Louise von François und Conrad Ferdinand Meyer: Ein Briefwechsel [Reprint 2019 ed.] 9783111462530, 9783111095493


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German Pages 291 [296] Year 1905

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An Frau Baronin. Marie von Ebner-Eschenbach
Inhalt
Brief 1
Nachwort
Erläuterungen und Zusätze
Namen-Verzeichnis zu den Briefen
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Louise von François und Conrad Ferdinand Meyer: Ein Briefwechsel [Reprint 2019 ed.]
 9783111462530, 9783111095493

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Louise von Frsnsvis und

Conrad Ferdinand Meyer (Ein Briefwechsel

Herausgegeben von

Anton Vettelheim

Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer

An Frau Baronin

Marie von Ebner-Eschenbach Dr. phil. h. c.

Aus mehr als einem Grunde gebührt Ihnen, sehr ver­ ehrte Frau Baronin, das erste, das Widmungs-Exemplar dieser Blätter.

Vor Jahren hat Ihre Güte mir Einblick in

Ihren Briefwechsel mit Louise v. Franyois gegönnt.

In

dieser Korrespondenz gedachte die Erzählerin der Letzten Recken­ burgerin wiederholt und so angelegentlich ihres Schweizer

Freundes Conrad Ferdinand Meyer, daß ich die nächsten Angehörigen der Weißenfelser Einsiedlerin fragte, ob sich in

ihrem Nachlaß nicht Zeugnisse dieses menschlich und künst­

lerisch gleicherweise denkwürdigen Verkehrs erhalten hätten. Meine Erkundigung hatte die erfreuliche Folge, daß mir die Schwägerin der Dichterin, Frau Majorin Herbst, im

Oktober 1901 mit der größten Liebenswürdigkeit die ganze Reihe

der

erhaltenen Briefe C. F. Meyers

an

Louise

v. Franyois zur Durchsicht und Veröffentlichung anverttaute.

Herr Dr. August Langmesser, dem die Familie C. F. Meyers inzwischen den Nachlaß des Schweizer Meisters zu

Gebote gestellt hatte, hielt es mit Recht für seine Pflicht,

IV

vor Abschluß seiner Studien, wie bei Rodenberg, I. V. Widmann und anderen Hütern der Briefe Meyers, auch bei mir nach Papieren seines Helden zu forschen.

Bescheiden

wollte er sich mit Auszügen begnügen: mir schien es indessen

richtiger, chm die Urschriften zur Benutzung für sein 1905

in erster und zweiter Auflage gedrucktes Meyer-Werk zu

überlassen.

Ein unerwarteter Dank blieb nicht aus: die

Antworten der Franyois wurden mir, meinem leise geäußerten

Wunsche gemäß, mit auf Dr. Langmessers Anregung, von

der Tochter Conrad

Ferdinand

Meyers, Frl. Camilla

Meyer, freundlichst übermittelt und deren Herausgabe groß­ mütig verstattet. Wir hören nun Rede und Gegenrede der beiden bedeuten­

den Naturen, wie in lebendigem Gespräch.

Mutig und an­

mutig vertrauen zwei selbständige Köpfe einander ihre eigensten Gedanken über persönliche Schicksale und Zeitereignisse, über

Kunst und Welt an. lebenstreu

in

hellen

Zwei seltene Charaktere malen sich

und

trüben Stunden.

Das

stolz­

bescheidene Fräulein in der Weißenfelser Mansarde, das der Louise v. Franyois bis dahin selbst dem Namen nach

völlig unbekannte Dichter des „Jenatsch" aus freien Stücken zuerst mit einem Brief heimsucht,

weil er in ihren Er­

zählungen eine Wahlverwandte, in ihrem Wesen eine ihm

durchaus

„homogene

eigentümliche Mischung von konser­

vativen Überlieferungen und freien Standpunkten" zu finden glaubt, wird absichtslos die Vertraute seiner Pläne, seine Rat­

geberin, seine „Boussole", seine liebste Korrespondentin. Wenn

er beim Ordnen seiner Papiere vier Fünftel aller Briefschaften

V

verbrennt, hebt er zuvor sorgfältig das kleinste Blättchen von der Hand der Reckenburgerin auf.

Solche Auszeichnung

würde schon die ungesuchte Vollendung ihrer angeborenen

Plauderkunst verdienen.

Schalkhaft und selbstironisierend ge­

denkt sie gelegentlich eines Ausspruches von Gellert, das Briefschreiben sei eine weibliche Tugend; die mannhaften

Episteln der

Franyois haben mit derartigem

Mittelgut

nichts zu schaffen, sie sind einzig, wie ihre Persönlichkeit,

über so viele Töne sie gebietet, jede noch so unscheinbare

Unauftichtigkeit ist ihr völlig versagt: in aller freundschaft­

lichen Wärme für ihre Lieblinge bleibt die feine Kennerin stets eine unbeirrbar wahrhaftige Richterin.

Einen „reichen,

reichen Schatz an Weisheit, Liebenswürdigkeit, unerschöpf­ lichem Humor" haben Sie, sehr verehrte Frau Baronin, in

Ihrem Nachruf für die verewigte Freundin die an Sie ge­

richteten Briefe der Franyois genannt.

Ein Urteil, das mit

gleichem Recht auf die Franyois-Briefe an C. F. Meyer

zutrifft. Der Empfänger dieser Episteln ist seiner Korrespon­

dentin auch als Briefschreiber ebenbürtig.

Nirgends zeigt

sich der sonst gemessen zurückhaltende Meister offener, freier

als in diesen von Kilchberg nach Weißenfels gesandten Blättern.

Nirgends gibt er sich gewinnender als Kilchberger

Hausvater und Zürcher Patrizier, als neidloser Schätzer

Gottfried Kellers und gelassener Verächter des Literatur-

Marktes.

Nirgends äußert er sich unumwundener: eindring­

lich über lyrische, epische und dramatische Entwürfe; lapidar über Glaubensftagen; eigenrichtig über Lebens- und Kunst-

VI

stil;

scharf charakterisierend

über namhafte Zeitgenossen,

Renan, Hamerling, Geibel; liebreich über Anfänger, zumal den Schützling der Franyois,

eine geistige Amazone; mit

scheuer, spröder und deshalb doppelt zu Heiden gehender Zärt­ lichkeit über seine Hausgenossen, Tochter, Gattin, Schwester,

Blutsverwandte und Verschwägerte.

Solche

Zwiegespräche

werden nicht

alle Tage

laut.

Der Briefwechsel von Louise v. Francois und Conrad Ferdinand Meyer schien mir deshalb einer besonderen Aus­

gabe

nicht

unwürdig.

Freunde

echter Kunst und edler

Menschlichkeit werden die Gabe hoffentlich so wohlwollend aufnehmen, wie Gottfried Kellers Briefwechsel mit Theodor

Storm, Mörikes Korrespondenz mit Schwind und Hermann Kurz, wie dm brieflichen Gedankenaustausch von George Sand und Gustave Flaubert.

In dieser Zuversicht lege ich diese Lebensurkunden zu­ nächst in Ihre Hände, hochverehrte Frau Baronm: zum vor­ aus Ihres Anteils gewiß für alles, was Louise v. Franyois

und ihrem Kreise zu Ehren geschieht.

In unwandelbarer Gesinnnung der Ihrige

Gastein, im August 1905. Anton Bettelheim.

Inhalt. Sette

An Frau Baronin Marie v. Ebner-Eschenbach.............................

III

Brief 1....................................................................................................

1

Nachwort....................................................................................................268 Erläuterungen und Zusätze...................................................................273 Namen-Verzeichnis zu den Briefen.................................................... 281

Louise von Francois und

Conrad Ferdinand Meyer

1. Verehrtes Fräulein, Darf Ihnen der Verfasser des „Heiligen"

und Ihr

College in der Rundschau — wäre er nur auch Ihr College an Talent! — eine arme Zeile zusenden, welche das einzige Verdienst hat, aus einer Feder zu fließen, die sich nicht

leicht zum Recensiren ansetzt.

Er hat langeher eine besondere

Vorliebe für Ihr Erzählen, da ihm die demselben eigen­ tümliche Mischung von conservativen Überlieferungen und

freien Standpunkten durchaus homogen ist. „Zu Füßen des Monarchen", das er erst nach nieder­ geschriebener Zeile las, zieht er dem Ph. Hollunder noch vor. Er würde Ihnen gern seinen Georg Jenatsch, welchen

Sie ohne Zweifel noch nicht lernten, durch seinen Verleger als ein Zeichen seiner Hochachtung zusenden lassen, wenn Sie ihn dazu mit einer Zeile ermutigen. Kilchberg bei Zürich (Schweiz.) Ostern 1881. Dr. Conrad Ferdinand Meyer-Ziegler.

2. Kilchberg, 21. April 1881.

Verehrtes Fräulein, es ist mir lieb (und auch sehr natürlich, wenn Sie die

Rundschau nicht halten), daß Sie nichts von meinen Sachen FranyoiS-Meyer, Briefwechsel. 1

2

gelesen habm.

Dergestalt habe ich die Freude, Ihnen die

leidlicheren durch meinen Verleger zusenden zu lassen. Ich widme sie der Dichterin „der letzten Reckenburgerin" mit der aufrichtigen Bitte, dieselben einfach zu lesen, resp, zu

geniesten, ohne den ungehörigen Gedanken irgendeiner Ver­ pflichtung zu Dank oder Lob. Es sind ziemlich problemattsche

Sachen, wenigstens für einen classisch gebildeten Geschmack, der Heilige überdieß absichtlich mehrdeutig. Vor Jahren schon legte mir ein Freund Ihr Hauptwerk auf den Tisch, das mich langehin beschäftigte, über den hohen

Wert desselben können Sie doch wol nicht im Unklaren sein. Von der biographischen Notiz habe ich kein Wort geglaubt, Ein bischen

bildet sich doch um jeden Namen eine Legende.

neugierig bin ich aber doch, ob Sie wirklich „mutterseelenallein in einer Mansarde" wohnen.

Was mich betrifft, so

wohne ich gegenwärttg mit Weib und Kind in einem ge­

mieteten Nachbarhause, da mehr als die Hälfte des meinigen zum Behufe eines Neubaues verschwunden ist.

Daß der sehr hübsche „Katzenjunker" Ihr letztes Fabu-

liren war, will mir nicht in den Kopf, umsoweniger als Ihr Talent zu einer nicht alternden Spezies gehört. Es wäre sehr schade!

Das Fabuliren ist doch eine schöne

Sache, von welcher wenigstens ich, der ich spät dazu ge­

kommen bin, ungern abließe. Aufrichttg ergeben, CFMeyer.

3. Weißenfels d. ersten Mai 81.

Hochgeehrter Herr, Sett acht Tagen habe ich unter dem Banne Ihrer Wohlthaten gelebt und in der Stunde, wo ich dem braven

3 Hans und seiner Gasparde zum Abschiede — nicht für lange

Zeit — die Hand gedrückt, müssen Sie sich schon den ver­ betenen Dank einer bescheidenen Zunftgenossin gefallen lassen. Und geduldig auch ein bischen ihren Preis. Die Einsamkeit — im Allgemeinen die Anderen und ihm selber

dienlichste Gesellin eines alten Frauenzimmers — das aller­ dings mutterseelenallein in der Mansarde der klemm Stadt ihr dünnes Lebensfädchen zu Ende spinnt, — ja die Ein­ samkeit erhält doch wahrlich in der Lässigkeit eine schmäh­ liche Kehrseite.

In meiner neugierigen Jugend hätte ich

nicht schamröthlich zu gestehen brauchen: Ich weiß nichts

von einem Schweitzer Dichter, der seit Jahren meinen deut­

schen Landsleuten demonstrirt, was einen historischen Roman Schreiben heißen will. In einem Briefe eines Langever­

gessenen — Solger — habe ich

einstmals über Walter

Scott gelesen und mir gemerkt, weil es mir aus der Seele geschrieben war: „Wie wenig fehlt diesem Autor, um ein großer Dichter zu sein,

und wie macht doch just dieses

Wenige den großen Dichter."

Dieses Etwas pulst in Ihren Dichtungen, eine Shakespeare'sche Ader: der Tiefsinn, wie ich es nenne, ein Pro­ blem, wie Sie selbst es nennen; freilich in einem anderen

Sinne als Göthe das Problematische gewissen Naturen zu­ schrieb und — Gott sei Dank! in einem schlechthin entgegen­ gesetzten der marklosen Gesellen neuerer Novellisten. Ihre Helden können was Sie wollen.

Ihr Problem ist nicht die

halbe Kraft, sondem eine doppelte. Fragwürdig könnte mir allenfalls nur in Ihrem Heiligen geblieben sein die Sucht der Unterordnung unter einen Höherm, die Sie — vielleicht histo­ risch symbolisch — aus seiner morgenländischen Abstammung

ableiten und die im Wandel seiner Doppelnatur zum Medium heimlicher Rache, wenn nicht eingeborener Herrschsucht wird.

1*

4 Wie viele Verbrechen werden unter dem Deckmantel einer beJenatsch dagegen ist durch und durch verständlich.

rechtigten Leidenschaft von Gewaltmenschm verübt, müssen

verübt werben — heute noch, — um etwas Naturnothwendiges durchzusetzen. Wie viel Unbill und Versäumniß wahrhaftigen Rechtthuns, Geiz, Neid, Eitelkeit, Dünkel — entschuldigt

man

durch

Vater-

und

Mutterliebe.

Jede

Tugend und jedes Laster, das Gewissen selbst,

Wesen nach ja ein Problem.

ist seinem Auch der Heimathszug, der

Cantönligeist, der Freiheitstrieb auf hundert Meilen in die Runde. Am tiefsten ergriffen hat mich aber doch Ihr Hutten.

Ein Zeit und Charakterbild, erschöpfend in knappster Dichter­ form, klar und durchsichtig wie der blaue See, der es spiegelt. Die Beschäffttgung dieser letzten Aprilwoche hat mich wieder jung gemacht, d. h. die weibliche Neugier angeregt, die von den Werken nach dem Meister fragt und so kämpfe

ich mit dem Vorhaben, Herrn Rodenberg nach dem Dichter des Hutten und Heiligen auszuhorchen. Ob er Historiker ist blos aus innerem, oder auch äußerem Berufe etwa Pro­ fessor in Zürich und blos zur Erholung in einem ländlichen

Tusculum? Der große Brockhaus — freilich nicht in neuster Edition — und der kleine, allerneuste, die doch von so vielen Meyern etwas wissen, wissen von diesem Meyer noch nichts. Die Dümmlinge! Und wie alt mag Ferdinand M.

sein?

Ich denke so ein Dreißiger, also in den kräfttgen

Mannesjahren, aus welchen der Welt und ein Weilchen vielleicht auch mir noch manche neue Freude erwachsen wird. Beleihen Sie meine Langachmigkeit und schelten Sie es nicht Überhebung, oder schelten Sie es meinetwegen auch

so, wenn ich diesen Zeilen ein Bildchen beifüge, das die liebe Sonne vor ein Paar Jahren gemalt, dazumal schon mit Hülfe künstlerischer Retouche unziemlich schmeichlerisch

5 glättend und holdseliger lächelnd als das Original. Es soll Sie an eine Bewundererin erinnern, die sich in Dank­

barkeit Ihnen nähern möchte.

Louise Franyois.

4. Kilchberg bei Zürich 10. Mai 1881.

Verehrtes Fräulein, für Ihre lieben nachdenklichen Zeilen bin ich dankbar. Nächstens werde ich die Reckenburgerin studiren und ver­

nähme wohl gerne von Ihnen, wie man einen Roman macht. Motiv, Ausführung, Selbsterfahrenes, Stimmung, wie viel Zeit erforderlich, kurz die Geheimgeschichte Ihres

Meisterwerkes.

Mit dem Charakter des „Heiligen" sympathisiren Sie nicht? Bedenken Sie, was ihm der König zugefügt hat, die Brutalität jener Zeiten (wenigstens nach dem Colorit

meiner Erzählung, die historische Frage bleibe unerörtert) und die Feinheit der Natur des Th. Beket! Gegenwärtig während eines Bausommers



mein

Häuschen wird umgebaut — sammle ich meine Lyrika, was

mich, wie jeden (guten oder schlechten) Poeten heiter stimmt. Die lyrische Ader ist nicht allzu stark, aber verflattern lassen darf man die Sächelchen auch nicht. Alles ist übrigens, zum Theil mehrfach, schon gedruckt (Deutsche Dichterhalle Eck­

stein Leipzig und anderswo). Was sagen Sie zu folgendem Roman-Motiv (unter dem Siegel — JhrerMansarde)? 1. Hälfte des XV. Jahrhunderts. Concil von Constanz. In der Ostschweiz gibt es einen Dynasten, einen genialen Men­ schen, Graf v. Tockenburg, der mitten in dem aufschießenden

Freistaat, und mit Hülfe desselben, einen Staat gründet.

6

immer höher strebt — (ich werde den Menschen noch ver­ größern und ihn mit dem Zoller die Cur Brandenburg und

— durch Huß — die Krone von Böhmen anstreben lassen), dann aber durch seine Kinderlosigkeit (ich lasse ihn im kritischen Augenblick seinen Sohn verlieren), die Beute der Schweizer wird und in einem solchen Hasse gegen dieselben entbrennt, daß er auf seinem Sterbelager Schwitz und Zürich mit dä­

monischem Truge beide zu seinem Erben einsetzt, wodurch der ftirchterlichste Bürgerkrieg entsteht. Die Aufgabe ist, diesen Character (natürlich

einen ursprünglich

edeln und

immer großartigen) durch alle Einflüsse dieses ruchlosen und geistvollen Jahrhunderts (Frührenaiffance) zu diesem finalen

Verbrechen zu führen.

Was denken Sie dazu?

Ihr Bildchen ist gut und die Augen sehr schön. Be­ neidet ein bischen habe ich Ihre Schlankheit und Schmalheit, denn ich bin ein starker Herr von 55—56 Jahren, doch das

ist Nebensache, treuergeben CFMeyer.

5. Weißenfels d. 17. Mai 1881. Hochgeehrter Herr.

Dank für Brief und Bild. Ich betrachte es mit Freude. Ich bin keine Lavater'sche, aber es muß ähnlich sein. Klug­

heit und feine Laune war von dem Dichter des Hutten vorauszusetzen, Gutmüthigkeit auch von Einem, der mit so

viel Interesse sein Häuschen umbaut, und daß seine politischen Gewaltnaturen ihm die Leiblichkeit nicht verkümmern — ei, das lobe ich mir. Neulich hörte ich, Sie wären Arzt. Gar häufig ist die Verbindung von Physikus und Dichter ja nicht;

7 aber sie kommt doch vor, von Ihrem Schweizer Haller ab, bis auf unseren Halleschen Richard Leander, der durch und durch eine Künstlernatur ist. By the by: welch ein pro­ phetischer Zug doch in dem alten Göthe. Ich erinnere mich

noch ganz gut, wie es mich in der Jugend verdroß, daß er seinen Wilhelm Meister als Chirurgus zum Ziele brachte — heute sehen wir die Chirurgie schlechthin an der Spitze der ärztlichen.

Arm in Arm mit aller Naturwissenschaft,

und das heißt der einzigen vordringenden der Neuzeit marschiren. — (Ich mache Sie im Geiste zu einem Sohne des alten Göthe-Meyer, der ja, irre ich nicht, von Geburt ein Zürcher war). In Betreff Ihres neuen Romanprojects, dessen vertrau­ liche Mittheilung mich stolz macht, fehlt mir, vielleicht aus

Mangel historischer Detailkenntnis, die Brücke, ich meine der mälige oder plötzliche Übergang einer edlen, hochstrebenden

Natur zum niederträchtigen Betrüger und bewußten Verderber

über den sonsthin versöhnenden Tod hinaus.

Sie nennen seine

Kinderlosigkeit — den Verlust seines Sohnes — als Motiv des Wandels apres moi le deluge — Nihilismus im vierzehn­ ten Jahrhundert! Nun, Sie werden es schon machen und sich davor hüten eine menschliche Widerwart zu schaffen.

Ein

Richard HL, die menschliche bete mauvaise par excellence

und darum als Naturwunder packend, ist von Haus aus nicht gut gewesen. — Aber wie einfältig muß ich mich ausgedrückt haben, wenn Sie meinen, ich „sympathisire"

mit Ihrem Heiligen nicht.

Sympathisiren kann in dieser

Bedeutung doch nur heißen: Antheil nehmen, begreifen. Wo würde der Held, der nur von einem einzigen Strom getrieben würde?

Idealismus bis zur Ascese, Rachsucht und Herrsch­

sucht vertragen sich als treibende Kräfte gar wohl; und

vielleicht würde es die dramatische Wirksamkeit noch erhöht

8 haben, wenn Sie uns das Spiel dieser Triebkräfte unmittelbar zur Anschauung gebracht hätten, anstatt die Lösung der Probleme, welche ein erzählendes Medium allemal bedingt,

Sie sagen, daß diese Mehrdeuttgkeit Ihre Absicht gewesen sei. Ob Sie aber

der Jntuitton des Lesers zu überlasten.

künstlerisch völlig recht damit haben? Ich, für mein Theil, so tief mich Ihr Thomas gepackt, wünsche doch, daß Ihres

Toggenburg Geschichte uns durch keinen anderen Mittelsmann als den allwissenden Dichter vorgetragen werde. Ein Seitenstück zum Jenatsch, wennschon deffen Naturwuchs längst nicht an den phänomenalen eines Necket reicht.

Gewaltmenschen,

welche die Leidenschaft eines Gedankens, einer großen That treibt, hat es in jedem Zeitalter gegeben und jedem von chnen geben sie die Signatur.

Sie brauchten vielleicht gar

nicht weit nach einem Model für Ihren Helden zu suchen,

wenn dessen treibende Leidenschaft auch nur die Freiheit seiner Alpenheimath, hundert Meilen im Geviert, gewesen

ist.

Jeder Held ist ja wohl eine Inkarnation seiner Zeit

und Zone.

