten Kalkül dieser subtilen Vergünstigungen und Zurückweisungen übersieht. 20 So schreibt Stazio Gadio, der Sekretär Federigos, an Francesco Gonzaga nach Mantua über das vorbildlich-distanzierte und damit typisch italienische Verhalten des Sohnes: „il signor mio si travagliava con piü modestia e piü rispetto verso il Re che non faceano Ii altri, che pocho rispetto Ii hanno, et si vede anche che Sua Maestä non vole ch'el si rispetta." 21 Der König dagegen scheint sich aus italienischer Sicht bei Federigo geradezu angebiedert zu haben, was als Zeichen besonderer diplomatischer Auserwähltheit gedeutet wird, so daß die Korrespondenz gerne betont, wie sehr domesticamente die beiden miteinander verkehrten. Federigo wird damit zum integrativen Bestandteil der französischen königlichen domus, Fran9ois im Umkehrschluß zum direkten parente des Mantuaner Hofes. 22 Als Federigo den König dann tatsächlich nach Frankreich begleitet und ihn Mitte August 1516 in Blois aufsucht, setzt F r a n c i s gezielt sein Repertoire an Mitteln zur Herrschaftsdarstellung und Selbststilisierung ein und bietet ihm eine Machtdemonstration, deren Intention den Italienern jedoch verborgen zu bleiben scheint, wie der Bericht Gadios vermuten läßt. Das Szenario ist das folgende: Federigo, abends in Blois angelangt, wird von Francois I e r mit größter Begeisterung empfangen („subito visto comincio ad far dimonstratione grandissime di allegria"); glaubt man dem Bericht, so hatte der König bereits heftige Entzugserscheinungen, weil er seinen favorito23 zehn Tage nicht gesehen hatte. Er nimmt Federigo vertraulich bei der Hand, und es folgt eine ausführliche, exklusive Schloßbesichtigung bei dramatischem Fackelschein, bei der der französische König alles darauf anlegt, die Rolle des kraftvollen Herkules in all seiner fortitudo möglichst perfekt zu spielen: 24 Er schlägt Türen ein, wenn der Schlüssel nicht schnell genug zur Hand ist („e perche non si porto cosi presto la chiave dela porta dela saletta [...] correndo il Christianissimo due volte nella detta porta la ruppe et aperse"); er unterstreicht seine Fähigkeit, selbst die Naturgewalten zu bändigen, indem er besonders auf die Hydraulik des Brunnens im Garten hinweist („Ii fece veder bene la fontana et Ii disse che l'acqua si cavava d'uno pozo con cavalli"); er hat sogar Berge ver-
19 O b und inwieweit eine eventuelle Zusammenkunft F r a ^ o i s ' mit Baidassare Castiglione in Bologna prägend für sein Verständnis vom Höfling war, ist hier nicht abschließend zu klären; vgl. Clough, Francis I and the Courtiers of Castiglione's Courtier, pp. 2 3 - 7 0 ; Chastel, French Renaissance Art, p. 82. - Vgl. auch Cremona, Theleme, Ii Cortegiano et la cour de Francois I er . 20 Hier ist Clough, Francis I and the Courtiers of Castiglione's Courtier, p. 38 zu widersprechen, der meint, Francois I e r sei in den Augen italienischer Höflinge bereits in den frühen Jahren seiner Regentschaft ein italienischer Fürst gewesen. 21 Tamalio, Federico Gonzaga alla corte di Francesco I di Francia, p. 108 (Brief vom 6.11.1515 aus Vigevano). 22 Tamalio, ibid., p. 101. - Vgl. auch p. 146: „domesticarsi col Re"; p. 108: „il signor mio ando seco, et il Re ragiono seco molto domesticamente", und p. 112: „parlo molto domesticamente con Sua Maestä". Zu Federigo am französischen H o f und den unterschiedlichen rituellen Verhaltensweisen vgl. auch: Cashman III, Performance Anxiety. 23 Tamalio, ibid., p. 58. 24 Tamalio, ibid., pp. 2 8 8 - 2 9 0 (Brief an Francesco Gonzaga vom 12.8.1516 aus Tours).
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2. Italianitä oder Gallita?
setzt, um diesen Garten anzulegen („Ii disse ch'el tutto era fatto per forza havendo spianato uno monte per far esso giardino"); er baut seine Gemächer auf den Trümmern derer seines Vorgängers („da quel canto ove erano le stantie dil Re Loys, quale havendoli gittate a terra ha refatte"). Ein zweites Türeneinschlagen zur Besichtigung der Bibliothek wird von Federigo knapp verhindert. Auch wenn Frangois meint, weder seinen eigenen Repräsentationsbedürfnissen noch der Ehre seines Besuchers hinlänglich Genüge getan zu haben („Non parendo a lui di haver ben satisfatto a se istesso in far favor a Sua Signoria"), so hat er doch ein Einsehen angesichts der fortgeschrittenen Zeit und beendet seinen „Herkules-Parcours" auf typisch französische Weise: „la prese a mane et menola nelle camere dele damigielle dela Regina che dormivano, gietando giü Ii usci se cosi presto non aprivano. Lor dui soli entrorno in quelle camere [...]". Die Identifikation Frangois' I er mit Herkules ist stets auch als ein Uberbietungsversuch des habsburgischen Herkules-Mythos zu sehen. In der Adaptation immer wieder neuer und raffiniert mit Ironisierungen spielender herkulischer ikonographischer Muster tritt der französische König einmal mehr in einen Herrschaftsparagone mit Karl V. Der französische Herkules ist nicht nur der intellektuellere Herkulestypus, weil er als Hercules gallicus seine herrscherliche Gewalt subtil ausübt, indem er seine Untertanen mit rhetorischen Mitteln in seinen Bann schlägt und nicht mit der brachialischen Keule trifft. 25 Zugleich ist er der höfischere Herkules, der auch den Minnedienst galant beherrscht und dabei hin und wieder am Scheideweg die lustfreundliche Abzweigung wählen darf. Diese Abweichung vom antiken Tugendkanon wird durch die Ausprägung eines zweiten spezifisch französischen Herkules-Typus kompensiert, der mehr dem höfischen, sublimierten Minnedienst zugetan ist als der luxuria. In der chevaleresken Rolle des noble champion, der keine Türen mehr eintritt, dafür offene Tore nach Italien durchschreitet, begegnet Frangois/Herkules bereits bei seiner Entree in Lyon vom 12. Juli 1515 auf dem echafaud, der auf der Place du Change errichtet war (Abb. I). 26 Der in der französischen Nationalikonographie verbreitete Topos des jardin de France wird hier verknüpft mit der bevorstehenden Rückeroberung von Mailand, des „jardin de Milan". Aber während der französische Garten (oder „parc") stets als ein sichtbar begrenztes und umzäuntes Territorium in der Tradition des jardin clos aus dem Rosenroman dargestellt ist und so marianische und paradiesische Konnotationen vereint, öffnet sich hier hinter dem Tor eine unabsehbar weite, begrünte Wiese. 27 Auch in der Entree des Königs in Poitiers am 5. Januar 1520 wird dann der geschlossene, französische Paradiesgarten, in dem als schönste Blume die königliche fleur-de-lys wächst, der „verdure naturelle
25 Zum „gallischen Herkules" vgl. Vivanti, Henri IV, the Gallic Hercules; Hallowell, Ronsard and the Gallic Hercules Myth; Polleroß, From the exemplum virtutis to the Apotheosis; Lecoq, Frangois Ier imaginaire, Kap. „Sous le signe de Mercure: le theme du roi-orateur et l'embleme au caducee compose pour Louise de Savoie", pp. 421-427; Bryant, Politics, Ceremonies, and Embodiments of Majesty, pp. 128f. 26 Hierzu und zum folgenden vgl. Lecoq, Frangois Ier imaginaire, pp. 204-207, die sich vor allem auf die illustrierte Relation zu diesem Ereignis stützt: Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 86.4 Extravagantium; die Illuminationen werden heute Guillaume II le Roy wieder abgesprochen, vgl. Avril/Reynaud, Les manuscrits ä peinture en France 1440-1520, pp. 362; 357. 27 Zum „parc de France": Scheller, Ensigns of Authority, p. 141; zum „jardin": Bamforth/Dupebe, The Silva of Bernardino Rincio, 1518, p. 286, n. 114.
Abb. 1
Anonym, Le Jardin de Milan, in: Entree de Frangois I " ä Lyon, 12 juillet 1515, Cod. 86.4 Extravagantium, Herzog-August-Bibliothek, Wolfenbüttel
[...] d'Italie" gegenübergestellt.28 Gleichzeitig wird bei der prospektiven Siegesinszenierung in Lyon der antike Mythos von Herkules, der die Apfel der Hesperiden pflückt, ins Höfische gewendet. Hier dient der galante „Hercule courtois" Tugendpersonifikationen, die strukturell erneut an diejenigen des Rosenromans erinnern: „Amour Royale", alias Claude de France und „Noble Fraternite", alias Renee d'Orleans. Der erbärmliche Bär im Vordergrund (eine despektierliche Allegorie der gefürchteten Schweizer Söldner) mit den gestutzten, blutenden Krallen und der schwarzgesichtige Krieger (eine nicht weniger abfällige Anspielung auf Lodovico il Moro, der damit als Mohr/Maure/Marrano, also als Ungläubiger diffamiert wird und dem ,Juste Querelle" voranschreitet) weisen darauf hin, daß die „filles d'Orleans" dank dem noble champion bald wieder die rechtmäßigen Besitzerinnen des Mailänder Gartens sein werden - der Italienfeldzug wird so für Frangois zu einer höfischen aventiure, die getreu dem neuplatonisch-gradualistischen Modell nur ein gutes Ende finden kann. Das italienische und das französische Zeichen- und Symbolsystem waren sichtlich nur schwer kompatibel - die am französischen Hof kultivierten Tugenden der libertas (im Sinne von „franchise"), humilitas und amor-caritas wurden von den Italienern als Beweise mangelnder Distanz und Zivilisiertheit ausgelegt.29 Ist das nationale Zeichensystem zu 28 Lecoq, Frangois I e r imaginaire, pp. 363s.; auch in Stazio Gadios Beschreibung des Gartens von Blois wird betont, daß er „bello e ben ordinate" sei: Tamalio, Federico Gonzaga alla corte di Francesco I di Francia, p. 288 (Brief vom 12.8.1516 aus Tours). 29 Marc Smith nennt hierfür verschiedene Beispiele: Nicht nur zeichne sich der französische Hof in den Augen der Italiener mehr durch Reichtum und Macht als durch Raffinesse aus (vgl. Les diplo-
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2. Italianitä oder Gallitä?
ausgeklügelt, verfehlt es seine Wirkung bei Fremden, weil die Symboldifferenz zu groß ist. Mangelnde Kategorien der Klassifikation und fehlende Ordnungsstrukturen machen das gegenseitige Verstehen unmöglich. So nimmt Isabella d'Este 1517 das französische Spiel mit den Signifikanten nur noch als Chaos wahr: „Se la corte romana per cerimonie e distinctione di persone ä maravigliosa, questa di Franza per disordine, per confusione, per non discernersi un homo da l'altro et per un certo vivere libera et non taxato, e stupenda e mirabile." 30 Der französische Hof entwickelt gerade zu Beginn des 16. Jahrhunderts ein ausgesprochen elaboriertes und hermetisches Zeichen- und Symbolsystem, das eine höchstmögliche Referenzdichte zum Zwecke der Herrschaftslegitimation aufweist. Alle verfügbaren und als mächtig und wirksam bekannten Institutionen und Traditionen waren in dieses System integriert - von Gott über die Providentia bis zur Fortuna, von der Antike bis zur mittelalterlichen Mystik. Die Bilder- und Allegorienwut des französischen Spätmittelalters ging hierbei eine neue Allianz ein mit dem Synkretismus des christlichen Humanismus. Dieses Zeichenverständnis ist realistisch, weil es an die reale Wirkmächtigkeit der Symbole glaubt - hier sei nur auf die den Sieg gegen die Ungläubigen herbeibeschwörende Aufschrift In hocsigno vinces auf der Konkordatsbulle von 1516 verwiesen, die zugleich die potentielle Belohnung für ein solches Engagement gegen die Feinde der Christenheit in Form der kaiserlichen Bügelkrone zeigte.31 Gleichzeitig ist es nominalistisch, da es über die Zeichen zur Darstellung der eigenen Machtansprüche spielerisch-souverän - und das heißt: künstlerisch - verfügt. Die Welt der Frühen Neuzeit ist voller bedeutungstragender und bedeutungsmächtiger Zeichen: Hieroglyphen, vestigia Dei und magische Zeichen verbinden sich zu einem - wie Michel Foucault es nennt - „reseau de marques oü chacune peut jouer, et joue en effet, par rapport ä toutes les autres, le role de contenu ou de signe, de secret ou d'indication." 32 Neben die natürlichen Zeichen treten die vom Menschen in einem als künstlerisch zu qualifizierenden Akt artifiziell gesetzten - das 16. Jahrhundert ist die Blütezeit der Emblematik, der Devisen, der Imprese, der Verdoppelung und Vervielfältigung von Bedeutung, der Kommentare und Anspielungen.33 Bei dem berühmten Fest für die englischen Botschafter 1518 in der Bastille war innen auf dem über den Festsaal gespannten Zeltdach ein Sternenhimmel zu sehen, der eine imaginäre Planetenkonstellation zeigte, die Abbild einer Zeit des Friedens und der Prosperität sein sollte. In gezieltem symbolträchtigen Eingriff wurde hierbei der Große Bär durch den feuerspeienden Salamander - das Emblem des französischen Königs - ersetzt, F r a n c i s somit selbst unter die Sternzeichen aufgenommen: 34 „II existe cependant, dans cet espace
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mates Italiens, p. 35), auch die französischen „mascherate" der 30er und 40er Jahre seien von Italienern als völlig überallegorisierend empfunden worden (ibid., p. 30). Zit. n. Smith, Familiarite fran^aise, p. 219. Vgl. Krummacher, Die Münzbilder Franz' I., S. 24. Foucault, Les mots et les choses, p. 49. Vgl. Lecoq, La Salamandre royale dans les entrees de Frangois I er , p. 94, die die Omnipräsenz der Herrschaftszeichen unter F r a n c i s konstatiert: „La salamandre au contraire timbre les murs des demeures de Frangois I er jusqu'ä l'obsession"; vgl. auch Klein, La theorie de l'expression figuree dans les traites Italiens sur les imprese 1555-1612; Stegmann, Les theories de l'embleme et de la devise en France et en Italie (1520-1620).
34 Lecoq, Une fete italienne ä la Bastille en 1518, p. 155; vgl. auch Bamforth/Dupebe, The Silva of Bernardino Rincio, 1518, pp. 296-299; vgl. hierzu Kapitel 4.1.2. dieser Arbeit.
2.1. Der Blick der Italiener auf den Tanz der französischen Signifikanten
Abb. 2 Fran?ois Demoulins, Traite sur les vertus cardinales, um 1510, Bibliotheque Nationale, Paris, ms. fr. 12247
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Abb. 3 Francesco Colonna, Priapus, aus: Hypnerotomachia Poliphili, Venezia 1499
sillonne en toutes directions, un point privilegie: il est sature d'analogies (chacune peut y trouver Pun de ses points d'appui) et, en passant par lui, les rapports s'inversent sans s'alterer. Ce point, c'est l'homme" 3 5 - und, so ließe sich Foucaults Gedanken im hier zugrunde gelegten Repräsentationsverständnis pointieren - unter den Menschen nimmt diesen Punkt in besonderer Weise der König ein. Der Herrscher bedient sich daher legitimerweise aller ihm aus der Tradition zur Verfügung stehenden Zeichen zum Zweck der Selbstdarstellung. In einer für Frankreich typischen Form der Antikenrezeption werden einzelne, als wirkmächtig betrachtete Symbole aus ihrem Kontext gelöst und für die königliche Herrschaftsinszenierung instrumentalisiert. Das Resultat einer solchen Entkontextualisierung ist ein häufig zu konstatierender Eklektizismus, 36 wie sich anhand von Frangois Demoulins Traktat über die Kardinaltugenden zeigen läßt (Abb. 2). Die sowohl stilistisch als auch inhaltlich noch stark mittelalterlich geprägte allegorische Darstellung der personifizierten
35 Foucault, Les mots et les choses, p. 37; vgl. Tauber, „Uomo universale" oder „Uomo virtuoso"? 36 So auch Chastel, French Renaissance Art, pp. 88f.: „The French borrowed exactly what they needed, and what they needed can be deduced from their traditional programs and types. [...] French art absorbed the ornaments and the style of antiquity when it was suitable, and in its own time, in order to enrich and renew works which owed nothing to Italy or to Antiquity."
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2. Italianitä oder Gallitä?
Tugend, die das Laster besiegt, 37 erweist sich bei näherem Hinsehen als eine Kombination von Elementen, die der Hypnerotomachia Poliphili entnommen sind. Die Figur der Virtus, ihr Schwert mit der Krone und vor allem der Laubbaldachin (Abb. 3) wurden bereits von Anne-Marie Lecoq 38 im Anschluß an Leon Dorez 3 9 auf die entsprechenden Vorlagen aus der Hypnerotomachia zurückgeführt. Aber auch für die liegende Figur des Lasters kann man dort das Vorbild finden (Abb.4). 4 0 Auffällig bei diesem Puzzle von Versatzstücken ist die Tatsache, daß die einzelnen Elemente ihrer ursprünglichen Konnotationen gänzlich beraubt werden - sie lassen kaum noch einen inhaltlichen Zusammenhang mit ihrem Einsatz in der Hypnerotomachia erkennen. Beispielsweise wird der zeitgenössische französische Betrachter den tugendbeschirmenden Pavillon wohl kaum mit der Lustlaube eines Priapus assoziiert haben, eher schon mit dem Baldachin, der in den Entrees royales über dem französischen König getragen wurde, oder eben auch mit dem jardin de France. Generell ist die Antikenrezeption der französischen Renaissance durch einen modern zu nennenden Eklektizismus im Sinne einer gezielten Instrumentalisierung durch spezifische Neukontextualisierung antiker Zitate gekennzeichnet. Im Falle der Benutzung von Motiven aus der Hypnerotomachie leistet der hermetische Charakter dieses Textes einer eklektischen Rezeption zusätzlich Vorschub. Bezeichnend jedoch ist, daß die Hermetik des Ausgangstextes nicht aufgeschlüsselt, sondern die entlehnten Elemente in einen neuen, teilweise noch hermetischeren Kontext integriert werden, in dem sie einen genuin neuen Sinn erhalten. Das analogische Denken, das Foucault als bestimmend für die episteme des 16. Jahrhunderts in Frankreich postuliert hat, erstreckt sich gleichermaßen auf die Zeichenproduktion wie die Zeichenrezeption. Die Entdeckung der Welt, des Menschen und der Antike hat eine solche Vielfalt neuer Zeichen erschlossen, daß der um Verstehen bemühte Betrachter alle nur denkbaren Hilfsmittel der Hermeneutik einsetzen muß, um dieser phänomenologischen Uberforderung - der er bei jeder allegorienübersättigten Herrscherentree und bei jedem königlichen Auftritt ausgesetzt ist - Herr zu werden. Doch nicht nur die natürlichen Zeichen haben sich vervielfältigt: Zeichensetzen und Zeichendeuten werden zum herrschaftlichen Machtinstrument. Die vom französischen Hof gesetzten Symbole zeichnen sich in dieser Zeit durch eine bemerkenswerte Hypertrophie aus. Der neuplatonisch-christlich geprägte Franziskanerabt Jean Thenaud, einer der „Ikonomanen" um Francois I er , hatte zwischen 1519 und 1524 im Auftrag von Louise de Savoie eine Schrift mit dem Titel Troys resolutions et sentences / cestassauoir de lastrologue / du poete / et du theologue / sur les grandes coniunctions / moyennes et petites qui se font ou signe de pisces. Lan mil.v. ccxxüue41 verfaßt. Darin legte er seine Vorstellungen von einer wahren, nämlich christlichen Kabbala dar, die sich gegen die Prophezeiung einer zweiten Sintflut für das Jahr 1524 wendet mit dem Hinweis auf die Allmacht Gottes, der selbst die
37 B.N. ms. fr. 12247, abgebildet bei Lecoq, Frangois I er imaginaire, pp. 88s., figg. 27-30; vgl. auch Avril/Reynaud, Les manuscrits ä peinture en France 1440-1520, p. 364. 38 Lecoq, Francois Ier imaginaire, pp. 8 5 - 1 0 1 . 39 Dorez, Etudes aldines, II: Des origines et de la diffusion du Songe de Poliphile. 40 Colonna, Hypnerotomachia Poliphili, vol. 1, p. 397. 41 Wien, Nationalbibliothek, Cod. 2645; vgl. Lecoq, La grande conjonction de 1524 demythifiee pour Louise de Savoie.
2.1. Der Blick der Italiener auf den Tanz der französischen Signifikanten
Abb. 4
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Francesco Colonna, Hypnerotomachia Poliphili, Venezia 1499
negativen Auswirkungen der K o n j u n k t i o n e n beherrsche. 4 2 D e n düsteren Endzeitprophet i e n 4 3 wird der befriedete politische Zustand der J a h r e 1 5 1 6 - 1 5 2 0 gegenübergestellt und die Wiederkunft des goldenen Zeitalters unter Francois I e r in einer symbolüberladenen Vision gezeichnet, die den träumenden A u t o r in die höchsten Engelssphären versetzt, w o er ein Wunderwesen schaut, das aus einem ganzen Arsenal antik-göttlicher Attribute zusammengesetzt ist: Jupiter, Apoll, Venus, Merkur, Mars, Diana und Saturn treten ihre besten Eigenschaften ab, u m einen Modellherrscher entstehen zu lassen. Das Traumbild offenbart den Retter in einer politisch ausweglos scheinenden Situation: „Je vy [ . . . ] le dictateur des roys et l'Auguste des empereurs [ . . . ] en l'esprit duquel les benoistz seraphz influoyent charite et grace surceleste, les cherubz sapience, les throsnes equite et justice, les potestes magnanimite et prouesse, les principautez f o y et religion, et les dominations perseverance et stabilite [ . . . ] . " 4 4 Besonders in kritischen Situationen scheint ein Referenzsystem der Tugend nicht auszureichen.
42 Interessant, jedoch an dieser Stelle nicht zu leisten, wäre eine Untersuchung der Rezeption der Schriften Pico della Mirandolas in diesem französischen Kontext. 43 Zu den spätmittelalterlichen Prophetien und ihren Auswirkungen auf die Politik der Frühen Neuzeit vgl. Kunze, Nationale Regungen in der spätmittelalterlichen Prophetie; Reeves, The Influence of Prophecy in the Later Middle Ages. 44 Zit. n. Lecoq, Francois I er imaginaire, p. 405.
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2. Italianitä oder Gallitä?
2.2. Die Renaissance der Angouleme: Ein inszenierter Neubeginn Zwischen 1509 und 1516 besteigt eine Reihe junger Herrscher die Throne Europas: 1509 wird Henry VIII König in England, 1515 tritt Fran5ois Ier die Herrschaft an, im gleichen Jahr wird der spätere Kaiser Karl V. in Burgund für großjährig erklärt und übernimmt 1516 für seine Mutter die Regentschaft über Kastilien und Aragon. Diese Umbruchphase ist ein Dorado für Fürstenerzieher und Verfasser von Fürstenspiegeln - Erasmus entwirft in seiner 1515 begonnenen und Karl gewidmeten Institutio Principis Christiani unter Rückgriff auf christliche Theologie, heidnisch-antike Ethik und Staatsphilosophie das „Bild des reinen und wahren christlichen Fürsten"; 45 Guillaume Bude verfaßt 1519 für Frangois seine Institution du prince als antiinstitutionelle Propagandaschrift für einen König, der α legibus solutus ist.46 Die jungen Herrscher befinden sich naturgemäß in einer ständigen Konkurrenzsituation: Die „emulation incessante des cours", 47 der permanente Wettstreit zwischen den Höfen, das auftrumpfende Vorzeigen von Herrschaftszeichen und der paragone werden zu Mitteln der Politik und prägen den diplomatischen Habitus der Zeit. Je ähnlicher die verwendeten Zeichen in diesem Kampf um den Vorrang sind, desto größer ist auch die Rivalität im Versuch der gegenseitigen Uberbietung. Die Ubereinstimmungen im englischen und französischen Zeichensystem, 48 die schon der Titel des englischen Königs - „Rex Angliae et Franciae" - nahelegt, führen dann zu den berühmten „Zeichenschlachten" 49 unter dem Vorwand gegenseitiger Ehrenbezeugungen zwischen Henry VIII und F r a n c i s Ier in den Jahren 1518 und 1520 - so auf dem Camp du drap d'or,50 wo jedes noch so minimale Abweichen von der auferlegten absoluten Gleichwertigkeit, welche die concordia der beiden Mächte symbolisieren sollte, als Präpotenz und beleidigendes Streben nach Vorrang interpretiert wurde. Was Foucault in Les mots et les choses weniger als in seinen späteren Schriften hervorhebt, ist der intentionale Akt des Zeichensetzens, das virtuose Verfügen über Zeichen, die bewußt zur Herrschaftslegitimation oder zur Machtdemonstration eingesetzt werden. Frangois Ier hatte diese demonstrative Zeichensetzung durchaus nötig: Nicht nur, daß sein
45 Opera omnia Desiderii Erasmi Roterodami, p. 135: „integri verique Christiani principis simulachrum." 46 Zur Institution vgl. Triwunatz, Guillaume Budes „De l'Institution du Prince". Ein Beitrag zur Geschichte der Renaissancebewegung in Frankreich; Bontems, L'Institution du Prince de Guillaume Budέ; Rohwetter, Zur Typologie des Herrschers im französischen Humanismus. 47 Smith, Les diplomates Italiens, p. 30. 48 Martin du Beilay spielt in seinen Memoires die Allianz England-Frankreich bewußt gegen den Konflikt Habsburg-Valois aus; vgl. Martin du Beilay, Memoires, pp. 131s. et passim. 49 Vgl. Thum, Öffentlichkeit und Kommunikation im Mittelalter, S. 76-79, der diese Tendenz zur Übersemiotisierung der Öffentlichkeit plausibel als Mittel eines ordnenden Eingriffs mit Hilfe des Zeichengebrauchs erklärt: „Politische und gesellschaftliche Ungewißheit sollte durch sichtbare/ hörbare Zeichen im Erlebnisbereich sinnlicher Wahrnehmung aufgehoben werden." Allerdings betont er gleichzeitig die Ambiguität dieses (analogen) Zeicheneinsatzes, dessen Dekodierung dem Rezipienten (also der jeweils sich neu einstellenden Öffentlichkeit) auferlegt war. Dies erklärt unter anderem die so unterschiedlichen Deutungen der verschiedenen Handlungsabläufe beim Treffen auf dem Güldenen Feld, die zum Teil die tatsächliche politische Intention der Handlungen verkennen, mit dem Deutungsakt also offensichtlich überfordert sind. 50 Hierzu Kapitel 4.1. dieser Arbeit.
2.2. Die Renaissance der Angouleme:
Ein inszenierter
Neubeginn
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Herrschaftsantritt vom Ruch der Illegitimität begleitet war, da es sich bei der Familie Angouleme nur um eine Nebenlinie der Valois und auch der Orleans handelte - letztere selbst bereits mit dem Makel der Seitenlinie behaftet; auch die Zeit vor der tatsächlichen Thronbesteigung war für ihn und seine Familie gekennzeichnet durch die ständige Gefahr, politisch wieder in die zweite Reihe verwiesen zu werden.51 Der „roi sans fils" 52 Louis X I I hatte, um dennoch die Kontinuität des französischen Königshauses zu garantieren,53 F r a n c i s d'Angouleme bereits 1506 auf der Notablenversammlung in Tours-les-Plessis für den Fall seines Ablebens zum Nachfolger bestimmt, ihm 1507 den Titel der „seconde personne en France" 54 verliehen (da der Dauphin-Titel dem leiblichen Sohn des Königs vorbehalten war) und ihn dann 1508 an seinen Hof geholt. Seit 1512 wird Francois in den Quellen inoffiziell „Monsieur le Dauphin" genannt, nachdem die kurzfristig drohende Gefahr einer erneuten Schwangerschaft Anne de Bretagnes zur Zufriedenheit der Angouleme mit der Totgeburt eines Sohnes endete. Der egoistische Erleichterungsseufzer Louise de Savoies ist bekannt: „Anne, reine de France, ä Blois, le jour de sainte Agnes, 21 de janvier, eut un fils; mais il ne pouvoit retarder l'exaltation de mon Cesar, car il avoit faute de vie." 55 Dennoch scheint der Phantasietitel, der Frangois 1512 auf einer Cristoforo Caradosso zugeschriebenen Medaille verliehen wird - Maximus Franciscus Francorum Dux56 - , die Verunsicherung und das Bedürfnis nach offizieller Absicherung zu spiegeln. Die vor allem nach seiner Heirat mit Claude de France, der Tochter Louis', sicher scheinende Thronfolge wird erneut bedroht, als der alternde König nach dem Tod Anne de Bretagnes im Januar 1514 die 18jährige Mary Tudor ehelicht. Das Problem löst sich diesmal durch den frühzeitigen Tod des - glaubt man den Quellen - von seiner jugendlichen Gattin völlig ausgelaugten Königs. Nach einer etwas peinlichen Nachfrage bei Mary steht der Thronerhebung F r a n c i s ' nichts mehr im Wege. Sein Jugendfreund, Robert de la Marek, genannt Fleurange, le jeune Aventurieux, berichtet hiervon: „Et ce temps pendant environ trois sepmaines ou ung mois apres la mort du feu roy Louis, monsieur d'Angoulesme, daulphin, demanda ä ladicte Royne s'il se pouvoit nommer Roy, ä cause qu'il ne sgavoit pas si eile estoit enceinte ou non; sur quoi ladicte dame luy fist response qu'ouy, et qu'elle ne sgavoit aultre roy que lui." 57 Zur Stabilisierung dieser unsicheren Machtposition war bereits früh eine Propagandamaschinerie in Gang gesetzt worden, die Frangois I er zu dem machen sollte, was er in den Augen seiner Mutter von Anfang an war: zu „mon roi, mon seigneur, mon Cesar et mon fils", 58 wie sie in ihrem sogenannten Journal von 1522 rückblickend schreibt. Dieser höchst authentische Text einer ehrgeizigen Mutter scheint, wie Henri Hauser gezeigt hat, eine minutiöse, diariumsartige Sammlung von Himmels- und Vorzeichen zu sein, die der Erstel-
51 Zur folgenden Rekapitulation der Fakten: Knecht, Renaissance Warrior and Patron, pp. 1 - 1 8 und pp. 41 f., sowie Lecoq, Fran$ois I er imaginaire, pp. 2 5 - 3 4 . 52 Lecoq, ibid., pp. 3 0 - 3 4 . 53 Bely, La societe des princes, pp. 2 1 5 - 2 1 8 betont im Blick auf diese Nachfolgeregelung vor allem die konkurrierenden Interessen von „prestige dynastique" und „cohesion nationale". 54 Scheller, Imperial Themes in Art and Literature, p. 65. 55 Journal de Louise de Savoye, p. 87. 56 Abgebildet z.B. bei Lecoq, Frangois I er imaginaire, p. 119, fig. 50; Knecht, Renaissance Warrior and Patron, p. 16, fig. 11; Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 4. 57 Fleurange, p. 46. 58 Journal de Louise de Savoye, p. 87.
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2. Italianitä oder Gallitäf
lung eines Horoskops dienen sollte. 59 Jules Michelet hat die so prägende Erziehung Frangois' durch zwei Frauen süffisant und zutreffend kommentiert: „Ce dangereux objet qui devait tromper tout le monde naquit, on peut le dire, entre deux femmes prosternees, sa mere, sa sceur, et telles elles resterent, dans cette extase de culte et de devotion." 6 0 Unterstützt wurde diese Frauenfront durch die beiden bevorzugten „Propagandaminister" Louise de Savoies: Der schon genannte Jean Thenaud und der spätere Grand Aumönier und Erzieher des prätendierten Dauphins, Francois Demoulins, 61 sind die Autoren einer Vielzahl Louise gewidmeter oder von ihr in Auftrag gegebener Handschriften, die sehr früh zur Zeichenvervielfältigung im Umfeld des jungen Francois beitragen, der zum Roi de France und Cesar gemacht werden soll. Marc Fumaroli hat zu Recht die eher traditionell-französische Ikonographie der öffentlichen Herrschaftsrepräsentation Frangois' in seinen ersten Regierungsjahren von der innovativen privaten abgehoben, die im Familienzirkel der „Trinite d'Angouleme" kultiviert wurde. 62 Uberdeterminierung der Zeichen sollte die Legitimität der nach 1515 königlichen Familie herbeizwingen. In diesem Sinne wurde der Herrschaftsantritt Francois' I er als radikaler Neubeginn stilisiert. Die königstreuen Quellen betonen unablässig, daß er nicht nur der erste König seines Namens - „Frangois, Premier de ce n o m " - sei, sondern unterstreichen auch die Symbolhaftigkeit des Datums seines Regierungsantritts am ersten Tag der Woche und des Jahres, der zudem der erste Herrscherwechsel im neuen Jahrhundert war: „Et, a vous bien dire, ledict sieur d'Angoulesme naquit par ung premier jour de l'an; son pere mourut par un autre premier jour de l'an; et apres eut le royaume de France par ung premier jour de l'an" 6 3 die falsche Angabe des Geburtsdatums (der tatsächliche Geburtstag Frangois' war der 12.9.1494) sollte wohl den Neubeginn noch stärker akzentuieren. Vom Moment seines Regierungsantritts an setzt sich Frangois demonstrativ von seinem kränklich-melancholischen Amtsvorgänger, dem „bon roi Louis", ab, und die Quellen kultivieren seine Jugendlichkeit, Vitalität und Eloquenz. Bis 1518 behält Francois aus Pietät Louis' Farben in seiner Kleidung bei, dann aber - gut inszeniert beim Bastillefest vor den englischen Botschaftern tritt er erstmals in den eigenen Farben (Braun, Weiß und Schwarz) auf. 64 Der Seitenast der
59 Zur Textgeschichte des Journal, zur Fehlerhaftigkeit der vorliegenden Edition und zur ursprünglichen Textgestalt vgl. Hauser, Le journal de Louise de Savoie. Er verweist zu Recht darauf, daß zwar die Anordnung der Einträge in der jetzigen Textfassung einer glatten Fälschung gleichkomme, dies der Authentizität der Äußerungen, die wohl auf eigenhändigen Tagesnotizen Louises beruhen, jedoch keinen Abbruch tue; vgl. auch Orth, Frar^ois Du Moulin and the Journal of Louise of Savoy, pp. 55-66. 60 Michelet, Histoire de France. Renaissance, p. 344. 61 Von Lecoq treffend als „le penseur patente des Angouleme" (Frangois Ier imaginaire, p. 421) und „veritable directeur spirituel" der Louise de Savoie bezeichnet (ibid., p. 316). Dagegen (in teilweise recht kleinlicher Kritik): Holban, Quelques remarques critiques sur Frangois de Moulins. - Zu Louise de Savoie als Auftraggeberin von Handschriften vgl. Orth, Louise de Savoie et le pouvoir du livre. Vgl. auch Freeman, Louise of Savoy: A Case of Maternal Opportunism. 62 Fumaroli, Einleitung zu Lecoq, Frangois Ier imaginaire, p. 7. 63 Fleurange, p. 45; vgl. auch Journal de Louise de Savoye, p. 89. 64 Vgl. die Beschreibung der bodenbedeckenden Stoffe und ihrer Farben bei Bernardino Rincio in seiner Silva, zit. n. Bamforth/Dupebe, The Silva of Bernardino Rincio, 1518, p. 302: „Pauimentum totius areae primo asseribus planis & politis constitutum pannisque obscuris, candidis & leoninis, paulisper obscuris, vndique super stratum fuerat (nam hoc versicolore Rex vtitur & gaudet): porten-
2.2. Die Renaissance der Angouleme:
Abb. 5
Ein inszenierter
Neubeginn
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Anonym, Arbor generationis, in: Entree de Fran$ois I er ä Lyon, 12 juillet 1515, Cod. 86.4 Extravagantium, Herzog-August-Bibliothek, Wolfenbüttel
Angouleme im arbor generationis des französischen Königshauses wird in einer Illustration zur schon erwähnten Entree vom 12. Juli 1515 in Lyon65 bedeutungsträchtig auf den Salamander gepfropft und so zum Hauptstamm gemacht, als dessen Krönung und Blüte Francois selbst erscheint (Abb.5). 66 Und der Uberraschungsschlag von Marignano, der auf wunderbare Weise die Scharte von Novara auswetzte, wurde von den Zeitgenossen als Geschichtszeichen gefeiert, zumal er am Tag des Heiligen Kreuzes stattfand. Eine regelrechte Soteriologie wird um den Thronfolger herum geschaffen - natürlich deutet Louise de Savoie die Tatsache, daß der Reitunfall Franqois' am 25.1.1501 trotz der
dit enim inuiolatam, solidamque animi sui sinceritatem, cum maxima aduersariorum rabie"; vgl. Lecoq, Une fete italienne, p. 154. Vorher trug Fran£ois die Farben gelb, weiß und rot; vgl. Scaillierez, Fran?ois I er par Clouet, p. 22; Bentley-Cranch, The Renaissance Portrait in England and France, p. 121. 65 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 86.4 Extravagantium, abgebildet bei Lecoq, Francois I er imaginaire, p. 197. 66 O b auch der Ritt über den 1510-1512 nach einem Entwurf von Fra Giocondo neugebauten Pont Notre-Dame, abweichend vom üblichen Zeremonialweg beim Einritt in Paris, als Autonomiedemonstration und Bekenntnis zum Geschmack der italienischen Renaissance zu werten ist und nicht nur aufgrund des ruinösen Zustandes des Pont au Change stattfand, ist fraglich; vgl. Lecoq, ibid., p. 176: „le roi voulut aussi manifester son goüt pour l'architecture moderne, et ajouter en meme temps ä son entree un Symbole supplementaire de renouveau." Vgl. auch Juren, Fra Giovanni Giocondo et le debut des etudes vitruviennes en France.
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2. Italianitä oder Gallitä?
großen Gefahr, in der ihr Sohn schwebte, nicht tödlich endete, als himmlisches Zeichen: „Toutefois Dieu, protecteur des femmes veufves, et deffenseur des orphelins, prevoyant les choses futures, ne me voulut abandonner [...]". 6 7 Bei den Entrees royales der Jahre 1515-1517 in die bonnes villes de Francebs - die ja als Eintrittsriten generell auf einen Neubeginn hinweisen und mit Arnold van Gennep als „rites de passage" 69 gedeutet werden können - wird der König häufig mit Christus gleichgesetzt, der in Jerusalem einreitet, ebenso wie die Entree-Zeremonie mit der Epiphanie Christi. In Rouen, bei der bekannten Entree vom 2. August 1517, beherrscht und strukturiert die Rückkehr des Goldenen Zeitalters als Hauptsymbol die gesamte Zeremonie. Vergils vierte Ekloge wird bemüht, um auf die unter Frangois I er zu erwartende aetas aurea hinzudeuten und gleichzeitig die Prophezeiung der Geburt Christi anklingen zu lassen.70
2.3. Gallitä und Caesarismus Ein in sich geschlossener, auf Analogieverhältnissen beruhender Zeichenkosmos hat den Vorteil, daß er - zumindest für diejenigen, die die Codes verstehen - immer perfekt funktioniert, da jedes Element stets auf alle anderen Elemente verweist. Das verwendete Motivarsenal am französischen Königshof in den Jahren 1515-1525 ist geprägt von einem deutlichen Rückgriff auf diejenigen französischen Nationalsymbole, die seit dem Hochmittelalter in Frankreich zur „naissance de la nation France" beigetragen haben.71 Bezugspunkt der verwendeten Motive ist neben der „Christomimesis" 72 des Herrschers das Selbstverständnis des französischen Königs als roy tres cbretien oder Rex Cbristianissimus, als allerchristlichsten Königs, eines Titels, der besonders in Konkurrenz zu Gattinaras Monarchia-universa/zs-Propaganda um Karl V.73 einen neuen ideologischen Schub erfährt und dem französi-
67 Journal de Louise de Savoye, p. 87. 68 Vgl. Strong, Feste der Renaissance; Guenee/Lehoux, Les entrees royales frangaises de 1328 ä 1515; Chartrou, Les entrees solennelles et triomphales ä la Renaissance; Shearman, The Florentine Entrata of Leo X ; Ciseri, L'Ingresso trionfale di Leone X ; Guigue, Entree de Frangois I er roy de France en la cite de Lyon le 12 juillet 1515; Schneider, Le theme du triomphe dans les entrees solennelles en France ä la Renaissance; Muzerelle, Les entrees des rois Valois; McAllister Johnson, Essai de critique interne des livres d'entrees frangais au X V I e siecle; Graham, The Triumphal Entry in Sixteenth-Century France; Chevalier, Les bonnes villes de France. 69 Immer noch maßgeblich, wenn auch etwas im theoretischen Anspruch überschätzt: van Gennep, Les rites de passage. Bourdieu schlägt überzeugend vor, den Begriff des Ubergangsritus, „der seinen unmittelbaren Erfolg sicherlich der Tatsache verdankt, daß er eine in einen Begriff mit wissenschaftlichem Anstrich verwandelte Vorstellung des gesunden Menschenverstandes ist", durch den Begriff des Einsetzungsritus zu ersetzen; vgl. Die männliche Herrschaft, S. 48 (mit Verweis auf seinen Text „Die Einsetzungsriten" von 1990); vgl. auch Muir, Ritual in Early Modern Europe. 70 Vgl. Richards, Rouen and the Golden Age: The Entry of Francis I. 71 Beaune, Naissance de la nation France; vgl. auch Krynen, L'empire du roi. Idees et croyances politiques en France X I I I e - X V e siecle; Schramm, Der König von Frankreich. 72 Vgl. Scheller, Ensigns of Authority, p. 99; Imperial Themes in Art and Literature, p. 15 und p. 67. 73 Vgl. Bosbach, Monarchia universalis; Yates, Astraea. The Imperial Theme in the Sixteenth Century; Zeller, Les rois de France candidate ä l'Empire; Frangois, L'Idee d'Empire en France ä l'epoque de Charles Quint.
2.3. Gallita und
Caesarismus
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sehen König eine Sonderstellung mit legitimiertem universalem Machtanspruch unter den europäischen Herrschern sichern soll. Nachdem 1519 der Wettstreit mit Karl V. um den Kaisertitel verloren ist, setzt der französische König auf Strategien der Exemtion vom Kaisertum und zieht sich damit aus dieser Konkurrenz in eine überlegene Position jenseits des direkten Kräftemessens zurück. In Thenauds bereits zitierten Troys resolutions klang diese Vorstellung ebenfalls an: Dem französischen König sind hier aus himmlischen Sphären Tugenden „en teile surhabondance" zugedacht, „que son tres illumine et divin esprit avoit les dons du monde spirituel et angelic collectifvement, qui avoient este auparavant distribuez es aultres catholiques et tres crestiens roys distinetement." Diese Sonderstellung prädestiniert ihn, zur „stabilite de l'eglise et sauvegarde du sainet siege romain qui est en mainetz lieux contempne et mesprise" beizutragen 74 - der französische König ist der rechte Arm des Papsttums. 75 „Tres chretien" ist er aber nicht nur, weil Frankreich nie von Häresien heimgesucht oder von einem Schisma gespalten wurde, sondern auch, weil bereits seine zumeist heiligen Vorfahren (Chlodwig, Karl der Große, Saint-Louis) sich durch legendäre oder tatsächliche Kreuzzüge im Kampf gegen den Unglauben um die Christenheit verdient gemacht haben. Auch das Konkordat von Bologna ließe sich in diesem Kontext als die diplomatisch geschickt eingefädelte Rehabilitierung Frankreichs als „nation tres chretienne" interpretieren, da die Sonderrolle der gallikanischen Nationalkirche zunehmend als schismatischer Zustand empfunden wurde. 76 Die Salbung in Reims mit dem Ol aus der „Sainte Ampoulle", die Gott höchstpersönlich Chlodwig überreicht haben soll, und die thaumaturgische Fähigkeit zur Skrofulösenheilung, die die französischen Könige seit Charles VIII mit Vorliebe in Italien unter Beweis stellten, 77 sind weitere Zeichen der göttlichen Auserwähltheit. Der Bezug auf den trojanischen Ursprungsmythos Frankreichs, der eine Rom gleichgeordnete und zugleich vom Reich unabhängige, autochthone Tradition gewährleistete; 78 die „nationalen" Reliquien des Heiligen Kreuzes und der Dornenkrone sowie das königliche Pantheon in St. Denis; 79 die
74 Thenaud zit. n. Lecoq, Frangois Ier imaginaire, p. 405. 75 Scheller, Imperial Themes in Art and Literature, p. 20 zitiert die folgende Passage aus dem bislang unpublizierten Mirouer historial abregee (Bodleian Library, Oxford, ms. 968, fol. 220 r°, um 1455): „L'empereur est appelle awocat de leglise, et le roy de france protecteur et braz dextre dicelle. Et a tresiuste cause doit estre ainsi dit, car il appert par les histoires anciennes et approuvees que lez roys de france ont oste et extirpe de leglise de dieu vingt trois schismes ce que aueuns empereurs roys princes ne nations nont fait." 76 Hierzu umfassend: Thomas, Le Concordat de 1516. 77 So die Skrofulösenheilungen durch Charles VIII in Rom am 20.1. und in Neapel am 19.4.1495 (vgl. Scheller, Imperial Themes in Art and Literature, p. 41), diejenigen von Louis XII in Pavia am 19.8.1502 und in Genua im September desselben Jahres (vgl. Scheller, Ensigns of Authority, p. 99) und das Wirken Fra^ois' Ier als „roi thaumaturge" am 31.10. und am 3.11.1515 in Vigevano (vgl. Tamalio, Federico Gonzaga alla corte di Francesco I di Francia, p. 97 und p. 101). - Zum Thema nach wie vor grundlegend: Bloch, Les rois thaumaturges. 78 Vgl. hierzu Krummacher, Die Münzbilder Franz' I., S. 42-46. 79 Vgl. den Brief Stazio Gadios vom 5.10.1516, in dem er von der öffentlichen Ausstellung der Dionysius-Reliquien in St. Denis während der Abwesenheit des Königs in Italien berichtet: „Ma l'atto che univa non solo la Corte, ma tutta la nazione francese in una unica comunitä spirituale era l'affidare la monarchia alla protezione di San Dionigi e dei suoi compagni, i cui reliquiari erano
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2. Italianitä oder Gallitä?
Berufung auf die rechtliche Autonomie durch die Lex Salica, die im 16. Jahrhundert eine erneute Kodifizierung erfährt; schließlich die wichtige Rolle, die der Hl. Michael und der nach ihm benannte O r d e n in der Betonung der höfischen Ritterlichkeit unter Francois I e r einnehmen: All dies sind nationale Symbole, die in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts eine deutliche Wiederbelebung erfahren und in Schriften wie Jean Lemaire des Beiges Illustrations
de Gaulle et singularitez
de Troye publik gemacht werden. Die Überlegungen
zur Gleichwertigkeit einer französischen Nationalsprache mit dem Toskanischen von Jean Lemaire de Beiges in seiner Concorde
des deux langages
von 1513 sind ein weiteres Indiz
für die zunehmende Nationalisierung des politischen Diskurses in Europa, die sicherlich mitbedingt ist durch die französischen und spanischen Feldzüge in Italien. 80 In diesem Sinne schreibt Martin du Beilay im Prolog zu seinen Memoires
de Messire Martin du Beilay
contenant
de France,
le discours de plusieurs
jusques au trespas du roy Franqois
choses advenues
au royaume
depuis l'an
1513,
Ier:
[...] si en France nous eussions eu un Tite-Live, il n'y eust, entre les histoires romaines, exemple ou vertueux fait auquel n'eussions un respondant; car, ne deplaise aux autres nations, desquelles je ne vueil en rien diminuer la reputation, je n'en Sache aucune en laquelle, ou plus souvent ou plus longtemps, se soit fortune monstree amye ou ennemye alternativement; et proprement semble qu'en ceste seule nation frangoyse, eile ayt voulu esprouver l'une et l'autre sienne puissance, pour ä toutes autres donner exemple et mirouer, tant de supporter en magnanimite et avecques force et constance les infortunes et aversitez, comme de soy gouverner en prosperite, avecques modestie et atemprance. Laquelle chose, comme ainsi eile soit ä mon avis a donne ä plusieurs ocasion de grande merveille, considerant que bien mil ans ou plus France a eu bruyt et reputation, avant que nul, au moins qui soit ä estimer, ayt mis la main ä l'oeuvre pour escrire tant de faits memorables qui en icelle sont avenuz.81 Jean Ferraults Insignia
pecularia
christianissimi
Francorum
regni
numero
viginti,
ge-
schrieben u m 1509, veröffentlicht 1520, 8 2 erfahren in diesem Klima eine fulminante Rezeption, wohl auch, weil mit dieser Festschreibung der Sonderstellung des französischen Königs gegenüber den anderen europäischen Potentaten (einschließlich dem Kaiser) die mißlungene Kaiserkandidatur Frangois' kompensiert wird. Charles Degrassailles baut noch 1538 auf Ferraults Vorgabe auf, als er seine Regalium tes Christianissimi
Galliae Regum
continentes
Franciae
libri duo, iura omnia
dignita-
verfaßt. 8 3 Gleichermaßen caesaropropagan-
distisch ist auch Symphorien Champiers Schrift De monarchia
ac triplici imperio,
videlicet
conservati a Saint-Denis. Durante ogni campagna militare del re essi venivano esposti permanentemente nel coro a protezione di tutto il popolo francese. Finita la campagna essi erano ricollocati nella cripta"; Tamalio, Federico Gonzaga alia corte di Francesco I di Francia, pp. 51s. 80 Nach der französischen Annektion der Provence 1481 konnten Petrarcas Schriften, die in Südfrankreich entstanden waren, dem französischen „patrimoine" zugeschlagen und damit ein entscheidender Sieg im Sprachenstreit gegen die italienische Vormacht errungen werden; vgl. Orth, The Magdalen Shrine of La Sainte-Baume in 1516, p. 208; vgl. auch Balsamo, Les rencontres des muses; Sozzi, La polemique anti-italienne en France; Müller, Der französische Frühhumanismus um 1400. 81 Martin du Beilay, Memoires, p. 104. 82 Vgl. Poujol, Jean Ferrault on the King's Privileges; id., 1515. Cadre ideologique du developpement de l'absolutisme en France ä l'avenement de F r a n c i s I er . 83 Hierzu Krummacher, Die Münzbilder Franz' I., S. 29; 40.
2.3. Gallitä und
Caesarismus
27
Romano, Gallico, Germane von 1537. Der imperiale Anspruch des französischen Königs wird während seiner gesamten Regierungszeit aufrechterhalten - nur die Formen, in denen sich dieser Machtanspruch ausdrückt, wandeln sich, wie in der Analyse der Galerie von Fontainebleau zu zeigen sein wird. Die Funktion einer „Trostschrift" schreibt Robert Scheller auch den Commentaires de la guerre gallique von Frangois Demoulins zu, wobei diese euphemistische Benennung deren propagandistischen Wert für die Selbstverteidigung des französischen Königtums im europäischen Machtkampf wohl unterschätzt.84 In den beiden nach der erfolglosen Kaiserkandidatur entstandenen Bänden häuft der Autor Argumente, um die Niederlage des französischen Königs in einen Sieg zu verwandeln. Bereits Fleurange hatte sie in seinen Memoires zu einer Ehrenkränkung, die einer Turnierniederlage gleichkomme, herabgemildert, als er schrieb: „et de lä envoyerent sgavoir ces nouvelles au Roy, lesquelles ne lui pleurent pas fort, non pas pour la valeur de l'Empire, mais pour la honte." 85 Von jetzt an betonen die französischen Quellen immer wieder, daß ihr König empereur en son royaume sei, daß Christus auch nur König und nicht Kaiser und daß der Titel des Imperators in der Antike nur ein militärischer Ehrentitel gewesen sei, der nichts über reale politische Machtbefugnisse aussage. Außerdem seien die meisten antiken Kaiser eines kläglichen Todes gestorben und hätten eigentlich nur unter der Last ihres Amtes gelitten.86 Und schließlich hätten die barbarischen Deutschen gar nicht verdient, von einem so vollkommenen Fürsten wie Francois regiert zu werden.87 Der De Bello Git//zco-Kommentar gibt diesem imperialen Anspruch bildlich einen sinnfälligen Ausdruck, indem er das Porträt des römischen Kaisers mit dem des Möchtegernkaisers „Franciscus Magnus" (oder Maximus oder Marignanus) direkt parallelisiert (Abb. 6). In den Quellen wird dann auch gerne der Titel des empereur für den französischen König durch den des dictateur ersetzt - vor dem Wahltermin am 28.6.1519 oft noch in der Doppelung „archiroy des Francoys, dictateur de monarches et prochain empereur"88 oder, wie bei Thenaud, „dictateur des roys et Γ Auguste des empereurs."89 Im Journal der Mutter wird der vergötterte Sohn einmal als „lieutenant general du roy Louis XII, ainsi comme maintenant en sa dignite royale il est dictateur perpetuel" 90 und ansonsten bezeichnenderweise als „Cesar" apostrophiert. Denn es war ja Julius Caesar gewesen, der durch die Aufhebung der Kollegialität in der Konsularverfassung das Diktatorenamt zur Grundlage einer monarchischen Staatsordnung gemacht hatte.
84 Scheller, Imperiales Königtum, v. a. S. 2 0 - 2 2 . Quentin-Bauchart, La bibliotheque de Fontainebleau, pp. 20s. Die drei Bände der Commentaires befinden sich heute in L o n d o n (vol. 1, British Museum, ms. Harlcy 6205), Paris (vol. 2, B . N . , ms. fr. 1 3 4 2 9 , datiert A u g u s t 1 5 1 9 ) und Chantilly (vol. 3, musee C o n d e , ms. 1 1 3 9 , datiert N o v e m b e r 1520); zu ms. Harley 6 2 0 5 vgl. O r t h , Frangois du M o u l i n and A l b e r t Pigghe, Les Commentaires de la guerre gallique; Mellen, Jean Clouet,
pp. 37^2. 85 Fleurange, p. 68. 86 Vgl. Scheller, Imperiales Königtum, S. 20. 87 Lecoq, F r a n c i s I er imaginaire, p. 454. 88 So Thenaud im zweiten Teil seiner Schrift Triumphes et recueil de Vertuz et Vertueux (1518/19), zit. n. Lecoq, ibid., p. 338. In diesem Text w i r d Frangois durchgehend als dictateur bezeichnet: vgl. Lecoq, ibid., pp. 2 8 2 - 3 0 1 . 89 Zit. n. Lecoq, ibid., p. 405. 90 J o u r n a l de Louise de Savoye, p. 88.
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Abb. 6
2. Italianitä oder Gallitä?
Jean Clouet, Porträts von Francois I er und Caesar, in: Commentaires de la guerre gallique, vol. 1, 1519, ms. Harley 6205, fol. 3, British Library, London
In den Commentaires de la guerre gallique, die als fiktives Zwiegespräch zwischen Caesar und Fran$ois I er in den Wäldern der französischen Krondomäne konzipiert sind, gelingt die Uberbrückung des Zeitraums zwischen der Antike und dem 16. Jahrhundert, die das vertrauliche Gespräch der beiden Helvetierbesieger ermöglicht, in gut humanistischer Manier problemlos: Caesar wird weniger als historische Person denn als zeitlose Tugendinkarnation rezipiert, ein Eindruck, der in den Miniaturen der Handschrift durch seine unauthentische, da völlig unantik-operettenhafte Ausstaffierung unterstützt wird (Tafel 1). Diese Beobachtung läßt sich verallgemeinern, da die Herrscherpanegyrik der Zeit - der literarischen Tradition der sogenannten „Rhetoriqueurs" und ihrem Hang zur anhäufenden Charakterisierung folgend - antike und mittelalterliche Tugendpersonifikationen ebenso wahllos mischt wie historische und mythologische Gestalten: „Aves trouve ung Cesar, ung Pompee, / Sage, hardy [...] / Digne de loz plus que Artus de Bretaigne, / Car tout ainsy comme Hector de Troyes / Chassoit les grecz en perilleux desroys, / Vous [les Suisses] a deffaictz en champaigne mortelle." 91 Dasselbe gilt für die heterogene Zusammensetzung der sogenannten „neuf preux" - Hektor, Alexander der Große, Cäsar, Josua, König David,
91 Anonyme Ballade des Suyces faicte au camp Saincte Brigide, nach der Schlacht von Marignano, zit. n. Lecoq, Fran$ois I er imaginaire, p. 255; zu den Rhetoriqueurs vgl. Walbe, Studien zur Entwicklung des allegorischen Porträts in Frankreich, S. 82-85; Zumthor, Le masque et la lumiere; Fumaroli, L'Age de l'eloquence; Loeffler, The Arts in the Court of Francis I, pp. 60-70.
2.3. Gallitä und
Caesarismus
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Abb. 7 Godefroy le Batave, Christus mit Bügelkrone und Kreuzzugsbanner, in: Commentaires de la guerre gallique, vol. 2,1519, ms. fr. 13429, fol. 20v, Bibliotheque Nationale, Paris
Judas Makkabäus, König Artus, Karl der Große und Gottfried von Bouillon denen der französische König gerne als zehnter Tugendheld beigesellt wird. 92 Diese zeitlosen Tugendattribute bleiben dem französischen König auch nach der Niederlage bei der Kaiserwahl erhalten. Die dignitas des französischen Königs stirbt eben nicht; 93 er bleibt stets der „roi tres chretien" und als solcher über die Autorität des Kaisers - der nur ein „roi catholique" ist - erhaben. Frangois ist nicht wie der Kaiser auf die Intervention des Papstes angewiesen, so die Botschaft einer anderen Miniatur aus den Commentaires.94 Denn der französische König hat eine direkte Verbindung zum Himmel, die kaiserliche Bügelkrone wird ihm, wenn überhaupt, zusammen mit dem Kreuzzugsbanner unmittelbar von Christus verliehen (Abb. 7). In diesem Sinne kommentiert Louise de Savoie in ihrem Journal die Kaiserwahl Karls V. in Frankfurt: „En juillet 1519, Charles V de ce nom, fils de Philippe, archiduc d'Autriche, fut, apres que l'Empire eut par Pespace de cinq mois este vacant, elu roi des Romains, en la ville de Francfort. Pleut ä Dieu que l'Empire eüt plus
92 Eine Vielzahl von Beispielen hierfür bereits im Umfeld von Louis X I I : vgl. Scheller, Imperiales Königtum, S. 11; Walbe, Studien zur Entwicklung des allegorischen Porträts in Frankreich, S. 17. 93 Vgl. Kantorowicz, The King's Two Bodies; Krynen, Le mort saisit le vif. 94 Abgebildet bei Scheller, Imperiales Königtum, S. 21; Lecoq, Frangois I e r imaginaire, p. 456, fig. 213; zur Interpretation: Lecoq, La symbolique de Γ etat, pp. 1235s.
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2. Italianitä oder Gallitä?
longtemps vacque, ou bien que pour jamais on l'eüt laisse entre les mains de Jesus-Christ, auquel il appartient, et non ä aultre!" 95 Worauf sich die absolute Gewißheit der Auserwähltheit bei Frar^ois gründet, erfährt man aus einem Brief vom Herbst 1521 an seine Mutter. Karl V. hatte im August dieses Jahres die nordöstliche Grenze Frankreichs angegriffen, die Zeit der grande paix war damit beendet, und auch der Papst wandte sich zunehmend der kaiserlichen Fraktion zu, die ihn nicht wie die französische als Heilsinstitution für überflüssig erklärt hatte. Doch noch einmal erringen die französischen Truppen einen militärischen Erfolg. Es gelingt ihnen, die kaiserliche Belagerung von Mezieres aufzubrechen. Die Begründung, die Francois I er für diesen Sieg anführt, ist denkbar einfach: „Je croy que nos anemys sont en grant pene, vu la honteuse retrete qu'yl ont fet [...]. Et s'yl on joüe la pasyon, nous jourons la vanganse. Vous suplyant, madame, vouloyr mander partout pour fere remercyer Dieu: car sans poynt de fote il a montre se coup qu'yl est bon Frangois." 96 Gott ist also Franzose und der französische König durch Gottes Gnaden sein oberster Hohepriester und Zeichensetzer auf Erden, dessen Selbstbewußtsein bereits zu diesem frühen Zeitpunkt so stark ausgeprägt ist, daß er meint, keiner irdischen Allianzen zu bedürfen, sondern sich ganz auf diese machtverheißende Direktlegitimation verlassen zu können.
2.4. Porträtpolitik nach 1526 1521 endet diese Erfolgssträhne endgültig mit der Vertreibung der Franzosen aus Italien. Der erneute Versuch der Rückeroberung im anschließenden ersten Krieg gegen Habsburg führt zu der desaströsen Niederlage von Pavia und der erniedrigenden Gefangenschaft des französischen Königs in Madrid. Nachdem Frangois Ier im Frühjahr 1526 nach Abschluß eines Vertrages, den er von vorneherein nie einzuhalten gedachte, nach Frankreich zurückgekehrt ist, tritt an die Stelle der bislang favorisierten Gallitä in der Herrschaftsinszenierung das italienische Modell. Jetzt wird Italianitä zum vorherrschenden kulturellen Paradigma am französischen Hof. Pavia markiert militärisch einen Point of no return, dem kulturpolitisch eine kategoriale Neuorientierung in der königlichen Imagebildung korrespondiert. Maniera moderna tritt an die Stelle der rückversichernden nationalen Traditionspflege. 97 Eine künstlerische Aufgabe jedoch bleibt nördlichen Künstlern vorbehalten: das Porträt, dessen Gestaltung der König parallel zur Berufung manieristischer Künstler aus Italien zu einer veritablen Bildnispolitik ausweitet.98 Franfois/Herkules, der noble champion, der den Mailänder Garten mit all seinen Früchten okkupiert hatte, war noch eine gesichtslose Allegorie innerhalb der enggesteckten Grenzen herkömmlicher ikonographischer Muster und buchmalerischer Stilgenealogien gewesen. Um trotz dem drohenden Prestigeverlust durch seine katastrophale Niederlage gegen den römisch-deutschen Kaiser
95 Journal de Louise de Savoye, p. 91. 96 Lettre de Franfois I er a Louise de Savoie, p. 594. 97 Zur zeitgleichen innerfranzösischen Kunstszene vgl. Leproux, La peinture a Paris sous le regne de Frangois I er (allerdings mit sehr schlechter Abbildungsqualität). 98 Vgl. allgemein zu den Porträts Franiois' I er : Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 2-25.
2.4. Porträtpolitik
31
nach 1526
weiterhin eine zentrale Rolle im europäischen Machtgefüge spielen zu können, mußte der französische König ein unverwechselbares Gesicht bekommen. 2.4.1. Der lächelnde König Das Porträt als primär auf realitätsgetreue Abbildung ausgerichtete Gattung ist kein geeignetes Experimentierfeld für stilistische Innovationen. Seine Funktion, den Dargestellten im Sinne einer Stellvertreterschaft zu repräsentieren und - im Falle des Herrscherporträts - zugleich dezidierte Aussagen über seine politische Programmatik zu machen, muß durch die Wiedererkennbarkeit des Porträtierten gewährleistet werden. Die fades des Königs ist einmalig und muß identisch bleiben, um die Kontinuität der auch bildlich legitimierten Machtausübung zu garantieren." Es erstaunt daher nicht, daß Frangois I er in seiner offiziellen Porträtpolitik nicht auf die frisch nach Frankreich berufenen italienischen Manieristen, sondern auf nördliche Künstler zurückgreift, die aufgrund ihrer stilistischen Prägung in der Lage waren, den erwünschten Realismus zu liefern, ohne dabei einem platten Naturalismus zu verfallen. Er entschied sich für Jean Clouet, der seine Fähigkeiten als königlicher Porträtist bereits in dem Porträttondo des Königs in den Commentaires de la guerre gallique unter Beweis gestellt hatte (vgl. Abb. 6).100 Clouet, der wohl aus Flandern oder Nordfrankreich (eventuell aus Valenciennes) stammte und sich um 1521 in Tours niederließ, gegen 1530 nach Paris übersiedelte und zunächst als „Valet de garde-robe", seit 1519 als „Valet de garde-robe extraordinaire", schließlich seit 1526 als einer der „peintres et gens de metier" des Königshofes entlohnt wird, ist eine wegen der schütteren Quellenlage historisch schwer greifbare Persönlichkeit.101 Die belegten biographischen Details sind spärlich und sollen hier nicht erneut diskutiert werden.102 Die miniaturhaften Porträts des Königs und seiner Mitstreiter in der Schlacht von Marignano, der sogenannten „Preux de Marignan", in den Commentaires, das Rollenporträt des
99 Vgl. Jollet, Jean et Frangois Clouet, p. 48: „l'image du roi, pour jouer son role de representant, doit etre toujours et partout la meme". 100 Allgemein hierzu: Chätelet/Thuillier, Französische Malerei, S. 1 1 8 - 1 3 6 ; Bachstitz, Studien zum Porträt des 16. Jahrhunderts, S. 4 4 - 5 1 ; Adhemar, Les Clouet & la cour des rois de France. 101 Vgl. zum derzeitigen Kenntnisstand: Scaillierez, Frangois I er par Clouet, pp. 17s.; Mellen, Jean Clouet, pp. 1 0 - 1 6 ; Jollet, Jean et Frangois Clouet, pp. 1 5 - 2 0 . 102 Die Wiederentdeckung des Werkes der beiden Clouets und seine wissenschaftliche Aufarbeitung, die auch die Unterscheidung des bis dahin nur kollektiv als ein Künstler geführten „Janet" Clouet in zwei Personen (Jean und Frangois) nach sich zog, setzte erst Mitte des 19. Jahrhunderts mit Labordes La Renaissance
des arts α la cour de France.
Etudes sur le XVI'
siecle ein. Weitere Pio-
niere der Clouet-Forschung waren Bouchot (Les Clouet et Corneille de Lyon), Dimier (French Painting in the Sixteenth Century; Le Portrait du X V I e siecle aux primitifs frangais; Histoire de la peinture de portrait en France; Dessins frangais du X V I e siecle), Moreau-Nelanton ( L e Portrait ä la cour des Valois; Chantilly. Crayons frangais du X V I e siecle; Les Clouet et leurs emules; Catherine de Medicis et les Clouets de Chantilly) und - für die Zeichnungsbestände aus dem Besitz des Due d'Aumale, heute in Chantilly - de Broglie (Les Clouet de Chantilly. Catalogue illustre). Ein ausführlicher Forschungsüberblick bei Mellen, Jean Clouet, pp. 3 - 9 ; speziell zum Louvre-Porträt bei Scaillierez, Frangois I er par Clouet, pp. 3 5 - 4 0 .
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2. Italianitä oder Gallitä?
jugendlichen Franfois I er als Johannes des Täufers von 1518 103 und die bekannte Zeichnung in Chantilly (Tafel 2) schaffen ein Modell für das königliche Konterfei, das sich als äußerst tragfähig erweisen sollte. Die Porträttondi in den Commentaires erlangen allein aufgrund ihrer freien Plazierung auf der Seite den Status autonomer Porträts.104 Allen Exemplaren dieser von Etienne Jollet zutreffend sogenannten „formule Clouet" ist gemein: die bildfüllende Konzentration auf die Büste des in Dreiviertelansicht Porträtierten; die Reduktion auf Gesicht und Oberkörper des Dargestellten vor zumeist monochromem Hintergrund; keine oder sehr wenige schmückende Attribute; ein entweder als Zeichen innerer Sammlung und intellektueller Konzentration träumerisch in die Ferne oder aber direkt auf den Betrachter gerichteter Blick; schließlich größtmögliche Mäßigung des Affektausdrucks, die dem Porträtierten einen Zug der Zeitlosigkeit verleiht. Bereits in den ersten Jahren seiner französischen Karriere scheint Jean Clouet als Spezialist am Hof tätig gewesen zu sein.105 Im Gegensatz zum typischen Hofkünstler der Renaissance, der in allen kunstnahen Sparten bewandert sein mußte, zeichnet und malt er von Anfang an ausschließlich Porträts und gewinnt so nach und nach das Monopol für die königliche Gesichtsgebung.106 Sein professionalisiertes Expertentum107 zeigt sich darin, daß er Handschriften, die von anderen Illuminatoren verziert worden sind, durch lebensechte Porträts ergänzt - so im Falle des Widmungsbildes von Macaults Diodor-Ubersetzung.108 In den Commentaires malt Godefroy le Batave zum Beispiel sämtliche „historischen Szenen"; offensichtlich war er kein Porträtmaler, da seine Darstellungen des Königs innerhalb dieser Szenen nicht die geringste Ähnlichkeit mit Francois I er haben und er den König daher stets mit Hilfe der königlichen Chiffre „F" für den Betrachter identifizieren muß. Vor 1525 findet man neben dem noch nicht kanonisch verfestigten Clouet-Typus auch noch andere - mehr oder weniger ähnliche, häufig allegorische - Porträts.109 Doch nach 1526 erkennt man in allen Darstellungen des Königs aus der offiziellen französischen Porträtproduktion - seien es autonome Einzeldarstellungen oder in Historien integrierte, wie beispielsweise die historisierende Darstellung der Schlacht von Marignano aus dem Jahr 1529 - die „formule Clouet" wieder, auch dann, wenn es sich nicht um eigenhändige Versionen handelt. Der Auftrag zu einem Porträt an Joos van Cleve um 1534, dessen Ergebnis zudem Raffinesse und Kultiviertheit vermissen läßt, hat von vorneherein keine rechte Chance zur Schaffung und Verbreitung eines konkurrierenden Modells.110 103 Vgl. Stein, Frangois I er en Saint Jean Baptiste; Spielmann, Frangois I e r en Saint Jean-Baptiste; Scaillierez, Francois I er par Clouet, pp. 93s. 104 Vgl. Scaillierez, ibid., p. 28; Mellen, Jean Clouet, p. 37. 105 Hierzu Loeffler, The Arts in the C o u r t of Francis I, pp. 3 1 1 - 3 3 2 ; 343; allerdings kann sich Loeffler nicht entscheiden, ob die „remarkable individuality of expression" oder doch mehr der „objective record of individual personalities" in den Clouet-Porträts vorherrschend sei (ibid., pp. 343 f.). Vgl. auch Scaillierez, U n portrait meconnu de Frangois I e r , p. 50. 106 Jollet, Jean et Frangois Clouet, p. 36. 107 Vgl. hierzu die weiter unten noch ausführlicher zitierte königliche Urkunde vom November 1541, in der es über Jean Clouet - dessen Expertenstatus betonend - heißt: „en son diet estat et art, auquel il estoit tres expert"; abgedr. bei Mellen, Jean Clouet, p. 89. 108 Scaillierez, U n portrait meconnu de Frangois I er . 109 Vgl. z . B . den sog. „Puy d'Amiens" von 1519, der Frangois im Profil zeigt; vgl. Lecoq, Frangois I e r imaginaire, pp. 3 2 6 - 3 2 9 (mit Abb.); ead., Le puy d'Amiens de 1518. 110 Hierzu: Hendy, Α Portrait of Francis I and its Variants.
2.4. Porträtpolitik
nach 1526
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Ein frühes Beispiel für den „außenpolitischen" Einsatz eines Clouet-Porträts unmittelbar nach der Befreiung des Königs aus der spanischen Gefangenschaft gehört in den Kontext des diplomatischen Bilderaustauschs zwischen England und Frankreich: Den am 18. August 1527 geschlossenen Traite d'Amiens zwischen Henry VIII und Fran9ois Ier, der den utopischen ewigen Frieden zwischen den beiden Mächten beschwor und eine antihabsburgische Allianz aufbauen sollte, schmückte ein Miniaturporträt des französischen Königs, das wohl Jean Clouet selbst zugeschrieben werden kann (Tafel 3).111 Dieses politische und künstlerische Dokument war ein wichtiger Meilenstein in der von der Forschung immer wieder betonten engen gegenseitigen Beeinflussung der englischen und französischen Porträtproduktion, wobei schwer zu entscheiden ist, welcher Teil der gebende und welcher der nehmende war, ob also Holbein von Clouet lernte oder umgekehrt. 112 Diesem französisch-englischen Kunst- und Kulturaustausch im Zusammenhang mit den Verhandlungen nach der königlichen Gefangenschaft war eine weitere (nicht erhaltene) Porträtsendung vorausgegangen: In der Hoffnung, eine Allianz mit England anzubahnen und die Freilassung seiner beiden Söhne voranzutreiben, die ihn im kaiserlichen Gefängnis in Madrid abgelöst hatten, scheint der französische König Miniaturporträts von sich selbst und den beiden Kindern nach England geschickt zu haben.113 In dem Bildnis Fran£ois' Ier des Traite d'Amiens zeigt sich nicht nur die Prägung von Clouets Porträtstil durch Jean Perreal, sondern darüber hinaus eine bislang übersehene, eindeutige Bezugnahme auf den englischen Adressaten: Clouet bezieht sich hier offensichtlich explizit auf ein Henry Sittow zugeschriebenes Porträt von Henry VII (Abb. 8), dem Vater Henrys VIII. Clouet konnte dieses Porträt am Hof Margaretes von Osterreich gesehen haben, in deren Besitz es sich seit 1505 befand.114 Die Haltung der linken Hände der beiden Porträtierten ist absolut identisch, ebenso die balustradenartige Rahmung. Die Tudor-Rose, die Henry VII in der Hand hält, ist im Traite d'Amiens in die ornamentale Rahmung gewandert. Sollte dieses Kunstzitat den Vertragspartner im Namen der väterlichen Tradition verpflichten oder eher die verwandtschaftsgleiche enge Bindung der beiden Herrscher betonen? Die nächste Etappe in der Ausbildung des königlichen Porträttypus bildet das berühmte Bildnis von Francois Ier im Louvre (Tafel 4), das allein durch sein außergewöhnliches Format in der Entwicklung der französischen Porträtmalerei rahmensprengend ist.115 Auf Vorbilder wie das anonyme Porträt des Jean le Bon und insbesondere Fouquets Bildnis von
1 1 1 Vgl. Orth, A French Illuminated Treaty of 1527. 1 1 2 Hierzu jüngst überblicksartig: Bentley-Cranch, The Renaissance Portrait in France and England; vgl. auch Lebel, British-French Artistic Relations in the XVI t h Century. 1 1 3 Vgl. Bentley-Cranch, ibid., pp. 1 1 1 - 1 1 5 ; Scaillierez, Fran$ois I" par Clouet, pp. 44—46; Orth, A French Illuminated Treaty of 1527, p. 126. Vgl. auch Jacqueton, La politique exterieure de Louise de Savoie. 1 1 4 Bentley-Cranch, ibid., pp. 76 f. zieht stattdessen als Vergleichsbild Jean Perreals Porträt von Louis XII in der Royal Collection heran. 1 1 5 Vgl. Beyer, Das Porträt in der Malerei, S. 132; Scaillierez, Francois I er par Clouet, p. 68; Zerner, L'art de la Renaissance en France, p. 184. Die Frage der Zuschreibung (Jean Clouet? Francois Clouet? oder ein Gemeinschaftswerk, bei dem der Vater das Gesicht und der Sohn den schon recht manieristisch anmutenden Rest gemalt hat, wie Sterling, U n portrait inconnu par Jean Clouet, pp. 8 8 - 9 0 vorgeschlagen hat) kann hier nicht im Detail diskutiert werden und ist f ü r unsere Fragestellung ohnehin nur v o n untergeordneter Bedeutung.
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2. Italianitä oder Gallitä?
Abb. 8
Henry Sittow (?), H e n r y VII of England, 1505, National Portrait Gallery, London
Charles VII wurde bereits wiederholt hingewiesen. 116 Jean-Jacques Leveque hat in seiner essayistischen Gesamtdarstellung der Schule von Fontainebleau zu Recht auf die Einzigartigkeit der hier verwendeten Ikonographie des „lächelnden Königs" hingewiesen und den auf den ersten Blick etwas gewagten, jedoch nicht unzutreffenden Vergleich mit Leonardos damals in Frankreich befindlicher „Mona Lisa" angestellt: 117 „Francois Ier est volontiers souriant. Et montre tel. Ce qui n'etait pas dans les coutumes, ni la tradition. Et ne sera jamais dans les usages. Le sourire, par sa nature, sa signification, n'entre pas dans les conventions du portrait royal. Surtout s'il doit servir a la propagande, signifier l'image type du souverain tel que la population doit le percevoir. II sera le seul souverain ä montrer un visage illumine par ce sourire malicieux qui est celui-la meme que l'on rencontre chez la Joconde."ns Nach 1526 etabliert Frangois Ier offensichtlich bewußt eine ganz persönliche
116 So zum Beispiel von Pope-Hennessy, The Portrait in the Renaissance, p. 187; Mellen, Jean Clouet, p. 50; Scaillierez, Francois I er par Clouet, p. 68; Jollet, Jean et Fran£ois Clouet, p. 29; BentleyCranch, The Renaissance Portrait in France and England, p. 118; Zerner, L'art de la Renaissance en France, p. 182; Thiebaut, Fouquet portraitiste, p. 37. - Zum Porträt selbst: Schaefer, Jean Fouquet, S. 153-155; Kat. Jean Fouquet, n° 4, pp. 101-110. 117 Vgl. Jestaz, Francois I er , Salait et les tableaux de Leonard. 118 Leveque, L'ecole de Fontainebleau, p. 79; vgl. auch Scaillierez, F r a n c i s I er par Clouet, p. 41. Jollet, Jean et Francois Clouet, p. 169 findet das Mona-Lisa-Lächeln in Clouets Porträt der Madame Canaples wieder.
2.4. Porträtpolitik nach 1526
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Ikonographie der Verschmitztheit und ironischen Überlegenheit, die sich dann in all seinen Porträts bis zu seinem Tod wiederfinden wird und die souveräne und in sich ruhende Selbstzufriedenheit signalisiert. 119 D e m Risiko, äußere Gefährdungen aufgrund eines allzu ausgeprägten Selbstvertrauens nicht mehr zu erkennen, erliegt der Porträtierte jedoch nicht, denn sein Lächeln weist auf seine hohe geistige Flexibilität, seine intellektuelle Wachheit und seine Befähigung zur Selbstironie hin. Selbst in Tizians Porträt des französischen Königs (Tafel 5), das kein Porträt α vif, sondern ein nach römischen Imperatoren-Münzkonterfeis stilisiertes Idealporträt 1 2 0 ist und in einem gänzlich anderen kunstpolitischen Kontext steht, ist bei aller sonstigen Unvergleichbarkeit das amüsiert-mokante Lächeln erhalten geblieben. D a ß die Vorlage für das höchst repräsentative Louvre-Porträt offenkundig die erwähnte, heute in Chantilly befindliche und aufgrund von datierten Kopien auf vor 1525 zu datierende Vorzeichnung des Königs ist (vgl. Tafel 2), die ihn vor seiner Niederlage und der Gefangenschaft zeigt, verweist auf die Intention, Kontinuität einer legitimen Herrschaft einerseits, andererseits Unverletzlichkeit der königlichen Würde, die selbst die ehrabschneidende Gefangenschaft unbeschadet überstanden hat, monumental ins Bild zu setzen. 1 2 1 Die Majestät des Porträts rührt bezeichnenderweise weniger von den sehr dezent verwendeten Herrschaftsattributen her. Vielmehr hat sich Clouet eine deutliche Zurückhaltung in der Anbringung von Zeichen der weltlichen Macht auferlegt, die der hypertrophen Selbstdarstellung des Königs in seinen ersten Regierungsjahren eher zuwiderläuft. Erst auf den zweiten Blick entdeckt der Betrachter versteckte Herrschaftszeichen und Embleme auf diesem ganz vom monumentalen Corpus, vor allem aber vom herrscherlichen Gesicht und von dessen dominierendem Blick beherrschten Porträt: Der in prächtiger Gewandung Dargestellte, der die Kette des Michaelsordens auf der Brust trägt, blickt leicht amüsiert-überheblich auf den Betrachter hinunter. Dezent erweist er seiner geliebten Mutter, Louise de Savoie, seine Ehrerbietung, denn sein Wams ist mit dem Savoyer Knoten verziert. Die königlichen Farben Rot, Goldgelb, Weiß und Schwarz dominieren die Farbgebung. 1 2 2 D e r Kopf des Königs wird durch den Schatten auf der Wand hinter ihm verdoppelt. Zwischen Kopf und Schatten erscheint - scheinbar bescheiden ornamentalisiert - die königliche Krone mit fleur-de-lys in der Wandbespannung. Ihr zeichenhafter Machtanspruch wird dadurch über das Understatement hinausgehoben, daß sie gleich zweimal, links und rechts 119 Vgl. Jollet, ibid., p. 121; zum Blick vgl. auch id., L'oeil du prince. Le regard dans les portraits royaux par Jean et Frangois Clouet. 120 Wahrscheinlich geht Tizians Profilporträt auf Benvenuto Cellinis Schaumünze mit dem Porträt des Königs von 1537/38 zurück (vgl. Abb. 25); vgl. Scaillierez, Frangois I er et ses artistes, pp. 50s.; Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 2 4 8 - 2 5 1 . 121 Vgl. Bentley-Cranch, The Renaissance Portrait in France and England, p. 118. 122 Entgegen den Überlegungen von Cecile Scaillierez, die behauptet, das Gold könne das Gelb der königlichen Farben nicht substituieren, sehe ich hierin eine kontinuitätsstiftende Verknüpfung der Jugendfarben Rot, Gelb und Weiß mit den späteren königlichen Farben Braun, Schwarz und Weiß. Scaillierez betont zwar die auffälligen Schwarz-Weiß-Kontraste des Bildes, kommt aber zu keiner überzeugenden farbikonologischen Deutung; vgl. F r a n c i s I er par Clouet, pp. 5 6 - 6 7 , insbesondere p. 58. Vgl. auch Bentley-Cranch, The Renaissance Portrait in France and England, pp. 121 f., die die abstruse These vertritt, Schwarz und Weiß seien Reminiszenzen an die Farbgebung des Bauschmucks in Genua, so daß das Porträt den Anspruch auf die Rückgewinnung dieser Stadt verbildliche.
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2. Italianitä oder Gallitä?
im Hintergrund des Bildes, zu sehen ist. Die Subtilität der Ausführung, die Dezenz der Zeichensetzung und die daraus resultierende Sublimierung des königlichen Auftritts fordern den Betrachter zu genauem Hinsehen auf. 123 Die Grazilität der königlichen Hände charakterisiert einen Herrscher, der keinen körperlichen (und das heißt: keinen militärischen) Anstrengungen ausgesetzt ist. Sein Machtpotential liegt neuerdings im Kopf. Nur für den unsensiblen Betrachter, der die feinen Zeichen der Überlegenheit in dem nicht ungefährlich lächelnden herrscherlichen Blick übersieht, hat Clouet auch noch die Andeutung des Schwertes und den miniaturisierten Drachentöter Michael an der Ordenskette ins Bild gesetzt. Der „Grand Francois I er " im Louvre ist ein Manifest der gewandelten Herrschaftsauffassung des französischen Königs nach 1526, dem die Umbildung des offiziellen Herrscherbildes korrespondiert. Hiermit ist ein weiteres Indiz für die Datierung des Bildes erbracht, das sicherlich erst in der zweiten Hälfte der 1520er Jahre entstanden ist: Nicht mehr der kämpferische roi-chevalier ist die Identifikationsperson, sondern der intellektuelle Herrscher, der seinen überlegenen Blick auf den von geistigen Kapazitäten, Reflexions- und scharfsinniger Differenzierungsfähigkeit dominierten Betrachter richtet. „Familiarite fran9aise" kann dieser hier nicht mehr erkennen - er wird jetzt deutlich mit dem Mittel der Ironie auf Distanz gehalten. 124 Spätestens mit diesem Bildnis setzt die gezielte Porträtpolitik des französischen Königs ein, die einerseits - wie im Falle Englands gezeigt - außenpolitische Relevanz besaß, andererseits auf die „innenpolitische" Corporate Identity der Hofgesellschaft zielte: Etienne Jollet hat die These vertreten, daß der König den französischen Adel durch eine weniger seinen königlichen Sonderstatus betonende, sondern eher adligen Standards angepaßte Darstellungsweise als gentilhomme mit Barett an die Krone zu binden suchte. 125 Der Blick, der politische Überlegenheit und Sinn für sprezzatura zugleich verheißt und den Betrachter auf charmante Weise beherrscht, findet sich - ins Imperiale gesteigert, wenn auch im Format reduziert - in den beiden kleinen Reiterporträts im Louvre und in den Uffizien (Tafel 6), die wohl in den letzten Lebensjahren des Königs entstanden sind. Auch ihre Zuschreibung ist umstritten: Cecile Scaillierez plädiert dafür, daß es sich bei der Louvre-Version um ein Alterswerk des 1541 verstorbenen Vaters Clouet, bei der UffizienVersion um ein Jugendwerk des Sohnes Frangois handele. 126 Das Gesicht des Königs wurde hier seinem fortgeschrittenen Alter angepaßt: Wie im Falle des Louvre-Bildes gibt es auch für diesen zweiten Typus, der in der Folge ebenfalls stereotyp reproduziert wird, eine (allerdings nur als Kopie überlieferte) Vorzeichnung, die gemeinhin nach 1535 datiert wird (Abb. 9). In gleicher Haltung wie Marc Aurel auf dem Kapitol, so thront Frangois I er hier
123 Vgl. Jollet, Jean et Francois Clouet, p. 10. - Hätte Henri Zerner sich nicht vorzeitig von dieser Präzision des analytischen Blicks zugunsten einer plakativen Thesenbildung dispensiert, hätte er in den Porträts der Clouets gewiß keine „invention de la banalite" gesehen; L'art de la Renaissance en France, p. 184. 124 Vgl. Jollet, ibid., pp. 169; 182; Bentley-Cranch, The Renaissance Portrait in France and England, p. 119. 125 Vgl. Jollet, ibid., pp. 74; 1 0 7 - 1 1 2 . Die sozialen Aufweichungen, die Jollet in dieser Strategie erkennen möchte, sehe ich allerdings nicht - der König bleibt stets der über alle anderen Mitglieder des Hofes erhobene Souverän. 126 Scaillierez, Francois I er par Clouet, pp. 106s. Vgl. auch Mellen, Jean Clouet, pp. 43; 50.
2.4. Porträtpolitik
Abb. 9
nach
1526
37
Nach Jean Clouet (?), Frangois I er , nach 1535, Musee Conde, Chantilly
mit herrischem Gestus auf seinem Pferd. Hinter ihm ist das zu sehen, was man sich in Frankreich zu diesem Zeitpunkt unter klassisch-antiker Architektur vorstellte. Die Version in den Uffizien ist zudem mit einer leonardesken Landschaft angereichert. Die königliche Prunkrüstung ist mit antiken Trophäen verziert, der Savoyer Knoten findet sich hier sogar in der Pferdedecke wieder. Der Blick des Königs läßt erneut nichts an Souveränität vermissen. Die Abstraktion der offensichtlich gänzlich ritualisierten Handlung von jedem historischen Kontext, die daraus resultierende Enttemporalisierung mit ewigem Geltungsanspruch, die Artifizialität der Haltung und die stringente geometrische Konstruktion des Bildraumes machen diese Porträts zu reinen Repräsentationsbildern. Der souveräne Reiter bringt sein Pferd ohne ersichtliche Anstrengung in die höchst artifizielle Dressurpose der „Piaffe", 1 2 7 er beherrscht das Tier, ohne Zwang ausüben zu müssen, da er nicht einmal die Zügel straffer anzieht oder erkennbar die Sporen benutzt. Auf einen Nebenaspekt der despektierlichen Herabminderung des römisch-deutschen Kaisertums durch subtile Zeichensetzung im Bild hat Cecile Scaillierez hingewiesen: Die architektonische Staffage rechts im Louvre-Bild ist ruinös, das Pferd tritt fast auf ein herabgefallenes Bruchstück, aber der König würdigt diese Dokumente vergangener römisch-imperialer Pracht keines Blickes, er läßt sie achtlos hinter sich. In der Uffizien-Version ist die Machtdemonstration durch die
127 Hierzu 0degard/Sinding-Larsen, Royal Piaffe: The Two Clouet Portraits of Francis I on Horseback.
2. Italianitä oder Gallitä?
38
Attribute des Schwertes und des Kommandostabs deutlicher in Szene gesetzt - den szenischen Aspekt unterstreicht der bühnenhaft hohe Horizont, vor den das bildfüllende Reiterporträt gestellt ist. 128 Doch der Machtanspruch wird bildintern gebrochen durch den Blick des Pferdes, der Augenkontakt zum Betrachter herstellt und nicht minder intelligent wirkt als der seines Reiters. Daß diese „Clouet-Formel" die königlichen Bedürfnisse auf dem Felde der Herrschaftsrepräsentation in idealer Weise befriedigte, belegt ein häufig zitiertes Dokument vom November 1541, in dem der König Francois Clouet nach dem Tod seines Vaters Jean als Erben von dessen Besitz einsetzt, da er als nicht naturalisierter Ausländer nicht automatisch dem französischen Erbrecht unterlag. Vor allem aber bestätigt er F r a ^ o i s im Amt des offiziellen königlichen Porträtmalers und verleiht seiner Hoffnung Ausdruck, der Sohn möge nahtlos, ja möglichst ununterscheidbar die Dienste des Vaters fortführen. Geeignet scheint er als gleichwertiger Nachfolger im Amt des königlichen Imageverwalters aufgrund seiner Ausbildung in der väterlichen Werkstatt und seiner Begabung als Stilimitator: Savoir faisons [ . . . ] ä tous presens et ä venir Que nous, vollants recongnoistre, envers nostre eher et bien ame painetre et varlet de chambre ordinaire, Francois Clouet, les bons et agreables services que feu M e Jehannet Clouet, son pere, aussi en son vivant nostre painetre et varlet de chambre, nous a durant son vivant faicts en son diet estat et art, auquel il estoit tres expert et en quoy son diet fils l'a ja tres bien imyte, et esperons qu'il fera et continuera encores de bien en mieulx cy-apres. 1 2 9
Die Bildnisverbreitung erfolgte im Falle der Clouet-Porträts vor allem im Medium der Zeichnung. Der Multiplikation des königlichen Gesichts dienten heute noch erhaltene Alben mit Nachzeichnungen, die neben der Darstellung des Königs auch die der Mitglieder seines engsten höfischen Umfelds reproduzierten und zu begehrten Sammelobjekten wurden.130 Die Clouet-Zeichnungen, die ursprünglich reine Vorstudien für die später auszuführenden Gemälde waren, erhielten so zunehmend den Rang autonomer Kunstwerke. Massenwirksam war diese Art der Bildnisstreuung natürlich nicht, vielmehr handelte es sich um ein elitäres Vervielfältigungsverfahren im gleichen Medium wie dem des „Originals". Der Schritt zur druckgraphischen Reproduktion wird bewußt nicht vollzogen. Zudem scheinen diese Vervielfältigungen von der Clouet-Werkstatt selbst überwacht worden zu sein, so daß nur durch den Künstler autorisierte Kopien überhaupt verbreitet werden konnten. 131 Der französische König blieb so Herr über seine Abbilder und ihre Verbreitung, die er elitistisch auf den engeren Kreis seiner Hofgesellschaft und auf den gehobenen diplomatischen Verkehr beschränkte. Bildnisverknappung führte auch in diesem Fall zu Wertsteigerung, und das Porträt-Raten nach Zeichnungen war ein beliebtes Gesellschaftsspiel der Zeit. 132 Wer in der Lage war, die Dargestellten wiederzuerkennen, wies sich damit als integrierter und legitimer Teil des Hofes aus.133 128 Scaillierez, Frangois I er par Clouet, p. 104. 129 Abgedr. bei Mellen, Jean Clouet, p. 89. 130 Das bekannteste dieser Alben ist der Recueil M o n t m o r in der Bibliotheque Mejanes in Aix-enProvence; vgl. Scailliercz, Frangois I e r par Clouet, p. 42; Mellen, Jean Clouet, p. 20; Zerner, L'art de la Renaissance en France, pp. 185s. 131 Vgl. Bentley-Craneh, The Renaissance Portrait in France and England, pp. 101; 126. 132 Jollet, Jean et Frangois Clouet, p. 47; Mellen, Jean Clouet, p. 20; Zerner, L'art de la Renaissance en France, p. 185. 133 Vgl. Zerner, ibid., p. 186; Jollet, ibid., p. 97.
2.4. Porträtpolitik nach 1526
39
Bekanntermaßen ist die Voraussetzung für die zunehmende Präsenz des Herrscherkonterfeis in der Öffentlichkeit und kehrseitig dazu für eine Einflußnahme des Publikums auf die Bildgestaltung die (nach frühneuzeitlichen Maßstäben) massenmediale Verbreitung des Herrscherporträts durch das neue Reproduktions- und Produktionsmedium der D r u c k graphik. Martin Warnke hat vor allem anhand deutscher Beispiele aus dem 16. Jahrhundert zeigen können, wie aus dem allein von herrscherlichen Macht- und Idealvorstellungen geprägten Autoritätsporträt ein Bildnistypus entstand, der besonders in der Darstellung der individuellen Physiognomie des Herrschers neue Wege beschritt. Die dem reinen Individualporträt immer häufiger hinzugefügten Beischriften, Personifikationen und Allegorien stellten nach Warnke nicht angeborene Fähigkeiten des Herrschers dar, sondern visualisierten Wunschvorstellungen der Untertanen im Hinblick auf die von ihm zu übenden Tugenden, zeigten somit eine „fiktive Welt der Sollwerte" 1 3 4 . Dies gelte auch für das allegorische Porträt im eigentlichen Wortsinn, in dem der Herrscher mittels Mutation zu Herkules oder Jupiter göttliche Rollenspiele vollführe. Es handele sich hierbei um die herrschaftslegitimatorisch notwendige Beteuerung, dem kategorischen Imperativ normativer Herrscherpflichten gehorchen zu wollen. Warnkes These trifft sicherlich auf die Herrschaft Karls V. in seinem höchst heterogenen und damit wenig gefestigten Machtbereich zu. Sein eher germano- und italozentrischer Blickwinkel verdeckt jedoch, daß zur gleichen Zeit in Frankreich ganz andere Strategien herrscherlicher Bildnispropaganda wirksam waren. D e r französische König setzte - soweit die Uberlieferung solcher verfallsanfälliger Druckerzeugnisse diesen Schluß zuläßt - kaum auf die weitgefächerte Veröffentlichung seines Bildnisses durch die Druckgraphik: Eines der raren Beispiele eines kolorierten Holzschnitts von Francois I er befindet sich in Grenoble im Musee de l'ancienne archeveche (aus den Beständen der Bibliotheque municipale) (Abb. 10). 135 D o c h wird hier kein spezifisch neuer Bildnistypus geschaffen, der „Einfühlungsanreize" 136 für die Untertanen geboten hätte, sondern einmal mehr der Clouet-Typus reproduziert - auch die von den Clouets standardisierten typischen Mandelaugen des Königs finden sich hier wieder. Sonstige gedruckte Porträts des französischen Königs sind zumeist ausländische Produkte wie die Porträtholzschnitte der drei konkurrierenden europäischen Potentaten von Hans Lieferinck (nach Cornells Anthonisz). 1 3 7 Denn Francois I e r betrieb seine Selbstdarstellung nicht für „das Volk", sondern ausschließlich für eine höfische Kulturelite und für die höchsten Repräsentanten europäischer Politik. 1 3 8 Auch die „image metallique" 1 3 9 als Mittel einer weiten Verbreitung des königlichen Abbilds spielte in Frankreich bezeichnenderweise keine herausgehobene Rolle. 1 4 0 Die bekannten Beispiele 134 Warnke, Der Anteil der Öffentlichkeit am neuzeitlichen Herrscherbild, v.a. S. 8; 13. 135 Hierzu Girault, Frangois I er et la diffusion du portrait royal ä la Renaissance, pp. 18s., der den Holzschnitt vor 1530 datiert und auf die deutliche Abhängigkeit vom Louvre-Bild hinweist. 136 Warnke, Der Anteil der Öffentlichkeit am neuzeitlichen Herrscherbild, S. 4. 137 Vgl. Kat. Kaiser Karl V., S. 1 5 0 - 1 5 3 . 138 Vgl. auch Warnke, Das Bild als Bestätigung, S. 503, der die Verbreitung von Herrscherporträts im Medium der Druckgraphik dahingehend deutet, daß die Fürsten „in Konkurrenz mit den Heiligenbildern ihr Bild gerne in die Gemüts- und Empfindungswelt ihrer Untertanen eingehen lassen wollten." 139 Erben, R o m und Paris, S. 120. 140 McAllister Johnson, Numismatic Propaganda in Renaissance France, behandelt bezeichnenderweise erst die Regierungszeit von Henri II.
40
2. Italianita oder Gallitä?
Abb. 10
Anonym, Fran9ois I er , um 1530, Bibliotheque Municipale, Grenoble
von Medaillen mit dem Porträt F r a ^ o i s ' I er stammen entweder aus der Frühphase, die medienstrategisch noch stark von Louise de Savoie bestimmt war, oder aber sie w u r d e n von Italienern angefertigt. Spätestens nach 1526 ist das Herrschaftskonzept des französischen Königs elitär ausgerichtet 1 4 1 - eine breitenwirksamere Streuung der königlichen fades setzt dann erst unter Henri II ein. 142 Der Porträttypus der Clouets scheint machtlegitimatorisch am Ende der Regierungszeit von Fran§ois I er derart verfestigt gewesen zu sein, daß sein Sohn Henri II in seiner berühmten Pariser Entree v o m 16. Juni 1549 bewußt an diese Tradition in der Darstellung seines Vaters anknüpft. Nicht nur die nackte Herkulesstatue auf dem temporären Triumphbogen an der Porte Saint-Denis trug die facies Framjois' ä la Clouet. 1 4 3 A u c h der Porträtstich des Königs selbst als eines römischen Kaisers (nach Jean Goujon) in der Relation zu dieser En-
141 Vgl. Zerner, L'art de la Renaissance en France, p. 188. 142 Hierzu Zerner, Le portrait de Henri II; Grivel, La representation du pouvoir: les portraits graves du roi Henri II. 143 Vgl. The Entry of Henri II into Paris, p. 3: „Ces quatre faisoyent contenance de marcher franchement, & ä grans pas, les mains tendues deuers vn Hercules de Gaule estant de front au milieu deux, dont le visage se rapportoit singulierement bien ä celuy du feu Roy Frangois, Prince d e ment en iustice, restaurateur des bons arts & sciences, mesmes plus eloquent que autre qui ait regne en France deuant luy." Vgl. auch Giesey, Modeies de pouvoir dans les rites royaux en France, pp. 588-591; Huon, Le theme du prince, p. 25; Saulnier, L'entree de Henri II ä Paris; zum Hercules gallicus vgl. auch Kapitel 6.2.3. dieser Arbeit.
2.4. Porträtpolitik nach 1526
Abb. 11
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Reiterporträt von Henri II als Imperator, aus: Livret zur Entree von Henri II in Paris 1549
tree144 geht einerseits (wie die beiden Reiterporträts Francois' I er ) auf den gemeinsamen Prototyp des Marc Aurel zurück, nimmt andererseits aber auch bewußt auf das Clouet-Porträt von Fran9ois I er zu Pferde Bezug, wie bis in die Ornamentik des Pferde-Uberwurfes hinein zu erkennen ist (Abb. 11). Diese spezifische Form der piete filiale, die sich hier in der Übernahme eines Rollenporträts äußert, diente Henri II als Beweis für die Legitimität seiner Herrschaft - ein Beweis, den er insbesondere bei der Entree in die Hauptstadt, die stets ein konfliktreiches Verhältnis zum französischen Monarchen gehabt hatte, antreten mußte. 145 Die forcierte Verähnlichung zwischen Vater und Sohn durch den Rückgriff auf den ClouetTypus besonders in den ersten Regierungsjahren von Henri II und die Weiterbeschäftigung von Fran$ois Clouet als Hofporträtisten sollte politische durch künstlerische Kontinuität gewährleisten und damit Legitimität herbeizwingen. In den späteren Regierungsjahren, als die Herrschaftsrepräsentation des neuen Königs andere Wege beschreitet, wird das Porträt vom Typus des lächelnden Königs hin zum ernsthaften, fast melancholischen Herrscher gewendet, der seine Regierungsaufgabe ernst nimmt und sich weniger dem höfischen Spiel hingibt als sein Vater - der nächste französische König nach Franfois I er , der wieder lächeln darf, wird erst „le bon roi" Henri IV sein.
144 Vgl. hierzu Wilson-Chevalier, Fontainebleau et l'estampe en France, pp. 89-91. 145 Vgl. Hoffmann, Donec totum impleat orbem. Symbolisme imperial au temps de Henri II.
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2. Italianitä oder Gallitäf 2.4.2. Der König als Monster: Das Kompositbildnis Fran$ois' I e r
Am Hof von Fran§ois I er sind, wie gezeigt, durchgängig Frankoflamen für die Porträtproduktion zuständig. Eine Ausnahme im Fach des autonomen Porträts stellt das berühmte und vieldiskutierte Kompositbildnis146 des französischen Königs dar (Tafel 7): Es stammt von italienisch-manieristischer Hand und entstand wohl im Auftrag des Königs. „A monstrous hybrid" hat Erwin Panofsky dieses wohl bemerkenswerteste Porträt von Frangois I er genannt,147 das ganz und gar nicht der oben beschriebenen offiziellen Porträtpolitik am französischen Hof entspricht, höchstwahrscheinlich aber auch nicht für eine breitenwirksame Diffusion gedacht war. Obwohl dokumentarische Belege fehlen und auch die Funktion des Porträts umstritten ist - handelte es sich bei dem auf Holz montierten Pergamentblatt um ein autonomes Einzelblatt, oder wurde es aus einem nicht mehr rekonstruierbaren Kontext gerissen?148 - , wurde es lange dem am Hof von Fontainebleau tätigen Italiener Niccolö Belin da Modena zugeschrieben und um 1535/45 datiert.149 Heute nimmt man eher Abstand von einer präzisen Zuschreibung.150 Der - wohl zu Unrecht Ronsard beigelegte Text in der Kartusche unter der Figur erläutert die künstlerische Vorgehensweise des Porträtisten, vielleicht in der Annahme, daß der Betrachter mit der Komplexität dieses Konterfeis überfordert sein könnte:151 FRancoys en guerre est un Mars furieux En paix Minerve & diane a la chasse A bien parier Mercure copieux Α bien aymer vray Amour plein de grace Ο france heureuse honore done la face De ton grand Roy qui surpasse Nature Car l'honorant tu sers en mesme place Minerve, Mars, Diane, Amour, Mercure. 152 146 Der Begriff „Kompositporträt" erstmals bei Wind, In Defence of Composite Portraits; vgl. auch id., Heidnische Mysterien in der Renaissance, S. 245 f. 147 Panofsky, Pandora's Box, p. 59; das Blatt befindet sich in der Bibliotheque Nationale, Paris, Cabinet des Estampes, Reserve. Vgl. auch Bardon, Sur un portrait de F r a n c i s I er , p. 3: „II y a quelque chose de deconcertant et presque de monstrueux dans la conception de cette figure virile, en jupe de femme, oü le bras nu de Venus s'oppose au bras de Mars et oü le dehanchement est tellement accuse." 148 Bardon, Sur un portrait de Frangois I e r , p. 7 plädiert dafür, es als Teil einer Festdekoration oder eines ephemeren Triumphbogens zu interpretieren. Chätelet-Lange (Benvenuto Cellini und „der gute König Franz", S. 491, Anm. 6) verweist auf eine vor 1532 entstandene allegorische Bronzestatuette mit den Porträtzügen des Königs, die sich in Schloß Bury befunden habe. Nach Chätelet-Lange soll sie das Vorbild für Belins Bild gewesen sein. Vgl. auch Inventaire des objets d'art composant la succession de Florimond Robertet. 149 Barbara Hochstetler-Meyer bestreitet diese Zuschreibung und versucht, nigs, Marguerite de Navarre, als potentielle Auftraggeberin des Blattes zu rite de Navarre and the Androgynous Portrait of F r a n c i s I er , pp. 288; Crepin-Leblond schreibt das Blatt dem Maitre des Heures de Henri II royaux, pp. 30s.); vgl. Sauvion, Les portraits allegoriques.
die Schwester des Köidentifizieren: Margue291 et passim. Thierry zu (in: Livres d'heures
150 Vgl. Warnke, Das Kompositbildnis, S. 146; Beguin, Henri VIII et Franijois I e r , une rivalite artistique et diplomatique, pp. 67-70; Sagner-Düchting/Beguin, Artikel „Belin, Nicolas", S. 387. 151 Vgl. Köstler, Das Portrait: Individuum und Image, S. 10. 152 Vgl. Waddington, Bisexual Portrait of Francis I; Cox-Rearick, Chefs-d'ceuvre de la Renaissance, pp. 16-18; Bardon, Le portrait mythologique ä la cour de France.
2.4. Porträtpolitik
nach
1526
43
In antikisierend geschürztem Gewand steht die Figur grazil da, siegessicher das Schwert emporgestreckt, über der Brust das Gorgonenhaupt der Minerva, den rechten A r m zur Schlacht gepanzert wie der Kriegsgott Mars, in der nackten Linken den C a d u c o u s des G ö t terboten Merkur (von dem auch die Flügel an den Füßen stammen), Dianas Jagdhorn auf der rechten Hüfte hängend und auf den Liebespfeile aussendenden Bogen A m o r s gestützt. Den auffälligerweise fehlenden Vorsitzenden der Götterversammlung, Jupiter, scheint hier Frangois' eigenes Gesicht zu vertreten, das den zusammengestückelten Götterkörper krönt und das allein die Allegorie zum wiedererkennbaren Porträt macht. „[HJonore done la face / De ton grand R o y " , lautete der Aufruf an die französische Nation, die, indem sie das Antlitz ihres Königs würdigt, zugleich den olympischen Göttern ihre Ehrerbietung darbringen sollte. U n d bezeichnenderweise greift der Porträtist in dem so merkwürdig aufgesetzt wirkenden Gesicht 1 5 3 erneut auf den feststehenden und zweifelsfrei wiedererkennbaren Gesichtstypus zurück, den dann auch die erwähnten Clouet-Porträts der 1540er Jahre zeigen werden. 1 5 4 Dieses „monströse Hybridporträt" wird den Zeitgenossen allerdings nicht ganz so absurd erschienen sein wie dem heutigen Betrachter. 1 5 5 Sie kannten diese F o r m „anhäufender Charakterisierung" nicht nur aus der Emblematik und den Festaufbauten von H e r r scherentrees, sie war ihnen auch aus dem literarischen Herrscherlob der schon erwähnten Rhitoriqueurs
geläufig, deren Panegyrik so viele antike und mittelalterliche Tugendpersoni-
fikationen wie möglich anhäufte, um den Herrscher in höchstem Glanz erstrahlen zu lassen. U n d der Begriff des Monströsen 1 5 6 hat im 16. Jahrhundert immer auch den positiven Bei153 Diese stilistische Ungeschicklichkeit hat Beguin veranlaßt, für dieses Porträt die Hypothese zweier unterschiedlicher Hände zu entwickeln: Beguin, Henri VIII et F r a n c i s I er , une rivalite artistique et diplomatique, p. 69. Mir scheint sie eher einer künstlerischen Tradition der bedeutungsanreichernden Uberblendung anzugehören, wie man sie bereits in Raffaels „Krönung Karls d. Gr." in den Stanzen finden kann, wo der Gekrönte ebenfalls die Porträtzüge des französischen Königs trägt. Auch in der Regierungszeit von Henri II findet man dieses Verfahren erneut in der genannten Entrie in Paris 1549: Der gallische Herkules, der den temporären Triumphbogen an der Porte Saint-Denis bekrönt, trägt die Züge von Francois I er ; vgl. Huon, Le theme du prince, p. 25; Saulnier, L'entree de Henri II ä Paris; Lecoq, Quelques remarques sur les artistes de ^„entree de Henri I I " dans Paris. Vgl. auch Bryant, Politics, Ceremonies, and Embodiments of Majesty, der die Verwendung allegorischer Porträts unter Francois I er von der Herrschaftsrepräsentation seines Sohnes Henri II abhebt. Den Vorgang, den verstorbenen Vater als nackten Hercules gallicus auftreten zu lassen, wertet Bryant als „interpretative transformation in the idea of monarchy: at judging the worth of kings by their tangible accomplishments and merits - a heroic ideal - more than by their modeling of accumulated virtues [...]" (ibid., p. 131). 154 Vgl. Hochstetler-Meyer, Marguerite de Navarre and the Androgynous Portrait of Frangois I er , p. 293. 155 Warnke, Visualisierung der Macht im 16. Jahrhundert, S. 68 verwendet den Terminus des „Summationsbildnisses", weil dieses Porträt des französischen Königs „die Summe aller dieser historisierenden Ansprüche, die an ihn herangetragen werden," darstelle. Warnke deutet die bildliche Transformation eines Herrschers in ein anderes, zumeist mythologisches Wesen als Prozeß der Versachlichung durch Verallgemeinerung. 156 Man denke hier beispielsweise an Michelangelos Diktum vom „ben inventado e monstruoso"; vgl. Moffitt, An Exemplary Humanist Hybrid, pp. 316 f.; dort auch der Begriff des capriccio (p. 314), das in seiner phantasievollen Kompilation pittoresk-grotesker Elemente oftmals ähnlich „monströse" Figuren hervorbringt.
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2. Italianitä oder Gallita ?
geschmack eines Wesens, das die Natur in der Kombination möglichst ausgefallener Elemente kunstreich überbietet - so, wenn der französische Hofpoet, Clement Marot, die Schwester des Königs, Marguerite de Navarre, als „monstre" bezeichnet, und als Begründung dafür anführt, sie habe einen weiblichen Körper, die Beherztheit eines Mannes und das Aussehen eines Engels. 157 In Jean Thenauds bereits mehrfach zitierten Trois resolutions vollbringt der antike Götterparnaß einen wahrhaft olympischen Zeugungsakt, dessen Frucht der tugendhafteste aller Herrscher ist, indem jeder Gott die ihm zugeschriebenen Tugenden ins Reagenzglas wirft - ein Verfahren, das sicherlich Vorbild für das Porträt Frangois' I er als Minerva-Mars-Diana-Amor-Merkur war: 1 5 8 Je vy [...] le dictateur des roys et l'Auguste des empereurs [...]. Je vy en oultre comment le gracieux Jupiter, le coruscant Phebus et la tres belle Venus se conjoingnoient moult souvent ä son phebee, jovial et plus que delicieux corps, auquel Mercure avoit appouse toute son eloquence, Mars sa force, hardiesse et vaillance, Dyane sa div[in]e figure, pourtraicture et plus que regalle elegance. Pour ce, Saturne vint finablement luy apporter son septre, son dyademe et trosne pour revoquer les regnes, aussy les siecles d'or, et les faire reluyre en son pare et jardin [...]. 159 Bereits in einer Flugschrift vom Juni 1519, mit der Francois Ier im Reich Wahlwerbung für seine Kaiserkandidatur gemacht hatte, bediente er sich ebendieses Arguments, um sich als den geeigneteren, da vielseitigeren Kandidaten anzupreisen: Auß wöllicher gutikait und glicksäligen schicklichaiten vermaint jr, das sich begeben und zugetragen hab, das in dem vergangen hörbst sein schedlichister feind, der Künig von Engellandt, jme zugesellet und auß dem allerhessigisten der allersussist fründ worden ist, des gemüts jm mit seinen reich aigner kinder und wolfart ewigklich anzuhangen. Dise stuck mögen zum tayl in sondern erkant und gefunden, aber in disem Künig allain werden die alle samentlich gemerckt, wer ist dann, der zweyfelt, das diser Künig vor allen andern der geschickt ist, sey die regierung der ksl. wirdigkait anzunemen. [...] Aber ains kann ich nit umbgeen, euch anzuzaigen, so Kg. Franciscus mit got und ewer hilff die ksl. wirdigkait erlangt, dz er von seiner eitern fürtreffenlichen guttaten und tugenden nit absteen oder denselben nit allain nachvolgen, sonder, so vil jm got genad verleicht, die übertreffen und meren, und wirdet sich auch ernstlich befleyssen, dz des Ks. Augustj glücksäligkait, Titj menschlichait, Nerue gütigkait, Trayanj erberkait und gerechtigkait, Constantinj gaystlichait, Theodosij miltigkait und des grossen Karolj unaussprechenlich tatten, geschichten, miltsam- und großmächtigkaiten an jme auch nit manglen noch gebrechen sollen.160 Arcimboldos um 1591 entstandenes Porträt Rudolfs II. als Vertumnus sollte dann dieses Prinzip - und damit implizit die Naturüberbietung - auf die Spitze treiben, indem es den König aus Naturprodukten neu zusammensetzte. 161 Doch bereits an dem beschriebenen Kompositporträt läßt sich dieser spezifisch moderne Umgang mit Herrschaftszeichen ab157 In dem Gedicht „De Madame la Duchesse d'Alen^on", zit. n. Walbe, Studien zur Entwicklung des allegorischen Porträts, S. 85: „[...] je suis serf d'un monstre fort estrange: / Monstre je dy, car, pour tout vray, eile a / Corps feminin, cueur d'homme et teste d'ange." 158 Vgl. Walbe, ibid., S. 82-91; Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 16s. 159 Zit. n. Lecoq, Francois Ier imaginaire, p. 405. 160 Die Flugschrift „Werbung der // potschaften der durch// chleichtigisten Künig // künig Karolus von Hispanien // und Künig Franciscus von // Franckreich ann die Cur// fürsten zu Franckfurt // jm Monat Junij //Jm XVIIIJ etc. // beschechen"; Kohler, Quellen zur Geschichte Karls V., S. 50 f. 161 Hierzu und zum Mischgottheitenporträt vgl. Arasse/Tönnesmann, Der europäische Manierismus, S. 427f. - Zum Capriccio als Medium autonomer künstlerischer Phantasieentfaltung: Kanz, Die Kunst des Capriccio.
2.4. Porträtpolitik nach 1526
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lesen, wie er generell am Hof von Francois I er festzustellen ist: Die Götter werden ihrer Autonomie und damit ihrer Macht beraubt, indem der Künstler sie fragmentiert und - ganz nach dem Bedarf des zu Repräsentierenden - attributiv neu zu einem herrscherlichen „Übergott" zusammensetzt, der damit bildlich und augenfällig über eine unanfechtbare Herrschaftslegitimation verfügt.162 Die genuin künstlerische Syntheseleistung in der Darstellung der multiplen Herrscherpersönlichkeit ist zwar nicht allzu hoch zu veranschlagen der Maler geht mehr additiv beziehungsweise rhetorisch mit den einzelnen Attributen um, was jedoch die Botschaft dieses selbstbewußten Porträts leichter entschlüsseln läßt. Doch die Funktion und der Einsatz dieser Addition ist entscheidend für das Herrschaftsverständnis des Dargestellten: Handelt es sich doch hier um einen autonomen Akt der Selbstdarstellung als eines situativ Wandelbaren und beliebig über alle seine Herrschaftsmittel Verfügenden und nicht, wie Warnke meint, um die Aufopferung der Individualität zugunsten von Funktionen und Normen, die dem Herrscher von außen auf gezwungen werden.163 Für dieses hochartifizielle Porträt, das ganz eindeutig für eine verschwindend kleine und elitäre Öffentlichkeit, die diesen Namen kaum verdient, geschaffen und - soweit wir wissen - nie im breitenwirksamen Medium der Druckgraphik verbreitet wurde, existiert diese Art von zensierender, Tugenden einfordernder und damit korrigierend in die künstlerische Gestaltung eingreifender Öffentlichkeit schlichtweg nicht. Es hat daher genau die gegenteilige Funktion: Es soll den virtuosen, arbiträren Umgang des Königs mit dem ihm zur Verfügung stehenden Repräsentationsmaterial augenfällig demonstrieren. „Imagebildung"164 und „Imagepflege"165 im wahrsten Wortsinn wird in diesem Kompositporträt auf den unterschiedlichsten Ebenen betrieben. Eine nicht zu unterschätzende Komponente ist die erotische Dimension des Bildes. Es ist trotz allen bislang angeführten Beispielen für Tugendanhäufungen äußerst erstaunlich, daß der französische König offenbar nichts dagegen einzuwenden hatte, als männlich-weibliches Zwitterwesen mit vorgewölbtem Schwellbauch dargestellt zu werden, ja, daß er diese Art von Darstellung offenbar sogar besonders zu goutieren wußte.166 Androgynität wurde augenscheinlich auch als Zeichen von Universalität und Vollständigkeit im Sinne der allumfassenden Vollkommenheit aufgefaßt.167 Zugleich alludiert sie alchimistische Theorien der fusio, die den göttlichen 162 Es handelt sich eben nicht, wie Köstler (Das Portrait: Individuum und Image, S. 10) meint, um eine Verkleidung, sondern um eine Neuschöpfung und Verkörperung der einzelnen Götter. 163 Warnke, Das Kompositbildnis, S. 149: „Daß Herrscher sich in dieser Weise bis in die Nähe des Monströsen hin exponieren, deutet darauf hin, daß es nötig war, die persönliche Autonomie, die subjektive Allmacht gegenüber objektiven Normen und Werten zurückzustellen und die eigene Physiognomie als Projektionsfeld für Wünsche und Phantasien der betrachtenden Untertanen zur Verfügung zu stellen." 164 Vgl. Köstler, Das Portrait: Individuum und Image, v.a. S. 13 f.; Warnke, Visualisierung der Macht im 16. Jahrhundert, S. 72. 165 Hierzu Warnke, Das Bild als Bestätigung, S. 505. 166 Zur Androgynität als Dualität in der Einheit vgl. Bensimon, Modes of Perception of Reality, pp. 244f. Vgl. auch Waddington, The Bisexual Portrait of Francis I; Rothstein, Mutations of the Androgyne; Villemur, Eros et androgyne: la femme comme un autre „soi-mesme" ? 167 Vgl. Hochstetler-Meyer, Marguerite de Navarre and the Androgynous Portrait of F r a n c i s I er , pp. 306 f. Der französische Hofpoet Antoine Heroet vergleicht in seinem Gedicht „L'Androgyne de Piaton", das er Francois I er 1536 widmet und das 1542 gedruckt wird, die Androgynen, die Piaton in der Passage über den Ursprung der Liebe im Symposion beschreibt, mit Monstern: „Ce
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2. Italianitä oder GaHita?
Schöpfungsakt nachvollzieht oder gar substituiert und damit zur genuinen Künstlermetapher wird. Offensichtlich galt es am französischen Hof als hohe Tugend, wenn der Herrscher in der Lage war, geistreiche Witze selbst dann zu schätzen, wenn sie auf seine Kosten gemacht wurden. Voraussetzung hierfür war wohl die Einsicht, daß es politisch klüger war, mögliche Kritik dadurch zu verharmlosen, daß man ihr den Freiraum des Gelächters gewährte - ganz im Sinne des Karnevalsprinzips der disziplinierten Hemmungslosigkeit auf Zeit. Diese Form des „Mock-praise", 168 des durch Spott gebrochenen und zugleich subtilisierten Herrscherlobs, die das analysierte Hybridportät und beispielsweise auch das nicht weniger raffiniert-unverschämte Porträt Andrea Dorias als Neptun von Bronzino kennzeichnet, 169 ist typisch für das andeutungsreiche Spiel mit Bedeutungen in der manieristischen Kunst, speziell am französischen Hof.
2.4.3. D e r Kaiser u n d die Ironie: Parmigianinos „Allegorie Karls V." Karl V. lag Ironie eher fern - sicherlich mit ein Grund, weshalb er der machtpolitisch erfolgreichste unter den konkurrierenden europäischen Herrschern war. Auch vom römisch-deutschen Kaiser existiert ein allegorisches Porträt, das allerdings in der kaiserlichen Selbstdarstellung keine Rolle gespielt hat, die ganz von den heroisch-realistischen Tizian-Porträts beherrscht werden sollte. Während des Aufenthaltes Karls anläßlich seiner Kaiserkrönung in Bologna zwischen dem 5. November 1529 und dem 22. März 1530 fertigte Parmigianino, so berichtet Vasari, ein großes allegorisches Porträt des Kaisers an (Tafel 8).170 Das Bild, dessen Eigenhändigkeit aufgrund seiner merkwürdig oberflächlichen Faktur und seiner stilistischen Abweichungen in einigen Bildkomponenten vom sonstigen zeitgleichen (Euvre Parmigianinos 171 lange Zeit umstritten war,172 ist ein absolut vorbildloses und origimonstre doncq, tel que Tay figure, / Se tenoit fort de sa force asseure. / L'oultrecuyde de soy s'accompaignoit, / N y seulement les hommes desdaignoit, / Mais contempnoit la celeste puissance, / Dont le ciel print courroux et cognoissance"; CEuvres poetiques, pp. 86s. Diese Hybris der Androgynen, die sich für die perfekten Wesen halten und laut Heroet eher Kunstfiguren als natürliche Wesen sind („De quattre bras, quatre pieds et deux testes / Estoyent formes ces raisonnables bestes: / La reste exault myeulx, pensee que dicte, / Et se verroit plus tost paincte qu'escripte"; ibid., p. 85), wird von Jupiter bestraft, indem er die Doppelwesen spaltet. - Vgl. hierzu auch Castiglione, Cortegiano, üb. III, cap. XIV, p. 273: „E perche un sesso solo dimostra imperfezione, attribuiscono gli antichi teologi l'uno e l'altro a Dio: onde Orfeo disse che love era maschio e femina [...]"; vgl. Wilson-Chevalier, Les deboires de Diane, p. 421. 168 Vgl. Waddington, The Bisexual Portrait of Francis I, p. 125. 169 Hierzu Brock, Entre ressemblance et allegorie; Le portrait d'Andrea Doria en Neptune; id., Bronzino, pp. 178-181. Zur Ironie in den Porträts Bronzinos: Pauline Martin, La transparente opacite du masque ironique. 170 Hierzu vor allem Fornari Schianchi, in: Kat. Parmigianino und der europäische Manierismus, S. 260; Ferino-Pagden, in: Kat. Kaiser Karl V., S. 161; Vaccaro, Parmigianino. I dipinti, p. 213. 171 Dem wäre entgegenzuhalten, daß beispielsweise die Gesichtszüge der „Fama" große Ähnlichkeit mit denen der Madonna der Heiligen Familie in Neapel aufweisen (vgl. Bologna, II „Carlo V" del Parmigianino, p. 10) und der Herkulesknabe an den linken der beiden balgenden Putti unterhalb des bogenschnitzenden Amors in Wien erinnert. 172 Die Frage der Eigenhändigkeit des Bildes (ehemals in der Galerie Cook in Richmond, zuletzt im N e w Yorker Kunsthandel, Rosenberg & Stiebel) ist vielfach und kontrovers diskutiert worden,
2.4. Porträtpolitik
nach 1526
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nelles Herrscherbildnis, eines der ersten Herrscherporträts mit ganzfigurigen Allegorien.173 Der Verschlüsselungsgrad dieser Allegorien allerdings ist denkbar gering, so daß man nicht notwendig eine Beraterfunktion Aretinos für diese basale Ikonographie annehmen muß.174 Die Allegorie zielt wohl vor allem auf die militärischen Erfolge des Kaisers, die in der Figur der „Fama/Viktoria" versinnbildlicht werden, und auf seine weltumspannenden territorialen Ansprüche, auf die seine herrische Hand auf dem Orbis terrarum verweist - auf diesem wiederum wird passend zur Kaiserkrönung in Italien geographisch besonders Karls Herrschaft über Europa und das Mittelmeer hervorgehoben.175 Der Umgang mit dem allegorischen Material ist im Vergleich zum Kompositbildnis Francois' I er ein gänzlich anderer: Rein attributiv stellt Parmigianino hier allegorische Figuren und Zeichen neben das Dreiviertelporträt des Kaisers (die von Vasari sogenannte „Fama", die auch eine Viktoria sein könnte 176 ; den Herkulesknaben, der zusammen mit den beiden Säulen auf der Schwertscheide des Kaisers auf sein Plus-Ultra-Emblem mit den Säulen des Herkules verweist; den Oliven- und den Palmzweig; den Kommandostab; die Rüstung), während der französische König als integrative Herrscherpersönlichkeit dargestellt war, die über die einzelnen Herrschaftszeichen souverän verfügt, sie sich im wahrsten Wortsinn „einverleibt" 177 . Während das Kompositbildnis des französischen Königs durch das Porträtgesicht überhaupt erst individualisiert wurde, ist das Gesicht Karls V. merkwürdig unindividuell und im Vergleich mit sonstigen bekannten Porträts des Kaisers ihm wenig ähnlich gegeben. Vasari findet in seiner Beschreibung des Porträts die schöne Formulierung, Parmigianinos Bild stelle „l'imagine" des Kaisers dar „senza ritrarlo". 178 Und er scheint in seinem Bericht der Bildgenese diesen Makel der mangelnden Porträtähnlichkeit durch die Bemerkung entschuldigen zu wollen, daß Parmigianino Karl in Bologna nur einmal während eines Essens zu Gesicht bekommen habe:
interessiert in dem hier entwickelten Argumentationszusammenhang aber weniger. Bologna, II „Carlo V " del Parmigianino versuchte 1956 den Nachweis zu führen, daß es sich um das authentische und von Vasari beschriebene Parmigianino-Bild handle. Die Forschung bringt es häufig mit der ursprünglich für Aretino gemalten „Madonna della Rosa" in Verbindung, die dann in den Besitz von Clemens VII. überging. Vaccaro, Parmigianino. I dipinti, p. 213 und Di Giampaolo, Parmigianino. Catalogo completo, p. 142 (wo das Bild unter den „Opere discusse" aufgeführt ist) referieren die bislang vertretenen Zu- und Abschreibungen. Vgl. auch Ekserdjian, Parmigianino,
pp. 142 f.
173 Vgl. Nell'etä di Correggio e dei Carracci. Pittura in Emilia dei secoli X V I e X V I I , p. 174. D o r t findet sich auch der Hinweis, daß diese A r t der Darstellung ihren Ursprung in höfischen Festdekorationen und im Motivarsenal der Herrscherentrees hat. 174 So Ferino-Pagden, in: Kat. Kaiser Karl V., S. 161. 175 Eisler, The Impact of the Emperor Charles V upon the Italian Visual Culture, p. 100. - Vgl. FerinoPagden, ibid., die wiederum auf Checa Cremades, Carlos V y la imagen del heroe en el Renacimiento, p. 39 verweist. Ähnliche Deutungen bei Freedberg, Parmigianino, p. 112; Rossi, L'Opera completa del Parmigianino, p. 98; Nell'etä di Correggio e dei Carracci. Pittura in Emilia dei secoli X V I e X V I I , p. 174. 176 O d e r eine „Gloria", wie Di Giampaolo, Parmigianino. Catalogo completo, p. 142 meint. 177 Vgl. Warnke, Das Kompositbildnis, S. 145; 147; hierzu auch: Erben, Paris und Rom, S. 15; Brassat, Das Historienbild im Zeitalter der Eloquenz, S. 2 7 2 - 2 8 1 . 178 Vasari (Barocchi), vol. 4, p. 542.
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2. Italianitä oder Gallita? Quando l'imperadore Carlo Quinto fu a Bologna perche l'incoronasse Clemente Settimo, Francesco, andando talora a vederlo mangiare, fece senza ritrarlo l'imagine di esso Cesare a olio in un quadro grandissimo, 179 et in quello dipinse la Fama che lo coronava di lauro et un fanciullo in forma d'un Ercole piccolino che gli porgeva il mondo quasi dandogliene il dominio. 1 8 0
Der Kaiser ist hier in der Tat weniger porträtiert als zur emblematischen Figur abstrahiert, 181 zur Autoritätsperson erstarrt. In Parmigianinos Vorzeichnung, die Sydney Freedberg 1950 erstmals mit dem Bild in Verbindung gebracht hat,182 ist dieser Aspekt der Darstellung einer abstrakten kaiserlichen maiestasm und auctoritas noch wesentlich deutlicher zu erkennen, da der Herrscher hier tatsächlich ohne jegliche Porträtähnlichkeit als antiker, togagewandeter Caesar dargestellt ist, dem vier Putti den Globus (der auf den Reichsapfel anspielt) und Palmwedel überreichen. 184 Diesem Prozeß der Verallgemeinerung korrespondiert die extreme formale Abstraktion des Bildes, die den Eindruck der Zeitenthobenheit und Stillstellung jeglicher Aktion noch verstärkt. 185 Was Vasari allerdings nicht erwähnt, ist der fast parodistisch anmutende Zug in der Geste des Herkulesknaben, der die Bürde des für ihn untragbaren Erdkreises nur allzu gerne an den physisch auch nicht wesentlich stabiler wirkenden Kaiser abtritt und dem Betrachter einen Blick zuwirft, mit dem er sich der Legitimität dieser Translation des dominio zu versichern scheint. Weitere Elemente, die eine mögliche ironische Lesart des Bildes zulassen und sicherlich nicht unbedingt dem Selbstverständnis des Kaisers entsprachen, der sich 1530 auf dem Höhepunkt seiner Macht befand, sind die lächerlich klein wirkenden Ruhmeszweige (Ölzweig und Palmwedel), die die „Fama" über den Erdkreis und dessen universalmonarchischen Befrieder hält. Karl selbst wirkt fast gliederpuppenhaft, nur von seiner Rüstung in Fagon gehalten, sein Gestus über dem Globus als Zeichen der Weltherrschaft ist allzu demonstrativ, die starre Sitzposition als Friedensgarant 186 allzu steif. Die Ruhmespalme über seinem Haupt macht ihn - in christlich-ikonographischer Tradition - zugleich zum Märtyrer: Die Ambivalenz dieser Herrscherdarstellung, die Macht als zu tragende Last ins Bild setzt und „Fama" gleichermaßen als „Glorie und Martyrium der absoluten Macht" 187 verbildlicht, entsprach nicht dem affirmativen Herrschaftsverständnis Karls V.
179 Das Bild ( 1 7 2 x 1 1 7 , 4 ) ist nicht so riesig, wie Vasari schreibt; der Eindruck v o n Größe entsteht vielmehr, wie Bologna, Ii „Carlo V" del Parmigianino, p. 6 überzeugend darlegt, durch die merkwürdig uneinheitliche Strukturierung des Bildraums. 180 Vasari (Barocchi), vol. 4, p. 542. 181 Vgl. Chiusa, Parmigianino, p. 95. Warnkes oben entfaltete These w ü r d e somit wesentlich besser auf dieses Porträt passen als auf die Allegorie des französischen Königs. 182 Freedberg, Parmigianino, p. 208. 183 Vgl. Freedberg, ibid., p. 113; vgl. auch Chiusa, Parmigianino, p. 95, die schreibt, das Bild „cifra in filigrana dellapotestas e Ae\Y auctoritas tributabili al nuovo Cesare". 184 Popham, Catalogue of the Drawings of Parmigianino, n° 318r, vol. 1, p. 124 (vol. 2, pi. 233); Parmigianino. The Drawings, fig. 59; vgl. auch Vaccaro, Parmigianino. I dipinti, p. 213; Eisler, The Impact of the Emperor Charles V upon the Italian Visual Culture, p. 100; Gnann, Parmigianino. Die Zeichnungen, Bd. 1, S. 2 4 0 - 2 4 5 ; Katnr. 270, ibid., S. 466. 185 Vgl. Chiusa, Parmigianino, p. 95. 186 Vgl. Chiusa, ibid. 1 8 7 Fornari Schianchi, in: Kat. Parmigianino und der europäische Manierismus, S. 260.
2.4. Porträtpolitik
nach 1526
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All diese ambivalenten und die Grenze zur Parodie streifenden Bildelemente 188 - und sicher weniger die Tatsache, daß der Künstler in seinem übertriebenen Perfektionismus und von einem falschen Freund schlecht beraten das Bild, das ihm nicht hinlänglich vollendet erschien, noch einmal zurückgezogen habe, obwohl es dem Kaiser ausnehmend gut gefiel, wie Vasari seine Leser Glauben machen möchte 189 - , dürften dazu beigetragen haben, daß Parmigianinos Porträt weder bezahlt wurde, noch seinen eigentlichen Adressaten je erreichte. Auch der ursprünglich geplante kaiserliche Auftrag einer Kapellenausmalung in S. Petronio an Parmigianino kam bezeichnenderweise nicht zustande. 190 Dies war nicht der Künstler, den sich der Kaiser f ü r seine Herrschaftsrepräsentation wünschte, 191 wobei die parodistische Wirkung des Porträts eher auf den Personalstil Parmigianinos als auf eine inhaltlich ironisierende oder herrschaftskritische Absicht zurückzuführen ist. 192 D o c h Karls Selbstverständnis sah im Gegensatz zu seinem Kontrahenten Francois I er keine ironischen Brechungen als Souveränitätsbeweise vor. Wie sich diese augenfälligen Differenzen im Herrschaftsverständnis bei einem tatsächlichen Zusammentreffen der beiden Potentaten auswirken sollten, wird in einem späteren Kapitel noch genauer zu untersuchen sein. 193 Daß das Bild dem Papst, der sich ja gerade in der Machtprobe mit dem Kaiser hatte fügen müssen, außerordentlich gefiel, glaubt man Vasari hingegen aufs Wort.
188 Sollte es sich bei dem Bild tatsächlich um eine Kopie handeln, wäre denkbar, daß diese den bereits in Parmigianinos Original angelegten ambivalenten Bildelementen im Akt des Kopierens einen noch deutlicheren parodistischen Anstrich verlieh; vgl. Freedberg, Parmigianino, pp. 207f. 189 Vasari (Barocchi), vol. 4, p. 542: „La quale opera finita che fu, la fece vedere a papa Clemente, al quale piacque tanto che mando quella a Francesco insieme [...] all'imperadore; onde essendo molto piaciuta a Sua Maestä, fece intendere che si lasciasse: ma Francesco, come mal consigliato da un suo poco fedele ο poco saputo amico, dicendo che non era finita, non la volle lasciare; e cosi Sua Maestä non l'ebbe, et egli non fu, come sarebbe stato senza dubbio, premiato." Diese Variante der Geschichte fügt Vasari allerdings erst in seine Redaktion der Vite von 1568 ein, 1550 hieß es lapidar: „II quale donandolo a Sua Maestä, n'ebbe premio onorato f...]" (ibid.). Das Bild war jedoch nach Ansicht der heutigen Forschung wohl nie im Besitz Karls V.; vgl. Fornari Schianchi, in: Kat. Parmigianino und der europäische Manierismus, S. 260. 190 Vgl. Vaccaro, Parmigianino. I dipinti, p. 17. 191 Das Bild ist somit das genaue Gegenteil einer ,,unverhohlene[n] laudatiowie Larsson, Rhetorische Aspekte im höfischen Porträt der Renaissance, S. 129 meint. 192 Vgl. Bologna, II „Carlo V" del Parmigianino, p. 4: „D'altronde, la forza singolare e affatto .manierosa' con cui la famosissima fisionomia deH'Absburgo ora si vede bene come fosse stata colta quasi in caricatura, per favorire gli intenti deformativi di un preciso ideale stilistico, non puo non essere ascritta alia mano stessa del Parmigianino." 193 Vgl. Kapitel 6.1.4. dieser Arbeit.
3. Kunstspiel als Überlegenheitsdemonstration: Zur Strukturlogik manieristischer Kunst
Im Jahr 1528 veröffentlichte Baidassare Castiglione seinen Cortegiano,
der bereits 1531
ins Französische übersetzt wurde, und institutionalisierte mit diesem Text die W o r t neuschöpfung der sprezzatura
- eines Begriffes, den Peter Burke einmal zutreffend mit
„coolness" übersetzt hat und der eine Haltung im moralischen wie im ästhetischen Sinne bezeichnet: Ma avendo io giä piu volte pensato meco onde nasca questa grazia, lasciando quelli che dalle stelle l'hanno, trovo una regula universalissima, la qual mi par valer circa questo in tutte le cose umane che si facciano ο dicano piu che alcuna altra, e cio e fuggir quanto piu si po, e come un asperissimo e pericoloso scoglio, la affettazione; e, per dir forse una nova parola, usar in ogni cosa una certa sprezzatura, che nasconda l'arte e dimostri cio che si fa e dice venir fatto senza fatica e quasi senza pensarvi. [...] si po dir quella esser vera arte che non pare esser arte [...].' Die Kunst des höfischen Verhaltens, oder kurz: der höfische Stil ist gekennzeichnet durch das Vermeiden von Künstlichkeit, ganz im Sinne von Lodovico Dolces „Ars est celare artem". 2 Paradoxerweise ist aber dieses Vermeiden für diejenigen, die nicht unter einem glücklichen Stern geboren wurden, immer ein angestrengtes Verbergen. Gerade durch dieses bemühte Verbergen der Anstrengung aber werden die Verhaltenskunst und damit der höfische Stil entgegen ihrer Absicht selbstreflexiv und damit höchst artifiziell. 3 Dies haben sie strukturell mit derjenigen Kunst gemeinsam, die an den Höfen der H o c h - und Spätrenaissance ihren idealen Rezipientenkreis fand. 4 Castiglione formulierte seine Überlegungen zum vorbildlichen höfischen Stil etwa gleichzeitig mit dem Aufkommen desjenigen
1 Castiglione, Cortegiano, lib. I, cap. X X V I , p. 59. 2 Vgl. Mirollo, Mannerism and Renaissance Poetry, p. 23; vgl. auch Gampp, „Sprezzatura". 3 Die beiden genannten Charakteristika - Selbstreflexivität und eine Artifizialität, die sich als Natürlichkeit tarnt - sind allerdings die einzigen Berührungspunkte mit dem Cortegiano, der ansonsten eher ein Gegenmodell entwickelt: So wird Castigliones ideales Maß der Mitte im höfischen Verhalten nicht in der Uberbietung, sondern durch den Ausgleich gegensätzlicher Meinungen im Dialog gefunden. Sein idealer Höfling ist ein entindividualisierter Typus, der bis in seine Bewegungen hinein zum Wohlverhalten konditioniert werden soll. Vgl. auch Rebhorn, Courtly Performances: Masking and Festivity in Castiglione's „Book of the Courtier". 4 Vgl. auch Mendelsohn, Paragoni, p. X X I I I , die ähnliche Schlüsse für die italienische Kunsttheorie der Zeit zieht: „Art theory is related to the .courtly tradition' in works which treat social behavior as an aethetic experience, thus linking morality and art."
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3. Kunstspiel als
Überlegenheitsdemonstration
Kunststils, der gemeinhin als „Manierismus" umschrieben wird und den die Forschung um 1520, spätestens jedoch nach dem desaströsen Ereignis des Sacco di Roma von 1527 beginnen läßt. Im französischen Kontext taucht der Begriff „maniere" bezeichnenderweise im Zusammenhang mit Manierenbüchern auf, die Verhalten stilbildend reglementieren sollten.5 Erst im 17. Jahrhundert bekam der Begriff der Manier den negativen Beigeschmack von „phantastisch", „bizarr", „manieriert". Im 16.Jahrhundert und bezogen auf die Malerei meinte maniera (so bei Vasari) relativ wertneutral eigentlich nur eine wiedererkennbare Art und Weise der Gestaltung, eine individuelle und wiedererkennbare Hand(schrift).6 Die Bedeutungsverengung des Begriffs zum gleichermaßen ästhetischen wie ethischen Verdikt, die sich bis in die kunsthistorische Forschung des letzten Jahrhunderts fortgeerbt hat, trägt dem erwähnten Changieren dieses Stils zwischen Verhaltensnorm und formalem Kriterium Rechnung. Einen detaillierten Forschungsüberblick über Entdeckung und Ausprägung des Manierismusbegriffs in seinen unterschiedlichen und zeitgebundenen Deutungen zu geben, würde den Rahmen der Argumentation sprengen. Ich beschränke mich daher auf einige wenige Bemerkungen. In der gerade in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts erneut aufblühenden Manierismusforschung lassen sich grob zwei Hauptrichtungen unterscheiden.7 Für die erste, deren herausragende Vertreter Arnold Hauser und Frederick Hartt waren, ist manieristische Kunst Ausdruck einer Krisen- und Entfremdungserfahrung mitten in Zeiten der Hochrenaissance, die sich in einer Art Kollektivneurose Bahn bricht und sich dialektisch entfaltet:8 Die Verwüstung Roms durch Landsknechte aus dem Norden macht zwar der moralischen Verderbtheit der katholischen Kirche ein Ende, führt dann aber - als Strafe Gottes gedeutet - sogleich zu kollektiven Schuldgefühlen, die künstlerisch in einem Akt der Selbstbestrafung bewältigt werden, nämlich in Michelangelos „Jüngstem Gericht".9 Der zweite, nicht minder reduktionistische Forschungsansatz konzentriert sich auf die formale Seite manieristischer Kunst. John Shearman ist der Protagonist dieser in gewisser Weise „reaktionären" Position, die den Manierismus nicht als umfassendes Kultur-, sondern als reines Stilphänomen überzogener Artifizialität interpretiert.10 Durch diese 5 Vgl. hierzu den Sammelband Manier - Manieren - Manierismus. 6 Diesen Aspekt betont Smyth, Mannerism and Maniera, passim; hierzu Zerner, Observations on the Use of the Concept of Mannerism; vgl. auch Link-Heer, „Raffael ohne Hände". 7 Auf die Pionierphase der Manierismusforschung mit den frühen Beiträgen aus dem Umfeld der Wiener Kunsthistorischen Schule von Max Dvorak und Werner Weisbach sowie auf Wölfflin, Friedlaender, Panofsky, Antal und andere kann hier nicht erneut im Detail eingegangen werden. Vgl. den Forschungsüberblick in Arasse/Tönnesmann, Der europäische Manierismus, S. 7-12. Vgl. auch Link-Heer, Manier/manieristisch/Manierismus. - Die Manierismusdebatte der letzten 100 Jahre läßt sich anhand des „Forschungsreaders" Readings in Italian Mannerism verfolgen, der alle entscheidenden englischsprachigen Beiträge zur Diskussion enthält. Einen Meilenstein in der Entwicklung der Manierismus-Diskussion stellen die Kongressakten des Twentieth International Congress of the History of Art von 1963 dar. 8 Hauser, Der Manierismus. Die Krise der Renaissance und der Ursprung der modernen Kunst. 9 Vgl. Hartt, Power and the Individual in Mannerist Art, p. 222; vgl. auch Clarks Darstellung der Malerei zwischen 1520 und 1535 unter dem sprechenden Titel „A Failure of Nerve". 10 Shearman, Maniera as an Aesthetic Ideal; Manierismus. Das Künstliche in der Kunst [Originalausgabe unter dem Titel: Mannerism]. So bereits Frey, Manierismus als europäische Stilerscheinung. Zymner, Manierismus als Artistik, S. 11 modifiziert diesen Ansatz, indem er Manierismus als „ein
3. Kunstspiel als
Überlegenheitsdemonstration
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Ästhetisierung wird jedoch der manieristischen Kunst jegliche politische Schlagkraft abgesprochen. Der hier vertretene Ansatz dagegen beschreitet - aufbauend auf den Vorarbeiten von Arasse und Tönnesmann 1 1 - einen dritten Weg, indem er den Manierismus als gesamteuropäisches Kulturphänomen mit politischem Anspruch und als F o r m verfeinerter Machtausübung im Medium der Kunst interpretiert: Auch der Akt der Formgebung kann ein politischer sein, zumal wenn er mit dem Einsatz subversiver Mittel von Ironie und Witz verbunden ist und zugleich einen ständigen Uberbietungsanspruch gegenüber Vorbildern signalisiert - ganz im Sinne Ernst Gombrichs, der in seiner Analyse von Giulio Romanos Palazzo del T e darauf hingewiesen hat, daß gerade die „Störung der F o r m " eine „Intensivierung des Ausdrucks" und damit eine semantische Zuspitzung nach sich zieht. 12 Deshalb soll im folgenden der Frage nachgegangen werden, welche Strukturelemente charakteristisch für die manieristische Kunst sind. Erst die Analyse der Strukturlogik des Manierismus kann Aufschluß darüber geben, wieso der französische König gerade diese Art von Kunst für seine Herrschaftsrepräsentation einsetzte, obgleich sie auf den ersten Blick in ihren Verdrehungen, Ironisierungen, Parodien und ihrem uneigentlichen Sprechen denkbar ungeeignet für eine affirmative Selbstdarstellung des Herrschers zu sein scheint. Die Künstlergeneration, die auf diejenige der Hochrenaissance-Heroen folgt, sieht sich mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert, das bereits auch von der Kunstliteratur als unerreichbar Kanonisierte zu überbieten. Die Frage, worin der charakteristische Unterschied zwischen den Kunstüberbietungen der Hochrenaissance und dem spezifisch manieristischen Habitus der Überbietung besteht, ist nicht leicht zu beantworten. Hypothetisch ließe sich vermuten, daß es sich hierbei um ganz unterschiedliche Verfahren der Bezugnahme handelt: Einerseits steigert manieristische Kunst den Verschlüsselungsgrad von Bedeutungen und erweitert damit die Konnotationsmöglichkeiten, andererseits ironisiert und persifliert sie die Ernsthaftigkeit des Deutungsanspruchs ihrer Vorbilder und zeigt damit ihre Überlegenheit im Agon. Die Positivität einer Bewunderungshaltung, die vor allem dem zu überbietenden Vorbild ihre Reverenz erweist, 13 wird von den manieristischen Künstlern
Verfahren mit der Funktion, demonstrative Artistik vorzuführen und eine Rezipientenhaltung auf eben diese Artistik herauszufordern" definiert. Vgl. auch Freedberg, Observations on the Painting of the Maniera, p. 189, der - in Abwandlung von Shearmans „stylish style" - vom Manierismus als einem „stylized style" spricht. 11 Der europäische Manierismus 1 5 2 0 - 1 6 1 0 . Diese Untersuchung interpretiert Manierismus zutreffend als Möglichkeit elitärer Herrschaftsrepräsentation mit den Mitteln der Distinktion. 12 Gombrich, Z u m Werke Giulio Romanos I, S. 85. - Zum Manierismus als einer Kunst, die sich auf Kunst und weniger auf Texte bezieht: Mirollo, Mannerism and Renaissance Poetry, pp. X I ; 68; Pajes Merriman, The Cultured Quote and Some Thoughts on Mannerist Art; Kiefer, „Michelangelo riformato", pp. 9 - 2 2 . 13 Goffen (Renaissance Rivals, p. 293) bezeichnet dieses Verhältnis zu großen Vorbildern mit den Adjektiven „reproductive" und „sacramental". Hiervon wäre eine spezifisch manieristische Imitationshaltung abzugrenzen, die mit Goffen (ibid.) als „eclectic or heterogeneous" charakterisiert werden kann. Eine vertiefte Analyse von Bronzinos beiden Noli-me-tangere-Bildern (heute in der Casa Buonarroti, Florenz und im Louvre) verspricht weiteren Aufschluß über den manieristischen Umgang mit Kunstvorbildern, da die frühere Version auf einen verlorenen Karton von Michelangelo und dessen malerische Umsetzung durch P o n t o r m o zurückgeht, während die spätere für die Cappella Cavalcanti in S. Spirito in Auseinandersetzung mit dem Vorbild ganz neue Wege beschreitet. Vgl. hierzu Brock, Bronzino, pp. 2 9 4 - 3 0 2 ; Pilliod, Le „Noli me tangere" de Bronzino;
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3. Kunstspiel als
Überlegenheitsdemonstration
.ρ>'Ij^V VAX vKMI ' cor'rtVKx MATE> ;Ü . Vr deqkv-4 • : Abb. 12 Gian Jacopo Caraglio (nach Rosso), Ops, um 1526
Abb. 13
Rene Boyvin, Ops, um 1550
durch Parodie, Ironie und Travestie aufgebrochen. 14 Daß beispielsweise Rosso ein großer Ironiker war, beweisen seine zum Teil bis ins Karikaturhafte gesteigerten Travestien der frühen Madonnenbilder Andrea del Sartos, die er in Florenz hatte sehen können: So persifliert seine „Madonna mit dem Kind und Heiligen" (Tafel 9) del Sartos Gesichtstypus, wie man ihn besonders ausgeprägt in der „Madonna delle Arpie" (Tafel 10) findet. Und die ihm mit Zweifeln zugeschriebene, äußerst skurrile „Madonna mit dem Kind in der Glorie" (heute in der Eremitage, St. Petersburg) (Tafel 11) zieht Andreas „Masche" schelmischer Kinder- und Engelsdarstellungen, wie man sie zum Beispiel auf der „Vermählung der Hl. Katharina", der „Madonna mit dem Kind, der Hl. Elisabeth, dem Johannesknaben und zwei Engeln" im Louvre oder der „Madonna mit dem Kind" in Ottawa finden kann, gekonnt ins Lächerliche. Rosso wurde aber auch selbst Opfer solcher Persiflagen: Rene Boyvin läßt Caraglios „Ops" (nach Rosso; Abb. 12) - freilich wenig subtil und ohne große Musterabwandlung - um einiges altern und macht aus dem blühenden jungen Mädchen in der Travestie eine alte Vettel mit Hängebrüsten (Abb. 13).15 Ein vergleichbarer Vorgang der parodierenden Transformation läßt sich auch in Rossos sogenannter „Furia" aufzeigen, die Caraglio kurz nach 1524, also nach Rossos Eintreffen in Sobotik, Michelangelo's Lost Noli Me Tangere; Wallace, Ii „Noli me Tangere" di Michelangelo; Kat. Venere e Amore, p. 225; Costamagna, Pontormo, pp. 215-217; Hirst, Michelangelo, Pontormo und das Noli me tangere für Vittoria Colonna. 14 Vgl. hierzu Campbell: Michelangelo, Rosso and the (Un)Divinity of Art. 15 Vgl. Ruhm der Könige und Künstler, S. 60 f. und 64.
3. Kunstspiel als
Abb. 14
Überlegenheitsdemonstration
55
Gian Jacopo Caraglio (nach Rosso), sog. Furia, nach 1524
R o m , stach ( A b b . 14). E i k e D . Schmidt hat die Hauptfigur als eine ins Asketische gewendete und im Gesichtsausdruck ins Aggressive gesteigerte Parodie des L a o k o o n (nach B a c c i o Bandinellis K o p i e ) interpretiert (vgl. A b b . 73). 1 6 Einen Teil der Pointe läßt er sich damit entgehen, denn auch die Söhne des L a o k o o n findet man im Stich transformiert wieder: D i e Armhaltung des jüngeren Sohnes gibt Anlaß zur Darstellung des überlangen Schwanenhalses; die Schlangenwülste, die sich im Original um seine A r m e winden, sind zu den Flügeln des Schwans mutiert. U n d der Handgestus des älteren Sohnes, der höchstes Erschrecken signalisiert, findet seinen Reflex in der Pathosformel des weit geöffneten Mauls des D r a chens, das wiederum den Schrei der Hauptfigur parodierend verdoppelt. D i e Parodie spielt sich hier wie häufig bei R o s s o auch auf der erotischen E b e n e ab, denn er erlaubt sich einen W i t z im Blick auf die D i m e n s i o n e n von Geschlechtsteilen: D e r inexistente, wenn nicht gar amputierte Penis der furiosen Hauptfigur wird direkt parallelisiert mit dem des D r a c h e n s unter ihm, der unmittelbar unter der Fehlstelle ein überdimensionales Substitut präsentiert. 1 7
16 „Furor" und „Imitatio", S. 365-370. Vgl. auch Kornell, Rosso Fiorentino and the Anatomical Text. 17 Schmidt, „Furor" und „Imitatio", S. 370.
56
3. Kunstspiel als
Überlegenheitsdemonstration
3.1. Bronzinos „Allegorie" als Modell der Überbietung größter Kunstvorbilder Exemplarisch soll hier ein Bild ausführlicher analysiert werden, das mit Mitteln der Travestie deutlich feinsinniger umgeht als Boyvin und geradezu als Inkarnation manieristischer Funktionslogik interpretiert werden kann: Bronzinos sogenannte „Allegorie der Venus", auch unter dem Titel „Triumph der Venus" oder „Venus, Cupido, die Zeit und der Neid" bekannt, ein um die Mitte des 16. Jahrhunderts entstandenes Gemälde, das ursprünglich Teil der Sammlung von Frangois I er war und sich heute in der Londoner National Gallery befindet (Tafel 12).18 Die Vielzahl der Bildtitel deutet es bereits an: Ähnlich wie im Falle von Botticellis „Primavera" oder Giorgiones „Tempesta" hat sich der Deutungseifer vor allem der ikonographisch ausgerichteten Kunstgeschichte auf Bronzinos Meisterwerk gestürzt mit bislang erstaunlich geringem Erfolg. 19 Daß man gerade dem französischen König mit einem so hintergründigen Bilderrätsel wie der „Allegorie" eine besondere Freude machen konnte, war anzunehmen, hatte er sich doch in seiner Galerie in Fontainebleau von Rosso Fiorentino eine ganze „Kunstkammer" solch hermetisch-allegorischer quadri riportati malen und stukkieren lassen. 20 Vasari lieferte die erste Interpretation des Bildes, als er im 6. Buch seiner Vite schrieb: Fece un quadro di singolare bellezza, che fu mandato in Francia al re Francesco, dentro al quale era una Venere ignuda con Cupido che la baciava, et il Piacere da un lato e il Giuoco con altri Amori, e dall'altro la Fraude, la Gelosia et altre passioni d'amore. 21
Es ist allerdings nicht eindeutig zu entscheiden, ob das von Vasari beschriebene Bild tatsächlich dasjenige ist, das sich in der Sammlung des französischen Königs befand - es wäre auch denkbar, daß er das thematisch sehr ähnliche Gemälde beschreibt, das heute in Budapest aufbewahrt wird (Abb. 15). Und selbst wenn Vasari wirklich von dem Bild spricht, das nach Frankreich geschickt wurde, so bleibt zu bedenken, daß zwischen seinem Seheindruck (um 1545) und seiner Beschreibung im Jahr 1568 mehr als 20 Jahre lagen.22 Doch da Vasari der kunsthistorischen Forschung lange Zeit als Autorität galt und daher nicht irren konnte, wurde auch im Falle des Bronzino-Bildes seine Deutung zur kanonischen Grundlage aller weiteren Beschäftigungen mit der „Allegorie". Angestrengt versuchte man, die von ihm genannten Personifikationen einzelnen Figuren auf dem Bild zuzuordnen: Ist „giuoco" (das Spiel) der kleine rosenstreuende Amor mit dem Schellenband um das linke Fußgelenk, das ihn auch zu einem Narren machen könnte, zumal er mit dem anderen Fuß in einen Stachel tritt, ohne es zu merken? Ist er „piacere", Lust, oder trifft diese Bezeichnung nicht eher auf das schöne Mädchen im Hintergrund zu, das eine Honigwabe in der linken Hand hält, die Liebesfreuden verspricht? Bei genauerem Hinsehen merkt man jedoch, daß sie nur halb ein engelsgleiches Mädchen ist, halb aber ein schlangenhaftes Wesen 18 Hierzu und zum folgenden: Tauber, A Paragone of Styles. 19 Eine Zusammenfassung der Forschungs- und Interpretationsbemühungen der letzten 80Jahre bietet Gaston, Love's Sweet Poison. 20 Vgl. Hall, After Raphael, pp. 121-127; vgl. Kapitel 6. dieser Arbeit. 21 Vasari (Barocchi), vol. 6, p. 234. 22 Vielleicht wollte Vasari mit seinem „da un latro [...] e dall'altro" auch nur sagen, daß sowohl positive als auch negative Affekte, die man mit der Liebe verbindet, auf dem Bild zu sehen waren?
3.1. Bronzinos „ Allegorie " als Modell der Überbietung größter Kunstvorbilder
Abb. 15
57
Agnolo Bronzino, Venus und Cupido, um 1544/45, Szepmüveszeti Muzeum, Budapest
mit L ö w e n k l a u e n - und in ihrer anderen H a n d hält sie einen gefährlichen
Skorpion-
stachel. 2 3 Ist sie also „fraude", Betrug, oder „gelosia", Eifersucht? Letzteres würde auch zu der verquälten Figur links passen, die sich die Haare rauft, was ebenso Trauer, S c h m e r z oder N e i d ausdrücken könnte, denn bekanntlich ist „Amoris u m b r a i n v i d i a " 2 4 ? U n d w e r ist die Figur darüber? Sie hat die meisten D e u t u n g s p r o b l e m e aufgeworfen: Ist es eine gesichtslose Maske ohne H i n t e r k o p f , somit Betrug, oder Lüge, oder die N a c h t , oder das Vergessen? 2 5 O d e r ist es die Wahrheit, der der alte M a n n rechts den Schleier wegziehen m ö c h t e ? Zieht er tatsächlich, oder versucht er, seinen Konterpart eher zu verhüllen? Zumindest ist er relativ eindeutig als K r o n o s , also als Personifikation der Zeit mit dem Stundenglas zu erkennen, wird aber wiederum bei Vasari gar nicht erwähnt. U n d schließlich stellt sich die Frage, die zur inhaltlichen Gesamtdeutung des Bildes überleitet, nämlich: Was machen Venus und C u p i d o da eigentlich? G l a u b t man Panofsky, so enthüllt hier die Zeit die nackte Wahrheit des verderblichen Lasters der Luxuria. 2 6 D a m i t 23 Simona Cohen stellt dieses Motiv in den Mittelpunkt ihrer Neuinterpretation der „Allegorie" und betont vor allem die Ambivalenz als herausragenden allegorischen Sinngehalt dieses Tieres; vgl. The Ambivalent Scorpio. 24 Vgl. Smith, Jealousy, Pleasure and Pain, p. 252. 25 Hope, Bronzinos Allegory, p. 241. 26 Panofsky, Studien zur Ikonologie, S. 120-123; vgl. auch Cheney, Bronzino's London Allegory. Die Suche nach einer moralisierenden Botschaft im Bild erscheint vor allem als Selbstzensur des Betrachters, der merkt, wie er nolens, volens zum Voyeur wird. Das ganze Geschehen spielt sich wie
58
3. Kunstspiel als
Überlegenheitsdemonstration
würde Bronzinos Bild zu einer moralisierenden Parteinahme für die Gegenreformation. Dies schien auch zur bekannten Prüderie des vermeintlichen Auftraggebers, Herzog Cosimos I. de' Medici, zu passen, dessen Porträt mehrere Interpreten in der Figur des Kronos zu erkennen glaubten.27 Schnell entdeckte man weitere Medici-Porträts im Bild: So sollte das Mädchengesicht rechts die uneheliche Tochter Cosimos, Bia, darstellen, wobei man gleich die Altersdifferenz zu Bronzinos bekanntem Porträt der Kleinen aufgrund der zwischen den beiden Bildern verstrichenen Zeitspanne mit in Anschlag brachte.28 Auch der Lorbeer im Hintergrund und die Kugel in der Hand der Venus schienen auf Medici-Patronage hinzudeuten. Ein anderer Interpret sah in dieser Kugel eher einen goldenen Apfel, den er als Siegeszeichen und höchsten Preis der Schönheit deutete, den Venus von Paris erhalten habe. Für Michael Levey war somit auf dem Bild der Triumph der Venus dargestellt: Venus habe Cupido mit inzestuösen Verführungskünsten abgelenkt, um ihm den auch für sie selbst gefährlichen Pfeil - in einem anatomisch höchst unwahrscheinlichen Akt - aus dem Köcher zu stehlen und ihn dann triumphierend emporzuhalten.29 Cupido ist durch seine schwarzrandigen Fingernägel eindeutig als „schmutziger Junge" charakterisiert. Daß hier, wie eine dritte Interpretation, ausgehend von der schmerzgekrümmten Figur am linken Bildrand („dolor"?), 30 meinte, die Schrecken der Syphilis dargestellt seien, ist einigermaßen absurd, zumal der französische König selbst an dieser Krankheit litt: So weit ging die Selbstironie der Franzosen nun wohl doch nicht, daß sie eine Anspielung auf diejenige Krankheit goutiert hätten, die nach dem französischen Einfall in Neapel hartnäckig mal franqais oder morbo gallico genannt wurde.31 Viel spekuliert wurde auch über den Auftraggeber des Bildes: Da Vasari es im Zusammenhang mit den Arbeiten Bronzinos für die Kapelle der Eleonore von Toledo im Palazzo Vecchio und mit Karnevalsdekorationen für die Medici nennt, wurde ohne dokumentarische Grundlage angenommen, daß Cosimo I. de' Medici den Auftrag gegeben haben mußte, zumal man in den hervortretenden Augen des alten Mannes rechts oben Ähnlichkeiten mit denjenigen von Benvenuto Cellinis Cosimo-Büste zu entdecken meinte (Abb. 16). All diese Deutungen haben in gewisser Weise Recht und hinterlassen doch immer ein Unbehagen: Was sie problematisch macht, ist ihre Herangehensweise an das Bild, die den grundlegenden Strukturmerkmalen des Manierismus nicht angemessen ist. Die semantischen Felder, die auf diesem Bild eröffnet werden, sind nicht eindeutig, und sie schließen einander nicht aus. Sie sind weit gespannt und dehnen sich im Prozeß der Betrachtung und Erinnerung an vorher gesehene Bildmuster ständig weiter aus. An den Betrachter manieristischer Kunst werden hohe Ansprüche gestellt: Er muß über eine schnelle Auffassungsgabe, geistige Flexibilität,
27 28 29 30 31
auf einer Theaterbühne ab, dadurch wirkt es so distanziert (vgl. Mendelsohn, L'AlIegoria, p. 160, die auf die zeitgenössischen Intermezzi verweist). Vgl. Mendelsohn, L'AlIegoria, p. 158; Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 227-234, v.a. pp. 231s.; Smith, Jealousy, Pleasure and Pain, p. 256. Vgl. Cox-Rearick, Sacred to Profane: Diplomatic Gifts, p. 254. Levey, Sacred and Profane Significance, pp. 32 f. - Oder handelt es sich um den ewigen Kampf zwischen Liebe und Zeit, wie Bosch, Bronzino's London Allegory, p. 32 annimmt? Vgl. Conway, Syphilis, p. 251. Vgl. Conway, ibid.; Healy, Bronzino's London Allegory·, so auch Brock, Bronzino, pp. 223; 227f.; Cohen, The Ambivalent Scorpio, pp. 1 7 9 - 1 8 3 interpretiert die „Allegorie", ausgehend von der Syphilis-Hypothese, wenig überzeugend als „learned social satire", die die Verderblichkeit des höfischen Lebens anprangere.
3.1. Bronzinos „ Allegorie " als Modell der Überbietung
Abb. 16
größter Kunstvorbilder
59
Benvenuto Cellini, Porträtbüste Herzog Cosimos, 1545-48, Museo nazionale del Bargello, Florenz
Kenntnisreichtum für das Identifizieren von Mustern, Erinnerungsvermögen und Humor verfügen. Paul Barolsky und Andrew Ladis haben zu Recht betont, daß über dem antiquarischen Deutungseifer, der sich an Bronzinos „Allegorie" entfacht hat, ein bestimmendes Element des Bildes fast vollkommen vernachlässigt wurde: der Witz, die Ironie, der Spott. 32 Es ist zweifellos nicht leicht, genau zu bestimmen, worüber der Kunstliebhaber des 16. Jahrhunderts lachte und worüber nicht. Der Cortegia.no gibt hier erneut einige Anhaltspunkte, wenn er in den Kapiteln 42-89 des zweiten Buches die unterschiedlichsten Arten von Witzen und Schwänken, in denen der Hofmann zu brillieren habe, in einer fast schon scholastisch zu nennenden Kategorientafel vorstellt und für jede genannte Distinktion auch Beispiele anführt:
32 Vgl. Barolsky/Ladis, The „Pleasurable Deceit", p. 36: „Were Bronzino, Michelangelo, della Casa, and Vasari - not to speak of Berni, Molza, Folengo, and Aretino - to rise from the grave and read the solemn, moralizing, and allegorizing iconographical interpretations of Bronzino's coy, ludic London picture now current, they would no doubt smile, if not laugh, at such goffezza - finding it, in the root sense of goffo, slightly goofy"; vgl. auch Debailly, Le rire satirique; Meijer, From Leonardo to Bruegel: Comic Art in Sixteenth Century Europe; Herrick, Comic Theory in the Sixteenth Century. Vgl. auch die sehr interessante Arbeit von Eichel-Lojkine, Excentricite et humanisme: Parodie, derision et detournement des codes ä la Renaissance.