Habm Sie niemals daran gedacht, ein Trauer­

spiel zu schreiben. Die Ader haben Sie dazu. Aber freilich ein undankbares Geschäft für einen deutsch fühlenden und Schreibenden.

und

Unsere politische und religiöse Vielspälttgkeit

die Rücksichtsnahmen,

die

beide bedingen,

werden

uns in Jahrhunderten noch nicht zu einem vaterländischen

Theater kommen lassen. Saars Hildebrand, (bis auf die sentimentale Schlußscene) ein prächtiges Stück, ist von jeder deutschen, auch Berliner Bühne verwiesen worden, in einer

Zeit, wo Canoffa zum Schibolech geworden war. — Die Frage über die Entstehungsgeschichte meiner alten Reckenburgerin war wohl nur Spott, nicht wahr? Sie sehen mir ein bischen spottlustig aus, verehrter Herr!

Ich will sie aber doch beantworten, als wäre sie Ernst gewesm. Sie ist das

9 Korn, welches das blinde Huhn gefunden.

Jedenfalls hat

sie mir nicht mehr Mühe gekostet als alle anderen, die wie leichte Spreu im Winde verflogen sind. Ich habe niemals aus innerem Drang geschrieben, nicht wie viele andere, gute

und schlechte Autoren, weil ich es nicht lassen konnte.

Sonst

würde ich mich wohl auch nicht den Vierzigen genähert haben, ehe ich mich, von Außen gedrängt, dazu entschloß. Das Heraustreten in die Öffentlichkeit war mir eine Widerwart. Die Geneigtheit des Redacteurs des Stuttgarter Morgenblatts

— Hauff — persönlich wie alle Schriftsteller, Redacteure, Buchhändler — mir durchaus unbekannt, — erleichterte mir

nach dem ersten, jeden ferneren Schritt auch insofern, als meine Anonymität so

ziemlich

gewahrt ward.

Mit der

Reckenburgerin, die in den ersten sechsziger Jahren geschrieben

ward — in wie langer Zeit, weiß ich nicht mehr; ich habe allezeit langsam und mühsam gearbeitet, Gewiffenhaftigkeit

ist mein einziges Verdienst, — ging ich zum ersten Male über den Rahmen der kurzen Erzählung hinaus. Den

Stoff gab, wie immer,

ein Alltagsereigniß,

beobachtet,

oder gelesen, das sich unter einem gewissen ideellen Brenn­ punkt zusammenfassm ließ.

Ich wollte an zwei Frauen­

gestalten zeigen, wie die beleidigte Natur sich rächt, die ver­

säumte sich hilft.

Nur der erste Vorwurf ist aber zum

Austrag gelangt, da sein dramatischer Gehalt die mälige Entwicklung des zweiten nicht mehr aufkommen ließ. Da dieser zweite im Grunde aber mein Hauptanliegen war,

mußte ich das Opus eigentlich als verfehlt ansehen.

Das

Morgenblatt nahm, trotz seiner Länge, dasselbe an; bevor

aber Raum dafür geschaffen war, starb H. Hauff und Cotta ließ das Journal eingehen. Ich erhielt das Ms. zurück, machte anderwärts etliche Versuche es unterzubringen, ward aber aller Orten auf recht schnöde Weise zurückgewiesen.

10 Da ließ ich die Sache ruhen.

Du bist alt geworden, dachte

ich, auch Dein Produkt wird altmodisch geworden sein.

Ist

doch auch das Morgenblatt an seiner Unzeitgemäßheit ein­

geschlafen.

Zudem lag ich schwer krank und fragte wenig

mehr nach diesseitigm Erfolgen. Auswärtige Freundinnen aber hatten Mitleid mit der armen Hardine, die sie lieb­

gewonnen hatten und vielleicht mit Hardinens kranker Mutter, der sie eine letzte Erdenfreude zu machen glaubten, indem

sie der Tochter ein Unterkommen verschafften.

Jahrelang

ist das Ms. in ihrem Kreise von Hand zu Hand gewandert, ohne mein Vorwissen vergeblich ich glaube an alle mögliche

Thüren — sogar in Amerika! — geklopft worden, bis es endlich, durch H. Otto Roquettes, Vermittlung in der Janke­

schen Romanzeitung aus Gnade und Barmherzigkeit Auf­ nahme fand und gleich bei den ersten Kapiteln die erstaunte Verfasserin zu einer Art von Berühmtheit machte. Das ist die Geschichte der Reckenburgerin. In allen meinen Er­

zählungen sind die Mottve der Wirklichkeit entnommen, und

Die Erfindung ist meine schwächste Dagegen find alle meine Charaktere erfunden und

wo erfunden, mißrathen.

Seite.

wo einmal copirt als Carricaturen verschrien worden. Mich selbst habe ich niemals portraiürt, außer etwa in der kleinen Reisenovelle vom Monarchen. Verzeihen Sie die

lange Expectoration.

Sie spüren

daraus, daß ich in meiner Mansarde viel müßige Zeit habe. Da Sie derselben wahrscheinlich recht wenig haben, brauchen

Sie die Blätter ja nicht zu Ende zu lesen. Mitte nächsten Monats hoffe ich, mich Ihrer Alpen­ zone für etliche Wochen zu nähern. Freilich nur auf deut­ schem Gebiete.

Es gilt in Reichenhall oder Zell am See ein Rendezvous mit einer lieben Freundin, Fr. v. Ebner

aus Wien, Ihnen als Mitarbeiterin der Rundschau vielleicht

11 bekannt.

Eine selten gütige und geistvolle Frau und Ihre

große Bewunderin. Möge Ihr Häuschen recht wohnlich gerathen und Ihnen

und den Ihren lange eine frohe Heimath bleiben.

In wahrhafter Verehrung Louise Franyois.

6. (tMgnette von MIchb-rg.)

Ende Mlli 1881. Kilchberg bei Zürich.

Mein verehrtes Fräulein, um mich in einer Unbäßlichkeit, wie ich deren leider

oft zu bestehen habe, zu zerstreuen, mache ich mir das große Vergnügen, Ihre letzten freundlichen Zeilen zu beantworten,

welche eine Antwort verlangen, da Sie über meine Perso­ nalien in Irrthümern sind. Schon in meinem letzten Briefe wollte ich Sie darüber orientiren, vergaß es dann aber

als unwesentlich. Also. Ich bin kein med. Doct. — den Doctor hat mir die hiesige Universität neulich ohne mein

Wissen und Wollen honoris causa gegeben — ebensowenig ein Nachkomme des vortrefflichen Goethemeyer.

Aus einer

alt-städtischen Zürcherfamilie stammend, verlor ich ftüh meinen

Vater, einen Staatsbeamten und wuchs unter einer höchst geistvollen

und liebenswürdigen,

aber überzarten Mutter

und mit gefährlichen Elementen in meinem Naturell ziem­ lich wild auf, ebenfalls langehin von bedrohter (und auch

jetzt keineswegs von fester) Gesundheit, viel reisend, besonders in Italien, viel studirend, namentlich alte Sprachen und Geschichte, hin und wieder etwas schreibend, voMgsweise in ftanzösischer Sprache (ich habe lang in Lausanne, Genf und

12 Paris gelebt) oder einen französischen klassischen Historiker

wie Augustin Thierry ins Deutsche übersetzend, aus deffen conquete de FAngleterre auch meine Bekanntschaft mit Thomas Beket datirt. Nach dem Tode meiner Mutter lebte ich mit einer eigen, ganz anders als ich gearteten, aber mir über alles theuern Schwester lange Jahre in einem

Landhaus am Zürichsee in dem sehr anregenden Umgänge meines Nachbars Franyois Wille, des Freundes von Heine, deffen Frau,

Eliza Wille-Sloman Ihnen vielleicht als

Schriftstellerin nicht unbekannt ist — beides ganz bedeutende

Leute.

Dann verheiratete ich mich mit einer Tochter des

Obersten Ziegler, einer angenehmen und mir treu ergebenen

Frau und siedelte mich bleibend hier oben * (siehe vorn die schlechte Vignette) nahe bei Zürich an, während meine liebe Schwester sich in Männedorf

(alles

am Zürchersee)

ein

Haus gekauft hat, sich dort an der auch in Norddeutschland

bekannten Zellerschen christlich philanthropischen Anstalt in

freier Weise betheiligend. Ein Berufsschriftsteller bin ich nicht.

Dazu fehlen mir

der Ehrgeiz (ich weiche der Reputation eher aus als daß

ich sie suchte), die Routine und auch die Modelle — denn ich habe einen einsiedlerischen Hang. Am liebsten vertiefe ich mich in vergangene Zeitm, deren Irrthümer (und damit den dem Menschen inhaerirenden allgemeinen Irrthum) ich leise ironisire und die mir erlauben, das Ewig-Menschliche künstlerischer zu behandeln, als die brutale Actualität zeit­

genössischer Stoffe mir nicht gestatten würde. über den „Dynasten" habe ich mich wahrscheinlich in meinen letzten Zeilen unklar ausgedrückt — davon ein ander

Mal.

Wie viele Sujets liegen noch daneben und wer weiß,

welche ich behandeln kann und darf. Die Auskunft über die Reckenburgerin hat mir große

13 Freude gemacht, wie mir überhaupt jede Zeile von Ihnen

lieb und wertvoll ist.

Schreiben Sie mir nicht etwas von

Ihrer Reise und von Frau von Ebner, deren Uhren-Novelle mir im Gedächtnisse haften geblieben ist? Treuergeben CFMeyer.

7. (Aus einer Visitenkarte: Eonrad Ferdinand Meyer.)

Kilchberg bei Zürich

9. Juni 1881. Verehrtes Fräulein, Eben lese ich Frey's Artikel über Sie in der Rund­

schau, Juniheft, mit der allergrößten Freude. standen.

Ganz einver­

Dieser Dr. A. Frey ist mein junger Freund und

Landsmann, aber ich habe ihm durchaus nicht soufflirt. Unser gleichzeitiges Wohlgefallen an Ihren Sachen ist eben der Schweizer Geschmack am Substantiellen. Auch der Ver-

faffer des preisgekrönten Calderon-Gedichtes, Edmund Dorer,

aus Baden (Argau) ist mir sehr wohl bekannt.

Waren

meine letzten Zeilen nicht etwas mürrisch? Ich war leidend. Jetzt bin ich wiederhergestellt.

8. Weißenfels d. 14. Juni 1881.

Verehrter Herr, Ihr Brief von Ende Mai traf mich in Erfurt, wohin ich zu einer erkrankten Verwandten gerufen wordm war. Er klang durchaus nicht „mürrisch", sondern von A bis Z liebenswürdig, anschaulich, interessirend, bis auf die leidige

14 Unpäßlichkeit, die ich Ihrer Photographie gar nicht angespürt hätte. Ich fürchte. Sie denken und sitzen zu viel. Ich möchte Sie nach Karlsbad schicken, denn brustkrank sind Sie nicht, und gegen fast alle leiblichen Überflüssigkeiten ist diese

heiße Zerstörungsquelle ein Segen.

Sie besuchten bei Wege

mich dann in meiner einsamen Mansarde, wenn nicht gar schon in Reichenhall — St. Zeno — wo ich, will's Gott,

sobald der Sommer nur nicht mehr blos im Kalender steht, in guter Lust und guter Freundschaft mich etliche Wochen zu

erfrischen hoffe; denn ich bin und war von Jugend ab ein armseliger Lebensstümper. Ich bilde mir ein. Sie und alle die, welche Sie lieb und

geliebt haben, leiben und leben zu sehen. fehlen.

Meine Hauptpersonen.

Nur die Kinder

Und Sie schrieben doch in

Sie müssen auch Kinder haben; sind sie auch selten Erben des Genius,

einem früheren Briefe von Weib und Kind.

zum Glück, zur menschlichen Völligkeit gehörm sie. Auch ich habe mich danach gesehnt wie nach nichts anderem, mir eines zulegen zu dürfen.

Aber ich war allezeit neben ab­

sterbendes Leben gestellt und erst int Alter ist mir die Sehn­

sucht in Erfüllung gegangen.

Freilich nur halb und halb;

denn das verwaiste Brudersöhnchen, das mir im Herzen liegt wie ein eigenes, lebt nicht unter meinen Augen und ich

habe nur indirekten Einfluß auf seine Erziehung.

Kürzlich

jedoch habe ich von Erfurt aus den fünften Geburtstag des Männchens mitgefeiert und von seiner Mutter mir mancher­

lei von Männedorf erzählen lassen, in dessen Sphäre sie sich geistig heimisch fühlt. So habe ich denn auch eine Vor­ stellung von der Schwester gewonnen, die Ihnen „über

Alles theuer" ist.

Ein seltenes Glück! Die Geschwisterliebe,

die wahre, reine, begierdelose ist mir gar seltsam vorge­

kommen;

will

sagen:

dauernd.

Das

frühe

Naturband

15 lockerte und löste sich am eigenen Herd.

Wenn Sie mich

wieder einmal mit einem Wort beglücken, vergessen Sie ja nicht, mir Ihre Kleinen abzumalen.

Vorgestern bei der Heimkehr von Erfurt, empfing mich nun Ihre Karte. Also doch! Ich hatte gehofft, daß H. Rodenberg seinen alten Vorsatz, die invalide Fabulistin besprechen zu laffen, aufgegeben hätte.

Nun, wer sich in

das Freie wagt, muß sich das Anblasen gefallen lassen. Daß der Beurtheiler Ihr Freund ist und Sie mit dem Artikel

einverstanden sind, beruhigt und freut mich: womit ich sagen will, daß ich braven Tadel nicht scheue, sondern ehre. Wäre er nur früher, während meiner dürftigen Schaffenszeit ge­

kommen.

Vielleicht bekomme ich das Heft in Reichenhall zu

Gesicht, oder in München, wo ich mich ein paar Tage um­ schauen will, wennschon ich sonst nicht städtesüchtig bin. In Zürich, wo ich vor einer Reihe von Jahren kurze Zeit Rast hielt, habe ich mich tagsüber allein int kleinen Boot

auf dem köstlichen See hin und her fahren lassen; in die Stadt bin ich jedoch über mein Hütel hinaus nicht gekommen; in

Luzern nur bis zum Löwen, in Genf bis zur Rousseauinsel und in Köln bis zum Dom. Danken Sie Ihrem jungen Freunde in meinem Namen für die Mühe, die er sich um mich alte Seele gegeben hat.

Da sie Ihnen Freude gemacht,

ist sie unbedingt dankenswerth. Das Dorer'sche Preisgedicht hat mir der Zufall in Erfurt in die Hand gespielt. Gewiß verdient es den Preis, umsomehr da es für einen Nordländer von heute schwer

sein mag, den spanischen Romantiker zu apotheosiren. Der Leitgedanke ist sehr schön. Ei, Sie Schweizer! Die deutsche

Dichtung, die im Centrum ziemlich flau und latent gewor­ den ist, flammt an dem Endpunkte wieder auf, wo sie vor fünf Vierteljahrhunderten die erste Pflegestatt fand.

16 Nun wir gönnen es Jhnm und freuen uns neidlos da­

rüber.

Ich habe also das Problem Ihres Dynasten falsch ver­ standen? Sie wollen nicht einen ursprünglichen Edlen zu einem Tückebold werden lassen? Um so bester. Ich glaube, was uns Heutigen Noth thut, ist das naturwahre Dichter­

bild eines Menschen, der trotz seiner Irrtümer tüchtig wirkt

und strebt. Man verirrt sich jetzt allzu einseitig in die Nachtseiten der Natur. Daß die abgeklärte Vergangenheit Sie stärker anzieht, als die ringende Gegenwart, begreift sich; dennoch hege ich den Wunsch, Sie gäben uns einmal auch ein Dichterbild aus dem Leben der Mitgeborenen aus Ihrer naturreichen und Leutebunten Heimath. Sie könnten es geben und Sie allein. Zuerst aber machen Sie sich gesund,

d. h. faullenzen Sie den Sommer über. Dankbar u. verehrungsvoll

Louise Franyois.

9. Kilchberg, 17. Aug. 1881.

Verehrtes Fräulein, es sind doch wol zwei Monate, daß ich Ihre l. Zeilm

empfangen habe.

Sind Sie in Weißenfels zurück? Und

habm mit Ihrer Freundin eine hübsche Zeit verlebt? Schreiben Sie mir nicht wieder einmal eine Zeile mit ein bischen Reise- oder Menschenbeschreibung? Ich bin dafür

stets dankbar, recht dankbar.

Und, daß ich es nicht vergeffe. Sie glauben nicht, eine wie hochgeachtete Persönlichkeit die Verfafferin der „letzten Reckenburgerin"

hier in Zürich ist.

Erst neulich sprach

17 mir ein Freund, der Kunsthistoriker Rahn, mit einer wahren

Verehrung von Ihrer „nobeln Schriftstellerei". Wie gefällt Ihnen der Artikel von A. Frey? Mäßig? Er schrieb mir:

im Artikel über L. von Franyois wurde mir Einiges ge­ strichen, nicht zum „Vorteil der Sache".

ich Huttm ed. 3, beendigt, von welchem zugleich eine Ausgabe in Quart erscheint, die Sie Inzwischen

erhalten sollen.

habe

Sie steht wie eine alte Bibel.

Daneben

eine Novelle, welche das November Heft der Rundschau

bringt und ich Ihnen in Sep. Abdruck schicke.

Sie heißt:

„Hutten" ist unverändert in

eine Facetie des Poggio.

Composition u. Farbe — so mangelhaft die erstere, so grau die letztere sein mag. Der Held dagegen (unter uns: ein unglaublich kühner, ja frecher Geselle) sachlicher und wahrer

gefaßt.

Natürlich wird es Leute geben, die meinen alten

Hutten meinem neuen vo^iehen, nur weil jener der alte ist. Die Hitze war mir wohlthätig. Ich habe allerhand Pläne; auch der böse Dynast besucht zuweilen meine Ein­

bildungskraft, ohne um ein Haar besser geworden zu sein. Mein Haus kostet schweres Geld — Sie haben keinen Be­ griff, wie hier alles teuer ist und täglichen Verdruß dazu.

Doch sehe ich es oft mit Vergnügen an, besonders die

Fenster meines 12' hohen Zimmers.

Hier will ich, ohne

weitere große Wanderung, meine Kleider verschleißen. D. V.

Ihr M. 10.

Weißenfels d. 12. Sept. 1881.

Verehrter Herr, Das war eine Freude!

Ein Brief von Ihnen schon

an sich und nach so langer Zeit — fast drei Monate seit FranyoiS-Meyer, Briefwechsel.

2

18 dem letzten — und dann die prächtigen Ernteaussichten auf

Ihrem Acker! Eine neue Novelle — ich zerbreche mir dm Kopf, was der Titel bedeuten mag — und ein erneuter Hutten.

Wenn er Ihrem altm Hutten, meinem Liebling,

nur nicht gar zu unähnlich und dem verwogenen Original gar zu ähnlich gewordm ist! Erst unter dem Schleier chrer

Dichtung ist mir das letztere eigentlich ein herzbewegliches geworden.

Auch daß der heiße Julimond dem bösen Dynasten

förderlich gewesen ist, ist ein tröstlicher Bon, hoffentlich schon für nächstes Jahr. Sie werden aus dem Halb- oder

Gamichtverstandenen

schon

etwas

Einleuchtendes machen.

Als ich einst, ich weiß nicht mehr wann und wo, die Sage

von der bluträchenden Plantatochter las, hätte ich auch nicht gedacht, daß ein Dichter sie einem Jenatsch zu Grunde

legen könnte; richtiger ausgedrückt: einen Jenatsch aus ihr schaffen könnte. Manche, die ich neuerdings gesprochen habe, halten den Jenatsch für Ihr Meisterwerk. Und dem Gusse nach mögen sie recht haben. Auch der Contrast zwischen Jenatsch und Rohan ist unvergleichlich; außer etwa dem des Decket und Heinrich. Aber das Moüv des Heiligen, die Tiefe des Problems, sein weltumfaffender Horizont

machen mir diese Dichtung doch zu der größeren.

Ich kenne

keinen historischm Roman, den ich ihm an die Seite stellen

möchte; längst, längst nicht die promessi sposi und ich muß mir beim Wiederlesen ordentlich Mühe geben, nach Weiber­

art etwas zum Mäkeln daran zu finden. ten Vortrag bin ich bereits ausgesöhnt.

Mit dem indirecWer hörte denn

nicht auch aus dem vermittelten Wort, daß der Mann, welcher fich selbst für den klügsten seiner Zeit hält, in der

erhabensten Liebe das Medium erkennt zur Befriedigung des tiefsten Hasses und der umfassendsten Herrschsucht und daß erst dieser Haß jene göttliche Liebe in ihm zum Durchbruch

19

bringt.

Und dann wieder das Gegenspiel von Herrschsucht

und Unterwürfigkeit. Ja, ja Sie sind ein Meister der Contraste. Wo haben Sie so tief in die Seelen zu blicken ge­ lernt? Wo hat es Shakespeare gelernt? O, bleiben Sie nur gesund, so werden wir noch Wunderdinge von Ihnen erleben. Seltsam, daß Sie erst als Fünfziger, wo andere aufhören, angefangen haben, nicht zu dichten, aber zu fabu-

liren.

Will's Gott ein Anzeichen, daß Sie von der Natur

angelegt sind, ein Hundertjähriger zu werden. Ich war mehrere Wochen in Reichenhall; in anmuthiger

Landschaft und fast ausschließlichem, stillem Verkehr mit

meiner Freundin Ebner, der liebenswerthesten Frau, die mir im Leben begegnet ist und gewiß einer der seltensten unserer

Zeit und ihrer Zone.

Impulsiv wie ein Kind; warmherzig

wie eine Achtzehnjährige von der rechten Art und klar und frei denkend wie ein Mann. Ich wüßte mich kaum so an­ genehmer, friedlich belebter Wochen zu erinnern.

Aber es

ist einmal nicht anders: „alles kann der Mensch ertragen, nur nicht eine Reihe von guten Tagen".

Ich spannte aus;

hoffte auf Stärkung in Gastein, fand der Kaiserzusammen­ kunft halber kein Unterkommen, enffchädigte mich durch einen

Flug über den Brenner, da es, der glühenden Temperatur halber nicht bis Ganzitalien sein konnte, wenigstens bis Halbitalien, d. h. Botzen u. Meran und sitze seit 3 Wochen

wieder mucksmäuschenstill in meiner heimischen Mansarde.