60
3. Kunstspiel
als
Überlegenheitsdemonstration
Avete ancor a sapere che dai lochi donde si cavano motti da ridere, si posson medesimamente cavare sentenzie gravi per laudare e per biasimare, e talor con le medesime parole; come, per laudar un om liberale che metta la robba sua in commune con gli amici, suolsi dire che ciö ch'egli ha non e suo; il medesimo si po dir per biasimo d'uno che abbia rubato [...]. 33 Synonyme und Homonyme unterstützen das Strukturprinzip von Witz: Anerkennend gelacht wird meist dann, wenn eine wiedererkennbare Form durch neue Kontextualisierung eine überraschend abweichende Bedeutung gewinnt. Die Variationsbreite dieser von Castiglione vorgestellten Bedeutungsverschiebungen ist denkbar weit: Delle facezie adunque pronte, che stanno in un breve detto, quelle sono acutissime, che nascono dalla ambiguitä, benche non sempre inducano a ridere, perche piü presto sono laudate per ingeniöse che per ridicule [...]. Ma, perche questi motti ambigui hanno molto delPacuto, per pigliar l'omo le parole in significato diverso da quello che le pigliano tutti gli altri, pare, come ho detto, che piü presto movano maraviglia che riso, eccetto quando sono congiunti con altra manera di detti.34 Signifiant und signifie werden bewußt getrennt, indem man vorgeblich vom Inhalt der verwendeten Worte absieht: „E ancor piacevol manera di motteggiare, quando l'omo par che pigli le parole e non la sentenzia di colui che ragiona." 3 5 Formal identische Sprachelemente gewinnen einen neuen Inhalt durch neue Kontextualisierung, sie werden gleichzeitig formal verdoppelt und inhaltlich erweitert: „Molto serveno ancor cosi i detti giocosi per pungere, come i detti gravi per laudare, le metafore bene accommodate, e massimamente se son risposte e se colui che risponde persiste nella medesima metafora detta dall'altro." 3 6 Capricci - „cose discrepanti" 37 - der Einbildungskraft, welche bei der Erfindung von Scherzen eine tragende Rolle spielt, rufen Gelächter hervor. Generell geht es jedoch immer darum, eine bestehende Vormeinung dadurch zu täuschen, daß man das Unvorhergesehene sagt oder tut: „nell'una e nell'altra sorte la principal cosa e lo ingannar la opinione e rispondere altramente che quello che aspetta l'auditore." 3 8 Gelacht wird also über die erkennbare, signifikante Abweichung. So werden auch in der manieristischen Malerei häufig bereits bestehende Bildlösungen in parodistischer Absicht aufgegriffen und durch Ironisierung überboten, so wie die bizarren Männerphantasien des Juste de Juste (Abb. 17), die wohl unter anderem Stellungen aus Michelangelos „Schlacht von Cascina" (vgl. Abb. 30) persiflieren. Dabei demonstriert das manieristische Kunstwerk einerseits seine Überlegenheit gegenüber dem Vorbild, erweist ihm aber zugleich auch die Ehre, es zu benutzen und dadurch als vorbildlich anzuerkennen. 39 D a künstlerisches Handeln in allen Gattungen identischen Strukturgesetzlichkeiten folgt, zeigt sich Bronzino, wie Deborah Parker überzeugend nachweisen konnte, nicht nur in der Malerei, sondern auch in der Dichtkunst als Virtuose der Doppeldeutigkeit und der 33 34 35 36 37 38 39
Cortegiano, lib. II, cap. XLVII, p. 186. Ibid., cap. LVIII, pp. 199s. Ibid., cap. LXIII, p. 206. Ibid., cap. LXV, p. 209. Ibid., cap. LXXIX, p. 227. Ibid., cap. LXXXIII, p. 232 [mit Fehlstelle im Text der Edition von Barberis]. Es handelt sich somit auch bei Rosso Fiorentinos Michelangelo-Rezeption in der Grande Galerie in Fontainebleau nicht, wie Brassat (Das Historienbild im Zeitalter der Eloquenz, S. 275) meint, um „polemische Paraphrasen" oder um eine Diskreditierung des römischen Kolossalstils, sondern um Uberbietung, wie in Kapitel 6 noch zu zeigen sein wird.
3.1. Bronzinos „Allegorie" als Modell der Überbietung größter Kunstvorbilder
Abb. 17
61
Juste de Juste, Männerpyramide, um 1543
witzigen Anspielung. 4 0 Seine satirisch-komischen G e d i c h t e machen im burlesken Stil negative oder banale D i n g e z u m Gegenstand euphorischer Lobpreisungen: so z u m Beispiel die Pfanne, den Teller, die Nichtsnutzigkeit oder die Scham. Spätestens mit der Lektüre des dreist-doppeldeutigen Gedichtes „Del Ravanello" 4 1 ( U b e r den Gartenrettich, vulgo: das R a dieschen) wird Panofskys vorgenannter Versuch, B r o n z i n o zum Moralapostel der G e g e n reformation zu machen, fraglich. D e r D i c h t e r bedient hier alle Register des Witzes im Sinne des Cortegia.no,
da er die zotige Burla ebenso virtuos beherrscht wie die feinsinnige Ironie.
Letztere aber hatte Castiglione als besonders geeignet bezeichnet, u m Mächtige und H e r r schende zu unterhalten, da sie einerseits niveauvoll und pointiert, andererseits sowohl auf lustige wie auf ernste Situationen im Sinne der Uberlegenheitsdemonstration anwendbar sei: „ E questa sorte di facezie che tiene dell'ironico pare m o l t o conveniente ad omini grandi, perche e grave e salsa e possi usare nelle cose giocose ed ancor nelle s e v e r e . " 4 2 Seit der A n tike - vor allem in den rhetorischen Vorgaben von C i c e r o und Quintilian - ist der ironische Rededuktus als der einer dissimulatio
definiert, der das Wahre und Vorbildliche als K o n -
trastfolie zwar alludiert, es aber dann mit u m s o grösserer Lust an der Subversion destruiert und damit im M o d u s der K r i t i k mit geistreichen Mitteln operiert. Zugleich etabliert die I r o -
40 Parker wählt als Vergleichsbeispiel aus Bronzinos malerischem CEuvre bezeichnenderweise die Londoner „Allegorie"; vgl. Parker, Bronzino, pp. 128-167. 41 Bronzino, Rime in burla, pp. 395-398. Vgl. Parker, Towards a Reading, v.a. pp. 1024-1026. 42 Cortegiano, lib. II, cap. L X X I I I , p. 218.
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3. Kunstspiel als
Überlegenheitsdemonstration
nie einen Elitediskurs, indem sie die Wissenden von den Unwissenden trennt - letztere sind nicht in der Lage, die Doppeldeutigkeiten als solche zu erkennen. 43 Diese Form von geist- und anspielungsreicher Polysemie setzt die Möglichkeit voraus, abgewandelte formale Muster wiederzuerkennen, auch wenn der Betrachter sie nicht unmittelbar zum Vergleich vor Augen hat. Der manieristische Künstler benutzt daher gängige Muster, die vor allem deswegen gängig sind, weil sie die höchsten Muster der zeitgenössischen Kunst darstellen. Aber er verwendet sie, um etwas Neues und Eigenes daraus zu machen, das stets den Anspruch erhebt, das abgewandelte Vorbild an Raffinesse zu übertreffen. Der manieristische Habitus, wie ich ihn fassen möchte, schöpft sein Selbstbewußtsein vor allem aus der Überbietung der größten künstlerischen Vorbilder. Neben der Antike sind dies im 16. Jahrhundert natürlich Michelangelo und Raffael. Ein schönes Beispiel hierfür bietet Bronzinos - nicht weniger zweideutig-anzügliches - Gedicht „Del pennello" („Uber den Pinsel"). 44 Dort findet parodistische Uberbietung höchster Muster der Kunst gleich in doppelter Weise statt: Einerseits wird auf ein Michelangelo-Sonett angespielt, in dem der große Bildhauer von sich selber sagte: „Ich bin kein Maler" [„non sendo in loco bon, ηέ io pictore" 45 ], was Bronzino triumphierend umwandelt in: „Und weil ich auch nur ein reiner Maler (Ausmaler, Anstreicher) bin [,,E, perche io sono anch'io pur dipintore"], will ich Euch zeigen wozu der dicke, der mittelgroße und der kleine Pinsel gut sind." 46 Zum andern zitiert er in übersteigerter Form den legendären Ausspruch Correggios vor Raffaels „Heiliger Cäcilie", der selbstbewußt ausgerufen haben soll: „Anch'io sono pittore!" 4 7 Manieristische Kunst ist agonale Kunst, die sich überhaupt erst im ständigen Wettstreit mit Vorbildern konstituiert: 48 Für die Haltung von Bronzinos Venus wurden zu Recht als mögliche Vorbilder die Maria auf Michelangelos Doni-Tondo - einer Art „virgin undressed" 49 - oder auch die Eva aus dem Sündenfallfresko der Sixtinischen Decke benannt, für das gesamte Bildthema sein nur in Pontormos „Aus-Malung" erhaltenes Bild „Venus und Cupido" (Tafel 13), aus dem Bronzino deutlich das Kußmotiv entlehnt und auf dem ebenfalls zwei Masken zu sehen sind; 50 für die herkulische Bildung des Kronos wurde allgemein der Figurentypus Michelangelos herangezogen. 43 Zu ironischen Bildstrukturen vgl. Jürgen Müllers Vortrag auf der Tagung „Ironie und Moral. Positionen und Ambivalenzen im 15. und 16. Jahrhundert" (Basel 28.2.-1.3.2008): Silenische Kunst Überlegungen zur Ironie des Bildes; id., „Een antieckse Laechon": Ein Beitrag zu Rembrandts ironischer Antikenrezeption; id., Imitatio oder Dissimulatio?; id., Vom lauten und vom leisen Betrachten: Ironische Bildstrukturen in der holländischen Genremalerei des 17. Jahrhunderts; Ulrike Müller Hofstede, Künstlerischer Witz und verborgene Ironie und demnächst: Tauber, Rosso als Ironiker. 44 Bronzino, Rime in burla, pp. 23-26. Vgl. Parker, Bronzino, pp. 133 f.; Plazzotta/Keith, Bronzino's „Allegory", p. 99; Gaston, Love's Sweet Poison, p. 271; Brock, Bronzino, pp. 228 f. 45 Michelangelo Buonarroti, Rime, n° 5, p. 4. 46 Bronzino, Rime in burla, p. 26. 47 Parker (Towards a Reading, pp. 1021-1022 und pp. 1034-1036) nennt weitere Beispiele für persiflierende Uberbietungen größter dichterischer Vorbilder, vor allem Dantes Divina Commedia. 48 Vgl. Maurer, Notizen zur Formensprache, S. 121. 49 Vgl. Parker, Bronzino, p. 153; Brock, Bronzino, p. 230. Diese Transformation großer Kunstvorbilder mit parodistischer Absicht und Uberbietungsanspruch allein auf das Bedürfnis des Malers „de s'amuser lui-meme en tournant en derision une oeuvre du maitre tant admire" zurückzuführen, wie Brock es tut, geht an der Intention des Künstlers vorbei. 50 Gould, The Sixteenth-Century Italian Schools, p. 42. Laut Goffen, Renaissance Rivals, p. 320 war dieses Bild von Anfang an als joint commission von Michelangelo und Pontormo geplant; vgl. auch
3.1. Bronzinos
„Allegorie"
al$ Modell
der Überbietung
größter
Kunstvorbilder
63
Es gibt j e d o c h n o c h ein anderes, w o h l p r ä g e n d e r e s Vor-Bild i m w a h r s t e n W o r t s i n n . Seit 1518 besaß F r a n c o i s I e r in seiner S a m m l u n g ein Bild, das anläßlich d e r H o c h z e i t v o n L o r e n z o d e ' Medici, H e r z o g v o n U r b i n o , u n d M a d e l e i n e de la T o u r d ' A u v e r g n e als d i p l o m a t i s c h e s G e s c h e n k n a c h F r a n k r e i c h g e k o m m e n w a r : Raffaels „ H e i l i g e F a m i l i e " , teilweise a u s g e f ü h r t v o n G i u l i o R o m a n o , h e u t e i m L o u v r e (Tafel 14). 51 E s scheint, als h a b e B r o n z i n o eine U b e r b i e t u n g i n n e r h a l b d e r S a m m l u n g des f r a n z ö s i s c h e n K ö n i g s angestrebt 5 2 u n d sich d a f ü r ein W e r k Raffaels a u s g e s u c h t , das in seiner a u s g e p r ä g t e n L i c h t r e g i e u n d B e w e g t h e i t selbst s c h o n m a n i e r i s t i s c h w i r k t , w i e bereits S e b a s t i a n o del P i o m b o b e m e r k t e , als er M i c h e l a n g e l o in d e s p e k t i e r l i c h e n Ä u ß e r u n g e n v o n d e r U b e r f ü h r u n g d e r „ H e i l i g e n F a m i l i e " n a c h F r a n k reich b e r i c h t e t e : Duo[l]mi ne l'animo non sette stato in Roma a veder dua quadri che son iti in Franza, del principe de la sinagoga, che credo non vi possete imaginar cossa piü contraria a la opinion vostra de quello haveresti visto in simel opera. Ιο non vi dirö altro che pareno figure che siano state alfumo, ο vero figure de ferro che luceno, tutte chiare et tutte nere, et desegnate al modo ve dirä Leonardo. Pensatte come le cosse vanno; dua bravi hornamente recette da' Franzesi. 53 D a s Bild, in w e n i g e n M o n a t e n des F r ü h j a h r s 1518 in R o m gemalt, m a c h t e auf d e m W e g n a c h F r a n k r e i c h k u r z in F l o r e n z Station. B r o n z i n o w a r z u d i e s e m Z e i t p u n k t z w a r erst 15 J a h r e alt; dies schließt j e d o c h einen p r ä g e n d e n S e h e i n d r u c k keinesfalls aus. 5 4 Vielleicht
Brock, Bronzino, p. 230. Mendelsohn, Come dipingere amore, p. 102 verweist zurecht auf den Transformationsprozeß in der Musteraneignung: „The process of replicating antiquity in paint, using Michelangelo's Venus was, however, an act of re-animation, rather than imitation." 51 Leatrice Mendelsohn, die bereits im Anschluß an Levey, Freedberg und Smith auf das Raffael-Bild als Vor-Bild für Bronzinos Allegorie hingewiesen hat, begibt sich allerdings dann doch wieder auf die Suche nach eindeutigen Identifikationen, indem sie das Bild als karnevaleske Vice-Versa-Version mit einfacher Umkehrung der Bildelemente interpretiert: „Se il bacio di Venere e Cupido fosse una sorta di parodia di quello tra Gesü Bambino e la Madre, il Battista sarebbe sostituito dal Gioco, e la Gelosia e Saturno sostituirebbero rispettivamente Sant'Anna e San Giuseppe" (L'Allegoria di Londra del Bronzino, p. 157); vgl. auch id., Bronzino in Pesaro and after. - Cox-Rearick, Sacred to Profane: Diplomatie Gifts, versucht anhand der beiden Bilder, den Geschmackswandel von religiösen zu erotischen Motiven in der Sammlungstätigkeit des französischen Königs zu belegen, übersieht dabei aber ihren internen ästhetischen Zusammenhang. 52 Sylvie Beguin, N e w Evidence for Rosso in France, p. 838 diskutiert einen weiteren Fall von bildlicher Intertextualität, indem sie nach einer möglichen Uberbietungsabsicht des Rosso-Bildes Bacchus und Venus fragt. Cox-Rearick nimmt sogar hypothetisch eine expliziten UberbietungsAuftrag an Bronzino bezüglich dieses Bildes an (Sacred to Profane: Diplomatie Gifts, pp. 257f.). 53 Zit. n. Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 204 [Hervorhebung durch Kursivierung von der Verf.]. Zur sfumatosen Farbgebung des Bildes vgl. Henning, Raffaels Transfiguration und der Wettstreit um die Farbe, S. 152 f. 54 Bestätigt wird diese Hypothese durch die ρentimenti in Bronzinos Bild, die die Restaurierung von 1958, eine radioskopische Durchleuchtung und eine Infrarotaufnahme ans Licht gebracht haben wobei nicht eindeutig zu entscheiden ist, ob Bronzino die Änderungen vornahm, um das Bild seinem Vorbild stärker anzunähern oder gerade eine zu deutliche Annäherung wieder abzuschwächen. Beispielsweise verstärkte er die Drehung des Cupido-Hinterns zum Betrachter hin und unterstrich damit die erotische Komponente des Bildes. Der von Kronos gehaltene Vorhang war ursprünglich grüner und damit näher am Vorbild Raffaels. Im ersten Entwurf umschlangen Venus und Cupido einander noch stärker in ihrer Umarmung, während die Idee, der Venus einen
64
3. Kunstspiel
als
Überlegenheitsdemonstration
kannte er auch Raffaello del Colles F r e s k o im O r a t o r i u m C o r p u s D o m i n i in Urbania, 5 5 das sich eng an Raffaels Bild anschließt, und/oder den vor 1524 entstandenen Stich von Gian J a c o p o Caraglio, der allerdings nur die Disposition der Hauptfigurengruppe der beiden Frauen mit den zwei K n a b e n zeigt. 5 6 E s handelt sich hier wahrscheinlich nicht um einen N a c h s t i c h des ausgeführten Werkes Raffaels, sondern um einen Stich nach dem E n t w u r f , gewissermaßen um die R e p r o d u k t i o n der ersten
invenzione.
D e r gängige P r o z e ß der Christianisierung heidnisch-antiker Bildthemen 5 7 wird in B r o n zinos B e z u g n a h m e auf Raffaels „Heilige F a m i l i e " regelrecht umgekehrt, ein kanonisches Bildthema der christlichen Ikonographie wird in einer fast blasphemisch zu nennenden Vorgehensweise paganisiert. 5 8 Allerdings war bereits in der christlichen Tradition das Verhältnis zwischen Maria und dem Jesuskind inzestuös konnotiert. Dieser allzu innigen Verbindung k o n n t e J o s e f nur machtlos zuschauen. E b e n diese Intimität zwischen M u t t e r und Sohn in Raffaels Bild 5 9 aber wird in B r o n z i n o s paganisierter Variante einer Heiligen Familie auf seine antiken Vorläufer zurückgeführt und zugleich pervertiert. Das innerfamiliäre Beziehungsgefüge der Heiligen Familie nach dem Schema eines nicht gleichschenkligen Dreiecks, dessen geistreiche Analyse wir Albrecht K o s c h o r k e verdanken, findet hier seinen
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Pfeil in die nachträglich erhobene Rechte und eine goldene Kugel in die Linke zu geben, erst später entwickelt wurde. Das gleiche gilt für den Skorpionstachel der „Fraude". Vgl. Plazzotta/Keith, Bronzino's „Allegory", pp. 90; 93-95; vgl. auch Brock, Bronzino, p. 224. Vgl. Ciardi Dupre dal Poggetto/Dal Poggetto, Urbino e le Marche prima e dopo Raffaello, p. 424; Beguin, Les peintures de Raphael au Louvre, p. 48; Dal Poggetto, Precisazioni suH'influsso di Raffaello nelle Marche, pp. 329-331. Kürzlich wurde in einer Zürcher Privatsammlung ein Bild der Raffael-Schule entdeckt, das nur die beiden Hauptfiguren zeigt und als nachträgliche, auf die Madonna und den Christusknaben reduzierte Version der „Heiligen Familie" im Louvre interpretiert wurde. Vgl. De Vecchi/Baldini, Una nuova versione della Madonna con il Bambino. Hierzu immer noch maßgeblich: Wind, Heidnische Mysterien in der Renaissance; Seznec, The Survival of the Pagan Gods. Daß Bronzino solche blasphemischen Travestien nicht fremd waren, zeigt beispielsweise der Zeigefinger des Johannesknaben aus der „Heiligen Familie mit Elisabeth und Johannes" im Louvre; vgl. Parker, Bronzino, p. 156. Ein weiteres Beispiel für ein solches Verfahren stellt Parmigianinos „Madonna della Rosa" dar, die ursprünglich als Venus-Cupido-Bild konzipiert gewesen war; vgl. Gaston, Sacred Erotica, p. 250; Chiusa, Parmigianino, pp. 148s. Vaccaro, Parmigianino. I dipinti, p. 16 spricht von „un'ingegnosa immagine in cui ogni distinzione tra pagano e cristiano si dissolve". Venus und Cupido waren wohl für den alles andere als prüden Aretino entworfen. Als sich jedoch abzeichnete, daß stattdessen Clemens VII. der zukünftige Besitzer des Bildes werden sollte, mußte es „christianisiert" werden. Marias Haltung erinnert an die der „Pudica", sie ist gleichermaßen Venus und Madonna und verweist mit ihrer artifiziellen Handhaltung auf die Genitalien des Christus-Cupido. Vgl. auch Pajes Merriman, The Cultured Quote and Some Thoughts on Mannerist Art; Franklin, The Paintings of Parmigianino, p. 18. Laut Popham ist der Globus, der ebenso wie die dicht beieinanderliegenden Entstehungszeiten der beiden Bilder den Vergleich mit dem allegorischen Porträt Karls V. nahelegt, ebenfalls eine spätere Zutat, die auf den „dominio spirituale del papa sulla terra" (Di Giampaolo, Parmigianino. Catalogo completo, p. 96) in Analogie zur weltlichen Herrschaft des Kaisers hinweise; vgl. Chiusa, ibid., p. 95; Popham, Catalogue of the Drawings of Parmigianino, n° 88, vol. 1, p. 70 (vol. 2, pi. 226-232); Vaccaro, ibid., p. 16.
59 Zur Intimität der Szene: Henning, Raffaels Transfiguration S. 152 f.
und der Wettstreit um die Farbe,
3.1. Bronzinos „ Allegorie" als Modell der Überbietung
größter Kunstvorbilder
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Kulminationspunkt: Die höchst komplizierte Sozialbeziehung einer durch göttliches Eingreifen gestörten ödipalen Triade wird auf drastische Weise ins Bild gesetzt.60 Damit ist die „Allegorie" nicht nur eine karnevaleske Parodie,61 sondern auch die respektlose Profanierung von Raffaels „Heiliger Familie", deren „poetische Idee" schonungslos freigelegt wird. Versucht man, Bronzinos „Übermalung" des Raffael-Bildes nachzuvollziehen, so liegt die Identifikation der Dreiergruppe von Maria, dem Christuskind und Josef mit Venus, Cupido und Kronos auf der Hand. Die Zweiergruppe der beiden Engel im Hintergrund wechselt auf die gegenüberliegende Seite: Die Funktion des Blumenträgers wird von Amor übernommen, der rechte Engel, der schon bei Raffael durch seinen Blick ins Grenzenlose aus der Gruppe herausfiel, verwandelt sich in das Mädchengesicht, das aus dem Bild herausschaut. Hatte der Engel über der Brust gekreuzte Arme, so sind die Arme der Mädchengestalt, wie Panofsky bemerkt hat, vertauscht: der linke wächst an der rechten Seite und vice versa.''2 Die Heilige Anna wird zur „Gelosia" links. Am problematischsten und rätselhaftesten ist die Verwandlung des Johannesknaben - und hier sieht man sofort, daß nicht der Blick auf vordergründige Identitäten aufschlußreich ist, sondern der auf Abweichungen. Diese Figur, für die in der Siebenerkonstellation Bronzinos als „Platzhalter" eigentlich nur die maskenhafte Person oben links bleibt, wird gleichsam aufgeteilt: Sie leiht ihre Haarfarbe dem Cupido, ihr zum Pfeil verwandeltes Kreuz der Venus, ihre betende Handhaltung aber dem kleinen Amor, der mit diesem Gestus jedoch etwas ganz anderes macht. Eine solche Dissemination von bedeutungstragenden Elementen ist jedoch nicht nur bei dieser Figur zu bemerken: Auch Raffaels jungfräulicher Brautstrauß scheint sich bei Bronzino über das ganze Bild verstreut zu haben - Amor trägt Rosen, ganz im Hintergrund ist Lorbeer zu sehen und links an nicht ganz jugendfreier Stelle finden wir Myrten, die die Pflanzen Aphrodites sind. Die beiden Flügel des Engels sind jetzt unter Kronos und Cupido aufgeteilt, die jeweils nur einen tragen.63 Ebenso werden geläufige ikonographische Modelle, die dem Betrachter sofort in den Sinn kommen, auf verschiedene Personen verteilt: Das Thema „Cupido als Honigdieb" ist aufgespalten in das Mädchen mit der Honigwabe und den kleinen Amor, der sich den Fuß sticht. Die rechte Hand des blumenhaltenden Engels wird zu der Cupidos, dessen gieriger Griff jedoch anderem gilt. Der grazile Fuß Mariens hat eine sehr ähnliche Faktur wie der der Venus. Heiligenscheine werden wahlweise zu Perlendiademen oder gar zu Glatzen. Die expressive Armhaltung des Engels links wird von Kronos übernommen. Das unschuldig weiße Kissen aus der Krippe des Christuskindes ist rot eingefärbt und dient Cupido als Unterlage. Es scheint, als werde der Betrachter hier Zeuge einer zeitlichen und räumlichen Verschiebung, die sich im Zwischenraum der Betrachtung der beiden Bilder, gewissermaßen beim Blick vom einen zum andern vollzogen hat. Der Cupido ist - vom Kleinkind zum Jugendlichen gereift - an die Stelle des Christuskindes getreten und hat einen Schritt nach vorne gemacht; Maria ist - zwischenzeitlich entkleidet -
60 Koschorke, Die Heilige Familie und ihre Folgen, v.a. Kap. 8: Kombinatoriken I: Die Mutter-SohnAchse, S. 4 2 - 5 6 . Ahnlich Cohen, The Ambivalent Scorpio, p. 184, die die gleiche Strategie der Übertragung der Josefsrolle auf Kronos in Bronzinos persiflierender Übernahme von Michelangelos Doni-Tondo herausarbeitet. Vgl. auch Mendelsohn, C o m e dipingere amore, p. 103. 61 So Mendelsohn, Saturnian Allusions, p. 118. 62 Panofsky, Studien zur Ikonologie, S. 122. 63 Vgl. hierzu Brock, Bronzino, p. 222.
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3. Kunstspiel als
Überlegenheitsdemonstration
als Venus zu Boden gesunken. Ihr herabgefallener blauer Mantel liegt noch unter der Venus, um Raffaels Vorhang aber streiten sich jetzt Kronos und die Maskenfrau. Kronos als Inkarnation der Zeit enthüllt die Travestie, die sich im abime zwischen den beiden Bildern vollzogen hat. Die braunen Farbakzente der Gewänder bei Raffael scheinen ins Inkarnat von Kronos und Gelosia gewandert zu sein. Der Saum des ehemaligen Madonnenmantels ist nur noch bruchstückhaft zu sehen, da Bronzinos Bild am unteren Rand um ca. fünf Zentimeter verkürzt wurde:64 Allzu gerne hätte man die Stelle genauer untersucht, auf der Raffael seine Künstlersignatur angebracht hatte. Oder hat Bronzino seinen Namen in eine Farbsignatur verwandelt, indem er Kronos ein so gebräuntes Gesicht gab? In jedem Fall kennzeichnen die Zerstückelung und Neuzusammensetzung einen ausgesprochen souveränen und autonomen Umgang mit Vorbildern, dem das Prädikat „modern" angemessen ist. Schon Goethe hatte „Manier" im Gegensatz zu „Styl" als individuelle Neugestaltung eines bekannten Themas definiert: Der Künstler „erfindet sich selbst eine Weise, macht sich selbst eine Sprache, um das, was er mit der Seele ergriffen, wieder nach seiner Art auszudrücken, einem Gegenstande den er öfters wiederholt hat eine eigne bezeichnende Form zu geben, ohne, wenn er ihn wiederholt, die Natur selbst vor sich zu haben, noch auch sich geradezu ihrer ganz lebhaft zu erinnern." 65 Die kreative Subjektivität des Künstlers ermöglicht die Entstehung von etwas genuin Neuem, das nicht mit ikonographischem Identifizierungsfleiß und dem Durchsuchen von Emblembüchern allein zu verstehen ist, zumal ikonographische Muster in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts noch nicht gänzlich verfestigt sind, sondern ihre abschließende Kodifizierung erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erfahren.66 Bei Bronzino zieht die Dynamik der Lenkung des Blicks im Bild den Betrachter in einen unabschließbaren Kreislauf der möglichen Deutungen hinein jedesmal, wenn er eine Stelle in diesem Kreis wiederzuerkennen glaubt, hat sich die Bedeutung des vermeintlich schon gedeuteten Elementes wieder verschoben.67
3.2. Die „Allegorie" als gemalter Beitrag zurp^mgone-Debatte? Manieristische Kunst ist Kunst, die sich auf Kunst bezieht, keine Traktat-Illustration. Geistiger Wettstreit und künstlerische Uberbietung sind Strategien, die in Bronzinos Bild selbst Thema werden und nicht nur in der gelungenen Überlistung Cupidos durch Venus 64 Plazzotta/Keith, Bronzino's „Allegory", p. 91. 65 Goethe, Auszüge aus einem Reise-Journal, S. 187f. 66 Vgl. Cheney, Bronzino's London Allegory, p. 16: „The conception of allegorical personification here is synthetic, allusive, unstable rather than concrete, and static, as it would be a generation later in Ripa's Iconologia. Figures, even attributes, are continually shown to have new meanings as they are read in new configurations. And interpretations of the Allegory do not so much displace each other as convey a cumulative meaning." Vgl. auch Hope, Bronzino's Allegory, p. 239, der betont, daß Bronzinos Bild zeitlich vor der abschließenden Standardisierung von Allegorien und Emblemen in Handbüchern wie dem Cartaris und Ripas entstanden sei. 67 Vgl. Frangenberg, Der Kampf um den Schleier, v.a. S. 382. Brock, Bronzino, p. 224 postuliert einen ähnlichen Prozeß für die Bildentstehung und spricht vom „Statut evolutif de la conception"; der Maler habe das Bild sukzessive und - immer wieder auf seine eigenen malerischen Vorgaben reagierend - mit Bedeutungskomponenten angereichert.
3.2. Die „Allegorie" als gemalter Beitrag zur paragone-Debatte?
67
allegorisch verdichtet sind. In dieser Lesart wäre „Invidia/Gelosia" der Künstlerneid derjenigen Kollegen, die diesen Grad an Virtuosität nicht erreicht haben. Es verwundert daher nicht, daß der herausragende Gegenstand der italienischen Kunstliteratur um 1550, der paragone, in diesem Bild auch explizit thematisiert wird. 68 Der Maler wird hier - wie Sydney Freedberg so treffend bemerkt hat 69 - zum umgekehrten Pygmalion, indem er seine Figuren skulptural erstarren läßt.70 Und er malt nicht nur Marmorskulpturen, sondern scheint im Kronos auch den Bronzeguß mit malerischen Mitteln darstellen zu wollen. Bildinterne Thematisierungen kunsttheoretischer Topoi waren ein gängiges künstlerisches Verfahren in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Als Gründungswerk solcher visueller Umsetzungen von Theoremen etablierten bekanntlich Paolo Pino und Vasari das berühmte, heute verlorene „demonstration piece" von Giorgione, das mit Hilfe von Spiegelungen gleich sechs verschiedene Ansichten ein und derselben Person zeigte.71 Ähnlich wie in der /wragone-Debatte der Kunstliteratur zeichneten sich die gemalten Beiträge zur Kunstdiskussion nicht immer durch übertriebene Subtilität und Innovativität aus - die meisten Argumente wurden in diesem „sophistischen Tauziehen" 72 relativ stereotyp wiederholt. Bronzino selbst hat in seinem „Pygmalion" einerseits der Diskussion um die Fähigkeit von Malerei, verlebendigend zu wirken - ein immer wieder aufgerufener Nebenstrang der eigentlichen paragone-Debatte - , bildlich neue Argumente geliefert, andererseits die antike Künstleranekdote vom Stier des Pausias prominent ins Bild gesetzt.73 Perfiderweise zog er in diesem Bild ausgerechnet Pygmalion heran, der für den Prototyp des Bildhauers stand, um die Überlegenheit der Malerei zu demonstrieren. Besonders beliebt - da mit malerischen Mitteln leicht zu bewerkstelligen - war die bildliche Auseinandersetzung mit einem Argument, das von den Bildhauern immer wieder als
68 Zum paragone in der Kunstliteratur vgl. Mendelsohn, Paragoni; LaBarbera, Ii paragone delle arti nella teoria artistica del Cinquecento; Lepper, Der „Paragone"; Kat. Wettstreit der Künste (insbesondere die Beiträge von Stoichita, Malerei und Skulptur im Bild; Hessler, Maler und Bildhauer im sophistischen Tauziehen; Preimesberger, Liebe zu Skulptur und Malerei); Martin, Savoldos sogenanntes Bildnis des Gaston du Foix; Nova, Paragone-Debatte und gemalte Theorie; Preimesberger, Motivi del „paragone" e concetti teorici nel discorso sopra la scultura di Vincenzo Giustiniani; id., Zu Jan van Eycks Diptychon der Sammlung Thyssen-Bornemisza; Barocchi, Der Wettstreit zwischen Malerei und Skulptur: Benedetto Varchi und Vincenzo Borghini; Thomas, „The Lantern of Painting"; Brown, The Black Wings of Envy; Shearman, Giorgio Vasari and the Paragons of Art; Dundas, The Paragone and the Art of Michelangelo; Hecht, The Paragone Debate; Jacobs, An Assessment of Contour Line und den Sammelband: Im Agon der Künste. - Zur Thematisierung des paragone in der „Allegorie" vgl. Plazzotta/Keith, Bronzino's „Allegory", pp. 98 f.; Moffitt, An Exemplary Humanist Hybrid, passim. 69 Freedberg, Painting in Italy, p. 299. 70 Diese spezifische Faktur des Bildes veranlaßte Anderson zu der plausiblen Überlegung, daß Bronzino sich für die Hauptfigurengruppe von Venus und Cupido an einer antiken Skulpturengruppe orientiert haben könnte; vgl. Anderson, Α „Most Improper Picture", pp. 2 3 - 2 4 . 71 Vgl. Mendelsohn, Paragoni, p. 151. 72 Vgl. Hessler, Maler und Bildhauer im sophistischen Tauziehen. 73 Satzinger, Der Stier des Pausias, passim; zu Bronzinos „Pygmalion": Brock, Bronzino, pp. 5 2 - 5 6 ; Satzinger, ibid., S. l l l f . ; vgl. auch Preimesberger, Liebe zu Skulptur und Malerei, v.a. S. 105f.; Blühm, Vom Leben zum Bild - vom Bild zum Leben; Bätschmann, Belebung durch Bewunderung; Koschorke, Pygmalion als Kastrat.
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3. Kunstspiel als
Überlegenheitsdemonstration
Argument für ihre Überlegenheit ins Feld geführt wurde: das der Mehransichtigkeit von Skulpturen im Gegensatz zur vermeintlichen Eindimensionalität der Malerei. Der Cupido in Bronzinos „Allegorie" ist teils in der Vorder-, teils in der Rückansicht dargestellt und setzt diesen Diskussionspunkt mit deutlichem Akzent auf dem Hinterteil ins Bild. Noch provokanter wird die gleiche paragone-Botschaft in Bronzinos Porträt des nackten Hofzwerges Morgante von vorne und von hinten thematisiert (Tafel 15). Denn mit diesem Doppelbild zeigt der Maler, daß es nur eines banalen Taschenspielertricks bedarf, um die Argumente der Bildhauer aus dem Feld zu schlagen - was ist simpler, als die gleiche Person einmal in der Vorderansicht und einmal in der Rückansicht zu malen? Er kritisiert damit implizit die Forderung nach Mehransichtigkeit und deklassiert sie als für die Malerei irrelevant. En passant zeigt er in diesen beiden Bildern dem Betrachter, daß der Maler in der Lage ist, nicht nur räumlich mehransichtig zu arbeiten, sondern zugleich auch eine innovative zeitliche Komponente ins Bild zu integrieren: Ebenso wie der doppelte „David und Goliath" des Daniele da Volterra (um 1555) nicht einfach Vorder- und Rückseite des gleichen Geschehens darstellte, so zeigte bereits der „Morgante" als besonderen Clou eine fast unmerkliche zeitliche Verschiebung in der Verdoppelung.74 Während der Betrachter zur Rückseite des Bildes fortgeschritten ist, scheint der Dargestellte seinen Kranz abgelegt und seine Rolle als Bacchus aufgegeben zu haben. Er hat den voyeuristischen Blick des Betrachters verfolgt und seinen Kopf nach hinten gewendet. Die weise Eule, die inzwischen auf seine Schulter geflogen ist, deutet an, daß er nicht ohne weiteres zu überlisten ist. Seine körperliche Deformation 75 hat sich nicht auf seinen Intellekt ausgewirkt - so schnell macht er sich nicht zum Hofnarren. Doch beherrscht er in seiner Rolle als Hofzwerg virtuos die Register des Burlesken. Schon sein Name ist ein parodistisches Spiel mit Größenverhältnissen, persifliert er doch Luigi Pulcis gleichnamiges Versepos, dessen Protagonist ein gutartiger Riese gewesen war.76 Doch das kritische Potential dieses Zwergenbildes ist damit noch nicht erschöpft: Die Überbietungslogik der Konkurrenz, die nach Rona Goffen der dynamische Motor künstlerischer Entwicklung in der Hochrenaissance (und potenziert im Manierismus) war, mündete folgerichtig in gigantomanische und größtenteils unausgeführte (da unausführbare) Riesenprojekte von Kolossalstatuen und -monumenten. Die Krönung dieser Uberbietungsanstrengungen ist nach Leonardos Sforza-Monument und Michelangelos Julius-Grabmal schließlich Cellinis noch ausführlich zu behandelndes kolossales Marsprojekt für Fontainebleau, das nicht nur Michelangelos David, sondern auch sämtliche antiken colossi um Längen überragt hätte.77 Die kunsttheoretischen Debatten um den Vorrang von Bildhauerei oder Malerei sind im Florenz der 1540er Jahre auch immer in einem künstlerischen und
74 Vgl. Thomas, „The Lantern of Painting"; Nova, Paragone-Debatte und gemalte Theorie, S. 201. 75 Vasari hatte in seiner Beschreibung des Morgante-Bildes die Monstrosität der zwergenhaften Körperbildung betont: „Ritrasse poi Bronzino, al duca Cosimo, Morgante nano, ignudo, tutto intero, et in due modi, cioe da un lato del quadro il dinanzi e dall'altro il didietro, con quella stravaganza di membra mostruose che ha quel nano [...]"; Vasari (Barocchi), vol. 6, p. 235. 76 Vgl. Brock, Bronzino, pp. 177s.; 333; Nova, Paragone-Debatte und gemalte Theorie, S. 197; Hessler, Maler und Bildhauer im sophistischen Tauziehen, S. 90. - Zugleich spielt Bronzino in seinem Bild mit den Konventionen des allegorischen Porträts; vgl. Brock, ibid., pp. 177s., der zutreffend von der „versatilite de son identite d'emprunt" spricht. 77 Vgl. Kapitel 5.2.2.3. dieser Arbeit.
3.2. Die „Allegorie" als gemalter Beitrag zur
Debatte?
69
sozialen Kontext angesiedelt, in dem de facto die Bildhauer auf Kosten der Maler zunehmend an Bedeutung gewinnen.78 Und so ironisiert Bronzinos Morgante-Porträt von vorne und von hinten die grassierende Gigantomanie solcher Kolossalprojekte, stellt selbstbewußt den gemalten Zwerg gegen den skulpierten Riesenkoloß.79 War der „Morgante" eher eine Viewer's-digest-Version der Mehransichtigkeit, so hatte Bronzino bereits mit seiner „Allegorie" spielend und in höchster Virtuosität jede mehransichtige Skulptur überboten, indem er die materielle gegen die semantische Ebene der Argumentation vertauscht hatte: Hinsichtlich ihrer Bedeutungen sind alle seine gemalten Figuren in ihrem Symbolgehalt „vielansichtig", weil sie - wie gezeigt - unzählige Varianten möglicher Deutungen zulassen. Darüber hinaus kombiniert Bronzino unterschiedliche Grade von Realität und Fiktionalität, indem er mythologische und allegorische Figuren mischt.80 Derjenige Betrachter jedoch, der sich darauf einläßt, der Malerei die Vielansichtigkeit zuzugestehen, wird in der „Allegorie" sofort - sit venia verbo - im wahrsten Wortsinn „verarscht", indem die Figura serpentinata des Cupido ihm dreist ihr Hinterteil entgegenstreckt.81 Bronzinos Bild ist somit in jeder Hinsicht ein Spiel mit malerischen Möglichkeiten, es ist eine Selbstthematisierung manieristischer Malerei. Und er zeigt damit, daß die Malerei - wie schon Leonardo in seinen fragmentarischen Äußerungen zum paragone hervorgehoben hatte82 - die intellektuellere der beiden Kunstgattungen ist. Der Maler hat im Hinterkopf, was der Bildhauer buchstäblich ausführen muß; wo dieser alles zeigen muß, kann jener sich mit Andeutungen begnügen, die mit allegorischen Mitteln auf das hinter dem schönen Schein Liegende verweisen.83 Bronzino ist Sophist aus Uberzeugung: Er dreht 78 Vgl. Mendelsohn, Paragoni, p. X X I I I . 79 Hierzu Dundas, The Paragone and the Art of Michelangelo. - Holderbaum, Α Bronze by Giovanni Bologna and a Painting by Bronzino, dokumentiert, wie Bronzinos Bild zu einem erneuten Uberbietungsanreiz für Gianbologna wurde, der in einer Kleinbronze des Zwerges ebendiejenige „compelling demonstration of the fully developed, three-dimensional spiral composition" (ibid., p. 441) bot, die das Gemälde nicht zeigen konnte. In einer Art kontinuierlich-filmischer Sequenz zeigt die Kleinbronze all ihre Ansichten, während der Betrachter des „Morgante"-Bildes die fehlenden Glieder zwischen den beiden Ansichten in seiner Phantasie selbst ergänzen muß. 80 Vgl. Brock, Bronzino, p. 217. 81 Diese Bildfindung wiederholt Bronzino dann um 1555 in seinem Bild „Venus, Cupido und ein Satyr" (heute in der Galleria Colonna in Rom); vgl. Brock, Bronzino, pp. 234-246; Kat. Venere e Amore, pp. 208-210. 82 Vgl. die bekannten Äußerungen in: Leonardo da Vinci, Sämtliche Gemälde und die Schriften zur Malerei, 147: „Zwischen der Malerei und der Bildhauerei finde ich keinen anderen Unterschied, als daß der Bildhauer seine Werke mit größerer körperlicher Anstrengung ausführt als der Maler und der Maler die seinen mit größerer geistiger Anstrengung"; ibid., S. 150: „Aber die Malerei ist eine wunderbare Kunst und von feinster Spekulation durchdrungen, was der Bildhauerei völlig fehlt, weil sie nicht viel zu sagen hat"; ibid., S. 153: „Also hat die Bildhauerei auf weniger zu achten und ist infolgedessen eine geringere Anstrengung für den Geist als die Malerei." 83 Vgl. Castiglione, Cortegiano, lib. I, cap. LI, p. 107: „E se ben il pittore non fa la figura tonda, fa que' musculi e membri tondeggiati di sorte che vanno a ritrovar quelle parti che non si veggono con tal maniera, che benissimo comprender si po che Ί pittor ancor quelle conosce ed intende." Castiglione hatte im Cortegiano (lib. I, capp. X L I X - L I I I , pp. 103-112) bereits das gesamte argumentative Repertoire der späteren Airagowe-Diskussion entfaltet. Aufgerufen werden dort die Themen: Naturnachahmung versus Erfindung der Künstlerphantasie; Redlichkeit versus Virtuosität; Sein versus Schein und Augentäuschung; Anstrengung versus Leichtigkeit; Dreidimensiona-
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3. Kunstspiel
als
Überlegenheitsdemonstration
das p l a t o n i s c h e A r g u m e n t d e r Bildhauer, die S k u l p t u r sei w a h r e r u n d d a m i t s c h ö n e r als die Malerei, da diese n u r darauf aus sei, d e n Blick z u täuschen, 8 4 o f f e n s i v u m , i n d e m er d e r g e k o n n t e n A u g e n t ä u s c h u n g eine h ö h e r e ästhetische Q u a l i t ä t z u s p r i c h t als d e r p l a t t e n W a h r h e i t . E r löst sich d a m i t aus d e n Fesseln d e r M i m e s i s f o r d e r u n g u n d p o s t u l i e r t i m p l i z i t , d a ß erst die E r f a h r u n g d e r D i f f e r e n z u n d d e r A b w e i c h u n g , in d e r d e r B e t r a c h t e r die I l l u s i o n als I l l u s i o n e r k e n n t , z u ä s t h e t i s c h e m G e n u ß f ü h r t . D e r Schein ist s c h ö n , selbst w e n n er U n m o r a l i s c h e s v o r f ü h r t ; die T ä u s c h u n g ist d e r A u s w e i s h ö c h s t e r k ü n s t l e r i s c h e r V i r t u o s i t ä t u n d zugleich die eigentliche W a h r h e i t : So lautet B r o n z i n o s g ä n z l i c h u n p l a t o n i s c h e B o t s c h a f t an d e n B e t r a c h t e r d e r „ A l l e g o r i e " . D i e s e r ist k o n s t i t u t i v e r Teil des Spiels d e r A u g e n t ä u s c h u n g : D i e m o n s t r ö s e Schlange m i t d e m s ü ß e n M ä d c h e n g e s i c h t u n d d e m h e r m e t i s c h v e r s c h l o s s e n e n Blick r e c h t s w u r d e v o n M o f f i t t z u t r e f f e n d m i t einer S p h i n x verglichen. 8 5 Sie scheint d e m v e r s t e i n e r t e n B e t r a c h t e r die F r a g e n a c h d e m Sinn des Bildes z u stellen, u n d er hat - w i e bei S p h i n g e n ü b l i c h - n i c h t s G u t e s z u e r w a r t e n , w e n n es i h m n i c h t gelingen sollte, sie z u b e a n t w o r t e n . Z u g l e i c h ist die
lität versus Flächigkeit; Verlebendigung durch Rundung versus Verlebendigung durch Licht und Schatten sowie Perspektive. Vor allem aber wird die Malerei als die dem Höfling angemessene Kunstgattung definiert - und das nicht nur, weil es eine göttliche Kunst ist, die von den Alten hochgeschätzt wurde, sondern auch, weil sie ihm ein Instrumentarium zur kritischen Beurteilung von Schönheit (insbesondere bei Statuen!) an die Hand gibt: „E veramente chi non estima questa arte parmi che molto sia dalla ragione alieno; che la machina del mondo, che noi veggiamo coli' amplo cielo di chiare stelle tanto splendido e nel mezzo la terra dai mari cinta, di monti, valli e fiumi variata e di si diversi alberi e vaghi fiori e d'erbe ornata, dir si po che una nobile e gran pittura sia, per man della natura e di Dio comosta; la qual chi po imitare parmi esser di gran laude degno; [...] Perö basti solamente dire che al nostro cortegiano conviensi ancor della pittura aver notizia, essendo onesta ed utile ed apprezzata in que' tempi che gli omini erano di molto maggior valore, che ora non sono; e quando mai altra utilitä ο piacer non se ne traesse, oltre che giovi a saper giudicar la eccellenzia delle statue antiche e moderne, di vasi, d'edifici, di medaglie, di camei, d'entagli e tai cose, fa conoscere ancor la bellezza dei corpi vivi [...]"; ibid., lib. I, capp. XLIX und LII, pp. 104s. und 110. 84 Varchi, Disputa seconda, p. 41: „[...] la cui arte non pare che sia quasi altro che ingannare la vista". 85 Moffitt, A Hidden Sphinx. Leatrice Mendelsohn favorisiert hingegen die Deutung als Sirene; vgl. L'Allegoria, pp. 160-162. In der Deutung Pierguidis, Sull'iconografia della „Fraude", pp. 18s. handelt es sich um Dantes Ungeheuer Geryon aus Inferno XVII, 1-27; vgl. auch Moffitt, An Exemplary Humanist Hybrid, pp. 308-311. Bezeichnenderweise beschreibt Dante dieses halb menschliche, halb schlangenhafte Ungeheuer mit Skorpionschwanz, Löwenpratzen und einem buntschillernden Panzer wie eine Kunstfigur: „,Ecco la fiera con la coda aguzza, / che passa i monti e rompe i muri e Parmi! / Ecco colei che tutto Ί mondo appuzza!'. / / Si comincio lo mio duca a parlarmi; / e accennolle che venisse a proda, / vicino al fin d'i passeggiati marmi. / / Ε quella sozza imagine di froda / sen venne, e arrivo la testa e Ί busto, /ma 'n su la riva non trasse la coda. / / La faccia sua era faccia d'uom giusto, / tanto benigna avea di fuor la pelle, / e d'un serpente tutto l'altro fusto; / / due branche avea pilose insin l'ascelle; / lo dosso e Ί petto e ambedue le coste / dipinti avea di nodi e di rotelle. / / C o n piü color, sommesse e sovraposte / non fer mai drappi Tartari ne Turchi, / ne fuor tai tele per Aragne imposte. / / Come talvolta stanno a riva i burchi, / che parte sono in acqua e parte in terra, / e come lä tra Ii Tedeschi lurchi / / lo bivero s'assetta a far sua guerra, / cosi la fiera pessima si stava / su l'orlo ch'e di pietra e Ί sabbion serra. // Nel vano tutta sua coda guizzava, / torcendo in su la venenosa forca / ch'a guisa di scorpion la punta armava."
3.2. Die „ Allegorie" als gemalter Beitrag zur paragone-Debatte?
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Mädchenschlange die Inkarnation des scherzo di fantasia, des capriccio, der disparate Teile zu einem neuen Ganzen zusammenfügt. 86 Da sie vom Amor über- und verdeckt wird, sieht der Betrachter von ihr nur drei unverbundene Teile. 87 Uneindeutigkeiten und Paradoxa sind im capriccio durchaus beabsichtigt. Chiffrenhaft zusammengefaßt wird die Absurdität des Deutungsspiels in der aus dem Repertoire der Grotesken entlehnten Zwitterfigur auf dem Diadem der Venus: Zwar ist dieser Hermaphrodit klein und blieb daher in den bisherigen Deutungen fast immer unbeachtet 88 - in der Gesamtkomposition des Bildes aber nimmt er eine zentrale Stelle als Chiffre für die künstlerische Freiheit und autonome Phantasietätigkeit des Malers ein. 89 Er schlägt sich ein Buch auf den Kopf, als wolle er damit die Nutzlosigkeit von gelehrtem Buchstabenwissen für die Lösung des Bildrätsels sinnfällig machen. Derartige Umkehrungen von Größenverhältnissen, Verkleinerungen von Bedeutendem, das Herausstellen von scheinbar Nebensächlichem sind manieristische Strategien der Bildkomposition, die sich nicht nur in dieser Miniaturgroteske niedergeschlagen haben, sondern beispielsweise auch in der kleinen Heroldsfigur im Hintergrund von Parmigianinos „Madonna mit dem langen Hals". Angesichts der genannten Beispiele malerischer Kunsttheorie im CEuvre Bronzinos bietet es sich an, in der Deutung der Selbstthematisierung von Malerei in der „Allegorie" noch einen Schritt weiter zu gehen. Bekanntlich ist Bronzinos (undatierte) Antwort auf Benedetto Varchis berühmte paragone-Umfrage vom Jahr 1546 unvollständig. Der Brief beginnt mit einer litaneiartigen Aufzählung der ad. nauseam bekannten Argumente der Bildhauer: Von der nobilitä, difficolta und fatica über die perpetuita, utilita, universalita, dignita und virtuosita bis hin zur industria, dem giudizio und der höheren diligenza werden alle Qualitäten von Skulpturen benannt, die zu ihrer generellen Überlegenheit in der imitazione della natura und in der verita beitragen. 90 Doch die Argumentation bleibt Fragment, sie bricht genau an der Stelle ab, an der eigentlich die positiven Argumente für die Überlegenheit der Malerei angeführt werden müßten. Es macht den Eindruck, als habe der Künstler an einem bestimmten Punkt seiner kleinteiligen Widerlegung altbekannter Argumente die Lust daran verloren. Vasari hatte in seinem eigenen Brief vom 12. Februar 1547 an Varchi eine alternative Möglichkeit der Erwiderung neben der schriftlich fixierten theoretischen Äußerung eröffnet, als er - Michelangelos Theorieverweigerung in dessen Antwort paraphrasierend - schrieb: „Al quale s'io non l'ho sodisfatto, perdoni a me che la penna non m'e si facile come mi suole il pennello essere, dicendovi che volentieri e piü vi arei fatto un
86 Vgl. Moffitt, A n Exemplary Humanist Hybrid, pp. 3 1 4 - 3 1 7 ; die „blühende" Phantasie des autonomen Künstlers, die das Bild bestimmt, könnte in dem blumenstreuenden A m o r verbildlicht sein. 87 Vgl. Brock, Bronzino, p. 221, der das hieraus resultierende Oszillieren zwischen Zeigen und Verbergen dieses Hybridwesens beschreibt. 88 Brock behauptet dagegen in seiner Interpretation des Bildes (Bronzino, pp. 218; 234), es handele sich um eine Frauenfigur, die Prudentia darstelle. Zuweilen scheint er nicht so genau hingeschaut zu haben, wie es diese miniaturisierte Skulptur vom Betrachter fordert (wie er selbst schön herausstellt), denn er sieht in der goldenen Kugel der Venus eine Zwiebel dargestellt (ibid., p. 218). Mendelsohn, Saturnian Allusions, p. 104 deutet die Zwitterfigur als Venus Anadyomene oder als Sirene. 89 Vgl. Moffitt, A n Exemplary Humanist Hybrid, p. 321: „[...] those inevitably grotesque and monstrous hybrids wholly engendered by their vocational fantasia, had long since implicitly become a standard symbol f o r artistic license and freedom." 90 Bronzino, in: Trattati d'arte del Cinquecento, vol. 1, pp. 6 3 - 6 7 .
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3. Kunstspiel als
Überlegenheitsdemonstration
quadro che questa lettera". 91 Ob diese Vorstellung eines malerischen Substituts bereits auf die Kenntnis von Bronzinos Bild zurückging, ist aufgrund der nicht eindeutig vorzunehmenden Datierung nicht zu klären. 92 Es ist aber ohne weiteres denkbar, daß Bronzinos Bild die Leerstelle in seiner eigenen schriftlichen Argumentation füllen sollte oder im Florentiner paragone-KMma der 1540er Jahre bereits im Vorfeld der Umfrage gefüllt hatte. Sieben starke Argumente hatte er den Bildhauern für ihren vermeintlichen Vorrang vorab in den Mund gelegt - mit sieben Figuren im Bild widerlegt er eines nach dem anderen schlagend. Bronzinos „Allegorie" demonstriert augenfällig, daß die Malerei mit ihr allein eigenen Mitteln kunsttheoretische und rhetorische Diskurse spielend substituieren kann. 93 Insbesondere in Frankreich muß dieses Bild eine fruchtbare Rezeption erfahren haben, denn dort war man in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gänzlich auf solche malereiinternen Thematisierungen potentieller Diskurse über Kunst angewiesen, da zu diesem Zeitpunkt dort noch keine die Kunst flankierende theoretische Kunstliteratur existierte. 94 Einige dieser gemalten Argumente sollen im folgenden nur kurz aufgerufen werden: Die Unfähigkeit, Körper „rund" darzustellen, wurde von Varchi in seiner Disputa seconda, die auf den schriftlichen Antworten seiner Künstlerkollegen auf die Umfrage basierte, als Manko der Malerei hervorgehoben 95 - die goldene Kugel in der Hand der Venus scheint den Gegenbeweis zu liefern, daß die Malerei mindestens ebenso zur plastischen Gestaltung in der Lage ist wie die Bildhauerei. Bronzinos „Allegorie" scheint geradezu eine Passage in Varchis Lezzione im Vorgriff auszumalen, in der der Philosoph die difficoltä und die fatica der Bildhauer zu beweisen sucht, indem er möglichst viele Virtuosenstücke von komplizierten Haltungen berühmter zeitgenössischer Skulpturen benennt: Ε ancora gran fatica l'avere a ritrovare in un marmo e poi condurvi mediante lo scarpello alcun membro che tocchi piü membra in qualche attitudine difficile, e sia proporzionato a l'altre, e convenga con tutta la figura, come si vede nella Notte di Michelagnolo e nel Duca Lorenzo, ο vera-
91 Trattati d'arte del Cinquecento, vol. 1, p. 63. Vgl. auch Nova, Paragone-Debatte und gemalte Theorie, S. 197, der vor allem Bronzinos Hang zur Ironie betont. 92 Mendelsohn, Paragoni, p. 101 geht davon aus, daß Bronzinos Bild Florenz spätestens 1547 in Richtung Frankreich verlassen hatte. Brock hingegen besteht auf einer früheren Datierung zwischen 1544 und 1545 (Bronzino, pp. 217f.). Meine Hypothese, daß das Bild Bronzinos eigentliche A n t wort auf Varchis Umfrage darstellt, würde zu einer Datierung auf die Zeit um 1546/Anfang 1547 führen, sofern man nicht von einem gemalten Diskussionsbeitrag im Vorfeld der Umfrage ausgeht. Daß der „Morgante" Bronzinos eigentliche Paragone-Antwort gewesen sei, wie Holderbaum, Α Bronze by Giovanni Bologna and a Painting by Bronzino, pp. 442 f. annimmt, scheint mir aufgrund der geringen Komplexität der innerbildlichen Argumentation fraglich; vgl. auch Mendelsohn, ibid., p. 151. 93 Daher ist auch zu bezweifeln, daß es sich bei Rossos ironischem Umgang mit großen Kunstvorbildern in der Grande Galerie um eine reine Übertragung ,,tradierte[r] Verfahren der rhetorischen Ironie" aus den Schriften zur antiken Rhetorik in die manieristische Bildsprache handelt, wie Brassat (Das Historienbild im Zeitalter der Eloquenz, S. 275) annimmt. Dazu mehr in Kapitel 6 dieser Arbeit. 94 Chastel, French Renaissance Art, p. 87 hat in diesem Zusammenhang zutreffend von einem „discours figure, original and complex" gesprochen. Zum nördlichen „Theoriedefizit" vgl. die programmatische Einleitung von Svetlana Alpers zu Kunst als Beschreibung. 95 Varchi, Disputa seconda, p. 42.
3.2. Die „ Allegorie " als gemalter Beitrag zur paragone-Debatte?
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mente fare un membro spiccato, comme sarebbe un braccio in aria, e tanto piü se avesse in mano alcuna Cosa [wie die Venus den Pfeil], come si vede nel bellissimo, anzi miracoloso Bacco di M. Iacopo Sansovino. 96
Michelangelos Postulat, die Hand des Bildhauers müsse dem Intellekt gehorchen („la man che ubbidisce all'intelletto" 97 ), indem sie die Form realisiere, die der Geist entdeckt habe, scheint von Bronzinos Cupido ironisierend illustriert zu werden, indem dieser - ganz anderen Instikten als dem Intellekt folgend - die Brustwarze seiner statuengleichen Mutter anfaßt (sich gewissermaßen mit dem Tastsinn von ihrer Realität überzeugt 98 ) und sie zugleich wie in einer natürlichen Fassung preziosengleich präsentiert. Auch Venus ist äußerst fingerfertig in ihrem Diebstahl des Pfeiles; sie selbst bietet sich qua Inkarnation sinnlicher Schönheit als Allegorie der Malerei an - in Michelangelos genanntem Vor-Bild „Venus und Cupido" hatte sie ihren Pfeil wie einen Pinsel oder Malstock gehalten. Das oft bemühte Argument der Bildhauer, die Skulptur sei dauerhafter und damit universeller als die Malerei, kontert die „Allegorie" durch die zeitliche Stillstellung der Handlung in der Momentaufnahme, die die Figuren wie in einem tableau vivant erstarren läßt: 99 Zu diesem Eindruck der Zeitenthobenheit trägt die extreme Flächigkeit der Malweise bei, die vorgibt, oberflächlich zu sein, jedoch umso mehr „perspektivische" Tiefe durch die Vielfalt an Bedeutungen gewinnt, die sich hinter dem Bild für den phantasiebegabten Betrachter auftut.100 Daß ausgerechnet Kronos diesen Akt der Erstarrung herbeigeführt zu haben scheint, ist eine der vielen ironischen Brechungen, die Bronzino seinem Bild mitgegeben hat. Der Maler füllt nicht nur machtvoll den Bildraum bis in die letzte Ecke aus, sein Pinsel gebietet auch über die Zeit im Bild. Wenn die Bildhauer sagen, es sei „piü bello e dilettevole trovare in una sola figura tutte le parti che sono in uno uomo ο donna ο altro animale, come il viso, il petto e l'altre parti dinanzi, e volgendosi trovare il fianco e le braccia e quello che l'accompagna, e cosi dietro le schiene, e vedere corrispondere le parti dinansi a quelle dallato e di dietro", 101 so stellt der Maler diese Vielansichtigkeit nicht nur im Rahmen der Simultaneität der Anschauung her, sondern kombiniert sogar Frau und Tier in der Mädchenfigur mit der Honigwabe sowie Frau und Mann im Diadem der Venus. Und auch der Anspruch von Skulpturen auf stärkere erotische Ausstrahlung wird mit Bronzinos Bild spielend widerlegt.102 Wenn der Bildhauer fordert, man müsse „vedere come i muscoli cominciano e come finiscano", 103 kann Bronzino ihn nur müde lächelnd auf den ausgestreckten Arm seines
96 Varchi, ibid., p. 47. 97 Im oft zitierten Sonett „ N o n ha l'ottimo artista alcun concetto"; Michelangelo Buonarroti, Rime, n° 151, p. 82. 98 Varchi, Disputa seconda, p. 41 spricht von „certificarci, del tatto". 99 Vgl. Mendelsohn, Saturnian Allusions, p. 111. 100 Daher ist auch zu fragen, ob Bronzinos Argument in seinem Brief an Varchi, die wahre Kunst spiele sich im Kontur und an der Oberfläche des Kunstwerks ab, nicht auch eine ironische Bemerkung ist: „ [ . . . ] solo e dell'arte le linee che cercondano detto corpo, le quali sono in superficie"; in: Trattati d'arte del Cinquecento, vol. 1, p. 67. N a c h diesem „schlagenden" Argument bricht Bronzinos Antwort dann bezeichnenderweise ab. 101 Bronzino, ibid., p. 65. 102 Hierzu Brock, Bronzino, p. 218. 103 Bronzino, in: Trattati d'arte del Cinquecento, vol. 1, p. 65.
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3. Kunstspiel als
Überlegenheitsdemonstration
Kronos verweisen, der diese anatomischen Details vorbildlich vorführt. Kronos befindet sich im contrapposto zu seinem weiblichen Pendant auf der linken Seite; doch diese Opposition wird - obgleich sie sich dialektisch gibt - in keiner Synthese aufgehoben. Es gibt viele derartige „Doppelungen" und interne Kommentierungen unter den dargestellten Figuren, so zwischen Venus und dem Mädchen hinter ihr, das ebenfalls ein Perlendiadem trägt, zwischen Cupido und Amor und zwischen den beiden schreienden Figuren am linken Bildrand.104 Solche „wiederholten Spiegelungen" waren bereits in Raffaels „Heiliger Familie" durch die beiden Mutter-Kind-Paare angelegt gewesen. Doch zu meinen, Bronzino nutze sein Bild, um einseitig Stellung für die Malerei zu beziehen, hieße, die Subtilität und den Witz seiner malerischen Antwort zu unterschätzen. Man hat den Eindruck, daß Bronzino vielmehr die ganze Diskussion um den paragone, die sich auf die Frage nach der Effektivität einer möglichst illusionistischen Augentäuschung reduzieren läßt, als das entlarvt, was sie ist: als ein Scheingefecht, eine Debatte um der Debatte willen, die er mit künstlerischen Mitteln in seinem Bild ad absurdum führt, indem er ihre Erstarrung aufzeigt. Das inzestuöse Gebaren von Venus und Cupido wäre dann auch ein Symbol für das unfruchtbare Kreisen der paragone-Debatte um sich selbst. Aber auch auf einer allgemeinen Ebene ist das Trügerische jedes Illusionismus' und damit dessen vanitas Bildthema. Die Tatsache, daß „fraude" als Figur im Bild zu finden ist, dient als Fingerzeig für den Betrachter, genauer hinzusehen, sich nicht vom ersten Eindruck täuschen zu lassen. Gerade in der Unauflösbarkeit, in der Weigerung, sich auf eine Bedeutung festlegen zu lassen, demonstriert nicht nur Bronzinos „Allegorie", sondern manieristische Malerei überhaupt ihre Überlegenheit. Diese Kunst ist mehr als Naturnachahmung, sie ist gesteigerte Kunst, hochkomplizierte Künstlichkeit, die sich unangestrengt-virtuos - also sprezzaturahaft - präsentiert. Die Frage der paragone-Debatte nach der illusionistischsten Naturnachahmung ist für diese Kunst gar keine Frage mehr: 105 Vielleicht wirken deshalb die traditionellen Attribute der imitazione, die Masken nämlich, auf Bronzinos Bild paradoxerweise realer als die Gesichter der „lebendigen" Figuren. Zwar sind sie abgelegt und werden scheinbar nicht mehr zur Sinnestäuschung eingesetzt; als Allegorien der imitatio aber zitieren sie die Gesichter von Kronos, Venus und der Maskenfrau, die in der Bilddiagonale direkt ihr maskenhaftes Gegenbild anstarrt. Diese Kunstfigur wiederum könnte eine Verbildlichung des chiaroscuro darstellen - der Maler nutzt sie aber auch, um seinen inganno auf die Spitze zu treiben: Er suggeriert dem Betrachter, dieser könne hinter die Maske auf das Eigentliche der Figur schauen, doch dieser Blick zeigt nur, daß dort nichts ist. Die beiden schnäbelnden Tauben in der linken unteren Ecke des Bildes, die traditionell für Unschuld und - möchte man auch diese Metapher auf den Betrachter ausweiten - Naivität stehen, werden mit Füßen getreten.106 Zugleich verdoppeln und banalisieren sie den Kuß der beiden Hauptfiguren. Wenn Bronzino uns hier überhaupt symbolisch eine Lehre erteilen will, so ist es wohl die, daß der virtuose Betrug die höchste Kunstform ist, die zugleich die höchsten Anforderungen an die Phantasie des Künstlers wie des Betrachters stellt und
104 Vgl. hierzu Mendelsohn, L'Allegoria, p. 156. 105 Vgl. Freedberg, Observations on the Painting of the Maniera, pp. 187f. 106 Von Lossow, Das Londoner Venus- und Kupidobild des Angelo Bronzino, S. 164 als Sinnbild der ehelichen Treue interpretiert, auf das Cupido tritt.
3.2. Die „ Allegorie" als gemalter Beitrag zur paragone-Debatte?
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ihm den höchsten Genuß in der ästhetischen Erfahrung verspricht. 107 Venus streckt ihrem Sohn nicht nur lasziv die Zunge entgegen, um ihn hinterlistig mit ihren Liebeskünsten zu betören. Sie streckt auch dem Betrachter spöttisch die Zunge heraus, der sich immer wieder neu um die Entschlüsselung des Geheimnisses ihrer Schönheit bemüht und dennoch - wie die Figur links - verzweifeln muß, da er keine abschließende Lösung finden kann - und hätte er auch alle Zeit der Welt.
107 Vgl. Mendelsohn, Come dipingere amore, pp. 98s.
4. Politischer paragone: Zeremoniell und „manieristische" Uberbietungslogik
Bevor im folgenden Kapitel der Frage nachgegangen werden soll, wieso der französische König manieristische Kunst als seiner Herrschaftsrepräsentation in herausragender Weise angemessen betrachtete und wie er sie förderte, soll hier zuerst die Herrschaftspraxis Fran§ois' Ier in zwei konkreten Fällen analysiert werden: Zwei Gipfelkonstellationen mit stark agonaler Aufladung sollen untersucht werden - zum einen in einer Mikroanalyse 1 zwei Szenen während des Zusammentreffens von Fran9ois Ier mit dem englischen König Henry VIII im Jahr 1520 auf dem sogenannten „Güldenen Feld", zum andern die berühmten Zweikampfherausforderungen zwischen dem französischen König und dem römischdeutschen Kaiser 1526/28 und 1536. Anhand dieser exemplarischen Analysen lassen sich Modernität, Autonomie, die selbstbewußte Errichtung raum-zeitlicher Neuordnungen und das Aufbrechen verordneter Symmetrien und Handlungsabläufe als Strukturmerkmale herausarbeiten, die gleichermaßen bei der Analyse politischen Handelns wie bei der Untersuchung der von Frangois bevorzugt geförderten Kunst zu finden sind. Das stark personalisierte Herrschaftsverständnis der frühen Neuzeit rechtfertigt es, solche „Gipfelkonstellationen" zwischen zwei Herrschern als besonders aussagekräftig zu betrachten - gewissermaßen als Kristallisationspunkte politischen Handelns und herrscherlicher Selbstdarstellung auf höchster diplomatischer Ebene. Im Hinblick auf die Chronologien und den Primat der „Erfindung" läßt sich hier feststellen, daß der französische König den „manieristischen Habitus" zuerst im politischen Bereich angewandt zu haben scheint, bevor er ihn dann auf die Kunstförderung übertrug.
4.1. Frankreich gegen England: Das Treffen auf dem Güldenen Feld 1520 Sowohl Roman Schnur in seiner Untersuchung von Individualismus und Absolutismus als auch Michael Stolleis in seinem aufschlußreichen Text über die Arcana imperii verwenden den Begriff eines „politischen Manierismus" 2 . Stolleis setzt das Phänomen, das er im 1 Die hier vorgelegte Strukturanalyse geht im Sinne des in der Einleitung skizzierten Theoriemodells der Objektiven Hermeneutik über eine reine „dichte Beschreibung" ä la Clifford Geertz hinaus, da sie nicht nur den manifesten Sinngehalt der in den Quellen protokollierten historischen Handlungen durch möglichst dichte Zusammenstellung hervortreten lassen möchte, sondern versucht, zu ihrem latenten Sinngehalt vorzudringen. 2 Stolleis, Arcana imperii, S. 5; 19; Schnur, Individualismus und Absolutismus, S. 22; 32 et passim,
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4. Politischer
paragone: Zeremoniell
und„manieristische"
Überbietungslogik
Kontext des Tacitismus untersucht, allerdings erst ganz ans Ende des 16. Jahrhunderts und verzichtet auf einen Vergleich mit früheren oder zeitgleichen ästhetischen Phänomenen. Es wird daher nicht ganz deutlich, welche strukturellen und handlungstheoretischen Merkmale ihn zur Übernahme ausgerechnet des Manierismus-Begriffs geführt haben. Was den spezifisch „manieristischen" Habitus beziehungsweise die „Modernität" der Herrschaftspraxis Francis' Ier ausmacht, läßt sich anhand einiger, für die Interaktion der beiden Herrscher besonders aufschlußreicher Sequenzen des achtzehntägigen, mit größtmöglichem Pomp und Prachtaufwand abgehaltenen Herrschertreffens bei Calais 1520 schlaglichtartig beleuchten. 4.1.1. Die Ausgangslage Die bereits beschriebene Dreierkonstellation in der Konkurrenzsituation der jungen europäischen Potentaten3 dauerte in dieser Form nur bis Oktober 1518 an, denn ab diesem Zeitpunkt war klar, daß Karl von Spanien den Wettstreit um die Kaiserkandidatur gewonnen hatte und sich damit auf einer anderen Ebene der politischen Macht als Frangois Ier und Henry VIII befand. Die direkte Konkurrenz vollzieht sich ab diesem Zeitpunkt also unterhalb der imperialen Ebene in einer Zweierkonstellation, in der die tatsächlichen, da von Erziehung, Bildung und intellektueller Prägung vergleichbaren Rivalen der englische und der französische König sind.4 Sie treten auf der europäischen Herrscherbühne von Anfang an auch in einen physischen „beauty-contest" ein,5 bei dem Karl aus leicht ersichtlichen Gründen ohnehin als Konkurrent nicht in Frage gekommen wäre. Sebastiano Giustinian, der venezianische Botschafter am englischen Hof, konstatiert bereits nach kurzem Aufenthalt dort „the existence between the two young Kings of so great a rivalry of glory" 6 und beschreibt Henry VIII im Jahr 1519 als den schönsten Herrscher des Abendlandes, vergißt aber nicht, den Franzosen sogleich als potentiellen Rivalen zu benennen: Henry sei
der den politischen Manierismus allerdings erst 1598 einsetzen läßt. Umgekehrt ist der primär politische Begriff des „duello" auch in der kunsttheoretischen Debatte der Renaissance zu finden. In diesen künstlerischen Auseinandersetzungen werden in A r t allegorischer Rollenspiele zwischen den Kontrahenten Einfallsreichtum, formale Vollendung und graziler Stil honoriert - wie auch in den Turnieren der Zeit; vgl. Mendelsohn, Paragoni, p. 40. 3 Vgl. Kapitel 2.2. dieser Arbeit. 4 Der parteiische Fleurange disqualifiziert Henry von Anfang an in diesem Konkurrenzverhältnis. Darstellungsstrategisch geschickt stellt er im Bericht über die Kaiserwahl, der dem über das Güldene Feld unmittelbar vorausgeht, Henry als absolut chancenlos, Frangois und Karl hingegen als gleichrangig dar: „J'avois oublie ä mettre que le roy d'Angleterre y faisoit pourchas, aussi bien que le roy de France et le roy Catholique; mais les angelots n'y fisrent non plus de miracles que les escus au soleil. Les electeurs estans en conclave feurent de diverses opinions; car on en trouvoit autant du coste du roy de France que du coste du roy Catholique; mais, du coste du roy d'Angleterre, pas un [...]"; ibid., p. 68. 5 Vgl. Guillaume du Beilay, Memoires, p. 131: „Ledit jour de la Feste-Dieu, au lieu ordonne, le Roy et le roy d'Angleterre, montez sur chacun un cheval d'Espagne, s'entre-aborderent, accompagnez, chacun de sa part, de la plus grande noblesse que l'on eust veu cent ans auparavant ensemble, estans en la fleur de leurs aages, et estimez les deux plus beaux princes du monde, et autant adroits en toutes armes, tant ä pied qu'ä cheval" [Hervorhebung durch Kursivierung von der Verf.]. 6 Giustinian, vol. 1, p. 105.
4.1. Frankreich
gegen
England
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twenty-nine years old, and much handsomer than any sovereign in Christendom, a good deal handsomer than the King of France; 7 very fair, and well proportioned. On hearing that Francis I. wore a beard, Henry allowed his own to grow. His beard was of a bright gold color. He is very accomplished [...]; a good musician; composes well; is a most capital horseman; a fine jouster; speaks French, Latin and Spanish; hears three masses a day when he hunts, and sometimes five on other days.8 In gut platonischer Tradition werden hier physische Qualitäten zu Indikatoren für H e r r schertugenden; Charisma zum äußeren Zeichen zu Recht beanspruchter Macht. Merkwürdige Rudimente mythisch-archaischen Denkens manifestieren sich im Vorfeld des Treffens als Potenzgebärde: Wie Sir Thomas Boleyn an Wolsey berichtet, schwören beide Könige 1519, ihre Bärte bis zu ihrer Zusammenkunft nicht mehr zu stutzen, 9 so als wollten sie samsongleiche Kräfte sammeln, um für die Konfrontation gewappnet zu sein. Das Renommee des französischen Königs als eines idealen (nämlich schönen und klugen) Herrschers wurde seit 1508 durch Castigliones Panegyrik im Cortegiano gezeichnet und mit dem Erscheinen der editio princeps
literarisch vor-
1528 in Gesamteuropa verbreitet. 1 0
Bereits seit 1515, nach dem französischen Sieg bei Marignano, laufen Planungen zu einem „interview" zwischen dem englischen und dem französischen König, der nach diesem Überraschungssieg als wertvoller Bündnispartner im europäischen Mächtespiel
gelten
mußte. 11 Das Klima, in dem diese Planungen reifen, ist geprägt durch die in humanistischen Zirkeln - allen voran von Erasmus in seiner Querela pacis von 1517 - geschürte Hoffnung auf einen europäischen Universalfrieden. 12 Diese irenischen Vermittlungshoffnungen können jedoch spätestens Ende 1521 als gescheitert bezeichnet werden, zumal sie eher von den humanistischen Intellektuellen als Idealvorstellung denn von den politischen Handlungsträgern als tatsächlich realisierenswerter Zustand vorgetragen wurden. 1 3 A m 2. O k t o b e r 1518 wird der Vertrag von L o n d o n („Treaty of Universal Peace") geschlossen, ein natoähnliches Bündnis und ein Nichtangriffspakt der europäischen Herrscher (einschließlich
7 Sanuto, vol. X X V I I I , col. 637: „Questo Secretario referisse quanto bello homo et alegro e questo re di Ingaltera [...]"; vol. X X I X , col. 25: „El re d'Ingaltera ä uno bello principe e piu alegro che mai vidi, et mostra quella contenteza di questa veduta che se avesse guadagnato uno grande stato"; vol. X X V I I I , col. 644 [über den französischen König]: „mai vidi Sua Maesta tanto bella quanto alora"; vol. X X I X , col. 18: „e uno bellissimo Re cosi di facia come di persona, con la barba rossa". 8 Letters and Papers, foreing and domestic, of the reign of Henry VIII [im folgenden: LP], vol. III. 1 (1519), nr. 402. 9 LP III.l (1519), nr. 416; vgl. Russell, The Field of Cloth of Gold, p. 16, die auch den Fortgang dieser Episode berichtet (vgl. LP III.l [1519], nrr. 514; 626). 10 Cortegiano, lib. I, cap. X L I I , pp. 89s. - Vgl. Russell, The Field of Cloth of Gold, p. 3. Clough, Francis I and the Courtiers of Castiglione's Courtier, diskutiert, ob ein mutmaßliches Zusammentreffen des französischen Königs mit Castiglione in Bologna 1516 seine Spuren im Cortegiano hinterlassen hätten. 11 Vgl. Giustinian, vol. 1, p. 47 (27. 2. 1515); p. 150 (17. 12. 1515): „[...] the king had determined, so soon as his most Christian Majesty returned to France, to confer with him at some place agreed on between them, and being young and fond of display, is determined on going with great pomp and sumptuously adorned, both he and his whole court" [Hervorhebung durch Kursivierung durch die Verf.], 12 Vgl. Anglo, „Le Camp du Drap d'Or", p. 113; Russell, The Search for Universal Peace. 13 Vgl. Anglo, Spectacle, Pageantry, and Early Tudor Policy, p. 133.
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Überbietungslogik
des Papstes) gegen die Osmanengefahr. 14 Bereits in diesem Vertragstext findet sich die Selbststilisierung des englischen Königs zum europäischen arbiter im Falle von Konflikten zwischen den Bündnispartnern. 15 Die Schiedsrichterrolle erhob England als dritte, ausgleichende Macht und Gerechtigkeitsstifterin über die rivalisierenden Konzepte der kaiserlichen Monarchia universalis16 und des französischen Rex christianissimus17. Während des Treffens auf dem Güldenen Feld fiel diese arbiter-Rolle allerdings mehr ihrem geistigen Urheber, Wolsey, als dem König selbst zu, da dieser in die Konstruktion zweier gleichgeordneter Partner eingebunden war. Wolsey - der in den Quellen als mediator erscheint -, 1 8 versuchte noch bis zum letzten Moment, ein Dreiertreffen unter Beteiligung Karls V. zu organisieren. 19 A m 4. Oktober 1518 folgen zwei bilaterale Verträge zwischen Frangois Ier und Henry, die den Rückkauf von Tournai für 600.000 Kronen durch Frankreich festlegen, was Karl wenig genehm war, der damit seinen Machtbereich in Flandern bedroht sah. Weiterhin fixierten sie das Eheversprechen zwischen der zweieinhalbjährigen Tochter Henrys und dem fünf Monate alten französischen Dauphin zur Besiegelung der „Freundschaft" und „Brüderlichkeit" zwischen den beiden Königshäusern. 20 Vordergründig sollte das Treffen auf dem Güldenen Feld der Ratifikation des Londoner Vertrages dienen, die jedoch bereits im Vorfeld am 6. Juni wenig spektakulär abgewickelt wurde. 21 Die tatsächliche Bedeutung des Monarchentreffens muß auf einer anderen Ebene gesucht werden. ,,[L]esdits Roys & Roynes ont ete ensemble l'espace de dix-huit jours, & ont fait le 14 Vgl. Mattingly, An Early Nonaggression Pact. - Richards, Rouen and the Golden Age, p. 129 betont, daß das Treffen auf dem Güldenen Feld 1520 „the last meeting of a united Christendom" war; ebenso Russell, The Field of Cloth of Gold, p. 190. 15 Vgl. Richardson, Entertainments for the French Ambassadors, p. 405. - Zur Rolle Englands im Vertrag von London vgl. Giustinian, vol. 2, p. 257: „According to the tenor of the discourse [von Campeggio jr.], the King of England may be styled the head of this alliance, rather than his Holiness, who has lavished every possible expression of honour upon him, somewhat to the disparagement and degradation, perhaps, of the Apostolic chair." - Auch Guillaume du Beilay, Memoires, p. 132 hebt nach dem zweiten Treffen Henrys mit Karl im Anschluß an das Güldene Feld die englische arbiter-Rolle hervor: „Apres lesquels festins et tournois, le Roy se retira ä Boulogne, et le roy d'Angleterre ä Calaiz. Toutes gens de bon jugement ne pouvoient penser de veoir jamais inimitie entre ces deux princes; mais estant le roy d'Angleterre de retour ä Calaiz, adverty comme l'esleu Empereur estoit arrive en Angleterre, venant d'Espagne, s'embarqua et le fut trouver ä Cantorbery, puis s'en vint ä Calaiz et ä Gravelines, en teile fraternite comme il avoit faict avec le Roy: oü fut accorde entre eux que lä oü le Roy et l'Empereur tomberoient en quelque differend, il seroit arbitre; et celuy qui voudroit tenir son arbitrage, il se pourroit declarer contre luy; chose contraire aux accords qu'il avoit fait avec nostre Roy." - Zum ar^zfer-Konzept vgl. Christoph Kampmann, Arbiter und Friedensstiftung, und Mattingly, An Early Nonaggression Pact. 16 Hierzu Bosbach, Monarchia universalis, passim; id., Die Propaganda Karls V. in der Kritik des Erasmus; id., Humanisten und die Monarchia Universalis; Kampmann, Universalismus und Staatenvielfalt; Yates, Astraea, pp. 1-28. 17 Vgl. Strayer, France: The Holy Land, the Chosen People, and the Most Christian King; Yates, Astraea, pp. 121-126. 18 Vgl. z.B. LP III.l (1520), nr. 629. Sanuto, vol. XXIX, col. 5: „[...] lo abochamento fato tra il re Christianissimo et el serenissimo re di Anglia, dove il reverendissimo cardinal Eboracense se faticha de pacificar quela Maestä con Franza, et voria si facesse un coloquio trino." 19 LP III.l (1520), nr. 728. 20 Ordonnances des rois de France, n° 167; 168. 21 Ibid., n° 257.
4.1. Frankreich gegen England
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plus grand triomphe & la meilleure chiere qu'on vist a jamais; & n'y a homme vivant qui vist jamais tant de noblesse & de richesse ensemble ne en si bon ordre qu'il y a eu en ladite assemblee", schreibt ein anonymer Berichterstatter über das Treffen auf dem Güldenen Feld.22 Prunkentfaltung und ostentative Freundschaftsbekundungen waren die hervorstechenden Merkmale dieses Ereignisses. In „ritueller Ostentation" 23 werden „amitie" und neugewonnene „fraternite" 24 vorgeführt, wobei der Bruderzwist bei diesen „Brüdern" angesichts der allzugroßen Ähnlichkeit bereits vorprogrammiert ist. Die Sprache der Quellen drückt die paradoxe Struktur einer aus Staatsraison geschlossenen „Freundschaft" auf Zeit in Wendungen aus wie: „new friendship contracted with the most Christian King", 25 „the league and friendship lately contracted",26 „confirmation of the amity", 27 „affectuosissime dimostration",28 „their friendship is established with as many collateral securities as possible"; 29 dasselbe aber sagen die englischen Botschafter vom Treffen zwischen Henry und Karl im Anschluß an das Güldene Feld, das sie als „show of confidence" bezeichnen. Dieses Treffens sollte, ganz dem vorherigen entsprechend, „quite efface the impression made by the French interview".30 Offensichtlich waren sich die beobachtenden Zeitgenossen der Tatsache bewußt, daß die Freundschaftsbezeugungen nur aufgesetzt und das eigentliche Thema der Zusammenkunft die Uberbietung des potentiellen Gegners war und daß die beiden Hauptpersonen keineswegs brüderliche Freunde, sondern heftige Rivalen waren,31 wie eine Quelle betont, die die Intention des französischen Königs mit „to humble the king of England" 32 umschreibt. Das vermeintlich so freundschaftliche Zusammentreffen war diplomatisch hochbrisant, hatte Henry sich doch unmittelbar vorher, vom 26. bis 30. Mai 1520, mit dem römisch-deutschen Kaiser zu Verhandlungen getroffen.33 Auch war bereits ein weiteres Treffen mit ihm sofort nach der englisch-französischen Begegnung auf dem Güldenen Feld avisiert worden.34 Francois I er setzte, eventuell in Reaktion auf diese kaiserliche Bedrohung, während
22 L'Ordre de PEntrevue, p. 181. 23 Zum Begriff: Melville, Rituelle Ostentation, der ihn am Beispiel des Ordens vom Goldenen Vlies verwendet. Mir scheint er durchaus auf das hier beschriebene Herrschertreffen übertragbar. 24 Und zwar der „amitie faicte entre eux par leurs deputez"; Guillaume du Beilay, Memoires, p. 131. 25 Giustinian, vol. 2, p. 248. 26 Ibid., p. 260. 27 L P I I . 2 (1518), nr. 4652. 28 Sanuto, vol. X X I X , col. 85. 29 L P I I I . l (1520), nr. 629. 30 LP III.l (1520), nr. 728. 31 Diese Konkurrenz allein als eine chevalereske im Sinne spätmittelalterlich-ritterlicher Ideale darzustellen, wie Giry-Deloison es in seiner Einleitung zum Sammelband Frangois Ier et Henri VIII, deux princes de la Renaissance, p. 16 tut, scheint mir zu kurz gegriffen. 32 LP III.l (1520), nr. 626 [Hervorhebung durch Kursivierung durch die Verf.], Vgl. auch Richardson, Entertainments for the French Ambassadors, p. 405, der von „an extraordinarily competitive interaction" und von „extravagant, ritualistic displays of friendship" spricht. Ebenso Anglo, Spectacle, Pageantry, and Early Tudor Policy, p. 154. 33 Vgl. Anglo, „Le Camp du Drap d'Or", pp. 114s.; Russell, The Field of Cloth of Gold, p. 15. 34 Russell, ibid., p. 17 verweist auf die diplomatische Spitzfindigkeit der Engländer, das Treffen mit Karl dadurch herunterspielen zu wollen, daß es als zufälliger „encounter" auf dem Weg zum geplanten „meeting" mit dem Franzosen stattgefunden habe.
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paragone: Zeremoniell
und„manieristische"
Überbietungslogik
des Treffens in seinen Emblemen die Bügelkrone als imperiale Anmaßung ein.35 Die Ereignisse, die zwischen dem 7. und 24.Juni 152036 in der Gegend von Calais stattfanden, hat Joycelyne G. Russell in großer Detailfreude in ihrer Monographie referiert. Sie sollen hier nur kurz in Erinnerung gerufen werden: Am 6. Juni findet ein Austausch von Botschaftern statt, die das Eintreffen der Könige ankündigen; am 7. Juni treffen sich die beiden Monarchen zum ersten Mal persönlich auf freiem Feld im Val Dore zwischen Guines und Ardres und ziehen sich zu einer gemeinsamen Unterredung in ein Zelt zurück; am 8. und 9. Juni finden wechselseitige Besuche der englischen und französischen Adligen und die Besichtigung des Turnierplatzes durch die Könige sowie die Schilderhängung statt; am 1 O.Juni dinieren beide Könige bei den Königinnen der jeweiligen Gegenseite; am 11. Juni beginnen die mehrtägigen Ritterspiele (joütes), in denen die Kunstform des zeremoniellen Kampfes zelebriert wird und die sich über die folgenden Tage erstrecken; am 17. Juni speisen der französische König und seine Mutter erneut mit der englischen Königin in Guines, der englische König entsprechend im französischen Lager in Ardre, diverser Mummenschanz wird aufgeführt; vom 18. bis 24. Juni finden erneut Turniere statt; das Ende des Treffens wird am 23.Juni durch ein gemeinsames Pontifikalamt 37 und am 24. Juni durch das letzte wechselseitige Diner gefeiert, dann erfolgt der Abschied. Die Errichtung einer Kapelle der Freundschaft mit dem sprechenden Namen Sta. Maria del Parlamento38 (in den italienischen Quellen) auf dem vorherigen Turniergelände soll den Ort für alljährliche Treffen markieren, die selbstverständlich nie stattfinden. In der königlichen Sammlung von Hampton Court befindet sich eine aufschlußreiche Bildquelle: ein anonymes Gemälde, das mehrere der in den Schriftquellen beschriebenen Ereignisse auf dem Güldenen Feld zeigt (Tafel 16). Die zentrale Stelle auf diesem mehrere Szenen kombinierenden Bild nimmt die Darstellung des wichtigsten englischen Auszugs zum „interview" mit dem französischen König am 7. Juni ein. Sydney Anglo, der das 35 Hall, p. 611: „armes [...] within a Coller of his ordre of sainct Michael, with a close Croune, with a flower delice in the toppe"; Sanuto, vol. XXIX, col. 22 behauptet, beide Könige führten „corone imperiale sopra le arme"; dies würde zwei propagandistische Stoßrichtungen dieser Zeichensetzung eröffnen, nämlich zum einen gegeneinander, zum andern gegen den Kaiser; vgl. Russell, ibid., p. 121. 36 Detailliert zu den Ereignissen: Knecht, Renaissance Warrior and Patron, pp. 170-175 und id., The Field of Cloth of Gold (dies allerdings wenig analytisch und sehr quellengläubig); Anglo, „Le Camp du Drap d'Or"; Russell, The Field of Cloth of Gold; sehr kurz und nur teilweise zutreffend bei: Doran, England and Europe, pp. 27-34. Vgl. auch die entsprechenden Erwähnungen bei Hoskins, The Age of Plunder; Pollard, Henry VIII; Wernham, Before the Armada; Scarisbrick, Henry VIII (vor allem das Kapitel „The Quest for Peace", pp. 67-96). 37 Die anonyme englische Beschreibung The Μ eating of the king of England and the Emperor at Canterburie and the Meating of the Said King and the French King at Guysnes Anno Domini 1520 Anno viith of His Raigne (Bodleian MS Ashmole 1116, ed. Russell) dieser Messe zeigt, daß auf dem Güldenen Feld besonders quantitative Uberbietungen registriert wurden: „In which chappell the Lord Cardinall sänge masse of the holie goost being present the kings and queenes and all the gentills nobles and estates aforesaid at which masse there were which did ministe xxi busshopps in pontificall and iii cardinalls and one Legate under a clothe of estate at which masse there was iii kings iii queenes [...]"; ibid., p. 213. 38 Sanuto, vol. XXIX, col. 30; an anderer Stelle heißt sie „Notre Dame de ramitie": Sanuto, vol. XXIX, col. 49.
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Gemälde allein als Abbild historischer Realität und als historische Quelle betrachtet, hat auf eine Vielzahl von Abweichungen von der realen Topographie, vom tatsächlichen Aussehen des temporär errichteten Glaspalastes, von den abgebildeten Dekorationen und sonstigen Details hingewiesen. 39 Möglicherweise bezog der Maler 4 0 des Bildes seine Kenntnisse gar nicht aus eigener Anschauung, sondern aus einer (ebenfalls nicht überlieferten) Beschreibung der Vorgänge, 41 oder aber er fixierte seine durch Vorzeichnungen gestützten Erinnerungen erst lange nach dem Ereignis. Ein gewisses Maß an künstlerischer Freiheit mag man ihm darüber hinaus wohl auch zugestehen. Beteiligt waren an diesem veritablen „Massenereignis", dessen Ablauf bis hin zur genauen Anzahl der Teilnehmer vorab festgelegt war, 5832 Engländern mit 3217 Pferden 42 und entsprechend viele Franzosen: „When it was concluded that the kynges of England and France should mete, as you haue hard, then bothe the kynges committed the ordre and manner of their metyng, and how many daies they should mete, and what preheminence eche should geve to other, to the Cardinall of Yorke, whiche to set all thynges in a certeintie, made an instrument, the very true tenor whereof ensueth." 43 Die Choreographie der Handlungs- und Bewegungsabläufe wurde vorab ebenso schriftlich festgelegt wie die einzuhaltende Etikette. 44 Da die Organisation des Treffens primär den Engländern oblag, hatte es - dem Ritterkult der Tudors entsprechend - in seinem Hauptprogrammpunkt, den mehrtägigen Turnierspielen, betont höfisch-ritterliche Züge, 45 deren traditionalistische Struktur der französische König, wie im folgenden zu zeigen sein wird, bewußt durchbrach. Es handelte sich bei diesem wohl aufwendigsten Monarchentreffen der Frühen Neuzeit keineswegs, wie U w e Baumann vermutet, um eine „vertrauensbildende Maßnahme, die die tiefverwurzelte Feindschaft auf beiden Seiten abbauen sollte". 46 Und es entstand mitnichten „something resembling a genuine friendship, albeit still a difficult one" 47 zwischen den beiden Königen. Ebensowenig legt die politische Instrumentalisierung der Situation durch den französischen König nahe, von „a fragile moment of peace, a fleeting Utopia" 48 zu sprechen.
39 A n g l o , The H a m p t o n C o u r t Painting, p. 288. 40 A n g l o , ibid., p. 2 8 8 und pp. 302 f. sieht in dem Bild ein Gemeinschaftswerk mehrerer a n o n y m e r Künstler, w ä h r e n d er die Zuschreibung an Hans Holbein ablehnt. 41 A n g l o , ibid., p. 2 9 3 verweist auf die erstaunlichen Diskrepanzen zwischen den überlieferten Beschreibungen und dem Bild. Die Entscheidung, welchen D o k u m e n t e n hier der größere Realitätsgehalt zuzusprechen ist, ist quellenkritisch schwierig, da die Kenntnisse davon, w i e es auf dem Güldenen Feld „wirklich gewesen", w i e d e r u m nur auf diesen D o k u m e n t e n basieren. Immerhin konzediert A n g l o , es k ö n n e sich u m bewußte H e r v o r h e b u n g e n v o n besonders bedeutenden Personen und u m Zusammenfassungen oder Vereinfachungen längerer Handlungsabläufe durch den Maler handeln. 42 Russell, The Field of C l o t h of G o l d , p. 50. 43 Hall, p. 6 0 1 . 4 4 Vgl. Sanuto, vol. X X I X , col. 80: „posti ad ordine"; col. 82: „meter ordine a le zostre de communi consensu"; col. 83: „ordine de mangiare et balare". 4 5 Z u m chevaleresken Revival am Tudorhof und der dortigen A u f w e r t u n g ritterlicher Tugenddemonstrationen vgl. G u n n , H e n r y VIII's Foreign Policy and the T u d o r C u l t of Chivalry, pp. 30 f. 4 6 Baumann, Heinrich VIII., S. 50. 4 7 Richardson, Entertainments f o r the French Ambassadors, p. 409. 48 Einleitung zu: Sylvius, Francisci F r a n c o r u m Regis et Henrici A n g l o r u m C o l l o q u i u m , p. 46.
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Überbietungslogik
Russell mutmaßt,49 das Treffen sei nur ein willkommener Vorwand zum exzessiven Feiern ohne tatsächliche politisch-diplomatische Auswirkungen gewesen:50 ein „interlude of amusement and attempted friendship."51 Zutreffender ist ihre Annahme, das Treffen sei im Sinne eines „propaganda piece"52 zu interpretieren, wobei sie nicht ausführt, worauf diese propagandistische Wirkung zielte. Auch Sydney Anglos Untersuchungen zum Güldenen Feld, die sich vor allem auf die verwendete Ikonographie und auf Charakteristika der Festkultur konzentrieren, gehen zwar von der richtigen inhaltlichen Prämisse aus, Festaufzüge als gleichermaßen ästhetische wie politische Manifestationen zu behandeln, dringen aber zu einer detaillierten Deutung der politischen Komponente nicht vor,53 ein Manko auch des ansonsten so subtilen Aufsatzes von Phyllis Mack und ihrer Rekonstruktion des inszenatorischen Charakters der Ereignisse.54 Zutreffend betont die Forschung die eminente Bedeutung der Frage der preseance:55 In einer Zeit des Zeremoniells vor jeder Ceremonial-Wissenschaft56 und vor seiner ordnenden schriftlichen Fixierung, die in Frankreich erst im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts einsetzt,57 ist die Frage, wer de facto wem wann vorsitzt, vorsteht oder vorangeht, von höchster diplomatischer und politischer Bedeutung. Da jedoch nach außen hin die absolute Gleichstellung der beiden Herrscher demonstriert werden sollte, bereitete gerade die hierarchisch abgestufte Verhaltensnorm der preseance Regelungsprobleme. So ist die Frage, wer beim ersten längeren Zusammentreffen das Zelt zuerst betreten darf, nicht sofort zu lösen: „avant qu'entrer s'entrefirent plusieurs reverences & honneurs pour y entrer; car le Roy n'y vouloit entrer le premier, ny pareillement le Roy d'Angleterre, & y entrerent ensemble".58 Bei dem das Treffen abschließenden Pontifikalamt werden die Meßgesänge abwechselnd von englischen und französischen Chören vorgetragen,59 problematisch ist auch, wer den Vorrang im Entgegennehmen des Evangeliars haben soll. Die Anbringungshöhe der Wappen am Turnierbaum muß absolut gleich sein. Längere Diskussionen entspinnen sich um die Frage, wessen Wappen zuerst und auf der heraldisch bevorzugten Seite aufgehängt wird.60 49 Russell, The Field of Cloth of Gold, p. 2. 50 Vgl. Sanuto, vol. X X I X , col. 8: „et il re d'Ingaltera con questo Re verano a parlamento, piu per pompa che per altro effecto." 51 Russell, The Field of Cloth of Gold, p. 3; 190. 52 Russell, ibid., p. 11. 53 Anglo, Spectacle, Pageantry, and Early Tudor Policy, p. 3; zu den ikonographischen Details des Treffens vgl. Anglo, „Le Camp du Drap d'Or". 54 Mack, Political Rhetoric and Poetic Meaning, p. 74. 55 Vgl. z.B. Stollberg-Rilinger, Die Wissenschaft der feinen Unterschiede. - Die Forschung hat sich daher meist auch erst dann f ü r höfische Zeremonielle interessiert, nachdem sie kodifiziert worden waren. 56 Vgl. Vec, Zeremonialwissenschaft im Fürstenstaat; Bauer, Hofökonomie. 57 Chatenet, La cour de France, pp. 1 3 3 - 1 4 1 ; Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit, S. 158 spricht vom „Theatrum praecedentiae", in dem die höfische Welt „ihre eigene innere Gliederung" vorführe. 58 L'Ordre de l'Entrevue, p. 171; Sanuto, vol. XXVIII, col. 647: „non lassando perö il brazo di quella di Anglia, introno et stetero solo il paviglione forse due höre [...]." 59 Hierzu Kast, Les musiciens de Francois I er au camp du drap d'or und Baillie, Les musiciens de la chapelle royale d'Henri VIII au camp du drap d'or. 60 L'Ordre de l'Entrevue, p. 172: „Et y eut difference entre les Heraux, lequel escu seroit pendu le premier & ä dextre: & dudit different furent Juges M r le Connetable & autres pour le Roy, & le
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gegen
England
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Schließlich überzeugt ein Argument, das aus dem Bereich des Gabentauschs geläufig ist: Nicht der Beschenkte ist der besonders Honorierte, sondern derjenige, der es sich leisten kann, die großzügigeren Geschenke zu verteilen und damit die königlichen Tugenden par excellence, largesse und liberalste, unter Beweis zu stellen. 61 Da das Treffen auf englischem Territorium stattfindet, gebühre dem französischen König, so die salomonische Lösung, der Ehrenplatz, da er der Gast des Engländers sei. Auch bei den Abschiedsgeschenken am Ende der Zusammenkunft wird besonders auf die Gleichwertigkeit der Gaben geachtet. 62 Die von den Herrschern beanspruchten Titel sind ebenfalls Anlaß protokollarischer Spitzfindigkeiten: Der englische König verzichtet temporär, nämlich für die Zeit des Treffens, großmütig auf seinen Doppeltitel „Rex Angliae et Franciae", nutzt aber eben diesen betonten Verzicht zur Demonstration seiner Generosität. Im Vorfeld der Absprachen zur Choreographie und im Vertrag von London führt er selbstverständlich beide Titel. 63 4.1.2. Das „Interview" zwischen Henry VIII und Francois I er : Autopsie und Potlatch Alles bisher Gesagte ermutigt zu der Hypothese, daß sich das Treffen auf dem Güldenen Feld nicht in der vordergründigen politischen Bedeutung der Vertragsratifikation erschöpfte, sondern einen Hintersinn hatte, der, wie zu zeigen sein wird, für die Inszenierung politischer Macht und für das Propagieren konkurrierender Herrschaftsmodelle von höchster Brisanz war. Die tatsächliche politische Absicht des Treffens scheint primär der Vergleich der realen Machtmittel der beiden Könige und die Abschätzung des potentiellen Gegners gewesen zu sein. Die Instruktion an Sir Richard Wingfield, den englischen Botschafter am französischen Hof, deutet darauf hin: For, remembering the noble and excellent gifts, as well of nature, touching their goodly statures and activeness, and of grace, concerning their wondrous wisdoms and other princely virtues, as also of fortune, depending upon their substances and puissaunce given unto them by Almighty God, and wherein more conformity is betwixt them than in or amongst all other Christian princes, it is
Marquis & autres pour le Roy d'Angleterre, & furent en conseil: mais finablement le R o y d'Angleterre fit preferer & mettre au couste dextre l'escu & armes du Roy & les siennes a senestre aussi hault l'un comme l'autre [...]." 61 Zu Geschenken und Gaben vgl. - von ethnologischer Seite immer noch maßgeblich - Mauss, Die Gabe; zur frühneuzeitlichen Praxis des Schenkens: Guery, Le roi depensier; Groebner, Gefährliche Geschenke; Godelier, L'enigme du don; Zemon Davies, Die schenkende Gesellschaft. 62 Sanuto, vol. X X I X , col. 45: „Et che la raina d'Ingalterra dono al Christianissimo re uno bellissimo diamante et uno rubin in anello, et la raina die Franza dono al serenissimo re di Anglia do altri anelli equivalenti." 63 Hall, p. 601: „Henry by the grace of god, kyng of England, and of Fraunce, lorde of Irelande my souereigne Lorde"; Fleurange, p. 70: „[...] il commga ä parier de lui, et y avoit: Je, Henry, roy ... il voulloit dire de France et d'Angleterre·, mais il laissa le titre de France, et diet au Roy: Je ne le mettray point, puisque vous etes id, car je mentirois. Et diet: Je, Henry, roy d'Angleterre". Vgl. Russell, The Field of Cloth of Gold, p. 103: „Francis is made to reply gallantly that Henry is now king of France, as he is now Francis's friend. Setting friendship aside, however, he acknowledges no king of France but himself."
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und„manieristische"
Überbietungslogik
not to be marvelled though this agreeable consonance of semblable properties and affections do vehemently excite and stir them both, not only to love and tenderly favor each other, but also personally to visit, see and speak together [...]. 64 Philippe Contamine hat bereits für das 15. Jahrhundert stereotype Elemente von, wie er es nennt, herrscherlichen „Gipfeltreffen" ausgemacht, die sich sämtlich auch auf dem Güldenen Feld wiederfinden: 65 exzessive Mehrfachumarmungen, Geschenketausch, penibel beachtete Zahlengleichheit der Entourage, abschließender gemeinsamer Meßbesuch, Bankette, Turniere, das Zurücklassen der respektiven Armeen im Moment des tatsächlichen Zusammentreffens, im Vorfeld festgelegte Choreographien, ausgeklügelt-neutrale Ortlichkeiten häufig finden die Treffen auf Brücken, auf in Flußmitten verankerten Schiffen oder auf sonstigen Territorialgrenzen statt. Ein Klima der Unsicherheit beherrscht fast alle dieser Zusammenkünfte: Contamine nennt als Negativbeispiel eines gescheiterten Herrschertreffens dasjenige auf der Brücke von Montereau-fault-Yvonne zwischen dem Dauphin Charles (VII.) und Jean sans Peur am 10. September 1419, bei dem alle Sicherheitsmaßnahmen nicht verhindern konnten, daß der Due de Bourgogne ermordet wurde. 66 Philippe de Commynes hatte eine ähnlich defaitistische Sicht auf Herrschertreffen: Ainsi povez veoir qu'il est presque impossible que deux grans seigneurs se puissent accorder, pour les rapportz et suspicions qu'ilz ont a chascune heure. Et deux grans princes qui se vouldroient bien entreaymer ne se devroyent jamais veoir, mais envoyer bonnes gens et sages les ungs vers les autres, et ceulx la les entretiendroient ou amanderoient les faultes. [...] C'est grant follie a deux grandz princes qui sont comme esgaulx en puissance de se entreveoir, sinon qu'ilz feussent en grant jeunesse qui est le temps qu'ilz n'ont autres pensees que a leurs plaisirs. Mais depuis le temps que l'envye leur est venue d'accroistre les ungs sur les autres, encore qu'il n'y eust nul peril de personnes, ce qui est presque impossible, si accroist leur malveillance et leur envye. Par quoy vauldroit myeulx qu'ilz pacifiassent leurs differans par saiges et bons serviteurs. 67 Beim Treffen auf dem Güldenen Feld ging es jedoch gerade darum, sozusagen in Autopsie abzuschätzen, ob die beiden Herrscher wirklich „comme esgaulx" waren: Die physische Präsenz des einen Herrschers mußte dem Blick des anderen ausgesetzt werden, 68 um eine realistische Einschätzung seiner Stärke zu ermöglichen. Hierzu diente das „inter-view" (respektive die „entre-vue", wie es in den Quellen heißt), der Blick auf die reale Körperlichkeit des Gegners. 69
64 65 66 67 68
LP III.1 (1520), nr. 629. Contamine, Les rencontres au sommet, p. 278. Contamine, ibid. Commynes, Memoires, p. 86 und p. 135; vgl. Contamine, ibid., pp. 273s. Zum „Sehen" als vordringlichem Ziel des „interview" vgl. Hall, pp. 609 f.: „In open sight then came the two kynges, that is to wete: the Frenche kyng, and the kyng of England, out of their tent, by whiche I then veil perceiued thabiliment royall of the Frenche kyng [...]." 69 Vgl. Bensimon, Modes of Perception of Reality, der an literarischen Beispielen der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts in Frankreich die vornehmlich räumliche Wahrnehmungsweise unter dem Primat des Sehsinns herausarbeitet. - Melville, Rituelle Ostentation, S. 236 f. definiert das Fest im Anschluß an Haug und Warning als „physisch konstituierte Außeralltäglichkeit", das dem Zweck der „affirmativen Überhöhung der bestehenden Ordnung" diene. - Maurer, Feste und Feiern als historischer Forschungsgegenstand, S. 114 hebt hervor, daß das Fest als Abbild sozialer Ordnung „im Grenzfall zum symbolischen Ort für die Zumessung von Sozialprestige, für die Rivalität
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gegen
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When the two princes were in the tente, before rehersed, the French Kyng saied, my dere brother and Cosyn, thus farre to my paine haue I travailed to se you personally, I thynke verely that you esteme me as I am. And that I maie to you be your aide, the realmes and seignories shewe the might of my persone: Sir said the kyng of Englande, neither your realmes nor other the places of your power, is the matter of my regarde, but the stedfastnes and loyall kepyng of promesse, comprised in Charters betwene you and me: that obserued and kepte, I neuer saw Prince with my iyen, that might of my harte bee more loued. And for your loue I haue passed the seas, into the fardest frontier of my realme to se you presently, the whiche doyng now gladdeth me. And then were the two Kynges serued with a banket, and after mirthe had communicacion in the Banket tyme, and there shewed the one the other their pleasure.70 Das Einander-Sehen mußte, um seine Wirksamkeit entfalten zu können, vor Publikum stattfinden 7 1 - eine (wenn auch eingeschränkte) Öffentlichkeit wurde damit zum Schiedsrichter über Gleichwertigkeit oder Überlegenheit. Das Güldene Feld ist einer der raren Fälle von friedlichen Herrschertreffen in der Renaissance, 7 2 war doch der Normalfall der Monarchenbegegnung in der Frühen Neuzeit aufgrund der bellizistischen Disposition der dynastischen Fürstenstaaten 7 3 das kriegerische Zusammentreffen in der Schlacht, nicht das friedliche Gipfeltreffen, wie Johannes Paulmann in seinem Buch Pomp und Politik. chenbegegnungen
in Europa
zwischen
Ancien
Regime
und Erstem
Weltkrieg
Monar-
anschaulich
herausgearbeitet hat. 7 4 Francois I e r und H e n r y VIII sehen einander überhaupt nur noch ein einziges weiteres Mal, im O k t o b e r 1532 in Boulogne und Calais. 7 5 Die Seltenheit von frühneuzeitlichen Monarchenbegegnungen ist wohl auch ein Grund dafür, daß das Ereignis „Güldenes Feld" von der beteiligten, wenn auch durch den Verkauf von Eintrittskarten 7 6 und eine restriktive Einlaßpolitik elitär eingeschränkten Öffentlichkeit als außergewöhnlich wahrgenommen wurde und sich eine reiche publizistische Begleitliteratur aus französischer, englischer und italienischer Sicht entfaltete. Parteilichkeiten in der jeweiligen nationalen Berichterstattung weisen darauf hin, daß das Treffen auf dem Güldenen Feld auch im Sinne einer nationalen Konkurrenz betrachtet wurde. Wie immer in diplomatischen Korrespondenzen werden Stereotype der gegenseitigen Fremdwahrnehmung mit nationalistischem U n t e r t o n vorgebracht. Bei diesem Zusammentreffen nationaler Eliten in höchst kompetitivem Klima war mit einem Abbau von Vorurteilen kaum zu rechnen, auch wenn die F r a n zosen in einem A k t der generosite
70 71
72 73 74 75 76
die nationale Durchmischung voranzutreiben suchten:
sozialer Gruppen (Turnier!), für Kämpfe um höhere Anerkennung, rechtsförmige Bestimmung von Beziehungen, Herrschaft" werden kann. Hall, p. 610. Diese Art von Veröffentlichung steht noch in der mittelalterlichen Tradition, rechtliche Akte durch ihren öffentlichen inszenierten Vollzug verbindlich zu machen; vgl. Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter, Kapitel „Demonstration und Inszenierung. Spielregeln der Kommunikation in mittelalterlicher Öffentlichkeit", S. 228-257. Vgl. hierzu (wenn auch nur überblicksartig und mit geringem analytischen Tiefgang) Bely, La societe des princes, chap. X I X : „Les rencontres de princes", pp. 387-395. Vgl. Kunisch, Fürst - Gesellschaft - Krieg. Studien zur bellizistischen Disposition des absoluten Fürstenstaates. Paulmann, Pomp und Politik, v. a. S. 30-37. Vgl. Hamy, Entrevue de Frangois I er avec Henri VIII a Boulogne-sur-mer en 1532. LP III.l (1520), nr. 841; Hall, p. 603; Russell, The Field of Cloth of Gold, p. 80.
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4. Politischer paragone: Zeremoniell und„manieristiscbe"
Überbietungslogik
The Englishe officers went and ranne with great pottes of Wyne and Bolles to the Frenche menne, and them chered the best that might bee, all this season stoode still the noble men of the Englishe partie, and all other, and from their places moued nothyng that thei were appointed vnto. And the seruyng men in likewise, not once moued from their ground or standyng, but the Frenchemen sodainly brake, and many of them came into the Englishe partie, speaking faire, but for all that, the court of Englande and the lordes, kept still their arraie. 77
Generell aber dominieren Überbietung und Konkurrenz das Treffen auf dem Güldenen Feld, allen Versuchen im Vorfeld zum Trotz, absolute Gleichheit und Gleichwertigkeit zwischen den beiden nationalen Parteien herzustellen. Die von Sanuto kolportierte Außenwahrnehmung des Ereignisses durch die anwesenden ausländischen Diplomaten war ganz auf den Vergleich der beiden Herrscher und auf den Parameter der Überbietung ausgerichtet, wobei die Venezianer aus bündnispolitischen Gründen stets franzosenfreundlich berichteten: El re di Franza hebe assai piü compagnia et piü sfogiati di vestimenti zoe de brocato d'oro e d'argento, che di veluto, di satino et altra seta, non se ne faceva estimo; meglio a cavalo. El Re anglico aveva belissima compagnia ricamente vestita, et hebeno ognuno di sui gentilhomeni una grossa catena d'oro al collo, et al dire il vero, erano superbamente vestiti; ne Ii era grande differentia respective; se non che Ii francesi erano piü numero. Li do Re erano adornati tanto ben quanto sia possibele, et ognuno di loro havea uno tesoro adosso di perle, diamanti, rubini et altre pietre inextimabili di grandeza e di beleza. Di grazia e di ben giostrare Ii e poca differentia; solo che il Re di Franza mi pare poco piü bello e piü femminile; ma in veritä sono do belissimi homeni et hanno bellissima compagnia. 78
Schon im Vorfeld des Monarchentreffens, während der wechselseitigen Botschafterbesuche der Jahre 1517/18, hatten sich diese Uberbietungsstrategien deutlich abgezeichnet. Anne-Marie Lecoq, Stephen Bamforth, Jean Dupebe und Glenn Richardson haben die Emblematik der Botschafterempfänge ikonographisch zu entschlüsseln versucht. 79 Das Schauspiel gegenseitiger Überbietungen vollzog sich hier gewissermaßen stellvertretend vor den Botschaftern, die einzelnen Zeremonien - insbesondere der Empfang der französischen Botschafter in Greenwich 1517 und der englischen Botschafter in Paris 1518 - nahmen bis zu den verwendeten Motiven hin konkret aufeinander Bezug. 80 Das bereits genannte Fest von 1518 in der Bastille wiederum nahm viele der Motive vorweg, die man auf dem Güldenen Feld wiederfinden sollte: Auch dort gab es einen künstlich aufgespannten Sternenhimmel, Mummenschanz mit königlicher Beteiligung, temporäre Bauten und großzügige Geschenke; Damen fungierten gleichermaßen als zuschauende Öffentlichkeit und decorum der Festveranstaltungen. 81 Inszenierungen absoluter Gleichwertigkeit und aufgesetzte Freund77 Hall, p. 610. 78 Sanuto, vol. XXIX, col. 26. 79 Lecoq, Une fete italienne; Bamforth/Dupebe, The Silva of Bernardino Rincio, 1518; Richardson, Entertainments for the French Ambassadors; Anglo, „Le Camp du Drap d ' O r " ; id., The Hampton Court painting; id., Spectacle, Pageantry and Early Tudor Policy. 80 Der Auftrag an Holbein, für diese Gelegenheit die Belagerung von Therouanne zu malen, mußte von den französischen Botschaftern als diplomatische Ohrfeige verstanden werden. Dasselbe gilt für die „Abwerbung" von Nicolo Belin da Modena, des erwähnten Hofkünstlers am französischen Hof, der aus Konkurrenzgründen von H e n r y besonders protegiert wurde; vgl. Beguin, Henri VIII et Frangois I er , une rivalite artistique et diplomatique, p. 75. 81 Vgl. Giustinian, vol. 2, p. 301.
4.1. Frankreich gegen
England
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schaftsbekundungen hatte es ebenfalls bereits in der Bastille gegeben: Bis hin zur streng gemischtgeschlechtlichen Sitzordnung sollte dort alles die concordia zwischen England und Frankreich versinnbildlichen, wie eines der zentralen Motti, „Concors concordia", über dem bühnenartig erhöht sitzenden französischen König nahelegte.82 Das Fest wurde damit jedoch nicht, wie Anne-Marie Lecoq meint, zu einem spezifisch italienischen Ereignis,83 denn Italianita wurde hier nur als eines unter vielen anderen nationalen Spektakeln inszeniert,84 um die Engländer mit varietas, Prosperität und Exotik zu beeindrucken, und um die den französischen Botschaftern bei ihrem vorangegangenen Besuch in London gebotenen Festlichkeiten an Prunk und Raffinesse in den Schatten zu stellen.85 Für die italienischen Quellen ist generell das „superare", die Uberwindung, die zentrale Kategorie, die das gesamte Treffen auf dem Güldenen Feld dominiert: „e se conclude che Ii francesi hanno superato Ii inglesi si nel vestir come ne Ii cavalli, ancor che Ii inglesi havessino catene d'oro assai, che qui in Franza non se usa".86 Auch der französische Hofpoet Clement Marot betont diesen Uberbietungsanspruch in seinem 1532 erstmals publizierten Gedicht Du triumphe D'Ardres et Guignes, faict par les roys de France et d'Angleterre. Amor tritt dort mit der erklärten Absicht auf, das Feld zu beherrschen, um die vorhandenen Rivalitäten zwischen den beiden „roys les plus beaux de ce monde" zu überdecken: „Avecques France, Angleterre enlumine, / Disant il fault qu'en ce Camp je domine: / Puis a son vueil faict bon guet a la porte, / Pour empescher, que Discorde n'apporte / La Pomme d'or, dont vint guerre inhumaine: / Aussi affin que seulement en sorte / Amour, Triumphe, &t Beaulte souveraine."87 Die Ritterspiele und das Turnier heizten die kompetitive Stimmung weiter an.88 Die von beiden Seiten errichteten temporären Bauten zur Unterbringung reizen zu einer Art Architekturwettbewerb, den die Engländer gewinnen,89 da es ihnen überzeugend
82 Vgl. Bamforth/Dupebe, The Silva of Bernardino Rincio, 1518, pp. 287; 300. 83 Lecoq, Une fete italienne, pp. 156-160. 84 Vgl. Bernardino Rincio, Silva, zit. n. Bamforth/Dupebe, The Silva of Bernardino Rincio, 1518, pp. 308-310: „Posteaquam hora nona a meridie multiplicibus epulis regio luxu praeparatis fames consumpta menseque remote, ecce duodecim personati Candida sed serica & praecincta veste, tela aurea hispanorum similitudine vbique contexta. Item duodecim habitu gallico, vello argenteo diligentissime super extremitatibus consuto: rursus octo prophetarum palio induti, ceterum quatuor Sybille aurea indumenta representantes, amplius quatuor purpuream togam, sed galerum album tanquam cardinales gestantes, denique duo graecorum palio precincti, duo togam auream, bini argenteam: iterum duo auro, bini argento tela serica mixto, plurimi sericeis sed versicoloribus spolijs, omnes tarnen diverso apparatu, vicatim & paruo interposito temporis spacio, saltaturi & choreas ducturi theatrum ingrediuntur: quod in admirationem singulos traxit." 85 Hierzu detailliert: Richardson, Entertainments for the French Ambassadors. 86 Sanuto, vol. X X V I I I , col. 647. Ebenso id., vol. X X I X , col. 28: „[...] e benche fusseno non tropo bene a cavalo, era pero una bella compagnia et molto laudata da francesi. Et a la fine li anglesi hanno auto uno bono ordene al fato loro; se sono facto e fanno grandissimo honore, benche li francesi habiano superato in piü cose [...]." 87 Marot, CEuvres poetiques, t. 1, p. 118; vgl. Mack, Political Rhetoric and Poetic Meaning, p. 69. 88 Anglo, „Le Camp du Drap d ' O r " , p. 127. Vgl. Guillaume du Beilay, Memoires, p. 131: „Par douze ou quinze jours coururent les deux princes l'un contre l'autre [...]." Vgl. auch die kriegerische Metaphorik bei Sanuto, vol. X X I X , col. 21, der den Aufzug der Damen beschreibt: „La Regina haveva posto in bataglia tutte le damisele che veneno fin la porta de la sala, vestite superbamente." 89 Sanuto, vol. X X I X , col. 83.
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4. Politischer paragone: Zeremoniell und„manieristische"
Überbietungslogik
gelingt, unerschütterliche Permanenz durch temporäres Bauen zu simulieren.90 Ihr vielbewunderter, mit Attrappen antiker Statuen geschmückter Glaspalast spiegelt absolute Transparenz und Vertrauen in die Verläßlichkeit der Situation vor und erlaubt es, jede Handlung des Herrschers für die anwesende Öffentlichkeit sichtbar werden zu lassen. Jedoch war auch dieser Vertrauensbeweis nur ein vorgeblicher, denn der englische König hatte für eine Hintertür gesorgt: Ein Gang sicherte im Ernstfall die Rückzugsmöglichkeit in das extra für den Anlaß noch renovierte Schloß von Guines.91 Ebenso auf Sicherheit hin konzipiert waren die prunkvollen golddurchwirkten Zelte der Franzosen, die im Eskalationsfall schneller abzubrechen gewesen wären als der englische Palast. Ihnen wurde allerdings bereits der starke Wind zum Verhängnis. Das Monarchentreffen auf dem Güldenen Feld war somit ein großangelegtes Potenzgebaren in physischer wie in finanzieller Hinsicht: 92 Seine Gesamtkosten beliefen sich auf etwa 400.000 lt, allein die Bankette kosteten 30.290 lt,93 und die Rückzahlungen der Anleihen für die namengebenden Goldstoffe zogen sich bis 1543 hin; 94 als Vergleichszahl könnte man hier auf die 407.000 ecus d'or verweisen, die als französische Bestechungsgelder für die Kaiserwahl im Reich ausgezahlt wurden95 und die in der Umrechnung etwa 680.000 lt entsprachen. Einer der Gründe für diesen exorbitanten finanziellen Aufwand liegt in der Strukturlogik des Potlatch, also des Prestigekonsums96 beziehungsweise der Güterzerstörung auch über die Grenze ökonomischer Vernunft hinaus zur Uberlegenheits- und Machtdemonstration.97 Zugleich war diese Prunkentfaltung im ästhetischen Ressort eine verdeckte militärische Potenzdemonstration: Da der Krieg derjenige Bereich im frühneuzeitlichen Staatshaushalt war, in den die meisten Mittel flössen, konnte der Gegner sich ausrechnen, daß ein Staat, der sich solche übermäßig großen Ausgaben in künstlerischer Hinsicht leisten konnte, über geradezu unglaubliche Armeen verfügen müsse.98 4.1.3. Angst im Vorfeld und der erste Blick auf den Rivalen Der Moment des Zusammentreffens zweier Herrscher ist unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten äußerst prekär. Dies erklärt das Klima der höchsten Anspannung und Unsicherheit, welches das Treffen auf dem Güldenen Feld prägte. Begriffe wie „suspicions"99 90 Anglo, The Hampton C o u r t Painting, p. 291. 91 Vgl. Sylvius, Colloquium, V. 2 7 0 - 2 7 2 : „[...] Intima sunt Anglae texta superba domus, Pergulaque in dextrum, postica in parte, recurrit Castellum Henricus qua petat inde suum"; Hall, p. 606. 92 L P 11.2(1518), nr. 4674. 93 Hamon, L'argent du roi, p. 50. 94 Die Feierlichkeiten zum Empfang der englischen Botschafter in Paris kosteten den französischen Staatshaushalt beispielsweise mehr als 450.000 Kronen: vgl. H a m o n , ibid., p. 50. 95 Ibid., p. 51. 96 Elias, Die höfische Gesellschaft, S. 104 (dort der Terminus des „Prestigekonsums"); Mack, Political Rhetoric and Poetic Meaning, p. 62; Guery, Le roi depensier, p. 1253. Z u m Potlatch vgl. Boas, The Social Organization and the Secret Societies of the Kwakiutl Indians; Malinowski, Argonauts of the Western Pacific; Mauss, Die Gabe, S. 1 4 - 2 0 ; 40ff.; Huizinga, H o m o ludens, S. 7 0 - 7 4 ; 78. 97 Vgl. Fleurange, p. 69: „[...] delibererent d'y faire la plus grande chere qu'il leur seroit possible"; Guillaume du Beilay, Memoires, p. 132: „la grande despense superflue". 98 Melville, Rituelle Ostentation, S. 239. 99 Z u m Beispiel L P III.l (1520), nr. 629.
4.1. Frankreich
gegen
England
91
und „deffiance" 1 0 0 sind in den Quellen omnipräsente. Das Treffen droht wegen gegenseitiger Verdächtigungen mehrfach zu scheitern, weil sich Gerüchte über Schießpulver in Weinfässern und - gravierender - über das Zusammenziehen französischer Truppenkontingente bei Calais verbreiten 1 0 1 . Aus Sicherheitsgründen wird die Turnierliste nicht, wie ursprünglich geplant, in ganz Europa, sondern nur in den beiden beteiligten Ländern und in den Niederlanden publiziert. 1 0 2 Professionelle Spione werden zur Absicherung der Umgebung ausgesandt, 1 0 3 die Aktionen im Vorfeld des Treffens werden gegenseitig penibel überwacht, die erwähnten Eintrittskarten nur an ausgewählte vertrauenswürdige Personen verkauft. Beide Seiten haben schnell mobilisierbare Eingreiftruppen in Reichweite, jedoch außerhalb der verordneten Bannmeile. 1 0 4 Die wechselseitigen Verdächtigungen gehen so weit, daß die Engländer Ende 1518 sogar Zweifel an der tatsächlichen Existenz des Dauphin anmelden und befürchten, der L o n d o n e r Vertrag könne von französischer Seite gar nicht erfüllt werden. A u c h in diesem Fall kann allein die Autopsie Sicherheit geben. 1 0 5 E d w a r d Hall betont bereits im Vorfeld, daß die Gefahr für den englischen König größer als für den französischen sei, da er seine sichere Insel verlassen müsse, und fordert daher Vorrechte in der preseance
ein. 1 0 6 Halls Bericht ist insgesamt deutlich von „Unsicherheitsvokabular" geprägt.
Gegenseitige Sicherheit wurde unter anderem wie bereits nach dem L o n d o n e r Vertrag durch Adlige garantiert, die sich als Geiseln zur Verfügung stellten. 1 0 7 D e r kritische M o m e n t des tatsächlichen Zusammentreffens der Herrscher wurde aus den genannten Gründen so selten wie möglich herbeigeführt. Bei den Ausritten der Könige in
100 L'Ordre de l'Entrevue, pp. 175s. 101 Russell, The Field of Cloth of Gold, p. 65. Zur Angst vgl. LP III.l (1519), nr. 541: „In spite of the alliance, France is more afraid of England than of all the other powers put together." 102 LP III.l (1520), nr. 699. 103 LP III.l (1520), nr. 704. 104 Russell, The Field of Cloth of Gold, pp. 80; 101. 105 Hall, p. 596: „After diuers feastes, iustes and bankettes made to the Englishe Ambassadours, the bishop of Ely with sir Thomas Bulleyn and sir Richard Weston were sent by the Frenche kyng to Konyack to see the dolphyn, where they were well receiued, and to theim was shewed a fayre young childe: & when they had seen him, they departed. The fame went that the Frenche kyng at that tyme had no soune, but that this was but a colour of the Frenche kyng, howbeit it was proued other wise after." 106 Hall, p. 601: „Neuertheles, wee consideryng the honour, profite, and vtilitie, that shall redound by the enteruieu of thesaid two princes, & not onely to the saied twoo princes, their realmes and subiectes, but also to all Christendom: after declaracion thereupon had with thesaied princes. Also consideryng that thesaied illustre kyng of Englande my souereigne lorde, in passyng the sea with his retinue, shall sustein great costes and expences, and dispose hymself to great labors and daungers, leuyng his realme und puyssaunce for certain tyme, wee haue thought and estemed that he should not be wholy satisfied to thonor and dignitie of thesame, right illustre kyng of England my souereigne lorde, and should not haue in regard condigne of his labors & dangiers, if thesaied enteruew of metyng after the first treatie, should be in place indifferent, wherfore it is that we desiryng to weye egally thonor and dignitie of thesaid twoo kynges by vertue and power [...]"; vgl. auch LP III.l (1520), nr. 764: „it was ,to be indifferent beftween] Arde and Guines'". Ebenso wird später der Ort des Treffens zwischen Henry VIII und Karl V. in gleicher Entfernung von Calais und Gravelynes festgelegt: LP III.l (1520), nr. 804. 107 Hall, p. 600; Guillaume du Beilay, Memoires, p. 131; Giustinian, vol. 2, p. 251.
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4. Politischer
paragone: Zeremoniell
und„manieristiscbe"
Überbietungslogik
den Tagen nach ihrem ersten Zusammentreffen werden bewußt sich nicht kreuzende Wege gewählt. Auch in den Waffengängen des Turniers kämpfen die Könige niemals gegeneinander, da dies viel zu gefährlich wäre,108 sondern stets nur gegen Untergebene, wobei der Gewinner in diesem Fall durch die hierarchische Abstufung der Kämpfenden im voraus feststand.109 Edward Hall argumentiert raffiniert gegen einen Waffengang der Könige: Da die beiden ohnehin gleich stark und absolut gleichwertig seien, müßten sie nicht gegeneinander kämpfen, denn der unentschiedene Ausgang eines solchen Kampfes sei durch das absolute Gleichgewicht der Kräfte ohnehin programmiert.110 Selbst die Ausgänge der jeweiligen Turnierrunden waren so im voraus symmetrisiert und festgelegt, es handelte sich also nur um Scheinkämpfe.111 Die von Werner Goez pointiert vorgetragene Einsicht, daß spätmittelalterliche Herrscherzweikämpfe sich vor allem dadurch auszeichneten, daß sie gar nicht stattfanden, ist auf das Herrschertreffen auf dem Güldenen Feld übertragbar.112 Auch hier wurden Gelegenheiten zu einer direkten Konfrontation der beiden Könige aus Sicherheitsgründen so selten wie möglich herbeigeführt. All diesen Unsicherheiten zum Trotz findet das Treffen endlich am 7. Juni statt. Die Spannung hat ihren Höhepunkt erreicht: „thus from tyme to tyme, and watche to watche, and vewe to vewe, the houre drewe nere, that was by bothe the Princes appoynted, of metyng, or encountre."113 Jacobus Sylvius (alias Jacques Dubois) beschreibt in seinem Versepos Francisci Francorum Regis et Henrici Anglorum colloquium von 1521114 den Moment des ersten Zusammentreffens der beiden Monarchen und würzt seine Erzählung in der Tradition humanistischer Stilübungen mit antiken Topoi und Vergil-Zitaten - das Treffen auf dem Güldenen Feld wird so zu einem antikisierenden Epos mit den beiden Königen als Haupthelden: On s'arrete quand il reste entre les deux rois la distance que peut franchir une fleche lancee par un arc. Tout le monde se tut: trompette, cornet, cor, clairon, saquebutes retentirent en une joyeuse fanfare. Couverts de gemmes, les rois se tenaient en avant de leur cortege, attendant le moment et l'heure de s'adresser la parole. Tous deux se demandaient par ού commencer l'entretien et ils entrai-
108 Hall, p. 602. 109 Hall, p. 613. 110 Hall, p. 602. Sylvius formuliert dieses Ideal absolut identischer Stärke und Wertigkeit der beiden Herrscher in seinem Versepos: „Nunc unum, nunc sunt Gallus et Anglus idem"; Colloquium, V. 288. Wie Bamforth und Dupebe in ihrer Einleitung zu dieser Textedition betonen, war Sylvius ein Parteigänger der irenischen Richtung. Diese Friedenshoffnungen versucht er in seinem Text durch unablässige Betonung der Ausgeglichenheit, Symmetrie, Gleichwertigkeit und Gleichgestimmtheit der Ereignisse in die Realität zu zwingen. 111 Sanuto, vol. XXIX, col. 84: „simulacri de guerra"; vgl. Anglo, Spectacle, Pageantry, and early Tudor Policy, p. 115, der meint, das Treffen auf dem Güldenen Feld sei „the mock international chivalric court festival par excellence" gewesen. Vgl. auch Pollard, Henry VIII, p. 114, der zutreffend bemerkt: „The Field of Cloth of Gold was the last and most gorgeous display of the departing spirit of chivalry; it was also perhaps the most portentous deception on record. ,These sovereigns', wrote a Venetian, ,are not at peace. They adapt themselves to circumstances, but they hate each other very cordially.'" 112 Goez, Uber Fürstenzweikämpfe, S. 135; 161. 113 Hall, p. 608. 114 Die Widmungsepistel datiert auf den 25. Juli 1520, gedruckt laut Kolophon am 13. Januar 1521; vgl. Sylvius, Colloquium, p. 4.
4.1. Frankreich gegen
England
93
nent leur esprit dans des partis divers. Frangois, bien en vue, avec son manteau raidi par les gemmes et l'or, tel Apollon au milieu de ses feux, repoussant derriere le dos ce manteau qui lui tombe des epaules, montre ses habits d'or, travail divin. [...] Par le visage et les epaules, Francois est semblable ä un dieu, par la noblesse de sa chevelure et de sa barbe. Pour tout le reste il etait divin. Brülent dans ses yeux, comme la lampe de Phebus, deux flammes que jettent ses tempes radieuses: Francois, puissant par tout son corps, par sa bravoure, ses triomphes, sa race, sa sagesse, sa religion; Frangois, le souverain le plus juste que nous ayons jamais eu, le plus grand guerrier et l'homme le plus pieux Anschließend werden in dieser die Franzosen favorisierenden Q u e l l e die französischen Nationalmythen der Heiligen Ampulle und der Skrofulösenheilung aufgerufen, um den französischen K ö n i g in seinem göttlich legitimierten Machtanspruch über den Engländer zu erheben. 1 1 6 Im physischen Erscheinungsbild allerdings steht H e n r y Fran§ois in nichts nach, wie Sylvius zugestehen muß. 1 1 7 D e r Chronist unterstreicht besonders die Wichtigkeit des Blicks in dieser „Entrevue", der vorerst stummen Abschätzung des Gegners allein mit den Augen, einer Konfrontation zwischen wilden, einander feindlich gesinnten Tieren vergleichbar: Alors, avec fougue, accompagne de son fidele Achate, Frangois bondit ä sa rencontre, ä mi-chemin. Tous deux sont extremement joyeux; ils avancent, leur noble chef decouvert, comme une gemme sertie dans son chaton d'or. Tous deux s'enflamment de joie et de crainte.118 Iis se saluent et, leur 115 Sylvius, Colloquium, pp. 65sq. Zur literarischen Uberformung des Textes vgl. die instruktive Einführung von Bamforth und Dupebe, deren Ubersetzung hier und im folgenden zitiert wird. 116 „Frangois, le seul parmi les rois (chose digne ä rapporter), qui soit oint avec l'ampoule du saint chreme; Francois, le seul parmi les rois, qui, d'un seul signe de croix sur le visage, soigne la mentagre, mal incurable. [...] Sous le regne de Frangois regnait pour nous un siecle d'or tel qu'il fut, dit-on, sous le regne de Saturne"; Sylvius, Colloquium, p. 67. 117 „De l'autre cote, Henri brille de gemmes et d'or, ceuvre rare d'une nature en travail. La nature a epuise ses fioles de beaute, oui, toutes, quand eile a forme et compose la beaute de cet homme: Henri, fort, grand, riche, noble, aimant la paix, de tout cceur aimant la religion"; Sylvius, Colloquium, p. 67. 118 „Laetitiaque metuque ardescit uterque"; cf. Aeneis 1,513-515. Dieses Antikenzitat mag hier topisch sein, daß es aber überhaupt verwendet wird, spricht für die Angespanntheit der Situation. Ahnlich schildert auch Sanuto diese hochgradig angespannte Szene des extremen Mißtrauens, vol. XXVIII, coli. 646s.: „Et a questo modo se redussero tutte quelle gente angliche a la collina sopradita, et se posero a longo de la sumitä; et cussi feceno le francese, benche fusse fato ritornar molto numero di servitori, maximamente de la parte nostra; peroche tante gente dava qualche suspicione a quel Re, et per questa causa andorono su et zoso alcuni signori, perche poi de qui era nasciuta la medesma suspicione, pracipue per quel numero di fauti; il tutto tarnen fu assetato"; ibid., vol. X X I X , col. 28: „El primo zorno che il re di Franza parlo con il re Anglico, perche andava con alcuno suspecto, se extima avesse piü di 30 mila homeni, tanto a piedi quanto a cavalo, al intorno del campo uno, doi, tre et alcuni 4000 sparsi che non parevano, quali in fra do höre ο tre sariano stati in ordine del Re; et questo era secreto, perche era limitato non andare al parlamento se non uno numero; dil che il Re anglico ne intese alcuno inditio, et perche ultra Ii sopraditti erano in campagna dil Re assaissime zente et piü che non era limitato, se dubito et quasi volse ritornare; ma subito fo inteso dal Re nostro, ordino, credo sotto pena de la forcha, che ognuno, excepti quelli di la caxa dil Re, ritornasse a la villa Andra, e cosi se ne ritornorono piü de do milia cavali, et il Re vene poi in contra al nostro, quando intese questo. El re d'Ingaltera avea similiter zente assai ma non tante."
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4. Politischer paragone: Zeremoniell und„manieristische"
Überbietungslogik
cortege ecarte, tous deux sont en sürete. Iis examinent leur visage et leurs yeux et parcourent rapidement du regard tout le corps, Tun de l'autre. Iis roulent ςέ et lä leurs yeux et laissent errer leurs regards muets sur tout leur corps richement vetu. Iis s'abordent, se serrent la main et echangent des baisers: on dirait Pollux et Castor, que le palais d'or du ciel etoile accueille sur son tröne, palais digne de Jupiter celeste.119 Der eigentliche Augenblick des Zusammentreffens ist ein Krisenmoment der Vereinzelung. Ein anonymer englischer Bericht über das Ereignis unterstreicht diesen Aspekt: „then proclamacouns made paine of death that every companie should stand still till the two kings did ride downe the valley [...]." 1 2 0 Die Inszenierung des Zusammentreffens bedient sich einer Strategie der „gestaffelten Exklusivität" der Ereignisse, die von der gänzlichen Visibilität des ersten Zusammentreffens bis zur inszenierten Invisibilität im Zelt unter Ausschluß der Öffentlichkeit reicht und auf arkane Herrschaftsmittel schließen läßt, die vor den Zuschauern verborgen werden müssen und über die allein die beiden Herrscher auf gleicher Ebene in „communication" 1 2 1 eintreten können. 1 2 2 Die Lage wird weiter zugespitzt durch eine fingierte Turnierszene, die die Ambivalenz der Gesamtsituation verdeutlicht - der Scheinangriff der beiden Könige oszilliert zwischen Drohgebärde und ostentativer Freundschaftsbekundung: When the two companies approached, the Kings descended the valley, gently, with their constables bearing naked swords. On coming near, they gave their horses the spur like two combatants about to engage, but instead of putting their hands to their swords, each put his hand to his bonnet. They then embraced bareheaded, dismounted and embraced again, and took each other by the arm to a fine pavilion all like cloth of gold, which the king of England had prepared. After a dispute which should go last, the two Kings entered together.123 Die perfekt symmetrisch durchkomponierte Choreographie sollte durch den Ausschluß jeglicher Zufälligkeit vor allem dazu dienen, eine überschaubare Ordnung herzustellen, in der die Sicherheit der beiden Staatsoberhäupter garantiert werden konnte. Nicht nur der Raum wird beim Treffen bis ins letzte Detail symmetrisch durchstrukturiert, 124 auch die
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Sylvius, Colloquium, p. 67. The Meating of the King of England and the Emperor, p. 210. Zum Begriff der „communication" vgl. Hall, pp. 602; 604 et passim. Vgl. Melville, Rituelle Ostentation, S. 246 f.; Hölscher, Öffentlichkeit und Geheimnis. - Vgl. auch die Variante in La description et ordre du camp, festins et joustes (engl. US in: LP III. 1 [1520], nr. 869), wo das Aufeinanderzureiten als fingierter Angriff geschildert wird: „The two kings stopped at about two casts of a bowl from each other, where they could see each other, when silence was made on both sides. Suddenly the trumpets and other instruments sounded, so that never was heard such joy. After it was over, the Kings spurred their horses fiercely, and embraced each other two or three times on horseback, bonnet in hand; then dismounting embraced again. No one entered the pavilion but the Kings, the legate of England and the admiral of France, who have managed the whole affair. The constables of France and England remained at the entrance with their swords naked as they had borne them before the Kings".
123 LP III. 1 (1520; engl. US von L'Ordonnance et ordre du tournoy, joustes et combat), nr. 870; vgl. auch The Meating of the King of England and the Emperor, p. 210. 124 Vgl. Bensimon, Modes of Perception of Reality, p. 238: „Duplicative symmetry - the space application of antithesis - and duality, together with the multiplication of analogies freely and at will, become the main modes of defining space."
4.1. Frankreich gegen England
95
Zeit wird einer totalen Synchronisierung unterworfen. So erklingen distanzüberbrückende Kanonenschüsse als Zeichen des synchronisierten Aufbruchs der Herrscher 1 2 5 , und auch das Absteigen vom Pferd muß genau gleichzeitig erfolgen. 1 2 6 Als O r t des Zusammentreffens wird ein „Niemandsland" zwischen dem englischen und dem französischen Territorium gewählt, ein Raum, der als tabula rasa künstlich gestaltet wird, so daß er so übersichtlich wie möglich ist. Zwei aufgeschüttete Hügel sollen auch hier wieder die gleiche Höhenlage der beiden Herrscher herstellen, zugleich den besten Uberblick gewährleisten - um den anderen sehen zu können, aber auch, um eventuelle Gefahren sofort zu erkennen: „In the whiche [place not fortified nor walled, and nere the limites of Fraunce] shall not be set nor dressed any pauilions or tentes, and there thesaid two kynges beyng on horseback, with their retinue shall se the one the other, and salute eche other, and speake together familiarly, and common in that sort and maner, and so long as shall seme to theim good." 1 2 7 Dennoch ist die Wahl des Ortes keine zufällige, denn es handelt sich um historisch vorbelastetes Terrain: In diesem Kerngebiet der englisch-französischen Territorialansprüche seit dem Hundertjährigen Krieg hatte bereits ein früheres, gescheitertes Treffen zwischen Philippe Auguste und Henry II stattgefunden, „from which no good peace ensued." 1 2 8
4.1.4. D e r „ b o n o r d r e " und seine ästhetische Inszenierung z u m „bei o r d r e " Bereits die Titel der Relationen, die vom Güldenen Feld berichten, verweisen auf O r d nung und Formgebung als herausragende Kategorien dieses Ereignisses, das sie schriftlich zu fixieren beanspruchen. Sie heißen beispielsweise L'Ordre de l'Entrevue et Visitation des
Rois de France et d'Angleterre, L'ordonnance et ordre du tournoy, ioustes et combat a pied et
a cheval oder La description et ordre du camp festin et ioustes. Bewegungsabläufe werden wie Kunstwerke formal-konstruktiv gestaltet und von den Quellen mit Tänzen und Labyrinthen verglichen. 1 2 9 Der Ornamentgroteske vergleichbar, soll potentiell wild und ungeordnet Wucherndes und sich Bewegendes gezähmt und strukturiert werden. Die beiden nationalen Teile des riesigen Festzugs bewegen sich in symmetrischen Figuren um ihr respektives Zentrum, den jeweiligen König: keine „conjonction de ces deux invincibles Princes" 1 3 0 im wirklichen Wortsinn findet statt, sondern die zwei Teile bleiben, wenn auch
125 Sanuto, vol. X X I X , coli. 20; 22; 84: „l'ordine era justa il consueto che ad un tempo istesso Ii Serenissimi re se d o v e s s e n o partir da Ii loro a l o z a m e n t i et incontrarsi al m e z o del Camino, et cadauna de loro Maesta scoresse poi dove havea d'andare"; L P III. 1 (1520), nr. 869, p. 305: „Sunday, 10 June, the King left Ardre, to dine at Guynes. The king of England went by a different route, accompanied by the Constable, the Admiral, and other lords sent to conduct him. Artillery sounded on both sides to let each other know of the other's departure"; vgl. Knecht, The Field of Cloth of Gold, p. 48. 126 Sanuto, vol. X X V I I I , col. 650: „quasi in un punto smontorono"; vol. X X I X , col. 81: „in uno trato tutti do smontorno da cavalo". 127 Hall, pp. 601 f. 128
L P III.l (1520), nr. 626. Contamine, Les rencontres au sommet, p. 287 erwähnt ein weiteres Treffen 1396 in Ardres zwischen Charles VI und Richard II.
129 Sanuto, vol. X X I X , col. 79: „et parea che tutti questi cavali andaseno balando". 130 L'Ordre de l'Entrevue, p. 179.
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4. Politischer
paragone: Zeremoniell
und„manieristische"
Überbietungslogik
streng getrennt, stets achsensymmetrisch aufeinander bezogen. 1 3 1 „Re virtuosissimi" 1 3 2 , wie Sanuto schreibt, sind die beiden Hauptpersonen dieser theatralischen Inszenierung in moralischer wie in ästhetischer Hinsicht 1 3 3 - Frangois ist jedoch, wie sich zeigen wird, noch eine Spur virtuoser als Henry. „If the Field of Cloth of Gold was ,about' anything, it was about beauty." 1 3 4 D u r c h k o m ponierte O r d n u n g von Bewegungsabläufen und Ereignissen wird von den Zeitgenossen nicht nur als politisch-sicherheitstechnisches, sondern vor allem als ästhetisches M o m e n t wahrgenommen. „[LJequel etoit moult guerrier, & le faisoit beau voir", heißt es über den prächtig gekleideten Fleurange, der am Festzug teilnimmt und später das sich entfaltende politische Ballett in all seiner artifiziellen Absurdität beschreibt: Le soir vindrent devers le Roy, de par le roy d'Angleterre, le legat [Wolsey] et quelqu'un du conseil, pour regarder la fafon et comment ils se pourroient veoir souvent, et pour avoir sürete l'ung de l'autre; et feust diet que les Roynes festoyeroient les Rois, et les Roys les Roynes: et quand le roy d'Angleterre viendroit ä Ardres veoir la royne de France, que le roy de France partiroit quant et quant pour aller ä Ghines veoir la royne d'Angleterre; et par ainsi ils estoient chascun en ostage l'ung pour l'aultre. 135 D e r moralisch konnotierte „bon ordre", der in seiner formalen Ausprägung (erneut gut platonisch gedacht) stets ein „bei o r d r e " 1 3 6 sein muß, zieht sich als basso continuo durch alle Beschreibungen. 1 3 7 Besonderen Wert wird auf das decorum,
den „ o r n a m e n t o " 1 3 8 der Insze-
nierung gelegt. Diese Einsicht sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich hierbei keineswegs u m reine art pour I'art, sondern um art pour politique
handelte. 1 3 9 Sanuto
131 Vgl. Geertz, Centers, Kings, and Charisma. 132 Sanuto, vol. X X I X , col. 86. 133 Vgl. Tauber, „Uomo universale" oder „Uomo virtuoso"?; Mack, Political Rhetoric and Poetic Meaning, p. 71: „The Field of Cloth of Gold, especially the jousting or fake battles which climaxed the event, was really political theater with the kings and queens as both stars and spectators." 134 Mack, ibid., p. 82. 135 Fleurange, p. 70. 136 Wiederholte Erwähnungen, daß alles „bene in ordine" gewesen sei, bei Sanuto, vol. X X I X , col. 26; 27; 80; 85 et passim. Der Ordre de l'Entrevue, p. 165 schreibt über das französische Lager: „Sc donna l'on si bon ordre en tout & par tout qu'il n'y a heu aueune noise ni dissension", ebenso präsentiert sich die englische Delegation „tous bien en ordre". Weiterhin heißt es dort, p. 167: „ne fut jamais vue si grand triomphe ne si bei ordre"; p. 169: „Et pour entendre comme ils s'entrevindrent rencontrer, & l'ordre que y fut garde, debves sgavoir que le Roy partit dudit Ardre en bei ordre"; p. 171: „Et de l'autre coste de ladite Ville etoit le Roy d'Angleterre [...] & etoient tous en bei ordre". Vgl. auch Fleurange, p. 70: „en bon ordre"; p. 71 (über den Turnierplatz): „et y eust merveillement bon ordre de tous costes et sans debat, qui est une grande chose en teile assemblee." 137 Auch in den zeitgenössischen Beschreibungen von Herrscherentrees werden der „bei ordre" und der „bon ordre" stereotyp wiederholt; vgl. beispielsweise: La magnifique et triumphante entree du tresillustre et sacre Empereur Charles Cesar tousjours Auguste faicte en la excellente ville et cite de Paris le tour de Lan en bonne estreine, Paris [1540], passim. 138 Vgl. Sanuto, vol. X X I X , coli. 78; 82 („ornatissimo"); 84 et passim. 139 Mack, Political Rhetoric and Poetic Meaning, p. 82; vgl. Berns/Rahn, Zeremoniell und Ästhetik, S. 658: „Somit sind im höfischen Zeremoniell ästhetische und politische Intention nicht zu trennen."
4.1. Frankreich
gegen
England
97
v e r w e n d e t explizit den paragone-Bcgriff in seiner z w i s c h e n K u n s t w e t t s t r e i t u n d politischer Ü b e r b i e t u n g c h a n g i e r e n d e n B e d e u t u n g : „A u n o m e d e s i m o segno si p a r t i r o n o da Ii alozamenti, dati Ii segni de u n o ο d o colpi de artelaria, e il R e anglese si vene a incontrare ne le lize, et abraziatosi steteno a l q u a n t o a ragionare, poi c a d a u n a n d o al s u o viagio. E r a con lui Ii p r i m i soi signori anglesi ben in o r d e n e , m a n o n al p a r a g o n e de Ii nostri". 1 4 0 D i e Artifizialität der O r d n u n g w i r d v o m P u b l i k u m als K u n s t f o r m w a h r g e n o m m e n . Diese ästhetisch-künstlerische W a h r n e h m u n g schlägt sich in den Beschreibungen der Q u e l len nieder, die e k p h r a s t i s c h e n C h a r a k t e r b e k o m m e n . D a s „grandissimo artificio" 1 4 1 vollzieht sich v o r d e n A u g e n der Betrachter w i e auf einem Bild, einem Relief o d e r einer Tapisserie. So schreibt Sanuto: „El d i t t o era sopra u n o cavallo bagio n o n m o l t o grande, m a t a n t o legiadro che c o n il p e n e l o n o n se p o t r i a far el piü bello, oltra che l'era r i c h a m e n t e f o r nito." 1 4 2 Eine zeitgenössische D e u t u n g dessen, was dieses K u n s t w e r k a u s d r ü c k e , geht dahin, d a ß die „natürliche" ( E r b ) - F e i n d s c h a f t z w i s c h e n E n g l a n d u n d F r a n k r e i c h d u r c h eine „ k ü n s t l i c h e " V e r b r ü d e r u n g ü b e r w u n d e n w e r d e n soll, die K u n s t somit im Politischen das vollbringt, was die N a t u r nicht vermag: „Ii che da n o n p o c h a speranza de p e r p e t u a aut saltern longa benivolentia et u n i o n e tra queste d u e natione, che p e r spacio di m o l d anni se s o n o n u t r i t i in natural odii et inimicitia; la qual cosa e a d v e n u t a p e r la sapientia et s u m m a virtu, b o n t ä de ambi questi Serenissimi re, studiosi di pace et u n i o n e d e ' cristiani, desiderosi di conservar et amare la religione n o s t r a . " 1 4 3 D i e K o m p l e x i t ä t dieser k ü n s t l i c h - k ü n s t l e r i s c h e n I n s z e n i e r u n g f ü h r t zwangsläufig z u r U b e r f o r d e r u n g der Betrachter. Ein generelles M e r k m a l v o n f r ü h n e u z e i t l i c h e n Festen u n d Entrees in ihrer synästhetisch-semiotischen A u f l a d u n g ist die p h ä n o m e n o l o g i s c h e U b e r f o r d e r u n g der Z u s c h a u e r - dies h a b e n sie mit manieristischer K u n s t gemein. So verfällt beispielsweise der a n o n y m e Berichterstatter der Ordonnance et ordre du tournoy in ein „labirinte de a d m i r a t i o n " u n d ein „chaos de c o n f u s i o n " 1 4 4 angesichts des k a u m d u r c h sprachliche O r d n u n g zu b e w ä l t i g e n d e n A n s c h a u u n g s m a t e r i a l s . Bereits beim B o t s c h a f t e r e m p f a n g 1518 in Paris v e r s t a n d e n die englischen Gäste nicht alle Einzelheiten der z e i c h e n h a f t ü b e r f r a c h t e t e n I n s z e n i e r u n g : „the f o r m of w h i c h the ambassadors could n o t follow." 1 4 5 O f f e n s i c h t l i c h w a r e n diese p r u n k v o l l e n Ereignisse politischer P o t e n z d e m o n s t r a t i o n b e w u ß t auf Ü b e r f o r d e r u n g der Betrachter angelegt, u m ihnen ein nicht präzise b e s t i m m b a r e s U n t e r l e g e n h e i t s g e f ü h l zu vermitteln.
140 Sanuto, vol. XXIX, coli. 20s.; vgl. auch col. 27: „e se le anglesi erano bene in ordene, le francese erano meglio e piü belle". 141 Sanuto, vol. XXIX, col. 83. 142 Sanuto, vol. XXIX, col. 79; vgl. hierzu auch Mack, Political Rhetoric and Poetic Meaning, pp. 78 f., die betont, daß Marot seine poetische Beschreibung in der Art eines Gemäldes gestalte. 143 Sanuto, vol. XXIX, col. 84. 144 Anglo, Spectacle, Pageantry, and Early Tudor Policy, p. 139. Ahnlich unverständlich für die Zuschauer waren die Festaufbauten und Inschriften anläßlich des Empfangs Karls V. in London 1522. Anglo, ibid., pp. 189 f. zitiert den Bericht Of the tryumphe and the verses that Charles themperour & the most myghty redouted Kyng of England Henry the VIII. were saluted with passyng through London (London 1522): „In dyuers places, as ye shall vnderstande / There was a chylde that stode all alone / Whiche chylde, helde a role in his hande / But what he sayd, there knewe fewe or none / Wherfore to me, there haue come many one / Demaundyng, what these same chyldren ment / And many I enfourmed of their entent." 145 LP 11.2(1518), nr. 4652.
98
4. Politischer paragone: Zeremoniell und „manieristische"
Überbietungslogik
4.1.5. „Jouer un bon tour": Gezielte Ordnungsstörung als politische Autonomiedemonstration Es gibt während der Feierlichkeiten auf dem Güldenen Feld mehrere, vom französischen König gezielt inszenierte Vorfälle, die die beschriebene, penibel durchgehaltene Symmetrieund Gleichheitsinszenierung nachhaltig stören und die Routine der Abläufe krisenerzeugend durchbrechen. Das höfische Zeremoniell zeichnet sich generell durch Formalisierung, Koordination und „Äquilibristik der Äußerlichkeit" 146 aus: Als formgebender Akt wird es punktuell vom französischen König durch widerstreitende, autonome Aktionen durchkreuzt und damit ad absurdum geführt.147 Frangois I er setzt solche Momente der Ordnungsstörung bewußt als souveräne Akte der Macht- und Herrschaftsausübung ein. So schildert Sanuto den geschickt als „piete filiale" getarnten Ausbruch des französischen Königs aus den vom Zeremoniell vorgegebenen Bewegungsabläufen des „ordene" und der „grandissima armonia": Uscita la Maestä dil Re cum questa compagnia fuori di Ardre, a zercha höre 21, apresso la porta de fuori de la terra per la via che Ί Re haveva a passare, se havea posto per vederlo la Serenissima regina et la illustrissima Madama, con grandissimo numero de signore et principesse, et quando la Cristianissima Maestä fo davanti Madama, ussito fuori di l'ordene, ando avanti a lei cum la bareta, et cum quella parlato per spacio assai bono, sempre cum la bareta in mano. Da la qual habuto la sua beneditione se aconbiatö, et fatoli reverentia, continuo el suo camino, et pian piano ando fina al locho di l'abochamento [...]. 148
Den Höhepunkt der Ordnungsstörung bildete ein ausgesprochenes Vabanquespiel des französischen Königs, das am 17. Juni frühmorgens stattfand und von dem Michelet behauptete: „cette demarche ava^ait les affaires plus que dix annees de diplomatic".149 Die meisten Quellen und die gesamte Literatur deuten den Uberraschungsbesuch im Schlafzimmer des englischen Königs - denn hierum handelte es sich - als Vertrauensbeweis des Franzosen, der damit das Klima gegenseitiger Verdächtigungen habe auflockern wollen.150 Meine Deutung geht jedoch in eine ganz andere Richtung. Die Aktion bildet gewissermaßen das Vorspiel zum zweiten Turnier-Waffengang:151 „Le roy de France, qui n'estoit pas homme soup^onneux, estoit fort marri de quoi on se fioit si peu en la foi l'ung de l'aultre. Ii se leva un jour bien matin, qui n'est pas sa coustume" - die von der Routine abweichende, individuelle und außergewöhnliche Zeitgestaltung des französischen Königs, der als habitueller Langschläfer einmal früh aufsteht, ermöglicht somit erst das Gelingen der Aktion. Der Raum ist überschaubarer und damit leichter einzugrenzen als die Zeit: Der Zeitfaktor war
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Berns/Rahn, Zeremoniell und Ästhetik, S. 658. Allgemein hierzu der Sammelband Zeremoniell in der Krise. Sanuto, vol. X X I X , coli. 79s. Michelet, Histoire de France. Reforme, p. 129. Allerdings war dies nicht, wie Michelet meint, ein Fortschritt in Richtung auf bessere Verständigung. 150 So Anglo, „Le Camp du Drap d'Or", p. 124; id., Spectacle, Pageantry, and Early Tudor Policy, p. 155; Russell, The Field of Cloth of Gold, pp. 168 f.; Knecht sieht absurderweise die Motivation für die Aktion in der Langeweile des Königs (The Field of Cloth of Gold, p. 50). Vgl. auch Sanuto, vol. X X I X , col. 84, der das Handeln Frangois' I er als „generosissimo acto" bezeichnet. 151 Sanuto, vol. X X I X , col. 85: „subito poi in compagnia andorno al loco de le lize a continuar le loro giostre."
4.1. Frankreich
gegen
99
England
die Schwachstelle der Absicherang und damit der am besten subversiv einsetzbare Parameter. Unerwartete Beschleunigung von Abläufen ermöglichte den Anschein von O m n i präsenz und damit O m n i p o t e n z desjenigen, der sich der Zeit richtig zu bedienen wußte. [...] et print deux gentilshommes et un page, les premiers qu'il trouva, et monta ä cheval sans estre houze, avecques une cappe ä l'espaignolle; et vint devers le roy d'Angleterre, au chasteau de Ghines. Et, quand le Roy feust sur le pont du chasteau, tous les Anglois s'emerveillerent fort, et ne sgavoient qu'il leur estoit advenu; et avoit bien deux cent archers sur ledict pont, et estoit le gouverneur de Ghines avecques lesdicts archers, lequel feust bien estonne. Et, en passant parmi eulx, le Roy leur demanda la foy, et qu'ils se rendissent ä lui, et leur demanda la chambre du Roy son frere, laquelle lui feust enseignee par ledict gouverneur de Ghines, qui lui diet: Sire, il η 'est pas eveille. II passe tout oultre, et va jusques ä ladicte chambre, heurte ä la porte, l'eveille et entre dedans. Et ne feust jamais homme plus esbahi que le roy d'Angleterre, et lui diet: „Mon frere, vous m'avez faict meilleur tour 152 que jamais homme ne fist ä aultre, et me monstres la grande fiance que je dois avoir en vous; et de moi, je me rends vostre prisonnier des cette heure, et vous bailie ma foy." 153 Phyllis Mack meint in diesem Vorfall den Ausfluß eines stärker personalisierten H e r r schaftsverständnisses auf französischer Seite erkennen zu können: Durch die Sakralisierung des französischen Königs, die unmittelbar an seine Person gebunden sei, eröffne sich für ihn ein größerer Handlungsspielraum jenseits von Institutionen und festgelegten Ritualen. 154 Johannes Paulmann hat die Äußerung des französischen Königs „je me rends vostre prisonnier" in Anlehnung an Gerd Althoffs Ausführungen über Spielregeln
der Politik im
Mittel-
alter als de ditto interpretiert. 1 5 5 D o c h kaum eines der von Althoff als konstitutiv für den Vorgang der deditio genannten Strukturelemente ist hier gegeben: Weder handelt es sich um die ritualisierte Konfliktbeilegung eines Hochadligen, noch kann man bei Francois „Demut in Haltung und Auftreten" feststellen. Nicht Selbstbeschuldigungen, vielmehr tollkühnes Handeln, Spontaneität und Improvisationsgabe charakterisieren sein Vorgehen, das die
152 Vgl. Sanuto, vol. X X I X , col. 50: „far uno torno al re Christianissimo". Im Französischen hat der Begriff „tour" die folgenden Bedeutungskonnotationen: mouvement, exercice difficile a executer / tour de force / action ou moyen d'action qui suppose de l'adresse, de l'habilete, de la ruse („avoir plus d'un tour dans son sac") / faire / jouer un /des tour(s) au detriment de qn. „II m'a joue un mauvais tour." / le tour est joue = e'est accompli, termine. 153 Fleurange, pp. 70s. - Vgl. zur gleichen Episode Hall, pp. 614f.: „Saterday, the. xvii. daye of Iune the French kyng with a small nombre came to ye castle of Guisnes about the hour of. viii. in the mornyng: the king being in his priuy chambre, had therof knowledge, who with glad hast went to receiue thesame French king, and him met and welcomed in frendly and honorable manner, & after communicacion betwene them had, the king of England departed, leauyng ye French king there in ye sumptuous place before named." 154 Mack, Political Rhetoric and Poetic Meaning, p. 74. 155 The Meating of the King of England and the Emperor, p. 213 legt diese Deutung nahe. Tatsächlich handelt es sich aber um eine nur vorgebliche Unterwerfung, die den Sieg umso mehr betont: „Sondaie the xviii daie of June the french king came in the morning sodenly into the castell of Guisnes with a fewe of his companie where he mett with the king of England in the midest of the great court with in the castell his coming was because the king should not suppose that the ffrench king should not mistrust him and there either of them embraced other in arms lovingly with their cappes in their hands then the ffrench king said unto the king our master I am come into your strong hould and castell to yeald me your prisoner if you will atte whiche tyme the kings grace sett the french king on his right hand and went to the new banqueting house [...]."
100
4. Politischer
paragone: Zeremoniell
und„manieristische"
Überbietungslogik
Ritualisierung v o n Verhalten b e w u ß t durchbricht. 1 5 6 A u c h v o n der Wiedereinsetzung in eine durch Verfehlung verlorene W ü r d e kann nicht die R e d e sein, allein der Fußfall ist formal mit dem deditio-RM.ua[ identisch, das sich zudem, u m Gültigkeit zu haben, stets öffentlich vollziehen mußte. 1 5 7 D i e venezianischen Quellen deuten die A k t i o n als einen dem englischen K ö n i g abgerungenen Vertrauensbeweis. Sanuto beschreibt zuerst den üblichen Vorgang einer inszenierten zufälligen Begegnung, die durch die symmetrisch gestalteten Abläufe genau in der Mitte des zurückzulegenden Weges stattfindet: „essendosi ordenato a Ii 17 dil mexe, z o r n o di D o m e n i c a , di far duo altri bancheti c o m e Ii sopraditi [ . . . ] , l'ordine era justa il consueto che ad un tempo istesso le Serenissimi re se dovesseno partir da Ii l o r o alozamenti, et incontrarsi al m e z o del camin, et cadauna de l o r o Maestä scoresse poi dove havea d'andare, ita che ad un tempo l'uno se ritrovasse a caxa de l'altro, et mai ambi in frontiera de l'altro [ . . . ] " , u m dann die Störung dieses fast gewohnheitsrechtlich abgesicherten Ordnungsgefüges u m so deutlicher hervortreten zu lassen: [...] uso pertanto el Cristianissimo questa magninimitä, nel prefato zorno, che niuno sapea: anticipo l'ora con zercha 10 cavali solamente et 50 zentilhomeni, et ando de longo a Gines, et prima che alcuno lo sapesse, se trovo a mezo la corte del castelo de Gines cum admiration de ognuno. Subito dal re de Ingaltera inteso, corse a basso, et a piedi di la sala lo incontro et abbrazzolo. Ii Christianissimo disse „mon eher me voici vostre presonier" al qual, el Serenissimo re de Anglia, con humanissime parole et piene de affectuosissime dimostration, ringratio Sua Maestä de questa grande confidentia che aveva preso de lui, rendendosi obligatissimo, offerendoli el regno et la propria vita in servitio de sua Christianissima Maestä. 158 D i e U n t e r w e r f u n g ist natürlich auch von Seiten des englischen Königs nur topisch zu verstehen, zugleich aber stellt sie das Eingeständnis dar, daß der französische K ö n i g ihn ü b e r b o t e n und den Sieg im paragone
davongetragen hat - Prangois hätte tatsächlich bei
seinem Ü b e r r a s c h u n g s a n g r i f f " leicht über H e n r y s L e b e n verfügen und ihn in seine G e w a l t bringen können. D e r französische K ö n i g hatte sich aber zugleich auch selbst in extreme G e f a h r gebracht, was dem G a n z e n den Anstrich eines virtuosen Husarenstreichs gibt. H e n r y s Versuch, den Uberrumpelungssieg wenigstens durch ein großzügiges G e s c h e n k zu kontern, 1 5 9 mißlingt, denn auch hierauf ist F r a n f o i s (glaubt man Fleurange) vorbereitet und überbietet den englischen K ö n i g erneut spielend: 1 6 0
156 Vgl. Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter, S. 125. 157 Vgl. Althoff, ibid., S. 101; 110. 158 Sanuto, vol. X X I X , coli. 84s.; ebenso die Zusammenfassung eines Briefes des Grafen Alexandro Donado vom 25. 6. 1520 bei Sanuto, vol. X X I X , coli. 48s. 159 Hierzu auch Sanuto, vol. X X I X , col. 29 und coli. 30s., der den Brief von Zuan Badoer und Antonio Giustinian wiedergibt. 160 Vgl. Guery, Le roi depensier, p. 1260, der zu Recht darauf hinweist, daß der Gabentausch die Konkurrenzsituation nicht aufhebt, vielmehr erneut anfacht. Auch Groebner, Gefährliche Geschenke, S. 21 betont die „implizite Verknüpfung von Solidarität, Assymmetrie und Abhängigkeit zwischen Geber und Nehmer" im Akt des Schenkens, der somit besondere Bedeutung in der Überbietungslogik erhält. Vgl. Sanuto, vol. X X I X , coli. 45s.; dort die bereits zitierte Äußerung zu den Abschiedsgeschenken: „do altri anelli equivalent!."
4.1. Frankreich gegen
England
101
Et deffist de son col ung collier qui valloit quinze mille angelots, et pria au roy de France qu'il voullust prendre et porter ce jour-lä pour l'amour de son prisonnier. Et soudain, le Roi, qui lui voulloit faire mesme tour, avoit apporte avec lui un bracelet qui valloit plus de trente mille angelots, et le pria qu'il le portast pour l'amour de lui, laquelle chose il fist, et le lui mist au bras, et le roy de France print le sien ä son col. 161
Henry versucht, durch sein Geschenk eine Erwiderung zu erzwingen, um den Gleichstand wiederherzustellen. Die dem Schenken inhärente strukturelle Logik verordneter Reziprozität in Kombination mit dem Antrieb der Uberbietung 1 6 2 ist jedoch eine andere als die von Frangois I er praktizierte, die gerade die Wechselseitigkeit aushebelt und sich damit zumindest für einen kurzen krisenhaften Moment lang - als machtpolitisch überlegen erweist. Während bei dieser Aktion der Zeitfaktor der alles entscheidende ist, muß das Geschenk nicht unbedingt augenblicklich erwidert werden, weil der zeitüberdauernde Wertfaktor der wichtigere und zu überbietende ist. Dieses Denken ist noch nicht ökonomisch, sondern ausschließlich politisch motiviert. 163 Francois kostet seinen Sieg noch weiter aus, indem er Henry jede Möglichkeit nimmt, die Schmach wieder auszugleichen. Er verfügt auch hier über die Zeit, indem er perfiderweise auf die vorab ja so streng festgelegte Zeitökonomie verweist und sich damit der zeremoniellen Strukturen genau in dem Moment bedient, in dem es ihm nützt: Et ä done le roy d'Angleterre voullust se lever, et le roy de France lui diet qu'il n'auroit point d'aultre valet de chambre que lui, et lui chauffa sa chemise, et lui bailla quand il feust leve. L e roy de France s'en voullust retourner, nonobstant que le roy d'Angleterre le voullust retenir ä disner avecques lui; mais, pour ce qu'il falloit jouxter apres disner s'en voullust aller, et monta ä cheval, et s'en revint ä Ardres. 1 6 4
Daß sich der französische König der regelsprengenden Autonomie seiner Handlung, ihrer absoluten Selbstbestimmtheit und der Relevanz seiner Machtdemonstration durchaus bewußt war, zeigt die Episode auf dem Heimweg. Dort trifft er nämlich unter anderem den Chronisten des Ereignisses, Fleurange, 165 der ihm vorwirft, er habe eine unverzeihliche Verrücktheit begangen: „ M o n maistre, vous estes un fol d'avoir faict ce que vous avez faict; et suis bien aise de vous reveoir ici, et donne au diable celui qui vous l'a conseille." Surquoi le Roi lui fist response et lui diet que jamais homme ne lui avoit conseille, et qu'il sgavoit bien qu'il n'y avoit personne en
161 Fleurange, p. 70. 162 Vgl. Sanuto, vol. X X I X , col. 29: „Et poi tornato, Ii parse il don non esser equivalente al presente auto, e la Christianissima Maestä mandö a donar al re d'Ingaltera sei corsieri di gran precio et bellissimi." 163 Vgl. Guery, L e roi depensier, p. 1263. 164 Fleurange, pp. 70s. 165 Auch der O r d r e de l'Entrevue, pp. 175s. berichtet von einem Uberraschungsbesuch des französischen Königs bei Henry in Guynes, verlegt das Ereignis allerdings auf den Moment vor dem A u f bruch des Engländers zum Diner mit der französischen Königin in Ardres: „ & deslors en avant tous les Anglois eurent bonne imagination du Roy, & osterent de leurs cccurs toutes mauvaises suspicions quand ils virent que le R o y s'etoit tant elargi d'aller ainsi ä peu de compaignie en une si forte place, & se fioit si fort ä eulx: & dit le R o y d'Angleterre qu'il cognoissoit evidemment qu'il n'y avoit aulcune deffiance entre eux, dont il etoit moult joyeux."
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4. Politischer paragone: Zeremoniell
und „ manieristische"
Überbietungslogik
son royaume qui lui eust voullu conseiller; et lors commen§a ä compter ce qu'il avoit faict audict Ghines, et s'en retourna ainsi en parlant jusqu'ä Ardres, car il n'y avoit pas loing. 166
Durch die Erzählung komplettiert er die Schmach Henrys, indem er seine Handlung gewissermaßen veröffentlicht und durch ihre Verbreitung ihre Wirksamkeit steigert.167 Fleurange ist der einzige Berichterstatter, der die Strukturlogik der Situation durchschaut. Er versucht daher mit literarischen Mitteln, das empfindlich gestörte Gleichgewicht selbst zu restituieren: So fügt er die fiktive Geschichte 168 eines Faustkampfes zwischen den beiden Königen als von Henry geforderter Revanche hinzu. Diese phantastische Erzählung unterstreicht das vom Chronisten unterstellte Bedürfnis des gedemütigten Engländers, wieder auf gleiche Augenhöhe mit seinem Kontrahenten zu gelangen. Paulmann vertauscht die Chronologie der von Fleurange dokumentierten Handlungsabläufe, indem er den erniedrigenden Faustkampf vor dem Überraschungsbesuch stattfinden läßt, der dadurch fälschlich zum „Ausgleich für diese Erniedrigung" werden kann, um „mit dieser Unterwerfungsgeste die Schmach des anderen vom Vortag wieder abzugleichen". 169 Allerdings scheitert auch dieser Versuch auf charakteristische Weise, da Henry einmal mehr traditionellen Duellvorstellungen verhaftet bleibt, während Franfois sie in einem Anflug von Modernität bereits aufgesprengt hatte und damit der Sieger des Machtkampfes auf dem Güldenen Feld ist. Ein letztes Mal wird der Zeitfaktor bemüht - da es Essenszeit ist, bleibt kein Spielraum mehr für die Revanche: Apres tous ces passe-temps faicts, se retirerent en ung pavilion le roi de France et le roi d'Angleterre, oü ils beurent ensemble. Cela faict, le roi d'Angleterre prist le roi de France par le collet, et lui
diet: Mon frere, je veulx luiter avecques vous, et lui donna une attrape ou deux, et le roi de France, qui est un fort bon luiteur, lui donna un tour et le jetta par terre, et lui donna ung merveilleux sault. Et vouloit encore le roi d'Angleterre reluiter, mais tout cela feust rompu, et fallust aller souper. 170
Der Uberraschungsbesuch am frühen Morgen wird so zu einem hochpolitischen Akt mit quasikünstlerisch-manieristischen Mitteln: Frangois I er stellt dem „restringierten" Code vorgegebener Verhaltensnormen seinen eigenen hoch „elaborierten" Code autonomen Handelns entgegen. Gerade die Artifizialität der vom Zeremoniell vorgeschriebenen Ordnung macht sie besonders anfällig für Störungen - je kunstvoller die Inszenierung, desto größer ihre Verletzlichkeit: Ein einziger Spielverderber, der die Regeln sehr genau kennt und sie gezielt unterläuft, kann das künstlich errichtete Gebilde mit einem Schlag zerstören. 171 Das
166 Fleurange, p. 71. 167 Dies ist ein schönes Beispiel für das bis in die Frühe Neuzeit fortwirkende Konzept einer situativ sich einstellenden, „okkasionellen" Öffentlichkeit; vgl. Thum, Öffentlichkeit und Kommunikation im Mittelalter, S. 70. 168 Sie ist einzig bei Fleurange überliefert und kann so eigentlich kaum stattgefunden haben, da damit alle Sicherheitsvorkehrungen außer Kraft gesetzt worden wären; vgl. Knecht, The Field of Cloth of Gold, p. 49. Doran, England and Europe, p. 29 kolportiert sie weiterhin unkritisch als historische Tatsache. 169 Paulmann, Pomp und Politik, S. 46. 170 Fleurange, p. 71; vgl. auch: L'Ordre de l'Entrevue, pp. 175s. 171 Zum Typus des Spielverderbers und seinen Strukturmerkmalen vgl. Huizinga, Homo ludens, S. 20 f.; vgl. auch Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit, S. 164 und Melville, Rituelle Ostentation, S. 256.
4.1. Frankreich gegen
England
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Treffen auf dem Güldenen Feld ist somit dem Spiel vergleichbar, wie es Johan Huizinga analysiert hat: Es handelt sich um ein streng durchkomponiertes, selbständiges Zeit-RaumGefüge mit festen, selbstaufgestellten Regeln. 1 7 2 Die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts noch nicht abgeschlossene Festlegung des Zeremoniells ermöglicht solche individualistischen Ausbrüche. Umgekehrt erklären solche A k t e der Ordnungsstörung und des Nicht-Funktionierens der sozialen Kontrolle in einem in ängstlichem Vorgriff bereits völlig überinstrumentierten Zeremoniell das Bedürfnis nach schriftlichen, dauerhaft gültigen Fixierungen v o n zeremoniellen Abläufen: Erste durchgreifende Bestrebungen in diese Richtung findet man in Frankreich dann unter Henri III in den Jahren 1574, 1578, 1582 und 1584. 1 7 3 Die Perfidie der A k t i o n liegt darüber hinaus jedoch noch an ganz anderer Stelle: darin nämlich, daß Frangois die im voraus perfekt organisierte Struktur der Gleichzeitigkeit unwiederbringlich zerstört. Das Strukturmoment der Überraschung ist auf irreversible Einseitigkeit gestellt, der englische König ist aber dennoch dem Handlungszwang der symmetrischen Choreographie verpflichtet: Er muß diesen „Überraschungsbesuch" am nächsten Tag wiederholen „per corrisponder a la zentilezza del re Christianissimo" 1 7 4 - nur w i r d die Überraschung damit zur lahmen Farce. Entsprechend uninspiriert ist die Beschreibung: „Le r o y d'Angleterre, voyant le bon tour que le roy de France lui avoit faict, le lendemain au matin en vint faire autant au roi de France que le Roi lui avoit faict le jour de devant; et se refisrent presens et bonne chere, autant ou plus qu'auparavant." 1 7 5 Die gleiche simultaneitätssprengende Strategie verfolgt Frangois I" auch mit seiner über mehrere Tage hinweg sukzessive enthüllten Devise: 1 7 6 At the houre assigned, the two kynges armed at all peces mounted on horsebacke, on them attendyng the noble persones, parteners of the chalenge: the French kyng sette hymself on a Courser barded, couered with Purple sattin, broched with golde, and ambraudered with Corbyns fethers round and buckeled, the fether was blacke and hached with gold. Corbyn is a Rauen, and the firste silable of Corbyn is Cor, whiche is a harte, a penne in English, is a fether in Frenche, and signifieth pain, & so it stode this fether round was endles, the buckels wherwith the fethers wer fastened, betokeneth sothfastnes, thus was the deuise, harte fastened in pain endles, or pain in harte fastened endles [...]. Wednesdaie the. xiii. daie of Iune, the twoo hardie kynges armed at all peces, entered into the feld right nobly appareled, the French kyng and all his parteners of chalenge were arraied in purple sattin, broched with golde and purple veluet embrodered with litle rolles of white satin, wherein was written, quando, all bardes and garmentes were set full of the same, and all the residue where was no rolles, were poudered and sette with the letter ell as thus L. whiche in Frenche is she, whiche was interpreted to be quando eile, whe shi, and ensuyng the deuise of the first daie it signifieth together, harte fastened in pain endles, when she. [ . . . ] The French king likewise armed at all pointes mounted on a courser royal, all his apparel aswel bardes as garmentes were
172 173 174 175
Huizinga, Homo ludens, S. 15-20; 23; 31. Chatenet, La cour de France, pp. 136s. Sanuto, vol. XXIX, col. 49. Fleurange, p. 71; vgl. auch die postskriptumsartige Anfügung bei Sanuto, vol. XXIX, col. 50: „El re d'Ingaltera, per far uno torno al re Christianissimo, che Ii fece Domenica passata che ando a trovarlo nel castello di Gines con sei cavali, e venuto questa matina a disnare a la sproveduta con sei cavali." 176 Anglo, „Le Camp du Drap d'Or", p. 124: „une ingenieuse devise [...] qui se prolongea comme un roman-feuilleton".
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4. Politischer
paragone: Zeremoniell
und „manieristiscbe"
Überbietungslogik
purple veluet entred the one with the other, enbrodred ful of litle bookes of white Satten, and in the bokes were written a me, about the borders of the bardes and the borders of the garmentes, a chaine of blewe, like Iron resembling the chayne of a well or prison chaine, whiche was enterpreted to be Liber, a booke, within this booke was written as is sayd, a me, put these two together and it maketh libera me, the chayne betokeneth prison or bondes, and so maketh together in Englishe deliuer me of bondes, put to ye reason, the fyrst day, second day, and. iii. day, of chaunge for he chaunged but the second day, and it is, hart fastened in paine endles, when she deliuereth me not of bondes}77 Von Tag zu Tag gewinnen die bereits preisgegebenen Teile der Devise durch neue K o n textualisierung i m m e r wieder neue, überraschende Bedeutungen. D e r Einsatz der königlichen Devise korrespondiert damit der Funktionslogik manieristischer Kunst: E r führt gewissermaßen eine idealtypische sequentielle Entfaltung von Bedeutung vor, die im K u n s t w e r k i m m e r nur in der Simultaneität sinnlicher Präsenz erfahrbar ist und v o m jeweiligen Betrachter entziffert werden muß. D e n Charakter eines Gesellschaftsspiels ist beiden D e u tungsunternehmen
gemein. D i e manieristische Strategie der raffinierten
Abwandlung
vorgegebener M u s t e r und ihrer Neusemantisierung arbeitet mit Strategien der Zeit- und Spannungsbeherrschung, die einmal mehr die anwesenden Betrachter überfordern. 1 7 8 So schreibt der Berichterstatter abschließend etwas ratlos: „thus was thinterpretacion made, but whether it were so in all thinges or not I may not say." 1 7 9 H i n z u k o m m t , daß der W i n d an diesem Tag so stark weht, daß die zeichenübersäte Kleidung ständig in Bewegung und somit kaum zu dechiffrieren ist. 1 8 0 D o c h selbst bei Windstille wäre das P u b l i k u m wohl mit dem demonstrativen Bildungsanspruch der gelehrten Devise überfordert gewesen. H e n r y kann auch in diesem Fall nur platt zurückdrohen, indem er seine martialisch-warnende Devise auf einen Schlag enthüllt: „Breake not these swete herbes of the riche mounte, doute for dammage." 1 8 1 In beiden genannten Fällen steht die traditionelle K u n s t - und Machtauffassung der f o r m beherrschenden Symmetrisierung auf englischer Seite der „manieristischen" Auffassung der pointierten Ordnungsstörung auf französischer Seite gegenüber, 1 8 2 einer F o r m künstlerisch-virtuoser Machtausübung, die eine neue, autonome zeit-räumliche O r d n u n g des
177 Hall, pp. 611-614. 178 Vgl. Mack, Political Rhetoric and Poetic Meaning, p. 64: „But even within this .homogeneous culture' of Latin-speaking humanists, there was confusion about how to puzzle out even the literal meaning of Renaissance artifacts; looking at Francis' garment, one contemporary observer thought the symbols, taken together, should read, .Deliver me of bonds,' while another thought it should be .Deliver me not of bonds,' although he could not be sure. Many others were surely indifferent to everything about the garment except its cost [.··]." 179 Hall, p. 614. 180 Vgl. Russell, The Field of Cloth of Gold, p. 127. 181 Hall, p. 617; vgl. Russell, ibid., p. 139. 182 Beguin, Henri VIII et Frangois I er , une rivalite artistique et diplomatique, pp. 64-66 weist auf den konservativeren Kunstgeschmack am englischen Hof hin, der sich nicht nur in den Sujets, sondern vor allem in den verwendeten Medien (Tapisserien und Handschriften statt Gemälden) äußerte. Auf dem Feld ritterlicher Tugenddemonstration jedoch überbot Henry „le plus .moderne' Frangois I e r " (p. 66).
4.1. Frankreich gegen
England
105
Nonkonformen 183 etabliert. Das Modell einer autonomen Herrschaftspraxis, das Francois Ier hier im diplomatisch-politischen Kontext durchspielt, wird er nach 1526 mit Erfolg auf seine Kunstförderung anwenden. Das „Künstlerisch-Virtuose" seines Handelns funktioniert in den folgenden Jahrzehnten seiner mäzenatischen Praxis im Umgang mit Hofkünstlern hervorragend, 184 im Bereich der Politik hingegen sind die hier angewandten Strategien der Modernität wenig erfolgreich. Das Treffen zwischen Henry VIII und Karl V. in England, das nur wenige Tage vor den Ereignissen auf dem Güldenen Feld stattfand, hatte Franfois Ier unter Handlungs- und Uberbietungsdruck gesetzt. Seine tollkühnen Aktionen jedoch trieben den englischen König geradezu in die Arme des römisch-deutschen Kaisers, da er bei diesem vom Habitus her eine größere Nähe erwarten durfte als beim Franzosen. 185 Das englisch-kaiserliche Treffen bei Calais scheint auf längere Sicht das politisch entscheidende gewesen zu sein - nach der Abschätzung der tatsächlichen intellektuell-virtuosen Stärke des französischen Königs. Rückblickend kann der Historiker konstatieren, daß Ordnung in machtpolitischer Hinsicht langfristig erfolgreicher ist als Ordnungsstörung: Im Absolutismus sind „nicht mehr Paradox und Geheimnis, sondern Klarheit, symmetrische Ordnung und Stabilität" 186 die neuen Ideale. Bereits auf dem Güldenen Feld deutet sich das Auseinanderklaffen dieser beiden diametral entgegengesetzten Herrschaftsmodelle an. Das Treffen hatte somit keine konkreten Auswirkungen auf einen möglichen Machtzuwachs Frankreichs im europäischen Kräftespiel: Die emphatischen Freundschaftsbekundungen zwischen dem englischen und dem französischen König waren schon wenige Tage nach der Monarchenbegegnung auf dem Güldenen Feld Makulatur, da sich Henry gleich im Anschluß am 11. Juli 1520 mit Karl V. traf, was den Anfang einer dauerhaften kaiserlichenglischen Verbindung markierte. Der Vertrag von Calais vom 14. Juli fixiert das Versprechen gegenseitiger militärischer Hilfeleistung und des Verzichts auf eine Allianz mit Frankreich. 187 Francois Ier ließ, dies wohl erkennend, die französische Grenzstadt Ardres stärker befestigen und nutzte in einem symbolischen Akt dazu das Holz der temporären Bauten vom Güldenen Feld, was von den Engländern als „an act of unparalleled perfidy" empfunden wurde. 188 Bereits zwei Jahre später, 1522, spricht Francois unverblümt von Henry als seinem „mortal enemy". 189
183 Vgl. Schnur, Individualismus und Absolutismus, S. 21 f.: „Wer eben weiß, daß er gegen das K o n forme denkt, wird sich in Zeiten angestrengter Konformität gewisser Methoden bedienen, um dann, wenn er an die Öffentlichkeit tritt, seine Ideen in einer Weise vorzutragen, daß die Zensur der Konformen nicht leichtes Spiel hat." 184 Vgl. hierzu Kapitel 5 dieser Arbeit. 185 Vgl. Rodriguez-Salgado, G o o d Brothers and Perpetual Allies, v.a. pp. 6 1 4 f . 186 Stolleis, Arcana imperii, S. 33. 1 8 7 Kampmann, Arbiter und Friedensstiftung, S. 278 f. 188 Russell, The Field of Cloth of Gold, p. 187. 189 LP III.2 (1522), nr. 2292; vgl. Anglo, Spectacle, Pageantry, and Early Tudor Policy, p. 180.
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4. Politischer paragone: Zeremoniell
und „manieristische"
Überbietungslogik
4.2. Duello versus paragone: Die Zweikampfangebote 1526/28 und 1536 zwischen Karl V. und Frangois Ier Ungleich prekärer als eine Herrscherbegegnung ist ein Herrscherduell ,90 . Dies erklärt, warum zwischen 1282 und 1536 zwar mehr als 30 solcher Zweikämpfe minutiös geplant, jedoch keiner je durchgeführt wurde.191 Und wahrscheinlich stand die Unausführbarkeit dieser Duelle in allen Fällen von vorneherein fest. Friedhelm Guttandin hat diese paradoxe Struktur des übertriebenen Planungsaufwandes im Vorfeld bei gleichzeitiger grundsätzlicher Undurchführbarkeit von Herrscherduellen überzeugend analysiert: In der Figur des Herrscherzweikampfes treffen zwei einander widerstreitende Welten aufeinander. Ihre Unvereinbarkeit zeigt sich darin, daß die eine Wirklichkeitssicht zur Durchführung der Zweikämpfe drängt, während die andere gerade verhindert, daß sie stattfinden. Indem beide Welten gleichzeitig ihren Einfluß ausüben, kommt es zu einer grotesk wirkenden Konstellation: Die Zweikämpfe werden geplant und propagiert und gleichzeitig steht ihr Scheitern, d. h. ihr Nichtstattfinden, schon fest. Entscheidend ist, daß dieser Gegensatz nicht aufgelöst, sondern aufrechterhalten wird. Bei den beiden Wirklichkeitsauffassungen, die ihr Existenzrecht jeweils behalten, handelt es sich einerseits um die Idealwelt des Rittertums, die die Herrscher letztlich veranlaßte, einen Zweikampf ins Auge zu fassen. Und andererseits bildeten sich Zentralstaaten heraus, deren Bestandserhaltung und Vergrößerung mehr von rationalen Kalkulationen und strategischen Vorgehensweisen als von ungewissen Zweikampfergebnissen abhängig gemacht werden sollte. 192
Zwar fand auch das Duell zwischen Karl V. und Franijois I er nicht statt.193 Aber die groteske Konfrontation und ihr Niederschlag in Publizistik und Chronistik während der Jahre 1526/28 stellen einen signifikanten Sonderfall in der Reihe nicht durchgeführter Zweikämpfe dar, der exemplarische Bedeutung für die Kontrastierung zweier ganz unterschiedlicher Auffassungen von frühneuzeitlicher Herrschaftspraxis hat.194 In diesem Fall fühlten sich offensichtlich nicht mehr beide Kontrahenten der ritterlichen Idealwelt und dem für diese konstitutiven Ehrverständnis im Sinne Guttandins verpflichtet. Es scheint eher so, als habe der französische König in Kenntnis der Tatsache, daß der Kaiser weiterhin an diesem Tugendkodex festhalten würde, das Duell vom Zaun gebrochen, wohl wissend, daß es nicht zustande kommen werde. Die beiden englischen Botschafter am französischen Hof, Clerk und Taylor, berichten in diesem Sinne nach einer Unterredung mit F r a n c i s Ier: „[He said] that albeit he for his honor could do no less than answer the Emperor with the cartel, as he did, yet he kn[ew well] enough that the thing was never likely to t[ake effect]." 195
190 Hierzu Demeter, Art. „Duell"; Goez, Über Fürstenzweikämpfe; Frevert, Ehrenmänner, S. 19-34; 276-279; Guttandin, Das paradoxe Schicksal der Ehre; von Müller, Schauspiele der Gewalt. 191 Goez, Uber Fürstenzweikämpfe, S. 150. Diese von Goez untersuchten spätmittelalterlichen Zweikämpfe waren speziell Duelle als Kriegs- und Schlachtenersatz. 192 Guttandin, Das paradoxe Schicksal der Ehre, S. 156 f. 193 Zum Verhältnis zwischen Karl V. und Frangois I er vgl. zusammenfassend Babel, Frankreich und Karl V. (1519-1556); speziell zum Duell: Kiesmann, Bellum solemne, S. 43 ff. 194 Vgl. auch die literarische Umsetzung der Ereignisse im zweiten Buch von Alfonso de Valdes Dialogo di Mercurio e Caronte (in einer italienischen Ubersetzung des 16. Jahrhunderts, in: Due Dialoghi). 195 LP IV.2 (1528), nr. 4642.
4.2. Duello versus paragone: Die Zweikampfangebote
1526/28 und 1536
10 7
4.2.1. Das Duell, das nie stattfand Der Ablauf dieses absurden Unterfangens eines königlich-kaiserlichen Duells auf Leben und Tod ist in den Quellen gut belegt196, wurde jedoch in der Literatur bislang noch nicht umfassend untersucht:197 Francois Ier war mit der Unterzeichnung des Vertrages von Madrid am 14. Januar 1526 aus der spanischen Gefangenschaft freigekommen, hatte jedoch augenblicklich gegen dessen Bestimmungen protestiert und ihn für nicht bindend erklärt. Am 17. März hatte er wieder französischen Boden betreten, um wenig später - am 22. Mai der Liga von Cognac gegen den Kaiser beizutreten. Am 17. August trug dann der französische Botschafter Jean de Calvimont dem Kaiser in Granada überzogene Forderungen seines Königs vor: Er solle innerhalb eines Monats die als Geiseln festgehaltenen französischen Königssöhne gegen Lösegeld freigeben, falls er nicht öffentlich als „tirano" bezeichnet werden wolle; außerdem solle er Francesco Sforza wieder in seinen Besitz in Mailand einsetzen.198 Der Kaiser reagierte mündlich mit der berühmten, von Sandoval ex post kolportierten, entrüsteten Äußerung: „tomo aparte el Emperador al embajador y dijole que dijese al rey de Francia que lo habia hecho laschemente y meschantemente, que en castellano suenan muy ruinmente y villanamente en no le guardar la fe y palabra que le habia dado por la capitulacion de Madrid, y que si esto quisiese contradecir, que se lo haria conocer de su persona a la suya." 199 De Calvimont, der wahrscheinlich heftige Reaktionen fürchtete, kolportierte jedoch seinem König diese erste kaiserliche Beleidigung nicht. Die Wortwahl des „lachement et mechamment" ging, glaubt man dem Chronisten Santa Cruz, auf den französischen König selbst zurück. Bei einem Zusammentreffen mit dem Kaiser vor seiner Freilassung aus der spanischen Gefangenschaft habe es eine Unterredung der beiden ohne Zeugen auf freiem Feld vor einem Kruzifix gegeben, bei der der Kaiser auf seinem Triumph insistierte, Franfois Ier die Kapitulation abgerungen zu haben, worauf dieser antwortete: „Sed cierto, hermano, que yo tengo voluntad de cumplirlo y que nadie de mi Reino me ira ä la mano, y cuando otra cosa vos viereis, ό de mi sintiereis quiero que me tengäis por la chemachan, como si dijese me tengäis por bellaco civil [...]." 200
196 Hierzu v.a.: Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, pp. 3 1 0 - 4 2 4 ; Sandoval, vol. 2, pp. 2 5 5 - 3 0 4 (dessen Objektivität Rassow allerdings anzweifelt und ihn als einen Mann charakterisiert, „der Geschichtsschreiber sein wollte"; Die Kaiser-Idee Karls V., S. 389); Santa Cruz, vol. 2, pp. 2 2 0 - 2 2 4 ; 267s.; 3 2 1 - 4 4 9 ; Martin du Beilay, Memoires, pp. 2 0 7 - 2 1 2 . Hauptsächlich die Quellen nacherzählend, analytisch jedoch wenig ambitioniert: Mignet, Rivalite de Francois I er et de CharlesQuint, vol. 2, pp. 3 6 5 - 4 0 8 ; Baumgarten, Geschichte Karls V., Bd. 2, S. 6 3 6 - 6 4 6 ; Lavisse, Histoire de France, t. 5/II, pp. 55-59. 1 9 7 Kohler, Karl V., S. 192 erwähnt die Ereignisse nur am Rande; etwas ausführlicher Brandl, Kaiser Karl V., Bd. 1, S. 209; 2 2 9 f.; Knecht, Renaissance Warrior and Patron, p. 278 nennt nur die Herausforderung v o n Burgos. Eine Ausnahme bildet die luzide Einleitung von Mercedes Gaibrois de Ballesteros zu ihrer Präsentation bislang unpublizierter Quellen zum Thema: Dos manuscritos, pp. 3 5 7 - 3 9 4 . 198 Santa Cruz, vol. 2, p. 267. 199 Sandoval, vol. 2, p. 189; vgl. auch Gaibrois de Ballesteros, Dos manuscritos, p. 365; das gleiche Ereignis erneut bei Sandoval, vol. 2, p. 275, dort allerdings ohne die Bemerkung, daß er ihn Mann gegen Mann kennenlernen werde. 200 Santa Cruz, vol. 2, p. 223; Sandoval, vol. 2, pp. 162; 275; vgl. auch Gaibrois de Ballesteros, Dos manuscritos, p. 374.
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4. Politischer paragone: Zeremoniell und„manieristische"
Überbietungslogik
Im Zuge der neubegründeten englisch-französischen Freundschaft wird im Februar 1527 eine „paix perpetuelle" zwischen den beiden Herrschern geschlossen. Sie wiederholen und erweitern ihre Forderungen an den Kaiser, die jetzt zusätzlich die Freilassung des Papstes aus der Gefangenschaft umfassen und die Karl am 4. Juli 1527 und erneut im September in Palencia vorgetragen werden. Er reagiert mit der Gegenforderung, Frankreich solle augenblicklich die Lombardei räumen, erst dann sei er zur Freilassung der Söhne des Königs bereit.201 Francois I er beruft am 16. und 20. Dezember in Paris eine Notablenversammlung ein, auf der er nicht nur „Absolution" für den Vertragsbruch von Madrid, sondern auch finanzielle Unterstützung für das aufzubringende Lösegeld oder aber für die Fortführung des Krieges erbittet und in einem Akt ostentativer Opferbereitschaft sich selbst bereiterklärt, freiwillig in die spanische Gefangenschaft zurückzukehren, falls den Notablen diese Forderungen überzogen erschienen. Da sich der Kaiser weiterhin weigert, die englischfranzösischen Forderungen zu akzeptieren, überbringen der französische Herold Guyenne und der englische Herold Clarence am 22. Januar 1528 in Burgos die Kriegserklärung der beiden Mächte, was Karl Brandl zu der treffenden Äußerung animierte: „So fand denn zu Burgos am 22. Januar 1528 die erste jener Szenen statt, in denen die Gegner mit der lärmenden Förmlichkeit homerischer Helden ihre Kampfhandlungen einleiteten."202 Karl antwortet den beiden Herolden in Formulierungen abgestufter Aggressivität203 zuerst mündlich, läßt seine Antworten dann schriftlich niederlegen und beruft seinen Botschafter am französischen Hof, Nicolas Perrenot de Granvelle, am 5. Februar aus Frankreich ab. Außerdem wiederholt er in einem Brief vom 18. März 1528 an Jean de Calvimont den Vorwurf der Feigheit an den französischen König, den er bereits 1526 in Granada mündlich geäußert hatte: „Afin que vous redye lesdites paroles pour satisfaire ä vostre desir, c'est que je vous ditz alors, apres plusieurs propos qui n'estoient de grande substance, parquoy n'est besoing les repeter icy: ,Que ledit roy vostre maistre avoit faict laschement et meschamment de non m'avoir gardee la foy que j'ay de luy selon le traicte de Madril [sie], et que s'il vouloit dire du contraire, je luy maintiendroye de ma personne a la sienne.'" 204 Hier wird also - wie bereits in der genannten Äußerung von 1526 - die Möglichkeit einer Austragung des Konfliktes Mann gegen Mann genannt, wobei nicht eindeutig zu klären ist, ob nur ein Wortgefecht gemeint ist oder tatsächlich ein Zweikampf. Während der Abschiedsaudienz Granvelles vor Francois I er am 28. März wird das Antwortschreiben des französischen Königs auf die Anschuldigungen Karls gegenüber Guyenne in Burgos öffentlich verlesen, da sich Granvelle geweigert hatte, das Schriftstück vorzulesen, mit der Begründung, er sei nicht mehr im Dienst.205 Diesem Schreiben fügt der französische König jetzt eine offizielle Duellforderung (einen sog. „cartel") bei. In seiner
201 Santa Cruz, vol. 2, p. 321. 202 Brandl, Kaiser Karl V., Bd. 1, S. 229; vgl. auch Sanuto, vol. XLVII, col. 11, über den Kaiser und den französischen König: „fin hora hanno cominziato ad damnificarsi l'un l'altro." 203 Er hält dem Engländer im Gegensatz zum Franzosen einen eventuellen Mangel an Informationen zugute, erinnert ihn an seine arbiter-Rolle im europäischen Machtkampf, die ihn zum geeignetsten Vermittler eines Universalfriedens und zum Schützer des Heiligen Stuhls prädestiniere, und versucht so, die Allianz England - Frankreich zu spalten; vgl. Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, pp. 334-336. 204 Ibid., pp. 349s.; 376; vgl. auch Sandoval, vol. 2, p. 277. 205 Vgl. Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, pp. 350-359.
4.2. Duello versus paragone: Die Zweikampfangebote
1526/28 und 1536
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anschließenden Ansprache betont er, daß er keine weiteren schriftlichen Diskussionen mehr wünsche, sondern den Kaiser nur noch auffordere, ihm den Kampfplatz zu benennen. Das Schreiben und die Herausforderung werden dem Kaiser am 7./8.Juni in Monzon übergeben. In Briefen vom 12.-18. Juni befragt Karl daraufhin die spanischen Granden, Bischöfe und Städte,206 wie er auf die Herausforderung ihrer Meinung nach reagieren solle, und erbittet ihre Antworten bis zum 25. Juni. Sein Schreiben an den Erzbischof von Toledo vom 12. Juni dokumentiert nicht nur seine Vorstellung von einer absoluten und unüberbrückbaren Differenz gegenüber dem französischen König, sondern auch seinen unbedingten Willen, den Zweikampf auszuführen.207 Gegen den eindeutigen Rat der spanischen Granden nimmt er mit seinem Antwortschreiben vom 24. Juni die Herausforderung an und schickt seinen Herold Borgogfia an den französischen Hof, um sein Gegenkartell zusammen mit einer Kopie der verletzten Artikel des Friedens von Madrid (als Erinnerungsstütze für den pflichtvergessenen Franzosen) zu übergeben. Borgogna bricht am gleichen Tag aus Monzon auf und erreicht am 29.Juni Fuenterrabia an der französischen Grenze. Dort wechselt er mehrere Briefe mit dem Gouverneur von Bayonne, Saint-Bonnet, der ihm unter fadenscheinigen Gründen die Durchreiseerlaubnis durch Frankreich verweigert (Briefe vom 9. 7., 16. 7., 17. 7., 17. 8. und 18 . 8.208). Schließlich erhält er durch Intervention des französischen Königs vom 13. August 209 den bereits am 1. August ausgestellten „Sauf-conduit",210 reist am 20. August aus Fuenterrabia ab und trifft am 2. September in Estampes, kurz vor Paris, ein, nur um zu erfahren, daß der König auf der Jagd sei und ihn nicht empfangen könne. Erst am 9. September wird er nach Paris gerufen und am 10. endlich zur Audienz gebeten. Doch der König läßt ihn gar nicht bis zur Ausführung seines Auftrags kommen, sondern fragt nur, ob er den Ort des Duells mitteilen wolle. Als Borgogna auf der Verlesung des kaiserlichen Schreibens beharrt, schneidet ihm Francois Ier das Wort ab und schickt ihn weg. Er gewährt ihm auch in den nächsten Tagen keine weitere Audienz. Die schriftliche Zusammenfassung der Vorgänge, die Borgogna zu seiner Ehrenrettung erbeten hat, gibt die Tatsachen verfälschend wieder, so daß dem Herold nichts übrigbleibt, als am 16. September nach Spanien abzureisen. Damit ist der Zweikampf hinfällig. Eine erneute Umfrage Karls unter den spanischen Granden im Oktober 1528, ob seiner Ehre trotz des nicht durchgeführten Kampfes Genüge getan sei, wird einhellig positiv beantwortet.211 Hiermit ist der Fall abgeschlossen.212
206 Hierzu: ibid., t. 1, pp. 391s.; Gaibrois de Ballesteros, Dos manuscritos, passim. 2 0 7 Zit. n. Gaibrois de Ballesteros, ibid., pp. 372s.: „Nunca los vivos vieron un hombre tan alegre a todas horas, ni tan regocijado como estä el Emperador despues que estä desafiado para matarse con el Rey de Francia, ni pudiera y o creer que en el linaje de los hombres avia diferencia de vno a otro en tan gran distancia como ay, en este caso, de mi a Su Mgstd., porque no tocändome este negocio en la persona, de pensallo solamente me tiembla la paxarilla en el cuerpo, y si y o uviese de salir a la batalla con aquella bestia, por Nuestro Senor, que me metiese frayle y me escondiese en las cuevas de Sevilla, y aun en las cuevas y cavernas de la tierra." 208 209 210 211 212
Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, pp. 4 1 5 - 4 1 9 ; 4 2 3 - 4 2 4 . Ibid., pp. 422s. Ibid., pp. 421s. Einige der A n t w o r t e n publiziert bei Gaibrois de Ballesteros, Dos manuscritos, pp. 4 1 1 - 4 2 9 . Vgl. die Rechtfertigung Karls V. gegenüber Henry VIII vom November 1528, LP IV.2 (1528), nr. 4991: „When his clemency also failed to reconcile the king of France, there remained no other
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4. Politischer
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Überbietungslogik
All diese Vorgänge sind Schritt für Schritt durch die Quellen dokumentiert und erscheinen dem ereignishistorisch interessierten Interpreten eindeutig. Doch die Deutung dieser hier sehr knapp präsentierten Vorkommnisse durch die beiden Hauptbeteiligten könnte unterschiedlicher nicht sein, ebenso die Intentionen, die sie mit ihrem jeweiligen Handeln verfolgen. Das „klassische" Duell213 - der „exakt geregelte, höchst zeremonielle Kampf zweier Gegner auf Leben und Tod"214 - zeichnet sich durch einen hochritualisierten Ablauf aus: Auf die Beleidigung folgt die Herausforderung, auf die der Beleidiger mit der Benennung von Ort und Zeitpunkt des Zweikampfes antwortet, während dem Beleidigten im Gegenzug die Wahl der Waffen obliegt. Dieser Duellkodex hat sich in Frankreich, Italien und Spanien bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts verfestigt.215 Der hier zu analysierende Fall ist jedoch komplexer und führt in den üblichen Ablauf mehrere hypertrophe Parameter ein, wodurch sich beispielsweise längere Diskussionen um die Frage entspinnen konnten, welcher der beiden Herrscher eigentlich der Ehrverletzer und wer der Verteidiger der Ehre sei. Auch die der Struktur des Duells inhärente Forderung nach Einstellung jeglicher diskursiven Konfliktaustragung zugunsten des absoluten und augenblicklichen Handlungszwangs wurde nicht eingehalten 216 4.2.2. Kaiserliche „honra" In der kaiserlichen Interpretation der Vorgänge besteht die Beleidigung217 und Ehrverletzung darin, daß Francois Ier einseitig den Vertrag von Madrid und damit sein Treueversprechen Karl gegenüber gebrochen hat. Dies veranlaßt ihn, in Granada eine Art Gegenbeleidigung - nämlich die der Feigheit und Verschlagenheit - auszusprechen, die vom französischen König ebenfalls als starke Ehrverletzung empfunden werden sollte, jedoch nicht bis zu diesem vordrang. Zugleich läßt Karl hier bereits die Möglichkeit eines Zweikampfes Mann gegen Mann anklingen, ohne ein offizielles Kartell aufzusetzen. Auch bew a y to him to avoid further effusion of the blood of Christians but a single combat between him (the Emperor) and the king of France. A true prince is not afraid to shed his blood f o r the welfare of his people, but this king of France preferred his personal security to the interest of Christendom. He liked better to fight with words than with swords, used strong language, and exposed his subjects to dangers. The King of France refused to accept his letters, in which he indicated to him a safe rendezvous f o r the deed. Asked then all his councillors, grandees, his knights, lawyers, and other persons, whether he had satisfied his honor? All of them answered that his honor remained as bright as before, and that he could do nothing more in this case. It would be wrong, if he should not conform himself with the advice of his faithful servants and subjects." 213 Zum folgenden v.a. Guttandin, Das paradoxe Schicksal der Ehre, S. 7-43; 2 0 1 - 2 9 9 . 2 1 4 Guttandin, ibid., S. 227. 2 1 5 Guttandin, ibid., S. 232; vgl. zur italienischen Duelltraktatistik: von Müller, Schauspiele der Gewalt, S. 4 1 7 (Literaturanhang), der u.a. auf Paride del Pozzo, De re militari et duello, Napoli 1476; Andrea Alciati, D e singulari certamine seu deuello tractatus, Paris 1541; G . Muzzio, II duello, Vinegia 1550 und ihre vielzähligen Neuauflagen bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts verweist; Weinrich, Mythologie der Ehre, S. 347 nennt zwei weitere frühe Traktate, die die Frage der Ehre kodifizieren: Giovanni Possevini, Dialogo dell'Honore (1553) und Geronimo de Urrea, Diälogo de la verdadera honra militar (1566). 2 1 6 Vgl. Guttandin, ibid., S. 2 5 2 - 2 5 8 . 2 1 7 Hierzu Weinrich, Mythologie der Ehre, S. 3 4 1 - 3 4 3 .
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streitet der Kaiser, daß Frangois I er ihn überhaupt in Burgos hätte herausfordern können, weil er den französischen König durch den Vertragsbruch von Madrid weiterhin als seinen Gefangenen betrachte. Außerdem habe dieser bislang doch auch stets Kriege ohne vorherige offizielle Herausforderung gegen ihn geführt.218 F r a n c i s ' beckmesserische Replik hierauf lautet: Falls er tatsächlich noch der Gefangene des Kaisers sei, könne er ihn auch nicht beleidigen, da er dann rechtlos und nicht satisfaktionsfähig sei; er habe bislang Karl weder auf dem Schlachtfeld noch während seiner Gefangenschaft je zu Gesicht bekommen, habe ihn damals also nicht persönlich herausfordern können. 219 F r a n c i s ' Behauptung, bereits 1521 durch den Domprobst von Utrecht, den kaiserlichen Botschafter, herausgefordert worden zu sein, weist Karl energisch als Lüge zurück. 220 Erst nach der Wiederholung des kaiserlichen Feigheitsvorwurfs in mündlicher und schriftlicher Form 1528 reagiert der Beleidigte mit einer offiziellen Herausforderungsschrift, die jedoch an dieser Beleidigung selbst gar keinen Anstoß nimmt, sondern „aulcunes responces qu'avez faictes ä noz ambassadeurs et heraulx" in Burgos, in denen „nous avez accuse en disant qu'avez nostre foy", 221 zum Anlaß nimmt, die königliche Ehre als beleidigt zu betrachten. Vielleicht war hiermit die kaiserliche Äußerung gemeint, die sich in der Niederschrift der Antwort befindet, der französische König sei in Anbetracht seiner eingeschränkten Rechte gewissermaßen der Sklave des Kaisers.222 Das französische Kartell verlangt nicht nur, der Kaiser möge den Kampfplatz bestimmen, sondern formuliert auch eine (dritte) Gegenbeleidigung als Antwort - daß nämlich der Kaiser, wenn er behaupte, Frangois habe sein Treueversprechen ihm gegenüber gebrochen, ein Lügner sei und bei jeder Wiederholung dieser Anschuldigung erneut lüge: „mais que nous ayons jamais fait chose qu'un gentilhomme aymant son honneur ne doit faire, nous disons que vous avez mentypar la gorge, et austant defoys que vous le direz vour mentirez, estant delibere de deffendre nostredict honneur jusques au dernier bout de nostre vye." 223 Hätte es sich um einen Zweikampf nach streng stereotypen Regeln gehandelt, so wäre der Franzose aus kaiserlicher Sicht eigentlich dazu verpflichtet gewesen, die Herausforderung anzunehmen und nicht selbst offensiv ein Kartell zu versenden. Die Aufforderung an den Kaiser, den Duellplatz zu bestimmen, drängte diesen in die Rolle des
218 Santa Cruz, vol. 2, p. 326. 2 1 9 Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, p. 353: „ [ . . . ] mais je ne sache point que ledit empereur ait jamais heu ma foy, dont il se sceust de riens valloir: car premierement, en quelque guerre que j'aye este, il sgait que je ne l'y ay jamais ny veu ny rencontre". 2 2 0 Ibid., p. 398. 221
Ibid., p. 372; vgl. auch Santa Cruz, vol. 2, p. 434.
222
Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, pp. 331s. (Antwort auf die Herausforderung von Burgos): „et ä ce vous a este si bien respondu de la propre bouche de l'empereur sur le deffy que luy avez fait, qu'il n'y a que redire: car sa majeste meritement le pouvoit tenir pour ennemy, luy ayant fait la guerre actuelle si longuement, et continuant en icelle, que certes, comme il vous a dit, est chose bien nouvelle et digne de mectre en cronicque, et mesmes d'ung prisonnier de guerre, ayant baille sa foy comme luy, lequel Selon droit ne peut deffier nully, ne accepter deffi d'autruy, non plus que ung esclave ose emprendre de faire acte de dissidence contre celuy mesmes que tient sa foy en gaige, et duquel il est justement prisonnier [ . . . ] " ; Karl wiederholt diese Beleidigung erneut in seinem Antwortschreiben auf das französische Kartell vom 24. Juni 1528: ibid., p. 397: „et par icelle demeure tousjours ledit roy astrainct comme captif et esclave".
223 Ibid., p. 373 [Hervorhebung durch Kursivierung durch die Verf.].
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Beleidigers 2 2 4 - in seiner eigenen Sicht ist er jedoch der Beleidigte („defensor"), Fran£ois I er hingegen der Aggressor („requestador"). 2 2 5 In einem Entwurf für eine Erwiderung auf das Kartell des Franzosen verzichtet Karl, nach wie vor darauf beharrend, daß er der Beleidigte sei, im propagandistischen Gegenzug großmütig auf die Wahl der Waffen, die ihm normalerweise als Beleidigtem zustünde: „ Y quanto a las armas, aunque y o podria pretender con R a z o n que son a mi escoger, todavia soy contento que las escojäys". 2 2 6 U m die Richtigkeit seines Handelns zu dokumentieren, bediente sich Karl mehrfach einer gezielten Veröffentlichungspolitik: In zwei Briefen an seinen Bruder Ferdinand v o m 5.Juli 1528 und erneut vom 4. November, als die Nichtdurchführbarkeit des Zweikampfes nicht mehr bezweifelt werden konnte, forderte er ihn auf, sämtliche Schriften, die im Z u sammenhang mit dem geplanten Duell stünden, zu veröffentlichen und, falls nötig, diese vorher ins Deutsche zu übersetzen, um ihnen die größtmögliche Verbreitung im Reich zu garantieren. 2 2 7 Ebenso hatte er die in Burgos gewechselten Reden und Gegenreden ins Spanische übersetzen und drucken lassen. 228 E r nutzte so offensiv publizistische Mittel, u m seinen Feind als feige zu verunglimpfen und seine eigene Ehre öffentlich zu dokumentie-
224 Vgl. auch LP IV.2 (1528), nrr. 4515 und 4743, wo darauf hingewiesen wird, daß Frangois durch die Wahl der Waffen zum „defender", der Kaiser jedoch durch die Wahl des Duellplatzes zum „provoker" werde. Dagegen Karl in seinem Entwurf für ein Antwortschreiben auf das französische Kartell vom Juni 1528: „j'espere que, ä l'ayde de Dieu, qui est le vray justicier, deffendant mon tres-clair droict, la verite donnera ä cognoistre vostre tort ä tout le monde"; Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, p. 394 [Hervorhebung durch Kursivierung durch die Verf.]; vgl. auch ibid., p. 407 im Kartell des Kaisers: „pour deffendre ma juste quereile". 225 Der spanische Chronist Santa Cruz bemerkt dies sehr genau, wenn er - den Vorfall in Granada kommentierend - schreibt: „Y por aquella palabra que dijo el Emperador al Embajador del Rey de Francia que dijese ä su Rey, es ä saber: que si no cumplia lo que habia prometido en la prision le tendria por lachemachan, quiere decir en castellano que le tendria por ruin y bellaco, tomo el Rey de Francia ocasion a decir y quejarse despues que primero le desafio el Emperador ä el que no el al Emperador"; Santa Cruz, vol. 2, p. 268. Frangois I e r läßt - ganz im Sinne dieser zutreffenden Interpretation seiner Intentionen - seinen Herold in Monzon folgende raffinierte Formulierung wählen: „fault ici riens au roy mon maistre aultre chose que la seheurte dudict camp, car il ne fauldra a s'y treuver avec les armes dont ila intencion de se deffendre [...]"; Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, p. 367 [Hervorhebung durch Kursivierung durch die Verf.], 226 Gaibrois de Ballesteros, Dos manuscritos, p. 436; ebenso Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, p. 407 (Kartell Karls vom 24. Juni 1528). 227 Lanz, Correspondenz des Kaisers Karl V., Bd. 1, S. 275f. (Brief vom 5. Juli 1528): „[...] pour vous envoyer la copie de tout ce que jusques a maintenant a este passe sur les cartelz du combat dentre le roy de France, afin que voyez sa lachete et mechante, et que fectes imprimer le tout, de maniere que la chose soit publicque, comme la raison veult"; ibid., S. 292 (Brief vom 4. November 1528): „Et avec cestes vous envoye les copies authentiques de tout ce quest passe en cest affaire du combat. Jen escrips aussi a plusieurs roys et princes chrestiens, et entre autres au roy de Pologne, aux electeurs et autres princes de lempire, et a ma chambre imperiale, vous priant, mon frere, leur faire adresser mes lettres avec a chacune une copie telle que Celle que vous envoye, et que incontinant faictes le tout translater en allemand, imprimer et publier [...]"; ebenso in der Korrespondenz Ferdinands I., Bd. 2/1, Brief Nr. 201, S. 255. 228 Vgl. Baumgarten, Geschichte Karls V., Bd. 2, S. 643.
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ren. 2 2 9 Von Anfang an stilisiert Karl sich in dieser Angelegenheit zum opferwilligen O b e r haupt der Christenheit und väterlichen Herrscher: U m unnötiges Blutvergießen unter seinen Untertanen zu vermeiden, sei er bereit, sein eigenes Leben als ultimativen Ehrbeweis im Duell aufs Spiel zu setzen. E r sei siegesgewiß, weil er für die richtige Sache streite und G o t t ihm daher ganz sicher beistehen werde: „ [ . . . ] por no aver tantos trabajos, muertes y danos en mis reynos, bassallos y serbidores, tuve pour bueno aventurar mi persona ä trance de Dios n r o s r que sabe mi intencion, y de mi justitia que ä todos es manifiesta y notoria, espero la vitoria." 2 3 0 Im Zuge der rhetorischen Uberbietungsgefechte, wer sich mehr für das Wohl der Rechtgläubigen aufopfere, formuliert der französische König die deftige Replik, daß er im Falle eines Vorgehens gegen die Ungläubigen, insbesondere gegen die Osmanen, stets den Hintern schneller im Sattel haben werde als der Kaiser den F u ß im Steigbügel: Et pleust ä Dieu vouloir convertyr les passyons particulieres d'ung chacun tant au bien general de toute la chrestiente, que toutes noz forces feussent employees en ung si sainct et bon effect; luy promectant, quant ä moy, qu'il peult estre tout asseure qu'il n'aura jamais pour ceste occasion si tost le pied ä l'estrier que je n'ay plus tost le cul sur la seile pour ce faire, encoires que je n'aye les Turcqs de si pres mes voisins, comme de nouveau il les a en Hongrye, et par consequent en Allemaigne. Mais il est plus aise ä croire, veu les effectz que Ton voit, que ceulx qui en parlent et mectent telles choses en avant ont plus d'envye d'usurper toute la chrestiente que d'empescher le commun tyrant et ennemy d'icelle. 231 Bezeichnend ist, daß das Duell, das Sandoval eine „cosa tan nueva y jamäs oida, entre dos tan poderosos principes" nennt, außerhalb der Grenzen der beiden beteiligten Staaten nur für geringes publizistisches E c h o sorgte. Weder Sanuto noch die englischen Quellen behandeln es prominent, sie sind jeweils nur an den Auswirkungen auf ihre eigenen innerstaatlichen Belange interessiert. Offensichtlich war den europäischen Nachbarn klar, daß es ohnehin nicht zum Zweikampf kommen würde. 2 3 2 Generell vermitteln die englischen, französischen und italienischen Quellen den Eindruck, als sei der römisch-deutsche Kaiser eigentlich der einzige gewesen, der noch an das
229 Hierzu rät ihm auch ein Berater am 11. Oktober 1528: „Creo que seria bien que todo lo que [h]a pasado se magnifestase en el mundo, porque conogiesen la diferer^ia que en todo vuestra magestad lleva a este principe [...]" (Gaibrois de Ballesteros, Dos manuscritos, p. 413). 230 Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, p. 382 (Schreiben des Kaisers an Don Diego, Duque de Infantado, 15. Juni 1528). 231 Ibid., pp. 357s. 232 Einen aufschlußreichen Beleg hierfür stellt der Bericht des englischen Botschafters Darius vom 5. November 1528 an Wolsey dar, in dem er über seine Unterredung in Sachen Duell mit dem kaiserlichen Kanzler berichtet: „[The chancelor] asked if Darius thought the challenge and the words of the French King honorable. Said [Darius] that they should not be noticed; and reminded him that when pope Julius and the French king called the Catholic king a Moor and a Jew, he only laughed and disregarded it. He replied that the Emperor dismissed all rancor, but could not dismiss what affected his honor, and he had passed over his saying at the time of his election that he was a monster without sense, and that he did not know how to speak. Said that even if these things touched his honor they were only worthy of ridicule, for it was impossible for the duel to take place, as neither a mode of fighting nor a safe place could be found"; LP IV.2 (1528), nr. 4909 [Hervorhebung durch Kursivierung durch die Verf.].
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Zustandekommen des Duells geglaubt und dieses immer wieder forciert habe.233 Es ist daher an dieser Stelle zu fragen, wer bei diesem Kampf, der von vorneherein auf Nichtdurchführbarkeit ausgerichtet war und von der europäischen Öffentlichkeit - abgesehen von den beiden beteiligten Staaten - auch ganz unaufgeregt so verstanden wurde, dann eigentlich der Adressat der aufwendigen Inszenierungen und des kaiserlich-französischen publizistischen Schlagabtauschs war. Offensichtlich ging es in beiden Fällen um eine innenpolitische Loyalitätsabsicherung der Herrscher im eigenen Land. Die Legitimität der kaiserlichen Herrschaft in Spanien war lange Zeit nicht unumstritten gewesen und auch das Charisma des französischen Königs hatte nach seiner Niederlage in Pavia Einbußen erlitten. Die Einberufung der erwähnten Notablenversammlung war in Frankreich ein verfassungsrechtliches Novum, das dazu dienen sollte, sich vor den Großen des Landes zu legitimieren.234 Und die großangelegte Umfrage Karls V. in seinem spanischen Königreich diente neben der Entscheidungsfindung natürlich auch dazu, sich der Loyalität und bedingungslosen Unterstützung seiner spanischen Untertanen - insbesondere der spanischen Granden zu versichern.235 Die Umfrage ist eine Art Vergemeinschaftungsversuch des Kaisers, der damit eine auf gleichen Ehrvorstellungen basierende, aristokratische Solidargemeinschaft beschwört. Aus gezielt adressatenbezogenem Schreiben heraus erklärt sich auch, wieso Karl in seiner Anfrage immer wieder auf den gerade im spanischen Kontext hoch aufgeladenen Ehrbegriff rekurriert. Signifikant ist die Formulierung der kaiserlichen Anfrage, was er als Ritter („caballero") und Christ zu tun habe, um seine Ehre („honra") zu verteidigen und sein Gewissen („conciencia") zu beruhigen.236 Kernbegriffe eines vormodernen chevaleresken Ehrenkodexes werden hier aufgerufen, die hochsignifikant für das kaiserliche Herrschaftsverständnis sind. In der Tradition burgundisch- und auch spanisch-spätmittelalterlichen Rittertums 237 (und vor allem auch seiner literarischen Umsetzung) scheint der Kaiser den Zweikampf als eine Art kriegsverhindernde aventiure zu begreifen,238 wenn er an den Erzbischof von Toledo am 15. Juni 1528 ratsuchend schreibt: „por lo qual, y por no ver tantos trabajos, muertes y danos en mis Regnos, vasallos y servidores, tuve por bueno aventurar mi persona a trance de batalla con la suya." 239 Der bodenständig-aufrechte Ehrbegriff, den der 233 Vgl. Gaibrois de Ballesteros, Dos manuscritos, p. 385: „Los consejeros reales espagnoles, que veian en el reto frances un ardid politico [einen politischen Trick], mäs que un autentico arranque caballeresco, estaban en lo cierto." 234 Hierzu Knecht, Renaissance Warrior and Patron, pp. 274-277; 533 - dort zur Debatte, ob es sich bei dieser Versammlung um eine repräsentative Zusammenkunft von Notabein oder um ein traditionelles Lit de Justice handelte. Vgl. auch Hanley, The ,Lit de Justice', pp. 72-87; Knecht, Francis I and the Lit de Justice. 235 Vgl. Baumgarten, Geschichte Karls V., Bd. 2, S. 646-667. 236 Sandoval, vol. 2, p. 301; vgl. weiterhin den Brief des Duque de Bejar vom 19. Juni 1528: „Y mando vuestra magestad [...] que le enbie mi parecer de lo que mäs conbenga a la onrra de vuestra magestad y de estos Reynos"; zit. n. Gaibrois de Ballesteros, Dos manuscritos, p. 382; ebenso das Schreiben Karls an den Duque de Infantado, Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, 1.1, p. 382: „que me aconsejareis lo que mas conbenga ä mi honra". 237 Hierzu Goez, Über Fürstenzweikämpfe, S. 152f. 238 Rassow, Die Kaiser-Idee Karls V., S. 258 spricht von der ,,kaiserliche[n] Romantik". 239 Zit. n. Gaibrois de Ballesteros, Dos manuscritos, p. 376; ebenso ibid., p. 400 im Schreiben des Duque de Bejar: „y V. M. aventuraba y el no aventuraba, que antes ganaba aunque perdiese la
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römisch-deutsche Kaiser vertrat und der das stete Festhalten an einmal geschlossenen Verträgen ebenso vorsah wie die Verurteilung von Neuerungen und „Nachbesserungen" „innover" ist ein Schimpfwort für ihn -, 2 4 0 unterschied sich deutlich von dem, was Fran£ois I er unter „honneur" verstand. Zwar schrieb auch dieser im Moment seiner schwersten Niederlage nach seiner Gefangennahme auf dem Schlachtfeld von Pavia nach Frankreich an die „ordres de l'Etat": „[...] etant seur de vous faire un grand plaisir en vous faisant sgavoir de mes nouvelles, lesquelles, selon mes infortunes, sont bonnes, car la sante et l'honneur, Dieu merci, me sont demeures sains [...]. Et, soyez sürs que, pour mon honneur et celui de ma nation, j'ay plutost esleu honneste prison que honteuse fuite [...]." 2 4 1 Aber sein rhetorisch-kalkulatorisch eingesetzter Ehrbegriff, der mit ritterlichem Ethos nichts mehr gemein hatte, verbot es ihm offensichtlich nicht, jede mögliche List, jeden nur denkbaren Vertragsbruch zu nutzen, um der Gefangenschaft zu entkommen und wieder seinen Pflichten als Souverän der französischen Nation Genüge tun zu können - schließlich betrachtet er in seinem Schreiben seine eigene Ehre als identisch mit der seines Staates.242 Der Erhalt der eigenen Freiheit, des autonomen Handlungsspielraums und des königlichen Lebens, die den Fortbestand des Staates garantieren, sind die höchsten Güter für den frühabsolutistischen Herrscher. Mit diesen beiden verschiedenen Herrschaftskonzepten und Staatsauffassungen geht auch ein unterschiedliches Rechtsverständnis einher. Nur wer wie Karl V. die kriegerische Auseinandersetzung als eine gewissermaßen privatrechtliche Art von „Rechtsstreit" oder „Kampfwette zweier Personen von Adel" 243 betrachtete, die aus einem Vertragsbruch resultierte, konnte davon ausgehen, daß dieser Rechtshandel durch einen Zweikampf mit Gottesurteil entschieden und dadurch ein Krieg größeren Ausmaßes vermieden werden könne. 244 Weiterhin dokumentiert der Glaube an Herrscherzweikämpfe als Mittel stellvertretender Konfliktlösung zwischen zwei Staaten die Vorstellung, der Herrscher habe eine Art privatrechtliche Verfügungsgewalt über sein Territorium. 245 Höchst aufschlußreich sind in diesem Kontext einige der Argumente, die Karl vorgetragen werden, um ihn von dem Duell abzuhalten: Duelle seien nicht nur aus christlicher Sicht zu verurteilen, sondern - so argumentiert der Consejo Real - verstießen auch gegen die „ley divina y razon natural". Der Kaiser aber sei gerade aufgrund seiner Position diesen Gesetzen mehr als jeder andere christliche Herrscher verpflichtet. 246 Die Stadt Murcia erinnert Karl an seine herrscherliche Verpflichtung gegenüber seinen Königreichen und dem katholischen Glauben, 247 der Marques de Zahara dehnt diese Verantwortung auf die gesamte vida"; vgl. auch ibid., p. 402 (Schreiben des Connetable): „quiere poner su vida en aventura por salvar vidas agenas"; ibid., p. 4 0 9 (Schreiben des Marques de Zahara): „se pone en gran aventura en tal batalla". 240 Vgl. Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, pp. 401s. 241
Lettre de Frar^ois I e r aux differents ordres de l'Etat, p. 597.
242 Somit verlagert sich die Ehre nicht, wie Weinrich, Mythologie der Ehre, S. 352 f., annimmt, vom Souverän auf die Nation, sondern die Ehre des Souveräns und die der Nation sind im frühabsolutistischen Staat ein und dasselbe. 243 Guttandin, Das paradoxe Schicksal der Ehre, S. 156. 244
Ibid., S. 156f.
245 Vgl. hierzu Goez, Uber Fürstenzweikämpfe, S. 151; Guttandin, Das paradoxe Schicksal der Ehre, S. 27 ff. 246
Gaibrois de Ballesteros, Dos manuscritos, pp. 378s.
247 Ibid., p. 380.
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Christenheit aus.248 Mehrere Schreiben verweisen mehr pragmatisch auf die Schwierigkeit, wenn nicht Unmöglichkeit, die Sicherheit zweier so hochgestellter Persönlichkeiten auf einem Kampfplatz zu garantieren.249 Der Connetable von Kastilien schlägt vor, lieber ein Schiedsgericht als einen Zweikampf über die Ehrverletzung entscheiden zu lassen.250 Auch habe der Kaiser ja allein durch seine Bereitschaft, sein Leben zu opfern, seine Ehre hinlänglich unter Beweis gestellt.251 Fast alle Schreiben spielen die kaiserliche Würde gegen die „nur" königliche des Franzosen aus252 und implizieren damit die mangelnde Satisfaktionsfähigkeit des Herausforderers. Als Unwürdiger, Lügner, Ehrvergessener und - dies wiegt aus spanischer Sicht wohl am schwersten - „mal cavallero"253 sei der französische König ohnehin dem Kaiser nicht ebenbürtig254 und somit nicht duellfähig: „por la diferencia que puso Dios entre las personas, porque como todo el mundo save el rey de Frangia es vuestro südito".255 Ein besonderes Meisterstück diplomatischer Korrespondenz ist das Schreiben des Duque de Infantado: Er appelliert nicht nur an die „prudencia" des Kaisers,256 sondern schreibt auch, er träte den Zweikampf gerne stellvertretend für ihn an, ließe dies sein Alter zu.257 In seinem subtil-überredenden Schreiben versetzt er sich hypothetisch an die Stelle des Kaisers, um seinen Argumenten mehr Gewicht zu verleihen. Er rät unter anderem von der Durchführung des Duells ab, um keine Nachahmer zu schaffen, die sinnlos ihr Blut für die Ahndung einer geringeren Schuld als derjenigen vergössen, die durch Verstoß gegen die „ley de honnra" entstanden sei.258 Als Hauptargument allerdings bezieht er sich - ebenso wie der Duque de Bejar 259 - auf eine formalrechtliche und somit die Ehre des Betroffenen gar nicht tangierende Erklärung, wieso in diesem Fall ein Duell nicht angebracht sei: Da es sich bei dem beleidigenden Vorfall um eine Vertragsverletzung handele, habe kein „juicio de las armas", sondern ein „juicio de sabios y caballeros" über „la verdad de las escrituras" zu
248 249 250 251 252 253 254
Ibid., p. 409. Ibid., pp. 383; 408. Ibid., p. 380. Ibid., p. 402. Ibid., pp. 378s.; 382; 396; 401. So der Connetable am 20. Juni 1528, zit. n. ibid., p. 404. Goez, Uber Fürstenzweikämpfe, S. 144; 154. Im Falle von Kontrahenten ungleichen Ranges gehe, so Goez, die Aufforderung zumeist vom Niederrangigen aus, der einen höheren Titel usurpieren wolle (S. 156), was dem Überbietungsanspruch des französischen Königs entspräche. Allerdings scheint doch zwischen Karl V. und Francois I er Gleichrangigkeit zu bestehen, und zwar erbmonarchisch durch die gleichwertige Königswürde. Das Kaisertum dürfte hier rechtlich als Wahlamt eigentlich keine Rolle spielen, wird aber in den verschiedenen Argumentationen zur A b stufung von Ehrwürdigkeit herangezogen. Scheyhing, Art. „Ebenbürtigkeit", Sp. 793 f. definiert Ebenbürtigkeit als „die gleichwertige A b k u n f t mehrerer Rechtsgenossen, die zur Standesgleichheit und Rechtsgleichheit führt" und sieht sie im „Dynastenadel als ebenbürtigefr] Klasse" gegeben.
255 256 257 258 259
Gaibrois de Ballesteros, Dos manuscritos, p. 413. Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, p. 385. Ibid., p. 384. Ibid., p. 387. Gaibrois de Ballesteros, Dos manuscritos, p. 382.
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richten. 260 Indem Karl das Gottesurteil im Zweikampf anrufe, bediene er sich eines Verfahrens, das ausschließlich auf unklare oder unentscheidbare Rechtshändel ohne schriftliche Grundlage anwendbar sei.261 4.2.3. Königliche „perfidia" Es bleibt zu fragen, welche machtpolitischen Strategien demgegenüber der französische König bei dieser Angelegenheit verfolgte. Seine Interpretation der Ereignisse ist eine gänzlich andere als die des Kaisers: Zwar läßt er sich zuerst zum Schein auf dessen Argumente ein, um dann jedoch sofort zu betonen, daß er sich durch den Vorwurf des Vertrags- und Treuebruchs nicht beleidigt fühle, weil er als damaliger Gefangener des Kaisers gar nicht rechtsfähig gewesen sei und daher auch kein gültiges Treueversprechen habe abgeben können. Aus diesem selben Grund seiner Unfreiheit sei auch der Vertrag von Madrid hinfällig.262 Die kriegerische Herausforderung von Burgos ist dann schlicht ein einseitiger Akt der Aggression unter fadenscheinigen Gründen: Der französische König stilisiert sich in den vorgebrachten Anschuldigungen als eigentlichen Wahrer des Friedens in der Christenheit, wohingegen die in seinen Augen nur vorgeblich friedenstiftende Monarcbia universalis als de facto kriegstreibend diffamiert wird. 263 Anstatt Krieg gegen die Ungläubigen zu führen, kämpfe der Kaiser gegen seine Mitchristen. Er habe die Heilige Stadt Rom verwüstet und das Haupt der Christenheit, den Papst, gefangengenommen, dessen Interessen der französische König stellvertretend zu wahren gedenke. Leider war Fran5ois I er in diesem Punkt nicht mehr ganz auf dem neuesten Informationsstand, so daß der Kaiser in seiner von Sarkasmus triefenden Antwort nur trocken darauf hinweisen muß, daß der Papst längst wieder freigelassen sei.264 Daher nimmt F r a n c i s einen zweiten Anlauf in seiner Argumentation und deklariert jetzt die Antwort des Kaisers an Guyenne in Burgos als die eigentliche Beleidigung, auf die er nun mit seinem Kartell antworte. 265 Er führt hier explizit die Kategorie 2 6 0 Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, p. 386. 261
Ibid. - Zum gerichtlichen Zweikampf vgl. Schild, Art. „Zweikampf".
262
Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, p. 357: „je ne me souviens point luy avoir faict quelque promesse; car quant au traicte qui par escript, je me tiens pour assez justifie du peu d'obligacion que je y ay, veu que je ne fuz en liberte ny devant ny deppuis ledit traicte, jusques ä ce que j'aye este en mon royaulme, ny mis sus ma foy pour pouvoir la garder et observer [ . . . ] . " In dieser Argumentation wird F r a n c i s auch von seiner Mutter in einem Brief an Wolsey unterstützt, vgl. L P IV.2 (1528), nr. 3939: „que notre dit [seign]eur et filz qui est prince de foy et honneur na este aucunement [viojlateur dicelluy traicte, et qu'il eust este bien contant que leslu [e]n Empereur eust voullu vivre avec luy, sans fiction, selon les [tr]aictez entre eulx faictz [...]. [ . . . ] les traictez par luy [i.e. l'Empereur] faictz estoient deceptifs et fainctz [ . . . ] . " Vgl. auch Sandoval, vol. 2, pp. 1 8 9 - 1 9 4 : Apologia de Francisco I contra la concordia de Madrid.
263 Santa Cruz, vol. 2, pp. 3 2 3 - 3 2 6 ; Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, pp. 3 1 1 - 3 1 4 . Vgl. hierzu auch die Äußerung des französischen Königs im Schreiben vom 28. März, das Robertet bei der Abschiedsaudienz für Granvelle verlas, w o er explizit betont, er strebe diese schändliche Monarchia
universalis
nicht an, die er einer Tyrannei vergleichbar hält: „quant ä moy, que je ne
desire tyrannie ny usurpacion de choses qui ne soient raisonnablement myennes, ny pretendant ou aspirant ä l'empire ny ä la monarchie; car je s^ay bien qu'il ne me appartient pas." 264 Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, pp. 314s.; vgl. auch Santa C r u z , vol. 2, p. 326. 265 Santa Cruz, vol. 2, p. 434; vgl. auch Karls Schreiben vom 15. Juni an den Erzbischof von Toledo, zit. n. Gaibrois de Ballesteros, Dos manuscritos, p. 376.
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der verletzten Ehre ein, die er bis zu seinem Tod zu verteidigen bereit sei - wohl wissend, wie der ritterliche Kaiser auf diese Argumentation reagieren würde: „Pour deffendre nostre honneur, lequel en ce cas seroit trop charge contre verite, avons bien voulu vous envoyer ce cartel [...] vuillant satisfaire ä ung chacun et nostredict honneur, lequel avons voulu garder et garderons, si Dieu piaist, jusques ä la mort". 266 Bereits in der Abschiedsaudienz für Granvelle hatte er diesen aufgefordert, seinem Herrn auszurichten, er möge ihm „en gentilhomme et non en advocat, par escript" 267 antworten. Die eigentliche Perfidie seines Handelns besteht dann darin, daß er, als der Kaiser erwartungsgemäß mit der Benennung des Kampfplatzes reagiert, die Taktik der Kommunikationsverweigerung anwendet und damit den antiquierten Ehrenkodex des Habsburgers desavouiert. Bereits in seinem Kartell an Karl vom 28. März 1528, das diesem in Monzon überreicht worden war, hatte er listig die Kommunikation einseitig abgebrochen: „doiresenavant ne nous escripvez aulcune chose, mais nous asseurez le camp, et nous vous pourterons les armes [...] c'est la fin de toutes escriptures" 268 - und damit souverän das Gesetz des Handelns in der Hand behalten. Und in der Abschiedsaudienz für Granvelle hatte er explizit auf sein Recht auf freie Willensausübung und damit auf die absolute Autonomie seines Handelns hingewiesen.269 Die Spontaneität des Regelbruchs aus eigener Machtvollkommenheit wird den erstarrten Regeln einer Tradition der Ehre entgegengestellt: „[...] et deppuis que j'ai este retourne en France, je ne congnoys nully qui ait eu puissance de la [i.e. ma foy] me pouvoir fere bailler; et de ma liberalle volunte, c'est chose que j'estime trop pour si ligerement m'y obliger [.,.]." 2 7 0 Das Duell wird hier in seiner ursprünglichen Funktion, nämlich als Korrektiv Störungen verursachenden sozialen Handelns, pervertiert - die Spontaneität der Aufforderung zur Aktion, die normalerweise auf die Beleidigung folgt, wird als Instrument der Regelsprengung ans Ende der Prozedur verlegt und läßt den ganzen Vorgang damit in der Handlungsunfähigkeit münden. Die Handlungssequenz des Zweikampfes, die in ihrer absoluten Reziprozität die vormalige Gleichwertigkeit der Ehrenmänner wiederherstellen soll, 271 wird von 266 Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, p. 373; vgl. auch die Anrede Guyennes an den Kaiser, ibid., p. 365: „lo que antes y despues vos aveis dicho e proferido contra su honra, queriendola dar por limpia e pura e sin ninguna sospecha delante del mundo". 267 Ibid., p. 359. 268 Ibid., p. 373; vgl. auch Santa Cruz, vol. 2, pp. 434s. und Gaibrois de Ballesteros, Dos manuscritos, p. 371; ebenso im Schreiben von Anne de Montmorency an den Herold Guyenne, in: Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, p. 413: „car ledit seigneur ne veult plus estre mene par escriptures." 269 Die von Frevert, Ehrenmänner, S. 32 für das 17. Jahrhundert konstatierte Kollision der „im Duell betontefn] Autonomie adliger Ehre mit den Verstaatlichungstendenzen absolutistischer Systeme" kommt in diesem französisch-frühabsolutistischen Modell gerade nicht zum Tragen, weil derjenige Aristokrat, der hier Autonomie einfordert, zugleich das Staatsoberhaupt ist. 270 Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, p. 353 [Hervorhebung durch Kursivierung von der Verf.]; vgl. auch Martin du Beilay, Memoires, p. 209. Karl greift diese Formulierung mit sarkastischem Unterton in seinem Antwortschreiben auf das französische Kartell auf und bezeichnet die französischen Argumente als „frivolles excuses et interpretacions" und „choses basses et viles", die eines Königs und Ehrenmannes nicht würdig seien: „c'est allegacion de clerc mal prins, piain de cavillacion et de calompnie et non de roy, ny chevalier, ny gentilhomme"; Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, pp. 397; 405. 271 Vgl. hierzu Guttandin, Das paradoxe Schicksal der Ehre, S. 272 ff.
4.2. Duello versus paragone: Die Zweikampfangebote
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Frangois I er ausgehebelt. Zuerst zwingt er den Kaiser durch sein Kartell zur Anerkennung seiner sozialen Gleichwertigkeit, die die Voraussetzung jedes Duells ist, und kündigt dann spielerisch-eigenmächtig ebendiese Reziprozität auf, hebt also unwiederbringlich die Struktur des Zweikampfes auf und unterbindet damit auch die Möglichkeit der Ehrenrestitution. Im Umgang mit dem spanischen Herold Borgogna zeigen sich seine von den spanischen Quellen beschworenen „malas artes", 272 seine „manas" 273 (Listen) und seine „perfidia" 274 ganz unverhohlen. Offensichtlich hatte die kaiserliche Seite bereits mit Finten der Verzögerung gerechnet, wie ein Instruktionsschreiben Karls V. an seinen Herold vom 24. Juni 1528 belegt: Dort hieß es, er möge gegen alle Weigerungen des französischen Königs so schnell, so laut und so öffentlich wie möglich das kaiserliche Gegenkartell verlesen. Falls Fran9ois I er sich weigern sollte, das Schreiben entgegenzunehmen, solle er es ihm vor die Füße werfen. Und wenn er am lauten Vortrag gehindert werde, möge er den König an einem öffentlichen Ort aufsuchen (ihm beispielsweise beim Kirchgang auflauern), um dort seinen Auftrag vor Publikum doch noch auszuführen.275 Doch alle Vorsichtsmaßnahmen und Instruktionen helfen nichts: Nach endlosen Verzögerungs- und Verschleppungstaktiken beendet F r a n c i s I er schließlich einseitig die - festgelegten rituellen Abfolgen verpflichteten - Verhandlungen, indem er in der endlich konzedierten Audienz dem kaiserlichen Herold das Wort verbietet und ihm dadurch die Ausführung seines Auftrags unmöglich macht. Er bedient sich hier erneut regelsprengender und zeremonieunterlaufender Strategien, wenn auch nicht mehr mit der gleichen Subtilität wie auf dem Güldenen Feld. Und er gefällt sich noch einmal in der Rolle des strategisch kühl kalkulierenden Spielverderbers, der ganz rational und rationell die Affekte des Gegners abschätzt und dessen Emotionalität gegen ihn selbst ausspielt. Er etabliert eigenmächtig ein neues, für die Adressaten noch nicht routinisiertes Kommunikationssystem, aber er tut dies mit mittelalterlich konnotierten Ritualen, die er gezielt instrumentalisiert. Durch den Rückgriff auf mittelalterlich tradierte Handlungsformen wie beispielsweise den einseitigen Kommunikationsabbruch garantiert er zugleich die Verstehbarkeit seiner Aktion, obwohl er in einer fast zynisch zu nennenden Wendung selbst nicht mehr an das glaubt, was seine Handlungen symbolisieren. Karl Brandl hatte im ersten Band seiner Biographie über Karl V. zu den nicht nachlassenden Aspirationen des französischen Königs auf Mailand - ganz für den Kaiser Partei ergreifend - geschrieben: „Das Verlangen des Königs nach Mailand hatte ganz gewiß mit dem Aufbau des französischen Nationalstaates nicht das geringste zu tun, und man sollte seine eitle Prestigepolitik nicht als etwas Modernes hinstellen." 276 Und er kommentiert sich in
272
Sandoval, vol. 2, p. 275; ebenso der Erzbischof von Santiago de Compostela in seinem Schreiben an Karl V. vom 12. Juni, vgl. Gaibrois de Ballesteros, Dos manuscritos, p. 378.
273 Sandoval, vol. 2, p. 299; vgl. Gaibrois de Ballesteros, Dos manuscritos, p. 411: „para aprender las malas manas de Frarnjia"; ebenso Karl an den Duque de Infantado am 15. Juni 1528, vgl. Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, p. 383. Vgl. auch Karls Antwort auf das französische Kartell vom 24. Juni, Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, p. 401, w o dem Franzosen „deceptions et tromperies, vuillant innover aux choses traictees" und habituelle Unzuverlässigkeit („et y avoit tousjours une garde-derriere pour laisser la porte ouverte") vorgeworfen werden. 2 7 4 Gaibrois de Ballesteros, Dos manuscritos, p. 394. 275 Ibid., pp. 409—412. 2 7 6 Brandi, Kaiser Karl V., Bd. 1, S. 323.
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4. Politischer
paragone: Zeremoniell
und„manieristische"
Überbietungslogik
seinem zweiten Band von 1941 verschärfend selbst und verleiht seinem Unbehagen gegenüber der listig-ironischen Herrschaftspraxis des französischen Königs deutlichen Ausdruck, wenn er sehr zutreffend (freilich nur ex negativa) formuliert: „Von ,eitler Prestigepolitik' rede ich nur gegenüber Franz I. persönlich angesichts seiner vielfach hohlen und zweideutigen Phrasen und dem mangelnden Ernst seiner Regierung." 277 „Mangelnden Ernst" in der positiven Wendung des Spielerisch-Virtuosen aber zeichnet den paragone gegenüber dem Duell aus, das auf der Ehrenrestitution durch Kampf auf Leben und Tod insistiert. Die agonale Handlungsstruktur, die der französische König den starren Strukturen kaiserlichen „Rittertums" entgegenstellt, bedient sich virtuos einer sublimierten Form der Konfliktaustragung, die auch vor Vertragsbruch, List, Täuschung und vor allem Lächerlichmachen des Gegners im Sinne einer modernen Machtpragmatik nicht zurückschreckt. Bereits die Zeitgenossen sahen offensichtlich das diplomatische Hin-und-Her um das Zweikampfangebot als theatralische Farce - was sich allein in der Tatsache zeigt, daß selbst die Granden im „ehrwütigen" Spanien von der Durchführung des Duells abrieten. Die Tradition des Rittertums überlebte an den italienischen Höfen des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts wie auch am französischen Hof nur noch im Kontext der Festkultur, wo sie eines von vielen zeichen- und zitathaft eingesetzten Divertissements darstellte, wie bereits anhand der Turnier- und Ritterspiele auf dem Güldenen Feld gezeigt wurde. Rittertum hatte am frühmodernen Hof nur noch eine Funktion als höfisches Gesellschaftsspiel, in dem die eigenen Traditionen ironisierend reflektiert wurden. Castiglione weist in seinem Cortegiano darauf hin, daß in Frankreich bereits am Hof von Louis XII übertriebene Ehrvorstellungen, die zu Duellen führen könnten, bespöttelt wurden.278 Guttandin hat daher das kaiserliche Beharren auf einem bereits überlebten Ehrbegriff und dessen Zusammenprall mit dem modern-ironisierenden Umgang mit ritterlichen Traditionen sehr zutreffend als „Donquijoterie"279 avant la lettre bezeichnet. Laut Cortegiano sind Diskussionen um Zweikämpfe, die zu keinen Taten führten, höchstens noch des Spottes würdig: [...] e non far com'alcuni, che passano la cosa in dispute e punti, ed avendo la elezion dell'arme, pigliano arme che non tagliano ne pungono e s'armano come s'avessero ad aspettar le cannonate; e parendo lor bastare il non esser vinti, stanno sempre in sul diffendersi e ritirarsi, tanto che mostrano estrema viltä; onde fannosi far la baia da' fanciulli, come que' dui Anconitani, che poco fa combatterono a Perugia e fecero ridere chi gli vide. 280
Der Spott des französischen Königs jedoch (wie auch später der von Cervantes über seinen Helden) gilt der gegen allen Wandel durchgehaltenen ungebrochenen Identifikation des Kaisers mit einem antiquierten Ehrenkodex, dem ernsthaft-ehrenwerten Beharren auf einer zu wahrenden mittelalterlichen „honra", die aufgrund starrer gravitä, mangelnder Reflexion und Flexibilität den Spielcharakter des Agon nicht durchschaut und vor allem
2 7 7 Ibid., Bd. 2, S. 258. 278 Castiglione, Cortegiano, lib. II, cap. LXV, pp. 210s.: „E Ί re Luigi, che oggi e re di Francia, essendogli, poco dapoi che fu creato re, detto che allor era il tempo di castigar i suoi nemici, che lo aveano tanto offeso mentre era duca d'Orliens, rispose che non toccava al re di Francia vendicar l'ingiurie fatte al duca d'Orliens." Dieses Diktum wird übrigens als Beispiel f ü r gelungene höfische Witze angeführt. 279 Zum folgenden Guttandin, Das paradoxe Schicksal der Ehre, S. 1 2 6 - 1 5 8 . 280 Castiglione, Cortegiano, lib. I, cap. X X I , pp. 51s.
4.2. Duello versus paragone: Die Zweikampfangebote
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keine Distanz zu sich selbst gewinnt - die Grundvoraussetzung eines ironischen Umgangs mit Konventionen.281 Francois' I er Triumph besteht in diesem Falle darin, daß er den Kaiser der europäischen Öffentlichkeit als anachronistischen Herrscher vorführen kann.282 Sein listiges Handeln ist eine zugespitzte Demonstration von Ironie und ein erneuter Beweis für die Überlegenheit moderner Herrschaftspraxis. Hier prallen zwei Herrschaftssysteme aufeinander, die nicht mehr kommunikabel sind: Dem uneigentlichen Sprechen, der bewußten Täuschung, dem Voltenschlagen, dem gezielten Mißachten von Spielregeln hat der Kaiser nichts entgegenzusetzen als eine unzeitgemäße Duellforderung und das Pochen auf seine Ehre. 283 Der Consejo de Castilla, sichtlich erleichtert, daß das Duell trotz des kaiserlichen Insistierens nicht stattfindet und der Kaiser bereit ist, den Rückzieher des französischen Königs als hinlängliche Restitution seiner Ehre zu betrachten, faßt die ganze Affäre nach reiflicher Beratung noch einmal zusammen - und beruft sich dabei gleichermaßen auf natürliche Vernunft, göttliches, menschliches, militärisches und Gewohnheitsrecht, schließlich auf ritterliches Herkommen und frühere fürstliche Heldentaten, so als wolle er alle nur denkbaren Register ziehen, um Karl von der Rechtmäßigkeit seines Handelns zu überzeugen.284 Durch diese augenblickliche Historisierung in der rückblickenden Erzählung soll das Ereignis ruhiggestellt werden.
4.2.4. Das Satyrspiel: Die „Ostermontagsrede" Karls V. Doch Karl V. insistierte: Er wollte die Geschichte seiner Taten selber schreiben und sein Handeln vor der Weltöffentlichkeit ein für allemal rechtfertigen. Er wählte hierzu geschickt einen herausgehobenen Moment an einem besonders bedeutungsträchtigen Ort. Nach seinem fulminanten Sieg über den Chaireddin Barbarossa im Sommer 1535 reist der Kaiser
281 282
Hierzu Guttandin, Das paradoxe Schicksal der Ehre, S. 128; 143. In seinem handschriftlichen Entwurf einer Erwiderung auf das in Monzon übergebene französische Kartell beruft sich Karl ganz explizit auf seine Vorfahren und deren Traditionen in Sachen Duell, die streng einzuhalten seien: „Et quant aux armes, ne m'en veux debatre, ains ensuyvre Ies loix de noz predecesseurs: car en nostrepropre
faictne
devons inover [ . . . ] " ; Papiers d'etat du C a r -
dinal de Granvelle, t. 1, p. 393 [Hervorhebung durch Kursivierung von der Verf.]. 283 Vgl. z.B. Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 1, pp. 402s., w o Karl Francois des unehrenhaften Vertragsbruchs anklagt, den dieser sicherlich ganz im Sinne seiner „liberalle volunte" bewußt begangen hatte, so daß ihn der Vorwurf wahrscheinlich wenig schmerzte: „vuillant si deshonteement desadvouher et impugner ung traicte par luy fait, promis et jure [ . . . ] telz traictez sont vaillables de tous drois divins et humains, et n'est en faculte dudict roy de France de soy eximer de son obligation ainsi promise et juree". Vgl. auch ibid., p. 4 0 6 im Kartell des Kaisers: „vous ayez faict chose que ung gentilhomme aymant son honneur ne doive faire". 2 8 4 Sandoval, vol. 2, pp. 299s.; ebenso auch Ferdinand in seinem Brief vom 18. Mai 1529 an Karl V.: „apres avoir le tout bien sonsidere [sic], me semble, monseigneur, que v re m te a bien et souffisamment satisfait et comply a v re honneur; parquoy, mesmes puisque estes pourveu de si bon et saige conseil, neust este convenable en faire autrement, pour estre la chose de telle importance, et qui requeroit tant de haste. Du depit que jay de telles choses injustes et ainsi hors de toute raison je men tais, et ay bien espoir, que dieu en fera la bangeance [sie], et pugnira eneoires notre ennemy, Selon quil le merke" (Lanz, Correspondenz des Kaisers Karl V., Bd. 1, S. 299).
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4. Politischer paragone: Zeremoniell und „manieristische"
Überbietungslogik
durch Süditalien bis nach Rom, wo er am 5. April 1536 in einem an antik-imperialen Ritualen orientierten Triumphzug seinen Einzug hält. 285 Circa 200 Häuser und drei oder vier Kirchen werden hierfür niedergelegt; 286 urbanistische Eingriffe schlagen schnurgerade Schneisen in die antiken Uberreste der Ewigen Stadt; temporäre Triumphbögen werden aufgestellt, um eine via triumphalis entstehen zu lassen, die dieses Kaisers und Schirmherrn der Christenheit würdig ist. Von der reich geschmückten Porta S. Sebastiano kommend, an der er als „Carolus Imperator Quintus Augustus et Tertius Africanus" gefeiert wurde, 287 führte sein Weg zum Circus Maximus, von dort im rechten Winkel auf einer neu angelegten via recta zum Kolosseum. Karl durchschritt dann - begleitet von den römischen Konservatoren in antikischen Gewändern - die drei antiken Triumphbögen des Konstantin, des Titus und des Septimius Severus und erinnerte sich dabei seiner imperialen Vorgänger. 288 E r sah links den Palatin liegen, streifte das Kapitol, um dann auf der Piazza S. Marco einen neuzeitlichen Bogen zu erblicken, der von Antonio di Sangallo d. J. und seinen Mitarbeitern eigens für ihn errichtet worden war. 289 Es war ein Bogen mit zwei sich kreuzenden Durchgängen, ähnlich dem Ianus Quadrifrons. In den acht Gemälden, die seine Fronten schmückten, waren Karls Siege in Afrika verherrlicht; der Kaiser wurde auf ihnen als Befreier der Christenheit gefeiert. Außerdem zierte den Bogen eine Art kaiserliche Ahnengalerie bestehend aus uomini famosi des Hauses Habsburg, 290 mit denen Karls Individualgeschichte zur genuinen Kaisergeschichte erhoben wurde. Beim triumphalen Gang über das Forum, wo sich der Kaiser in den imperialen Vorbildern der Antike spiegeln konnte, hatten sich seine Gedanken noch nicht auf seinen geistlichen Konkurrenten im universalen Machtanspruch richten müssen
285 Hierzu detailliert der Bericht im Diario des päpstlichen Zeremonienmeisters Biagio da Cesena, der auch einen Bericht über die Kaiserkrönung Karls in Bologna 1530 verfaßt hatte: Podestä, Carlo V a Roma, pp. 318-344; das genaue Itinerar auch bei Santa Cruz, vol. 3, pp. 322-329 und bei Pastor, Geschichte der Päpste, Bd. 5, S. 171-173. Vgl. auch Madonna, L'ingresso di Carlo V a Roma. 286 Angeblich wurden für die möglichst gerade Einrichtung der kaiserlichen via triumphalis auch Teile des Templum Pacis niedergelegt, vgl. Santa Cruz, vol. 3, p. 326; Guillaume du Beilay, Memoires, p. 304 und Podestä, Carlo V a Roma, p. 313. Diese Angabe stützt sich auf die Aussage Rabelais', der zu diesem Zeitpunkt im Dienste des Kardinals du Beilay in Rom stand - die angegebenen Größenordnungen der Zerstörung müssen im Hinblick auf die habituell gargantueske Phantasie des Berichterstatters allerdings wohl etwas relativiert werden. 287 Santa Cruz, vol. 3, pp. 325s.: Als „Vorfahren" des „dritten Scipio" waren Scipio major als Besieger Karthagos und Scipio minor im Triumph dargestellt. Die Beschreibung der Gemälde an der Porta S. Sebastiano bei Vasari in der Vita des Battista Franco (Barocchi, vol. 5, pp. 459s.). 288 Vgl. Jacquot, Panorama des fetes et ceremonies du regne, p. 431: „Charles ,se rejouit merveilleusement de regarder la ioyeuse et glorieuse memoire de son predecesseur.'" 289 Die detaillierte Beschreibung von Architektur und Bemalung des Triumphbogens bei Vasari in den Viten des Antonio da Sangallo (Barocchi, vol. 5, pp. 44-46) und des Battista Franco (Barocchi, vol. 5, pp. 495s.). 290 Santa Cruz, vol. 3, p. 327: „un arco superbisimo [...] con entalles dorados y figuras con historias pintadas de mano de muy sutiles maestros, y en cada parte estaban dos Emperadores con cada cuatro presos; los Emperadores son estos: Alberto, Maximiliano, Federico, Rodolfo. Encima la frontera de este arco estä trazada ä cada parte una Roma, y encima las armas del Papa y del Emperador con triunfos y otros ornamentos hermosisimos [...]."
4.2. Duello versus
paragone: Die Zweikampfangebote
1526/28 und 1536
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(obschon die Via papalis vom Lateran zum Vatikan zum Teil bereits deckungsgleich mit der kaiserlichen Via triumphalis gewesen war). Nachdem er jedoch den temporären Triumphbogen durchschritten und sich nach links in Richtung Campo dei Fiori gewandt hatte, war diese Konkurrenz der zeremoniellen Wege nicht mehr zu verdrängen: Durch die Via Peregrini und die Via dei Banchi führte sein Weg über die Engelsbrücke nach St. Peter, wo ihn der dortige Hausherr mit den Worten empfing „Heute ist allein Karl V. Kaiser, der stets wachsame Verteidiger des christlichen Glaubens." 291 Und durch die Wahl der Antiphon „Elegit eum Dominus et excelsum fecit ilium prae Regibus terrae" beim Hochamt in der Peterskirche wies der Papst deutlich auf die unterschiedlichen - und streng getrennten Machtbereiche der beiden Universalherrscher hin. Die Szene während des Rom-Aufenthalts Karls V., die in unserem Zusammenhang von besonderem Interesse ist, spielt sich am Morgen des 17. April in der päpstlichen Paramentenkammer im Beisein des Kardinalskollegiums und der ausländischen Botschafter am Heiligen Stuhl ab, nachdem die offizielle Hauptfrage des Zusammentreffens von Kaiser und Papst, nämlich das in Mantua abzuhaltende Konzil, bereits im Vorfeld dieses Ereignisses en passant abgehandelt worden war. 292 Bei den Ereignissen vom 17. April hat es fast den Anschein, als habe der Kaiser von früheren Aktionen seines französischen Rivalen gelernt, da nun auch er einen Überraschungscoup landet: 293 Nur nach Notizen auf einem Zettel und damit den Anschein von Spontaneität erweckend, 294 hält er eine mehr als anderthalbstündige Ansprache in kastilischer Sprache, 295 die unter dem Titel „Ostermontagsrede" in die Literatur eingegangen ist.296 Nicht nur der Papst und seine Entourage wurden von dieser Aktion überrascht, auch Karls eigene Berater erklärten gleich nach Beendigung der Rede gegenüber den französischen Botschaftern entschuldigend, sie seien über die Absicht ihres Herrn, den französischen König öffentlich anzugreifen, nicht vorab informiert gewesen. 297 291 Santa Cruz, vol. 3, p. 329; vgl. Rassow, Die Kaiser-Idee Karls V., S. 239. 292 Santa Cruz, vol. 3, p. 330. 293 Ein ähnlicher „Lerneffekt" scheint vorzuliegen, wenn Karl V. ebenso einseitig die Kommunikation mit dem französischen Botschafter Vely am Ende seines hier zu analysierenden Auftritts abbricht, wie Frangois dies bei Borgona in Paris getan hatte; vgl. Guillaume du Beilay, Memoires, p. 318. 294 Daß es sich bei der Aktion des Kaisers weder um eine „rein impulsive Handlung" noch um den „unmittelbaren Ausdruck persönlicher Entrüstung" handelte, hat bereits Friedensburg richtig bemerkt (Kaiser Karl V. und Papst Paul III., S. 16); so auch Kampmann, Arbiter und Friedensstiftung, S. 51 f. 295 Zu den Motiven des Kaisers, sich des spanischen Idioms f ü r seine Rede zu bedienen und zu den sprachgeschichtlichen Implikationen dieser Entscheidung vgl. Morel-Fatio, L'espagnol langue universelle; hierzu auch Rassow, Die Kaiser-Idee Karls V., S. 255 f. 296 Zu den Ereignissen im allgemeinen: Brandl, Kaiser Karl V., Bd. 1, S. 318 ff.; Kohler, Karl V., S. 2 4 7 - 2 5 2 ; Pastor, Geschichte der Päpste, Bd. 5, S. 1 7 0 - 1 8 4 . Zur „Ostermontagsrede" im besonderen: Rassow, Die Kaiser-Idee Karls V., S. 173-268; 3 7 9 - 3 9 2 ; Beilagen 4 u. 5, S. 4 1 8 - 4 3 0 ; Friedensburg, Kaiser Karl V. und Papst Paul III., v.a. das Kapitel „Rom 1536", S. 7 - 2 1 ; id., Zur Rede Karls V. in Rom vom 17. April 1536 (dort der spanische Bericht über die Rede aus dem Codex Corsinianus 469) - derselbe auch bei Cerezeda, Tratado de las campanas, vol. 2, pp. 1 0 6 - 1 1 0 ; Cardauns, Paul III., Karl V. und Franz I. in den Jahren 1535 bis 1536; v.a. jüngst Kampmann, Arbiter und Friedensstiftung, S. 4 9 - 5 7 . 297 Guillaume du Beilay, Memoires, p. 314; Ricalcati an Carpi, 19. April 1536, mitgeteilt von Rassow, Die Kaiser-Idee Karls V., S. 418; vgl. Baumgarten, Geschichte Karls V., Bd. 3, S. 199.
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4. Politischer
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und„manieristische"
Überbietungslogik
Peter Rassows Deutung dieses kaiserlichen Alleingangs trifft sicherlich zu: Er geht davon aus, daß es kaum Karls Absicht gewesen sein könne, Frangois Ier durch die Rede zur Raison bringen zu wollen. Vielmehr beabsichtigte er einerseits, seinen universalen kaiserlichen Machtanspruch als erster „paladin" der Christenheit nachdrücklich zu vertreten, 298 andererseits, den Papst zur Aufgabe seiner bis dahin streng gewahrten Neutralität im Mächtespiel Habsburg - Valois (vor allem im Kampf um Mailand nach dem Tod von Francesco Sforza) zu bringen und ihn zu einer eindeutigen Parteinahme für die kaiserliche Seite zu bewegen. 299 In seiner Rede gab der Kaiser seine Version des französisch-kaiserlichen Verhältnisses in einer „narratione delle cose passate" 300 im Dreischritt Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft: Er griff bis zu seinem Großvater Maximilian und dessen bereits gespanntem Verhältnis zu Frankreich zurück, um darzulegen, daß nicht er, sondern der französische König der Urheber ihrer jahrzehntelangen Zwistigkeiten und kriegerischen Auseinandersetzungen sei und daß die französischen Könige mit dem Hang zum Treuebruch geradezu erblich vorbelastet seien. Frar^ois Ier wird als notorischer Vertragsbrecher, Kriegstreiber, Aufwiegler fremder Untertanen und Türkenfreund dargestellt. Im Rahmen dieser Konfliktrekonstruktion ruft Karl bezeichnenderweise auch erneut die Vorfälle der Jahre 1526/28 in Erinnerung und berichtet aus seiner Sicht, „wie es wirklich gewesen": Que, avant le partement et delivrance dudict seigneur roy, Sadicte Majeste luy parla franchement et ouvertement sur ce que plusieurs disoient qu'il ne tiendroit ce qu'il avoit traicte et promis et jure et en baille sa foy: sur quoy ledict seigneur roy de France feit plusieurs grands sermens et adjurations qu'il n'y deffauldroit en riens quelconque. Quoy voyant, Sadicte Majeste luy diet que, s'il le faisoit, il y auroit perpetuelle amitye entre eulx et leurs hoirs, et pourroient faire grandes choses pour le bien de la chrestiente et benefice d'icelle, et le tiendroit pour prince de foy et d'honneur, et au contraire le reprocheroyt de mauvaisement aller contre sadicte foy et promesse et de tant de juremens qu'il faisoit: dont ledict seigneur roy de France diet qu'il estoit tres-content. Et voyant depuis Sadicte Majeste que l'honnestete usee envers ledict seigneur roy de France en sa delivrance, ny encores ce qu'elle avoit comporte depuis des practiques et factions dudict seigneur roy assez notoires, ne profitoient en riens, mais continuoit de mal en pis, dit en Grenade au president de Bourdeaulx, lors ambassadeur dudict seigneur roy de France devers Sa Majeste, qu'il advertist ledict seigneur roy comme il ne luy avoit garde sa foy. Sur quoy et sur ce que Sa Majeste reprint au herault qui le vint deffier ä Bourgues, ledict roy de France offrit depuis le combat ä Sadicte Majeste, des Parys, plustost ä la soldadesque que en termes convenables aux qualites d'eulx deux: dont toutesfoys ne s'estoit ensuivy aulcung effect. Et pouvoit-l'on bien s$avoir ä qui il avoit tenu, s'en remectant (pour estre la chose d'assez fresche memoire, dont il apparissoit par escript publicque) ä ce qu'en estoit, et au regard de ladicte deffiance de Bourgues, qu'elle avoit este faicte avec l'occasion et fondement desjä assez sceu.301 298 Vgl. De Cadenas y Vicent, Discurso de Carlos V en Roma, pp. 17s. - Für diese Annahme spricht auch die Tatsache, daß Karl in „ungewöhnlichem Pomp, in vollem kaiserlichen Ornat, die Krone auf dem Haupte" erschien; vgl. Baumgarten, Geschichte Karls V., Bd. 3, S. 197; ebenso Guillaume du Beilay, Memoires, p. 307. 299 Rassow, Die Kaiser-Idee Karls V., S. 232-237; 239-244; 254; ebenso De Cadenas y Vicent, Discurso de Carlos V en Roma, p. 79. 300 Bericht eines anonymen Italieners (Venezianers?) über die Rede Karls, mitgeteilt bei Rassow, Die Kaiser-Idee Karls V., S. 422. 301 Vandenesse, Journal des voyages de Charles-Quint, pp. 124s.; ähnlich bei Santa Cruz, vol. 3, p. 337, der ebenfalls die lakonische Bemerkung „de lo cual se habia seguido algun efecto" kolpor-
4.2. Duello versus paragone: Die Zweikampfangebote
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Die Geschichtserzählung hat hier nicht nur memorierende Funktion, 3 0 2 sie dient vor allem der Handlungslegitimation vor Publikum - der Begriff der „justification" findet sich mehrfach in den späteren Berichten des Kaisers über den Vorfall. 3 0 3 A u c h der Aspekt der kaiserlichen Selbstdarstellung vor einer hochrangigen Öffentlichkeit darf nicht unterschätzt werden: Ein anonymer italienischer Berichterstatter schreibt, der Kaiser habe sich „messa in un tale theatro ad esponere et protestare". 3 0 4 D e r mündliche Vortrag der Historie scheint Karl jedoch nicht ausgereicht zu haben: In Reaktion auf die rechtfertigende A n t w o r t des französischen Königs, die dieser in R o m vor dem gleichen Publikum, vor dem Karl seine Rede gehalten hatte und am gleichen O r t verlesen ließ, 3 0 5 verfaßt er am 19. Mai 1536 einen ausführlichen Rechenschaftsbericht seines Handelns und dessen seiner Vorfahren angesichts der französischen Perfidie. 3 0 6 Die spöttische Bemerkung des französischen Königs, „que naviez faict que la moictie de la cronicque et il acheveroit laultre", 3 0 7 kontert der Kaiser hier mit dem Hinweis: „ E t soubz ceste confidence commenceray par ce que ledit seigneur roy diet que je n'ay faict que la moictie de l'histoire et luy convient escripe l'aultre. E t certes je confesse que, non seullement je n'ay declaire ä Vostredicte Ste. la moictie ny le
tiert; vgl. auch die italienische Sammlung von Schriftstücken, die mit der Rede in Verbindung stehen, in der Biblioteca Borghesiana des Vatikanischen Archivs; mitgeteilt von Cardauns, Paul III., Karl V. und Franz I. in den Jahren 1535 und 1536, S. 226; hierzu auch Rassow, Die Kaiser-Idee Karls V., S. 381-383. 302 Vgl. Karls Brief an Hannart, zit. n. De Cadenas y Vicent, Discurso de Carlos V en Roma, p. 75: „avons suygamment rememore par le menu les grands devoirs ou continuelement nous sommes mis depuis notre josne eage". 303 So bei Vandenesse, Journal des voyages de Charles-Quint, p. 119: „luy sembloit convenir de faire plus ample declaration et justiffication ä Sadicte Sainctete"; ibid., pp. 119s.: „il vouloit (combien que ce n'estoit droictement son gibier de haranguer) declarer, pour sa justiffication, et non en volente de mesdire dudict roy de France, comme les choses estoient passees entre eulx"; vgl. den Brief Karls an Hannart, in dem er schreibt, er habe die Rede nur gehalten aus „lobligation que avons a notre honneur, excuse et justificacion" (Lanz, Correspondenz des Kaisers Karl V., Bd. 2, S. 228); ebenso bei Santa Cruz, vol. 3, p. 332 und in dem Bericht eines anonymen Italieners über die Rede in Rom, mitgeteilt bei Rassow, Die Kaiser-Idee Karls V., S. 427f. - Die spanische Relation vom April 1536 aus der Bibliothek des Escorial spricht von „dar cuenta" im Sinne einer zu begleichenden Rechnung (zit. n. De Cadenas y Vicent, Discurso de Carlos V en Roma, p. 36); Biagio da Cesena verwendet die Bezeichnung „prostestatio", vgl. Podestä, Carlo V a Roma, p. 340: „longum habuit sermonem in modum quaerelae et protestationis". 304 Mitgeteilt bei Rassow, Die Kaiser-Idee Karls V., S. 428. 305 Vgl. die Absichtserklärung des französischen Königs gegenüber Hannart, in: Fernandez Alvarez, Corpus documental de Carlos V, vol. 1, p. 494. Vgl. Pastor, Geschichte der Päpste, Bd. 5, S. 182: Das Schreiben wurde am 11. Mai verfaßt und am 25. Mai in der Sala de' Paramenti öffentlich verlesen. Den Wortlaut überliefert Guillaume du Beilay, Memoires, pp. 324-327. 306 Abgedruckt bei De Cadenas γ Vicent, Discurso de Carlos V en Roma, pp. 88-103 und bei Cardauns, Zur Geschichte Karls V. in den Jahren 1536-1538, S. 324-343. - Es ist eine historiographische Ironie, daß sich die nationalistisch eingefärbten Anschuldigungen des Kaisers mit der frankreichfeindlichen deutschen Historiographie der Jahre um die Wende zum 20. Jahrhundert decken und daß Francjois I er durch sein Verhalten beiden Seiten rechtgibt. 307 Brief Hannarts an Karl vom 1. Mai 1536, in dem er die Reaktion des französischen Königs auf die kaiserliche Rede referiert, mitgeteilt bei Cardauns, Zur Geschichte Karls V. in den Jahren 15361538, S. 322; vgl. Guillaume du Beilay, Memoires, p. 324.
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4. Politischer
paragone: Zeremoniell
und„manieristische"
Überbietungslogik
quart des paticularitez dont je me puis (ä bon droict et tres grande cause) ressentir et plaindre dudict seigneur roy, mais je Tay delaisse tant seullement ä fin de me justifier, sans vouloir mesdire de luy ny de ses oeuvres, et pourtant me suis arreste ä ce peu." 308 Der Kaiser als Historiograph dokumentiert mit seinem Bericht autoritativ den gesamten Vorgang. Gerne wolle er jetzt den Rest nachliefern, denn die Geschichte solle Zeugnis ablegen von seiner Ehrenhaftigkeit und Aufrichtigkeit, halte er sich doch stets unverbrüchlich an die Wahrheit. Von seinem Rivalen verlangt er, daß er - wenn er schon nicht wahrheitsgetreu die Fakten referiere - wenigstens die „vraisemblablete" 309 wahren möge. Karl hielt die Rede wohl tatsächlich nur anhand von Notizen. 310 Es existiert keine vorher abgefaßte schriftliche Version, die ihren genauen Wortlaut tradierte. 311 Die Uberlieferung ihres Inhalts ist daher vielschichtig und zum Teil kontrovers. 312 Die authentischste Äußerung zum Geschehen, von Karl selbst, stellt sein Brief vom 17./18. April an seinen Botschafter am französischen Hof, Jean Hannart, Seigneur de Liedekerke, Vicomte de Lombeke, dar. Dort findet sich dann nach der Rekapitulation der Konfliktpunkte auch die berühmte Aufforderung zum Zweikampf, die als dritte Möglichkeit nach den Optionen Frieden zu kaiserlichen Bedingungen (also Mailand für den Dauphin und französischer Abzug aus Savoyen) oder Krieg formuliert wird: Et aussi audit cas, non point par gloire ny pour inimite contre ledit sr roy, comme dieu le scet, mais tant seulement pour eviter les inconveniens et maulx que succederont de rentrer en guerre, tant a laditte chrestiennete que aux subgectz dung coustel et dautre,313 serons contens, que laditte guerre se acheve de notre personne a la syenne; et si ledit sr roy ne veult estre raisonnable a laditte paix (comme esperons quil sera), oudit cas et de deffault de laditte paix sommes tres content, et luy offrons dainsi le faire, avec armes et sehurtez egales, soit en mer ou en terre, lesquelles seront assez facilles a trouver, si ledit sr roy y veult estre traictable, comme nous serons de notre couste. Et ne
308 De Cadenas y Vicent, Discurso de Carlos V en Roma, p. 88. 309 Ibid., p. 89. 310 Vgl. ibid., p. 12; Guillaume du Beilay, Memoires, p. 313: „baissant la teste pour lire en un petit brevet qu'il avoit environne ä Pentour de son doigt." 311 Die französische Fassung des Briefes überliefern Lanz, Correspondenz des Kaisers Karl V., Bd. 2, S. 223-229 und Vandenesse, Journal des voyages de Charles-Quint, pp. 118-131; die spanische Übersetzung bei Santa Cruz, vol. 3, pp. 344-351. Einen italienischen Bericht teilt Cardauns, Paul III., Karl V. und Franz I. in den Jahren 1535 und 1536, S. 219-231 mit. Vgl. auch die sehr detaillierten Berichte bei Guillaume du Beilay, Memoires, pp. 308-313 und im Kollektivbrief von Vely und Mäcon an Francois Ier, in: Negotiations de la France dans le Levant, t. 1, pp. 295-309. Vgl. auch De Cadenas y Vicent, Discurso de Carlos V en Roma, pp. 69s. (die Transkription eines Berichts aus dem Escurial durch den Padre Miguelez zitierend). 312 Hierzu detailliert und quellenkritisch: Rassow, Die Kaiser-Idee Karls V., S. 379-392; De Cadenas y Vicent, Discurso de Carlos V en Roma, p. 39. 313 Karl bemüht mehrfach im Zuge der publizistischen Auseinandersetzungen um die Ostermontagsrede den Begriff des „bien publicque", dessen Wahrung ihm mehr als alles andere am Herzen liege. Vgl. z.B. Vandenesse, Journal des voyages de Charles-Quint, p. 125; Brief Karls an Hannart, in: Lanz, Correspondenz des Kaisers Karl V., Bd. 2, S. 228; Instruktion Karls V. für Ascanio Colonna, mitgeteilt von Cardauns, Paul III., Karl V. und Franz I. in den Jahren 1535 und 1536, S. 241 („bien publico dela Christianidad"). - Zur Ostermontagsrede als typisch frühneuzeitlichem massenmedialen Ereignis vgl. Kampmann, Arbiter und Friedensstiftung, S. 36-40 und 49 ff.
4.2. Duello versus paragone: Die Zweikampfangebote
1526/28 und 1536
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voyons, que ledit combat ne se puist aussi bien faire, comme il a este fait cydeuant entre autres princes et personnaiges, pour eviter et achever guerre, ny aussi que les sehurtez ne sy treuvent, comme sest fait autresfois, mesmes pour la restitucion des enfans dudit s r roy, et aussi ayseement que sil estoit question dasseurer une veue dentre nous. 3 1 4
Der Verlierer soll - im Falle seines Uberlebens - dem Sieger seine Truppen zum Kampf gegen die Osmanen überlassen.315 Weiterhin schlägt der Kaiser vor, diejenigen beiden Territorien als gleichwertige Kampfpreise auszusetzen, um die sich seit Jahren die Begehrlichkeiten der beiden Herrscher gerankt haben: Mailand und Burgund.316 Nach Beendigung der Rede will der Papst zur Antwort ansetzen, aber Karl unterbricht ihn und fordert ihn auf, als Schiedsrichter in der Angelegenheit zu fungieren.317 Doch der Papst wahrt weise seine Neutralität und rät dringend - rational die Chancen kalkulierend vom Zweikampf ab: „Sa Sainctete toutesfois estoit d'advis qu'estans iceux deux princes tels membres et principaux appuis de la republicque chrestienne, il ne pourroit ä icelle republicque venir si grand dommage de la guerre, quelque grande et cruelle qu'elle fust, que du combat de personne ä personne entre eux, s'il advenoit (comme il estoit ä craindre) que Tun ou paravanture tous deux y mourussent."318 Die diplomatische Lage nach dieser Anklagerede ist aufs höchste gespannt. Daher ist es von besonderer Wichtigkeit, daß dem französischen König jedes Wort des Kaisers genau kolportiert wird - was aufgrund mangelnder Spanischkenntnisse der französischen Botschafter jedoch nicht möglich ist. Es ist schwer zu entscheiden, ob Karls (diesmal um der besseren Verständlichkeit willen auf italienisch vorgetragenen) Äußerungen319 beim Treffen mit Charles Hemard de Denonville, Bischof von Mäcon, und Claude Dodieu de Vely am Folgetag tatsächlich nur die unklaren Stellen der Ostermontagsrede genauer explizierten, oder ob er - unter dem mäßigenden Einfluß seiner ebenfalls überrumpelten Berater Granvelle und de los Cobos - eine abgeschwächte Interpretation der Zweikampfforderung des Vortages nachschob.320 In seiner Selbstexegese vom 18. April unterstreicht Karl nämlich 314
Lanz, Correspondenz des Kaisers Karl V., Bd. 2, S. 227; vgl. auch Guillaume du Beilay, Memoires, pp. 3 1 1 - 3 1 3 .
315 Kollektivbrief von Vely und Mäcon an Francois I e r , in: Negotiations de la France dans le Levant, t. 1, p. 301; vgl. De Cadenas y Vicent, Discurso de Carlos V en Roma, p. 107. 3 1 6 Vgl. Vandenesse, Journal des voyages de Charles-Quint, p. 131: „Et si ledict seigneur roy, au deffault dudit traicte dessus nomme, a si grand'envye de recouvrer ledict Milan, Sa Majeste est content de le deposer ä l'encontre du duche de Bourgongne, combien qu'il soit ä Sadicte Majeste, et aultre chose que sera mise egale audict Millan, afin que le vainqueur obtienne ce que sera depose." 317 Kampmann, Arbiter und Friedensstiftung, S. 5 1 - 5 6 ; vgl. auch Baumgarten, Geschichte Karls V., Bd. 3, S. 199. - Die Einsetzung eines Schiedsrichters wurde bereits bei der Duellforderung von 1528 diskutiert; vgl. L P IV.2 (1528), nr. 4909, wo betont wird, daß Wolsey für die Aufgabe als „mediator" nicht in Frage komme, da er franzosenfreundlich sei. 318 Guillaume du Beilay, Memoires, p. 313; vgl. auch D e Cadenas y Vicent, Discurso de Carlos V en Roma, p. 70; Kollektivbrief von Vely und Mäcon an Frangois I e r , in: Negotiations de la France dans le Levant, t. 1, p. 302. 319 Guillaume du Beilay, Memoires, pp. 315s.; Kollektivbrief von Vely und Mäcon an Frangois I e r , ibid., p. 305. 320 Diese Meinung vertritt De Cadenas y Vicent, Discurso de Carlos V en Roma, p. 118. - Vgl. die spanische Relation vom April 1536, zit. n. D e Cadenas y Vicent, ibid., p. 37: „y el Papa Hämo de
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4. Politischer
p a r a g o n e : Zeremoniell
und „manieristische"
Überbietungslogik
erneut, d a ß er d e n alten - d. h. im Mittelalter verbreiteten, aber bereits im A l t e n Testament d o k u m e n t i e r t e n - B r a u c h des Z w e i k a m p f e s z u r stellvertretenden K o n f l i k t a u s t r a g u n g u n t e r H e e r f ü h r e r n w i e d e r aufgreifen wolle, 3 2 1 u n d stellt n o c h m a l s klar, d a ß es sich nicht u m eine D u e l l f o r d e r u n g a u f g r u n d einer E h r k r ä n k u n g , s o n d e r n u m eine traditionelle gerichtliche Z w e i k a m p f f o r d e r u n g handele. 3 2 2 D i e f r a n z ö s i s c h e n B o t s c h a f t e r h ä t t e n i h n m i ß v e r s t a n d e n , schreibt er an H a n n a r t , w e n n sie b e h a u p t e t e n , er w o l l e „deffier le r o y leur maistre au c o m bat particulier" - eine E h r v e r l e t z u n g sei das letzte, was er in seinen steten B e m ü h u n g e n u m die f r a n z ö s i s c h e F r e u n d s c h a f t beabsichtigt habe: [...] ny avoit este notre intencion de en facon quelconque mesdire dudit s r roy, ains tousjours avions eu respect den parier selon le propoz le plus honnorablement que avons peu; ny aussi avoit este notre voulente de le deffier, ny par tout ce que nous dismes avoir la guerre pour rompre, mais plustost demonstrer, que notreditte intencion et affection est entierement a la paix, et eviter ladite guerre, sil est possible [...]. 323 D i e R e a k t i o n des f r a n z ö s i s c h e n Königs ist nach allem, was bereits die A n a l y s e der ersten Z w e i k a m p f f o r d e r u n g ergeben hat, absehbar. E r n i m m t s o f o r t d e n m o d e r n e n S t a n d p u n k t ein, 324 d a ß ein zeitgemäßes Duell ausschließlich a u f g r u n d einer E h r k r ä n k u n g z u s t a n d e
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palabra y con la mano: e lo q queria decir era q se dezia por Roma que en la plätica del dia antes su Μ. auia desafiado al Rey de Francia su senor: y q avnq el no lo auia oydo, que se dezia tanto, q queria, si su. M. mandaua, se lo dixesse e declarasse delante su Sanctidad, e de aquellos caualleros. El Emperador dixo que era burla: e q lo q el dixo q aueriguasen el y el Rey de Francia estos negocios: que no era sino por dar medio en que no muriessen tantos sin culpa, como murian, en caso q el no quisiesse la paz: mas que no era desafio, ni tal auia sido ne era su intencion. Y en suma, torno a ofrecerles todos los partidos de paz q el dia antes auia dicho: que son muchos." Biagio da Cesena spricht sogar von einem Faustkampf, von „pugnam vel duellum"; Podestä, Carlo V a Roma, p. 342; vgl. den Kollektivbrief von Vely und Mäcon an Frangois I er , in: Negotiations de la France dans le Levant, t. 1, p. 301: „c'est chose qui a este autrefoys faicte entre princes chrestiens pour eviter plus grant domaige". Karl bezog sich laut Guillaume du Beilay, Memoires, p. 312 explizit auf David und Goliath: „ils vuidassent entre eux deux leurs differends, de personne ä personne, et que c'estoit ce qui avoit autrefois este faict, comme par David et autres; car, encores qu'ils fussent roys, ils n'estoient toutesfois autres qu'hommes, combien qu'ils fussent un peu plus polis et mieux equippez que les autres." Die französischen Botschafter trennen in ihrem Bericht ebenfalls streng diese Art von antiquiertem und somit für Frangois Ier unannehmbarem Zweikampf vom Duell aus Ehrkränkung, wie es 1526/28 angestanden habe (Kollektivbrief von Vely und Mäcon an Frangois I er , in: Negotiations de la France dans le Levant, t. 1, p. 304). Brief Karls an Hannart, in: Lanz, Correspondenz des Kaisers Karl V., Bd. 2, S. 228 f. Vgl. hierzu auch Rassows abschließendes Urteil über die „Ostermontagsrede": „Eine Torheit in den Augen der politisch .modernen Männer', die staatlich, militärisch und rationell zu denken gelernt hatten. Gerade sie aber hatte der Kaiser überspielen wollen. Er hatte sich über sie hinaus an die öffentliche Meinung der Christenheit gewendet. Bei ihr konnte er hoffen, noch Verständnis für seine alte gute Anschauung zu finden, das Bewußtsein, daß oberhalb aller staatlichen, nationalen und sonstigen Besonderheiten die Christenheit eine gottgewollte Einheit sei, deren gemeinsame Güter höher im Wert standen als jene partikularen Interessen. [...] Die moralischen Kräfte, die er durch den Appell an die öffentliche Meinung der Christenheit ins Spiel gebracht hatte, war nichts anderes als eine Selbstdarstellung vor aller Welt. Man sollte wissen, wessen man sich von ihm zu versehen habe. Er wollte durch die Charakterisierung der französischen Politik
4.2. Duello versus paragone: Die Zweikampfangebote
1526/28
und 1536
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kommen könne, er sich aber in keiner Weise beleidigt fühle. 3 2 5 Gleichzeitig erklärt er sich uneingeschränkt bereit, ein päpstliches arbitrium
zu akzeptieren - freilich nur für den
formaljuristischen Bereich, für den dieses Gültigkeit habe, nicht jedoch in Bezug auf das Reichslehen Mailand. 3 2 6 Angeblich soll er beim Erhalt der Nachricht von der kaiserlichen Rede gelacht und sofort eine sarkastische Replik formuliert haben. 3 2 7 In einer virtuosen Volte wand sich F r a n c i s I e r einmal mehr aus der vermeintlich machtvollen Umklammerung des Kaisers heraus. Seine ironische Bemerkung „quil ne vouloit faire du brave et vous congnoissoit si gentil prince, ores que ne fussiez que gentilhomme, que feriez ce que presentiez. mais il luy sembloit que pour ceste heure noz espees estoient trop courtes, pour se bastre de si loing, et sil advenoit que Ion saprochat de plus pres et demandissiez ung cop de lance, il ne vous seroit reffuse", 3 2 8 zeigt deutlich, daß er keinesfalls vorhatte, auf das Angebot Karls einzugehen. D e r Kaiser verstand sehr wohl, daß der König sein gut- und ernstgemeintes Angebot, das weiteres Blutvergießen in der Christenheit verhindern sollte, verspottete, indem er das alles entscheidende Zusammentreffen der beiden Herrscher in einer möglichen Schlacht als spielerisch-ritterlichen „cop de lance a plaisir" 3 2 9 ironisierte, den auszufechten er nicht abgeneigt sei. Karl konnte ob dieser absoluten habituellen Inkompatibilität 3 3 0 zwischen ihm und seinem Gegner nur noch grollend resignieren 3 3 1 und das abschließende Urteil über ihr Verhältnis (in einer fast protestantischen, das Gewissen des Kontrahenten belastenden Wendung) einem arbiter
überlassen, der noch weniger parteiisch war und in der kirchlichen
Hierarchie noch höher stand als selbst der Papst:
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des vergangenen Menschenalters zeigen, welche politische Ideenwelt ihm vollkommen fremd sei. Vor allem aber hatte er den Papst moralisch zwingen wollen, nicht zwischen zwei Fürsten, sondern zwischen zwei politischen Gesamtanschauungen zu wählen." (Die Kaiser-Idee Karls V., S. 262-264). Guillaume du Beilay, Memoires, p. 327. Vgl. Kampmann, Arbiter und Friedensstiftung, S. 54 f. Brief von Carpi an Ricalcati, Suryeu 29. April 1536, Archivio Vaticano, Nunziatura di Francia II, fol. 1, 2, Abschr. Brief Hannarts an Karl vom 1. Mai 1536, mitgeteilt bei Cardauns, Zur Geschichte Karls V. in den Jahren 1536-1538, S. 322 f. Die spanische Version des Briefes bei Fernandez Alvarez, Corpus documental de Carlos V, vol. 1, pp. 493-495. Vgl. auch Guillaume du Beilay, Memoires, p. 327. So Karl in seinem Rechenschaftsbericht vom 19. Mai, mitgeteilt von Cardauns, Zur Geschichte Karls V. in den Jahren 1536-1538, S. 343 und von De Cadenas y Vicent, Discurso de Carlos V en Roma, p. 103. Zum Aufeinanderprallen dieser diametral entgegengesetzter Herrschaftsvorstellungen (präabsolutistisches Staatsdenken gegen die Vorstellung von einem Mächtesystem, dessen Zentrum der Kaiser selbst war) vgl. auch Rassow, Die Kaiser-Idee Karls V., S. 182f.; 194 und 209: „Dahingegen lag im Verhältnis des Kaisers zum König von Frankreich die Antinomie in der grundsätzlichen Verschiedenheit der beiden Ordnungs-Sphären, die sie vertraten. Zwischen einer Ordnung der weltlichen Reiche und Herrschaften, die ihr Recht und ihren Sinn nur als .Obrigkeiten' im Zusammenhang der .Christenheit' hatten, und jener anderen, in der sie als autonome .Staaten' ohne jeden anderen Zusammenhang als den zeitweiliger Interessengemeinschaft nebeneinander standen, konnte es ebenfalls keinen Ausgleich geben".
331 Vgl. hierzu das lakonische Urteil Baumgartens, Geschichte Karls V., Bd. 3, S. 201: „Als der Kaiser am 18. April Rom verließ, hatte er für sein Verhältnis zu Frankreich nichts und für seine Beziehungen zum Papste nicht sehr viel gewonnen."
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4. Politischer
paragone: Zeremoniell
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Überbietungslogik
Et au regard du combat particulier auquel ledict seigneur roy respond qu'il n'est tenu pour austant qu'il n'est en riens charge de son honneur, il faut qu'il entende que le syen et le myen sont et seront encoires plus en la bouche, dispute et oppinion des humains selon la notoriete et evidence de nos oeuvres; et aussi sera la syncerite de noz consciences au jugement du Createur, qu'empourte plus que ce que ledict roy de France et moy nous en pouvons persuader nous mesmes. Et, de ma part, n'en veulx plus contendre avec luy, puisque il n'a jamais riens profficte jusques ä oyres.332 A m 7. Mai 1536 schickt Karl dann ein Billet an Vely, in dem er klarstellt, daß er, da der französische König die gestellte 20-Tage-Frist für eine Antwort weit überschritten habe, alle seine Angebote zurückziehe. 333 Ein neuerlicher Krieg ist bereits zu diesem Zeitpunkt unvermeidbar und bricht kurz darauf im Sommer 1536 erwartungsgemäß wieder aus.
332 Zit. n. De Cadenas y Vicent, Discurso de Carlos V en Roma, pp. 102s.; vgl. auch Cardauns, Zur Geschichte Karls V. in den Jahren 1536-1538, S. 342f. 333 Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 2, p. 464.
5. „Rex artifex": Spezifika der Kunstpatronage unter Fran9ois I er
Um 1544 fertigte Francesco Primaticcio eine Zeichnung für einen Giebelentwurf an, der möglicherweise mit der Außendekoration für das von Philibert de Lorme erbaute Schloß von Saint-Maur-les-Fosses in Verbindung gebracht werden kann (Abb. 18).1 Die zentrale Position in dieser Zeichnung nimmt eine Porträtbüste von F r a n c i s I er ein, die von fides und einer weiteren, nicht eindeutig zu identifizierenden allegorischen Figur mit einem Lorbeerkranz gekrönt wird. Letztere könnte scientia darstellen, signalisiert aber mit ihrem Astrolabium zugleich den Anspruch auf die wissenschaftliche und politische Beherrschung des orbis terrarum. In diesem lebensnahen Porträt mit dem charakteristisch-süffisanten Blick, der intellektuelle Überlegenheit signalisiert und einmal mehr dem Clouet-Gesichtstypus folgt, wird der König selbst zum Kunstwerk. Unterhalb der Büste lagern Diana und eine Frau mit drei Kindern, die wohl Caritas oder fecunditas darstellen soll. Rechts und links von ihnen sitzen die neun Musen (genauer gesagt die Kamenen, römische Quellnymphen, die mit den griechischen Musen gleichgesetzt wurden). Dieser architektonische Entwurf hätte wo auch immer er umgesetzt worden wäre - das derart geschmückte Gebäude als Musenhof charakterisiert und seinen Hausherrn pronociert als Freund und Förderer der Wissenschaften und der Künste ausgewiesen. Das selbstgeschaffene Idealbild des französischen Königs als eines Künstlerfreundes 2 prägte seine Hauptresidenz Fontainebleau als Hort der Musen, wie die Äußerung von F r a n c i s de Belleforest in seiner Cosmographie universelle belegt: C e grand Roy, s^achant que les Muses ayment les solitudes, et Pallas les lieux de repos, et que la laborieuse Dyane fuit les villes oiseuses, a aussi fait dresser icy le temple des Muses, et la retraite de Pallas, et les courses boscageres de Diane la chasseuse, et au reste si i estoy quelque grand poete, ou disert orateur, ie bastiroy aussi quelque belle oeuvre sur le los tant du Roy, qui a fonde a temple Palladien, que de la magnificence du bastiment, et richesse des livres, tableaux, effigies, et choses rares qui sont en ceste Bibliotheque. 3 1 Primatice. Maitre de Fontainebleau, pp. 2 2 2 - 2 2 4 . Vgl. zur Baugeschichte Galtier, Histoire de Saint-Maur-des-Fosses; Kitaeff, Le chateau de Saint-Maur-des-Fosses; Perouse de Montclos, Philibert De l'Orme, pp. 3 3 8 - 3 4 1 . - Zerner, L'art de la Renaissance en France, p. 393, n. 34 wendet sich gegen eine Verbindung zwischen Zeichnung und Schloßbau. Auch mir scheint es wenig plausibel, daß der Bischof von Paris, Jean du Beilay, der Saint-Maur-des-Fosses erbauen ließ, ein solches Bild des Königs an einer derart herausragenden Stelle seiner Residenz hätte anbringen lassen. - Vgl. demnächst: Tauber, Maniera modernissima 2
in Frankreich.
Hierzu Cox-Rearick, Chefs-d'ceuvre de la Renaissance, pp. 399—405.
3 Zit. n. Chätelet-Lange, Le „Museo di Vanves" (1560), p. 271.
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5. „Rex artifex": Spezifika der Kunstpatronage unter Frangois Ier
Abb. 18
Francesco Primaticcio, Fronton mit der Büste I rangois' Ier, um 1544, Eremitage, St. Petersburg
Frarujois I e r gestaltete das französische K ö n i g t u m als eine „Ästhokratie", 4 sein P r o j e k t war - wie bereits anhand der C l o u e t - P o r t r ä t s angedeutet - die geistige Verfeinerung seines H o f e s zum kultiviertesten und höfischsten in ganz E u r o p a im Sinne von Castigliones Cortegiano.5
Diese Vorstellung v o m „rex artifex" 6 bestimmt topisch die Selbststilisierung
des französischen Königs in seiner späten Regierungszeit seit Mitte der 1530er Jahre. Bildung und Kunstförderung sind nach 1526 die neuen Mittel zur Machtlegitimation. D e r Anspruch der Kulturförderung, der sich mit einer wachsenden Intellektualisierung des königlichen Herrschaftskonzepts paart, 7 war vor allem eng mit der königlichen B i b l i o t h e k verknüpft. U n d die Selbststilisierung des Königs erschöpfte sich nicht in derjenigen als eines Freundes und Förderers der Künstler - er wurde darüber hinaus zum „Pere des lettres et des sciences", der das College de France als Bildungsinstitution und internationale Gemeinschaft von Intellektuellen gründete und durch seine Büchersammlung
seinem
selbstgewählten Auftrag nachkam, für Frankreich in E u r o p a wenn schon nicht die territoriale, so doch die kulturelle H e g e m o n i e zu erringen. 1544 werden die Bestände der königlichen B i b l i o t h e k von Blois nach Fontainebleau überführt und mit der dortigen Sammlung vereint; 8 seit 1522 ist Guillaume B u d e „maitre de la librairie du R o i " . 9 In diesem Sinne
4 Dieser sprachlich etwas merkwürdige Neologismus bei Hoeges, Zur Ästhetik der Macht, S. 51; vgl. Rohwetter, Zur Typologie des Herrschers im französischen Humanismus, S. 51. 5 Vgl. hierzu Antoine Heroets Widmungsgedicht seiner Androgyne von 1536 an Frangois I er , in dem die Gefolgschaft eines durch Wissen recharismatisierten Herrschers beschworen wird: „Aultre louange avez, que des esprits / Et des meilleurs estes le myeulx appris. / A vostre tant indicible doctrine / Des plus scavants la liberte s'encline, / Non par voz dons: car ils ne scauroyent prendre / present plus eher, que vous suyvre et apprendre / Tant que leurs biens de vertu soient venuz"; (Euvres poetiques, p. 79. 6 Hierzu Occhipinti, Carteggio d'arte degli ambasciatori estensi in Francia, pp. X X X V ; X L I X . 7 Zum Umfeld der humanistischen Berater und Intellektuellen am französischen Hof vgl. Heubi, Frangois I er et le mouvement intellectuel en France (1515-1547); Saccaro, Französischer Humanismus des 14. und 15. Jahrhunderts; Gadoffre, La revolution culturelle dans la France des humanistes; Walther, Adel und Antike. Zur politischen Bedeutung gelehrter Kultur für die Führungseliten der Frühen Neuzeit sowie die Sammelbände Humanism and Letters in the Age of Frangois Ier; Humanism in France at the End of the Middle Ages and in the Early Renaissance. 8 Vgl. hierzu Baurmeister/Laffitte, Des livres et des rois. La bibliotheque royale de Blois; Balaye, La
5. „ Rex artifex ": Spezifika der Kunstpatronage
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schreibt der Pere Jacob noch 1644 in seinem Tratte des plus belles bibliotheques·. „Voylä la gloire que s'est acquis ce grand monarque pour avoir restabli les sciences qui estoient descheues de leur premiere splendeur, par le barbarisme qui s'estoit coule dans nos Gaules, ce qui fera que son nom sera a jamais en benediction parmy les peuples et particulierment les gens de lettres, desquels il estoit le Maecenas, et lesquels il aimoyt si tendrement, qu'il appeloit les Escholiers ses enfants." 10 Wie sich dieser selbstgewählte Ehrentitel eines Förderers von Kunst und Wissenschaft auf einzelne Patronageverhältnisse am französischen Hof auswirkte, soll im folgenden exemplarisch analysiert werden. Martin Warnke hat in seiner Untersuchung zum Hofkünstler bekanntlich die These aufgestellt, daß gerade die höfischen Strukturen Künstlern in der „Hoffreiheit" genau den Freiraum gewährten, den sie brauchten, um autonom arbeiten zu können.11 Er wandte sich damit gegen die vorherrschende Lehrmeinung, künstlerisches Selbstbewußtsein und autonome Kunstausübung seien erstmalig in den italienischen Stadtrepubliken der Renaissance durch eine fortschreitende, den Marktgesetzlichkeiten der bürgerlichen Gesellschaft folgende Emanzipationsbewegung aus Zünften und Gilden heraus entstanden. Einen Schritt über Warnke hinaus geht in den Überlegungen zu Abhängigkeiten und Freiräumen in Patronageverhältnissen an frühneuzeitlichen Fürstenhöfen ein Strukturmodell, das Ulrich Oevermann entwickelt12 und das wir gemeinsam in Einzelfallanalysen auf seine Tragfähigkeit hin überprüft haben. Gefragt wird in diesem Modell nach den Präferenzen, Mustern und Selektionsfaktoren, die im Spiel sind, wenn die real Mächtigen in Politik, Religion und Wirtschaft, also die Inhaber von Positionen politischer und religiöser Herrschaft und Eigentümer der wirtschaftlichen Produktionsmittel die Schaffenden des Geistes, also Künstler (und auch Wissenschaftler) fördern. Dem herkunftsbestimmten Aristokratentum, auf das sich die über reale Macht verfügende weltliche Herrschaft in der Legitimation ihrer Entscheidungsgewalt beruft, stünde hierbei eine Art „Geistesaristokratentum" auf der Seite der kulturell Schaffenden gegenüber, das eine autonome Dynamik der Produktion von Neuem zu entfalten in der Lage ist. Die generative „Macht des Geistes", die eine Erzeugungsmacht von Innovativem ist, kann jedoch ihr Neuerungspotential nicht selbst verwerten und bedarf daher der Unterstützung durch die weltliche Macht. In der Verteilung realer Sanktions- und Fördermittel müssen diejenigen, die als „Aristokraten der Macht" etwas zu verteilen haben und über ein materielles Förderungspotential verfügen, nicht nur zur Legitimation ihrer Herrschaft diese Vergabe rationalisieren. Sie müssen zugleich in ihrem eigenen Interesse die Offenheit der Zukunft kultureller Produktion aufrechterhalten, so daß sie nicht nur das schon Bewährte, die routinisierte Formgebung fördern dürfen, sondern das zukünftig sich eventuell Bewährende, aber noch ris-
naissance de la Bibliotheque du Roi ( 1 4 9 0 - 1 6 6 4 ) ; Bloch, La formation de la Bibliotheque du Roi; Saida, La Bibliotheque de F r a n c i s I er au chateau de Blois; Reliures royales de la Renaissance. La librairie de Fontainebleau. 9 Zu Bude vgl. Delaruelle, Guillaume Bude; McNeil, Guillaume Bude and Humanism in the Reign of Francis I. 10 Zit. η. Quentin-Bauchart, La bibliotheque de Fontainebleau, pp. 3s. 11 Hierzu vor allem Warnkes Einleitung, in: Hofkünstler, S. 9 - 1 4 . 12 Vgl. hierzu den Sammelband „Die Kunst der Mächtigen und die Macht der Kunst", dort insbesondere: Oevermann, F ü r ein neues Modell von Kunst- und Kulturpatronage.
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kant Neue und faktisch Unbewährte im richtigen Verhältnis zu ersterem zulassen müssen. 13 Der die Kunst fördernde Herrscher muß sich somit dem Paradox stellen, in eine ungewisse Zukunft hinein vorausschauend Kriterien für eine zu fördernde Kunst zu entwickeln, die seinen herrschaftslegitimatorischen Bedürfnissen idealerweise entsprechen wird. Er muß also seine Herrschaftslegitimation perpetuieren, indem er sie auf eine ungewisse Zukunft hin öffnet. Diese Öffnung auf die Zukunft hin aber kann nur durch die Förderung autonomer Kunst gewährleistet werden. 14 Der Herrscher muß, um seine Herrschaft für alle Zukunft zu legitimieren, dem Künstler notwendig den Freiraum für autonome Entfaltung gewähren und darf in den eigentlichen künstlerischen Prozeß der Werkgenese keinesfalls eingreifen, weil er ja autonome Kunst erhalten möchte. Diesem Paradox stellt sich Francois I e r in herausragender Weise, indem er mit Vorliebe als exzentrisch geltende manieristische Künstler an seinen H o f beruft. Der Modernität der geförderten Kunst korrespondiert im Umkehrschluß die Modernität der Herrschaftspraxis Frangois' I er . Ihm war offenbar klar, daß der Herrscher für die Legitimation seiner Herrschaft mindestens ebenso auf den Künstler angewiesen war wie dieser auf der materiellen Ebene der Auftragsnahme auf den Herrscher. Das Abhängigkeitsverhältnis ist also ein reziprokes, die Asymmetrie zwischen Geburts- und Geistesaristokratie nur eine vermeintliche. Dieser Einsicht in die Strukturen einer funktionsfähigen Patronagebeziehung entsprechend zeigt sich der französische König auch als liberaler Mäzen, indem er die von ihm geförderten Künstler nicht nach der Anzahl ausgeführter Werke entlohnt, sondern sie mit einer produktionsunabhängigen Pension stipendiiert. 15 Reflektiertes herrscherliches „Repräsentationsbedürfnis" manifestiert sich auf komplexere Art und Weise als in apodiktisch vorgetragenen konkreten Darstellungswünschen des Auftraggebers. Der Herrscher ist, wie gesagt, in seiner Selbstdarstellung ebenso auf den Künstler angewiesen wie dieser auf ihn. 16 Es ist daher eine Entscheidung von höchster Bri13 Oevermann, ibid., S. 18. 14 Oevermann hat in seinem unpublizierten Manuskript Bausteine einer Theorie künstlerischen Handelns aus soziologischer Sicht versucht, Strukturmerkmale des autonomen Kunstwerks zu definieren. Dieses zeichne sich aus durch: 1. die Erzeugung einer werkimmanenten, „fiktionalen" Sinnstruktur, die sich auch ohne Verweis auf eine außerhalb von ihr liegende Realität sinnlogisch erschließt und Bestand hat; 2. die Hervorbringung einer eigenlogischen Raum-Zeit-Struktur; 3. eine Struktur der „Bestimmtheit des Unbestimmten" (vgl. Imdahl, Relationen zwischen Porträt und Individuum, S. 602), d.h. eine Unbestimmtheit, die stets eine präzise rekonstruierbare ästhetische Funktion hat und in ihrem Sinngehalt nachvollziehbar ist; 4. die artifizielle, stilistisch wiedererkennbare Objektivierung einer subjektiven Weltsicht in einer gültigen, sequentiell rekonstruierbaren Ausdrucksgestalt mit einer dominanten Sinnstruktur, die sich bereits in der ersten sinnlichen Annäherung andeutet; 5. strukturellen Reichtum ohne Redundanz bei gleichzeitiger innerer Konsistenz und sinnlogischer zwingend rekonstruierbarer Strukturiertheit (Form-Inhalt-Korrelation); 6. eine Erschließbarkeit, die nicht primär auf begrifflicher Ebene erfolgt, sondern durch sinnliche Erkenntnis, die der Suggestivität der sinnlichen Präsenz des Kunstwerks korrespondiert; schließlich 7. einen Uberschuß an Sinn, der nie abschließend ausgeschöpft werden kann, sondern sich im Akt der Analyse immer weiter mit Sinngehalt anreichert. 15 Hierzu auch Jollet, Jean et Francois Clouet, p. 27. 16 Vgl. hierzu Warnke, Hofkünstler, S. 11: „Die abgehobene Stellung, die den Künstlern an den Höfen eingeräumt wurde, ergab sich aus den Aufgaben, die den bildenden Künsten im Rahmen herrscherlicher Repräsentation zugewachsen waren. Der visuelle Repräsentationsbedarf der Höfe hat zu organisatorischen Maßnahmen geführt, die sich institutionell folgenreich auswirken. Am
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sanz, welche Hofkünstler er beschäftigt, da es hierbei nicht allein um stilistische Vorlieben geht, sondern um die eminent kunstpolitische Entscheidung, welcher Künstler am ehesten geeignet scheint, dem Herrschaftskonzept einen tragfähigen und überdauernden Ausdruck zu verleihen. Dem Künstler kommt in diesem reziproken Abhängigkeitsverhältnis eine Art Geburtshelferfunktion bei der Symbolisierung des herrscherlichen Habitus zu, den er künstlerisch gültig zum Ausdruck zu bringen hat. Dieses Modell wechselseitiger Abhängigkeit widerspricht Interpretationen wie der Biagiolis, für den im Falle Galileis die Kulturpatronage der Renaissance und der frühen Neuzeit vor allem darin bestand, „daß der Fürst Intellektuelle und Künstler an seinem Hof wie Narren und Harlekine zu seinem willkürlichen Divertimento hielt". 17 Auch könnte die Ausgangskonstellation des auf die europäischen Höfe wirkenden Zwanges zu ständiger gegenseitiger Überbietung nicht nur in politischer, sondern eben auch in künstlerischer Hinsicht zu der Annahme verleiten, jegliche Neuerung in der Ausprägung des bloßen Anders-Seins sei gleichermaßen gut zu diesem Zweck geeignet gewesen. Diese Uberbietungslogik scheint jedoch aus sich heraus eine autonome Dynamik zu entwickeln, die eine sachhaltige Uberwindung des Vorausgehenden ermöglicht. Denn die geförderte Kunst sollte ja, wie gesagt, nicht allein der Symbolisierung von Herrschaft dienen, sondern mußte auch als substantielle Problemlösung für die Zukunft Bestand haben. Ist die Entscheidung für einen bestimmten Künstler einmal zufriedenstellend ausgefallen, wäre zu vermuten, daß dieser dann im Sinne der ihm vom Herrscher mit Rücksicht auf die Zukunft konzedierten Autonomie weitgehend eigenständig agierte, da sich der Auftraggeber auf Strukturkontinuität in dessen künstlerischem Handeln verlassen konnte. Im vielzitierten Fall von Leonardo da Vinci, der Ende 1516 an den französischen Hof kommt, dient jedoch im Gegensatz zur Berufung Rosso Fiorentinos die Anbahnung eines „Patronage"-Verhältnisses (das eher die Bereitstellung einer Seniorenresidenz war) ganz anderen Zwecken. Da der Künstler zum Zeitpunkt seiner Einladung nach Frankreich unter rein künstlerisch-produktiven Gesichtspunkten bereits ausfiel, weil er kaum noch malen konnte,18 scheint allein seine Anwesenheit und der „Besitz" seiner in die Imagebildung des Königs
Hofe ist zuerst das Ausbildungsstipendium an Künstler, sind Formen der Kunst- und Künstlervermittlung, einer staatlichen Verantwortung für die bauliche Infrastruktur, des Einsatzes visueller Medien für weltliche Überzeugungsarbeit und für staatliche Repräsentanz, aber auch die Formen einer rekreativen, subjektiven ästhetischen Rezeption ausgebildet und entwickelt worden. Der Anteil der Künste an der sichtbaren Erscheinung fürstlicher Aura, die privilegierte Nähe des Künstlers zum Herrscher hat den Eindruck von einer ,höheren', aus besonderen Gnaden genährten, mit universaler Kompetenz begabten, außergewöhnlichen Tätigkeitsform hervorgerufen und festgelegt." 17 Oevermann, Für ein neues Modell von Kunst- und Kulturpatronage, S. 19; vgl. Biagioli, Galileo, Courtier; ähnlich Zorach, Blood, Milk, Ink, Gold, p. 36: „[...] he treated learning as an expression and ornament to power more than as an end in itself." 18 Vgl. hierzu - in der eher anekdotisch-erzählerischen Tradition popularisierender französischer Historiographie stehend - Lang, Frangois I er ou le reve italien, p. 103: „Mais l'homme qui arrive ä Amboise en 1517 est äge de 65 ans et ne manie plus son pinceau depuis qu'il a le bras paralyse. L'essentiel est ailleurs: dans la charge symbolique du deracinement d'un maitre acceptant enfin d'honorer l'image du Roi Tres Chretien". Zu Leonardo in Frankreich vgl. Cox-Rearick, Chefsd'oeuvre de la Renaissance, pp. 131-160, v.a. pp. 134-136 und insbesondere den Band Leonard de Vinci entre France et Italie.
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und selbsternannten Künstlerfreundes integrierbaren Persönlichkeit als hinlänglich prestigefördernd angesehen worden zu sein. Zynisch gesprochen, ist es geradezu ein Glücksfall für Fran$ois I e r , daß Leonardo am 2. Mai 1519 in Frankreich stirbt und der König daraus ein hohes Kapital in seiner Selbstinszenierung als Künstlerfreund schlagen kann. Daß der greise Künstler in seinen Armen gestorben sei, ist selbstverständlich eine Legende (und eine Parallelszene zum Besuch Karls V. in Tizians Atelier und seinem Aufheben des Pinsels), die Vasari jedoch bereits 1550 in der ersten Redaktionsstufe seiner Vite zu verbreiten begann. 19 Bisherige Arbeiten zur Kunstpatronage in der frühen Neuzeit bieten zumeist Fallstudien zu einzelnen Höfen, die zwar das Material verdienstvoll erschließen, jedoch eine Modellbildung vermissen lassen und selten die Frage stellen, wieso ein bestimmter Herrscher einen bestimmten Künstler jenseits vordergründiger Instrumentalisierungsüberlegungen protegiert hat. 20 Hier soll demgegenüber gefragt werden, wie der Auftraggeber, wenn er in den Prozeß der Werkgenese nicht eingreifen darf, dann überhaupt noch davon ausgehen kann, diejenige Kunst zu bekommen, derer er so dringend bedarf. Dies kann in der sich anbahnenden Patronagebeziehung eigentlich nur durch eine Art struktureller Kongruenz des Habitus von Künstler und Kunstförderer gewährleistet werden. 21 Es muß zwischen ihnen eine Art „Wahlverwandtschaft" bestehen, die eine wechselseitige Verständigung ermöglicht. Indikatoren für das Vorhandensein eines kongruierenden Habitus sind zumeist Kunstwerke des zukünftigen Hofkünstlers, die dem Herrscher strukturelle Indizien für eine potentielle Ubereinstimmung liefern. Francois I e r , der politisch und militärisch im europäischen Machtkampf vor allem gegen Karl V. alles andere als erfolgreich war, suchte moderne und habituell autonome Künstler, deren Kunst gerade durch das Innovative ihrer Formbehandlung und durch die Entwicklung neuer ikonographischer und formaler Modelle dazu dienen konnte, den Betrachter zu dominieren, durch ihren Materialreichtum und ihre Bedeutungsüberladung zu überwältigen und damit dem Besitzer dieser Kunst Mittel zur Ausübung von Herrschaft in die Hand zu geben. Die Anwerbung Rosso Fiorentinos als des ersten Hofkünstlers in Fontainebleau unter Fran§ois I er soll im folgenden näheren Aufschluß über die königliche Rekrutierungspraxis geben.
19 Vasari (Barocchi), Vita di Leonardo da Vinci, vol. 4, p. 36: „Finalmente venuto vecchio, stette molti mesi ammalato; e vedendosi vicino alla morte [...] volse divotamente pigliare il Santissimo Sacramento fuor del letto. Sopraggiunseli il re, che spesso et amorevolmente lo soleva visitare; per il che egli per riverenza rizzatosi a sedere sul letto, contando il mal suo e gli accidenti di quello, mostrava tuttavia quanto aveva offeso Dio e gli uomini del mondo non avendo operato nell'arte come si conveniva. Onde gli venne un parossismo messagiero della morte; per la qual cosa rizzatosi il re e presoli la testa per aiutarlo e porgerli favore acciö che il male lo allergerisse, lo spirito suo, che divinissimo era, conoscendo non potere avere maggiore onore, spiro in braccio a quel re, nella etä sua d'anni LXXV." Zum Leonardo-Kult vgl. Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, Epilogue: „Francois I er regoit les derniers soupirs de Leonard de Vinci"; ead., Imagining the Renaissance: The Nineteenth-Century Cult of Frangois I as Patron of Art. 20 Vgl. z.B. Haskell, Patrons and Painters; Little/Orgel, Patronage in the Renaissance; Kempers, Kunst, Macht und Mäzenatentum und die Sammelbände The Courts of Europe. Politics, Patronage and Royalty 1400-1800 sowie Princes, Patronage and the Nobility. 21 Insofern sind die von Warnke geschmähten „Doppelbiographien" von Künstler und Auftraggeber (Hofkünstler, S. 13) notwendige Voraussetzung, um über die Analyse solcher konkreten Patronageverhältnisse zu Generalisierungen von Strukturen der Kunstpatronage fortschreiten zu können; vgl. Oevermann, Für ein neues Modell von Kunst- und Kulturpatronage, S. 18-20.
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5.1. Rosso Fiorentinos Bild „Moses verteidigt die Töchter des Jethro" als sein Entreebillet zum französischen Hof Der hier zu analysierende Fall ist im Jahr 1530 angesiedelt, als Frar^ois Ier den Florentiner Künstler Rosso an seinen Hof holt, der in der Ausgestaltung der Residenz von Fontainebleau die leitende Funktion übernehmen sollte. 22 Die politische Situation in diesem Jahr 23 ist alles andere als vorteilhaft für den französischen König: Nach seinem fulminanten Herrschaftsantritt 1515 und der Schlacht von Marignano, nach der ihm Italien offenzustehen schien, wendete sich das Blatt bereits Anfang der 20er Jahre. Am 24. Februar 1525 erlitt er die verheerende Niederlage in der Schlacht von Pavia, auf die seine schon mehrfach erwähnte Gefangennahme durch den Kaiser folgte. Zwar gelang es ihm, im Frühjahr 1526 freizukommen, jedoch mußte er seine beiden ältesten Söhne als Geiseln in Spanien zurücklassen. Nach einem erneuten, durch den Frontenwechsel Andrea Dorias von der französischen auf die kaiserliche Seite katastrophal endenden Italienfeldzug beginnt F r a n c i s Ier Friedensverhandlungen mit Karl V. Am 3. August 1529, im sogenannten Damenfrieden von Cambrai - ausgehandelt von Frangois' dominanter Mutter Louise de Savoie, die auch die Regierungsgeschäfte während seiner Gefangenschaft führte, und Margarete von Osterreich, der Regentin der Niederlande - wird ein Lösegeld von zwei Millionen Ecu für die Freigabe der Söhne vereinbart. Der französische König verzichtet auf alle Machtansprüche in Italien und willigt in die Hochzeit mit der verwitweten Schwester seines Kontrahenten, Eleonore von Osterreich, ein. Der letzte Schritt des Machtverlustes ist die Kaiserkrönung Karls V. im Winter 1530 in Bologna; um diese Würde hatte sich Fran$ois bekanntlich 1518/19 selbst vergeblich beworben. In dieser Krisensituation unternimmt Franijois Ier dreierlei: Er beginnt ab 1528, den bis dahin unbedeutenden Jagdsitz Fontainebleau zu seiner Hauptresidenz auszubauen und auszugestalten; 24 er lädt 1529 Michelangelo - und damit den modernsten und avanciertesten Künstler der Klassikergeneration der italienischen Hochrenaissance - ein, an den französischen Hof zu kommen; 25 und er schickt bereits im Frühjahr 1528 einen Kunstagenten, den Florentiner Battista della Palla, nach Italien, um dort für ihn eine möglichst große Menge an Antiken, Gemälden und modernen Skulpturen zu erwerben. 26 Die Quantität der nach Frankreich zu überführenden Kunstwerke war hierbei ebenso wichtig wie ihre Qualität: „provedergli grosse quantita et excellente d'antichaglie di qualunque sorte di marmi et
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Hierzu und zum folgenden: Tauber, Der Künstler als Höfling. Zum politischen Hintergrund: Knecht, Renaissance Warrior and Patron, pp. 2 1 6 - 2 9 0 . Hierzu detailliert Kapitel 6 dieser Arbeit. Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 73. Bereits 1519/20 hatte Fran$ois I er sich um Michelangelo bemüht; der zweite, hier erwähnte Anlauf ging auf Michelangelos eigene Initiative zurück, der der unsicheren politischen Lage in Florenz zu entkommen hoffte, dann aber, nachdem sich die Situation dort wieder entspannt hatte, kein Interesse mehr an einer Ubersiedlung an den französischen Hof zeigte, woran auch das Angebot eines eigenen Hauses und einer jährlichen Pension von 1200 livres nichts ändern konnte (ibid., p. 284).
26 Hierzu Elam, A r t in the Service of Liberty; ead., A r t and Diplomacy in Renaissance Florence; La Coste-Messeliere, Battista della Palla, conspirateur, marchand ou homme de cour; ead., Pour la republique florentine et pour le roi de France.
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bronzi et medaglie et pittura di maestri degni di sua Maestä". 27 Es scheint, als wollte er mit der Uberführung von „40 casse di pitture, sculpture, antichaglie et altre gentilezze" 28 den im Damenfrieden ausgesprochenen Verzicht auf seine territorialen Ansprüche in Italien durch einen gezielten Kunstraub kompensieren. Die historischen Fakten machen schlagend klar, daß der französische König zum hier betrachteten Zeitpunkt eine extreme Einbuße an Charisma wettzumachen hat, daß er in dem angestrebten neuen Patronage-Verhältnis eigentlich der Bedürftigere ist und daß er dementsprechend sehr genau abwägen muß, welchem Künstler er die Ausstattung seiner Hauptresidenz überträgt. Da es in der französischen Kunstlandschaft zu diesem Zeitpunkt eigentlich keine herausragende Künstlerpersönlichkeit gibt, die dem königlichen Anforderungsprofil (also Fähigkeit zur Innovation, Herrschaftsstabilisierung durch Zukunftsoffenheit, persönliche Kongruenz im Habitus) entspricht, wendet sich F r a ^ o i s I er folgerichtig nach Italien, das zu diesem Zeitpunkt über das größte innovative Künstlerpotential verfügt. 5.1.1. Der Künstler als Höfling Laut Vasaris Aussagen in seiner Rosso-Vita - er kannte den Malerkollegen persönlich -, 2 9 hatte dieser „stets vorgehabt, sein Leben in Frankreich zu beschließen, und sich, wie er sagte, von einer gewissen Armuth und Dürftigkeit frei zu machen, welche denen anhängt, die in Toscana oder in dem Lande bleiben, wo sie geboren sind". 30 Rosso beweist in Vasaris Darstellung - auch auf die Gefahr des Scheiterns hin - Flexibilität im Gegensatz zu seinen Künstlerkollegen, die keine Bereitschaft zeigen, ihr soziales und geographisches Umfeld zu verlassen. „Zur Ausführung dieses Planes entschlossen, hatte er eben die lateinische Sprache gelernt, damit er in allen Dingen gewandt erscheine und eine allgemeine Bildung besitze [...]" 3 1 - „per comparire piü pratico in tutte le cose et essere universale" 32 . Rosso scheint also eine Art vorauseilende Anpassung seines Habitus an das zu erwartende Bildungsklima am französischen Hof angestrebt zu haben - Lateinkenntnisse konnte er zwar nicht unbedingt gegenüber dem König selbst ausspielen, doch sollten sie seine Integration in das humanistische kulturelle Milieu des französischen Hofes erleichtern. Kenntnis von der Charakterstruktur seines potentiellen Auftraggebers konnte er unter anderem aus der Lektüre des Cortegiano gewinnen, der als eines von acht Büchern in dem Inventar von 1529 genannt ist, welches detailliert diejenigen Besitzstände des Malers Rosso verzeichnet, die dieser bei seiner übereilten Abreise aus Arezzo zurückließ: Neben drei nicht genau bezeich-
27 Brief von Battista della Palla an Filippo Strozzi vom 21.1.1529, zit. n. Elam, Art in the Service of Liberty, p. 88; vgl. auch ibid.: „in qualitä et in quantitä degna d'uno tale principe"; ibid., p. 90: „che lo provedessi d'ogni Sorte d'antichaglie et maxime eccellenti"; ibid., p. 91: „[...] luoghi ne' quali sono assai cose excellenti come ä il bisogno nostro, il quale non e minore della quantitä di moltissime mediocri purche antiche che la qualitä delle excellentissime." 28 Zit. n. Elam, Art in the Service of Liberty, p. 107. 29 Vgl. Antal, Drawings by Salviati and Vasari, p. 48. 30 Vasari (Schorn/Förster), Bd. 3.1, S. 99; vgl. den italienischen Originaltext (Vasari [Barocchi], Vita del Rosso, vol. 4, p. 485), wo die Formulierung lautet: „avendo egli sempre avuto capriccio di finire la sua vita in Francia" [Hervorhebung durch Kursivierung von der Verf.]. 31 Vasari (Schorn/Förster), ibid. 32 Vasari (Barocchi), ibid.
5.1. Rosso Fiorentinos
Bild „Moses verteidigt
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neten Büchern, einer lateinischen Grammatik des N i c c o l o Perotti, einem marianischen Erbauungsbüchlein, einer Ausgabe der Naturalis
historia
des älteren Plinius und einer
ungebundenen Vitruv-Ausgabe findet man dort „uno libro vocato ,el Cortiggiano'". 3 3 Eine wohl erst nach 1515 in das 42. Kapitel des 1. Buches eingefügte Passage, die im Jahr 1508 spielt, gibt vor, zum Abfassungsmoment des Textes in einer A r t rückwärtsgewandten P r o phetie auf eine in Frankreich zu erwartende kulturelle Blüte hinzuweisen, sollte Frangois d'Angouleme den T h r o n besteigen - was ja bereits 1515 geschehen war: Ma, oltre alla bontä, il vero e principal ornamento dell'animo in ciascuno penso io che siano le lettere, benche i Franzesi solamente conoscano la nobilitä delle arme e tutto il resto nulla estimino; di modo che non solamente non apprezzano le lettre, ma le aborriscono, e tutti e litterati tengon per vilissimi omini [...]. Allora il Magnifico Iuliano, - Voi dite il vero, - rispose, - che questo errore giä gran tempo regna tra' Franzesi; ma se la bona sorte vole che monsignor d'Angolem, come si spera, succeda alia corona, estimo che si come la gloria dell'arme fiorisce e risplende in Francia, cosi vi debba ancor con supremo ornamento fiorir quella delle lettere; perche non e molto ch'io, ritrovandomi alla Corte, vidi questo signore e parvemi che, oltre alla disposizion della persona e bellezza di volto, avesse nell'aspetto tanta grandezza, congiunta pero con una certa graziosa umanitä, che Ί reame di Francia gli dovesse sempre parer poco. Intesi da poi da molti gentilomini, e franzesi ed italiani, assai dei nobilissimi costumi suoi, della grandezza dell'animo, del valore e della liberalita; e tra l'altre cose fummi detto che egli sommamente amava ed estimava le lettere ed avea in grandissima osservanzia tutti e litterati; e dannava i Franzesi proprii dell'esser tanto alieni da questa professione, avendo massimamente in casa un cosi nobil studio come e quello di Parigi, dove tutto il mondo concorre [...]. 3 4 R o s s o war während seiner italienischen Karriere bislang niemals höfisch gebunden gewesen - jetzt wird der Cortegiano
zu seinem Ausbildungsmanual zum prospektiven H ö f -
ling und Hofkünstler. 3 5 Bereits in Castigliones Charakterzeichnung des zukünftigen Auftraggebers konnte er von dessen großer liberalita
erfahren, die ihm den notwendigen
Freiraum zur künstlerischen Entfaltung bieten sollte. Rosso versuchte im Hinblick auf die literarischen und geistigen Vorlieben des französischen Herrschers dem zu erwartenden Anforderungsprofil eines pictor doctus zu entsprechen, indem er als Ergänzung seiner in die Wagschale zu werfenden künstlerischen Fähigkeiten seinen Bildungsstand erhöhte.
33 Darragon, Manierisme en crise, p. 55; vgl. auch ibid., p. 52; Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, pp. 25; 29 f. 34 Cortegiano, lib. I, cap. X L I I , pp. 89s. - Der französische Hofpoet Antoine Heroet bezieht sich im genannten Widmungsschreiben seiner Androgyne auf diese Stelle, wenn er schreibt: „Combien vous sont touts voz nobles tenuz, / Qui de scavoir faisoyent si peu de compte / Auparavant, qui le tenoient ä honte, / Quand celluy plus lettres dissimuloyt, / Qui plus sembler gentilhomme vouloit? / De ce temps lä ne se fault esbahir / Si noz voysins, qui nous souloyent hayr / Comme rompeurs de querelleuses testes, / Les Roys de France appelloyent Roys des bestes. / Lors pour regir leur bestialite, / Dieu pourvoyoit de quelcque humanite / Ung homme seul, qui bien les conduysoit, / Et leur donnoit ce que plus leur duysoit" (CEuvres poetiques, pp. 79s.; vgl. auch p. 80, η. 1, in der der Herausgeber Gohin auf die Parallelität zur Cortegiano-Stelle hinweist). 35 Vgl. Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, p. 30; vgl. Vasari (Barocchi), vol. 4, p. 483, der Rosso im Doppelsinn von höflich/höfisch als „persona cortese" bezeichnet; vgl. auch Vasoli, II cortegiano, il diplomatico, il principe; Deswarte, Considerations sur l'artiste courtisan et le genie au XVI C siecle.