In Reichenhall lernte ich ein Fräulein---------als Gast Fr. v. Ebners kennm und aufrichtig lieb haben. Eine junge Wienerin, die vom 13. bis 16. Jahre das Conservatorium für Musik in ihrer Vaterstadt absolvirt, dann unbefriedigt von solcher ausschließlichen Kunstübung, durch Privatunter­ richt sich die Gymnasialbildung angeeignet, bei ben Piaristen

ihr Abiturientenexamen gemacht, vier Jahre-------- Philologie

2*

20 und Philosophie studirt und mit Ehren doctorirt hat, meines Wissens der erste weibliche Doctor der Philosophie.

Sie

privatisirt seit Jahr und Tag und war im Begriffe, auf einige Zeit nach Zürich zu gehen. Sie, verehrter Herr,

dort aufzusuchen und kennen zu lernen, war ihr dringendes Verlangen, nachdem durch ihrer Gastfreundin und meine Ver­ mittlung Sie Ihre Dichtungen erst, es ist wirklich schwer zu

glauben

von

einer

halben Züricherin,

aber wirklich

erst jetzt, hatte kennen lernen und sagte ich ihr gerne die Bitte zu, sich mit einem warmen Gruße von mir bei Ihnen

einzuführen. Kommt dieser Anspruch nun nicht post festem, so machen Sie, bitte, dem Fräulein Doctor ein freundliches Gesicht.

Es ist ein körperlich wie geistig frisches, kräftiges

Geschöpf, durch und durch ehrenhaft, ftöhlich wie ein Kind,

von gesundem Willen.

Was sie noch zu lernen hatte war, daß gewisse anstudirte, allzu entschiedene Entschiedenheiten ausgemerzt werden dürfen, ohne der Wahrhaftigkeit Abbruch zu tun, und daß man auch unter weiblichen Formen ein tüch­

tiger Mensch sein und allenfalls auch etwas Gründliches ler­

nen könne.

Dafür aber war Fräulein Doctor bei Marie

Ebner in der besten Schule. Ich gratulire Ihnen zum wohnlichen Ausbau Ihrer

Heimstätte, nachdem Verdrießlichkeiten und Geldopfer glück­ lich überstanden und Sie mit den Ihren wieder warm zwischen

dm eigenen vier Pfählen geworden sind. Oftmals sehe ich mir das anmutige Bildchen über Ihrem Maibriefe mit Er­ götzen an. Von der Scenerie habe ich ja so ungefähr eine Erinnerung.

Worüber ich mir aber vergeblich den Kopf

zerbreche, das ist, wie Sie die hohen Fenster Ihres Zim­

mers zum Verschließen Ihrer Kleider benutzen wollen!!? Wie mir der Artikel des H. Frey gefallen hat? fragm Sie. Nun, Gott sei Dank, es war ja im Grunde nicht ein Urteil

21 über mich, sondern nur über die Eröffnung der Collection Spemann, in der man mir gewogentlich den ersten Platz angewiesen. Was über das Lob der hübschen Ausstattung und des billi­ gen Preises, die dem Verleger zu Gute kommen, hinaus­ geht, scheint mir viel zu viel gesagt. Ich freue mich der Popularität, die mir der alte Phosphorus Hollunder merk­

würdiger Weise eingetragen hat, nicht im Entferntesten. Wahrhaft verdrießlich aber find mir die ersten Seiten des neuen Monatskalenders, in welchen Herr Spemann

seinen Jahresalmanach umgewandelt hat.

Ich lieferte auf

wiederholtes Drängen das Lümpchen von Machwerk aus, um in Ermangelung von etwas Befferem, die vorgesetzte Bogenzahl des ersten Collectionsbandes zu füllen. So als

Anhang und etwa eine Mahnung an die gleichzeitigen Schrecken von Chios, mochte das Sächelchen allenfalls passiren. Wann

und wie es entstanden, weiß ich nicht mehr; vielleicht als

Stplübung schon in meiner Backfischzeit; keinenfalls in der

Absicht,

jemals

einem Menschen vor Augen zu kommen.

Nun muß ich in alten Tagen mir gefallen fassen, daß Sie und nicht Sie allein, mich um dieser unschuldigen Jugend­ sünde willen weidlich auslachen werden, wenn den Oktober das erste Heft des int übrigen ganz hübschen neuen Unter­ nehmens zu Händen kommt.

Die Monatsschriften wachsen

übrigens wie Pilze aus der Erde.

In Leipzig läßt zum

Herbst Sacher Masoch auch eine „internattonale Revue" er­

scheinen. Sie bleiben hoffentlich der Rundschau treu. Sie ist ein vornehmes Blatt. Leben Sie herzlich wohl und seien im Voraus bedankt für Alles Gute, was Sie mir in Aus­ sicht stellen.

In wahrer Verehrung L. Franyois.

22

11. Kilchberg bei Zürich, 25. Sept. 1881.

Endlich, verehrte Freundin, finde ich die Zeit, Jhnm für Ihre letzten liebenswürdigen Zeilen zu danken und be­

ginne damit, Licht in die 12' hohen Räume und die darin verschlossenen alten Kleider — die Franzosen nennen das einen coq-ä-läne — zu bringen. Ich schrieb: mein Haus

i. e. meine mir eingerichtete Ländlichkeit und Einsamkeit werde wenigstens dazu gut sein, meine alten Kleider zu verschlei­

ßen (y user mes vieux habits).

Das Französische, das ich

bei meinen langen Aufenthalten in Genf, Lausanne, Neu-

chütel und Paris viel und gerne sprach, läuft mir zuweilen

noch nach.

Vergebung!

Und — Irrung gegen Irrung — denken Sie, daß ich nach der Photographie — Sie mir hartnäckig kaum Mittelgröße vorgestellt habe und nun e^ählte mir Frl.-------- , daß Sie groß sind, worein ich mich garnicht finden kann.

Das brave Fräulein traf es gestern am denkbar un­ günstigsten. Ich speiste um 3, um gegen 4 Uhr unabweislicher Geschäfte halber mich nach Zürich zu begeben.

Sie

kam 3, ich hatte noch bis 3Vs zu thun, dann plauderten

wir

ein

halbes

Stündchen,

Bahn nach Zürich zu fahren.

um hernach

zusammen

per

Das Fräulein gefiel mir mit

feinen breiten Schläfen, sie hat etwas Türkisches (oder Ser­

bisches) und daneben — sehr untürkisch — kann sie die modernen philosophischen Siebensachen an dm Fingern her­ zählen. Ich halte sie für sehr brav und wenn ich ihr auf

ihrer steilen Bahn irgendwo eine Hand reichen kann, bin

ich gerne erbötig. Ich habe sie natürlich auf das Thema „L. von Fr." gebracht und sie mußte mir erzählen, erzäh­

len.

Was mir davon am meisten gefiel, ist daß Sie, ver-

23 ehrte Freundin, eine deutsche Patriotin sind.

So bin

auch ich. Ich reciprocire mit einer Recommandation.

Edmund

Dorer, der preisgekrönte Calderonbesinger, geht für einige Tage nach Dresden, und ich habe es ihm nahe gelegt,

wenn es seine Zeit erlaubt, Sie zu begrüßen. Setzen Sie chm keinen westphäl. Schinken vor — er ist ein Vege­ tarier. Die calabrische Sage in „Fels u. Meer" hat mich denn doch sehr interessirt. Schreiben Sie, verehrte Fr., einen Ihr Lebenswerk krönenden Roman mit dem Motiv: Vater­ land und Heimat (siehe „zu den Füßen des Monarchen" ad

majorem gloriam des neuen deutschen Reiches) gegen den unberechtigten Particularismus. Willkommen

die

Zeitlose!

Die

Herbstfrische!

Die

Lese und dann die stillen, schönen, weißen Wintermonate, wo sich etwas Umfangreiches componieren läßt.

Ihr CFM. Confidentiell.

Als

ich

vor

geraumer

Zeit

mit

Kinkel zusammen war, sprachen wir vom „Drama" und ich warf hin: ich hätte wol Lust, trotz tausend Schwierig­ keiten Gustav Mols zu behandeln. „Den nehm ich Ihnen

nicht weg" sagte er. Neulich besuchte mich Frl. von Rings­ eis (die Münchnerin, Tochter des ultramontanen Herrn von

Ringseis), welche ein paar hübsche Dramen ä la Calderon geschrieben hat, und ich warf dasselbe hin: „Den nehm'ich Ihnen nicht weg", sagte sie wörtlich.

führerisch?

Ist das nicht ver­

(Ich meine es im Ernste) fest in die Mitte zu

treten zwischen Rom und Radicalismus?

Die dramatische

Opportunitäten sind in diesem Stoffe sehr gering, aber mit

Phantasie läßt sich alles handlich machen.

Ich bedarf jetzt

24 eines „erbaulichen" Helden, wie Hutten, nicht wie Jenatsch

oder der Heilige oder der Dynast (Graf von Tockenburg). Natürlich wird dann der Held von Herzog Sachsen-Lauenburg in der Schlacht ermordet — nach der Volkssage und

aus dem Pagen Leubelfing, der mitstarb — ja, was aus dem gemacht wird, ist mein Geheimnis. Die Verschuldung des Helden ist einfach: er begehrt in seines Herzens Tiefen die

deutsche Krone, welche nur einem Deutschen gebührt. Die Novelle in der Rundschau, deren Sep. Abdruck ich senken werde, ist Renaissance.

dieb erzählt sie.

Poggio, der Manuskripten­

Thema: Schelmerei u. Redlichkeit.

12. Weißenfels 16./10. 81.

Ich habe Ihnen zweifälüg Dank zu sagen, verehrter, lieber Herr und Freund.

Einmal für Ihren Septemberbrief,

der so beglückende Aussichten eröffnet; dann für den erneu-

len Hutten, der durch die verschärfende Retouche und Zu­ that an Jntereffe gewonnen hat, ohne an „Erbaulichkeit"

und herzrührendem Eindruck zu verlieren.

Vermißt habe ich

nur die schönen Sttophen, in welchen das künfttge Deutsch­ land gemahnt wird, den Schutz nicht zu vergessen, welchen allein die Schweiz dem verfehmten deutschen, tapfern Sänger gewährt

hat. Sollten sie mir bei der Durchsicht entgangen sein? Oder meinten Sie Ihre Landsleute zu beleidigen, indem sie

dieselben eventuel des deutschen Schutzes, — als Gegen­

dienst — bedürftig erachteten?

Das ist natürlich Spaß;

Ernsthaft aber sage ich: Schade. Der confidenttel mitgeteilte Plan ist wundervoll.

Ich habe es immer auf dem Herzen gehabt und nur nicht aus­ zusprechen gewagt: Schreiben Sie ein Drama.

Trauerspiel

25 oder Lustspiel; am liebsten beide, denn wir brauchen beide und Sie vermögen beide. Sie allein unter den heutigen,

bis dato bekannt gewordenen. Aber ein aufführbares. Der Schwede wäre der packendste Stoff; freilich auch wohl der schwierigste; indeß Sie bringen ihn schon fertig. An die Missethat des Lauenburgers habe ich nicht glauben wollen.

Als ich aber vor Jahren in der Jesuitenkirche von Maria­

schein bei Teplitz unerwartet auf seine Grabkapelle stieß, wurde mir die Sage nahezu erklärlich. Am Ende machen Sie gar noch eine Art von großdeutschem Helden aus dem

Meuchelmörder.

A propos Meuchelmörder: Ich habe mich immer ge­ ärgert, daß Schiller Ihren Tell in patriarchalischer Fried­

seligkeit abschließt.

Warum ließ er ihn nicht in dem Be­

freiungskämpfe, den sein Meuchelmord — denn das ist und bleibt seine That — entzündete, als Helden fallen und beide unnatürliche Schüsse, den auf des Kindes Haupt

und den in des Tyrannen Herz, auf diese Weise sühnen?

Gustav Adolph war übrigens noch in meiner Jugend­ zeit der gefeiertste und lebendigste Held meiner heimatlichen, von Schlachffeldern umringten Gegend, weit mehr als der

alte Fritz im nahen Roßbach, oder Napoleon, den so Man­ cher noch mit Augen gesehen und die sächsischen jungen Mädchen — nach Jena!! — mit Blumensträußen beworfen

hatten. — Als hätte man es miterlebt, erzählte man sich, wie am 7. Nov. Herzog Bernhard an der Spitze der protestanti­

schen Armee die Leiche des Königs nach Weißenfels geleitet um sie im dortigen Geleitshause seciren und einbalsamiren zu

laffen.

Die bei dem Akt an die Wand gespritzten Blut-

spurm wurden als ein Heiligthum unter Glas und Rahmen gefaßt und von Zeit zu Zeit heimlich durch Tüncherkunst

aufgefrischt.

Auch ein Bildnis des Helden darüber gehängt.

26 Die Durchreisenden — und deren warm viele auf dieser deutschen Hauptstraße von Nord nach Süd, bmor man dampfend auf ihr vorübersauste — wallfahrteten gewissen­ haft nach diesen letzten Lebensspuren des reinm Glaubens­

helden im Schwurzimmer des nunmehrigen Gerichtsgebäude. Ihm geheime cäsarische Gelüste zu unterschiebm würde wie eine persönliche Beleidigung angesehen wordm sein. Auch die königliche Wittwe ließ fälschlich die Sage bei der Lei­

chenschau während sie doch in Erfurt eine berühmt gewor­ dene Vision gehabt haben soll, in Weißmfels gegenwärtig sein. Der treue Leubelfing, aus dem Sie am Ende gar eine lutherische Jeanne d'Arc machen wollen, ist aber nicht bei uns, sondem im unfernen Naumburg seinen Wunden

erlegen. Aber was schwatze ich da für unnützes Zeug. gebung.

Gehen Sie getrost an das gute Werk.

Ver­

Es wird

schon werden, „'s werd scho wäre" — unser sächsischer Lieblingsspruch.

Also groß an Leib hat mich Fräulein Doctor geschil­ dert? Nun, ihrer stattlichen Thusneldengestalt gegenüber bin ich mir sehr zwergenhaft vorgekommen. Doch mag ich wohl zum gestreckteren Mittelschlag gehören und wegen meiner Dünnigkeit etwas länger aussehen als ich bin. —

Und

auch

als deutsche Patriotin hat sich mich heraus­

gestrichen. Schön Dank dafür; ich wüßte aber wahrlich nicht, daß wir, in unausgesetzter Gesellschaft unserer Freundin

Ebner, die, wenn auch die freisinnigste aller mir bekannten

Fraum, doch immer Katholikin und Oestreicherin ist, jemals ein an Politik streifendes Gebiet berührt hätten. Nun freilich stehe ich im deutschen Ring; wenn die Nationalität auch nicht mein Horizont ist und ich weiß, daß in einer gewissen

Zeitspanne dieser Standpunkt ein überwundener, vielleicht

27 kaum begreiflicherer sein wird als der der Kreuzzüge. Inner­

halb seiner Zeitschranken Stellung

zu nehmen muß aber

auch dem bescheidensten Frauenzimmer gestattet sein, wie die Einseitigkeit im gegebenen Moment dem universalst ge­ bildeten Manne eine Ehrenpflicht ist. So haben denn Friedensliebe ä, la Elihu Burritt und Bewunderung zu Bis-

marck-Jenatsch gleichzeitig in einem alten Weiberherzen Platz. Uebrigens hat mir Frl. Doctor kürzlich geschrieben voll Dank und Freude über das Bekanntwerden mit Ihnen. Sie haben recht: es ist ein braves, tapferes Mädchen und ihre

Stellung zur Gesellschaft, präciser ausgedrückt die Existenz­ frage sehr zweifelhaft. Noch gilt in Deutschland das Schil-

lersche Frauenideal und vom Standpunkte des Geschlechtes Nummero Eins aus betrachtet, gewiß mit Recht. Nur daß

den vielen Unbegehrten und den wenigen nicht Begehrenden nicht der Raum versperrt werden darf, auf eigenen Füßen zu einem würdigen, menschlichen Ziele zu gelangen. Will unsre Deutsche mit den „breiten türkischen Schläfen" auf

litterarische Thättgkeit ihre Zukunft bauen, muß sie sich zu­

nächst des eingesogenen, sterilen Pessimismus zu entledigen suchen oder mindestens ihn in Jsolirhaft halten. Kein Mysterium sollte ziementlicher Weise so im Geheimen gehegt

werden, wie das des Nirwana.

In unserem Falle ist es

noch die Erfahrung eines wissensdurstigen unschuldigen Kin­

Ein tüchtiger kluger Mann, ich meine ein Ehemann,

des.

würde dem von Natur fröhlichen Herzen rasch eine gedeih­

lichere eintreiben.

Finden Sie ihr doch solch einen Mann.

Ein schlechter Scherz — aber er steht einmal da. Ver­ zeihen Sie ihn. Er war gut und im Grunde ernst gemeint.

Nur übel angebracht. Was mich in Frl. Doctors Briefe ganz besonders er­ freut

hat,

war die Erwähnung,

daß auch Ihre Frau

28 Gemahlin sich meiner freundlich erinnert hätte.

Wenn es

nur nicht eine kleine gutgemeinte Lüge gewesen ist, von der Art wie auch strenge Moralisten sie sich nicht als Sünde

anrechnen.

Ich

will's

aber

als Wahrheit

an-

nehmen; Sie um einen freundlichen Gruß an die liebe Frau bitten und mir sogar erlauben, ihr — nicht etwa Ihnen, Maestro! — nächstens zum Dank ein Exemplar meiner

alten Reckenburgerin — ich habe leider ja nichts Besseres — zu senden. — Schreiben, wie Sie mir rathen, kann ich

nichts mehr. Unsere deutsche Zwie- u. Vielspältigkeit ist aber das Motiv diverser verschollener Fabeleien meinerseits gewesen, lange bevor die Reichszusammenfafsung eine Wahr­ heit geworden war. Ihr angekündigter Calderonsänger und Vegetarianer ist es müßte dmn während der Paar Tage gewesen sein, die ich kürzlich bei alten Freunden in Halle

nicht gekommen; verbrachte.

Halle ist der geistige Herd unserer Provinz,

aber auch nicht das bescheidenste belletristische Flämmchen

glimmt in seinen Mauern. (Den Dichter der Plaudereien an französischen Kaminen abgerechnet, der aber doch mehr als gewaltiger Operateur in Betracht kommt.)

Einstmals

ein Quellpunkt cheologischer Systeme: Pietismus, Ortho­ doxie,

Rationalismus, Lichtfreundschaft u. s. w.

(Franke,

Tholuck, Guerike, Niemeyer, Wegscheidter, Wislicenus u.s.w.) ist es jetzt eine nennenswerthe medicinische Pflegeanstalt. Die Milliarden sind ihm zu Gute gekommen. Der Complex der neuen Kliniken — sammt Bibliothekbau — sucht gewiß in Deutschland und vielleicht allen Ländern seinesgleichen.

Aber dummes Zeug! das interessirt Sie ja nicht. Ich habe mir von Halle zur Winterunterhaltung die

Geschichte Roms im Mittelalter von Gregorovius, einem meiner Lieblingsschriftsteller, mitgebracht. Denn in Ihren

29

Willkommensruf an den schönen, weißen Winter stimme ich nicht ein; so lange ich von meinem Leben weiß, ist er mein

Todfeind gewesm, habe ich mich bei seinem Nahen leiden­ schaftlich unter einen milderen Himmel gesehnt und da mir niemals Flügel wachsen wollten, hätte ich mich gern unter die

Erde gekrabbelt, um wie ein Murmeltter das unholde Walten zu verschlafen. Da bin ich denn schließlich auf das Hülfs­

mittel verfallen, mich durch die Phantasie — die schwächste Partie meines Ingeniums — in glücklichere Zeiten und Zonen zu versetzen. Vorig Jahr war Griechenland dran;

heuer Rom. Die 8—10 dicken Bände füllen wohl — täglich ein paar Stündchen — die langen, kümmerlichen Monde aus. Verbringen Sie dieselben froh und rüstig.

Schaffen Sie,

aber nicht allzu anstrengend, daß Sie nicht etwa krank

werden. Des Resultates Ihres Winterfleißes werden sich Viele freuen, aber niemand inniger als Ihre wahrhaft er-

Louise Francois.

Aköene

Der coq-ä Fane war köstlich. Grund desselben der bei uns nicht übliche und etwas unleserlich geschriebene Ausdruck „verschleißen".

Ich habe Frl.--------- gebeten, mir auch einmal etwas von Ihren Kindern zu schreiben: Zahl, Geschlecht, Alter, Art etc.

selbst.

Hübsch wäre es aber. Sie thäten es gelegentlich

Ich bin noch immer neugierig und liebe Kinder. 13.

(Unterbrochen durch den Abgang der Pofttasche.)

24. Oct. 1881. Kilchberg bei Zürich Verehrte Freundin,

nur,

unter tausend Abhaltungen eine flüchttge Zeile,

welche Ihnen für die Zusendung der Reckenburgerin danke.

30 Ich werde das Buch abends mit meiner Frau lesen.

Da

diese aber durchschnittlich von einem (Bau, Lese und Kind) ttlchttgen Tagewerk redlich müde ist, machen wir kleine Ab­ schnitte, was mir Gelegenheit geben wird, Ihr Meisterwerk

(vide deutsche Lit. Geschichte) gründlich zu studiren. Unser Kind wird im December 2 Jahr alt (ich habe erst mit Fünfzig geheiratet) ein Mädchen also, das entsetzlich

viel Lärm macht, (gerade während ich schreibe), wovon ich Ihnen zur Belebung Ihrer „Mansarde" gerne die Hälfte abtteten würde.

Ueber dm „Hutten" habe ich ein Büschel Briefe er­ halten, aus welchen zu lernen ist, obwohl bei dm mei­

sten der ästhettschen Wertung irgend ein geheimes Motiv (relig. oder polit. oder individuelles) zu Grunde liegt, trotz aller vorgängigen Betheurung, daß die Wertung eine rein

ästhettsche sei. Doch das ist natürlich und gut, daß etwas anders als ästhettsche Standpunkte zu unterst liegt. Die Wahrheit ist: 1) ich selbst bin seit Hutten I realistischer ge­

worden, 2) ich habe dem „Sterbebüchlein" absichtlich etwas

„Welt", der Elegie etwas Humor, dem edlen Metall etwas unedleres beigemischt, um das Werk etwas dauerhafter

— wo möglich! — zu machen. Die von Ihnen vermißte Strophe wird in einer denkbaren 5. Auflage ihr Aequivalent finden. Sie blieb aus andem als den mir geliehenen Grün­ den weg. Ihr M.