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Diese Rechnung ging auf, denn - einmal in Frankreich angekommen - fanden nicht nur seine Kunstwerke großen Anklang beim französischen König. Vor allem sein Auftreten, „la presenza, il parlare e la maniera del Rosso, il quale era grande di persona" 3 6 gefielen dem Monarchen, der mit seinen knapp zwei Metern Größe selbst der höchstgewachsene unter den europäischen Potentaten seiner Zeit war, wie die Quellen immer wieder betonen. Rosso war ein Rotschopf, wie sein Name bereits andeutete, doch die von dieser exzentrischrothaarigen Konstitution 37 zu erwartende Verwegenheit und Kühnheit wurde aufgrund eines glücklichen Naturells und hoher Selbstdisziplin so abgemildert, daß er dennoch „in tutte le sue azzioni grave, considerato e di molto giudizio" erschien.38 Daß der König und der Künstler gleichaltrig waren, trug gewiß auch zu dieser augenblicklichen Gleichgestimmtheit bei.39 Beide entsprachen dem Typus des Aufsteigers: Rossos familiärer Hintergrund war der der nicht-florentinischen niederen Verwaltungsschicht; der Herrschaftsantritt von Frangois I er war vom Ruf der Illegitimität begleitet.40 Die Projektion dieser genannten Charaktereigenschaften auf das Porträt eines jungen rothaarigen Mannes, das sich heute in Berlin befindet, mögen dessen Identifikation als Selbstporträt Rossos befördert haben (Tafel 17):41 Auch die vom zukünftigen Auftraggeber zu erwartende Strategie, den Künstler durch Alimentierungen in eine auch äußerlich gefestigte Sozialbeziehung einzubinden und ihn damit auf Dauer an sich zu ketten, greift im Falle Rossos: Der König stellt ihm eine Wohnung in Paris zur Verfügung, entlohnt ihn im Vergleich zu anderen Künstlern mit monatlich 1000 Ecu fürstlich 42 und naturalisiert ihn im Mai 1532. Die lettre patente, die diese Einbürgerung rechtskräftig werden läßt, unterstreicht noch einmal, daß Rosso nicht aus eigener Initiative nach Frankreich gekommen ist, sondern daß der König „fait appeler en notre service, par dega, nostre eher et bien ame painetre ordinaire, Roux Jehan Baptiste de Rousse, natif de Florance, pour l'excellante et grant Industrie qu'il a en cest art, et desirans singulierement bien et favorablement le traicter et luy donner occasion et moy[en] de s'employer songneusement et curieusement en nostre dit service." 43 Die materielle Absicherung durch den Mäzen soll also garantieren, daß Rosso seine künstlerische Neugier auf innovative Lösungen hin frei von materiellen Sorgen entfalten kann. Auffällig sind auch die zwar für 36 Vasari (Barocchi), vol. 4, p. 486. 37 Vgl. Barolsky, Rosso's Red Hair. 38 Vasari (Barocchi), vol. 4, p. 486. Vgl. zu diesem Aspekt der Selbstzensur Martin Warnkes treffenden Begriff der „Affektmodellierung"; Hofkünstler, S. 290. 39 Vgl. Fumaroli, Rosso tra Italia e Francis, p. 103. 40 Zu Rossos Familie vgl. Waldman, The Origins and Family of Rosso Fiorentino; zu Francois I er vgl. Kapitel 2.2. dieser Arbeit. 41 Hierzu Phillips, II Rosso (Fiorentino) by Himself (?), p. 140, dessen Charakterisierung dieses Porträts als das eines „turbulent young man", „full of unrest, at once sensitive and aggressive" mit „eyes of suspicion and defiance" den von mir herausgearbeiteten Charaktermerkmalen Rossos auffällig entspricht. Gegen die Annahme, es handele sich hier um ein Selbstporträt Rossos, wendet sich Franklin, der auch die Eigenhändigkeit des Bildes bestreitet (Rosso in Italy, p. 212); vgl. auch Fulton, Present at the Inception, p. 173. 42 Vasari (Barocchi), vol. 4, p. 486 spricht von „quattrocento scudi"; Kusenberg, Rosso Fiorentino, S. 83 geht sogar von 1400 livres aus. Dies wäre die höchste Summe, die in dieser Zeit an einen bildenden Künstler in Frankreich gezahlt wurde. 43 Zit. n. Freville, Lettres patentes de Frangois I er en faveur du Rosso, p. 114.
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die Töchter des Jethro"
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das Genre der lettre patente floskelhaften, aber hier fast obsessiv auftretenden futurischen Zeitformen, die einerseits den momentanen Stand der Dinge festschreiben, ihn aber jeweils sofort in die Zukunft hinein verlängern: „en faveur des services qu'il nous a ja faiz et esperons qu'il fera cy apres".44 Rosso wird in den zeitgenössischen Quellen als „painctre et ymager du Roy" 45 bezeichnet - im Sinne von Porträtist und damit Imagegestalter. Im Gegenzug scheint Frangois Ier alles darangesetzt zu haben, eine höchstmögliche soziale Reziprozität im Verhältnis zu seinem bevorzugten Künstler herzustellen. In Frankreich wird Rosso zum Malerfürsten, einem Künstlertypus, der in Italien von Tizian in Reinform repräsentiert wird. 46 Vasari schreibt über Rossos französischen Aufstieg: „vivea da signore";47 und an anderer Stelle: „non piü da pittore, ma da principe vivendo, teneva servitori assai, cavalcature, et aveva la casa fornita di tapezzerie e d'argenti et altri fornimenti e masserizie di valore".48 Auch der Gehilfe Michelangelos, Antonio Mini, der sich zu Beginn der 1530er Jahre in Frankreich aufhält, schreibt neidvoll an seinen Meister, der Maler Rosso sei „gra* maestro di danari e d'attre provisione"49 geworden, außerdem maße er sich seinem sozialen Stand eigentlich nicht angemessene Repräsentationsformen an, die er allerdings, wie Mini zugeben muß, ausschließlich seiner Kunst verdanke: „Questa artte e venutta qua in si 'n gran riputazione, [c]h'e' Rosso dipintore, c[he], sin[c]hondo [c]he io one intesso da di moltti [c]he anno visto cho' lorro oncli, [c]h V Rosso chavan[c]ha [c]hon tanti servidori e [c]ho [c]hovertine di setta a usso d'insigniori grande".50 Neben seinem Gehalt wird Rosso von Francois Ier zusätzlich durch zwei Kanonikate (eines 1532 an der Ste Chapelle,51 ein weiteres 1537 an NotreDame 52 ) abgesichert. Auch dies veranlaßt Mini zu despektierlichen Bemerkungen gegenüber Michelangelo: Er unterstellt Rosso nicht nur niedrige materielle Beweggründe, ihm scheint dessen Überheblichkeit auch hervorragend in den priesterlich-aristokratischen Kontext zu passen: ,,S'e' Roso dipi[n]tore no si fusi fanto prete per paura del pachio! Si dice qua [c]he lui l'ä fanto meglio [c]he nesuno, per[c]he conoce costoro e con gra[n]de fati[c]ha della sua prusu[n]zione e pronto." 53 Bereits in seiner einleitenden Charakterisierung des Künstlers hatte Vasari betont, daß Rosso neben der Malerei auch Redekunst, Musik und Philosophie beherrschte. Und die Handhabung seiner künstlerischen Mittel zeichnet sich für seinen Biographen nicht nur durch Castigliones Schlüsselbegriff für den idealen Höfling, die „grazia",54 sondern vor
44 Ibid., pp. 115s. 45 Premier jugement devant la prevöte de Paris entre le chapitre de Notre-Dame et Francisque Sibec de Carpi, Menuisier du Roi vom 5. Februar 1541, zit. n. Grodecki, Documents inedits sur le Rosso,
p. 106.
46 47 48 49 50 51 52 53 54
Vgl. Warnke, Hofkünstler, S. 303. Vasari (Barocchi), vol. 4, p. 486; erneut p. 487. Ibid., p. 489. Michelangelo, Carteggio, vol. 3, p. 358 (Brief vom 1 0 . 1 2 . 1 5 3 1 ) ; vgl. auch den Brief vom 23.12., ibid., p. 361. Ibid., p. 366 (Brief vom 2.1.1532). Seit dem 14.8.1532: Kusenberg, Rosso Fiorentino, S. 83. Hierzu ausführlich und mit Quellenbelegen: Grodecki, Documents inedits sur le Rosso. Michelangelo, Carteggio, vol. 4, p. 9. Vasari (Barocchi), vol. 4, pp. 476s.
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5. „Rex artifex": Spezifika der Kunstpatronage unter Frangois Ier
allem durch die Ambivalenz von „fiero e fondato" 55 (eine stolze und selbstbewußte Kühnheit und eine diese regulierende und mäßigende Gründlichkeit) aus; von michelangelesker „terribilita" 56 und diese leicht und unangestrengt erscheinen lassender „leggiadra maniera" 57 und „facilitä" 58 . Doch Rosso ist kein bloßer Zitatenkompilator und Stilimitator des leichtfüßigen Raffael und des mächtigen Michelangelo - auch wenn er ebenso wie letzterer in ständiger Auseinandersetzung mit seinen Auftraggebern lebt, die seine künstlerische Autonomie beschneiden wollen, bevor er am französischen Hof endlich seinen idealen Mäzen findet. 59 Er bringt in seiner Auseinandersetzung mit den und in Bezugnahme auf die größten Vorbilder römischer Kunst etwas genuin Neues hervor, indem er durch Neukontextualisierung die Ambivalenz der Aneignung ohne reine Imitation gekonnt auskostet. In diesem Zusammenhang ist auch seine später noch ausführlicher zu untersuchende Äußerung in Bezug auf Michelangelos Sistina-Decke zu verstehen: „Non volevo pi[g]liar quella maniera". 60 Bereits Vasari hatte diesen Hang zum Nonkonformismus im Umgang mit Kunstvorbildern in Rossos Vita deutlich hervorgehoben: „Disegno il Rosso nella sua giovanezza al cartone di Michele Agnolo, e con pochi maestri volle stare alia arte, avendo egli una certa sua opinione contraria alle maniere di quegli [...]." 61 Diese nonkonforme Haltung drückt sich darüber hinaus in der Tatsache aus, daß Rosso den Schritt nach Rom zu einem Zeitpunkt vollzieht, zu dem dies von sonst kaum einem anderen Florentiner Künstler in Betracht gezogen wird. 62 Rossos Stil offenbart diejenige „prontezza" - die Offenheit, den Wagemut, aber auch die Flexibilität der Ausführung - , deren Voraussetzung eine konzeptuelle Herangehensweise ist. Der Künstler muß die Idee vor dem Malakt intellektuell bereits vollständig durchdrungen haben, um sie dann schnell und abschließend im Kunstwerk umsetzen zu können. 63 Auch die Umstände seiner, wie Vasari berichtet, übereilten Abreise nach Frankreich verdienen Aufmerksamkeit unter dem Aspekt des Schlüsselwortes der Vita, der „fierezza". 64 Hier zeigt sich nämlich ein offensichtlich sehr ausgeprägtes Ehr- und Gerechtigkeitsverständnis, das seinen deutlichsten Ausdruck im vorgeblichen Selbstmord Rossos findet, als er 1540 einen Freund zu Unrecht beschuldigt hat und diese unverzeihliche Ungerechtigkeit nur durch seinen eigenen Abgang meint wiedergutmachen zu können - der Freitod als ultimativer Akt der Ehrenrettung und der Autonomie, wie Vasari den Leser glauben machen will.65 55 Ibid., p. 474; vgl. auch ibid., p. 477, wo Vasari die „fierezza" von Rossos Werken hervorhebt. 56 Ibid., p. 474: „terribilita di cose stravaganti"; vgl. den sprechenden Titel von Natalis Rosso-Monographie: Rosso Fiorentino. Leggiadra maniera e terribilita di cose stravaganti. 57 Viele der Werke Rossos zeichnen sich darüber hinaus durch ihre „bravura" aus; vgl. ibid. und
pp. 474; 476. 58 Ibid., p. 477. 59 Vgl. hierzu z.B. Vasaris Beschreibung des Auftrags für Cittä di Castello; Vasari, ibid., p. 484; vgl. auch Penny, Making Sparks: The Awkward Originality of Rosso Fiorentino, p. 11. 60 Michelangelo, Carteggio, vol. 3, p. 236; vgl. Kapitel 6.2.2. dieser Arbeit. 61 Vasari (Barocchi), Vita del Rosso, vol. 4, p. 474. 62 Vgl. Franklin, Rosso in Italy, p. 121. 63 Vasari (Barocchi), vol. 4, p. 474. 64 Ibid., p. 477. 65 Vgl. Beguin, Pontormo et Rosso, p. 96; Roy, La mort de Rosso, führt überzeugende Argumente gegen einen Selbstmord und für eine längere schwere Krankheitsphase des Künstlers an. Rosso starb nicht, wie Vasari angibt, 1541, sondern bereits am 14. November 1540.
5.1. Rosso Fiorentinos Bild „ Moses verteidigt die Töchter des Jethro "
143
Rossos Abreise nach Frankreich wurde durch ein Ereignis während des Chorgebets am Gründonnerstag beschleunigt: Dort hatte nämlich im Augenblick der absoluten Verdunklung der Kirche (der tenebrae) sein Lehrling mit Harz und einem brennenden Span Blitze und Flammen erzeugt, worauf die anwesenden Priester handgreiflich wurden.66 Rosso, dem diese Reaktion übertrieben erschien und der offensichtlich auch die halb-künstlerische Komponente dieses scherzo di fantasia seines Gehilfen würdigte, griff nun ebenfalls in die Auseinandersetzung ein - in seiner Empörung derjenigen der Hauptfigur auf dem jetzt näher zu untersuchenden Bild in nichts nachstehend. 5.1.2. Das Bild als Allegorie der gelungenen Patronagebeziehung In den bisherigen Untersuchungen zu Rosso Fiorentinos französischer Karriere wurde stets angenommen, daß die Zeichnung „Mars von Cupido entwaffnet und Venus zugeführt" (um 1530) sein Entreebillet am Hof von Francis I er gewesen sei (Tafel 18).67 Ohne den geringsten Beleg konstruierte die Forschung eine hübsche, aber nicht sehr glaubhafte Geschichte um diese angeblich von Aretino inspirierte Zeichnung, die Rosso den Weg an den französischen Hof geebnet haben soll. Das Sujet wurde wahlweise auf die Abwendung des Königs vom Kriegshandwerk hin zu höfisch-kulturellen Ambitionen bezogen - obwohl Venus ja mit ihrer lockenden Geste nun gerade nicht zu kultureller Sublimierung einlädt oder als Allegorie auf die Heirat von Francois mit der Schwester Karls V., Eleonore von Osterreich, interpretiert. Die bekanntermaßen auf beiden Seiten fehlende Leidenschaft der Ehegatten spiegelt sich in dieser Interpretation nicht nur im Gesichtsausdruck des jugendlichen Mars. Auch weiter unten gelegene Körperteile deuten nicht gerade auf große Begeisterung hin, dem auffordernden Gestus der Venus zu folgen. Die heftig Blumen streuenden Amorinen über dem Paar; der Amor, der sich an vergleichbaren Stellen trotz seines kindlichen Alters schon ebenso männlich (bzw. ebenso dürftig) präsentiert wie Mars; vor allem aber der kleine Bursche im Vordergrund, der ganz andere Waffen vorzuweisen hat als der sich sträubende Mars, lassen nur eine extrem parodistische Lesart der Zeichnung zu.68 Doch gerade eine solche Interpretation läßt sie in höchstem Maße ungeeignet als Präsentationsstück für eine angestrebte Patronagebeziehung erscheinen, die sich kaum allein auf einen gelungenen Witz auf Kosten des potentiellen Auftraggebers gründen konnte. 66 Vgl. Penny, Making Sparks: The Awkward Originality of Rosso Fiorentino. 67 Ihren Ausgang nahm diese Hypothese 1954 von Jean Adhemars Aufsatz „Aretino: Artistic A d viser to Francis I." Ein Großteil der Forschung Schloß sich hieran zumeist kritiklos an, vgl. z . B . Panofsky/Panofsky, The Iconography of the Galerie Frar^ois I e r , p. 143; Carroll, Rosso in France, p. 19; id., Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, pp. 1 7 0 - 1 7 9 ; Darragon, Manierisme en crise, p. 28; Beguin, Ä propos du dessin de Rosso, Mars et Venus servis par les Amours et les Graces, pp. 1 3 8 - 1 4 5 ; Olga Pujmanova, A propos du Mars et Venus servis par les Nymphes
et les Amours de Rosso, pp. 5 4 - 6 1 . - Franklin, Rosso in Italy, pp. 263 f. erwägt hingegen
eine mögliche flankierende Rolle des Moses-Bildes in der Entscheidung des französischen Königs, Rosso als Hofkünstler zu engagieren; ebenso Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 259; 2 6 5 - 2 7 3 und Zerner, L'art de la Renaissance en France, p. 65: „CEuvre tres abstraite, d'une violence figee et erotique, cette peinture etait sur un registre different du dessin enjoue de Mars et Venus. Francois I er avait done pu se rendre compte de la force et de l'etrangete dont Partiste etait capable, aussi bien que de sa grace." Vgl. auch Mendelsohn, C o m e dipingere amore, pp. 1 0 0 - 1 0 2 . 68 Vgl. Shearman, Manierismus, S. 79f.; Barolsky, Infinite Jest, pp. 113; 115; Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, p. 173.
144
5. „ Rex artifex ": Spezifika der Kunstpatronage
unter Frangois Ier
Die Untersuchung von Caroline Elam Art in the Service of Liberty. Battista della Palla, Art Agent for Francis I stützt hingegen durch dokumentarische Belege meine Hypothese, daß vielmehr das Bild „Moses verteidigt die Töchter des Jethro" beziehungsweise in Vasaris Benennung „Moses, der den Ägypter erschlägt" 69 das ausschlaggebende Kunstwerk am Anfang der Patronagebeziehung zwischen Frangois I er und Rosso war (Tafel 19). Battista della Palla bekam es auf seiner Kunstsuche 1529 in Florenz von Giovanni Bandini für den französischen König geschenkt - vielleicht in der Hoffnung auf politische Unterstützung für die antimediceische Fraktion in Florenz. 70 1530 gelangte das Bild nach Frankreich. Die Berufung Rossos erfolgte unmittelbar danach, da er bereits im November desselben Jahres erste Zahlungen für Arbeiten am französischen Hof erhält. 71 Die prospektiven Betrachter des Bildes waren neben dem französischen König die Angehörigen der zahlenmäßig großen Gemeinde der Florentiner fuorusciti in Frankreich, 72 die ihren Schwerpunkt in Lyon hatte, aber auch einige Vertreter (wie zum Beispiel Luigi Alamanni) am Königshof selbst aufwies. Die Wahl des Bildthemas mag auch im Hinblick auf diese Florentiner Dissidenten zustande gekommen sein, die im „Moses" ein spezifisch florentinisches Thema erkennen konnten. 73 Bisherige Deutungen des Bildes haben 1.) formale Elemente wie die auffällige Schichtenkomposition des Gemäldes abgetrennt von seiner inhaltlichen Bedeutung untersucht und gegen das Bild wegen seiner angeblich rein virtuosen Kombination von Motivzitaten den Vorwurf des Eklektizismus oder gar des „Asthetizismus" 74 erhoben; 2.) diskutiert, ob hier nur die Szene „Moses verteidigt die Töchter des Jethro" oder auch das Erschlagen des Ägypters im Vorfeld dieser Episode dargestellt sei;75 3.) sich gewundert, daß die von Rosso ins Bild gesetzte Gewalttätigkeit in der entsprechenden Bibelstelle gar nicht vorkommt 7 6 (zumindest nicht in der Beschreibung des Hauptthemas des Bildes: Moses, der Jethros
69 Vasari (Barocchi), vol. 4, p. 477: „Mose quando egli amazza lo Egizzio"; überblicksartig zu den Fakten und zur fortuna critica des Bildes: Ciardi/Mugnaini, Rosso Fiorentino. Catalogo completo dei dipinti, pp. 104-109. 70 Ebenso wie hier nach den habituellen Ubereinstimmungen zwischen Francois I er u n d Rosso Fiorentino gefragt wird, k ö n n t e man fragen, wie b e w u ß t Battista della Palla in der Auswahl der Kunstwerke die Wünsche u n d Bedürfnisse des französischen Königs zu befriedigen suchte. Vgl. Elam, A r t in the Service of Liberty, p. 77: „It is not far-fetched to claim that della Palla selected or commissioned works with a knowledge of Francis's character, preferences and cultural ambitions. This would hardly be surprising, given the Florentine's six-year experience of the court." 71 Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 259; 458, n. 2. - Kusenberg, Rosso Fiorentino, S. 38 geht bereits vom O k t o b e r 1530 aus. 72 Vgl. Simoncelli, Florentine Fuorusciti at the Time of Bindo Altoviti; Bee, Les florentins et la France; Picot, Les Italiens en France au XVI e siecle. 73 Hierzu Brown, Savonarola, Machiavelli and Moses; Bee, Les Florentins et la France; Dubost, La France italienne. XVI e -XVII e siecle; Boucher, Presence italienne ä Lyon ä la Renaissance; Gaston, The Prophet Armed; Olszewski, The Subject of Rosso's Painting of Moses, pp. If.; Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 265. 74 In seiner schärfsten Zuspitzung bei Wilmes, Rosso Fiorentino u n d der Manierismus, S. 137; vgl. auch: Friedlaender, Mannerism and Anti-Mannerism, p. 32 u n d Hauser, D e r Manierismus, S. 190: „Es ist hier jedenfalls bereits ein U b e r m a ß von F o r m im Spiel auf Kosten des geistigen Gehalts und des seelischen Ausdrucks. Eine große Gefahr des Manierismus kündigt sich damit an". 75 Letzteres vermutet zu Recht Olszewsky, T h e Subject of Rosso's Painting of Moses, p. 4. 76 Gaston, The Prophet Armed.
5.1. Rosso Fiorentinos
Bild „Moses verteidigt
die Töchter des Jethro"
145
Töchter vor den aufdringlichen Hirten am Brunnen beschützt), so als wäre der Künstler dazu verurteilt, vorgegebene Texte detailgetreu zu illustrieren; sich 4.) im Rahmen dieses Unbehagens auf die Suche nach möglichen anderen oder flankierenden Textvorlagen begeben und Funde - allerdings nicht ganz unerwartet jeweils nur für einzelne Bildkomponenten - im Moses-Kommentar des Philo Judäus 77 und in den Predigten Savonarolas78 gemacht; 5.) diskutiert, ob das Rosso-Bild „Rebekka und Eliezer" für Giovanni Cavalcanti, das anschließend an den englischen Hof gelangte, ein Pendant zum Moses-Bild darstellt oder nicht;79 und schließlich 6.) eine Auseinandersetzung über Datierung, Entstehungsort (Florenz oder Rom)8C und Zuschreibung (handelt es sich um das Original, eine eigen- oder fremdhändige Kopie?) geführt.81 Doch all diese Überlegungen sind hier nicht von zentralem Interesse. Insbesondere ist es höchst problematisch, eine Zuschreibungsdebatte auf rein stilistischer Grundlage bei einem Künstler zu führen, bei dem ein besonderes Qualitätsmerkmal die extreme stilistische Heterogenität und Vielfalt ist. Zu- und Abschreibungen ohne jegliche dokumentarische Basis sind dennoch in der Rosso-Forschung an der Tagesordnung. Für unser Argument ist jedoch allein von Bedeutung, daß der französische König der Meinung war, ein Bild von Rosso (oder eine Kopie, die die stilistischen Charakteristika des Malers hinlänglich dokumentierte) zu besitzen, und ihm daraufhin den Auftrag erteilte, seine Galerie in Fontainebleau auszugestalten. Ein vergleichender Blick auf Rossos dortiges Fresko „Le Combat des Centaures et des Lapithes" (vgl. Tafel 26) dürfte genügen, um die evidente stilistische Nähe zum Moses-Bild zu belegen. Die hier einzig interessierende Frage ist: Wie vollzog sich der initiatorische Akt einer Patronagebeziehung, deren Zustandekommen - so meine Behauptung darauf zurückzuführen ist, daß Franijois Ier bei der Betrachtung des Mosesbildes in diesem offensichtlich genau diejenigen stilistischen und semantischen Strukturen erkannte, die zu seiner angestrebten Recharismatisierung paßten. Unter den Faktoren, die den französischen König, nachdem er das Mosesbild gesehen hatte, dazu veranlaßten, den Maler Rosso an seinen Hof zu holen, soll zuerst einer ange77 Smith, „Moses and the Daughters of Jethro", pp. 1 9 8 - 2 0 4 . 78 Gaston, The Prophet Armed, pp. 2 2 0 - 2 2 5 . 79 Dieses Bild ist nur in einer Kopie in Pisa überliefert; vgl. Antal, Drawings by Salviati and Vasari after a Lost Picture by Rosso, pp. 4 7 - 4 9 ; Peluso, Rosso Fiorentino's Moses Defending the Daughters of Jethro and its Pendant; Haitovsky, Rosso's Rebecca and Eliezer at the Well Reconsidered; Franklin, Rosso in Italy, pp. 1 1 3 - 1 1 9 . 80 Ein Großteil der Forschung folgt Vasaris Aussage, daß das Bild in Florenz 1523, kurz v o r Rossos Abreise nach Rom gemalt wurde. Vgl. z.B. Hirst, Rosso: A Document and a Drawing, p. 122; Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 265; Franklin, Rosso in Italy, p. 109. - N u r Peluso und Brugnoli haben wenig überzeugend für einen römischen Kontext der Bildentstehung argumentiert: Brugnoli, Gli Affreschi di Perin del Vaga nella Cappella Pucci, p. 342; Peluso, Rosso Fiorentino's Moses Defending the Daughters of Jethro and its Pendant, p. 90. 81 Hierzu: Natali, Sei schede d'indagine per il Rosso, p. 170. Mugnaini plädiert nach Abwägung aller Argumente für eine eigenhändige Kopie oder aber für eine schlecht erhaltene, unvollendete, aber eigenhändige Version, wobei er vor allem auf den in Rossos CEuvre einmaligen Umstand hinweist, daß das Bild auf Leinwand gemalt ist, und sich ansonsten hauptsächlich auf stilkritische Argumente stützt: La Furia delta Virtii, pp. 103s. Die Hypothese, daß es sich bei dem Bild in den Uffizien um eine Kopie des Originals aus der Zeit handeln könne, bevor dieses nach Frankreich geschickt wurde, ist nicht unplausibel und würde erklären, wieso es bereits 1587 wieder im Inventar der Medici-Sammlungen auftauchte; vgl. Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 267.
146
5. „Rex artifex": Spezifika der Kunstpatronage
Abb. 19
unter Franqois Ier
Venus genetrix, 5. Jh. v. Chr., Louvre, Paris
sprochen werden, der sicherlich nicht der ausschlaggebende bei der Entscheidungsfindung war, der aber dennoch eine nicht unbedeutende Rolle gespielt haben wird: Mehrere Figuren im Bild, so die zentrale des schlagenden Mannes und die der erschreckt wirkenden Frau rechts oben spielen in ihrer Haltung auf antike Statuen an - der Mann auf den berühmten myronischen Diskobol, 82 die Frauengestalt auf den Typus der Venus genetrix. Wie bereits erwähnt, hatte Battista della Palla die Aufgabe, möglichst viele antike Stücke aus Italien nach Frankreich zu bringen. Die Zeit nach 1527 war nicht günstig, um eine fürstliche Sammlung mit den so begehrten Antiken - bis dahin in der Sammlung von Fran9ois Ier eher unterrepräsentiert, wie Skulpturen überhaupt - aufzustocken: Die wirklich bedeutenden Stücke waren längst unwiederbringlich in italienischen Sammlungen verschwunden, 83 die deutschen Landsknechte hatten während des Sacco di Roma die Bestände weiter dezimiert und die übertriebene Wertschätzung selbst mediokrer Stücke im Zuge der Antikenmode der Renaissance ließ die Preise in die Höhe schnellen. 84 Immerhin gelang es Fran$ois I er 1530, ein Exemplar der Venus genetrix (Abb. 19) aus dem Besitz des Renzo da Ceri, seines 82 Vgl. Summers, Contrapposto, p. 339; Olszewski, The Subject of Rosso's Painting of Moses, p. 3. 83 Vgl. den Brief des Migliore Covoni an Filippo Strozzi vom 11. April 1529, zit. n. Elam, Art in the Service of Liberty, p. 102: „Batista della Palla non resta di sollecitare le anticaglie et qui non si trova cosa bona che tutto el bono fu portato via ο e stato di poi comperate dal Valle, Cesi, Rodolphi, e Medici, e G. Gaddi, le quali le stimono quanto potete pensare." 84 Beispiele bei Elam, Art in the Service of Liberty, pp. 98f. Vgl. z.B. den Brief Piero Strozzis an Filippo Strozzi vom 11.3.1529 oder den Brief des Francesco del Nero aus Rom vom 18.3. an den gleichen Adressaten: „[...] finalmente trovai la cosa non solo difficile, di spedio grandissimo, ma etiam impossibile. [...] In somma tutte le antichaglie portatili sene andorno per il sacho a Napoli, et
5.1. Rosso Fiorentinos lieutenant
gineral
Bild „Moses verteidigt
die Töchter des Jethro"
147
in Neapel, zu erwerben, 8 5 doch war dies fast sein einziger prominenter
Antikenankauf. U m s o mehr wird er die Antikenzitate auf Rossos Bild goutiert haben, nicht nur als Erinnerung an „seine" Venus, 8 6 sondern auch als künstlerische Substitute in einem anderen, aber als gleichwertig betrachteten Medium. 8 7 Einen vergleichbaren „Medienwechsel" sollte der König dann 1 5 4 0 / 4 3 mit Primaticcios Bronzeabgüssen der Belvederischen Antiken strategisch nutzen. 8 8 Ein ähnlicher „Wiedererkennungseffekt" konnte sich auch bei den michelangelesk-herkulischen Figurenbildungen des Mosesgemäldes auf der Ebene des Stilzitats einstellen: 8 9 N a c h langen vergeblichen Bemühungen, ein Kunstwerk Michelangelos zu erwerben 9 0 oder gar den Künstler selbst nach Frankreich zu holen, war es della Palla endlich gelungen, den heute verschollenen Herkules Michelangelos aus dem Besitz der Strozzi von Florenz nach Frankreich zu transferieren. 91 Im „Moses"-Bild war nun auch David, der in einem Zwickel der Sixtinischen Kapelle Goliath erschlägt (Abb. 2 0 ) und dann für Daniele da Volterras Umsetzung des gleichen Bildthemas zum herausragenden paragone-Stoii
wurde, im promi-
nent piazierten Schlagegestus des Mannes in der Bildmitte präsent. 9 2 D o c h kann sich die Rezeption des Bildes durch den potentiellen Auftraggeber nicht auf die Ebene der Wahrnehmung eines virtuosen Kunststücks und Zitatenkonglomerats beschränkt haben. Die zentrale Frage, wie sich der zugrunde liegende Bibeltext zur bildlichen Umsetzung verhält und welchen Stellenwert die dargestellte Szene in der Moses-Vita hat, wurde bislang nicht gestellt. Die Bibelstelle (Exodus 2, 1 1 - 2 2 ) muß hier ausführlich zitiert werden, da sie die Grundlage der folgenden Überlegungen zur Patronagestruktur bildet. Der erste Teil der Erzählung schildert Moses als aufbrausenden und gewaltbereiten Charakter, der seine E m o -
85 86 87
88 89 90
91 92
di qui sene potria cavare alcune che vi havesse messo; qui non ne restano se non quelle tante che furono salvate dalle persone che le stimavono piü che [...] la vita propria et da questi tali e impossibile cavarle, se giä il Papa non le chiedessi et per ogni una d'essi un vescovado" (ibid., pp. 99f.). Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 347; Picot, Sur une statue de Venus. Peluso, Rosso Fiorentinos Moses Defending the Daughters of Jethro and its Pendant, p. 95; Smith, „Moses and the Daughters of Jethro" by Rosso Fiorentino, p. 198. Fulton, Present at the Inception, p. 183 verweist auf die Notwendigkeit für die erste Generation junger manieristischer Maler, in Auseinandersetzung mit den expressiven Reliefs Donatellos eine „reconceptualization of basic pictorial principles" vorzunehmen und „to rethink their mediums". Vgl. hierzu Kapitel 7 dieser Arbeit. Vgl. auch Raffaels Darstellung des gleichen Themas in den Loggien. Michelangelo war bis Ende der 1520er Jahre in Frankreich ausschließlich über seine Zeichnungen bekannt; vgl. Joannides, A propos d'une sanguine nouvellement attribuee ä Michel-Ange. - Zur fortuna critica von Michelangelos „Leda" und Rossos Kopie des Bildes vgl. Roy, La Leda de Michelange et celle de Rosso; Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, n° 102, pp. 318-327; Wallace, Michelangelo's Leda: The Diplomatic Context. Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 302-313; Chatelet-Lange, Michelangelos Herkules in Fontainebleau; Joannides, Michelangelo's Lost Hercules. Vgl. Nova, Paragone-Debatte und gemalte Theorie, S. 201; Thomas, „The Lantern of Painting". Holderbaum, Α Bronze by Giovanni Bologna and a Painting by Bronzino, p. 441 verweist auf Danieles Terracotta-Gruppe gleichen Themas, die wohl als Studienobjekt für die Bilder da Volterras diente. Im Gegenzug seien die Gemälde, so Holderbaum, ibid., p. 442 anschauliche Hilfsmittel für Giovanni della Casa gewesen, als dieser einen Kunsttraktat abfaßte. - Die „Gewaltformel" des David wird ihrerseits durch viele Mithrasdarstellungen präfiguriert; an die Stelle des von Mithras geschlachteten Stiers tritt Goliath als Bestie.
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5. „Rex artifex": Spezifika der Kunstpatronage
Abb. 20
unter Frangois Ier
Michelangelo, David und Goliath, 1509, Sixtinische Kapelle, Vatikan
t i o n e n n u r p a r t i e l l u n t e r K o n t r o l l e h a t u n d d e m es u n m ö g l i c h ist, e i n e n A k t d e r U n g e r e c h tigkeit mit anzusehen, ohne einzuschreiten. Die M o r d t a t , die er verübt, w i r d bezeichnend e r w e i s e - o b g l e i c h e m o t i o n a l m o t i v i e r t - n i c h t als r e i n e A f f e k t h a n d l u n g b e s c h r i e b e n , d e n n M o s e s ist i m m e r h i n so s c h l a u , v o r h e r s i c h e r z u s t e l l e n , d a ß s e i n e H a n d l u n g k e i n e Z e u g e n hat. A u f d e r E b e n e d e r S e l b s t e r h a l t u n g h a n d e l t er s o m i t b e r e i t s h i e r k a l k u l i e r t : U n d es geschah in selbigen Tagen, als Mose groß geworden war, da ging er aus zu seinen Brüdern und sah ihren Lastarbeiten zu; und er sah einen ägyptischen Mann, der einen hebräischen Mann von seinen Brüdern schlug. Und er wandte sich dahin und dorthin, und als er sah, daß kein Mensch da war, erschlug er den Ägypter und verscharrte ihn im Sande. U n d er ging am zweiten Tage aus, und siehe, zwei hebräische Männer zankten sich. Da sprach er zu dem Schuldigen: Warum schlägst du deinen Nächsten? U n d er sprach: Wer hat dich zum Obersten und Richter über uns gesetzt? Gedenkst du mich zu töten, wie du den Ägypter getötet hast? Da fürchtete sich Mose und sprach: Fürwahr, die Sache ist kund geworden! Und der Pharao hörte diese Sache und suchte Mose zu töten. I m f o l g e n d e n d u r c h l ä u f t M o s e s , d e r g e z w u n g e n ist, s e i n k u l t u r e l l e s U m f e l d z u v e r l a s s e n , e i n e A r t rite de passage v o m H e b r ä e r z u m Ä g y p t e r , einen Ü b e r g a n g , der auch die Fähigkeit zur S u b l i m a t i o n v o n ungefilterter Emotionalität u n d zur A f f e k t k o n t r o l l e mit sich bringt. K ö r p e r l i c h e G e w a l t w i r d in d i e s e r z w e i t e n E p i s o d e n u r n o c h z u m o r a l i s c h v o r b i l d l i c h e n H a n d l u n g e n eingesetzt: U n d Mose floh vor dem Pharao und weilte im Lande Midian. U n d er saß an einem Brunnen. U n d der Priester von Midian hatte sieben Töchter; und sie kamen und schöpften und füllten die Tränkrinnen, um die Herde ihres Vaters zu tränken. U n d die Hirten kamen und trieben sie hinweg. Da stand Mose auf und half ihnen und tränkte ihre Herde. Und sie kamen zu Reghuel [i.e. Jethro], ihrem Vater, und er sprach: Warum seid ihr heute so bald gekommen? U n d sie sprachen: Ein ägyptischer Mann hat uns aus der Hand der Hirten errettet, und hat auch sogar für uns geschöpft und die Herde getränkt. Da sprach er zu seinen Töchtern: U n d w o ist er? warum habt ihr denn den Mann zurückgelassen? rufet ihn, daß er mit uns esse.
5.1. Rosso Fiorentinos Bild „ Moses verteidigt die Töchter des Jethro "
A b b . 21
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Gian J a c o p o Caraglio (nach Rosso), Herkules und Caccus, 1524
Schließlich wird der Expatriierte gänzlich in den neuen kulturellen Kontext integriert: „Und Mose willigte ein, bei dem Manne zu bleiben; und er gab Mose Zippora, seine Tochter. Und sie gebar einen Sohn, und er gab ihm den Namen Gersom, denn er sprach: Ein Fremdling bin ich geworden in fremdem Lande." In einem späteren, dritten Schritt der Moses-Geschichte wird er dann sogar zum Gesetzgeber aufsteigen. Was aber konnte der französische König bei der Betrachtung des Moses-Bildes sehen, das ihn annehmen ließ, dieser Künstler und kein anderer sei der ideale „Imageverwalter" für ihn? Zuallererst eine energische, dynamische, gewagte Malweise von hoher sinnlicher Qualität. Dann, auf der inhaltlichen Ebene, eine courtoise Handlung gegenüber einer virtuos frisierten, kostbar gekleideten und erotisch durchaus ansprechenden Dame; ein exemplum virtutis einer herkulisch-tugendhaften Figur, die durch das sie aureol-artig umfangende rote Gewand 9 3 als göttlich konnotiert war. Nicht nur Herkules, die Identifikationsfigur frühneuzeitlicher Herrscher par excellence, sah er ( A b b . 2 1 ) 9 4 , sondern auch Jupiter, der sein 93 Vgl. hierzu Caraglios Stich nach Rossos Jupiter aus den „Dei nelle nicchie"; Carroll, R o s s o Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, pp. 75 f.; Mugnaini, Furia della Virtu, p. 107. Eine Vielzahl von weiteren ikonographischen Vorbildern klingt in diesem Gewandmotiv an: D i e „Nacht" verbirgt sich in vielen Darstellungen unter einem solchen velum,
aber auch Artemis wird häufig
damit ausgestattet. 94 In Rossos ebenfalls von Caraglio gestochener Herkules-Serie, die er in R o m zwischen 1524 und 1527 entwarf, nimmt er in der Szene „Herkules und C a c c u s " das Motiv des „fliegenden Penis" in Kombination mit einer Gewaltszene und der zum tödlichen Schlag ausholenden Männerfigur wieder auf; im Stich „Herkules und Achelous" aus derselben Serie findet man die Kombination von
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5. „ Rex artifex ": Spezifika
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der Ku.nstpa.tronage unter Frangois Ier
Gian J a c o p o Caraglio (nach Rosso), Jupiter, um 1524/27
persönlicher Favorit im Rahmen der Herrscheridentifikation war.95 Vorbild für diese Art der Darstellung könnte der Jupiter auf der Trajanssäule gewesen sein, und auch Rossos Jupiter aus der von Caraglio gestochenen Serie der „Dei nelle nicchie" trug wenig später ein energisch gebauschtes Gewand (Abb. 22). Weiterhin sah der König - die Kenntnis des Bibeltextes vorausgesetzt - einen Expatriierten, der in gerechtem Zorn und unter Einsatz aller Kräfte einen richtenden Akt vollbringt, indem er einen Unterdrücker erschlägt, der aber auch jenseits aller nationalen Rücksichten die Partei der Gerechtigkeit ergreift; einen Flüchtigen, der hier kühn und raumgreifend in einen neuen Wirkungskreis hineinrennt, in dem er sich bald durch eine erneute mutige und gerechte Tat den Eintritt in ein Versorgungssystem erringen wird. Frangois konnte sehen, daß der Heranstürmende eine zukunftsträchtige Sozial-, genauer eine Gattenbeziehung eingehen wird, auf die auch der Gestus der Frau hinweist, die dadurch als Zipporah zu identifizieren ist, ein Gestus, der die traditionelle Handhaltung Mariens bei der Verkündigung zitiert (Abb. 23). 96 Ob Venus genetrix oder Maria immacu-
männlicher terribilita
und weiblicher grazia
wieder, die bereits im Moses-Bild verwendet worden
war; vgl. zu den Stichen Franklin, R o s s o in Italy, pp. 1 3 4 - 1 3 8 ; Carroll, R o s s o Fiorentino. D r a w ings, Prints, and Decorative Arts, pp. 7 5 - 8 7 . 95 Carroll, ibid., p. 102; Mugnaini verweist ebenfalls auf diese Darstellung auf der Trajanssäule; vgl. Furia della Vir tu, pp. 100; 108. - Vgl. zur Identifikation von Francois I e r mit dem Göttervater Kapitel 6.1.4. dieser Arbeit. 96 Vgl. Mugnaini, Furia della Virtu, pp. 109s., der besonders auf die Handhaltung der Maria auf Filippo Lippis Verkündigung in S. L o r e n z o , Florenz, verweist.
1. Rosso Fiorentinos Bild „ Moses verteidigt die Töchter des Jethro "
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Sandro Botticelli, Verkündigung, 1489/90, Uffizien, Florenz
lata, mit beiden Frauengestalten, die in der Zipporahfigur anklingen, beginnt eine große Zukunft: die des Aeneas oder die von Christus. Das die zukünftige Perpetuierung der hier angedeuteten neuen Sozialbeziehung garantierende Instrument ist bei Rosso geradezu unverschämt prominent in die Bildmitte gerückt 97 - wenn auch, wohl aufgrund der momentanen physischen Anstrengung, noch nicht in wirklich überzeugender Zeugungsstellung. Es symbolisiert auf einer sehr manifesten Ebene die auf Prokreation ausgerichtete Gattenbeziehung, auf einer latenten Sinnebene aber in metaphorischer Übertragung auch die fruchtbare Beziehung Herrscher - Hofkünstler. Moses bietet bildlich der Schönheit mit quasigöttlicher Gewalt einen Schutzraum, auch er wird - hierin dem König vergleichbar - in der Bibel im weiteren Fortgang seiner Geschichte zu einer charismatischen Herrscherfigur. Das ganze Bild wird so zu einer Allegorie einer gelungenen Patronagebeziehung. Der dynamische Penis als zentraler Punkt des Moses-Bildes ist zudem ein schönes Beispiel für die bereits dargelegte Hypothese, daß sich die manieristische Überbietungslogik durch einen spielerischen und persiflierenden Umgang mit den Vorbildern von der Uberbietung der Antike durch die Hochrenaissance unterscheidet. Zwar ist er erneut ein direktes Michelangelo-Zitat der potenten Männerfigur in der „Trunkenheit Noahs", vor allem aber setzt er eine schlichte, zotenhafte Unverschämtheit dreist in die Bildmitte. 98 Dasselbe gilt
97 Haitovsky geht so weit, von einem Bild zu sprechen, das „around Moses' genitals" rotiere: Rosso's Rebecca and Eliezer at the Well Reconsidered, p. 118; vgl. auch Campbell, „Fare una C o s a Morta Parer Viva", p. 616, n. 34. 98 Stephen J . Campbell hat in einem brillanten Aufsatz erstmals Rossos Strategien der ironisierenden Kritik an großen Kunstvorbildern (insbesondere an Michelangelo) aufgezeigt: „Fare una C o s a
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5. „ Rex artifex ": Spezifika
der Kunstpatronage
unter Frangois Ier
für diejenige Instanz im Bild, die - im Sinne von Albertis Vorgaben in Deila Pittura - den Blickkontakt zum Betrachter herstellt: das (zu allem Überfluß mit der verängstigten Frau darüber parallelisierte) Schaf, das dem Betrachter verschwörerisch zuzublinzeln scheint. Mehrere der in Oevermanns Modell benannten Strukturmerkmale einer Patronagebeziehung als Sozialbeziehung zwischen real Mächtigen und Geistesaristokraten sind dem Moses-Bild immanent: Insbesondere die bewußte Förderung zukunftsoffener, innovativer und autonomer Kunst läßt sich an ihm aufzeigen. So ist „Moses, der die Töchter des Jethro verteidigt" ein Bildthema, das über so gut wie keine ikonographische Tradition verfügt, vor allem über keine, auf die Rosso in seiner brutalisierenden Zuspitzung der Themenbehandlung hätte zurückgreifen können. Walter Friedlaender spricht zu Recht von „the strangest, wildest picture created in the whole period", das „quite apart from every canonical normative feeling" 99 stehe. Rosso begab sich mit seinem Bild bewußt auf ein Terrain, das sich bislang noch nicht bewährt hatte; sein Gemälde war ein Unikat, die Themenbehandlung neu und rar. Allein dies machte das Bild für den französischen König schon wertvoll. Von mittelalterlichen Darstellungen der Szene einmal abgesehen,100 die nicht in Rossos Blickfeld waren, wäre als einziges mögliches Vorbild Botticellis Fresko in der Sixtinischen Kapelle zu nennen (Tafel 20), auf dem die Szene in Midian eine unter mehreren dargestellten aus dem Leben des Moses ist. Doch auch wenn man auf Rossos Bild ebenfalls eine Kombination mehrerer Szenen findet, so ist diese nicht im Sinne einer linear-kontinuierenden Bilderzählung wie bei Botticelli angelegt, sondern - wie zu zeigen sein wird - wesentlich komplexer strukturiert.101 Ich gehe im folgenden von zwei Prämissen für die Deutung des Bildinhaltes aus: Zum einen handelt es sich um die Darstellung zweier, im Bibeltext zeitlich deutlich getrennter Szenen, nämlich unten um die Erschlagung des Ägypters und oben um die Beschützung der Töchter Jethros am Brunnen. Daraus folgt zum andern, daß einige der dargestellten Personen im Bild mehrfach auftreten.102 Sämtliche Bildelemente kreisen um die zentrale Mosesfigur wie Speichen in schneller Drehung um eine Radachse. Die zwei unteren Drittel des Bildes sind der bereits zurückliegenden Handlung „Moses erschlägt den Ägypter" vorbehalten, im oberen Drittel sind der heranstürmende Moses, Zipporah und ihre sechs fliehenden Schwestern dargestellt - dies ist der eigentliche und aktuelle Handlungsmoment des Bildes. Der üblichen Leserichtung eines Bildes im westeuropäischen Kontext entsprechend, öffnet sich das Geschehen über die Figur der Zipporah nach rechts zur Zukunft hin. Der M o r t a Parer Viva": Michelangelo, Rosso, and the (Un)Divinity of Art; vgl. zu Einzelaspekten auch Darragon, Manierisme en crise, passim; Schmidt, „ F u r o r " und „Imitatio". -
Hingegen
Mugnaini, Furia della virtu, pp. 123s. gänzlich unironisch zum Penis in der Bildmitte: „un motivo di vitalismo, una sottolineatura della missione salvifica" und „garanzia di virtu generatrice di vita". 9 9 Friedlaender, Mannerism and Anti-Mannerism, p. 34. 100 Vgl. Smith, „Moses and the Daughters of J e t h r o " . 101 Eine Bildstruktur, die der kontinuierenden Botticellischen Bilderzählung im Sinne einer rein sukzessiv ablaufenden Mehrszenendarstellung nähersteht, findet sich in der Galerie von Fontainebleau auf dem Fresko „L'Education d'Achille"; vgl. Kapitel 6.1.1. dieser Arbeit. 102 D i e folgenden Überlegungen zur Zeitstruktur des Bildes verdanken Max Imdahls Forschungen zur Zeitdarstellung in Bildern entscheidende Anstöße; vgl. z . B . Bildsyntax und Bildsemantik; Sprache und Bild - Bild und Sprache; U b e r einige narrative Strukturen in den Arenafresken G i o t tos.
5.1. Rosso Fiorentinos Bild „ Moses verteidigt die Töchter des Jethro "
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von links in das Bild stürmende Moses, der die Töchter des Jethro unter Einsatz all seiner physischen Kräfte beschützt, würde in dieser Lesart mit dem hinweisenden Handgestus auf seine eigene Vergangenheit hindeuten, auf die Zeit seines Lebens also, in der er noch nicht hinlänglich in der Lage war, seine Wut beim Anblick von Ungerechtigkeiten gegenüber Schwächeren zu bändigen. Zugleich wäre dieser Verweis damit eine beruhigende Geste in Richtung der so verschreckt blickenden Frau, die, in Unkenntnis der Vorgeschichte ihres Retters, den Energieschub des Heranstürmenden nicht richtig einschätzen kann und als bedrohlich empfinden muß. Edward J. Olszewski hat in seinem Aufsatz „The Subject of Rosso's Painting of Moses in the Uffizi" erstmals auf die Möglichkeit hingewiesen, daß Moses im Bild dreimal dargestellt sein könnte.103 Sein Vorschlag, welche Figuren mit Moses zu identifizieren seien,104 ließe sich meiner Meinung nach so modifizieren, daß seine Deutung noch schlagkräftiger würde: Zum einen möchte ich die dem Schlag des Mannes ausgelieferte Gestalt links im Moment des Niedergestrecktwerdens als verdoppelt, wenn nicht sogar verdreifacht deuten, so daß hier auf kleinstem Raum ein beschleunigter, sequentieller Zeitablauf dargestellt wäre.105 Zum andern scheint die in meiner Lesart dreimal dargestellte Person des Moses von der Wut aufgespalten zu sein in eine schreiende (unten rechts), eine schlagende (in der Bildmitte) und eine (links oben) rettend herbeistürmende Persönlichkeitskomponente. Die drei Figuren sind durch ihre leoninische Kopfgestaltung106 und durch ihre Positionierung im Bild als ein und dieselbe Person gekennzeichnet, jedoch in unterschiedlichen Funktionen: Die rechte, schreiende kann als Affekt- oder Charakterporträt verstanden werden, das zugleich einmal
103 Franklin, Rosso in Italy, p. 113 hat dieser Annahme vehement widersprochen, während Mugnaini, Furia della Virtü, pp. 110s. weitere Indizien für eine Mehrfachdarstellung angeführt hat. Franklins Gegenargument, die drei Figuren hätten kein identisches Aussehen, läßt sich zum einen durch die hier vorgeschlagene Neuidentifizierung der Moses-Figuren entkräften, zum andern aber auch durch die Beobachtung, daß Moses ja in drei verschiedenen Zeitstufen und Affektlagen dargestellt ist. 104 Olszewski sieht Moses in der sich aufstützenden Figur im Vordergrund, deren Kopf auf den Betrachter zuragt, in dem Schlagenden und in dem von rechts ins Bild Rennenden: The Subject of Rosso's Painting of Moses, p. 4. 105 Vgl. Mugnaini, Furia della virtü, p. 103, der zu Recht von „una struttura a piü dimensioni e con molti centri, composta di strati temporali diversi" spricht. Meine Deutung des chronometrischen Moments im Bewegungsablauf weicht allerdings von Mugnainis Deutung ab, der glaubt, in den beiden Gestalten im Vordergrund die beiden streitenden Hebräer aus der Bibelerzählung erkennen zu können. Die Tatsache, daß diese Episode zeitlich sehr eng mit dem Erschlagen des Ägypters verbunden ist, erscheint ihm als der Grund, wieso Rosso hier auf eine erneute Darstellung des Moses verzichtet habe (Furia della virtü, p. 111). Mugnainis Deutung rückt die Zeitstruktur des Moses-Bildes wieder näher an Botticellis Bilderzählung heran, von der sie meine Interpretation einer Kombination verschiedener und unterschiedlich schnell sich abspielender Zeitabläufe gerade abheben möchte. 106 Vgl. zur leoninischen Physiognomie des schreienden „früheren" Moses, die gewaltsam konnotiert ist: Gaston, The Prophet Armed, p. 221; Meiler, Physionomical Theory in Renaissance Heroic Portraits. - Die schreiende Figur ist auch als Allegorie der ungebändigt-wütenden Persönlichkeitskomponente des Moses lesbar, als Abstraktion seines „furor"; vgl. hierzu Gerhard Wolfs Deutung der schreienden Figur auf Cellinis Perseus-und-Andromeda-Relief als Affektfigur des Künstlers selbst (Der Splitter im Auge, S. 330 f.).
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5. „Rex artifex":
Spezifika
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mehr Michelangelo zitiert; 1 0 7 die mittlere vollzieht eine konkrete Handlung; die linke schließlich reflektiert diese Handlung und hebt sie damit auf die höhere, sublimierte Ebene eines kulturbildenden Aktes. Diese emotionale und zugleich intellektuelle Leistung der Sublimierung von Gewalt seitens der historischen Gestalt des Moses wird mit bildinternen Mitteln der Abstraktion dargestellt. 108 Mit Rossos einzigartiger und innovativer, gleichzeitig Reliefs der Antike und des Quattrocento (vor allem Donatellos 1 0 9 ) rezipierender Formgebung gehen neue Möglichkeiten der inhaltlichen Akzentuierung einher: Wie auf einer Bühne, v o r den kulissenhaft wirkenden Häuserattrappen im Hintergrund, werden unterschiedliche emotionale und psychische Komponenten von Figuren szenisch vorgeführt 1 1 0 - selbst auf Kosten der Eindeutigkeit der Handlung, der istoria.
Ungleichzeitiges wird simultan dargestellt, in einer - wie
Fumaroli es bewußt anachronistisch genannt hat - A r t „chronophotographie". 1 1 1 Die R o t a tion der Personen um die herkulische Hauptfigur verweist formal auf Darstellungen des Rades der Fortuna, dessen Zeitstruktur hier zugleich in virtuoser Manier als Gestaltungsprinzip genutzt und transformiert wird: 1 1 2 Bei der klassischen rota fortunae
steht oben stets
107 Zum Zitat von Michelangelos Zeichnung eines schreienden Mannes vgl. Schmidt, „Furor" und „Imitatio", S. 357-359 und Gilbert, „Un viso quasiche di furia". - Die schreiende Figur im Moses-Bild als Laokoon-Zitat zu betrachten und daraus auf eine Entstehung des Bildes in Rom zu schließen, wie Peluso (Rosso Fiorentino's Moses Defending the Daughters of Jethro and its Pendant, p. 94) es tut, ist wenig plausibel. Wollte man hierin ein Antikenzitat sehen, so wären eher Medusenhäupter oder Mänaden zum Vergleich heranzuziehen. Vgl. auch Schmidt, „Furor" und „Imitatio", S. 357-360, der dort viele Beispiele für eine der „gängigsten Pathosformeln der Renaissancekunst" anführt. 108 Christopher Fultons Vergleich zwischen der Raumgestaltung in Donatellos „Herodes"-Relief (heute im Musee des Beaux-Arts in Lille, um 1434) und derjenigen in Rossos Fresko „L'Education d'Achille" in der Galerie von Fontainebleau, das mit malerischen Mittel ein relievo schiacciato imitiert, könnte durch eine Analyse der Zeitstruktur noch schlagender werden; Present at the Inception, pp. 195 f. 109 Fulton, ibid., p. 180 unterstreicht, daß in Donatellos „sharply chiseled reliefs" die „integrity of human figures" häufig bedroht sei. In seinem äußerst aufschlußreichen Beitrag zeichnet er Rossos Donatello-Filiation im Detail nach und weist insbesondere auf die sehr ähnliche Raumstruktur von Donatello-Reliefs und Rosso-Bildern hin. Zugleich stellte die „antiklassische", vor allem Albertis Anweisungen gänzlich entgegenlaufende Kunstkonzeption Donatellos eine Identifikationsfolie für eine ganze junge Künstlergeneration des frühen Manierismus bereit (ibid., pp. 166; 170; 185; 199), deren Hauptproblem darin bestand, die Errungenschaften eines Michelangelo oder eines Raffael aufzunehmen, ohne sich von diesem übermächtigen Vorbild in der eigenen Produktion hemmen zu lassen, wie auch Joannides („... non volevo pigliar quella maniera", p. 136) betont. Zu Donatellos Einfluß auf Rosso vgl. weiterhin: Ciardi, II Rosso e Volterra, pp. 16-99; Campbell, „Fare una Cosa Morta Parer Viva", p. 604. 110 Vgl. Mugnaini, Furia della virtü, p. 108; id., Mose che difende le figlie di Jetro, in: II Rosso e Volterra, p. 135. 111 Fumaroli, Rosso tra Italia e Francia, p. 110. Zum szenischen Charakter des Bildes, der durch die Maskenhaftigkeit mehrerer Gesichter (der Zipporah, des schreienden Mannes) noch unterstrichen wird, vgl. Wilmes, Rosso Fiorentino und der Manierismus, S. 134 und Mugnaini, Furia della Virtü, p. 135. 112 Das Motiv des über dem Kopf gebauschten Gewandes - das sich ebenfalls häufig auf Darstellungen des Rades der Fortuna findet - kehrt in Fontainebleau später wieder in Benvenuto Cellinis
5.1. Rosso Fiorentinos Bild „ Moses verteidigt
die Töchter des Jethro "
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der Moment der Gegenwart, unten links (aufsteigend) die Vergangenheit, oben rechts und nach Drehung des Rades - dann unten rechts die (immer negativ besetzte) prognostizierte Zukunft des unweigerlichen Abstiegs. Diese fatalistische Wendung des Rades der Fortuna wird in Rossos Bild durch die Positionierung der Zipporah-Figur oben rechts als zukünftiger Gattin und Mutter des Gershom ins Positiv-Hoffnungsvolle gewendet. Die Jethro-Episode ist für den biblischen Moses nur eine Ubergangsphase der Läuterung vor der entscheidenden Konfrontation mit Gott und der Ubergabe der Gesetzestafeln dann wird allerdings seine ungezügelte Wut noch einmal durchbrechen, wenn er diese zerschlägt. Die Darstellung eines solchen transitorischen Momentes wäre eigentlich nur im Rahmen eines narrativ angelegten Zyklus möglich. Rosso aber löst dieses darstellerische Problem durch die spezifische Zeitstruktur seines Bildes, indem er simultan verschiedene Zeitebenen abbildet. 113 Er nutzt die räumlich innovative Gestaltung des Gemäldes, um auch die zeitliche Komponente der Handlung völlig neu zu formieren - ein Aspekt, der dem französischen König besonders einleuchten mußte, hatte dieser doch, wie bereits gezeigt, auf dem Güldenen Feld gerade den Zeitfaktor strategisch zur Revolutionierung bestehender Ordnungen genutzt. Ebenso also unterwirft Rosso Zeit und Raum in seinem Bild einer autonomen Neuordnung; und er geht in seiner Neustrukturierung der Zeitebenen noch einen weiteren Schritt über die bloße Simultandarstellung hinaus: Denn die dargestellten zeitlichen Abläufe sind weder kontinuierlich, noch in sich homogen angelegt. In der unteren Bildhälfte sieht man Zeitverläufe, die unkontrollierten Akzelerationen ausgesetzt sind: Auf einer ersten Ebene erblickt Moses die Unrechtstat, brüllt los und stürzt sich dann in unkontrollierter Wut auf den Kontrahenten. Auf der zweiten Ebene fällt dieser gewissermaßen in Zeitlupe zu Boden, nachdem er vom brutalen Faustschlag niedergestreckt worden ist. Die obere Bildhälfte zeigt demgegenüber einen erstarrten Moment, der eine zeitliche Tiefendimension überhaupt erst durch die geistige Reflexionstätigkeit der dargestellten Person gewinnt. In der dort heranstürmenden Figur des Moses vereinen sich konzentriert mehrere Zeitebenen: Das gegenwärtige Rennen, die Reflexion auf die Vergangenheit und der Ausblick in die Zukunft. Die Gewalttätigkeit des Dargestellten wird durch die Lesbarkeit als zurückliegende, erinnerte Handlung einerseits, durch formale Abstraktion andererseits rationalisiert und gedämpft. Dies gelingt Rosso insbesondere durch die pastose, „ätherische" Malweise der Körper im Vordergrund, die keineswegs allein auf den schlechten Erhaltungszustand des Bildes zurückzuführen ist.114 Einen strukturell vergleichbaren Prozeß sieht Vasari in Rossos künstlerischem Schaffen am Werke, wenn er anhand des (zurückgewiesenen) Auftrags für den Rektor des Hospitals von Santa Maria Novella dessen Fortschreiten vom Entwurf zum
Viktorien für die Porte doree. Ein weiterer Beleg f ü r Cellinis Rezeption von Rossos Moses-Bild findet sich meiner Meinung nach im Andromeda-Relief des Perseus-Sockels: Cellini verwendet dort die gleiche A r t der Simultandarstellung, der reliefartigen Raumbehandlung, der K o n f r o n t a tion von Mann und Frau, v o r allem aber den furiosen Schrei ungezügelter Emotionalität; hierzu: Cole, Cellini and the Principles of Sculpture, pp. 1 4 1 - 1 4 8 . 1 1 3 Vgl. Rieu, La temporalisation de l'espace. 114 Stefaniak, Replicating Mysteries of the Passion, p. 7 1 7 hat überzeugend ähnliche Mechanismen der Malweise Rossos an seinem „Toten Christus" in Boston herausgestellt: Die Darstellungsweise der den Christuskörper flankierenden Engel oszilliert von extrem realistisch-körperhaft in den K ö p f e n bis zu fast körperlos in den Armen.
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5. „ Rex artifex ": Spezifika der Kunstpatronage unter Frangois Ier
ausgeführten W e r k als stilistischen und inhaltlichen A k t der abmildernden Sublimierung beschreibt: „Fecegli far lo spedalingo di S. Maria N u o v a una tavola, la quale vedendola abbozzata, gli parvero, c o m e colui ch'era p o c o intendente di questa arte, tutti quei Santi, diavoli, avendo il R o s s o costume nelle sue b o z z e a olio di fare certe arie crudeli e disparate, e nel finirle poi addolciva l'aria e riducevale al b u o n o . " 1 1 5 D i e drastische Überfüllung des Bildraums ist laut Vasari Zeichen überschießender E r f i n dungskraft und verbildlicht eindrucksvoll R o s s o s künstlerische P o t e n z zur sinnlich präsenten Gestaltung, 1 1 6 die den Betrachter im vorderen, ihm am nächsten liegenden Bildteil regelrecht bedrängt. Zugleich empfiehlt R o s s o sich hiermit auf einer mehr materiellen E b e n e als ein Künstler, der mit seinen Mitteln nicht knausert, sondern sie in ihrer ganzen energischen Fülle in den D i e n s t eines potentiellen Auftraggebers zu stellen gedenkt. 1 1 7 D i e freskenhafte „ O b e r f l ä c h l i c h k e i t " der Figurenbehandlung scheint sich auf den ersten B l i c k als plakative Präsentation darzubieten, d o c h diese Präsentationsqualität wird bei näherer Betrachtung durch die inhaltliche Vielschichtigkeit überlagert und „vertieft". J e länger man das Bild betrachtet, desto mehr erschließt sich sein Ü b e r s c h u ß an Bedeutung. 1 1 8 Gleichzeitig wird die extreme Flächigkeit dann im Sinne einer formalen Abstraktion w a h r g e n o m m e n , die ihrerseits einer forcierten Rationalisierung der Darstellungsweise folgt. 1 1 9 Vasari spricht in diesem Sinne anläßlich von R o s s o s „Pala D e i " v o n deren einmaliger „astrattezza delle attitudini" 1 2 t > . D e r R a u m selbst wird malerisch aus „verflachten" skulpturalen Massen entwickelt, 1 2 1 die ins Zweidimensionale der Malerei übertragen sind - auch dies eine Spielart formaler R a t i o nalisierung. Dieses für R o s s o typische Verfahren der U m s e t z u n g von Dreidimensionalität in Konturierung läßt sich gut an seiner Zeichnung von Michelangelos A p o l l o / D a v i d - S t a t u e nachvollziehen, die die Skulptur ganz in die blattparallele Seitenansicht wendet, so wie die
115 Vasari (Barocchi), vol. 4, pp. 475s. Vgl. auch Schmidt, „Furor" und „Imitatio", S. 365. 116 Vgl. Vasari (Barocchi), p. 477: „Era anco tanto ricco d'invenzioni che non gl'avanzava mai niente di campo nelle tavole"; vgl. auch Haitovsky, Rosso's Rebecca and Eliezer, p. 114, die diese Uberfüllung des Bildraums mit der auf antiken Sarkophagreliefs vergleicht. Hierzu Hall, Politics and the Relief-like Style. 117 Rossos künstlerischer furor bringt in der Darstellung furios-entrüstete Gestalten hervor. Stephen Campbell hat ein ähnliches Vorgehen bereits an der „Jungfrau Maria mit Christuskind, Hl. Anna (?) und Johannes" herausarbeiten können („Fare una Cosa Morta Parer Viva", p. 604). 118 So auch Stefaniak, Replicating Mysteries of the Passion, p. 715. 119 Vgl. Imdahl, Bildsyntax und Bildsemantik, S. 84, der bereits zum Centurioblatt im Codex Egberti konstatiert: „Die Fläche ist nicht das notwendige Übel einer Projektion, sondern die notwendige Bedingung für die Erscheinung der Figur als eines organisierten Ganzen." 120 Vasari (Barocchi), p. 476. Vgl. Barocchi, Ii Rosso Fiorentino, p. 52, die von einer „visionaria astrazione" der Vordergrundgestaltung des Bildes spricht; vgl. auch Carroll, The Drawings of Rosso Fiorentino, vol. 1, p. 99, der als stilistisches Spezifikum des Bildes „the most explicit abstraction" ausmacht. 121 Vgl. Haitovsky, Rosso's Rebecca and Eliezer, p. 114 und Joannides, „... non volevo pigliar quella maniera", pp. 137f., der sogar so weit geht, das Mosesbild als De-/Rekonstruktion des Bildraums von Michelangelos Tondo Doni zu interpretieren. Leider dispensiert er sich selbst von einer detaillierten Analyse dieser Übernahmeverfahren mit der Bemerkung: „To contemplate the full implications of such stylistic wit is to begin to appreciate the extraordinary intellectuality of Rosso's artistic temperament."
5.1. Rosso Fiorentinos Bild „Moses verteidigt die Töchter des Jethro"
Abb. 24
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Rosso Fiorentino, Zeichnung nach Michelangelos Apoll/David, um 1527, Pierpont Morgan Library, New York
rennende Mosesfigur gänzlich im Profil gegeben ist ( A b b . 24). 1 2 2 E s scheint, als habe R o s s o hier den Bewegungsablauf eines Betrachters, der u m eine Statue herumgeht, u m alle ihre Ansichten zu erschöpfen, in seinem M o s e s - B i l d simultan darstellen wollen - das gleiche Verfahren sollte B r o n z i n o später auch in seiner „Allegorie" anwenden. D e r Bildraum selbst ist kein im voraus durchgängig strukturiertes Gefüge, er wird durch die raumschaffenden K ö r p e r überhaupt erst gebildet, die dadurch, wie A r n o l d Hauser zutreffend bemerkt hat, „ A u t o n o m i e " beanspruchen können. 1 2 3 R o s s o verwendet übrigens das M o t i v des ausgestreckten Armes, der den Bildraum nach unten hin abschließt, erneut in der Galerie von Fontainebleau im bereits erwähnten F r e s k o „ L e C o m b a t des Centaures et des Lapithes". 1 2 4 Indem er die unterschiedlichsten zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten in seinem Bild vereint, fragmentiert er zugleich den Bildraum und die Bildzeit. Diesen P r o z e ß der Fragmentierung von K ö r p e r n im Bild nutzt er wiederum als Mittel zur Darstellung expressiver E m o t i o n a l i t ä t : 1 2 5 D e n n die Figuren im unteren Bildteil sind ein besonders adäquater A u s 122 Hierzu Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, pp. 146-148. - Prägend für Rossos Moses-Figur könnte auch die Invidia oben links auf der linken Platte von Mantegnas Stich „Der Kampf der Meerwesen" gewesen sein, die sich in einem ähnlichen Zustand der Aggression befindet. Vgl. hierzu Schmidt, „Furor" und „Imitatio", S. 356f. 123 Hauser, Manierismus, S. 189. 124 Barocchi, Ii Rosso Fiorentino, pp. 139s.; Pressouyre, Le cadre architectural, p. 101. 125 Fulton sieht diese Strategie der Fragmentierung als Mittel des Ausdrucks psychologischer Zustände der dargestellten Personen bereits in Rossos „Kreuzabnahme" in Volterra von 1521 am Werk: Present at the Inception, p. 185.
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5. „Rex artifex": Spezifika der Kunstpatronage unter Frangois Ier
druck der hier verbildlichten poetischen Idee des Geschlagenwerdens und Erschlagenseins. 126 Zukunftsoffenheit und Modernität sind generelle Strukturmerkmale manieristischer Kunst, die, wie gezeigt, im Sinne einer ständigen Uberbietungslogik große Kunstvorbilder zu übertreffen sucht. Überbietung aber ist ein dynamisch-dialektisches Prinzip und damit per se unabschließbar zukunftsoffen. Die beste Möglichkeit, Herrschaft mit künstlerischen Mitteln zu perpetuieren, besteht somit darin, auf das autonome Kunstwerk zu setzen, und der beste Hofkünstler ist der, dessen CEuvre tendenziell heterogen ist; der immer wieder nach neuen Ausdrucksmitteln sucht; der ein „nonkonformistischer", verwegener Exzentriker mit ausgeprägter Phantasietätigkeit ist, und dadurch Innovation verspricht. Denn paradoxerweise wird der dauerhafte Machtanspruch des Souveräns am besten durch das Versprechen unabschließbarer Innovation, durch die risikobereite Öffnung auf immer Neues hin garantiert. Die Kongruenz im Habitus zwischen dem real Mächtigen und dem Geistesaristokraten scheint im Falle von Frangois Ier und Rosso Fiorentino so hoch gewesen zu sein, daß der König dem Künstler bei der Ausgestaltung des Kernstücks seiner Residenz, der Grande Galerie, weitgehend freie Hand ließ. Der König erkennt damit seine Abhängigkeit vom Künstler an, da er diesem den Freiraum für die ihm selbst nicht eignende Fähigkeit zur autonomen künstlerischen Gestaltung eröffnet und garantiert. In den entscheidenden Jahren, zwischen Ende 1531 und 1536, war der König selbst kaum in Fontainebleau anwesend. 127 Einige wenige Gipfelgespräche zwischen Auftraggeber und Künstler - zwischen gleichgeordneten Gesprächspartnern - mußten genügen, um die groben Linien der Ausstattung zu klären. Danach konnte sich der König darauf verlassen, strukturell genau diejenige Kunst zu bekommen, die ihm Rosso in seinem Mosesbild versprochen hatte. Diese ideale Konstellation zwischen Hofkünstler und königlichem Auftraggeber sollte in der Regierungszeit von Francois I er nach Rossos Tod nur noch einmal, im Falle von Francesco Primaticcio, erreicht werden. Bei Benvenuto Cellini hingegen, dem dritten bedeutenden italienischen Künstler am französischen Hof, stellt sich die Situation anders dar. Zwar ist auch Cellini in Vasaris Charakterisierung ein Innovator auf kunsthandwerklichem Gebiet, dessen capricci zuweilen so neu sind, daß sie seiner Umwelt als Bizarrerien erscheinen: „lego gioie et adorno di castroni maravigliosi, con figurine tanto ben fatte e alcune volta tanto bizzarre e capricciose, che non si puö ne piü ne meglio imaginare." 128 Und ebenso werden in Cellinis Selbstdarstellung alle früheren Patronageverhältnisse, die der König pflegte, durch den freundschaftlichen Umgang zwischen ihm und seinem Mäzen in den Schatten gestellt. Doch hier übertreibt der „Erzgießer und Erzaufschneider" 129 wie so oft, und hat - wie zu zeigen sein wird - Äußerungen des Königs falsch gedeutet sowie entscheidende Signale überhört. 1537, bei Cellinis erster Reise nach Frankreich, die er aus eigenem Antrieb in der Hoffnung auf Anstellung und Würdigung seines in den eigenen Augen herausragenden künstlerischen Talents angetreten hatte, war dieser von Rosso äußerst abwei-
126 Vgl. Dalli Regoli, Rosso e altri di fronte alia „scuola del mondo", pp. 144s. 127 Weislogel, Rosso Fiorentino, Benvenuto Cellini and Clement Marot, p. 113. - Vgl. die Statistik der unterschiedlichen Aufenthaltsdauern von Francois I er in seinen verschiedenen Residenzen bei Chatenet, La cour de France, pp. 320s. Danach war der König 1532 drei Tage, 1533 sechs Tage, 1534 27 Tage und 1535 überhaupt nicht in Fontainebleau. 128 Vasari (Barocchi), vol. 6, p. 245. 129 So Norbert Miller in seiner Einleitung zu Goethes Leben des Benvenuto Cellini, p. 727.
5.2. Der autonome Outlaw am französischen Hof: Benvenuto
Cellini
159
send behandelt worden. 130 Der Konkurrenzdruck unter den italienischen Künstlerimmigranten am Hof von Fontainebleau war groß, und da sich Rosso zu diesem Zeitpunkt noch bester Gesundheit und Schaffenskraft erfreute, war kein Bedarf für einen weiteren Hofkünstler. 1540 stellte sich die Situation dann allerdings anders dar: Rosso war wahrscheinlich bereits einige Zeit vor seinem Todestag, dem 14. November, schwer krank und arbeitsunfähig, so daß sich der König nach adäquatem Ersatz umsehen mußte. 131 Nachdem ein erneuter Versuch, Michelangelo zur Übersiedlung nach Frankreich zu bewegen, gescheitert war, trat also Cellini, der wohl spätestens Mitte September 1540 1 3 2 an den französischen Hof kam, gewissermaßen Rossos Nachfolge an - und wurde damit zugleich zum Hauptkonkurrenten Primaticcios.
5.2. Der autonome Outlaw am französischen Hof: Benvenuto Cellini Cellini ist zweifellos der meist- und besterforschte unter den Manieristen in Fontainebleau. Auch speziell Cellinis Aufenthalt in Frankreich ist jüngst von Bertrand Jestaz in einem umfassenden Aufsatz untersucht worden - mit dessen Ergebnissen ich allerdings nicht in allen Punkten übereinstimme, zumal Jestaz glaubt, Cellinis „subjektive Weltsicht" durch historische Quellenzeugnisse korrigieren zu können, und nicht in Betracht zieht, daß die selbstverfaßte Vita des Künstlers ein großangelegtes literarisches Selbststilisierungsunternehmen sein könnte. 133 Neuere Ansätze der Cellini-Forschung boten generell bis vor
130 Vita, pp. 299s.: „Riposatomi in Parigi alquanto, me ne andai a trovare il Rosso dipintore, il quale stava al servizio del Re. Questo Rosso io pensava che lui fossi il maggiore amico che io avessi al mondo, perche io gli avevo fatto in Roma i maggior piaceri che possa fare un uomo a un altro uomo; e perche questi cotai piaceri si posson dire con brieve parole, io non voglio mancare di non gli dire, mostrando quant'e sfacciata la ingratitudine. Per la sua mala lingua, essendo lui in Roma, gli aveva detto tanto male de l'opere di Raffaello da Urbino, che i discepoli suoi lo volevano ammazzare a ogni modo: da questo lo campai, guardandolo di e notte con grandissime fatiche. Ancora per aver detto male di maestro Antonio da San Gallo, molto eccellente architetto, gli fece torre un'opera che lui gli aveva fatto avere da messer Agniol de Cesi; dipoi comincio tanto a far contro a di lui, che egli l'aveva condotto a morirsi di fame: per la qual cosa io gli prestai di molte decine de scudi per vivere. Ε non gli avendo ancora riauti, sapendo che gli era al servizio del Re, lo andai, come ho detto, a visitare: non tanto pensavo che lui mi rendessi li mia dinari, ma pensavo che mi dessi aiuto e favore per mettermi al servizio di quel gran Re. Quando costui mi vedde, subito si turbo e mi disse: .Benvenuto, tu se' venuto con troppa spesa in un cosi gran viaggio, massimo di questo tempo, che s'attende alia guerra e non a baiuccole di nostre opere.'" 131 Dimier konnte nachweisen, daß Rosso die Kapitelversammlungen in Notre-Dame, bei denen er vorher als Kanoniker dieser Kirche regelmäßig anwesend gewesen war, schon seit dem 28. April 1540 nicht mehr besuchte. Damit wird Vasaris Selbstmord-Legende hinfällig, gegen die auch die Tatsache spricht, daß der Service funebre für Rosso in Notre-Dame abgehalten wurde. Vgl. Dimier, La mort du Rosso, pp. 87s. 132 Laut Jestaz, Benvenuto Cellini et la cour de France, pp. 74s. glaubte der König bereits 1539, den Künstler verpflichtend engagiert zu haben. 133 Benvenuto Cellini et la cour de France (1540-1545); vgl. auch Dimier, Benvenuto Cellini ä la cour de France; id., Une piece inedite sur le sejour de Benvenuto Cellini ä la cour de France.
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unter Frangois Ier
wenigen Jahren eher literaturwissenschaftliche als kunsthistorische Untersuchungen.134 John Pope-Hennessy glaubte beispielsweise in seiner monumentalen Werkmonographie Cellini noch jede Selbstaussage aus der Vita aufs Wort. Lange Zeit war die Kunstgeschichte bemüht, sämtliche dort erwähnten Kunstwerke, die als „verloren" einstuft wurden, zu identifizieren.135 Daß es sich in manchen Fällen um fiktive Werke handeln könnte, die Cellini allein im Rahmen der literarischen Strategie seiner Autobiographie erfand, wurde nicht in Betracht gezogen. Erst mit den Forschungen von Andrea Wandschneider,136 Michael Cole, 137 Victoria C. Gardner Coates 138 und vor allem mit den jüngst erschienenen beiden Tagungsbänden von 2003 139 und 2004 140 wurde der Brückenschlag zwischen dem literarischen und dem bildkünstlerischen Schaffen Cellinis sowie zum bislang gerne vernachlässigten kunsttheoretischen Kontext vorgenommen. Die folgenden Überlegungen zu Cellini am französischen Hof wollen der Frage nach der Struktur von Patronageverhältnissen anhand des - wie zu zeigen sein wird - charakteristischen Scheiterns einer solchen mäzenatischen Beziehung nachgehen. 5.2.1. Cellinis Professionalisierungsgeschichte und die Stilisierungen der Vita Jacob Burckhardt schrieb bereits 1860 in seiner Cultur der Renaissance in Italien treffend über den Florentiner Goldschmied, der sich im Laufe seiner Künstlerkarriere zum Bildhauer hocharbeitete: „Er ist ein Mensch der Alles kann, Alles wagt und sein Maß in sich selber trägt. Ob wir es gerne hören oder nicht, es lebt in dieser Gestalt ein ganz kenntliches Urbild des modernen Menschen".141 Den Text, in dem die Charakterstruktur dieses Modernen avant la lettre in pointierter Weise skizziert wird, hat Cellini selbst verfaßt: Seine erstmals 1728 142 erschienene Autobiographie,143 die als Künstler-„Selberlebensbeschreibung" 134 Vgl. insbesondere: Altieri Biagi, La Vita del Cellini; Carrara, Manierismo letterario; Misch, Geschichte der Autobiographie, Bd. 4/II, S. 631-640; Schiewek, Autobiographie und Fachtraktat; Cervigni, Cellini's Vita, or the Unfinished Story of a Disillusioned Hero; id., The „Vita" of Benvenuto Cellini; Davico Bonini, Narcisismo e alienazione nella „Vita" del Cellini; Gallucci, The Unexamined Life; Guglielminetti, Memoria e scrittura; Hösle, Mythisierung und Entmythisierung in den literarischen Selbstdarstellungen der Renaissance; Miething, Virtu als Fortuna; Goldberg, Cellini's Vita and the Conventions of Early Autobiography; Weiand, „Libri di famiglia" und Autobiographie, S. 200-242; Güntert, Skorpion und Salamander; Lucas, L'artiste et l'ecriture; Fontes-Baretto, La grande illusion; Funke, „Lusus naturae". 135 136 137 138
139 140 141 142 143
Besonders eklatant: Avery/Barbaglia, L'opera completa del Cellini. Benvenuto Cellini: die künstlerische Struktur seiner Werke. Cellini and the Principles of Sculpture. Ihre Cellini-Monographie erscheint demnächst unter dem Titel „Benvenuto Cellini and the Art of Autobiography"; vgl. auch ead., Homines non nascuntur sed figuntur; ead., „Ut vita scultura": Cellini's Perseus and the Self-Fashioning of Artistic Identity; ead., Cellini's Bust of Cosimo I and Vita. Benvenuto Cellini. Kunst und Kunsttheorie im 16. Jahrhundert, hgg. v. Alessandro Nova/Anna Schreurs. Benvenuto Cellini: Sculptor, Goldsmith, Writer, edd. by Margaret A. Gallucci/Paolo L. Rossi. Die Cultur der Renaissance in Italien, S. 333. Sie machte im 18. Jahrhundert, diesem Jahrhundert der Autobiographik par excellence, vor allem durch Goethes Übertragung ins Deutsche von 1796/97 Furore, die als Gesamttext 1803 erschien. Zwar ist es seit Jacques Pressers Untersuchung Memoires als geschiedbron von 1958, spätestens
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Outlaw am französischen
Hof: Benvenuto
Cellini
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ihre Vorläufer in L o r e n z o Ghibertis autobiographischen Einschüben in dessen
Commen-
tarii und in Vasaris Künstlerviten hat und v o m - vornehmlich autofäkalisch orientierten und in der literarischen Durcharbeitung Cellinis Text nicht annähernd vergleichbaren Libro mio P o n t o r m o s sowie von Baccio Bandinellis Memoriale
flankiert wird. Was die Vita
jedoch von all diesen zeitgenössischen Texten kategorial unterscheidet und sie zu einem Solitär der Kunstliteratur des 16. Jahrhunderts macht, ist ihre durchgängige Selbststilisierung autonomen Künstlertums. 1 4 4
jedoch seit dem Erscheinen des Themenheftes der niederländischen Tijdschrift voor Geschiedenis mit dem Titel Egodocumenten. Een bijzonder genre van historische bronnen 1970 politically ausgesprochen incorrect, noch von „Autobiographie" und nicht, wie es seither kategorisch vorgeschrieben zu sein scheint, von „Egodokumenten" zu sprechen. Mentalitätsgeschichte, Alltagsgeschichte und Mikrohistorie haben sich in den letzten Jahren mit besonderem Eifer über Quellen hergemacht, in denen das frühmoderne Subjekt nicht mehr unbedingt in der Ich-Form auftreten mußte, um Individualität zu beweisen. Heftige Debatten über terminologische Fragen und die Abgrenzung von ego-documents von den herkömmlichen Selbstzeugnissen wurden geführt - besonders hitzig in dem von Winfried Schulze herausgegebenen Sammelband EgoDokumente und durch Benigna von Krusenstjern (Was sind Selbstzeugnisse? und: Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges), wobei die strittige Hauptfrage die war, ob die Freiwilligkeit der Preisgabe von Ich-Komponenten Voraussetzung für ein echtes Ego-Dokument sei oder nicht, ob also z.B. Verhörprotokolle autobiographischen Aussagewert besäßen. Krusenstjern favorisierte den Begriff „Selbstzeugnisse", wobei ihre etwas beckmesserische Kategorisierung dieser Quellengattung in vier Typen wenig überzeugt. Vgl. die Forschungsüberblicke: Dekker, Egodocumenten; Rutz, Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion! - All diese Feindifferenzierungen und Typologisierungen sind zweifellos für die Entdeckung minimaler Individualitätseinschübe in Aufzeichnungen venezianischer Chronisten oder für das Aufspüren zarter innerer Regungen in florentinischen Libri di ricordanze sehr hilfreich. Unbestritten und damit jenseits solcher Überlegungen stehend ist jedoch nach wie vor, daß der erste Platz in der Quellengattungshierarchie dieser „Egodokumente" von der Künstlerautobiographie besetzt ist. - Die Autobiographie ist diejenige Kunst- und Quellengattung, die sich für eine nachträgliche Stilisierung von Lebensstoff zu einem künstlerisch-literarischen Gebilde besonders anbietet. Bei dieser zwischen poetischem Kunstwerk und historischer Quelle angesiedelten Textsorte sind Intentionalität und Freiwilligkeit der Ich-Aussage unbestreitbar, wobei sich auch hier die Frage der Funktion einer solchen Aussage in ihrem jeweiligen Kontext stellt. Zumeist hat man es nämlich mit einer rückblickenden Stilisierung der Vita zum geglückten Leben zu tun. An die Stelle der Frage nach dem „Wahrheitsgehalt" der Berichterstattung über das gelebte Leben tritt die Kategorie der Authentizität: Wer ein Erlebnis stilisiert, lügt nicht, kann es aber entweder authentisch oder (und auch dies wiederum bewußt oder unbewußt) unauthentisch schildern. Somit steht im folgenden weniger die „veracite de l'auteur" zur Debatte (vgl. Dimier, Benvenuto Cellini ä la cour de France, p. 241) als die unterschiedlichen Stilisierungsstufen eines Textes mit grundsätzlich literarisch-fiktionalem Anspruch. Die Frage, was Cellini erfindet und was den realen Gegebenheiten entspricht, ist irrelevant. 144 In Anbetracht des raffinierten Spiels mit Motiven und der komplexen Struktur der Vita ist es erstaunlich, daß es immer noch Literatur über Cellini gibt, die meint, er habe frisch von der Leber weg erzählt, was ihm einfiel; so beispielsweise Chätelet-Lange, Benvenuto Cellini und „der gute König Franz"; Altieri Biagi, La Vita del Cellini; stellenweise Güntert, Skorpion und Salamander, der mehrfach die Frage nach der „Wahrheit" der Autobiographie stellt; Jestaz, Benvenuto Cellini et la cour de France, p. 72 spricht von Cellinis Willen zur Aufrichtigkeit im Rahmen einer sub-
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Cellinis Autobiographie läßt sich nur unter der Prämisse, daß Alltagshandeln und künstlerisches Handeln strukturhomolog sind, sinnvoll als authentisches Quellenzeugnis verwerten. 1 4 5 H i e r wird „nicht nur die Kunst zum gültigen A u s d r u c k des Lebens, sondern darüberhinaus das L e b e n selbst zur Kunst, die Lebenspraxis zum künstlerischen Handeln [ . . . ] . Diese letzte Steigerungsform war strukturell auf die D a u e r zum Scheitern verurteilt, weil auch das L e b e n des Künstlers, so praxisabgewandt es seinen Inhalten nach in der vereinseitigenden Selbstthematisierung auch immer sein mochte, in der sozialen Realität der Praxiszwänge nicht e n t h o b e n war und als eine besondere F o r m v o n Praxis historisch erst etabliert werden m u ß t e . " 1 4 6 I m erzählten L e b e n Cellinis lassen sich unzählige Strukturanalogien zu seinem bildkünstlerischen Handeln aufzeigen. Bereits der A k t der Niederschrift seiner Vita zeigt emblematisch die untrennbare Verschränkung in der Simultaneität v o n künstlerischem Schaffen und Reflexion über das eigene L e b e n - in seiner literarischen F i k t i o n diktiert Cellini seinen Text einem Gehilfen während der A r b e i t im Atelier: „immentre che io lavoravo, gli dittavo la Vita m i a . " 1 4 7 U n d er beginnt gewissermaßen kompensatorisch mit der Abfassung dieses literarischen K u n s t w e r k s als er keine Aufträge für bildkünstlerische Werke mehr erhält. 1 4 8 Generell haben alle Handlungen Cellinis künstlerischen Charakter, werden ihm D i n g e unter der H a n d zu K u n s t w e r k e n : D i e jugendliche Geliebte, die er nach der ungetreuen Caterina als Modell für die Fertigstellung der später n o c h genauer zu behandelnden N y m -
jektiven Weltsicht, womit auch er Stilisierungsabsichten des Schriftstellers in Abrede stellt. Dagegen Rossi, Sprezzatura, Patronage, and Fate, der die mühsamen Schritte der Textgenese und der Vorarbeiten rekonstruiert und Kompositionsprinzipien herausarbeitet; v.a. pp. 59s.; 62s.; 68. Vgl. auch id., Ii caso Cellini (insbesondere p. 158). 145 Diese methodische Grundannahme im Umgang mit autobiographischen Künstleräußerungen schließt sich erneut an Überlegungen von Ulrich Oevermann an; vgl. Eugene Delacroix - biographische Konstellation und künstlerisches Handeln. Als einer der ersten hat Enrico Carrara (Manierismo letterario in Benvenuto Cellini, p. 172) auf diese strukturellen Homologien zwischen manieristischer Kunstproduktion und literarischer Gestaltung der Cellini- Vita hingewiesen. Vgl. auch Gardner Coates, Cellini's Bust of Cosimo I and Vita, p. 149; Rossi, 11 caso Cellini, p. 159: „It is not so much an interpretation of the past but a combination of the techniques of marble-carver and bronze-caster. He both takes away and adds to create the final image." 146 Oevermann, Eugene Delacroix - biographische Konstellation und künstlerisches Handeln, S. 15f. 147 Vita, p. 46: „Io avevo cominciato a scrivere di mia mano questa mia Vita, come si puo vedere in certe carte rappiccate, ma considerando che io perdevo troppo tempo e parendomi una smisurata vanitä, mi capito inanzi un figliuolo di Michele di Goro dalla Pieve a Groppine, fanciullo di etä di anni X I I I incirca ed era ammalatuccio. Io lo cominciai a fare scrivere e inmentre che io lavoravo, gli dittavo la Vita mia; e perche ne pigliavo qualche piacere, lavoravo molto piü assiduo e facevo assai piü opera. Cosl lasciai al ditto tal carica, quale spero di continuare tanto innanzi quanto mi ricordero." Vgl. hierzu Lacroix, Cellini, critique d'art, p. 154. 148 Trattato dell'oreficeria, pp. 717s.: „[...] io gli ho domandato molte volte licenzia, egli non me l'ha data, ne manco m'ha comandato nulla: per la qual cosa io non ho potuto servire ne lui ne altri, ne manco ho saputo mai la causa di questo mio gran male. Se non che, standomi cosi disperato, e reputato che questo mio male venissi da gli influssi celesti che ce perdoninano, pero io mi messi a scrivere tutta la vita mia [...]. Solo per giovare al mondo, e per essere lasciato da quello scioperato, veduto che m'e impedito il fare, essendo desideroso di render grazie a Dio in qualche modo dell'essere io nato uomo, da poi che m'e impedito il fare, cosi io mi sono messo a dire." Vgl. hierzu Link-Heer, „Fare" und „dire" in der „Vita" Cellinis, S. 176 f.
5.2. Der autonome
Outlaw am französischen
Hof: Benvenuto
Cellini
163
phe von Fontainebleau auswählt, 1 4 9 wird ausgesucht, weil sie selbst schon Merkmale einer Bronzeskulptur aufweist: „Questa era molto bella di forma di c o r p o ed era alquanto brunetta". 1 5 0 Ihre Menschenscheu, ihre Wortkargheit, ihre düsteren Blicke sind eine rauhe Schale, die einen zarten Kern verbirgt und sie einem unbehauenen M a r m o r gleichmacht, so daß Cellini ihr den N a m e n „Scorzone" gibt. Wahrscheinlich ist neben ihrer Reinheit und Jungfräulichkeit vor allem diese N ä h e zur Skulptur und die daraus resultierende F o r m b a r keit durch den Künstler 1 5 1 der Hauptgrund dafür, daß Cellini sie schwängert und damit sein erstes Kind aus Fleisch und Blut zeugt. Allerdings stellt er bald nach dessen Geburt die Prioritäten klar: Seine Kunstwerke sind „cose di piü importanza" 1 5 2 als seine Tochter. Seine Werke sind es, die Cellini liebevoll „i figluoli de l'arte mia" nennt. 1 5 3 Einzelne Szenen seiner Vita selbst modelliert Cellini nach A r t vollplastischer Kunstwerke und erzählender Reliefs, 1 5 4 so die berühmte Visionsszene im römischen Gefängnis, die eindrücklich seine gänzlich plastische (und eben nicht zeichnerische oder malerische) Phantasie dokumentiert. 1 5 5 Bei der Beschreibung der göttlichen Lichterscheinung vollzieht er einen bildkünstlerischen Schaffensprozeß im Medium der Sprache nach. Gott als
artifex,
dem Cellini sich damit implizit gleichstellt, 156 schmiedet in dieser Vision das Licht der Sonnenscheibe zu einer goldenen Skulptur, die wie in einer filmischen Traumsequenz sukzessive Szenen der Passionsgeschichte zeigt, somit einen
künstlerisch-metamorphotischen
P r o z e ß abbildet: Cosi mi stavo con gli occhi fermi in lui; e stato che io fui un pochetto in quel modo, viddi in un tratto tutta quella forza di quei gran razzi gittarsi in sulla banda manca del ditto sole; e restato il sole netto, sanza i suoi razzi, con grandissimo piacere io lo vedevo [...]. Mi pareva questo sole sanza i razzi sua, ne piü ne manco un bagno di purissimo oro istrutto. Immentre che io consideravo questa gran cosa, viddi in mezzo a detto sole cominciare a gonfiare; e crescere questa forma di questo
149 Vgl. Kapitel 6.1.4. dieser Arbeit. 150 Vita, p. 462. 151 Den Körper ihrer Vorgängerin, der „bösen Caterina", hatte Cellini mit Faustschlägen und Fußtritten geschmeidig gemacht und seinen Bedürfnissen entsprechend geformt, um ihr die anatomisch ausgefallensten Stellungen abzuringen, die er in seinem Kunstwerk abbildete. Allerdings geht er in seinem Furor so weit, daß sie ganz grün und gelb geschlagen wird und damit eigentlich nur noch als Modell für einen Maler, nicht jedoch für einen Bildhauer tauglich ist (Vita, pp. 457—460). Diese Szenen der Formbeherrschung bis hin zur bewußten Deformation illustrieren in Cellinis Vita Herrschaftsakte des manieristischen Künstlers, der die absolute Verfügungsgewalt über das künstlerisch umzuformende Rohmaterial beansprucht. Vgl. zu dieser Szene unter „körperhistorischen" und feministischen Aspekten: Cole, The Figura Sforzata; Vickers, The Mistress in the Masterpiece, pp. 36f.; Ferroni, Dalla Farnesina a Fontainebleau, pp. 318s.; 322; 325. 152 153 154 155
Vita, p. 464. Vita, p. 398; vgl. auch ibid., p. 348. Vgl. Misch, Geschichte der Autobiographie, Bd. 4/II, S. 635. Diesen Aspekt betonte bereits Goethe in seinem kommentierenden Anhang zum „Leben des Benvenuto Cellini", S. 493 f.: „Uberhaupt erscheint die Gewalt, sich, innere Bilder, zu wirklich gewissen Gegenständen, zu realisieren mehrmals in ihrer völligen Stärke und tritt manchmal, sehr anmutig, an die Stelle gehinderter Kunstausübung. Wie er sich z.B. gegen die ihm, als Vision, erscheinende Sonne, völlig als ein plastischer Metallarbeiter verhält." 156 Vgl. Lucas, L'artiste et l'ecriture, pp. 69s.
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gonfio, e in un tratto si fece un Cristo in croce della medesima cosa che era il sole; ed era di tanta bella grazia in benignissimo aspetto, quale ingegno umano non potria immaginare una millesima parte [...]. Ε in mentre io consideravo [...] questo Cristo si moveva inverso quella parte dove erano andati i suoi razzi, e innel mezzo del sole di nuovo gonfiava, si come aveva fatto prima; e cresciuto il gonfio, subito si convert! in una forma d'una bellissima Madonna, qual mostrava di essere a sedere in modo molto alto con il ditto figliuolo in braccio in atto piacevolissimo, quasi ridente; di qua e di la era messa in mezzo da duoi angeli bellissimi tanto, quanto lo immaginare non arriva.157
Diese fiktive Vision scheint für Cellini von solch emblematischer Bedeutung gewesen zu sein, daß er sie in seinem eigenen Grabmalentwurf in einem Marmortondo skulptural umzusetzen gedachte, wie man seinem ersten Testament vom 10. August 1555 entnehmen kann. Auch das berühmte Kruzifix (heute im Escorial) entstand angeblich nach einem Wachsmodell, das Cellini anläßlich dieser Vision angefertigt haben wollte. 158 Cellinis im Kerker geplanter Selbstmord vor dieser Lichterscheinung war ebenfalls nach einer Vision göttlichen Eingreifens unterblieben, und zwar mit der Begründung, er selber sei ein von Gott geschaffenes Kunstwerk, das nicht zerstört werden dürfe.159 Träume und Visionen werden generell in der Vita herangezogen, um unter Beweis zu stellen, daß der Künstler als Seher mit divinatorischen Fähigkeiten begabt ist, eine Qualität, die nicht nur lebenspraktische Voraussagen mit Hilfe der Deutung von Himmelszeichen ermöglicht, sondern die er auch im halb unbewußten Akt der Formgebung im autonomen Kunstwerk immer wieder neu unter Beweis stellen muß. 160 Als Zeichen seiner Auserwähltheit 161 als göttlich akkreditierter Künstler bleibt ihm von seiner Sonnenvision im Kerker her eine Art Heiligenschein, den er nur auserwählten Betrachtern zeigt: „Questo si vede sopra l'ombra mia la mattina innel levar del sole insino a dua ore di sole, e molto meglio si vede quando l'erbetta ha addosso quella molle rugiada; ancora si vede la sera al tramontar del sole." 162 Und da der französische König, wie zu zeigen sein wird, Cellinis künstlerische Qualitäten mehr zu schätzen weiß als seine italienischen Auftraggeber, zeigt sich der Heiligenschein in Paris „molto meglio che in Italia, perche le nebbie ci sono molto piü frequente." 163 Die Dynamik zur Weiterentwicklung und zur Hervorbringung von Neuem, Innovativem 164 bezieht dieses Künstlerleben aus einem geradezu manisch ausgeprägten Habitus der Uberbietung und der Transgressivität.165 Jede Grenze, auf die Cellini trifft, wird überschritten, jedes Objekt, das sich zum Vergleich präsentiert, wird durch ein überlegenes eigenes 157 Vita, p. 361s. 158 Hierzu Cole, Benvenuto Cellini's Designs for his Tomb, p. 800; Pope-Hennessy, Cellini, pp. 252265; Goffen, Renaissance Rivals, p. 377. 159 Vita, p. 353. 160 Vgl. Oevermann, Bausteine einer Theorie künstlerischen Handelns aus soziologischer Sicht, S. 36 ff. 161 Hierzu Falke, „Lusus Naturae"; Weiand, „Libri di famiglia" und Autobiographie, S. 239. 162 Vita, p. 373. 163 Vita, p. 374. 164 Vgl. die Szene nach dem Sacco di Roma, als Cellini die zerstörte Stadt wie ein nie gesehenes Kunstwerk betrachtet: „Venuto la notte, e i nimici entrati in Roma, noi che eramo nel Castello, massimamente io, che sempre mi son dilettato veder cose nuove, istavo considerando questa inestimabile novitä e 'ncendio; la qual cosa quelli che erano in ogni altro luogo che in Castello, nolla possettono ne vedere ne inmaginare." 165 Hierzu Grote, Cellini in gara.
5.2. Der autonome
Outlaw am französischen
Hof: Benvenuto
Cellini
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herabgestuft. Er begeht Morde aus Ehrkränkung und erhält die Absolution durch Papst Paul III., der die Sonderstellung des Genies supra legem anerkennt (zumindest laut Selbstaussage des Genies in der Vita): „Sappiate che gli uomini come Benvenuto, unici nella lor professione, non hanno da essere ubrigati alla legge".166 In quasi-alchimistischen Metallfusionen etabliert er selbst neue Naturgesetze.167 Seine häufig auftretenden Krankheiten zumeist Metaphern einer unbefriedigenden äußeren Situation oder einer unverhofft auftretenden Schwierigkeit in der Kunstproduktion stellen für ihn Bewährungsproben gegenüber dem eigenen Körper und eine weitere Gelegenheit zur ruhmreichen Uberwindung von Fährnissen dar.168 Seien es die antiken oder die zeitgenössischen Künstlerkollegen: Cellini ist allen stets voraus.169 Besonders gern nimmt er den Wettstreit mit demjenigen Künstler auf, den Vasari in seinen Vi ten als denser se Unüberbietbaren, Einzigartigen und Unnachahmlichen 170 etabliert hatte: mit Michelangelo.171 Cellini wählt ihn sich selbst zum Lehrer, obwohl dieser ja Vasari zufolge als heroisch-einsam schaffender Solitär niemanden in seinem Atelier duldete und sowohl Werkstatt- als auch schülerlos blieb. Den Topos aus Vasaris Vita, daß der junge Michelangelo antike Skulpturen kopierte, diese durch eine zusätzliche invenzione aber sogleich übertraf, treibt Cellini auf die Spitze. Er berichtet nämlich, wie ihm eine eigene Jugendarbeit vom stolzen Besitzer als antik präsentiert wird und er das Mißverständnis erst einmal nicht aufklärt, denn: „E io, per non tor loro quella riputazione, standomi cheto, stupefatto gli ammiravo." 172 Doch Cellini gibt sich selten mit einfachen Überbietungen zufrieden - sein Sieg muß stets einer an mehreren Fronten sein. Antike und Moderne werden von ihm gleichzeitig in den Schatten gestellt, wie er nach seinem Frankreichaufenthalt später in Florenz Herzog Cosimo darlegt. Er will mit seinem Perseus auf der Piazza della Signoria zwei der Modernen - Donatello und Michelangelo - zugleich überbieten.173 Als er Cosimo sein Perseus-
166 Vita, p. 233. 167 Vgl. Orsino, II fuoco nella Vita di Benvenuto Cellini, pp. 1 0 0 - 1 0 3 . 168 Vgl. Barolsky, Cellini, Vasari, and the Marvels of Malady. 169 Hierzu insbesondere Funke, „Superare gli antichi e i moderni". Die Zuspitzung dieses agonalen Prinzips stellt die Selbstüberbietung, die „garα gegen den eigenen Entwurf" dar; vgl. ibid., S. 21. 170 Hierzu Tylus, Cellini, Michelangelo, and the Myth of Inimitability; Funke, ibid., S. 3 5 f. 171 Orsino, II fuoco nella Vita di Cellini, pp. 107s. interpretiert Cellinis Selbstdarstellung als diabolische Variante des göttlichen Michelangelo; als „artista maledetto", der durch die Uberwindung der Widrigkeiten seine Überlegenheit demonstriert; als „contrario di quello delPartista ispirato, incarnato dal divino Michelangelo. N o n quindi inferiore si considera Cellini ma piuttosto un contrario, un negativo del primo, situandosi cosi alio stesso livello di u o m o di genio." 172 Vita, p. 110. Vgl. Gatto, Benvenuto Cellini, p. 7. Im Italienischen bleibt die Aussage bewußt doppeldeutig, so daß nicht klar ist, ob Cellini die Gefäße bewundert, um ihren Ruf, antik zu sein, nicht zu zerstören, oder ob er im zeitlichen Abstand von seiner eigenen Leistung so begeistert ist, daß er sie jetzt erst richtig bewundern kann. Eine ähnliche Szene in: Vita, pp. 4 0 1 ^ 0 3 . Oevermann (Bausteine einer Theorie künstlerischen Handelns, S. 4 2 ) spricht von einer „Selbst-Charismatisierung zur Krisenbewältigung", die charakteristisch für künstlerisches Handeln sei. Bei Cellini ist dieser Hang zur Selbstcharismatisierung ins Extrem gesteigert. 173 Vasari (Barocchi), vol. 6, pp. 245s. erwähnt bezeichnenderweise nur, daß Cellini mit seinem Perseus den paragone
mit Donatellos Judith aufgenommen habe - der David bleibt unerwähnt, um
Michelangelo als Kulminationspunkt der Vasarischen Teleologie unantastbar zu erhalten.
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5. „Rex artifex": Spezifika der Kunstpatronage
unter Frangois Ier
Modell zeigt, stachelt dieser den Ehrgeiz des Künstlers mit der Bemerkung an: „Se tu conducessi, Benvenuto mio, cosi in opera grande questo piccol modellino, questa sarebbe la piü bella opera di piazza". Diese höchstwahrscheinlich von Cellini erfundene Äußerung Cosimos bildet natürlich nur die Vorlage für eine erneute Demonstration seiner Siegesgewißheit: „Allora io dissi: .Eccellentissimo mio Signiore, in piazza sono l'opere del gran Donatello e del maraviglioso Michelagniolo, qual sono istati dua, Ii maggior uomini dagli antichi in qua. Per tanto vostra Eccellenzia illustrissima da un grand'animo al mio modello, perche a me basta la vista di far meglio l'opera, che il modello, piü di tre volte'" 174 - die ausgeführte Statue wird dreimal so gut wie das Modell sein, weil sie gleich drei herausragende künstlerische Vorbilder überbieten wird. Im Topos vom künstlerischen Universalgenie, der bereits Vasaris Vita Leonardos bestimmt hatte, verdichtete sich das de facto für jeden Hofkünstler des 16. Jahrhunderts bestehende Anforderungsprofil: Neben der genuin künstlerischen Produktion mußten die Künstler an den Renaissancehöfen Feuerwerke ausrichten, Festdekorationen basteln, Stoffe herstellen, Waffen schmieden und alle sonst anfallenden Ausstattungs- und Erfindungsaufgaben übernehmen. Auch Cellini stilisiert sich zu einem solchen uomo virtuoso,175 der sich nicht nur durch seine Virtuosität in der Goldschmiedekunst und Bildhauerei, sondern auch als einfallsreicher Verteidiger der Engelsburg im Sacco di Roma, Kunsttheoretiker, Musiker und Erfinder zum artifex polytechnes qualifiziert. Einen bewußten Hinweis darauf, daß er Leonardo gleichwertig sei, gibt Cellini in seiner Vita, wenn er schreibt, er habe bei seinem Dienstantritt am französischen Hof das gleiche (außerordentlich hohe) Gehalt von 700 scudi wie dieser erhalten.176 Ein kursorisch-vereinfachender Blick auf die Sozialgeschichte des Renaissancekünstlers zeigt, daß das aus den Fesseln von Auftraggeberschaft und Patronage befreite Künstlerindividuum, das sich genialisch-stilprägend über die Konventionen der Zeit hinwegsetzt, eine Erfindung des 19. Jahrhunderts ist - der Begriff des artista ist in den Quellen des 15. Jahrhunderts noch nicht zu finden. Der Künstler ist ein zünftisch gebundener Handwerker, ein artifex im mechanisch-ausführenden Sinne, jemand, der in den artes mechanicae bewandert und zumeist als Individuum schwer faßbar ist, da er in einer korporativ organisierten Werkstatt arbeitet. Der künstlerische Autonomisierungsprozeß im 16. Jahrhundert ist somit gekoppelt an einen Professionalisierungsprozeß, in dem es einigen dieser Handwerkerkünstler gelingt, sich aus den engen Bindungen an die Werkstatt zu befreien und - zumeist im Rahmen eines höfischen Patronageverhältnisses - genug Freiraum zu erlangen, um autonom künstlerisch arbeiten zu können. Erst Mitte des 16. Jahrhunderts ist die Unterscheidung zwischen Künstler und Handwerker konstatierbar. Das Kriterium, das Benedetto Varchi einführt, um artifex und artista kunsttheoretisch voneinander abzugrenzen, ist bezeichnenderweise die freie Phantasietätigkeit.177 Cellinis Text trägt den programmatischen Titel Vita di Benvenuto Cellini orefice e scultore fiorentino da lui medesimo scritta, nella quale molte curiose particolarita si toccano
174 Vita, p. 495; vgl. Shearman, Art or Politics in the Piazza?, p. 21. 175 Vgl. Tauber, „Uomo universale" oder „Uomo virtuoso"? 176 Vita, p. 410. Leonardo erhielt 2000 livres tournois pro Jahr. Vgl. hierzu Jestaz, Benvenuto Cellini et la cour de France, pp. 79s. 177 Vgl. Roggenkamp, Vom „Artifex" zum „Artista", v.a. S. 852; 856; 860.
5.2. Der autonome
Outlaw am französischen
Hof: Benvenuto
Cellini
167
appartenenti alle arti ed all'Istoria del suo tempo, womit das behandelte Thema eindeutig annociert wird: Erzählt werden soll die Geschichte eines Goldschmiedes ( o r e f i c e ) , der zum Bildhauer ( s c u l t o r e ) aufsteigt. Der professionsgeschichtliche Aufstieg vom artifex zum artista vollzieht sich parallel zur Autonomisierung im rein künstlerischen Bereich. Neben der Vita hat Cellini bezeichnenderweise auch zwei Fachtraktate verfaßt, die sich an die beiden von ihm vertretenen „Professionen" richten - einen über Goldschmiedekunst und einen über Bildhauerei. Diese Texte dienen weniger der rückblickenden Stilisierung seines Aufstiegs, obwohl viele Episoden aus der Vita hier wiederkehren. Sie scheinen vielmehr die Funktion zu haben, den bereits erfolgten Aufstieg durch die dauerhafte Attestierung eines voll ausgebildeten beruflichen Expertenwissens zu legitimieren. So wird beispielsweise in den beiden Kapiteln des Trattato della scultura, die von den mittelgroßen und großen Kolossen sowie vom Geheimnis ihrer Fertigung handeln, besonders auf technische Innovationen in der Materialbeherrschung und der Vergrößerung des Modells in monumentale Dimensionen hingewiesen.178 Uber den tatsächlichen künstlerischen Prozeß der Herstellung von Kolossalstatuen sind keine präzisen Aussagen zu machen, denn ihre Fertigung ist ein arcanum und wird zu einer Art von Geheimwissenschaft stilisiert, die nur das Künstlergenie beherrscht, das über diesen „Segreto per fare i gran colossi"179 eifersüchtig wachen muß. Im Prinzip folgt Cellinis Konstruktion seines Lebens dem Schema, das auch die meisten von Vasaris Künstlerviten prägt: Nach jahrelanger, mühsamer Lehrzeit werden erste Anzeichen des späteren Talents dadurch evident, daß der geniale Jungkünstler seinen Meister überbietet, worauf nach kurzer Zeit die völlige Emanzipation folgt. Cellini akzeptiert in seinem künstlerischen Aufstieg eigentlich überhaupt nur einen Lehrer und Kollegen als Vorbild, nämlich Michelangelo. Mit all seinen Dienstherren - seien es Päpste (Paul III.), Könige (Francois Ier) oder Herzöge (Cosimo I. de' Medici) - stellt er sich auf eine Stufe und vollzieht - wie Michelangelo selbst - ihnen gegenüber ständig ostentative Akte der Selbstbehauptung, die zumeist in Zerwürfnissen enden. Doch der Höhepunkt der Demonstration seiner künstlerischen Autonomie, zugleich der Höhepunkt seiner gesamten Autobiographie, findet sich im 6. Kapitel des 4. Buches, das dem dramatischen Bronzeguß seines Perseus gewidmet ist. Dieser Moment der Apotheose in der Selbststilisierung Cellinis ist zugleich der Augenblick der Peripetie: Nach diesem unüberbietbaren Geniestreich beginnt sein finanzieller und sozialer Abstieg, da er offensichtlich die Belastbarkeit seiner Umwelt in Sachen Transgression sozialer und künstlerischer Grenzen überschätzt hat. Stritt Cellini bislang mit Päpsten und Königen um Freibriefe, so geht es jetzt gegenüber dem betrügerischen Gauner Sbietta nur noch um Kleingeld. Cellini gewinnt zwar in der rückblickenden Stilisierung den letzten entscheidenden paragone und erreicht damit sein selbstgestecktes Lebensziel - nämlich sich zum autonomen Künstler auszubilden - , er setzt aber damit zugleich seine lebenspraktische Einbindung aufs Spiel. Dem 19. Jahrhundert kam diese Aufwertung der Autonomie des Künstlers im Sinne seines eigenen Kunstkonzepts gerade recht: Bereits in einem Text aus dem Vorfeld seiner Cellini-Oper, Le premier opera. Nouvelle du passe,18G thematisiert Hector Berlioz das pre-
178 Cellini, Trattati, pp. 8 3 5 - 8 4 6 . 179 Ibid., p. 838. 180 Berlioz, Les soirees de l'orchestre, pp. 27—47.
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5. „Rex artifex": Spezifika
der Kunstpatronage
unter Frangois Ier
käre Verhältnis Auftraggeber - Künstler in zugespitzt-ironisierender Weise: Der fiktive Florentiner Komponist Alfonso della Viola, der in Berlioz' Novelle im Briefwechsel mit Benvenuto Cellini steht, wird von seinem Mäzen Cosimo de' Medici in einer Herrscherlaune fallengelassen, kurz bevor seine erste Oper „Paolo e Francesca" - ein völlig innovatives Werk autonomer Instrumentalmusik der bis dahin unbekannten Gattung drame lyrique - zur Aufführung gelangt. Deila Violas Rache am Herzog ist perfide und genial zugleich: Nachdem er sich trotz dieser anfänglichen Zurücksetzung zum berühmtesten Komponisten seiner Zeit hochgearbeitet und sich damit Cellinis Vorwurf des Opportunismus eingehandelt hat, läßt er selbst eine Opern-Uraufführung platzen, die der Herzog mit größtem finanziellen und Prestigeaufwand für ihn ausrichten will. Der Künstler erzieht also den Auftraggeber, indem er ihm seine Produktion entzieht und sich die gleichen willkürlichen Entscheidungen vorbehält wie der Mäzen.181 Und auch der Höhepunkt in Berlioz' eigener Cellini-Oper, der Perseus-Guß, erfährt in der romantischen Rezeption eine Umakzentuierung: Während Cellini in seiner Selbstdarstellung dieses prometheischen Aktes nur materialpragmatisch Zinnteller geopfert hatte, um den Guß zu beschleunigen und die Gußmasse zu homogenisieren,182 läßt Berlioz ihn sämtliche seiner zuvor geschaffenen Kunstwerke ins Feuer werfen, um das absolute Meisterwerk hervorzubringen.183 5.2.2. Der König als Freund und Förderer der Künstler: Cellinis Arbeiten für Fran§ois I er Wie verträgt sich ein derart outriert-autonomer künstlerischer Selbstentwurf 184 mit mäzenatischen Strukturen? Auf den ersten Blick entspricht Cellinis selbstgefertigtes Künstlerleben in idealer Weise der Vorstellung von der dem „Geistesaristokratentum" in einer idealtypischen Patronagebeziehung zugestandenen Eigendynamik und Autonomie. 185 Dennoch scheint es Grenzen des konzedierten Entfaltungsspielraums gegeben zu haben. Wo diese verliefen, zeigen der Fall Cellini und die Konflikte zwischen Künstler und königlichem Auftraggeber in eklatanter Weise. Frangois I er war sich der Wechselseitigkeit der Abhängigkeitsverhältnisse zwischen herrschaftlichem Auftraggeber und geistesaristokratischem Künstler offensichtlich bewußt. Cellini hingegen überschätzt die ihm qua Genie zustehenden Freiheiten maßlos und zieht aus Gunstbeweisen des Königs, nach denen er zu seiner Selbstnobilitierung giert, falsche Konsequenzen für sein Verhalten in diesem labilen reziproken Verhältnis. Die Szene, in der Cellini dem König seinen Entwurf für einen Mars-Brunnen präsentiert, zeigt schlagend die Unfähigkeit des Künstlers, subtilere Hinweise des Königs auf nach wie vor bestehende 181 Ibid., pp. 45s.: „Un billet vient d'avertir le grand-due que mon ouvrage ne serait pas execute. Cela ne me convient plus, lui ai-je ecrit, en me servant de ses propres paroles, mot aussi, a mon tour, J'AI CHANGE D'LDEE."
182 183 184 185
Vita, p. 545. Hierzu Kohrs, Autobiographie als Kunstentwurf, passim. Hierzu Miething, Virtü als Fortuna, S. 85 f. Vgl. beispielsweise Vita, p. 451: „Questo si fu che, andando io a Fontana Belio a ragionare con il Re, che m'aveva iscritto una lettera, per la quale lui voleva che io facessi le stampe delle monete di tutto il suo regnio, e con essa lettera m'aveva mandato alcuni disegnietti per mostrarmi parte della voglia sua; ma ben mi dava licenzia che io facessi tutto quel che a me piaceva: io avevo fatto nuovi disegni, sicondo il mio parere e sicondo la bellezza de Parte."
5.2. Der autonome Outlaw am französischen Hof: Benvenuto
Cellini
169
soziale Distinktionen richtig einzuordnen. In Cellinis Selbstdarstellung erkennt der Auftraggeber, kaum hat er das Projekt gesehen, sofort den Künstler nach seinem Herzen und sagt: „Mon ami (che vuol dire ,amico mio'), io non so qual s'e maggior piacere, ο quello d'un principe l'aver trovato un uomo sicondo il suo cuore, ο quello di quel virtuoso l'aver trovato un principe che gli dia tanta comoditä, che lui possa esprimere i sua gran virtuosi concetti." Io risposi che se io ero quello che diceva sua Maestä, gli era stato molto maggior Ventura la mia. Rispose ridendo: „Diciamo che la sia eguale". 186
Die von Cellini hier und an verschiedenen anderen Stellen seiner Vita so stolz kolportierte Anrede „mon ami" 1 8 7 verweist nicht etwa auf das kameradschaftliche Uberspringen sozialer Hierarchien, wie Cellini seine Leser glauben machen will, sondern betont im Sinne des hier zugrunde gelegten Strukturmodells von Kunstpatronage einzig die Anerkennung der Gleichwertigkeit der Bedürfnisse beider Beteiligten. Der autonome Künstler kann nur im autonomen Souverän einen gleichwertigen Partner sehen, mit dem es sich lohnt, eine exklusive Zweierbeziehung einzugehen. 188 Und zumindest anfangs scheint das Gleichgewicht zwischen der königlichen und der künstlerischen Interessen- und Bedürfnislage bestanden zu haben: Nicht von ungefähr betont Cellini in seiner Vita stets die große „liberalitä", die ihm nach schlechten italienischen Erfahrungen erst am französischen Königshof wahrhaft zuteil wurde und die er mit „libertä" gleichsetzt. 189 In mehreren Entwürfen, die Cellini dem König vorlegt, zeigt sich eine intuitive Kongruenz ihrer beider Vorstellungen, was sich in der von Cellini überlieferten Reaktion des Königs ausdrückt: „tutto quello che io avevo fatto alia porta, sanza dimandarmi di nulla lui l'aveva inteso." 1 9 0 Daß Cellini als Self-made-man191 über das notwendige Durchhaltevermögen gepaart mit Wagemut verfügte, 192 wird dem französischen König bereits beim ersten Kontakt aufgefal-
186 Vita, p. 434. 187 Vgl. z.B. Vita, p. 482: „Da poi si parti, e mi disse: ,Addio, mon ami'·, qual gran parola a un re non si usa." 188 Bredekamp, Cellinis Kunst des perfekten Verbrechens, S. 341 betont zu Recht, daß Cellini eines „Einzelherrschers" als seines Konterparts bedurfte. 189 Vgl. Trattato della scultura, p. 838: „quel liberalissimo re Francesco". Nach Cellinis Rückkehr nach Florenz ist die Zeit königlicher largesse und Stipendiierung vorbei, dort herrschen die materiell-kapitalistischen Gesetze der Medici; vgl. hierzu Weiand, „Libri di famiglia" und Autobiographie, S. 224; Davico Bonino, Narcisismo e alienazione nella „Vita" del Cellini, pp. 46s.; FontesBaretto, La grande illusion, p. 233. 190 Vita, p. 433. 191 So auch Weiand, „Libri di famiglia" und Autobiographie, S. 213. 192 Vgl. hierzu Oevermann, Für ein neues Modell von Kunst- und Kulturpatronage, S. 19: „Denn es müssen sich der Kulturförderer im Besitze der weltlichen Macht auf der einen Seite und der kulturell Schaffende in seiner Schutzlosigkeit und beständig der Möglichkeit des Scheiterns ausgesetzten Praxis der für sie konstitutiven Krisenbewältigung im Forschen und Gestalten auf der anderen Seite bei aller wechselseitigen Fremdheit und Verschiedenheit ihrer Tätigkeitssphären darin wechselseitig erkennen und anziehen, daß ihnen ein Habitus der kühnen bis hin zur verwegenen, unerschrockenen Krisendiagnose und Risikobereitschaft gemeinsam ist. Der Agent der weltlichen Macht, der diesen Habitus in der Logik der personalen und amtsmäßigen Charismatisierung eher öffentlich zur Schau trägt und entsprechend gewohnheitsmäßig inszeniert, muß in
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J. „ Rex artifex ": Spezifika der Kunstpatronage unter Frangois Ier
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Benvenuto Cellini, Avers der Medaille mit dem Porträt von Francois I e r , 1537/38, Museo Nazionale del Bargello, Florenz
l e n s e i n . 1 9 3 A u c h in d e r Vita
l ä ß t d e r F l o r e n t i n e r j a k e i n e G e l e g e n h e i t a u s , s i c h als A u f s t e i g e r
mit typisch parvenuhaften C h a r a k t e r e i g e n s c h a f t e n zu präsentieren. E i n Künstler, der die Uberbietung gleichermaßen zu seinem Lebens- wie zu seinem K u n s t p r o g r a m m
gemacht
h a t t e , m u ß t e g a n z n a c h d e m G e s c h m a c k des K ö n i g s s e i n . D i e K e h r s e i t e n v o n C e l l i n i s v e r w e g e n e m V o r w ä r t s s c h r e i t e n a b e r s i n d S e l b s t ü b e r s c h ä t z u n g u n d das A b s c h i e b e n v o n V e r a n t w o r t u n g an h ö h e r e M ä c h t e i m F a l l e v o n K r i s e n - e r v e r w e i g e r t d a m i t d e n n o t w e n d i g e n Schritt hin z u r Rationalität. W a n n i m m e r etwas im L e b e n des G o l d s c h m i e d s nicht den e r w ü n s c h t e n G a n g n i m m t , w e r d e n entweder die ungünstige Sternenkonstellation bei seiner G e b u r t o d e r - m i t b e s o n d e r e r V o r l i e b e - die f e i n d l i c h e fortuna
verantwortlich gemacht.194
dieser Reziprozität der Haltung der Kühnheit und der Kaltblütigkeit und Geistesgegenwärtigkeit das ohne materielle Macht- und Einflußmittel dastehende Geistesaristokratentum der kulturell Schaffenden grundsätzlich anerkennen." 193 Angeblich nahm er sich immerhin eine ganze Stunde Zeit, um mit Cellini „auf die leutseligste A r t " zu plaudern (Vita [Conrad], S. 304). Darin erschöpft sich allerdings bereits das erste Zusammentreffen, denn Frangois reist nach Lyon, ermuntert Cellini, ihn zu begleiten: „unterwegs k ö n n ten wir über einige schöne Werke sprechen, die Seine Majestät machen zu lassen gedächte" (ibid., S. 305) - dieses Gespräch scheint jedoch nie stattgefunden zu haben. 194 So zum Beispiel in Cellinis berühmter Selbstverteidigungsrede vor dem König, Vita, p. 479: „tutto quello che a vostra Maestä paressi che fussi in contrario da quel che io dico, sappi vostra Maestä che quello non e stato Benvenuto, ma puo essere stato un mio cattivo fato ο ria fortuna, la quale m'ha voluto fare indignio di servire il piü maraviglioso principe che avessi mai la terra." Vgl. hierzu v.a. Miething, Virtü als Fortuna.
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Outlaw am französischen
Hof: Benvenuto
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Es ist bemerkenswert, daß Cellinis erfolgreiche Einführung beim französischen König durch ein künstlerisches Medium erfolgte, das als Mittel der Selbstpräsentation in Frankreich weniger geläufig war und somit als besonders innovativ empfunden worden sein muß: In den Jahren 1537/38 fertigte Cellini eine Medaille mit dem Porträt des französischen Königs als eines antiken Imperators an (Abb. 25), deren Revers den künftigen Mäzen hoffen lassen konnte, daß der Florentiner hinlänglich kühn und verwegen sein würde, um autonome und zukunftsoffene Kunst hervorzubringen. Es zeigt nämlich einen Reiter, der wenig höfisch-höflich - eine Frau brutal niederschlägt. Eine Inschrift legitimiert diese Gewalttat, denn sie besagt, daß es sich hierbei um den französischen König handele, der durch seine Tugend (virtü) das tückische Schicksal (fortuna) niederstrecke.195 Cellini schließt sich mit seiner säkularisierten Fortuna-Konzeption dem modernen und pragmatisch Chancen abwägenden Konzept Machiavellis im Principe an, der Fortuna ebenfalls als Weib definiert hatte, das sich eher dem Wagemutigen unterwerfe als dem Zauderer.196 Vasari hob unter den Charaktereigenschaften des von ihm wenig geschätzten Cellini vor allem dessen terribilitä hervor, eine moralische und ästhetische Eigenschaft, die bekanntlich gemeinhin den Werken Michelangelos zugesprochen wurde. „Animoso, fiero, vivace, prontissimo e terribilissimo" sei Benvenuto gewesen, ein Mann, der es wie kein anderer verstanden habe „pur troppo dire il fatto suo con i principi, non meno che le mani e l'ingegno adoperare nelle cose dell' arti".197 5.2.2.1. Die Saliera als
Präsentationsstück
Ausschlaggebend für die tatsächliche Anbahnung der Patronagebeziehung war höchstwahrscheinlich neben dieser Schaumünze die Erzählung des auch zeitweilig in Fontainebleau ansässigen Ippolito d'Este über den virtuosen Entwurf Cellinis für ein Salzfaß (Tafel 21). Die Entwurfsszene wird in der Vita zum Prüfstein autonomer künstlerischer invenzione ohne inhaltliche Vorgaben literarisch bewanderter Berater des Auftraggebers: Als ihm zwei humanistische Gelehrte mit eigenen Vorstellungen in seinen Entwurf hineinreden möchten, verweist Cellini ihre Kreativität in den Bereich der Worte (des „dire"), während er allein als Macher für die Taten (das „fare"), also den genuin künstlerischen kreativen Akt (einschließlich invenzione und concetto) verantwortlich sei, der von Grund auf originell sei:198
195 „FORTVNAM.VIRTVTE.DEVICIT"; vgl. hierzu Pope-Hennessy, Cellini, pp. 80f. A t t w o o d , Cellini's Coins and Medals, pp. 1 0 7 - 1 0 9 verweist auf kaiserzeitliche römische Münzen, die zum Teil die Inschrift „VIRTVS A U G " tragen. Weiterhin sieht er Michelangelos „Notte" in der Neuen Sakristei als formprägend f ü r die Fortuna-Figur an. 196 Machiavelli, Der Fürst, S. 120: „Schließlich, glaube ich, ist es besser, ungestüm als vorsichtig zu sein, weil das Glück ein Weib ist, mit dem man nicht auskommen kann, wenn man es nicht prügelt und stößt. W i r sehen ja aus der Erfahrung, daß es sich eher von hitzigen als phlegmatischen Menschen zwingen läßt und aus diesem Grunde eine Freundin junger Leute ist, weil diese weniger vorsichtig, aber desto kühner und feuriger sind"; vgl. Trottein, Battling Fortune in SixteenthCentury Italy. 1 9 7 Vasari (Barocchi), vol. 6, p. 246. 198 Vgl. Tylus, Cellini, Michelangelo, and the M y t h of Inimitability, p. 15: „Yet it is fare rather than contrafare that Cellini would defend throughout his writings, a fare rooted in fatiche [...]."
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unter Frangois
Ier
Allora io dissi: „Vedete, Signiori, di quanta inportanza sono i figliuoli de' re e degli inperatori, e quel maraviglioso splendore e divinitä che in loro apparisce. [...] Pero ancora io ho grande amore ai miei figliuoli, che di questa mia professione partorisco: si che 'lprimo che io vi mostrerro, Monsignior reverendissimo mio patrone, sarä mia opera e mia invenzione: perche molte cose son belle da dire, che faccendole poi non s'accompagniano bene in opera." Ε voltomi a que' dua gran virtuosi, dissi: „Voi avete detto e io faro". 199 D e r a u t o n o m e K ü n s t l e r - so die s e l b s t b e w u ß t v o r g e t r a g e n e B o t s c h a f t - w a r t e t n i c h t auf d e n A u f t r a g g e b e r o d e r d e n T r a k t a t s c h r e i b e r , die i h m ein z u illustrierendes P r o g r a m m v o r legen; er ist aus eigenen K r ä f t e n tätig u n d b r i n g t eine F o r m - u n d B e d e u t u n g s k o m p l e x i t ä t i m K u n s t w e r k hervor, d i e d i e p o s i t i v e s p r a c h l i c h e V o r g a b e n o c h so g e b i l d e t e r B e r a t e r w e i t übersteigt. D i e Saliera w a r ein v i r t u o s e s P r ä s e n t a t i o n s s t ü c k , m i t d e m Cellini n i c h t n u r seine t e c h n i s c h e n F ä h i g k e i t e n u n d seine B e h e r r s c h u n g g r ö ß t m ö g l i c h e r Materialvielfalt u n t e r Beweis stellte. 2 0 0 Sie w a r zugleich ein K o m p e n d i u m stilistischer Zitate, die i m Sinne des z u k ü n f t i gen f r a n z ö s i s c h e n Besitzers subtiler u n d graziler gestaltet w o r d e n w a r e n . 2 0 1 D i e Idee, die b e i d e n G e w ü r z e Salz u n d P f e f f e r in e i n e m G e r ä t z u v e r e i n i g e n u n d aus i h r e n u n t e r s c h i e d lichen E n t s t e h u n g s - (respektive A n b a u ) b e d i n g u n g e n d e n concetto f ü r das W e r k z u g e w i n n e n , w a r a b s o l u t originell. U m s o e r s t a u n l i c h e r ist es, d a ß das, w a s Cellini in seiner eigenen B e s c h r e i b u n g als p o e t i s c h e I d e e seines K u n s t w e r k s a u s g i b t (die v e r s c h r ä n k t e n Beine als A l l e g o r i e des M e e r e s , das in B u c h t e n ins L a n d h i n e i n r e i c h t ) , w e i t h i n t e r d e n s u b t i l e n u n d vielfältigen B e d e u t u n g s k o n n o t a t i o n e n d e r Saliera z u r ü c k b l e i b t 2 0 2 - vielleicht aus d e r E i n sicht h e r a u s , d a ß d e r K ü n s t l e r selten ein a n g e m e s s e n e r E x e g e t seiner W e r k e ist. 2 0 3
199 Vita, p. 384. Zur Dichotomie von „dire" und „fare" in Cellinis Vita vgl. Link-Heer, „Fare" und „dire" in der „Vita" Cellinis; Melier, Geroglifi e ornamenti „parlanti", p. 14 und vor allem den Aufsatz von Lucas, L'artiste et Pecriture. Diese Interpretationen gehen allerdings davon aus, daß Cellini dem höfischen Ideal des gewandt parlierenden Höflings ein Ideal des Künstlers als eines „Machers" entgegensetze. Dies ist eine verengende Sichtweise, wie ja allein die mit großem Aufwand ziselierten literarischen Stilisierungen der Vita schlagend beweisen; vgl. auch Gardner Coates, Cellini's Bust of Cosimo I and Vita, p. 158: „he was a man of action and of words". 200 Der von Belozerkaya in ihrem Aufsatz „Cellini's Saliera" unternommene Versuch, das Salzfaß als Präsentation französischer Ubersee- und außereuropäischer Expansionsansprüche zu interpretieren, überzeugt nicht. 201 Vgl. hierzu Occhipinti, II „camerino" e la „galleria" nella Villa d'Este a Fontainebleau, p. 614. 202 Dies konstatierte bereits Schlosser, Das Salzfaß des Benvenuto Cellini, S. 355. 203 Vita, p. 385: „Aveva messer Luigi con le parole disegniato che io facessi una Venere con un Cupido, insieme con molte galanterie, tutte a proposito; messer Gabriello aveva disegniato che io facessi una Amfitrite moglie di Nettunno, insieme con di quei Tritoni di Nettunno e molte altre cose assai belle da dire, ma non da fare. Io feci una forma ovata di grandezza di piü d'un mezzo braccio assai bene, quasi dua terzi, e sopra detta forma, sicondo che mostra il Mare abbracciarsi con la Terra, feci dua figure grande piü d'un palmo assai bene, le quale stavano a sedere entrando colle gambe l'una nell'altro, si come si vede certi rami di mare lunghi che entran nella terra; e in mano al mas[ch]io Mare messi una nave ricchissimamente lavorata: in essa nave accomodatamente e bene stava di molto sale; sotto al detto avevo accomodato quei quattro cavalli marittimi; in nella destra del ditto Mare avevo messo il suo tridente. La Terra avevo fatta una femmina tanto di bella forma quanto io avevo potuto e saputo, bella e graziata; e in mano alla ditta avevo posto un tempio ricco e adorno, posato in terra; e lei in sun esso s'appoggiava con la ditta mano: questo avevo fatto per tenere il pepe."
5.2. Der autonome Outlaw am französischen Hof: Benvenuto
Cum jträälegiü
Abb. 26
Cellini
173
Rt^if
Rene Boyvin (nach Leonard Thiry), Zwei Salzfässer mit Kybele und Neptun, 1550er Jahre(?)
Andreas Prater hat eine fulminante Analyse dieses Prunkstücks vorgelegt, die CarstenPeter Warncke durch weitere wichtige Überlegungen ergänzt hat; dies entbindet mich an dieser Stelle von einer detaillierten Untersuchung. 204 Einige wenige akzentuierende Bemerkungen mögen genügen. Vielfältige, sich kreuzende und überschneidende Dichotomien bestimmen die Struktur der Saliera: Land und Wasser, Männliches und Weibliches, SchwarzGepfeffertes und Weiß-Salziges, Natur und Kunst, Kleines und Großes, Rundes und Eckiges, Weiches und Spitzes verschränken sich in einer Vielzahl möglicher Bedeutungskonnotationen so wie die Beine der beiden Protagonisten. 205 Zugleich aber sind die Beine der Terra in einer zwischen erotischer Einladung und Abwehr changierenden Haltung übereinandergeschlagen und thematisieren damit die Ambivalenz von Zugriff und Verweigerung, von Offnen und Schließen. Ein späterer Entwurf von Boyvin (nach Thiry) für zwei Salzfässer, der eindeutig auf Cellinis Saliera basiert, verstärkt übrigens diese sexuellen Konnotationen noch. Der männliche Part (Neptun) und der weibliche (Kybele) werden hier wieder aus Cellinis origineller Verbindung isoliert und der Künstler setzt der „Terra", die hier als vielbrüstige Fruchtbarkeitsgöttin dargestellt ist, das Salzgefäß zwischen die weitgeöffneten Schenkel und schmückt den sie tragenden Stiel mit einer Kopulationsszene (Abb. 26).206 204 Vgl. weiterhin zur Deutung der Saliera: Schlosser, Das Salzfaß des Benvenuto Cellini; PopeHennessy, Cellini, pp. 100-131; Jestaz, Benvenuto Cellini et la cour de France, pp. 94-99. 205 Warncke, Cellinis „Saliera", S. 41-43 hat auf diese Struktur der Doppelsinnig- bzw. -deutigkeiten hingewiesen. 206 Vgl. Wilson-Chevalier, Fontainebleau et l'estampe en France, p. 131; Prater, Cellinis Salzfaß, S. 93; Zorach, Blood, Milk, Ink, Gold, pp. 96 f.
174
5. „ Rex artifex ": Spezifika der Kunstpatronage unter Frangois Ier
In der androgynen Figur, die auf Cellinis Miniaturtriumphbogen mit seinen beiden Abundantia- und Herkulesfiguren in den Nischen aufruht, verschmelzen das männliche und das weibliche Prinzip zu einem kapriziösen Zwitterwesen.207 Als (aufklappbare) Handhabe für den Benutzer des Pfefferbogens208 wird sie zugleich zu einer begreifbaren Skulptur, die sich durch höchste Artifizialität und Unnatürlichkeit auszeichnet, damit die exquisiten Qualitäten des Gewürzes Pfeffer unterstreichend. Das Salzfaß selbst ist ein ganzes Skulpturenmuseum en miniature, das der Auftraggeber und Sammler kennerschaftlich hin- und herwenden und in allen Ansichten genießen konnte. Der Hermaphrodit als Chiffre von Künstlichkeit verleiht zugleich dem Recht des Künstlers Ausdruck, die Materie seinem uneingeschränkten Formwillen zu unterwerfen.209 Der androgyne Zwitter verdoppelt durch seine Haltung zugleich die Figur der Erde und stellt damit ein Beispiel für das virtuose Spiel mit Größenverhältnissen dar, das Cellini auf der Saliera entfaltet - ein arbiträrer Dimensionswechsel zwischen Mikro- und Makrokosmos.210 Zeichen- und denkmalhaft wirken die einzelnen Elemente der Saliera vor allem dadurch, daß sie nicht skulptural dem Sockel zu entsteigen scheinen, sondern - wie in Goldschmiedearbeiten zumeist - als Einzelkomponenten auf dieser Unterlage appliziert sind.211 Cellini hat, nachdem der „königliche" Entwurf dann tatsächlich für den König - und nicht, wie ursprünglich vorgesehen, für Ippolito d'Este - ausgeführt wurde, eine ganze Reihe von Herrschaftszeichen darauf angebracht, die auf die Person Frangois' I er zugeschnitten waren. Löwe und Elefant sind königliche Symbole, der Hund gehört dem Kontext Fontainebleau an und der Salamander schließlich ist das königliche Emblem. Der ursprünglich geplante Tempel wird in einen Triumphbogen verwandelt, der einerseits eine miniaturisierte Reminiszenz an die Porte doree in Fontainebleau mit ihrem Triumphbogenmotiv darstellt, andererseits auf imperiale Ansprüche des Besitzers dieses Salzfasses verweist. Im raffinierten Spiel mit Größenordnungen demonstriert Cellini hier einmal mehr seine (vermeintliche) Überlegenheit gegenüber Michelangelo:212 Nicht nur die Tageszeitendarstellungen im Sockelrand beziehen sich zweifellos auf Michelangelos Skulpturen in der
207 Jestaz, Benvenuto Cellini et la cour de France, p. 99 sieht in den seiner Ansicht nach wenig gelungenen Figurenbildungen der Saliera ein Dokument für Cellinis noch nicht ausgeprägte Fähigkeiten in der Bildhauerei. 208 Hierzu Prater, Cellinis Salzfaß, p. 76. 209 Vgl. hierzu Schlosser, Das Salzfaß des Benvenuto Cellini, S. 351; 356. 2 1 0 Vgl. Cole, Cellini and the Principles of Sculpture, pp. 4; 22, der in der Saliera den Akt der Salzgewinnung künstlerisch symbolisiert sieht. Das Salzfaß wird so zu einer Art Gottesbeweis, indem es eine schön geordnete Natur darstellt; vgl. ibid., pp. 32; 37: „the modern artificer's fashioning of the world" wird zum gottgleichen Schöpfungsakt. Z u m kosmologischen Programm: Warncke, Cellinis „Saliera", S. 44 f.; 47. 211
Vgl. Wandschneider, Benvenuto Cellini: die künstlerische Struktur seiner Werke, S. 5.
212 Mirollo, Mannerism and Renaissance Poetry, p. 82 wirft Cellini eine zu starke Ausrichtung am übermächtigen Vorbild Michelangelo vor und charakterisiert ihn als „obsessed with the typical mannerist dilemma of validating his talent with reference to an acknowledged master." E r disqualifiziert die Michelangelo-Zitate an der Saliera als „manierato" (ibid., p. 88). Warncke, Cellinis „Saliera", S. 43 spricht von Cellinis „inversive[r] Gestaltungstechnik", die „Großes klein und Kleines groß, Bedeutendes scheinbar unbedeutend und umgekehrt" macht; diese Strategien der Relevanzinversion sind generell typisch für den Manierismus.
5.2. Der autonome Outlaw am französischen Hof: Benvenuto Cellini
Abb. 27
175
Vergleich zwischen der Sockelfigur auf Cellinis Saliera und Michelangelos Giorno, 1521-34, Neue Sakristei, S. Lorenzo, Florenz
Medicikapelle (Abb. 27), auch die beiden Hauptfiguren sind von diesen beeinflußt. 213 Für Cellinis Rezeption von Michelangelos maskulin gestalteten Frauengestalten ist ihre damalige Aufstellung von Bedeutung: Seit Michelangelos Abreise 1534 aus Florenz standen die „Tageszeiten" der Neuen Sakristei wahrscheinlich auf dem Boden und waren noch nicht in ihrer heutigen erhobenen Position angebracht. Dies geschah erst 1546 durch Tribolo, so daß Cellini eine Aufsichtsperspektive auf die Skulpturen haben konnte. 214 Seine beiden
213 In dem grotesken Gesicht auf der „nef" der Saliera ein Porträt Michelangelos erkennen zu wollen, wie Meiler vorschlägt (Geroglifici e ornamenti „parlanti", p. 15), geht zu weit - zumal die Qualität der Vergleichsabbildungen derartig gewagte Schlüsse ohnehin nicht zuläßt. 214 Vgl. Pope-Hennessy, Cellini, 109; Rosenberg, Le vedute delta statua, S. 224.
176
5. „ Rex artifex ": Spezifika der Kunstpatronage unter Frangois Ier
Liegefiguren auf der Saliera wären somit zwei lasziv ineinander verschränkte „Tageszeiten" Michelangelos, deren stufenlose Wahrnehmbarkeit aus allen erdenklichen Ansichten durch die Rollbarkeit des Salzfasses garantiert war. Cellini hätte damit sein R ä s o n n e m e n t über acht Hauptansichten einer S k u l p t u r 2 1 5 (die dann später in „cento vedute ο p i ü " 2 1 6 zu einer möglichst lückenlosen Sequenz von Einzelansichten beim U m s c h r e i t e n einer Skulptur ausgeweitet werden) in Szene gesetzt. D u r c h die Miniaturisierung der Tageszeitendarstellungen im Sockel aber werden Michelangelos Monumentalskulpturen in ihrem A n s p r u c h herabgestuft, da sie durch Cellinis ironisches Zitat zu b l o ß e n O r n a m e n t e n werden, 2 1 7 deren u n b e q u e m e Haltungen allein durch den beengten Platz auf dem Saliera-Sockel motiviert sind und nicht mehr als besondere künstlerische Anstrengung gewürdigt werden können. Cellini schuf mit seinem originellen Salzfaß und dessen „narrativer M e h r a n s i c h t i g k e i t " 2 1 8 den Ausgangspunkt für einen vielschichtigen, eigentlich unabschließbaren gemeinsamen D i s k u r s über müßige, interessante Fragen im inneren Kreis der speisenden Hofgesellschaft und bediente damit höfische Bedürfnisse in idealer Weise. D i e vielfältigen Bedeutungen des Stückes enthüllen sich erst sukzessive im U b e r - d e n - T i s c h - G e s c h o b e n w e r d e n , in seiner lückenlosen A b f o l g e vielfältiger Ansichten, in einem Gespräch, das durch immer wieder neue Blicke auf das K u n s t w e r k neue und unerwartete Wendungen nimmt und manches Geheimnis erst lüftet, wenn ein D e c k e l gehoben oder eine Betrachterperspektive eingenommen wird, die sich entfernt und annähert, die sich zur Tischplatte beugt, u m die Details des Sockels zu goutieren oder die den Betrachter zwingt, sich von seinem Platz zu erheben, u m diesen K o s m o s im königlich-gottgleichen B l i c k v o n o b e n in Augenschein zu nehmen. A n diesem Virtuosenstück k o n n t e sich also einerseits ein geistreiches Gespräch über ästhetische und kunsttheoretische Fragen entzünden. Andererseits blieb die „ H a n d h a b b a r k e i t " des Geräts durch den K ö n i g zu jedem M o m e n t dieses Deutungsspiels gewährleistet: E r k o n n t e in imperialer Geste diesen M i n i a t u r k o s m o s mit dem Triumphbogenzitat über den Tisch rollen und damit das Gespräch über sein „conversation p i e c e " 2 1 9 handgreiflich beherrschen, 2 2 0 215 Diese acht Ansichten, die die Basis des Perseus dem Betrachter geradezu schulmäßig vor Augen führt, ruft Cellini in seiner Antwort auf Varchis paragone-Umfrage auf, um die Überlegenheit der Skulptur über die nur ein-ansichtige Malerei zu untermauern: „Dico che l'arte della scultura infra tutte l'arte che s'interviene disegno e maggiore sette volte, perche una statua di scultura de' avere otto vedute, e conviene che le sieno tutte di egual bontä [...]"; Scritti d'arte del Cinquecento, vol. 1, pp. 519s.; vgl. hierzu Moret, Der paragone im Spiegel der Skulptur, S. 204. 216 Cellini, Discorso sopra la differenza nata tra gli scultori e pittori, p. 866. In seinem Discorso sopra l'arte del disegno von 1568, p. 851 reduziert Cellini die Zahl der Ansichten dann wieder auf 40: „Le quali non tanto otto vedute, le sono piü di quaranta, perche un dito solo che un volge la sua figura, un muscolo si mostra troppo ο poco, tal che si vede le maggior varietä che inmaginar si possa al mondo [...]." Vgl. Moret, Der paragone im Spiegel der Skulptur, S. 208f. 217 Andrea Wandschneider, Benvenuto Cellini: die künstlerische Struktur seiner Werke, S. 20 deutet diese unfreie, eingeklemmte Haltung der Sockelfiguren als Verbildlichung ihrer „prinzipiellen Gebundenheit an den ewigen Zeitkreislauf", der wiederum durch die ovale Form und stufenlose Beweglichkeit der Saliera symbolisiert sei. Vgl. auch Schlosser, Das Salzfaß des Benvenuto Cellini, S. 354. 218 Vgl. Rosenberg, Le vedute della statua, S. 233. 219 Cole, Cellini and the Principles of Sculpture, p. 42. Laut Cole steht die Saliera pars pro toto für das französische Königreich. 220 Vgl. Prater, Cellinis Salzfaß, S. 91: „Auf der Tafel hält sich die Saliera nicht nur dem Zugriff auf die Inhalte ihrer Gewürzbehälter offen, auch die allegorischen Inhalte [...] stellt sie in den Dienst
5.2. Der autonome
Outlaw am französischen
Hof: Benvenuto
Cellini
177
da er derjenige war, der sich der Etikette (und dem königlichen Salzmonopol) 221 entsprechend zuerst daraus bedienen durfte. Prater hat zu Recht darauf hingewiesen, daß erst die Anwesenheit des Königs, der die Saliera benutzt, deren Bedeutung komplettiert und daß dieser damit Deutungsmacht ausübt. Neptun als alter ego des Königs muß diesem bei der Aufstellung des Salzfasses mit dem Rücken zugewandt gewesen sein, da nur der König sich selbst berühren durfte. In dieser „Ruheposition" der Saleria präsentiert er den umsitzenden Betrachtern seinen Dreizack wie einen Kommandostab. Dennoch handelt es sich um einen sehr subtil vorgetragenen und durch die Miniaturisierung des beherrschten Kosmos zugleich ironisch gebrochenen Machtanspruch, der strukturell dem politisch-diplomatischen Einsatz der Kunst in der Galerie von Fontainebleau vergleichbar ist. Hier wie dort ist der König derjenige, der Bedeutung in geistreich-witziger Weise hervorbringen läßt und zugleich Herr des Deutungsaktes bleibt. 222 Cellinis Selbstdarstellung reflektiert diesen Moment der Verfügungsgewalt, indem er die Einweihung des Stückes im Sinne eines Autorenrechts selbst beansprucht. Er und seine Künstlerfreunde seien die ersten gewesen, die sich aus der königlichen Saliera bedient hätten, berichtet er in der Vita: „mettendo la saliera in mezzo alia tavola; e fummo i primi a 'doperarla". 223 5.2.2.2. Die olympischen
Götterkandelaber
und die
Jupiter-Statue
In einem Gedicht von 1556 verherrlicht Cellini den französischen König rückblickend als Wegbereiter seiner künstlerischen Autonomisierung: „Di forze ancor non son giä privo e casso, / vorrei passare innanzi, almeno eguale / a' maggior farmi, anch'io parte immortale, / da poi che Ί franco Re mi mostro Ί passo." 224 Denn Cellinis Aufstieg vom Goldschmied zum Bildhauer vollzieht sich schrittweise, und er vollzieht sich in Frankreich. 225 Nach der Porträtmedaille und der Saliera nimmt in dieser Entwicklung der erste große Auftrag, den er direkt vom französischen König erhält, die wichtigste Rolle ein. 226 Erneut handelt es sich des Königs. D e r Gebrauchsgegenstand transportiert den kosmologischen Sinn seiner Bildelemente in der Verfügbarkeit des Herrschers und bezieht aus dieser Bestimmung gleichnishafte B e deutung." Vgl. hierzu auch Warnckes Beobachtung der merkwürdigen Dialektik dieses Objekts, das dazu reizt, es anzufassen, um es näher zu ergründen, zugleich durch seine spezifische Faktur (Empfindlichkeit der Oberflächen und Kleinteiligkeit der Dekorationen) den Betrachter vom Berühren abzuhalten scheint. Höchstens die beiden großen Figuren konnte man gefahrlos als Handhabe benutzen, ansonsten wurde der Spielraum zur „haptischen Besichtigung" durch die Faktur des Werkes beschränkt und kontrolliert; vgl. Warncke, Cellinis „Saliera", S. 49. 221
Hierzu Beloszerskaya, Cellini's Saliera, pp. 8 1 - 8 5 ; Warncke, Cellinis „Saliera", S. 43.
222
Hierzu ausführlicher Kapitel 6 dieser Arbeit; vgl. auch Prater, Cellinis Salzfaß, S. 8 7 - 9 0 ; Warncke, Cellinis „Saliera", S. 48.
223 Vita, p. 462. Jestaz, Benvenuto Cellini et la cour de France, p. 95 sieht als einzige Erklärungsmöglichkeit für diese (sicherlich fiktive) Geschichte, daß die Saliera bei der Erstpräsentation noch nicht vollendet gewesen sei. 224
Rime, in: Opere, p. 898.
225 Grote, Cellini in gara, p. 93 hat zu Recht darauf hingewiesen, daß Cellini selbst diesen Professionalisierungsprozeß nach seiner Rückkehr nach Florenz offensichtlich als abgeschlossen betrachtete, da er nach dem Perseus-Guß die Berufsbezeichnung „orefice" rigoros ablehnt. 2 2 6 N a c h Jestaz, Benvenuto Cellini et la cour de France, pp. 76s. entstand die Idee zu diesem Auftrag bereits Anfang 1539.
178
5. „Rex artifex": Spezifika
Abb. 28
der Kunstpatronage
unter Fratifois
Ier
Leon Davent, Jupiter, um 1546
um einen Auftrag zur Ausgestaltung festlicher Bankette, denn Cellini hatte sich mit seiner Saliera in diesem Kontext virtuos bewährt: „Di poi l'altro giorno io andai a ringraziare il Re, il quale m'inpose che io gli facessi i modelli di dodici statue d'argento, le quali voleva che servissino per dodici candelieri intorno alia sua tavola; e voleva che fussi figurato sei iddei e sei iddee, della grandezza appunto di sua Maestä, quale era poco cosa manco di quattro braccia alto" - was etwa 2 Metern entsprach.227 In Anbetracht der Größe und Kostspieligkeit des Auftrags gesteht der König dem Künstler, nachdem er die vier Wachsmodelle von Jupiter, Juno, Apoll und Vulkan gesehen und gebilligt hat, vorerst nur die lebensgroße Ausführung einer einzigen Statue - des Jupiters - zu, der damit zum Probestück für die Tragfähigkeit der Patronagebeziehung wird.228 Die olympischen Götterkandelaber von wahrhaft königlichen Ausmaßen stellen das eigentliche Ubergangswerk im CEuvre Cellinis dar: Ihre Funktion als Kerzenständer für das königliche Speisezimmer sowie das Material Silber belassen sie im Bereich des Kunsthandwerks, während ihre freie Aufstellung im Raum und vor allem ihre Lebensgröße sie bereits als autonome Skulpturen charakterisieren. Cellini selbst betrachtete die Kandelaber ganz offensichtlich als autonome bildhauerische Arbeiten, wie sich an der berühmten Präsentation der Jupiter-Statue und den damit verbundenen paragone-Ansprüchen zeigen läßt. Gerade weil die restlichen elf Kandelaber der Serie nie ausgeführt wurden, erhielt der „Jupi-
227 Vita, p. 410. 228 Vita, p. 411; vgl. auch Dimier, Benvenuto Cellini ä la cour de France, p. 266.
5.2. Der autonome Outlaw am französischen Hof: Benvenuto
Cellini
179
ter" (wenn auch ungewollt) den Rang eines autonomen Einzelstücks. Die Skulptur trug in einer Hand das kanonische Blitzebündel, in der anderen den orbis terrarum („il M o n d o " 2 2 9 ) und verstärkte damit die imperiale Symbolik. Gleichzeitig nahm dieses Motiv, indem es den Kontext berücksichtigte, in raffinierter Weise Rossos Porträt des Königs mit dem Granatapfel in der Hand im Fresko „L'Unite de l'Etat" der Grande Galerie auf. Die Vorzeichnung (Tafel 22) und das Bronzemodell für die nicht ausgeführte J u n o sind erhalten, während sich über das vermutliche Aussehen der verschollenen Jupiter-Skulptur anhand von Cellinis „Jupiter" in der Perseus-Basis nur spekulieren läßt. Es ist auch denkbar, daß Leon Davents Stich einer Jupiter-Figur Cellinis Skulptur abbildet, wie Bertrand Jestaz vorgeschlagen hat (Abb. 28). 2 3 0 D a ß ausgerechnet der „Jupiter" als einzige der Skulpturen tatsächlich ausgeführt wurde, dürfte dem König sehr entgegengekommen sein, identifizierte er sich doch mit Vorliebe mit dem Herrscher des O l y m p und demonstrierte damit nie aufgegebene imperiale Ansprüche. Cellini macht den Jupiter in seiner Beschreibung im Trattato dell'oreficeria2ix zu einem imperialen paragone-Stück, das den Kunstbesitz des tatsächlichen Kaisers, Karls V., in den Schatten stellen sollte: Anläßlich des Besuches Karls V. in Paris im Januar 1540 2 3 2 hatte ihm der König einen etwa 1,75 m großen Herkules aus Silber geschenkt, 2 3 3 den Rosso entworfen, aber der französische Goldschmied Pierre de Bimbal, genannt Chevrier, ausgeführt hatte. 2 3 4 Obgleich die Franzosen in Metallarbeiten sehr bewandert seien, wie Cellini zugesteht, sei es ihnen nicht gelungen, erfolgreich den Schritt in eine neue, nämlich skulpturale Größenordnung zu vollziehen. Das Geschenk für den Kaiser, der Hercules libicus mit den beiden Säulen von Cadiz - die ebenfalls als Kerzenhalter dienten - sei für den König „la piü brutta opera che lui mai avessi vista" gewesen. 2 3 5 Dennoch war seine Qualität offensichtlich für ein diplomatisches Kunstgeschenk an den großen Rivalen ausreichend, der mit eindimensionaler Herkules-Ikonographie zufriedenzustellen war, zumal die beiden Säulen von Gibraltar sehr passend auf seine Devise „Plus ultra" 2 3 6 anspielten. D e r französische König
2 2 9 Vita, p. 471. 230 Jestaz, Benvenuto Cellini et la cour de France, pp. 8 9 - 9 2 . - Zur Rekonstruktion des möglichen Aussehens der Statuen vgl. Avery, Benvenuto Cellini's Silver Statues. 231 Trattato dell'oreficeria, pp. 7 7 2 - 7 7 9 . Vgl. auch Vita, pp. 466s.; Fontes-Baretto, La grande illusion, p. 240; Pope-Hennessy, Cellini, p. 103. 232 Vgl. hierzu Kapitel 6.1.4. dieser Arbeit. 233 Diesen als „colosso" zu bezeichnen, wie Occhipinti, II „camerino" e la „galleria" nella Villa d'Este a Fontainebleau, p. 615 es tut, scheint mir allerdings übertrieben. 234 Vgl. Dimier, La statue d'Hercule en argent; Kusenberg, Le Rosso, pp. 105s.; Cox-Rearick, Chefsd'ceuvre de la Renaissance, p. 298; Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, p. 31; Hackenbroch, Renaissance Jewelry, p. 64. 235 Vita, p. 466. 2 3 6 Aus der reichen Literatur zur Herkules-Ikonographie sei hier nur verwiesen auf: Panofsky, H e r cules am Scheidewege; Ettlinger, Hercules Florentinus; Wright, The Myth of Hercules; Polleroß, F r o m the exemplum
virtutis to the Apotheosis. - Speziell zum habsburgischen Herkules-Mythos:
Bruck, Habsburger als „Herculier"; McDonald, Maximilian I of Habsburg and the Veneration of Hercules. - Allgemein zur Herrschaftsikonographie der Habsburger: Tanner, The Last Descendant of Aeneas. - Zur Devise Karls V.: Rosenthal, The Invention of the Columnar Device of Emperor Charles V; id., Plus ultra, non plus ultra, and the Columnar Device of E m p e r o r Charles V; Walter, Die Säulen des Herkules; Bataillon, Plus oultre.
180
5. „Rex artifex": Spezifika der Kunstpa.tronage unter Frangois Ier
hingegen ließ durch seinen Hofkünstler den unehelichen Sohn Jupiters durch den Göttervater selbst in den Schatten stellen. Dieses Silberwerk ist - im gleichen Material, aber von Cellini selbst ausgeführt und damit unmittelbar den Vergleich herausfordernd - nicht nur etwas größer, sondern voll derjenigen „grazia", „bellezza" und „arte", 237 die dem Herkules für Karl V. gefehlt hatten. Der Allroundkünstler Cellini inszeniert die - in vielen Details fiktive 238 - Präsentationsszene seines Jupiters in der Galerie von Fontainebleau nicht nur als Uberbietungsszene, 239 sondern auch als „multimediale Performance". 240 Der Akt der Präsentation in bühnenhafter Inszenierung scheint - wie so häufig in der Vita - fast wichtiger als das Kunstwerk selbst zu sein. In Cellinis Stilisierung wird diese theatralische Darbietung durch größtmögliche Tücken im Vorfeld, die selbstverständlich gemeistert werden, geadelt. Primaticcio, der mit seiner eigenen Kunstproduktion nicht an Cellini heranreichen konnte, ist angeblich kurz vor der Enthüllung des Jupiters nach Rom gefahren, um dort Abgüsse der berühmten Belvederischen Antiken anzufertigen und so Cellini zu übertreffen - „perche tutto quello che gli aveva veduto di noi moderni era molto discosto dal ben fare di quelli antichi". 241 Tatsächlich fand diese Romreise Primaticcios einige Jahre vor der beschriebenen Szene in der Galerie statt, so daß Cellini den Zusammenhang durch zeitliche Annäherung erst herstellt, um die Konkurrenzsituation zu verschärfen.242 Madame d'Etampes, die Mätresse des Königs und vorgebliche Erzfeindin des Goldschmieds, habe versucht, seinen Erfolg zunichte zu machen, indem sie den König bis zur einbrechenden Dunkelheit mit weiblichen Mitteln aufgehalten habe. Aber Cellini, wie nicht anders zu erwarten, sieht sofort die Chancen dieses neuen Szenarios und nutzt flexibel den Uberraschungseffekt. Auch inhaltlich schlägt er den Konkurrenten aus dem Feld, indem er dessen Götterversammlung mit seinem Jupiter den fehlenden Vorsitzenden hinzufügt. Die Gestaltung seines Göttervaters geht höchstwahrscheinlich ebenfalls auf römische Vorbilder zurück 243 , jedoch nicht als „platter" Abguß wie bei Primaticcio, sondern in der kreativen Anverwandlung eines neugestalteten Gusses. Man muß sich vor allem den Rahmen vergegenwärtigen, in dem sich die Szene abspielt und den auch Cellini gleich zu Beginn seiner Beschreibung vollmundig evoziert: Handelte es sich doch keineswegs um einen kunstfreien White cube als Präsentationsraum, sondern um die kunstüberladene Galerie in Fontainebleau, die schon von sich aus auf ästhetische Überwältigung des Betrachters zielte - „era ornata e ricchissima di pitture di mano di quel mirabile Rosso, nostro fiorentino; e infra le pitture era accomodato moltissime parte di scul237 Trattato dell'oreficeria, p. 773. 238 Vgl. hierzu Dimiers Fazit (Benvenuto Cellini ä la cour de France, p. 276): „Nous n'en apprenons par lui sur Fontainebleau pas plus que par Saint-Simon sur Versailles." Anhand Alvarottis Bericht vom 29. Januar 1545 über die Präsentationsszene, den Dimier 1902 publiziert hat, kann er die Stilisierungsmechanismen von Cellinis Erzählung im Detail nachweisen (Une piece inedite sur le sejour de Benvenuto Cellini ä la cour de France, pp. 8 8 - 9 2 ) . 2 3 9 Erben, Paris und R o m , S. 18 sieht „den Paragone-Gedanken als Intention des Auftraggebers". 240 Vgl. Weislogel, Rosso Fiorentino, Benvenuto Cellini and Clement Marot, p. 271. 241
Vita, p. 462.
2 4 2 Zum Paragone zwischen Antik und Modern vgl. Weitmann, Benvenuto Cellini, die Antikenkopien am H o f Franz I. von Frankreich oder das Original als säkularisiertes theologoumenon. 243 Als mögliches Vorbild wäre hier auf den sogenannten Jupiter aus dem Palazzo Braschi in R o m mit seinem herrschaftlich erhobenen Blitzbündel zu verweisen; vgl. Wrede, Römische Antikenprogramme des 16. Jahrhunderts, p. 110, Abb. 34.
5.2. Der autonome Outlaw am französischen Hof: Benvenuto
Cellini
181
tura, alcune tonde, altre di basso rilievo". 244 Doch mit Rossos Fresken und skulpturalen Stuckdekorationen nicht genug: Gleichzeitig waren - zumindest in Cellinis Phantasieszenario - eben auch noch Primaticcios Antikenabgüsse auf Piedestalen dort aufgestellt. Cellinis Kommentar zu diesem herausfordernden Umfeld: „Questo si e come passare in fra le picche. Ora Idio mi aiuti." 245 Und Gott hilft, da der Künstler sich selber zu helfen weiß: [...] perche veduto fattosi notte, io accesi la ditta torcia che era in mano al Giove; e per essere alquanto elevata sopra la testa del ditto Giove cadevano i lumi di sopra e facevano molto piü bei vedere, che di di non arien fatto. [...] Veduto entrare il Re, feci ispiegniere innanzi da quel mio garzone giä ditto, Ascanio, che pianamente moveva il bei Giove incontro al Re; e perche ancora io avevo fatto con un poco d'arte, quel poco del moto che si dava alla ditta figura, per essere assai ben fatta, la faceva parer viva [...]. 2 4 6
Der König begegnete in dieser apparitio-Szene seinem leibhaftigen alter ego. Unter Wahrung der iconographical correctness, die Licht bei Darstellungen des Blitzeschleuderers Jupiter vorsah, wird ein ungeahnter Effekt erzielt. Die Dramatik der Beleuchtung und die mit höchstem technischen Raffinement inszenierte Belebung mußten den König aufs höchste entzücken, denn genau diese Art von phänomenologischer Überwältigung wünschte er sich in seiner Galerie. 247 Die spotartige Hervorhebung der Jupiterstatue in der Einzelbeleuchtung ließ gleichzeitig die umgebende Kunst im Dunkel versinken, zumal die Antikenabgüsse nur sehr ungünstig von unten beleuchtet waren.248 Es ist nicht auszuschließen, daß Cellini - in Kenntnis der Tücken der Beleuchtungssituation in der Galerie mit ihrem starken Licht- und Schattenspiel durch die damals noch auf beiden Seiten vorhandenen Fenster - die Präsentation bewußt in die Abendstunden verlegt hat, um selbst jeden Parameter und somit auch die Lichtsituation für die maximale Wirkung seiner Skulptur festlegen zu können. Der moderne „Ausstellungskünstler" läßt damit die Antike weit hinter sich zurück - „e lasciatomi alquanto le ditte figure antiche indietro". 249 In der Belebung der Statue kombiniert Cellini gleich mehrere Künstlermythen und antike Topoi. Er selbst verkörpert nicht nur den Künstler, der den Schöpfergott vertritt, indem er seiner modellierten Statue Leben einhaucht, also einen demiurgischen Akt der Inspiration vollzieht; er ist gleichzeitig auch ein zweiter Pygmalion. 250 Doch der Belebungsakt überführt in diesem Fall das Kunstwerk nicht in seine ursprüngliche Natürlichkeit, sondern läßt es in seiner ganzen virtuosen Artifizialität für den Betrachter frappant erfahrbar werden. 251 Das beschriebene Belebungsmoment ist bereits in der genannten Vorzeichnung 244 245 246 247 248
Vita, p. 471. Vita, ibid. Vita, p. 472. Hierzu Kapitel 6.1.3. dieser Arbeit. Vita, p. 472. Jestaz, Benvenuto Cellini et la cour de France, p. 92 geht allerdings davon aus, daß diese Einzelbeleuchtung nicht von oben, sondern von dem etwa in Schulterhöhe der Statue angebrachten A r m ausging. 249 Vita, ibid. 250 Vgl. K r i s / K u r z , Die Legende vom Künstler, S. 64 ff. und passim; Bätschmann, Belebung durch Bewunderung. Vgl. auch zum Belebungsmotiv bei Cellini die Beschreibung der Konstruktion des später zu behandelnden Mars-Kolosses im Trattato della scultura, die frankensteinisch-demiurgische Qualitäten hat: „e dapoi che io ebbi finito la detta ossatura, cominciai a metter di sopra la came, quale era gesso" (Trattato della scultura, p. 840). 251 Hierzu Koschorke, Pygmalion als Kastrat, v. a. S. 308-311.
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5. „ Rex artifex ": Spezifika
der Kunstpatronage
unter Frangois Ier
zur Juno enthalten, denn sie scheint - sieht man einmal von der Augenpartie ab - eher die Zeichnung einer lebendigen Frau als die einer Statue zu sein.252 Durch einen motorischen Trick, der jedoch weniger der Automatisierung 253 als der Verlebendigung dient, wird im Falle des Jupiters die jeder Skulptur inhärente, stillgestellte Sequenzialität eines Handlungsund Bewegungsablaufs wiedererweckt: Jupiter ist ja sozusagen im Moment des Zornesausbruchs (gegen die Giganten?) mit erhobenem Blitzbündel erstarrt und schmettert dieses jetzt gegen die Betrachter, auf die er zurollt. Andererseits gewährleistete dieser motorische Kunstgriff auch hier die Allansichtigkeit der Skulptur - der König konnte seinen emblematischen Konterpart mühelos drehen und wenden, wie es ihm gefiel: „Eran queste cose tanto gentilmente ordinate, che un piccol fanciullo, facilmente per tutti i versi sanza una fatica al mondo, mandava innanzi e indietro e volgeva la ditta statua di Giove." 254 Die PrimaticcioBronzen auf ihren Piedestalen aber waren zur Einansichtigkeit verdammt. Cellini scheint hier erneut einem antiken Muster zu folgen, das Plinius im 34. Buch seiner Naturalis historia erwähnt: Lysipps kolossale Jupiter-Statue in Tarent war trotz ihrer Größe spielend leicht durch die Hand des Betrachters zu bewegen, während ein Künstlertrick verhinderte, daß sie damit auch automatisch ein Spielball der Naturgewalten geworden wäre: „mirum in eo, quod manu, ut ferunt, mobilis ea ratio libramenti est, ut nullis convellatur procellis. id quidem et providisse artifex dicitur modico intervallo, unde maxime flatum opus erat frangi, opposita columna". 255 Ein ausgeklügelter Bewegungsapparat auf Holzrollen, die von einem Podest mit vergoldeten Reliefs kaschiert wurden, sollte ähnlich wie bei der Saliera die Verschiebbarkeit und Handhabbarkeit der Götterfigur ermöglichen.256 Vielleicht handelte es sich darüber hinaus um eine erneute Michelangelo-Anspielung, dessen kolossaler David aufrecht stehend auf eingeölten Hölzern zu seinem Aufstellungsort auf der Piazza della Signoria gebracht worden war und sich auf dem Weg dorthin ebenfalls Anfeindungen durch das Publikum ausgesetzt sah, so wie Cellinis Jupiter durch die feindselige und wenig kunstsinnige Mätresse des Königs. 257
252 Jacobs, An Assessment of C o n t o u r Line, p. 147 betont demgegenüber die stark zweidimensionale Ausführung der Juno-Zeichnung. 253 So Schreurs, Ein Blick auf die Statuen im Belvederehof, S. 293; vgl. auch Bredekamp, Antikensehnsucht und Maschinenglauben, S. 11. 2 5 4 Vita, p. 470. Einen vergleichbaren Drehmechanismus, der ein stufenloses Betrachten einer Skulptur ermöglichte, hatte bereits der Bronzeabguß des römischen Spinario besessen, den Ippolito d'Este 1540 für den französischen König hatte anfertigen lassen; vgl. hierzu Kapitel 7.1. dieser Arbeit. 255 Plinius, Hist. nat. 34,40; vgl. auch Occhipinti, Primaticcio e l'antico, p. 40; Bush, The Collosal Sculpture of the Cinquecento, pp. 1 3 1 - 1 3 4 . 2 5 6 Offensichtlich war der König hieran besonders interessiert, denn Alvarotti berichtet in seiner Beschreibung der Präsentationsszene, FranQois habe Cellini ausdrücklich aufgetragen, die Skulptur erst in seiner Gegenwart aufzurichten - wohl, damit er den Bewegungsapparat vorher genau inspizieren konnte; vgl. Dimier, U n e piece inedite sur le sejour de Benvenuto Cellini ä la cour de France, p. 89; vgl. auch Pope-Hennessy, Cellini, p. 104. 257 Vgl. Luca Landucci, Ein Florentinisches Tagebuch, Bd. 2, S. 119 f.: „Und am 14. Mai 1504 zog man aus der Bauhütte des Domes [Opera] den Giganten aus Marmor; er ging um 24 U h r heraus und man brach über der Tür so viel von der Mauer weg, daß er heraus gelangen konnte. U n d in dieser N a c h t wurden gewisse Steine nach dem Giganten geworfen, um Böses zu tun; man mußte bei Nacht Wache halten; und er kam sehr langsam weiter, so gerade aufgerichtet festgebunden,
5.2. Der autonome
Outlaw am französischen
Hof: Benvenuto
Cellini
183
Die Oberfläche der Jupiterstatue wurde homogenisiert und subtilisiert durch einen leichten Schleier, den Cellini über die Skulptur gelegt hatte, damit „gli accrescessi maestä" 2 5 8 und um die Illusion der Belebung noch naturalistischer erscheinen zu lassen. 259 Raffael bediente sich eines ähnlichen Kunstgriffs mit malerischen Mitteln in der sogenannten Fornarina und in mehreren seiner Madonnendarstellungen. An M m e d'Etampes aber nimmt Cellini in betont uncourtoiser Weise Rache: E r reißt den Schleier, den sie als trickreiche Bemäntelung künstlerischer Mängel kritisiert, 2 6 0 von der Statue und enthüllt „quei bei membri genitali", 2 6 1 verweist die Mätresse also mit dieser wohlkalkuliert obszönen Geste in den ihr angemessenen Zuständigkeitsbereich. 2 6 2
5.2.2.3.
Das kolossale
Marsprojekt
Eine ins Burleske gewendete Szene als eine Art von Satyrspiel zur Belebungs- und Inspirationsthematik findet sich in Cellinis anschließender Beschreibung des kolossalen H i r n gespinstes seiner Marsstatue, die im folgenden näher untersucht werden soll: Sein Gehilfe Ascanio habe in dem monumentalen Kopfmodell dieses Mars seine Freundin versteckt, 2 6 3 die diesen durch ihre gelegentlichen Bewegungen unfreiwillig belebte. Zugleich wird damit M m e d'Etampes' Vorwurf konterkariert, Cellinis Jupiter sehe aus, als habe er keine Augen. 2 6 4 Vielleicht kannte Cellini aber auch Michelangelos Beschreibung des für den Palazzo Medici geplanten Kolosses und bezieht sich auf die satirische Schilderung des absurden Riesengebildes in dem Brief Michelangelos an Francesco Fattucci von Anfang D e z e m ber 1525, in dem der Künstler überzogene Auftraggeberwünsche beißend karikiert: Circha al cholosso di 40 braccia che voi mi schrivete che ä a ire in sul chanto della loggia dell'orto de' Medici, a -rrischontro al chanto della chasa di messere Luigi della Stufa, v'o pensato assai e non poco. Non mi pare che in ta' loco vi stia bene, perche ochuperebbe troppo della via; ma in sull'altro chanto, dov'e la boctega del barbiere, sechondo me tornerebbe molto meglio, perche ä la piaza dinanzi e non darebbe tanta noia alia strada. Ε perche forse non sare' soportato levar via l'entrata del barbiere, ö pensato che decta figura si potrebe fare a -ssedere, e verrebbe si alto el sedere, che faccendo decta opera vota dentro, chome si chonviene e puö faccendola di pezzi, che la boctega del
daß er schwebte und mit den Füßen [den Boden] nicht berührte; in allerstärksten Hölzern und mit großem Scharfsinn; er langte am 18. auf der Piazza an, um 12 Uhr; hatte mehr als 40 Menschen, um ihn in Bewegung zu setzen; hatte 14 eingeölte Hölzer unter sich, welche der Reihe nach sich bewegten [...]. Den besagten Giganten hatte Michelagnolo Buonarroti gemacht"; vgl. hierzu Goffen, Renaissance Rivals, pp. 129f. - Die Angriffe auf den David erfolgten allerdings nicht wie bei Mme d'Etampes aus mangelndem Kunstverstand und, so Cellini, reiner Gehässigkeit, sondern waren politisch anti-mediceisch motiviert. 258 Vita, p. 473. 259 Und nicht, wie Mirollo, Mannerism and Renaissance Poetry, p. 110 meint, um die Künstlichkeit der Statue zu unterstreichen. 260 Hierin folgt ihr Jestaz, Benvenuto Cellini et la cour de France, p. 94. 261 Vita, p. 473. 262 Vita, ibid. 263 Vita, pp. 474s. Vgl. Weislogels geistreiche Vemutung, daß Cellini hiermit eventuell auch ironisch auf die Tatsache anspiele, daß Frangois ständig nur Frauen im Kopf hatte: Rosso Fiorentino, Benvenuto Cellini and Clement Marot, p. 291. 264 Ein Vorwurf, der angesichts der Juno-Zeichnung nicht ganz von der Hand zu weisen ist.
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5. „Rex artifex": Spezifika der Ku.nstpatrona.ge unter Frangois Ier
barbiere vi resterebbe socto, e non si perderebe la pigione. Ε perche decta boctega abbi donde smaltire el fumrao, penso di fare alia decta statua i -mmano un chorno di dovitia voto dentro, che gli servirä per chammino. Dipoi, avend'io el chapo voto di tal figura, chome l'altre chose, di quello anchora stimo si chaverebe qualche utilitä, perche e' c'e qui in sulla piazza un trechone molto mio amicho, el quale m'ä dicto in segreto che vi farebbe dentro una bella cholombaia. Anchora m'ochorre un'altra chosa, che sarebbe molto meglio, ma bisognierebbe fare la figura molto maggiore: e potrebbesi, perche di pezzi si fa una torre; e questo e che Ί chapo suo servissi pel champanile di San Lorenzo, che n'ä un gran bisognio; e chacciandovi dentro le champane, e usciendo el suono per bocha, parrebbe che decto cholosso gridassi miserichordia, e massimo el di delle feste, quando si suona piü spesso e chom piü grosse champane.265 O d e r hatte Cellini vielleicht die Ironie des großen Vorbilds verkannt und strebte eine megalomane Uberbietung in der gleichen Größenordnung von 40 braccia an? Der nie ausgeführte - da technisch unmöglich ausführbare - Mars-Koloß stellt in der fiktiven C h r o n o logie von Cellinis Emanzipation zum freien Bildhauer den Kulminationspunkt dar. Mit diesem professionellen Sprung geht eine weitere Steigerung des Autonomieanspruchs in künstlerischer Hinsicht einher. 266 Der Mars ist laut der Vita Teil eines alternativ zur N y m phe von Fontainebleau ohne Auftrag angefertigten Brunnenentwurfs. Während der König das Nymphenrelief als Idee f ü r die Neugestaltung seines Eingangstores in Fontainebleau sofort einleuchtend findet, weil es gleichermaßen seiner Privatmythologie, der in Fontainebleau kultivierten Ikonographie und seiner Vorliebe f ü r schöne Frauen entspricht, behauptet er (laut Cellini), den Entwurf des Marsbrunnens nicht unmittelbar zu verstehen (vielleicht wollte er ihn aber auch nicht verstehen) und muß vom Künstler über dessen allegorische Bedeutung aufgeklärt werden. Dies ist umso erstaunlicher, als es sich hier - im Gegensatz zur eher privaten Ikonographie der N y m p h e - u m allgemein gängige und leicht verständliche Allegorien handelt: Questo modello era grande piü di due braccia, nel quale avevo fatto una fontana in forma d'un quadro perfetto [...]. In mezzo a detta fontana avevo fatto un sodo, il quale si dimostrava un poco piü alto che Ί ditto vaso della fontana: sopra questo sodo avevo fatto, a conrispondenza, una figura igniuda di molta bella grazia. Questa teneva una lancia rotta nella man destra elevata in alto, e la sinistra teneva in sul manico d'una sua storta fatta di bellissima forma: posava in sul pie manco e il ritto teneva in su un cimiere tanto riccamente lavorato, quanto immaginar si possa; e in su e' quattro canti della fontana avevo fatto, in su ciascuno, una figura a sedere elevata, con molto sue vaghe inprese per ciascuna. [...] „Quella figura di mezzo si e cinquantaquattro piedi [...] figurando lo idio Marte. Quest'altre quattro figure son fatte per le Virtü, di che si diletta e favorisce tanto vostra Maestä: questa a man destra e figurata per la scienza di tutte le Lettere: vedete che l'ha i sua contra segni, qual dimostra la Filosofia con tutte le sue virtü compagnie. Quest'altra dimostra essere tutta l'Arte del disegnio, cioe Scultura, Pittura e Architettura. Quest'altra e figurata per la Musica, qual si conviene per compagnia a tutte queste iscienzie. Quest'altra, che si dimostra tanto grata e benignia,
265 Michelangelo, Carteggio, vol. 3, pp. 188s. Satzinger, Der „Statuenhof" Clemens' VII., p. 221 meint hingegen, daß „Clemens' Projekt des Giganten an der Gartenmauer so unrealistisch nicht war". 266 Vgl. Weislogel, Rosso Fiorentino, Benvenuto Cellini and Clement Marot, p. 280: „[...] as .artisan' he permitted commissions to be dictated to him without his own invention, but now, as an artist with the trust of a royal patron, he is capable of creating an invenzione whose form and content are entirely his own, and yet which anticipate and fully express the beliefs and feelings of his patron."
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e figurata per la Liberalitä: che sanza lei non si puo dimostrare nessuna di queste mirabil Virtü che Idio ci mostra. Questa istatua di mezzo, grande, e figurata per vostra Maestä istessa, quale e un dio Marte, che voi siete sol bravo al mondo; e questa bravuria voi l'adoperate iustamente e santamente in difensione della gloria vostra." 2 6 7
Die besondere Herausforderung dieses Projekts lag für Cellini neben dessen absoluter Größe in der Möglichkeit, ein Exempel potenzierter Antikenüberbietung zu statuieren und zugleich die für die Zeitgenossen noch ungewöhnliche Aufgabe einer Monumentalskulptur in Angriff zu nehmen, wie es im Trattato della scultura heißt: „per esser questa cosa ne' moderni nuova e non mai piü fatta". 268 Wäre der Mars ausgeführt worden, hätte er alle existierenden antiken und zeitgenössischen Monumentalstatuen überragt. Cellini verweist im Trattato auf die überlieferten Reste des Konstantinkolosses, die er in Rom mit eigenen Augen gesehen habe, um seine Kompetenz in Sachen Monumentalstatuen zu untermauern. Auf das Antikenstudium folgt dann sogleich die übertrumpfende Umsetzung: „Solo ho visto uno de' grandi in Roma, quale era in di molti pezzi, e viddi la testa e piedi e parte di gambe, e altre sue gran parti di membra." 269 Auch der berühmte Koloß des Nero vor der Domus aurea war ein zu überbietendes antikes Vorbild für Cellini. 270 Das Kolossalthema lädt aber immer auch zum Vergleich mit zeitgenössischen Kolossalstatuen ein, allen voran mit Michelangelos David. 271 Als weitere pietra di paragone stand in Fontainebleau für jedermann gut sichtbar der Herkules Michelangelos, den Cellinis Konkurrent Primaticcio dann um 1541/43 in sein Brunnenprojekt in der Cour de la Fontaine integrierte (Abb. 29), wodurch er Cellinis Mars-Brunnen überflüssig machte. 272 Doch der David und der Herkules waren Marmorstatuen, während Cellini - seiner metallorientierten Ausbildung entsprechend - seinen Koloß in Bronze gießen wollte. Bei der geplanten Größe wäre ohnehin keine andere Material-Lösung denkbar gewesen. Cellini nutzt diese Einschränkung der Ausführungsbedingungen jedoch wie immer zu einer kunsttheoretischen Überhöhung: Die Wahl der Bronze impliziert die Wiederbelebung der authentischen antiken Materialtradition 273 und eröffnet den Wettkampf mit Primaticcios Antikenabgüssen 267 Vita, pp. 4 3 2 - 4 3 4 . 268 Trattato della Scultura, p. 836. 269
Ibid.
270 Vgl. Plinius d.Ä., Naturalis historia 34,45; Sueton, Nero-Vita, 31,1. 271
Vgl. Satzinger, Der „Statuenhof" Clemens' VII., S. 221; Perrig, Cellini als Zeichner, S. 146. Die Tatsache, daß Cellini dieses Vorbild in seiner Vita nicht nennt, spricht für Perrigs Hypothese, daß er seine Götterstatuen aus Michelangelos Entwurfszeichnung für einen Herkules gewissermaßen formal „geklont" habe. Laut Shearman, Art or Politics in the Piazza?, p. 2 5 nannten die Zeitgenossen den David selten bei seinem richtigen Namen, sondern sprachen zumeist einfach vom Gigante.
272 Vgl. Vita, p. 440; zu Primaticcios Herkules-Brunnen: Frommel, Primaticcio architetto in Francia, pp. 8 5 - 8 8 ; Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 3 0 4 - 3 0 6 ; Chätelet-Lange, Michelangelos Herkules in Fontainebleau, die allerdings entgegen der hier vertretenen Ansicht bestreitet, daß sich die Konkurrenz zwischen Primaticcio und Cellini an dem Herkules-Brunnen entzündet habe; ibid., S. 465. 273 Zur Materialikonologie der Bronze vgl. Gramaccini, Zur Ikonologie der Bronze im Mittelalter; Dalucas, Ars erit archetypus naturae. Zur Ikonologie der Bronze in der Renaissance; Lein, Erläuterungen zur Technik des Bronzegusses; id., Ars Aeraria; detaillierter hierzu Kapitel 7.1. dieser Arbeit.
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5. „ Rex artifex "; Spezifika der Kunstpatronage unter Frangois Ier
A b b . 29
Jacques Androuet du Cerceau, Chateau de Fontainebleau, Veues du logis du coste de
lestang, Detail: Fontaine d'Hercule, in: Les plus excellents bastiments de France, 1 5 7 6 - 7 9
auch auf der Materialebene, indem jetzt Bronze gegen Bronze steht. Die Konkurrenz mit Michelangelos David gewinnt Cellini freilich erst mit seinem Perseus in Florenz in direkter lokaler Auseinandersetzung mit dem gigantischen Vorbild: Das siegreich emporgehaltene Medusenhaupt, das ein implizites Selbstporträt des Künstlers ist und zugleich als „Werk" des „Künstlers" Perseus diesem zum Verwechseln ähnlich sieht, 274 scheint mit seinem Blick die sonstigen Statuen auf der Piazza della Signoria zu Stein - also zu Marmor - erstarren zu lassen. Die Raffinesse dieses Eingriffs in die Statueninszenierung der Piazza lag in der nachträglichen Ergänzung eines skulpturalen Kontextes in einer - aufgrund ihrer Nachträglichkeit - unhintergehbaren und unüberbietbaren Aktion. 2 7 5 D o c h Cellinis mit der Mars-Statue erhobener Uberbietungsanspruch reicht noch weiter und spielt virtuos mit weiteren kunsttheoretischen Topoi der Renaissance: Plinius d.A. hatte bekanntlich berichtet, die herausragende Leistung der „hervorragenden Künstler Hagesandros, Polydoros und Athenodoros" habe darin bestanden, die antike Laokoongruppe aus einem einzigen Stück Rohmaterial gefertigt zu haben, „ex uno lapide". 276 O b w o h l diese Behauptung bereits in der Renaissance als unzutreffend erkannt worden war, 277 hinderte dies die Zeitgenossen nicht daran, die Ex-uno-lapide-Forderung weiter als
274 D e r „Künstler" Perseus scheint den aus seinem Werk in F o r m des Blutstroms fließenden
spiritus
wohlgefällig zu betrachten; vgl. hierzu Cole, Cellini's B l o o d . Vgl. auch Wolf, D e r Splitter im Auge, S. 329. 275 Vgl. Shearman, O n l y C o n n e c t , pp. 4 4 - 5 8 ; id., Art or Politics in the Piazza? 2 7 6 Plinius d . A . , Naturalis historia, 36,37. Hierzu Lavin, Ex uno lapide·, Goffen, Renaissance Rivals, pp. 351; 382. 277 Vgl. den berühmten Brief des Cesare Trivulzio vom 1. Juni 1506: „Questa statue, che insieme c o ' figliuoli, Plinio dice esser tutta d'un pezzo, Giovannangelo R o m a n o , e Michel Cristofano Fiorentino, che sono i primi scultori di R o m a , negano, ch'ella sia d'un sol marmo, e mostrano circo a quattro commettiture; ma congiunte in luogo tanto nascoso, e tanto bene saldate, e ristuc-
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Cellini
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ästhetisches Ideal und als Meßlatte für herausragende bildhauerische Leistungen zu kultivieren, so daß auch Michelangelo seine Pietä und vor allem seinen David aus einem einzigen Stein fertigte. Auf die Bronze übertragen, wurde aus der Forderung nach der Fertigung „aus einem Stein" diejenige nach der Herstellung „aus einem Guß". 278 Im Falle des Perseus, der in direktem paragone mit Michelangelos David stand, mußte somit Cellini dieses gußtechnische Virtuosenstück unbedingt gelingen. Den Marskoloß aus einem Stück zu gießen, wäre hingegen technisch unmöglich gewesen. Cellini verwandelt dieses technische Manko souverän in Innovationspotential, das sich über das Ex uno Anforderungsprofil hinwegsetzt, indem er ein eigenständiges neues und genuin modernes Fertigungsverfahren entwickelt: Seine Monumentalstatue wird aus Einzelteilen zusammengesetzt.279 Der maniera moderna korrespondiert so eine tecnica moderna, wobei hier der künstlerische Geniestreich nicht in der virtuosen Anfertigung dieser Teile oder in der perfekten Materialbearbeitung liegt. Vielmehr stellt erst die Synthese der Einzelteile den eigentlichen kreativen Akt dar. Zugleich greift Cellini damit auch auf das im Gegensatz zur Renaissance in der Antike übliche Verfahren zurück.280 Modern ist hieran weiterhin, daß der Fertigungsprozeß arbeitsteilig konzipiert war: Gehilfen sollten die Teile präindustriell bzw. prämanufakturell nach einem vom Künstler vorgegebenen Schema, nach einer von ihm erfundenen „virtuosa regola" fremdbestimmt herstellen, da sie angesichts der riesigen Größenordnungen der Skulptur von rund 18 Metern281 das gesamte Kunstwerk ohnehin nicht überblicken konnten. Sie bleiben damit nur ausführende und helfende Organe, artefices, Handwerker ohne Kunstverstand: „E con questa sopradetta regola io feci lavorare la maggior parte a manovali e uomini fuori della proffessione, i quali non sapevano nulla quel che si facevano; ma quella virtuosa regola, usata con pazienzia e con diligenzia, se ben loro ignoranti dell'arte, quella gli guida di sorte, che le mane di un Michel'Agnolo non ne fariano piü." 282 Cellini, der artista, denkt in anderen - königlichen - Dimensionen, er allein hat den Uberblick über den Gesamtconcetto und vollzieht den finalen Akt des Zusammenfügens. Die Erwähnung antiker Kolossalstatuen und insbesondere der Einzelteile des römischen „Konstantin" im Trattato erschließt sich jetzt in ihrer argumentativen Funktion: Im Akt der Synthese läßt Cellini cate, che non si possono conoscere facilmente, se non da persone peritissime di quest'arte. Perö dicono, che Plinio s'inganno, ο volle ingannare altri per render l'opera piü ammirabile. Poiche non si potevano tener salde tre statue di statura giusta, collegate in un sol marmo, con tanti, e tanti mirabili groppi di serpenti, con nessuna sorta di stromenti. L'autoritä di Plinio e grande, ma i nostri artefici hanno le sue ragioni [ . . . ] " ; abgedr. bei Maffei, La fama di Laocoonte nei testi del Cinquecento, p. 108; vgl. auch Brummer, The Statue Court, pp. 83 f. 278 Vgl. Lein, Erläuterungen zur Technik des Bronzegusses, S. 236. 2 7 9 Vgl. hierzu auch Alberti, Zehn Bücher über die Baukunst, S. 403 f.: „Bei Simandus waren drei Jupiterstatuen aufgestellt, ein wunderbares Werk des Menon, aus einem einzigen Steine gehauen, deren eine in sitzender Stellung so groß war, daß deren Fuß sieben Ellen auslud. U n d was man außer der Hand des Künstlers und dem ungeheueren Umfang des Steines noch bewunderte, war, daß trotz der großen Masse nicht ein Kratzer und ein Fehler vorhanden war. Als aber die Steine für die angefangene Größe nicht genügten, so begann man Statuen aus E r z zu gießen bis zu hundert Ellen hoch." 2 8 0 Lein, Erläuterungen zur Technik des Bronzegusses, S. 237. 281
Pope-Hennessy, Cellini, p. 142 gibt Maße zwischen 16 und 19 Metern an, je nach Umrechung der Angabe 40 braccia.
282 Trattato della Scultura, p. 841.
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die Antike in einer eigenwilligen Form von rinascita wieder aus ihren Trümmern auferstehen, indem er ihre ruinösen Rudimente zu einem neuen, intakten Bild zusammensetzt.283 Daß Cellinis Marskoloß nebenbei auch noch doppelt so groß gewesen wäre wie der antike,284 fällt angesichts dieser genialen Syntheseleistung kaum noch ins Gewicht. Hätte sich dieser bronzene Koloß in seiner übertrumpfenden Kolossalität nicht selbst ins Reich der Utopie verwiesen, wäre Fontainebleau mit ihm endgültig zu einem zweiten Rom geworden.285 5.2.3. Das charakteristische Scheitern einer Patronagebeziehung Mit seinem Mars wollte Cellini seinem Förderer, dem französischen König, ein Denkmal setzen, das zugleich das Idealporträt eines Mäzens sein sollte. Der König war in Cellinis Entwurf Mars, der Minervas kulturfördernde Aufgaben übernommen hatte und die Bildhauerei in einer vom Künstler neu etablierten Hierarchie als die erste unter den genannten Kunstgattungen besonders förderte. Doch der König zelebrierte gegenüber dieser Form von Mäzenatentum Unverständnis; seine Vorstellung von Kunstförderung kongruierte nicht mit Cellinis Rollenporträt. Die abgebrochene Lanze, die der Mars in der Hand halten sollte, versinnbildlichte eine Form von kulturellem Engagement, das militärische Niederlagen kompensieren muß. Das Modell von Kulturförderung aber, das Frangois I er vertrat, war gerade nicht rein proklamatorisch angelegt, sondern verstand sich als sachhaltige und sinnvolle Fortsetzung der Politik mit künstlerischen Mitteln. Der Mäzen wird in Cellinis Entwurf unter dem Vorwand künstlerischer Virtuosität und Größenüberbietung aus dem reziproken Abhängigkeitsverhältnis einer gelungenen Patronagebeziehung in die Kolossalität empor- und damit in fremde Gefilde enthoben; er überragt die von ihm geförderten Künste weit, hat aber gerade dadurch weder eine Beziehung zu ihnen noch Einfluß auf sie. Und ob der französische König durch die Ikonographie der gebrochenen Waffe so deutlich und dauerhaft-monumental an seine gescheiterten militärischen Unternehmungen erinnert
283 Cellini beschreibt diesen Akt der Wiederbelebung im Trattato della Scultura, p. 838: „E sappi, benigno lettore, che tutti e' buoni maestri tutti ritraggono il vivo, ma la consiste in avere un bei iudizio di sapere il bei vivo mettere in opera, a saper cognoscere fra i bei vivi il piü bello, e verderne assai, e da tutti pigliare quelle piü belle parti che si veggono in essi, e di quelle dapoi fame una bella composizione tutta ristretta in quell'opera che tu vuoi fare." - Die antike Künstleranekdote über den Maler Zeuxis, der das Porträt der Helena dadurch unübertroffen gestaltete, daß er von fünf lebenden weiblichen Modellen deren schönste Einzelteile zu einem Bild kombinierte, wird hier auf die Skulptur übertragen. Uberliefert bei Plinius d.A., Naturalis historia, 35,64; vgl. dazu auch Kris/Kurz, Die Legende vom Künstler, S. 69 f.; 89; Krems, Der Fleck auf der Venus, S. 45. 284 Für den zerstückelten antiken Koloß errechnet Cellini nach eigenhändigen Messungen eine Größe von ca. 20 braccia ausgehend vom Umfang des überlieferten Kopffragments, während sein Mars „della grandezza di quaranta braccia in circa" sein sollte (Opere, pp. 836s.). Vgl. auch Jestaz, Benvenuto Cellini et la cour de France, p. 120. 285 Vgl. Stritt, Die schöne Helena in den Romruinen, S. 79 f. Zu Kolossalstatuen im Imperium Romanum vgl. Plinius d.Ä., Naturalis historia, 34,39-47. Vgl. auch die Passage aus Alvarottis bereits erwähntem Brief vom 29.1.1545 (in: Dimier, Une piece inedite sur le sejour de Benvenuto Cellini ä la cour de France, p. 88): „une statue, ä ce qu'il dit, de dimensions plus grandes qu'aucune de Celles que les Romains aient faites ä connaissance d'homme"; hierzu auch Pope-Hennessy, Cellini, p. 142.
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werden wollte, ist ebenfalls fraglich, zumal er zu diesem Zeitpunkt eine erneute schwere Niederlage gegen Karl V. zu verkraften hatte.286 Auch die heroische Nacktheit der Kolossalstatue wäre im Bereich des Herrscherporträts ein kaum tolerierbares novum gewesen. So erstaunt es auf längere Sicht nicht, daß die Patronagebeziehung zwischen Cellini und dem französischen König nicht von Dauer war - und daß sie auf charakteristische und fast zwangsläufige Weise scheiterte.287 Dies lag weniger an den Intrigen, in die Cellini sich ständig verstrickt sieht, weil das Schicksal ihm angeblich feindlich gesonnen ist. Auch daß er keinen Höfling, sondern einen Künstler und damit in seiner Selbstdarstellung das genaue Gegenteil des idealen Höflings abgeben möchte, wie ihn Castiglione im Cortegiano gezeichnet hat;288 daß er so einen Gegentypus zumpictor doctus Rosso repräsentieren will; 289 daß er als Exzentriker, der bezeichnenderweise „hof-fern" in Paris und nicht in Fontainebleau angesiedelt ist,290 die höfischen Mechanismen nicht durchschaut und sich daher nicht effizient gegen Hofintrigen wehren kann, sind nur vorgeschobene Argumente zur Selbstentlastung. De facto wird auch Cellini wie so viele Italiener am französischen Hof vor ihm ein Opfer der falsch gedeuteten „familiarite fran9aise": 291 „Quando quel gran Re s'awidde che io non aveva fatto quel capitale che meritavono quelle sue inusitate e gran carezze, mi comando con una grande e paventosa voce che io non parlassi piü parola, che guai a me." 292 Ein weiterer Faktor in der Anbahnung des Zerwürfnisses war auch ein Strukturwandel in der bislang exklusiven Zweierbeziehung wortloser Verständigung zwischen dem Künstler und dem König, die sich zu einer Dreierbeziehung ausweitete, da Frar^ois Ier zunehmend dem Einfluß seiner Mätresse Mme d'Etampes unterliegt.293 Aber der entscheidende Punkt für den Bruch ist eine von der strukturellen Logik der Patronage her untolerierbare Grenzüberschreitung Cellinis: Nicht die Tatsache, daß er Aufträge eigenständig ausführt - zum Teil auch vom ursprünglichen Entwurf abweichend - , stört den König. Und im Falle der Saliera hatte Frangois auch nichts dagegen einzuwenden gehabt, daß Cellini aus freien Stücken bereits einen Entwurf für ein Salzfaß angefertigt hatte, das zu einem in Auftrag gegebenen Becken paßte. Denn dieser Vorgriff war noch in die Strukturlogik gegenseitigen
2 8 6 Vgl. Weislogel, Rosso Fiorentino, Benvenuto Cellini and Clement Marot, pp. 306f. 2 8 7 Vgl. auch Janson, The Birth of „Artistic License": The Dissatisfied Patron in the Early Renaissance. 288 Vgl. Rossi,
Sprezzatura,
Patronage, and Fate, p. 64; Link-Heer, „Fare" und „dire" in der „Vita"
Cellinis, S. 180f.; Lucas, L'artiste et l'ecriture, p. 75. 2 8 9 Vgl. Pope-Hennessy, Cellini, p. 80. 2 9 0 Jestaz, Benvenuto Cellini et la cour de France, p. 80 verweist auf dieses Moment der Isolierung, das eine Integration in die italienische Künstlerkolonie in Fontainebleau verhinderte. Bei der Selbststilisierung Cellinis als eines „artiste isole, marginal, travaillant ä l'ecart, aussi craintif de la critique que convaincu de sa superiorite" könnte es sich erneut um Michelangelo-Imitation handeln. 291
Vgl. erneut Smith, Familiarite fran^aise et politesse italienne und Kapitel 2.1. dieser Arbeit.
292 Vita, p. 481. 293 Giulio Alvarotti kolportiert in seinem Bericht vom 29. Januar 1545 an den H e r z o g von Ferrara, daß Cellini eben diese Exklusivität der Verantwortlichkeit gegenüber dem König einforderte, als er sagte: „Io non ho da dar conto delle opere mie ad altri che a soa Maesta rispose ella [Mme d'Etampes] che ti pareria se tu ne hauessi a dar conto anche ad altri che a soa Maesta? disse ben uenuto se io hauessi a darne conto ad altri non starei seco" (Dimier, U n e piece inedite sur le sejour de Benvenuto Cellini ä la cour de France, p. 95).
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5. „Rex artifex": Spezifika der Kunstpatronage
unter Frangois Ier
Einverständnisses integriert gewesen: Der Künstler kannte die Bedürfnisse des Königs bereits, bevor dieser sie ausgesprochen hatte. Außerdem handelte es sich um einen nur kunsthandwerklichen Entwurf, der durch die Funktionsergänzung - zu einer Schale, die Essen enthalten soll, gehört ein Salzfaß - legitimiert, wenn nicht gar gefordert wurde. Anders sieht es jedoch bei einer Reihe von Werken aus, die Cellini gänzlich ohne Auftrag ausführt, wodurch er sich selbst in der fristgerechten Ausführung königlicher Aufträge behindert. Autonom im Sinne von auftragslos entstehen „sanza saputa del Re [...] una testa di Iulio Cesare, col suo petto, armata, grande molto piu del naturale, qual ritraevo da un modello piccolo che io m'avevo portato di Roma, ritratto da una testa maravigliosissima antica", ein ebensogroßer Porträtkopf einer „bellissima fanciulla, che per mio diletto carnale a presso a me tenevo", 294 der Cellini den Namen „Fontana Belio" gibt, und drei Silbergefäße, zwei davon auf eigene Kosten. Cellinis entschuldigende Bemerkung, er habe eines davon ohne Auftrag angefertigt, „per mostrare a vostra Maestä quella bella maniera degli antichi, qual forse prima lei di tal sorte non aveva vedute", 295 dürfte den König zusätzlich erbost haben, hielt er sich doch für einen ausgewiesenen Kunst- und Antikenkenner. 296 Daß dem Künstler das Wagnis dieser selbsterteilten Aufträge durchaus bewußt war, zeigt seine Formulierung im Trattato della Scultura: „mi crebbe tanto gagliardissimo animo che io mi messi a maggior fatiche" - „gagliardo" bedeutet kühn, kräftig, feurig, bekommt allerdings durch den Superlativ die nicht ungefährliche Bedeutungserweiterung in Richtung tollkühn, überhitzt. 297 Cellinis habituelle Ironieresistenz macht die Sache nicht besser, denn er überhört entscheidende, zu diesem Zeitpunkt noch freundschaftlich-dezente Hinweise des Königs auf diese untolerierbare Grenzüberschreitung: „State di buon cuore, Benvenuto mio, che io sono uomo per premiare le vostre fatiche meglio e piü volontieri che tutti Ii uomini del mondo." 2 9 8 Aber Benvenuto ist nicht zu bremsen und erzählt ungehemmt und narzistisch von seinen wunderbaren Projekten. 299 Auch die sicherlich als feine Ironie zu wertende Bemerkung des Königs, er wolle ihm in Fontainebleau seine „propria camera" zur Vollendung des Marsprojekts überlassen, versteht Cellini nicht. 300 Wer je in Fontainebleau war, weiß, daß die chambre du. roi von sehr geringen Ausmaßen war und sich keinesfalls als Bildhaueratelier nutzen ließ.
294 Vita, pp. 423s. 295 Vita, p. 479. 296 Vgl. Vita, p. 472 anläßlich der Jupiter-Präsentation: „Subito disse il Re: ,Questa e molto piü bella cosa che mai per nessuno uomo si sia veduta, e io, che pur me ne diletto e 'ntendo, non n'arei immaginato la centesima parte". Da seine italienischen Expeditionen den König jedoch nur nach Mailand und Pavia geführt hatten, konnte er römische Antiken nicht aus eigener Anschauung kennen. Darauf verweist auch Primaticcios Bemerkung über seine Antikenabgüsse, die Cellini ihm in seiner Vita in den Mund legt (p. 462): „E diceva al Re che quando sua Maestä avessi dappoi veduto quelle meravigliose opere, allora saprebbe ragionare dell'arte del disegnio: perche tutto quello che gli aveva veduto di noi moderni era molto discosto dal ben fare di quelli antichi." 297 298 299 300
Trattato della Scultura, p. 842. Ibid., p. 843. Vgl. Duranton-Mallet, Propositions pour une lecture analytique de „La Vita". Trattato della Scultura, p. 843. Sollte Cellini in dieser erneuten Szene der Selbstnobilitierung die französische Terminologie der Raumbezeichnungen richtig wiedergeben, so handelte es sich in seiner Fiktion um die chambre du roi, also um das Schlafzimmer des Königs.
5.2. Der autonome
Outlaw am französischen
Hof: Benvenuto
Cellini
191
Der endgültige Bruch schließlich nimmt seinen Ausgang von den Silbergefäßen: Als der König sie betrachtet, wird er „isdegnato",301 er wechselt das Idiom und spricht Cellini in dessen Muttersprache an, wohl in der Absicht, sich diesmal unmißverständlich auszudrücken: „Benvenuto, voi sete un gran matto: portatene questi vasi a Parigi, perche io gli voglio dorati".302 Danach bricht er die Kommunikation ab, wirft Cellini nur noch wortlos einen „sguardo terribile" 303 zu und läßt ihn die ganze Macht seiner königlichen terribilitä spüren. Wie subtil und subversiv Francois selbst auf verordnete Reziprozität und Symmetrisierung von Handlungsabläufen reagieren konnte, wenn es darum ging, seine Autonomie unter Beweis zu stellen, hatte er beim Treffen mit Henry VIII auf dem Güldenen Feld gezeigt.304 Aber die Ordnungsstörung darf im monarchischen, vorabsolutistischen Herrschaftsverständnis nur vom Inhaber der Ordnungsmacht selbst vollzogen werden, vom Herrscher, der sich gerade dadurch als Souverän legitimiert. Da Fran£ois Ier diese Art von Störung als autonomen Herrschaftsakt allein für sich selbst in Anspruch nehmen durfte, wenn er die Souveränität seiner königlichen Stellung wahren wollte, mußte er auf Cellinis Amtsanmaßung, die einem crimen laesae maiestatis gleichkam, derart drastisch reagieren. Das Patronageverhältnis, von dem Frangois Ier augenscheinlich gehofft hatte, daß es ein bis zum Lebensende Cellinis andauerndes wäre - wie die lettre de naturalisation für den Künstler nahelegt305 - , konnte auf dieser Basis nicht fortgesetzt werden. Die überschießende Dynamik, die Cellini überhaupt erst zum idealen Hofkünstler für Fran£ois Ier qualifiziert und die Patronagebeziehung ermöglicht hatte, wird ihm nun zum Verhängnis. Der ihr innewohnenden Uberbietungsdynamik folgend, muß sie sich immer weiter entwickeln und damit auch Grenzen überschreiten, die nicht überschritten werden dürfen. Wirklich entscheidend für den Bruch ist somit die Tatsache, daß bei Cellini die mäßigenden Gegenkräfte zur Risikobereitschaft und zur bis an die Grenzen der Verwegenheit gehenden Kühnheit nicht hinlänglich ausgebildet sind. Sein sanguinisches Gemüt und seine Hitzköpfigkeit brechen sich - in seiner Darstellung - auch gegen seine besten Absichten immer wieder Bahn.306 Während der Präsentation der Jupiter-Statue in der Galerie hatte der König Cellini in der Auseinandersetzung mit Mme d'Etampes, die sich an der uncourtoisen Geste entzündet hatte, das Wort verboten - so, als habe er ihn vor seiner eigenen unkontrollierten Leidenschaftlichkeit schützen wollen. Die konvulsivisch-„manieristischen" Verrenkungen, mit denen Cellini seine Wut sprachlos wie in einer Ornamentgroteske ausdrückt,307 sprechen für diese Diagnose.308 Zwar verfügt er in seinem künstlerischen Han301 302 303 304 305 306
Cellini, Vita, p. 484. Ibid. Ibid. Vgl. Kapitel 4.1.5. dieser Arbeit. Vgl. Bliss, Cellini's Satyrs f o r the Porte Doree, p. 75. Zum „feurigen" Temperament des Goldschmieds: Orsini, II fuoco nella Vita di Benvenuto Cellini. 307 Vita, p. 473: „Non possendo io parlare, con gran passione mi scontorcevo: causa che lei piü sdegniosa brontolava; e il Re, piü presto assai di quel che gli arebbe fatto, si parti, dicendo forte, per darmi animo, aver cavato di Italia il maggior u o m o che nascessi mai, pieno di tante professione." Vgl. Fontes-Baretto, La grande illusion, p. 242.
308 Vgl. hierzu auch Bredekamp, Cellinis Kunst des perfekten Verbrechens, S. 346: „Autonome Energien zeigt auch der Körper, bei dem einzelne Organe wie etwa die zu lose Zunge und die unersättlichen Augen auch gegen seinen Willen agieren [...]."
192
5. „Rex artifex": Spezifika der KunstpMronage
unter Frangois Ier
dein - beispielsweise im entscheidenden M o m e n t des Perseusgusses - über Kaltblütigkeit, Geistesgegenwart und Gelassenheit, 309 doch am diffizileren sozialen Handeln scheitert der Parvenu, so eben auch im Umgang mit seinem Auftraggeber. 310 Hier treibt er seine ungezügelte und nicht hinlänglich rationalisierte Autonomie zu weit; die Kehrseite des kreativkünstlerischen Furor ist der Wutausbruch, das unkontrollierte Hinausschießen über die Grenzen des Schicklichen. 311 U n d so schafft der autonome Künstler, der Strukturlogik der Weiterentwicklung und Erschließung neuer Freiräume folgend, schließlich auch auftragslose Kunst und kündigt damit implizit die Struktur der reziproken Abhängigkeit auf. 312 Der König seinerseits hält dem Geistesaristokraten, der die Standesregeln nicht eingehalten hat, seine weltliche Zwangsgewalt entgegen, indem er ihm die materielle Grundlage für seine Kunstausübung entzieht. Der Bruch ist somit bereits vollzogen, die habituelle Ubereinstimmung nachhaltig gestört. Es ist weder Madame d'Etampes, die Cellini das Leben am französischen Hof so unerträglich macht, daß er nach Italien zurückkehrt, 3 1 3 noch ist es der Künstler, der keine Autorität akzeptiert und daher seinerseits das Patronageverhältnis einseitig aufkündigte. 3 1 4 Die programmatische Anklagerede an den allzu autonomen Künstler, die Cellini dem beleidigten Mäzen in seiner Vita in den M u n d legt und die so klingt, als habe Fran9ois I er Warnkes Hofkünstler gelesen, zeigt deutlich, w o r u m es wirklich ging: Gli e pure grandissima cosa, Benvenuto, che voi altri, se bene voi sete virtuosi, doverresti cognioscere che quelle tal virtü da per voi non le potete mostrare; e solo vi dimostrate grandi mediante le occasione che voi ricevete da noi. Ora voi doverresti essere un poco piü obbidienti, e non tanto superbi e di vostro capo. Ιο mi ricordo avervi comandato espressamente che voi mi facessi dodici statue d'argento; e quello era tutto il mio desiderio. Voi mi avete voluto fare una saliera, e vasi e teste e porte, e tante altre cose, che io sono molto smarrito, veduto lasciato indrieto tutti i desideri delle mie voglie, e atteso a conpiacere a tutte le voglie vostre: si che pensando di fare di questa sorte, io vi darö poi a divedere come io uso di fare, quando io voglio che si faccia a mio modo. Pertanto vi dico: attendete a ubbidire a quanto v'e detto, perche stando ostinato a queste vostre fantasie, voi darete del capo nel muro.315 Cellini glaubt immer noch, seinen Kopf mit einer seiner vielen überinstrumentierten Verteidigungsreden erfolgreich aus der Schlinge ziehen zu können. D o c h der Bruch ist von Seiten des Königs bereits endgültig: Der von seiner eigenen Genialität verblendete Künstler meint irrigerweise, der König sei so begeistert von seinen „gran parole tanto maravigliosamente umile e tanto altamente süperbe", 3 1 6 daß er sie aus diesem G r u n d nochmals vor Publikum wiederholt. Auch die Tragweite der zynischen Bemerkungen F r a n c i s ' , ihn 309 Vgl. Gatto, Benvenuto Cellini, p. 8. 310 Vgl. hierzu die decouvrierende Stelle am Ende von Cellinis Selbstverteidigungsrede, Vita, p. 480: „solo parendomi che voi si gran Re e io quel poco artista che io sono, dovessi fare per vostra gloria e mia una statua, quale gli antichi non ebbon mai." 311 Vgl. Orsino, II fuoco nella Vita di Benvenuto Cellini, p. 99. 312 Bezeichnenderweise fordert Frangois in seiner Strafpredigt in der Vita, p. 481 die Wiederaufnahme der Reziprozität explizit ein, wenn er sagt: „che non mai piü io arei diferenza seco, perche m'aveva conosciuto; e che ancora io m'ingegniassi di cognioscere sua Maestä, si come voleva il dovere." 313 Wie Jestaz, Benvenuto Cellini et la cour de France, pp. 125s. annimmt. 314 Wie Roberto Zapperi in seinem Referat von Jestaz' Aufsatz kritisch anmerkt: Von Vorhaltungen unbeeindruckt, S. N3. 315 Vita, pp. 478s. 316 Vita, p. 482.
5.2. Der autonome
Outlaw am französischen
Hof: Benvenuto
Cellini
193
durch Erhängen am Verlassen von Frankreich hindern zu wollen, verkennt er vollkommen. Als Frangois de Bourbon im Scherz anbietet, Cellini am Halse aufzuhängen, damit der König ihn auf immer in seinem Reich halten könne, erwidert dieser: „che era molto contento che San Polo m'inpiccassi, se prima lui trovava un altro par mio: che, con tutto che io non l'avessi mai meritata, gliene dava piena licenzia". 317 Die einzelnen Kunstwerke Cellinis waren von dem Verdikt als Virtuosenstücke nicht betroffen; diese weiter hochzuschätzen, wäre der König sicher bereit gewesen. Doch ein anderes Problem trug dazu bei, daß es Frangois I er nicht allzu schwer fiel, in Zukunft auf Cellini als Hofkünstler zu verzichten: Sowohl bei der Saleria als auch beim Marsprojekt bestand eine deutliche Disproportionalität zwischen dem Einsatz künstlerischer Mittel und der Verwendungsmöglichkeit des Kunstwerks. Denn das Salzfaß war trotz der konstatierten herrschaftlichen Zugriffsbeschränkungen und geistreichen Allusionen dennoch nur ein Tischspielzeug.318 Im Mars erschöpft sich die Autonomie des Künstlers dann gänzlich im Überbietungsgestus und wird dadurch zu leerer Virtuosität, die die ernsthafte Hingabe an eine Künstler und Auftraggeber gemeinsame Sache in egoistischer Selbstverwirklichungssucht aufkündigt. In seiner sich zunehmend verselbständigenden Selbstinszenierung entgleitet der Künstler der Berechenbarkeit strukturell-habitueller Verläßlichkeit für den Mäzen. Doch damit nicht genug: Cellini beging einen weiteren Angriff auf die königliche Souveränität, der ihm in seiner selbstzentrierten Verblendung ebenso entgangen sein wird wie die zarteren Hinweise des Königs auf diverse faux-pas. Der Mäzen ist in einer Patronagebeziehung ja nicht auf die materielle Funktion des Geldgebers reduziert. Durch die Förderung bestimmter Kunst bekräftigt und sichert er ihre allgemeine Geltung, was seiner Deutungshoheit über die Kunstwerke korrespondiert. Der König selbst ist der autoritative Interpret und Kritiker der von ihm geförderten Kunst. Cellini aber meint, dem König erklären zu müssen, was seine Kunst wirklich bedeute. Indem er sich - entgegen allen Beteuerungen in der Vita - eben doch in typischer Selbstüberschätzung auf das Terrain des Redens über Kunst statt des Machens von Kunst begibt, macht er dem Herrscher die Deutungsmacht streitig und verletzt damit dessen Souveränität.319 Die beiderseitige Verpflichtung auf verbindliche und allgemeine Gültigkeit der autonomen künstlerischen Hervorbringung wird daher durch das Beharren des Künstlers auf absoluter Individualität und autonomer Einzigartigkeit ausgehebelt. Cellini war somit als Hofkünstler nicht mehr tragbar. Daß er in der Vita versucht, den Fall als Kündigung von seiner Seite und damit erneut als autonome und selbstbestimmte Entscheidung darzustellen, verwundert in Anbetracht seiner hinlänglich beschriebenen charakterlichen Disposition nicht. 317 Vita, p. 483. 318 Peter Metz glaubte in einem Miniaturautomaten aus dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts, der eine Kriegerfigur mit Pfeil und Bogen darstellt, ein Porträt des französischen Königs entdeckt zu haben. Diese mit einem Muskelpanzer bekleidete Statuette, die er stilistisch und inhaltlich dem Porträt des Königs in der „Unite de l'Etat" anzunähern versuchte, hätte damit eine ähnliche Funktion als Tafelspielzeug wie Cellinis Saleria gehabt; vgl. id., Ein automatisches Tafelspielzeug der Renaissance, passim, v. a. p. 33. 319 Vgl. Fontes-Baretto, La grande illusion, p. 235: „Quant a Benvenuto, il va etre non seulement l'interprete, mais le revelateur des intentions artistiques de Frangois I er , qui est ainsi amene ä prendre progressivement conscience de l'ampleur de ses projets et de la qualite de ses ambitions. Cellini attribue en somme ä Benvenuto une fonction pedagogique: c'est lui qui eduque le monarque au role de mecene"; vgl. ibid., p. 243.
Godefroy le Batave, Francois I er trifft Caesar im Wald von Fontainebleau, in: Commentaires de la guerre gallique, vol. 2, 1519, ms. fr. 13429, fol. 4v, Bibliotheque Nationale, Paris
2
Jean Clouet, Frangois I er , vor 1525, Musee Conde, Chantilly
3
Jean Clouet und anonymer Illuminator, Vertrag von Amiens, 18. August 1527, Public Record Office, London
4
Jean Clouet, Frangois I er , nach 1526, Louvre, Paris
6
Frangois Clouet (?), Frangois I er zu Pferde, um 1537/40, Uffizien, Florenz
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7 Anonym (Niccolö Belin da Modena zugeschrieben), Allegorisches Porträt von Frangois Ier, um 1532/37, Bibliotheque Nationale, Cabinet des Estampes, Paris
8
Parmigianino, Porträt Karls V., 1529/30, Rosenberg & Striebel, N e w York
9
10
Rosso Fiorentino, Madonna mit dem Kind und Heiligen, 1522, Galleria Palatina, Palazzo Pitti, Florenz
Andrea del Sarto, Madonna mit dem Kind, der Hl. Elisabeth, dem Johannesknaben u n d z w e i E n g e l n , 1515/16, L o u v r e , Paris
11 Rosso Fiorentino (?), Madonna mit dem Kind in der Glorie, 1513/14, Eremitage, St. Petersburg
12
Agnolo Bronzino, Sogenannte Allegorie (Venus und Cupido), um 1545, National Gallery, London
13 Jacopo da Pontormo (nach Michelangelo), Venus und Cupido, um 1533, Uffizien, Florenz
14
Raffael (und Giulio Romano), Heilige Familie Francois' I er , 1518, Louvre, Paris
15
Agnolo Bronzino, Doppelporträt des Zwerges Morgante, vor 1553, Galleria Palatina, Palazzo Pitti, Florenz
Anonym, Das Treffen auf dem Güldenen Feld, 1540er Jahre, The Royal Collection, Hampton Court
17
Rosso Fiorentino, Porträt eines jungen Mannes (Selbstporträt [?]), um 1515/18, Staatliche Gemäldegalerie, Berlin
18
Rosso Fiorentino, Mars wird seiner Waffen entkleidet und Venus zugeführt, um 1530, Departement des arts graphiques, Louvre, Paris
19
Rosso Fiorentino, Moses beschützt die Töchter des Jethro, um 1523, Uffizien, Florenz
20
Sandro Botticelli, Szenen aus dem Jugendleben des Moses, 1481/82, Sixtinische Kapelle, Vatikan
22
Benvenuto Cellini, Vorzeichnung zur Juno, nach 1540, Louvre, Paris
23
Rosso Fiorentino und Mitarbeiter, um 1534/39, Galerie Frangois I er , Fontainebleau
25
Detail (Fontainebleaukartusche) aus Tfl. 24
26
Rosso Fiorentino und Mitarbeiter, sog. Combat des Centaures et des Lapithes, um 1534/39, Galerie Francois I er , Fontainebleau
27
Michelangelo, Kentaurenschlacht, 1492/94, Casa Buonarroti, Florenz
28
Rosso Fiorentino und Mitarbeiter, sog. Education d'Achille, um 1534/39, Galerie Fran$ois I er , Fontainebleau
29
Rosso Fiorentino und Mitarbeiter, sog. Jeunesse perdue, um 1534/39, Galerie Frangois I er , Fontainebleau
30
Rosso Fiorentino und Mitarbeiter, sog. Vengeance de Nauplius, um 1534/39, Galerie Frangois I er , Fontainebleau
31
Rosso Fiorentino und Mitarbeiter, sog. Mort d'Adonis, um 1534/39, Galerie Frangois I er , Fontainebleau
32
33
Giulio Romano, Tapisserie „Die Schlacht im Tessin", 1533/34 (?), Louvre, Paris
Francesco Primaticcio, sog. Danae, um 1534/39, Galerie Frangois I er , Fontainebleau
34
35
Rosso Fiorentino und Mitarbeiter, sog. Piete filiale, um 1534/39, Galerie Frangois I er , Fontainebleau
Rosso Fiorentino und Mitarbeiter, sog. Cleobis et Biton, um 1534/39, Galerie Frangois I er , Fontainebleau
37
Rosso Fiorentino und Mitarbeiter, sog. Elephant fleudelyse, um 1534/39, Galerie Francois I er , Fontainebleau
38
39
Rosso Fiorentino und Mitarbeiter, sog. Unite de l'etat, um 1534/39, Galerie Francois I er , Fontainebleau
Rosso Fiorentino und Mitarbeiter, sog. Sacrifice, um 1534/39, Galerie Frangois I er , Fontainebleau
40
Rosso Fiorentino und Mitarbeiter, sog. Ignorance chassee, um 1534/39, Galerie Frangois I er , Fontainebleau
41
Rosso Fiorentino, Erschaffung Evas und Sündenfall, 1524, Cappella Cesi, S. Maria della Pace, Rom
42
43
Francesco Primaticcio, Kamindekoration (nach Giulio Romano), um 1533-37, C h a m b r e de la Reine, Fontainebleau
Tapisserie nach Leonardo da Vincis Abendmahl, k u r z vor 1515, Vatikanische Museen, R o m
45
Francesco Primaticcio, Venus, 1543, Galerie de la Diane, Fontainebleau
46 Francesco Primaticcio, Charabre de M m e d'Etampes, 1541-44, Fontainebleau (Apelles und Kampaspe)
47
Tapisserie „Cleobis et Biton", um 1540-47, Kunsthistorisches Museum, Wien
49
Giulio Romano, Detail aus: Sala dei Giganti (Architektur stützender Gigant), 1534, Palazzo del Te, Mantua
50
Francesco Primaticcio, Venus in den Wolken, um 1543/46, Louvre, Paris
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie und die königliche Deutungshoheit
Wie F r a n c i s I er die sich der inhaltlichen Festlegung sogleich wieder entziehende manieristische Kunst nutzte, um seinem Herrschaftskonzept bildlichen Ausdruck zu verleihen, soll exemplarisch am Kernstück königlicher Selbstdarstellung, der Galerie in Fontainebleau, die ursprünglich als „Grande" in den Quellen figuriert, später dann in Galerie F r a n c i s Ier umbenannt wird, analysiert werden. Nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft in Madrid 1526 hatte Frangois offensichtlich die Hoffnung auf eine erfolgreiche expansive Italienpolitik aufgegeben. Wie gezeigt, setzte er von jetzt an auf die Selbststilisierung als Förderer und Freund der Künstler. Seit 1528 baute er den bis dahin unbedeutenden Jagdsitz Fontainebleau zu seiner Hauptresidenz aus. Das Zentrum dieser Neugestaltung war die Galerie, die die cbambre du roi (ehemals die chambre de la reine, also die Gemächer seiner Mutter Louise de Savoie) mit dem Konvent und später mit der Kapelle der Trinitarier im Westen verband. Ihre Funktion erschöpfte sich jedoch nicht darin, ein reiner Verbindungsgang zu sein.1 1533 waren die Bauarbeiten beendet, 1532 hatte Rosso begonnen, Pläne für die Ausgestaltung zu entwerfen, die Stukkaturen wurden 1534 in Angriff genommen und bis spätestens Frühjahr 1537 fertiggestellt, die Fresken wohl bis zum Besuch Kaiser Karls V. 1539.2 Nach diesem Zeitpunkt hielt sich F r a n c i s I er häufiger in Fontainebleau auf als in jeder seiner anderen Residenzen - im Zeitraum zwischen 1539 und 1546 überflügelte Fontainebleau mit 491 Tagen königlicher Präsenz Paris (247 Tage) und Saint-Germain (153 Tage) bei weitem.3 Die italienischen Manieristen in Frankreich waren bekanntlich Exilanten, die der französische König - in Kenntnis ihrer Fähigkeiten und ihrer Kunstwerke - gewissermaßen importiert hatte. Er schuf in Fontainebleau bewußt ein ausgesprochen angespanntes Konkurrenzverhältnis unter seinen Künstlern, das wiederum anregend auf ihre künstlerische Experimentierfreudigkeit wirkte. Insbesondere gilt dies für die Beziehung zwischen Rosso
1 Hierzu Auclair, L'invention decorative de la galerie F r a n c i s I er , p. 9. 2 Zur Baugeschichte der Galerie, die hier nicht erneut detailliert behandelt werden muß, vgl. Roy, La Galerie de F r a n c i s I er ; Pressouyre, Le cadre architectural; B o u d o n / B l e c o n / G r o d e c k i , Le chateau de Fontainebleau, pp. 3 1 - 3 3 ; 150; 156; Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, pp. 2 2 2 - 2 2 6 . 3 Vgl. hierzu die Statistik bei Chatenet, La cour de France, pp. 320s. Paris und Saint-Germain sind auf die gesamte Regierungszeit Frar^ois' gesehen - die meistbewohnten Residenzen, unmittelbar gefolgt von Fontainebleau.
196
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
und Primaticcio, aber auch zwischen Primaticcio und Benvenuto Cellini. Doch diese innovationsfördernde Konkurrenz bleibt nicht auf Fontainebleau beschränkt: Frangois Ier tritt damit ganz bewußt in einen künstlerischen Überbietungswettstreit mit den Kulturzentren an den oberitalienischen Höfen - allen voran Mantua - einerseits, mit dem päpstlichen Hof in Rom andererseits. Im Sinne eines gezielten „Kulturtransfers" stellt Primaticcios Aufenthalt am französischen Hof, der seit 1532 belegt ist, ein frühes Beispiel für grenzüberschreitenden Künstleraustausch dar. Der französische König, der doch bereits seit 1530 mit Rosso Fiorentino über einen erstklassigen Hofkünstler verfügte, der leicht mit seinen Mitarbeitern alle anfallenden Ausstattungsaufgaben hätte bewältigen können, verfolgte eine Strategie der internen Konkurrenzsteigerung, indem er noch einen weiteren Manieristen (und zwar gezielt aus Mantua) in seinen Dienst berief. 4 Zugleich fungierte Primaticcio vermutlich als Substitut für Giulio Romano, den unmittelbaren Raffael-Schüler, den Frangois I er als den herausragenden Avantgardekünstler der Nach-Raffael-Generation wohl noch lieber an sich gebunden hätte, wären dessen Kräfte nicht bereits gänzlich von seiner Tätigkeit für Federigo II. Gonzaga in Mantua beansprucht worden. 5 Wie Ute Daniel zu Recht bemerkt hat, ist der Hof die „unmittelbarste, kontinuierlichste und am stärksten durch den herrscherlichen Willen determinierte Einflußsphäre des Regenten". Der Hof allein stand ihm „als Spielraum für den Ausdruck und die Umsetzung seiner herrscherlichen Macht kontinuierlich zur Verfügung" 6 - seine Hauptresidenz, im französischen Falle Fontainebleau, darf somit als petrifiziertes Monument seines Herrschaftskonzepts betrachtet werden. Franjois I er wählte für seine Kunst- und Machtinszenierung bewußt einen Ort, der bislang noch nicht künstlerisch oder kunstpolitisch besetzt war, um dort frei neue Zeichen setzen zu können - wenn auch in Ausnutzung des zur Verfügung stehenden Zeichenarsenals der herrscherlicher Repräsentation. 7 Dieses künstlerisch-ideologische „Noch-nicht" der Leerstelle Fontainebleau kann sich 1528 in idealer Weise eines „Nicht-mehr" als Rekrutierungsfeld bedienen - der tabula rasa, zu der 1527 nördliche Landsknechte Rom gemacht hatten: Die Avantgarde manieristischer Künstler war nach dem Sacco di Roma auf der Suche nach neuen Auftraggebern, und dieses künstlerische Potential wußte der französische König, wie bereits gezeigt wurde, gezielt zu nutzen. 8 Dennoch ist Fontainebleau zugleich ein Ort, der ein Anknüpfen an die spezifisch französische Nationalmythologie und Herrschaftslegitimation ermöglicht: Der Donjon des alten
4 Zu Primaticcios Zeit in Mantua: Belluzzi, Primaticcio alla corte di Federico Gonzaga. 5 Das künstlerische Konkurrenzverhältnis zwischen Mantua und Fontainebleau würde eine eigene Untersuchung verdienen, die ich in einem zukünftigen Forschungsprojekt zu realisieren gedenke. Erste Hinweise bei Shearman, The Galerie Frangois Premier, passim. 6 Daniel, Hoftheater, S. 27. 7 Vgl. Arasse/Tönnesmann, Der europäische Manierismus, S. 376. Franijois I er wird dort zu Recht als ein Herrscher charakterisiert, „der die Kultur seines Landes, die er als überlebt betrachtet, beiseite räumen will und zu diesem Zweck einen künstlerisch bisher nicht ausgezeichneten O r t gewählt hat, an dem sich nach seinem Willen Moderne und kulturelles Prestige manifestieren sollen." 8 Es ist zutreffend bemerkt worden, daß die italienischen Künstler in Frankreich sich zwar innerhalb dieser Künstlerkolonie untereinander austauschten, von der umgebenden französischen Kunst jedoch keinerlei stilprägender Einfluß auf sie ausging; vgl. Jestaz, Les Italiens a Fontainebleau, p. 97 et passim.
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Baues stammt noch aus der Zeit des Heiligen Ludwig und wird bezeichnenderweise im Rahmen der Neu- und Umbaumaßnahmen unter Francois Ier nicht niedergelegt, um etwa eine Neustrukturierung der Cour ovale nach italienisch-symmetrischem Renaissancevorbild zu ermöglichen, sondern bewußt konserviert. Diese Kontinuität der lignee royale unterstreicht dann auch der Umzug Francois' Ier, der um 1535, nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 1531, die cbambre du roi in diesen Donjon und damit zugleich an den Eingang der im Bau befindlichen Galerie verlegt.9 Und auch die zaghaften Versuche einer architektonischen „Italianisierung" der Cour ovale bedienen sich wiederum eines zeichenhaft-akzentuierenden Einsatzes von Bauformen, die dadurch mehr zitathafte Anspielungen sind als großräumig gedachte Systematisierungen. Die eigentliche Repräsentation fand ohnehin mehr im Schloßinnern statt. Offensichtlich war es kein ästhetisches Ideal für den französischen König, einen repräsentativen Neubau aus einem Guß zu schaffen.10 Ihm schien die Bedeutungshaltigkeit seiner Architektur größer, wenn er gezielt an funktional herausgehobenen Stellen der bestehenden Architektur italianisierende Akzente setzte. Die architektonischen Allusionen an italienische Loggien, die (formal und proportional wenig befriedigend) in der Cour ovale „nachgebessert" wurden, waren hinreichend, um die Verfügungsgewalt des Königs über das italienische Motivarsenal, seine Fähigkeit, es in den national-französischen Kontext zu integrieren, und sein Recht, arbiträr damit umzugehen, zu dokumentieren. Die Italienrezeption der französischen Renaissance entspricht damit dem Umgang Frankreichs mit dem antiken Erbe in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.11 Die Nonchalance im Umgang mit italienischen Vorbildern, die den Betrachter auch in der Grande Galerie zuweilen über die Alternative von künstlerischem Unvermögen oder bewußter Nachlässigkeit spekulieren läßt, ist ein bewußt eingesetztes Stilmittel, das die französische Autonomie der Traditionsbildung ebenso unterstreicht wie die königliche sprezzatura in der Anverwandlung von Italienischem. Indem Francois I er eine Galerie als zentralen Repräsentationsraum seiner Residenz wählte, führte er eine genuin französische Bauform zum höchsten Grad ihrer Vollendung.12
9
Letzteres bezeichnen B o u d o n / B l e c o n / G r o d e c k i , Le chateau de Fontainebleau, p. 30 als Hauptmotiv für diesen Umzug.
10 Anne-Marie Sankovitch hat in ihren Untersuchungen zu St. Eustache in Paris die Anwendbarkeit des Gegensatzpaares Struktur versus Ornament auf die Architektur der französischen Renaissance in Frage gestellt (vgl. Sankovitch, Das Begriffspaar „Struktur / Ornament"; ead., Structure / Ornament). 11 Vgl. hierzu Kapitel 2.1. dieser Arbeit. 12 Vgl. Guillaume, La galerie dans le chateau Francois I er ; Arasse/Tönnesmann, Der europäische Manierismus, S. 9 0 - 9 4 ; Prinz, Die Entstehung der Galerie, v. a. Kap. III (Die Galerie Frangois I er in Fontainebleau und die ersten italienischen Galerien) und IV (Entstehung und Entwicklung der französischen Galerie) sowie die kritische Würdigung dieses Bändchens durch Volker Hoffmann in: Architectura 1 (1971), S. 102 ff.; Büttner, Die Galleria Riccardiana, v. a. Kap. 5: „Exkurs über Ursprung und Bedeutung der Galerie", S. 1 1 7 - 1 6 7 ; speziell zur Galerie in Frankreich: S. 1 3 8 - 1 4 9 ; Liesen, Architektur und Zeremoniell in den Schlössern Franz' I., S. 1 5 6 - 1 7 0 ; Prinz/Kecks, Das französische Schloß der Renaissance, S. 1 5 7 - 1 6 6 . - Eine unmittelbare Nachfolgerin in engstem räumlichen Zusammenhang hatte die Galerie von Schloß Fontainebleau in Serlios Galerie für Ippolito II. d'Este im Hotel du Grand Ferrare in Fontainebleau. Auch diese Galerie stellte die Verbindung zur Schloßkapelle dar. Vgl. hierzu Occhipinti, Ii „camerino" e la „galleria" nella Villa
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Das früheste Beispiel für einen Galeriebau in Frankreich, der diesen Namen tatsächlich verdient und nicht nur einen offenen oder geschlossenen Arkadengang bezeichnet, befand sich nach Wolfram Prinz im Schloß des Georges d'Amboise in Gaillon (1509), 13 der dort nachweislich drei Porträtstatuen aufstellte (darunter diejenige von Louis X I I ) . Auch Schloß Bury, vom königlichen Finanzverwalter Florimond Robertet errichtet, verfügte über eine Galerie (1514-24). 1 4 In Italien entstehen solche Galeriebauten dann rückwirkend erst unter französischem Einfluß; vorher benutzen italienische Quellen, die in Frankreich auf diesen neuen Bautypus stoßen, die hilfsweise Bezeichnung „loggia", um das Phänomen einem italienischen Publikum nahezubringen. 15 Die Galerie dient in ihrer Frühphase als Wandelgang (ambulacrum), zunehmend aber wird sie zum Aufbewahrungsort von Kunstsammlungen. Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, daß die Galerie an den antiken Raumtypus der ambulatio anknüpft, die bei Vitruv ein Peristyl oder eine langgestreckte Wandelhalle im Sinne der griechischen Stoa bezeichnet. 16 Damit ist die Funktion des Ortes als Raum des ästhetischen Erlebens in müßigem und ziellosem Hin- und Herspazieren einerseits, andererseits als Szenerie des politischen oder philosophischen Gesprächs bereits umrissen. Diese Kunstgespräche aber waren Teil einer machtpolitischen Nutzung der Galerie durch den König: „Innenpolitisch" hatte die kleine Elite der Hofgesellschaft Zugang zur Galerie und zum Gesellschaftsspiel ihrer Deutung. Der Souverän konnte sich im Kreis seiner Höflinge als der geistreichste Deuter seiner Kunstwerke profilieren und zugleich seine Hofgesellschaft mit Witz und Ironie auf höchstem Niveau unterhalten. 17 Doch auch im diplomatischen Verkehr und damit „außenpolitisch" wußte Francois I er seine Galerie zu nutzen und einmal mehr unter Beweis zu stellen, daß geistiger Wettstreit und Überbietung für ihn gleichermaßen künstlerische wie politische Kategorien waren. 18 Denn der Zugang führte durch seine Privatgemächer, und den Schlüssel trug er stets bei sich. Die Galerie war d'Este a Fontainebleau, pp. 622s. - Im Gegensatz zu Prinz und Büttner leitet Shearman den Bautypus der Galerie in Fontainebleau von italienischen vie coperte wie der strada pensile in Vigevano ab und bestreitet, daß es sich bei der Galerie um eine genuin französische Bauform handele; vgl. id., The Galerie F r a n c i s Premier, p. 7. 13 Büttner, Die Galleria Riccardiana, S. 142 spricht hingegen in diesem Fall nur von „Vorstufen zu dem Typus"; den eigentlichen ,,paradoxe[n] Schritt von Verselbständigung der Galerie bei gleichzeitiger Integration in den Schloßkomplex" sieht er erst in Bury vollzogen (ibid., p. 143). 14 Vgl. Prinz, Die Entstehung der Galerie, S. 8; 3 4 - 3 6 . 15 Z u m Beispiel Cellini, der in seiner Vita (pp. 470s.) über die „bella galleria" in Fontainebleau schreibt: „Questo si era, come noi diremmo in Toscana, una loggia, ο si veramente uno androne: piü presto androne si potria chiamare, perche loggia noi chiamiamo quelle stanze che sono aperte da una parte." Vgl. Prinz, ibid., S. 8; Büttner, Die Galleria Riccardiana, S. 150f. 16 Vitruv, D e Architectura, Liber VII, 5, p. 332; Prinz, Die Entstehung der Galerie, S. 7; Büttner, Die Galleria Riccardiana, S. 1 2 9 - 1 3 2 . - Occhipinti, II „camerino" e la „galleria" nella Villa d'Este a Fontainebleau, p. 622 verweist darauf, daß Jean Martin in seiner Vitruv-Ubersetzung den Begriff der „ambulationes" mit „galeries ou promenoires" wiedergibt. 17 Vgl. Miles, The Italians at Fontainebleau, p. 855: „The accumulation of these and other echoes, notably from the frescoes of Raphael and his workshop, and from the Antique, must surely be interpreted as part of the contrivance. It would probably be impossible to say how these things were seen by Rosso's audience at court, but one would like to think that they provided amusement, and were not just inert stuff used in a solemn attempt to refashion R o m e at Fontainebleau." 18 Vgl. hierzu vor allem McAllister Johnson, O n Some Neglected Usages of Renaissance Diplomatic Correspondance.
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kein Durchgangsraum, wie Shearman meint, „through which you would walk every d a y " ; 1 9 die Funktion, die verschiedenen Teile des Schlosses miteinander zu verbinden, übernahm vielmehr nach 1534 die ihr vorgelagerte Terrasse. 20 N u r ausgewählten Persönlichkeiten erlaubte der König, einen Blick in diesen zum Privatraum stilisierten Repräsentationsraum zu werfen, wie 1541 der Gesandte Ardinghello anläßlich der Führung des Nuntius Capodiferro durch die Galerie schreibt: „Ii N u n z i o ricordo a S. M " ( c o m ' altre volte gli aveva promesso) di mostrargli la galleria; onde S. M u con viso allegro, ci meno prima in camera, e poi nella galleria che vi e congiunta, nella quale galleria non fu intromesso altri che Ferrara, il N u n z i o et io con tre altre persone domestiche di S. Μ ώ et ella propria con aprirci le porte di sua mano [ . . . ] . " 2 i Die Funktion einer grande
salle - die in Fontainebleau aufgrund der räumlichen Enge
der bestehenden Bauteile bis zum Bau der Salle de Bai fehlte - übernahm die Galerie jedoch nicht: 2 2 Es fanden dort keinerlei größere zeremonielle Ereignisse wie Taufen, Bankette oder Feste statt - dieser Eindruck kann allerdings auch an der mangelnden Uberlieferung aufgrund der desolaten Quellenlage liegen. 23 A u c h als Studienort war die Galerie ungeeignet, 24 selbst wenn sie einige strukturelle Merkmale von studioli
aufweist: die nur vorgebliche
Privatheit eines funktional hochrepräsentativen Raumes und die öffentliche Inszenierung einer Zurückgezogenheit (unter anderem zu kontemplativen Zwecken), die sich in der Beobachtung durch andere überhaupt erst in ihrer Stilisierung entfaltet. 25 Andrew Carl
19 Shearman, The Galerie F r a n c i s Premier, p. 12. 20 Vgl. Beguin/Guillaume/Roy, La Galerie d'Ulysse, p. 36 und n. 74. 21 Erstmals abgedr. bei Occhipinti, II „camerino" e la „galleria" nella Villa d'Este a Fontainebleau, p. 632 und erneut bei Chatenet, La cour de France, p. 253. 22 Zu Raumdispositionen und ihren zeremoniellen Funktionen vgl. Paravicini, Zeremoniell und Raum; speziell zu den französischen Schlössern der Renaissance: Jestaz, Etiquette et distribution interieure dans les maisons royales de la Renaissance; Boudon/Chatenet, Les logis du roi de France au XVI C siecle; Boudon/Chatenet/Lecoq, La mise en scene de la personne royale en France au XVI e siecle; Chatenet, La cour de France; ead., Une demeure royale au milieu du XVI C siecle; Chastel, La demeure royale au XVI e siecle et le nouveau Louvre. 23 Weislogel, Rosso Fiorentino, Benvenuto Cellini and Clement Marot, p. 70. 24 Studiolo-Funktion hatte in Fontainebleau wahrscheinlich eine „camera" in den königlichen Gemächern um die Cour du Donjon, die Gilles Corozet in einem Gedicht von 1539 als „estude" bezeichnet und in der Teile der Bibliothek (vor allem Literatur zum Studium der artes sowie juristische und historische Literatur) zu Studienzwecken aufgewahrt wurde; vgl. Occhipinti, II „camerino" e la „galleria" nella Villa d'Este a Fontainebleau, pp. 605; 634s. 25 Dieses dialektische Moment einer „veröffentlichten" vita contemplativa findet sich bereits in Castigliones Cortegiano: Der Höfling muß sich gewissermaßen durch die Internalisierung eines Beobachters in seiner projizierten Außenwirkung andauernd selbstkritisch beobachten und jede seiner Handlungen der Reflexion unterziehen; er muß ein „giusto giudice di se stesso" sein (Cortegiano, lib. II, cap. XIII, p. 138). Vgl. auch ibid., lib. II, capp. VII/VIII, pp. 129s.: „Appresso consideri ben che cosa e quella che egli fa ο dice e Ί loco dove la fa, in presenzia di cui, a che tempo, la causa perche la fa, la etä sua, la professione, il fine dove tende e i mezzi che a quello condur lo possono; e cosi con queste awertenzie s'accommodi discretamente a tutto quello che fare ο dir vole. [...] e se poi se ritroverä armeggiare nei spattaculi publici, giostrando, torneando, ο giocando a canne, ο facendo qualsivoglia altro esercizio della persona, ricordandosi il loco ove si trova ed in presenzia di cui, procurerä esser nell'arme non meno attillato e leggiadro che sicuro, e pascer gli occhi dei spettatori di tutte le cose che gli parrä che possano aggiungergli grazia [...]."
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Weislogel unterschätzt daher in seiner sonst sehr aufschlußreichen Arbeit die politische Instrumentalisierung der Galerie, wenn er sie ausschließlich in die studiolo- und Kunstsammlungs-Tradition einordnet. Zwar spricht die erwähnte Tatsache, daß Bänke an den Wänden zur Einzelbildbetrachtung einluden, für den Sammlungsaspekt, zumal der Begriff „Galerie" bereits um 1600 synonym mit „Aufbewahrungsort einer Kunstsammlung" verwendet wird und in Fontainebleau der gesamte Galerietrakt in allen seinen drei Stockwerken (die Bäder mit Kopien aus der Gemäldesammlung des Königs, die Galerie und die Bibliothek) der Sammlungstätigkeit gewidmet war. Doch ist es mehr als unwahrscheinlich, daß sich Frar^ois I er in seine Galerie zurückzog, „to stretch his legs or divert his busy mind". Auch ein „solitary musing over the gallery's mysteries" wäre für den König nur Zeitverschwendung gewesen, da er neben den ausführenden Künstlern das Geheimnis seiner Galerie als unauflösbares Bilderrätsel und - wie zu zeigen sein wird - als programmatisch programmlos allein wirklich durchschaute. 26 Die angemessene Rezeptionshaltung angesichts eines solchen Deutungsspiels wäre - rein physisch gesprochen - eine doppelte: die ambulatio, also das vagierende Herumlaufen, das Suchen nach Motiven und formalen Analogien einerseits, die konzentrierte Einzelbildbetrachtung, sitzend auf der jeweils gegenüber angebrachten Bank, andererseits.27 Eine narrativ-sequentielle Struktur interagiert somit mit einer räumlich-fixierten Betrachtungsweise. Auf den Bänken gegenüber den einzelnen Fresken hatten jeweils genau zwei Personen Platz. 28 Damit ist der idealtypische Besichtigungsmodus der königlichen Kunst-Kammer durch den beschränkten Sitzplatz vorgegeben: Jeweils einen seiner hochgestellten Besucher konnte der König durch die Galerie führen und ihm das Dargestellte im intensiven Zwiegespräch erläutern.
6.1. Programmatische Programmlosigkeit Das rahmensprengend Innovative der Galerie von Fontainebleau besteht weniger in ihrer Bauform als in ihrer Ausstattung: Der französische König ließ sich von seinen italienischen Importkünstlern eine Ansammlung von istorie anfertigen, die durch ihre Integration in das Dekorationssystem der Wände einen Machtanspruch zementierte, der pronociert mit künstlerischen Mitteln vorgetragen wurde. 29 Und diese Mittel sind nun entgegen der indigenen französischen Bautradition ganz deutlich italienische und stehen in vielfältigem Bezug zu den bekanntesten zeitgenössischen künstlerischen Höchstleistungen in Italien über26 Weislogel, R o s s o Fiorentino, Benvenuto Cellini and Clement Marot, p. 63. Auch Zerner, L'art de la Renaissance en France, p. 67 bezeichnet die Galerie als „promenoir prive". 27 So McAllister Johnson, O n c e M o r e the Galerie, pp. 128f.: „[...] the long, narrow dimensions of the Galerie preclude its being taken in at a glance; and, therefore, its being entirely understood by the physical entity that is the itinerant visitor." 28 Loeffler, The Arts in the C o u r t of Francis I, p. 293; McAllister Johnson, O n c e M o r e the Galerie, p. 137. 29 Weislogel, R o s s o Fiorentino, Benvenuto Cellini and Clement Marot, p. 9 (dort spricht er von einer fest installierten und damit perpetuierten „fictive art collection"). Ibid., pp. 73-75 interpretiert er allerdings die Galerie im Gegensatz zu den Bädern: Die Präsentation der Fresken in der Galerie sollten diese als Teile der Kunstsammlung und somit als jederzeit abnehmbar darbieten, während die Bilder in den Bädern durch die Stuckrahmen zementiert waren.
6.1. Programmatische
Programmlosigkeit
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haupt: Raffaels Loggien, in deren Nischen unter Leo X . antike Statuen aufgestellt waren; 30 dem Dekorationssystem von Michelangelos Sistina-Decke; 31 schließlich dem Palazzo del Te in Mantua mit seinen raffinierten Stuckdekorationen und seiner überbordenden Materialvielfalt. Entsprechend der Funktionslogik manieristischer Kunst, die bereits in den Analysen von Bronzinos Londoner „Allegorie" und Rossos „Moses" herausgearbeitet wurde und die einer linear-erschließenden Darstellung per se entgegensteht, kann es im folgenden nicht darum gehen, eine inhaltlich-ikonographische Gesamtdeutung der Galerieausstattung in Fontainebleau zu bieten. Vielmehr soll gezeigt werden, daß sie strukturell einer Strategie gezielt eingesetzter Verschlüsselung und Hermetik folgt, die vom Herrscher im Akt des Zeigens als Herrschaftsinstrument und politische Uberlegenheitsdemonstration genutzt werden konnte und de facto genutzt wurde. Das „Programm" der Galerie setzt auf eine Ästhetik der intellektuellen Überwältigung des Betrachters durch ikonographische Finesse und subtile Zitate einerseits, Materialreichtum und -mischung andererseits.32 Im folgenden kann daher auch nur der Versuch einer exemplarischen Strukturbeschreibung dieser Verschlüsselungsstrategien unternommen werden, die meine Hypothese einer programmatischen Programmlosigkeit untermauern soll. Diese neue Betrachtungsweise der Galerie zielt zugleich darauf, frühere, um eindeutige Entschlüsselung bemühte Interpretationen kategorial in Frage zu stellen, indem sie den Aspekt des politischen Einsatzes von Kunst als Hauptkennzeichen der Galerieausstattung gegenüber einer rein ikonographischen Deutung hervorhebt. Kurzschlüssige Engführungen von formalen Beschreibungen und inhaltlich-biographistischen Interpretationen haben bislang nur wenig Aufschluß über die Funktion dieses Raumes im Rahmen der Herrschaftsausübung des französischen Königs gebracht. 33 Die Annahme Panofskys, der König habe in privatistischer Selbstverliebtheit Momente seiner Biographie und spezifische Inhalte seines Familienlebens in antiquarisch-ikonographischer Verbrämung darstellen lassen, geht an der tatsächlichen künstlerischen und politischen Intention dieses Dekorationsensembles vorbei, zumal diese Deutung noch auf der falschen Grundannahme beruhte, der Ausgangspunkt eines „korrekten" Besichtigungsablaufs des Galerieensembles liege an seiner Westseite und
30 Vgl. Shearman, The Galerie Frangois Premier, p. 8. 31 Vgl. Barocchi, II Rosso Fiorentino, pp. 118-124; Pressouyre, Les stucs, p. 17. Anhand der weiter unten genauer zu behandelnden Tapisserien in Wien nach Motiven der Grande Galerie in Fontainebleau läßt sich erkennen, daß auch die Farbigkeit der Galerieausstattung eng an Michelangelos Sistina-Kolorit anknüpfte - man sieht dies an den gut konservierten Teppichen deutlicher als an den Fresken in ihrem heutigen ruinösen Zustand; vgl. hierzu Gruber, Les tentures ä sujets mythologiques, p. 26; Stockhammer, „The Unity of the State", p. 474. 32 Rebecca Zorach ist in ihrer parallel zu meiner Untersuchung entstandenen Arbeit Blood, Milk, Ink, Gold. Abundance and Excess in the French Renaissance unabhängig von meinen Überlegungen zu ähnlichen Ergebnissen gekommen; vgl. ibid., pp. 38—48, v. a. p. 45: „Obscurity itself could serve a particular purpose, bolstering the king's authority as a controller of meaning." 33 Zorach, ibid., p. 77 hält dem entgegen, daß gerade die Darstellung zeitloser Mythen statt historischer konkreter Details aus dem Leben des Königs die zeitüberdauernde Wirkmächtigkeit der in der Galerie transportierten Botschaft garantieren sollte. Vgl. hierzu auch ihre Kritik an der Panofskyschen ein-eindeutigen Entschlüsselung der Galerie: „The Flower that Falls Before the Fruit", pp. 70-72; vgl. Jean Wirth, L'image medievale, pp. 14-22.
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nicht, wie neuere Forschungen überzeugend nachweisen konnten, im Osten, ausgehend von d e r chambre du roi.34 W e r d i e a u ß e r o r d e n t l i c h k o m p l e x e n I n h a l t e d e r G a l e r i e a u s s t a t t u n g v o r g e g e b e n h a t , ist n i c h t e i n d e u t i g z u b e s t i m m e n : E s k ö n n t e d e r K ö n i g selbst o d e r aber d e r a u s f ü h r e n d e K ü n s t l e r R o s s o g e w e s e n sein, d e n k b a r w ä r e a b e r a u c h d e r E i n f l u ß eines h u m a n i s t i s c h G e b i l d e t e n aus d e m U m k r e i s des Königs, 3 5 so des f r a n z ö s i s c h e n B o t s c h a f t e r s in Venedig, L a z a r e d e Bai'fs, o d e r des H o f b i b l i o t h e k a r s u n d Verfassers eines F ü r s t e n s p i e g e l s f ü r F r a n gois, G u i l l a u m e Budes. 3 6 E n t s p r e c h e n d d e n E r g e b n i s s e n m e i n e r U n t e r s u c h u n g d e r spezifis c h e n P a t r o n a g e s t r u k t u r a m H o f des f r a n z ö s i s c h e n K ö n i g s 3 7 ist j e d o c h a n z u n e h m e n , d a ß d e r K ö n i g selbst m a ß g e b l i c h f ü r die A u s r i c h t u n g d e r I n h a l t e u n d d e r e n G e s t a l t u n g war. 3 8 A l l e r d i n g s h a t m a n sich diese k ö n i g l i c h e n V o r g a b e n w o h l n i c h t als s c h r i f t l i c h fixiertes P r o g r a m m m i t S t e l l e n a n g a b e n aus d e n a n t i k e n A u t o r e n v o r z u s t e l l e n , die d e r K ü n s t l e r d a n n illustrieren d u r f t e . R o s s o w u r d e ja gerade a u f g r u n d einer s t r u k t u r e l l e n K o n g r u e n z d e r I n t e r e s s e n l a g e n z w i s c h e n A u f t r a g g e b e r u n d K ü n s t l e r ein g r ö ß t m ö g l i c h e r S p i e l r a u m a u t o n o m e r k ü n s t l e r i s c h e r E n t f a l t u n g g e w ä h r t . D e r K ö n i g v e r t r a u t e d a r a u f , d a ß i h m dieser K ü n s t l e r eine G a l e r i e gestalten w ü r d e , die seinen h e r r s c h e r l i c h e n u n d p o l i t i s c h e n I n t e r e s s e n in idealer Weise a n g e m e s s e n w ä r e . U n d in d e r Tat: R o s s o m a l t e u n d s t u c k i e r t e die Galerie, w i e z u zeigen sein w i r d , in s t r u k t u r e l l e r A n a l o g i e z u s e i n e m M o s e s - B i l d , das i h m ü b e r h a u p t erst d e n Z u g a n g z u m f r a n z ö s i s c h e n H o f e r ö f f n e t h a t t e .
34 Brassat, Das Historienbild im Zeitalter der Eloquenz, S. 272-274 übernimmt diese Deutung kritiklos. Auch Charles Terrasse gibt eine grob vereinfachende, realpolitische Deutung des „Elephant fleurdelyse": „Fran$ois I er , represente sous l'aspect d'un elephant portant ses armes et sa devise, re§oit au chateau de Pavie, apres Marignan, la soumission du due Maximilien Sforza" (Sur quelques fresques et stucs, p. 33). Ahnlich Ford, Pietas ä Fontainebleau, p. 101: „il nous est possible de discerner deux cursus vitae ä la Galerie Franijois I er , Tun, du cote nord, purement mortel et sublunaire, l'autre, du cote sud, spirituel, qui concerne la vie eternelle du prince [...]." 35 Olaf Reumann interpretiert die Ausstattung der Galerie als eine Art humanistischen Fürstenspiegel, der dem König im Akt der Betrachtung immer neue Reflexionen über die Legitimität seiner Herrschaft abnötigte; vgl. id., L'exemplum humaniste comme moyen de legitimation; Falciani, Francesco I ritratto a Fontainebleau vertritt die These, daß das philosophisch-humanistische Programm der Galerie vor allem dazu diente, die rhetorischen Fähigkeiten des Königs zu porträtieren. In diesem Sinne erscheint ihm die Struktur der Galerieausstattung wie ein „discorso eloquente", homolog zu „figure retoriche" (ibid., p. 37). 36 So geht Chastel von einer engen Zusammenarbeit zwischen Rosso, Bude und de Ba'ff aus (Le systeme de la Galerie, pp. 145; 149 und French Renaissance Art, p. 95), obwohl er selbst zu Recht darauf hinweist, daß der Humanismus Erasmischer Prägung, der sich in Frankreich nach 1525 verbreitet, nur schwer mit dem „magnificent pagan and profane artistic outbreak" in Fontainebleau übereinzubringen sei (French Renaissance Art, p. 97). - Tervarent unterstellt, daß „une ombre savante"der spiritus rector des Programms gewesen sei: La pensee du Rosso, p. 42. Zerners Vorstellung einer persönlichen Beratertätigkeit Andrea Alciatis hinsichtlich des Programms der Galerie überzeugt nicht (L'art de la Renaissance en France, pp. 83-86). 37 Vgl. hierzu Kapitel 5 dieser Arbeit. 38 Dies hebt auch Flaminia Bardati für die Gestaltung der später zu behandelnden Grotte des Pins hervor: „II progetto deve essere dunque nato sotto il diretto controllo di Francesco I, nel milieu culturale costituito grazie a Guillaume Bude intorno al sovrano, con intenti programmatici legati tanto alia competizione con le corti italiane quanto all'individuazione di una originale interpretazione francese dell'antichitä"; ead., La „Grotte des Pins" a Fontainebleau, p. 45.
6.1. Programmatische
Programmlosigkeit
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Dora und Erwin Panofsky prägten in ihrem ikonologischen Entschlüsselungsversuch,39 der bis heute in den meisten Darstellungen kritiklos als kanonisch zitiert wird, den Begriff der „allusive correlation", um zu umschreiben, wie in der Galerie Bedeutung generiert wird: „The rules of .allusive correlation' permit partial as well as multiple comparison: any given person can be likened to any number of archetypes, and it does not matter if the analogy is valid only in regard to one quality or accomplishment while being utterly inapplicable in all other respects."40 Ihre zutreffende Beschreibung der Vagheit der allusiven Parameter nutzen sie jedoch in ihrer Interpretation einzig dazu, bedenkenlos und zum Teil frei assoziativ antiquarisches Kontextwissen auf das Dargestellte zu projizieren. Der Aufsatz von William McAllister Johnson41 Once More the Galerie Franqois Ier at Fontainebleau ist unter den neueren Beiträgen zur Deutung der Galerie besonders aufschlußreich. Er modifiziert die „allusive correlation" Panofskys zu einer „allusive fragmentation"42 u n d macht als s t r u k t u r e l l e H a u p t m e r k m a l e d e r Galerie „bilateral Symmetrie", „emblematic
structure" und „reflected images" aus.43 McAllister Johnson berücksichtigt dabei gleichermaßen die künstlerische Struktur der Galerie wie den in seinen Augen adäquaten Besichtigungsmodus und bezieht die ästhetische Erfahrung des Betrachters in seine Interpretation mit ein. Trotz einer Vielzahl weiterführender Einsichten in die Strukturlogik der Galerie zieht er jedoch nicht den entscheidenden Schluß, daß die Bedeutungen bewußt ambivalent gehalten sind. Sein Betrachter darf nicht beliebig durch die Galerie laufen und sich dem manieristischen Kunstspiel hingeben, sondern ihm wird vom „decorative system" ein bestimmter Weg („determined sequence"44) vorgegeben, von dem er nicht abweichen darf.45 Doch im manieristischen Phantasie-Feuerwerk der Galerie sind die zahllosen inhaltlichen und formalen Elemente zu einem unentwirrbaren Netz der Uberlagerungen, der nur partiellen Identitäten und der immer wieder die Betrachtererwartung brüskierenden Differenzen verwoben. Ein einziger oder auch mehrere Parameter stellen die Verbindung zwischen den einzelnen Elementen her, auch wenn alle anderen Parameter gänzlich heterogen sind. Fran^oise und Pierre Joukovsky haben entsprechend dem beschriebenen Besichtigungsmodus, der diesen durch die Galerie geisternden Bedeutungen angemessen ist, als zutreffenden Titel ihrer Interpretation „A travers la Galerie" gewählt. Diese Dynamik einer metamorphotischen Progression, dieses unstete „Wandern" von Motiven durch die gesamte Galerie bei gleichzeitiger Transformation ihrer Bedeutung kann sich auf inhaltlicher Ebene, auf formaler Ebene, auf ikonographischer Ebene wie auf der Materialebene abspielen - und 39 Ahnlich auch (speziell für das Fresko „La Vengeance de Nauplius"): Pressouyre, L'Embleme du Naufrage; Ford, Pietas ä Fontainebleau (zu „Cleobis et Biton"). 40 Panofsky/Panofsky, The Iconography of the Galerie Frangois Ier, pp. 115; 130. 41 Vgl. v. a. Once More the Galerie und La Galerie Francois Ier au Chateau de Fontainebleau. 42 McAllister Johnson, Once More the Galerie, p. 138. 43 Ibid., p. 127. 44 Ibid., p. 132. 45 Hieraus resultiert eine strikte Schematisierung der Galerie auf unterschiedlichen Ebenen: „ a l o n g each wall"; „across each bay"; „in a chiastic manner"; ibid., p. 132. „Dunkle" Stellen in der Galerie, deren Bedeutung sich nicht oder nur schwer erschließt, führt McAllister Johnson auf die verfälschenden Restaurierungen der letzten Jahrhunderte zurück; ibid., p. 136. Im Anhang zu seinem Text destilliert er aus der Literatur der letzten 60 Jahre diverse Schaubilder, die die verzweifelte Anstrengung aller bisherigen Deutungsansätze, die Semantik der Galerie in ein Schema zu pressen, augenfällig machen.
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alle diese Ebenen überlagern sich und führen damit den Betrachter immer tiefer in das Rätsel der Galerie hinein. Der Galerieraum läßt sich nicht eindimensional erschließen: Er ist gleichzeitig auf der allegorischen, mythologischen, erotischen, nationalen und imperialen Ebene lesbar. Zwar sind die einzelnen Dekorationseinheiten ähnlich aufgebaut, da sie alle - hierin, wie McAllister Johnson gezeigt hat, 46 dem Emblem vergleichbar - ein Hauptbild (die imago), eine Kartusche darunter (die subscriptio) und einen Salamander als superscriptio darüber vereinen. Doch wäre es trügerisch zu meinen, daß die „Lektüre" der „Bildunterschrift" direkt zum Verständnis des Bildinhaltes führen könnte. Das Verhältnis der einzelnen Elemente zueinander verändert sich von Bild zu Bild: Mal kontrastieren sie, mal erläutert das eine das andere, mal führt das Umfeld das Thema des Hauptfreskos fort, mal dient es rein dekorativen Zwecken. U m das Hauptbild wirklich im Detail zu betrachten, muß der Betrachter eine große Konzentrationsleistung erbringen - sein Blick wechselt ständig automatisch von Parameter zu Parameter, von Ebene zu Ebene. 4 7 Tückischerweise fordert jedoch jedes dieser arbiträren Zeichen und jedes Emblem, wie hermetisch es auch sein mag, den Betrachter gerade durch seine Rätselhaftigkeit auf, an ihm eine Deutungsleistung zu erbringen. Dies zumindest ist für jeden Betrachter ersichtlich, selbst wenn er vom eigentlichen Deutungsakt überfordert ist. 48 Die einzig leicht entschlüsselbare Wegmarke in diesem Zeichengewirr ist der königliche Salamander, der über jedem Bild den König vertritt. 49 Doch in seiner Funktion als Wappentier ist auch er wieder ausgesprochen recherche und enigmatisch und vereint in sich in Kombination mit der bis heute in ihrem Sinngehalt umstrittenen Devise „Nutrisco et extingo" - eine Vielzahl von allegorischen Anspielungen, die von der Viscontischlange 50 über den Phoenix bis zur Kontinuitätsparole des französischen Königtums „ L e roi ne meurt jamais" reichen. 51 Dieser Salamander scheint zugleich die Funktion eines witzigen Kommentators der dargestellten Szenen zu übernehmen, denn seine Gestalt paßt sich (im Sinne einer expression des passions avant la lettre) den jeweiligen Bildinhalten chamäleonartig an. 52 Auch die Materialkontraste in ihrer die strikte architektonische Gliederung der Wand konterkarierenden und ironisierenden Behandlung werden bewußt hart ausgespielt. 53 Der 46 McAllister Johnson, Le programme monarchique, pp. 156s.; id., Once More the Galerie, p. 133. Er nennt die Dekorationseinheiten „profane triptychs". 47 Bereits der A b b e Guilbert hatte Probleme, die unterschiedlichen Ebenen der Darstellung auseinanderzuhalten, wie er in seiner Beschreibung der Galerie von 1731 konstatiert: „Toutes les bordures, ornemens & Salamandres qui sont au-dessus de ces Tableaux, sont en relief & stuc sur des fonds d'or ornes de divers oiseaux & autres peintures que Fon peut ä peine distinguer"; Description historique, vol. 1, p. 84. 48 Vgl. Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit, S. 45. 49 Vgl. J o u k o v s k y s treffende Beobachtung, daß der Salamander die Stelle besetzt, an der man eher einen Adler als Herrschaftszeichen erwarten würde: L'Empire et les barbares, p. 25. 50 Vgl. Holban, D e la guivre des Visconti ä la salamandre de Frangois I e r . 51 Hierzu - mit Erläuterung aller denkbaren Bedeutungskonnotationen - Lecoq, L a salamandre royale und ead., Fran§ois I e r imaginaire, pp. 35-53; vgl. auch Dupont-Ferrier, Origine et signification de la salamandre royale dite de Frangois I er . 52 Loeffler, The Arts in the C o u r t of Francis I, p. 345 spricht von einem „minor programme", das aus diesen Salamandern bestehe; ebenso Chastel, L a Salamandre. 53 Hierzu Auclair, L'invention decorative de la galerie Frangois I e r , v. a. pp. 29s.
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gleiche kontrastive Material- und Formwechsel, mit dem der Betrachter im Mantuaner Palazzo del Te beim Wechsel von einem Raum zum nächsten konfrontiert wurde, vollzieht sich in der Grande Galerie auf engstem Raum. 54 Auch das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Stilebenen scheint nicht als störend empfunden worden zu sein: Die Forschung unterscheidet vier verschiedene „Hände" in der Ausführung der Fresken, deren Konzeption jedoch wahrscheinlich allein auf Rosso zurückging. 55 Die hieraus resultierenden stilistischen Abweichungen zwischen den einzelnen Darstellungen scheinen bewußt eingesetzt worden zu sein, um auch auf der Ebene des malerischen Stils Kontraste zu schaffen und immer wieder Neues, Uberraschendes zu bieten.56 Eklektizismus und der Pluralismus konkurrierender Stile sind hier Motoren der Innovation. Der Werkstattbetrieb in Fontainebleau unterscheidet sich damit grundlegend von Raffaels Vorgehen in den vatikanischen Loggien: Dort waren die Mitarbeiter bemüht, in der Imitation des raffaelesken Stils ein möglichst homogenes Gebilde zu schaffen, das sichtbarer Ausdruck der Autorität des Werkstattleiters sein sollte.57 6.1.1. „A travers la Galerie" Ein möglicher Besichtigungsparcours unter vielen denkbaren soll im folgenden exemplarisch durchgespielt werden, um das Prinzip der hermetisierenden Bedeutungstranslation und -transformation anschaulich werden zu lassen und die mögliche Performanzerfahrung einer solchen Besichtigung im Beisein des Königs eines frühneuzeitlichen Besuchers hypothetisch zu rekonstrieren. Dieser analytische Durchgang folgt - da er nun einmal einer linearen darstellerischen Abfolge unterworfen ist und nicht über die Möglichkeit der Simultaneität der Präsentation verfügt - der Traveengliederung und bewegt sich von Ost nach West im Wechsel zwischen den einander gegenüberliegenden Einheiten.58
54 Gombrich, Zum Werke Giulio Romanos II, S. 126 hebt in diesem Sinne v o r allem die Intensitätssteigerung bei der Überwältigung des Betrachters in der Sala dei Giganti durch die vorgelagerte Sala degli Stucchi mit ihren zarten, monochromen Refliefs hervor. 55 Pressouyre, Les cartons et les „mains"; Beguin, Le directeur des travaux: „Maitre Roux"; Loeffler, The Arts in the C o u r t of Francis I, pp. 3 0 7 - 3 1 0 . 56 Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, p. 225 spricht ebenfalls von einer „intentional diversity of the decoration", die er nicht allein auf die zeitlichen Abstände z w i schen Rossos Entwürfen zurückgeführt sehen will. 57 So Tristan Weddigen in seinem Vortrag „The Workshop in Renaissance Rome: Practice, Ambition, Competition" am 9 . 4 . 2 0 0 5 auf der Jahrestagung der Renaissance Society of America in Cambridge, U.K. 58 Zeitgenössische Benennungen der einzelnen Fresken aus dem 16. Jahrhundert sind nicht dokumentiert, und somit sind sämtliche Bezeichnungen arbiträr und variieren in der Literatur je nach Deutung; hier werden die folgenden (ebenso arbiträr) gewählt: Travee I, Nordwand: „Venus"; Travee I, Südwand: „Le Combat des Centaures et des Lapithes"; II N: „L'Education d'Achille"; II S: „La Jeunesse perdue"; III N: „La Vengeance de Nauplius"; III S: „La M o r t d'Adonis"; IV N: „Semele" bzw. heute „La Nymphe de Fontainebleau"; IV S: „Danae"; V N: „La Piete filiale"; V S: „Cleobis et Biton"; VI N: „L'Elephant fleurdelyse"; VI S: „L'Unite de l'Etat"; VII N: „Le Sacrifice"; VII S: „L'Ignorance chassee".
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Der idealtypische Betrachter betritt also, dem Zeremonialweg entsprechend, die Galerie von ihrem Ostende und damit von der chambre du roi her. Hat sich die niedrige Eingangstür, die ursprünglich unscheinbar in die umlaufende Holzdekoration der Lambrierung eingefügt war, 59 hinter ihm geschlossen, sieht er sich mit einer künstlerischen Vielfalt konfrontiert, wie er sie bislang noch an keinem europäischen Hof hatte vorfinden können. Richtet er zuerst den Blick in die rund 64 Meter messende Tiefe dieses Gebildes (Tafel 23), so sieht er, daß dieser zeichenübersäte Kunstkosmos eine abgeschlossene Welt ist, da die Ausmalungen und Stuckdekorationen um alle vier Wände herumlaufen. Wendet er dann den Blick nach rechts und links, so kann er erleichtert feststellen, daß der ausführende Künstler immerhin in der Stukkatur rechts von ihm einen Fingerzeig für den richtigen Einstieg in das Deutungsabenteuer angebracht hat: Dort wendet sich ihm eine monumentale Frauenfigur zu und lädt ihn gewissermaßen durch ihren weiterweisenden Handgestus zur Besichtigung ein (Tafel 24).60 Sie scheint die „Tagesgeschäfte" der Kriegsführung - repräsentiert durch das Stuckrelief mit der Darstellung einer Schlacht - mit Füßen zu treten 61 und weist mit der rechten Hand auf die Gegenwelt des kulturell und künstlerisch geprägten Mikrokosmos der königlichen Galerie. Unter dem Hauptfresko wird dem Betracher in einem kleinen quad.ro riportato - der durch seinen überdimensionierten Rahmen deutlich als fiktives Gemälde gekennzeichnet ist62 - ein letztes Mal vor Augen geführt, wo er sich gerade befindet und welchen Weg er bereits zurückgelegt hat: Die kleine Ansicht des Schloßeingangs (Tafel 25) mit der nach Westen anschließenden Galerie in der Kartusche ist die letzte Orientierungsmarke leicht über der Augenhöhe des Betrachters 63 und sein letzter Kontakt mit der Außenwelt, bevor er sich in der labyrinthischen Betrachtung dieses artifiziellen Reichs verliert. Richtet er seinen Blick nach oben auf das Hauptbild - das ihm ebenfalls gerahmt und damit wie in einer Sammlungspräsentation entgegentritt - , so steht ihm das erste unter vielen uneindeutigen und polysemen Bildthemen vor Augen. Die grazile Hauptfigur links von dem kompliziert liegenden Knaben scheint das malerische Double der Dame im Stuck rechts zu sein. Frühere Interpreten waren sich uneinig, ob es sich um Venus handelt, die Amor straft, weil er Psyche verlassen hat, 64 oder um die Erziehung des Amor, 65 um den
59 Shearman, The Galerie Francois Premier, p. 1; vgl. Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, p. 222. Diesen ursprünglichen Zustand dokumentiert eine Zeichnung Fran£ois d'Orbays von 1682; vgl. Zerner, L'art de la Renaissance en France, pp. 66s.: „II faut imaginer un environnement completement contröle, une decoration qui animait toutes les surfaces, constituant une capsule fermee, tel un precieux coffret dont l'ornement serait tourne vers l'interieur." 60 So Beguin/Pressouyre, Documentation, description, interpretations, p. 125; Beguin, Frar^ois I er , Jupiter et quelques belles bellifontaines, p. 197. 61 Vgl. Wilson-Chevalier, La lectrice bellifontaine, p. 496. 62 Zerner, L'art de la Renaissance en France, p. 71 betont die Neigung dieses kleinen Gemäldes zum Betrachter hin, die eine Hängung an der Wand simuliert. 63 Möchte man in den Proportionen der Galerieausstattung das Fortwirken vitruvianischer Größenverhältnisse entdecken, so wäre als Modul hier die reale Körpergröße des Königs gewählt, die bekanntlich fast stattliche 2 Meter erreichte. 64 Dan, Fontainebleau, le tresor des merveilles, p. 91; Guilbert, Description historique, vol. 1, p. 92. 65 Kusenberg, Le Rosso, p. 65.
6.1. Programmatische
Programmlosigkeit
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schlafenden Amor, 66 - oder aber gar um die von Mars verlassene Venus.67 Auch die händeringende weibliche Figur, die die zentralen Stufen zum Wasserbecken hinabschreitet, ist mehrdeutig: Es könnte Minerva sein, die sich mit Venus im kulturellen Auftrag verbindet und verbündet, während Cupido schläft; 68 sie könnte aber auch eine Nymphe darstellen, die thematisch zum Wasser und den beiden violett-skulpturalen Tritonen links im Bild „passen" würde. In spielerischer Weise schlägt das Fresko zugleich das Thema der arma et litterae an: Die Amorinenschar links oben, die eine deutliche Hommage an Raffaels „Galatea" darstellt, 69 spielt mit Waffen, während rechts unten eine Amorette hinter einer Säule mit gewundenem Schaft ein nur leicht geöffnetes Buch präsentiert. Clement Marot hatte um 1541 in dem an Francois Ier gerichteten Widmungsgedicht seiner Psalmenübersetzung insbesondere die Doppelnatur des Königs als eines Kriegsherrn und Dichters unterstrichen (und sich damit selbst implizit als Kollegen dieses dichtenden Königs nobilitiert) 70 : „Que diray plus? vous estes les deux Roys, / Qui au milieu des Martiaulx destroits / Avez acquis nom d'immortalite: / Et qui durant paix & tranquillite / L'avez acquis par sciences infuses, / Daignant (touts deux) tant honnorer les Muses, / Que d'employer la mesme forte dextre / Sceptre portant, & aux armes adextre, / Α faire espriptz: qui si grand force ont, / Qu'en rien subjectz ä la mort ilz ne sont." 71 Die durch die Lüfte getragenen Waffen verweisen - ebenso wie die beiden Schlachtenreliefs unter den monumentalen antikischen Stuckfiguren seitlich des Freskos - auf Kriegsund Kampfthematik und stehen damit in deutlichem Kontrast zu den sonstigen Bildinhalten. Diese heterogenen Elemente in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen, gelingt dem Betrachter nicht. Da hier eine sequentiell-immanente Erschließung des Dargestellten offensichtlich scheitert, wird er bestrebt sein, im Umfeld Hinweise auf eine mögliche Deutung zu finden. Er sucht naturgemäß zuerst nach Vergleichbarem und Ahnlichem, um sich in der verwirrenden Vielfalt zu orientieren. Bei diesem Bemühen um Aufklärung hat er prinzipiell zwei Möglichkeiten: Entweder folgt er den Dekorationseinheiten entlang der Nordwand, an der er seinen Besichtigungsgang begonnen hat, oder er wendet sich zur gegenüberliegenden Bildeinheit um und versucht dort sein Glück. Die aufwendigen, ins Dreidimensionale heraustretenden Stuckelemente, die das Venus-Fresko rahmen und abschließen, vor allem jedoch die „Lichtschranke" der anschließenden Fensteröffnung legen vorerst eine Fortsetzung der Sinnsuche auf der gegenüberliegenden Seite nahe. Dort findet der Betrachter dann auch tatsächlich recht schnell ein korrespondierendes formales Element (Tafel 26): Die in Richtung auf den Betrachter gestürzte Männerfigur am unteren Bildrand mit ihrem parallel zum Rahmen ausgestreckten Arm spiegelt die Armhaltung des Amor/Cupido im Vordergrund des Venus-Freskos - dies ein typisches Beispiel für Rossos Technik formaler Uberleitungen bei gleichzeitiger Heterogenität der Bedeutungen. Auch das Thema des Kampfes war dem Betrachter bereits in den beiden Schlachtenreliefs 66 Zusammenfassend zu den bisherigen Deutungen: Beguin/Pressouyre, Documentation, descriptions, interpretations, p. 125. 67 Vgl. Tervarent, La pensee du Rosso, pp. 4 0 ^ 2 . 68 So Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, p. 231. 69 Vgl. Barocchi, II Rosso Fiorentino, p. 148. 70 Vgl. CEuvres poetiques de Francois I er . 71 Marot, CEuvres poetiques, t. 2, p. 558; vgl. auch Bamforth, Clement Marot, Frangois I er et les muses, pp. 233s.
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begegnet. Diese Koinzidenzen stimulieren jedoch eine Erschließungshoffnung, die sich nicht erfüllt. Einen Hinweis darauf, daß er sich bei seiner Besichtigung vor Enttäuschungen und Verblendungen hüten sollte, konnte der aufmerksame Betrachter in einem Detail der Stuckkartusche unten dem „Combat" finden: Dort sieht man eine Figur mit Augenbinde und Maske. Generell überwiegen bei näherer Betrachtung die Differenzen zwischen den beiden einander gegenüberliegenden Bildeinheiten. Stilistisch und im Hinblick auf Bildaufbau und Flächenfüllung kontrastiert das Fresko „Le Combat des Centaures et des Lapithes" deutlich mit der „Venus". Waren das Venusbild und seine Dekorationen von raffaelesker Grazie geprägt, so herrschen jetzt - sowohl im Hauptfresko wie bei den fanfarenblasenden liegenden Männergestalten in den Eckfeldern der Umrahmung - michelangelesker Furor und herkulische Bildung vor.72 Die Fanfarenbläser scheinen direkte Persiflagen der Tageszeitenskulpturen aus der Neuen Sakristei von S. Lorenzo in Florenz zu sein. So teilen die beiden Hauptfresken der ersten Travee die polaren Gegensätze von grazia und terribilita, die in Rossos Moses-Bild noch vereint gewesen waren, 73 gleichsam auf. Rossos Kunstgriff der Symmetrieaufhebung bei vermeintlich dichotomischem Aufbau, der dem Betrachter ein mögliches Verstehen suggeriert, ohne dieses Versprechen einzulösen, zeigt sich in dieser Eingangssituation der Galerie gleich mehrfach. Im Venus-Fresko wurde die Sphäre des Weiblichen 74 mit der des Männlichen durch die Waffen und die violetten Tritonen kontrastiert. In der Stuckdekoration stehen einander erneut ein apollinischer männlicher und ein venerischer weiblicher Part gegenüber, doch sind sie formal und vor allem in ihrer Beinhaltung asymmetrisch gestaltet. Das Venus-Fresko in seiner Gesamtheit wiederum stellt die Gegenwelt zur männlichen Gewalt im „Combat" dar. Diese nur in einzelnen Parametern tatsächlich spiegelbildlichen Kontraste (jung - alt; männlich - weiblich; kultiviert - barbarisch; tugendhaft - lasterhaft; göttlich - menschlich; kriegerisch - friedlich; statisch - dramatisch bewegt) durchziehen die gesamte Galerie und legen eine „moderne" strukturalistische Betrachtungsweise nahe. 75 Hatte die grazile Venus die subtile Variante der Erotik vertreten, so stehen die Kentauren und Lapithen für gewaltsame Sexualität, während 72 Vgl. hierzu Barocchi, II Rosso Fiorentino, p. 124: „[...] si contrappone a Fontainebleau un giuoco eminentemente pittorico e lineare per cui tanto le ispirazioni buonarrotiane che quelle raffaellesche sono un puro pretesto per una sintesi nuova". 73 Hierzu Kapitel 5.1. dieser Arbeit. 74 Wilson-Chevalier, La lectrice bellifontaine, passim, betont für meine Begriffe in ihrer Deutung der Galerie den Gender-Aspekt zu sehr, wenn sie die Frauen am Hof von F r a n c i s I er zu alleinigen Kulturträgerinnen stilsiert, die dazu ausersehen seien, die tumben, brachialischen und unzivilisierten Männer zu kultivieren. Auch die Aufteilung der Galerie in vier Sphären, die von jeweils einem der vier Elemente bestimmt seien (ibid., p. 497), und die mehrfache Betonung von Rossos H o m o sexualität und deren Auswirkungen auf die Gestaltung der Galerie (ibid., p. 499) sind unzulässige subsumtionslogische Projektionen. Ahnlich „durchgegendert" ist auch ihr unpublizierter Vortrag „Feminizing the Warrior at Francis I's Fontainebleau", den sie mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Auch in ihrer Interpretation der Bäder v o n Fontainebleau setzt sie die Sphäre des Weiblichen mit der der Kultur gleich, die sich von der männlich dominierten Sphäre des Kampfes absetze, und leitet daraus einen Erziehungs- und Kultivierungsauftrag den Männern gegenüber ab, der programmatisch die Galerie und auch die Bäder v o n Fontainebleau durchziehe (Les deboires de Diane, passim). 75 Vgl. hierzu Thürlemann, Vom Bild zum Raum, S. 1 9 - 4 2 .
6.1. Programmatische
Programmlosigkeit
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die Putten im unteren Bereich der Dekoration in burlesk-unanständiger Weise aneinander herumspielen (und eine nicht jugendfreie kindliche Version des Satyrs darstellen, der in Primaticcios Wanddekoration der unter der Galerie gelegenen Bäder einer nymphomanen Nymphe zugeführt wurde). Auch die Symmetrie der beiden Stuckhermen mit ihren priesterlichen Oberkörpern neben dem „Combat"-Fresko wird durch die beiden unterschiedlichen königlichen Insignien (das „F" und den Salamander), die sie wie Potenzbeweise an anatomisch einschlägiger Stelle vorzeigen, durchbrochen. Am Endpunkt einer imaginären Diagonale durch die gesamte Galerie hin zur Nordwand der letzten Travee wird einer der beiden dem Betrachter übrigens erneut als opfernder Priester im Hauptfresko des „Sacrifice" begegnen (vgl. Tafel 39). 76 Solche Vergleichsparameter aber funktionieren stets nur auf einer formalassoziativen Ebene; inhaltlich haben sie nichts Zwingendes. Die narrative Abfolge dieser labyrinthisch-phantastischen Bilderzählung könnte immer auch eine ganz andere sein. Hätte der Betrachter beispielsweise trotz der Fensterbarriere von der „Venus" aus Aufschluß im auf dieser Seite anschließenden Dekorationsensemble gesucht, so wären ihm auch dort Korrespondenzen aufgefallen (vgl. Tafel 28) - so die monumentalen flankierenden Figuren (diesmal nicht skulptiert, sondern gemalt); das Wasser als Grundelement der Darstellung; die Art der Bildfüllung; schließlich das Kolorit. Inhaltlich sind diese beiden Fresken hingegen nicht mehr und nicht weniger aufeinander bezogen als die zwei einander gegenüberliegenden. Raffael und Michelangelo stehen rechts und links am Anfang der Galerie. Die michelangeleske terribilita in der Darstellung des Kampfes zwischen den Lapithen und den Kentauren, die während der Hochzeit des Pirithous mit Hippodamia versucht hatten, sich an der Braut zu vergreifen, 77 wird jedoch durch das wenig heroische Grundthema (Frauenraub im Suff) zugleich auch ironisiert. Der „Combat" spielt zugleich nicht nur auf den michelangelesken Stil im allgemeinen an, sondern verweist auf konkrete Punkte der MichelangeloÜberbietung. Hier wird exemplarisch deutlich, wie der französische König gezielt italienische Kunstvorbilder in seiner Galerie anspielungsreich transformieren ließ und diese damit auch zu einer Art fest installierten Gemäldegalerie machte. Insbesondere Michelangelos erster „autonomer" Virtuositätsbeweis, das um 1492/94 entstandene Relief der Kentaurenschlacht (Tafel 27), scheint als Vorbild für Rossos Fresko gedient zu haben - und das nicht nur bezüglich des gewählten Bildthemas. 78
76 Diese formale Analogie bemerkten bereits Panofsky/Panofsky, The Iconography of the Galerie F r a n c i s I er , p. 122; vgl. auch Chastel, Le systeme de la Galerie, p. 149 und Zerner, L'art de la Renaissance en France, p. 72, der die Funktionsweise der Korrespondenzen zutreffend beschreibt: „Le rapport ici est plus thematique que morphologique. O n assiste ä une sorte de chasse-croise, de contamination ou de mise en equivalence inattendue entre l'aspect formel et l'aspect thematique des motifs dont on trouverait bien d'autres exemples." 77 Ovid, Met. 1 2 , 2 1 0 - 5 3 6 . 78 Im Gegensatz zu Vasari und Condivi, die hierin „la Battaglia di Ercole coi Centauri" (Vasari [Barocchi], Vita di Michelagnolo Buonarroti, vol. 6, p. 11) oder „il Ratto di Deianira e la Zuffa de' Centauri" (Condivi, Vita di Michelagnolo Buonarroti, p. 13) sehen wollten, hat Wickhoff die dargestellte Szene erstmals richtig als „die berühmte Schlacht der Lapithen und Kentauren bei der Hochzeit des Peirithoos nach Ovid Met. XII, v. 2 1 0 ff." identifiziert (Die Antike im Bildungsgange Michelangelo's, S. 419). Vgl. auch die erste beschreibende Erwähnung des Reliefs in dem Brief des
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Andreas Thielemann hat überzeugend dargelegt, daß Michelangelo in dieser „Talentprobe" offensichtlich versucht hatte, in einer Art von frühem „greek revival" Phidias' Kentaurenschlacht auf dem Schild der Athena Promachos aufgrund der schriftlichen Überlieferung skulptural wiederzubeleben und nachzuschaffen.79 Auch Rosso liefert am Beginn der Galerie einen Beweis seines Talents, indem er - anknüpfend an Michelangelos Vorgaben - das Bildthema ingeniös zuspitzt. Die erste Travee ist damit seine Visitenkarte, die auf das breite Spektrum seiner ästhetischen Möglichkeiten verweist.80 Und eine von Rossos Spezialitäten war, wie dem König bereits im Moses-Bild deutlich vor Augen geführt worden war, die Überbietung der höchsten Kunstvorbilder Italiens. Seine Kentaurenschlacht ist die hochexpressive Darstellung einer Szene entmenschter Gewalt, die sich - wie bei Michelangelo - in einem kaum räumlich definierten, abstrakten Umfeld abspielt, in einem gänzlich überfüllten Bildraum, der der ganzen Szene etwas Ausschnitthaft-Rahmenloses verleiht. Rosso malt ein Relief, das in seiner flächig-oberflächlichen Gestaltung Michelangelos non finito zu imitieren scheint.81 In beiden Fällen wird der Bildraum durch die dargestellten Körper überhaupt erst hervorgebracht und damit der Prozeß einer Formgenese ex nihilo allegorisierend abgebildet. Kentauren sind in der Tradition der Kunstliteratur seit der Antike künstliche Gebilde, capricci,82 die ihre Existenz allein der Künstlerphantasie verdanken und damit ein Zeugnis der synthetisierenden und autonomen innovativen Kraft künstlerischer Hervorbringungen sind.83 Bereits Lukian hatte in seiner Beschreibung von Zeuxis' legendärem Kentaurenbild insbesondere diese Neuheit und Bizarrerie der Bildidee hervorgehoben, die auf keiner Tradition aufbaute, sondern gewissermaßen aus dem Nichts durch den Künstler hervorgebracht wurde.84 Es kann als programmatisch-künstlerische Setzung Rossos gewertet wer-
Giovanni Borromeo an Federigo Gonzaga vom 27.3.1527 (zit. n. Hirst, Michelangelo Buonarroti, Battaglia dei centauri, p. 52): „certo quadro di figure nude, che combatteno, di marmore [...] et varie actitudine fanno". 79 Thielemann, Phidias im Quattrocento, passim, v. a. S. 171-174; 182-186; 198. In seinem Aufsatz „Schlachten erschauen - Kentauren gebären" faßt er die Ergebnisse seiner Monographie erneut thesenhaft zusammen. Den Aspekt einer spezifisch „griechischen Komposition" betonte bereits Wickhoff, Die Antike im Bildungsgange Michelangelo's, S. 420. 80 Weislogel, Rosso Fiorentino, Benvenuto Cellini and Clement Marot, p. 81 deutet den „Combat" als Ausweitung des Moses-Bildes. Wilmes, Rosso Fiorentino und der Manierismus, S. 136 hat ebenfalls auf den Zusammenhang zwischen Michelangelos „Kentaurenschlacht" und Rossos „Moses" hingewiesen. 81 Inwieweit dieser Eindruck künstlerische Absicht oder vielmehr auf den schlechten Erhaltungszustand des Freskos zurückzuführen ist, kann beim heutigen Zustand des Bildes leider kaum entschieden werden. 82 Anläßlich des Pariser Karnevals von 1542 trat Frangois I er selbst in einem von Primaticcio entworfenen Kentaurenkostüm auf; vgl. Occhipinti, Un disegno del Primaticcio: la maschera del re. 83 Weil-Garris Brandt, I primordi di Michelangelo scultore, p. 81 beschreibt den Kentaur als „elemento creativo, un'invenzione della mente dell'artista e quindi incarnazione dell'invenzione e della fantasia, del potere dell'artista di superare la natura, di trasgredire al decoro." 84 Lukian, Zeuxis 3 [in der Wielandschen Übersetzung]: „Der berühmte Zeuxis, der erste Maler seiner Zeit, hatte das Eigene, daß er sich mit den gemeinen alltäglichen Gegenständen seiner Kunstverwandten, mit Göttern, Heroen, Schlachten und dergleichen, gar nicht oder nur selten abgab, sondern immer etwas Neues und noch von keinem andern Bearbeitetes unternahm. Hatte er aber
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den, daß er Kentauren als C h i f f r e n der freien Phantasietätigkeit an den A n f a n g der Galerie stellt und damit ein Hauptthema der Ausstattung anklingen läßt: Augentäuschung mittels künstlerischer K o p f g e b u r t e n und Hirngespinste. D e r dargestellte M y t h o s ist dieser Thematik in idealer Weise angemessen: Hatten doch die Kentauren ihren Hang z u r sexuellen A u s schweifung v o n ihrem A h n Ixion geerbt, der einen vergeblichen Versuch u n t e r n o m m e n hatte, J u n o zu v e r f ü h r e n . Zeus zog folgenreiche K o n s e q u e n z e n aus diesem Fehlgriff, indem er ihm eine W o l k e als J u n o unterschob, mit der der Uberlistete den Kentauros, den S t a m m vater der Kentauren, zeugte. 8 5 Diese w o l k e n g e b o r e n e n Wesen verdanken ihre Existenz somit einer Augentäuschung und avancierten in der Renaissance auch aufgrund dieser phantastischen Genese z u m Künstlerthema par excellence·86 U n d auch A t h e n a , die den Schild mit der Darstellung der Kentauromachie trug, w a r ja eine K o p f g e b u r t . K o n n t e die Forschung in Michelangelos Darstellung des Kentaurenkampfes - mehr oder weniger überzeugend - einzelne Personen w i e Herkules 8 7 oder Theseus 8 8 ausmachen oder dies die plausibelste Identifikation - in der Darstellung des glatzköpfigen A l t e n links eine Anspielung auf das Selbstporträt des Phidias erkennen, 8 9 so ist Rossos Darstellung dieses sinnlosen und brutalen K a m p f e s gänzlich entindividualisiert und v o n der A b b i l d u n g einer bestimmten istoria abgelöst. Die Lapithen sind hier nicht h u m a n e r als die P f e r d e m e n -
irgendein ungewöhnliches und sonderbares Sujet ausgedacht: so verwandte er alles, was die Kunst vermag, darauf, um ein Meisterstück daraus zu machen. Unter andern Werken dieser Art hat man auch eine Zentaurin von ihm, die einem Paar noch sehr kleinen Zwillingszentaurchen zu saugen gibt. [ . . . ] Die Zentaurin [ . . . ] gleicht, soweit sie Pferd ist, der schönsten Stute von jenen thessalischen, die noch ungebändigt sind und keinen Reuter getragen haben; an der obern Hälfte ist sie ein Weib von untadeliger Schönheit, die Ohren ganz allein ausgenommen, die etwas Satyrmäßiges haben: die Verbindung aber des menschlichen und des tierischen Teiles ist so künstlich und der Ubergang von dem einen zum andern so unmerklich, oder vielmehr sie verlieren sich so sanft ineinander, daß man unmöglich sehen kann, w o der eine aufhört und der andere anfängt. [ . . . ] was sie alle am meisten daran lobten, war [ . . . ] das Seltsame der Erfindung, der neue und noch von niemand bearbeitete Einfall"; vgl. Kraiker, Das Kentaurenbild des Zeuxis, S. 6-20. 85 H y g i n , Fabulae, 62; Diodor, 4,69,4-5; Pindar, Zweite pythische Ode, 25—49; vgl. auch Ovid, Met. 12,211; 504-506. 86 Vgl. Cennino Cennini, Das Buch von der Kunst, S. 4: „Eine von [der Weisheit] herkommende, welche auf ihre Grundlage sammt der Ausführung mit den Händen zurückzielt, ist eine Kunst, welche man Malerei nennt, welche zugleich mit der Ausführung der Hand Phantasie erfordert, um niegesehene Dinge zu erfinden (indem man sie in die Hülle des natürlichen steckt) und sie mit der Hand festzuhalten, indem als wirklich vorzustellen ist, was nicht vorhanden. U n d mit Recht verdient sie die zweite Stufe nach der Weisheit und die Krone von der Poesie. Der Grund ist dieser: weil der Dichter, seiner Kenntniss nach würdig und frei, ja und nein zusammenstellen und vereinigen kann wie es ihm gefällt, seinem Willen folgend. Auf ähnliche Weise ist dem Maler Freiheit verliehen, eine Figur aufrecht zu entwerfen, sitzend, halb Mensch, halb Ross, wie es ihm gefällt, nach der Phantasie"; vgl. Thielemann, Phidias im Quattrocento, pp. 190-192. 87 Lisner, Form und Sinngehalt in Michelangelos Kentaurenschlacht, S. 311. 88 Lisner, ibid., S. 315; Tolnay, The Youth of Michelangelo, p. 134 identifiziert Theseus mit dem Steinwerfer und entdeckt weiterhin Hippodamia, Perithous und eventuell auch Eurythion, den Entführer. 89 Thielemann, Phidias im Quattrocento, S. 172-182; id., Schlachten erschauen - Kentauren gebären, S. 37.
212
6. A r c a n a Imperii et Artis: Die G r a n d e Galerie
sehen, 9 0 die Brutalität des G e s c h e h e n s ist in einer u n e n t w i r r b a r e n V e r s t r i c k u n g v o n L e i b e r n u n d G l i e d m a ß e n gegeben. D i e K ä m p f e n d e n sind reine, „ k o p f l o s e " Masse. Tierisches u n d M e n s c h l i c h e s ist in diesen U b e r l a g e r u n g e n v o n Körperteilen, die nur n o c h als fragmentierte F o r m e n erscheinen, k a u m zu unterscheiden. 9 1 D i e brachiale G e w a l t , die sich in O v i d s Text v o r allem durch B e s c h r e i b u n g e n v o n s p r i t z e n d e m B l u t und heraushängenden G e d ä r m e n manifestiert hatte, w i r d bei R o s s o einerseits abstrakt in e i n e m unauflöslichen IneinanderV e r k e i l t - S e i n dargestellt, andererseits zugespitzt d u r c h die F r a g m e n t i e r u n g und Z e r s t ü c k e lung der K ö r p e r in R ü c k e n , H i n t e r n , A r m e , B e i n e und K u g e l k ö p f e . 9 2 Traten die G e s t a l t e n in M i c h e l a n g e l o s R e l i e f im A k t der F o r m g e b u n g aus dem ungestalteten u m g e b e n d e n M a r m o r heraus, 9 3 so invertiert R o s s o diesen E n t s t e h u n g s p r o z e ß in der flächigen N e b e n e i n a n dersetzung einzelner E l e m e n t e . R o s s o nutzt die synthetisierende F ä h i g k e i t künstlerischer imaginatio
hier paradoxerweise z u r F r a g m e n t i e r u n g einer b e s t e h e n d e n O r d n u n g . D i e K e n -
tauren selbst sind ( d e m T o p o s ihrer W o l k e n g e b u r t u n d i h r e m I m a g e als „ N u b i g e n a e " 9 4 entsprechend) f o r m a l und k o l o r i s t i s c h w o l k e n ä h n l i c h dargestellt. 9 5 E i n e n w e i t e r e n B e z u g s p u n k t für R o s s o s K e n t a u r e n s c h l a c h t 9 6 - diesmal aus M i c h e l a n g e los m a l e r i s c h e m ( E u v r e - bildete der b e r ü h m t e K a r t o n für die Schlacht v o n C a s c i n a i m F l o rentiner P a l a z z o V e c c h i o ( A b b . 3 0 ) . 9 7 D i e s e r ist heute nur n o c h in A r i s t o t i l e da Sangallos 90 Diese Abstraktion von der literarischen Vorlage und die Einebnung des Mensch-Tier-Kontrastes zugunsten einer egalisierenden und primär künstlerisch gedachten Bildidee konstatiert Thielemann bereits bei Michelangelos Relief: Phidias im Quattrocento, S. 166f. 91 Hierin unterscheidet sich auch Michelangelos Relief mit seinen „symplegmatischen Verknotungen und Verschlingungen" (Thielemann, Phidias im Quattrocento, S. 185) von Pollaiuolos „Kompendium von Musterfiguren" (Id., Schlachten erschauen - Kentauren gebären, S. 24 f.) in dessen „Kampf nackter Männer", der gerne zum Vergleich mit Michelangelo herangezogen wird. 92 Der hervorragende Aufsatz „Rosso e altri di fronte alia ,scuola del mondo'" von Gigetta Dalli Regoli beschreibt diese spezifisch manieristischen Strategien der Körperfragmentierung als autonome künstlerische Akte anhand Pontormos Kreuzabnahme in Santa Felicitä in Florenz: „una ossessiva concentrazione sulla figura umana, vista sia come corpo, cioe come struttura da flettere, dilatare e comprimere (cioe ri-creare) entro uno spazio dato, e come groviglio di emozioni e di sentimenti inestricabilmente collegati alia fisicitä dei personaggi" (ibid., pp. 142s.). 93 Thielemann, Phidias im Quattrocento, S. 186-188. 94 Ovid, Met. 12,211; 541; vgl. Thielemann, ibid., S. 190. 95 Vgl. hierzu auch Hauser, Andrea Mantegnas „Wolkenreiter"; Thürlemann, Im Schlepptau des großen Glücks: Die doppelte Mimesis bei Albrecht Dürer. 96 Als mögliche Vorbilder sind selbstverständlich auch - und gerade für die reliefhafte Oberflächengestaltung von Rossos Bild - römische Sarkophagreliefs zu benennen. Hier sei zum Beispiel auf den im 16. Jahrhundert in der della Valle-Sammlung befindlichen Sarkophag mit einer Kentaurenschlacht verwiesen, der unter anderem von einem anonymen Künstler aus dem Umfeld Rossos gezeichnet wurde (heute in Windsor; vgl. Popham/Wilde, The Italian Drawings, n° 878); vgl. Bober/Rubinstein, Renaissance Artists & Antique Sculpture, n° 146. 97 Der Karton kann hier nicht in allen umstrittenen Details diskutiert werden. Vgl. hierzu u. a. Wilde, The Hall of the Great Council of Florence; id., Michelangelo and Leonardo; Gould, Battle of Cascina; de Tolnay, The Youth of Michelangelo; Freedberg, Painting of the High Renaissance in Rome and Florence, vol. 1, pp. 46f.; Isermeyer, Die Arbeiten Leonardos und Michelangelos für den großen Ratssaal in Florenz; Rubinstein, Machiavelli and the Mural Decoration of the Hall of the Great Council; Hirst, I disegni di Michelangelo per la „Battaglia di Cascina"; Wallace, Michelangelo In and Out Florence; Dalli Regoli, Rosso e altri di fronte alia „scuola del mondo"; ead., Leonardo e Michelangelo: il tema della „Battaglia"; Goffen, Renaissance Rivals, pp. 143-155.
6.1. Programmatische
Abb. 30
Programmlosigkeit
213
Aristotile da Sangallo (nach Michelangelo), Schlacht von Cascina, 1542, Holkham Hall
Kopie von 1 5 4 2 überliefert, die sich möglicherweise im Besitz v o n F r a ^ o i s I" befand. 9 8 Bereits zu Lebzeiten Michelangelos w a r dieser Karton zum herausragenden Studienobjekt f ü r Künstlerkollegen geworden, so daß ihm Cellini (zusammen mit Leonardos Entwurf f ü r die Anghiari-Schlacht) den Ehrentitel „scuola del mondo" 99 verlieh. A u c h Rosso hatte diese Schulbank erfolgreich gedrückt: Per il che gli artefici stupiti et ammirati restorono, vedendo l'estremitä dell'arte in tal carta per Michelagnolo mostrata loro. Onde veduto si divine figure, dicono alcuni, che le viddero, di man sua e d'altri ancora non [s'] essere mai piü veduto cosa che della divinita dell'arte nessuno alto ingegno possa arrivarla mai. Ε certamente e da credere, perciö che, da poi che fu finito e portato alia Sala del Papa con gran romore dell'arte e grandissima gloria di Michelagnolo, tutti coloro che su quel cartone studiarono e tal cosa disegnarono, come poi si seguitö molti anni in Fiorenza per forestieri e per terrazzani, diventarono persone in tale arte eccfellenti], come vedemo; poi che in tale cartone studio Aristotile da S. Gallo, amico suo, Ridolfo Ghirlandaio, Raffael Sanzio da Urbino, Francesco Granaccio, Baccio Bandinelli e Alonso Berugetta spagnuolo; seguitö Andrea del Sarto, il Francia Bigio, Iacopo Sansovino, il Rosso, Maturino, Lorenzetto, e Ί Tribolo, allora fanciullo, Iacopo da
98 Vasari ([Barocchi], vol. 5, p. 393) berichtet, daß Aristotile da Sangallo das Chiaroscuro-Gemälde nach Michelangelos Karton 1542 in Rom ausführte, „che fu mandato per mezzo di monsignor Giovio al re Francesco di Francia, che l'ebbe carissimo"; vgl. hierzu Cecchi, in: L'Officina della maniera, p. 112, Kat. n° 20. Laut Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 295 hat Francois Ier Sangallos Kopie eventuell sogar in Auftrag gegeben; allerdings relativiert sie diese Hypothese in ihrem Katalogeintrag (ibid., p. 242) wieder. Rosso freilich muß den Originalkarton gekannt haben, da er sich bereits in den 20er Jahren mit dem Werk künstlerisch auseinandersetzt. 99 Cellini, Vita, p. 71. Freedberg, Painting of the High Renaissance, vol. 1, p. 46 bemerkt, daß diese „Schule" der Ästhetik die Brancacci-Kapelle als „academy of art" abgelöst habe.
214
Abb. 31
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
Marcantonio Raimondi (nach Raffael), Bethlehemitischer Kindermord, um 1513/15
Puntormo e Pierin del Vaga, i quali tutti ottimi maestri fiorentini furono. Per il che, essendo questo cartone diventato uno studio d'artefici, fu condotto in casa Medici nella sala grande di sopra: e tal cosa fu cagione che egli troppo a securtä nelle mani degli artefici fu messo; per che nella infermitä del duca Giuliano, mentre nessuno badava a tal cosa, fu, come s'e detto altrove, stracciato et in molti pezzi diviso, talche in molti luoghi se n'e sparto [...]. 100
Daß der Karton tatsächlich von Anfang an ein Lehrstück und paragone-Anreiz unter Florentiner Künstlern war, belegt die schreiende Pathosfigur im „Bethlehemitischen Kindermord", mit der Raffael auf Michelangelos Vorgabe antwortete (Abb. 31).101 Rosso selbst hatte sich bereits in seinem Moses-Bild kritisch mit Michelangelos Figurenkonstellation auseinandergesetzt: Eugene Carroll hat dieses Bild daher treffend als „kind of mock Battle of Cascina"102 bezeichnet. Der Vergleichspunkt waren hier die „hollow creatures that violently struggle, emote and collapse with little real energy or force" in „perverse attitude". 103 Im „Combat" transformiert Rosso die Armhaltung des Mannes rechts oben in einen Faustschlag; der aus dem Wasser Steigende ganz links hingegen war in Kopfhaltung und in der prominenten Darstellung des Rückens und Hinterns das Vorbild für den Lapithen mit der 100 Vasari (Barocchi), Vita di Michelagnolo Buonarroti, vol. 6, pp. 24s.; vgl. auch ibid., Vita del Rosso, vol. 4, p. 474: „Disegno il Rosso nella sua giovanezza al cartone di Michele Agnolo [···]." 101 Vgl. Oberhuber, Raffael. Das malerische Werk, S. 56 f.; Gould, Battle of Cascina, s.p. 102 Carroll, The Drawings of Rosso Fiorentino, vol. 1, p. 99. Der Druck des übermächtigen Vorbilds Michelangelo, von dem Vasari berichtet (vgl. Kapitel 6.2.2. dieser Arbeit), führte laut Carroll zu diesem „most exasperatingly perverse picture" (ibid., p. 100). 103 Ibid., pp. 99 f.
6.1. Programmatische
Abb. 32
Programmlosigkeit
Giulio Romano, Detail aus: Die Schlacht Konstantins gegen Maxentius, 1520-24, Sala di Costantino, Vatikan
Lanze links im Vordergrund. Die Nacktheit der Figuren scheint ebenfalls durch die Michelangelo-Vorgabe bedingt zu sein. Und auch Giulio Romanos „Schlacht Konstantins gegen Maxentius" im Vatikan hat hier Pate gestanden (Abb. 32): Die Konstellation des prominenten weißen Pferdehinterns in Verbindung mit der lanzentragenden Rückenfigur und den beiden ins Wasser Stürzenden im Vordergrund hat deutliche Spuren in Rossos Fresko hinterlassen. Ein Charakteristikum des Kartons war jedoch für Rossos Gestaltung des „Combat" besonders prägend: Michelangelo hatte seine badenden Florentiner, die von einem Angriff der (in der Szene selbst nicht sichtbaren) Pisaner überrascht wurden, in einem Moment des „suspense" innerhalb des Kampfgeschehens dargestellt, der empfindlich gestört wird. Diese Irritation erzeugt ein physisches und emotionales Durcheinander, das weder zeitlich noch räumlich klar definiert ist, und so das Strukturmoment des Unerwarteten, des Angriffs von mehreren Seiten, der Überraschung verdeutlicht. Michelangelo bietet keine zeitlich stringente narratio, er nimmt vielmehr den historischen Moment des Überfalls zum Vorwand, möglichst diversifizierte Einzelfiguren in unterschiedlichen psychischen Verfaßtheiten darzustellen. 104 Erst durch diese skulpturhafte „Erstarrung" konnten die einzelnen Figuren in der Rezeption zu akademischen Fallbeispielen für Ausdrucksmodi, zu stillgestellten Mustern der Kunst avancieren. 105 Auch Rosso läßt seine chaotische Mehrszenendarstellung 104 Vgl. Freedberg, Painting of the High Renaissance, vol. 1, pp. 46 f. und Dalli Regoli, Rosso e altri di fronte alia „scuola del mondo", pp. 141s. 105 Vgl. Clark, The Young Michelangelo, p. 44.
216
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
als Chiffre des Entsetzens skulptural erstarren und greift damit zugleich die reliefartige Gestaltung von Michelangelos Karton auf.106 Gegen die Tradition einer „kontinuierenden Bilderzählung" setzt er seine „diskontinuierende" Collage, die verschiedene zeitliche Momente zu einem Gesamtbild der Kon-Fusion und der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen synthetisiert.107 Der Betrachter wird - sofern er in der Lage gewesen ist, diese interkünstlerischen und mythologischen Anspielungen zu verstehen - überwältigt von der Komplexität dieses Einstiegs. Doch er hat (abgesehen von den genannten Polaritäten und Antagonismen) auch nach eingehendem Studium des „Combat" keinen Aufschluß darüber gewonnen, ob und wie sich die Kampfszene inhaltlich mit dem Venus-Fresko zu einer geschlossenen Erzählung zusammenfügen könnte. Es stellt sich ihm an dieser Stelle somit erneut die Frage, wohin er sich jetzt wenden soll, um mehr Klarheit und Sinn in das Bilderrätsel zu bringen. Das zweite Fresko der Nordseite wirft gewissermaßen einen Köder vermeintlicher Verstehbarkeit aus, denn der Betrachter sieht dort schon von weitem einen prominenten weißen Pferdehintern, der demjenigen auf dem „Combat" erstaunlich ähnelt. Und bei näherem Hinsehen findet er in der Tat auch hier einen Kentauren (Tafel 28). Allerdings stellt Chiron (um den es sich handelt) das kontrastive Gegenbeispiel 108 zur tierisch-ungezügelten Natur seiner Mitkentauren im vorherigen Fresko dar: Er hat die Rolle des Lehrers des jungen Achill inne und bietet damit ein exemplum für vorbildliche Fürstenerziehung. Die gesamte Travee ist erneut eindeutig männlich konnotiert, zumal auch die gefesselten Monumentalgestalten rechts und links neben dem Fresko streng herkulisch-michelangelesk durchgebildet sind und an die Stillage des „Combat" erinnern.109 Bereits hier läßt sich im Vergleich zum Venus-Fresko und zum „Combat" konstatieren, daß nicht nur der Grad der Enigmatik der einzelnen Bildthemen von Fresko zu Fresko variiert; auch die Art der Bilderzählung ist sehr diversifiziert und selten identisch. In der „Education d'Achille" finden sich mehrere simultan dargestellte Aktionen, die eine andere Form eines zeitlichen Nebeneinanders darstellen als die fragmentierte Zeitstruktur und Räumlichkeit des „Combat". Statt der Zerstückelung des Bildraums, der die zeitliche Abfolge der einzelnen Momentaufnahmen im Ungewissen beließ, werden hier mehrere deutlich räumlich getrennte und zeitlich nacheinander ablaufende Szenen dargestellt: Reiten, Schwimmen, Lanzenstechen (dies ebenfalls eine formale Anknüpfung an den jungen Lapithen links im „Combat"), Fechten, Jagen - und Musizieren. Doch diese vermeintlich einfache Bildstruktur wird gleichzeitig durch die Darstellung verschiedener pädagogischer Modelle angereichert: Der junge Achill lernt einerseits durch Nachahmung (dargestellt in der Parallelisierung der Oberkörper von
106 Vgl. Wilde, Michelangelo and Leonardo, pp. 69; 77. Hirst, I disegni di Michelangelo per la „Battaglia di Cascina", p. 45 spricht von einer „foresta di statue di m a r m o " ; vgl. auch Dalli Regoli, Rosso e altri di fronte alla „scuola del m o n d o " , p. 145. 107 Ein vergleichbar schwebendes und bewußt in der Unklarheit belassenes Zeitmoment findet sich in Pontormos „Heimsuchung"; in diesem Fall soll es die poetische Idee der unerwarteten Begegnung, bei der etwas Göttlich-Unerhörtes geschieht, illustrieren. Genau diesen Moment verarbeitet dann bezeichnenderweise Bill Viola in seiner Bezugnahme auf P o n t o r m o in „The Greeting" (1995). 108 Vgl. hierzu auch Lisner, F o r m und Sinngehalt von Michelangelos Kentaurenschlacht, S. 319. 109 Lossky, Quelques sources d'inspiration florentines, pp. 8 0 - 8 3 sieht in einem der beiden hockenden Knaben unter dem Fresko ebenfalls ein Michelangelo-Zitat.
6.1. Programmatische
Programmlosigkeit
217
Lehrer und Schüler und der parallelen Lanzenführung), andererseits durch führende Anleitung und Lenkung mit sanftem Druck, wie die beiden Schwimmer zeigen, und schließlich werden die Widerstandskräfte des Schülers im Fechtkampf mobilisiert und zum kreativen Widerspruch angeregt. Eine formale Korrespondenz zum gegenüberliegenden Fresko auf der Südseite, das in der Forschung gemeinhin als „Jeunesse perdue" bezeichnet wird, bietet wiederum die Parallelisierung von Armen (Tafel 29): Wie ein Echo der lanzenführenden Extremitäten von Achill und Chiron wirken die stocktragenden rechten Arme der beiden alten Frauen mit dem merkwürdigen Kopfschmuck rechts. In deutlichem Kontrast zu dieser eher banalen formalen Entsprechung steht die Hermetik der dargestellten Szene,110 für die es bislang keine befriedigende Deutung gibt.111 Weder die Interpretation als Verlust der ewigen Jugend durch die Menschheit (nach Nikander von Kolophons Theriaca112) noch als Ankunft Äskulaps in Rom nach Ovid 113 (aufgrund des merkwürdigen Schlangendrachens oder Schlangenschwans rechts) vermögen alle Bildelemente zufriedenstellend zu erklären. Denn Äskulap verwandelt sich bei Ovid in eine Schlange, und nicht in einen geflügelten Drachen mit überlängtem Schwanenhals; er gleitet die schimmernden Stufen hinab („gradibus nitidis delabitur"; Met. 15,685), er kriecht und windet sich über den blumenübersäten Boden („inde per iniectis adopertam floribus ingens / serpit humum flectitque sinus"; Met. 15,688f.)," 4 während Rossos mixtum compositum aus einem Drachen und einem Schwan leichter hätte laufen oder fliegen können. Auch von Rom ist in diesem Fresko weit und breit nichts zu sehen. Möchte man sich nicht der Hilfskonstruktion des Abbe Guilbert anschließen, der davon ausging, daß der Künstler - da der Betrachter vor einem unlösbaren Rätsel stehe wohl etwas verwechselt haben müsse,115 so wäre an dieser Stelle erneut die Hypothese bewußter Hermetisierung in der inhaltlichen Setzung vorzubringen.116 Welche Absicht diese Betrachterverunsicherung verfolgte, wird im folgenden zu klären sein. Das Chamäleon unter dem Hauptfresko jedenfalls weist als ironischer Fingerzeig darauf hin, daß das
110 Diese Taktik der mehr oder weniger starken und schwankenden Bedeutungsverschlüsselung war bereits bei Bronzinos „Allegorie" zu konstatieren; vgl. Kapitel 3 dieser Arbeit. Hierzu sehr ausführlich Brock, Bronzino, pp. 2 1 4 - 2 3 1 , der überzeugend diese „differenciation de la visibilite" (ibid., pp. 220; 229) herausarbeitet, die die „perspicacite du spectateur" auf die Probe stellt (ibid.,
p. 232). 111 Vgl. Picards hochelaborierte Deutung, die trotz der Heranziehung aller nur denkbaren antiken und christlichen Motive wenig überzeugt: Themes rares d'inspiration antique. 112 V. 3 4 3 - 3 5 8 ; vgl. Tervarent, La pensee du Rosso, p. 39; Panofsky/Panofsky, The Iconography of the Galerie Frangois I er , p. 148; Zerner, L'art de la Renaissance en France, p. 72. In der Bibliothek des Königs befand sich eine Nikander-Handschrift. 113 Ovid, Met. 1 5 , 6 2 2 - 7 4 4 ; vgl. Lövgren, Ii Rosso Fiorentino ä Fontainebleau, pp. 6 9 - 7 6 . 114 Vgl. auch Met. 1 5 , 7 2 0 - 7 2 7 . 115 Guilbert, Description historique, vol. 1, pp. 89s.: „La difficulte sera alors de decider ce que ce pouroit etre que ce Dragon alle qui semble caresser, ou donner ä boire ä une femme qui est sur un äne ou chameau: & il paroit qu'il faudra se determiner ä dire que le Peintre a confondu quelque chose des deux Histoires, puisque les cadres de stuc qui sont aux cötes de ce Tableau, representent ä droite Tage viril ou la force de l'äge, 8t ä gauche la decadence de l'äge ou la vieillesse, ce qui paroit avoir rapport ä la Fontaine de Jouvence."l 16
So auch Zerner, L'art de la Renaissance en
France, pp. 81; 84s. 116 So auch Zerner, L'art de la Renaissance en France, pp. 81; 84s.
218
6. A r c a n a I m p e r i i et A r t i s : Die G r a n d e G a l e r i e
Abb. 33
Francisco de Hollanda, Kleopatra, Antigualhas, fol. 8v, um 1538/40, Biblioteca San Lorenzo, El Escorial
A u g e sich v o r T ä u s c h u n g e n h ü t e n sollte: B e k a n n t e E l e m e n t e k ö n n e n d u r c h c h a m ä l e o n h a f t e T r a n s f o r m a t i o n e n n e u e n K o n t e x t e n einverleibt w e r d e n u n d d a m i t e t w a s g ä n z l i c h N e u e s b e d e u t e n . Z u g l e i c h ist d a s C h a m ä l e o n selbst eine A r t M e t a m o r p h o s e des k ö n i g l i c h e n Salamanders. D a s F r e s k o d e r s o g e n a n n t e n „ J e u n e s s e p e r d u e " ist g e k e n n z e i c h n e t d u r c h eine vielschichtige Ü b e r l a g e r u n g allegorischer A l l u s i o n e n u n d i k o n o g r a p h i s c h e r M o t i v e , die i m m e r w e i t e r u n d letztlich ins L e e r e f ü h r e n , weil sie nicht „ a u f g e h e n " . D a w ä r e z u e r s t einmal die l i e g e n d e F r a u e n g e s t a l t mit d e r ü b e r d e h n t e n A r m h a l t u n g links, die sich in e i n e m u n e n t s c h e i d b a r e n Z u s t a n d z w i s c h e n Schlaf u n d T o d b e f i n d e t . Sie ist i k o n o g r a p h i s c h m e h r d e u t i g a u f g e l a d e n , ü b e r z e i c h n e t sie d o c h einerseits f a s t bis ins K a r i k a t u r h a f t e d e n A r m d e r bis ins 18. J a h r h u n d e r t s o g e n a n n t e n b e l v e d e r i s c h e n K l e o p a t r a , die bereits F r a n c i s c o d e H o l l a n d a in s e i n e m Stich z u U b e r t r e i b u n g e n ihrer H a l t u n g animiert hatte ( A b b . 33). A n d e r e r s e i t s ist sie eine A r t N y m p h e v o n F o n t a i n e b l e a u , aus d e r e n Q u e l l e d e r E s e l trinkt. U n d schließlich v e r a r b e i t e t R o s s o hier ein weiteres k o n k r e t e s antikes V o r b i l d , n ä m l i c h die l i e g e n d e F r a u e n f i g u r auf d e m S a r k o p h a g mit einer B a c c h u s s z e n e , der sich h e u t e im M u s e o N a z i o n a l e in N e a p e l b e f i n d e t , z u r Zeit v o n R o s s o s R o m a u f e n t h a l t a b e r i m P a l a z z o di S a n M a r c o z u s e h e n war. 1 1 7 D i e H a l t u n g b e i d e r A r m e der „ N y m p h e " ist v o n d i e s e m V o r b i l d ü b e r n o m m e n . D e m b a c c h i s c h e n K o n t e x t a n g e m e s s e n , entkleidet R o s s o seine w o l l ü s t i g h i n g e g o s s e n d a l i e g e n d e N y m p h e , beläßt ihr aber d a s G e w a n d als U n t e r l a g e . D a s
Satyr-Nymphen-
117 Abgebildet bei Bober, Drawings after the Antique by Amico Aspertini, fig. 13.
6.1. Programmatische
Abb. 34
Programmlosigkeit
219
Anonym (nach Leonardo da Vinci), Leda und der Schwan, 1520er Jahre, Palazzo Vecchio, Florenz
Thema, das immer im Bild der schlafenden Nymphe mit anklingt, wird in seinen erotischen Konnotationen durch die obszöne Geste des silenhaften Alten rechts unterstrichen. Oder kommentiert er vielmehr das lüstern-zweideutige „Vorspiel" zwischen dem Drachenschwan und der Reitenden, die damit zu einer Art pervertierter Leda auf dem Esel wird? 118 Die aufrechte Haltung des Tieres spielt auf Leonardos Leda an (Abb. 34) und persifliert zugleich Michelangelos Leda-Karton. Rosso selbst hatte diesen Karton in einer Zeichnung kopiert (Abb. 35), 119 aus der er jetzt nicht nur die Frisur der Dame und das Kußmotiv, sondern auch die merkwürdige Beinhaltung übernimmt. Der hindeutende Handgestus der jungen Frau in der Bildmitte, die auf Gesichtshöhe kurz mit ihrem männlichen Gegenstück zusammentrifft (und mit diesem Nicht-Kuß den Schlangenkuß verdoppelt),120 sich aber gleichzeitig in die gegenläufige Richtung entfernt, macht die Kleopatra-Nymphe zum moralischen Exemplum oder - wesentlich wahrscheinlicher in dem wenig auf ein Moralisieren hindeutenden Kontext - zu einem gut präsentierten Kunstwerk. Auch die Reitende und 118 Vgl. Picard, Themes rares d'inspiration antique, p. 68. 119 Zur umstrittenen Zuschreibung dieser Zeichnung vgl. Roy, La „Leda" de Michelange et Celle de Rosso; Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 277; Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, n° 102; n° 102a. Auf die literarische Persiflage der Leda durch Rabelais hat Frangois Rigolot hingewiesen: Leda and the Swan. Rabelais's Parody of Michelangelo; Kat. Venere e Amore, pp. 174-176. 120 Villemur, Eros et androgyne, pp. 2 3 7 - 2 3 9 sieht hierin eine emblematische Darstellung von Androgynität und perfekter Liebe; so auch Wilson-Chevalier, Feminizing the Warrior, p. 7.
220
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
Abb. 35
Rosso Fiorentino (nach Michelangelo), Leda und der Schwan, um 1533/38, Royal Academy of Arts, London
der Drachenschwan scheinen einen kunstinternen Kommentar darzustellen, denn stärker serpentinata ist eine Figurengruppe kaum denkbar. Das gesamte Fresko ist geprägt vom Spiel mit Dichotomien und Verdoppelungen: Die Alten auf der rechten Seite stehen gegen die Jungen auf der linken, die beiden Vetteln rechts scheinen, wie gesagt, fast Zwillingsschwestern zu sein. Die Frau auf dem Esel könnte mit der zweiten jungen Frau links, eventuell sogar mit der liegenden „Nymphe" identisch sein, was die Zeitstruktur der dargestellten Geschichte noch weiter komplizieren würde. Ihr Zeigegestus könnte dann als Hinweis auf die eigene Vergangenheit gedeutet werden. Diese junge Frau spielt gemeinsam mit dem jungen Mann und dem puttenhaften kleinen Jungen auf bekannte mythologische Familienszenen wie der Zusammenstellung von Mars, Venus und Cupido an. Doch Rossos Jüngling hat wenig Martialisches, auch wenn er in seinen unteren Extremitäten wie Mars von Venus wegstrebt. Das Thema der Musik als Verführerin klingt in dem lautenähnlichen Instrument im Vordergrund an, dem sich als „männlich" konnotiertes Gegenstück eine Flöte zugesellt (womit auch Apoll und Marsyas nicht allzu weit entfernt wären). Der monströse Salamander über dem Fresko wirkt entweder, als habe er sich sexuell verausgabt oder als sei er altersschwach - eine von Rossos üblichen Selbstkarikierungen, die wohl mit zur Deutung des Freskos als Jungbrunnen beigetragen hat. Wie die Opferszene im Hintergrund, die durch die Anwesenheit des Hermes alchimistisch und damit zugleich hermetisch konnotiert sein könnte, und der vielschichtige und reich mit Personal bestückte Götterhimmel sich mit dem Geschehen im Vordergrund verbinden, bleibt innerbildlich nicht nur räumlich unklar.
6.1. Programmatische
A b b . 36
Programmlosigkeit
221
Marcantonio Raimondi (nach Raffael), Parisurteil, um 1517/18
Auch hier verspricht die Suche nach einem konkreten künstlerischen „Vor-Bild" erneut größeren Erfolg als das Stöbern in antiken Quellen und Emblembüchern. Es handelt sich diesmal nicht um ein Kunstmuster aus dem Michelangelo-, sondern aus dem RaffaelUmfeld: Die „Jeunesse" ist eine gekonnte „kolorierte" Transformation von Marcantonio Raimondis Parisurteil (um 1517/18; Abb. 36) 121 nach der verlorenen Raffael-Zeichnung, die ihrerseits auf zwei antiken Sarkophagen in der Villa Medici und der Villa Doria Pamphili basierte. 122 Dieser Raimondi-Stich, der bis hin zu Manets „Dejeuner sur l'herbe" Künstlerphantasien stimuliert hat, war für Rosso wohl insbesondere aufgrund seiner illusionistischen Qualitäten in der Imitation von Skulptur von Interesse, hatte doch bekanntlich Raimondi eine besondere Technik entwickelt, um die dargestellten Figuren möglichst skulptural wirken zu lassen.123 Zwar ist die Transformation des Vorbildes in diesem Beispiel eine sehr weitgehende, doch läßt sich klar die Zweiteilung der Komposition in eine rechte und eine linke Hälfte wie auch in eine irdische und eine himmlische Sphäre nachvollziehen. Die zwei linken der drei konkurrierenden Schönheiten mit dem Amor finden sich in der Dreiergruppe des Jünglings und der jungen Frau mit dem kleinen Jungen wieder. Die Kon121 Vgl. du B o i s - R e y m o n d , D i e römischen Antikenstiche Marcantonio Raimondis, S. 1 1 5 - 1 2 0 ; Kat. T h e Engravings of Marcantonio Raimondi, pp. 146 f. 122 Vgl. Fischel, Raphael, S. 244 und A b b . 230a; Bober/Rubinstein, Renaissance Artists & Antique Sculpture, n° 119; n° 120. Hierzu auch Aspertinis Zeichnung des Sarkophags in der Villa Medici: Bober, Drawings after the Antique by A m i c o Aspertini, pp. 68 f. und figg. 83; 84. 123 Vgl. Viljoen, Prints and False Antiquities, pp. 2 3 5 f .
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6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
A b b . 37
Jean Mignon (nach Luca Penni), Parisurteil, um 1542/45
stellation der traut einander zugeneigten Köpfe von Venus und Juno transformiert Rosso in das merkwürdige Begegnungsmotiv von Mann und Frau in Vordergrund. Der Blick des Merkur aus dem hinteren Bildraum wird von dem Knaben hinter der „Kleopatra" übernommen. Das Flugmotiv der Viktoria ist in dem schwebenden Merkur im Hintergrund zitiert, der sich vor Apoll mit seinem Sonnenwagen auf dem Bogen des Zodiakus bewegt. Aus Raimondis monumentaler Rückenfigur der Minerva in der Mitte ist die Frau auf dem Esel geworden, während sich die prominente Liegefigur des Flußgottes rechts vorne bei Rosso in die „Kleopatra" verwandelt hat. Schilf wächst in beiden Fällen im Vordergrund. Die Umsetzungsmechanismen lassen sich bis in Details der umgebenden Stukkaturen verfolgen, denn der elliptische Bogen unter dem Salamander am Scheitelpunkt des Freskos substituiert die Bogenwölbung des Zodiakus auf dem Stich. Doch scheint Rosso nicht nur Raimondis Original-Stich gekannt zu haben, sondern auch dessen Teilwiederholung im Stich von Jean Mignon (J.M. 40), 124 der auf eine Zeichnung von Luca Penni zurückgeht (Abb. 37). 125 Dort war nämlich bereits ein landschaftlicher Hintergrund eingeführt worden, Paris hatte seine Leier an einen Baum gehängt und damit Rosso die Vorlage für das Musik124 Vgl. Zerner, D i e Schule von Fontainebleau, S. 49. 125 Kat. Raphael et l'art frangais, n° 191, p. 160. D i e Verbreitung von Raimondis Stich in Frankreich belegt weiterhin ein anonymes Gemälde (um 1540), das die Hauptgruppe reproduziert; ibid.,
p. 49.