14. Weißenfels 14/11. 81. Verehrtester Herr und Freund,

Herzlichen Dank für die Freude an Ihrer Facette und das was ihr „zu unterst liegt". Gregorovius' Geschichte

31 Roms füllt Heuer meine einsamen,

langen Winterabende;

da fügte das Intermezzo des Schwanks sich auf das Schick­ lichste in die große Tragödie einer sinkenden und auflebenden Götterwelt, in welcher der Gott immer spurloser verschwand

und das ächte Kreuz zu einem Gaukelspiel ward. Die Tragödie ist noch nicht abgeschlossen — und wird es niemals werden. Das entbindet aber nicht von der Mühe, der Comödie ent­

gegenzusteuern. Guten Muth und guten Wind bei weiterem Zug. Irre ich mich, wenn ich in Ihnen einen Freund, d. h. einen Gesinnungsgenossen Ihres Landsmanns Bluntschli—des leider zu früh geschiedenen—vermuthe? Dank auch für das Briefchen. Mit aufrichtiger Bewunderung

Louise Franyois.

Ich öffne das Couvert, um eine Bitte hinzuzufügen. Eben zeigt mir Herr Spemann die Fertigstellung eines alten

Versuchsstückes an, dessen er sich erbarmt hat, nachdem es mehr als 20 Jahre in meiner Schublade gelegen. Dem Namen nach ein Lustspielchen, in einem Anfalle von Ueber-

muth nach einer gleichnamigen, ganz leidlichen Novelle zu­ rechtgestutzt, — dem Wesen nach ein Mondkälbchen, dessen

Veröffentlichung im Grunde eine Thorheit ist, da es weder

Honorar- noch Aufführungswürdig erscheint und auch kein

richtiges Lesestück ist. Spemann scheint mir ein bischen Wagehals mit seinen Unternehmungen. Wollen Sie sich nicht disgustirt fühlen. Verehrter, wenn Ihnen ein Exemplar

zukommt. Sie brauchen es ja nicht zu lesen, oder allenfalls nur die Schlußscene des dritten Acts, die mir hübsch genug scheint. Sie aber sollten sich zu einem Lustspiel verstehen, wenn Sie wieder einmal in der Stimmung sind, in der

das Brigittchen enfftand.

Man merkt ihr das Gaudium

an und wird davon ergriffen.

32

15. Kilchberg bei Zürich 25. Nov. 1881. Meine verehrte Freundin,

Schon in die geschäftliche Strömung der Jahreswende gezogen, ergreife ich den Augenblick, Ihnen für Ihre l. Zu­ sendung zu danken. Das Lustspiel geht flott und rasch und

hat feste Zeichnung in Haupt- und Nebenfiguren. Morahrrediger lasse ich mir gefallen!

Diesen

Die „Reckenburgerin" habe ich mir inzwischen, dieselbe

abends meiner Tagewerk-müden Frau langsam vorgelesen, Wort um Wort besehen, zu meinem großen Nutzen.

Die

Reckenburgerin ist ein weiblicher Typus, den ich — mit einigen unwesentlichen Modifikationen — im Leben gesehen und in

einem bestimmten Exemplar genau gekannt habe. Dieser Typus — welchen Sie übrigens bewundernswert individualisirt oder wohl richtiger: unzertrennlich von einer bestimmten Indivi­

dualität wahrgenommen haben, fordert mit Notwendigkeit die

beiden Passionen (Prinz und Faber) und das Gegenstück des hübschen Leichtsinns. Letzteres (Dort) mag ich nicht, viel lieber die schwarze Gräfin mit ihrem Räuschchen und französischen Liebesliedchen.

Summa: Die Reckenburgerin

bleibt — Auch ich habe meinen Gregorovius, Geschichte

von Rom, aus dem Bauhause in meine Wohnung hinüber­ geholt. Der ©taufe Friedrich H hat es mir angetan. Wankelmut! sagen Sie. Keineswegs sondern ein Belauschen und Vergleichen meiner Stoffe, bis einer derselben über­

mächtig wird und mich zwingt, ihn zu behandeln.

Gestern hatten wir hier italienisches Wetter: ich hätte Ihnen gerne etwas davon geschickt. Vor einem Jahre (auch im Nov.) habe ich, von heute auf morgen meinen Koffer packend, Deutschland in zwei

33 Wochen durcheilt (Nürnberg, Dresden, Berlin).

Es ist mir

eine Art Heimweh danach geblieben, aber ich werde mich wohl hüten, mein hübsches Nest, das mir Stille und Unab­

hängigkeit bietet, zu verlassen. Was sagt man bei Ihnen von Bismarck?

Ich gehe

mit chm durch dick und dünne bis auf einen Punkt, eine Allianz mit dem Centrum. Ihr M.

16. Weißenfels 11/12. 81.

Verehrter Freund, Ich teile Ihre Verwerfung des fraglichen Schriftstückes ganz und gar; ich finde darin sogar noch weniger als Sie; vermisse den „klugen, logisch geschulten Verstand", — in

der Geschmacklosigkeit des Problems der Leidenschaft eines Eidams für seine alte Schwiegermutter, das doch das treibende

Agens der Handlung ist.

Auch ich habe aus diesem Erst­

ling die in diesem besonderen Falle bettübende Conse­ quenz gezogen, daß der Autorin nicht nur die äußerliche

Gestaltungsttaft gebricht, sondern vielmehr noch der inner­ lich gestaltende Sinn, — Phantasie, Intuition — aus dem das Gewebe sich bildet, dem Wissen und Wollen nur als solides dauerhaftes Unterfutter dient.

Bis

auf

diese Consequenz

habe ich meine von der

Autorin gewünschte Auffassung schon vor Wochen so un­ geschminkt ausgesprochen, als es ohne Grausamkeit geschehen konnte, in einer langathmigen Correspondenz, habe die sich Fühlende ohne Zweifel tief gegen mich verstimmt, von ihren Franyots-Meyer, Briefwechsel.

3

34 ihr näher als ich stehenden Wiener Freundinnen und Gönne­ rinnen aber ob meiner Ehrlichkeit faulen Beifall geerntet,

da keine von ihnen den Muth hatte, ihr den mit dem meinen übereinstimmenden Eindruck einzugestehen. Als ob Schweigen nicht die härteste Verurteilung wäre!

So gerne ich daher Ihnen die Verdrießlichkeit ersparte,

in welche indirect ich Sie hineingezogen, ich kann nicht von neuem mit Absprechen anfangen, indem ich mich als Ihre Stellvertreterin gerire.

Es würde die Arme zu tief kränken.

Schreiben Sie ihr daher selbst in einer freien Stunde so viel oder so wenig als eine menschenfreundliche Stimmung

hergiebt. verletzte,

Was von der alten unberufenen Vernunftsbase wird dem berufenen Dichter geglaubt werden.

Rathen auch Sie, nicht gleich mit dem Höchsten, was ein

Gottbegnadeter sich vorsetzen kann, d. h. einer historischen

Tragödie, für welche obendrein das heutige Publicum sich schwer erwärmt, anzufangen, sondern bescheiden als Schüler die auffafsende und darstellende Kraft zu üben — sagen Sie

— nun Sie wissen besser als ich, was zu sagen ist, — es ist ein Kreuz um solch einen Brief, die Kehrseite der Me­ daille, die ein weittragender Name verleiht. Aber Sie thun ein gutes Werk mit dem Fingerzeig auf den rechten Weg,

der Bescheidung heißt, wenn nicht

„radikal"

Entsagung.

Sein Sie mir aber nicht böse um der Gutthat willen die

ich für unsere geistige Amazone erbitte; ich sehe dunkel in

ihre Zukunft, falls sie, was ich nicht weiß, aber befürchte, nach außen hin auf sich allein gestellt ist, die Gelehrsamkeit also nicht blos als eines Luxus pflegen darf, oder — nun das Oder habe ich schon einmal indiscreter aber aufrichtiger Weise ausgesprochen. Daß W.sildenbruchss Karolinger sich als Kraftstück be­ haupten, will ich wünschen; zweifele jedoch, ohne sie zu kennen.

35 In Meiningen, wo sie zuerst aufgeführt wurden, hatten sie nur einen Achtungserfolg. Ich hörte von mancherlei daran.

Schönheitm der Sprache und sogenannten Mache — häßliches Wort — aber einen zu Grunde liegenden Sinn, ein zünden­ des tragisches Problem vermochte man nicht herauszufinden. Denn es ist nicht wie in dem späteren Waldradastreit das Ringen geistlicher und weltlicher Obergewalt, sondern soll

einfache Niedertracht -sein der kaiserlichen Stiefmutter und ihres gewaltthätigen Buhlen. (Also nahezu das gleiche Motiv, das Frl. Doctor sich erwählt.) Uebrigens

hat W. möglicherweise die Kraft ein

deutender dramatischer Dichter zu werden.

be­

An Leidenschaft

dafür und sauerem Schweiß hat es ihm nicht leicht einer gleich gethan. Da er in mir verwandten Kreisen befreundet war,

interessire ich mich seit Jahren für ihn, ohne natürlich ihn persönlich zu kennen. Sie wissen, daß er der Enkel des genialen preußischen Prinzen Louis Ferdinand ist, der bei

Saalfeld blieb. Sein Vater, preußischer General, war lange Zeit unser Gesandte in Constantinopel. Dort wurde der Dichter auch geboren und später nach preußischer Art in

Berlin zum Soldaten erzogen.

Der Poet ließ dem jungen

Gardeoffizier jedoch keine Ruhe; mit einer Energie, die für

den Mittellosen doppelt anerkennenswert ist, setzte er sich auf die Schulbank, um das versäumte Abiturientenexamen nachzuholen, studirte, legte die unerläßlichen Staatsprüfun­

gen ab und ist nun, irre ich nicht, dem Namen nach im äußeren Ministerium angestellt.

Viel wird der idealistische

Schwärmer Meister Bismarck freilich nicht nützen. Bei alledem vermochte er bisher bei keiner Bühne mit einem seiner Dramen: Mennonit, Herrin ihrer Hand rc. anzu­ kommen.

Jetzt auf einmal schießt sein Weizen in die Höhe.

Sein Genius wolle, daß er zur Reife gelangt.

36 Und damit: vale im alten Jahr und gut Heil im neuen

dem Dichter und seinem Haus. L. F.

Was macht denn der Dynast?

Wächst er sich aus?

Ist es durchführbar bleiben Sie Der ©tauff ist dramatischer aber zu fernliegend

Und der Schwedenkönig?

ja ihm treu.

für die Bühne.

17. (Postkarte, Poststempel SHIcbberg 15. XII. 81.)

Ich danke der Reckenburgerin für ihre l. Zeilen und werde mich von ihr an Mut nicht beschämen lassen.

Ich

werde an-------- gründlich, aber nicht abschreckend, schreiben, car il ne saut dfecourager personne. Der „Dynast" läßt mich nicht los:

„eine Geschichte

des Bösen in einer genialen Renaissancenatur".

Friedr. II.

studire ich nur als „Hintergrund" einer andern Fabel. Gustav Ad. ist furchtbar schwer, doch auch ihn lasse ich nicht fahren. Zuerst und vor allem aber schreibe ich ein 2. Novellchen (Gegenstück zum Brigittchen): „Die Leiden

eines Knaben" nach einer Zeile der Memoiren S. Simons. Versailles 1709.

Sie schütteln den Kopf:

4 Projecte!

Es ist eben jetzt so hübsch kalt: der Winter ist meine Saison. Da denkt sichs so kräftig!

Nun aber noch meinen herzl.

Dank für alle Freundlichkeit, guten Räte, alle „Weisheit" und gescheidten Worte des endenden Jahres.

Ihr M.

18. (Postkartt.)

Verehrte Freundin, ich

lasse es nicht neues Jahr werden,

ohne Ihnen

noch einmal für alle Güten des endenden gedankt zu haben.

37

fast in seiner letzten Stunde.

Ich habe noch auf dem Herzen

Ihnen zu sagen, daß Sie mir (erst neulich noch in einem gedruckten Worte) meine Begabung und mein Geleistetes zu überwerten scheinen. Letzteres könnte werden, ist aber

Leben Sie lange und bleiben Sie die treue

noch nicht!

Beraterin.

Das walte Gott!

Kilchberg bei Zürich, 31. Dec. 1881.

CFM.

19. Weißenfels, 2/1. 82. Verehrter Freund,

Zu oberft: nochmals Glück auf! im neuen Jahr und so Gott will vielen, die ihm folgen; demnächst Dank, daß Sie sich in dem vergangenen der alten, einseligen Invalidin —

ei, wie sage ich nun? — genähert, nein, das ist nicht genug —

geoffenbart haben und es höchstens ein bischen ironisch, aber doch nicht übel aufnehmen, wenn sie ihre Freude darüber in langathmigen Episteln zum Ausdruck bringt; endlich aber — mit einiger Beschämung — die Aufklärung eines Miß­

verständnisses, das durch ein Ihnen zugekommenes Feuilleton der Wiener Presse entstanden sein mag. Sie meinen, ich habe irgend etwas Pomphaftes über

Sie drucken lassen.

O, trauen Sie mir solche unkluge Ver­

wogenheit nicht zu.

Ich lasse überhaupt nichts mehr druckm

u. habe niemals über einen Mitlebenden etwas drucken lassen. (Doch einmal vor etwa einem Vierteljahrhundert, von R. Prutz aufgefordert, in seinem „Museum" eine Besprechung der

Selbstbiographie

der

G.

Sand.

Nun

Frau

über

Frau, das passirt allenfalls; aber Frau über Mann, das

passirt nicht.)

38 Ich weiß, daß weibliches Urteil und weiblicher Preis männlichen Ohren verdächtig klingen und einem namhaften Mit dem Artikel des Frl.

Dichter schwerlich genehm sind.

Paoli — Ihrer großen Bewundererin! — mache ich eine Ausnahme. Wenn eine Oesterreicherin und Katholikin den Hutten, sei es auch nur als Dichtergebild, ihren österreichischen,

katholischen Landsleuten zur gerechten Würdigung empfiehlt, das ist ein Zeichen seltener Geistesfreiheit und daß die Poeten­ natur bei ihr „zu unterft" liegt.

Daß aber, höchst unge­

bührender Weise, mein Name sich der Anpreisung unter­ mischt hat, kann ich mir nur in folgender Weise erklären.

Ich hatte kurz zuvor meiner Freundin Ebner über die dritte Auflage des Hutten geschrieben, und mag — in diesem

Bezug keine Zweideutigkeit—Sie einen „dichtenden Historiker" genannt haben.

Ich glaube

nebenbei

auch

einen

Tele-

scopisten, im Gegensatz nämlich zu Ihrem Landsmann Keller, den ich einen Mikroscopisten der Gegenwart nannte. Diesen

Passus wird Fr. v. E. der ihr

nahestehenden Dichterin

mitgetheilt und diese, in der Freude der Uebereinstimmung mit der im Wesen und Weben sonst sehr wenig mit ihr

übereinstimmenden Vernunftsbase, derselben ein Lorbeerblättchen zugeworfen haben.

erborgtes

Dies wollte ich Ihnen heute nur sagen und hinzufügen, daß nach meinem Ermessen und dem aller Bekannten, die

ich eines

Verständnisses fähig halte, von

einer Ueber-

Lernen Sie noch Völligeres schaffen, nun um so besser, so wird werthung Ihres „Geleisteten" nicht die Rede ist.

unsere Freude an Ihrem Künftigen wachsen. Das Geheim­ nis der göttlichen Maaße hat keine gezogenen Grenzen. Daß Sie aber gleich in Ihrem ersten größeren Werke, dem Hutten, ein Fertiges gegeben haben, — die Veränderungen der späteren Auflage schlage ich nicht allzu hoch an, — wird

39 wohl daraus zu erklären sein, daß Sie Ihre Phantasie nicht, wie die Meisten, in vorzeitigen Ueberschwenglichkeiten, — Jugendeseleien — erschöpft, sondern die Reifezeit des Charakters und mannhafter Gedanken zum Produciren ab­ gewartet haben. Daß diese Schöpfungskraft noch recht lange

dauere, strengen Sie dieselbe ja nicht zu sehr an.

Vier Ent­

würfe auf einmal dünkt mich ein bischen zu viel.

Und doch

hätte ich Ihnen noch einen fünften zuweisen mögen,

den

mir mein lieber Gregorovius aufgefrischt. Arnold v. Brescia. Sie knüpfen Ihre Erzählungen ja so gern an Ihre Heimaths-

stadt an.

Ist es Ihnen nie beigekommen,

auch diesen

Geächteten, — oder wenigstens Flüchtigen, — dem sie Schutz verlieh, poetisch zu verklären? Daß der Rothbart ziemlich schlecht dabei wegkommen würde, thut nichts.

nie allzuviel aus ihm gemacht.

Ich habe mir

Dankbar und treulichst

Ihre L. F.

20. (Postkarle.»

6. Jan. 1882.

(Poststempel: Kilchberg.)

Verehrte Freundin,

Eine umgehende Zeile. Ich habe in der fragt Stelle der Wiener Presse nichts als Ihre Freundschaft gesehen, aber allerdings glaube ich kaum, im Anfänge (nicht meiner Bahn,

das wäre zu lächerlich geredet) sondern der „Kunst" zu

stehen. Jetzt schreibe ich erst mein Rovellchen. Ich habe — ich sage die Wahrheit und lüge nicht — wie

St. Paulus spricht, die Adresse Frl. Doctors verlegt, der Brief liegt fertig, senden Sie mir die Adresse gelegentlich.

Stellen Sie sich vor, Dorer-Calderon ist nicht an der Riviera, wie ich glaubte, sondern in ihrer Nähe, in Kötschenbroda

40

bei Dresden. Ich habe chm zugeredet, einen Ausflug nach W. zu machen.

21.

(Postkarte.)

Weißenfels 8/1. 82.

V. F.---------------- Schön Dank für die Karte und flotten Fluß auf weiße Bogen. Wenn es nur kalt genug dafür ist. Die Amerikaner wollen ja jetzt in der Kälte so gut wie in der

Wärme ein bewegendes Prinzip entdeckt haben. Mir ist der milde Winter eine Wohlthat, habe nur einmal einen ähn­ lichen erlebt, zu einer Zeit, wo Sie, Verehrtester, Winter und Sommer noch nicht zu unterscheiden vermochten. —

Neulich las ich, daß Gambetta 12 Gymnasien für Frauen in Frankreich zu errichten gedenke. Was meinen Sie, wenn Frl.-------- sich um eine Professur für deutsche Literatur und

Philosophie an demselben bemühte?

Ihr Name würde eine

Empfehlung und ihre stattliche germanische Gestalt kein Gute Zeugniffe von oestreichischer Seite

Hindernis sein.

könnten auch aufgebracht werden.

Gott befohlen L.

Bin noch immer bei Gregorovius. Quatro Cento. Die göttliche Comödie des Dichter Richters wird mir nun

erst recht verständlich werden.

22.

Kilchberg bei Zürich, 13. März 1882. Verehrte Freundin, eine Zeile an diesem 13 (irre ich oder verjährt sich heute die Ermordung Alex. II?) welcher aber für mich nur

41

das freundliche Datum meines heutigen Einzugs in mein

mehr als zur Hälfte neues Haus ist. Ich komme mir (unter uns alten Leuten gesagt) wie ein neuer Mensch vor in

diesen ziemlich zahlreich und zum Theil sehr hohen Räumen. Sirach sagt: nur ein Thor beginnt täglich ein neues Leben (d. h. lebt ohne Zusammenhang und Folgerichtigkeit), aber der

Spruch tadelt nicht die natürlichen Abschlüsse und Kapitel des Lebens —

Unter den

neuen Räumen ist einer, den sich

meine

Frau besonders eingerichtet hat, ein Giebelzimmer, mit drei-

getheiltem, ringelscheibigen Fenster im Styl von 1620—1630 (diese Daten tragen die Schreine) getäfelt, möblirt etc. bis

auf Spinnrad, Gießbecken etc. — alles durch Juden zu­ sammengekauft.

Das Kämmerlein sieht über den Gartenweg

auf die steigende Straße und das hochgelegene Kirchlein (Kilchberg). Und wie geht es Ihnen, verehrte Freundin? Ich arbeite gemächlich und ziemlich in die Tiefe gehend und

spanne dann abends meinen Geist mit einem meiner paar Lieblingsbücher auf und ab, (z. B. Port-Royal von Samte Beuve — kennen Sie das Buch, so wissen Sie, warum ich

es liebe.) Bon interessanten Dingen wüßte ich nichts zu erwähnen, als daß ich zeither hier (in Zürich) viel Berlioz gehört habe

und dann ein int Correspondant (Paris) veröffentlichtes

Reisejournal aus dem Jahr 1820 von Rostopkine (oder wie der patriotische Mordbrenner von Moskau sich schreibt), worin dieser Barbar sich als einen raffiniert feinfühligen Melancholiker mit einem ganz eigentümlichen Humor offenbart. Eine Zeile Antwort, verehrte Freundin,

Ihr M.