6.1. Programmatische
A b b . 38
Programmlosigkeit
223
A n t o n i o Fantuzzi, Neptun und Minerva, um 1542/43
instrument vor der „Kleopatra" geliefert, vor allem aber hatte Mignon mehrere Tiere in sein Ensemble integriert - insbesondere einige Schwäne links im Vordergrund. Dafür, daß Raimondis Paris-Urteil für Rosso ein wichtiger künstlerischer Bezugspunkt gewesen sein muß, gibt es ein weiteres Indiz: Ein Entwurf Rossos wohl aus dem Umfeld der Grande Galerie zum „Streit zwischen Neptun und Minerva" (gestochen sowohl von Fantuzzi [A.F. 32; Abb. 38] als auch von Boyvin) 1 2 6 zeigt eine noch deutlichere Adaptation der Komposition Raimondis. Die Flußgötter tauchen hier - physiognomisch ins Karikaturhafte gesteigert - genauso so wieder als Dreiergruppe auf, insbesondere der vordere ist klar zu identifizieren. Merkur ist an den linken Bildrand gewandert, die zentrale weibliche Rückenfigur wurde in Neptun verwandelt, ihr Gewand in das Pferd, das er bändigt und das aus Raimondis Himmel herabgestiegen ist. Die fliegende Viktoria hat nur die Seiten gewechselt, ist sich aber ansonsten gleichgeblieben, und die männliche Flugfigur mit dem gebauschten Tuch über dem Kopf ist ein Stück auf ihrem himmlischen Cursus vorangekommen, so daß sie hier fast genauso wie in der „Jeunesse" erscheint. Inhaltlich ähnlich komplex wie die „Jeunesse perdue" präsentiert sich die Szene des folgenden Freskos (Tafel 30). Die Forschung 127 hat sich hinsichtlich seines Themas auf den 126 Eventuell war diese Darstellung für die Schmalseite der Galerie im Westen gedacht, wo sich heute Alaux' Gemälde (nach diesem Stich) aus dem 19. Jahrhundert befindet; vgl. Zerner, Die Schule von Fontainebleau, S. 39; Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, pp. 225; 294. 127 Tervarent, La pensee du R o s s o , pp. 37s.; Panofsky/Panofsky, T h e Iconography of the Galerie F r a r ^ o i s I e r , pp. 144f.
224
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
T o d des Aiax M i n o r und die R a c h e des Nauplius (nach H y g i n s Fabulaeui)
geeinigt: N a c h
der Zerstörung v o n T r o j a werden die heimkehrenden G r i e c h e n von den G ö t t e r n mit einem Sturm verfolgt, dem insbesondere der lokrische Aiax zum O p f e r fällt, der Kassandra im Athena-Tempel vergewaltigt hat. A t h e n a erschlägt ihn mit einem Blitz; seine Leiche wird auf einen Felsen der Insel E u b ö a gespült, über die Nauplius herrscht. Nauplius selbst will seinen Sohn Palamedes rächen, der aufgrund einer falschen Anschuldigung des Odysseus von seinen eigenen Kampfgenossen gesteinigt worden ist, und entzündet ein Feuer, dessen trügerisches L i c h t die griechische F l o t t e nicht in den sicheren Hafen, sondern zu den todbringenden Felsen führt. D i e meisten Griechen ertrinken, die U b e r l e b e n d e n werden von Nauplius und seinen M ä n n e r n niedergestreckt. Odysseus jedoch e n t k o m m t dem Strafgericht. D i e inhaltliche F u n k t i o n dieser Szene, die darstellerisch auf ihre Gewalttätigkeit hin fokussiert ist und damit nur mühsam mit der Differenziertheit (insbesondere bezüglich der Zeitstruktur und der Motivationen der Handelnden) der vorgeblichen literarischen Vorgabe übereinzubringen, bleibt erneut unklar. Concordia
und discordia
werden von den Putti in der R a h m u n g versinnbildlicht. D i e
leeren N i s c h e n rechts und links scheinen den sonst vorherrschenden horror
vacui
des
D e k o r a t i o n s s y s t e m s zu konterkarieren. In der Bildmitte findet sich als künstlerischer Virtuositätsbeweis erneut ein prominentes Michelangelo-Zitat: C h a r o n aus dem Jüngsten G e r i c h t ist das Vorbild für den Ruderschläger ( A b b . 39), 1 2 9 während die mit der G e w a l t tätigkeit dieser Szene kontrastierenden, zarten antikischen Reliefs rund um das Hauptbild Raffaels L o g g i e n - D e k o r a t i o n e n anklingen lassen. Sollte in der Kartusche unten tatsächlich N e p t u n dargestellt sein, der die Danaide A m y m o n e in einen B r u n n e n verwandelt, so wäre dies ein Beispiel für eine Art „genealogischer Verknüpfung" zwischen Hauptbild und R a h men: D e n n Nauplius ist in der antiken M y t h o l o g i e der S o h n der A m y m o n e und entstammt einer Vergewaltigung seiner M u t t e r durch N e p t u n . E b e n s o genealogisch verknüpft ist die „Education d'Achille" mit dem R a h m e n des später zu behandelnden „Elephant fleurdelyse", der sich an spiegelsymmetrischer Stelle auf der gegenüberliegenden Seite der Galerie befindet: Rechts sieht man dort die Verführung Phyliras durch Saturn, 1 3 0 der sich in ein Pferd verwandelt hat und mit ihr den C h i r o n zeugt. 1 3 1 Das dritte F r e s k o auf der Südseite (Tafel 31) stellt eine Szene mit deutlich geringerem G r a d der Verschlüsselung dar: Es zeigt höchstwahrscheinlich den Tod des Adonis mit der verzweifelten Venus auf ihrem Wagen, hinter der menetekelhaft F o r t u n a mit ihrem R a d sitzt. 1 3 2 R o s s o erweist sich in diesem F r e s k o als Spezialist für die Transformation christ-
128 Hygin 116; vgl. auch Vergil, Aeneis 1,39—45. Das Ende des Aiax etwas anders (nämlich unter der Beteiligung des Poseidon) bei Homer, Od. 4,499-511 und Apollodor, Epitome 6,6. Nach Apollodor kommt Aiax bei der Inselgruppe der Kykladen ums Leben. 129 Vgl. Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, pp. 224; 240; Brassat, Das Historienbild im Zeitalter der Eloquenz, S. 272. 130 Apoll. Rhod. 2,1232-1241; Hygin 138. 131 Vgl. Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, p. 270. 132 Rebecca Zorachs freudianische Deutung des Freskos als hochgradig sexualisierte Darstellung des kastrierten Attis geht in vielen Details zu weit: „The Flower that Falls Before the Fruit" und erneut in: Blood, Milk, Ink, Gold, pp. 59-72, dort allerdings mehr auf die Fruchtbarkeits- und Opferthematik hin gedeutet. Das Hauptthema der Galerie bezeichnet Zorach als „a more general aesthetics of sacrifice" (ibid., p. 66). - Laut Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and
6.1. Programmatische Programmlosigkeit
Abb. 39
225
Michelangelo, Detail aus dem Jüngsten Gericht (Charon), 1537-41, Sixtinische Kapelle, Vatikan
licher Bildthemen, die er in einer Art invertierter Typologie paganisiert, indem er Adonis zu einem Typus Christi macht, denn die Darstellung läßt deutlich gleich mehrere Szenen der Passion anklingen - die Kreuzabnahme, die Beweinung Christi und die Pietä. D i e s e r christliche Bedeutungskontext wird zudem durch das K r e u z s c h e m a des Bildaufbaus und durch die engelhaften weiblichen geflügelten Assistenzfiguren unterstrichen. D i e Armhaltung des Adonis wiederholt diejenige der liegenden Frauenfigur links in der „Jeunesse" 1 3 3 und liefert damit ein weiteres Beispiel dafür, daß vielfältige formale K o i n z i d e n z e n nicht nur zwischen den gegenüberliegenden, sondern auch zwischen nebeneinandergesetzten Bildeinheiten bestehen. D i e A m o r i n e n , die die Kleider des Adonis wegtragen, erfüllen dieselbe Aufgabe wie die kleinen fliegenden Waffenträger in der „ V e n u s " . D i e ineinander verschränkten männlichen Figuren in den Wandfeldern oberhalb des F r e s k o s verweisen zurück auf die F a n -
Decorative Arts, pp. 224; 242-244 hatte Rosso an dieser Stelle ursprünglich eine Darstellung des Todes Hektors vorgesehen, so daß die gesamte Travee vom Troja-Thema und damit implizit vom französischen Gründungsmythos bestimmt worden wäre. Sein Argument für die Planänderung, die er auf den Tod des Dauphins 1536 zurückführt, überzeugt jedoch ebensowenig wie Kathleen Wilson-Chevaliers Interpretation des ursprünglichen Bildthemas als Tod des Sardanapal (Fontainebleau et l'estampe en France, pp. 225-228). Wenn man überhaupt der Hypothesenbildung folgen möchte, daß Hektor durch Adonis ersetzt wurde, so scheinen mir hierfür eher innerkünstlerisch-formale Beweggründe vorgelegen zu haben: Die geplante Komposition wäre dem Bildaufbau der „Unite" und auch des „Elephant fleurdelyse" zu ähnlich gewesen. 133 Vgl. Zorach, „The Flower that Falls Before the Fruit", p. 67.
226
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
farenbläser oberhalb des „Combat"; jedoch sind sie hier verdoppelt und ihre Beine variieren zugleich die Beinhaltung des Adonis im Hauptfresko. Die Szene im linken Stuckrelief sofern man Lövgrens Deutung folgen und hierin die Bestrafung des Hippomenes und der Atalanta durch Kybele erkennen darf 134 - greift einen weiteren Mythos aus Ovids Metamorphosen auf. Zugleich verweisen der Löwe und die Löwin, die vor den Karren der Kybele gespannt sind, voraus auf die beiden Jungen im - bezogen auf die Galeriemitte - spiegelsymmetrisch zum „Adonis" angebrachten Fresko „Cleobis et Biton", die im Gegensatz zu den hier Bestraften freiwillig den Karren ihrer Mutter ziehen (vgl. Tafel 35). Auch für dieses Fresko gab es ein konkretes künstlerisches Vorbild: Es bezieht sich diesmal nicht auf Römisches, sondern auf die berühmten Scipio-Teppiche, die nach Entwürfen von Giulio Romano für Frangois I er ausgeführt wurden und das Konkurrenzverhältnis Fontainebleau - Mantua betreffen: Mit ihrer an antiken Sarkophagreliefs und an den Vorgaben Mantegnas orientierten Darstellungsweise von Schlachten und Triumphzügen haben sie für das Adonis-Fresko (wie auch für andere Fresken der Galerie) eine wichtige Musterfunktion übernommen: Der Vater des Scipio auf der Tapisserie „Le combat du Tessin" (Tafel 32) zeigt in seiner Haltung und in dem ihn begleitenden und stützenden Assistenzpersonal auffällige Übereinstimmungen mit Rossos Adonis. 135 Einzelne Figuren im „Combat" (der stürzende Kentaur rechts) und in der „Vengeance de Nauplius" (der Prügelnde in der Bildmitte, der seinem Gegner in die Haare greift) gehen ebenfalls eindeutig auf diese Vorlage zurück. Die sitzende Jupiterstatue und die den Elefanten von der Balustrade aus bestaunende Menge im „Elephant fleurdelyse" sind dagegen aus Giulios „Montee au Capitole" übernommen. 136 Der Bildaufbau von „Le Sacrifice" mit dem Baum und den hockenden Mutter-Kind-Gruppen schließlich orientiert sich deutlich an Giulios Zeichnung für „Les secretaires, les serviteurs et les valets d'armes" (Abb. 40). 137 Der Betrachter gelangt jetzt zur Mitteltravee der Galerie, die mit ihren beiden nicht mehr original erhaltenen Dekorationen eine deutliche Zäsur in der Bildabfolge darstellte. In der ursprünglichen Konzeption der Galerie befanden sich hier zwei Kabinette, deren aufwendig stuckierte Kamine an den jeweiligen westlichen Seitenwänden mit Bildern geschmückt waren und die zusammen mit den ebenfalls nicht mehr erhaltenen Dekorationen der Kopfwände der Galerie (Bacchus, Venus und Cupido sowie Venus und Cupido) 138 an vier 134 Ovid, Met. 10,560-707; vgl. Lövgren, Ii Rosso Fiorentino ä Fontainebleau, pp. 66-69; ihm folgen Panofsky/Panofsky, The Iconography of the Galerie Francois I er , pp. 139-141. Die rahmende Struktur dieser literarischen Vorlage findet sich gewissermaßen nach außen gespiegelt in Rossos Gestaltung dieser Travee wieder, weil auch bei Ovid die Hippomenes/Atalanta-Erzählung in die Geschichte vom Tod des Adonis eingeschoben ist. 135 136 137 138
Vgl. Kat. Jules Romain, L'Histoire de Scipion, pp. 28/29. Ibid., pp. 108/109. Ibid., p. 129. So die Beschreibung bei Vasari (Barocchi), Vita del Rosso, vol. 4, pp. 486s., der seine Kenntnisse wahrscheinlich von Primaticcio bezog: „Nelle due testate di questa galleria sono due tavole a olio di sua mano disegnate e dipinte, di tanta perfezzione che di pittura si puö vedere poco meglio, nell'una delle quali e un Bacco, et una Venere, fatti con arte maravigliosa e con giudizio. Ε il Bacco un giovinetto nudo tanto tenero, delicato e dolce, che par di carne veramente e palpabile, e piü tosto vivo che dipinto; et intorno a esso sono alcuni vasi, finti d'oro, d'argento, di cristallo e di diverse pietre finissime, tanto stravaganti e con tante biz[z]arrie attorno, che resta pieno di stupore chiunche vede quest'opera con tante invenzioni. Vi e anco fra l'altre cose un Satiro che lieva
6.1. Programmatische
Abb. 40
Programmlosigkeit
227
Giulio Romano, Die Sekretäre, die Diener und die Waffenträger, 1533/34 (?), Zeichnung, Louvre, Paris
Schlüsselstellen d e r A u s s t a t t u n g einen e r o t i s c h e n A k z e n t setzten. 1 3 9 Z u g l e i c h t r a t d e r H a u s h e r r d e m B e t r a c h t e r an dieser Stelle e r s t m a l s l e i b h a f t i g u n d , e i n e m deus ex machina gleich, v o n o b e n auf i h n h e r a b b l i c k e n d entgegen: U b e r d e m E i n g a n g z u m n ö r d l i c h e n K a b i n e t t b e f a n d sich eine v o n C h e r u b i m g e t r a g e n e B ü s t e des K ö n i g s , die v o n je einer g e m a l t e n victoria u n d fama f l a n k i e r t w u r d e . 1 4 0 E r b e w a c h t e so d e n E i n g a n g des K a b i n e t t s , in d e m una parte d'un padiglione, la testa del quale e di maravigliosa bellezza in quella sua strana cera caprina, e massimamente che par che rida e tutto sia festoso in veder cosi bei giovinetto. E w i anco un putto a cavallo sopra un orso bellissimo, e molti altri graziosi e belli ornamenti a torno. Nell'altro e un Cupido e Venere, con altre belle figure. Ma quello in che pose il Rosso grandissimo studio fu il Cupido, perche finse un putto di dodici anni, ma cresciuto e di maggiori fattezze che di quella etä non si richiede, e in tutte le parti bellissimo." 139 An der Ostwand befand sich das Bild „Venus, Bacchus und Cupido", Rossos erstes in Frankreich ausgeführtes Gemälde, das heute in einer (sehr gut kopierten oder sogar eigenhändigen) Version im Museum des Großherzogtums Luxemburg aufbewahrt wird; vgl. Beguin, Le programme mythologique; ead., N e w Evidence for Rosso in France; ead., Bacchus, Venus et PAmour; ead., Giulio Romano et l'ecole de Fontainebleau, p. 58 und fig. 20; Zerner, L'art de la Renaissance en France, p. 67. 140 Vgl. Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, pp. 250-252.
228
Abb. 41
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
Leon Davent (nach Primaticcio): Jupiter und Semele, um 1543, Ecole nationale superieure des beaux-arts, Paris
den Besucher (passenderweise über dem Kamin) eine Liebesszene zwischen dem alter ego des Königs, Jupiter, und Semele in freizügigster Darstellung des fatalen Koitus erwartete (Abb. 41) - eine Liaison, aus der im Mythos der „zweifachgeborene" Bacchus hervorgeht. 141 Die stärker sublimierte Darstellung der Jupiter-Liebschaft mit Danae (Tafel 33), die als einzige sicher von Primaticcio stammt, bildete im südlichen Kabinett das Pendant und wurde nach dessen Schließung spätestens 1536 auf die Innenseite der Galerie über den verkleinerten Eingang versetzt, während das Nordkabinett erst 1786 geschlossen wurde. 142 Ursprüng141 Diese freizügige Darstellung der Jupiter-Eskapade, die nur in einer Radierung von Leon Davent überliefert ist, wurde unter Louis XIV entfernt und durch Boulognes Allegorie „Minerva und die Künste" ersetzt. Heute findet man an der Stelle des nicht mehr vorhandenen Eingangs zum Nordkabinett Alaux' N y m p h e von Fontainebleau (1846), die dem Stich von Pietro da Milano und Rene Boyvin nach Rosso nachempfunden ist; vgl. Pressouyre, Le cadre architectural, p. 16. 142 Beguin/Guillaume/Roy, La Galerie d'Ulysse, p. 36. - Es ist in der Forschung umstritten, ob das Südkabinett nur geplant oder auch tatsächlich gebaut wurde. Zumindest die Fundamente sind mit einiger Sicherheit belegt; vgl. Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, p. 223. Geht man davon aus, daß es ausgeführt wurde, so war es bei der ersten baulichen U m gestaltung des Galerietraktes um 1534, die den Küchentrakt und die Terrasse vor der Galerie betraf, wahrscheinlich noch erhalten geblieben. Laut Boudon/Blecon/Grodecki, Le chateau de Fontainebleau, p. 150 wurde es erst um 1570 abgerissen; vgl. auch ibid., p. 165.
6.1. Programmatische
Abb. 42
Programmlosigkeit
229
Pietro da Milano; Rene Boyvin (nach Rosso), Die N y m p h e von Fontainebleau, vor 1553
lieh hatte Rosso für die Südwand seine „Nymphe von Fontainebleau" (die nur in dem Stich von Rene Boyvin und Pietro da Milano überliefert ist; Abb. 42) vorgesehen, die wohl als Relief ausgeführt werden sollte. 143 Der Pere Dan beschreibt noch diesen ursprünglichen Zustand der Inszenierung des königlichen Potenzgebarens über dem Nordkabinett. 1 4 4 Die Galerie erfüllt mit dieser Mitteltravee die in Oberitalien etablierten Standards höfischer Repräsentation, in denen Jupiterliebschaften untrennbar mit herrscherlicher Selbstdarstellung zusammengehörten - man denke nur an die beiden Correggio-Gemälde, den „Ganymed" und „Jupiter und Io" für Federigo Gonzaga in Mantua. In Fontainebleau, so scheint die implizite Botschaft dieser beiden Kabinette zu lauten, genügen zwei Jupiterliebschaften, um mit den anderen europäischen Höfen erfolgreich zu rivalisieren. Denn die SemeleSzene geht in ihrer Drastik weit über die erotischen Standards sonstiger Darstellungen des amourösen Göttervaters hinaus: Der Betrachter wurde in Fontainebleau gezwungener-
143 Laut Carroll ist die Bildunterschrift, die Frangois als „potentissimus bonarum artium ac literarum pater" rühmt, nach dessen Tod auf dem Stich angebracht worden; die Umdeutung der N y m p h e in eine Diana erfolgte wohl erst im Umkreis von Henri II und Diane de Poitiers (Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, pp. 252-255). Zum Verhältnis von Rossos Entwurf zu Cellinis N y m p h e von Fontainebleau vgl. Marsengill, Identity Politics in Renaissance France, p. 36; Jestaz, Benvenuto Cellini et la cour de France, pp. 101-103. 144 Dan, Fontainebleau, le tresor des merveilles, p. 92: „Et tout au dessus de l'entree de ce Cabinet est vn grand buste de relief, representant le portrait ä demy corps du grand R o y Francois porte par diuerses testes de Cherubins; & aux costez il y a deux Anges qui tiennent chacun la Deuise de ce Prince. Outre que de part & d'autre sont deux grandes figures peintes sur vn fond d'or, l'vne representant la Victoire, & l'autre la Renommee, auec pareils embellissemens."
230
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
maßen zum Voyeur, der in der Intimität des Kabinetts einen Blick auf diese fast pornographisch zu nennende Szene erhaschte. In einer ausnahmsweise einmal leicht vorzunehmenden semantischen Übertragung wurde er mit dem courtois-sexuell aufgeladenen Klima dieses Hofes konfrontiert, an dem der König in einigen Bereichen gerne auf künstlerische Sublimation verzichtete und Jupiter mannhaft vertrat. Nach diesem „erotischen Intermezzo" findet der Betrachter in den letzten drei Traveen eine deutliche Zentrierung der Ikonographie auf die politisch-imperiale Ebene und auf die Person des Königs selbst. Formale Parameter in den rahmenden Stuckdekorationen der Danae, die erneut nicht notwendig mit semantischen Aussagen kongruieren, greifen vor Beginn dieses zweiten, ideologisch und auch künstlerisch zugespitzten Teiles des Besichtigungsganges noch einmal auf schon Gesehenes zurück, verweisen aber auch bereits auf Kommendes: Die beiden Dreiergruppen von fruchtkorbtragenden Frauen (eine hybride, an der Hypnerotomachia orientierte 145 Neubildung ohne klassisches Vorbild, da antike Dreikörperhermen nicht belegt sind) unterstreichen nicht nur die Fruchtbarkeit des Göttervaters, sondern zitieren auch in abgewandelter Form die dreigesichtige Frau in der rechten Freskendekoration neben der „Jeunesse perdue", die die Panofskys als Hekate triformis interpretiert haben; 146 zugleich weisen sie voraus auf die sechs Dryaden unter dem „Sacrifice" und auf die je drei weiblichen Miniaturstucktorsi in der Dekoration neben „Cleobis et Biton". Das Motiv der Dreiköpfigkeit wird schließlich im Cerberus im Fresko des „Elephant fleurdelyse" auf die Tierwelt übertragen. Auch die beiden kleinen Tondi über der Danae-Szene zeigen Reminiszenzen an bereits Gesehenes (vgl. Tafel 33): Der Apoll auf seinem Sonnenwagen wiederholt spiegelverkehrt die Figur, die in der „Jeunesse perdue" den Zodiacus hinabgestiegen kam, während auf der Darstellung von Dianas Mondwagen die Figur im Vordergrund die gleiche Haltung wie der sterbende Adonis einnimmt, allerdings in die Rückenansicht gewendet. 6.1.2. Uberbietung durch Verdoppelung: Metamorphotische Spiegelungen Nicht nur die politische Botschaft der Galerie verstärkt sich gegen ihr Ende hin, 147 auch die verwirrenden Parameter werden immer komplexer - bedingt durch die Tatsache, daß jeder neue Seheindruck das Assoziationsgeflecht im Kopf des Betrachters weiter verdichtet: In der nun folgenden Travee arbeitet Rosso ganz bewußt mit dem Stilmittel der Spiegelung und der Verdoppelung. Die sogenannte „Piete filiale" (oder auch „Zwillinge von Catania") (Tafel 34) stellt eine Art Summe seiner künstlerischen Strategie semantischer Anreicherung durch Abwandlung und zugleich ein drittes Paradebeispiel für die Kommentierung künstlerischer Vorbilder dar. Die beiden jungen Männer, die als Zwillinge das Thema von Identität und Differenz geradezu verkörpern, 148 verdoppeln Raffaels Aeneas- und Anchises-Gruppe aus dem Borgobrand der Stanza dell'Incendio im Vatikan (Abb. 43). 149 Auch die dortige Säulenreihe links und der Blick der alten Frau vom Bildrand auf das Geschehen finden sich 145 Colonna, Hypnerotomachia Poliphili, vol. 1, p. 344 zeigt eine dreigesichtige Phantasieherme mit priapischem Penis auf dem Pfeiler. 146 Panofsky/Panofsky, The Iconography of the Galerie Frangois I er , p. 150. 147 Hierzu detaillierter Kapitel 6.2. dieser Arbeit. 148 Vgl. Dubois, Limitation sans limitation, p. 277. 149 Hierzu auch Joukovsky, L'Empire et les barbares, p. 17.
6.1. Programmatische
Abb. 43
Raffael, Detail aus: Borgobrand, 1514, Stanza dell'Incendio, Vatikan
Programmlosigkeit
231
Abb. 44 Michelangelo, Detail aus: Die Sintflut, 1508/09, Sixtinische Kapelle, Vatikan
in der „Piete" in abgewandelter F o r m wieder. Gleichzeitig nutzt R o s s o das Motiv, um zu demonstrieren, daß er nicht nur Raffaels Tragegruppe spiegeln kann, sondern dessen G r u p penbildung durch noch wesentlich größere Virtuosität zu überbieten im Stande ist, wie man an der linken G r u p p e sieht. D o c h nicht nur Raffael, auch Michelangelo ist in diesem F r e s k o präsent, denn R o s s o zitiert hier ebenfalls die zentrale Tragegruppe aus dessen Sintflut an der Sistina-Decke ( A b b . 44). 1 5 0 U n d schließlich darf auch die A n t i k e nicht fehlen: D e r K ö r p e r des alten Mannes scheint zugleich auf den Torso v o m Belvedere und der Tragende mit dem Getragenen auf die H e r k u l e s - A n t ä u s - G r u p p e B e z u g zu nehmen, während der Jüngling rechts im Stuck den Belvederischen Apoll zitiert und die G e w a n d u n g seines Gegenstücks, des (gallischen? 1 5 1 ) „ B a r b a r e n " links, an den Gefangenen der Sammlung Farnese orientiert scheint ( A b b . 45). 1 5 2 A b e r R o s s o wäre nicht R o s s o , bräche er diese Allusionen nicht sogleich selbstironisch, indem er dem Alten auf dem F r e s k o nicht nur ein fast unglaubwürdig
150 Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 294. 151 So Panofsky/Panofsky, The Iconography of the Galerie Frangois I er , p. 138. Chastel, Le systeme de la Galerie, p. 148 deutet diese beiden Gestalten als Anspielung auf die mythische Gründung Frankreichs durch Hektors Sohn Francion; vgl. auch Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, pp. 242; 258; Joukovsky, L'Empire et les barbares, pp. 9-11. 152 Haskell/Penny, Taste and the Antique, pp. 170f.; Wilson-Chevalier, La lectrice bellifontaine, pp. 495; 500; 502; vgl. auch ead., Feminizing the Warrior. - Lossky, Quelques sources d'inspiration florentines, p. 80 macht als Vorbilder für diese beiden Stuckfiguren Michelangelos David sowie seinen Moses geltend.
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6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
Abb. 45
Gefangener Dacier, trajanisch,
Museo Nazionale, Neapel
methusalemhaftes Alter, sondern auch eine derart exzentrische Haltung verleiht, daß sie nur noch wenig mit den in Anspruch genommenen Mustern der Kunst gemein hat. 153 Eine parodistische Wendung en miniature
erfährt die Doppeltragegruppe außerdem in den zwei-
mal zwei Kindern, die sie begleiten, vor allem in dem M o t i v des kleinen Jungen, der sein H ü n d c h e n rettet, und dem Mädchen, das seine Puppe in Sicherheit bringt. Künstlerische Innovation im R a h m e n eines primär auf Imitation ausgerichteten ästhetischen Systems kann nur dialektisch über pointierte Differenzmarkierung erfolgen. Dies gelingt R o s s o durch das Verdoppelungsmotiv, das in seiner Variation ähnlicher Parameter und seiner Auffächerung semantischer Ebenen - im Sinne eines rhetorischen Kommentars stets mehr bietet und anders ist als das Ur- und Vorbild. Im hinteren Teil der Galerie verdichten sich die Beispiele für diese Verdoppelungsstrategien und für andere Aufspaltungen von Bedeutungen, die sich in Einzelelementen disseminativ über die verschiedenen Zonen der Dekorationseinheiten verteilen: So findet man unter dem sogenannten „Sacrifice" eine Kartusche, in der sechs Dryaden tanzen (Abb. 4 6 ) - die ikonographisch zugehörige Eiche der Ceres mit ihren Exvoten fehlt hier, sie ist in das Hauptbilder nach oben gewandert. 1 5 4 In 153 Alessandro N o v a sieht im exzentrischen contrapposto des Körpers des Vaters mit dem Rücken der Mutter einen aktiven Beitrag Rossos zur paragone-Debatte seiner Zeit: Nova, ParagoneDebatte und gemalte Theorie, S. 189-191, v. a. S. 190 f. 154 Es ist daher wenig wahrscheinlich, daß sie - wie Oreste Binenbaum und Sylvia Pressouyre annehmen - in einer frühen Restaurierung der Galerie wegretouchiert wurde: Dossier technique, p. 92. Vgl. auch Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, pp. 2 8 2 - 2 8 4 .
6.1. Programmatische
Programmlosigkeit
233
Pietro da Milanos Stich der Kartusche (Abb. 47) hatte der Baum mit den Exvoten noch das Zentrum der Frauen gebildet, die in ihrer Tanzbewegung die antiken Borghesischen Tänzerinnen zitieren (Abb. 48), während in Delaunes Stich eines ersten Entwurfs für das Hauptfresko dort der Baum Votivtafeln und Arm- und Schwertvoten trägt (Abb. 49).155 Die Dryaden selbst sind auch ein Verdoppelungsmotiv: Sie vervielfältigen die berühmte antike Graziengruppe ebenso wie Raffaels Grazien. Ein weiteres Beispiel für Verdoppelung zeigte die „Piete filiale": Dort wurde das Bildthema des Brandes von Catania erneut in der Kartusche unter dem Fresko aufgenommen, die ihrerseits eine brennende Stadt zeigte.156 Diese Präsentation in einem quad.ro riportato als „Aushängeschild" verhilft dem Betrachter jedoch nur scheinbar zum tieferen Verständnis des Dargestellten, weil allein das Hauptthema „Brand" in oberflächlicher Weise annonciert wird. Die Kartusche kann auch als Reminiszenz an die Fontainebleau-Vedute am Galerieanfang gelesen werden. Zugleich ermahnen die rahmenden Satyrmasken den Betrachter jedoch, diese Wiederholungen als virtuoses und witziges Spiel zu sehen und nicht allzuviel Tiefsinn auf seine Deutung zu verwenden. Satyrn aber sind - wie Kentauren - phantastische Mischwesen.157 Variierende und transformierende Wiederholung ist das Strukturprinzip der Metamorphose - und es ist sicher kein Zufall, daß gerade Ovids Hauptwerk bei mehreren der dargestellten Szenen den literarischen Anknüpfungspunkt geboten hat. Das Groteske, Monströse, Disparate, Vieldeutige, Sarkastische und Unverstehbare bestimmen Ovids Erzählungen.158 Die Uberleitungen zwischen den einzelnen Metamorphosen folgen bei Ovid einer artifiziellen Logik - häufig erlaubt sich der Autor arbiträre Ubergänge, die allein seiner Dichterlaune unterworfen und inhaltlich nicht immer stark motiviert sind.159 Sie „funktionieren" damit ähnlich wie die Sinntransformationen von Bild zu Bild in der Galerie.160 Und eine zentrale Strategie der Metamorphosen ist auch in deren Struktur wirksam: das bedeutungsträchtige Spiel mit Metaphern und wörtlichen Bedeutungen, das die Göttervon der Erdenwelt trennt und vielen der ovidischen Kunstfiguren, die diese kategoriale Differenz von Sinnproduktion verkennen, zum Verhängnis wird. Die Metamorphosen sind 155 Für Zorach, Blood, Milk, Ink, Gold, p. 75 haben diese Exvoten an verschiedenen Stellen der Galerie ihre Spuren hinterlassen: „The votive function of the small images in the drawing, however, has echoes in the tiny hieroglyphic and ornamental images distributed as enigmatic fragments throughout the gallery [ . . . ] . " 156 Es wird nicht klar, aus welchen Details der Bildgestaltung Carroll schließt, daß es sich hierbei um Troja handelt; vgl. id., Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, p. 258. 157 Vgl. Ovid, Met. 12,502, der dort von den „geminae vires" der Kentauren spricht. 158 Vgl. hierzu Marechaux, L'arriere-fable: la preface de Marot ä la Metamorphose,
p. 85.
159 Vgl. Clement Marots Widmungsepistel seiner Ovid-Ubersetzung, in: id., CEuvres poetiques, t. 2, p. 406: „ [ . . . ] la Metamorphose d'Ovide me sembla la plus belle, tant pour la grande doulceur du stile, que pour le grand nombre de propos tombants de l'ung en l'aultre par lyaisons si artificielles, qu'il semble, que tout ne soit, qu'ung." Dies betonte bereits Regius im Windmungsbrief seines Metamorphosen-Kommentars
von 1493 an Francesco Gonzaga; vgl. Marechaux' brillanten
Aufsatz zu Marots Abhängigkeit von Regius: L'arriere-fable: la preface de Marot ä la
Metamor-
phose, hier p. 80. 160 Vgl. beispielsweise den Ubergang von Jupiter und Io zum ersten Teil der Phaeton-Erzählung (Met. 1,748 ff.) oder denjenigen von den lykischen Bauern zu Marsyas: „Sic ubi nescio quis Lycia de gente virorum / rettulit exitium, satyri reminiscitur alter, / quem Tritoniaca Latous harundine victum adfecit poena" (Met. 6 , 3 8 2 - 3 8 5 ) .
6. A r c a n a Imperii et Artis: Die G r a n d e Galerie
Abb. 46
Abb. 48
Detail aus Tfl. 39 (Le Sacrifice, Kartusche mit Dryaden)
Tänzerinnen (ehemals Sammlung Borghese), römisch, zw. l.Jh. v. Chr. u. 1.Jh. n. Chr., Louvre, Paris
6.1. Programmatische
Abb. 49
Programmlosigkeit
235
Etienne Delaune (nach Rosso), Le sacrifice, um 1536
gewissermaßen Einzelfalldarstellungen einer Transformationsgesetzlichkeit in chronologischer Folge vom Chaos bis zur Herrschaft des Augustus - und auch hierin den einzelnen Dekorationseinheiten der Galerie vergleichbar. Eine vertiefte Untersuchung der OvidRezeption am Hof des französischen Königs wäre lohnend, kann hier jedoch nicht geleistet werden. 161 Es sei nur auf Clement Marots Ubersetzung der ersten beiden Bücher der Metamorphosen (entstanden vor 1531, Erstpublikation 1534 bei Estienne Roffet 1 6 2 ) hingewiesen, die in ihren übersetzerischen Verfahren auf den ersten Blick frappierende strukturelle Ähnlichkeiten mit der Galerie aufweisen. 163 Die Ubersetzung selbst ist eine Metamorphose des Urtextes, der Übersetzer ein Transformator in Potenz, wie Marot selbst schreibt: Et pour ceste mesme cause, je me suis pense trop entreprendre de vouloir transmuer celluy, qui les aultres transmue. Et apres j'ay contrepense, que double louange peult venir de transmuer ung trans mueur, comme d'assaillir ung assailleur, de tromper ung trompeur, & moequer ung moequeur. Mais pour rendre l'oeuvre presentable a si grande majeste, fauldroit premierement, que vostre plus que humaine puissance transmuast la Muse de Marot en celle de Maro. 164
161 Vgl. Thimann, Lügenhafte Bilder; Amielle, Les traductions frangaises des Metamorphoses d'Ovide; Rigolot, Introduction ä l'etude du „commentataire". 162 Marot, (Euvres poetiques, t. 2, pp. 403—493. Zur Datierung: ibid., p. 1188. 163 Damit ist nicht eine platte Illustration des Marot-Textes durch Rosso gemeint, sondern eine Vergleichbarkeit auf struktureller Ebene, auch wenn Marot in seiner Widmungsepistel dem Wunsch Ausdruck verleiht, daß „ceste belle Metamorphose [seroit] aux Poetes vulgaires, & aux Painctres [...] tresproffitable" ((Euvres poetiques, t. 2, p. 406). Vgl. auch Nova, Paragone-Debatte und gemalte Theorie, S. 185. 164 Marot, ibid., pp. 406s.
236
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
Auch der Übersetzer bedient sich ständiger sprachlicher Doppelungen und Variationen, er versucht sich mit Hilfe des rhetorischen Stilmittels der geminatio dem Original immer mehr anzunähern.165 Marots Absicht ist klar (und auch hier in der charakteristischen chiastischen Doppelung) in seiner Widmungsepistel an den König von 1534 ausgedrückt: „renouveller (pour vous en faire l'offre) l'une des plus Latines antiquites, & des plus antiques Latinites".166 Doch Marot war kein Manierist, auch wenn Dolet seiner Ausgabe von 1538 panegyrische Verse voranstellt, in denen die Überbietungsleistung des Übersetzers gelobt wird: „Mirum fuit, quae narrat Ouidius, corpora / Alia in alia tarn mirifice / Mutata: sed nihilo minus mirum est, Librum / Ovidij tarn mirifice / Versum ingenio Maroti, ut aequet Gallico / Sermone sermonem Latium: / Aequet? superest potius Poetam principem / Longe omnium Versu facili, / Venaque diuite, seu canat Amoris iocos, / Seu quidpiam aliud gravius."167 Und daher unterscheiden sich Marots literarische Variationsverfahren auf den zweiten Blick dann doch von denen der Galerie:168 Er versucht Ordnung in das Chaos der Diversitäten zu bringen, Einheitlichkeit zu stiften; seine Wiederholungen in hermeneutischexegetischer Absicht sind auf höchstmögliche Aufklärung des Lesers ausgerichtet.169 Während der Übersetzer Marot, der noch in der Tradition der rhetoriqueurs dichtet,170 Synonyme einsetzt, um seine Übertragung des Originaltextes möglichst präzise und zugleich (im Sinne des antik-rhetorischen Ideals eines Quintilian oder eines Cicero) variantenreich zu gestalten,171 zielen die Strategien der verdoppelnden Mehrdeutigkeit in der Galerie vielmehr auf eine Verdunklung von Sinn, auf Hermetisierung von Bedeutungen. Sie führen den Betrachter absichtlich in die Irre, indem sie vorgeben, Klarheit und Sinn zu vermitteln. Diese „Vervielfältigungen" mit künstlerischen Mitteln, die immer auch (Überlegenheit gegenüber den Originalen beanspruchende) Substitute für Werke Raffaels oder Michelangelos im
165 Marechaux, L'arriere-fable: la preface de Marot ä la Metamorphose, pp. 88s. Vgl. zu den literarischen Verfahren der Reproduktion in der Wiederholung und ihren Auswirkungen auf eine Phänomenologie poetischen Sprechens Lobsien: Wörtlichkeit und Wiederholung, passim, insbesondere Kapitel 8: Wörtlichkeit, Reproduktion, Modifikation, Wiederholung. 166 Marot, CEuvres poetiques, t. 2, p. 406. 167 Ibid., p. 403. 168 Vgl. hierzu Dubois, L'imitation sans limitation, p. 279: „Une manierisation implique chez le createur une volonte de faire voir toutes les possibilites de multiplication des mots et des sens, et d'en jouer jusqu'ä l'absurde dans une infinite de sens oü se dilue la volonte de faire comprendre et s'exhibe la volonte de faire admirer l'ingenieuse technique de multiplication des sons, des sens jusqu'au non-sens." 169 Marot, CEuvres poetiques, t. 2, p. 406: „Pour ces raisons, & aultres maintes, deliberay mectre la main ä la besongne: & de tout mon pouvoir suyvre, & contrefaire la veine du noble Poete Ovide: pour mieulx faire entendre, & sgavoir ä ceulx, qui n'ont la langue Latine, de quelle sorte il escripvoyt: & quelle difference peult estre entre les Anciens, & les Modernes." Doch weniger im Sinne einer Querelle möchte er sich diesem Problem stellen, vielmehr als Vermittler und Überlieferer. Der vieldeutige Begriff des „contrefaire" verweist in diesem Fall auf eine gesteigerte mimetische Absicht - der Übersetzer versucht, den Originaltext möglichst getreu zu kopieren. 170 Loeffler, The Arts in the Court of Francis I, pp. 143-179. Zum Verhältnis zwischen Marot und Rosso vgl. Weislogel, Rosso Fiorentino, Benvenuto Cellini and Clement Marot, pp. 138-244. 171 Marechaux, L'arriere-fable: la preface de Marot ä la Metamorphose, p. 88 nennt als signifikantes Beispiel (unter anderen) die Übersetzung von Ovids „in similitudinem deorum" mit „Au propre image et semblable effigie" bei Marot.
6.1. Programmatische
Programmlosigkeit
237
Modus der „hauseigenen" Reproduktion darstellen, liefern mehr als nur Doppeldeutigkeiten. Durch die Bedeutungstransformation werden die einzelnen Bildelemente immer neu kontextualisierbar, assoziierbar und dadurch polysem.172 Ihre Ambivalenz und Mehrdeutigkeit verteilt sich - auch hierin Bronzinos „Allegorie" vergleichbar173 - über den gesamten Galerieraum und spinnt ein unentwirrbares Netz disseminierter Semantik. Erst die Verdoppelung mit ihrer Möglichkeit des motivinternen Kommentars erlaubt die spielerisch-witzige Variation desselben Themas. Erst die Differenzierung in der transformierten Wiederholung ermöglicht den Einsatz des Stilmittels der Ironie und die ironische Brechung des scheinbar Positiv-Offensichtlichen. Während die Zwillinge Amphinomus und Aenapias ihre Eltern nach dem Ätna-Ausbruch aus der brennenden Stadt Catania retten und damit im Kontrast zu den Figuren im Hintergrund, die nur egoistisch um die Rettung ihrer armseligen Habe bemüht sind, ein Exemplum von pietas statuieren, stellt das folgende Fresko (Tafel 35), das erneut mit zwei zwillingsähnlichen jungen Männern als Hauptpersonen operiert und neben dem in der linken Stuckkartusche auf das Sternbild der Zwillinge angespielt wird,174 sozusagen die sarkastische Variante dar. Die Geschichte von Cleobis und Biton (wie sie Herodot, 175 Ciceros Tusculanae Disputationesm und der Georgicakommentar des Servius177 erzählen), wird in Rossos Gemälde zu einem zynischen Kommentar über die Nutzlosigkeit von Caritas und pietas,178 der nach dem vorbildlichen und erfolgreich praktizierten Akt der Nächstenliebe der katanischen Zwillinge die hochgesteckten moralischen Erwartungen des Betrachters drastisch enttäuscht: Die Junopriesterin Kydippe hatte statt ihrer Ochsen ihre beiden Söhne vor ihren Karren gespannt, um im Tempel ein Opfer darzubringen. Sie bittet die Göttin um die größte nur denkbare Gnadengabe
172 Philip Ford spricht zutreffend von einem „acte de polysemie visuelle": Pietas ä Fontainebleau, P-93. 173 Vgl. hierzu Parker, Bronzino: Renaissance Painter and Poet, p. 152, die analoge künstlerische Strategien in Bronzinos Dichtungen herausarbeitet: „An object or a figure might embody more than one abstract quality, a parody can operate on more than one level, and a word can evoke more than one obscene meaning. Such a mobile sensibility tends toward the anamorphic." 174 Laut Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, p. 263. 175 Herodot, 1,31; vgl. auch Plutarch, Solon 27; Consolatio ad Apollonium 14; Anthologia Palatina 3,18. 176 Cicero, Tusculanae Disputationes 1,113. 177 Vergil spielt auf die Geschichte in seiner Darstellung der Norischen Viehseuche an (Georgica 3,531-533). Servius erläutert in seinem Kommentar zur Stelle diese Anspielung mit Berufung auf Herodot. Dem Zusammenhang bei Vergil entsprechend führt Servius den Tod der Zugtiere durch die Pest als Grund für ihr Ausbleiben in der Geschichte ein. Auch bei Hygin 254 heißt es, die Zugtiere seien gestorben. Nur in der erweiterten Fassung des Servius-Kommentars (wohl aus dem Kommentar des Donat) steht jedoch, daß die Priesterin ihre Söhne vor den Wagen spannt, in den anderen Quellen gehen sie selbst unter das Joch. Die extrem negative Interpretation des Mythos durch Rosso ist somit im Servius-Kommentar bereits angelegt. Vgl. hierzu auch Zorach, Blood, Milk, Ink, Gold, p. 56. 178 Und nicht, wie Wilson-Chevalier, Feminizing the Warrior, p. 13 meint, eine Anspielung auf die beiden Söhne des französischen Königs, die für ihn die Last der spanischen Gefangenschaft übernahmen.
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6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
Abb. 50
Detail aus Tfl. 35 (Stucktondo links)
für ihre Kinder - diese schickt den beiden daraufhin den Tod. 179 Die Mutter scheint soeben diese schreckliche Nachricht erhalten zu haben, da sie im Entsetzensgestus erstarrt ist - in einer für Rosso typischen Inversion wirkt sie damit in ihrer innerlichen Versteinerung skulpturaler als die Göttinnenstatue selbst, die recht locker und lächelnd in ihrer Nische sitzt. 180 Auch innerhalb der Dekoration findet sich hier ein „augenzwinkernder" Hinweis auf das Spiegelungsmotiv, das die gesamte 5. Travee dominiert: Das königliche „F", das in mehreren der bereits besichtigten Fresken als Herrschaftszeichen zu sehen war, ist hier gleich vierfach angebracht - zweimal achsensymmetrisch korrekt, zweimal falsch gespiegelt. Die beiden flankierenden Stucktondi kommentieren in einer Lesart von rechts nach links die Geschichte des Hauptfreskos und führen sie fort. Rechts sieht man eine Pestszene vor einem römischen Antikencapriccio, links scheint Juno nach vollbrachter Tat zu entschwinden 181 und noch einmal den Verzweiflungsgestus der Mutter höhnisch nachzuahmen (Abb. 50). 179 Vgl. Lövgren, II Rosso Fiorentino ä Fontainebleau, p. 61. Panofsky deutet dieses Fresko als Allegorie der Ergebenheit Frangois' seiner Mutter gegenüber; die Stuckkartusche mit Pero, die ihren Vater Cimon nährt, liest er hingegen als Allegorie der Liebe Margaretes von Navarra zu ihrem Bruder - die inzestuösen Konsequenzen, die sich hieraus für das geschwisterliche Verhältnis ergeben, mag man sich nicht ausmalen. 180 Vgl. Barocchi, Ii Rosso Fiorentino, p. 130. - Der Gestus der Kydippe ist ein explizites Selbstzitat Rossos: Maria breitet in vergleichbarer Verzweiflung ihre Arme über dem „Toten Christus" (für Anne de Montmorency) aus; vgl. Kat. Rosso, Le Christ mort. 181 So bereits der Abbe Guilbert, Description historique, vol. 1, p. 85. Es herrscht jedoch einmal mehr Uneinigkeit über die Identität der dargestellten Figur: Neben Juno wurden Diana (Lövgren, Ii Rosso Fiorentino ä Fontainebleau, p.62), Luna/Selene (Tervarent, La pensee du Rosso, pp. 36s.) und Ceres/Demeter (Panofsky/Panofsky, The Iconography of the Galerie Frangois I er , p. 138) genannt.
6.1. Programmatische
239
Programmlosigkeit
Zugleich bringt Rosso hier erneut ein prominentes Kunstzitat aus seinem reichen Repertoire an, indem er sich in der Liegegruppe im Vordergrund explizit auf Perin del Vagas Gigantensturz im Palazzo Doria in Genua bezieht (Tafel 36). Von dort stammt auch die charakteristische Zweiteilung des Bildes in die himmlische und irdische Sphäre mittels einer horizontalen Wolkenschicht. 1 8 2 Ist das Auge des Betrachters einmal für diese Verdoppelungs- und Spiegelungsmotive geschärft, so entdeckt er Vervielfältigungen, wohin er nur schaut. Vorausblickend auf den „Elephant fleurdelyse", findet er dort eine spiegelbildlich zur J u n o am Bildrand rechts oben piazierte Jupiterstatue, 1 8 3 die ihre Attribute so wie Herkules sein Löwenfell trägt. D e r Storch, der vor dem Elefanten im Vordergrund zu sehen ist, greift erneut das auf, denn bei Horapollon gilt dieses Tier als besonderes exemplum
pietatis.m
Pietas-Thema Die beiden
flankierenden Fresken zeigen galant-metamorphotische Szenen, einmal frontal die Verführung der Phylira und einmal in der Rückenansicht den Raub Europas. Die „ U m armung", die Phylira dem als Pferd getarnten Saturn angedeihen läßt, spiegelt sich in den beiden Zweiergruppen in der Dekorationseinheit gegenüber, die als concordia/unio
und dis-
cordia gedeutet wurden. 1 8 5 Das angebliche Selbstporträt Rossos, das manche Interpreten in dem rothaarigen Mann links unter der Arkade im Elefanten-Fresko erkennen wollen, 1 8 6 trägt den gleichen Bart wie der stukkierte Barbar neben der „Piete filiale". Diese Suche nach Verdoppelungsmotiven ließe sich ad nauseam
fortführen.
J o h n Shearman und Henri Zerner haben zu Recht auf die künstlerische Strategie Rossos hingewiesen, das Erinnerungsvermögen des Betrachters durch solche Reminiszenzen auf 182 Vgl. Parma Armani, Perin del Vaga, pp. 108s. Es finden sich eine Vielzahl weiterer deutlicher Bezugnahmen des Dekorationssystems in Fontainebleau auf den Palazzo Doria: Der auf Chiron reitende, lanzenstechende Achill zitiert beispielsweise den Marcus Curtius aus der Decke der Loggia degli Eroi (ibid., p. 98). Auch die dort anzutreffende Imitation von Goldmosaiken (zum Beispiel in der Stuckdekoration mit Opferszene und mit Begräbnisszene des Salone dei Giganti), die von Raffael in seinen Stanzen-Decken erfunden worden war, findet man in Fontainebleau wieder (ibid., pp. 124s). „Genuesisch" ist weiterhin die Stuckkartusche unter dem „Cleobis und Biton"-Fresko, die kontrastiv zu diesem Akt der göttlichen Grausamkeit die Caritas Romana, also ein Beispiel gelungener menschlicher pietas darstellt. Sie überführt das Fresko von Pero, die ihren Vater säugt, aus der Sala della Caritä Romana im Palazzo Doria ins Medium der Skulptur, indem sie daraus ein stuckiertes Flachrelief macht. Luca Penni (dem ich als Schüler Perins den Entwurf für diese Stuckdekoration zuschreiben möchte) kommt als Vermittler zwischen Genua und Fontainebleau eine zentrale Rolle zu, die noch nicht hinlänglich untersucht worden ist. Ich hoffe, dies demnächst in einer vergleichenden Analyse der Hofkunst und der politischen und künstlerischen Uberbietungsstrategien in Genua, Mantua und Fontainebleau in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu tun. 183 Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, pp. 266 f. deutet diese Statue als Herkules, der von dem königlichen Elefanten dominiert und damit in den Schatten gestellt wird. 184 Horapollo, Zwei Bücher über die Hieroglyphen, S. 108: „58. Quomodo patris amantem? PATRIS studiosum hominem innuentes, ciconiam pingunt. Haec enim a parentibus enutrita, nunquam ab ipsis seiungitur, sed ad extremum vsque senium una permanet, pietatem ipsis obseruantiamque rependens." 185 Panofsky/Panofsky, The Iconography of the Galerie Fran£ois I er , p. 127. 186 Weislogel, Rosso Fiorentino, Benvenuto Cellini and Clement Marot, p. 120; Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, p. 267.
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6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
die Probe zu stellen.187 Ganz am Ende der Galerie, im letzten Fresko, der sogenannten „Ignorance chassee" (vgl. Tafel 40), trägt der Mann im rechten Bildhintergrund (auf den noch näher einzugehen sein wird) ein geschlossenes Buch unter dem Arm. Er schickt damit den Betrachter zurück an den Ausgangspunkt seiner Besichtigung: Hatte er doch in der „Venus" als allererstes rechts unten ein halbgeöffnetes Buch gesehen.188 Satyr und Satyressa links und rechts vom Fresko aber sind „satirische" und unklassische Transformationen der beiden monumentalen Stuckfiguren neben dem Venusfresko.189 Wie die Kentauren am Anfang der Galerie sind sie Mischwesen, die sich als Ubergangsgestalten nicht nur ideal in diesen Kosmos der Metamorphosen einfügen, sondern abschließend auch noch einmal ein genuines Künstlerthema aufrufen: die seit der Antike reflektierte Schwierigkeit der Darstellung von Phantasiegestalten und Mischwesen, die vor der Folie einer mimetisch geprägten Kunstnorm - die Abweichungen von der Naturnachahmung wenig goutiert - ein ästhetisches Problem darstellen. Satyrn - wie auch Kentauren - werden so zu Allegorien von Artifizialität und verbildlichen in ihrem Wesen die spezifisch manieristische Lust an der Übergänglichkeit und der autonom gestalteten Künstlichkeit. Diese enge Verknüpfung von End- und Anfangspunkt der Galerie - die zudem von der Farbigkeit der beiden Fresken auffällig unterstützt wird - macht die Unabschließbarkeit und gleichzeitige Zukunftsoffenheit der Deutungsmöglichkeiten sinnfällig: Ausgerüstet mit den Beobachtungen und Kenntnissen, die er auf seinem ersten Besichtigungsgang erworben hat, könnte der Betrachter jetzt einen zweiten (und beliebig viele weitere) anschließen, die ihm ganz neue Konstellationen erschlössen.190 Denn mittlerweile ist unabweisbar klar geworden, daß eine definitive Gesamtdeutung der Galerie utopisch bleiben wird. Die Ambiguität der Galerie auf formaler wie auf inhaltlicher Ebene ist Programm. Sie verweigert dem Betrachter eine kontinuierlich-narrative Sinnerschließung. Ihre Dekoration
187 Vgl. Shearman, The Galerie Francois Premier, p. 2; Zerner, L'art de la Renaissance en France, pp. 71s. - So war dem aufmerksamen Betrachter das prominent inszenierte Bildmotiv des Elefanten bereits en miniature in den feinen Stuckdekorationen links unten neben der „Vengeance de Nauplius" begegnet, die ein veritables Motivkompendium in dekorativer Verkleinerung bietet: Man fand dort zwei Opferaltäre wie im „Sacrifice"; einen Kentauren wie im „Combat" und der „Education"; schließlich einen „Drachenschwan", der dem auf der „Jeunesse perdue" erstaunlich ähnlich sieht. 188 Tervarent, La pensee du Rosso, p. 42 erkennt darüber hinaus im Venus-Fresko (wahrscheinlich links hinten) „dans un coin de la composition un temple, dont la porte est ouverte". Auch Satyrn waren dem Betrachter dort bereits begegnet: Der Salamander über dem Fresko wurde von Satyrköpfen in mosaico finto flankiert. 189 Vgl. Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, pp. 231; 254. - Zugleich sind die beiden Satyr-Figuren ein Dokument für die Beteiligung Primaticcios an der GalerieDekoration. Denn die „verdrehte" Karyatiden-Satyressa ist ein Zitat aus der Camera delle Cariatidi des Palazzo del Te: Eine Karyatide mit einer Kopf-Kissenstütze (vgl. Kat. Giulio Romano, p. 201) und ein Satyr (Kat. Giulio Romano, p. 371) aus dem dortigen Stuckfries werden hier zu einem neuen Mischwesen verschmolzen und monumentalisiert. Weiterhin wird die Armund Handhaltung dieser beiden Satyrnatlanten noch einmal in der großen Rückenfigur im Fresko selbst zitiert. Bedenkt man, daß die Decke der Galerie im 16. Jahrhundert deutlich tiefer als die heutige ansetzte, so war die Atlantenfunktion der beiden Figuren in der ursprünglichen Ausstattung evident. 190 Vgl. Weislogel, Rosso Fiorentino, Benvenuto Cellini and Clement Marot, p. 7.
6.1. Programmatische
Programmlosigkeit
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basiert strukturell auf dem Prinzip der nichthomologen Opposition, 191 die sich nur auf den ersten Blick symmetrisch-dichotomisch gibt. Bei längerer Betrachtung und dem Bemühen um eindeutige Zuordnung der Gegensatzpaare zeigt sich jedoch immer mehr die kategoriale Differenz. Mit jedem neuen Blick läßt sich der Betrachter ein auf einen dynamischen Prozeß ständiger Bedeutungsverschiebung, unabschließbarer Bedeutungsanreicherung und andauernder Neukontextualisierung vermeintlich bereits abschließend gedeuteter Elemente. So stellt das Betreten der Galerie für den Uneingeweihten eine extreme Krisenerfahrung dar, die zugleich eine zugespitzte ästhetische Erfahrung ist: 192 Gänzlich unvorbereitet wird er in einem fast schockhaft zu nennenden Erlebnis mit dieser Akkumulation hermetischer Bedeutungen auf höchstem künstlerischen Niveau konfrontiert. Zugleich setzt er mit seinem Eintreten in den Besichtigungsgang einen Bezeichnungsprozeß in Gang, der eine nicht mehr aufzuhaltende Dynamik entwickelt. Das einzige Klassifikations„system", das er hierbei entwickeln kann, ähnelt verdächtig der berühmten chinesischen Enzyklopädie und ihrer un-sinnigen Taxonomie der Tiere, die Luis Borges in Das Eine und die Vielen zitiert und mit der Michel Foucault sein Vorwort von Les mots et les choses beginnen läßt: a) appartenant ä l'Empereur, b) embaumes, c) apprivoises, d) cochons de lait, e) sirenes, f) fabuleux, g) chiens en liberie, h) inclus dans la presente classification, i) qui s'agitent comme des fous, j) innombrables, k) dessines avec un pinceau tres fin en poils de chameau, 1) et caetera, m) qui viennent de casser la cruche, n) qui de loin semblent des mouches. 1 9 3
6.1.3. Ästhetik der Uberforderung: Reaktionen der Betrachter Die Präsentation der Galerie durch den König war ein höchst subtil inszenierter Herrschaftsakt. Der Bericht des Kardinals Cervini an den Kardinal Farnese illustriert die oben bereits umrissene Doppelfunktion der Galerie als Wandelhalle zum divertimento der Hofgesellschaft wie als Mittel politischer Inszenierung des Königs gegenüber ausländischen Diplomaten und dokumentiert, daß Francois I er die Galerie gerne zum Anlaß für gelehrtes Raisonnement über die literarischen und historischen Dimensionen der Fresken und deren Umsetzung in die istoria des Bildes nahm: „Et finito questo ragionamento, sua Mta mi dimando se io ero piu stato a Fontanableo, et rispondendo di no, mi disse: Ιο ti voglio mostrar almeno la mia loggia [...]· Et cosi intrando in camera et spogliandosi in giubbone fece poi chiamar me e mi mostro una bellissima loggia di stucchi, pitture et sculture, degna certo di Sua M ta , Ii ragionando di lettere, et di historie su quelle pitture." 194 Marc Hamilton Smith hat eine weitere sehr frühe Beschreibung der Galerie entdeckt, die allerdings weniger Aufschluß über die Perzeption ihrer Ausstattung durch die Zeitgenossen als über den Kunstgeschmack eines Mantuaner Gesandten und dessen lokalpatriotische Parteinahme für italienische Proportionen und für Giulios Palazzo del Te gibt. Es handelt sich um den kurzen Brief des Giovan Battista da Gambara an Federigo II. Gonzaga vom 28. Dezember 1538, in dem es heißt: „Ho visto Fontana Bleo, che non mi pare vederli cosa che non habia visto di piu belle a Mantova. [...] Egli e poi una galeria, lunga assai ma troppo stretta, et e 191 Z u m Gegenbegriff der „homologen Opposition" vgl. Bourdieu, Die männliche Herrschaft, S. 18. 192 Hierzu Oevermann, Krise und Muße. 193 Foucault, Les mots et les choses, p. 7. 194 Zit. n. Dykmans, Quatre lettres de Marcel Cervini, pp. 123s.; vgl. auch Chatenet, La cour de France, p. 253.
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6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
Abb. 51
Antonio Fantuzzi (nach Rosso), Der Tod des Adonis, um 1542/43
dipinta di picture molto brutte." 1 9 5 Ansonsten interessiert er sich vor allem für die verwendeten Materialien und die Holzeinlegearbeiten - zur inhaltlichen Deutung der Galerie und den dargestellten istorie erfährt man von ihm nichts. 196 Dies sind einige wenige Beispiele für die Erwähnung der Galerie aus der Zeit unmittelbar nach ihrer Vollendung, einer Phase, die an detaillierten Beschreibungen sehr arm ist: Wenn überhaupt über die Galerie berichtet wird, dann - verständlicherweise - von ausländischen Diplomaten. Der Grund für die Quellenarmut der Frühphase mag in der die Galerie beherrschenden Ästhetik der intellektuellen Überwältigung des Betrachters zu suchen sein. Die tendenzielle phänomenologische Uberforderung der Besucher der Galerie - die derjenigen bei Herrscherentrees und Festen vergleichbar ist -, 1 9 7 erklärt, wieso aus dem 16. und beginnenden 17. Jahrhundert keine ausführlichen Beschreibungen der Ausstattung überliefert sind. Einen ergänzenden Beleg für die vermutete Uberforderung des Betrachters bietet die eklektische Rezeption der Galerie in der Druckgraphik des 16. Jahrhunderts: Es
195 Abgedr. bei Smith, La premiere description de Fontainebleau, p. 46; vgl. auch ibid., p. 45. Eine noch frühere Beschreibung, in einem Schreiben von Ferrerio an den Kardinal Farnese vom 3. Februar 1539, führt er in Anm. 4 an und paraphrasiert sie im Text, ohne sie zu zitieren. Vgl. Chatenet, La cour de France, p. 252. 196 Der vollständige Text findet sich im Anhang dieser Arbeit. 197 Vgl. McAllister Johnson, Once More the Galerie, p. 132.
6.1. Programmatische
Programmlosigkeit
Abb. 52 Antonio Fantuzzi, Stich mit Landschaft in Stuckdekoration (nach der „Ignorance chassee" der Grande Galerie in Fontainebleau), 1543 gibt keine Stiche, die die Ensembles von Fresko und Stuck reproduzieren. 1 9 8 Entweder wird das H a u p t f r e s k o isoliert und als Einzelbild gestochen, wie in Fantuzzis Serie (Abb. 51), die Rossos Expressivität stilistisch übersteigert, oder aber die rahmenden Stuckkartuschen werden rein ornamental rezipiert wie beispielsweise bei D u Cerceau. 199 Darüber hinaus findet man freie Adaptationen wie Leonard Thirys Serie „Die Suche nach dem Goldenen Vlies". 200 Fantuzzi schließlich füllt die Originalrahmen mit neuen Szenen, deren semantische Dichte deutlich gemindert ist, zum Beispiel mit Landschaftsdarstellungen (Abb. 52).201 Die angestrebte Uberforderung des Rezipienten in der Galerie unterscheidet sich vor allem dadurch von der der Herrscherentrees, daß hier kein kleines Mädchen aus einer der Allegorien herausspringt, um in wohlgeformten Versen den Inhalt der verschlüsselten Botschaft zu erläutern - wie es bei der Entrie Karls V. in London 1522 der Fall war. 202 Auch gibt es in Fontainebleau keine Relation, in der man nachlesen könnte, was die einzelnen Bildelemente bedeuten sollen. Der einzige, der dem Betrachter weiterhelfen könnte, ist der König selbst. Der bereits zitierte Brief des Kardinals Cervini gibt einen der raren Hinweise auf die Cicerone-Funktion des Hausherrn in seiner Galerie. D o r t heißt es, er habe die Botschafter durch den Raum geführt „col dichiararci l'historia delle dipinture". 2 0 3 U n d der oft
Vgl. hierzu auch Auclair, L'invention decorative de la galerie Frar^ois Ier. Vgl. Zerner, Les estampes, p. 117, figg. 176; 178. Vgl. McAllister Johnson, Le programme monarchique, pp. 154s., figg. 248-251. Hierzu auch McAllister Johnson, On Some Neglected Usages, p. 52; er nennt als weiteres Beispiel eine Zeichnung von Belin da Modena, in der das Fresko durch heraldische Elemente ersetzt ist; vgl. auch Beguin, Ä propos d'un dessin de Nicolas de Modena, fig. 2. - Zum Zusammenhang von Ornament und druckgraphischer Produktion in Fontainebleau vgl. Zorach, Blood, Milk, Ink, Gold, pp. 140s. 202 Anglo, Spectacle, Pageantry, and Early Tudor Policy, p. 197. 203 Zit. n. Chatenet, La cour de France, p. 253. 198 199 200 201
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6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
zitierte Satz der Schwester des Königs, Marguerite de Navarres, „car voir vos edifices sans vous, c'est ung corps mort, et regarder vos bastiments sans ou'ir sur cela vostre intencion, c'est lire en esbryeu", 204 weist in dieselbe Richtung. Hebräisch bleibt eine unbekannte und zutiefst unverständliche Sprache, wenn sie nicht von einem der Übersetzung Mächtigen entschlüsselt wird. In Fontainebleau wurde die Uberforderung des Betrachters noch durch die Lichtverhältnisse der Galerie verstärkt: Bedenkt man, daß im Gegensatz zum heutigen Zustand - die Verbauung erfolgte erst 1786 205 - auch die Nordseite der Galerie durchfenstert war, und geht man nicht von einer Verdunklung durch Volants oder Vorhänge aus, so muß der Blendungseffekt, der die Wahrnehmung der Fresken behinderte, gleich doppelt stark gewesen sein. Weiterhin zeigt die heutige Betrachtererfahrung der ornamental überladenen und höchst gewagt die verschiedenen Materialien verbindenden Bildeinheiten, daß es unmöglich ist, alle Ebenen der verwendeten Bildmittel simultan wahrzunehmen: Wie bei der Betrachtung von Eschers changierenden Labyrinthbildern gelingt es auch hier immer nur, eine Material- oder Tiefenebene auf einmal wahrzunehmen - entweder sieht man das Fresko oder den rahmenden Stuck. Beides gleichzeitig im Detail zu erschließen, gelingt jedoch nicht. Bedenkt man weiterhin, daß eventuell ursprünglich auch noch Primaticcios Antikenabgüsse in der Galerie aufgestellt waren, so dürfte die Uberforderung des Betrachters komplett gewesen sein. Und selbst auf der sonst doch so verläßlichen Materialebene wird er beständig getäuscht: Denn die Ausstattung ist auch in dieser Hinsicht eine große Fiktion, geben die Stucchi doch nur vor, Marmor zu sein, täuschen die gemalten Pseudo-Mosaiken Goldgrund doch nur vor und zeigen die kleinen quadri riportati unter den Fresken doch nur vermeintlich portable Gemälde. 206 Erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts findet man ausführlichere Fontainebleau-Beschreibungen, jedoch zumeist noch unter Auslassung der Grande Galerie. Neben den Texten von Thomas Coryate (1611) und John Evelyn (1644) ist hier Cassiano del Pozzo zu nennen, der den Kardinal-Legaten Francesco Barberini 1625 auf dessen Reise an den französischen Hof begleitete und als erster versuchte, die in der Galerie dargestellten Szenen inhaltlich näher zu bestimmen. 207 Doch erst der Pere Dan, 208 der aufgrund der schlechten Quellenlage gerne (und unzutreffenderweise) als authentische Quelle für den Zustand im 16. Jahrhundert herangezogen wird, hat 1642 eine ausführliche und historisch fundierte FontainebleauBeschreibung geliefert, die aber eben im Hinblick auf den Zustand und die Deutungen der 204 Lettres de Marguerite d'Angouleme, p. 382; vgl. Beguin, F r a n c i s Ier, Jupiter et quelques belies bellifontaines, p. 202; Zerner, L'art de la Renaissance en France, p. 84; Schneebalg-Perelman, Les chasses de Maximilien, p. 143; Falciani, Francesco I ritratto a Fontainebleau, pp. 32s. 205 Vgl. Bottineau, Precisions sur le Fontainebleau de Louis XVI; Pressouyre, Le cadre architectural,
Ρ- 13. 206 Vgl. Shearman, The Galerie Frangois Premier, pp. 2; 10-12. 207 Legatione del signore cardinal Barberino in Francia, descritta dal commend" Cassiano del Pozzo. Das Originalmanuskript (ohne Titel und Verfasserangabe) befindet sich in der Biblioteca nazionale di Napoli, n° X, E. 54, Teile sind publiziert bei Müntz, Le chateau de Fontainebleau en 1625. Die Beschreibungen der Gemäldesammlung, der Bäder und der Grande Galerie finden sich im Anhang dieser Arbeit. 208 Hierzu Wilson-Chevalier, Etude sur l'ouvrage du Pere Pierre Dan; ead., Le Pere Dan et le „Tresor des Merveilles"; und vor allem ihre umfangreiche Maitrise von 1973 (Paris IV): Une Etude critique du Tresor des Merveilles de la Maison Royale de Fontainebleau du R.P.F. Pierre Dan (1642).
6.1. Programmatische
245
Programmlosigkeit
Galerie unter Franijois I e r retrospektiv-historisierend angelegt ist. Z u diesem Zeitpunkt ist das Wissen u m die korrekte Abfolge bei der Besichtigung, ausgehend von der chambre roi hin zur chapelle
des Trinitaires,
du
offenbar längst verschüttet; denn Dan beginnt seine
Beschreibung mit der „Ignorance chassee" und folgt dann der Südwand, damit auch die Bezüge zwischen den einander gegenüberliegenden Fresken ignorierend. 2 0 9 E r begründet diese willkürliche Abfolge damit, daß ohnehin kein Zusammenhang zwischen den einzelnen Szenen ersichtlich sei: LA entre les tremeaux des fenestres, oü posent les poutres & le platfond, sont quatorze Tableaux de huit pieds de haut, & de dix-huit de large, y comprenant les bordures & ornemens, lesquels representent diuers suiets d'histoires, d'emblemes, & de fictions poetiques; & sont tous ces Tableaux enrichis de leurs bordures de stuc, auec diuerses figures de relief & de basse taille, qui ornent merueilleusement ce lieu: & parce que comme i'ay desia dit, ce sont suiets differens qui n'ont point de suite, c'est pourquoy i'ay creu estre ä propos de commencer la description de ces Tableaux par celuy qui est le premier du coste de la Cour de la Fontaine, ä l'entree qui vient du grand Escalier. 210 Somit irrt der Pere Dan zwar im korrekten Besichtigungsablauf - den die Forschung erst infolge der Restaurierung der Galerie zwischen 1960 und 1965 rekonstruiert hat - , 2 " aber er erkennt richtig die diesem verwirrenden Bilderrätsel zugrundeliegende poetische Idee höchstmöglicher Hermetik. Dagegen konstatiert er zu Recht einen engeren Zusammenhang zwischen den jeweiligen Hauptfresken und den sie umgebenden Stuckkartuschen: „le tout de stuc & de relief: qui ont vn grand rapport aux suiets contenus en ces Tableaux." 2 1 2 Die Galerie heißt jetzt nicht mehr, wie bislang in den Quellen, Grande in Abgrenzung zur längeren Galerie
d'Ulysse
Galerie,
sondern -
- „petite Galerie" oder eben „Galerie Fran-
£ois I e r ", nach ihrem Erbauer, dessen Porträt darüber hinaus mehrfach in ihr zu sehen sei. 213 Dan verweist auf die omnipräsente königliche Devise und die „chiffres du R o y " 2 1 4 . D e m entsprechend ist auch seine Deutung der (bei seinem Vorgehen) ersten beiden Traveen der
209 Fontainebleau, le tresor des merveilles, pp. 87-94. 210 Ibid., pp. 87s. 211 Vgl. die Sondernummer der Revue de l'art 1972 anläßlich der Restaurierung: La Galerie F r a ^ o i s I er au chateau de Fontainebleau; erstaunlicherweise läßt Weislogel trotz dieser neuen Erkenntnisse seine Beschreibung der Galerie wieder mit dem „Sacrifice" beginnen (Rosso Fiorentino, Benvenuto Cellini and Clement Marot, p. 20). Die Restaurierung der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts entfernte die sinnentstellenden Ubermalungen des frühen 19. Jahrhunderts, konnte aber den schlechten Erhaltungszustand der Fresken nicht immer befriedigend restituieren; vgl. hierzu die beiden Aufsätze gleichen Titels von Lossky, La restauration de la Galerie de Francois I er au XIX C siecle. Zerner, La Renaissance en France, p. 84 konstatiert allerdings: „La question de l'ordre de lecture reste ouverte. Par oü faut-il commencer? Comment faut-il s'orienter dans cet espace?" Er nimmt als hypothetischen Ausgangspunkt des „korrekten" Besichtigungsganges die Büste des Königs über dem Nordkabinett, da dann zu dessen linker (negativ konnotierter) Seite die Bedrohungen der Regentschaft, zu seiner rechten jedoch die Tugenden könglicher maiestas dargestellt seien; Falciani, Francesco I ritratto a Fontainebleau folgt ihm hierin. 212 Fontainebleau, le tresor des merveilles, p. 88. 213 Ibid., p. 87. 214 Ibid., p. 93; vgl. auch p. 87: „[...] un lambry orne de cortouches, oü sont les armes de France Sc des Salamandres, auec des trophees diuers, des basses tailles, & ces mots Latins: Franciscus Francorum Rex."
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6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
Galerie deutlich königszentriert 215 - womit er weite Teile der älteren Forschung (allen voran das Ehepaar Panofsky) auf eine falsche Fährte geführt hat: U y a de l'apparence, & c'est l'opinion de plusieurs, que le sieur Rousse qui a destine & ordonne tous les Tableaux & ornemens de cette Gallerie; comme il estoit non seulement sgauant & intelligent en l'Art de Peinture, mais aussi bien verse es Sciences humaines, a voulu representer par les diuerses histoires, & suiets de ces Tableaux, les actions principales de la vie du grand Roy Frangois, teile qu'estoit son inclination aux Sciences & aux Arts, sa piete, son courage, son adresse, ses amours, ses victoires; notamment la bataille de Cerisoles exprimee par le combat des Lapithes. Comme aussi Ton croit estre representees ses disgraces par ce Tableau ou est figure vn naufrage; & le tout bien ä propos & par modestie, figure par emblemes, & sous ces fictions des anciens Poetes.216 Eines der ganz raren Zeugnisse eines authentischen Besichtigungserlebnisses aus der Entstehungszeit der Galerie, das über die reine Nennung des Gebäudetraktes hinausgeht, stammt von dem englischen Diplomaten Henry Wallop, den der französische König persönlich am 17. November 1540 durch die Galerie führte - eine Ehre, die ihm sicherlich vor allem aufgrund seiner Funktion zukam, Sprachrohr des englischen Königs zu sein. Seinem Protokoll der königlichen Galerieführung kommt eine Schlüsselstellung in der sonst so spärlichen Quellenlage zu, so daß es eine genauere Analyse verdient. 217 Im Vorfeld der Besichtigung erkundigt sich Frangois zuerst sehr detailliert nach den Ausstattungen der englischen Königsschlösser Windsor Castle und Hampton Court 2 1 8 und dokumentiert damit einmal mehr sein Konkurrenzverhältnis gegenüber Henry VIII auch bezüglich der Bautätigkeit. 219 Beide Könige verwahren offensichtlich die Schlüssel zu ihren Allerheiligsten der Kunst selbst (wie übrigens auch Papst Hadrian VI. denjenigen zum Belvederehof; dessen Absicht war jedoch, potentiell negative Einflüsse der dort aufgestellten antiken „Idole" auf fromme Betrachter zu vermeiden 220 ): „the Frenche King [...] browght me into his gallerey, keping the key therof Hym self, like as Your Majestie useth, and so I shewed Hym, wherewith he toke plesur". 221 Die ästhetische Wertschätzung der beiden Könige von Materialien unterscheiden sich jedoch deutlich: Frangois läßt statt prunkvoller Vergoldungen in einem gezielten Understatement lieber weniger auf Außenwirkung zielende, jedoch wesentlich teurere Hölzer zur Ausstattung der Galerie verwen-
215 Ibid., p. 89: „son dessein ne fut pas seulement de chasser l'aueuglement de 1'ignorance de son Royaume, mais encore y establir vn bon ordre & police, soit aux choses ciuiles, ou soit au gouvernement de la guerre: voulant signifier de plus par cette grenade, que tandis que tous ses suiets demeureroient bien vnis ensemble, & auec sa Maieste, comme les grains de ce fruit, tout ce Royaume iroit fleurissant." 216 Ibid., pp. 93s.; fast wortgleich übrigens auch Stockhammer, „The Unity of the State", p. 472. Ebenso kurzschlüssig Loeffler, The Arts in the Court of Francis I, p. 348: „In specific or general ways, the various arts which have been examined expressed life in the court of Francis I and, more particularly, expressed the ambitions, concerns, pleasures, and personality of the king." 217 Vgl. hierzu Zerner, L'art de la Renaissance en France, p. 83. 218 Wallop, abgedr. bei McAllister Johnson, On Some Neglected Usages, pp. 52f. 219 Vgl. Thurley, Hampton Court; id., The Palaces of Henry VIII; id., The Royal Palaces of Tudor England; id., Whitehall Palace. 220 Vgl. Rebaudo, I restauri del Laocoonte, p. 236; Geese, Antike als Programm, S. 36 (mit Verweis auf Michaelis, Geschichte des Statuenhofes, S. 26 ff.). 221 Wallop, p. 53.
6.1. Programmatische
Programmlosigkeit
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den. Generell scheint er die Kunstsinnigkeit und ikonographische Vorbildung des Diplomaten nicht übertrieben hoch (und damit zutreffend) eingeschätzt zu haben, da seine Führung, wie bereits in der chambre du roi, mehr den Materialwert der Galerie als ihre ikonographisch-künstlerische Neuartigkeit hervorhebt: [He] took grete pleasure to commen with me therin, showing me H e hard saye that Your Majestie did use muche gilding in your said howses and specially in the rowffes, and that H e in his buylding used litle or none, but made the rowffes of tymbre fyndly wrought with dyvers collers of woode nautrall, as ebeyne, brasell, and certayne other that I can not wel name to Your Majestie, whiche H e rekeneth to be more riche then gilding, and more durable. 222
Auch die bekannte Szene, in der der König dem Besucher beim Besteigen einer Bank sogar die Hand reicht, damit dieser die Materialien aus der Nähe würdigen kann, spricht für die Materialfixiertheit Wallops, der damit dem durchschnittlichen Schloßbesucher entsprochen haben dürfte. Daß er diesen königlichen Gunstbeweis ganz besonders hervorhebt, entspricht den spezifischen Gepflogenheiten diplomatischer Korrespondenz: And for bycause in suche my communication had with H y m before, I did not gretely prease the mattyer and stuff that the said borders was made of, geving no good luster, the said Frenche King requiered me to go uppon a benche to feele the said matier and stuff; unto whom I saied, ,Sir, the benche is to highe, and shal hardly gett upp,' and began tassaye. He, lyke a good gratiouse Prince did help me forward with his hande, orelles, to be playne with Your Majestie, I shuld hardly have gotton upp; and likewise at my cummyng downe stayed me agayn [ . . . ] . And if in case the Frenche King or he had myslyked m y said Lordes going, I shuld neither have ben holpe upp ne downe the benche, nor yet have cume in his gallerey [...]. 2 2 3
Sollte der englische König Genaueres über die künstlerische Ausstattung der Galerie erfahren wollen, so empfiehlt ihm Wallop, seinen eigenen Hofkünstler Nicolo Belin da Modena 224 zu befragen, der, bevor er um 1535/37 fluchtartig nach England übersiedelte, an der Galerieausstattung in Fontainebleau mitgearbeitet hatte. Er selbst fühlt sich für die ikonographischen Spitzfindigkeiten nicht hinlänglich gebildet und gibt somit wenig zutreffend das wieder, was er zu sehen glaubt: „[...] betwixt every windowe standes grete anticall personages entier, and in dyvers places of the said gallerey many fayre tables of stories, sett in, very fynely wrowght, as Lucretia, and other, as the said Modon can muche better declare the perfytnes of the hole to Your Majestie, then I." 2 2 5 Offensichtlich wurde er auch vom König aufgrund seines subalternen Ranges keiner näheren Erklärung des Dargestellten für würdig erachtet. Er hätte eine solche dichte Beschreibung ohnehin nie adäquat an seinen Dienstherrn weiterleiten können.
222
Ibid.
223 Ibid., pp. 53 f. 2 2 4 Zu Nicolo Belin da Modena vgl. Kapitel 2.4.2. dieser Arbeit und Beguin, Henri VIII et Frangois I er , une rivalite artistique et diplomatique; Sagner-Düchting/Beguin, Artikel „Belin, Nicolas"; Beguin, A propos d'un dessin de Nicolas Beilin de Modene; McAllister Johnson, O n Some Neglected Usages, p. 51; Biddle, Nicholas Bellin da Modena. 225 Zit. n. McAllister Johnson, O n Some Neglected Usages, p. 53.
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6.1.4. D e r Kaiser als idealtypischer Besucher und der Zeremonialweg bis zur Galerie A m 25. Dezember 1539 besuchte ein illustrer Gast Fontainebleau: An diesem Weihnachtstag wurde Karl V. von Frangois I er durch seine Galerie geführt. Die Reise des römisch-deutschen Kaisers durch Frankreich im Winter 1539/40 war eine Sensation für die europäische Öffentlichkeit: Niemand hatte damit gerechnet, daß er das Land seines größten Feindes und Konkurrenten je freiwillig und ohne kriegerische Absichten betreten würde. 226 Die Berater des Kaisers rieten ihm dringend von diesem in ihren Augen sicherheitspolitisch unverantwortlichen Schritt ab. Doch nach dem Waffenstillstand von Nizza (18. Juni 1538) und dem persönlichen Zusammentreffen der beiden Herrscher am 14. Juli in Aigues-Mortes 2 2 7 zeichnete sich eine kurze Phase der Entspannung zwischen den beiden Monarchen 228 ab, die allerdings schnell wieder beendet war. Unter den politischen Hoffnungen, die Frangois Ier mit seiner Einladung an den Kaiser, sein Land zu durchreisen, verband, stand wohl erneut neben einer möglichen Heirat 229 die Mailänder Frage an erster Stelle. Der französische König hoffte offensichtlich doch noch auf die Belehnung eines seiner Söhne mit dem Herzogtum. Für dieses langerstrebte Ziel war er zu weitgehenden Konzessionen bereit: So trat er dem Kaiser für die Dauer seiner Reise das Begnadigungsrecht in Frankreich ab (außer in Fällen des crimen laesae maiestatis)230 und gestand ihm darüber hinaus die Neubesetzung vakanter Kirchengüter zu. Immer wieder gebraucht er die Floskel, der neugewonnene Freund und Bruder möge sich in Frankreich wie in seinem eigenen Königreich fühlen 2 3 1 so in seinem Einladungsschreiben vom Oktober 1539:
226 Vgl. das panegyrisch eingefärbte Poeme historique von Rene Mace, Voyage de Charles-Quint par la France, p. 5: „Voire cest empereur, / Du nom duquel seul nous avions horreur, / Avant le veoir, et pourtant a sa chere / Nous a semble prince non trop severe, / Mais trescourtois, tresbenign et tresdoulx. / ,Quoi fust ce vous!' disoit on, ,fust ce vous!' / Le regardant, ,fust ce vous, qu'on renomme / S'estre vante contre le Roy a Romme / De conquerir ce royaulme, et passer / Par le meilleur avant, sans menasser?'"; hierzu Saulnier, Charles Quint traversant la France, pp. 227232; vgl. auch Parker, Die politische Welt Karls V., S. 170; Gachards Einleitung zu: Relation des troubles de Gand, p. XXVI. 227 Hierzu: Rassow, Die Kaiser-Idee Karls V., pp. 269-368; Bonnaud, Des embrassades d'AiguesMortes au massacre des Vaudois; d'Albiousse, Entrevue de Frangois Ier et de Charles-Quint ä Aigues-Mortes. 228 Kampmann, Arbiter und Friedensstiftung, S. 56; zur Reise: Knecht, Charles V's Journey Through France; Solnon, La cour de France, pp. 63; 68-72; de Boom, Les voyages de Charles Quint; Schneebalg-Perelman, Les chasses de Maximilien, pp. 117-154 (allerdings wenig quellenkritisch und rein nacherzählend); Jacquot, Panorama des fetes et ceremonies du regne, pp. 433-440; Saulnier, Charles Quint traversant la France. - Zu den politischen Hintergründen: Paillard, Voyage de Charles-Quint en France 1539/40; speziell zur Entree in Loches, wo der Kaiser den französischen König traf: Aquilon, L'entree de Charles-Quint ä Loches le 12 decembre 1539. 229 Vgl. Deroy, Charles-Quint chez Frangois Ier, p. 14; Paillard, Le voyage de Charles-Quint en France, p. 510. 230 Chronique du roy F r a ^ o y s premier de ce nom, p. 318; vgl. Knecht, Charles V's Journey Through France, p. 159. 231 Aus der politischen Rhetorik der Gleichberechtigung darauf zu schließen, der König habe versucht „to lure the emperor into thinking, that he was as much the ruler of France as he was of his own dominions", wie Knecht es tut (Charles V's Journey Through France, p. 165), ist absurd. Ebensowenig dachten die beiden Herrscher daran, eine machtvolle Doppelspitze im euro-
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[...] monsieur mon bon frere, voyant la saison si advancee comme eile est et le commancement de l'hyver, il m'a semble, pour le debvoir de l'entiere amytie que je vous porte, et pour le regret que j'aurois qu'inconveniant advint ä vostre personne, vous supplier et requerir tant affectueusement et de bon cueur qu'il m'est possible, ne l'exposer en dangier et peril de la mer, mais faire tant pour moy et pour ceste nostre commune et fraternelle amytie, que de prendre vostre chemin et addresse par cestuy vostre et mien royaume [...]. A quoy de ma part je m'employeray, et vous feray toute ayde et secours comme pour mes propres affaires [...]; veuillant bien vous asseurer, monsieur mon frere, par cette lectre signee et escripte de ma main, sur mon honneur et foy de prince, et du meilleur frere que vous ayez, que passant par mondict royaume, il vous y sera faict et pourte tout honneur, recueil et bon traictement que faire se pourra, et tel qu'ä ma propre personne; [...] et pareillement tout ce que sera en ma puissance et dedans cedict royaume, duquel vous disposerez entierement comme du vostre. 232 Vereinbarungsgemäß wurden während der Reise selbst keinerlei politische Verhandlungen geführt, politische Themen nicht einmal angesprochen. 2 3 3 Karl betrachtete die Reise primär als (im Vergleich zum winterlichen Seeweg) sicherere und schnellere Möglichkeit, nach Flandern zu gelangen, w o die Stadt Gent sich wegen eines Steuergesetzes gegen die kaiserliche Statthalterin aufgelehnt hatte. Die Franzosen gingen hingegen davon aus, daß der Kaiser nach seiner Ankunft in Flandern den Botschaftern die gewünschten Konzessionen in der Mailänder Frage machen werde. 2 3 4 D o c h das war keineswegs der Fall: D e r Kaiser hüllte sich in Schweigen und setzte schließlich seinen Sohn Philipp im O k t o b e r 1540 als Mailänder H e r z o g ein. Langfristig blieb dieses Monarchentreffen somit ohne politische Folgen - nicht nur hierin dem Treffen auf dem Güldenen Feld vergleichbar. 2 3 5
päischen Machtkampf zu bilden, wie Saulnier aus den Äußerungen der Hofpoeten ableiten zu können meint; vgl. Charles Quint traversant la France, pp. 232s. Die Beunruhigung der Engländer ob dieser neuen Entente war somit unbegründet, selbst wenn Chappuys in seiner Complaincte de Mars sur la venue de Lempereur en France (in: id., Sensuiuent les triumphantes et honorables entrees, fol. 23-32, hier: fol. 30s.) diese neue Verbindung der beiden Monarchen über alle anderen Herrscher stellt: „Que sil vous piaist la paix entretenir, / Non seulement serez Roys, mais la loy / Vous donnerez a tout Prince & tout Roy: / Et est cela vne digne excellence, / Vng hault pouvoir, vne preeminence, / Qui tout degre & dignite surmonte, / Et dont le plus vous debuez tenir conte, / Car cest trop peu que gouuerner vassaulx, / De ses voisins ne craindre les assauls, / Auoir maint peuple, & mainte nation, / En sa puissance & domination: / Mais cest la grande Sc vraye royaulte, / Que sus les Roys auoir auctorite"; hierzu Saulnier, Charles Quint traversant la France, pp. 221-224. Vgl. zu den englischen Befürchtungen Martin du Beilay, Memoires, p. 468; LP XIV.2 (1539), nrr. 628; 741; 762. 232 Papiers d'etat du Cardinal de Granvelle, t. 2, p. 541; vgl. auch Occhipinti, Carteggio d'arte degli ambasciatori estensi in Francia, p. 40: „[...] l'Imperatore [...] ove e stato, ove e et ove andrä, e stato e sarä ubidito, si nel far grazie come nel resto, come se fosse la persona propria del Re. Ne si potrebbe desiderare maggiore onore di quello e stato fatto a Sua Maesta Cesarea dal Re e da tutti Ii suoi che ubediscono a predetta Sua Maesta come alia Cristianissima, ne per fino a allora se intendea altro che quelle grandissime dimostrazioni exteriori"; vgl. Relation des troubles de Gand, p. 286 (Schreiben des Königs an Montmorency vom 15. November 1539): „car il peut estre asseure que je n'estimeray jamais moins le bien et augmentation de ses affaires, que les miennes propres, pour les tenir et reputer n'estre plus qu'une mesme chose [...]." 233 Vgl. (mit Quellenbelegen) Paillard, Le voyage de Charles-Quint en France, pp. 529-531. 234 Vgl. Knecht, Charles V's Journey Through France, pp. 168 f. 235 Vgl. Jacquot, Panorama des fetes et ceremonies du regne, p. 434; vgl. auch Martin du Beilay,
250
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
Die Quellenlage zu Karls Besuch in Fontainebleau v o m 24. bis 30. Dezember 1539 ist leider mehr als desolat, 2 3 6 und die Quellengattung der Entree-Relation
und Festbeschrei-
bung zeichnet sich ohnehin nicht durch besondere Originalität aus, da sie sich zumeist in langatmigen Aufzählungen der Beteiligten und deren Devisen und Gewändern erschöpft. Die Reise Karls durch Frankreich bietet keine großen Überraschungen, überall werden „muchos arcos triumfales" 2 3 7 und echafauds
zu seinen Ehren errichtet - und der französi-
sche König scheint einmal zu seinem W o r t gestanden und es diesmal nicht auf abweichende Aktionen und witzige Uberlegenheitsbeweise angelegt zu haben. Auffällig ist nur, daß unter dem Vorwand von Salutschüssen überall starke militärische Präsenz gezeigt wird. Ein unfreiwilliger Brand im Treppenturm von Amboise 2 3 8 und die offensichtlich an Gelehrsamkeit, Mehrdeutigkeit und Frankreichlob etwas über das Ziel hinausschießenden Devisen, die die Stadt Poitiers anläßlich der Entree
solennelle
des Kaisers präsentierte, 239 sind die
einzigen Zwischenfälle, die die Routine der Festaufzüge und Stadteinzüge durchbrechen. Die von der Stadt Orleans ausgerichtete Entree
zieht aus der kleinen Stimmungstrübung in
Memoires, p. 470, der den Kaiser des arglistigen Betrugs bezichtigt: „l'Empereur, se voyant hors de toute craincte, osta le masque de sa dissimulation, et declara entierement n'avoir rien promis [...]". 236 Die Quellen liefern durchweg nur kurze Erwähnungen des Fontainebleau-Aufenthalts; vgl. Chappuys, Sensuiuent les triumphantes et honorables entrees, faictes par le commandement du Roy treschristien Frangoys premier de ce nom, a la sacree Maieste Imperiale, Charles V. de ce nom tousiours auguste, fol. 22s.; Chronique du roy Frangoys premier de ce nom, pp. 289-291; Vandenesse, Journal des voyages de Charles-Quint, pp. 153-159; Santa Cruz, vol. 4, p. 52. Vgl. auch Deroy, Charles-Quint chez Frangois I er . - Besser belegt ist die Entree des Kaisers in Paris am 1. Januar 1540, wenn auch hier die Beschreibungen durchweg sehr stereotyp sind; vgl. Chappuys, ibid., fol. 28; La magnifique et triumphante entree du tresillustre et sacre Empereur Charles Cesar tousjours Auguste faicte en la excellente ville et cite de Paris le tour de Lan; La sontuosa intrata di Carlo. V. sempre Augusto in la gran Citta di Parigi con gli apparati, triomphi, feste, Archi triomphali, liuree, presentici, cirimonie Ecclesiastice, et pompe Regale, fatte a sua. Μ. in Francia; Chronique du roy Frangoys premier de ce nom, pp. 291-318; Santa Cruz, vol. 4, pp. 53-58. 237 Santa Cruz, vol. 4, p. 51. 238 Vgl. Karls eigenen Bericht von diesem Ereignis in seinem Brief an den Erzbischof von Toledo, Tavera, vom 21. Dezember 1539, in: Alvarez, Corpus documental de Carlos V, vol. 2, p. 57; Martin du Beilay, Memoires, p. 469; LP XIV.2 (1539), nr. 686. 239 Der ausführliche Bericht zu dieser Entree in: La solenne et triomphante entrata de la Cesarea Maesta nella Franza con Ii superbi apparati & Archi Triomphali con tutte le Historie Pitture & motti latini che in essi erano Con Ii ordine de tutte le Feste che sono fate per tutte le Terre de la Franza; vgl. zu den Devisen Jacquot, Panorama des fetes et ceremonies du regne, p. 435, der aus der Beschreibung der Entree in Orleans Le double et copie d'unes lettres envoyees d'Orleans a ung abbe de Picardie contenant [...] le triumphe faict audit lieu d'Orleans a I'entree et reception de l'Empereur zitiert: „Et est a noter quil ny auoit aulcunes deuises, seulement y auoit Antiquailles. Car lesdictz habitans qui toujours se sont conduitz par prudence, et bonne pollice, ne voulurent y mectre alcunz espriptz, ne deuises, pource que lung ou laultre des Princes, ou de leurs subiectz eussent peu sur icelies gloser, ou deuiner choses, ou lung, ou laultre des Princes neust prins plaisir. Dont ilz misrent seullement Armoyries des lung, Sc de laultre desdictz Princes en vnions. Qui signifioit leur amitie simplement, dont ilz scauoient sagement vser et sans que leur subiectz en entrassent en disputes." Vgl. auch Knecht, Charles V's Journey Through France, p. 160. Bei Karls Entree in Paris wurden derartige Mißverständnisse durch die schriftliche Fixierung der dort vorgetragenen Gedichte verhindert; vgl. Knecht, ibid., p. 163.
6.1. Programmatische
Programmlosigkeit
251
Poitiers sogleich die richtigen Konsequenzen und verzichtet gänzlich auf Devisen, da diese unverständlich oder doppeldeutig sein könnten. Karl hatte ohnehin hauptsächlich das Interesse, möglichst schnell zum Herd der Rebellion in Gent vorzustoßen, wie seine Klage über das durch die Krankheit des seit Loches mit ihm reisenden Königs verursachte langsame Reisetempo erahnen läßt. 2 4 0 D o c h obgleich Fontainebleau nicht auf der direkten Reiseroute nach Paris lag und damit ein Abstecher dorthin eine weitere Verzögerung der Reise bedeutete, wollte sich der französische König die Gelegenheit zu einer Schloßführung keinesfalls entgehen lassen: Le roy avoit fort grant desir de monstrer ä l'Empereur sa belle maison royalle, qu'il avoit fait faire ä Fontainebleau, ung fort beau lieu plaisant, ä cause des grans boys qui avironnent ladicte maison, esquelz il y a ung fort beau deduyt de la venerie, ä cause du grant nombre de bestes sauvaiges, tant rouges comme noires et autres, qui y sont et se tiengnent en iceulx boys ä cause de Ieurs grandeurs; laquelle maison est aussy avironnee de belies eauwes, fontaines, viviers et aussy de plusieurs autres beaux et plaisans deduytz, par quoy le roy se y ayme fort et s'y tient bien souvent; ledit lieu seiet de coste et par delä Paris, environ de quatorze ä quinze leiuwes. A ceste cause, le roy y amena l'Empereur que pour d'illecq venir ä Paris, combien ce n'estoit point le chemin pour venir audit Paris, de la ou ilz estoient; mais, pour le grant desir que le roy avoit de luy monstrer sadicte maison, oü il se tenoit fort voullentiers pour la beaulte du lieu, il amena et conduyt sa Maigeste pour venir ä Paris par ledit chemin; laquelle maison le roy avoit faict preparer fort richement que pour y recevoir l'Empereur. 241 A m 25. D e z e m b e r 2 4 2 demonstrierte der französische König nicht nur die ihm allein eigene Transformationskraft, indem er Skrofulöse durch seinen toucher
royal heilte. 2 4 3 E r
führte auch den Kaiser in das Herzstück seiner Residenz - in die Galerie. Im Vorfeld hatte er alles darangesetzt, ihre Ausstattung bis zum Zeitpunkt des kaiserlichen Besuches fertigzustellen. Eine Äußerung des Botschafters Ferrerio von 1539 ließe sich sogar dahingehend interpretieren, daß Francois I e r den Kaiser als den eigentlichen Adressaten seiner Ausstattungsbemühungen betrachtete: „II re [ . . . ] volse far questo favor' al signor ambasciatore Cesareo et a me in compagnia del R m o Gaddi et di Möns, l'arcivescovo di Milano, di m o strarci gli edificii giä fatti, et quelli disegnava da fare. Nel visitar le camer' et galerie, S. M. fra le altre ne m o s t r ö una camera molto ben' fatta et ornata di pittur' et sculpture bellissime, della quale disse: ,Questa ho fatto far' per l'Imperatore* et cosi d'una galleria et molti atri lochi belli.'" 2 4 4 240 241 242 243
Alvarez, Corpus documental de Carlos V, vol. 2, p. 56; vgl. auch LP XIV.2 (1539), nr. 686. Relation des troubles de Gand, p. 47. Vgl. Occhipinti, Carteggio d'arte degli ambasciatori estensi in Francia, p. 39. Vgl. Knecht, Charles V's Journey Through France, p. 162; Deroy, Charles-Quint chez F r a n c i s I er , pp. 10s. 244 Zit. n. Chatenet, La cour de France, p. 252, die wiederum nach der Correspondance des nonces en France Carpi et Ferrerio, p. 102 zitiert. Vgl. hierzu auch Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 47 und Beguin, Frangois I er , Jupiter et quelques belies bellifontaines, p. 199: „Mais, parmi les hötes illustres de Fontainebleau que Francois I er voulait seduire et convaincre, Charles Quint etait, certes, le plus important: est-ce un hasard s'il fut le premier visiteur de marque de la Galerie qu'il inaugura, en quelque sorte? Entreprise apres la liberation de Frangois I er , des 1528, la Galerie apparait comme la revanche sur l'adversite, le manifeste de la reconquete du pouvoir supreme par le roi tres chretien, de sa grandeur symbolisee par sa magnificence, sa liberalite et sa justice, jusqu'a l'immortalite accordee dans la fresque finale (l'Ignorance chassee)."
252
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
Doch der Rezipient, für den all dies mit größtem Aufwand in Szene gesetzt wurde, zeigte nicht die gewünschten Reaktionen: Der Kaiser erwähnt die Ausstattung des Schlosses und die temporären Festdekorationen, auf die der König - erneut im Sinne des Potlatch - soviel Geld und Mühe verwandt hatte, in seinen Äußerungen über die Ereignisse in Frankreich mit keinem Wort. Das einzige, was ihn beeindruckt zu haben scheint, sind die wildreichen Jagdgebiete des Waldes von Fontainebleau. Von der Grande Galerie aber - so läßt sich e silentio schließen - war auch er offensichtlich überfordert, obgleich er mehr als zwei Stunden allein mit dem König darin verbrachte, wie ein von Carmelo Occhipinti publiziertes Schreiben des Botschafters Carlo Sacrati an den Herzog von Ferrara belegt: „il giorno di Natale tutte due le Maestä sole stettero per due bone ore a spasseggiar sopra una galeria, la qual cosa fa mormorar de' molti". 245 Ähnlich war es Karl bereits 1530 und 1532 bei seinen Besuchen in Mantua ergangen: Federigo Gonzaga hatte ihn höchstpersönlich durch den Palazzo del Te geführt, der sich zu diesem Zeitpunkt noch in Arbeit befand. Der Kaiser wurde damit zum idealtypischen Adressaten des Ausstattungsprogramms, fühlte sich allerdings auch dort - wenig geschult in der Betrachtung hermetischer Bildprogramme - überfordert und reagierte damit idealtypisch auf Giulio Romanos Intentionen. Er verlangte nach einer detaillierten Erläuterung der Ikonographie: „sua M.ta si ritiro nella camera delli venti, et ragiono per un'hora cosi publicamente con il Car.le Cibo, laudando molto queste camare, et cosi il M. re et inventore di esse et di tante diversitati di cose vi furno et erano, et cosi minutamente sua Μ. ώ volse intendere il tutto." 246 Insbesondere die preziös gestalteten Räume mit den kleinteiligen Deckenfeldern waren somit erläuterungsbedürftig. Die großflächiger konzipierten Säle wie die Sala dei Cavalli, die Camera di Psiche und die Sala dei Giganti hingegen dürften dem Kaiser weniger Verständnisschwierigkeiten bereitet haben. In letzterer war zum Zeitpunkt seines Besuches ohnehin erst der affirmative Götterhimmel fertiggemalt, die karikaturhaften Riesen - die auf einem ganz anderen als dem intellektuellen Wege den Betrachter überwältigen sollten - wurden erst 1534, nach Karls zweitem Mantua-Aufenthalt, fertiggestellt. Dennoch hatte Federigo den Raum eigens für den kaiserlichen Gast von seinen Einnistungen befreien lassen.247 Jupiter als Gigantenstürzer war ein dem Kaiser unmittelbar einleuchtendes Thema, mit dem er sich gerne identifizierte und das ihm bereits in vergleichbar plakativer Weise bei seinen Besuchen in Genua begegnet war.248 Derartige, zu eindeutig heroisch-imperialer Identifikation einladende Darstellungen suchte der Kaiser in Fontainebleau vergebens. 245 Occhipinti, Carteggio d'arte degli ambasciatori estensi in Francis, p. 39; vgl. hierzu Falciani, Francesco I ritratto a Fontainebleau, pp. 44; 61. 246 Cronaca del soggiorno di Carlo V in Italia, pp. 266s.; vgl. auch Eisler, The Impact of the Emperor Charles V upon the Visual Arts, p. 236. 247 Vgl. Vetter, Gigantensturz-Darstellungen, S. 54; 92; vgl. auch Eisler, Patronage and Diplomacy, p. 273; id., The Impact of the Emperor Charles V upon the Visual Arts, p. 237. - Zum Besuch Karls V. in Mantua vgl. v. a. Belluzzi, Carlo V a Mantova e Milano; id., L'allestimento della Calandria; Eisler, The Impact of Emperor Charles V upon the Visual Arts, pp. 232-251; id., Patronage and Diplomacy, pp. 273-277; Verheyen, The Palazzo del Te, passim. 248 Zu Karls Genua-Aufenthalten vgl. Eissler, The Impact of the Emperor Charles V upon the Visual Arts, pp. 187-197; id., Patronage and Diplomacy, pp. 270-272; Vetter, Gigantensturz-Darstellungen, S. 102-145; Gorse, The Villa Doria in Fassolo, passim; Askew, Perino del Vaga's Decorations; Parma Armani, Perin del Vaga, pp. 73-152; Davidson, The Furti di Giove Tapestries, pp. 427; 445-449. - Zur Thematisierung des Gigantensturzes bei den kaiserlichen Entrees in Italien vgl.
6.1. Programmatische
Abb. 53
Programmlosigkeit
253
Francesco Primaticcio, Zeichnung für Festkostüme („Faune, Sylvain et Pan"), um 1539, Biblioteca Nazionale Centrale, Florenz
Sein Besuch in der Lieblingsresidenz des französischen Königs wird von Anfang an als rite de passage inszeniert, als der Eintritt in einen „monde ä l'envers", 249 in ein Reich der Augentäuschungen. Er unterscheidet sich deutlich von den anderen Entries auf der kaiserlichen Frankreichreise. Das Lustschloß Fontainebleau ist ein Territorium a part, das eigenen Gesetzlichkeiten unterworfen ist - die Cbronique du roy Frartgoys premier de ce nom vergleicht diesen O r t mit dem Paradies, also einem sorgen- und sündenfreien hortus conclusus, der von der Außenwelt abgeschottet und derart von dieser unterschieden ist, daß der Chronist kaum Worte dafür findet. 250 Glaubt man dem Pere Dan, so wurde der Kaiser am Waldessaum, dem eigentlichen Übergangsort zwischen Zivilisation und unkultivierter Natur von einer Schar von Höflingen empfangen, die als satyrhafte Waldgötter verkleidet waren. Eine Vorzeichnung für die Kostüme eines solchen „ballet rustique" 251 mit Faunen und Panen ist von Primaticcio überliefert (Abb. 53):252
249 250
251 252
Jacquot, Panorama des fetes et ceremonies du regne, pp. 426s. Anläßlich der Entree in Messina 1535 griff der einzige szenische Festaufbau bei diesem Einzug das Thema ebenfalls auf (vgl. ibid., p. 430). Doch auch F r a ^ o i s I er war bereits 1517 bei seiner Entree in Rouen mit Jupiter als Gigantenstürzer identifiziert worden. Vgl. Wilson-Chevalier, Femmes, cour, pouvoir, p. 230; id., L'iconographie bellifontaine, p. 7. Chronique du roy Fran^oys premier de ce nom, p. 290: „Les salles, chambres et galleries estoyent si richement tendues de tapisseries et decorees de beaux et riches tableaux et statues qu'il n'est possible ä homme mortel de le povoir descripre ni reciter, de sorte qu'il sembloit mieux ung paradis, ou euvre divine, que humaine [...]." Vgl. Dimier, Le Primatice, p. 53. Vgl. Primatice. Maitre de Fontainebleau, pp. 124s. Es ist umstritten, ob diese Kostümentwürfe für den Empfang Karls V. in Fontainebleau entstanden sind oder vielmehr für die Hochzeit des Due de Nevers mit Mademoiselle de Vendome; vgl. Chatenet, La cour de France, p. 130.
254
A b b . 54
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
Francesco Primaticcio, Vorzeichnung für „Herkules und O m p h a l e " , um 1535, Graphische Sammlung Albertina, Wien
Entrant dans la Forest, il fut accueilly par vne troupe de personnes deguisees en forme de Dieux, Sc de Deesses boccageres, qui au son des haut-bois s'estans assemblez, & accourus, composerent vne danse rustique, qui ne fut pas moins agreable en la bigearre fagon dont ils estoient reuestus, qu'en l'ordre, Sc aux passages qu'ils tenoient; lesquels ayans ainsi danse quelque temps s'ecarterent promptement de part & d'autre dans la Forest, Sc l'Empereur poursuiuant son chemin arriua icy. 2 5 3
Selbst die Musik, die während dieses überraschenden divertimento zur Einstimmung erklingt, wird auf einem Instrument geblasen, das die wildeste mögliche Variante zu allen apollinischen Harmonien darstellt. Damit ist der erste Schritt in die boscheresk-antikische und damit pagane Szenerie eines Landsitzes umgeben von Jagdgebieten getan: Bereits diese Satyrschar wies Fontainebleau als Sitz der wilden und ungebändigten Antike aus, bewohnt von Satyrn, Nymphen und anderen bacchischen Gestalten. 254 Die Szene am Waldrand, die sich offensichtlich an der Schlüsselübergabe der besuchten Stadt in der klassischen Herrscherentree orientierte, zugleich aber den normierten Ablauf jeder Entree persiflierte, brachte ein erstes Moment der Verunsicherung in den Besuch des Kaisers und schlug bereits hier das Thema des ungezügelten Spiels, der bacchischen Erotik an. Einer anderen Uberlieferung zufolge wurde der Kaiser vom Dauphin mit hundert Reitern, die alle gleich gekleidet und mit weißen Federn geschmückt waren, am Rand des Waldes in Empfang genommen. Bei der Durchquerung des Waldes traf diese Truppe dann auf die gleich starke des Due d'Orleans und man lieferte einander Scheingefechte, um mit diesen Kampfspielen die an-
253 D a n , Fontainebleau, le tresor des merveilles, p. 219. 254 Hierzu Kapitel 7.5. dieser Arbeit.
6.1. Programmatische
Programmlosigkeit
Abb. 55 Leon Davent (nach Primaticcio), Herkules überrascht Faunus, der ihn mit Omphale verwechselt hat, späte 1540er Jahre (?), Cabinet des Estampes, Bibliotheque Nationale, Paris
wesenden D a m e n zu erheitern. 2 5 5 D a ß sich diese paganen Riten ausgerechnet am Vorabend des Weihnachtsfestes abspielten, hinderte den französischen K ö n i g nicht, seine rahmensprengende Inszenierung in allen Punkten auszukosten - schließlich war er „chez lui" und bestimmte, was zu geschehen hatte. D i e Spanier bemängelten auch sogleich die viel zu kurze Andacht der u n f r o m m e n Gastgeber am A b e n d des 24. Dezember. 2 5 6 D e r endgültige Ubergangsritus vollzieht sich im Durchschreiten der Porte
doree,
des
repräsentativen Eingangstores des Schlosses: 2 5 7 D i e malerische Ausgestaltung ihrer Portikus weist deutlich darauf hin, daß der Besucher jetzt die klassische N o r m a l w e l t verläßt und in ein Reich der Travestie, der Augentäuschung, der Überlistung und der U m w e r t u n g aller Werte eintritt. D a ß gerade dieses triumphale Tor, durch das der römisch-deutsche Kaiser trat, mit zwei Fresken nach Kartons von Primaticcio aus dem wenig zur Herrschaftslegitimation geeigneten Themenkreis „Herkules und O m p h a l e " 2 5 8 ausgemalt war, mag man als 255 Minuciosa relacion anonima del viaje del Emperador hasta su salida de Paris, pp. 338s.; vgl. auch Relation des troubles de Gand, pp. 653s.; LP XIV.2 (1539), nrr. 741; 762; Deroy, Charles-Quint chez Frangois Ier, pp. 7s. 256 Minuciosa relacion anonima, p. 337: „Huvo aquella tarde bisperas y maitines con la brevedad que suelen tener los ofi^ios divinos en Frangia, porque a las doze de la noche todo era acabado." 257 Der Name „Porte doree" läßt unterschiedliche Deutungen und Ubersetzungen zu: Entweder handelt es sich um das vergoldete Tor, oder aber - den Aspekt der Übergänglichkeit und Grenze stärker betonend - es ist das Tor, das sich am Waldessaum (oree) befindet. 258 Nach Ovid, Fasten, 2,304-358; vgl. Lebegue, Un theme ovidien traite par le Primatice. - Philip Ford (Hercule et le theme solaire ä Fontainebleau) versucht, Ronsards Satyre von 1569 mit Primaticcios Umdeutung der Herkules-Omphale-Geschichte in seiner Ausmalung in Verbindung zu bringen. Die Datierung der beiden verlorenen Fresken, die 1835 von Picot nach der druckgraphischen Uberlieferung neu gemalt wurden, ist umstritten; vgl. Primatice. Maitre de Fontainebleau,
256
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
subtile Erniedrigung des Gastes oder aber als Demonstration der Fähigkeit des Hausherrn zur Selbstironie interpretieren.259 In jedem Fall stellt diese künstlerische Gestaltung einen besonders pointierten Fall der in Fontainebleau kultivierten Konkurrenzikonographie dar. Herkules, der von Omphale in Frauenkleider gesteckt (Abb. 54) und daraufhin nachts vom lüsternen Faunus im Bett verwechselt wird (Abb. 55), ist ein Thema, das auf Täuschung durch falschen Schein, auf gescheiterte Identifikationsleistungen, auf Herabminderung eines maskulin dominierten Machtanspruchs mit weiblichen Mitteln der Sinnenverwirrung,260 auf Selbstbestimmtheit und Fremdherrschaft, schließlich auf Verkleidung und Travestie verweist.261 Diese mesaventure des Herkules konnte nur ein homerisches Gelächter über alle mächtigen Männer hervorrufen. Die Porte doree bot einen Vorgeschmack dessen, was den Besucher im Inneren des Schlosses erwartete - „sorte de panneau publicitaire destine ä promouvoir l'image du souverain". 262 Das Portal ist der erste Seheindruck für jeden Besucher, der sich dem Schloß nähert; seine Fassade verbildlicht die „faccia" des Bauherrn und wird damit einem Porträt vergleichbar. Und sie präsentiert zudem programmatisch die ästhetischen Mittel, über die dieser verfügt, und zeigt zugleich, wie er sein künstlerisch gestaltetes mythologisches Bildkompendium zur Demonstration politischer Überlegenheit einzusetzen gedenkt. Dieser Einstieg in den Zeremonialweg durch das Schloß, der bis zur Grande Galerie führte, wurde in einer späteren Ausstattungskampagne in seiner Programmatik noch stärker akzentuiert. In den Jahren 1541 bis 1544 263 ließ der König Primaticcio das malerische Programm des Eingangs zu seinem Schloß ausweiten und nun deutlicher im Sinne herrscherlicher Selbstdarstellung gestalten: Das Vestibül wurde - gewissermaßen in Ergänzung der Thematik der Portikus und in Anknüpfung an den französisch-trojanischen Ursprungsmythos - mit Historien aus dem 14. und 15. Gesang der Ilias ausgemalt.264 Die originale Ausmalung läßt sich heute nur noch aufgrund von Vorzeichnungen und Nachstichen rekonstruieren. Nach den Erniedrigungen seines Sohnes in der Portikus trat hier der Göttervater Zeus selbst auf, um das nachhaltig gestörte Machtgefüge in seinem Sinne zu restituieren. Er war als Vorsteher aller olympischen Götter als einziger dazu in der pp. 155-157. Ein Großteil der Forschung geht jedoch davon aus, daß sie 1535 entstanden sind; vgl. Cox-Rearick, Chefs-d'ceuvre de la Renaissance, p. 53; Gandolfo, II „dolce tempo", p. 159. Dagegen: Herrig, Fontainebleau, p. 165, die eine Datierung Anfang der 1540er Jahre favorisiert. Einen Beleg dafür, daß die Ausmalung Ende 1539 bereits vorhanden war, liefert LP XIV.2 (1539), nr. 762, wo von „diverse figures and antiquities represented as well in the gate [...]" die Rede ist. 259 Vgl. Lecoq, La symbolique de l'etat, p. 1244. 260 Primaticcio greift das Thema der Umkehrung heroischer Geschlechterrollen dann erneut in seinem Fresko „Der Garten des Vertumnus" im Pavillon de Pomone auf (vgl. Abb. 87); hierzu Golson, Rosso et Primatice au Pavillon de Pomone. 261 Vgl. Beguin, Frangois I er , Jupiter et quelques belles bellifontaines, p. 180: „Quant a Hercule, autre personnification de Frangois I er , vetu de la robe d'Omphale ä la Porte Doree, il nous invitait, des l'entree du chateau de Fontainebleau, au deguisement, mais, aussi, ä nous mefier des apparences et ä aller au-delä des faux semblants." 262 Chatenet, La cour de France, p. 254. 263 So die Datierung in Primatice. Maitre de Fontainebleau, pp. 160s. 264 Kathleen Wilson-Chevalier hat diese Textvorlage erstmals identifiziert, in: Women on Top at Fontainebleau, pp. 38-45 und L'iconographie bellifontaine, pp. 6-12. Vgl. zum Vestibül: Primatice. Maitre de Fontainebleau, pp. 160-168.
6.1. Programmatische
Abb. 56
Programmlosigkeit
257
Francesco Primaticcio, Zeus wird vom Schlaf betäubt, um 1541, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett
Lage. 265 Die sechs Szenen des Vestibüls illustrierten eine Episode aus dem Trojanischen Krieg: Hera versucht, ihren Gatten Zeus mit der Unterstützung des Schlafes vom Eingreifen zugunsten Trojas abzuhalten. In der ersten, linken Szene geht sie zum Gott des Schlafes, um ihn zu überreden, den Göttervater außer Gefecht zu setzen (Ilias 14,231-241). Dieser zögert zuerst und erinnert Hera an den Tag, „da der übermütige Zeussohn / Herakles fortfuhr von Troja, nachdem er die Feste zerstörte. / Da betäubt ich den Sinn des Zeus, des Halters der Agis, / Tief ihn umfangend, da du dem Herakles Böses ersannest / Und erregtest widriger Winde Wehn auf dem Meere / Und ihn darauf nach Kos, dem wohlbewohnten, verschlugest, / Fern von all seinen Freunden. [Zeus] wütete, als er erwachte, / Schleuderte durch das Haus die Götter und suchte vor allem / Mich [...]" (Ii. 14,250-258). 266 Diese peinsame Erinnerung war in der Szene auf der rechten Seite dargestellt, in der man den aus Kos fliehenden Herkules sah. Doch Hera zerstreut die Bedenken des Schlafes mit weiblicher List, indem sie ihm die von ihm schon lange begehrte Pasithea zur Gattin verspricht. Im zentralen Gewölbefeld wird daher in einer fulminanten Darstellung di sotto in sü, die einmal mehr Primaticcios Herkunft aus Mantua dokumentiert, Zeus unfreiwillig in Morpheus' Armen gewiegt (Ii. 14,280-353; Abb. 56). Aber der Triumph der Hera ist nicht von Dauer: In den drei in gleicher Anordnung sich anschließenden Szenen folgt die Strafe für ihre List auf den Fuß. Nachdem die linke Szene, in der der von Aiax verwundete Hektor zu den Mauern von Troja zurückgetragen wird, (II. 14, 361-439) den kurzzeitigen Triumph der Griechen illustriert, ist Zeus in der zentralen achteckigen Deckenszene wieder erwacht und 265 Vgl. Wilson-Chevalier, Femmes, cour, pouvoir, p. 207; ead., Les deboires de Diane, p. 420. 266 Hier zitiert in der Ubersetzung von Roland Hampe, Stuttgart 1979.
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
258
A b b . 57
Francesco Primaticcio, Poseidon und sein Gefolge (?), um 1541, Louvre, Paris
droht Hera mit drastischen Strafen - auch hier mittels der Erinnerung an ihre schon vom Schlaf erwähnte frühere Unbotmäßigkeit und die hausväterlich-strenge Züchtigung durch ihren Gatten: „Oder gedenkt es dir nimmer, wie ich dich von oben her aufhing, / Hängte zwei Ambosse dir an die Füße, und dir um die Arme / Legt ich ein goldenes Band, unbrechbar; in Äther und Wolken / Hingst du; die Götter waren empört im weiten Olympos. / Lösen konnte dich keiner, sich nahend; wen ich da packte, / Warf ich hinab von der Schwelle, daß er in Ohnmacht zur Erde / Hingelangte [...]" (Ii. 15, 18-24). Allein eine Zeichnung aus dem 19. Jahrhundert überliefert diese Darstellung, in der man Hera am Himmelszelt aufgehängt sieht, während Zeus den ihr zur Hilfe eilenden Sohn Hephaistos auf die Erde hinabschmettert. Angesichts der drohenden Wiederholung dieser Erfahrung lenkt Hera ein und wird von Zeus beauftragt, seinen jüngeren Bruder und - durch seine Parteinahme für die Griechen - Gegenspieler durch Iris in dessen Haus, das Meer, zurückschicken zu lassen. Die letzte der dargestellten Szenen, die bislang keine einheitliche Deutung erfahren hat,267 könnte ebendiesen Rückzug des Poseidon mit seinem Gefolge in die aquatischen Gefilde darstellen (II. 15, 54-58; 151-219; Abb. 57), während - wie bei Homer erwähnt 268 - Apoll auf seinem Sonnenwagen zur Unterstützung der Trojaner entschwindet. Damit würde sich auch diese letzte Szene nahtlos in die Chronologie der homerischen Erzählung einfügen. Im Vestibül des Schlosses von Fontainebleau präsentierte sich Zeus somit dem Besucher als 267 Zu früheren Deutungsversuchen: Primatice. Maitre de Fontainebleau, p. 167; Wilson-Chevalier, L'iconographie bellifontaine, pp. I i s . 268 II. 15, 5 9 - 6 5 ; 2 2 0 - 2 3 8 .
6.1. Programmatische
A b b . 58
Programmlosigkeit
Benvenuto Cellini, N y m p h e von Fontainebleau, um 1543, Louvre, Paris
Hausherr, der eine empfindlich gestörte Ordnung durch autoritäres Eingreifen wiederherstellt. Fast müßig ist der Hinweis darauf, daß er damit zum alter ego des Schloßherrn wird, 269 der sich mittels dieses Rollenporträts als Göttervater über den Halbgott Karl/ Herkules stellt. Im Schloß selbst sollte dem Besucher dann Fran^ois/Zeus auf Schritt und Tritt begegnen - so (in weiblicher Tarnung) in den Bädern als Verführer der Callisto oder in der Grande Galerie als gemalte Statue und als Hausgott des Königs. 270 Er ist geradezu das Emblem der raffinierten Täuschung und der Verkleidung. Die Porte doree ist ein Ort des Ubergangs. Sie mahnt denjenigen, der sie durchschreitet, auf Listen und Fallstricke zu achten. Bei den in den Fresken dargestellten Tageszeiten bleibt zumeist unklar, ob es sich um Morgen oder Abend, um Sonnenauf- oder -Untergänge handelt. Das Eingangstor ins Schloß markiert die Grenze von Außen und Innen, von Natur
269 Bereits im Francisci Francorum Regis et Henrici Anglorum colloquium des Jacobus Sylvius war Frangois I e r mehrfach mit Jupiter gleichgesetzt worden; vgl. V. 275s.: „Hic ubi condiderant lautis convivia mensis / Francisco, aethereum pascere digna Iovem." D a ß in der Ausmalung der doree
Porte
auf das Privatleben der Königsfamilie - zum Beispiel die nicht ganz freiwillige Hochzeit des
Königs mit Eleonore, der Schwester Karls V.
angespielt sei, wie Lebegue ( U n theme ovidien
traite par le Primatice, p. 3 0 4 ) meint, ist auszuschließen. A m „öffentlichsten" Punkt der Selbstdarstellung im Schloß hatten solche familiären Interna nichts zu suchen. 270 D i e Ausmalung der Bäder in Fontainebleau knüpfte in ihrer Jupiter-Stilisierung vor allem an die Camera
di Psiche in Mantua an: vgl. Verheyen, D i e Malereien in der Sala di Psiche, S. 55 f.; Walbe,
Studien zur Entwicklung des allegorischen Portraits, S. 43 f.; 136 f.; Eschenfelder, Die Bäder Franz I., S. 47. Eschenfelder plädiert zu R e c h t für die Annahme einer kontinuierlichen Einflußnahme G i u lio R o m a n o s auf Primaticcio (ibid., S. 41 f.); ead., Les bains de Fontainebleau, pp. 50; 52.
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
260
Abb. 59
Benvenuto Cellini, Entwurfszeichnung für einen der Satyrn an der Porte doree um 1543, National Gallery of Art, Woodner Collection, Washington
und Kultur, von Tag und Nacht, von Realität und Traum, 2 7 1 von (vermeintlich) feststehenden Wahrheiten und diese respektlos dekonstruierendem Kunstspiel. Für den, der es durchschreitet, wird es zur Transformationsschleuse - er wird ein anderer geworden sein, wenn er das Schloß wieder verläßt. Insbesondere diesen Aspekt der Grenze und des Ubergangs betonte Benvenuto Cellinis 1542 entworfene Ausgestaltung des Eingangsbereichs. 2 7 2 Für das Portal sah er seine berühmte Nymphe von Fontainebleau vor (Abb. 58); 2 7 3 für die Zwickel plante er an antiken Triumphbögen orientierte Viktorien; 2 7 4 rechts und links sollten Satyrstatuen das Tor flankieren (Abb. 59). 2 7 5 Wären die beiden Satyrn tatsächlich, wie jüngst 271 Hierzu insbesondere: Gandolfo, II „dolce tempo", pp. 159-180. 272 Wäre das Ensemble je angebracht worden, hätte es die Terracotta-Dekoration Girolamo della Robbias von 1536/37 ersetzt, die ein ganzes „Herbarium" italianisierender Vegetation zeigte; vgl. Wilson-Chevalier, L'iconographie bellifontaine, p. 5. 273 Hierzu: Pope-Hennessy, Cellini, pp. 132-161; Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 290-292; Vickers, The Mistress in the Masterpiece; Grodecki, Le sejour de Benvenuto Cellini ä l'hotel de Nesle; Pressouyre, Note additionnelle sur la nymphe de Fontainebleau; Marsengill, Identity Politics in Renaissance France; Jestaz, Benvenuto Cellini et la cour de France, pp. 99-119. 274 Insbesondere bezog sich Cellini hier auf die römischen Triumphbögen des Titus und des Septimius Severus; vgl. Primatice. Maitre de Fontainebleau, p. 170. Die Forschung diskutiert, ob die Viktorien im Tordurchgang oder außen an der Torfassade angebracht werden sollten; vgl. PopeHennessy, Cellini, p. 141; Bliss, Cellini's Satyrs for the Porte Doree, p. 91. 275 Zur Ikonographie dieser beiden Statuen vgl. Perrig, Cellini als Zeichner, S. 153-155. Die Diskussion um die mögliche Anbringung der einzelnen skulpturalen Elemente und die Debatte um
6.1. Programmatische
Programmlosigkeit
261
vorgeschlagen, mit dem Rücken zur Toreinfahrt piaziert worden, 276 so hätten sie in ihrer Lebensechtheit gewirkt, als könnten sie mit einer einzigen Handbewegung den Zugang zum Schloß versperren. In seiner eigenen Beschreibung hebt Cellini insbesondere die apotropäische Funktion dieser Satyrgestalten hervor: Io detti bellissima proporzione al vano ditto; di poi posi sopra il ditto vano un mezzo tondo giusto; [...] e in cambio di due colonne, che mostrava che si richiedessi sicondo le modanature fatte di sotto e di sopra, avevo fatto un satiro in ciascuno de' siti delle colonne. Questo era piü che di mezzo rilievo, e con un de' bracci mostrava di reggere quella parte che tocca alle colonne: innell'altro braccio aveva un grosso bastone, con la sua testa ardito e fiero, qual mostrava spavento a' riguardanti. L'altra figura era simile di positura, ma era diversa e varia di testa e d'alcune altre tali cose: aveva in mano una sferza con tre palle accomodate con certe catene. Se bene io dico satiri, questi non avevano altro di satiro che certe piccole cornetta e la testa caprina; tutto il resto era umana forma. [...] Di sopra al ditto quadro avevo fatto la salamandra, propria impresa del Re, con mold gratissimi altri ornamenti a proposito della ditta opera, qual dimostrava di essere di ordine ionico.'77 Cellinis Konzeption der Gestaltung des Toreingangs ist geleitet von der Idee des Ubergangs vom naturwüchsigen Wald zum hochartifiziellen Kunstkosmos im Schloßinnern. Auch den erwähnten porträthaften Charakter der Fassade hätte Cellinis Nymphenrelief noch stärker hervorgehoben: Der Hirsch, dessen Hals die Nymphe so liebevoll umfängt, ist das königliche Wappentier und der Stellvertreter des Herrschers. E r hätte den Herannahenden mit herrisch-königlichem Blick begrüßt. Doch gehört er nicht mehr dem Reich der Wildnis an, sondern wurde von der Nymphe, die emblematisch das Stilideal von FontaineGrößen und Bodenniveaus soll hier nicht erneut aufgegriffen werden; ausführlich hierzu: Grodecki, Le sejour de Benvenuto Cellini ä l'hötel de Nesle, pp. 61-67; Jestaz, Benvenuto Cellini et la cour de France, pp. 107-119. 276 Marsden/Bassett, Cellini's other Satyr for the Porte Doree; Pope-Hennessy, Α Bronze Satyr by Cellini, p. 411. Pope-Hennessy hatte bereits 1982 eine heute im J. Paul Getty Museum befindliche Bronzestatuette mit den Satyrfiguren für die Porte doree in Zusammenhang gebracht und ihr Verhältnis zu Cellinis eigenhändiger Vorzeichnung eines der Satyrn diskutiert. Ihren dümmlicherstaunten Gesichtsausdruck hat er mit den Riesen in Giulio Romanos Ausmalung der Sala dei Giganti in Mantua in verglichen (ibid., pp. 41 If.). Kürzlich wurde dann auch der zweite SartyrBozzetto in der Royal Collection in London entdeckt: vgl. Marsden/Bassett, ibid.; Bliss, Cellini's Satyrs for the Porte Doree, benennt darüber hinaus einen Satyrkopf aus der Rosenberg Family Collection als eventuelle Vorstufe des Getty-Satyrs. 277 Vita, pp. 431s. Vgl. hierzu Vossilla, Bandinelli e Cellini tra 1540 e 1560, p. 277. - Seit langem spekuliert die Forschung, wieso Cellini seine Ausstattung der Porte doree als „ionische Ordnung" bezeichnet hat. Es ist wohl kaum anzunehmen, daß er - obgleich kein Architekt, sondern „nur" Goldschmied und Bildhauer - nicht in der Lage war, eine dorische von einer ionischen Ordnung zu unterscheiden, wie Jestaz annimmt, wenn er lapidar von „un simple lapsus" spricht (id., Benvenuto Cellini et la cour de France, p. 116). Mir scheint hier vielmehr ein scherzo di fantasia des Künstlers vorzuliegen, der seine beiden Satyrn, die ja der eigentlichen architektonischen Ordnung vorgeblendet werden und somit als Säulenersatz fungieren sollten, mit geschwungenen Bockshörnern ausstattete. Diese „piccole cornetta" an dem dem Kapitell vergleichbaren Körperteil (dem Kopf der Satyrs) könnten in ihrer typischen Rundung durchaus ionische Assoziationen beim Betrachter hervorrufen, wobei sie zugleich diese in der klassischen Ordnung seit Vitruv weiblich konnotierten Säulen satyresk-männlich umdeuteten. Dies wiederum würde hervorragend zu dem bereits beschriebenen erotisch-ironischen Spiel mit Männlichkeit und Weiblichkeit im Tordurchgang passen.
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6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
Abb. 60
Gilles le Breton, Porte doree, 1528, Fontainebleau
bleau inkarniert, gezähmt und kultiviert 278 - er besitzt „Fontainebleau" nicht nur, sondern ist auch von ihr besessen.279 Wie Michael Cole gezeigt hat, ist das gesamte Portal von einer „Bildsprache der Verwandlung" dominiert. Cellini nimmt hier den Grundgedanken von Primaticcios Herkules-Fresken wieder auf: Seine „Tragefiguren führen vor, was bewaffneten Männern unter dem Einfluß der in Fontainebleau wirkenden Kräfte widerfährt." 280 Die Architektur der Porte doree (Abb. 60) ist der einzige deutliche „herrschaftsarchitektonische" Akzent in dem heterogenen Baukonglomerat des Schlosses. Sie präsentiert sich dem ankommenden Besucher offensiv. Das Tor ist hierin der repräsentativen Schaufassade des Palazzo ducale in Urbino vergleichbar,281 obwohl es keinen heroischen Landschaftsausblick und auch keine Orientierung auf Rom hin bietet. Durch die dreifache Übereinander-
278 Vgl. hierzu Marsengill, Identity Politics in Renaissance France, p. 37. 279 Vickers, T h e Mistress in the Masterpiece, p. 28; vgl. auch Cole, The Figura sforzata, pp. 542 f.: „The Fontainebleau ensemble reminds the viewer that retirement to the wood requires a renunciation of the life of action; at the Porte Doree, one surrenders one's force. Presided over by the Victories that originally surmounted Cellini's doorway, all the figures in the portal - Hercules, the satyrs, the king and the nymph herself - seem conquered. [...] Contortion, here as with the Nymph and satyrs, is associated with a state of domination." 280 Cole, Am Werkzeug erkennen wir den Künstler, S. 46. Zu Recht verweist er auf die formale Ähnlichkeit zwischen Cellinis Nymphe und Primaticcios liegender Omphale. 281 Vgl. Roeck/Tönnesmann, Die Nase Italiens, S. 140-142; Tönnesmann, Le palais d'Urbino.
6.1. Programmatische
Programmlosigkeit
263
Abb. 61 Anonym, Der „Souverain pretre" und die „Noblesse royale", in: Entree de Frangois I er ä Lyon, 12 juillet 1515, Cod. 86.4 Extravagantium, Herzog-August-Bibliothek, Wolfenbüttel Stellung von Apparitionsloggien 2 8 2 (deren N u t z u n g bei Auftritten des Königs allerdings nicht belegt ist) wird die Porte doree
zu einem monumentalen Triumphtor. 2 8 3 D o c h das
Triumphale dieser Fassade steht in keinem Verhältnis zu den P r o p o r t i o n e n des eigentlichen Durchgangs, der eher an die ephemeren Festaufbauten der Entree
des französischen Königs
in Lyon 1515 erinnert ( A b b . 61) und bereits von Cellini als gedrungen und un-, bestenfalls pseudoitalienisch kritisiert w o r d e n war. In seinem grottenartigen Charakter paßte er jedoch gut zur poetischen Idee der N y m p h e : Imprima avevo fatto la porta del palazzo di Fontana Belio: per non alterare il manco che io potevo l'ordine della porta che era fatta a ditto palazzo, qual era grande e nana, di quella lor mala maniera franciosa; la quale era l'apritura poco piü d'un quadro, e sopra esso quadro un mezzo tondo istiacciato a uso d'un manico di canestro: in questo mezzo tondo il Re desiderava d'averci una figura, che figurassi Fontana Beliö. 284 Anläßlich des kaiserlichen Besuchs war vor der Porte doree
ein ephemerer Triumph-
bogen aufgestellt worden, der mit Trophäen und gemalten Porträts des K ö n i g s und des Kaisers in antiken Gewändern - assistiert von pax und concordia
282 283 284 285
- geschmückt war. 2 8 5 Dieses
Vgl. Liesen, Architektur und Zeremoniell in den Schlössern Franz' I., S. 87. Vgl. Prinz/Kecks, Das französische Schloß der Renaissance, S. 237-296; Liesen, ibid., S. 94. Vita, pp. 430s. Vgl. Dan, Fontainebleau, tresor des merveilles, p. 219. Laut Vasari waren Rosso und Primaticcio gemeinsam für die Ausstattung des Empfangs verantwortlich; vgl. Vasari (Barocchi), Vita del
264
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
Abb. 62
Treppenfront, um 1531, Cour du Donjon, Fontainebleau
vorgeblendete Schaustück nahm in der Verdoppelung das triumphale T o r m o t i v vorweg und stimmte den Betrachter zugleich auf die Multimedialität ein, die ihn im Schloßinnern überwältigen sollte. A u c h an dieser Stelle der Festinszenierung erklang (wie bereits am Waldrand) Musik, diesmal jedoch keine jaulenden O b o e n , sondern vermutlich Lauten- und Streichmusik, bevor der Kaiser dann unter triumphierenden Trompetenfanfaren auf das S c h l o ß t o r zuschritt. 2 8 6
Rosso, vol. 4, p. 488: „E perö basti dire che fece disegni per tutti i vasi d'una credenza de re, e per tutte quelle cose che per abigliamenti di cavalli, di mascherate, di trionfi e di tutte l'altre cose che si possono immaginare, e con si strane e bizzarre fantasie che non e possibile far meglio. Fece, quando Carlo Quinto imperadore ando l'anno 1540 sotto la fede del re Francesco in Francia, avendo seco non piü che dodici uomini, a Fontanableo la metä di tutti gl'ornamenti che fece il re fare per onorare un tanto imperadore, e l'altra metä fece Francesco Primaticcio bolognese. Ma le cose che fece il Rosso, d'archi, di colossi [e] altre cose simili, furono, per quanto si disse allora, le piü stupende che da altri insino allora fussero state fatte mai"; vgl. auch Kusenberg, Le Rosso, p. 106. Einen ähnlichen Triumphbogen hatte Rosso bereits anläßlich der Entrata Leos X. 1515 in Florenz errichtet; vgl. Shearman, The Galerie Frangois Premier, p. 11; id., The Florentine Entrata of Leo X, pp. 146 f.; Ciseri, L'igresso trionfale di Leone X, pp. 106-110. Im Rahmen der Festdekorationen scheint Rosso auch Zeichnungen für Kostüme geliefert zu haben. Carroll, Rosso in France, p. 25 identifiziert einen Stich, der eine als Herkules verkleidete Figur zeigt, mit diesen Kostümentwürfen anläßlich des kaiserlichen Besuchs; vgl. auch id., Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, n° 107, pp. 341 f. 286 Vgl. Dan, Fontainebleau, tresor des merveilles, p. 219.
6.1. Programmatische
Programmlosigkeit
265
Der schon erwähnte ferraresische Botschafter Sacrati beschreibt den Ablauf von Karls Einzug ins Schloß am 24. Dezember: Vostra Eccellenzia intenderä come [...] a tre ore doppo meggiogiorno la Maestä Cesarea entro nel Castello e che la Maestä del Re, subito advisatane, gli andö incontro a pie' poco lontano dalla scala dell'alloggiamento; e che avea innanzi duecento gentiluomini de l'azza, i quali faceano far strada; e che quando l'Imperatore lo vide smonto a pie', essendo sopra un caval da posta, in meggio di monsignor Dolfino e d'Orliens, e gionti si abbrazzarono e feceronsi di molte feste; [...] e che, finito questo, asceseno la scalla, e che la Regina era a man destra, il Re alia sinestra con l'Imperatore in meggio; e che andarono alia camera della Regina dove stettero per una ora insieme, dappoi che il Re se ne andö alia sua e l'Imperatore anco lui, despogliato che fu, il Re se ne torno nella camera della Regina. 287 N a c h dem Durchschreiten des Eingangstors gelangt der Besucher „durch N a c h t zum L i c h t " in die Cour du Donjon.
D o r t sieht er frontal eine motivische Wiederholung der Tor-
fassade in der damals noch mit einem zweiläufigen Aufgang versehenen italianisierenden Treppenfront (Abb. 62), vor deren Kulisse der Hausherr ihm entgegentritt. 2 8 8 D e r Prospekt dieser Treppe, die ihn ins Innere des Schlosses führen wird, und das Eingangstor mit seinen Loggien sind „deux images architecturales destinees a frapper l'esprit du visiteur, ä le preparer ä la rencontre avec le souverain", wie Monique Chatenet treffend konstatiert hat. 2 8 9 Beim ephemeren Triumphbogen, bei der Porte doree und beim Treppenprospekt wurde der Betrachter sukzessive mit drei einander ähnlichen Triumphmotiven konfrontiert. Die Treppenfront als letztes dieser drei Motive wirkte einerseits wie ein ins Innere des Schloßhofs verlagertes, perspektivisch-prospekthaft verschobenes zweites Eingangstor, durch das der eigentliche Ubergang ins Innere des Schlosses erfolgte; andererseits war sie deutbar als zu Stein gewordene temporäre Festarchitektur. 2 9 0 In einem der Schloßhöfe - wahrscheinlich in der Cour de la Fontaine
- war als weiteres monumentales imperiales Herrschaftszeichen
und als besondere Attraktion eine vergoldete Säule errichtet worden, 2 9 1 auf deren Spitze Tag 287 Occhipinti, Carteggio d'arte degli ambasciatori estensi in Francia, p. 38. 288 Zur Baugeschichte der ersten, wohl 1531 bis 1540 in dieser ursprünglichen Form existierenden Treppe: Bray, Le premier grand escalier du palais de Fontainebleau; Chastel, L'Escalier de la Cour Ovale ä Fontainebleau; vgl. auch Guillaume, L'escalier dans l'architecture frangaise. 289 Chatenet, La cour de France, p. 253; vgl. auch Arasse/Tönnesmann, Der europäische Manierismus, S. 89 f. 290 Weislogel, Rosso Fiorentino, Benvenuto Cellini and Clement Marot, p. 120. - Der Pavillon des Poeles, der ursprünglich für die Unterbringung des Kaisers gedacht und von Rosso mit dessen Emblemen ausgemalt worden war, scheint zum Zeitpunkt des kaiserlichen Besuchs in Fontainebleau noch nicht fertiggestellt gewesen zu sein, so daß Karl wohl in den königlichen Gemächern an der Cour du Donjon untergebracht wurde; vgl. Gambaras Äußerung (abgedr. bei Smith, La premiere description de Fontainebleau, p. 46): „La Maestä Cesarea alloggia nelli allogiamenti della Maestä Christianissima, et lei nella camera di monsignor contestabile"; vgl. auch Knecht, Charles V's Journey Through France, p. 161; Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 52. 291 Vgl. Gambaras Beschreibung, abgedr. bei Smith, ibid.: „Come se entra nella corte granda, a man stancha el c'e una gran colona, dove e in cima le tre Gratie con alcune arme della Maesta Cesarea, et di sopra gli e un cadino di ramo dove si metterä della pergola per far una lumera che habbia da durar dui ο trei giorni, et perche la colona non si abrusa gli anno messo di sotto alcune prede. Attorno alia corte gli e alcune statue, un homo et una dona che tiene una lumera in mano. Di sopra, dove e certi condutti, gli änno messo certi festoni con l'arma cesarea, con certo harazzo attorno, falso, che fa un brutissimo vedere, et e cosi in ogni luoco, anchor qui in Parigi."
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6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
und Nacht zur Aufhellung der düsteren Dezemberstimmung ein Feuer brannte. 292 Außerdem ergossen sich Wein und Wasser aus ihr,293 und sie trug die Inschrift „Qui possit capere capiat". 294 In dieser Verbindung von Feuer und Wasser verwies sie in raffinierter Weise auf das Salamander-Emblem des französischen Königs. Zugleich sollte sie den Kaiser wohl an seine Entree in Mantua erinnern, für die Giulio Romano eine prächtige, von einer Viktoria gekrönte Säule entworfen hatte, die Primaticcio aus seiner Mantuaner Zeit kannte. 295 Daß Karl tatsächlich ikonographisch nicht sehr geschult war, zeigt die Tatsache, daß er damals sogar Verständnisschwierigkeiten in der Entzifferung dieser Ehrensäule gehabt hatte, die mit wenig hermetischen, den Kaiser als Weltbeherrscher feiernden Szenen geschmückt gewesen war: [...] in el mezo una colonna di legname finta di marmore tanto ben fatta quanto altra cosa fusse mai stata fatta da Iulio Ces. e in qua, la quale era alta braza quaranta, et grossa quanto quattro homini Phaveriano pottuta abbracciare, et al dissotto vi era una bassa alta dicedotto braza quadra, et per ogni quattro quadrini vi era quattro gran quadri di pictura con molte cose dipinte sopra, significando la M." Ces." dominatore di tutto il mondo; et di sopra ad essa colonna in cima vi era fatta una statua di tutto rilevo alta dieci braccia di stucho, che parea marmore, la quale significava la Vittoria fatta in habito di donna vestita con doi grandi ale, che parea volesse volare a terra con una corona di lauro in mano, la quale parea volerla ponere sopra al capo di sua Μ." Ces. a [...] et cosi gionta sopra la Piazza, sua M.' a se mise a guardare quella bellissima colonna, che tanto le piacque quanto altra cosa mai piü veduta, et addimando al R. mo Car. le Cibo quello voleva significare, quale glie disse il tutto. 296
Die auch liturgisch unbestimmte Übergangszeit „zwischen den Jahren" verbringt der Kaiser in der manieristischen Phantasiewelt von Fontainebleau. Sein Konkurrent, der französische König, und dessen Stellvertreter, Jupiter, folgen ihm auf Schritt und Tritt und signalisieren mit künstlerischen Mitteln Überlegenheit. Ein letztes Mal begegnet er dann dem Göttervater, der seine eigene Herkules-Identifikation hierarchisch überbietet, beim Verlassen des Schlosses: Über der sogenannten Porte royale, die von der Cour du Donjon wieder ins Vestibül der Porte doree zurückführt, thronte wahrscheinlich schon damals zwischen Minerva und Juno eine Büste des Königs, die dort erneut Jupiter ersetzte und in Clouetscher Überlegenheitsmanier auf den Kaiser hinablächelte (Abb. 63).297 292 Während des anschließenden Paris-Aufenthalts des Kaisers sollte ihm als Pendant dieser Säule dann im Louvre-Hof eine kolossale Vulkan-Statue begegnen; vgl. La sontuosa intrata di Carlo. V. sempre Augusto in la grä Citta di Parigi, fol. 7: „In mezzo di quel Castello e posta vna statua di Vulcano, quale tiene in una mano nö so che, che fa grandissimo lume tutta la notte & nell'altra vn martello col quale da sopra una incudine." 293 Chappuys, Sensuiuent les triumphantes et honorables entrees, fol. 22 lokalisiert diesen Festaufbau, den er als „vng arbre" bezeichnet, in der Mitte der Cour ovale. 294 Vgl. Deroy, Charles-Quint chez Franjois I er , p. 9. Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 304 identifiziert diese Säule wenig überzeugend mit Primaticcios Herkulesbrunnen. Allerdings wurde eventuell speziell für den Besuch Karls V. - in erneuter Anspielung auf dessen Identifikation mit Herkules - ein temporärer Vorgängerbrunnen errichtet, in den Michelangelos Herkules integriert war. 295 Vgl. Chastel, Les entrees de Charles Quint en Italie, p. 205. 296 Cronaca del soggiorno di Carlo V in Italia, pp. 243s.; 251. 297 Es ist umstritten, ob diese heute verlorene Büste aus Sandstein, die wohl das Vorbild für Louis Claude Vasses Bronzebüste von 1757 war, bereits unter Frangois I er über der Porte royale auf-
6.1. Programmatische
Abb. 63
Programmlosigkeit
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Sog. Porte royale, 1530er Jahre (?), Fontainebleau
Erst mit dem neuen Jahr und der kaiserlichen Entrie in Paris am 1. Januar wird das manieristische Intermezzo von Fontainebleau beendet und die „normale" Hierarchie und Machtordnung wieder hergestellt. Der Kaiser erhält von der Stadt den schon erwähnten silbernen Herkules zum Geschenk; 298 die Emblematik dieses Einzugs ist fast ausschließlich vom habsburgischen Doppeladler bestimmt; der König tritt wieder ganz hinter seinen illustren Gast zurück. Jupiter assistiert jetzt devot dem vergöttlichten Herkules; und statt manieristischer Bilderrätsel werden die französischen Nationalreliquien in der SainteChapelle und in Saint-Denis besichtigt.299
gestellt war; vgl. Scaillierez, Frangois I er et ses artistes, pp. 52s.; Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 19. 298 Mace, Voyage de Charles-Quint en France, pp. 79-82 beschreibt ausführlich die Ubergabe; vgl. Huon, Le theme du prince, pp. 23s. 299 Vgl. hierzu Knecht, Charles V's Journey Through France, p. 168: „Here Charles was shown Solomon's gold cup, Virgil's mirror, Charlemagne's game of chess, Roland's ivory horn, Joan of Arc's sword and the longest unicorn's horn ever recorded."
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6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
6.2. Altera Roma: Der König als antiker Imperator Gerne hätte man einen Bericht des Kaisers von seiner Besichtigung der Grande Galerie. Denn der königliche Anspruch auf Deutungshoheit war ihm dort wie jedem anderen Besucher klar vor Augen geführt worden. 300 Und insbesondere wüßte man gern, was er zu den römisch-imperialen Zeichen zu sagen hatte, die sich im hinteren Galerieteil verdichteten. Der weitverbreitete Mythos von Fontainebleau als einem „neuen Rom" geht (einmal mehr) auf Vasari zurück, der das Schloß selbst bekanntermaßen nie gesehen hat und zudem diesen Ehrentitel offensichtlich eher topisch verwendet, da er ihn auch dem Mantuaner Hof unter Federigo Gonzaga mit seinem Hofkünstler Giulio Romano - der „veramente si pote chiamare erede del graziosissimo Raffaello" - verleiht: „Per il che ben doveva Mantova piagnere, quando la morte gli chiuse gli occhi, i quali furono sempre vaghi di beneficarla, salvandola da le inondazioni dell'acque e magnificandola nei tanti edifizi, che non piu Mantova, ma nuova Roma si puo dire, bontä dello spirito e del valore dello ingegno suo maraviglioso." 301 Die Grande Galerie ist einerseits punktuell durchsetzt mit römischen Antikenzitaten. Andererseits ist sie stilistisch, wie Marcia Hall gezeigt hat, imperial-römisch (und eben nicht römisch-republikanisch) konnotiert durch Rossos an Sarkophagen orientierten „relieflike style". 302 Römische Bezüge und Antikenzitate finden sich jedoch nicht nur im Bildprogramm und im spezifischen Stil der Galerieausstattung oder in den (laut Cellini) dort zeitweise aufgestellten Antikenabgüssen Primaticcios, sondern darüber hinaus in der Raumkonzeption und -aufteilung des gesamten Galerietraktes: Chantal Eschenfelder hat überzeugend vorgeschlagen, die Galerie nicht isoliert, sondern als Teil einer dreigeschossigen, von unten nach oben gestaffelten Raumanordnung zu betrachten. Zusammen mit den Bädern, die mit Kopien aus der Kunstsammlung des Königs geschmückt waren und gut klassisch über eine Enfilade von caldarium, tepidarium und frigidarium verfügten, und der Bibliothek, die seit 1544 im Obergeschoß des Gebäudeteils eingerichtet war, fügt sich die Galerie in eine dreiteilige Einheit prononcierter Kulturförderung nach antikem Vorbild ein: Der Galerietrakt wird in seiner Kombination von „Biblioteca" und „Therme" zum integralen Versuch, antike Villenarchitektur und römisch-kaiserzeitliche Thermenarchitektur nachzuahmen und in einem spezifischen Akt der „Re-Naissance" wiederzubeleben. 303
300 So auch Zorach, „The Flower that Falls Before the Fruit", p. 86: „Frangois I may have taken visitors through his gallery, presumably commenting upon the frescoes as he went, and, we might speculate, impressing his guests with his power over interpretation"; vgl. auch id., Blood, Milk, Ink, Gold, p. 77: „In fact, it might be precisely the combination of an abundance of potential meanings with the king's determining prerogative that made the gallery a powerful expression of royal authority." 301 Vasari (Barocchi), vol. 5, p. 55. 302 Hall, After Raphael, pp. 47; 73-79; ead., Politics and the Relief-Like Style. 303 Eschenfelder, Die Bäder Franz I., S. 62; ead., Les appartements des bains de Frangois Ier, p. 46. Nach ihrer Interpretation hatte der gesamte Galerietrakt damit die bereits in der Antike formulierte Funktion, gleichermaßen der Rekreation von Leib und Intellekt zu dienen: ead., Les appartements des bains de Francois Ier, pp. 43; 46.
6.2. Altera Roma: Der König als antiker Imperator
Abb. 64
269
Detail aus Tfl. 35 (Caritas romana)
6.2.1. C a e s a r / A u g u s t u s u n d Pontifex
maximus
Eine Vielzahl von Motiven in den letzten drei Traveen der Galerie deuten darauf hin, daß Franiois I er trotz der katastrophalen militärischen Niederlage von Pavia und der erfolglosen Konkurrenz mit Karl V. um den Kaisertitel 1518/19 seinen imperialen Anspruch keineswegs aufgegeben hatte. Dies zeigte sich bereits in der sprechenden Dachbekrönung von Schloß Chambord (erbaut 1518/19-1530), in der der königliche Salamander von der kaiserlichen Bügelkrone überragt wurde. Insbesondere aber die drei genannten Traveen bieten verstärkt Hinweise auf die Epoche des antiken Kaisertums, die identifikatorisch mit der eigenen Zeit gleichgesetzt wird. Das imperiale Rom ist hier omnipräsent, zum Beispiel in der erwähnten Caritas-Romana-Darstellung unter dem Fresko „Cleobis et Biton" (Abb. 64) oder in den römischen Architekturen in der Stuckkartusche daneben (Abb. 65) wobei es sich hier erneut nicht u m einfache Zitate, sondern um geistreiche Musterabwandlungen handelt: So ist die Reliefspirale der Trajanssäule beispielsweise im Vergleich zur realen Säule gespiegelt dargestellt. Daß Rosso ausgerechnet die antike Inkunabel einer Bildhauerei, die sich eines malerischen Reliefstils bediente, ins Bild setzt, verweist erneut auf seine Favorisierung des „relief-like style". Auf römischen Münzen repräsentiert der Elefant, wie die Panofskys gezeigt haben, den Kaiser; bei Horapollon ist er ein königliches Tier; 304 und in Valerianos Hieroglyphica avanciert er dann zum emblematischen alter ego Caesars. 305 Elefanten wurden bei antiken Feldzügen und imperialen Triumphen des Caesar und des Augustus eingesetzt. 306 Im 304 Horapollo, Zwei Bücher über die Hieroglyphen, S. 122: „85. Quomodo regem a stultitia impudentiaque abhorrentem? Regem qui omni studio stultitiam fugiat ac impudentiam significant, Elephantum & arietem simul pingentes. Ille enim viso ariete fugit. 86. Quomodo regem qui nugatorem auersetur? Regem qui nugacem vitet hominem, elephantum cum porco pingentes. Is enim voce porci audita, aufugit." - Tervarent (La pensee du Rosso, passim, v. a. p. 31) geht von einem ausgeprägten Einfluß von Horapollons Hieroglyphica auf die Gestaltung der Galerie aus. Zu den Hieroglyphica vgl. Brunon, Signe, figure, langage: Les Hieroglyphica d'Horapollon. - Zu den in Frankreich verbreiteten Ausgaben vgl. Aulotte, D'Egypte en France par Htalie: Horapollon au XVI e siecle. 305 Panofsky/Panofsky, The Iconography of the Galerie Francois I er , p. 133 (mit Abb.); vgl. auch Terrasse, Sur quelques fresques et stucs, pp. 33s. 306 Joukovsky, L'Empire et les barbares, pp. 19s.
270
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
Abb. 65
Detail aus Tfl. 35 (Tondo mit Trajanssäule)
Fresko „L'Elephant fleurdelyse" (Tafel 37) aber wird Caesars Wappentier zum allegorischen Porträt des Königs selbst, denn er ist mit den königlichen Emblemen - dem „F", den französischen Lilien und dem Salamander - fast überdeutlich als dessen Stellvertreter ausgewiesen. Zugleich ist der Elefant dasjenige Tier, dem die meisten (Herrscher)Tugenden zugesprochen werden - bei besonderer Betonung seiner intellektuellen Fähigkeiten. 307 Umringt von einer sich drängenden Masse von Zuschauern, wird der Elefant als Schaustück zur Inkarnation herrscherlicher Re-Präsentation; er ist das mächtige Monument königlicher Selbstdarstellung. Zugleich ist er eine souveräne Macht, die durch reine Präsenz wirkt, spektakulär, obgleich gezügelt und in sich ruhend. Der imperiale Machtanspruch wird hier nicht nur durch die thronende Jupiterstatue rechts neben dem Elefanten, sondern auch durch die flankierende Szene nach Ovid (Met. 2 , 8 7 0 - 8 7 5 ) verstärkt: Jupiter, der Europa entführt, unterstreicht als olympische Identifikationsfigur des Königs dessen Anspruch auf europäische Suprematie. Die Szene unter dem Fresko, die Alexander den Großen darstellen soll, 308 der den gordischen Knoten durchschlägt, 309 wäre dann eine Anspielung auf uneingeschränkte königliche Handlungsfähigkeit mit souverän-autoritären Mitteln jenseits bestehender Ordnungen. 307 Panofsky/Panofsky, The Iconography of the Galerie Francois I er , pp. 131 f. 308 Alexander d. Gr. nutzte bekanntlich ebenfalls Elefanten zur Kriegsführung und spielt auch in der Ikonographie der übrigen Schloßausstattung eine zentrale Rolle; vgl. hierzu Ruby, Die Chambre de la Duchesse d'Etampes im Schloß von Fontainebleau. 309 So Terrasse, Sur quelques fresques et stucs, p. 34; Panofsky/Panofsky, The Iconography of the Galerie Frangois I er , pp. 131; 135.
6.2. Altera Roma: Der König als antiker Imperator
Abb. 66
271
Antonio Fantuzzi, Vercingetorix (?), um 1542/43
Die Präsenz des Herrschers verstärkt sich im hinteren Galerieteil: In jedem der letzten vier Fresken hat er einen mehr oder weniger stark allegorisch verbrämten Auftritt. Nimmt man dazu noch seine reale Anwesenheit als „Cicerone" hinzu, der sich leibhaftig in der Galerie bewegt, so muß die königliche Gegenwart geradezu überwältigend gewesen sein. Es fällt auf, daß Frangois als einzige individuell identifizierbare „historische" Person in der Galerie dargestellt ist, jedoch nicht in historisch-konkreten Szenen, sondern in allegorischen Kontexten, die um und auf sein Herrschaftskonzept zentriert sind.310 War der Elefant 311 mit seiner Decke, die mit den königlichen Emblemen übersät war, als allegorisches Tugendporträt Frangois' I er lesbar gewesen, so wird der Betrachter im gegenüberliegenden Fresko der „Unite de l'Etat" mit einem veritablen Porträt des Königs konfrontiert 312 - auch 310 In diesem Sinne ist wohl auch die Formulierung „plusieurs histoires anciennes et modernes" in einem Zahlungsbeleg für die Ausgestaltung der Galerie zu verstehen: Die antiken istorie übernehmen den Part der „anciens", der König selber repräsentiert die „modernes"; vgl. Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, pp. 224 u. n. 10; 226. 311 Nicht nur der Elefant auf Cellinis Saliera, auch drei der bereits erwähnten Scipio-Teppiche Giulio Romanos („La conference de Scipion et Hannibal"; „La bataille de Zama" und „Les boeufs et les elephants") lieferten hier erneut ein mögliches Vorbild für die Darstellung von Elefanten; vgl. Kat. Jules Romain. L'Histoire de Scipion, pp. 86-107; 115-119. 312 Bei dem heutigen, zum Teil sehr schlechten Zustand der Galerie ist diese Porträtähnlichkeit nicht mehr sehr deutlich zu erkennen. Auf der Wiener Tapisserie, die dieses Fresko repliziert und damit eine wichtige Quelle für seinen ursprünglichen Zustand darstellt, folgt der Gesichtstypus des Königs jedoch eindeutig dem Clouet-Modell.
272
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
hier in imperial-caesarischer Ausstattung (Tafel 38).313 Die jugendliche Caesarengestalt, die im Elefanten-Fresko direkt vor dem monumentalen Tier stand, scheint jetzt erwachsen geworden zu sein und wendet sich aus dem Profil heraus frontal dem Betrachter zu. Eventuell existierte eine konkurrierende, ursprüngliche Konzeption für diese Hauptfigur des „Unite"-Freskos: Anstelle des ausgeführten Caesar/Augustus314 hätte dort - unter stärkerer Betonung des autochthon-französischen Machtanspruchs - ein Vercingetorix gestanden, den Fantuzzis Stich (A.F. 29; Abb. 66) einer stehenden Figur mit Granatapfel in der Hand dokumentiert.315 Nicht nur die Haltung dieses Vercingetorix ist identisch mit der Caesars in der „Unite", auch die Attribute des Lorbeerkranzes und des Granatapfels finden sich hier.316 Frangois Ier spielte offensichtlich zeitweilig in seiner Selbstdarstellung mit der Möglichkeit, mehr zu sein als nur ein zweiter Caesar; er schuf durch Kombinatorik und Metamorphose innovative Motive, die ihm neue Identifikationsmuster boten. Doch letztlich sollte sich dann die Caesar-Identifikation doch als das dominante Modell durchsetzen, das ja - wie bereits im Eingangskapitel gezeigt - seit den Anfangsjahren der Regentschaft Francis' Ier stark ausgeprägt war. Eine Porträtzeichnung Primaticcios, wahrscheinlich aus der Mitte der 1540er Jahre, zeigt den König als Caesar, der auf trophäenartig aufgehäuften Rüstungen thront317 (Abb. 67) - ähnlich wie Jupiter in Rossos Stich aus den „Dei nelle nicchie" (vgl. Abb. 41). In der folgenden dreifachen Opferszene des „Sacrifice" - im Hauptfresko und in den flankierenden Stucchi (Tafel 39) - tritt der König als Person wieder in den Hintergrund und wird durch eine Chiffre vertreten: Der Altarsockel im Fresko trägt hier das auch sonst in der Galerie omnipräsente „F", auf das der opfernde Priester den Betrachter hinweist. Der Besichtigungsgang wird beschlossen mit der sogenannten „Ignorance chassee" (Tafel 40). Erst auf den zweiten Blick erkennt der Betrachter, daß die für die Deutung zentrale Stelle dieses Freskos von der kleinen Figur vor der hellerleuchteten Tür im Hintergrund eingenommen wird: Sie stellt erneut (und letztmalig) den König als antiken Imperator dar, der aus der angrenzenden „Unite" in dieses Fresko vorangeschritten zu sein scheint. Caesar stand bekanntlich unter dem besonderen Schutz von Venus, der Stammutter der Julier: Und so zeigte das heute verstümmelte Relief in der Stuckkartusche unter der „Ignorance", das sich aufgrund eines Nachstichs des Maitre I.9.V. rekonstruieren läßt, ursprünglich die Geburt der Venus. In diesem letzten Fresko findet mit der Apotheose ein Sphärenwechsel in die Wolken statt - dem König wird eine jupiter- und damit implizit augustusgleiche Ver313 Carroll geht f ü r mein Empfinden in der allegorischen Auslegung zu weit, wenn er den Karren, den Cleobis und Biton ziehen, den Altar im „Sacrifice" und den Tempel in der „Ignorance chassee" gleichermaßen als Sinnbilder des Königs deutet; vgl. id., Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, pp. 263; 281; 290 f. 3 1 4 Joukovsky, L'Empire et les barbares, p. 12. 3 1 5 Nach Henri Zerner zeigt der Stich einen Entwurf f ü r ein Vercingetorix-Denkmal; vgl. id., Die Schule v o n Fontainebleau, S. 39. 3 1 6 Hierzu auch Panofsky/Panofsky, The Iconography of the Galerie Fran?ois I er , pp. 1 2 8 f . Sollte in der Kartusche unter dem Fresko tatsächlich die Szene dargestellt sein, in der Caesar die Nachricht vom Aufstand des Vercingetorix erhält, so würde dies gut in die Demonstration nationalfranzösischen Selbstbewußtseins passen. Es scheint sich jedoch erneut um eine Projektion eines Inhalts zu handeln, den Panofsky (ibid., pp. 1 2 7 - 1 2 9 ) gerne dargestellt sähe. In der Darstellung selbst findet man keinen Anhaltspunkt f ü r diese Interpretation. 3 1 7 Vgl. Cox-Rearick, Chefs-d'ceuvre de la Renaissance, pp. 21; 23.
6.2. Altera Roma: Der König als antiker
Imperator
273
| A b b . 67
Francesco Primaticcio, Frangois I e r als Caesar, um 1541/45, Musee C o n d e , Chantilly
göttlichung zuteil. Göttliche Qualitäten werden ihm zudem durch die in der gesamten Galerie dokumentierte Fähigkeit zugesprochen, in jeder beliebigen Gestalt aufzutreten, sich in einer unabschließbaren Gestaltmetamorphose zu befinden. Denn wandelbarer als das Chamäleon zu sein, ist nach dem Erasmischen Adagium 2301 „Chamaeleonte mutabilior" ein Signum des Göttlichen - ebenso, wie die Fähigkeit, unzählige und immer neue Formtransformationen hervorzubringen. Ob königlicher Elefant, Caesar-Augustus oder - wie in dem Kompositbild - Götterkonglomerat: der gottgleiche König beherrscht sein Image perfekt, und die Galerie wird hierdurch zu seiner proteischen Hervorbringung. Doch nicht nur Römisch-Imperiales wird in den letzten vier Bildeinheiten als Identifikationsmuster des Königs ausgespielt, auch der universale Machtanspruch des römischen Papsttums steht hier zur Debatte. 318 Wolfgang Brassat hat das Fresko der „Unite de l'Etat" als Darstellung eines Rechtsaktes, nämlich einer ausgleichenden Rechtshandlung zwischen 318 D i e in den Augen der europäischen Christenheit unheilige Allianz des französischen Königs mit der H o h e n Pforte wurde sicherlich auch durch die Tatsache befördert, daß Soliman bereits 1526 in seinem Antwortschreiben auf das französische Allianzangebot den König als ihm gleichberechtigten Verhandlungspartner und damit implizit als mit kaisergleichen Würden versehen akzeptierte; vgl. Negociations de la France dans le Levant, vol. 1, pp. 116s. Soliman tituliert sich selbst als „le souverain des souverains, le distributeur de couronnes aux monarques de la surface du globe, l ' o m b r e de Dieu sur la terre" (ibid., p. 117). Francois hingegen umschreibt seine prätendierte Sonderstellung im europäischen Mächtespiel wie folgt: „ Q u o d si dabitur, facile intelliges christianissimum Gallorum regem non tarn cum coeteris principibus mutuis beneficiis certare quam etiam, si ita concedatur, superare velle [ . . . ] " (ibid., p. 120).