42 23. Weißenfels, 15/3. 82. Verehrter Freund, Alles Gute im neuen Haus seinem Herrn nebst Gattin

und Kind und — last not least — der hold ernsten Muse. Ich hoffe ste heißt im nächsten Jahre Melpomene, bin aber

auch zufrieden, wenn sie wie bisher so ein Geschwisterkind der Clio ist. Die Zahl der quellenschöpfenden Nymphen hat sich

vermehrt. Sie sind Mütter geworden. Das Glück eines eigenen Hauses — und auch das eines neuen — auf einem schönen, sonnigen Fleckchen Gottes­ welt, fühle ich Ihnen nach. Es ist lebenslang meine Sehn­

sucht gewesen. Jetzt, im Alter, bin ich dankbar, es wenigstens zu einer Mansarde gebracht zu haben, in der ich die Sonne

und die Sterne aufgehen sehen kann, zu Füßen den Fluß und gegenüber eine Wiese, die sich — wunderfrüh — von Tag zu Tag grüner färbt. Was aber die Hauptsache: in Haus

und Hof keine Katze; denn wo Katzen sind kann ich nicht sein, das ist meine einzige, vielfach

genirende, Eigentümlichkeit

und auch keine besonders rare. Das Frauenstübchen im Giebel denke ich mir anheimelnd

genug, wennschon ich bekennen muß, daß ich mich in Bezug

auf Wohnräume — wie in allem andern — als ein styllos moderner Mensch fühle. Hoch, hell, luftig, freier Blick, weiche niedere Polstermöbel. Meine eigenen sind leider die denkbar härtesten, aus der Zeit der elterlichen Einrichtung, d. h. Empire, also altmodisch. Ich hätte Ihnen lange schon gern einmal geschrieben, aber es war mir einigermaßen zweifelhaft, ob Sie, wie unser alter, braver Gellert, das Brieffchreiben für eine weib­ liche Tugend hielten. Und was hätte ich sagen dürfen? Ich erlebe ja nichts. Der wundermilde Winter, den ich nach

43 einer Pause von 48 Jahren noch einmal erlebt habe, ist mein Wohlthäter gewesen; und über die langen Abende half unser lieber Gregorovius hinweg. Ich bilde mir ein, daß Sie ihn persönlich kennen; mindestens finde ich einen verwandten

Zug zwischen Ihnen beiden, wie zwischen einem älteren und jüngeren Bruder. Als Historiker hat er für mich nicht seines­

gleichen: Forscher, Philosoph und Dichter verschmolzen und ich bin als Preußin stolz darauf, daß die nüchterne, nordische Pro­

vinz, in der man die Füchse sich gute Nacht sagend vermuthet, nach Kant und Herder noch einen dritten von den Ersten hervorbringen önnte. Seine Specialität scheint mir der nordische Sinn, ge­ paart mit südlichen Sinnen.

Und bei Ihnen auch. Verehrter.

Gar gern wüßte ich, wie es mit Wachsthum und Ge­ deihen des Schwedenkönigs bestellt ist; und danach möchte ich

Sie doch bitten, sich auch Ihres größten Landsmannes, des Zwingli, als Helden anzunehmen.

Auf der Bühne würde

das vielleicht nicht gehen, wennschon ein starker dramatischer

Zug in seinem Streben und Schicksal liegt; man würde es für ein Sacrilegium nehmen.

oder auch Heiliger!

Nicht?

Aber so ein zweiter Hutten, Ich habe es immer sehr mit

Ihrem Zwingli gehalten; unser Luther ist gewaltiger, aber

auch mit viel beschränkterem Gesichtskreis — und vielleicht eben darum gewaltiger. Calvin dagegen ist mir zuwider. Von Samte Beuve kenne ich nichts, oder habe, wenn ich früher etwas von ihm gelesen haben sollte, es vergessen, seitdem ich die Revue des deux mondes nicht mehr halte.

Nach dem Titel Ihres Lieblingsbuches zu schließen, vermuthe

ich aber, daß es Pascal ist, der es Ihnen so werth macht. Ich habe ihn auch immer hoch gehalten; die Mischung von Mystiker und Mathematiker, — den letzteren verstehe ich na­ türlich nicht — macht ihn zu einem interessanten Unicum. Inniger zum Herzen ist mir aber ein späterer französischer

44 Mystiker,

Saint

Martin,

gegangen.

Solcher

gardisten wird es nicht viele gegeben haben.

National-

Die sich wider­

sprechenden Mischungen machen ja wohl überhaupt die Menschen interessant; solche ganz aus einem Gusse, und wären es die edelsten und weisesten, sind es selten, mindestens sind

es keine Vorwürfe für den Dichter. Von Berlioz habe ich nur ein einziges Mal vor langen

Jahren, wo ich dann und wann in Leipzig gute Musik suchte, eine größere Aufführung gehört; sie hieß, irre ich nicht, die Wüste. Ich bin aber keine Freundin von Tonmalereien; von

allen Beethovenschen Symphonien ist die pastorale die mich am wenigsten anmuthende.

Und wie schwer ist es überhaupt

nach Beethoven noch Symphonien zu schreiben; schwerer sogar als noch Trauerspiele nach Shakespeare. Denn Beethoven ist noch nicht, wie jener in vielem Beiwerk, der Zeit ver­ fallen. Ich hoffe, Sie sind nicht ein absoluter Shakespearomane. Musik ist übrigens die einzige Kunst, deren

Genuß ich schmerzlich entbehre.

Schauspiele, Bildwerke er­

freuen mich wohl, wenn das Glück sie mir vorführt, aber ich sehne mich nicht nach ihnen und ich möchte, um sie mir zu

verschaffen, nicht das Odium des Lebens in einer Großstadt auf mich nehmen, ohne Horizont, freie Luft und Wiesengrün. Indessen hat der gedeihliche Winter mich doch so verwegen

gemacht, daß ich ganz ernstlich an einen Sauser nach Berlin

denke, sobald es Mai d. h. landschaftlich am hübschesten dort geworden. Ich habe es seit 21 Jahren nicht wiedergesehen und es hat seitdem so manches Ungeahnete aus sich heraus­ entwickelt, das der Mühe des Betrachtens wohl

lohnte.

Auch Verwandte und alte Freunde giebt es zum Wieder­ begrüßen.

Aber bis dahin schreibe ich Ihnen wohl noch

einmal, insofern Sie es sich geduldig gefallen lassen wollen.

Louise Franyois.

45

24. «Postkarte.)

19 März 1882.

Kilchberg—Zürich.

V. F.

Mitgehend unter + Kellers und meine Beiträge zu einem Bazar-Büchlein. Unter Kellers Sachen gefällt mir der „Has" am besten.

„Ein Berittener" (pag. 19) verstehe ich nicht.

Meine Sachen haben einen sentimentalen Zug, welchen ich an mir kenne und verachte, der aber in der Lyrik natürlich her­ vortritt. Gratulire im Voraus zu dem Ausflug nach Berlin.

M.

25.

Weißenfels, 3/4. 82. Ei, Verehrtester, was sind Sie doch für ein gestrenger

Herr gegen sich selbst!

Den Ausdruck „tiefsten Empfindens"

„Sentimentalität" zu schelten; Regungen, Stimmungen, Er­ innerungen verächtlich zu nennen, ohne welche es doch gar keine lyrische Dichtung geben würde, die einzige Musengabe, in welcher wir Deutschen nicht unseres Gleichen haben, und schwerlich jemals haben werden.

Wie müßte der alte Göthe

sich vor Ihnen schämen, der noch

als Siebenziger ohne

Scheu seinem stärksten Gefühle Ausdruck gab. By the by: ich habe Sie im Verdacht, daß Sie sich

aus Göthe nicht allzuviel machen; vielleicht aus dem näm­ lichen Grunde, der Ihnen die weichmüthige Lyrik verleidet hat. Aber was kann die Dichtung und was kann der Dichter für den Mißbrauch, der mit ihrem Cultus getrieben wird.

Etwelche Ursach zu Repressalien haben freilich die männ­ lichen Richter und Dichter; der alte Herr hat es mit seinen Adamssöhnen lange nicht so gut als mit uns Evastöchtern

46 gemeint und ist für seine eigene Person viel fester, klarer,

männlicher gewesen als samt und sonders seine Helden, von welchen nur immer zwei verschmolzen einen ganzen Mann abgeben. Wir Fraum aber müssen ihm ewig dankbar sein; denn soviel Gutes und so wenig Schlimmes hat uns noch nie ein Dichter zugetraut, oder nachgesagt.

Haben Sie Dank für Ihre Albumlieder; sie waren mir

sämtlich unbekannt und sind mir sämtlich zu Hermen gegangen, tief zum Gedankenspinnenden Gemüth. Am schönsten finde ich just die, welche Sie anscheinend am wenigsten gelten lassen

wollen.

Die Lenzfahrt.

Weihnacht im Süden. Hochzeitlied.

Wunsch. Da wir Frauenzimmer aber einmal gern um Kleinig­ keiten nörgeln, wäre es mir lieber gewesen, Sie hätten sich gewünscht, statt einer einzelnen Beere gleich eine ganze Purpur­ traube zu sein in der „des Himmels reine Glut mit der

dunklen Macht der Scholle sich vermählt zu einem Blut".

So verdrießt mich auch in dem Prolog im Himmel immer das Gleichnis mit dem Gärtner, der das Bäumchen

keimen sieht.

Für den Herrn der Heerscharen doch wahr­

haftig zu kleinlich dargestellt. Von den Kellerschen Liedern kannte ich bereits — ich

weiß nicht woher — die Herbstlandschaft, die mir auch in ihrem schwermütigen Tiefsinn das Bedeutendste scheint. Wenn der „Berittene" etwas anderes besagen soll als

„Mensch sein, heißt ein Sünder sein", so verstehe ich ihn auch nicht. Ueberhaupt verstehe ich und genieße daher Ihren Keller nicht so durchaus wie es Viele thun; suche hinter seinen Tifteleien Bedeutungen, hinter seinem Humor Beziehungm, an die er vielleicht gar nicht gedacht hat, finde ihn häufig künstlich, selten anschaulich. Nur Romeo und Julie auf dem

Lande ist mir als ein naturgewaltiges Meisterstück erschienen.

47 Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir gelegentlich Ihr

aufrichtiges Meinen über den Mann und Dichter — vielleicht Ihren Freund, wie auch Ungleichartige es sein können —

sagen zu wollen. Mein Berliner Plänchen ist im Verziehen. Ich war kürzlich in Halle, um Bülow mit der Meininger Kapelle an einem Beethovenabend zu hören und bin mit einem Hexen­

schuß heimgekehrt.

Daraus habe ich dann die Lehre gezogen,

daß alte Weiberchen sich die Neugier vergehen lassen und still

zu Hause sitzen sollen, froh genug, daß Gottes Sonne sie noch bescheint. Der musikalische Genuß war übrigens ein

vollkommener. Von der Gewalt und dem Reichtum der dritten Lenorenouvertüre zumal habe ich bei keinem früheren Hören und Neben eine Ahnung gehabt. Der Grundsatz der Meininger

Schule: die Genauigkeit in der Wiedergabe eines Kunst­ werkes nach seines

Autors Intentionen, sind für Kräfte

zweiten Ranges in der Musik weit durchführbarer als im Drama, wo es nicht nur gilt durch eine einzige Sinneskraft auf die Empfindung zu wirken, sondern durch Hören und Schauen auch auf den Geist. einzelner Interpreten.

Dazu bedarf es genialer

Und nun will ich, um mit etwas Erfreulichem anzu­

schließen, Ihnen noch eine Erfahrung berichten.

Als ich

verwichenen Herbst in Halle war, da — es ist kläglich zu sagen aber leider wahr, — da hatte in der geistigen Haupt­

stadt unserer Provinz von den Weisesten der Weisen, mit denen ich zusammentraf, kein einziger ein Wort von einem Dichter C. F. Meyer in Zürich gehört, oder gar ein Werk

von ihm gelesen. Und jetzt, nach kaum sechs Monaten, wurde mir versichert, daß die Buchhändler nur noch Geschäfte machten mit den Dichtungen C. F. Meyers und allerdings Baumbachs, den Sie vielleicht nicht als Rivalen gelten lassen

48 Ich kenne nur ein Paar frische Lieder — das Alter macht versescheu — und gemüthliche Märchen von ihm.

werden.

Was Dauer hat, geht eben langsam auf im schweren deut­ schen Boden. Wucherpflanzen brauchen wenig Erdreich. Und damit nochmals Dank, Sie haben mir wieder­

einmal Freude bereitet und das wollten Sie ja nur. Was macht denn der böse Dynast? Und wo bleibt das Seiten­ stück zum Brigittchen?

In gewohnter Ergebenheit Louise Francois. Für das Kinderhospital — wohl eine Schöpfung Ihrer edlen Schwester — meine wärmsten Gedeihenswünsche.

26. Carsamstag 1882.*)

Verehrte Freundin,

Herzlichen Dank für Ihre l. Zeilen, welche ich gestern

aus der Stadt von Mozarts Requiem**) (Donnerst.) und

dem Gottesdienst (Freit.) zurückkehrend, hier in meiner jetzt unvergleichlich lenzschönen Stille fand. Mein Schwiegervater, Oberst Ziegler hat seinen 84 Jahre alten Bruder, den

Major Hans verloren, welcher Verlust ihm, da die Brüder Wand an Wand lebten, nahe geht.

Es war eine äußer­

lich und innerlich sehr feine Persönlichkeit. In den neuen Auflagen des Amulet (wo er mir zu dem Oheim Schadaus

als Modell gedient hat) habe ich jetzt nach dem Tode des alten Herrn (der übrigens — er war ein Mystiker — höchst *) 8. April. A. d. H. **) Ich lege das Resultat meiner 9 Concerte bei.

letzten Winter gehörten

49 leicht und selig verstarb) die Aehnlichkeit etwas verstärkt. Ich war nämlich gerade mit den Correkturfahnen beschäftigt

als die -s- Nachricht kam. Meine Lyrik, liebe Freundin, „ver­ achte" ich nicht, weil sie „gefühlvoll", sondern weil sie mir nicht (oder wenigstens nicht mehr) sei es wegen der Zeit­ entfernung, sei es wegen Verschärfung des Wahrheitssinnes — weil sie mir — nicht wahr genug erscheint. Wahr kann

man (oder wenigstens ich) nur unter der dramatischen Maske al fresko sein. Im Jenatsch und im Heiligen (beide ur­

sprünglich dramatisch concipirt) ist in den verschiedensten Verkleidungen weit mehr von mir, meinen wahren Leiden und Leidenschaften, als in dieser Lyrik, die kaum mehr

als Spiel oder höchstens die Aeußerung einer untergeordneten Seite meines Wesens ist. Mit Keller stehe ich — ohne Intimität — auf einem loyalen Fuße, mit einer Nuance von Deferenz auf meiner

Seite. Was ihm mangelt und ich glaube: er hat selbst das Gefühl davon, das ist wohl die Bildung im höchsten Sinne,

aber

welcher

partielle

Tiefsinn,

welche

Naturgewalt,

welche Süßigkeit und auch welche raffinierte Kunst in Einzel­ heiten! — Ich lege unter -j-band einen Artikel bei, den ich

beim Aufräumen fand und der Ihnen vielleicht Spaß macht.

Ihr M. Im Konzert.

Heut im Konzerte hielt ich Zwiegespräch Mit einem allerliebsten Mädchenhals, Der aus derselben Bank geschimmert schon Ein früher Mal ... Du hattest, sagt' ich ihm Ein schmales Kettlein an, besinne Dich! Vielteilig, fein gefügt, von blassem Gold, Süß leuchtend aus dem Dunkel des Gewands. Verloren ging's? Vielleicht ist's nur verlegt? Zerbrach es eben erst der Finger Hast? Franyots-Meyer, Briefwechsel.

4

50

Trug's ein Gespiel davon, ein schmeichelndes? . . Warf, dich betörend, eine Hand dir's um. Die Treue brach? Du hassest jetzt das Band? Du trauerst Hälschen? Heute neigst du dich Ein bischen tiefer als das letzte Mal? Der eigenartige Satz! Die Flöte klagt: „Das Hälschen neigt sich etwas tiefer heut! . . . „O dunkles Schicksal!" dröhnt verhängnisvoll Das melancholische Violoncell. . . Ein feines Glöckchen aber spottet hell: „Das Kettlein steckt im blauen Sammt des Schreins. Aus einer reinen Laune blieb's zu Haus." Conrad Ferd. Meyer.

Kilchberg (Zürich)

27. Weißens. 16/5. 82. Verehrter Freund,

Aus dem Hexenschüßchen ist eine Grippe geworden; nur eine Grippe, aber im Alter wirft ein Strohhalm um.

Uns

armes Weibervolk heißt das; das männliche möge getrost

meinem Jahrgang entgegengehen.

(Beweis unsere preußische

Matadore in ihrem neunten Jahrzehnt.)

Item! ich habe

den ersehnten Frühling genossen wie eine arme alte Sommer­

fliege, die ihr Dasein unberechtigt im Ofenwinkel gefristet, den heiligen Christ; aus dem Berliner Plänchen ist nichts

geworden und selbst die schuldige Dankepistel nach dem lieben, lenzschönen Kilchberg kann erst heute abgestattet werden.*) Nachdrücklichst gemeint, wenn auch in flauen Worten aus-

gesprochm. Die Zimmermannskitze, mit welcher — nicht wahr? —

ein bischen Propaganda für das Werk des Freundes ge­

macht werden soll, hat mich interessirt.

Ihr landsmännischer

*) Diverse Anfänge sind in den Papierkorb spaziert.

51

Hypochonder war mir kein Fremder. Nicht blos durch Dichtung und Wahrheit, sondern direkt aus seinem Hauptwerk, das ich in einem Bücherschränke meiner Großmutter auf­ gestöbert hatte, und von dem mir, — nach ca. 50 Jahren! — — ein — möglicherweise falscher — Totaleindruck geblieben.

Ich war, je früher je mehr, eine Lesetigerin, verschlang was

sich irgend Gedrucktes vorfand mit Gier; das Unverstandene natürlich am gierigsten, insofern es nur mächtig pathetisch klang. Auch ich war von jeher viel und gern für mich. Die Verhältnisse hatten mich dazu erzogen.

Und eines werde

ich noch heute, d. h. wenn heute meine letzte Stunde schlagen

sollte, mit jenem Unverstandenen sagen: mich allein!"

„Ich sterbe, laßt

Neuer und darum noch interessanter waren mir die

Schilderungen Ihrer republikanischen Kleinstadt.

Auch ich

bin ja unter den Eindrücken eines deutschen Krähwinkels aus­ gewachsen und alt geworden; aber es fehlte ihnen und fehlt

heute noch das politische Selbstgefühl, — die Großmanns­ sucht, wenn Sie es als guter Schweitzer nicht übel nehmen

wollen.

Manches in Ihres Keller satyrischen minutiösen

Malereien ist mir aus Ihrer Skitze verständlicher geworden. A propos: alle übrigen Kriterien Ihres Dichters zu­

gegeben, die „Süßigkeiten", die Sie ihm ausgesaugt, sollten Sie mir gelegentlich näher bezeichnen. Ich genieße auch gern einmal Honigseim und Ihr Keller hat mir immer mehr wie Caviar gemundet, nicht selten wie Caviar dem Volk, will sagen dem deutschen.

Eine liebe kluge Freundin, die

eine eifrige Kelleranerin ist, schrieb mir einmal: „Schade, daß man hier und dort bei ihm in einen unsauberen Winkel

gerät."

Nun solchen Winkel habe ich niemals entdeckt.

Aber die Honigwabe — bei aller Bewunderung des Bienmfleißes — auch nicht.

52 Auch für das „Konzertstücklein" schönen Dank.

Man

weiß doch nun, wie man mit gewißen lyrischen Dichtern — und ich glaube fast der Mehrzahl — im Punkte der Ton­ sprache daran ist.

Da treibt einer von ihnen unter Har­

monien und Melodien allerlei Allotria — Verzeihung es sollte Kurzweil heißen — mit schlanken Mädchenhälschen, während eine arme Prosanatur freudig ihr Beethovenent­ zücken mit einem Hexenschuß und gar die Matthäuspassion

an ihrer Urstätte mit einem Catarrh in allen catarrhfähigen Regionen bezahlt. Ich glaube, es ist Methode in dieser gegensätzlichen Wirkung.

Schiller und

wohl

auch Heine

waren gewiß keine Musikfreunde und Göthe wurde es nur

aus dem Drange, alles Natur- und Kunstgemäße verstehen zu lernen. Einer Bekanntin von mir, die flüssiger in Versen als in Prosa spricht und schreibt, — Dichterin will ich sie darum just nicht nennen, — wendet sich über jeder Instrumental­

musik, die nicht zum Tanz aufspielt, das Eingeweide um; die einzige Ähnlichkeit, die sie mit A. v. Humboldt auf­

Ich kann mich daher nur freuen, daß die Rätselfrage des Kettchens auf friedsame Weise und nicht unter zuweisen hat.

Grimmen und Würgen — etwa gar während der 9ten Sym­ phonie! — ihren Abschluß gefunden hat.

Sobald die heuer sehr gestrengen Herrn, — die grau­ samen Rächer des milden Januarius — ausgewirthschaftet haben, denke ich, wie alle Jahre in der Pfingstzeit, zu einer Verwandtenschau nach Erfurt und Umgegend zu gehen. Im

Hochsommer wahrscheinlich wieder auf ein bis zwei Wochen nach Reichenhall, um mit meiner lieben Freundin Ebner zusammen zu sein. Denken Sie, deren Mann bricht in den nächsten Tagen zu einer Nordlandsfahrt auf, die bis nach

Island führen soll.

Dabei wäre nun nicht viel seltsames.

53 selbst für einen Sechziger. General E. gilt, (oder galt), er ist außer Dienst, für einen gelehrten Militair; richtiger aus­

gedrückt, er war von Herzensgrund mehr Naturforscher als Soldat und der bekannte Graf Hans Wilczeck, der — laut Zeitung — eine Polarstation auf oder bei Island einzu­ richten im Begriffe ist, ist sein Freund und Verwandter.

Aber unter seinem Schutze reisen auch zwei Nichten, junge

verwöhnte Weltdamen —. Gräfinnen (Waldburg und Palffy). Darin liegt die deutsche Curiosität. Wollen und werden sie auf der alten Sageninsel die Weltesche etwas deutlicher rauschen hören als in ihrer Schwarzwald- und Karpathen­

heimat? Aber da fällt mir eine charmante Humoreske Mark Twains über das Briefschreiben ein, d. h. über das — zu­ meist wohl weibliche — Geschwätz von unbekannten, daher

uninteressanten Personen u. Gegenständen.

Ich hatte die

Lehre mir hinter die Ohren geschrieben und sie doch eben wieder außer Acht gelassen, schließe daher beschämt und

eiligst, mit Dank und Gruß in aufrichtiger Ergebenheit Louise Franyois.

Gratulire zur neuen Auflage des trefflichen Amuletts.

— Darf ich den Zimmermann behalten, oder war er nur geliehen? Noch immer keine Aussichten auf den Dynasten, auf den ich mich nun schon ein Jahr lang freue.

Also Ihre beiden großen Erzählungen ursprünglich dra­

matisch concipirt. Sehr begreiflich. Als ich den Heiligen gelesen hatte, dachte ich: warum Shakespeare nicht lieber Vater Heinrich statt des erbärmlichen Sohnes gewählt. Viel­ leicht weil er religiösen Problemen aus dem Wege ging.

Nun macht der brave Wildenbruch mit Harold, beider Vor­

läufer, Bühnenglück.

54

28. (Postkarte.

Poststempel Kilchberg, 22. V. 82.)

Verehrte Freundin, vielen Dank für Ihre l. Zeilen!

Ich hoffe, daß Sie sich bald vollständig werden erholt haben!

Auch hier in unserer Familie (nicht gottlob an meinem Herde) haben wir bedrohte Gesundheiten viel ernstlicher, als die Ihrige.

Denn ich halte Sie für langlebig und zähle darauf.

Ich bin mit einer gewissen Leidenschaft mit der Sammlung meiner Lyrika (für die Herbstmeffe) beschäftigt. Mehr als

. 50 Balladen und Lieder — oh die zartesten Liederchen von der Welt! Hin und wieder etwas Intimes hinein versteckt.

Ihr M. 29. (Postkarte mit Ansicht der RudelSburg.)

25/6 82. Weißenfels. Verehrter Freund,

Durch eigenes u. fremdes Unwohlsein festgehalten hat sich mein Besuch in Erfurt wochenlang ausgedehnt. Dort empfing

ich Ihre

beiden

geistvollen Dichtungen.

Dank

dafür. Eingehendes baldigst. Heute nur einen Gruß von der nachbarlichen Burg, die den mitteldeutschen Studenten ein häufiges Rendezvous und das Ziel vieler Touristen ist.

Ich besuchte sie gestern mit einer großen Gesellschaft Hallescher Juristen, unter denen ich alte Freunde hatte. Die alten

Herren wurden da oben wieder studentisch

jung; rieben

Salamander mit großen Holzkrügen voll Lichtenhayner Bier, sangen Burschenlieder: „An der Saale kühlem Strande, Junker Bodo" u. s. w. waren froher als vielleicht einst.

Die Probe jedes Erlebnisses ist die Erinnerung, die es

55 hinterläßt.

Darum Vivat das deutsche Studententreibm

trotz seiner Ausgeburten.

Herzlichen Gruß L. v. F.

30.

Weißenfels, 24/7. 82.

Verehrter Freund,

Sie haben mir,

es ist schon ein Weilchen her, zum

zweiten Male ein paar lyrische Sprößlinge gesandt; wiederum ohne Geleitswort; aber der Zweck, mich zu erfreuen, ist er­ reicht worden. Nur daß etwelche altweiberliche Nörgeleien

den Willkomm ein bischen trübten und den Dank verzögerten. Heute spreche ich sie aber dennoch aus in der Hoffnung, daß

Sie dieselben nicht ärgerlich für Anmaaßung eines Unberufenen, sondem lachend nur für das nehmen, als was ich sie an­ gegeben habe.

Zunächst der bängliche Hintergedanke: Was wird aus dem mächtigen Dynasten und — mehr noch! aus dem schwedischen Helden, wenn das lyrische Kleinvolk sich so ungestüm, Muße und Muse absorbirend, vordrängt?

Es sind lauter Aristo­

kratenkinder, d. h. zur Freude nur eines sehr auserlesenen Publikums bestimmt.

Aber an verwandten Sinngedichten,

den höchsten Gebieten entnommen, leiden wir Deuffchen keinen Mangel;

was uns aber kläglich gebricht,

und zwar dem

Populus wie den Magnaten im Geist, das ist der Roman

und mehr noch das Drama mit dauerhaftem Unterfutter. Seit dem Wallenstein ist — und ich glaube nicht blos bei

uns — kein unsterblich gestempeltes Bühnengebilde hervor­

gebracht worden. Ich halte den Kleist für in der nachträg­ lichen Schätzung überschraubt. Er hat seine Kraft nie und

56 nirgend zum Schönen gebändigt und das Krankhafte in dem Dichter schimmert allerorten aus der Dichtung durch. Aber ä propos: ich habe kürzlich in Leipzig von den Meiningern den Wallenstein gesehen, d. h. nur Lager und die Piccolomini — und als Schaustück einen außerordent­

lichen Eindruck empfangen.

Aehnlich dem der Beethoven­

leistung der Meininger Kapelle als Hörstück.

Ich darf sagen:

durch die Lager und Bankettscenen ist mir die jammervollste Epoche deutschen Lebens historisch verständlicher geworden

als durch alle Forscher- und Dichterworte. Der herzogliche Director ist nämlich Maler von Naturberuf; Ihre Vaterstadt, — das schweizerische Athen?! — sollte sich wirklich die Meininger einmal einladen.

Sie bieten in ihrer Art —

und der Zeitgeschmack rechtfertigt oder entschuldigt mindestens diese Art, — etwas nie Dagewesenes. Nun mit gnädigem Verlaub

ein paar Einwendungen

gegen Einzelheiten: Zunächst gegen den toten Achill, den in seinem Tiefsinn überaus herrlichen. Die Zwischensätze in den Zeilen 4 bis 7 machen dem Ohr einen etwas schwer­ fälligen Eindruck, dem — sollte ich denken — durch Ver­

setzung der siebenten Zeile an Stelle der ersten leicht abgeholfen wäre. Etwas rhythmischer geordnet etwa so: Von Delphinen umtanzt entführt im Muschelwagen durch

des Meeres erregte Flut, Thetis den Sohn rc.

Den Passus: Es lügt Homer, Den Odem neiden rc. ver­ stehe ich nicht vollständig; aber Ilias-Vertrautere werden ihn verstehen und ich kann ahnen, was damit gemeint ist. Vulgo: das elendeste Leben ist besser denn tot sein. Was ich Sie

aber anflehen möchte zu streichen ist, wenn nicht den ganzen ironischen Schluß nach: „Er schweigt", so doch „den cynischen dummen Kerl", diese Heinesche Wendung dünkt mich — Ihrer nicht würdig.

Bleiben Sie auf eigenen Pfaden.

57 An

der Karyatide

mit

ihrem knappen historisch —

richtiger ethologischen — Hohn irritirt mich nur ein wenig der Ausdruck „überzeugter Katholik", weil etwas zu durch­

schnittlich,

oder spießbürgerlich und nicht schneidig

genug

für einen Zeloten der Religion, deren Gesetz die Liebe ist. Uebrigens haben wir Protestanten auch mit frommer Lust

unsere Hexen verbrannt, wenn auch just nicht hinterrücks, sondern was vielleicht schlimmer, weil nicht durch momentanen Wahnsinn entschuldbar, ist, offnen Visirs nach Pflicht und

Gewissen, und Ehren-Calvin hat es wahrlich auch nicht an

heiligen Blutgerichten fehlen lassen.

Ich entstamme einer

hugennottischen Flüchtlingsfamilie, jedennoch: ein jeder mag sich an seiner eigenen Nase zupfen. Michel Angelos Statuen sind wundervoll innig aufgefaßt. Jedem der das Glück hatte, sie im Original kennen zu lernen die tiefsten Erinnerungen weckend und klärend auch mir, die

ich sie nur in Nachbildungen gemeinen Materials geschaut habe und in den plastischen Künsten eine armselige Ignorantin bin.

Und nun nichts für ungut, Verehrtester.

Sagen Sie mir

gelegentlich, daß Sie über meine kritischen Pedanterien ge­ lacht haben, aber nicht verdrießlich durch sie geworden sind.

Von mir ist nichts Besonderes zu vermelden.

Ich bin

nicht nach Reichenhall gegangen, sondern still in meiner Klause

geblieben. Das Alter zeigt sich mit Macht; nicht in außer­

gewöhnlicher Krankheitsform, nur in natürlichem Schwäche­ gefühl. Ob auch auf gedanklichem Gebiet, dazu habe ich kürzlich eine Probe versucht nach dem Recept einer liebens­ würdigen Freundin und Gönnerin am Rhein. Um zu erkennen,

ob sie,

als Sechzigerin, noch lernfähig sei, fing sie an

lateinisch zu lernen und freute sich wie ein Kind, daß der Wiesbadener Gymnasialdirektor sie bis zum Virgil, — item

bis Sekunda — gefördert.

Wäre griechisch nicht zu schwer

58 würde ich es ihr in dieser Sprache nachgethan haben; aber

lateinisch — mit nichte». Ich dächte, nach den Uebersetzungen zu schließen, könnten weder Horaz noch Cicero einem betagten Modernen Freude machen, nur die Jugend noch allenfalls

an ihnen klettern lernen.

So nahm ich Kants Vernunfts-

Kritik wieder einmal vor, um zu versuchen, ob die Idealität

von Raum und Zeit mir im Alter einleuchtender würde als in jungen Sagen. Und mir schien, es gelang. Nun lachen Sie, meine ich, wirklich.

Ich sehe Sie sich

schütteln vor Spaß. Leben Sie herzlich wohl. Vivat Dynast und Schwede!

Louise Franyois. Wie verträgt der Winterfteund diese correcte Ernte­

temperatur von 22 G. R. im Schatten?

31. 27. Juli 1882.

Verehrte Freundin, ich danke für Ihre l. Zeilm, welche mich — insbesondere die Kritik — sehr interessirt haben. Den „Kerl" will ich beseitigen. Die fraglichen 3 Gedichte geben durchaus nicht den Grundton der jetzt im Drucke begriffenen Sammlung

(186 Stücke), sind übrigens



die definitive Form ab­

gerechnet — über 20 Jahre alt. Ich selbst bin sehr glücklich, meine endgültige Sammlung — übrigens eine Notwendig­ keit da manche der Lyrica in 3 bis 4 verschiedenen Versionen herumflatterten — vollendet zu haben und verabschiede oder

beurlaube wenigstens mein lyrisches Ich auf unbestimmte Zeit.

59 G. Ad. ist schon, wenn auch genreartig, in einer fertigen

Novelle „Page Leubelfing", die wol noch dieses Jahr er­ scheint, verwendet. Ein Drama (mit Friedrich II dem Staufen) beschäftigt mich ohne Unterlaß. Ich werde es — so Gott

will — rasch vollenden. In der Wahl, der Priorität der Kunstform meiner Stoffe überlasse

ich mich meinem Impuls, welcher mich

sicherer führt als alle Ueberlegung. Auch ein „Portrait" habe ich gestern vollendet, natürlich mit der Feder, dasjenige von „Mathilde Escher" (ein Analogon der Hamburgerin Am. Sieveking) die Stifterin der St. Anna

Kapelle. Das that ich aus Pietät für die Freundin meiner Mutter und auch aus persönlicher Anhänglichkeit. Ich gebe

es in einen Local-Almanach, der Natur der Dinge nach. Wir haben hier (in unserm Zürich, mit welchem ich

übrigens — die Steuern abgerechnet — sehr lose zusammen­ hänge) Liszt gehabt, dessen schöner Kopf mir besser als seine

Musik d. h. seine h. Elisabet gefallen hat.

Bei uns in

Kilchberg hat ein Nest „Schlangen" — Nattern — im Dach einer Garten-Strohhütte eine Rolle gespielt.

Warum nicht Kant? Hätte ich Zeit, ich setzte mich zu Ihnen,

Ihr M. 32. (Bürstenabzug der Verse: „Der todte Achill" mit eigenhändigen Korrekturen des Dichters. Auf Seite 129, Bogen „9, C. F. Meyer, Gedichte" und der Stempel „W. Drugulin 15./8. 82 Leipzig". Auf Seite 130 Meyers undatierter Brief.)

Der todte Achill. Im Vatican vor dem vergilbten Marmorsarg, Dem ringsum bildgeschmückten, träumt' ich heute lang. Betrachtend seines feinen Zierat's üpp'gen Kranz:

60 Thetis entführt den Sohn, den Rufer in der Schlacht, Den Renner, dem die Knie' erschlafften, welchem schwer Die Lider sanken — von Delphinen rings umtanzt — Im Muschelwagen durch des Meers erregte Fluth. Tritonen, bis zum Schuppengurt umbrandete, Bärt'ge Gesellen, schilfbekränztes, stumpfes Volk, Geberden sich als Pferdelenker. Es bedarf Der muth'gen Rosse Paar, das, Haupt an kühnem Haupt, Die weite Fluth durchrudert mit dem Schlag des Hufs, Des Zügels nicht! In des Peliden Waffen hat Sich schäkernd ein leichtsinniges Gesind getheilt: Die Nereiden. Eine hebt das Schwert und zieht's Und lacht und haut und sticht und mundet Licht und Luft. Ein schlankes Mädchen zielt mit rückgebognem Arm, In schwach geballter Faust den unbesiegten Speer, Der auf und nieder, wie der Wage Balken, schwankt. Die dritte schiebt der blanken Schulter feinen Bug Dem Erzschild unter, ganz als zöge sie zu Feld, Dann deckt damit den sanften Busen gaukelnd sie. Als schirmt' das Eisen eines Kriegers tapf're Brust. Die vierte — Held, du zürntest, schlummerst du nicht! — Setzt jubelnd sich den Helm, den wildumflatterten, Auf das gedankenlose Haupt und nickt damit. Scherzt Kinder! Nur mit dir ein Wort, Vollendeter! (Denn mit der Mutter, die dein schlummerschweres Haupt Im Schooß gebettet hält, der dir das Leben gab. Der schmerzversunknen Mutter, plaudert es sich nicht.) Pelide, sprich! Was ist der Tod? Wohin die Fahrt? Wozu die Waffen? Zu erneutem Lauf und Kampf? Zu deines Grabes Schmuck und düstern Ehren nur? Was blitzt auf deinem Schwerte? Deine letzte That, Verglimmend, wie der Abend eines heißen Schlachtentags? Die Morgensonnen eines neuen Kampfgefilds? Bedarfst du deines Schwertes noch, du Schlummernder? Wohin der Lauf? Zum Hades? Nein, es lügt Homer. Den Odem neiden einem kleinen Ackerknecht Sieht nicht dir ähnlich, Heros! Eher fährst Du einer Geisterinsel bleichem Frieden zu

61 Und trägst den Myrtenkranz, beseligt und gestillt. Mit den Geweihten! Doch auch solches ziemt dir nicht! Was einzig dir geziemt, ist Kampf und Kampfespreis — Pelide! ein Erwachen schwebt vor deinem Boot Und schimmert unter deinem mächt'gen Augenlid! Du lebst, Achill? Gieb Antwort! Wohin wanderst du? Er schweigt! Er schweigt! Der Wagen rollt. Ein Triton bläst Sein Muschelhorn, daß leis und dunipf der Marmor schallt.

Verehrteste Freundin,

Sie sehen, daß ich Ihren Rat befolgt habe, und nun will ich Sie auch fortan mit meinen Lyricis in Ruhe lassen.

Dagegen meinen Pagen Leubelfing will ich Ihnen senden, d. h. den Separat-Abdruck. Ich habe jetzt einen Stoff auf dem Webestuhl, welchen ich nur nicht verderben darf,

um, wie ich glaube, etwas Gutes zu machen. Hernach der Dynast. Die Lyr. mußten absolut vereinigt werden! Das ist nun aber gethan. Wir haben hier zeither viel Besuch, auch bleibenden,

und es wäre alles „au mieux dans le meilleur des mondes

possibles“, wenn nicht mein armer Schwiegervater, Oberst Ziegler, bei übrigens ganz Hellem Kopfe, mit schweren Leiden

seinem Ende entgegenginge.

Es ist schrecklich nicht helfen

zu können!!!

33. 23. August 1882.

(Postkarte. Poststempel Kilchberg.!

ick) melde der verehrten Freundin, daß mein Schwieger­

vater Herr Oberst Ziegler vorgestern verschieden ist und morgen bestattet wird. Die ganze Familie war um sein

Sterbelager versammelt.

Er trug seine schweren Leiden bis

ans Ende mit Mut und Ergebung. mich mehr als ich sagen kann.

Der Verlust schmerzt

CFM.

62

34. Weißenfels, d. Lüsten Aug. 82.

Verehrter Freund, Ja, es ist schwere Pein, dem hülf- und hoffnungs­ losesten Zustande gegenüberzustehen: dem Alter, das sich in Qualen auslebt.

Und nun gar einem Nächstverbundenen.

Ihre arme, arme Frau!

Ich fühle nach, was sie leidet,

Meine gute Mutter, siechend so lange ich von ihr weiß, lag mehr als zwanzig Jahre fest­

vor was sie leiden wird.

gebannt, bevor sie allmälig ausathmete. hat — Sie haben — ein Kind.

Freilich Ihre Frau

Aber ich glaube, und zärt­

liche Mütter haben es mir bestätigt, der Riß durch das

Leben wird gleich stark empfunden, auch wenn ein Faden in die Zukunft angesponnen ist. Nur nicht so nachhaltig wirkt die Oede auf den, der in einem Andern fortzudauern hofft.

Gott stehe Ihnen bei in der bängsten Stunde. In solcher Stimmung, bei solcher Erwartung, was darf ich Ihnen sagen als Dank für die Sendung, die mir auf Ihren Anlaß Ihr Verleger hat zukommen lassen.

(Pag. 1

bis 80). O, ich freue mich, daß Sie sich zu der Sammlung entschlossen haben und die zerstreuten Lieder, des Dichters

Erstlinge, vor dem Sichverlieren bewahrt: Alle sind warm

empfunden oder tiefgedacht. Kein Geklingel, keine Phrase, Schon das erste schlägt den Ton an, der alle

nicht eine!

durchklingt.

Genug ist niemals genug

für den wahren

Dichter; in besonderem Sinne auch für den wahren Menschen.

„Nur Lumpe sind bescheiden." Und dann die „Liederseelen", kann das poetische Keimen holder geschildert werden? Oder

wirklicher das Verhallen der Tagesgeräusche, ach, wenn der arme Mensch doch auch so leise unter Geisterlauten in den letzten Schlummer sinken dürste! — Manches Schöne kannte

63 ich schon aus dem Album.

Aber dann die Jungfrau! Wie

haben Sie den Michel Angelo, Ihren Leibkünstler, empfunden.

Das „Liebesflämmchen" und vor allem das Schnitterlied — als Männerchor — müssen und werden componirt werden. Die Mehrzahl der übrigen sind wohl zu schwer gedacht und erschöpfend ausgedrückt für die Composition. Der „Säer­ spruch" klingt wie von Goethe gesprochen. Die Perle Ihres

Lyrischen, das Ihnen Eigenste, Kennzeichnendste dünkt mich

aber doch das Firnenlicht. In diesem Sinne ist der wahre Dichter und der wahre Mensch bescheiden. Und nun habe ich doch geschwatzt und wollte Ihnen doch

nur Dank und warmes Teilnehmen versichern.

Der Kohl

würde zu gelegenerer Stunde Ihnen nicht erspart worden

sein. Vergeben Sie das Ungeschickte und Unschickliche. Der Leubelfing wird unter einer Ehrenpforte bewillkommnet werden, so als wie es sein Heldenkönig, als Bühnen­ sieger, geworden wäre. Oder wenigstens nahezu so freudig.

Denn das Axiom des dramatischen Vorrangs in Sachen der Poesie ist uns nun einmal in Fleisch u. Blut über­

gegangen und der jezeitige dramatische Nothstand unserer Bühnen allerdings noch größer als der novellistische unserer

Bibliotheken. Nun, ich hoffe auf noch Werdendes von Ihnen.

— Noch einmal: Gott stehe Ihnen bei in schweren Stunden und der schwersten. Treulichst und dankbarlichst

L. F.

35.

2. Sept. 1882. Verehrte Freundin,

Die schmerzlichen u. ermüdenden Tage der Bestattung (mein Schwäher Oberst Ziegler war eine Persönlichkeit, hatte

64 weiland durch seine Tapferkeit den kl. Sonderbundsfeldzug entschieden und wurde von Regierung, Stadtrat, Offizier­

corps etc. etc. von seinem Stammhaus zu Grabe geleitet) — diese ermüdenden Stunden, Grabreden, Nekrologe etc.

find vorüber mit einem bitter realistischen Nachgeschmack. Ich möchte wol, aber erst in einigen Jahren — das Portrait des immerhin denkwürdigen Mannes mit ein paar Strichen

entwerfen.

Alles i Foccasion Gesprochene und Gedruckte

war — im besten Fall — obenhin, ä. peu pres. Meine Gedichte sind zu 2/a gedruckt u. der Band wird

gottlob 300 pag. nicht überschreiten. Ich sende Ihnen im October das Ganze. Mein Urteil steht fest, möge jeder sich das seinige bilden.

„Page Leubelfing" bringt Rundschau,

Octoberheft. Ich sende einen Separatabdruck. Mehr beschäftigt mich mein neues Thenia, das ich zuerst

in Novellenform behandle, allerdings mit einem Blick auf dramatische Bearbeitung. Sie sagen wahr: jedes künstlerische Streben drängt dem Drama als der höchsten Kunstform mit

Notwendigkeit zu.

Magna peccatrix heißt meine Novelle:

4 Figuren: zwei unschuldige junge Leute und zwei lebens­ erfahrene: Friedrich II der Staufe und eine normänische

Herzogin. Der Ihrige

M.

36. (Postkarte. Poststempel Kilchberg.)

Verehrte Freundin, Ich habe mir so guten Gummi u. zwei herrliche Pinsel zur Verfertigung von Kreuzbänden gekauft, daß ich der

Versuchung nicht widerstehe, gleich einen solchen zu fabriciren

und

einige — uncorrigirte — Corr. Bögen einzu-

65

legen.

Natürlich ganz unvorgreiflich der definitiven Samm­

lung und Lesart, welche Sie — die Erste — (kaum vor einem Monat) von Leipzig erhalten werden. Also nur ein

kleiner Zeitvertreib und Gruß von

^rem

13. Sept. 1882.

Ich raffe zusammen, was eben vorrätig ist.

37.

Weißenfels, 4/10. 82.

Verehrtester Freund,

In Erwartung des zweiten verschob ich den Dank für das erste der mir gütigst mitgeteilten Werthstücke.