274
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
zwei Parteien gedeutet,319 die mit rhetorischen Bildmitteln in Szene gesetzt sei. Ich möchte dem eine stärker politisch akzentuierte Interpretation entgegenstellen, die im Bild einen Anspruch nicht nur auf kulturelle, sondern auch auf machtpolitische Rom-superatio ausgedrückt sieht: F r a n c i s beansprucht hier die Uberbietung der beiden konkurrierenden universalistischen Herrschaftsmodelle durch das von ihm verkörperte französische Königtum. Frankreich und sein Rex christianissimus waren in der Selbstwahrnehmung des Königs der Monarchia Universalis des römisch-deutschen Kaisers einerseits und der päpstlichen geistlichen Universalherrschaft andererseits überlegen, die sich beide in ihrer Legitimation gleichermaßen auf Rom stützten. Rosso signalisiert diesen Uberbietungsanspruch gegenüber dem Papsttum im UniteFresko insbesondere durch die raffinierte Bezugnahme auf Raffaels vatikanische Stanza dell'Incendio del Borgo. 320 In der dortigen „Krönung Karls des Großen" (um 1515/16) hatten bekanntlich Leo X. und Fran$ois I er in einer Art historistischem Rollenspiel den Dargestellten - Karl dem Großen und Leo III. - ihre Gesichtszüge geliehen, um der französisch-mediceische Allianz nach dem Konkordat von Bologna einen bleibenden malerischen Ausdruck zu verleihen und den französischen König bereits vor der entscheidenden Wahl ultimativ als Imperatorabiiis zu designieren (Abb. 68). 321 Rosso übernimmt in seiner „Unite" nicht nur das auf den Farben Rot, Grün, Gold und Weiß aufbauende Kolorit von Raffaels Freskos, sondern es werden auch einzelne Figurenkonstellationen explizit zitiert: Der kniende Junge, der die Königskrone hält, wird zum Darbieter des Granatapfels; dieser wiederum ersetzt Raffaels Reichsapfel in der Hand des Königs. Die gepanzerte Rückenfigur im Vordergrund findet sich bei Rosso stehend wieder; einer von Raffaels beiden prominenten weißgewandeten Beobachtern am linken oberen Freskorand wurde in den Zuschauer transformiert, der von rechts oben aus einer Fensteröffnung blickt. Der kleine Affe, der in Rossos Fresko vorwitzig auf den König hinunterschaut, persifliert den hier fehlenden zweiten Beobachter. Antikisierende Architekturen hinter den dichten Gruppen der Akteure finden sich in beiden Fresken, wobei Rosso seinen Fond noch deutlich stärker „romanisiert": Er zeigt nicht nur antikische Statuen und einen Obelisken, sondern verweist mit der Kirchenapsis, die vage an frühchristlich-römische Architektur erinnert, explizit auf den kirchlich-sakralen Kontext seiner Bezugnahme. Durch die Mischung von Imperialem und Sakralem in Rossos Bild werden der universale Machtanspruch des habsburgischen Kaisertums und der des Papsttums gleichzeitig in Frage gestellt. Der Anspruch einer solchen kulturellen und damit politischen Suprematie gegenüber Rom und insbesondere gegenüber dem Papsttum prägte von Anfang an auch die Bibliothek von Fontainebleau. Der französische König als Büchersammler wählte sich mit seiner verstärkten Sammeltätigkeit auf dem
319 In diesem rechtlichen Sinne scheint die „Unite" von Desjardins rezipiert worden zu sein: Ihr Bildaufbau wird in der Darstellung des Friedens von Nijmegen am Sockel der Porträtstatue Louis' X I V für die Place des Victoires zitiert. Vgl. Erben, Paris und Rom, S. 315-318 und Abb. 102; Seelig, Studien zu Martin van den Bogaert gen. Desjardins, S. 27-204; Kat. n° XLV. 320 Carroll sieht in diesem Fresko Bezugnahmen auf Masaccios „Zinsgroschen" und auf Raffaels Teppichkomposition „Paulus in Lystra"; id., Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, p. 273; ebenso Barocchi, II Rosso Fiorentino, p. 138. 321 Hierzu Mancinelli, L'incoronazione di Francesco I; Zupnick, The Significance of the Stanza dell'Incendio; Rohlmann, Gemalte Prophetie; Kempers, „Sans fiction ne dissimulacion"; Oberhuber, Raffael. Das malerische Werk, S. 148 f.
6.2. Altera Roma: Der König als antiker
Abb. 68
Imperator
275
Raffael, Krönung Karls d. Gr., 1516/17, Stanza dell'Incendio, Vatikan
Gebiet griechischer Handschriften bewußt ein päpstlich noch kaum besetztes Terrain, auf dem er dann am Ende seiner Regierungszeit mit ca. 550 griechischen Bände alle italienischen Bestände in den Schatten stellte. 322 Auch das „Sacrifice" mit seinem alttestamentlichen Hohepriester erklärte implizit den Papst als Inhaber des christlichen Magiemonopols 3 2 3 für überflüssig. Frankreich hatte früh seine gallikanischen Autonomiebestrebungen entwickelt; in diesem von Rom unabhängigen Land werden die sakralen Opferhandlungen autochthon nach selbstgeschaffenen Riten durchgeführt, scheint das Fresko dem Betrachter bedeuten zu wollen. Der Rex christianissimus ist - hierin den römischen Imperatoren vergleichbar - auch ein Pontifex maximus. Er erfüllt das augusteische Ideal der politischen und zugleich religiösen Erneuerung des Staates in einer Person, und er ist damit nicht nur politisch in höchstem Maße legitimiert, sondern auch mit göttlichem Charisma ausgestattet, das nicht mehr notwendig ein christlich fundiertes ist. 324 Dies wäre auch eine Erklärung dafür, wieso ihm in der „Unite" zwei weitere Granatäpfel dargeboten werden - neben Frankreich, das er bereits fest in der Hand hält, werden die Symbole universalen Machtanspruchs des römisch-deutschen Kaisertums und 322 Vgl. hierzu die Einleitung von Henri Omont in seine Catalogues des manuscrits grecs de Fontainebleau sous Franqois I" et Henri II, p. IV und Quentin-Bauchart, La bibliotheque de Fontainebleau, p. 13. 323 Hierzu Roeck, Die Verzauberung des Fremden. 324 Vgl. Joukovsky/Joukovsky, A travers la galerie Fran$ois Ier, p. 33; Chastel, Le systeme de la Galerie, p. 148.
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6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
des Papsttums der Verfügungsgewalt des Königs überantwortet. 3 2 5 Geradezu ungläubig o b einer solchen A n m a ß u n g scheint der weiße Togatus
rechts v o m K ö n i g im F r e s k o durch
seinen Fingergestus auf den mit diesem verdreifachten Reichsapfelsubstitut verbundenen Machtanspruch hinzuweisen, durch ein Handzeichen, das dann auch n o c h von der Figur am linken Bildrand reminiszenzhaft verstärkend für eine nicht sichtbare M e n s c h e n m e n g e hinter ihr wiederholt wird. G l a u b t man den D e u t u n g e n des 17. und 18. Jahrhunderts, so symbolisiert der Granatapfel (der an die Kugel erinnert, die die Jupiterstatue im „Elephant fleurdelyse" in imperialem Gestus in der H a n d gehalten hatte 3 2 6 ) im Sinne einer nationalfranzösischen Ikonographie darüber hinaus die Innenpolitik des Königs, die auf die Einheit in der Vielheit durch die Zentralisierung des frühabsolutistischen Frankreich zielte. 3 2 7 D o c h wie i m m e r bei R o s s o und seinem mit Selbstironie begabten Auftraggeber wird der universale Anspruch dieses politischen K o n z e p t s bildintern sofort wieder unterlaufen und in der Parodie auf eine höhere Reflexions- und Differenzierungsstufe gehoben: D e r zwergenhafte U b e r r e i c h e r des Granatapfels spielt als burleskes E l e m e n t die tatsächliche Wirkmächtigkeit dieser Pseudo-Reichsäpfel, mit denen der K ö n i g jongliert, herunter. 3 2 8
325 Fantuzzis Stich (A.F. 25) zeigt nur einen. In der Wiener Tapisserie hingegen sind deutlich neben dem einen in der Hand des Königs zwei weitere auf dem Kissen des Zwerges zu erkennen. Vgl. hierzu den interessanten Aufsatz von Brunelle, Images of Empire: Francis I and his Cartographers, in dem sie die besondere Förderung der Kartographie am französischen Hof mit dem wenig erfolgreichen Engagement Frankreichs in Ubersee in Verbindung bringt; vgl. auch ibid., p. 88: „Globes and orbs also symbolised world sovereignty, and in 1515 a medal was struck for Francis with two globes, one terrestrial and the other celestial, and the devise Unus non sufficit orbis." 326 Deutliche Ähnlichkeit hat die frontal gegebene Figur des Königs auch mit Leon Davents Stich einer Jupiterstatue, bei der es sich eventuell um eine Darstellung von Cellinis silbernem Jupiter handeln könnte (vgl. Abb. 28). 327 Dan, Fontainebleau, le tresor des merveilles, p. 89: „Au second Tableau est encore represente le mesme Roy arme, & tout de bout au milieu d'vne Salle, tenant vne grenade en main que luy presente vn enfant ä genoux ä ses pieds; & est ce Prince accompagne de quantite de personnes, les vns vieillards, & comme des Senateurs, les autres representans des Capitaines & Soldats. Ce qui est pareillement vn Embleme en suite du precedent, par lequel Ton peut entendre que si tost que ce Roy fut eleue ä la Couronne, & eut pris le maniement des affaires de cet Estat, son dessein ne fut pas seulement de chasser l'aueuglement de l'ignorance de son Royaume, mais encore y establit vn bon ordre & police, soit aux choses ciuiles, ou soit au gouuernement de la guerre: voulant signifier de plus par cette grenade, que tandis que tous les suiets demeureroient bien vnis ensemble, & auec sa Maieste, comme les grains de ce fruit, tout ce Royaume iroit fleurissant." - Der Abbe Guilbert folgt ihm in dieser Interpretation: „Au deuxieme Tableau Francois I. accompagne de Senateurs, Officiers, Soldats & autres Peuples est debout & arme, ayant en main une pomme de grenade (symbole de l'union) qu'un enfant qui est ä genoux ä ses pieds, vient de lui presenter. Ce qui represente le soin que ce Roy prit d'entretenir l'union dans tous les Corps du Royaume, leur faisant comprendre que s'ils etoient unis ensemble & attaches ä leur Roy, l'Etat n'avoit point besoin d'autres forteresses"; Description historique, vol. 1, p. 84. 328 Und die beiden Stuckknaben rechts und links neben dem Fresko, die den Bildrahmen zwischen ihre Hinterbacken eingeklemmt haben, relativieren damit spöttisch die Stabilität jedes allumfassenden Machtanspruchs.
6.2. Altera Roma: Der König als antiker Imperator
277
6.2.2. Römische maniera auf französischem Boden Doch diese expliziten Anspielungen auf Päpstlich- und Antik-Römisches in der Galerie waren nur ein Register, das der König in seiner mehrstufigen Rom-Uberbietung zog: Sein Anspruch auf Überflügelung des antiken wie des zeitgenössisch-päpstlichen Rom reichte wesentlich weiter, als Vasari es sich in seiner Evokation der „nuova Roma" vorgestellt hatte. Durch eine Art Künstlerimport gelang es Frangois Ier, Romanita von Italien nach Frankreich zu transferieren und damit einen genuin „römischen" Stil in Fontainebleau zu etablieren, wobei er bezeichnenderweise auf die zu diesem Zeitpunkt modernste stilistische Strömung setzte.329 Sein Hof sollte über einen raffinierteren Stil verfügen als die Kunst der römischen Hochrenaissance im päpstlichen Umfeld - die Exilkunst der Manieristen am französischen Hof etablierte einen Stil als Politikum. Insbesondere durch diesen KünstlerTransfer wird Fontainebleau zu „quasi una nuova Roma": Rosso ist der Meister der Verschmelzung von michelangelesken und raffaelesken Stilzitaten, die er zugleich in geistreichen Wendungen persifliert, womit er das ganze Ausmaß seiner künstlerischen Virtuosität unter Beweis stellt. Er lieferte so dem französischen König ein vollständiges Arsenal römischer maniera. Der nach 1527 deutlich geschwächte Repräsentationsanspruch des Papsttums wird von Francois I er in den 40er Jahren des 16. Jahrhunderts noch zusätzlich gemindert, indem er Bronzeabgüsse der ideologisch hoch aufgeladenen Belvedere-Antiken in seiner Galerie aufstellt.330 Er demonstriert damit, daß er souverän über unterschiedliche Gattungen verfügt, daß er seine message in jedem beliebigen Medium ausdrücken lassen kann. Seine Künstler verdoppeln, vervielfältigen und steigern die Expressivität der Vorbilder, wie und wo es dem königlichen Repräsentationsanspruch gefällt. So findet man in Rossos Fresken einige der Belvedere-Antiken aus päpstlichem Besitz ins Medium der Malerei übertragen: Das herausragendste Beispiel ist die bereits erwähnte sogenannte Kleopatra, deren Armhaltung in der „Jeunesse perdue" im Vergleich zum römischen Original ins Exzentrische gesteigert wird - gänzlich unbekümmert um ihren Status im Belvedere-Hof als päpstliche Kunstikone.331 Römische maniera der Hochrenaissance, die bereits zu Lebzeiten von Raffael und Michelangelo als kanonische Höchstleistung der Kunst galt, wird hier in spezifischer Weise weiterentwickelt. Rossos Verhältnis zu Michelangelos wie zu Raffaels Kunst ist ein ausgesprochen ambivalentes.332 Als ein typisches Beispiel für seine kombinatorische Strategie, sich auf beide Künstler zu beziehen, kann sein erster (und einziger) großer römischer Auftrag von 1524, die Ausgestaltung der Cesi-Kapelle in S. Maria della Pace, verstanden werden, von dem nur zwei Fresken tatsächlich ausgeführt wurden (Tafel 41).333 „[F]ece nella Pace, sopra le cose di Raffaello, un'opera, della quale non dipinse mai peggio a' suoi
3 2 9 Cox-Rearick (Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 88) ist hier zu widersprechen, die von einer prononciert florentinischen Geschmacksbildung am französischen H o f ausgeht. 330
Hierzu ausführlich Kapitel 7 dieser Arbeit.
331
Rosso muß die Belvedere-Antiken während seines Romaufenthalts 1 5 2 4 - 2 7 gesehen haben; vgl. auch Beguin/Guillaume/Roy, L a Galerie d'Ulysse, pp. 41s.
332 Freedberg, Rosso's Style in France, pp. 1 3 - 1 6 . 333
Hierzu Hirst, Rosso: A Document and a Drawing; Darragon, Manierisme en crise, pp. 3 7 - 3 9 ; Franklin, Rosso in Italy, pp. 1 2 1 - 1 3 3 ; Gnann, Parmigianinos Projekte für die Cesi-Kapelle. Vgl. auch Tauber, A Paragone
of Styles; Natali, Rosso Fiorentino, pp. 1 4 7 - 1 7 9 .
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6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
Abb. 69
Michelangelo, Die Erschaffung Evas, um 1509/10, Sixtinische Kapelle, Vatikan
giorni", 334 schreibt Vasari und begründet die vermeintlich miserable künstlerische Qualität der Fresken mit der Übermächtigkeit der umgebenden römischen Kunst und speziell dem überwältigenden Vorbild Michelangelo: [...] ne posso imaginare onde ciö procedesse, se non da questo, che non pure in lui, ma si e veduto anco in molti altri: e questo - il che pare cosa mirabile et occulta di natura - e che chi muta paese ο luogo, pare che muti natura, virtü, costumi et abito di persona, intantoche talora non pare quel medesimo ma un altro, e tutto stordito e stupefatto. II che pote intervenire al Rosso nell'aria di Roma, e per le stupende cose che egli vi vide d'architettura e scultura, e per le pitture e statue di Michelagnolo, che forse lo cavarono di se. 335
Damit verkennt er jedoch Rossos eigentliche Intention: Es scheint, als habe der Maler die stilistisch forcierte Michelangelo-Allusion (Abb. 69) als Antidoton zu dem angrenzenden Raffael einsetzen wollen. Die durch die unmittelbare Nähe eröffnete Konkurrenzsituation hatte auch Vasari bereits konstatiert, als er schrieb: „qualunche si fusse di cio la cagione, il Rosso non fece mai peggio: e d'avantaggio, e quest'opera a paragone di quelle di Raffaello da Urbino." 3 3 6 Rosso trat somit hier in einen potenzierten Wettstreit ein, da die RaffaelFresken in der direkt neben der Cesi-Kapelle befindlichen Chigi-Kapelle ja bereits im paragone mit Michelangelos sixtinischen Sibyllen und Propheten entstanden waren. Vielleicht gestaltete Rosso seine beiden Fresken bewußt michelangelesk, um damit den von Raffael überbotenen Kontext wiederherzustellen, ihn durch sein Stilzitat auf seinen Ursprung -
334 Vasari (Barocchi), vol. 4, p. 480. 335 Ibid. 336 Ibid.
6.2. Altera R o m a : Der König
Abb. 70
als antiker
Imperator
279
Raffael, Ausschnitt aus: Die Begegnung von Papst Leo I. und Attila, 1513, Stanza d'Eliodoro, Vatikan
Michelangelos Sibyllen - zurückzuführen. Gleichzeitig aber zitiert er auch eine Figur aus Raffaels eigenen vatikanischen Höchstleistungen, nämlich aus dem „Attila" der Stanza d ' E l i o d o r o ( A b b . 70). 3 3 7 R o s s o versucht sich selbstbewußt an der U b e r b i e t u n g aller römischen Vorbilder; es verwundert daher nicht, daß er, wie Benvenuto Cellini berichtet, mit den Schülern Raffaels in K o n f l i k t geriet. 3 3 8 C a r l o Falciani hat erstmals den B l i c k auch auf die Stuckausstattung der Kapellendecke gelenkt, in der R o s s o in einen erneuten paragone tritt: Diesmal sind es die Ignudi
mit Michelangelo ein-
der Sistina-Decke, die plastisch umgesetzt und damit in
ihrer strukturierenden F u n k t i o n , die sie bereits im Sistina-Dekorationssystem hatten, 3 3 9 337 Ekserdjian, Rosso Fiorentino and Raphael, pp. 36f. 338 Cellinis bereits in Kapitel 5.2. zitierter Bericht von seinem Zusammentreffen mit Rosso in Rom scheint ein Reflex dieses Konflikts zu sein: „Questo Rosso [...] [p]er la sua mala lingua, essendo lui in Roma, gli aveva detto tanto male de l'opere di Raffaello da Urbino, che i discepoli suoi lo volevano ammazzare a ogni modo [...]"; Vita, p. 299. 339 Sehr plastisch hat Jacob Burckhardt im Anschluß an Franz Kugler dieses vierfach abgestufte Ordnungssystem in einem unpublizierten Text beschrieben, der sich in seinen Vorarbeiten zum Cicerone findet: „Michel Angelo begann und endete anders: Seinen Inhalt stufte er vierfach ab: in Geschichten; in einzelne historische Gestalten; in ruhende Gruppen; und in architektonisch belebende Figuren. [...] Zuletzt, wo von beiden Seiten die kolossalen Gesimse sich nähern und Raum lassen für die Reihe der Mittelbilder, sitzen auf Postamenten nackte männliche Figuren in Naturfarbe; je zwei tragen ein reiches Laub- und Fruchtgewinde oder Bänder, an welchen jedesmal ein Medaillon von Erzfarbe mit Reliefs befestigt ist. Mit Kunst gab ihnen der Meister die freiste, leichteste Bewegung und Stellung. Nur so gelang es ihm, das Auge vollkommen zu beruhigen. Sie tragen nichts, weil es dort nach der idealen Rechnung nichts mehr zu tragen giebt; hätte
280
6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
noch stärker hervorgehoben werden. 340 Rosso überträgt die unterschiedlichen malerischen Ebenen ins Dreidimensional-Reliefartige, so daß die illusionistisch-plastischen Malereien Michelangelos leibhaftig skulptural hervorzutreten scheinen.341 Diesen Kunstgriff der „Plastizitätssteigerung" durch die Übertragung in die real-skulpturale Dimension sollte Rosso dann in Fontainebleau zu einem monumentalisierenden Strukturprinzip ausbauen und damit in gewisser Weise auch die schlecht bestückte Skulpturensammlung des Königs ergänzen. In Umkehrung des stilistischen Spiels in den Fresken der Cesi-Kapelle orientiert sich jedoch das Gesamtsystem" der Stuckdecke in seiner Kleinteiligkeit eher an Raffaels Loggien - Rossos Pseudo-Ignudi sind miniaturisiert und stilistisch „raffaelisiert". Einige persiflieren in ihrer anatomischen Unwahrscheinlichkeit die artifiziellen Torsionen von Michelangelos Ignudi, indem sie mit geradezu anatomiesprengenden Gesten die Stuckkartuschen umfangen.342 Rossos selbstbewußte Haltung gegenüber den größten römischen Kunstvorbildern prädestinierte ihn zum französischen Hofkünstler. Rom war in den Jahren nach Raffaels Tod bis zum Sacco ein wahrer Schmelztiegel der Konkurrenz und der gegenseitigen Einflußnahme für die junge Künstlerelite, die das Erbe Raffaels und Michelangelos zu verwalten hatte, zugleich aber den Druck verspürte, inhaltlich und stilistisch über die mächtigen Vorbilder hinauszugehen.343 Ein aufschlußreiches Dokument in diesem Zusammenhang ist der berühmte Brief Rossos an Michelangelo vom 6. Oktober 1526. Darin versucht er, sich gegenüber dem Meister ins rechte Licht zu setzen - aus Angst, diesem könne gerüchteweise sein Ausspruch zu Ohren gekommen sein, den er beim Betreten der Sixtina und beim Anblick der Decke angeblich hatte fallen lassen: „che non volevo pigl[i]ar quella maniera". 344 Rosso unterwirft sich in peinlich gewundenen Formulierungen, die zeigen, daß er sich offensichtlich in nicht nur positiv zu verstehender Weise zur Freskierung der Sixtina geäußert hatte, dem „giuditio" des großen Adressaten, dessen Vorbildlichkeit nicht nur in künstlerischer, sondern auch in menschlicher Hinsicht so groß sei, daß er nur ein gerechtes, für Rosso günstiges Urteil fällen könne:
er sie wie Karyatiden oder Atlanten Kopf gegen Kopf gestemmt, so würde eine arge Mißform entstanden und das Auge erst recht in Sorgen versetzt worden sein, weil sie dann Anspruch darauf gemacht hätten, das Gewölbe wirklich zu tragen. Man möchte denken, daß sie hier die Lieblingsarbeit des Meisters gewesen seien. Sie gehören zu den schönsten und freisten Kunstgedanken der goldenen Zeit"; Staatsarchiv Basel-Stadt, PA 207, 155. 340 Falciani, Memoria del Rosso negli stucchi della cappella Cesi, passim; Lossky, Quelques sources d'inspiration florentines, p. 79. 341 Vgl. Panofsky/Panofsky, The Iconography of the Galerie Frangois I er , p. 117. 342 So bei Falciani in den Abbildungen auf p. 135 und vor allem p. 131. 343 Hierzu passim: Hall, After Raphael und Rona Goffen, Renaissance Rivals. 344 Michelangelo, Ii carteggio, vol. 3, p. 236. Vgl. hierzu Joannides, „... non volevo pigliar quella maniera", pp. 1 3 6 - 1 3 9 ; Darragon, Manierisme en crise, pp. 85s. Vgl. auch Antonio Minis Brief vom 11. Januar 1532 an Michelangelo aus Lyon: „Io onne letto una letera che viene a Franciescho Tedaldi, di mano de' Rosso dipintore, che dicie ch'e' vostro nome, cioe che la fama vostra e divenutta talle in chorte e che voi ci siate sollo infra Ί 'gni omini; e di piü one intesso da messere Luigi ch'e' Re se ne dileta tanto e intendenesi quanto ch'uomo che sia in Francia" (Michelangelo, Ii carteggio, vol. 3, p. 369).
6.2. Altera Roma: Der König als antiker
Imperator
281
Le quali cose, dato che ne l'honor tocco essendo non senza qualche turbatione possibil sia passarle, pure, confidandomi in quello che e somma veritä, con patientia sopportavo, maxime havendo per piü lettere inteso quanto voi, la vostra gratia et benignitä, n'havete piü volte difeso. La qual cosa considerato con quanta forza ai malivoli repugnava, et per consequente ad quanto obligo legato alia excellentia vostra m'habbi, per restar dell'una con si scaricatissimo hanimo et all'altra non sapendo trovar modo render minima parte delle debite gratie secondo l'obligo et affection mia, per manco errore senza scrivere mi passavo. [...] II che, quantunque da confidar habbimi ne l'integro et sano giuditio vostro et ad presso in la mia innocentia, pur non mi e parso tacere, troppo parendomi che nel vivo tochimi questo, cioe che intendo ch'e ad voi stato persuaso che io, qua giungiendo et in la cappella da voi dipinta entrando, dicessi che non volevo pigl[i]ar quella maniera. [...] Per che per questa vi dico che chi ardisce di cosi adfermare, i' dico che mente della parola sua, et per questa paratissimo ad ogni paragone; et non solo questo, ma che i' habbi mai altro che si come di cosa divinamente facta parlato [...]. 345
„Pigliar" kann in diesem Kontext „übernehmen", „imitieren", auch „kopieren" bedeuten. Offensichtlich wollte Rosso also nicht als reiner Plagiator michelangelesker Formbildungen verstanden werden. Zwar zitiert er unbestreitbar Michelangelos Figuren, stellt sie aber jeweils in völlig neue Zusammenhänge und gibt ihnen damit ganz neue Bedeutungskonnotationen, wie die Körper- und Affektfragmentierung im „Combat des Centaures et des Lapithes" als Darstellung eines brachialischen Kampfes schlagend gezeigt hat.346 Seine Vorgehensweise ist vor allem konzeptuell und zugleich auf höchstmögliche Expressivität ausgerichtet. Sie abstrahiert formal und inhaltlich von den konkreten Durchformungen menschlicher Körper bei Michelangelo und invertiert die Sublimierung der Affekte bei Raffael. Damit eröffnet Rosso eine stilistische Auseinandersetzung, die den paragone mit beiden Vorbildern auf je unterschiedlicher Ebene aufnimmt.347 Den Wettstreit mit den Skulpturen Michelangelos, der ja von seinen Zeitgenossen vor allem als Meister der verlebendigend-hyperplastischen Darstellung des menschlichen Körpers gefeiert worden war,348 auf malerischer Ebene mit seinen fragmentiert-verformten Figuren im Sinne einer plastischen Uberbietung gewinnen zu wollen, war aussichtslos: Doch vielleicht spielte sich der Wettkampf der Künstler gar nicht mehr auf der Ebene des traditionellen paragone ab, sondern auf derjenigen der Expressivität, der Modernität der Ausdrucksgestalt. Offensichtlich ging es Rosso in der formalen Gestaltung seiner Fresken gar nicht darum, unter Beweis zu stellen, daß er als Maler Skulptur illusionistischer abbilden könne als der Bildhauer sie meißelt - ein Blick auf die zurückgebeugte „Kleopatra" in der „Jeunesse perdue" der Galerie mag hier genügen, um zu belegen, daß plastisch durchgestaltete Körperdarstellung nicht gerade seine Spezialität war. Der transportierte Inhalt ist es, der an Bedeutung gewinnt, so daß das Material und seine plastische Durchformung sekundär werden. Der gleiche Inhalt kann sich nun in den unterschiedlichsten Medien adäquat manifestieren. Typisch für Rossos integrative Uberbietungstechnik ist die Verknüpfung raffaelesker Grazie (vor allem bei den Frauengestalten) mit herkulisch-brutaler Expressivität und terri345 Ibid., vol. 3, pp. 236s. 346 Antal, Drawings by Salviati and Vasari, p. 47 verweist in diesem Sinne beispielsweise auch auf den direkten Einfluß von Michelangelos Kentauren-Relief auf Rossos „Rebekka und Eliezer". 347 Vgl. Wilmes, Rosso Fiorentino und der Manierismus, S. 135. 348 Vgl. Vasari (Barocchi), Vita di Michelagnolo Buonarroti, vol. 6, p. 69: „nel principale suo intento, che e il corpo umano".
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6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
bilita, wie sie auch in der Galerie von Fontainebleau an verschiedenen Stellen zu finden war. Gerne kontrastiert er hier unmittelbar in ein und derselben Travee die grazile und die überwältigende maniera, wenn zum Beispiel die ruhig-beherrschte „Venus" der ungezügeltbrutalen Aktivität der trunkenen Kentauren und Lapithen gegenübergestellt wird - Courtoisie auf der einen, „Gewaltformeln" auf der anderen Seite. Doch auch hier wird die Eindeutigkeit sogleich wieder aufgelöst, denn es läßt sich kaum entscheiden, ob der grazile Frauenkopf der Venus mehr Raffaels grazia-Ideal imitiert oder eher Michelangelos sogenannte „Teste divine" zitiert.349 Aber gerade diese Ambiguität ist das oberste Prinzip von Rossos Adaptationen. Seine intellektuell hochaufgeladene Zitattechnik kombiniert unterschiedliche Bedeutungsallusionen, so daß ein Antikenzitat eine gleichzeitige MichelangeloAnspielung ebensowenig ausschließt wie die erotische Darstellung eines nackten Frauenkörpers: Gerade diese Mischung aus Intellektualität350 und Sinnlichkeit in Verbindung mit prononcierter Romanita kam dem französischen König geschmacklich wie kunstpolitisch sehr entgegen. 6.2.3. Hermetische Hieroglyphen Das letzte Fresko der Galerie wechselt die Sphären und entrückt den König in himmlische Gefilde. Es gibt zudem deutliche Hinweise auf das hermetisch-elitistische Herrschaftskonzept und auf die allein von ihm beanspruchte Deutungsmacht. 351 Bereits in der „Unite" hatte Caesar/Augustus/Frangois in keinem erkennbaren kommunikativen Verhältnis mehr zu den ihn Umgebenden, seinen Untertanen, gestanden.352 Er hielt seine Ansprache
349 Zum direkten Vergleich mit den „Teste divine" bietet sich Rossos Zeichnung eines idealisierten Frauenkopfes von 1527 an; vgl. Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, pp. 148-150; vgl. auch Haitovsky, Rosso's Rebecca and Eliezer at the Well Reconsidered, p. 119; Shearman, Manierismus, S. 80. 350 Vgl. Mugnaini, La furia della virtu, p. 101, der Rossos sublimierende Technik folgendermaßen beschreibt: „raffreddando intellettualmente un'azione violenta e drammatica". 351 Hierzu Erben, Paris und Rom, S. 15: „Das Anspruchsniveau der Dekorationen wird maßgeblich von der Verarbeitung von Vorbildern der aktuellen Hofkunst italienischer Residenzen bestimmt. Ein gemeinsamer Grundzug der Programme liegt in ihrer neuartigen Exklusivität im Sinne einer durchaus idiosynkratischen Bezogenheit auf die Person des Herrschers. Im Bildprogramm der Galerie in Fontainebleau sind Eigenschaften des Monarchen so anspielungsreich verschlüsselt, daß eine stringent erschließbare Deutung durch den Betrachter anscheinend gar nicht erwünscht war. Die einzelnen Sinnschichten, die der Funktion des Raums entsprechend durch den König selbst erläutert werden konnten, erinnern an die Bestandteile eines Kompositbildnisses." Allerdings scheinen mir bei aller Vergleichbarkeit dennoch signifikante Unterschiede zwischen dem Modell (Ober)Italien und dem Modell Fontainebleau zu bestehen: In Frankreich wird die Schraube der Verschlüsselung bewußt im Sinne der beschriebenen Uberbietungslogik und Hermetisierung noch einige Windungen weitergedreht. Giulio Romanos Ausgestaltung des Palazzo del Te ist in diesem Sinne nicht hermetisch. Die dortigen Witze und Anspielungen sind offenkundiger und direkter lesbar. 352 Fantuzzi ändert diese frontale Stellung, die sich direkt an den Besucher der Galerie wendet, in seinem Stich (A.F. 25) ab: Dort hat sich der Konig dem weißen „Togatus" zugewandt und kommuniziert jetzt mit ihm, da die Einbindung in das Galerieensemble im Einzelstich aufgehoben ist und eine Ansprache an den Betrachter somit sinnlos wäre.
6.2. Altera R o m a : Der König als antiker Imperator
283
an den gebannt lauschenden Betrachter, 3 5 3 der sich k u r z vor dem endgültigen Verstehen wähnte - damit spielte der Imperator zugleich auch die R o l l e des rhetorisch geschulten, intellektuell bewanderten und gewandt parlierenden Hercules
gallicus.
D o c h im F r e s k o
daneben wird der Betrachter dann ultimativ düpiert und mit drastischen Allegorien darauf verwiesen, daß er den Sinn der hier inszenierten Herrschaftsmechanismen niemals verstehen wird. D e n n jetzt spricht der K ö n i g nicht einmal mehr in Rätseln zu ihm, sondern wendet sich ab und zieht als ex utroque
Caesar (mit B u c h und Schwert) und Divus
Augustus
zugleich in den kapitolinischen Tempel des J u p i t e r O p t i m u s Maximus ein. 3 5 4 Allein der K ö n i g hat die Deutungshoheit in „seiner" Galerie, er ist der einzige „semantische A n k e r " 3 5 5 für den überforderten Betrachter. E r bestimmt nicht nur den A b l a u f der Besichtigung, sondern vor allem auch die Zeit, die der Besucher vor den Bildern verbringen darf. Jedes Plus an Sinn, das während der Besichtigung produziert wird, spielt ihm und seiner politischen Legitimation in die H ä n d e . Wissen ist M a c h t und Erläuterung von U n verständlichem ein herrscherlicher Gnadenbeweis. D e r Souverän legt die Sinnschichten arbiträr frei und kann sie seinen jeweiligen Intentionen entsprechend erklären, da sie nicht abschließend deutbar sind. Somit führt die ästhetische Entgrenzung, die in der Strukturlogik der Galerieausstattung aufgezeigt werden konnte, paradoxerweise zur Monopolisierung von Sinn und Bedeutung. Souverän ist der K ö n i g aber auch im eigentlichen Wortsinn, weil er in der Lage ist, diese Pluralität, Komplexität und O f f e n h e i t auszuhalten und nicht auf eindimensionale Eindeutigkeiten beschränkter Geister angewiesen ist. Ähnlich wie bei seinem Agieren auf dem Güldenen Feld ist der K ö n i g auch in seiner Galerie H e r r über R a u m und Zeit - wenn auch auf einem recht begrenzten Territorium. 3 5 6 D i e von ihm geförderten Künstler lösen den Betrachtungsraum auf, setzen die Zentralwie die Bedeutungsperspektiven außer Kraft, sprengen die Gattungen und Symmetrien und etablieren eine neue O r d n u n g von Innen und A u ß e n , von Bild und R a h m e n , von Wichtigem und Nebensächlichem. Zugleich dokumentiert der Auftraggeber dadurch königliche largesse als Machtdemonstration, indem er seine H o f k ü n s t l e r aus der Fülle möglichen Sinns schöpfen und sie einen semiotischen U b e r s c h u ß produzieren läßt, der vorgibt, semantisch sachhaltig zu sein. D e m kongruiert R o s s o s manieristischer Habitus, der mit großer Lust und Finesse manifeste Sinngehalte in der künstlerischen U m s e t z u n g hermetisiert und mit latenter und vieldeutiger Bedeutung auflädt. Diese F o r m von Bedeutungsanreicherung k o m m t einer Wertsteigerung des K u n s t w e r k s gleich. R o s s o nutzt in dieser Transformationsleistung den ihm zugestandenen Bildraum optimal aus. Sein „relief-like s t y l e " ist auch ein Mittel der
353 Brassat, Das Historienbild im Zeitalter der Eloquenz, S. 277 sieht hier eine antike oratio dargestellt: „Durch den Bildtypus der oratio, bei dem diese als Ansprache an den Betrachter inszeniert ist, entfaltet das Fresko mit seinem idealisierten Porträt auch eine reflexive Wirkung in Hinblick auf den Darstellungsmodus der Galerie: Der weise Souverän ist ihr ideeller Autor." 354 Erkennbar an der Inschrift „OSTIVM IOVIS" auf dem Portalsturz, der von der königlichen Initiale bekrönt wird; vgl. Panofsky/Panofsky, The Iconography of the Galerie Frangois Ier, p. 120; Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, p. 286; Joukovsky, L'Empire et les barbares, p. 14. 355 Diese schöne Formulierung verdanke ich Jürgen Müller (Dresden). 356 Vgl. Joukovsky/Joukovsky, A travers la Galerie, p. 174: „Cet art de l'illusion est essentiellement dynamique: tous ces artifices tendent ä repousser l'espace, ä aller plus loin, pour metamorphoser en empire une galerie d'un chateau fran^ais."
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6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
Raumbesetzung durch Überfüllung, somit der Raumbeherrschung. Der König aber hat weiterhin die Kontrolle über die Wirkmächtigkeit seiner Bilder. Er dosiert genau die Chancen des Verstehens für den Betrachter und schließt zugleich unerwünschte Deutungen aus. Er nährt dessen Hoffnung auf Erleuchtung und läßt ihn zeitweilig glauben, ein Eingeweihter zu sein, der das Geheimnis mit dem König teilt. Doch im nächsten Moment erstickt er diese Hoffnungen im Keim - und fügt seiner Salamander-Devise „Nutrisco et extingo" damit eine weitere machtvolle Bedeutungsnuance hinzu. Ein bildlicher Hinweis auf diese bildungsaristokratische Machtlegitimation findet sich in der Priestergestalt des „Sacrifice", die durch ihre Mitra als alttestamentlich, wenn nicht sogar heidnisch ausgewiesen ist. Die Opferszene selbst ist ebenfalls gänzlich unklassischantikisch dargestellt, die Opfergeräte erinnern noch am ehesten an ägyptische Schnabelkannen. Hier scheint ein geheimnisvolles, vielleicht sogar alchimistisches Ritual 357 vollzogen zu werden, das die religiöse Funktion des Herrschers - prominent vertreten durch das „F"-Zeichen auf dem Altar - unterstreicht. Ägypten war in der damaligen Vorstellung gleichermaßen das Geburtsland der „königlichen Kunst" der Alchimie wie das Ursprungsland der Hieroglyphen. 358 Und Ägyptisches begegnet dem Betrachter der Ausstattung von Fontainebleau an den verschiedensten Stellen als Hinweis auf Exotik und Hermetik: An der Tür des Pavillon des Armes standen feminisierte ägyptische Hermen Wache (vgl. Abb. 76); unter Primaticcios Antikenabgüssen befanden sich nicht nur der Nil und die sogenannte Kleopatra, sondern auch die beiden vatikanischen Sphingen; 359 in Rossos Fresken kommen mehrfach überspitze Pyramiden vor; Primaticcios Ausmalung der Galerie d'Ulysse enthielt ägyptische Anspielungen; 360 seine Kamindekoration in der chambre de la reine zeigte Sphingen im Stuck (Tafel 42); 361 das Bett, auf dem Alexander d. Gr. und Kampaspe in der Chambre de Mme d'Etampes sitzen, ruht auf Sphingenfüßen, und Primaticcios erster Entwurf für den umlaufenden Fries in der chambre du roi sah die ebenfalls orientalisch-ägyptisch konnotierte Kybele als bizarres Schmuckelement vor; 362 Tribolos Statue dieser hyperabundanten Naturgottheit befand sich bekanntlich in der Sammlung des Königs (Abb. 71). In einer Zeichnung für ein Festkostüm am französischen Hof kombiniert Primaticcio schließlich die vielbrüstige Diana mit einer Sphinx. 363
357 Hierzu vor allem Hartlaub, Arcana artis. Vgl. Chastel, Le systeme de la Galerie, p. 148; Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, p. 280; Pressouyre, Les fresques nouvellement restaurees, pp. 131-135; Beguin/Pressouyre, Documentation, description, interpretations, p. 139. 358 Vgl. Hartlaub, Arcana artis, S. 295. 359 Hierzu Kapitel 7 dieser Arbeit. 360 Vgl. z.B. die Pyramiden und Sphingen in der Szene „Odysseus wird von seinem H u n d erkannt"; Primatice. Maitre de Fontainebleau, n° 169. 361 Ibid., pp. 92-94; Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 52s.; vgl. auch McAllister Johnson, Les debuts de Primatice ä Fontainebleau; Curl, Egyptomania, p. 67. 362 Primatice. Maitre de Fontainebleau, n° 9, pp. 87-91. Vgl. auch Jean Mignons Kybelestich Q. Μ. 18). 363 Ibid., n° 30, pp. 131s. Vgl. auch Primaticcios Vorzeichnung für das Fresko „La mascarade de Persepolis" für die Chambre de Mme d'Estampes: Dort schreiten im Hintergrund zwei Figuren die Treppe hinab, die als Stadtallegorien verkleidet sind und deren Kostüme ebenfalls vielbrüstig gestaltet sind; ibid., n° 103, pp. 237-239; Wilson-Chevalier, Femmes, cour, pouvoir, p. 224 u. fig. 6; p. 221.
6.2. Altera Roma: Der König als antiker Imperator
Abb. 71
285
Niccolo Tribolo, Natura, 1528, Fontainebleau
Im kaiserzeitlichen Rom - und damit in der Epoche, die als hauptsächliche Identifikationsfolie für die Rom-Renovatio in Fontainebleau diente - hatte es bereits einen ersten „egyptian revival" 364 gegeben. Die Rezeption ägyptischer Kultur in der Renaissance 365 ist untrennbar mit dem Hieroglyphenverständnis der Zeit verbunden, das wiederum das Zeichenverständnis generell prägt.366 Marsilio Ficino übersetzt 1471 das Corpus Hermeticum. Francesco Colonnas Hypnerotomachia, die der König im aldinischen Druck von 1499 in seiner Bibliothek aufbewahrte,367 war unter anderem ein Text über Hieroglyphenproduktion und -deutung. 1505 werden Horapollons Hieroglyphica erstmals auf griechisch gedruckt. Die erste französische Ubersetzung des Textes (bei Jacques Kerver, Paris, mit Holzschnitten von Jean Cousin) erschien zwar erst 1543, doch kursierte bereits vor 1529 die lateinische Übertragung von Geoffroy Tory, des Chefhieroglyphikers am französischen Hof. 368 Die Bembinische Tafel heizte die Ägyptenmode weiter an. Piero Valerianos Hiero-
364 Hierzu Curl, Egyptomania, pp. 25-36. 365 Speziell zu Fontainebleau vgl. Curl, The Egyptian Revival, pp. 58 f.; id., Egyptomania, pp. 64-67 [überarbeitete Version des vorherigen Beitrags]. 366 Vgl. Gaier, Vielversprechende Hieroglyphen; Brisson, Einführung in die Philosophie des Mythos, S. 189-192; Iversen, The Myth of Egypt and its Hieroglyphs in European Tradition; Giehlow, Die Hieroglyphenkunde des Humanismus; Volkmann, Bilderschriften der Renaissance; Melier, Geroglifici e ornamenti „parlanti"; Oesterle, Aufklärung und Geheimnis; Mauelshagen, Hieroglyphen entziffern. 367 Quentin-Bauchart, La bibliotheque de Fontainebleau, p. 69, n° 41. 368 Vgl. Iversen, The Myth of Egypt and its Hieroglyphs in European Tradition, p. 80.
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6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
glyphica sive de Sacris JEgyptiorum Literis Commentarii wurden in Basel 1556 publiziert, 1614 dann die Arcana Arcanissima, Hoc est Hieroglyphica /.Egyptio-Graeca des Arztes und Alchimisten am Hof Rudolfs II., Michael Maier. Die Zeichentheoretiker und Künstler der Renaissance betrachteten Hieroglyphen als Ideogramme, in denen sich sprachenunabhängig uralte Wahrheiten abbildeten, die das Urwissen der Menschheit repräsentierten. In einer Art geheimbündlerischer Wissensübertragung sollten sich diese Kenntnisse aus der arkanen Philosophie der Ägypter bis zu den griechischen Philosophen vererbt haben. 369 Hieroglyphen haben an der göttlichen Weisheit teil, sind potentiell von magischer Wirkung und daher - dies interessiert in unserem Kontext besonders - nie auf eine einzige Bedeutung reduzierbar. Das macht sie zu „dem Nachdenken nicht ausschöpfbaren, unendlich sinngenerierenden ,kyriologischen"' 370 Zeichen. Die Konzeption der Grande Galerie folgt dieser Idee der Unausschöpfbarkeit. Sie ist eine veritable Sammlung von Hieroglyphen, 371 die eine Anmutung von Sinnhaltigkeit vermitteln, jedoch von „Nichteingeweihten" nicht abschließend gedeutet werden können. Das Entschlüsseln alchimistischer Zeichen und Hieroglyphen ist nämlich eine königliche Aufgabe, zu der nur wenige Berufene befähigt und zugelassen sind. In der Vorstellung der Zeichentheoretiker der Renaissance war das ägyptische Priestertum mit der Fähigkeit ausgezeichnet, hieroglyphische Zeichen richtig deuten zu können. Hierdurch wuchs ihm neben seiner religiösen Sonderstellung auch politische Macht zu; der Priester wurde gewissermaßen zu einem Priesterkönig. 372 N u r der Souverän, so scheint die „Ignorance chassee" den Betrachter lehren zu wollen, hat Zugang zu den Arcana imperii und ist damit der Herr über die Deutungen der Hieroglyphen, die diese Arcana in enigmatischer Verschlüsselung versinnbildlichen. Er wahrt seine Deutungshoheit, weil er dieses Geheimnis mit niemandem teilt und den Zugang zu den Hieroglyphen, die hermetische Andeutungen über die Grundlagen seiner Macht geben, ohne die ganze Wahrheit auszuplaudern, 373 streng elitistisch beschränkt. 374 Der manieristische Stil entspricht dieser exklusiven hermeneutischen Praxis, die zugleich eine herrschaftspraktische Abschließung darstellt, in idealer Weise.375 U m mit Roman Schnur zu
369 Hierzu und zum folgenden: Gaier, Vielversprechende Hieroglyphen, S. 175 f. 370 Ibid., S. 176. 371 Besonders deutliche hieroglyphische Formgebung zeigen die kleinen Stuckszenen um die „Vengeance de Nauplius" herum wie auch die rätselhaften Objekte in Halbrelief (ein Paar Schuhe, eine Ziege in einer Wiege, ein Spinnrad, eine sehr ungleich austarierte Waage) im „Subtext" unter der „Education d'Achille"; zu letzteren vgl. Terrasse, Sur quelques fresques et stucs, p. 36. 372 Hierzu der Sammelband: Legitimation und Funktion des Herrschers; Zorach, Blood, Milk, Ink, Gold, p. 76: „The gallery's powerful deployment of cloaked Christian themes and, in particular, of pagan mythology, all under the aegis of the salamander creates, as I have suggested, a ,secular sacred' to glorify the king." 373 Vgl. Gaier, Vielversprechende Hieroglyphen, S. 175, der betont, daß die Renaissance in den Hieroglyphen „leere, aber vielversprechende Zeichen" sah, die Sinn „versprachen", aber „keine Auskunft gaben, wie sie zu entschlüsseln wären". 374 Zerner, L'art de la Renaissance en France, p. 84 spricht im übertragenen Sinne vom „hermetisme", der die Galerie zu „un domaine intellectuel privilegie, reserve au prince" mache. 375 Vgl. Stolleis, Arcana imperii, S. 33: „Die geistigen Eliten, die die Arkanisierung bzw. Ver-Offentlichung des politischen Handelns betrieben, waren getragen von der Symbolwelt des europäischen Manierismus." Vgl. auch Kantorowicz, Mysteries of State.
6.2. Altera Roma: Der König als antiker
Imperator
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sprechen: „So mag der politische Manierist die Arcana imperii erörtern, aber er wird sich hüten, die eigenen Arcana zu publizieren." 376 Herfried Münklers Behauptung hingegen, die „visuelle Restlosigkeit zeremonialisierter Macht" entziehe sich „strategisch-instrumentellem Gebrauch", 377 ist nicht zuzustimmen. Der Zugriff des Herrschers auf die von Münkler sogenannte „Visibilitätsreserve" des Nicht-Gezeigten macht diese Art von pointiertem herrschaftspolitischem Einsatz überhaupt erst möglich: „Die invisiblen Elemente der Macht werden zu einer Ressource des Herrschers, des nunmehrigen Macht-Habers." 378 Unzutreffenderweise stellt Münkler zudem die Verfügungselite (die realen Machthaber) der Deutungselite (den Humanisten und Gebildeten) gegenüber. Doch gerade dieser Gegensatz wird von F r a ^ o i s I er aufgehoben; er beansprucht gleichermaßen die Verfügungs- wie die Deutungsmacht über die von ihm geförderte Kunst. Allerdings gesteht er - wie in den Ausführungen über die Patronagestruktur am Hof dargelegt - seinen Künstlern einen Entfaltungsspielraum der Autonomie zu, der eine platte Instrumentalisierung von Kunst ausschließt und die Reziprozität der Abhängigkeit von Geistesaristokratie und Geburtsadel offensiv anerkennt. Am Ende der Galerie reckt der Souverän mit der einen Hand siegesgewiß das Schwert als Herrschaftszeichen empor, während er in der anderen das Buch trägt, das vielleicht die Rätsel seiner Hieroglyphen löst. Doch das Buch ist geschlossen; denn der König als sein fiktiver Autor benötigt diese Lesehilfe selber nicht. Das Schwert wird nicht zum Kampf Mann gegen Mann gezogen, sondern symbolisiert herrscherliche Potenz nur. Frangois I er setzt nicht (mehr) auf militärische Stärke und kriegerische Machtausübung, wie der „Combat" und die „Vengeance de Nauplius" sie in ihrer negativen Ausprägung einer fortitude ohne intellectus emblematisch verbildlicht hatten. Er zeigt sich vielmehr abschließend erneut als der gebildete Herrscher, als Intellektueller und litteratus, der die Unwissenheit vertreibt: Die Einrichtung seiner Bibliothek und vor allem auch die Gründung des College de France als französische Akademie waren die markantesten äußeren Zeichen dafür. Doch zugleich hält er als der Gebildetste eine elitär-intellektuelle und damit absolute Distanz zu seinen Untertanen wie zu den ausländischen Diplomaten, die ihn als Herrscher und thaumaturgischen Zeichendeuter unerreichbar und somit in höchstem Maße legitimiert erscheinen läßt. Die vermeintliche „familiarite", die ausländische Gesandtschaftsberichte am französischen Hof hervorheben, entpuppt sich damit einmal mehr als höchst subtiles Machtinstrument der Gunstbeweise und Zurücksetzungen. 379 Der Souverän mit Schwert und Buch nimmt die Verblendeten nicht mit ins aufklärende Licht, sondern beendet durch seinen Abgang in höhere Sphären demonstrativ den Besichtigungsparcours. Wie in den Auseinandersetzungen mit Karl V. um die Duellforderung 380 bricht er die Kommunikation einseitig ab und verabschiedet sich hoheitsvoll in die göttliche Sphäre. Das erhobene Schwert spielt sicherlich nicht von ungefähr auf das kaiserliche
376 Vgl. Schnur, Individualismus und Absolutismus, S. 22. 377 Münkler, Die Visibilität der Macht, S. 223 f. 378 Münkler, ibid., S. 224 verweist auf die Lehre der arcana vel simulacra imperii, die dieses Spiel des Zeigens und Verbergens thematisiert. 379 Hierzu Kapitel 2.1. dieser Arbeit. 380 Vgl. Kapitel 4.2.3. dieser Arbeit.
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6. Arcana Imperii et Artis: Die Grande Galerie
Reichsschwert als Herrschaftsattribut in Porträts Karls V. an. 381 Frangois hat alle getäuscht, er war taktisch unaufrichtig, um die Arcana seiner Herrschaft zu wahren - wie die Maske in der Hand einer der flankierenden gemalten Figuren zu sagen scheint. Der Betrachter bleibt zurück mit den verzweifelten, nun führungslos gewordenen Ignoranten auf dem Fresko, die durch ihre Augenbinden alle Orientierung verloren haben. Die perspektivische Verzerrung zwischen der miniaturhaften Figur im Bildhintergrund und den monumentalen Verblendeten im Vordergrund deutet bereits auf der formalen Ebene auf eine unüberbrückbare Distanzierung hin. 382 F r a n c i s ist am Ende der einzig Erleuchtete, der sein Umfeld mit seiner intellektuellen Brillanz blendet. Er trägt das Buch der Deutungen unwiederbringlich hinweg und entschwindet in einen Illusionsraum, in den ihm höchstens die Phantasien und Projektionen des Betrachters folgen können. Den gemalten wie realen zurückbleibenden „Verblendeten" bleibt nur das hilflose Ausstrecken der Hände nach dem entschwindenden Machthaber und Zeichendeuter. 383 Die Ergebnisse von Andreas Gestrichs Untersuchung zu Absolutismus und Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert sind auf den französischen Hof unter Francois I er übertragbar, 384 der damit frühabsolutistische Züge zeigt: Eine moderne Form von Herrschaftsausübung setzt auf eine Strategie der Selbstdarstellung in der Verschlüsselung von Emblematik und Allegorie, auf elitäres Herrschaftswissen und auf einen de facto eingeschränkten Kreis der Verstehenden. Sie verweist bewußt auf die ungleiche Wissensverteilung zwischen Herrscher und Beherrschten. Entscheidend ist nicht, ob der Herrscher selbst die verschlüsselten Zeichen versteht oder sich nur als Durchblicker geriert; ausschlaggebend ist vielmehr, ob er seiner Umgebung erfolgreich suggerieren kann, er durchschaue die Geheimnisse. Manieristische Kunst war in dieser Strategie der Uberdeterminierung noch umfassender vorgegangen: Sie erlaubte sich gelegentlich, Bedeutung nur zu simulieren, Spielereien als bedeutungsträchtig darzustellen. Damit enttarnte sie das System angeblich eindeutiger Bedeutungszuordnung und ersetzte es durch ein komplexeres System der Verschlüsselung, der ironischen Volte und des virtuosen Verfügens über alle nur denkbaren künstlerischen Mittel. Gerade die Artifizialität des vom König geförderten Stils garantierte die Beherrschbarkeit der Darstellungsmittel. Kehrseitig dazu Schloß diese Form von Virtuosität stets die Möglichkeit ein, es auch ganz anders zu machen. Arbitrarität wird hier zum geistesaristokratischen Herrschaftsmittel. 385 Der arbiträre Umgang mit paganen wie christlichen Traditionen und die Auflösung der ästhetischen Norm der Mimesis, die die Uberprüfbarkeit künstlerischen Gelingens qua wahrheitsgemäßen Abbildens garantierte, gibt dem König die Autonomie, seine Zeichen so zu setzen, wie es seinen Bedürfnissen entspricht. Er ist der Beherrscher der Transformationsgesetzlichkeiten in seiner Galerie, und damit beherrscht er den Betrachter
381 So zum Beispiel in Giovanni Brittos Holzschnitt nach Tizians verschollenem Karl-Porträt; vgl. Larsson, Rhetorische Aspekte im höfischen Porträt, S. 128. 382 Vgl. Falciani, Francesco I ritratto a Fontainebleau, p. 58. 383 Das „element of hope", das Carroll in einigen der Figuren dargestellt sieht, die angeblich von der Caesarfigur in den Tempel und damit zur ignoranzüberwindenden Erleuchtung geführt werden, kann ich nicht erkennen; vgl. id., Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, p. 290. 384 Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit, S. 44f. 385 Vgl. Freedberg, Rosso's Style in France, p. 16.
6.2. Altera Roma: Der König als antiker
Imperator
289
und steckt ihm den Spielraum seines Verstehens ab. Er hat die Schlüsselgewalt,386 und er behält sich situativ die Entscheidung darüber vor, was zentral und was peripher sein soll in diesem gänzlich von ihm beherrschten Kunstkosmos. Seine Deutungshoheit und Verfügungsgewalt verleiht im absolute Souveränität - zumindest über dieses künstlerische Kernstück seines Königreichs.387 Diese Form von moderner, intellektualisierter Herrschaftspraxis388 ist jedoch zu exklusiv konzipiert, um machtpolitisch vordergründig erfolgreich sein zu können.389 Sie antizipiert strukturell bereits ihr Scheitern. Massenwirksam und somit realpolitisch durchsetzungsfähig ist sie nicht,390 und bezeichnenderweise fanden weder der französische Manierismus oder die sogenannte Schule von Fontainebleau noch das spezifische Herrschaftsverständnis von Francis Ier eine wirkliche Nachfolge. Die Entwicklungen im politischen wie im künstlerischen Bereich nahmen in den kommenden Jahrhunderten eine ganz andere Richtung. Höfisches Zeremoniell als Mittel arkaner Herrschaftsausübung, wie es am französischen Hof der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts hochartifizielle Blüten trieb und künstliche Paradiese kultivierte, in denen Macht sich als zu entzifferndes Ritual und Rätsel manifestierte, wird zunehmend durch die Zeremonialwissenschaft ihres Geheimnisses entkleidet, festgelegte „Lesehilfen" werden kanonisiert. Dieser Entzauberung und Entcharismatisierung entspricht umgekehrt eine größere Vermittelbarkeit und Wirksamkeit von Herrschaftsgewalt.391 Symmetrisierung, Ordnung und Uberschaubarkeit gepaart mit militärischer Macht sollten nach den Religionskriegen Frankreich zur Weltmacht erstarken lassen. Ironisierungen, Brechungen, Hintergründigkeiten und Ordnungsstörungen hatten in diesem neuen System kaum noch Platz. Es könnte ein Wink der Weltgeschichte sein - die ja bekanntlich einen Sinn für Ironie (und Treppenwitze) hat - , daß ausgerechnet der letzte vorrevolutionäre absolutistische Herrscher Frankreichs, Louis XVI, die Nordwand der Grande Galerie verdunkeln ließ, indem er vor sie Repräsentationsräume setzte, in denen sich im erneuten Rückgriff auf Raffaels Loggien ein belangloses Spiel sinnentleerter Ornamentik entfaltete.
386 Vgl. Occhipinti, Ii „camerino" e la „galleria" nella Villa d'Este a Fontainebleau, p. 632; Zerner, L'art de la Renaissance en France, p. 83: „Cela permettait au roi, qui faisait visiter sa galerie et qui tenait, lui, la clef de l'enigme aussi bien que de la porte, d'eblouir ses visiteurs de marque." 387 Vgl. Weislogel, Rosso Fiorentino, Benvenuto Cellini and Clement Marot, p. 51, der die Galerie als „the cultural centerpiece of the realm at that time" bezeichnet. 388 A u c h Brassat (Das Historienbild im Zeitalter der Eloquenz, S. 275) konstatiert die „Tendenz einer Kultivierung und Intellektualisierung des Herrscherbildes" in der Galerie. - Ein vergleichbares Herrschaftskonzept findet man im Prag Rudolfs II.; vgl. Evans, Rudolf II. and his World; Vocelka, Die politische Propaganda Kaiser Rudolfs II.; Kat. Prag um 1600; DaCosta Kaufmann, The Eloquent Artist; Müller, „Arcana imperii". 389 Selbstverständlich ist diese Deutungsmacht nicht das einzige Mittel königlicher Machtausübung. Im Konfliktfall hat er immer noch die Möglichkeit, auf seine herrscherliche Zwangsgewalt zurückzugreifen; vgl. Gestrich, Absolutismus und Öffentlichkeit, S. 55 f.: „In gewisser Weise sollte das inszenierte Geheimnis verbergen, daß es dahinter noch ein wirkliches Geheimnis gab, nämlich die Techniken und Kniffe der täglichen Regierungspraxis [...]." - So löst der König ja auch den Konflikt mit Benvenuto Cellini, nachdem alle subtileren Hinweise gescheitert sind, indem er sich auf seine weltliche Macht beruft; vgl. Kapitel 5.2.3. dieser Arbeit. 390 Vgl. hierzu Wilson-Chevalier, Feminizing the Warrior, p. 15. 391 Vec, Zeremonialwissenschaft im Fürstenstaat, S. 405; vgl. Stollberg-Rilinger, Zeremoniell, Ritual, Symbol, S. 402.
7. Strategien der Souveränität: Antikenimport und Reproduktionshoheit
1516, im Vollgefühl seiner neugewonnenen Machtposition in Oberitalien nach dem Überraschungssieg von Marignano, einer Schlacht, die wie keine andere in der französischen Nationalmythologie mit Francois I er verbunden ist,1 stellte der französische König in Bologna eine geradezu unverschämte Forderung an Leo X.: Er möge ihm diejenige Antike aus seiner Sammlung überlassen, die nicht nur sofort nach ihrer Auffindung im Januar 1506 als höchstes Vorbild der Kunst gerühmt worden war, sondern auch eine entscheidende Rolle in dem seit Julius II. ausgeklügelten Programm des Statuenhofes im Belvedere 2 spielte: den Laokoon (Abb. 72). Noch 1523 kolportieren die venezianischen Gesandten, denen Hadrian VI. am 18. April ausnahmsweise Zugang zum Belvederehof gewährt, in ihrem anonymen Bericht die Fama dieser Hybris: [...] vi e il Laocoonte, per tutto il mondo celebrato; figura di grandissima eccellenza, di grandezza d'un comune uomo, con una barba irsuta, tutto ignudo; si veggono Ii nodi, le vene, e i proprii nervi da ogni parte, che piü in un corpo vivo non si potria vedere; ne gli manca che lo spirito. [...] έ impossibile che arte umana arrivi a fare tanta opera cosi naturale. Ogni cosa e integra, salvo che al Laocoonte manca il braccio destro. Mostra di etate anni quaranta, e somiglia messer Girolamo Marcello da San Tommaso; Ii due putti pajono di otto e nove anni. II re di Francia dimando in dono quest'opera a papa Leone, essendo a Bologna. Ii papa gliela promise; ma per non privare il Belvedere, deliberö di fame fare una copia per dargliela; e giä sono fatti Ii putti, che sono Ii in una camera; ma il maestro, se anche vivesse cinquecento anni, e ne avesse fatti cento, non potria mai far cosa eguale. 3 Baccio Bandinelli wurde weder 500 Jahre alt, noch fertigte er mehrere Kopien des Laokoon an (Abb. 73). Jedoch übertrifft die eine, die den Kunstraub des französischen Königs unterbinden sollte, 4 trotz der herabsetzenden Bemerkung der Venezianer zumindest in Bac-
1 Hierzu Knecht, Marignan: Frangois Ier „vainqueur des Suisses"; Le Fur, Marignan (vor allem den zweiten Teil unter dem Titel „La propagande"); Henninger, Marignan, 1515. 2 Zum Programm ausführlich: Brummer, The Statue Court, pp. 216-251; id., On the Julian Program of the Cortile; Daltrop, Nascita e significato della raccolta; Geese, Antike als Programm; Nesselrath, The Imagery of the Belvedere Statue Court under Julius II and Leo X. 3 Anonymus, Sommario del Viaggio degli oratori Veneti che andarono a Roma a dar l'obbedienza a Papa Adriano VI, abgedr. bei Brummer, The Statue Court, p. 266. 4 Hierzu Reiss, Cardinal Giulio de' Medici as a patron of art, pp. 427-432; Satzinger, Der „Statuenhof" Clemens' VII.; Liebenwein, Clemente VII e il „Laocoonte"; Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de
292
7. Strategien der Souveränität: Antikenimport
Abb. 72
und
Reproduktionshoheit
Laokoon, Kopie aus der Zeit des Tiberius (14-37 η. Chr.) eines pergamenischen Bronzeoriginals um 140/130 v. Chr., Vatikanische Museen, Rom
cios Selbstdarstellung und in Vasaris florenzparteiischer Panegyrik die antike Gruppe an Schönheit. 5 Bandinelli hatte bereits bei der Auftragsvergabe auf die Frage, „ob er sich getraue einen Laokoon auszuführen, welcher dem antiken gleich sey", 6 selbstsicher - und ganz dem Vasari-Schema der Uberbietung folgend - verkündet: „nonche fame un pari, gli bastava l'animo di passare quello di perfezzione." 7 Er stellt nun mit seiner Kopie, die das Original fast illusionistisch abbildet (aber eben nur fast), unter Beweis, „quanto intendeva dell'arte", 8 weil er das verstümmelte Vorbild durch die Ergänzung des Laokoonarmes perfektioniert und als erster eine der poetischen Vorgaben Vergils (die Lanze in der fehlenden Hand des Laokoon betreffend) textgetreu realisiert, wie Matthias Winner gezeigt hat. 9 Damit entsteht ein neues und durch die Ergänzung autonomes Kunstwerk, das man den aus
5
6 7 8 9
la Renaissance, pp. 319s.; Buranelli, La Scoperta del Laocoonte e il Cortile delle Statue; Nesselrath, Laocoonte vive. Vgl. auch Bandinellis mehr als selbstbewußte Selbstaussage in seinem Memoriale, in: Barocchi, Scritti d'arte del Cinquecento, vol. 2, p. 1381: „[...] l'anno 1520 feci in Roma un Laocoonte stimato mirabile da tutta Roma." Vasari (Schorn/Förster), Bd. 4, S. 129. Vasari (Barocchi), Vita di Baccio Bandinelli, vol. 5, p. 246. Ibid. Winner, Zum Nachleben des Laokoon in der Renaissance, S. 112-117; vgl. auch Daltrop, Die Laokoongruppe, S. 15-17. Die Lanze, die Laokoon angeblich in seiner fehlenden Hand gehalten haben soll, geht auf Aeneis 2,216 „ac tela ferentem" zurück. - Zu den frühen Teilrestaurierungen der antiken Gruppe, die Rebaudo Bandinelli zuschreibt, vgl. id., II braccio mancante, pp. 28s.
7. Strategien der Souveränität: Antikenimport
Abb. 73
und Reproduktionshoheit
293
Baccio Bandinelli, Laokoon, 1520-24, Uffizien, Florenz
italienischer Sicht wenig kunstsinnigen und wenig kennerschaftlichen Franzosen erst recht nicht gönnt. Es wird daher nicht nach Frankreich geschickt, sondern dem inneritalienischen Patrimonium einverleibt - so Vasaris lokalpatriotische Pointe zum Sieg der florentinischen „modernes" in dieser Querelle: „Parve questa opera tanto buona a Sua Santita, che egli mutö pensiero, et al re si risolve mandare altre statue antiche, e questa a Firenze; et al Cardinale Silvio Passerino cortonese, legato in Fiorenza, il quale allora governava la cittä, ordino che ponesse il Laocoonte nel palazzo de' Medici nella testa del Secondo cortile [...]." 10 Von den anderen antiken Statuen, die der französische König als Trostpreis erhalten haben soll, ist nichts bekannt. 1524 läßt Clemens VII. Bandinellis Laokoon tatsächlich nach Florenz überführen, wo er 1525 im Palazzo Medici zuerst eine vorläufige, 1531 dann seine endgültige Aufstellung erfährt. 11 Aufschlußreich ist die Tatsache, daß Clemens VII. trotz des bereits vorliegenden Ergänzungsvorschlags Bandinellis einen weiteren Künstler, Montorsoli, zwischen Juli 1532 und Juli 1533 beauftragt, den Arm des Laokoon erneut und anders anzustücken. 12 Dies auf eine despektierliche Äußerung Michelangelos gegenüber vermeintlichen Antikenüberbietern zurückzuführen, die erst nach 1564 eindeutig auf Bandinelli hin interpretiert wurde,
10 Vasari (Barocchi), Vita di Baccio Bandinelli, vol. 5, p. 246. 11 Hierzu erneut: Satzinger, Der „Statuenhof" Clemens' VII.; Liebenwein, d e m e n t e VII e il „Laocoonte". 12 Vgl. Vasari (Barocchi), vol. 5, p. 493; Rebaudo, I restauri del Laocoonte, pp. 241-244.
294
7. Strategien
der Souveränität:
Antikenimport
und
Reproduktionshoheit
scheint einigermaßen spekulativ. 13 Vielmehr wollte Clemens VII. wohl Bandinellis Kopie als ein Unikat für den „Statuenhof" in Florenz behalten, das zwar an der Antike orientiert war, sich aber charakteristisch (nämlich zeitgenössisch-florentinisch) von dem antiken römischen Original unterschied. Der inneritalienische Wettstreit um künstlerischen Vorrang zwischen R o m und Florenz, den bereits Baccios Orpheus als Paraphrase des Apoll vom Belvedere eröffnet hatte, erhielt mit dem Laokoon neue Nahrung. 14 Aber das Florentiner Konzept, das auf die höchstmögliche Differenz zum Belvedere einerseits, auf den paragone zwischen antiker und moderner Skulptur andererseits hin angelegt war,15 unterschied sich deutlich von dem Modell, das der französische König nach 1543 in Fontainebleau etablieren sollte.
7.1. Primaticcios Abgüsse der Belvedere-Antiken In der Frühphase seiner Regentschaft glaubte Frangois I er noch, originale Meisterwerke aus Italien abziehen zu können. Ein Stück in seiner Sammlung könnte ihn dann jedoch belehrt haben, daß auch eine Kopie einen herausragenden Kunstbesitz darstellen, ja sogar als Substitut für das Original herhalten kann. Der französische König besaß nämlich eine Replik von Leonardos „Abendmahl" als Tapisserie (Tafel 43), und seit Mitte des 17. Jahrhunderts kursierte in der Kunstliteratur das Gerücht, dieser Wandteppich sei ein Ersatz für das echte Abendmahl gewesen, das der französische König am liebsten in Mailand von der Wand abnehmen und nach Frankreich transferieren lassen wollte. Diese Tapisserie nach Leonardos „Cena" zeigt typische Merkmale des nördlichen Umgangs mit italienischen Vorbildern. Während die Figurengruppe unmittelbar von Leonardo übernommen wird, ist die Szene in einem italo-französischen Phantasieumfeld angesiedelt - die Architektur ist bewußt südlich-renaissancehaft gehalten, die Schmuckteppiche jedoch folgen ganz dem in Frankreich und Flandern seit Ende des Quattrocento modischen mille-fleurs-Schema.. Die Tapisserie, wahrscheinlich kurz vor 1515 in Flandern gefertigt, 16 gelangte 1533 anläßlich der 13 So Laschke, Die Arme des Laokoon, S. 180; die Äußerung Michelangelos bei Vasari (Barocchi), vol. 6, p. 118: „Domandato da uno amico suo quel che gli paresse d'uno che aveva contrafatto di marmo figure antiche delle piü celebrate, vantandosi lo immita[to]re che di gran lunga aveva superato gli antichi, rispose: ,Chi va dietro a altri, mai non Ii passa innanzi; e chi non sa far bene da se, non puo servirsi bene delle cose d'altri'"; Vasari zitiert diese Aussage erneut implizit in der Mino da Fiesole-Vita, wenn er dort über die Frage von Kunst- und Naturnachahmung räsonniert: „Quando gli artefici nostri non cercano altro nelle opere ch'e' fanno che imitare la maniera del loro maestro ο d'altro eccellente, che gli piaccia il modo di quello operare ο nell' attitudini delle figure ο nell'arie delle teste ο nel piegheggiare de' panni, e studiano quelle solamente, se bene col tempo e con lo studio le contraffanno simili, non possono arrivare con questo solo a la perfezzione dell'arte, avvengache manifestissimamente si vede che rare volte si passi a chi si camina dietro [...]";Vasari (Barocchi), vol. 3, p. 405 [Hervorhebung durch Kursivierung von der Verf.]. 14 Vgl. Maffei, La fama del Laocoonte, p. 215. 15 So Satzinger, Der „Statuenhof" Clemens' VII., S. 221; 224. - Vgl. auch die schöne Beobachtung von Liebenwein, daß Bandinelli in seiner Entwurfszeichnung für eine Statue des Hl. Michael für das Castel Sant'Angelo den Laokoon und damit gewissermaßen sich selbst überbietet ([Louvre, Cabinet des dessins, Inv.nr. 92]; demente VII e il „Laocoonte", p. 269 und fig. 12). 16 Und nicht etwa, wie mehrfach ohne jeglichen Beleg behauptet wurde, in Fontainebleau; vgl. CrickKuntziger, La Cene de Leonard de Vinci, pp. 119; 126. - Zur Datierung: Cox-Rearick, Chefsd'oeuvre de la Renaissance, pp. 134s.; 366; ebenso Schneebalg-Perelman, Les chasses de Maximilien,
7.1. Primaticcios Abgüsse
der
Belvedere-Antiken
295
Hochzeit von Caterina de' Medici mit dem Dauphin Henri (II) als diplomatisches Kunstgeschenk an Clemens VII. 1 7 Frangois hatte offensichtlich früh erkannt, welche Möglichkeiten der Kunst- und Ideologieabschöpfung Reproduktionen boten. N a c h d e m ihm die Requirierung des originalen L a o k o o n nicht gelungen war, hatte er bereits 1520 stattdessen einen Bronzelaokoon verlangt, wie Sellaio am 29. Januar aus R o m an Michelangelo berichtet: „Avete a sapere chome si dice e' re di Franc[i]a vuole uno Laochonte di bronzo; non si sa se si formerä quello ο se lo fara Bac[i]o di Michelagnolo." 1 8 1540 unternimmt Frangois dann einen erneuten A n l a u f diesmal jedoch mit subtileren Mitteln - , um den gewünschten L a o k o o n doch noch zu bekommen. E r schickt Francesco Primaticcio nach R o m , „afin de pourtraire plusieurs medailles, tableaux, arcs triomphaux et autres antiquailles exquisses y estans que nous desirerons veoir, aussi choisir et adviser Celles que nous γ pourrons recouvrer et achepter". 1 9 Die erklärte Absicht dieser Reise ist also einerseits eine Bestandsaufnahme von Antiken, die zum Verkauf stehen, um so eine A r t Bestellkatalog für den König bereitzustellen. Andererseits soll Primaticcio möglichst naturgetreue „Porträts" von Antiken anfertigen („pourtraire"), was entweder „abzeichnen" bedeuten kann oder aber bereits das Projekt, Abgüsse anzufertigen, andeutet - denn in italienischen Quellen wird der Abguß auch als „ritratto" bezeichnet, 2 0 der A k t des Kopierens durch Abgießen als „effigiare". 2 1 Von der Abgußkampagne, die ganz bewußt auf die höchstrangigen Antiken in R o m („quelle prime belle anticaglie [ . . . ] le piü belle cose che sieno in R o m a " 2 2 ) , die belvederischen Originale, zurück-
p. 126 (um 1514). Für eine Anfertigung der Tapisserie für (wenn schon nicht durch) Francois I er spricht die Emblematik der Bordüre, die sowohl Salamander als auch Embleme wie den Flügel und den Savoyer Knoten zeigt, die auf Louise de Savoie hindeuten. Denkbar wäre, daß Louis X I I die Tapisserie für Frangois d'Angouleme in Auftrag gegeben hat, womit auch die frühe Datierung bestätigt würde. Vgl. Erlande-Brandenburg, Les tapisseries de Francois d'Angouleme, p. 27, der auf die Kopie des Abendmahls von 1510 verweist, die der Kardinal d'Amboise für Gaillon anfertigen ließ, sowie auf mehrere weitere frühe Kopien in Frankreich. Er datiert die Tapisserie ebenfalls vor dem 1. 1. 1515, weil der Salamander in der Bordüre noch keine Krone trägt. Das heute in der Mitte angebrachte Wappen des Königs ist eine nachträgliche Einfügung, wohl anläßlich der Ubergabe der Tapisserie als Geschenk an Clemens VII. 17 Diese Szene hat Antoine Caron in seiner Zeichnung aus der Zeit zwischen 1560 und 1573 „Histoire Frangoyse de nostre temps. Les cadeaux" dargestellt; vgl. Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 80s. u. fig. 104; vgl. auch Erlande-Brandenburg, Les tapisseries de Francois d'Angouleme, p. 25. 18 Michelangelo, Carteggio, vol. 2, p. 214. 19 Geldanweisung des Königs für Primaticcio an seinen Schatzmeister Jean Duval vom 13. Februar 1540, Catalogue des Actes de Frangois I er , vol. 4, p. 82, n° 11374, zit. n. Primatice. Maltre de Fontainebleau, p. 137. Zu den Antikenabgüssen und zum folgenden vgl. ausführlich: Barbet de Jouy, Etude sur les fontes du Primatice; Pressouyre, Les fontes de Primatice ä Fontainebleau; Jestaz, Les moulages d'antiques; Seelig-Teuwen, Large Bronzes in France; Favier, Les collections de marbres antiques; Haskell/Penny, Taste and the Antique, pp. 1 - 6 ; Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 319-361; Primatice. Maitre de Fontainebleau, pp. 137-154. In keiner dieser Darstellungen wird jedoch die Frage nach der (kunst)politischen Intention dieser Abgüsse gestellt. 20 Zum Beispiel von Giovambattista Adriani (1567) oder von Raffaello Borghini (1584); vgl. Maffei, La fama del Laocoonte, pp. 221; 223. 21 So bei Francesco Bocchi (1591); vgl. Maffei, ibid., p. 223. 22 Cellini, Vita, p. 462.
296
7. Strategien
Abb. 74
der Souveränität:
Antikenimport
und
Reproduktionshoheit
Francesco Primaticcio, sog. Kleopatra, 1543, Galerie de la Diane, Fontainebleau
greift, ohne sie aus dem Statuenhof zu entfernen, berichtet dann explizit Vasari. 2 3 N a c h dem Tode R o s s o s E n d e 1540, sicher jedoch vor dem 23. April 1 5 4 1 2 4 wird Primaticcio bereits wieder nach Fontainebleau zurückbeordert, w o der K ö n i g eigens eine G u ß w e r k s t a t t für die Fertigung und Nachbearbeitung der B r o n z e n einrichten läßt. D i e G u ß f o r m e n , die unter Vignolas M i t a r b e i t 2 5 angefertigt wurden, reisen per Schiff nach Frankreich. 2 6 Von dieser 23 Vasari (Barocchi), Vita di Primaticcio, vol. 6, p. 144. Die 120 Antiken, die Primaticcio angeblich für den französischen König aufgespürt habe, finden keinerlei Niederschlag in dessen Sammlung und scheinen allein der Phantasie Vasaris entsprungen zu sein. Vgl. auch Vasari (Barocchi), Vita di Taddeo Zucchero, pittore da Sant'Agnolo in Vado, vol. 5, p. 570: „Intanto essendo venuto a Roma Francesco Primaticcio, pittore bolognese [...] si servi molto del Vignuola in formare una gran parte dell' antichitä di Roma, per portare le forme in Francia e gettarne poi statue di bronzo simili all'antiche." Man beachte die Formulierung „una gran parte dell' antichitä", die die Belvedere-Antiken mit der Antike gleichsetzt. 24 Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 326. 25 Zu Vignolas Beteiligung an der „Officina di Fontainebleau" mit einer Vielzahl umstrittener Zuschreibungen: Orazi, Jacopo Barozzi da Vignola, pp. 111-145. 26 Es ist nicht zu klären, ob sich der Eintrag in den Comptes des bätiments du roi auf die erste oder auf die zweite Abgußkampagne Primaticcios bezieht, wenn es dort (für einen nicht spezifizierten Zeitpunkt zwischen 1540 und 1550) heißt: „A Jean le Febvre, chartier, la somme de 20 liv. 12 s. 6 d., pour avoir charie et amene du port de Valvin, audit lieu de Fontainebleau, 133 quesses, esquelles estoient toutes les medalles et figures de marbre antique, et aussi plusieurs mousles en piastre, mousles ä Rome sur les autres figures antiques que maistre Francisque Primadicis de Boullongne, paintre ordinaire du Roy, a este querir ä Rome et fait amener audit Fontainebleau"; Laborde, Comptes des bätiments du roi, vol. 1, p. 193. Vgl. auch Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 326.
7.1. Primaticcios Abgüsse der Belvedere-Antiken
297
Abb. 75 Maerten van Heemskerck, H o f des Palazzo della Valle, zwischen 1532 u n d 1536, Römisches Skizzenbuch II, fol. 20r, Staatliche Museen, Kupferstichkabinett, Berlin
ersten Abgußkampagne bringt Primaticcio Formen für den Laokoon (Tafel 44), den Apoll, die Venus ex balneo, 27 die damals noch so genannte Kleopatra (Abb. 74), den Hercules Commodus, den Tiber, die zwei Sphingen und die beiden Satyrn aus der Sammlung della Valle (Abb. 75) nach Fontainebleau. Eventuell wurde auch bereits zu diesem Zeitpunkt der Marc Aurel auf dem Kapitol abgegossen. Bis Ende 1543 sind wohl die meisten Bronzegüsse dieser ersten Kampagne fertiggestellt. 28 Damit wurde ein bereits erwähntes Manko der Sammlung des französischen Königs kompensiert - der Mangel an bedeutenden antiken Stücken (sieht man einmal von der Venus genetrix ab) - , da es nach 1527 sehr schwer war, noch originale antike Monumentalstatuen in Italien zu erwerben: 29 Der Export von Antiken aus Rom war - zumindest der Verordnung nach - seit dem Ende des 15.Jahrhun-
27 Cox-Rearick, ibid., p. 352, fig. 382 bildet den falschen, wenn auch ebenfalls im Vatikan befindlichen P r o t o t y p ab; das richtige Vorbild bei Brummer, T h e Statue C o u r t , p. 208, fig. 194 und bei Haskell/Penny, Taste and the Antique, pp. 330f. und fig. 175. Auch Geese, Antike als Programm, S. 37 geht fälschlich davon aus, Primaticcio habe die Venus felix abgegossen. 28 Dies dokumentiert der Bericht des Ferrareser Gesandten Alfonso Calcagnino an den H e r z o g von Ferrara vom 23. Dezember 1543 über eine Besichtigung der Abgüsse in Begleitung des Königs; vgl. Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 326. 29 Vgl. Kapitel 5.1.2. dieser Arbeit.
298
7. Strategien der Souveränität: Antikenimport
und
Reproduktionshoheit
derts verboten; ein Breve Pauls III. vom 28. November 1534 setzte einen Generalkommissar für die Überwachung der römischen Altertümer ein. Zwischen 1535 und 1545 sind nur neun Ausfuhrlizenzen dieser Behörde dokumentiert - darunter auch die für Primaticcios Gußformen - , wobei explizit darauf hingewiesen wird, daß sich unter den ausgeführten Gütern keine authentischen antiken Stücke befinden dürften: [...] nonnulli typi seu formule diversarum antiquitatum et designiorum ad Christianissimum Francorum regem transmittuntur, in quinquaginta octo capsis et duobus doliis [seu] vegetibus composite raptate in duobus aut pluribus caricatoriis sive barchiis conducendae [...] dummodo non sint inter eosdem modellos aliquod fragmentum antiquitatum tarn lapideum quam aeneum vel alterius cujuscumque generis [...]." 3 0
Somit stellt die Erlaubnis des Papstes, Abgüsse von seinen berühmten Antiken nehmen zu lassen und damit einmalig auf seine eigene Reproduktionshoheit zu verzichten, eine besondere largesse-Demonstration gegenüber dem französischen König dar, ohne daß der päpstliche Besitz dadurch tatsächlich geschmälert würde. Zugleich werden die Stücke durch ihren illustren Vorbesitzer noch zusätzlich nobilitiert. Ursprünglich sind die Abgüsse als die „zweitbeste Lösung" im Rahmen der Sammlungstätigkeit von Fran$ois I er zu interpretieren: Lieber hätte er sicherlich Marmororiginale erworben. Doch sehr bald wird dieses Defizit in einen Vorteil verwandelt: Die Haltung des französischen Königs gegenüber Original und Kopie scheint sich den ungünstigen Gegebenheiten des Kunstmarkts für Antiken schnell und flexibel angepaßt und die Wertigkeiten sich in seinen Augen umgekehrt zu haben, weil er das Machtpotential entdeckte, das in Reproduktionen steckte: Die Innovation besteht bei den Antikenabgüssen nicht nur in der künstlerischen Umsetzung mit dem Anspruch, das Vorbild zu überbieten, sondern vor allem im kunstpolitischen Einsatz des Mediums „Abguß" durch den Auftraggeber. Statuen- und Antikenbesitz als solcher - egal in welchem Medium - scheint als hohes Gut betrachtet worden zu sein. Wie Georg Satzinger anhand des sogenannten „Konsuls" am Palazzo Gondi in Florenz nachweisen konnte, 31 war das öffentliche Vorzeigen von Statuenbesitz durch den Sammler ein Machtbeweis, der in dem wenig republikanisch orientierten Fontainebleau zu einer Art von Beleg „imperialer" Machtvollkommenheit wurde. Im Gegensatz zu Florenz stellte hier gerade das Changieren zwischen öffentlicher Präsentation und privatem Besitz den ultimativen Machtbeweis dar - das Zeigen der Statuen wurde vom König als politischer Gunsterweis gegenüber einem ausgewählten Personenkreis, die Verweigerung des Zeigens als Zurückweisung ausgekostet. Denn tatsächlich „öffentlich" präsentiert werden sechs der abgegossenen antiken Statuen erst nach 1568 an der Aile de la Belle Cheminee-, auch ihr zwischenzeitlicher Aufstellungsort seit 1560, der Jardin de la Reine, war ein „jardin secret" und somit nur halböffentlich. Auch scheinen die Botschaft, die durch die Abgüsse vermittelt wurde, und ihr gezielter Einsatz im Ausstattungsprogramm von Fontainebleau größere Bedeutung gehabt zu haben als die Frage, ob es sich um den Prototyp oder um dessen Replik handelte. 32 Das Reprodu-
30 Jestaz, L'exportation des marbres de Rome, p. 452 (Dokument 7 vom 30. März 1542); vgl. auch ibid., pp. 415; 428. 31 Satzinger, Der „Konsul" am Palazzo Gondi, S. 181. 32 Jestaz, Les moulages d'antiques, p. 27 stellt demgegenüber die Kategorie der „verite de la forme" heraus, die über die „antiquite proprement dite" triumphiere.
7.1. Primaticcios Abgüsse der
Belvedere-Antiken
299
zieren und anschließende Verfügen-Können über die Kunstwerke zu herrschaftspolitischen Zwecken in der Anordnung und Neudeutung der Abgüsse bedeutete dem französischen König mehr als der Besitz einer originalen antiken Statue. Mehr noch: Der im Modus der „technischen" Reproduzierbarkeit hergestellte Abguß schuf ein zweites, neues „Original" mit autonomem Kunstanspruch, das gegenüber dem Vorbild nicht als defizitär, vielmehr als überlegen angesehen wurde.33 Dies hatte der Papst wohl nicht bedacht, als er sein Copyright so großzügig außer Kraft setzte. All diese Überlegungen führen zu einer differenzierteren Betrachtung der Wertigkeit von Original und Kopie im Manierismus, zu einer Neudefinition von imitatio und aemulatio im manieristischen Uberbietungswettkampf.34 1545 ist Primaticcio erneut in Rom, um die französischen Statuenbestände zu ergänzen; bereits 1544 hatte er ein Zwischenlager für die weiteren Abgüsse in Civitavecchia angemietet.35 Er erwirkt am 16. April 1545 die Erlaubnis, auch noch das Pendant zum Tiber, den Nil, und den heute Hermes genannten Antinous,36 der von Paul III. erworben und eventuell erst nach 1540 in das Hofensemble integriert wurde,37 abgießen zu dürfen.38 Doch diese beiden Statuen wurden nie in Bronze gegossen, was wohl auf den Tod des Königs im März 1547 und die Einstellung des Projektes zurückzuführen ist.39 Uber die Abgüsse der Belvedere-Antiken, des Marc Aurel, der Satyrn und einiger Kompartimente der Trajanssäule hinaus versuchte Fran§ois I er auch (allerdings vergeblich), Abgüsse von den beiden antiken Statuen vor dem Dom in Messina - dem Scipio Africanus und dem Hannibal - zu erhalten, die beide ebenfalls gut in ein Herrschaftsprogramm mit imperialem Anspruch und in eine rückblickende Stilisierung des Alpenüberwinders in Richtung Marignano zu integrieren gewesen wären. Beide Statuen hatten darüber hinaus eine tragende Rolle beim Einzug Karls V. 1535 in Messina gespielt und wären einmal mehr paragone-Stücke im Machtstreit zwischen Kaiser und König geworden.40 Mit Primaticcios zweiter Abgußkampagne wären die Kopie des Belvederehofes und seine Translation auf französischen Boden fast vollständig gewesen. Interessant jedoch sind 33 Dies veranlaßte wahrscheinlich Cellini in der Beschreibung der Präsentationsszene seines Jupiters, die Reaktion des Königs auf Primaticcios Abgüsse so darzustellen, als seien sie als antik rezipiert worden. E r wollte damit sein Monopol auf Modernität wahren. 34 Vgl. hierzu Goffen, Renaissance Rivals, passim; Pigman, Versions of Imitation in the Renaissance; Dubois, Limitation sans limitation; Bellenger, Les poetes fran^ais et la peinture. 35 Jestaz, L'exportation des marbres de Rome, p. 445. 36 Vgl. Gerlach, Warum hieß der „Hermes-Andros" des vatikanischen Belvedere „Antinous"? 37 Vgl. Brummer, The Statue Court, p. 212; laut Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 352 erst 1543. Ihre Behauptung, daß die Erwähnung des Antinous in einer Notariatsakte vom 16. April 1545 eine Verwechslung mit dem Merkur darstelle, überzeugt nicht. 38 Brown, Collecting Casts, p. 239. 39 Wann der heute in Florenz befindliche Merkur abgegossen wurde, ist umstritten; da er sich nachweislich 1585 in Fontainebleau befand und in der Aile de la Belle Cheminee aufgestellt war, könnte es sich um einen späteren Abguß Primaticcios (um 1568) im Zusammenhang mit diesem Fassadenprojekt nach einer Gußform handeln, die im Belvedere abgenommen worden war. Vgl. Pressouyre, Les fontes de Primatice ä Fontainebleau, p. 234 („une quatrieme fonte, coulee d'apres le Mercure de Florence"); Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 352s. (die die Forschungslage referiert); Bresc-Bautier, Parisian Casters, p. 99 und fig. 1. - Johannes Fichard erwähnt in seiner Belvederehof-Beschreibung von 1536 den Merkur, der erst um 1550/53 nach Florenz verbracht wurde; vgl. Maffei, La fama del Laocoonte, p. 178: „In eodem latere et Mercurii statua est." 40 Hierzu Brown, Collecting Casts, pp. 239 f.
300
7. Strategien
der Souveränität:
Antikenimport
und
Reproduktionshoheit
die wenigen signifikanten Lücken in der Auswahl. Zwei Torsi werden nicht abgegossen: der bereits unmittelbar nach seiner Aufstellung im Belvederehof unter Clemens VII. hochberühmte Torso und die Herkules-Antäus-Gruppe. 41 Hieraus läßt sich ableiten, daß das primäre Ziel bei diesen Abgüssen politischer und nicht ästhetischer Natur war. Offensichtlich schienen dem französischen König Torsi wenig geeignet, um sie in sein herrscherliches Repräsentationsrepertoire aufzunehmen, das auf eine renovatio abzielte, in der Trümmer der römischen Vergangenheit mit Vizwitas-Konnotationen eher gestört hätten. Seine Intention bestand auch nicht darin, herausragendes Studienmaterial für Künstler in Frankreich bereitzustellen. In einer Abgußsammlung, die vor allem ästhetischen Prinzipien gefolgt wäre und der Schulung französischer Künstler an den antiken Vorbildern hätte dienen sollen, hätte der Torso, der bereits von Michelangelo als Muster der Kunst gepriesen worden war, auf keinen Fall fehlen dürfen.42 Diesen von Francis vernachlässigten Aspekt der Reproduktion zu künstlerischen Studienzwecken unterstreicht dagegen dann Armenini 1586. Im 8. Kapitel des ersten Buches seines Traktats De' veriprecetti de lapittura schreibt er: „[...] se ben questo studio che detto habbiamo non e in poter di tutti Ii studiosi, percioche si sä bene che non possono tutti star lungo tempo in Roma sotto tante fatiche e con tante spese, ci sta percio in gran parte il modo di haverne molto [...]", 43 und führt damit ökonomische und reisetechnische Argumente für eine Antikentranslation an. Armeninis Kanon des Vorbildlichen umfaßt sowohl die Belvedere-Antiken als auch den Marc Aurel, die Rossebändiger, die beiden antiken Monumentalsäulen sowie zeitgenössische bildhauerische Werke von Michelangelo, Baccio Bandinelli und Guglielmo della Porta. In Primaticcios Ensemble fehlt weiterhin der dritte der Flußgötter, der Tigris, der unter Clemens VII. unter Hinzufügung spezifischer Medici-Embleme restauriert worden war nämlich des Diamantrings an der Urne und des Löwenkopfes im Ausguß. Er wurde damit zu einem Arno,44 dessen Ikonographie wohl zu stark medici-zentriert war, um sinnvoll in den französischen Kontext integriert werden zu können, zumal die alten Zeiten einer Allianz zwischen dem Hause Medici und Frankreich längst vorbei waren.45 Dasselbe gilt auch für die Herkules-Antäus-Gruppe, die ikonographisch ebenfalls eng mit Florenz verbunden war, wohin sie dann auch überführt wurde.46 Auch die - im Vergleich zur abgegossenen Venus ex balneo viel berühmtere - Venus felix war vielleicht zu sehr mit dem von Julius II. propagierten Mythos der Stammutter der Julier belegt. Außerdem entsprach die erst 1536 unter Paul III. in den Belvederehof integrierte Venus ex balneo (Tafel 45) - die auch im Abguß übrigens die stärkste stilistische Bearbeitung in Richtung eines „französischen" Grazilitätsideals erfahren hat47 - wohl mehr den Stilvorstellungen des Fontainebleauschen 41 Vgl. Daltrop, Nascita e significato della raccolta, p. 127. 42 Christa Schwinns Diagnose: „Das dekorativ-ästhetisch Beeindruckende gibt den Ausschlag, ein Fragment würde nur stören [...]" (Die Bedeutung des Torso v o m Belvedere, S. 44) trifft nur zur Hälfte zu. Der dekorative Einsatz einiger der Antikenabgüsse widerspricht nicht einer gleichzeitigen politischen Instrumentalisierung. Dem französischen König ein bloßes „Dilettantieren" (sie) und „Nur-Genießen-Wollen" zu unterstellen, ohne „den imperialen (Hinter-)Gedanken Franz I." zu berücksichtigen, heißt, die tatsächliche Bedeutung der Abgußkampagne zu verkennen. 43 44 45 46 47
Zit. n. Maffei, La fama del Laocoonte, pp. 216s. Brummer, The Statue Court, p. 186; Geese, Antike als Programm, S. 36. Hierzu Kapitel 2 dieser Arbeit und Tewes, Die Medici und Frankreich im Pontifikat Leos X. Vgl. Brummer, The Statue Court, pp. 235 f. Hierzu Pressouyre, Les fontes de Primatice ä Fontainebleau, p. 229.
7.1. Primaticcios Abgüsse der
Belvedere-Antiken
301
Manierismus. So findet man sie (vielfach gedreht, gewendet und transformiert) in den Stuckdamen der Chambre
de Mme d'Etampes
wieder, insbesondere links neben dem F r e s k o
„Apelles und K a m p a s p e " (Tafel 46). 4 8 Diese B e o b a c h t u n g e n k ö n n e n erste Aufschlüsse über die Auswahlkriterien des französischen Königs geben: Zwar ging es ihm darum, möglichst viele b e r ü h m t e Stücke aus dem Belvederehof zu reproduzieren, jedoch nur diejenigen, die sich als Einzelstatuen in den neuen künstlerischen K o n t e x t von Fontainebleau integrieren ließen, da A n k n ü p f u n g s m ö g lichkeiten an die von F r a n f o i s I e r kultivierte Privatmythologie und die spezifische I k o n o graphie in Fontainebleau bestanden. 4 9 Als geschlossenes P r o g r a m m bot sich die Statueninszenierung des Belvederehofs ohnehin dem Betrachter erst um 1540 dar: Z w a r ist unter Julius II. der N u k l e u s des Programms bereits konturiert, doch unter den folgenden Päpsten wird durch die von ihnen jeweils vorgenommenen Ergänzungen des Statuenprogramms die Aussage in einem akkumulativen P r o z e ß sukzessive angereichert und erst nach und nach auf die Familie Medici hin verdichtet. 5 0 E s soll daher im folgenden weniger nach der (vieldiskutierten) Programmatik des römischen Belvederehofs gefragt werden, die ohnehin keine festgelegte, sondern den „ideologis c h e n " Bedürfnissen des jeweiligen Papstes in ihrer D e u t u n g angepaßte und damit stark changierende war. Vielmehr interessiert hier, welche K o m p o n e n t e n aus dem E n s e m b l e der französische K ö n i g isolierte und wie er sie in sein spezifisches Herrschaftsprogramm zu integrieren wußte. D i e Abgüsse werden in ihrer neuen H e i m a t nämlich vor allem als E i n zelstücke rezipiert und in diesem neuen K o n t e x t der Deutungshoheit des französischen Königs unterworfen. I m Widmungsbrief seiner Institution
du Prince
von 1519 hatte G u i l -
laume B u d e als Anforderungsprofil an den jungen Francois I e r ein Idealbild des französischen Königs als princeps als rex musagetes
litteratus
und insbesondere - in Analogie zum Musenführer Apoll -
formuliert:
Et retirerez en France l'honneur des bonnes lettres et elegantes, qui depuis cent ans enga ou environ que la brave langue latine s'est commecee ä instaurer, au moyen que la langue grecque dechassee de son pays par les Turcs, est passee en Italie, n'a pas grandement suyvi le nom et parti de France, pource qu'on ne luy faisoit grant acueil. Et serez le temps avenir le roy surnomme „musegetes" qui estoit ou temps passe le surnom de Phebus ou Hercules, acompaigne des neuf muses comme estans leur protecteur [...] Et ferez poetes et orateurs comme vous faictes contes et dues, en leur inspirant vertu d'elequocence par vostre liberalle begninite, ainsi que ou temps passe faisoient les princes de Rome en soy portant tuteurs des disciplines liberalles.51
48 Vgl. Trebosc, Le decor de Primatice pour la chambre de la duchesse d'Etampes, die die Ausstattung als eine Art „autopromotion" (ibid., p. 44) Primaticcios interpretiert, der sich damit als Spezialist für die Darstellung des nackten weiblichen Körpers in allen denkbaren Medien empfehlen wollte. 49 Vgl. hierzu Settis, Laocoonte di bronzo, Laocoonte di marmo, p. 129: „Era dunque giä cominciato un secolare processo: la riduzione del corpus a poche statue scelte (e consacrate dal luogo di collocazione) si traduceva in un'esaltazione del carattere perpetuamente esemplare della scultura antica, innescando la pratica di riprodurla." 50 Vgl. Brummer, The Statue Court, p. 239: „There could be no doubt that the statue court became a Medicean site after 1513"; vgl. auch ibid., p. 237: „the thematic allusions appear to be indicative of metaphorical imagination rather than programmatic purpose." 51 Bude, L'institution du Prince, p. 79; vgl. hierzu auch Rohwetter, Zur Typologie des Herrschers im französischen Humanismus, v.a. S. 99. - Sowohl Julius II. als auch Leo X. wurden als Apollo musa-
302
7. Strategien der Souveränität: Antikenimport
und
Reproduktionshoheit
Dem damit verbundenen Aufruf, die kulturelle Hegemonie Italiens zu brechen, kam Francois unter anderem mit der Gründung der königlichen Lektorate für Latein, Griechisch und Hebräisch am College de France 1530 nach und tat damit einen entscheidenden Schritt in der translatio studiorum auf französischen Boden. Die Stilisierung des Königs in seinen späteren Regierungsjähren zum Freund und Förderer der Künstler und Literaten wies bereits in die gleiche Richtung. 52 In diese Selbstdarstellung Frangois' als eines Musenführers fügt sich dann auch die Uberführung der Belvederischen Antiken im Abguß nach Frankreich und ihre Integration in ein - aus französischer Sicht - angemessenes Umfeld 5 3 mit imperialem Anspruch nahtlos ein. Die Vorstellung eines in Fontainebleau auch im metaphorischen Sinne zu errichtenden Musenhofes, die durch die Übertragung des Ideologiepotentials der belvederischen Inszenierung umgesetzt wird, findet ihre ikonographische Entsprechung in der Parnaßsymbolik der Salle de Bal.iA Die Selbstdarstellung Frangois' als des Musen(rück)führers 5 5 bekommt durch die translatio artis der Belvederischen Antiken neue Impulse - insbesondere der Apoll wird jetzt zum alter ego des Königs. Doch auch die übrigen Stücke boten spezifische Anknüpfungsmöglichkeiten an die hoch elaborierte Ikonographie, die sich in Fontainebleau so großer Wertschätzung erfreute. Die sogenannte Kleopatra, die ja bereits im Vatikan in ein grottenartiges Brunnenensemble integriert und von den Zeitgenossen als schlafende Nymphe rezipiert worden war, 56 konnte leicht mit der mythischen Nymphe von Fontainebleau verbunden werden. Es ist daher auch zu vermuten, daß die Betonung der ausgeprägten Liegeposition der Figur im Abguß nicht auf eine Beschädigung der Gußform beim Transport zurückzuführen ist. 57 Vielmehr sollte sie damit noch stärker dem schlafenden Nymphentypus angenähert werden, der wiederum auf bacchische Sarkophagreliefs mit Ariadne, die
52 53 54
55 56
57
getes, der Tiberfluß als Quelle des Pegasus und der Vatikan als neuer Parnaß besungen - Leo X. von Giulio Simone Siculo in seiner 1517 gehaltenen Oratio de poetice et musarum triumpho. Der Vatikan (und insbesondere St. Peter) waren der Tradition zufolge an der Stelle eines antiken Apolloheiligtums errichtet worden; vgl. Schröter, Der Vatikan als Hügel Apollons und der Musen, S. 235; 240 und passim; MacDougall, The Sleeping Nymph, p. 363; Geese, Antike als Programm, S. 29; 35. Hierzu Kapitel 5 dieser Arbeit. Dies war dann bei Napoleons Kunstraub eines der Hauptargumente, um die „Rückführung" der originalen Belvedere-Antiken nach Frankreich zu legitimieren. Vgl. Lecoq, L'iconographie de la salle de bal ä Fontainebleau, die die Arbeit von Rondorf (Der Ballsaal im Schloß Fontainebleau) kritisch würdigt und unter dem Titel Le Parnasse des Valois eine eigene großangelegte Untersuchung der Parnaß-Motivik in Fontainebleau ankündigt (ibid., p. 405, η. 1). Dies entbindet uns an dieser Stelle von einer detaillierten Analyse der Ausstattung des Ballsaals. Vgl. Eschenfelder, Der Ballsaal von Schloß Fontainebleau, pp. 9 4 - 1 0 5 . - Zur Musenthematik vgl. auch Goldberg, Graces, Muses, and Arts. The Urns of Henry II and Francis I. Hierzu Lecoq, „QVETI ET MVSIS HENRICI II. G A L L . R.", pp. 102-109; vgl. auch Bardati, La „Grotte des Pins" a Fontainebleau, p. 43. Vgl. MacDougall, The Sleeping Nymph, p. 357; Brummer, The Statue Court, 168. Dieser vermutet zudem (ibid., p. 41), daß die Nischen zur Aufstellung der Statuen alle mit „arboreal adornments" geschmückt waren. So Pressouyre, Les fontes de Primatice, pp. 2 2 7 - 2 3 1 ; dagegen Seelig-Teuwen, Large Bronzes in France, p. 115, die die Eigenständigkeit der künstlerischen Umsetzung als A k t der Re-Kreation interpretiert und Primaticcio (wie zu zeigen sein wird: fälschlich) jegliches antiquarische Interesse abspricht.
7.1. Primaticcios Abgüsse der
Belvedere-Antiken
303
von Bacchus auf Naxos entdeckt wird, zurückgeht.58 Auch hatte Rosso die „Kleopatra" ja bereits in noch überzogenerer Haltung auf seinem Fresko „Jeunesse perdue" in der Grande Galerie zitiert (vgl. Tafel 29). Die Venus ex balneo entstammt ebenfalls den aquatischen Gefilden; gleichzeitig läßt sie - ähnlich wie die Nymphe 59 - das Thema der Erotik anklingen, das in Fontainebleau omnipräsent war. Schon Rosso hatte in der ersten Travee der Galerie eine Venus „Anti-Pudica" in einem Brunnenbecken gemalt und daneben noch einmal als überlebensgroße Entreefigur in Stuck geformt (vgl. Tafel 24). 60 Die Kopfwände der Galerie waren, wie erwähnt, ursprünglich mit zwei weiteren Venusszenen geschmückt. Die Bäder in Fontainebleau waren bekannt als Orte der satyresken Lust, und ihre Ausmalung orientierte sich an dieser erotischen Vorgabe.61 Die Satyrn della Valle spielen explizit auf diese ländlich-boskereske Erotik eines Lustschlosses in suburbaner Lage an; in der Grande Galerie waren sie dem Betrachter bereits als Satyr und Satyressa neben der „Ignorance chassee" begegnet.62 Auch die Flußgötter sind dem Wasser eng verbunden und konnten ideal in den Kontext eines bewässerten Gartens integriert werden; ihre stark dekorative Funktion erklärt wohl auch den Abguß des Nils als eines Pendants zum Tiber während Primaticcios zweiter Kampagne - wie ja auch die Sphingen und die beiden Satyrn della Valle jeweils zu zweit als Dekorationselemente der Schloßausstattung fungierten.63 Der Tiber ist zudem mit seiner Lupa eine Rom-Ikone und verweist auf die renovatio Roms auf französischem Boden. Der Nil hingegen eröffnet ebenso wie die Sphingen den ägyptischen Bedeutungshorizont, der mit der Porte Egyptienne (Abb. 76) und den Anspielungen auf Horapollons Hieroglyphica in der Galerie in Fontainebleau bereits prominent vertreten war. Ariadne, die bis ins 18. Jahrhundert als Kleopatra gedeutet wurde, gehört als solche ebenfalls in diesen ägyptischen Kontext, darüber hinaus eröffnet auch sie erotische Konno-
58 Vgl. MacDougall, The Sleeping Nymph, p. 359. Eventuell fanden hier auch zwei sukzessive Rezeptionsstufen statt: Rosso überzeichnete in seiner Darstellung der Kleopatra in der Grande Galerie deren Haltung, und Primaticcio orientierte sich dann in einer fontainebleau-internen Bezugnahme hieran. 59 Vgl. hierzu den häufig abgebildeten Venusbrunnen aus der Hypnerotomachia Poliphili (vol. 1, p. 73). 60 Vgl. auch den bereits erwähnten Bericht Calcagninos von der Statuenbesichtigung, bei der die Venus den König zu zweideutigen Scherzen gegenüber seiner Geliebten anregt und seine Lust anheizt: „Io essendo gia expedito di quanto havevo a fare per all'hora a Fontanableo, prima di partirmi, volsi vedere certe bellissime statue di bronzo che ivi in una camera, S. Μ . " Chr ma faceva fare, le quali sono presso che finite et essendo io in detta camera mi sopragiunse il Re christianissimo che a brazzo teniva Mad. ma di Etampes, et due damiselle, dove stettero buon pezzo a ragionare, et Sua Μ . " mostrava alia predetta Mad. ma d'Etampes una Venere, come ella era di bei corpo perfettamente formata, la quale non disse altro, ma sorridendo intrö subito in una camera con le altre donne a scaldarsi, et il Re christianissimo resto col S.r Cardinale alquanti a divisare di quelle figure, et poi con la predetta Mad. ma si come vennero essendo giä tardo, se ne ritornarono alle sue stanze"; zit. n. Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 326. 61 Vgl. hierzu Eschenfelder, Die Bäder Franz I. in Fontainebleau; ead., Les appartements des bains de Fran?ois I er ; ead., Les bains de Fontainebleau; vgl. auch: Fagnart, L'appartement des bains. 62 Vgl. Freedberg, Rosso's Style in France, pp. 13s.; Shearman, The Galerie Frangois Premier, p. 10. 63 Die beiden Sphingen flankierten den Treppenaufgang der Aile de la Belle Cheminee, während die Satyrn von Philibert de Lorme in das Kaminensemble der Salle de Bai integriert wurden, wo sich heute Kopien der in der Französischen Revolution zerstörten Originale befinden.
304
7. Strategien der Souveränität:
Abb. 76
Antikenimport
und
Reproduktionshoheit
Porte Egyptienne, um 1530/32, Fontainebleau
tationen 6 4 einer (häufig eng mit Venus verbundenen) 6 i femme fatale 66 Bereits Julius II. war im Hinblick auf diese Statue als zweiter Caesar gefeiert worden 6 7 - auch Fran£ois I e r fand bei der Kleopatra neue Nahrung für seine Caesar-Identifikation. 6 8 Der Laokoon bot die Gelegenheit für eine Anknüpfung an den spezifisch nationalfranzösischen Gründungsmythos - erst sein Tod ermöglichte den Fall Trojas und die mythische Gründung Frankreichs durch den trojanischen Exilanten und Sohn Hektors, Francus (oder Francion), dank derer Frankreich und R o m parallele Ursprünge hatten. 69 Herkules schließlich ist die Identifikationsfigur des frühneuzeitlichen Herrschers par excellence. 64 Pico della Mirandolas Beschreibung der Kleopatra, aus deren Brüsten Wasserstrahlen zu spritzen schienen, ist ein schönes Beispiel für die Projektion erotischer Vorstellungen auf die Statue: „[...] sed et quodam in angulo spectrum demorsae ab aspide Cleopatrae, cuius quasi de mammis destillat fons vetustorum instar aqueductuum excipiturque antiquo in quod relata sunt Traiani principis facinora quaepiam marmoreo sepulchro"; abgedr. bei Maffei, La fama di Laocoonte, p. 174. 65 Vgl. Brummer, The Statue Court, p. 182. 66 Vgl. Wilson-Chevalier, Art Patronage and Women, pp. 520-524; Guillaume, Cleopatra nova Pandora. 67 Vgl. Geese, Antike als Programm, S. 30 (dort auch das berühmte Gedicht des Evangelista Maddaleni de' Capodiferro von 1513); Brummer, The Statue Court, p. 221. 68 Hierzu Kapitel 2.3. dieser Arbeit. 69 Hierzu Beaune, Naissance de la nation France, v.a. chap. 1: „Trojani aut Galli?", pp. 19-54; Poujol, Etymologies legendaires des mots France et Gaule; Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, p. 240. Beaune betont (ibid., p. 42), daß der trojanische Ursprungsmythos in Frankreich vor allem eingesetzt wurde, um die Unabhängigkeit des Königreichs von Papst und Kaiser hervorzuheben.
7.2. Kopie als
Authentizitätsrestitution
305
Der Abguß des Marc-Aurel liefert einen weiteren Beleg für die fortdauernden, römischantik legitimierten imperialen Ambitionen des französischen Königs.70 Dietrich Erben hat unter den vielfältigen Aspekten der von mir so genannten „Ideologieabschöpfung" insbesondere diesen imperialen Anspruch betont, der sich bereits unter Julius II. in der Aufstellung der Antiken im Belvedere-Hof manifestiert hatte.71 Doch die imperiale Komponente ist nur ein Thema unter vielen, und sie wird, wie oben gezeigt, gerade nicht durch die Statuen als Ensemble, sondern in den vielfältigen Bedeutungskonnotationen der Einzelstücke nach Frankreich übertragen. Der niemals aufgegebene imperiale Anspruch des französischen Königs spielt als eine unter vielen semantischen Schichten auch in der Grande Galerie eine bedeutende Rolle, wie im vorherigen Kapitel gezeigt wurde.72 Durch die zeitweilige Aufstellung der Statuenabgüsse in der Galerie (von der jedoch einzig Cellini berichtet, so daß an der Authentizität dieses Uberbietungsszenarios gezweifelt werden darf)73 wäre diesem Hegemonieanspruch im europäischen Machtgefüge noch mehr Nachdruck verliehen worden. Statuenabgüsse aus päpstlichem Besitz und damit aus den Beständen der einzigen universalen Macht neben dem Kaiser waren besonders geeignet, um diesen Machtanspruch ehern zu festigen. Zugleich beansprucht der französische König mit seiner Translation auch, die Antiken durch den Abguß möglichen Gefährdungen auf italienischem Territorium zu entziehen - die traumatischen Erfahrungen eines Sacco di Roma waren in der Erinnerung der Zeitgenossen noch allzu präsent. Auch in dieser Hinsicht beginnt mit der Abgußkampagne Primaticcios die renovatio magnificentiae urbis Romae im französischen Exil.
7.2. Kopie als Authentizitätsrestitution Doch die Bronzekopien der Belvedere-Antiken signalisieren auch auf einer ganz anderen Ebene einen Uberbietungsanspruch: Bandinellis Laokoon war eine Marmorkopie gewesen, Frangois I er läßt erstmals in der Geschichte der Antikenkopien identisch große Bronzeabgüsse der Belvederischen Antiken anfertigen. Damit tritt er sowohl mit den Originalen wie mit Baccios Kopie in einen Material/wragowe ein. Selbst wenn es keinen quellenmäßigen Beleg für ein zeitgenössisches Wissen darum gibt, daß die belvederischen Marmor-
70 Zum Marc Aurel-Reiterstandbild als Herrschervorbild und Muster für Reiterdenkmäler (insbesondere nach seiner Transferierung vom Lateran auf das Kapitol 1538) vgl. Erben, Die Reiterdenkmäler der Medici in Florenz, S. 319. 71 Erben, Paris und Rom, S. 17 f.: „Offensichtlich bestand die Absicht, für Fontainebleau das P r o gramm des päpstlichen Antikenensembles zu bewahren. Von Julius II., der vor seiner Wahl zum Papst fast ein Jahrzehnt im französischen Exil verbracht hatte, war ein Ensemble zusammengeführt worden, das mit den Anspielungen auf die Gründung Roms durch Aeneas und auf die Gestalt Caesars die imperialen Machtansprüche des Pontifex demonstrieren sollte. Die Kopien überführten diese Programmatik an den französischen H o f " ; vgl. auch Geese, Antike als P r o gramm, S. 28. 72 Vgl. Kapitel 6.1. dieser Arbeit. 73 Vgl. Kapitel 5.2.2.2. dieser Arbeit. Dimier, Benvenuto Cellini ä la cour de France, p. 257 bezweifelt dies: „quelle singuliere patience on avait eue de porter en premier etage du chateau des bronzes d'un poids enorme destines aux jardins".
306
7. Strategien
der Souveränität:
Antikenimport
und
Reproduktionshoheit
skulpturen K o p i e n v e r l o r e n e r hellenistischer B r o n z e o r i g i n a l e waren, 7 4 stellte d e n n o c h die K o p i e in B r o n z e den Versuch dar, die A n t i k e p e r f e k t e r zu r e p r o d u z i e r e n , als es die päpstliche S a m m l u n g tat. 7 5 A u c h dürfte den Zeitgenossen w o h l klar gewesen sein, daß die meisten dieser A n t i k e n erst z u r Z e i t des Augustus nach R o m g e k o m m e n waren, was sie erneut für eine imperiale Instrumentalisierung prädestinierte. S c h o n in P l i n i u s ' Naturalis
historia
steht die B r o n z e an erster Stelle der Materialhierar-
chie, u n t e r anderem, weil ihr „ A n s e h e n so alt ist wie das der S t a d t " R o m . 7 6 D a s R e i t e r s t a n d bild des M a r c A u r e l k o n n t e hier ebenfalls als V o r b i l d dienen, wie auch die Statuen„ausstell u n g " auf d e m K a p i t o l insgesamt einen starken B r o n z e n a n t e i l aufwies - u n d bereits die S k u l p t u r e n v e r s a m m l u n g am L a t e r a n seit dem 8 . J a h r h u n d e r t in ihrer Z u s a m m e n s t e l l u n g deutlich v o m Material B r o n z e b e s t i m m t gewesen war. 7 7 E i n e r ö m i s c h e „ I k o n e " u n t e r diesen A n t i k e n , den Spinario, hatte I p p o l i t o d ' E s t e i m F e b r u a r 1 5 4 0 abgießen und in B r o n z e r e p r o d u z i e r e n lassen 7 8 - als G e s c h e n k für den französischen K ö n i g . Weiterhin k ö n n t e der b e r ü h m t e „ A b g u ß w e t t b e w e r b " des L a o k o o n u n t e r den r ö m i s c h e n K ü n s t l e r n u m 1510, v o n dem Vasari b e r i c h t e t 7 9 u n d in dem Raffael als J u r o r aufgetreten sein soll, 8 0 z u m W u n s c h F r a n g o i s ' I e r beigetragen haben, einen B r o n z e l a o k o o n zu besitzen. Sansovinos heute verschollene L a o k o o n g r u p p e in r e d u z i e r t e m M a ß s t a b 8 1 k a m angeblich nach dem T o d des K a r dinals G r i m a n i mit d e m f r a n z ö s i s c h e n G e s a n d t e n am päpstlichen H o f , J e a n de G u i s e , C a r -
74 Vgl. Jestaz, Les moulages d'antiques, p. 24; Settis, Laocoonte di bronzo, Laocoonte di marmo, p. 129. - Die Marmorskulpturen des Belvedere galten laut Bardati in der Renaissance als griechische Originale; vgl. ead., Les bronzes d'apres l'antique, p. 161. 75 Die Identität des bei Plinius erwähnten Laokoon mit dem vatikanischen wird ebenso kontrovers diskutiert wie dessen Datierung und vor allem auch - anknüpfend an Plinius' „statuaria ars" - die Frage, ob es sich hierbei um eine Marmorkopie einer ursprünglichen Bronzeskulptur handelt. Vgl. zur Diskussion die Hauptkontrahenten Bernard Andreae, Laokoon und die Gründung Roms; id., Laokoon und die Kunst von Pergamon; id., Praetorium Speluncae; Settis, Laocoonte di bronzo, Laocoonte di marmo; id., Laocoonte. Fama e Stile; Andreae, Das Laokoon-Problem. 76 Plinius d.Ä., Naturalis historia, 34,1; vgl. hierzu auch Settis, Laocoonte di bronzo, Laocoonte di marmo, pp. 130; 142-145. 77 Gramaccini, Zur Ikonologie der Bronze im Mittelalter, S. 155. 78 Vgl. Kat. D'apres l'antique, n° 64. Generell: Ladendorf, Antikenstudium und Antikenkopie. 79 Vasari (Barocchi), Descrizione dell'opere di Iacopo Sansovino, vol. 6, p. 178: „[...] Bramante [...] ordino che dovesse ritrar di cera grande il Laocoonte, il quale faceva ritrarre anco da altri, per gettarne poi uno di bronzo, cioe da Zaccheria Zachi da Volterra, Alonso Berugetta spagnolo e [d]al Vecchio da Bologna; i quali, quando tutti furono finiti, Bramante fece vederli a Raffael Sanzio da Urbino per sapere chi si fusse d'i quattro portato meglio. La dove fu giudicato da Raffaello che il Sansovino, cosi giovane, avesse passato tutti gli altri di gran lunga. Onde poi, per consiglio di Domenico cardinal Grimani, fu a Bramante ordinato che si dovesse fare gittare di bronzo quel di Iacopo; e cosi fatta la forma e gettatolo di metallo, venne benissimo: lä dove rinetto e datolo al cardinale, lo tenne fin che visse non men caro che se fusse l'antico; e venendo a morte, come cosa rarissima lo lascio alla Signoria serenissima di Vinezia, la quale, avendolo tenuto molti anni nell'armario della sala del Consiglio de' Dieci, lo dono finalmente, l'anno 1534, al cardinale di Loreno, che lo condusse in Francia". 80 Diese Behauptung Vasaris stellt die neuere Forschung allerdings in Frage: vgl. Winner, La collocazione degli dei fluviali, p. 125. 81 Vgl. hierzu Michelangelo, Carteggio, vol. 2, pp. 214; 233; 282.
7.2. Kopie als
307
Authentizitätsrestitution
dinal de Lorraine, nach Frankreich, 8 2 und eine Gipsreplik dieses Entwurfs wurde für den H o f in Mantua angefertigt. 8 3 Eine ausführliche, materialikonologische Untersuchung der Bronze in der Renaissance steht noch aus - erste Überlegungen haben N o r b e r t o Gramaccini, Elisabeth Dalucas und Edgar Lein angestellt. 84 In jedem Fall ist die Bronze dank ihrer Dauerhaftigkeit ein Material, das der Herrschaftsrepräsentation und der Perpetuierung von Machtansprüchen sehr entgegenkommt. Die Bronze ist bereits im Mittelalter als imperial-römisches und in der Renaissance dann als das klassisch-antike Material schlechthin konnotiert, das eines königlichen Besitzers würdig ist. Ihre materiellen Eigenschaften - das arcanum
ihres Ursprungs, 8 5
ihre Fügsamkeit bei gleichzeitiger Widerständigkeit in der Bearbeitung (die die Virtuosität und das abstrakte Konzeptionsvermögen des Künstlers besonders herausfordern), ihre Eignung für kolossale Bildungen, ihre Dauerhaftigkeit und Kostbarkeit, ihre machtvolle Härte, ihre Artifizialität qua Legierung, ihre synästhetischen Qualitäten (Zusammenspiel von Farbe und Klang), ihre Fähigkeit, die in ihr Porträtierten unvergänglich zu machen, ihre durch constantia
bedingte „Tugendhaftigkeit", ihre Verbindung mit der Sphäre des G ö t t -
lichen - lassen sie zum edelsten aller Materialien werden. Sie ist dem M a r m o r aufgrund der ihr, wie immer wieder betont wird, eignenden Anmutung von Lebendigkeit, die durch Reflexe und Licht-Schatten-Kontraste erzielt wird, zumindest ebenbürtig. Wie Gramaccini gezeigt hat, wird (wie im Falle Karls des Großen) mit Hilfe von Bronzestatuen politische A u t o n o m i e demonstriert; sie allein sind geeignet, die Funktion von Gerichtszeichen zu übernehmen. Bronzestatuen in der Provinz oder außerhalb des Imperium
Romanum
wur-
den von jeher als Zeichen der Konkurrenz mit R o m interpretiert. 8 6 82 So auch Bober/Rubinstein, Renaissance Artists & Antique Sculpture, p. 154; vgl. Wethey, The Paintings of Titian, vol. 1, pp. 18f.; Brummer, The Statue Court, p. 102. - Boucher, The Sculpture of Jacopo Sansovino, vol. 2, pp. 314f. (n° 4) identifiziert probeweise den Bronzelaokoon im Bargello mit Sansovinos dritter Laokoonkopie, die 1553 in der guardaroba segreta Herzog Cosimos erwähnt ist. 83 Vgl. hierzu den Brief Aretinos an Federigo Gonzaga von 1525; abgedr. bei Maffei, La fama di Laocoonte, p. 229. 84 Gramaccini, Zur Ikonologie der Bronze im Mittelalter; Dalucas, Ars erit archetypus naturae. Zur Ikonologie der Bronze in der Renaissance; Lein, Erläuterungen zur Technik des Bronzegusses; id., Ars Aeraria. - Zur bereits Anfang des 16. Jahrhunderts sehr ausgeprägten Tradition und zur Entwicklung des Bronzegusses speziell in Frankreich: Bresc-Bautier, Parisian Casters in the Sixteenth Century; Pressouyre, Note additionnelle ä la nymphe de Fontainebleau, p. 82. - Cellini berichtet in seiner Vita von seinem Gußwettbewerb mit den Pariser Gießern, die sich viel auf ihre Kenntnisse im Bronzeguß einbildeten, die er aber dennoch übertreffen kann: Vita, pp. 423-426. Freilich ist hier einmal mehr zu fragen, ob die Größe des Gegners nicht künstlich aufgebaut wird, um die eigene Leistung besonders hervorzuheben. So bemerkt Dimier (Le Primatice, p. 61) zu Recht, daß die Bronzen in Fontainebleau entgegen Vasaris Angaben durchaus an mehreren Stellen Reparaturen und Glättungen aufweisen; vgl. Vasari (Barocchi), vol. 6, p. 144: „Ma non tacero che ebbe il Primaticcio in fare le dette statue maestri tanto eccelenti nelle cose del getto, che quell'opere venero, non pure sottili, ma con una pelle cosi gentile che non bisogno quasi rinetterla." 85 Plinius d.Ä., Naturalis historia, 34,5. 86 Gramaccini, Zur Ikonologie der Bronze im Mittelalter, S. 161 f.; so erhärten die oberitalienischen Kommunen im 12. und 13. Jahrhundert mit Hilfe von Bronzebildwerken ihre trojanischen und damit romgleichen Gründungslegenden, und Aachen wurde unter Karl d. Gr. durch seine Bronzepigna, das Reiterstandbild Theoderichs und die wasserspeiende Bärin zu einer Nova Roma.
308
7. Strategien
der Souveränität:
Antikenimport
und
Reproduktionshoheit
I n seinen Epigrammatum libri quinque ( n a c h 1539/40) n i m m t d e r p ä p s t l i c h e B i b l i o t h e k a r u n d H u m a n i s t F a u s t u s Sabeus die A b g ü s s e P r i m a t i c c i o s z u m A n l a ß , z w e i G e d i c h t e als f i k t i v e n D i a l o g z w i s c h e n F r a n c o i s I e r u n d d e m B r o n z e - L a o k o o n z u gestalten. D e r M a t e r i a l w e c h s e l v o n M a r m o r z u B r o n z e scheint v o r e r s t eine E x p r e s s i v i t ä t s i n t e n s i v i e r u n g m i t sich z u b r i n g e n , w e n n m a n d e r Klage des L a o k o o n g l a u b e n d a r f , d e r n a c h d e m A b g u ß n o c h stärk e r e S c h m e r z e n h a t als z u v o r : In te quid potui committere maxime Regum, quod mea stat cordi fata novare tuo tristia iniquia acerba, potes tu ne illa videre, audire et natos flere, dolere, mori? Parce pios scelerare oculos, crudele theatrum effuge, nanque feras cogeret esse pias. Marte exorta truci, nutrita et lacte ferino Roma licet nostro sepe dolore dolet. Sat geminus saxo, tu nunc nos fingis ahenos, durior ut fiat noster in aere dolor. 87 D o c h d e r K ö n i g t r ö s t e t d e n t r o j a n i s c h e n Priester. E r v e r w e i s t d a r a u f , d a ß er i h n aus k ö n i g l i c h e r M a c h t v o l l k o m m e n h e i t n i c h t n u r einer G e s a m t - R e n o v a t i o u n t e r z o g e n h a b e , die i h n zeitlich aus d e r A n t i k e in die R e n a i s s a n c e versetzte; a u c h r ä u m l i c h h a b e er i h n seiner Q u a l e n d u r c h die E n t f e r n u n g aus R o m e n t z o g e n . U n d gerade a u f g r u n d des M a t e r i a l w e c h sels k ö n n e die z u E r z e r s t a r r t e Schlange m i t i h r e m Biß gar n i c h t s m e h r a u s r i c h t e n : Nil potuisti in me, infelix, committere tantum, Laocoon, qui te sie renovare velim aspera fata libens, quis enim fata aspera gaudet cernere, et infantes flere, dolere, mori? N o n scelus, immo pium est, misereri et velle mederi, cumque feris casus ingemuisse tuos. Sanguine iuneta dolet tibi Roma, externus at ipse, cum pueris ne ultra discrutieris, agam. Nam, qui vos laniant, ad me quum veneris, anguos, ne noceant vobis ore, sub aere tegam. 88
87 Laocoon Palatinus ad Franciscum Regem Galliae, in: Epigrammatum libri quinque, pp. 746 s. (B.N., ms. lat. 17908, c. 300v), zit. n. Occhipinti, Primaticcio e l'antico, p. 44; vgl. auch ibid., p. 36. Eine möglichst wortgetreue Ubersetzung könnte lauten: „Was konnte ich gegen dich, größter der Könige, begehen, daß Dein Herz fest entschlossen ist, mein Geschick zu erneuern, das traurige, ungerechte, bittere? Kannst Du sehen und hören, wie die Söhne weinen, Schmerz empfinden, sterben? Laß ab davon, die frommen Augen zu entweihen, dem grausigen Theater entfliehe, denn es zwänge wahrlich selbst wilde Tiere, fromm zu sein. Obgleich vom grimmigen Mars stammend und von der Milch wilder Tiere genährt, empfindet Rom oft Schmerz über unseren Schmerz. Genug wäre ein Zwilling aus Marmor, Du aber formst uns nun aus Erz, damit unser Schmerz in Bronze noch dauerhafter sei." 88 Franciscus Rex Galliae ad Laocoontem, ibid. Auch dies möglichst wortgetreu übersetzt: „Nichts konntest Du, Unglücklicher, gegen mich so Großes begehen,
7.2. Kopie als
Authentizitätsrestitution
309
D o c h der A b g u ß macht den Biß der Schlange noch durch einen weiteren Kunstgriff unmöglich - und die Zeitgenossen werden diese implizite Anspielung Sabeos sicher goutiert haben: D e n n Primaticcio ergänzte den Schlangenkopf, der den L a o k o o n in die Lende beißt, in seinem A b g u ß bewußt nicht, wohl, weil er ihn zu Recht für eine nachträgliche H i n z u f ü g u n g hielt. 89 Dies ist nicht der einzige Fall solcher „archäologischer" Bemühungen des Künstlers, der bei seinen A b g ü s s e n offenkundig einen möglichst hohen G r a d an Authentizität anstrebte. Sie sollten damit originaler als die Originale werden, entkleidet aller Eingriffe der päpstlichen Vorbesitzer; der K ö n i g wünschte im höchsten denkbaren Maße die Antike authentisch reproduziert zu sehen. 9 0 D o c h zugleich weist dieser „archäologisierende" A b g u ß eine paradoxe Struktur auf: Einerseits beansprucht er einen höheren Authentizitätsgrad als das Original, andererseits markiert gerade der restituierende Eingriff das neue Gebilde als Artefakt - und damit als ein Kunstwerk, das gegenüber d e m antiken Original selbst autonome Qualitäten beansprucht. 9 1 Primaticcios Rekonstruktion eines vermuteten ursprünglichen Aussehens der Skulpturen (vor Montorsolis Ergänzungen) läßt sich in zwei weiteren Fällen nachweisen: Z u m einen fehlten dem A b g u ß des Apoll ursprünglich beide H ä n d e und Unterarme - die heute an der B r o n z e befindlichen Armstücke wurden wahrscheinlich erst im 18. Jahrhundert
Laokoon, das mich freudig wünschen lassen kann, daß sich auf diese Weise Dein rauhes Geschick erneuerte. Wer nämlich freut sich, ein hartes Geschick zu sehen und Kinder weinen, Schmerz empfinden, sterben? Kein Verbrechen, vielmehr fromm ist es, Mitleid zu zeigen und Heilung bringen zu wollen, und mit den wilden Tieren Deine Schicksalsschläge zu beklagen. Das Dir durch Blut verbundene Rom empfindet Schmerz, aber ich, der Fremdling selbst, werde dafür sorgen, daß Du nicht länger mit den Knaben gemartert wirst. Denn, wenn Du zu mir kommst, werde ich die Schlangen, die Euch zerfleischen, unter Erz verbergen, damit sie Euch nicht mit ihrem Maul schaden." 89 Es muß sich allerdings um eine Ergänzung unmittelbar nach der Auffindung der Skulptur gehandelt haben, denn die frühesten bildlichen Dokumente zeigen den Kopf bereits; vgl. Daltrop, Die Laokoongruppe im Vatikan, Abb. 22. Dagegen Rebaudo, II braccio mancante, p. 9. Die Tatsache, daß Primaticcio den Kopf nicht mit abgießt, spricht dafür, daß er 1540 abnehmbar, also angestückt war. Nach den Bildzeugnissen zu urteilen, wurde der Kopf Ende des 16. Jahrhunderts abgenommen (vgl. z.B. die Goltzius-Zeichnung um 1591 oder den Stich im Antiquae urbis splendor von 1612, wohingegen ihn Cavallerijs 1585 noch zeigt) und erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts neu ergänzt; Bildmaterial bei Preiss, Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Laokoongruppe, passim. Dagegen: Rebaudo, I restauri del Laocoonte, p. 232: „Contrariamente a quanto si crede, era conservata la testa del serpente [...]"; so auch Magi, II ripristino del Laocoonte, P· 17. 90 Vgl. hierzu Magi, ibid., p. 50: „[...] certo e che il bronzo di Parigi quei restauri non riproduce ed e percio da credere che il Primaticcio e il Vignola Ii abbiano fatti espressamente togliere per portare alia Nuova Roma di Francesco I solamente la fedele immagine dell'arte antica [...]"; vgl. auch Winner, Zum Nachleben des Laokoon in der Renaissance, S. 118. Hieraus allerdings eine ästhetische Kritik Primaticcios an Montorsolis Ergänzung ableiten zu wollen, wie es Winner (ibid.) tut, geht zu weit. 91 Daher wäre eine Ergänzung der nicht abgegossenen Torsi, die sie dann doch für Fontainebleau tauglich gemacht hätte, für Primaticcio kaum denkbar gewesen.
310
7. Strategien der Souveränität: Antikenimport
Abb. 77
und
Reproduktionshoheit
Leon Davent (nach Primaticcios Abguß), Apoll vom Belvedere, nach 1543
ergänzt. 9 2 L e o n Davents Stich des A p o l l v o m Belvedere ( A b b . 77) zeigt somit Primaticcios A b g u ß und nicht das Original. 9 3 Primaticcio rekonstruiert also nicht den Zustand des A p o l l z u m Zeitpunkt seiner Auffindung (wie z u m Beispiel in der Zeichnung aus dem C o d e x Escurialensis dokumentiert), sondern entfernt nur M o n t o r s o l i s Armergänzungen (oder läßt sie für seinen G u ß kurzzeitig abnehmen); denn dieser hatte ja den rechten A r m des A p o l l samt seinem Steg abgearbeitet und ihm eine neue Ausrichtung gegeben, sowie den v o m B o d e n aufwachsenden, stützenden B a u m s t u m p f nach oben hin verlängert. 9 4 D i e umgekehrte Strategie verfolgt Primaticcio dann beim Hercules C o m m o d u s : W ä h r e n d er die H ä n d e des Telephosknaben nicht ergänzt, sondern in ihrem ruinösen Zustand vor der Ergänzung abgießt, fügt er dessen F ü ß e sowie beim Herkules selbst die Finger der linken H a n d und vor allem die 1540 am Original n o c h fehlende K e u l e 9 5 hinzu, sicherlich, um die
92 Vgl. Primatice. Maitre de Fontainebleau, p. 150; dort wird darauf hingewiesen, daß der Apoll noch 1707 im Inventar der königlichen Sammlungen als ohne Hände beschrieben wird („Les deux poignets en sont cassez"; Archives Nationales Paris, O l 1976A, p. 973). Im Widerspruch hierzu steht die Aussage des Pere Dan, der 1642 in Fontainebleau, le tresor des merveilles, p. 36 schreibt: „Ii est grand comme le naturel, ayant vn carquois sur le dos & vn arc en main". - Zu Montorsolis Ergänzungen des Apoll: Daltrop, Zur Uberlieferung und Restaurierung des Apoll. 93 Vgl. Primatice. Maitre de Fontainebleau, pp. 150s. 94 Diese Veränderung wünschte wohl Clemens VII., um die Statue als Apollo medicus noch besser in die medici-zentrierte Ikonographie des Statuenhofes integrieren zu können (vgl. Daltrop, Zur Überlieferung und Restaurierung des Apoll, S. 136; id., Nascita e significato della raccolta, p. 126). 95 Bober/Rubinstein, Renaissance Artists & Antique Sculpture, nr. 131.
7.2. Kopie als
A b b . 78
Authentizitätsrestitution
Giovanni A n t o n i o da Brescia, L a o k o o n und seine Söhne, um 1506
herkulische Ikonographie noch deutlicher hervorzuheben und den herrschaftsidentifikatorischen Aspekt zu unterstreichen, der keinen verstümmelten Körper zuließ. Beim Laokoon schließlich stellt sich die Situation komplizierter dar.96 Wie an anderer Stelle in aller Ausführlichkeit gezeigt,97 läßt Primaticcio - eventuell in Kenntnis des Stiches von Giovanni Antonio da Brescia (Abb. 78), der einen sehr frühen Zustand der Gruppe vor ihrer Überführung in den Belvedere-Hof dokumentiert - in seinem Abguß des Laokoon sowohl die von Montorsoli ergänzten Arme der Laokoonsöhne als auch den Schlangenkopf weg und ergänzt auch den rechten Arm des Vaters nicht (der sich eventuell 1540 noch gar nicht an der Statue befand), um die Gruppe möglichst originalgetreu zu „restaurieren". Doch es ist auffällig, daß die jeweiligen Oberflächen der potentiellen Anstückungsstellen im Abguß unterschiedlich differenziert gestaltet sind: Während Primaticcio die von Montorsoli abgearbeiteten Stellen der Arme der Söhne frei nachempfand (also die Anstückungen für seinen Guß nicht eigens abnehmen ließ), da die Oberfläche des Schnitts in diesen beiden Fällen eher summarisch und hohl gegeben ist,98 scheint er den Abriß an der Schulter des Vaters detailgetreu abgegossen zu haben, da man dort noch die Ansatzstellen von Metallstiften für eine wahrscheinlich schon in der Antike vorgenommene Armergänzung sieht.99 96 Zur Laokoonrezeption vgl. Kapitel „Laocoon et ses fils" in: Kat. D'apres l'antique, pp. 2 2 8 - 2 7 3 . 97 Tauber, „Translatio Imperii?". 98 Hofter, L a o k o o n s A r m , S. 261 geht hingegen davon aus, daß Primaticcio eventuell alle Anstückungen vor seinem A b g u ß abnehmen ließ, und sieht damit den Bronzeabguß als authentisches Q u e l lenzeugnis „entwertet". 99 Vgl. hierzu Magis A b g u ß dieser Oberflächenstruktur: II ripristino del Laocoonte, p. 14, fig. 14; er
312
7. Strategien der Souveränität: Antikenimport und
Reproduktionshoheit
Frappierenderweise gibt er damit fast genau ihren Zustand wieder, wie sie heute - nach Filippo Magis originalgetreuer Restaurierung von 1957-60 - im vatikanischen Museum gezeigt wird, selbstverständlich noch ohne den originalen Arm, den erst Pollak 1905 der Weiterverarbeitung durch einen römischen Steinmetz entzog. 1 0 0
7.3. Moderne reproduzieren: Die Michelangelo-Kopien und die Galerie-Tapisserien Changierten die Motivationen für diese Antikenabgüsse zwischen dem Streben des französischen Königs nach politischer und ästhetischer Verfügungsgewalt, 1 0 1 so scheint die Ausweitung der Strategie der Reproduktion auf zeitgenössische Kunstvorbilder hauptsächlich ästhetisch und „sammlungstechnisch" motiviert gewesen zu sein. Die zweite Abgußkampagne Primaticcios im Jahr 1545/46 sollte auch Skulpturen Michelangelos umfassen vielleicht aus der Einsicht des Königs heraus, daß er über Michelangelos künstlerische Originalproduktion keine Hoheit gewinnen konnte. Seine Versuche, Kunstwerke Michelangelos, die bereits zu Lebzeiten Reliquiencharakter erlangt hatten, 102 zu importieren, waren nur bedingt erfolgreich. Somit war in diesem Fall die Kopie nur ein defizitäres Substitut für das originale Meisterwerk. Ein aufschlußreicher Beleg in diesem Zusammenhang ist der Brief des Gabriello Paccagli an Michelangelo aus Paris vom 30.Januar 1519, in dem es einen frühen Hinweis auf den Wunsch des französischen Königs gibt, unbedingt ein Werk von Michelangelos Hand zu besitzen - egal welchen Inhalts und wie klein und vermeintlich unbedeutend auch immer: „el quale Re parlo con tanta gratia et amore di voi, che quasi mi parve cosa incredibile, monstrando esser certissimo delle virtu vostre; riducendosi a questo,
schreibt hierzu (pp. 13s.): „ L e striature che vi si vedono numerose e in piü sensi sono da attribuirsi al copista che ha ritoccato la cera, e non all'originale trattamento della superficie del marmo; possono invece riferirsi a fori originali per perni le due piccole zone quadrate liscie, una in alto l'altra in basso, e forse anche la traccia che vi si intravede a destra di una minor zona rotonda potrebbe bene corrispondere a un altro foro per p e m o . [...] Ritengo [...] che la superficie ondulata del bronzo del Louvre [heute: Fontainebleau] sia quella originaria della commettitura sul tronco." Zu den Restaurierungen seit dem 16. Jahrhundert: Rebaudo, II braccio mancante. 100 Hierzu Pollak, D e r rechte A r m des L a o k o o n . Pollak selbst hielt den A r m aufgrund seiner Dimensionen für den Teil einer Laokoon-Kopie. Erst die Untersuchungen von Ernesto Vergara Caffarelli bewiesen, daß es sich um den originalen A r m handelte: Vergara Caffarelli, Studio per la restituzione del Laocoonte; vgl. auch Rebaudo, I restauri del Laocoonte, p. 257. 101 Eine ähnlich ambivalente Motivation Julius' II., den L a o k o o n in den Belvederehof zu überführen, unterstellt das Breve des Kardinals Riario vom 23. März 1506: „ C u m nuper tua diligentia maximo labore atque impensa Laocoontis Trojani liberorumque imagines compararis que et quod erant a peritissimis statuariis et quod veterem illam R o m a n o r u m et maiestatem et gratiam referebant, usque adeo Sanctissimo D o m i n o nostro placuerunt ut ea ipsa Laocoontis liberumque simulacra in Vaticano ad perpetuam rei memoriam locari mandaverit"; abgedr. bei Maffei, L a fama di L a o coonte, p. 112. Julius möchte den L a o k o o n haben, weil er einerseits ein herausragendes Kunstwerk ist, andererseits ein historisches Zeugnis für die (imperiale) Größe Roms, der er ein immerwährendes Denkmal setzen möchte, das zugleich seinen eigenen R u h m vergrößert. 102 Vgl. Roy, L a „ L e d a " de Michelange et celle de Rosso. - Speziell zu Alfonso d'Este und dem A u f trag für die Leda vgl. Wallace, Michelangelo's Leda: The Diplomatie Context.
7.3. Moderne reproduzieren: Michelangelo-Kopien und die Galerie-Tapisserien
313
che di tale cosa non ha el magiore desiderio che de havere ogni quantunche pichola cosa del vostro [...]"· 1 0 3 Nach Frankreich kamen überhaupt nur drei Werke Michelangelos, zwei davon nicht zur Regierungszeit von Frangois I er : Der Bronze-David befand sich seit 1508 in der Sammlung des Florimond Robertet, 104 und die „Sklaven" schenkte erst Henri II Montmorency für sein Schloß in Ecouen; nur der heute verschollene Herkules, dessen ursprünglicher Auftraggeber umstritten ist, gelangte 1529 nach Fontainebleau. Der französische König war somit auch hier gezwungen, seine bereits an den Antiken erprobte Taktik der Reproduktion anzuwenden. 105 Am 8. Februar 1546 schreibt er aus Saint-Germain-en-Laye an Michelangelo nach Rom den berühmten Brief, in dem er ihn bittet, Primaticcio zu erlauben, den Christus in S. Maria sopra Minerva und die Pietä in St. Peter abzugießen, da er gehört habe, daß es sich hierbei um die Spitzenstücke des Meisters handele: Seigneur Michelangelo, pour ce que j'ay grant desir d'avoir quelques besongnes de vostre ouvrage, j'ay donne charge ä l'abbe de Sainct Martin de Troyes, present porteur que j'envoye par delä, d'en recouvrer, vous priant, si vous avez quelques choses excellentes faictes ä son arrivee, les luy voulloir bailler en les vous bien payant ainsi que je luy ay donne charge. E t davantage voulloir estre contant, pour l'amour de moy, qu'il molle le Christ de la Minerve et la Nostre Dame de la Febre, affin que j'en puisse aorner l'une de mes chappelles, c o m m e de chose que Ton m'a asseure estre des plus exquises et excellentes en vostre art. 1 0 6
Michelangelo aber, in einer seiner üblichen Autonomiedemonstrationen, entwindet sich unter Auferbietung sämtlicher rhetorischer und diplomatischer Kniffe der Umklammerung durch den Möchtegern-Mäzen, der ihn schon allzuoft um ein Kunstwerk gebeten hatte. Er sei alt und gebrechlich und außerdem - dies wohl der eigentliche Grund - mit Aufträgen für den Papst beschäftigt. Sollte ihm wider Erwarten danach noch eine kleine Lebensspanne gewährt sein, wolle er gerne etwas für den König anfertigen, „cioe una cosa di marmo, una di bronzo, una di pictura". 107 Sollte er jedoch vorher sterben, so sei dies eine noch glücklichere Fügung, da er dann ja im Himmel alle Zeit der Welt habe, dem Wunsch des Souveräns nachzukommen - sofern man dort künstlerisch arbeiten dürfe: „E se la morte interrompe questo mio desiderio, e che si possa sculpire ο dipingiere nell'altra vita, non manchero di lä, dove piü non s'invechia." 108 Inwieweit Frangois in diesem speziellen Fall die Ironie des Briefes goutiert hat, sei dahingestellt. Der tatsächlich ausgeführte Abguß der Pietä, 109 der Rossos Kopie von Michelangelos „Leda" vergleichbar ist, zeigt durch das verwendete Material des Gipses, daß es dem König (im Gegensatz zu den Antikenabgüssen) hier tatsächlich darum ging, die Illusion einer Marmorskulptur Michelangelos zu schaffen, da Oberflächen von Gipsen täuschend marmorartig gestaltet werden konnten. Dennoch kann der angestrebte Illusionismus nicht mit der Absicht gleichgesetzt werden, den Betrachter zu täuschen: Es ist wenig wahrscheinlich, daß 103 Michelangelo, Carteggio, vol. 2, p. 151; vgl. hierzu Shearman, The Galerie Franfois Premier, p. 5, der dieses Schreiben als „the total capitulation of patron to artist" bezeichnet. 104 Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 283. 105 Cox-Rearick, ibid., pp. 3 0 2 - 3 1 2 . 106 Michelangelo, Carteggio, vol. 4, p. 229. 107 Brief vom 26. April 1546; Michelangelo, ibid., p. 237. 108
Ibid.
109 Vgl. Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 313s.; der heute verschollene Gipsabguß von Michelangelos Pietä war in der Cbapelle
Haute
aufgestellt.
314
7. Strategien
der Souveränität:
Antikenimport
und
Reproduktionshoheit
der König den Kunstverstand seines Umfeldes so gering einschätzte, daß er glaubte, es werde auf diese Kopie hereinfallen - gerade bei den italienischen Diplomaten mußte er damit rechnen, daß sie das Original in Rom im Besitz des Papstes wußten oder selbst gesehen hatten. Bei den Antikenabgüssen kann diese Täuschungsabsicht erst recht nicht unterstellt werden, weil diese sich ja bereits in ihrer Materialdifferenz zu den Originalen selbst deutlich als Kopien auswiesen.110 Die Voraussetzung der Möglichkeit, Kunst zu reproduzieren, ist, über Kunst zu verfügen; und zwar über Kunst, die einer Reproduktion entweder aus ästhetischen oder aus machtpolitischen Erwägungen heraus wert erscheint. Die Galerie in Fontainebleau stellte einen solchen Kunstbesitz dar, und das nicht nur, weil sie einzigartig in ihrer Gestaltung und in ihrem Materialreichtum war. An zwei Stellen im bereits analysierten Bericht Henry Wallops über die Besichtigung der Galerie am 17. November 1540 finden sich Hinweise darauf - und dies ist für unseren Argumentationszusammenhang von Interesse daß der französische König sich seiner Reproduktionshoheit sehr wohl bewußt war und sie im diplomatischen Verkehr auf höchster Ebene ausspielte. Er bietet nämlich dem englischen König nicht nur an, Marmor aus seinen neuerschlossenen französischen Brüchen zu beziehen, sondern ist auch bereit, ein weiteres Set von Antikenabgüssen aus den Gußformen anfertigen zu lassen, die Primaticcio zu diesem Zeitpunkt gerade in Rom abnimmt: „He hathe founde dyvers mynes of marbell, bothe white and blacke, the white by Marguyson, and the blakke besides Sherbroke; and if it pleased Your Majestie to send for any of it, Ye shuld have the same at your commaundement, and cost You nothing; as also dyvers mowldes of anticke personages, that He hathe nowe commyng owte of Ytalye, with whiche He shal have don within three of fowre monnethes."111 Offensichtlich nahm Wallop dieses Angebot ernst, denn er geht im Verlauf seiner Beschreibung so weit zu behaupten, daß der französische König sicherlich auch gerne bereit wäre, die Innenausstattung seiner gesamten Galerie für den englischen Hof duplizieren zu lassen: „An in the gallerey of S1 James the like wold be wel made, for it is bothe highe and large. Yf your pleasure be to have the paterne of this here, I knowe right wel the Frenche King woll gladly geve it me."112 Das königliche Copyright wird somit zu einem genuinen Herrschaftsrecht, es dient gleichermaßen zur Demonstration von largesse wie als Uberlegenheitsbeweis;113 denn die Verbreitung des originären und originellen, da einzigartigen Stils von Fontainebleau stellt die Machtdemonstration einer neuen „Leitkultur" dar, die sich selbstbewußt vom „Modell Italien" das nimmt, was sie benötigt, ohne ihm sklavisch zu folgen.114 Die Wirkung dieser Reproduktionshoheit zeigt sich noch über den Tod von Frangois Ier hinaus in den Begehrlichkeiten anderer europäischer Herrscher hinsichtlich der französi110 111 112 113
Vgl. Jestaz, Les moulages d'antiques, p. 24. Wallop, abgedr. bei McAllister Johnson, O n Some Neglected Usages, p. 53. Wallop, ibid. Letzteres ein Aspekt, den McAllister Johnson vernachlässigt, wenn er schreibt: „ F r a n c i s was nonetheless said willing to share his patterns with his homologue [...]" (On Some Neglected Usages, p. 52). 1 1 4 Vgl. hierzu Eschenfelder, Die Bäder Franz I., S. 57: „Dieses Prinzip der Reproduktion kennzeichnet ebenfalls den gesamten Galerieflügel: im Erdgeschoß wurden Kopien und Grafiken nach den Gemälden erstellt, die Fresken- und Stuckdekoration der Galerie wurde in einer Serie von Teppichen reproduziert und die Manuskripte der Bibliothek als Bücher gedruckt."
7.3. Moderne
reproduzieren:
Michelangelo-Kopien
und die Galerie-Tapisserien
315
sehen Antikenabgüsse. 1 1 5 1547 werden erneut Abgüsse der Belvedere-Antiken aus Primaticcios Gußformen genommen - diesmal pikanterweise ausgerechnet für den Habsburger H o f : 1 1 6 Leone Leoni entdeckt die Formen 1549 „verwaist" in Paris, und Granvelle fragt daraufhin bei Primaticcio an, ob sie verkäuflich seien. Loyalerweise antwortet der Künstler, daß nicht er, sondern der neue König darüber zu entscheiden habe, denn dieser hatte ja sowohl die Reproduktionshoheit als auch die Stellung des Hüters der königlichen Ideologien von seinem Vater geerbt. Henri II, der ganz andere kunstpolitische Pläne verfolgte als Franfois I e r , 1 1 7 schenkt dann die Gußformen großmütig an die Regentin der Niederlande und Schwester Karls V., Maria von Ungarn. Sie kommen 1550 an den niederländischen H o f , w o einige Gipsgüsse angefertigt werden, wahrscheinlich für das Schloß von Binche, denjenigen O r t , an dem Maria in ihrer Kunstpatronage am stärksten mit Fontainebleau zu rivalisieren versuchte. Darüber hinaus bietet Leoni auch dem Stadtregenten von Mailand, Ferrante Gonzaga, Abgüsse für seine Villa La Gualtiera an, die damit zu einem weiteren Neuen R o m werden sollte. Auch hier sind die Antikenabgüsse wie in Fontainebleau eng mit dem Gedanken der Erneuerung, der renovatio verbunden. 1 1 8 Zu einem politischen Akt wird die Abgußkampagne also in dem Moment, in dem die Reproduktionshoheit im diplomatischen Verkehr ausgespielt wird. Zugleich gewinnt der Repräsentationsraum der Galerie nur durch Vervielfältigung politische Ausstrahlung über Fontainebleau hinaus. 119 Was der englische Botschafter noch als Wunschvorstellung formulierte - eine Reproduktion der gesamten Galerie - , hat es in Ansätzen tatsächlich gegeben: Sechs heute im Kunsthistorischen Museum in Wien aufbewahrte Tapisserien zeigen eine Folge von Bildfeldern der Galerie mit ihren Dekorationen. 1 2 0 Hier liegt also ein weiterer Fall vor, in dem der französische König seine Reproduktionshoheit machtvoll ausnutzte.
115 N o c h Philipp IV. von Spanien schickt 1650 Velazquez nach Rom, um erneut Gußformen von den belvederischen Antiken anfertigen zu lassen; vgl. Daltrop, Nascita e significato della raccolta, p. 120. - D o c h auch in Frankreich selbst hatten die Antikenabgüsse weiterhin einen hohen Stellenwert: Henri IV beauftragte Prieur, Marmorkopien nach den Abgüssen des Apoll und der Venus anzufertigen, und überführt damit die Bronzegüsse gewissermaßen wieder in ihr Ausgangsmaterial. E r stellte sie in Nischen der eigens eingerichteten Salle des Antiques
im Louvre
aus; vgl. Seelig-Teuwen, Large Bronzes in France, p. 124. Erst während der Französischen Revolution gewinnt der Materialwert gegenüber dem Kunstwert der Abgüsse die Oberhand und der Tiber, die Sphingen und die Satyrn werden von den revolutionären Vandalen 1792 eingeschmolzen; vgl. Barbet de Jouy, Etude sur les fontes du Primatice, passim; Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 345s.; Pressouyre, Les fontes de Primatice ä Fontainebleau, p. 236. 116 Hierzu und zum folgenden: Boucher, Leone Leoni and Primaticcio's Moulds; weiterhin - mit der ihr eigenen starken Gender-Orientierung in der Interpretation des Kleopatra-Abgusses - WilsonChevalier, Art Patronage and Women, pp. 523 f.
117 Vgl. hierzu den Sammelband Henri II et les arts. 118 Boucher, Leone Leoni and Primaticcio's Moulds, p. 24. Geese, Antike als Programm, S. 38. 119 Zur druckgraphischen Vervielfältigung vgl. Zorach, Blood, Milk, Ink, Gold, pp. 1 7 7 - 1 8 3 . 120 Hierzu: Dimier, La tenture de la Galerie de Fontainebleau ä Vienne; Jestaz, L a tenture de la Galerie de Fontainebleau; Gruber, Les tentures ä sujets mythologiques de la Grande Galerie; Pressouyre, Problemes de style. Le temoignage des tapisseries; Stockhammer, „The Unity of the State"; ead., Tapestry Production in France 1 5 2 0 - 6 0 ; Schneebalg-Perelman, Les chasses de Maximilien, pp. 1 1 7 - 1 5 4 ; Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, pp. 2 4 6 249.
316
7. Strategien der Souveränität:
Antikenimport
und
Reproduktionshoheit
Und wer wäre als Adressat einer solchen kunstpolitischen Machtdemonstration geeigneter gewesen als der römisch-deutsche Kaiser? 121 Mit hoher Wahrscheinlichkeit war zumindest der Auftrag für diese materiell und künstlerisch außerordentlich wertvollen Teppiche durch den Besuch Karls V. 1539 in Fontainebleau motiviert. 122 Die Wahl des Mediums für diese „Zweitfassung" der Galerie verweist ebenfalls auf den Kaiser: Karl V. war in seiner Kunstpatronage gerade im (konservativen) Medium der Tapisserie führend in Europa; alle anderen europäischen Herrscher versuchten, ihm auf diesem Gebiet nachzueifern.123 Somit war anzunehmen, daß er eine Tapisserienfolge als Kunstgeschenk besonders schätzen und würdigen werde. Außerdem wäre diese Teppichfolge eine ideale, da vordergründig unpolitische Antwort auf die Pavia-Teppiche gewesen, die Karl V. 1531 als Geschenk der Generalstaaten der Niederlande in Brüssel erhalten und die in sehr offenkundiger und demütigender Weise die Niederlage des französischen Königs von 1525 mit künstlerischen Mitteln publik gemacht hatten. 124 Die Tapisserien wurden vom französischen König unmittelbar nach Karls Besuch in Fontainebleau in Auftrag gegeben. An den Kartons hat Rosso eventuell in seinem letzten Lebensjahr selbst noch gearbeitet. Vergrößert wurden sie wahrscheinlich von Claude Badouin. 125 Der früheste Beleg für die Arbeit an den Tapisserien ist die Rechnung eines Seidenhändlers über 139 livres vom 16. Februar 1540 (Karl V. hatte sich am 19. Januar in St. Quentin vom König verabschiedet und war in Richtung Gent weitergereist): „livrees pour servir ä faire les tapisseries que le Roy nostre Sire fait faire audit Fontainebleau sur la 121 Die Frage, ob die Tapisserien tatsächlich als Geschenk für Karl V. gedacht waren, ist umstritten. Dafür plädieren Jestaz, La tenture de la Galerie de Fontainebleau, p. 54 und Eisler, The Impact of the Emperor Charles V upon the Visual Arts, p. 71; Stockhammer, Tapestry Production, p. 467 und ead., „The Unity of the State", p. 476 spricht sich dagegen aus. Zur Forschungsdiskussion: Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 384-386. 122 Hierzu Kapitel 6.1.4. dieser Arbeit. 123 Vgl. Brassat, Tapisserien und Politik, S. 138. Auch Frangois I er besaß eine stattliche Anzahl Tapisserien, sein Garde-meuble verzeichnet insgesamt fast 200; vgl. Schneebalg-Perelman, Les chasses de Maximilien, p. 126; ead., Les richesses du garde-meuble parisien de F r a n c i s I er . Erstaunlicherweise befinden sich darunter keinerlei Jagdteppiche. Sollten die später sogenannten „Chasses de Maximilien" tatsächlich eine Gegengabe Karls V. und somit seine Antwort auf die FontainebleauTeppiche gewesen sein, wie Schneebalg-Perelman (Les chasses de Maximilien, p. 154) vermutet? Dagegen führt Balis, Les chasses de Maximilien, p. 46 eine Datierung dieser Tapisserien auf die Zeit zwischen 1531-1533 ins Feld, die er aus dem Bauzustand der auf ihnen dargestellten Gebäude ableitet. 124 Hierzu Brassat, Tapisserien und Politik, S. 169f. (Kat.nr. 6); Schneebalg-Perelman, Les chasses de Maximilien, p. 128. - Die Hypothese, Frangois I er habe die Teppiche für sich selbst anfertigen lassen, um sie in einer Art Trompe-l'ceil-lnszenierung vor die eigentlichen Fresken zu hängen, ist einigermaßen absurd und wird auch durch den Hinweis auf die perspektivisch auf den Teppichen dargestellten Deckenbalken nicht wesentlich plausibler; vgl. Jestaz, La tenture de la Galerie de Fontainebleau, p. 54; Stockhammer, „The Unity of the State", p. 474. Eher möglich scheint eine „portable version" der Galerie, die so den König auch auf Reisen hätte begleiten können; vgl. Stockhammer, Tapestry Production, p. 467; Weislogel, Rosso Fiorentino, Benvenuto Cellini and Clement Marot, pp. 136f. 125 Vgl. Laborde, Comptes des bätiments du roi, vol. 1, p. 204: „Au dit Badouin, peintre pour avoir vacque ä faire des patrons sur grand papier suivant certains tableaux estans en la grande galerie du dit lieu."
7.3. Moderne reproduzieren: Michelangelo-Kopien und die Galerie-Tapisserien
317
forme et ordonnance des ouvrages de peinture et steuf [stuc] estant en la Grant Gallerie de son chasteau dudit Fontainebleau." 126 Nicht nur die bereits erwähnte Bronzegießerei, 127 sondern auch eine Teppichmanufaktur hatte der französische König 1539 in Fontainebleau unter der Oberaufsicht des Philibert Babou de la Bourdaisiere einrichten lassen.128 Damit sollte nicht nur eine genuin französische Produktion der vorherrschenden flandrischen entgegengesetzt werden; die Einrichtung der Fertigungsstätten in der Hauptresidenz diente vor allem der Wahrung des Monopols auf Reproduktion, weil die Entwürfe so das Schloß gar nicht verließen. Eine ähnliche Sicherungsfunktion übernahm auch Primaticcio im Fall von Giulio Romanos Scipio-Teppichen: Als seine erste aktenkundige Handlung in Frankreich ist der Auftrag dokumentiert, - mehr als Kunstagent denn als Künstler - Giulios Zeichnungen nach Brüssel zu bringen, wo sie vergrößert wurden, um als Vorlagen für die Tapisserien zu dienen. Er sollte darüber wachen, daß die Zeichnungen und die neuen Vorlagen nach Beendigung der Arbeiten wieder sicher an den französischen Hof zurückgebracht würden, um das königliche Alleinzugriffsrecht darauf zu sichern. 129 Dies war wegen der Berühmtheit der Teppiche und der daraus resultierenden Begehrlichkeiten anderer europäischer Herrscher nur bedingt erfolgreich: Zwar wurden einerseits königlich autorisierte Kopien - wie die von 1544 für Maria von Ungarn - , aber eben auch Raubkopien angefertigt. 130 Es ist nicht zu entscheiden, ob die sechs Tapisserien (vgl. Tafel 47), die sämtliche Fresken der Südwand der Grande Galerie mit Ausnahme der „Ignorance chassee" wiedergeben, eine dezidierte Auswahl darstellten oder ob eine Gesamtreproduktion der Galerie geplant war. Die Tatsache, daß die ausgeführten Stücke eine räumlich zusammenhängende Partie darstellen, spricht eher für letzteres. Daß unter den fertiggestellten Teppichen auch die Replik desjenigen Freskos zu finden war, auf dem der Schenker im Porträt leibhaftig auftritt und seinen imperialen Machtanspruch mit dem Granat-/Reichsapfel in der Hand besonders deutlich vorbringt, dürfte dem französischen König entgegengekommen sein.131 Die Tapis-
126 Schneebalg-Perelman, Les chasses de Maximilien, p. 146; Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 384; Grodecki, Notes et documents: Sur les ateliers de Fontainebleau, p. 215. 127 Hierzu Gibbon, Bronzes de Fontainebleau, p. 11. A n der Stelle der Gießerei findet Primaticcio 1565 die Tapisserienwerkstatt vor; vgl. seinen Brief an Caterina de' Medici vom 24. 4. 1565: „[...] e ch'io riffacero il forno al luoco dove al tempo del gran Re Francesco si gestarono molte figure, ch'ora sono nel Giardino della V. M.; di poi, trovai che al detto luoco ci erano molti telari da far tappezzerie [ . . . ] " ; abgedr. bei Pressouyre, Les fontes de Primatice ä Fontainebleau, pp. 226s. und bei Bresc-Bautier, Parisian Casters in the Sixteenth Century, p. 112. 128 Arasse/Tönnesmann, Der europäische Manierismus, S. 375; Cox-Rearick, Chefs-d'ceuvre de la Renaissance, p. 368; Stockhammer, Tapestry Production, p. 466; Primatice. Maitre de Fontainebleau, p. 249. 129 Vgl. Primatice. Maitre de Fontainebleau, p. 76. Zu den Scipio-Teppichen vgl. erneut Kat. Jules Romain. L'Histoire de Scipion; Lefebure, La tenture de l'histoire de Scipion; Cox-Rearick, Chefsd'oeuvre de la Renaissance, pp. 366; 3 7 7 - 3 8 3 . 130 Vgl. Occhipinti, Ii „camerino" e la „galleria" nella Villa d'Este a Fontainebleau, pp. 627s.; Kat. Jules Romain. L'Histoire de Scipion, p. 14. 131 Daß diese Botschaft den Kaiser wenig gefreut haben wird, bemerkt Gruber zu Recht - schließt aber hieraus, daß die Teppiche nicht für Karl bestimmt gewesen sein könnten: Les tentures ä sujets mythologiques, p. 25.