Sie ihn heilte zusammengefaßt.

Nehmen Sie find kein Freund vieler

Worte; doch werde ich schwerlich

den knappen Ausdruck

finden, der dem empfangenen Eindruck gerecht würde. Nicht hinsichtlich der Gedichte; je mehr ich von ihnen kennen lerne, um so edler, tiefer, reicher erscheinen sie mir.

Sie sagen: mein Urtheil über dieselben steht fest; bilden Andere sich das ihre.

Heißt das soviel als: ich werde nie

ein populärer Dichter werden, kein gesungener Volkssänger dessen Kliilgklang leicht im Ohre haftet, oder dergleichen"

so haben Sie recht; aber für Auserwähler dauernd ein Auserwählter und ich bin glücklich mich zu den ersteren zählen zu dürfen. Das Versenken in Ihre Gedanken, Ihre Stimmungen, Schilderungen ist mir in meiner Einsamkeit

ein tägliches Bedürfnis geworden. Naturgefühl, Heimatstrieb, Kunstsinn — herrlich, herrlich! Und was schon

muß Ihre Schwester für ein Wesen sein, daß Sie ihr solche Strophen widmen konnten! Die Freundschaft zwischen Ge­ schwistern, die antike Liebe der Gleichgeborenen ist ja die Franyois-Meyer, Briefwechsel.

5

66 seltenste Herzenskraft in unserer Zeit und Zone. — Hier

und dort vielleicht etwas zu mühsam für das Verständnis, zu concis gefaßt, möchten die kleinen Geschichtsbilder sein, der herkömmliche Balladenton

vielleicht

allzustolz

verschmäht.

Genuß hier vor Allem ausschließlich für Esotere. Was wird nun das dritte Drittel bringen? Ich sehne mich danach.

Nicht so unbedingt und völlig ist der Eindruck der No­

velle.

Ich habe sie in einem Athem zweimal Wort für

Wort durchlesen.

Das kann man bei Ihren Sachen nicht

nur, das muß man zu reinem Genuß.

Daß es diesmal

kein unbedingter sein würde, — verzeihen Sie die Auf­

richtigkeit — vermuthete ich, als Sie mir schrieben, daß Sie

das große dramatische Projekt — vielleicht das packendste, das

ein deutscher Dichter der Gegenwart zu fassen vermöchte, zu einer novellistisch genrehaften Episode verengt hätten. Es dünkt mich mißlich, die Anekdote, — wie geschickt auch erfunden und durchgeführt — neben einem großen historischen Trauer­

spiel in das Kraut schießen zu lassen, den wahrhaften Helden

zur Nebenperson und den Beiläufer zum Helden zu machen,

mit einer Lustspielscene zu beginnen und zu enden mit einem tragischen Verhängnis, das als solches nach Jahrhunderten auch heute noch empfunden wird.

Ei, wenn der Fremdling

doch den heimlich ersehnten Siegerpreis errungen hätte, wie­ viel Blut und Jammer, welche Culturstockung wäre nicht Deutschland allein, nein ganz Europa erspart worden und allzulange hätte — so oder so, — die Krone doch kein

undeutsches Haupt mehr getragen! — Nun Sie haben das Mögliche gethan, die Episode dichterisch auszugestalten und Viele werden

Ihnen danken, zu rechter Stunde an ein

hehres Heldenbild gemahnt zu

haben.

Wenn es Ihnen

aber gelungen wäre, — und ich bilde mir noch immer ein, daß das Gelingen Ihnen möglich sein würde, — dem spröden

67 hoch

dramatischen Saft einzuflößen,

tragischen Stoff

meine

ich,

so

daß Sie des novellistischen Beiwerks — der

Episode — sich entrathen dürften, vielleicht müßten.

Die

Liebesnoth und Lust ist überflüssig in diesem Stoff. Was entbehrten wir, wenn es int Wallenstein keine Thekla, im

Der treue Knabe Georg ist die

Tell keine Bertha gäbe?

beste Figur des Götz.

Die Rache des Lauenburgers ist Gift

genug für den reinen

Quell;

die Slavonierin in

ihrer

primitiven Leidenschaft und ihrem Aberglauben Weibs genug für ein keusches Heldenstück.

Keine Göthe'sche Liebesscene

würde dramatisch ergreifen wie die der Begegnung der beiden so entgegengesetzten und sich „doch so nothwendigen Helden".

Wirkt in Shakespeares Königsdramen — wenn wir ehrlich

genug sind es einzugestehen — mit wenig Ausnahmen, wie Richard III. — fast nur noch das Episodische, Ihr Königs­

stoff hat hinlänglich heute noch gültigen Vollwerth, um das

Episodische entbehrlich zu machen. Nochmals Vergebung!

Ihre

Novelle

ist interessant,

prägnant, warm, anschaulich trotz der Unwahrscheinlichkeit des Motivs. Aber vergessen Sie nur nicht, daß Sie uns

noch etwas Großes schuldig sind, ein Problem gleich dem Hutten, Jenatsch und Heiligen. Das Novellistische ist gar zu

verfilhrerisch für einen, der es aus dem Aermel schüttelt und auf ein lauschendes Publikum rechnen darf.

Eins aber möchte ich doch noch fragen, d. h. da es nicht mündlich geschehen kann, schriftlich ohne zeitraubende Antwort zu erwarten — ich komme mir wahrlich vor wie

der alte, arme Polonius! — Warum lassen Sie den Leubelfing fliehen, in dem Moment wo er das böse Vorhaben des

Lauenburgers ahnt und darum doppelt veranlaßt wäre, dem geliebten Helden als wachsamer Schützer zur Seite zu stehen?

Das Erkennen durch den schwedischen Obersten wäre auch ö*

68 anderwärts anzubringen gewesen und der immerhin anzu­

zweifelnden

wochenlangen Unbemerktheit wie der endlichen

Rückkehr vorgebeugt. Und dann ist das Zusammentreffen mit der possenhaften Figur des Laubfingers nicht auch bei

dem weihevollen Abschluß etwas störend? Daß, wie in jeder Ihrer Erzählungen, der Schweizer Patriot sein Theil erhält, gefällt mir; aber erinnern möchte ich doch daran, daß während das helvetische Tugendbild die deutschen, im

eigenen Lande unbekannten Sünden bejammert, daheim

ein gewisser Jenatsch wohl als Held, aber doch wahrlich

nicht als Tugendheld sein Wesen treibt. Nun aber sei der alten lehrsamen Schwätzerin nur noch das einzige Wort gegönnt: Dank u. Aberdank.

Berichtet sei indessen noch, daß ich Anfang September ein paar Tage in Berlin gewesen bin. Seit 22 Jahren zum ersten Male. Viel fich regendes, anregendes, nicht Aufregendes geschaut. Auch Schönes. Die Pergamener und Olympischen Reste, die einen Kenner wie Sie freilich noch mehr entzückt haben würden als die im Sehen wenig gewöhnte,

mühsam Construirende.

Von Neuestem auch das treffliche

Göthebild in seiner geziemenden, ächt Götheschen grünen Um­

gebung.

Als vor zehn Jahren der unbekannte Schaper sein

Erstlingswerk, die Novalisbüste, über dessen hiesigem Grabe errichtete, konnte man dem Künstler eine Zukunft verheißen;

nun hat er sein Meisterstück geleistet.

Dichterköpfe.

Er versteht sich auf

Wenn Sie einmal wieder nach Berlin kommen,

lassen Sie sich von ihm modelliren.

Ein Steinbild, wenn

auch nur als Relief, ist immerhin dauerhafter und für mich

wenigstens auch wirksamer als eines in Farbm, wenigstens

wie unsere heutigen malen. Lenbach ist nur für Männer der That. Man wittert Pulverdampf vor seinen Gesichtern. Auch ein paar mal in der Oper und im Schauspiel gewesen.

69 Erstere geringer als einstens, letzteres besser. Freilich: Hamlet, der Unverwüstliche.

Nun aber endlich Gottbefohlen und nochmals Vergebung

und Dank von Ihrer warmen Verehrerin

Louise Franyois. A

propos:

Sie sind

doch sonst

nicht

so ausgiebig,

warum ersparen Sie sich nicht das „Hochwohlgeboren" auf

Ihren Adressen?

Sind die freien Schweizer förmlicher als

wir deutschen Königsknechte?

Man fängt doch an, solchen

Ballast abzuschütteln, wenigstens bei Leuten, die man kennt. Schreiben Sie mir lieber dafür: Mein Töchterchen hat seiner neuen Puppe den Kopf zerbrochen.

Es nimmt nicht mehr

Zeit in Anspruch.

38. (Postkarte.

Poststempel Brunnens

7. Oct. 1882.

Verehrteste Freundin, Vorläufig Dank für Ihren lieben Brief, welcher manches berührt, was mich innerlich beschäftigt und eine gründliche

Antwort verlangt.

In thesi bin ich Ihrer Meinung von

dem Wert des Dramas. behutsam.

In der Ausführung aber sehr

Wir müssen das bereden.

Gestern war ich auf dem Rigi und will noch ein bischen

wandern.

Ihr C. F. M. (Adresse läßt das Hochwohlgeboren weg: Fräulein Louise von Fran-.ois, Weißenfels an der Saale (Preußen).) A. d. H.

70

39. 27. Okt. 1882.

Verehrte Freundin,

Hier sitze ich wieder in meiner Bibliothek, und blicke auf die grünen, mit Kuhgeläut

gefüllten

Wiesen meines

l. Nachbars Grafen Plater, des polnischen Königs in partibus hinüber. Ihr Urteil, l. Freundin, über Leubelfing ist gewiß das

richtige und auch das meinige.

Aber es war nicht geraten,

als erstes Drama einen Gustav Adolf zu wagen. Mein Dämon warnte mich. Betrachten Sie das Novellchen als eine Skizze, welche vielleicht zu größeren Zwecken später in

Betracht zu ziehen ist.

Inzwischen werde ich meine magna

peccatrix (mit dem Staufen Friedrich II)

zwar ohne Unterbruch.

ausführen und

Auch hier übrigens wird das Mensch­

liche den Vorgrund füllen d. h. eine leidenschaftliche Fabel,

welcher der über unsern Kaiser (damals war er auch noch der meinige d. h. der meiner mutmaßlichen Vorväter) verhängte Bann nur die Gewitterbeleuchtung gibt. Ich hätte wohl Lust, l. Fr., eine confidentielle Bitte an Sie zu richten.

Wir haben hier in Zürich für ein

Zwingli-Denkmal gesammelt und

ein Comite besorgt die

Ausführung, welchem, dem weitern, ich auch angehöre, ohne daß ich bis jetzt daran mich stark beteiligt hätte, da 3 Prof, der Kunstgeschichte oder verwandter Fächer darin sitzen und

ich überhaupt nicht berufen bin hervorzutreten.

sind wir in einer fatalen Krise.

Jetzt aber

In Folge einer Concurrenz

eingesendeter Modelle wurden 3 Meister zu einem engeren Wettkampf eingeladen, von welchem 1 zurücktrat, die 2 andren Modelle lieferten, deren keines ganz entspricht.

Wir

wollen nicht nur die Bibel, sondern auch das Schwert, das

71 Zwingli ergriff und durch welches er umkam.

So*) ist eine

neue Ausschreibung oder Bestellung nicht und womöglich ein

bischen Genialität völlig unmöglich und in diesem Fall höchst wünschbar, daß man, ohne zu fackeln, gleich vor die rechte Schmiede ginge. Nicht nur privatim, sondern privatissime, liebe Freundin,

und ohne alle und jede Consequenz (denn ich bin durchaus ohne Einfluß) richte ich an Sie, die Deutsche, die discrete

Bitte, mir zu sagen oder sich ein bischen zu erkundigen, wer

eigentlich im Reich gegenwärtig die ersten Bildhauer sind,

voraus im Fache der geistigen Helden.

Ich wünsche etwas

ausgiebige Antwort, verehrte Freundin, d. h. eine Orientirung über die gegenwärtigen Deutschen Bildhauer von Bedeutung. Es ist zehn gegen eins zu wetten, daß diese Mühe,

welche Sie sich für mich geben, nur zu meiner persönl. Be­ lehrung dient, aber ich will es Ihnen hoch anrechnen, wenn

Sie mir den Gefallen thun.

Ihr treuer

CFM.

40. Weißenfels, 9/11. 82.

Verehrter Freund, Die kleinstädtische Mansardenbewohnerin hätte auf Ihre

vertrauliche Anfrage ehrlicherweise antworten müssen: Das weiß ich nicht. Da sie jedoch beim Eintreffen Ihres lieben Briefes im Begriff war, einen Ausflug nach Halle zu machen, verschob sie die Antwort, in der Hoffnung, daß alldort Leute

zu treffen seien, die mehr wissen und verstehen als sie. ') in der Erfindung!

Zwar

72

ist die alte Gelehrtenstadt unserer Provinz keine kunstbeflifsene oder kunstgesegnete.

Außer einem tüchtigen Händel

— irre ich nicht von Rietschel — u. einem haushochstehenden

Landsknecht über einem Brunnen — wunderlichste Wahl für ein Siegesdenkmal von

anno 70 — dessen — des

Landsknechts — Fertiger der Hallenser Schaper ist, giebt es dort nichts Monumentales. Aber es giebt doch diesen oder jenen unter den gelehrten Herren, die sich für bildende Künste

interessiren und nachdem ich diesem und jenem von diesen und jenen Ihre Frage — selbstverständlich nur als eine meiner persönlichen Neugier — vorgelegt, bin ich gestern nicht klüger als da ich ging heimgekehrt. Wen der Eine gepriesen hatte,

verwarf der andere platterdings.

Die Frauen, ernstgebildete

darunter und in Athen und Rom an Sehen gewöhnte, waren einmütig für Schaper — schon um des entzückenden

Göthe misten.

willen.

Die

Männer

wollten weniger von ihm

Ob er ihnen zu idealistisch war, oder nur darum,

weil der Prophet in seinem Vaterlande nichts gilt, wurde

mir nicht klar.

Vielleicht hat er es auch durch den „be­

stellten" Landsknecht verdorben, oder auch durch eine Jünglings­ arbeit, zwei Sandsteinlöwen zu Füßen der Siegessäule von 66, die sich zu Ihrem Luzerner Einzigen ungefähr verhalten wie

Menschenhaß und Reue zum Oedipus Colonos oder allenfalls

der Jphigenia. Ich ging in die Wohnung eines Schaperschen Bruders (Zeichenlehrers in Halle) und betrachtete alldort die Gypsabdrücke und Photographien der brüderlichen Marke;

leider konnte ich kein käufliches Exemplar auftreiben, das

ich Ihnen als Probe hätte schicken können.

Da waren ein

Bismarck und Moltke — für Köln, — ein Göben für Koblenz,

Portraitähnlich, aber von Lenbach, dem Maler, die ersteren charakteristischer dargestellt. Da war auch der Lessing für

Hamburg, der mir wohl gefallen hat, von Lessingenthusiasten

73 aber für allzu theatralisch erklärt wird.

Er sitzt — das ist

allezeit bedenklich — aber so, als wäre er im Aufspringen

begriffen, mit zur Seite gewendetem klugem, feurigem Kopf. Trefflich war eine Photographie von Gauß, dem Mathe­ matiker — (Braunschweig) — Mathematik künstlerisch ge­ müthlich beseelt — will das nicht was sagen? — In der Concurrenz für das Lutherdenkmal in Eisleben ist Schaper unterlegen. Sein Entwurf wird aber wohl in Erfurt oder

Eisenach ausgeführt werden.

Der Sieger, Siemering, soll

den Helden mannhästigst dargestellt haben in der einen

Hand die Bibel in der andern die zerrissene Bannbulle. Abbilder existiren noch nicht von dem Modell. Alles in Alleni will mir aber bedünken, als wäre der Realist Siemering der geeignetste Deutsche für Ihr Werk.

Ich kenne von ihm

nur das Graefedenkmal in Berlin, das gewiß gut ist und an

welchem mich nur die colorirten — übrigens rührend volksthümlichen Majolika-Reliefs — fremdartig berührt haben. Das Luisendenkmal im Thiergarten ist, irre ich nicht, auch von Siemering.

Oder von Wolff?

Schön gearbeitet, aber

ohne Zweifel nicht das holde Weib,

die Opfer-Patriotin,

welche der preußische Volkssinn zu einer Legendengestalt er­ hoben hat.

Rach den Vorbildern Rauchs in Charlottenburg

und Potsdam war es auch schwer eine gleichwerthige, lebende und wachende Luise zu schaffen. — Die Professoren Hapm — Philosoph — und Dropsen der Historiker und

Biograph

Gustav Adolfs erklärten unumwunden Reinhold Begas Berlin für den bedeutendsten d. h. genialsten deutschen Bildhauer der Gegenwart.

sie mir schuldig,

Einen Beweis für die Behauptung blieben wollten

aber selbst an dem kläglichen Ich kenne

Schiller in Berlin noch Rühmenswerthes finden.

außer dieser traurigen und Gestalt nichts von Begas.

obendrein ungünstig postirten Roch wäre wohl Schilling in

74 Dresden zu nennen, der die Germania auf dem Niederwald

schafft, und die Ihnen wohl auch bekannten Jahreszeiten auf der Terraffe geleistet hat. — Auch Dondorf — Berlin

— gehört zu den Geachtetsten.

Ich habe an seiner Lorbeer­

gekrönten Reiterstatue Karl Augusts in Weimar nur bewundert,

wie geschickt er die schiefe Schulter des Dichterfreundes nicht völlig unterdrückt, aber bemäntelt hat.

Dagegen ist das

Kriegerdenkmal in Weimar das beste, von den vielen, die man zu sehen bekommen hat. Ergreifend die Gestalten des

mannhaften Bannerträgers und des sterbenden Jünglings. Leider habe ich den Namen des jungen Künstlers vergeffen. Man darf ihm eine Zukunft prophezeien.

Von einem anderen

in Rom lebenden jungen Deutschen, Hildebrand, kenne ich nur zwei Werke: einen schlafenden Hirtenknaben, sehr schön, und einen Adam, beide in Leipzig. bisher wohl nicht geschaffen.

Monumentales hat er

Von Zumbusch mag ich in

München wohl manches gesehen haben, das mir keinen Eindruck gebracht hat, daher enffallen ist. — Summa des

langen Geschwätzes: Kein absolut erster unter den zur Zeit ersten, wenn nicht etwa für einen Geisteshelden: Siemering. Fast

gleichzeitig

mit Ihrem Brief

trafen, von dem

Verleger gesandt, Ihre Gedichte ein, für die Sie auf das Wärmste bedankt sein sollen.

Der Eindruck der noch un­

bekannten war der der bereits bekannten:

wachsender bei jedem Wiederlesen.

ein hastender,

Das Buch war in Halle

noch nicht im Buchhandel vorräthig.

Eine Hand nach der

andern nahm es aus der meinen und legte es darein zurück

mit dem Vorsatz, sich

einen wertvollen Besitz anzueignen.

Vor just einem Jahre machte ich in der alten, ziemlich schwerfälligen, spröden Gelehrtenstadt die gleiche Erfahrung mit Ihren Novellen, die heuer Jedweder irgend Empfäng­

liche dort kennt und hoch hält. — Ich lernte in Halle auch

75 Wildenbruch kennen; d. h. zwei seiner Tragödien. Las den Harold und sah die Karolinger, die freilich für mehr — d. h.

weniger als mittelmäßige Bühnenkräfte nicht geeignet sind.

Das Stück leidet an überschüssigen Effekten, die Einen nicht zur Ruhe kommen lassen. Daher kein dauernd befriedigender

Eindruck nach der spannenden Hetze.

Alle Turbane ausge­

merzt, das Problem rein karolingisch vertieft und charakteri­ stisch erweitert — würde ein treffliches Ganze gegeben haben. Die Gestalten sind eigenartig, die knappe Sprache sehr schön.

— Harold hat mir besser zugesagt.

Die geschichtliche Ex­

position in den ersten beiden Akten dünkte mich tadellos.

Die erfllndene Catastrophe im dritten, auf einer Subtilität

beruhend, wollte mir nicht genügen.

Jedenfalls haben wir

uns einer bedeutenden Dichterkraft zu erfreuen, einer noch

im Werden u. Wachsen begriffenen. — Als Novellisten kenne

ich W. noch nicht; rühmendes in diesem Bereich wurde mir

von ihm nicht vermeldet. — Und nun Gott befohlen, a. Fr. Vergebung dem langathmigen Excurs pro nihilo und nochmals meinen herz­ lichen Dank für die gute Gabe. L. F.

Vergebung auch

dem Geschmier.

Meine Federbüchse

ist während meiner Abwesenheit verschwunden.

verbrauchte klafft bei jedem Strich.

Die einzig

Dazu mancherlei häus­

liche Unruhe in der sonst so stillen Mansarde. 41.

Kilchberg, 11. Nov. 1882. Meine liebe, gute Freundin, Für Ihren Brief meinen besten Dank!

pro nihilo!

Keineswegs

Ich werde sehr sachte progrediren nur, wenn

76 die zwei jetzt im Vordergrund stehenden Concurrenten schei­ tern. Natürlich spielt der Wunsch in der Commission mit, das Werk einem Schweizer zuzuweisen. Dann der Geldpunct. Doch wird auch gesagt: Warten und etwas Rechtes! Das ist natürlich mein Standpunct und für mich gibt es, ebensonatürlich, keine „Inländer". Das Jahr ist ein geradezu mörderisches. Wir ver­ loren unsern Ohm Major Hans Ziegler, unsern Vater Oberst Ziegler, und eben erhalten wir die Nachricht, daß unser Bruder, Alfred Ziegler auf Steinegg im Turgau auf seinem einsamen Schloßgut schwer darniederliegt (Rücken­ marksleiden). Auch Gottfried Kinkel, der Poet, liegt fast hoffnungslos (Gehirnschlag) in Zürich. Ich hatte ihn — trotz diametral entgegengesetzter rel. u. pol. Ueberzeugung — recht lieb. Was bleibt als sich in die Arbeit vertiefen, wo man nicht helfen kann. Schreiben Sie zuweilen Ihrem M.

42. Postkarte.

Weißenfels 19./11. 82. V. F.