318
7. Strategien
der Souveränität:
Antikenimport
und
Reproduktionshoheit
Serien w a r e n in j e d e m Fall m e h r als ein blosses Souvenir, das den Kaiser an die s c h ö n e n Tage v o n F o n t a i n e b l e a u erinnern sollte. 1 3 2 O b die u m 1 5 4 7 1 3 3 fertiggestellten Teppiche ihren kaiserlichen Adressaten j e erreichten, ist fraglich. E v e n t u e l l n a h m der f r a n z ö s i s c h e K ö n i g v o n d e m Plan eines so wertvollen G e schenkes an den Kaiser A b s t a n d , n a c h d e m die o f f e n e n Feindseligkeiten und die K r i e g s erklärung seitens F r a n k r e i c h s am 10. J u l i 1542 das Verhältnis w i e d e r in die vorherige N o r malität z u r ü c k g e f ü h r t hatten und die k u r z e P h a s e der E n t s p a n n u n g beendet war. 1 3 4 D i e Tapisserien sind erstmals 1 6 8 8 / 9 0 in W i e n nachweisbar, 1 3 5 w o J e a n T r e c h e t sie restaurierte. D i e s e R e s t a u r i e r u n g e n 1 3 6 f ü h r t e n z u signifikanten A b w e i c h u n g e n z w i s c h e n O r i g i n a l u n d R e p r o d u k t i o n : D i e Salamander w u r d e n ihrer K r o n e n b e r a u b t , die Fleur-de-lys
zu normalen
W i e s e n b l u m e n umgestaltet und das k ö n i g l i c h e „ F " amputiert und in ein kaiserliches „ I " (für J o s e p h I.) verwandelt. D e f a c t o f ü h r t e die Ü b e r t r a g u n g der Galerietraveen ins M e d i u m der Tapisserie zu einer K o m p l e x i t ä t s r e d u k t i o n , da die unterschiedlichen S c h i c h t e n der D r e i d i m e n s i o n a l i t ä t eingeebnet, die D a r s t e l l u n g „verflacht" u n d zugleich stärker k o n t u r i e r t w u r d e . D i e s erleichterte d e m B e t r a c h t e r die simultane W a h r n e h m u n g des E n s e m b l e s , die i h m in der G a l e r i e selbst wie b e s c h r i e b e n - k a u m gelingen wollte. A u c h k o n n t e er sich j e t z t einen T e p p i c h nach d e m anderen anschauen, und - z u m a l n u r einige ausgewählte S z e n e n dargestellt w a r e n - v o n der K o m p l e x i t ä t des G e s a m t g e b i l d e s in einer gewissermaßen musealen B e t r a c h t u n g s w e i s e der
132 So Schneebalg-Perelman, Les chasses de Maximilien, p. 143 sehr phantasievoll und stilistisch zwischen historischem Roman und Michelet angesiedelt: „Nous pouvons aisement nous representer le Roi deployant toutes les ressources de son esprit pour interesser l'auguste visiteur. Ii commente chaque decor, explique chaque allusion, degage les conclusions et fait admirer l'oeuvre des artistes Italiens. L'Empereur se laisse seduire, exprime son admiration et fait l'eloge de ce chef d'oeuvre de decoration ä but moral si eleve. Frangois I er desire s'attirer les bonnes graces de l'Empereur qu'il voit attriste par son deuil recent. Probablement, avec sa generosite coutumiere, il propose de lui offrir une copie de la Galerie en une serie de tapisseries, afin de lui permettre de garder un souvenir tangible de son sejour ä Fontainebleau." Ahnlich Jestaz, La tenture de la Galerie de Fontainebleau, p. 54. 133 Genauere Anhaltspunkte für den Zeitpunkt ihrer Fertigstellung fehlen. Gruber, Les tentures ä sujets mythologiques, p. 25 verweist auf eine Zahlung an einen Seidensticker vom 1. April 1547, die darauf hindeutet, daß die Teppiche zu diesem Zeitpunkt noch in Arbeit waren. 134 Schneebalg-Perelman, Les chasses de Maximilien, p. 138 mutmaßt, daß eventuell Eleonore von Osterreich, die 1544 nach dem Friedensschluß von Crepy nach Brüssel reiste, dort ihrem Bruder die Teppiche übergeben habe. 135 Dimier, La tenture de la Galerie, p. 169 schlägt als Ubergabezeitpunkt die Hochzeit von Charles I X mit Elisabeth von Osterreich im Jahr 1570 vor, während Jestaz, La tenture de la Galerie de Fontainebleau, p. 54 die Tatsache, daß die Teppiche nicht im königlichen Garde-meuble von 1551 erwähnt sind und Henri II Karl V. aufgrund seiner traumatischen spanischen Erfahrungen sicherlich keine Geschenke gemacht haben wird, dahingehend interpretiert, daß die Tapisserien Frankreich 1547 bereits verlassen haben müssen. 136 Vgl. hierzu ausführlich Jestaz, La tenture de la Galerie de Fontainebleau. - In dem Bericht über die Restaurierung der Teppiche von 1690 werden sie entweder als „Tenture de Frangois I e r " oder als „Tenture de Charles-Quint" bezeichnet, was als Bestätigung der königlichen Auftraggeberschaft und des kaiserlichen Adressaten interpretiert werden kann; vgl. Schneebalg-Perelman, Les chasses de Maximilien, p. 146; Jestaz, ibid., p. 54. Dagegen Gruber, Les tentures ä sujets mythologiques, p. 23.
7.4. Mantua in Fontainebleau:
Die Grotte des Pins
319
Einzelstücke abstrahieren.137 Außergewöhnlich an dieser Form der Reproduktion ist, daß es sich um die Verdoppelung bereits vorhandener Kunstwerke handelt, was diese Tapisserien ζ. B. von den ebenfalls in der Sammlung Frangois' I er befindlichen Apostelteppichen Raffaels unterscheidet, deren Entwürfe speziell für das Medium der Tapisserie hergestellt wurden. Neben dem bereits erwähnten Leonardo-Teppich und den Antikenabgüssen stellen die Galerie-Teppiche damit ein rares Beispiel für diese Art von ästhetischer Reproduktion von Kunstwerken in einem aufwendigeren und kostspieligeren Medium als dem des Originals dar.138 Der französische König erweist sich hiermit einmal mehr als ein Avantgardist „moderner" Vervielfältigungsverfahren lange vor dem Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit. Doch durch die Restriktion des Vervielfältigungsrechtes, das ein Herrschaftsrecht bleibt, setzt er nicht auf massenwirksame Verbreitung, sondern weiterhin auf Exklusivität.
7.4. Mantua in Fontainebleau: Die Grotte des Pins Nach Daniel Arasse und Andreas Tönnesmann 139 signalisierte die Berufung eines Gehilfen Giulio Romanos an den französischen Hof, daß der Neubau des Palazzo del Te in Mantua Vorbildfunktion für den Schloßbau von Fontainebleau hatte. In beiden Fällen sind die aufwendigen und neuartigen Ausstattungsprogramme nach antikem Vorbild im Typus der Villa suburbana (einmal in Bezug auf Mantua und den Palazzo Ducale, im Fall von Fontainebleau bezüglich Paris) angesiedelt, weil die dezentrale Lage größtmöglichen künstlerischen Freiraum und größere Leichtigkeit im Umgang mit einer neuartigen Ikonographie ermöglichte. Die Villa suburbana als Sommerresidenz ist funktional der Zerstreuung und dem geistreichen Spiel zugeordnet, sie muß nicht den kanonisierten Anforderungen an den städtischen Palast- und Residenzenbau genügen, sondern darf „Lustschloß" im wahren Wortsinn sein. Direkte architektonische Bezüge auf das Mantuaner Vorbild lassen sich zur Regierungszeit von Francois I er im strengen Sinne in Fontainebleau (sieht man von den allgemeinen Einflüssen der dekorativen Ausstattung des Palazzo del Te auf die Grande Galerie einmal ab) eigentlich nur in einem Fall nachweisen: bei der sogenannten Grotte des Pins (Tafel 48). 140 Ihre Zuschreibung ist nach wie vor umstritten. Mir scheint allerdings insbe-
137 Rosso (sofern man ihm tatsächlich eine Beteiligung an der Tapisserieherstellung zuschreiben will, wie Gruber, Les tentures ä sujets mythologiques, p. 26 und Carroll, Rosso Fiorentino. Drawings, Prints, and Decorative Arts, p. 248 vorschlagen) konnte somit ganz rezipientenorientiert agieren; vgl. Gruber, ibid., p. 29: „Les possibilites de la tapisserie furent sans doute exploitees par Rosso Fiorentino pour fondre en une nouvelle unite les differents niveaux de representation de la Grande Galerie." Damit wendet er jedoch (wiederum im Sinne des potentiellen Rezipienten?) eine künstlerische Strategie an, die der eigentlichen, gewollt hochkomplexen Struktur der Galerie zuwiderläuft. 138 Vgl. Gruber, Les tentures ä sujets mythologiques, p. 29. 139 Arasse/Tönnesmann, Der europäische Manierismus, S. 54 f.; 89. 140 Hierzu und zum folgenden: Golson, Serlio, Primaticcio and the Architectural Grotto; Beguin/ Guillaume/Roy, L a Galerie d'Ulysse, pp. 3 6 - 4 3 ; Bardati, La „Grotte des Pins" a Fontainebleau; ead., Les bronzes d'apres l'antique; ead., La grotte des Pins a Fontainebleau; Miller, Heavenly Caves: Reflections on the Garden Grotto, pp. 5 1 - 5 3 ; ead., Domain of Illusion: The G r o t t o in
320
7. Strategien der Souveränität: Antikenimport
und
Reproduktionshoheit
sondere aufgrund ihrer mantuanischen Anklänge nach wie vor Primaticcios Urheberschaft am wahrscheinlichsten. Daß Serlio die Grotte gebaut haben könnte, ist wenig plausibel. 141 Nicht nur ist seine stilistische Handschrift eine völlig andere - „klassischere", klassizisierendere - , auch war er kein Fachmann für solche capricci di fantasia. Sein Entwurf für einen Pavillon mit Grotte für Fontainebleau im 6. Buch des Architekturtraktats hat definitiv nichts mit der Grotte des Pins zu tun. 142 Das Portal des Hotel de Grand Ferrare in Fontainebleau - von Ippolito d'Este bei Serlio in Auftrag gegeben das aufgrund seiner Rustizierungen gerne zum Vergleich mit der Grotte herangezogen wird, ist gebaute Architekturtheorie, Traktat-Illustration und zugleich architecture parlante für einen am Rande des rustikalen Waldes gelegenen Hoteleingang. Es baut gewissermaßen den Portalentwurf aus Serlios Extraordinario libro und zeigt auch den dort vorgesehenen intakten Architrav. Es hat somit außer dem leicht durchhängenden Schlußstein (der bekanntlich ein Mantuaner Motiv aus Giulios Palazzo del Te ist) wenig mit den Verrücktheiten der Grottenfassade gemein. Im 4. Buch seines Traktates, das 1537 auf italienisch erschienen war und das er Francois I er 1540 gewidmet hatte, 143 äußert sich Serlio anläßlich eines ähnlichen Portalentwurfs zu Rustizierungen im allgemeinen, die ihrem funktionalen Ausdruck zufolge am ehesten für die Verzierung von Basteien und Festungen geeignet seien. Ihre Übertragung auf andere Gebäude zeuge hingegen von dem „sonderbaren verstand des Architecti": Es hat vorzeiten den Alten Römern gefallen / mit diesem groben unnd Bewrischen werck / nicht allein die Dorica / sonder auch die Ionica / bißweilen auch die Corinthia zu vermischen / darinn nachgevolgt / theils das Werck der Natur / theils das werck der Kunst. Die Säulen mit groben steinen gemenget / auch der Architrav und das Frieß durch die Boßquader etwas corrumpiert unnd gebrochen / bezeichnen das Werck der Natur / aber die Capital und ein theil der Säulen / das Karniß unnd Gespreng bezeichnen das Werck der Kunst und hände. Diese mengung ist sehr lieblich / unnd zeiget ein gewaltige stercke / daher sie sich besser an Pasteyen und Vestungen / dann an etwas anders schicket / jedoch mag sie durch sonderbaren verstand des Architecti an alle ort gebraucht werden. Man findet daß Julius Romanus zu diser Vermischung ein sonderbaren lust gehabt / wie die Statt Rom und Mantua / Item der herlich Pallast voraussen / gemeinlich El Te genent / genugsam bezeugen. 144
Ein direkter architektonischer Bezug auf Serlios Traktat könnte höchstens im Zitat der persiflierenden Auflösung der Kryptoportikus der Villa Madama aus dem IV. Buch gesehen werden, deren erste vegetative Ansätze bereits durch zarte Pflänzchen am oberen Bildrand angedeutet sind (Abb. 79).145 Doch die Auflösung erfolgt an der Grotte in Fontainebleau
141
142 143 144 145
France; Frommel, Primaticcio architetto in Francia, pp. 77-85; [bereits ausführlich zum Thema unter ihrem Mädchennamen:] Kühbacher, Giulio Romano e la grotta di Fontainebleau; CoxRearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 58-60. So Golson, Serlio, Primaticcio and the Architectural Grotto, p. 97. Bardati plädiert dagegen für eine Zuschreibung an einen (anonymen) französischen Künstler: La „Grotte des Pins" a Fontainebleau, pp. 45s. Hierzu Golson, Serlio, Primaticcio and the Architectural Grotto, pp. 98; 100 u. fig. 10; zu Serlios Traktat in Frankreich: Gloton, Le traite de Serlio. Vgl. Miller, Heavenly Caves, p. 52. Serlio, Von der Architectur Fünff Bücher, Buch IV, Kap. 5, fol. X. Bei Serlio kongruiert die ländliche Rustika mit der „commedia satirica"; vgl. Occhipinti, II „camerino" e la „galleria" nella Villa d'Este a Fontainebleau, p. 626.
7.4. Mantua
Abb. 79
in Fontainebleau:
Die G r o t t e des Pins
Serlio, Entwurf für die Kryptoportikus der Villa Madama, Trattato dell'architettura, Libro IV, 1537
nicht d u r c h Ü b e r w u c h e r u n g . Dies ist erst bei der E n d e des 16. J a h r h u n d e r t s errichteten M a n t u a n e r G r o t t e der Fall, die a u f g r u n d dieser v o n Belluzzi vorgeschlagenen Spätdatierung ebenfalls als Vorbild f ü r die Grotte des Pins ausfällt. 1 4 6 E h e r hat w o h l die loggienartige „ G r o t t e " d e r R u s t i k a im P a l a z z o D u c a l e E i n f l u ß auf ihre G e s t a l t u n g gehabt, v o r allem hinsichtlich des vermittelten E i n d r u c k s der Instabilität. 1 4 7 Als ein weiteres f o r m a l e s Vorbild k ö n n t e m a n die Loggia des r ö m i s c h e n P a l a z z o della Valle b e n e n n e n (vgl. A b b . 75), v o n d e r ja auch Primaticcios A b g ü s s e der beiden Satyrn stammten. 1 4 8 A u c h sie w a r dreibogig, u n d die Satyrn b z w . Pane weisen auffällige f o r m a l e U b e r e i n s t i m m u n g e n mit d e n „ A t l a n t e n " der G r o t t e n f r o n t auf: Sie stehen ebenfalls in gegenseitigem B l i c k k o n t a k t u n d sind wie die Satyrn bis zu einem gewissen G r a d e Torsi. 1 4 9 D e n n die A r m s t ü m p f e der Pan-Torsi w e r d e n an der G r o t t e in die A r m e der „ A t l a n t e n " v e r w a n d e l t , die ü b e r d e n Pseudo-Abakusplatten f u n k t i o n a l Undefiniert nach h i n t e n in der A r c h i t e k t u r v e r s c h w i n d e n .
146 Belluzzi datiert sie aufgrund von stilistischen Kriterien um 1590, in die Regierungszeit Vincenzo I Gonzagas (La Grotta di Palazzo Te). Was ihn dann allerdings in seinem Fazit zu der folgenden Schlußfolgerung veranlaßt, bleibt unverständlich: „Questo radicale cambiamento di prospettiva ridimensiona il valore stesso dell'opera, che non presenta soluzioni spaziali originali ο dettagli di particolare qualitä, ma che occupava un ruolo chiave nella genesi della grotta cinquecentesca, quale nodo di connessione tra le sperimentazioni raffaellesche di villa Madama e il cantiere internazionale di Fontainebleau." Die späte Datierung wird wieder aufgenommen in: Kat. Giulio Romano, p. 332; Kühbacher, Giulio Romano e la grotta di Fontainebleau, p. 357. 147 Vgl. Kühbacher, ibid., pp. 347; 354 u. fig. 10. 148 Bardati, La „Grotte des Pins" a Fontainebleau, p. 43; ead., Les bronzes d'apres l'antique, p. 161. Bardati bezeichnet die Grotte in Fontainebleau auch als „loggetta" (La „Grotte des Pins" a Fontainebleau, p. 41). 149 Auch die weiblichen Hermenkaryatiden des Giardino segreto im Palazzo del Te könnten Einfluß auf die Gestaltung der Pan-Torsi genommen haben. Diese Karyatiden waren auch eindeutig das Vorbild für Rossos Stuckdekorationen neben den Tondi, die in der Grande Galerie das Fresko „Cleobis et Biton" flankieren (vgl. Tafel 35).
322
7. Strategien der Souveränität: Antikenimport
A b b . 80
und
Reproduktionshoheit
Francesco Primaticcio, J u n o , Entwurf f ü r die Decke der Grotte des Pins, u m 1541/43, Louvre, Paris
Trotz dieser römischen Allusionen ist jedoch das Hauptthema von Primaticcios Grotte die Überbietung von Giulio Romanos Vorgaben in Mantua. Als geschulter „Mantuaner" zeigt er sich in den beiden erhaltenen Vorzeichnungen für die sitzenden Göttinnenfiguren di sotto in su im Deckengewölbe der Grotte (Abb. 80). 150 Aber vor allem nimmt er das bereits in Mantua virtuos entfaltete Spiel von Innen und Außen, von hyperklassischer Form und bewußtem Antiklassizismus wieder auf. Bereits Giulio hatte den Eingang zum Palazzo del Te bewußt ambivalent gestaltet: Funktional und durch das Gonzagawappen war die an der Nordfassade gelegene Loggia delle Muse (Abb. 81) - die in Mantua ebenfalls das Musenthema prominent anklingen ließ 151 - als Haupteingang definiert, formal jedoch weist an der Außenfront mit ihren drei gleichgeordneten Bögen nichts auf einen prominenten Eingang hin. Dies geschieht stattdessen an der abgelegeneren Westfront mit ihrem zur Durchfahrt geeigneten Vestibül (Abb. 82).152 Doch im Innern dieser Durchfahrt wird der 150 H i e r z u Dimier, Recherches sur la grotte, pp. 87-89; id., Le Primatice, pp. 310s.; Primatice. M a i t r e de Fontainebleau, pp. 220s. 151 Die Decke der L o g g i a w u r d e vor 1530 mit Stuckdekorationen ausgeschmückt, die M u s e n und ägyptische H i e r o g l y p h e n zeigen; die sonstigen Dekorationen ( M u s e U r a n i a [?] u n d Apoll mit Pegasus) stammen aus der Zeit u m 1532, w ä h r e n d die nicht eindeutig zu datierenden L a n d schaftsmalereien mit O r p h e u s und E u r y d i k e w o h l deutlich nach 1530 entstanden sind; vgl. Kat. Giulio R o m a n o , p. 339. 152 In der ersten H ä l f t e des 16. J a h r h u n d e r t s verlagerte sich d e m z u f o l g e auch der H a u p t e i n g a n g von der Loggia delle Muse nach Westen, so daß der Gebäudeteil an der Nordseite n u r noch die F u n k tion einer Gartenloggia behielt; vgl. Verheyen, The Palazzo del T e in Mantua, p. 46.
7.4. Mantua in Fontainebleau:
A b b . 81
Die Grotte des Pins
323
Giulio R o m a n o , Nordfassade, Eingang zur Loggia delle Muse, urn 1526, Palazzo del T e , Mantua
nach außen hin signalisierte repräsentative Anspruch sogleich wieder herabgemindert: Dort entsteht ein fast grottenartiger Eindruck mit gefährdeter Statik durch die rustizierten Säulen 153 und das auf ihnen lastende, viel zu groß kassettierte Gewölbe. Primaticcio kombiniert in der Grottenfront von Fontainebleau genau diese rustikal-instabile Architektur mit den klassizisierenden Formen der Loggia delle Muse. Aber damit nicht genug: Auch die Sala dei Giganti hat Spuren in Fontainebleau hinterlassen. 1532, in dem Jahr, als Primaticcio Mantua in Richtung Frankreich verließ, war zwar erst die Ausmalung der Decke fertiggestellt, 154 wie bereits anläßlich des kaiserlichen Besuches dargelegt.155 Doch kannte Primaticcio wohl Vorzeichnungen Giulios für die Sala dei Giganti.156 Dies dokumentiert unter anderem seine Zeichnung eines Flußgottes für die Sal-
153 G o m b r i c h , Z u m Werke Giulio R o m a n o s I, S. 84 interpretiert die Rustizierungen dahingehend, daß Giulio hier keine zerstörte, sondern eine im Entstehen begriffene, noch werdende F o r m dargestellt habe - die geformten Elemente steckten gewissermaßen noch unausgeschält im U r sprungsmaterial, befinden sich also in statu
nascendi.
154 Zur Chronologie der Ausmalungen im Ostflügel des Palazzo del Te: Kat. Giulio R o m a n o , pp. 3 6 4 374. 155 Vgl. Kapitel 6.1.3. dieser Arbeit. 156 Vgl. den knappen Hinweis bei Blunt, Art and Architecture in France, p. 60, der den Gedanken
324
7. Strategien
Abb. 82
der Souveränität:
Antikenimport
und
Reproduktionshoheit
Giulio Romano, Westvestibül, um 1526, Palazzo del Te, Mantua
les des bains in Fontainebleau (Abb. 83),157 dessen die Amphoren unterstützendes wasserspendendes Zeugungsorgan ein Zitat aus der Lünette über der „Suche nach dem Goldenen Vlies" in der Mantuaner Camera diPsiche darstellt (Abb. 84), während seine Einbindung in die Felsennatur auf Ideen Giulios für die Sala dei Giganti verweist und auf die „Atlanten" der Grotte des Pins vorausdeutet. Denn diese Figuren sind eher Gefangene als Tragende, 158 ihre Armhaltung verurteilt sie zu einer erdrückenden Belastung, der sie statisch nichts entgegenzusetzen haben. Das gleiche ironisierende Formprinzip, 159 das Giulio in der Sala dei Giganti mittels expliziter Zitate seiner eigenen Architektur und ihrer chaotischen Zerstörung anwandte, 160 wird hier noch weiter zugespitzt: Die Architekturelemente, die sich trotz durchhängender Schlußsteine und geborstener Architrave außen im Hof des Palazzo del Te noch mühsam in Form hielten, dann aber im Innern die Befürchtungen des Betrach-
157 158
159 160
jedoch nicht ausführt: „The conception of the Grotte des Pins, with its giants emerging from a rocky background, suggests that Primaticcio knew sketches for Giulio's frescos of the Fall of the Giants in the Palazzo de Te, although the actual frescos were executed just after he left Mantua"; hierzu auch Golson, Serlio, Primaticcio and the Architectural Grotto, p. 97; Frommel, Primaticcio architetto in Francia, p. 79. Vgl. Primatice. Maitre de Fontainebleau, p. 195. Bardati, La „Grotte des Pins" a Fontainebleau, p. 42; ead., Les bronzes d'apres l'antique, p. 161; Kühbacher, Giulio Romano e la grotta di Fontainebleau, p. 347; der Verweis auf Michelangelos „Schiavi" erneut in: Frommel, Primaticcio architetto in Francia, p. 79. Hierzu Hoffmann, Giulios Ironie. Vgl. Gombrich, Zum Werke Giulio Romanos I, S. 101; Vetter, Gigantensturz-Darstellungen, S. 68.
7.4. Mantua
Abb. 84
in Fontainebleau:
Die G r o t t e des Pins
Giulio Romano, Flußgott, um 1527/28, Camera di Psiche, Palazzo del Te, Mantua
325
326
7. Strategien der Souveränität: Antikenimport
und,
Reproduktionshoheit
ters erfüllten und die „Katastrophe" der „zerschmetterten Form" 161 auf die Spitze trieben, indem sie tatsächlich zusammenstürzten und die Riesen trotz ihrer verzweifelten Stützversuche unter sich begruben, gehen in der Grotte in Fontainebleau eine Art von anthropomorpher Verschmelzung mit ihren Opfern ein. Die Grottenfront transformiert Giulios Riesen-Gemälde ins Dreidimensionale (Tafel 49). Die Fragmentierung der Körper aber bleibt erhalten - auch die Atlanten sind Kompositwesen wie das im zweiten Kapitel behandelte Porträt des französischen Königs, zusammengesetzt aus Natur und Kunst nach dem freien Willen des Künstlers, der in einem beherrschenden Schöpfungsakt Künstlichkeit hervorbringt und dort anbringt, wo es seinen Wünschen entspricht. Die Fassade der Grotte in Fontainebleau hält die Dialektik von Natur und Kunst, von Formgenese und Formzerstörung virtuos-ambivalent in der Schwebe. Sie überträgt die Formel zerstörerischer Formauflösung aus Giulios Gemälde in der Architektur in die dritte Dimension und geht damit über die doch zuweilen recht plakativ-eindeutigen Witze der Sala dei Giganti hinaus. Primaticcios Steinfiguren scheinen in einem Prozeß der Metamorphose erstarrt zu sein, 162 doch ist nicht zu entscheiden, ob sich menschliche Wesen in Stein verwandeln oder gerade aus dem Stein erwachsen. 163 Das Thema der wild wuchernden Grottennatur, das später am Eingang der genannten Grotte des Palazzo del Te eine Rolle spielen sollte, ist zwar in der Grotte des Pins noch nicht der Hauptgedanke. Doch scheinen die Kunstfiguren an den Pfeilern von der Formbildung der bossierten „Natur"steine umwachsen zu werden. Primaticcio treibt damit die von Serlio beschriebene Kunst/Naturmischung auf die Spitze: Nichts ist hier mehr geordnet und klassisch, alles ist naturhaftbossiert; aber gerade in diesem Eingriff, der durch die absurde Kombination bislang ungekannter architektonischer Elemente beständig auf seine Artifizialität verweist, zeigt sich die Leistung einer Kunst, die nicht mehr kontrastiv glatte Flächen und klassische Ordnungen anbringen muß, 164 um höchste architektonische Könnerschaft unter Beweis zu stellen. 165 Der Gesichtsausdruck der Figuren, die sich einander jeweils paarweise zuwenden, scheint dem Schmerz des Unterworfenseins unter ihren omnipotenten Schöpfer Ausdruck zu verleihen. Die formale Einteilung der Körper in streng voneinander abgegrenzte Areale, 166 die den Eindruck der Künstlichkeit noch verstärkt und sie als Versatz-Baustücke künstlerischer Phantasie erscheinen läßt, geht vielleicht auf zeitgenössische medizinische und insbe-
161 Gombrich, ibid. 162 Bardati, La „Grotte des Pins" a Fontainebleau, p. 42 spricht v o n einer „metamorfosi in atto"; vgl. auch Frommel, Primaticcio architetto in Francia, p. 81, die auf einen möglichen Einfluß von Ovids Metamorphosen auf die Gestaltung dieser „poetischen" Grottenfassade hinweist. 163 Lecoq, „QVETI ET MVSIS H E N R I C I II. G A L L . R.", p. 1 1 0 verweist auf den Eindruck einer „perpetuelle transmutation", den die Innengestaltungen künstlicher Grotten der Renaissance erweckten. 164 Vgl. Miller, Domain of Illusion, pp. 185 f. 165 W i e Sabine Kühbacher richtig bemerkt hat, bekommen die „Atlanten" durch diese Artifizialität die Qualität von Kunstwerken in einer Sammlung: „Tutte le figure assumono un'aria artefatta, da pezzi di collezionismo, come parte di una composizione divertente"; Giulio Romano e la grotta di Fontainebleau, pp. 347s. 166 Dies bemerkt schon der Abbe Guilbert, wenn er in seiner Description historique, vol. 1, p. 95 schreibt: „[·..] plusieurs morceaux de gres rapportes, qui marquent regulierement les muscles & articles des differentes parties du corps".
7.5. Die Grotte als museion und ihr königlicher Kustode
327
sondere anatomische Traktate zurück. Dort wurde der menschliche Körper gewissermaßen kartographiert und in Regionen abgegrenzt, um ihn beherrschbar zu machen und mögliche Krankheitsherde präzise verorten zu können. 167
7.5. Die Grotte als museion
und ihr königlicher Kustode
Die Frage, wie Primaticcios Abgüsse in Frankreich zu Herrschaftszwecken vereinnahmt wurden, ist eng mit derjenigen nach ihrer ursprünglichen Aufstellung verknüpft. Da wir bedauerlicherweise nur den Hinweis Cellinis auf die temporäre Präsentation der Abgüsse in der Grande Galerie als Indiz für den frühesten Aufstellungsort haben (und nicht sicher sein können, ob diese Uberlieferung nicht wieder einmal allein seinem obsessiv agonalen Denken entspringt), müssen Hypothesen gebildet werden. Forschungsstrategisch sinnvoll wäre es zu fragen, welche Aufstellungsorte in Fontainebleau neben der Galerie überhaupt in Frage kamen. Janet Cox-Rearicks Überlegung, das angeblich im Pavillon des Armes eingerichtete Cabinet des Antiques habe der Aufbewahrung der Stücke gedient, 168 ist wenig plausibel, weil dieser Raum im Blick auf den Zeremonialweg des Schlosses zu abgelegen war und außerdem nicht über eine hinreichende Größe verfügte, um die Abgüsse wirkungsvoll zu präsentieren. Da dieser Aufbewahrungsort ohnehin erst um 1560 dokumentiert ist, 169 wäre es denkbar, daß dort nur diejenigen Abgüsse, die zu diesem Zeitpunkt nicht in das Gartenarrangement des Jardin de la Reine integriert wurden, untergestellt waren. 170 Auch Serlios Plan der Aufstellung von vier der Antiken in Nischen an der dem Grand Jardin zugewandten Fassade der Salle de Bai, den er im 7. Buch seines Architekturtraktats vorstellt 171 und illustriert, ist genuin „italienisch" gedacht, weil er der Originalaufstellung der
167 Als ein Beispiel sei hier auf Johannes de Kethams Fasciculus Medicine (Venedig 1491) hingewiesen; vgl. Stritt, Die schöne Helena in den Romruinen, Bd. 1, S. 43; Bd. 2, Abb. 45. 168 Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 336. Sie folgt hier Pressouyre, Les fontes de Primatice ä Fontainebleau, p. 231. Vgl. auch Guillaume, Fontainebleau 1530, p. 235, der die wenig überzeugende Hypothese formuliert, die Tür sei im Sinne eines „Aushängeschildes" als Hinweis für die dahinter befindliche Antikensammlung gedacht gewesen. Wenn überhaupt, deuten die Puttenpaare mit ihren Attributen eher auf eine Waffenkammer hin. - Die bereits zitierte Äußerung Calcagninos, er habe die Abgüsse „in una camera" gesehen, bezieht sich auf den Ort der Herstellung der Abgüsse, nicht auf denjenigen ihrer Aufbewahrung, denn es heißt ja dort: „che ivi in una camera, S . M . " Chr m> faceva fare". Außerdem sind die Abgüsse zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertiggestellt. 169 Vgl. Prinz/Kecks, Das französische Schloß der Renaissance, S. 424. 170 Auch das ursprünglich über der chambre du roi im Donjon befindliche „Cabinet", das zugleich chambre du tresor des Königs war, kommt aus Platzmangel als Aufbewahrungsort nicht in Frage. Es war eher ein den kleinen Objekten vorbehaltenes Kuriositätenkabinett nach Art einer Wunderkammer; vgl. hierzu Guilbert, Description historique, vol. 1, p. 112; Cox-Rearick, Chefsd'oeuvre de la Renaissance, pp. 372-375; Occhipinti, Ii „camerino" e la „galleria" nella Villa d'Este a Fontainebleau, pp. 604-606; 621s. 171 Vgl. Serlio, Architettura civile, p. 331: „[...] la parte da basso sarä una loggia publica, la longhezza della quale sarä piedi L X X X V I I et mezzo senza Ii dua mezzi circoli ne i quali sarano banche da sedere et levati da terra un grado; ma dissopra vi sarano piu banche a maniera di teatro dove le donne sederano, ma la loggia da basso si poträ bene ornare di sta[t]ue percio che nelli pilastri
328
7. Strategien der Souveränität: Antikenimport und
A b b . 85
Reproduktionshoheit
Francesco Primaticcio, Aile de la Belle Cheminee, 1568(?)—71, Fontainebleau
S t ü c k e i m B e l v e d e r e in N i s c h e n n a h e k o m m t . V i e l l e i c h t r e f l e k t i e r t P r i m a t i c c i o s A u f s t e l l u n g v o n v i e r S t a t u e n ( A p o l l , V e n u s , H e r k u l e s u n d M e r k u r ) u m 1 5 6 8 / 7 2 in d e n N i s c h e n d e r de la Belle
Cheminee
Aile
dieses K o n z e p t ( A b b . 85). E i n direkter B e z u g dieses G e b ä u d e s zu B r a -
m a n t e s B e l v e d e r e h ö f e n z e i g t s i c h in d e r K o m b i n a t i o n d e r R a m p e n t r e p p e m i t e i n e r m o n u m e n t a l e n M i t t e l n i s c h e . S e r l i o s a h f ü r s e i n e N i s c h e n ( w o h l aus F o r m a t g r ü n d e n )
entspre-
c h e n d die vier liegenden bzw. stärker h o r i z o n t a l ausgerichteten Statuen (den L a o k o o n , den T i b e r , d e n N i l u n d die K l e o p a t r a ) v o r . C a r m e l o O c c h i p i n t i h a t j e d o c h z u R e c h t d a r a u f h i n g e w i e s e n , d a ß in d e r e r s t e n P h a s e d e r A n t i k e n a u f s t e l l u n g ( n a c h 1 5 4 3 ) d i e F o n t a i n e b l e a u s c h e
davanti vi sono X I I I I nicchi et altro tanti ne sono verso lo giardino oltra Ii quatro nicchi all'incontro de gli archi, dove potran capere figure a giacere et anche piü di una figura a sedere c o m e saria il Laoconte, il Nillo et il Tevero, la Cleopatra ο altre simile figure, sopra Ii quai quatro nicchi in quei tondi si potrano mettere istorie di basso et di mezzo rilevo di marmo ο di b r o n z o et di pittura chi vorrä [ . . . ] . " Die Datierung dieses 7 . B u c h e s und damit verbunden die Frage, wann Serlio die Idee der Antikenplazierung entwickelte, ist nicht eindeutig zu klären. Fiore (in der Premessa zum L i b r o Settimo seiner Ausgabe der Architettura civile, pp. 2 4 9 - 2 5 9 ) geht davon aus, daß Serlio bereits 1537 eine Materialsammlung hierfür zusammengestellt hatte, die er dann während seines Frankreichaufenthaltes (ab September/Oktober 1541) ausarbeitete. D e r Erstdruck (Jacopo Strada) stammt von 1575.
7.5. Die Grotte als museion und ihr königlicher Kustode
329
Ästhetik nicht zu einer klassizisierenden Isolierung von Einzelstatuen in Nischen tendierte.172 Die für die Jahre nach 1560 dokumentierte Aufstellung einiger der Antiken (so des Spinario173) im Jardin de la Reine deutet vielmehr auf eine Tradition hin, die Stücke in die Gärten zu integrieren.174 In den Jahren nach 1534 verlagert sich der Schwerpunkt der architektonischen Ausgestaltung des Schlosses - wie Jean Guillaume175 sowie Fran9oise Boudon und Jean Blecon 176 gezeigt haben - von den die Cour du Donjon umgebenden Gebäudeteilen nach Südwesten. Nach einer ersten Baumaßnahme, die vor die Grande Galerie 1534 eine Terrasse über dem Küchentrakt als Kommunikationsweg parallel zu der vom König „privatisierten" Galerie legte, entstehen sukzessive der Pavillon des Poeles und die Galerie d'Ulysse (als Südbegrenzung der späteren Cour du Cheval blanc). Letztere bezieht sich übrigens funktional explizit auf den Ostflügel des römischen Belvederehofs und die dortige obere Galerie, die mit ihren ca. 300 m Länge die Verbindung zwischen dem päpstlichen Palast und der Villa Belvedere (und damit dem Statuenhof) herstellte.177 Weiterhin gelangte man auch im Vatikan über Bramantes berühmte Wendeltreppe in einen Garten, in dem sich ein Brunnen in rocaillengeschmückter Grotte befand.178 Eine analoge Funktion der Galerie d'Ulysse war ursprünglich, das Schloß mit dem im Westen gelegenen Garten zu verbinden.179 Das Bauensemble Pavillon des Poeles - Galerie d'Ulysse stellte damit gewissermaßen eine Verdoppelung der Gebäudefolge königliche Appartements - Grande Galerie dar.180 Gleichzeitig mit diesen Baumaßnahmen wird der später sogenannte Jardin des Pinsm (in den früheren Quellen „jardin dedans lequel y a une fontaine" 182 oder „jardin du clos de l'etang" 183 ) zwischen 1534 und 1538 als erster der Gärten von Fontainebleau einer umfassenden Um- und Ausgestaltung unterzogen. Ein Ausgang aus der Galerie d'Ulysse direkt neben der Grotte gewährleistete den Zugang zu diesem Garten und ist auf Israel Silvestres Stich um 1650 noch gut sichtbar (Abb. 86). Eine generelle Neuorientierung des Schlosses zum Teich und dem „Jardin du clos de l'etang" hin läßt sich seit 1536 konstatieren, eine Ausrichtung, die noch durch das „Belvedere" vor dem Pavillon des Poeles zum Garten unterstrichen wird. 1535 werden
172 Occhipinti, Primaticcio e l'antico, p. 39. 173 Pressouyre, Les fontes de Primatice ä Fontainebleau, p. 232. 174 Aufgrund welcher Quelle Gibbon (Bronzes de Fontainebleau, p. 11) annimmt, Primaticcio habe seit 1539 dem König nahegelegt, seine Gärten mit Bronzeabgüssen zu schmücken, bleibt unklar. 175 Hierzu und zum folgenden: Beguin/Guillaume/Roy, La Galerie d'Ulysse, pp. 36-43. 176 Boudon/Blecon/Grodecki, Le chateau de Fontainebleau, pp. 169-183. 177 Beguin/Guillaume/Roy, La Galerie d'Ulysse, p. 41 verweisen explizit darauf, daß der Vergleichspunkt nicht die formale Gestaltung, sondern die Funktion der beiden Gebäudeteile war. 178 Beguin/Guillaume/Roy, ibid., p. 42. 179 Ibid., pp. 39s. 180 Ibid., pp. 40s. Diese Parallele verstärkt sich nach 1551/56 noch, als Henri II seine Gemächer in den Pavillon des Poeles verlegt und somit wie schon sein Vater auch seine chambre du roi vor den neuen Galerieeingang transferiert; vgl. Primatice. Maitre de Fontainebleau, pp. 292s. 181 Hierin auch eine Anspielung auf die monumentale römische Pigna sehen zu wollen, geht wahrscheinlich zu weit, zumal diese zwar bereits von Innozenz VIII. in den Belvedere überführt worden war, jedoch 1540 noch nicht ihren prominenten Platz im nicchione eingenommen hatte. 182 Vgl. z.B. Laborde, Comptes des bätiments du roi, vol. 1, p. 67. 183 Vgl. z.B. Laborde, ibid., pp. 195; 202.
330
7. Strategien der Souveränität:
Abb. 86
Antikenimport
und
Reproduktionshoheit
Israel Silvestre, G r o t t e des Pins und Pavillon de Pomone, um 1650
dort die später namengebenden Pinien ausgesät und Rosen, Orangenbäume und Weinreben angepflanzt, um den Eindruck eines italienischen Villengartens zu erzielen; weiterhin legte man mehrere neue Kanäle an.184 Zwei „fabriques" 185 avant la lettre werden als besondere Attraktionen dieses Gartens errichtet: Der nicht mehr erhaltene Pavillon de Pomone (um 1534/35 von Rosso begonnen und wahrscheinlich nach 1540 von Primaticcio weitergeführt; Abb. 87)186 und die genannte Grotte. Der Pavillon markierte mit seinen Ausmalungen und seiner Lage am äußersten westlichen Punkt des Schloßgeländes den Ubergang vom Wald in die Gartensphäre, von der wild wuchernden Natur in die kultivierte Gartengestaltung, die jedoch in der Symbiose von Vertumnus und der Frucht- und Gartengöttin Pomona beide Aspekte in sich vereinte. Der]ardin des Pins war ja - in der Terminologie des 18. Jahrhunderts - gerade kein französischer, symmetrisierter und gestutzer Garten mit Bosquetten, sondern zeigte charakteristische Merkmale des italienischen Landschaftsgartens. Thomas Coryate berichtet von seinem Besuch in Fontainebleau im Jahre 1611 187 nicht nur, er habe eine Brunneninstallation mit einem Romulus im Grand Jardin gesehen (mit dem er - wohl aufgrund der Lupa mit den Zwillingen - den Tiber verwechselt): „In one 184 Guillaume/Grodecki, L e jardin des Pins, p. 45; Bardati, La „Grotte des P i n s " a Fontainebleau,
P· 39. 185 Diese Funktion reklamiert Guillaume für die Porte Egyptienne:
Fontainebleau 1530, p. 235.
186 Vgl. zu diesem Datierungsvorschlag: Primatice. Maitre de Fontainebleau, pp. 2 0 8 - 2 1 2 . 187 D e r vollständige Text der Fontainebleau-Beschreibung im Anhang dieser Arbeit.
331
Abb. 87
Leon Davent (nach Primaticcio), Der Garten des Vertumnus, um 1541/43
of the gardens there is another stately font, in whose middle there is another excellent artificiall rocke with a representation of mosse, and many such other things as pertaine to a naturall rocke. At the toppe of it there is represented in brasse the Image of Romulus very largely made, lying sidelong & leaning vpon one of his elbowes. Vnder one of his legs is carued the shee Wolfe, with Romulus and Remus very little, like sucklings, sucking at her teats." 188 Er glaubt darüber hinaus auch, die Gemahlin des Romulus, Hersilia, entdeckt zu haben - wobei es sich nur um die Kleopatra handeln kann, da er sie als liegend beschreibt: „Also the statue of Hersilia Romulus his wife is made in brasse, and lyeth a prety way from that fountaine vnder a part of the wall of one of the galleries." 189 Janet Cox-Rearick deutet diese Äußerung dahingehend, daß sich die Statue (entsprechend dem Serlio-Entwurf) in einer Arkadennische unterhalb der Salle de Bai befunden haben müsse.190 Ich möchte jedoch eine alternative Lesart vorschlagen: Könnte es sich nicht ebensogut um die Aufstellung der Statue in der Grotte des Pins handeln, die ja unter bzw. neben der Galerie d'Ulysse zu finden ist? Die Salle de Bai ist schließlich keine Galerie, wie Coryate den Gebäudeteil explizit nennt; die Grotte aber paßt auch zu der angegebenen Entfernung vom Grand Jardin und bleibt zudem im Gartenkontext, der im Text an dieser Stelle das Hauptthema ist. Coryates Lokalisierungsangabe „vnder a part of the wall" betont zudem die nicht unmittelbar sichtbare Aufstellung, wie sie in der Grotte gegeben wäre. Meine Hypothese (die sich
188 Coryats Crudities 1611, p. 39. 189 Ibid., pp. 39f. 190 Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 355.
332
7. Strategien der Souveränität:
Antikenimport
und
Reproduktionshoheit
bislang in der Literatur nur auf zwei knappe und argumentativ nicht ausgeführte Hinweise bei Guillaume stützen kann 191 ) lautet, daß die Antikenabgüsse in den Jahren zwischen 1543 und 1560 im Jardin des Pins und teilweise auch in oder im Umfeld der Grotte des Pins aufgestellt waren.192 Die oben beschriebene inhaltliche Vereinnahmung einzelner Statuen machte diese in besonderer Weise „staffagefähig", so daß sie ideal in ein Gartenensemble integriert werden konnten; auch war die Bronze als Material für eine Aufstellung im Freien besonders geeignet. 193 1541-43 läßt Francois I er von Primaticcio einen Herkulesbrunnen in der Basse Cour errichten und liefert damit ein vergleichbares Beispiel für die Integration einer berühmten Statue (Michelangelos Herkules) in ein neugeschaffenes Dekorationsensemble im Gartenkontext. 194 Glücklicherweise muß sich unsere Indizienführung aber nicht allein auf den einen Satz des Engländers Coryate stützen. Auch die römischen Originale waren ja in einem mediterran bepflanzten Giardino segreto195 aufgestellt, wie bereits venezianische Botschafter berichten: „si entra in un bellissimo giardino, la metä del quale e piena di fresca erba e di lauri, e di mori e di cipressi; Paltra metä e selciata a quadri di terra cotta in coltello, e da ogni quadro esce del selciato un bellissimo arancio, dei quali ve n'ha grand copia, posti con perfetto ordine." 196 Der Belvederehof war in der Terminologie der zeitgenössischen Quellen ein viridarium, ein Lustgarten also, der vom hortus, dem Nutzgarten, streng unterschieden wurde.197 Auch die Originalstatuen waren somit im Gartenkontext angesiedelt und dienten als dessen ornamentum.m Die Bedeutungen, die sie in der antiken Mythologie hatten, waren durch die Inszenierung im Statuenhof bereits metaphorisch transformiert und dem päpstlichen Deutungsprimat in seiner jeweiligen programmatischen Ausprägung unterworfen worden. Dasselbe geschieht in Fontainebleau mit den Abgüssen, ohne daß dieses „Programm", wie oben gezeigt, eine absolute Stringenz gehabt hätte; vielmehr war es mit Anspielungen unterschiedlichster Art aufgeladen. Die arkadisch-antikischen Gartengefilde, in die die Abgüsse Primaticcios meiner Hypothese nach integriert waren, stellten in gewisser Weise eine Travestie des „klassischen" Arkadiens dar und paßten damit ideal in das höfische Travestiespiel von Fontainebleau, dessen Libero der König selbst war. Die Schloßgärten waren in der Imagination der Zeitgenossen, die vor allem durch die Bildwelt 191
Guillaume/Grodecki, Le jardin des Pins, p. 48; wieder aufgenommen in: Beguin/Guillaume/Roy, L a Galerie d'Ulysse, p. 42, n. 91.
192 Sollte sich diese Hypothese als tragfähig erweisen, so würde sie die Behauptung von ChäteletLange (Die Statue „ä l'antique", S. 97) widerlegen, daß es in Frankreich erst in der „späteren Renaissance" monumentale Gartenstatuen gegeben habe. Sie macht ihrerseits jedoch keinen Vorschlag, w o sich die Abgüsse in Fontainebleau befunden haben könnten. 193 Jestaz, Les moulages d'antiques, p. 27. 194 Hierzu ausführlich Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 3 0 4 - 3 0 7 . 195 Geese, Antike als Programm, S. 25. 196 Anonymus, Sommario del Viaggio degli oratori Veneti che andarono a R o m a a dar l'obbedienza a Papa Adriano VI, zit. n. Brummer, The Statue Court, p. 266. 197 Vgl. Daltrop, Nascita e significato della raccolta, p. 118; Brummer, The Statue Court, pp. 18; 212; 219. - Der Jardin
des Pins in Fontainebleau erfüllte beide Funktionen, er war viridarium
und
hortus zugleich, denn neben den Pinien, Rosen und Weiden diente ein Teil des Gartens als Obstgarten des Schlosses; vgl. Guillaume/Grodecki, Le jardin des Pins, p. 45. 198 Vgl. Brummer, The Statue Court, p. 18: „Would it not be appropriate to consider the antique installations as parts of a garden setting which was conceived as an aesthetic unity of ancient modern?"
7.5. Die Grotte als
museion
und ihr königlicher
Kustode
333
der Festaufzüge beflügelt wurde, von Nymphen und Satyrn bevölkert, die dieser ungebändigten Antike im positiven Fall ein bukolisches, im negativen ein bacchantisch-überbordendes und wild-erotisches Gepräge gaben. Bereits die vatikanische Kleopatra wurde, wie gesagt, aufgrund ihres Arrangements über einem als Brunnentrog genutzten Sarkophag als Nymphe gedeutet.199 Nymphen aber wurden - ebenso wie Apoll 200 - mit Grotten in Verbindung gebracht, Vergils berühmtem Diktum der „Nympharum domus" folgend.201 Der Gründungsmythos des Schlosses Fontainebleau wiederum war eng mit dem Nymphenthema verbunden. Die antiquarischen Forschungen des Pere Dan ergaben zwar, daß der (durch Goltzius in seinem Itinerario GallicoBelgico begründete) Mythos vom vermißten Jagdhund Bleau, der nach langem Suchen an einer Quelle wiedergefunden wurde, so daß diese in Kombination mit dem Hundenamen (Fontaine-Bleau) namensgebend für den Ort wurde, bereits lange vor der Regierungszeit I'ra^ois' Ier begründet worden war.202 Jedoch gibt es im 16. Jahrhundert eine Tradition, die die Geschichte dahingehend erweitert, daß der König selbst von Bleau während eines Jagdausflugs zu der Nymphe an der Quelle geführt wurde - Hunde sind daher auch omnipräsent in den Dekorationen der Grande Galerie. Cellini berichtet im Zusammenhang mit seinem Auftrag für das Portal der Porte doree von einer „bella fonte" in Fontainebleau (was sich gleichermaßen auf den Ort als solchen wie auch auf den Nymphenbrunnen im Piniengarten beziehen kann),203 und der Abbe Guilbert macht eine Nymphengrotte daraus, wenn er 1731 schreibt, Frangois Ier habe über diesem Brunnen im westlichen Teil des Schloßgartens „une espece de voüte en forme de Grotte" errichten lassen, „ou etoit representee ä fraisque la pretendue Histoire du chien qui avoit trouve cette Fontaine."204 All dies legt die Vermutung nahe, daß sich zumindest die Kleopatra in der Grotte des Pins befunden haben könnte, um dort die Stelle einer zweiten Nymphe von Fontainebleau einzunehmen. Die Frage, ob in dieser Grotte - wie in Nymphengrotten üblich - ursprünglich auch Wasser zu finden war oder nicht,205 läßt sich mit dem Hinweis auf die Groteskenausstattung des Gewölbes, die vor allem Wasservögel und Fische zeigt, positiv beantworten.206 In dieser 199 Brummer, ibid., p. 168 spricht von der „second identity" der Kleopatra als Nymphe. Diese Deutung wurde nach ihrer Uberführung 1550 in die Stanza delta Cleopatra noch verstärkt; vgl. Brummer, ibid., pp. 254-257. 200 Vgl. Elderkin, The Natural and the Artificial Grotto, pp. 125; 132. 201 Aeneis, 1,167 f. Dort wird diese Grotte auch mit Wasser in Verbindung gebracht: „Intus aquae dulces vivoque sedilia saxo, / Nympharum domus [...]". 202 Fontainebleau, le tresor des merveilles, pp. Iis. 203 Cellini, Vita, p. 429. 204 Guilbert, Description historique, vol. 2, p. 100. 205 Der Abbe Guilbert berichtet von der Existenz zweier „bassins bordes de cristal, d'ou jaillissoient deux tres-belles Fontaines en forme de jets d'eau" (Description historique, vol. 1, pp. 96s.); Kühbacher, Giulio Romano e la grotta di Fontainebleau, pp. 354 und 358 geht von der Existenz von Wasserbecken in der Grotte aus, während Bardati annimmt, es handle sich um eine grotta secca (La „Grotte des Pins" a Fontainebleau, p. 40). 206 Dimier, Recherches sur la grotte, pp. 83s. Er nennt explizit Schwäne, Reiher, Hühner, Enten, Karpfen und Delphine (ibid., p. 91); vgl. id., Le Primatice, pp. 311. - Vgl. auch Guilbert, Description historique, vol. 1, p. 96: „poissons & oiseaux". Damit wären die beiden bestimmenden Elemente der Grotte gekennzeichnet - im unteren Bereich das Wasser, im oberen die Öffnung hin zur Luft und zum Äther in den freskierten Rotunden mit den beiden sitzenden Göttinnen.
334
7. Strategien der Souveränität: Antikenimport
und
Reproduktionshoheit
Innengestaltung finden sich auch vier Hundeköpfe, die einen erneuten Hinweis auf den legendären Bleau geben. 207 Die perspektivisch gestalteten Bögen der Grottenfront entfalten eine Art Sogwirkung ins Innere, in das man über einige Stufen hinabsteigt. Die beiden Deckenfresken Primaticcios, die Minerva und Juno zeigten, 208 weisen diesen Innenraum der Sphäre der Weiblichkeit zu. Damit kontrastiert die rauhe Fassade, die mit ihren durchweg männlichen Figuren eine eher apotropäische Wirkung entfaltet, so daß der Betrachter einem Wechselspiel aus Angezogenund Abgestoßensein ausgesetzt ist. Was in der nicht erhaltenen mittleren Szene 209 zwischen den beiden Göttinnen-Fresken ursprünglich zu sehen war, kann nur Gegenstand von Spekulationen sein. Denkbar wäre natürlich eine Ergänzung von Minerva (als seiner Kopfgeburt) und Juno (seiner Gattin) durch Jupiter, 210 zumal dieser auch unter den abgegossenen Antiken nicht zu finden war und so die Grottendecke den fehlenden Abguß hätte ersetzen können. Die pagane Dreifaltigkeit, die über Rom wacht, wäre damit vollständig gewesen. Doch gibt es eine ikonographisch ebenso plausible Götterkonstellation, die - dem weiblichen Kontext entsprechend - zudem eine reine Göttinnenversammlung gewesen wäre und darüber hinaus noch durch ein Vorbild von Primaticcio in Fontainebleau selbst gestützt werden kann: Die sogenannte Galerie Basse (erbaut bis 1539 und ausgestaltet bis Anfang 1542), 211 die sich zum Teich hin unter der Terrasse des genannten Belvedere vor dem Pavillon des Poeles öffnete, stellte die „klassische" Variante der rustikalen Grottenfassade dar. Sie entsprach der Grotte in ihrer - auf die Galerie d'Ulysse bezogen - spiegelsymmetrischen Plazierung und in ihrer Funktion als Erdgeschoß eines Pavillons. 212 Auch ihre Öffnung war dreibogig, so daß sie ebenso wie die Loggia delle Muse in Mantua als Bezugspunkt für die Grottenfassade interpretiert werden muß. Ihre Zwickel im Innern waren darüber hinaus 207 Laborde, Comptes des bätiments du roi, vol. 1, p. 195; dort ist eine Zahlung an Jean Leroux, genannt Picard, und Dominique Florentin dokumentiert, „pour avoir fait la figure d'un chien en fagon de grotesque de petits cailloux de diverses couleurs." Vgl. auch Dimier, Recherches sur la grotte, p. 86; id., Le Primatice, p. 311. 208 Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, p. 58 schließt eine (erneute) Zusammenarbeit Primaticcios mit Vignola an der Grottendecke nicht aus. Somit hätten die beiden Künstler, die die Antiken in Rom gemeinsam abgegossen hatten, auch deren künftigen Aufstellungsort gemeinsam gestaltet. 209 Der heutige Zustand dieses zentralen Freskos spricht in seiner Emblematik eher für eine Ausgestaltung unter Henri II; vgl. Kühbacher, Giulio Romano e la grotta di Fontainebleau, pp. 3 5 4 357; Primatice. Maitre de Fontainebleau, p. 217. Bardati, La „Grotte des Pins" a Fontainebleau, p. 42 schließt aufgrund des einzig erhaltenen Halbmondes auf eine ursprüngliche Diana-Darstellung. 210 Denkbar wäre eine Dekoration wie die vom Maitre GR gestochene Darstellung „Jupiter, Mercure et autre personnage" (nach Primaticcio); vgl. Primatice. Maitre de Fontainebleau, pp. 198s., n° 74. - Eine vergleichbare Götterkonstellation, in der die Büste des Königs den Göttervater vertrat, befand sich, wie erwähnt, eventuell schon im 16. Jahrhundert über der Porte royale in der Cour du Donjon. 211 Hierzu Boudon/Blecon/Grodecki, Le chateau de Fontainebleau, pp. 43; 176; plan VII; figg. 127129; Beguin/Guillaume/Roy, La Galerie d'Ulysse, pp. 9-26; Primatice. Maitre de Fontainebleau, pp. 169s. 212 Dominique Cordellier (in: Primatice. Maitre de Fontainebleau, p. 170) verweist zum Vergleich auf den „dispositif decoratif" Giulio Romanos für die Loggia dei Marmi im Palazzo Ducale und für die Loggia di Davide im Palazzo del Te in Mantua.
7Λ. Die Grotte als museion und ihr königlicher
Kustode
335
angelehnt an die Lünettendekorationen in der Sistina213 - von Primaticcio mit den neun Musen und mit dem Dreigestirn Venus, Juno und Minerva geschmückt.214 An der Decke der Grotte könnte sich somit auch eine Venusdarstellung befunden haben - und ich halte es für wahrscheinlich, daß Primaticcios Zeichnung „Venus assise dans les nuees" die Vorzeichnung für diese zentrale Dekoration der Grotte ist (Tafel 50).215 Wie bei den beiden Entwürfen für die Tondi handelt es sich bei dieser auf Wolken sitzenden Venus celestis in Untersicht um eine weißgehöhte Rötelzeichnung. Alle drei Frauengestalten hätten in diesem hypothetischen Ensemble die gleiche Blickrichtung, und die illusionistische Beleuchtung der beiden flankierenden Tondi (einmal von links und einmal von rechts) würde sich aus der nicht näher definierten Lichtquelle in der Venus-Darstellung von hinten rechts oben erklären. Alle drei Entwürfe zeichnen sich weiterhin durch die „mantuanisch" konnotierte Plazierung a cielo aperto aus.216 Ein weiteres Indiz für die enge Verbindung zwischen Primaticcios Bronzen und der Grotte ist die Nennung der Antikenabgüsse in einem Zug mit Zahlungen für die Ausgestaltung der Grotte in den Comptes des bailments du roi.2U Flaminia Bardati hat darüber hinaus überzeugend nachgewiesen, daß Primaticcio einem der gefangenen „Atlanten" den Laokoon-Kopf aufgesetzt und damit ein herausragendes exemplum doloris zitiert hat.218 Weiterhin glaubt sie, die Köpfe des Merkur, des Apoll und eines der Satyrn della Valle in den Figuren zu erkennen, während ihre Körperformen dem Vorbild des Hercules Commodus entsprächen.219 Diese raffinierten Antikenzitate an der Grottenfront sollten die Grotte, so Bardati, möglichst antikisch gestalten.220 Wären die Belvedere-Abgüsse tatsächlich im Umfeld der Grotte piaziert gewesen, würde dies auch ihre abgewandelte zitathafte Verdoppelung an der Grottenfassade erklären.221 Darüber hinaus gibt es einen prominenten Parallelfall für eine französische Grotte, die zur Aufbewahrung von Antiken diente: Im berühmten Palais de la Grotte von Meudon,222 den Primaticcio zwischen 1552 und 1558 für 213 Primatice. Maltre de Fontainebleau, p. 170. 2 1 4 Vgl. Dimier, Le Primatice, pp. 52; 305s.; 431s.; 489s.; Primatice. Maitre de Fontainebleau, pp. 1 6 9 180. 2 1 5 Die Tatsache, daß diese Zeichnung (die später in Vasaris Besitz kam) keinem der bekannten Dekorationsensembles in Fontainebleau eindeutig zuzuordnen ist und im Katalog Primatice. Maitre de Fontainebleau, pp. 341s., unter der Notkategorie „Les oeuvres dans le style de la galerie d'Ulysse" geführt wird, stützt meine Hypothese. 2 1 6 Vgl. Eschenfelder, Die Bäder Franz I., S. 31; ead., Les bains de Fontainebleau, p. 47. Miller spielt die Möglichkeit f ü r eine Darstellung Pans in der Mitte der Decke durch, nennt als Alternative aber auch Venus; Domain of Illusion, pp. 192 f. 2 1 7 Laborde, Comptes des bätiments du roi, vol. 1, p. 202; vgl. Kühbacher, Giulio Romano e la grotta di Fontainebleau, p. 357. 2 1 8 Hierzu Settis, Laocoonte di bronzo, Laocoonte di marmo, p. 130; Ettlinger, Exemplum doloris; Bardati, Les bronzes d'apres l'antique, passim. 2 1 9 Bardati, ibid., pp. 162s. 220 Ibid., p. 163. 221 Die Einteilung in männlich geprägte Außenseite und weiblich konnotiertes Inneres ließe vermuten, daß sich außer der Kleopatra eventuell auch noch die Venusstatue in der Grotte befand, während die männlichen Antiken im ]ardin des Pins ausgestellt waren. 222 Vgl. Bourel le Guilloux, II castello e la grotta di Meudon; Frommel, Primaticcio architetto in Francia, pp. 9 6 - 1 0 6 .
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7. Strategien der Souveränität:
Antikenimport
und
Reproduktionshoheit
Charles, Cardinal de Lorraine, errichtete, waren Antiken und moderne Skulpturen aufgestellt, wodurch seine Funktion als „Museion" 223 im doppelten Wortsinn unterstrichen wurde. Um in Fontainebleau zum museion zu gelangen, mußte der Besucher zuerst den gesamten Zeremonialweg durch das Schloß durchlaufen.224 Er begegnete dabei gleich zu Beginn einem Hinweis auf das, was ihn am Ende erwartete: In der Porte doree konnte er nämlich eine Figur betrachten, die in der üblich hybriden Weise gleich mehrere Götterallusionen in sich vereinte - den Herkules in Omphales Frauenkleidern (vgl. Abb. 54). Er scheint im Vorgriff auf das Bildrepertoire im Umfeld der Grotte aus Teilen der bekanntesten römischen Antiken zusammengesetzt. Seine Fuß- und Beinstellung entspricht der des Apoll vom Belvedere, der Korpus stammt vom Torso, die Armhaltung zitiert den Hercules Commodus, und sein Handgestus schließlich persifliert den imperialen Gruß des Marc Aurel. 225 Und hätte Cellini sein Projekt für die Tordurchfahrt je realisiert, so wären dem Besucher gleich zu Beginn des Zeremonialweges zwei Satyrn und eine liegende Nymphe begegnet, die in deutliche Konkurrenz zu Primaticcios Abgüssen der Satyrn della Valle und der Kleopatra getreten wären.226 Reproduktion war also auch eine Strategie, die fontainebleau-intern zur Anreicherung des dortigen Kunstkosmos eingesetzt wurde.227 Auch die Ikonographie im Innern der Galerie d'Ulysse, die der Betrachter ja ebenfalls durchlaufen mußte, um zu der exzentrisch gelegenen Grotte zu gelangen, gab in ihrer Deckengestaltung, die zu Lebzeiten von Francois I er nur etwa bis zur Hälfte ausgeführt, jedoch wohl schon in Gänze um 1541-43 entworfen war,228 Hinweise auf das Bildrepertoire, das ihn nach Verlassen der Galerie erwartete. Bereits im 10. Kompartiment der Galeriedecke hatten Flußgötter auf die im Garten zu gewärtigenden Attraktionen hingewiesen, und die Vorbereitung auf die Antikenabgüsse wurde in den beiden letzten Kompartimenten
223 Golson, Serlio, Primaticcio and the Architectural Grotto, p. 99; Bardati, La „Grotte des Pins" a Fontainebleau, p. 43; Lecoq, „QVETI E T MVSIS H E N R I C I II. GALL. R.'\ p. 101: „Enfin, un peu partout, sans qu'on puisse preciser exactement oü, etaient presentees des pieces de l'importante collection d'antiques du cardinal: une nymphe couchee, Diane chasseresse, Venus et Cupidon, deux autres Venus tenant des conques marines, des bustes d'empereurs et de philosophes. Ronsard laisse entendre qu'une Minerve et un petit Bacchus tenant une grappe de raisin encadraient l'entree." - Plinius d.A., Naturalis historia 36,154 setzt die Grotte mit dem museion gleich. Bereits das museion in Alexandria wurde unter Ptolemaios I Soter zur Sammelstätte von Texten und diversen Kulturgütern, die vor der Vernichtung gerettet werden sollten - eine Hauptaufgabe des modernen Museums klang somit dort bereits an. Man denke auch an Isabella d'Estes „grotta" im Palazzo ducale in Mantua, in der sie Teile ihrer Kunstsammlung aufbewahrte; vgl. Miller, Domain of Illusion, p. 190, Anm. 48. 224 Vgl. Kapitel 6.1.4. dieser Arbeit. 225 Cox-Rearick, Chefs-d'oeuvre de la Renaissance, pp. 303-311 sieht hierin auch ein Zitat des Fontainebleauschen Herkules des Michelangelo. 226 Vgl. hierzu Bliss, Cellini's Satyrs for the Porte Doree, pp. 86 f. 227 Auf Rossos Zitate der Belvedere-Antiken in der Grande Galerie wurde bereits hingewiesen: Neben der Venus und der Kleopatra verwendet er auch den Apoll als Vorbild der Stuckfigur neben der „Piete filiale", und der sterbende Adonis zitiert erneut die Armhaltung der Kleopatra. 228 Das folgende nach Sylvie Beguins Rekonstruktion der Ausstattung; vgl. Beguin/Guillaume/Roy, La Galerie d'Ulysse, pp. 126s. Zur Galerie d'Ulysse vgl. auch Mignot, Fontainebleau revisite: La galerie d'Ulysse; Fiorenza, Francesco Primaticcio's epic revision at Fontainebleau.
7.5. Die Grotte als museion und ihr königlicher
Kustode
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vor dem Ausgang in den Jardin des Pins noch verstärkt, denn dort sah man im vorletzten Jupiter und Juno, umgeben von Apoll, den Grazien und den Musen, im letzten dann Flora mit Nymphen. Primaticcio sollte in der erst sehr viel später (nach 1552 bis 1570) konzipierten und ausgeführten Bemalung der Wände mit den Irrfahrten und der Heimkehr des Odysseus diesen Aspekt der Transformation und der Ubergänge zwischen Chaos und Ordnung, Kunst und Natur, Wildheit und Zivilisiertheit noch einmal deutlich akzentuieren: Am westlichen Ende der Galerie sollte sich nämlich zugleich der (herrschaftspolitisch gedeutet) prekärste Moment der Erzählung und die entscheidende Wende in der istoria vom Umherirren des Helden zur Rückkehr in die Heimat vollziehen. Der narrative Ablauf der Besichtigung der südlichen Wandgestaltung der Galerie endete mit Odysseus' Aufbruch von Alkinoos. Kam der Betrachter von der Garten-, Grotten- und Antikenbesichtigung zurück, so fand er an der Nordwand Odysseus schlafend - und damit im höchstmöglichen Zustand der Transition befindlich und so ideal auf einen rite de passage vorbereitet - vor, wie er zu seinem Schiff getragen wird, um in die Heimat gebracht zu werden. Folgte er dann der Nordwand zurück bis zum Ausgang am Pavillon des Poeles, so wurde er Zeuge, wie Odysseus Zeus im Vestibül der Porte doree vergleichbar - Schritt für Schritt seine häusliche Herrschaft wiederherstellte und damit ein exemplum der Ordnungs- und Machtrestitution auch im politischen Sinne statuierte. Odysseus, der Listenreiche, war ebenso redegewandt wie der gallische Herkules und wurde daher ebenfalls zu einer Identifikationsfigur des alternden Königs. Über dem Ausgang der Galerie schließlich thronte erneut im Deckenfresko ein siegreicher Jupiter (der bereits unter Frangois Ier dort saß), der über seinem streng hierarisch in Sphären gegliederten Olymp präsidierte. 229 So wurden im zeremoniellen Besichtigungsparcours des Schlosses am Anfang ( P o r t e doree), in der Mitte ( G r a n d e Galerie), auf dem Weg nach Westen ( G a l e r i e d'Ulysse) und schließlich am äußersten Endpunkt (Jardin des Pins und Grotte) imperial-römische Zeichen gesetzt, die jedoch nicht vordergründig affirmativ daherkamen, sondern durch Transformation gebrochen waren. Mit der Inszenierung der Belvedere-Antiken im Garten, auf die der Betrachter durch eine sich allmählich verdichtende Kette von bildlichen Anspielungen vorbereitet worden war, demonstrierte der König einen wahrhaft souveränen Umgang mit seinem zeichenhaften Machtpotential. Vasaris Diktum von Fontainebleau als einem neuen Rom wurde bereits mehrfach erwähnt: [...] fu richiamato da Roma il Primaticcio. Perche imbarcatosi con i detti marmi e cavi di figure antiche, se ne torno in Francia, dove innanzi ad ogni altra cosa getto, secondo che erano in detti cavi e forme, una gran parte di quelle figure antiche; le quali vennono tanto bene, che paiano le stesse antiche, come si puo vedere lä dove f u r o n o poste nel giardino della reina a Fontanableo, con grandissima sodisfazione di quel re, che fece in detto luogo quasi una nuova Roma. 2 3 0
229 Primaticcio scheint hier Correggios Deckenausmalung des Domes von Parma zu rezipieren - und zu paganisieren, indem er Jupiter an die Stelle des Christus in den Himmelssphären setzt, während der Neptun im Vordergrund eher an die monumentalen Apostelgestalten in der Kuppel von S. Giovanni Evangelista in Parma erinnert. 230 Vasari (Barocchi), vol. 6, p. 144; vgl. hierzu auch Jestaz, Les moulages d'antiques, p. 25. Es ist jedoch, wie oben gezeigt, höchst unwahrscheinlich, daß der von Vasari betonte illusionistische Effekt Absicht der Abgüsse war, die ja allein durch ihre Materialdifferenz schon deutlich auf die Abweichung vom Original hinwiesen.
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7. Strategien der Souveränität: Antikenimport
und
Reproduktionshoheit
Gemeint ist im Kontext der Primaticcio-Vita damit wohl erst einmal ganz konkret, daß durch die Abgüsse der Belvedereantiken ein zweiter Belvederehof und somit ein zweites Rom auf französischem Boden entstanden sei.231 Vasari, als Italiener, mindert diesen Anspruch allerdings sogleich zu einer „quasi nuova Roma" herab, einer Kopie, die nur „fast" an das Original heranreicht. Auch Mantua bezeichnet Vasari im Kontext der GiulioRomano-Vita als neues Rom, wobei hier offensichtlich die spezifische maniera Giulios als des Erben Raffaels ausschlaggebend dafür war, daß dieser Ort gleichermaßen „sempre anticamente moderna e modernamente antica" 232 war. Doch im Falle von Fontainebleau entging Vasari das spezifisch Neue dieser französischen Roma renovata, das in der Zuspitzung des Äewowfio-Gedankens mittels der Reproduktion bestand: Die Integration der Antiken in die Fontainebleausche Ikonographie dokumentierte ein Veränderungsrecht, das zugleich einer gänzlichen Appropriation gleichkam. Es nutzt den ideologischen Überschuß der päpstlichen Statueninszenierung, schafft aber durch neue Kontextualisierung etwas genuin Neues, das ein Anderes (und damit implizit immer auch ein dem alten Rom Überlegenes) ist. Ein vergleichbares Strukturprinzip der Vereinnahmung römischer Kunst in den französischen Kontext konnte bereits anhand der Grande Galerie herausgearbeitet werden, die eine Vielzahl von transformierenden Aneignungen der größten römischen Kunstvorbilder aufwies - und zwar sowohl antik-imperial-römischer als auch päpstlicher. Die vollständige Vereinnahmung der Kunstvorbilder gibt dem neuen Besitzer das Recht, sie erneut zu reproduzieren, sie zu transformieren und sie seinen Deutungen Untertan zu machen - sei es zur imperialen Präsentation in der Galerie, sei es zur dekorativen Ausgestaltung der Salle de Bai oder sei es als Gartenstaffage. Die Abgüsse als bewegliche Kulturgüter unterliegen ganz der Verfügungsgewalt des Souveräns, er kann sie beliebig verschieben - wie er es bereits mit Cellinis „Saliera" getan hatte. Der neue Bezugsrahmen von Kopien - die den ursprünglichen Kontext der reproduzierten Originale ignorieren - ist die Sammlung, deren Besitzer die Reproduktionen einer neuen Ordnung der Dinge unterwirft. 233 Das „Neue Rom" jenseits der Alpen ist eine Mischung aus museion/Museum und Landschaftsgarten. Der König selbst präsidiert als Jupiter der Götterversammlung seiner Abgüsse. Und er selbst ist auch der Kustode dieser Sammlung, der seine Stücke entsprechend seinen repräsentativen Bedürfnissen anordnet und über seinen selbstgeschaffenen Kunstkosmos als mächtiger Connaisseur uneingeschränkt herrscht.
231 Sandrart, Accademia nobilissimae artis pictoriae, Nürnberg 1683, p. 160 (zit. n. Occhipinti, Primaticcio e l'antico, p. 31), bezieht sich in seiner Bemerkung, daß Fontainebleau fast ein neues R o m sei, explizit nur auf die Antikenabgüsse: „Primaticius ad absolvenda derelicta opera eius domum revocatus, tot antiqua secum referebat, aere mox fusa, ut ad Fontanas Bellaquenses quasi nova Roma exurgeret." Es ist anzunehmen, daß er seinerseits aus der Vasari-Stelle schöpft. 232 Vasari (Barocchi), Vita di Giulio Romano, vol. 5, p. 55. 233 Dubois, L'imitation sans limitation, p. 268.
8. Anhang Ausgewählte Beschreibungen von Fontainebleau und der Grande Galerie (16.-19. Jahrhundert)
Brief des Giovan Battista da Gambara an Federigo II Gonzaga, 28. Dezember 1539 1 H o visto Fontana Bleö, che non mi pare vederli cosa che non habia visto di piu belle a Mantova. C o m e se entra nella corte granda, a man stancha el c'e una gran colona, dove e in cima le tre Gratie con alcune arme della Maestä Cesarea, et di sopra gli e un cadino di ramo dove si metterä della pergola per far una lumera che habbia da durar dui ο trei giorni, et perche la colona non si abrusa gli anno messo di sotto alcune prede. Attorno alla corte gli e alcune statue, un homo et una dona che tiene una lumera in mano. D i sopra, dove e certi condutti, gli anno messo certi festoni con l'arma cesarea, con certo harazzo attorno, falso, che fa un brutissimo vedere, et e cosi in ogni luoco. anchor qui in Parigi. Egli e poi una galeria, lunga assai ma troppo stretta, et e dipinta di picture molto brutte. Egli e molte figure di stucco di man del Bologna, molto belle, et e salegata di asse intersiate assai belle; il solaro di asse intagliato con un poco di oro, che anchor puo comparere. Egli e pur fodrata di asse intagliate con imprese et arme di Sua Maestä che sono molto belle, fatte per mano di un maestro Francesco da Carpo. La camera di Sua Maestä, con un'altra saletta dove Sua Mestä mangna, et la camera della regina et quella di monsignor contestabile e tutto il bello che si vede di Fontana Bleö. La Maestä Cesarea alloggia nelli allogiamenti della Maestä Christianissima, et lei nella camera di monsignor contestabile.
Henry Wallop, Bericht vom 17. November 1540 2 [...] And thus he made an ende with me of this matier, asking very hardy how Your Majestie did, and cowld well tell me of your being now at Windsour, and the restraynt there made for those that had ben at London not to cumme to the Court, demaunding what manner of howse that Windsour was, and how it stode. I shewed H y m it stode uppon a hill,
1 Archivio di Stato di Mantova, Archivio Gonzaga, 638; zit. n. Smith, L a premiere description de Fontainebleau, p. 46. 2
Calendar of State Papers. Reign of Henry VIII, vol. 8, pp. 4 7 9 - 4 8 6 ; zit. n. McAllister Johnson, O n Some Neglected Usages, pp. 5 2 - 5 4 .
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8. Anhang: Ausgewählte Beschreibungen von Fontainebleau
havyng the forrest of thone side, and the champion of thother, and in the bottom faire medowes and a goodly ryer. „Je vous prie, Mons r Ambassadour," quod He, „que ryver est cella?" I saied it was the Themys. „Et Hampton C o u r t , " quod He, „est il sur la mesmes ryver aussi?" I saied, „ye," that theye bothe stode uppon the same ryver with other goodly howses, namyng Richemount for one, declaring to hym at lenght the magnificence of them all three, and specially of Hampton Court; of which H e was very desierous to here, and toke grete pleasure to commen with me therin, showing me H e hard saye that Your Majestie did use muche gilding in your said howses, and specially in the rowffes, and that H e in his buylding used litle or none, but made the rowffes of tymbre fyndly wrought with dyvers cullers of woode nautrall, as ebeyne, brasell, and certayne other that I can not wel name to Your Majestie, whiche H e rekeneth to be more riche then gilding, and more durable; and saied at m y cumming to Fowntayne de Bleawe H e wold shewe me his chambres, and specially his gallery, to knowe howe I shuld like them, to thentent I myght advertis Your Majestie thereof; and further shewed me that H e hathe founde dyvers mynes of marbell, bothe white and blacke, the white by Marguyson, and the blacke besides Sherbroke; and if it pleased Your Majestie to send for any of it, Ye shuld have the same at your commaundement, and cost You nothing; as also dyvers mowldes of anticke personages, that H e hathe nowe commyng owte of Ytalye, with whiche H e shal have don within three of fowre monnethes. And with the communication of these thinges, and of Your Majestie specially, H e left not, until H e cam to thassemble, where H e dyned; the Cunstable not onely taking me very to dyner with hym, but also caused my men to dyne, whiche is seldome used here. And assone as the Constable had dyned, I went with hym to the Kinges dyner, fynding hym in communication of certeyne masties, that Your Majestie gave H y m at your being at Callais, and howe long it was or H e cowld bring them to perfection for his hunting; and at the furst letting slippe one of them to a wild bore, the thing he eyed was a white horse of his with a page upon hym, taking the said horse by the throwht, so as all they cowlde not plucke hym of, until that he had strangled the said horse; He, taking grete pleasur in counting the same, lawghed very hartely there at, and therewith brought in what pleasur H e dothe now take in showting with his crosbowe, desiering much to have a hownde, that wold drawe wel to a hurt deere, saying, that Your Majesties father sent to King Lewes a very good one of a meane sort, and wold ride behynd one; and the gentilman that browght the said hownde was one, that was browght upp here in France with Your Majesties father; his name he had not very perfyttly, but at lenght did name Mathewe Baker; perceyving thereby that he muche desiereth suche a hownde; and dyvers of his chambre shewed me secretly, that Your Majestie could not do H y m a greter pleasur, then to send H y m suche a one. And so H e went to horsebacke, asking me if I wold ride with H y m a hunting. And b y and b y the hart was fownde, and hunted until it was past three of the clocke, and fayled of hym; wherewith H e was not wel contented; so suddaynely H e departed, in every mannes oppynion towardes Mellune, where the Quene, with Madame de Estampes, and all the Ladies, loked for H y m ; H e taking this waye to Fowntayne de Bleawe, 7 leages thense, so yt was past 8 of the clocke, or H e arryved there. T h e consideration wherof, by my former letters writon to my Lord of Norfolk, somewhat may be conjectured. Y t may please Your Highnes, according to the Frenche Kinges appointement, I went to Fountayne de Bleawe the Sunday following; and being in the Kinges dynyng chambre abyding his going to churche, fortuned the Cunstable to loke owte of the Prevey Chambre,
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„ O Mons r lAmbassadour," quod he, „vous soiez le tresbien venu," praying me to tarry awhile, and the Kind wold shewe me his gallery; and therewith commaunded one of the Maistres de Hostel to make reddy for me his ordenary, he havyng promysed to dyne in the towne. And within a while the said Cunstable cam to the chambre dore, agayne saying, ,,le R o y vous demaunde, Mons r lAmbassadour," and so went into his bedde chambre, whiche I do assuer Your Majestie is very syngulier, aswel with antycall borders, as costly seeling, and a chemeney right wel made. And for bycause in suche my communication had with H y m before, I did not gretely prease the mattyer and stuff that the said borders was made of, geving no good luster, the said Frenche King requiered me to go uppon a benche to feele the said matier and stuff; unto whom I saied, „Sir, the benche is to highe, and shal hardly gett upp," and began tassaye. He, lyke a good gratiouse Prince did help me forward with his hande, orelles, to be playne with Your Majestie, I shuld hardly have gotton upp; and likewise at my cummyng downe stayed me agayn and from thense browght me into his gallerey, keping the key therof H y m self, like as Your Majestie useth, and so I shewed H y m , wherewith he toke plesur. And after that I had wed behold the said gallerey, me thought it the most manifique, that ever I sawe, the lenght and bredthe no man canne better shewe Your Majestie then Modon, who wrought there in the begynnyng of the same, being at that tyme nothing in the perfection, as it is nowe. T h e rowff therof ys seeled with walnott tree, and made after an other forme then Your Majestie useth, and wrought with woode of dyvers cullers, as before I have rehersed to Your Majestie, and is partly gilt; the pavement of the same is of woode, being wrought muche after that sort; the said gallerey is seeled rownde abowte, and fynely wrowght three partes of it; upon the fourthe part is all antique of suche stuff as the said Modon makith Your Majesties chemenyes; and betwixt every windowe standes grete anticall personages entier, and in dyvers places of the said gallerey many fayre tables of stories, sett in, very fynely wrowght, as Lucretia, and other, as the said M o d o n can muche better declare the perfytnes of the hole to Your Majestie, then I. An in the gallerey of S l James the like wold be wel made, for it is bothe highe and large. Y f your pleasure be to have the paterne of this here, I knowe right wel the Frenche King woll gladly geve it me. And in this shewing me his gallerey, (propter formam) I wished Your Majestie there to have seene it. „Par ma foy, Mons r Ambassadour," quod He, „yf H e were, I wold make H y m quod chere, et de bon cueur." F r o m tense H e brought me to his lodginges under the said gallerey, aswell to see them, as the baynes and stoves; fynding Madame de Estampes, and Madame Dowbeyney, in a chambre next unto them, where was two beddes; and in myn oppinion theye more mete to be in the said baynes, then to lye with theire howsbandes. Madame de Estampes hathe ben long sycke, and lokes therafter; and Madame Dawbeyney ys leane, lame, and wetherd awaye; and that is the cause, by that I perceyve, of theire lying there. And from thense the King browght me to the saied baynes, being warme, and reked so muche, like as it had ben a myst, that the King went before to guyde me. After H e entred into the stove, whiche is aswel made for that purpose as can be; the bayne is made like a pond rayled abowte, and no more place therein, but for one person to go in frownte, where I thinke theye were the same morning. [ . . . ] And if in case the Frenche King or he had myslyked my said Lordes going, I shuld neither have ben holpe upp ne downe the benche, nor yet have cume in his gallerey [...]·
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8. Anhang:
Ausgewählte
Beschreibungen
von
Fontainebleau
Brief des Nicolo Ardinghelli an Kardinal Alessandro Farnese, 1. Dezember 1541 3 [...] Ii Re, come di sopra ho detto, era alegro per se stesso, quando il nunzio et io gli comparemmo inanzi, et questa sua disposizione di viso mantenne in tutto il ragionamento, massimamente dal mezzo della risposta in verso il fine, perche la fece in gran parte ridendo. Ε poi che Sua Maestä ebbe udito, licenziato l'imbasciatore dell'Imperatore, che si fu cominciato a parlare d'altro che di faccende, essendo noi ancora Ii presso, il Nunzio ricordo a Sua Maestä (com'altre volte gli avea promesso) di mostrarli la galleria, onde Sua Maestä con viso alegro ci meno prima in camera e poi nella galleria che vi e congiunta, nella qual galleria non fu intromesso altri che Ferrara, il Nunzio et io con tre altre persone domestiche di Sua Maestä. Et ella propria, con aprirci le porte di sua mano, col dichiararci l'historia delle dipinture et col condurci poi di sotto in persona a farci vedere le stufe e bagni che vi sono, ci dimostro favore e amorevolezza estraordinaria, et col Nunzio massime fece segno di molta familiaritä, e cosi consumando il testo del giorno tanto che non vi fu spazio d'altro che di fare semplice riverenza alla Regina di Navarra, alia quale presentato il breve e lettere, mi remessi ad un altro giorno a parlare di faccende, perche giä erano le ventitre ore et ci bisognava camminare quattro leghe per venire alPaloggiamento [...].
Arnold Van Büchel, Description de Paris, 1585/86 4 Fontaine-Belleau doit son nom ä ses sources limpides; une maison de chasse fut jadis construite par les rois en pleine Campagne, la purete de l'air et la beaute du site valurent ä cette maison d'etre embellie par les soins d'un grand nombre de rois. Saint Louis est le premier, dit-on, qui y fit de frequents sejours, et, apres lui, Philippe-Auguste [sie]; Frangois I er , en dernier lieu, fit du chateau une somptueuse demeure, un edifice vraiment royal, on y mit des statues de provenances les plus diverses, on l'enrichit des oeuvres des peintres les plus habiles pour en faire une demeure digne d'un si grand roi; ses successeurs firent encore bien des embellissements. Le chateau est presque tout entier construit en pierre vive, ä l'exception des parties construites en briques sous les derniers rois. II y a d'abord une vaste cour, au milieu de laquelle s'eleve une colossale statue equestre en plätre. Le plan est carre, les bätiments ferment la cour sur tous ses cotes. Les cheminees et quelques autres parties du bätiment sont marquees de la lettre F, indiquant ä qui en est due la construction. O n se trouve en presence d'un escalier monumental tout en marbre, avec une porte de marbre en style italien surmontee de l'inscription, en lettres d'or: 3 ASV, Segretaria di Stato, Principi, 12, c. 313r., zit. n. Occhipinti, II „camerino" e la „galleria" nella Villa d'Este a Fontainebleau, p. 632. 4 Aus: Description de Paris par Arnold Van Büchel, pp. 160-164. Der erste Band des lateinischen Originaltextes, aus dem dieser übersetzte Auszug (pp. 160-260) stammt, befindet sich unter dem Titel Commentarius verum quotidianorum, in quo, praeter itinera diversarum regionum, urbium oppidorumque situs, antiquitates, prineipes, instituta, mores, multa eorum quae tarn inter publicos quam privatos contingere solent, occurent exempla (jan. 1560-april. 1599) in der Universitätsbibliothek Utrecht (Signatur: no 798 [Hist., 132, 133]). Beguin/Guillaume/Roy, La Galerie d'Ulysse, p. 336 bezeichnen diese französische Übersetzung von Vidier als „en partie fautive".
8. Anhang: Ausgewählte Beschreibungen von
Fontainebleau
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D. Ο. M. Carolus IX, Dei gratia, Francorum rex, anno Domini 1565. Par cette porte Ton penetre dans un jardin delicieux et fort beau, toujours verdoyant. Au milieu se trouve une Diane chasseresse, en marbre, que les injures du temps ont oblige de restaurer en certaines parties. Cette statue passe pour etre antique, eile viendrait soi-disant d'fiphese et aurait ete achetee pour dix mille pieces d'or; c'est la encore une fable populaire a joindre aux autres du meme genre, il n'est pas vraisemblable qu'on ait expose ä toutes les intemperies de l'exterieur un objet de cette valeur, et qu'on ne l'ait pas depose, avec les tresors secrets et les choses precieuses, dans la salle fermee ou Rosteinius a etudie avec tant de soin des statues, des monnaies et des livres, toutes choses d'une valeur presque inestimable. J'ai vu des monnaies assez semblables chez Du Choul. Dans le meme jardin se trouve aussi un Laocoon en bronze, sur le modele du marbre trouve dans le palais de Titus Vespasien et transporte dans les jardins du Vatican, marbre dont parle Pline (Hist, nat., xxxvi, 5) et qu'a celebre Jacques Sadolet dans les vers: Ecce alto e terrae cumulo ingentisque ruinae Visceribus, etc. Hercule Strozzi lui a aussi consacre des vers remarquables; Virgile, dans le recit pathetique de ce douloureux episode, a depasse le genie de l'habile sculpteur. Une autre des statues placees dans ce jardin est celle du Tibre, avec la louve nourrice de Romulus et Remus, et la come d'abondance qui symbolise la fecondation de la region par le fleuve; le personnage est de dimensions plus grandes que nature. Ii y a encore une Cleopätre en or, analogue aux statues que nous en a leguees l'antiquite romaine. J'ai vu aussi un marbre qui represente le meurtre d'Abel par Cain et des bas-reliefs antiques, en marbre, ou sont representee des hommes que je n'ai pas identifies, avec une inscription que je n'ai pas pu lire; j'ai cependant pu distinguer le nom de Marius. On arrive ensuite au bord d'une source qui a la purete du cristal et pres de laquelle on a place des bustes en marbre de dieux et d'hommes, entre autres, ceux du roi Charles IX, d'Apollon, de Venus, de Mercure, de l'empereur Commode, qui se faisait appeler Herculanus, comme on le voit sur ses monnaies, ou il est represente couvert d'une peau de lion ä l'exemple d'Hercule, et comme le raconte Herodien. Tous ces bustes sont en bronze et copies sur l'antique, il en est de meme de deux sphinx, le tout rappelle les ophites de l'ancienne Rome. Viennent ensuite des constructions faites par Henri II comme en temoigne l'inscription: Henricus II, Dei gratia, Francorum rex christian. 1557. On y voit deux colonnes en marbre d'une belle couleur bleu-verdätre et une peinture de Raphael, qui represente la Vierge avec l'enfant Jesus; on passe de lä dans la plus grande salle, dite „la grande salle du bal." L'or, le marbre, les ornements de tout genre et les tapisseries les plus precieuses concourent ä sa splendeur; il y a notamment une tapisserie avec l'embleme brode de Francis Ier, la salamandre dans le feu, avec ce distique: Urs us atrox, aquilaeque leves et tortilis anguis Cesserunt flammae jam, salamandra, tuae. Le sol, le plafond, les cötes des cheminees sont marques de lettres d'or et ornes d'emblemes d'or et de bronze, la decoration comporte en outre un grand nombre de satyres. Viennent ensuite les chambres portant chacune un nom: chambre du roi, chambre de Guise, chambre du connetable, etc.; elles sont ornees avec le plus grand luxe. Mais le plus beau est encore une galerie suspendue, longue de plus de quatre-vingts pas et decoree avec un art
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8. Anhang: Ausgewählte
Beschreibungen
von
Fontainebleau
merveilleux, les murs ont ete sculptes et peints par les meilleurs artistes de l'Italie, une inscription en bronze est consacree ä la commemoration de l'oeuvre. On y voit entre autres choses les amours clandestins de Venus et de Mars, cinq scenes des aventures d'Ulysse chez Polypheme, l'antre de Vulcain, les attributs de tous les arts liberaux et autres, une foule de peintures representant des choeurs de deesses nues, des dieux festoyant, la Victoire frangaise; de chaque cote s'ouvrent trente fenetres, dans les intervalles desquelles sont les peintures [•·•]•
Thomas Coryate, My obseruations of Fountaine Beleau, 1611 5 This Pallace is more pleasantly situate then any that euer I saw, euen in a valley neare to the forrest on both sides. A little way off there are those rocky hils whereof I haue already spoken. There are three or foure goodly courts fairely paued with stone belonging to it. In the first there is an exquisite pourtraiture of a great horse made of white stone with a prety couering ouer it, contriued with blew flatte. The second is farre fairer, wherein there is a gallery sub dio, railed with yron railes that are supported with many little yron pillers. In the third which leadeth to the fonts and walkes are two Sphinges very curiously carved in brasse, and two Images likewise of Sauage men carued in brasse that are set in a hollow place of the wall neare to those Sphinges. The Poets write that there was a monster neare the city of Thebes in Bceotia, in the time of King Oedipus, which had the face of a maide, the body of a dogge, the wings of a bird, the nailes of a Lyon, and the taile of a Dragon, which was called Sphinx, according to which forme these Sphinges were made. In this Court there is a most sweet spring or fountaine, in the middest whereof there is an artificiall rocke very excellently contriued, out of the which at foure sides there doth spout water incessantly through foure little scollop shels, and from a little spout at the toppe of the rocke. There are also some prety distance from the corners of the rocke foure Dolphins heads made of brasse, that doe alwaies spout out water as the other. Hard by this font there is a pond of very goodly great Carpes, whereof there is wonderfull plenty. The whole pond is very great, but that part of it which is deriued towards this font is but little, being inuironed with a faire raile and little pillers of free stone. In one of the gardens there is another stately font, in whose middle there is another excellent artificiall rocke with a representation of mosse, and many such other things as pertaine to a naturall rocke. At the toppe of it there is represented in brasse the Image of Romulus very largely made, lying sidelong & leaning vpon one of his elbowes. Vnder one of his legs is carued the shee Wolfe, with Romulus and Remus very little, like sucklings, sucking at her teats. Also at the foure sides of this rocke there are foure Swannes made in brasse, which doe continually spout out water, and at the foure corners of the font there are foure curious scollop shels, made very largely, whereon the water doth continually flow. This font also is inuironed with a faire inclosure of white stone. Also the statue of Hersilia Romulus his wife is made in brasse, and lyeth a prety way from that fountaine vnder a part of the wall of one of the galleries. The knots of the garden are very well kept, but neither for the curiosity of the workemanship, nor for the matter whereof it is made, may it compare with many of our English gardens. For most of the borders of each
5 Aus: Coryats Crudities 1611, pp. 38-40; 44 f.
8. Anhang: Ausgewählte Beschreibungen von
Fontainebleau
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knot is made of Box, cut very low, and kept in very good order. The walkes about the gardens are many, whereof some are very long and of a conuenient breadth, being fairely sanded, and kept very cleane. O n e amongst the rest is inclosed with two very lofty hedges, most exquisitely made of filbird trees and fine fruits, and many curious arbours are made therein. By most of these walkes there runne very pleasant riuers full of sundry delicate fishes. The principall spring of all which is called Fountaine Beleau, which feedeth all the other springs and riuers, and wherehence the Kings Pallace hath his denomination, is but little, yet very faire. For Henry the fourth who was King when I was there, hath lately inclosed it round about with a faire pauier of white stone, and paued the bottome thereof whereon the water runneth, and hath made fine seats of free stone about it, and at the west end thereof hath aduanced a goodly worke of the foresaid white free stone, made in the forme of a wall, wherein are displayed his armes. [...] I could see but few roomes of the Palace, because most of the Scots that waited the Sunday morning when I was there, hapned to dine at a marriage of their country woman in the towne, so that I could see them no more all that day, otherwise they promised to haue procured me the sight of most of the principall roomes. Only I saw some few roomes wherein the Scottisch guarde doth vse to waite, and the chamber of Presence being a very beautifull roome, at one end wherof there was an Altar and the picture of Christ, &c. with many other ornaments for the celebration of the Masse: and at the other end the fairest chimney that euer I saw, being made of perfect alabaster, the glory whereof appeareth especially in the workemanship betwixt the clauie of the chimney, and the roofe of the chamber, wherin the last King, Henry the fourth, is excellently pourtrayed on a goodly horse, with an honourable Elogium of his vertues, and his happy consummation of the ciuil warres, written in golden letters in Latin, aboue his portraiture.
Cassiano del Pozzo, Diario, 16256 Da queste stanze calamo alia camera delle Pitture, cominciando quivi a veder quelle di Raffaello. Primieramente un quadro, di 7 ο 8 palmi di altezza, in tavola, nel quale d'esquisitissima maniera e dipinta la Vergine, il Salvatore, che salendo con piedi della cunna par che voglia accarrezzarla abbracciandola, et dietro essa sta S* Elisabetta [...]; e quadro perfettissimo, ma assai dannegiato di scrostature da vernici dateli per altro tempo a sproposito. 2° quadro fu un S. Michele Arcangelo, pure in tavola, di altezza di 9 palmi incirca, con figura grande dal vero [...], nel lembo della corazza vi e scritto il nome del Pittore e l'anno, cioe del 1518 in Roma. II 3° che si vede fu uno d'una Sta Margarita, di p mi 6 d'altezza, pure in tavola, largo poco piu di tre palmi e mezzo; la figura e in habito di Vergine tutta vestita, in atto di conculcare ai piedi il drago che rivoltando sotto sopra la testa, mostra una grandissima et orribile apertura di bocca. Ε questo quadro guasto assaiss0 havendo in non so che occasione patito il fuoco.
6 Zit. n. Müntz, Le chateau de Fontainebleau en 1625 d'apres le Diarium du commandeur Cassiano del Pozzo, pp. 267-270.
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8. Anhang: Ausgewählte
Beschreibungen von
Fontainebleau
L'ultimo fu un ritratto, dicono della Regina Giovanna di Napoli, et e vestita di rosso con un panno in testa dell' istesso colore. Vedemo poi quelli di Leonardo da Vinci [...]. 3° Una Leda in piedi, quasi tutta ignuda col cigno et due uova a pie della figura, della guscia delle quali si vede esser usciti quattro bambini; questo pezzo e finitissimo, ma alquanto secco e massimamente il petto della donna; del resto il paese et la verdura e condotta con grandissima diligenza, et e molto per la mala via, perche, come che e fatto di tre tavole, per lo lungo quelle scostatesi han fatto staccar assai del colorito. 4° U n Ratto di Proserpina diligentissimo, ma di maniera alquanto secca; la figura della donna, quale e sostenuta in aria da Plutone, e la migliore. 5° Un rittratto, della grandezza del vero, in tavola incorniciato di noce intagliato, e mezza figura, et e ritratto d'una tal Gioconda. Questa e la piü compita opera che di quest' autore si veda [...]. In somma con tutte le disgratie che questo quadro habbi patito, la faccia et le mani si mostrano tanto belle, che rapiscono chi le mira... Ii Duca di Buchingam, mandato d'Inghilterra per condur la sposa al nuovo re, hebbe qualche intention d'haver questo ritratto, ma, essendone stato distolto il re dall' istanze fattegli da diversi, che messero in consideratione che S. M. mandava fuor del regno il piü bei quadro che havesse, detto Duca senti con disgusto questo intorbidamento e, tra quelli con chi si dolse fu il Rubens d'Anversa, Pittor dell' Arciduchessa. Eranvi inoltre l'opere di Titiano, cioe una mezza figura d'una Maddalena ignuda, ma ricoperta quasi per tutto dai cappelli; arriva il ritratto poco piü oltre del mezzo del corpo et e senza panno alcuno. Si viddero ancora alcune opere d'Andrea del Sarto, cioe una Donna figurata per la Caritä, che postasi a sedere tiene in grembo due bambini benissime dipinti et un' altro che gli dorme, appoggiato alia sua veste. Questo e in un quadro d'altezza di 6 ο 7 palmi, dipinto esquisitissimamente col nome del maestro et anno nel quale fü fatto, che e il 1518. Vedemo inoltre, di man dell' istesso, una Madonna in tavola, 4 ο 5 palmi alta et di competente larghezza, con alcun' altre figure, cioe S" Elisabetta, i due bambini e due Angeletti, il tutto dipinto di bellissima maniera, et ben conservato. Mostrarono inoltre un Ecce homo con due altre mezze figure di bellissima maniera, et ben conservate, qual dicevano esser opera del Pordenone. Vedemo poi alcuni pezzi di frä Bastiano del Piombo, cioe un quadro della Visitatione, le due figure pnti, cioe la madonna e S. Elisabetta, con due altre figure pur di donne et un gruppetto di figure lontane minute, et paese. U n ritratto del medesimo dicon della sorella di Papa Clemente 7° in habito come allora s'usava alia Romana, fatto su lavagne. Del Rosso havevano alcuni pezzi, cioe una figura, grande poco men del vero, fatta per una Giuditta, con la testa d'Oloferne ai piedi; l'habito di essa e imitato assai dall' antico, cinta poco sotto le poppe; il panneggiamento e bello et e in tavola; un ritratto d'una Regina di Napoli, un quadretto, un po bislongo, nel quale e una Disputa fra le Muse et l'altre nove sorelle che da esse furon convertite in gazzere, una Leda col Cigno, fatta dal disegno di quella di Michel Angnolo, et un quadretto di Marte et Venere. Del Primaticcio vedemo otto pezzi di Paese a guazzo, pero assai smontati. Oltre queste si veddero alcune opere di Frä Bartolomeo di Fiorenza, un quadretto di una Madonina assisa su un altare a gradini, del quale vi sono da ciascun lato tre santi, non dis-
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Beschreibungen
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simile d'inventione in molto a quello che si vede in Roma a S. Silvestro nel Quirinale nella Cappella di Sannesij. Ultimamente ne vedemo di Pietro Perugino due quadretti, ben conservati et ben dipinti in tavola, cioe un S. Girolamo col leone, et un paesetto, et la Maddalena quando gl' apparisce Christo N. S. nell' horto. Eranvi in oltre diversi ritratti, uno di man di Jacomo da Pontormo, nel quale e ritratto lui stesso in compagnia di Raffaello. Un' altro dicesi di man del medesimo, fatto per Gaston di Fois, nel quale, venuto in disputa se la Pittura poteva fare appare come la Scultura il dinanzi el di dietro, havendo finto due specchi che uno rifletta nell' altro fa vedere di detto ritratto ambedue le parti; questo e assai guasto, in modo che hoggi di non si potrebbe copiare. V'erano inoltre quel di Carlo VI, di Ludovico XI, Francesco I, Arrigo 2°, Carlo V, Hippolito card1 de Medici del Pontormo, et Erasmo. Vi son molti altri quadretti di maniera tedesca, ma come di poco momento non si sapendo il nome degli Autori delle opere ne de ritratti, si e lasciato. Da queste stanze che servono solamente al pittore soprastante d'esse s'ando alle stanze terrene del bagno di S. M ta . Α queste s'entra per il giardino dov'e l'uccelliera; entrati subito si trova un salotto commodo, ornato di pitture, quali son la maggior parte copie delle sopradette. Doppo questa sala sono due camere adornate medesimamente di quadri, foderate secondo il costume di Francia all' altezza di quanto puo giognere un huomo col braccio alzato di legname intagliato et a luogo a luogo dorato. Da queste si passa nel bagno che e quadro perfetto, et e fondo da tre braccia ο piü. Α questo si scende per certe gradini di legno posticci et dal mezo della facciata principal di esso bagno si vedono scappar due bocche et un condotto di metallo da portarvi l'acqua calda e fredda. Ε attorniata la superficie d'esso da una balaustrata di legno tinta del color del metallo lo spatio che c'e da poter caminare in detta stanza attorno il bagno e quanto due possono andar del pari. Ε detta camera involta con certi spigoloni dorati attorno; nelle lunette di essa vi sono dipinte di mano, dicon del Primaticcio, le favole dell' Innamoramento di Giove e Calisto. Appare l'Innamoramento in forma di Diana, et per far accorger il pittor dell' inganno da banda fa spuntar da pie della finta Diana l'aquila e sotto il piede una maschera; si vede in un altro il bagno e la gravidanza; in un altro la fuga d'essa et persecutione di Giunone, e cambiamento in orsa con la caccia in quella forma dal proprio figlio cacciatore, e nella volta si vede posta da Giove tra segni celesti. Vi sono ancora alcun altre pitture di mostri marini. Doppo il bagno e un picciol camerino dipinto di minuzzerie, et oltre a questo un' altro piü piccolo con un vaso da acqua di pietra, e nel mezo del detto nel piano un quadretto pieno di fori per esitar l'acqua brutta. Questo serve per lavarsi quando si vuol far cadere il pelo con quella mistura composta di calce e orpimento. Le copie che in dette stanze si vedeno si son poste quando si levorno gl' originali, accio non finissero d'andare a male, essendosi assai guasti per rispetto dell' umido che havevan patito, onde restono, come sopra si e detto, senza cornice, essendosene valse a queste copie. La galleria del re Francesco primo dipinta a fresco dal Rosso. Fra le storie piü notabili erano la Battaglia de Centauri contro i Lapiti, gl' Essercitij d'Alessandro Magno, cioe il
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Fontainebleau
notare, e giocar d'arme, un Diluvio, la Morte d'Adone, la Favola di Danae, l'Istoria d'Enea quando portava su le spalle suo padre Anchise, un altra istoria d'una vecchia, qual si fa tirar su un carro da due sue figli in mancanza di chi la conducesse a un tempio per la liberatione della cittä, l'Introduzione delle buone arti in Francia sotto il detto Re Francesco, l'Entrata d'esso nel tempio di Giove, seguitata da numero infinito di gente con occhi bendati, e la Favola di Semele, quando gl' apparisce Giove in forma di Dio. Ciascun di detti quadri e ornato con stucchi di buona maniera. La soffitta della galleria e lavorata di legnami di color di noce indorati, con spartimenti minuti ma pero gratiosi.
Dom Guillaume Morin, Ample Description de la maison Royale de Fontainebleau, & de toutes les raretez & singularitez qui sont en icelle, 16307 [...] celuy des Roys de France, toutesfois qui a plus embelly, & decore ce lieu, ς'a este le Roy Franfois premier, pour ses grandes, & rares vertus, appelle Franijois le Grand. Car voulant accroistre ledit Chasteau de Fontaine-bleau, ou il faisoit son plus gräd seiour, il fit abattre la susdite Eglise de la tres-saincte Trinite, les Cloistres, Dortouoirs, Hospital, maison Abbatiale, Estangs, & Iardins desdits Religieux, & fit bastir de nouueau l'Eglise, ou Chappelle, dicte de la Trinite, qui est encore de present au Chasteau qui a tousiours este desseruie par lesdits Religieux, & Chapellains iusqu'en l'an mil six cens huict, qu'ils furent contraints y cesser le diuin seruice, & le faire en vne autre Chapelle basse dudit Chasteau pendät quinze ou seize annees [...]. Outre les bastimens que le Roy Fransois premier fit edifier en ce lieu, il y mit vne Bibliotheque la plus rare de toute l'Europe, ayant recherche par toutes les Prouinces de la Chrestiete, & aux derniers coings de l'Asie & l'Europe, tous les liures les plus rares, & manuscrits cachez: du depuis toutesfois cette noble Bibliotheque, a cause du tumulte des guerres ciuiles, a este portee en la ville de Paris, ou eile est encore de present en vn grand logis au derriere des Cordeliers ä la rue de la Harpe, oü demeure Monsieur Rigault l'vn des doctes personages du temps, Aduocat en Parlement, & Bibliothecaire du Roy. D E S C R I P T I O N DE TOVTES
les parties de la Maison Royalle de Fontaine-bleau.
Le circuit de tout le Chasteau de Fontaine-bleau contient mil quatre cens cinquante toises de tour, sans comprendre les maisons, iardins, & pares dependans d'iceluy Chasteau. La Cour du cheual blanc contient quatre vingts toises de long, & cinquante huict de large. La grande gallerie a soixante toises de long, & trois de large, & sont representees en icelle toutes les victoires & batailles de Henry le Grand, par cet excellent personnage feu Monsieur de sainet Martin. La Cour de la Fontaine a trente toises de long, & vingt huict de large. Les antiquitez qui sont dans ladite Cour sont vne figure d'Apollon, vne autre de l'Empereur Cömodus qui est de bronze. Le Büste de Marc Aurele Vitellius, & autres antiques estans dans ladite Cour. 7 Aus: Histoire generale des pays de Gastinois, Senouois et Hurepoix, vol. 2, pp. 518s.; 521-525.
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L a salle de la belle cheminee a vingt toises de long, & cinq de large, oü est la figure du R o y Hery le Grand, en marbre blanc. L a petite gallerie du R o y Frar^ois, a trois de large, en icelle sont depeintes toutes les maisons de France en belle perspectiue. Attenant d'icelle petite gallerie est la chambre des peintures oü sont enserrez grande quätite d'excellens tableaux de Michel l'Ange, Raphael d'Vrbin, Andre Delsarte, Leonard de Vinci, Titien, & de Monsieur du Breuil Parisien qui a represente les forces d'Hercule, & Monsieur du Bois Flamand, lequel a represente l'histoire de Teagene, & Cariclee, de Tancrede, & Clorinde. II y a vn cabinet remply des riches peintures des autheurs susdits. Les Ieux de paulme. Le Iardin de la Royne a cinquante toises de long, & trete-huict de large, dans lequel iardin il y a vne fötaine, au pied d'estal d'icelle est posee la figure de Diane, qui a parle par le Demon, de hauteur de six pieds & demy, autour de laquelle il y a quatre chiens de bronze, & quatre testes de cerf tous iettans l'eau. Proche ladite fontaine y a vne autre figure de bronze d'vn qui se tire vne espine du pied. Dans le mesme iardin est vne autre figure de Laocoon, & ses deux enfans deuorez par des serpens. Toutes lesdites figures antiques. [···]
L e grand Iardin du R o y a cent quatre vingts toises de long, & cent cinquante quatre de large. Dans lequel il y a au milieu la plus süperbe Fontaine qui se puisse voir, dicte la Fontaine du Tybre, qui est vne grande figure de bronze auec vne louue qui allaicte les deux enfans Remus & Romulus. Aux quatre coings dudit iardin y a ä chacun vne belle fontaine qui iette l'eau de huict pieds de haut. Plus dans ledit iardin y a vne tres-belle figure de bronze, & de Cleopatre qui se faict mordre par vn aspic, le tout antique. Le iardin de l'estang a trente quatre toises de long & autant de large, au milieu duquel est vne grande figure d'Hercules de marbre blanc, sur son pied d'estal fait de la main de Michel Ange.
Pere Pierre Dan, D e la gallerie de Francois I. autrement dite la petite Gallerie, auec la description de ses Tableaux, & Emblemes, 1642 8 Tout le corps de cet edifice consiste en trois estages. Le premier par bas, qui contient les Bains, les Estuuves, diuerses Salles, & entre autres celle dite de la Conference. Le second est cette Gallerie de laquelle il est parle icy. Et le troisieme, est le lieu oü estoit autrefois la Librairie; tout lequel bastiment a este fait par le grand R o y Franfois. Ii faut traitter premierement de cette Gallerie, parce que c'est vne des pieces plus remarquables de ce Chasteau, pour dire quelque chose en suitte des deux autres estages.
8 Aus: Fontainebleau, le tresor des merveilles de la maison royale, pp. 86-94.
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Cette Gallerie porte le nom de Frangois I. ou parce qu'il l'a fait edifier & orner, ou bien d'autant que lä en plusieurs endroits paroit son portrait en relief a demy corps sur la porte du petit Cabinet, & ailleurs; & que la encore par tout se voyent sa Deuise & son Chiffre: & pour autres raisons que ie toucheray a la fin de ce Chapitre. L'on l'appelle aussi la petite Gallerie ä la distinction de la grande, qu'il fit bastir le long de la Cour du Cheual blanc. Quant ä celle-cy, eile tient d'vne part ä ladite Cour ou est sa principale entree par le grand Escalier; & de l'autre bout eile se termine au departement du Roy, laquelle a trente toises de long, & trois de large; & regarde d'vn coste au Midy sur la Cour de la Fontaine; Sc de l'autre dans le Iardin de la Reyne au Septentrion. C'est vn des premiers ouurages de Frangois I. principalement quant aux peintures qui s'y voyent, lesquelles sont du sieur Rousse Peintre fort renomme de son temps. Les ornemens & enrichissemens de cette Gallerie, consistent en vn beau & grand platfond dore, compose de plusieurs compartimens, d'vn parterre fait ä parquets, & d'vn lambry orne de cartouches, ou sont les armes de France & des Salamandres, auec des trophees diuers, des basses tallies, & ces mots Latins: Franciscus Francorum Rex. LA entre les tremeaux des fenestres, ou posent les poutres & le platfond, sont quatorze Tableaux de huit pieds de haut, & de dix-huit de large, y comprenant les bordures & ornemens, lesquels representent diuers suiets d'histoires, d'emblemes, & de fictions poetiques; & sont tous ces Tableaux enrichis de leurs bordures de stuc, auec diuerses figures de relief & de basse taille, qui ornent merueilleusement ce lieu: & parce que comme i'ay desia dit, ce sont suiets differens qui n'ont point de suite, c'est pourquoy i'ay creu estre ä propos de commencer la description de ces Tableaux par celuy qui est le premier du coste de la Cour de la Fontaine, ä l'entree qui vient du grand Escalier. EN celuy-cy, qui est vn Embleme, sont plusieurs hommes & femmes qui ont les yeux bandez, & dont quelques-vns se conduisent auec vn baston comme des aueugles, & semblent aller vers vn Temple, ä l'entree duquel est le grand Roy Frangois, ayant vne couronne de laurier sur la teste, vn liure sous vn bras, & vne epee en main, temoignant vouloir ouurir la porte de ce Temple pour y conduire, & faire entrer ces aueugles. Oü par cet Embleme l'on peut voir le soin qu'a pris cet illustre Monarque ä chasser l'aueuglement de l'ignorance qui estoit de son temps, & donner entree au Temple des Muses pour cultiuer les Sciences & les Arts. Et de vray c'est luy qu'ä bon droit plusieurs celebres Escriuains appellent le Pere & Restaurateur des Sciences & des bonnes Lettres, ayant expres fait venir en France de tous les endroits du monde, les plus s$auans hommes en toute sorte d'Arts & de Sciences qu'il y eut pour lors, ausquels il donna des gages & de riches appointemens: dont nous font foy les Chaires Royales & publiques, qu'il a fondees l'an 1530 en la celebre Vniuersite de Paris, pour la Philosophie, pour la Medecine, pour les Mathematiques, & pour des Professeurs es Langues saintes, Hebrai'que, Chaldai'que, & Arabique, & pour les Grecque & Latine. I'estois en volonte de ne faire qu'vne description generale de toutes les bordures &C enrichissemens de ces Tableaux, mais i'ay este conseille de traitter de celles-cy en particulier, sur ce que elles sont toutes diuerses, & accompagnees de fort rares, & des plus beaux ornemens qui se puissent voir; le tout de stuc & de relief: qui ont vn grand rapport aux suiets contenus en ces Tableaux. Et quant ä celles du premier Tableau, elle est composee d'vne Salamandre d'or, qui est au haut dans vne petite architecture; au bas est vn cuir, ou est vne basse taille accompagnee de festons; & aux costez de cette bordure sont deux grandes figures de Satyres en relief auec des petits enfans: le tout sur vn fond d'or, oü sont quelques autres figures de femme, & d'animaux.
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Au second Tableau est encore represente le mesme R o y arme, & tout de bout au milieu d'vne Salle, tenant vne grenade en main que luy presente vn enfant ä genoux a ses pieds; & est ce Prince accompagne de quantite de personnes, les vns vieillards, & comme des Senateurs, les autres representans des Capitaines & Soldats. C e qui est pareillement vn Embleme en suite du precedent, par lequel Ton peut entendre que si tost que ce R o y fut eleue ä la Couronne, & eut pris le maniement des affaires de cet Estat, son dessein ne fut pas seulement de chasser l'aueuglement de l'ignorance de son Royaume, mais encore y establit vn bon ordre & police, soit aux choses ciuiles, ou soit au gouuernement de la guerre: voulant signifier de plus par cette grenade, que tandis que tous les suiets demeureroient bien vnis ensemble, & auec sa Maieste, comme les grains de ce fruit, tout ce Royaume iroit fleurissant. Sa bordure est comme la precedente, & toutes les autres posez sur vn grand fond d'or; oü ä ses deux costez sont peintures, & ornees de figures de relief, auec des testes de festons, & vne Salamandre d'or qui est tout au dessus de la enrichissemens.
qui suiuent, auec leurs ornemens, deux grandes ouales remplies de Lions qui soustiennent de grands bordure, & quelques autres petits
DANS le troisieme Tableau qui suit les precedens, se voyent Cleobis, & Biton, deux freres, qui traisnent dans vn chariot leur mere, vieille ä l'extremite, allant sacrifier au Temple de Iunon, pour cause d'vne grande mortalite qui estoit au pays; & en reconnoissance de la piete de ses deux enfans, eile prie la Deesse de leur donner la meilleure chose & plus souhaittable qui soit au monde; laquelle aussi tost leur enuoya la mort. La bordure de ce Tableau est posee sur vne grande ouale accompagnee de deux chiens de relief, dans laquelle est vne basse taille representant la piete Romaine; autrement cette Dame qui allaita de ses mamelles son pere detenu en prison, & condamne a mourir de faim. Aux deux costez de la bordure sont deux grands ronds, & des figures en termes; le tout de relief auec les Chiffres, & la Deuise du Roy. Le quatrieme Tableau figure Danae auec vne pluye d'or. Sa bordure est vne grande ouale, ou a chaque coste sont trois femmes en terme de relief, qui soustiennent vn grand pannier de fruits, & autour sont des enfans peints sur vn fond d'or, qui tiennent des liures, & des instrumens de Musique, dont ils semblent composer vn concert harmonieux. Se void au cinquieme Tableau Adonis mourant, assiste des Graces, de petits Amours, & de Venus qui paroit au dessus dans son chariot tire par deux colombes, laquelle semble desesperee, se tirant les cheueux, & fondant en larmes de regret de cette mort. En la bordure de ce Tableau sont deux quadres de part & d'autre, auec quatre enfans de relief; & au dessus sont des figures grandes comme le naturel peintes sur vn fond d'or; & plus bas des enfans auec plusieurs chariots en basse taille, representans les [d]ieux O l y m piques. Pour ce qui est du sixieme Tableau, l'on le prend ordinairement pour la Fontaine de Iuuance, parce que la sont peints diuers vieillards d'vn aage decrepite, hommes & femmes, se conduisans auec des batons, & d'autres qui s'estans plongez dans cette Fontaine, reprennent nouuelles forces, & semblent recouurer la grace & l'embonpoint de leur premiere ieunesse. O u par le serpent qui s'elleue de cette Fontaine, peut bien estre represente Esculape Dieu de la Medecine, que les Anciens ont assez souuent figure par vn serpent. La bordure de ce Tableau est soustenue de deux chiens, auec deux grands ronds ornez de festons & de masques, & soustenus par deux enfans; le tout de relief, 8c diuers petits enfans au dessus sur vn fond d'or.
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Le septieme represente le combat entre les Lapithes Sc les Centaures, quand ceux-cy epris de vin au banquet & nopces de Pirythous auec Hipodame, ils voulurent rauir Sc forcer cette Dame. Les enrichissemens de la bordure de ce Tableau sont tels: il y a deux enfans au dessus, qui tiennent dans vn linge vne Salamandre d'or: au bas est vne cartouche auec des masques, Sc aux deux costez sont deux termes, qui portent la Deuise Sc le Chiffre du R o y Frangois: Sc sont ces termes soustenus par deux enfans aillez, auec diuers autres enrichissemens. Le huitieme ensuiuant commence du coste du Iardin de la Reyne, c'est vne Venus chastiant F A m o u r d'auoir abandonne Psiche. Sa bordure est ornee comme les autres; au bas est vn quadre d'vn pied de diametre, dans lequel ce Chasteau de Fontainebleau se void depeint en petit. Aux deux costez de cette bordure sont deux fort grandes figures de bosse, d'homme Sc de femme assises, qui soustiennent deux cuirs oü sont diuers ornemens, accompagnez de quatre enfans: Sc sous ces deux grandes figures sont deux cartouches, oü se voyent peints deux combats; l'vn par terre, Sc l'autre par mer; & tout au dessus est vne Salamandre, Sc quelques petits masques peints ä fonds d'or. Le neufieme Tableau est Chiron le Centaure qui instruit Achille en diuers exercices, comme ä tirer Sc faire des armes, ä courre Sc rompre au faquin, Sc ä nager. Aux deux costez de la bordure sont peints deux figures d'hommes grands comme nature, lesquels sont attachez ä deux arbres. La sont aussi de petits enfans, Sc diuersite de crotesques. Le dixieme represente vn naufrage dans vne nuit sombre, oü sont diuerses personnes en action de desesperees; Sc est ce Tableau fort estime entre les autres. Sa bordure est enrichie de part Sc d'autre de niches, accompagnees de quatre petits enfans aillez de relief, Sc d'autres peints ä fond d'or, auec vne Salamandre dans vne cartouche: en l'amortissement Sc tout au bas est vn Neptune Sc vne Naiade. Au milieu de cette Gallerie est vn petit Cabinet de mesme coste du Iardin, oü est vn Tableau, qui fait l'onzieme, dans lequel se void la fable de Semelle bruslee du feu de Iupiter, pour l'auoir voulu en l'eclat de sa Maieste celeste. La bordure de ce Tableau est en ouale, au bas sont des figures de femmes couchees, accompagnees de petits enfans; Sc tout au haut de cette bordure il y en a d'autres tenans vn F couronnee, le tout en relief. E n ce mesme Cabinet est vne cheminee fort enrichie de figures, les vnes de relief, les autres en basse taille, auec diuerses moresques Sc crotesques. E t tout au dessus de l'entree de ce Cabinet est vn grand buste de relief, representant le portrait ä demy corps du grand R o y F r a n c i s porte par diuerses testes de Cherubins; Sc aux costez il y a deux Anges qui tiennent chacun la Deuise de ce Prince. Outre que de part Sc d'autre sont deux grandes figures peintes sur vn fond d'or, l'vne representant la Victoire, & l'autre la Renommee, auec pareils embellissemens. Au douzieme Tableau suiuant, est figure la ruine Sc embrasement de Troye la grande, oü paroit Enee portant son pere Anchise sur ses epaules, Sc vn autre sa mere, auec le petit Ascagne qui empörte vn chien, Sc d'autres enfans chargez de petites bagatelles pueriles, qu'ils taschent de sauuer de cet incendie. Aux deux costez de la bordure sont deux niches remplies de deux grandes figures, auec deux termes de part Sc d'autre; oü au dessus de chacune niche sont quatre enfans posez sur des festons, dont les vns tiennent vne cartouche oü est vne Salamandre d'or auec des F F couronnees; Sc tout au dessus de la bordure est vne autre cartouche appuyee de deux grands masques de relief, Sc lä est depeint vne ruine de bastiment.
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Se void au treizieme Tableau comme vn triomphe represente par vn Elephant auec vne Cicogne ä ses pieds: ce que plusieurs estiment estre vn Embleme, representant quelques victoires de F r a n c i s I. Les ornemens de la bordure de ce Tableau consistent en deux grandes figures peintes ä fond d'or de chaque coste, l'vne representant le rauissement d'Europe par Iupiter sous la figure d'vn Taureau, & l'autre vn Neptune sous la forme d'vn cheual marin qui enleue Amphitrite; il y a au dessus deux figures de relief, qui tiennent d'vne main des festons oü sont attachez les Chiffres du Roy: & entre ces figures est vne Salamandre auec quelques autres embellissemens. Dans le quatorzieme & dernier Tableau se void l'appareil d'vn celebre Sacrifice, dont la bordure est enrichie de part & d'autre de grandes figures de relief posees entre deux colonnes, qui forment encore vne maniere de Sacrifice, l'vn d'vn taureau, & l'autre d'vn mouton: oü au dessous sont des enfans qui tiennent des cornets, dont ils sonnent vne danse de Nimphes qui paroissent plus bas: & tout au dessus est vne Salamandre dans vne cartouche. Ii y a de l'apparence, & c'est l'opinion de plusieurs, que le sieur Rousse qui a destine & ordonne tous les Tableaux & ornemens de cette Gallerie; comme il estoit non seulement sfauant & intelligent en l'Art de Peinture, mais aussi bien verse es Sciences humaines, a voulu representer par les diuerses histoires, & suiets de ces Tableaux, les actions principales de la vie du grand Roy F r a n c i s , telle qu'estoit son inclination aux Sciences & aux Arts, sa piete, son courage, son adresse, ses amours, ses victoires; notamment la bataille de Cerisoles exprimee par le combat des Lapithes. Comme aussi l'on croit estre representees ses disgraces par ce Tableau ou est figure vn naufrage; & le tout bien ä propos & par modestie, figure par emblemes, & sous ces fictions des anciens Poetes.
John Evelyn, Diary, 7.-9. März 1644 9 The Next day, being Mar: 7th I set forwards with some Company, towards Fontaine Bleau, which is a sumptuous Palace of the Kings (like ours of Hampton-Court) about 14 leagues from the Citty: by the Way we passe through a Forest so prodigiously encompassd with hidious rocks of a Certaine whiteish hard stone, congested one upon another in Mountainous heights, that the like I believe is no where to be found more horrid & solitary [...]. [...] we arived that Evening at the Village, where we lay at the Home, going the next morning early to the Palace: The Fabrique of this house is nothing so stately & uniforme, as Hampton Court: but Fra: the 1st began much to beautifie it; most of all Hen: 4 th , and not a little the last King: It abounds with very faire Halls, Chambers & Gallerys: In the longest which is 360 foote long & 18 broad is paynted with the Victoryes of that greate Prince Grandfather to the present: That of Francis the i: cal'd the grand Galery, has all the Kings Palaces paynted on it: Above these in 60 pieces of incomparable Worke the history of Ulysses out of Homer don by Primaticcio in Fresca in the tyme of Hen: 3d and esteemed amongst the most renown'd in Europ for the designe: The Cabinet is full of incomparable Pictures, especialy a Woman of Raphael: In the Hall of the Guards is a piece of Tapissry painted on the wall very naturally, representing the Victoryes of Charles the 7th against our
9 Aus: The Diary of John Evelyn, pp. 67f.
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Countrymen. In the Sale des Festines, is a rare Chimny-piece, and Hen: 4 th on horse-back of White-marble esteemed worth 18000 Crownes: Clementia and Pax nobly don: U p o n Columns of Jasper 2 Lyons of Brasse: The new stayres, and an hälfe Circular Court is of modern Sc good Architecture, & so is a Chapell built by Lewes XIII t h all of Jasper and severall incrustations of Marble through the inside: Having seene the romes we went to the Volary which has a Cupola in the middle of it; also greate trees Sc bushes, it being full of birds who dranke at two fountaines: There is also a faire Tennis-Court, Sc noble stables; but the Beauty of all are the Gardens: In the Court of the Fountaines stand divers Antiquities, & statues, a Mercury especialy: In the Queenes Garden is the figure of a Diana making a fountayne with a world of other brasse statues: The Greate Garden being 180 thoises long and 154 wide has in the Center the Fountayne of Tyber in a Colossean figure of brasse, with the Wolfe over Romulus & Rhemus: also at each corner of the Garden rises a fountaine. In the Garden of the Piscina is an Hercules of White-marble; next is that of Pines, and without that a Canale of an English mile in length, at the end of which rises three jettos in the forme of a flowre de lys of an exceeding height; at the margent are incomparable Walkes planted with trees: Here the Carps come familiarly to hand: Hence they brought us to a Spring which they report being first discover'd by a dog, gave occasion of beautif[y]ing this place both with the Palace and Gardens; The White & horrid rocks at some distance in the Forest yeald one of the most august Sc stupendious prospects imaginable. The Parke about it is very large, Sc the Towne full of noble-mens houses. Next morning we were invited by a Paynter who was keeper of the Pictures & rarities to see his owne collection: we were lead through a Gallery of old Rossos worke, at end of which is another Cabinet were 3 Madonas of Raphael, 2 of Andr: de Serto: In the Academy where the Paynter himselfe wrought was a St. Michael of Raphael very rare: St. Jo: Baptist of Leonardo, Sc a Womans head: a Queene of Sicily [& St. Margarit] of Raphael, 2 more Madonas whereof one very large of the same hand; some more Pictures of del Sartos: a St. Jerome of Perino del Vagas: The Rape of Proserpine very good, with a greate quantity of drawings.
Abbe Pierre Guilbert, Galerie de Francois I. dite des Reformez, 173110 Cette Galerie scituee entre la cour de la Fontaine & le jardin de l'Orangerie sur lesquelles eile a ses vües, est connue depuis sa fondation sous le nom de Galerie de Frangois I. parce qu'elle est la premiere que ce Roy ait fait batir, (ce fut en mil cinq cent trente) comme le font voir son Portrait, Chiffre Sc Devise que Ton voit en plusieurs endroits; Sc non comme l'ont voulu quelques-uns, parce que les peintures de cette Galerie sont uniquement destinees ä representer les principales actions de ce Monarque; puisqu'excepte les deux premiers Tableaux ä droite & ä gauche, Sc tout au plus quelques bas reliefs qui y ont rapport; tout les autres sont des sujets detaches Sc bien eloignes de pouvoir servir de parfaits emblemes. Quelques Officiers que Louis le Grand reforma dans cette Galerie l'an mil six cent soixante-quatre, apres la paix des Pirenees, & dont il composa une Compagnie pour Monseigneur le Dauphin, peuvent avoir donne ä cette Galerie le nom des Reformees, A sous 10 Aus: Description historique des chateau, bourg et foret de Fontainebleau, vol. 1, pp. 78-101. A D'autres pretendent que le nom de Reformes a ete donne ä cette Galerie ä cause d'une Requete que les Calvinistes, dits de la Religion pretendue reformee presenterent ä Frangois I. en cet endroit.
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lequel eile est plus connue aujourd'hui, quoiqu'elle ne soit ainsi nommee nulle part avant ce temps, & qu'il paroisse au contraire qu'elle etoit quelquefois appellee petite Galerie, pour la distinguer de la grande qui est dans la cour du Cheval blanc, laquelle a, comme celle-ci, son entree par l'Escalier du fer ä cheval, & n'est differente qu'en grandeur, celle des Reformes n'ayant que trente toises de long sur trois de large. Un Plafond de bois de noyer ä plusieurs compartimens, de pieces rapportees en Mosaüque, d'une rare beaute, & tres-bien dore sur les moulures, repond ä un Lambris aussi de noyer charge de Salamandres® au milieu de flammes, d'Armes de France, de Trophes & des Chiffres de Fran9ois I. en relief sur des cartouches de noyer, avec ces mots, Franciscus Francorum Rex, qui orne & decore cette Galerie, tres-estimees des Connoisseurs par la grande quantite de tres-beaux & parfaits reliefs, sculptures, basses tailles, c masques & figures d'idees sagement menagees, par Paul Ponce dans l'entre-suite de nombre de Tableaux & Medaillons peints a fraisque D par Rous, E ou executes sur ses desseins, par Samson, Michel, Louis Dubreüil & autres ses eleves, & que le Primatice F charge du soin de cette Galerie
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Mais il paroit que l'on confond les Requetes presentees en leur nom ä Frangois II. par l'Amiral de Chätillon, lors de l'assemblee qui se tint dans l'Appartement des Reines Meres le vingtieme du mois d'Aoust de l'an mil cinq cent soixante. La Salamandre est une espece de grand Lezard de couleur noir, tache de jaune, qui selon les Naturalistes, nait dans l'eau, & qui lorsqu'il en sort, reste au milieu du feu & l'eteint; d'autres pretendent meme qu'il s'en nourrit. Francois I. l'avoit choisi pour sa Devise avec ces mots: Nutrisco et extinguo: Je m'y nourris & je l'eteins; qui peut signifier qu'il a ete ferme & constant dans l'adversite, & que son courage est enfin reste victorieux. Basse taille, ouvrages de Sculpteur, qui sont de bas reliefs, & dont les corps ne sortent qu'ä moitie. Fraisque est une peinture faite sur un enduit de mortier encore frais, & pour laquelle il faut employer les couleurs les plus terrestres & les moins composees. Rous ou le Rosso, ainsi nomine de la couleur de son poil, etoit de Florence, & vint en France en mil cinq cent trente par ordre de Francois I. qui l'employa ä cette Galerie; il l'orna outre les tableaux, de quantite d'ouvrages d'email, dont on voit a peine quelque reste. II y a lieu de croire qu'il etoit Peintre & Architecte, deux qualites qui etoient souvent reiinies dans la meme personne. II mourut en mil cinq cent quarante & un, s'etant empoisonne, de chagrin d'avoir accuse injustement un de ses amis d'un vol considerable qui lui avoit ete fait. Beaucoup de ses ouvrages ont ete graves par Cherubin Albert, & par Jacques Caraglio de Bologne. Frangois Primatice, dit de Bologne en Italie ou il etoit ne, excella dans la Peinture & l'Architecture qu'il perfectiona par les conseils de Jules Romain. II vint en France en mil cinq cent trente-un, & fut charge du soin des Bätimens que F r a n c i s I. faisoit elever. En mil cinq cent quarante il alia en Italie par ordre de ce Roy, & en rapporta cent vingt-quatre Statues antiques, & nombre de bustes. II moula par les secours de Vignolle, & de Frangois Libon qu'il amena en France pour les executer en bronze, la Colonne Trajane, les Statues de Venus, de Comodes, de Laocoon, du Tibre, du Nil & de Cleopatre de Belveder; ce qui lui merita une Charge de Valet-de-Chambre du Roy, 8C l'Abbaye de Saint Martin de Troyes, dont il prit le nom de Saint Martin. Philbert de Lorme, Sur-Intendant des Batimens etant mort en mil cinq cent cinquante-neuf, il fut revetu de sa Charge qu'il exer$a sous Francois II. & Charles IX. qui comme Marie de Medicis, le croyant le Phoenix de leur siecle, le comblerent d'honneurs & de biens, qui ne l'empecherent point de mourir fort age l'an mil cinq cent soixante & dix, avec la reputation de tres-habile homme, & de trop jaloux de Rous son emule. Le Chateau de Fleury ä deux lieues de Fontainebleau, est orne de ses ouvrages. Jules Bonazones en a grave quelques-uns.
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apres la mort de Rous, continua & enrichit de bordures de stucG & de divers autres agremens qui pussent faire oublier un emule dont il crut ne pouvoir mieux se venger qu'en detruisant quelques-uns de ses Tableaux & autres ornemens, dont la perte laissa entrevoir une animosite secrete, mais incapable de diminuer le merite de Rous, qui trop maniere dans ses attitudes, a cependant laisse dans ses ouvrages l'idee d'un genie vif, & capable de reünir l'art & le pinceau dans des beautes brusques, oü il faut saisir le moment heureux, sans aucune esperance de retour. L'examen en decidera. Une partie des peintures de cette Galerie a ete gravee par differens Maitres. Le premier, ä droite en entrant par l'Escalier du fer a cheval, represente plusieurs hommes & femmes les yeux bandes, dont quelques-uns sont endormis; d'autres paroissent dans une molle indolence, & d'autres ont des batons, & vont comme en cherchant vers un Temple, oü on lit Ostium Jovis, que Frangois I. une couronne de laurier sur la tete, un Livre sous les bras & une epee ä la main, veut leur faire ouvrir. Ce Tableau connu sous le nom d'ignorance chassee, est un monument de la protection que ce Roy accorda aux S9avans, lorsqu'il fit venir de toutes les parties du monde les plus habiles hommes en toutes sortes de sciences, leur accorda des pensions & privileges, etablit & fonda le College & l'Imprimerie Royale ä Paris l'an mil cinq cent trente, & chassa ainsi l'ignorance qui etoit alors dans un si grand credit, que Rhenanus dans son Epitre Dedicatoire des oeuvres d'Erasme ä Charles-Quint, assure qu'on auroit ä peine trouve en Allemagne & en France deux personnes qui eussent paries latin, & qu'on n'en eüt pas trouve un seul qui sijut lire le grec. Ce qu'Erasme confirme, lorsqu'il dit qu'un Seigneur n'auroit pas donne une obole pour faire instruire ses enfans, & que le proverbe etoit, I'occupation d'un Gentilhomme est de ne rien faire. En effet Frangois I. ayant vü un prononce d'Arret oü l'on s'etoit servi de ce pretendu latin debotavit & debotat, pour dire a deboute & deboute, termes usites dans le Barreau, ordonna que tous les Actes qui jusqu'alors avoient ete en latin, seroient ä l'avenir en Frangois. Toutes les bordures, ornemens & Salamandres qui sont au-dessus de ces Tableaux, sont en relief & stuc sur des fonds d'or ornes de divers oiseaux & autres peintures que l'on peut ä peine distinguer. Au cote de ce Tableau sont deux grands Satyres H avec quelques petits enfans, & des tetes de femme en relief, qui paroissent representer les suites de l'ignorance. Au deuxieme Tableau Frangois I. accompagne de Senateurs, Officiers, Soldats & autres Peuples est debout & arme, ayant en main une pomme de grenade (symbole de l'union) qu'un enfant qui est ä genoux a ses pieds, vient de lui presenter. Ce qui represente le soin que ce Roy prit d'entretenir l'union dans tous les Corps du Royaume, leur faisant comprendre que s'ils etoient unis ensemble & attaches ä leur Roy, l'Etat n'avoit point besoin d'autres forteresses. Aux cotes sont deux Tableaux ovales, Sc une quarre au-dessous, trop effaces pour pouvoir en decouvrir les sujets. Dans le troisieme on voit Cleobis & Bithon deux freres, qui dans le tems d'une grande mortalite, leurs boeufs etant morts, conduisirent sur un chariot leur mere extremement vieille, qui alloit sacrifier ä un Temple de Junon dont eile etoit Pretresse. Ciceron 3. Tuscul. G Η
Stuc espece de mortier fait avec de la chaux & de la poudre de marbre broye. Les Satyres etoient des monstres moitie hommes & moitie chevres, qui avoient des comes, & habitoient les forets 8c les montagnes.
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On voit dans les differens coins de ce Tableau des bceufs, moutons, & autres animaux morts de la peste. Aux cötes sont en bas relief ä gauche Junon qui s'enleve sur son char, apres avoir frappe de mort Cleobis & Bithon, pour qui leur mere avoit demande par reconnoissance la meilleure chose & la plus souhaitable qui fut au monde. A droite est represente une peste. Junon Deesse des richesses & des Royaumes etoit fille de Saturne & d'Opis sceur & epouse de Jupiter, qui se metamorphosa en coucou pour en joüir, & qui fut ä peine son epoux que la jalousie de cette Deesse l'obligea de faire divorce. Raison peu süffisante pour l'invoquer, comme on faisoit, dans les mariages & les accouchemens. Dans un bas relief sous le Tableau, est represente la piete Romaine ou l'Histoire de cette femme qui alloit dans la prison nourrir de son propre lait son pere condamne ä mourir de faim. Ce qui ayant ete decouvert, le pere fut mis en liberie, la fille obtint une pension de la Republique, & la prison fut changee en un Temple consacre a la Piete. Quelques Auteurs ont crü qu'elle etoit fille, & que les Dieux lui avoient par miracle donne du lait. Exemple de respect & de piete trop rare de nos jours, & qui pour etre moins ä la mode, doit cependant apprendre aux enfans que c'est aux Dieux qu'ils pretent quand ils s'acquittent de ce qu'ils doivent ä leurs Peres. Valer. Max. lib. 5. chap. 4. num. 7. Plin. hist. nat. lib. 7. cap. 36. Au quatrieme, Jupiter metamorphose en pluye d'or visite Danae enfermee dans une tour d'airain, ou son pere Acrise la croyoit en surete. On croit que ce Tableau est de Saint Martin. Acrise Roy d'Argos ayant appris qu'il periroit de la main d'un enfant qui naitroit de Danae, crut la priver de toute frequentation en l'enfermant dans cette tour, qui n'empecha pas que Persee ne lui düt sa naissance. Acrise les fit jetter tous deux dans la mer; mais des Mariniers qui les repecherent en ayant pris soin, Persee tua Acrise sans le reconnoitre. Quelques-uns ont crü que ce Tableau etoit l'embleme des liaisons de Frangois I. avec la Duchesse d'Estampes; mais sans entrer dans ce detail, on peut assurer que c'est une vive image de la puissance de l'or sur le coeur humain. Quid non mortalia pectora cogis Auri sacra fames? Eneid. liv. 3. vers 56. Aux cotes sont trois femmes Termes de relief, qui soütiennent des corbeilles de fruits, & sur le fond d'or des enfans qui font un concert. Deux Medaillons en email 1 representent au-dessus ä droite, Apollon, & ä gauche Diane Deesse de la chasse & des forets. Apollon & Diane etoient gemeaux, & enfans de Jupiter & de Latone. Apollon etoit Dieu du Parnasse & des Muses, & Diane Deesse de la chasse & des forets. Le cinquieme represente Venus sur son char, qui fond en larmes & s'arrache les cheveux ä la vue d'Adonis mourant entre les mains des Graces & des Amours. Pres d'elle est le petit Cupidon qui paroit touche, & a les mains jointes. Adonis etant ä la chasse, perga d'une fleche un sanglier qui revint sur lui & le tua. Venus touchee de sa mort, le changea en une fleur nommee Anemone. I
Les peintures en email etoient fort en reputation sous le Regne de Francois I. Rous en avoit fait une grande quantite que Saint Martin detruisit; on fait ces peintures avec des couleurs minerales cuites au feu; ce que l'on appelle parfondre Temail. Ces sortes de peintures ne sont point sujettes ä s'effacer; les plus recherchees sont Celles sur cuivre.
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Des enfans soütiennent ä droite le triomphe de Venus; ä gauche les effets de l'amour. Dans un bas relief au-dessous, sont representees des courses de chariots, ou Jeux Olympiques institues par Hercule en l'honneur de Jupiter. Ces Jeux se celebroient tous les quatre ans, & duroient cinq jours. Celui qui avoit remporte le prix etoit couronne d'olivier, & rentroit dans la Ville sur un char de triomphe. On croit que le sixieme represente la Fontaine de Jouvence, parce, dit-on, que Γοη voit d'un cote des vieillards hommes Sc femmes qui se conduisent avec des batons, & de l'autre des gens qui paroissent avoir repris leur premiere jeunesse, & de nouvelles forces. D'autres au contraire pretendent que c'est l'arrivee d'Esculape ä Rome, ce qui est represente par le serpent, figure qu'il prit, dit la Fable, lorsqu'il quitta Epidaure. J Dans les loingtains de ce Tableau on voit d'un cote un grand Pretre accompagne de gens de tous äges qui offrent un sacrifice, & Mercure qui precede le char d'Apollon, & semble leur annoncer que leurs voeux sont exauces. D'un autre cote on voit differens sacrifices qui ne paroissent avoir de rapport avec la Fontaine de Jouvence, qu'autant que l'on voudra croire que ce sont les vieillards qui font des voeux ä la Divinite de cette Fontaine, & les vieillards rajeunis qui rendent graces. Mais dans la difficulte de se determiner pour l'un ou pour l'autre de ces sentimens, il faut consulter Ovide qui semble decider en faveur du second, lorsqu'il dit que les Epidauriens se hätoient de faire des voeux & des sacrifices ä ce Dieu avant son depart, que tout le Peuple Romain, le Senat, les Dames & les Vestales meme, se trouverent ä son arrivee sur le bord du Tibre, qu'on y brüla une quantite considerable d'encens, & que d'espace en espace on avoit dresse des autels ou l'on immoloit des victimes lorsque ce Dieu passoit. La difficulte sera alors de decider ce que ce pouroit etre que ce Dragon aile qui semble caresser, ou donner ä boire a une femme qui est sur un äne ou chameau: & il paroit qu'il faudra se determiner ä dire que le Peintre a confondu quelque chose des deux Histoires, puisque les cadres de stuc qui sont aux cotes de ce Tableau, representent ä droite l'äge viril ou la force de l'äge, & a gauche la decadence de l'äge ou la vieillesse, ce qui paroit avoir rapport ä la Fontaine de Jouvence. Le septieme represente le combat des Lapites contre les Centaures, qui etant pris de vin, voulurent enlever Hippodame femme de Pirithoüs, pendant le festin des noces ou ils avoient ete invites.
Raptaturque
Et ebrietas geminatd libidine regnat. Protinus eversa turbant convivia menste, comisper vim nova nupta prehensis. Ovid. Met. liv. 12. vers 211.
Les Centaures peuples de Thessalie, dompterent les premiers des chevaux, & s'en servirent ä la guerre. Leurs ennemis effrayes de cette nouveaute, crürent qu'ils etoient moitie hommes & moitie chevaux. On a pretendu que ce Tableau etoit un embleme de la Bataille de Cerisolles; mais Rous de qui est ce Tableau etant mort en mil cinq cent quarante-un, & cette fameuse action s'etant
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R o m e etant affligee de la peste, l'Oracle repondit qu'elle ne cesseroit que lorsque le fils d'Apollon y demeureroit. Aussi-tot on deputa ä Epidaure demeure ordinaire de ce Dieu, qui apres les ceremonies necessaires, partit sous la figure d'un serpent, & vint ä Rome; la peste cessa, & on lui bätit un Temple pres le Mont Esquilin.
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passe en mil cinq cent quarante-quatre, il faudra croire, si F o n veut que ce soit un embleme; qu'elle a rapport ä la celebre Bataille de Marignan, oü Francois I. coucha les armes ä la main, sur l'affüt d'un canon, & fut oblige dans une soif extreme de boire un peu d'eau melee de b o u r b e & de sang, qu'un Soldat lui presenta dans un casque. D e s enfans ailes soütiennent aux cotes des Termes qui portent la Devise & le C h i f f r e de ce R o y . Au-dessous du Tableau on voit en relief les effets du vin & de la colere. A u bout de la Galerie pres la porte de la Terrasse, & celle de la C h a m b r e de Saint Louis, on voit un Tableau ovale d'environ sept pieds, representant sur toile Zephyre & F l o r e , par B o u l o g n e le jeune. K Zephyre fils d ' E o l e & de l'Aurore, & l'un des quatre principaux vents, aima passionement la Deesse F l o r e , & en eut plusieurs enfans. C e t t e pretendue Deesse etoit connue sous le n o m de C l o r i s avant qu'elle füt mariee ä ce vent, qui lui donna tout pouvoir sur les fleurs. Q u e l q u e s Auteurs ont crü que c'etoit une courtisane, qui en mourant avoit declare le Peuple R o m a i n heritier des grands biens qu'elle avoit gagnee avec quelques-uns d'eux, & qu'elle avoit laissee une s o m m e pour celebrer le j o u r de sa naissance par des jeux qui depuis ont ete appelles jeux Floraux. L e huitieme Tableau, en retournant du c o t e du jardin, est Venus, qui chätie l ' A m o u r , pour avoir abandonne Psichee. Psichee jeune Princesse fut si belle, que C u p i d o n en devint amoureux, & la fit transporter par le vent Zephire dans un lieu de delices, oü eile demeura long-tems avec ce D i e u sans le connoitre; & qui s'etant enfin decouvert apres bien des sollicitations, disparut. A u x cotes deux figures Gigantesques d'hommes & femmes, accompagnees d'enfans de relief, soütiennent des cuirs charges d'ornemens, & ont sous eux dans des cartouches de relief ä gauche, la representation d'un C o m b a t Naval, ä droite une Bataille en pleine Campagne. A u milieu de ces cartouches est peint dans un petit cadre l'ancien plan de Fontainebleau du cote de la c o u r de la Fontaine. D a n s le neufvieme, le Centaure C h i r o n charge de l'education d'Achille; lui apprend ä d o m p t e r un cheval, ä se servir d'armes, ä näger, & autres exercices. C h i r o n fils de Saturne etoit estime le plus habile, le plus juste & le plus equitable de son tems; ce qui fit q u ' o n lui confia l'education d'Achille. O n dit qu'il enseigna la Medecine ä Esculape, & l ' A s t r o n o m i e ä Hercule, dont une des fleches qui lui etoit t o m b e e sur le pied, lui causa tant de douleurs, qu'il demanda la mort aux D i e u x , qui le placerent dans le Ciel, & en firent un des douze signes du Zodiaque n o m m e le Sagittaire. A u x cötes sont des figures d'idees peintes sur le fond d'or. Au-dessous est une basse taille representant une aresne, oü des h o m m e s combattent des animaux. Ii seroit difficile d'ajoüter aux eloges des plus habiles connoisseurs, en decrivant les beautes du dixieme Tableau. Κ
Boulogne premier Peintre du Roy, est encore vivant. Les grands principes que lui donna Louis Boulogne son pere, & qu'il a parfaitement imite dans Boulogne son frere tous deux Peintres fameux, lui ont merite la juste estime des connoisseurs; & la faveur de la fortune qui ordinairement peu d'accord avec les Sgavans, l'a mit cependant en etat de voir paisiblement son fils joüir d'une place de confiance & de credit dans l'administration des Finances.
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Les proportions, les couleurs, la force de l'imagination & la hardiesse de l'execution lui ont merite depuis long-tems le titre de chef-d'oeuvre; tout etant grand & naturel dans les passions les plus violentes, & les mouvemens les plus surnaturels. Des hommes surpris par une horrible tempete dans une nuit des plus noires, luttent en desesperes contre les horreurs de la mort, & font tous leurs efforts pour se derober aux foudres du Ciel, &C s'arracher aux gouffres de la Mer qui les contraint, apres beaucoup de peine, de venir enfin se briser contre un funeste rocher. Ici paroissent des debris de mäts & des agrez de Vaisseaux. La des miserables veulent escalader le Rocher, quelques-uns esperans en vain du secours, saisissent leurs camarades, & d'autres enfin qui perissent dans le desespoir, semblent häter mutuellement leur dernier instant, & s'ecrier avec Properce Ah pereat quicumque rates & vela paravit Primus, & invento gurgite fecit iter. On a pretendu que ce Tableau etoit uniquement l'embleme des disgraces de la France ä la journee de Pavie, oü Francis I. fut fait prisonnier de l'Empereur Charles-Quint; mais on ne se persuadera pas facilement qu'on se fit un plaisir alors plus qu'ä present, d'exposer aux yeux des Princes le souvenir de leurs plus cruelles disgraces. Et Ton en tiendra volontiers au naufrage d'Ajax, dont l'Histoire paroit naturellement representee. Ajax fils d'Ooilee Roy de Locre alia au siege de Troye avec une flotte de quatre cent vaisseaux. La Ville etant prise, Ajax viola Cassandre fille de Priam dans le Temple de Pallas dont elle etoit Pretresse. La Deesse irritee differa la punition de ce sacrilege jusqu'ä ce que sa flotte fut en Mer. Secondee alors par Neptune, elle suscita une furieuse tempete, ecrasa ce profanateur d'un coup de foudre, brula une partie de l'Equipage, fit perir l'autre contre un Rocher, & laissa ä peine echaper quelques-uns qui pussent rendre compte de la colere des Dieux irrites contre les profanateurs de leurs Temples. Le souvenir de la triste journee de Pavie rappelle un trait d'Histoire, qui pour etre cite par peu d'Historiens, merite cependant de trouver ici sa place. Frangois I. ayant ete blesse & pris ä la Bataille de Pavie, un Soldat Espagnol vint ä lui pendant qu'on le pan^oit, & lui dit, Sire: Ayant S9Ü hier qu'il y auroit une Bataille, je fondis expres une bale d'or que je destinois pour Votre Majeste, si je pouvois la rencontrer, & six autres d'argent pour les principaux Seigneurs de votre Armee. J'ai employe les six d'argent, la vötre seule m'est restee faute d'occasion: je vous supplie tres-instament, Sire, puisqu'elle n'a pas servi ä ce que je m'etois propose, de la recevoir & de la garder pour faire partie de votre Rangon. Le Roy ayant beaucoup loiie ce Soldat de sa liberte & de son esprit, la prit & le remercia. Vie de Charles-Quint par Don Juan Antonio de Vera. Quatre petits enfans ail es accompagnent deux niches vuides qui sont aux cotes. Au-dessous Neptune Dieu des eaux s'entretient avec Amymone, l'une des cinquante Danai'des que ce Dieu surprit lorsqu'elle alloit chercher de l'eau, & qu'il changea en fontaine, apres l'avoir violee. Au milieu de cette Galerie, au-dessus d'un cabinet du cöte du jardin, est le buste en stuc & relief de Francois I. au milieu d'un Cordon de Saint Michel, porte par des tetes de Cherubins, qu'accompagnent la Victoire & la renommee, peints sur le fond d'or, & des Anges de relief qui portent la Devise de ce Roy. Dans le Cabinet qui est orne comme la Galerie, etoit autrefois un Tableau ovale representant Semelee, ä la place duquel on voit presentement Minerve Deesse des Sciences & des
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Arts, sur toile, par Boulogne le Jeune. Ii est portee & soütenu par un jeune homme & une jeune femme couches sur des guirlandes de fleurs en relief, & surmonte par des enfans qui considerent une Salamandre. Minerve Deesse de la Sagesse, de la Guerre & des Sciences, & la meme que Pallas, sortit toute armee du cerveau de Jupiter qui lui donna naissance, en se frapant la tete de chagrin, de ce que Junon etoit sterile. La cheminee ä l'antique est ornee de petits Vulcains & Ciclopes de relief, 8t de differens grotesques qui accompagnent un petit Tableau oü Ton voit les faux Livres des Sibylles brüles. En sortant de ce Cabinet, l'onzieme Tableau represente la ruine & l'embrasement de Troye. On y voit Enee charge de son pere Anchise, & accompagne de Creüse sa femme & de son fils Ascagne, qui craint de perdre son petit chien, & paroit occupe d'enfans qui empörtem des bagatelles. Ergo age, chare pater, cervici imponere nostrx, Ipse subibo humeris, nec me labor iste gravabit. Eneid. 2. 707. Aux cötes sont de grandes figures dans des niches supportees par des Termes, & au-dessous des enfans qui tiennent le Chiffre de Frangois I. en relief. Au-dessous du Tableau on voit une ruine de batimens. Le douzieme est un Triomphe represente par un Elephant qui a une Cigogne ä ses pieds. II y a lieu de croire par un F que Ton voit sur l'Equipage de l'Elephant, que c'est l'embleme de quelques eclatantes victoires de Francois I. Peut-etre seroit-ce celle de Marignan, dont la Bataille dura deux jours & une nuit. A droite sur le fond d'or, est peint le ravissement d'Europe par Jupiter sous la forme d'un taureau. Europe fille d'Agenor Roy de Phenicie, ayant ete enlevee par Jupiter, & transportee en l'lsle de Crete, fit d'abord la fächee, mais se reconcilia facilement dans l'esperance qu'une des parties du monde porteroit son nom. Tua sectus orbis nomina ducet. Horace. A gauche, Neptune Metamorphose en cheval marin, enleve Amphitrite fille de Nere & de Doride, & l'oblige de devenir son epouse, quoiqu'elle se füt proposee de rester Vierge. Au-dessous du Tableau dans un bas relief, Alexandre accomplit l'Oracle, & coupe le noeud gordien. Les peuples de Phrigie ayant appris de l'Oracle que leurs divisions domestiques ne cesseroient, que lorsqu'ils auroient reconnu pour Roy celui qui leur viendroit sur un char, elürent Gordius pauvre Laboureur de Phrigie, qui arrivoit alors avec sa famille sur un chariot. Gordius par reconnoissance consacra ä Jupiter son char que l'Oracle rendit celebre dans la suite, par la promesse qu'il fit de l'Empire d'Asie ä qui en denoiieroit les courroyes qui attachoient le joug au timon. Alexandre apres la prise de Gordion Capitale de Phrigie, ayant vü ce char dans le Temple, chercha quelque tems sans pouvoir delier ce noeud mysterieux, & fache de ne pouvoir reüssir devant un peuple attentif a ce qui alloit arriver, tira son sabre & le coupa, en disant: qu'importe comment on le denoüe; & fit publier que l'Oracle etoit accompli; ce que l'on crut etre confirme par un orage qui arriva la nuit suivante. Dans le treizieme & dernier Tableau on voit l'appareil d'un sacrifice ou se trouvent nombre de meres avec leurs enfans en maillots, & quelques vieillards qui prennent part aux voeux
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du peuple pour la conservation de Frangois I. qui procuroit en toute occasion l'education & le bonheur de leurs enfans. Aux cötes sont des Temples ornes de colomnes, entre lesquelles sont de grandes figures de relief, qui representent des Sacrificateurs prets ä immoler a droite un mouton, & ä gauche un taureau. Ce dernier sacrifice ne substiste qu'en partie, l'autre ayant ete detruit pour faire l'entree de l'Escalier que l'on construisit en mil six cent quatre-vingt-quatre, sous le Regne de Louis XIV. comme le prouve un Soleil Devise de ce Roy, que l'on voit entre deux cornes d'abondance au-dessus de la porte de cette entree. Sous ce dernier Tableau on voit des Nimphes qui dansent, & des enfans peints sur le fond d'or, qui sonnent du corps, & paroissent avoir rapport aux fetes representees dans le Tableau. Au-dessus de la porte qui donne passage au Vestibule & ä la Chapelle, la Victoire couronne Frangois I. apres ses grands & difficiles travaux, & l'Histoire oblige le tems de se preter pour conserver la memoire de ses grandes actions. Ce Tableau ä fraisque & Camayeux L est de Person, qui le fit environ l'an mil sept cent dix, lorsque Louis XIV. fit refaire cette porte, comme il paroit par son Chiffre du cote du Vestibule. Aux cotes de ce Tableau sur le mur, sont deux Medaillons en relief, ou l'on voit ä gauche une Misere ou Consternation, embleme des disgraces de Francois I. & ä droite la Fortune assise sur sa roue, qui promet ä ce R o y d'etre enfin constante, & lui presente une boisson qui lui fait oublier ses malheurs passes.
Etienne Jamin, Galerie de Frarujois Ier, 1838 1 1 Cette galerie, qui rappelle parfaitement l'epoque de sa construction, par son architecture exterieure et ses decors interieurs, tire son jour de la cour de la Fontaine, par sept croisees. Le plafond est en bois de noyer ä plusieurs compartimens, avec des pieces rapportees en forme de mosai'ques autrefois dorees. Le lambris est decore de Salamandres au milieu de flammes, d'armes, de trophees et de chiffres de Frangois I er , avec ces mots: „Franciscus, Francorum rex," dont les deux derniers ont ete effaces pendant la revolution de 1793. Une grande quantite de sculptures tres estimees, de cariatides, de masques et de figures ideales bien menagees, ornent cette galerie dont la magnificence est encore relevee par des tableaux peints ä fresque, ainsi que des medallions. Toutes ces peintures, ä l'exception d'une seule, le tableau de Danae, qu'on attribue a Primatice, ont ete executees sur les dessins et sous les yeux du florentin Rosso, ou maitre Roux, peintre et architecte, auteur aussi des ornemens, c'est-ä-dire des reliefs et basses tallies dont l'execution fut par lui confiee au sculpteur italien Paul Ponce. Quant aux bordures et agremens divers, qui completent la decoration, ils sont evidemment l'oeuvre du Primatice qui est venu apres coup poser la le cachet de la jalousie et de l'envie, qu'il portait ä Rosso. La plupart des tableaux sont des sujets allegoriques ayant tous rapport ä Frangois I er , ä sa vie chevaleresque, erotique, et aux sentimens dont il etait anime pour le bonheur et la gloire de son peuple. II est ä regretter que le temps qui detruit
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Camaieux est un Tableau d'une seule couleur.
11 Aus: Etienne Jamin, Fontainebleau ou Notice historique et descriptive sur cette residence royale, pp. 1 4 1 - 1 4 8 .
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tout, n'ait pas laisse arriver intactes jusqu'ä nous ces belles compositions des artistes les plus distingues de l'epoque de la renaissance. D E S C R I P T I O N DES TABLEAUX.
Celui qui est au-dessus de la porte d'entree, en arrivant par le vestibule du Fer-ä-Cheval, representait, avant d'etre efface, la Victoire couronnant F r a n c i s I er . Aux deux cotes de ce tableau, sont deux medallions en relief: celui de gauche, represente une Consternation, embleme des malheurs arrives ä F r a n c i s I er ; et celui de droite, la Fortune, assise sur une roue, promettant ä ce Monarque une prosperite qui doit lui faire oublier ses maux passes. Dans le premier tableau, ä gauche, on voit l'appareil d'un Sacrifice; et ä cote, des personnages faisant des vceux pour la conservation de Frangois I er , qui voulait que l'instruction, source de bonheur et de jouissance, füt donnee indistinctement ä tout le monde. Α droite et ä gauche, sont des temples ornes de colonnes, entre lesquelles on a place des Sacrificateurs. Celui de gauche a ete en partie detruit sous le regne de Louis X I V pour faire l'ouverture de la porte. Une petite peinture ä fresque, d'un tres-bon goüt et d'une composition remarquable, est au-dessous de ce tableau; eile represente des Nymphes qui dansent en rond. Le sujet du premier tableau, ä droite, est l'embleme de la protection que F r a n c i s I er accordait aux gens de lettre. O n le voit, en costume hero'ique, ouvrir un temple ä des personnages representee sous diverses formes, et ayant des bandeaux sur les yeux. Autour de ce tableau, sont des figures et emblemes, peints ä fresque, et qui ont rapport au sens allegorique qu'il represente; a droite et ä gauche, sont deux grands Satyres en relief, avec des ornemens pareils. Dans le deuxieme tableau, ä gauche, un elephant, richement caparasonne, semble, par les ornemens dont il est charge, representer un triomphe; on pense que c'est l'embleme de la bataille de Marignan, gagnee par Francois I er . Α droite, est peint le ravissement d'Europe par Jupiter; et ä gauche, l'enlevement d'Amphitrite par Neptune, metamorphose en cheval marin. Dans un bas-relief, au-dessous de ce tableau, on voit Alexandre-le-Grand accomplissant l'oracle, en coupant le nceud-gordien. Dans le deuxieme tableau, ä droite, on voit F r a n c i s I er , en costume romain, tenant une grenade ä la main, et la presentant aux personnages qui l'entourent, comme le Symbole de l'union. Les ornemens de ce tableau, comme de tous les autres, sont en relief et stuc, avec une salamandre doree au-dessus; et au-dessous, un medaillon, dans lequel sont des colonnes qui semblent representer l'entree d'un temple. Le troisieme tableau ä gauche, represente l'incendie de Troie, et £nee emportant sur ses epaules son pere Anchise. „Ergo age, care pater, cervici imponere nostra:. Ipse subibo humeris, nec me labor iste gravabit." Eh bien! mon pere, au nom de mon amour pour vous, Laissez-moi vous porter: ce poids me sera doux. Aux deux cötes sont, dans des niches, deux grandes figures accompagnees d'ornemens; et au-dessous, une ruine de bätiment.
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8. Anhang: Ausgewählte Beschreibungen von Fontainebleau
Dans le troisieme tableau, ä droite, on voit les deux freres Cleobis et Biton, trainant, sur un charriot, leur vieille mere, vers un temple dont eile etait pretresse. De chaque cote sont deux medallions avec un bas-relief; celui de gauche, represente Junon sur son char; et celui de droite, une Peste; dans le bas-relief au-dessous du tableau, la Piete filiale. Le quatrieme tableau est une Minerve, peinte sur toile, ouvrage de Boulogne le jeune. A la place de ce tableau, il y avait autrefois une porte conduisant dans une piece appelee le cabinet des Curiosites, qui fut detruite sous le regne de Louis XIV, quand on fit les appartemens qui ont vue sur le Jardin de l'Orangerie; au fond du cabinet etait peinte ä fresque Semele brülee par le feu de Jupiter; de chaque cöte de ce tableau, on voit un groupe, en relief, des trois Graces. Dans le quatrieme tableau, ä droite, est representee la pluie d'or; c'est sous cette transformation que Jupiter vient visiter Danae: Quid non mortalia pectora cogis, Auri sacra fames! Que ne peut l'ardente soif de l'or! Deux groupes de trois femmes sur termes, en relief, accompagnent ce tableau, au-dessus duquel on voit deux medaillons oü sont representee, sur un char, d'un cote Apollon, et de l'autre Diane. Le cinquieme tableau, ä gauche, dans lequel on voit des figures d'hommes dans l'attitude du desespoir, represente une horrible tempete; il passe pour etre l'embleme des desastres de la bataille de Pavie. Neptune est represente dans le medaillon qui se trouve au-dessous du tableau, et semble amoureux d'une Nymphe qui est pres de lui. Le cinquieme, ä droite, represente Adonis mourant entre les mains des Graces et des Amours. Des enfans, en bas-relief, soutiennent, ä droite, le triomphe de Venus; et ä gauche, les effets de l'Amour; au-dessous, sont representees des courses de chariots. Dans le sixieme tableau, ä gauche, on voit le centaure Chiron exercer Achille, ä differens exercices propres ä donner la force physique. Le bas-relief, qui est au-dessous, represente une arene, oü des hommes combattent contre des animaux. A u sixieme tableau, ä droite, on voit l'arrivee d'Esculape ä Rome, sous la figure d'un serpent: cette ville qui etait dans la plus grande terreur au milieu d'une peste qui detruisait ses habitans, reprend aussitöt un aspect serein, et recommence ä se livrer ä la gaite et aux plaisirs. Dans les deux medaillons sont representees, ä droite, la force de l'Age, et ä gauche, la Vieillesse. Le septieme tableau, ä gauche, est accompagne de deux figures gigantesques d'homme et de femme, et represente Psyche, dont Cupidon est devenu amoureux. Entre deux cartouches en relief, dans l'un desquels on voit un combat naval, et dans l'autre une bataille en rase Campagne, est le Plan de Fontainebleau, vu du cote de la cour des Fontaines. Le septieme, ä droite, represente le combat des Lapithes contre les Centaures; c'est l'embleme de la bataille de Marignan.
8. Anhang: Ausgewählte Beschreibungen von
Fontainebleau
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Des enfans ailes soutiennent, de chaque cöte, des Termes portant la devise et le chiffre de Frangois I er . Le tableau qui etait autrefois a l'extremite de la galerie a fait place ä une niche renfermant le buste du fondateur de cet admirable monument des arts, sauve comme par miracle du vandalisme revolutionnaire de 1793; puisque lä, eut lieu, ä cette epoque, pendant quatre mois, la vente ä l'encan du riche ameublement que possedait le chateau. La galerie de Francois I er , ne pouvait manquer d'etre comprise dans les vastes projets de restauration et d'embellissement congus par le roi Louis-Philippe. Elle aura son tour: le moment n'en est peut-etre pas bien eloigne: il sortira aussi de ses ruines, ce veritable chefd'oeuvre, qui rappelle au plus haut degre cette epoque celebre de la renaissance, ou la civilisation, si necessaire ä la prosperite des peuples, a commence ä repandre ses bienfaits sur la France.
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