Herzlichen Dank für das liebe, kleine Schweizermädchen, das so lieblich u. friedlich zu mir hinüberblickt. Wenn ich das allerliebste Mäulchen doch ein bischen zum Plappern bringen könnte! Ich habe Glück bei Kindern. Gott erhalte dem Herzchen die runde Leiblichkeit in unserer blutarmen Zeit. — Und dann innigen Anteil dem König des Erden­ leids gegenüber, der so schonungslos in Ihrem Kreise Ein­ zug hält. Mir ist unter solchem Regiment Arbeit niemals

77 ein Panacee gewesen.

Nur Stille u. Einsanikeit.

Ich bin

überhaupt eine Lazzaroninatur, welche die Arbeit für eine harte Notwendigkeit hält.

„Sehet die Lilien auf dem Felde

an" — daß er doch Gültigkeit dieser Heilsspruch, der dem Dictum unserer heutigen Weisheit so schnurstracks zuwider­

läuft. Wohl Kinkel, daß er nicht lange gelitten hat. Das Leiden Ihres armen Verwandten läßt keine so rasche Er­ lösung hoffen.

Aber will's Gott, noch Genesung. Ich habe

mir von Halle ein paar Bände Port Royal mitgebracht, — auf Ihre Empfehlung, fürchte jedoch, daß ich nicht so anmuthend mich durch die Volumen vorschieben werde, wie vorigen Winter durch Freund Gregorovius, der Heuer wie­

derum in Griechenland war und mir Befreundeten dort be­ gegnete.

Und nicht allein der kleineren Drucklettern für die

armen alten Augen wegen.

So werden auch wohl ein paar

Bände Causeries du lundi

wesentlich ungenossen bleiben.

Danken Sie auch Ihrer Frau Gemahlin für das liebe Bild­ chen. sieht.

Ich denke mir, daß die Tochter der Mutter ähnlid) Gott befohlen. 43.

(Schwarz gerändertes Billet.)

Kilchberg 23. Nov. 1882. Verehrte Freundin,

Ich bedaure es ein bischen. Ihnen P. Royal u. die Causeries geraten zu haben.

Vergessen Sie nicht, daß ich

10 Jahre meines Lebens (25—35) französisch gewesen bin. So ist mir eine Vorliebe geblieben — auch für die rein stylistischen Vorzüge der französischen Literatur — Jetzt bin ich sehr deutsch, pour ne plus changer, und auch gegenwärtig

sehr tätig, denn bei der Kälte regt sich meine Schaffenslust.

Ihr M.

78 «Postkarte-,

Weißenfels 29./11. 82.

V. F. Nun erst mit den Zügen der Hausfrau steht das liebe Dichterhaus am See vollständig vor mir aufgerichtet, und

bilde ich mir ein, mit Augen zu sehen, wie darin gewaltet

und geheimst wird.

Nehmen Sie meinen warmen Dank für

die bereitete Freude und sagen ihn in meinem Namen der

gütigen Frau für ihre Zustimmung. begehrlich.

Aber Gunst macht

Eines fehlt doch noch zum Ganzen: das Bild der

Schwester und ihr Name: Louise-Kamilla, — in Deutschland

ein völlig ungewöhnlicher Name — und?---------Dürfen, Ich bin sonst

wollen Sie mir auch diese Freude gewähren?

keine Photographiensammlerin, aber hier ist es etwas anderes.

Ein unbehaglicher Mittelzustand zwischen Gesund- und Krank­ sein — häufige Alterserscheinung, hat den Dank verzögert

bis ich heute — wenn auch nur flüchtig — den zweiten für die Biographie Ihrer Freundin anschließen kann.

kein völlig deutliches Bild für die Fremde.

Es ist

Ich weiß nicht

welcher Art ihre fromme Stiftung ist. Jedenfalls der Jetzt­ zeit verständlicher als die reine Askese von Port Royal.

Und an verschwisterten Naturen fehlt es der Vorstellung auch nicht: die Sieveking in Hamburg, die ich nicht persön­ lich gekannt, besonders aber eine Hessin, die ich gekannt, und die Ihrer Mathilde in Entwickelung und Wesen gleicht wie

ein Zwilling, nur daß die äußeren Verhältnisse andere waren. Sie war Malerin, doch nicht berufsmäßige und hieß

Mine Goddeus. Sie ist lange todt; aber ihr Andenken und ihre Werke leben heute noch wohlthätig in Cassel fort. Herzlichen Gruß u. Dank von Ihrer aufrichtig ergebenen L. F.

Wie geht es dem armen Bruder?

79

45. 18. Dec. 1882, Kilchberg. Verehrte Freundin,

Gerade kramt meine l. Frau in alten Photographien.

Ich entwende ihr — für Ihre Sammlung die meines Schwie­ gervaters: des Obersten Ziegler.

So war er ungefähr, da

er gegen 70 zählte, 66 glaube ich.

Ausdruck bis ans Ende.

Er behielt diesen festen

Er war unendlich liebenswürdig,

tactvoll, tapfer L tonte epreuve und geistig (in seinem Fache und in Politik und öffentlichem Leben) bedeutend.

Stamm­

haus und Nebengebäude bleiben dem ältesten Schwager, dem jüngern in Steinegg geht es besser.

Die Mutter (i. e.

Schwiegermutter, aber eine herzensgute) 70 Jahre alt, hat

sich von ihrem Leid erholt und wird uns hoffentlich lange

erhalten bleiben. Ich bin mit Friedrich II, dem Staufen, beschäftigt (dieses

unter uns). Möge Ihnen der Winter günstig sein!

Wünsche zu

Fest und Jahreswende! Ihr M.

46. Weißenfels, 26./12. 82. Verehrter Freund,

Einen letzten Gruß und Dank im alten Jahr.

Es war

Ihnen und Ihrer lieben Gattin eines der herben Verluste,

für welche

es nur dem Tiefreligiösen einen Trost giebt:

denn das natürliche allmählige Verblassen der wehen Er­ innerung — ohne welches wir freilich kaum mit dem Leben fertig werden würden, — ist doch wahrlich nichts weniger als ein Trost. Dennoch möge und wird die Zeit auch an Ihnen

80 ihre Macht üben und die gerissene Lücke sich mit jungem, blühendem Leben und Lieben füllen. Durch das Bild des Mannes, den Sie so hoch ver­ ehren, haben Sie mir eine wahre Freude gemacht und durch die biographischen Notizen, so kurz sie sind, mich sehr inter-

essirt.

Ich besitze nun eine kleine Galerie Meyer-Ziegler

und beginne mich in Ihrem Kreise zu orientiren.

curios.

Es ist

Unter uns Deutschen, Männlein wie Weiblein, ge­

bildet wie ungebildet, herrscht eine wahrhaftige Schweizer­ sucht.

Wer es nur irgend erschwingen kann, macht — wo­

möglich alljährlich — und wäre es auch nur einen Sauser

— in die Alpenzone und in die der Schweiz weit lieber als in die deutsche; je östlicher um so weniger beliebt.

Wir

kennen dort jedes Thal, jeden Gipfel, nur von den Men­

schen und

ihrem Treiben sehen, hören,

wissen wir fast

weniger als von jedem anderen Volke; Norwegen z. B. das verhältnismäßig unbekannte und doch so manche Analogien bietende. Selbst die Tagesblätter bringen wenig Eingängliches aus der Schweiz.

Dann u. wann verblüfft uns das

„Referendum" — so heißt ja wohl die lehtgültige Volks­ abstimmung neue Gesetze, — weil der eine Canton verwirft was der andere gut geheißen hat, und wir begreifen nicht,

was schließlich aus der Geschichte wird, oder ob die denk­

bar republikanischste aller Staatsformen in Wahrheit ein Fortschritt sei, dem auch umfänglichere Gemeinwesen nach­

streben dürften,

ohne daran zu Grunde zu gehen?

Von

Ihren Künstlern kennen wir nur Calame — für mich den

ersten aller neueren Landschafter, aber nicht am größten

wo er seine heimische Natur darstellt, sondern z. B. in den Pästumtempeln; als Novellist hat uns Keller Einzelnes vor­

geführt, aber so Kleinliches, Krähwinkliches; Gotthelf ist kein Heutiger mehr und in früherer Zeit, wo wir Ihr Land

81 weniger kannten, waren wir durch Ihre Dichter mit seinen

Leuten vertrauter, man dachte auch mehr kosmopolitisch als national. Darum sähe ich so gern einmal ein Bild der heutigen Schweizer Gesellschaft künstlerisch umschleiert von Ihrer Hand, Verehrtester.

Sie haben eine starke Gabe zu­

gleich des Anschaulichmachens und des Herzerwärmens.

War­

um wollen Sie nicht, was Sie so gut könnten?

Von Port Royal und ben Causeries habe ich erst je 2 Bände hinter mir; der Hallesche Herr Universitäts-Bibliochekar verzögert die Nachfolgenden. Ein seltsamer Zufall

brachte mir (in der Revue des deux mondes, die mir nach jahrelanger Pause wieder zukommt) gleichzeitig mit der Ge­

schichte dieser alten, ziemlich unisonen Gläubigen, die Selbst­ bekenntnisse eines heutigen Zweiflers, Renans, und — schau­

dern Sie immerhin ein wenig! — und „wie anders wirkte doch dieses Zeichen auf mich ein". Es sind nur die beiden

Schlußkapitel der Jugendgeschichte und das erste was ich von

Ich hatte ein Vorurtheil gegen ihn. Und wie hat er mich zu sich bekehrt. Die Analyse des eignen Cha­ R. gelesen.

rakters mag etwas Eitles haben — er spürt das selbst, — einem Deutschen würde sie kaum möglich sein; aber der Mann ist ja ein Franzose; und von wie Vielem fühlt man sich in seinem persönlichen Ich schlechthin in das Herz ge­

troffen.

Und dieser hinreißende Vortrag; ich könnte ihn

nur dem unseres Schopenhauer vergleichen, bei aller Gegen­ sätzlichkeit der Grundnaturen. Ich dächte so hätte noch nie ein Franzose geschrieben, zugleich fein, klar und tief.

Sagm

Sie mir doch gelegentlich Ihr Urtheil, vor allem: wenn es

dem meinen zuwiderläuft.

Sie sind ja heimischer als ich

unter unsern überrheinischen Nachbarn. Fast mehr noch als diese französische frappirte mich die ebenso gleichzeitige Lectüre eines modernen spanischen FranyoiS-Meyer, Briefwechsel.

6

82 Romans, natürlich übersetzt, d. h. vor der Hand nur seines

ersten Teils — Gloria von Perez Saldos. Der Verfasser soll — laut Einleitung — seines Zeichens Historiker sein;

aber — wie manche der unseren ja auch — einem größe­ Gefallen, nebenbei novellisiren. Daß geistig realistisches Zeitbild — die Liebe eines

ren Publikum zu solch

ein

orthodoxen idealistischen, spanischen Mädchens, — Bischofs­ nichte — zu einem ebenso orthodoxen idealistischen Juden, — deutschen Rabbinersohnes — in dem noch ausgeprägtesten

Lande der Intoleranz geschrieben, publicirt,

verschlungm

werden vom Publikum und dem Autor vom König einen Orden eintragen konnte — klingt das nicht wie eine Fabel?

Und wie greifbar charakterisirt der Mann; aecht menschlich

und doch spezifisch spanisch, jede Nebenfigur eine Gestalt, am wenigsten vielleicht die der beiden Helden. — Wie flach,

eilfertig und dichterisch dagegen das Machwerk, das Ebers wieder einmal als heiligen Christ in die Welt spedirt.

Das Grundmotiv recht sinnvoll, aber die Ausführung — Gottserbärmlich. Ein klägliches Armuthszeugnis für die Capacität der deutschen Frauenwelt, deren Abgott Ebers

ist und auf deren Ungeschmack hin er solchergestalt sündigt.

Ich habe „Ein Wort" auch erhandelt, um es auf den Weihnachtstisch einer Verehrerin zu legen und große Freude angerichtet. Leben Sie wohl für's alte Jahr. Gott be­

fohlen und Gut Heil im neuen.

In treuer Ergebenheit Louise Franyois. Ihrer Frau Gemahlin einen warmen Gruß, dem liebm

Kinde ein Gott behüt! Ich lege für den Dichter des Leubelfing eine Jubiläums­ medaille bei, die mir just zu Händen gelangt.

Leider nur

83 in so bescheidenem Metall ausgeprägt, aber der Kopf gut,

nicht wahr? Im Begriff zu schließen, kommt Ihre glückwünschende Karte.

Dank auch dafür.

47.

Kilchberg bei Zürich 1882. Verehrte Freundin,

noch im alten Jahre meinen Dank für die Mödaille!

Der liebe Kopf ist charakteristisch!

Und daß mir die Münze

von Ihnen kommt, erhöht den Wert.

Aber, l. Fr. wie Sie zu fragen wissen.

Mehr als im

alten und neuen Jahre zu beantworten von Einem, der das Unzulängliche in den Tod haßt.

Also Renan

statt Pascal!

statt der ringenden!

Der lächelnde Skeptiker

Die reine Eva in der Haut eines

preußischen Fräuleins! Ohne Scherz. Renan ist eine der merkwürdigsten Menschenmischungen, in ungeheuerm Grade ein Kind seiner Zeit. den Mann.

Mir persönlich freilich geht er gegen

Die welken Züge, das verschwatzte Maul, der

unvertilgliche Weihrauchgeruch verderben mir die freie Stirn. Der Schl ist exquisit, ja raffinirt, nicht frei von Mignardise

und Marivaudage.

Die Leute von P. Royal waren Thoren,

zugegeben, Betises touchantes würde der Gaukler R. ihre Seelenkämpfe nennen, aber es waren heiße, reine Herzen! Ich habe zeither eine ganz junge Sehnsucht nach dem Großen,

Heilsamen, Menschlich-Wahren, (das metaphysisch Wahre halte ich für absolut unzugänglich), auch nach einem großen

Styl, sodaß ich mich, so gegen das Jahresende an meinen 4 Novellchen ganz verekle!

84

Das bin nicht ich, sondern meine Faulheit, welche vor

den Stoffen, die sich für meine Schultern schicken, zurücktritt. Jetzt aber habe ich meine Kaiser vor, meinen Friedrich, den Staufen, welcher auch noch mein, d. h. meiner Ahnen,

Kaiser war, und werde ihn schon in den Geist der Gegen­ wart zu tauchen wissen — die Schweiz ist eigentlich gar kein Staat, was man einen Staat nennt im Grund, gerade durch das Referendum, weit conservativer als Deutschland — Doch ich geriete da (pag. 2) in das „Unzulängliche" — nur dieses: Zustände, gute oder schlimme, die mich täg­ lich auf die Nägel brennen, habe ich keine Lust zu schildern. Liebe Freundin,

haltm Sie mir den Daumen!

Ich

bin mitten in einer Tragödie und fühle mich so in meinem

Elemente, wie nie. Eine erfundene Fabel mit dem Staufen im Hintergrund! Der Stoff ist nicht so vollkommen gut,

wie ich wünschte, aber ein vollkommener Dramastoff ist so selten als eine vollkommene Frau, und jetzt gilt kein Zögern

und Zaudern mehr. Ich will nur das Blatt in das Couvert stecken, sonst zerreiße ich es — ich schrieb bei offenen Fenstern — ein wahrer Sommertag! Ihr CFM.

48. Weißenfels, 21/3. 83.

Verehrter Freund,

Ich fand das gütigst mitgetheilte Blatt bei der Heim­

kehr von Naumburg, wo ich meinen einzigen Bruder in einer kurzen ersten und letzten Krankheit gepflegt, ihm die

Augen zugedrückt und am 12/3. die erste Hand voll Erde in sein Grab geworfen hatte.

85 Er war blos ein Jahr jünger als ich, ein einsamer Mensch wie ich; wir hatten nicht miteinander, nur nachbar­ lich nebeneinander gelebt; aber wir fühlten uns auf einander gestellt und nur auf einander und ich habe nicht geahnet, wie stark das Band sei, welches ein gleiches Blut und Schicksal zwischen uns gewirkt hatte, — bis plötzlich dieses Band riß. Ich habe kein Recht, die Wehklage der Welt durch

einen Laut zu vermehren und nichts würde weniger im Sinne der stoisch eigenartigen Natur und Anschauung meines lieben

Ernst sein, aber — nun denken Sie es sich aus.

Geistig

ist mir zu Mute wie nach einem erschöpfenden Blutverlust. Körperlich habe ich die Grippe; Gott Dank, erst nachdem

ich unangefochten bis zum letzten standgehalten. So habe ich Ihren Aufsatz über Kinkel erst gestern über­ flogen und mich gefreut über die herzenswarme Anerkennung des Mannes der Ihnen in keinem Sinne ein Gleichgestellter

und Gerichteter war.

Ich habe an Kinkels persönlichem

Schicksal immer viel Teil genommen;

als Dichter hat er

mich nicht berührt.

Wie mag es dem kranken Bruder Ihrer lieben Frau Drücken Sie ihm in meinem Namen die Hand.

gehen?

Louise Franyois. Der Brief Ihrer Schwester ist mir eine große Freude

gewesen.

Eine Schwesterseele.

49. Verehrte Freundin, Ihre Zeilen, so lieb als Lebenszeichen, sind mir für Sie nahe gegangen! Es ist hart, einen Bruder zu begraben

und überhaupt, der Ton der Scholle auf dem Sargdeckel ist

86 für jeden mißtönig außer für den, der drinn liegt. Uebrigens

Achtung vor den Stoikern! Sie sind nicht gefühllos, aber mutig, pflichttreu und bescheiden sind sie! Als man M. Escher den Tod ankündigte, sagte sie lachend zu den Umstehenden: „Ihr werdet doch nicht glauben, daß ich mich fürchte?"

Gestern habe ich Mendelsohn-Bartoldis Paulus gehört: woran es liegen mochte, das Product schim mir schwächlich,

und mir wurde flau dabei, besonders der Weiberchor statt der

gewaltigm Gewissensftimme oder wie man es heißen will: diese unerforschten, elementaren Kräfte des Seins bei Da­

maskus.

„Die Botschaft hör ich wol, allein —".

Doch ich

will nicht ungerecht sein, es sind sehr hübsche, geschmackvolle

Sachen darin, nur hätte dieser Paulus die Welt nicht ver­ ändert. Mein Schwager befindet sich auf seinem Römerturm

„Steinegg" im Turgau besser, als ich aus der Ferne —

ich habe ihn besucht — dachte. Er hat sein Gut glücklich verpachtet. Mein zweiter Schwager verheiratet sich nächstens mit der Schwester seiner sei. ersten Frau, einem sympathi­

schen Mädchen: ich besorge das Carmen. Mein 3. Schwager,

Burkhard, hat sich mir direkt gegenüber, sodaß wir uns in die Fenster sehn, über den hier schmalen See hinweg, ein

Gut gekauft. Und — Apropos Hochzeit-Carmen — Kinkel hat mir vor 8 Jahren das meinige in dem Almanach Leben u. Kunst

von Bodenstädt gedichtet (nicht sehr taktvoll!) so war es nur billig, daß ich ein bischen nekrologisirte. Sein Unglück

war, eine kurze Weile der besprochenste Mann in Deutsch­ land gewesen zu sein. Sieht man so das Leben vorüberziehen, ist einem, man

hätte schon dreimal gelebt und man sucht das Dauernde,

ich in der Kunst und in der Anstrengung, weil ich darauf

87 angelegt bin, mein armes Schwesterchen in der christlichen Ascese und Sie? Charfreitag 1883.*)

Kilchberg bei Zürich.

Ihr CFM.

50. Carmen Eines uralten Zieglers zur Hochzeit

des Herrn

Carl Ziegler und des Frauleins Mathilde Wegmann 5. April 1883.

In des Pelikanes oberstem Raum In Zwielicht oder DLmmertraum Stehn Ahnenbilder aufgereiht: Die Züricher Ziegler alter Zeit. Jahrhundert stößt stch mit Jahrhundert So kunterbunt, daß man stch wundert: Zwischen Perücken trotzt ein Bart, Breit gehalten nach Landsknecht-Art, Vor gestrengen Richterbrauen Fächeln stch gepuderte Frauen. Es schweigt die hohe Societät, Die unterm Giebel zusammensteht. Dieweil sie von ihren Werken ruht Und ein gründliches Schläfchen thut.

Doch als in diesen letzten Tagen Gepocht, gehämmert und Nägel geschlagen Ward unter ihnen bei Tag und Nacht, Ist Der und Diese aufgewacht. *) 23. März.

A. d. H.

88 Lauschend mit feinen Geisterohren Haben ste kein Wörtchen verloren Von dem, was auf den untern Stiegen Ward ausgeplauscht oder verschwiegen. So brachten sie es schlau heraus: Es steckt ein Bräutigam im Haus, Drum putzt sich der ehrwürdige Bau Für die lachende junge Frau — Und das vertrieb ihnen ganz den Schlaf, Weil's ihr eigen Fleisch und Bein betraf. Nun ist ein stark Geplauder droben. Den Jungherrn um seine Wahl zu loben: Im Ehelotto ein Hauptgewinn Sei diese neue Zieglerin, Sie würde einen Hof verzieren Und könne doch die Küche regieren, Sie rede leicht und ungezwungen Und sei doch jeder Satz gelungen, Sie hab' ein gewanderter Ohm gelehrt. Wie man mit der Welt verkehrt. Und andre derlei Ruhmessachen — Man soll keine Braut erröthen machen.

So ward verhandelt laut und leis Das Bräutlein von dem Ahnenkreis — Jetzt hören ste die Carossen rollen Und wissen, was die bedeuten wollen, Da rührt sich all das Zieglerblut: Gelahrtheit, Frommheit und Heldenmuth! Den Ahnfrau'n zuckt es durch die Glieder, Machten gern einmal ein Tänzlein wieder Sie regen die wohlgeformten Lippen, Als ob sie aus einem Gläslein nippen. Die Wangen beginnen sich zu erhitzen. Zart färben sich die Nasenspitzen — Ist aber lauter Phantasie Und Familiensympathie:

89 Alle sind sie selige Leute, Schlürfen keinen Champagner heute! Etwas wollen sie noch beschicken. Sie flüstern mit einverstandnen Blicken: „Wir freilich können nicht mehr erwärmen. Doch bestellen wir das Hochzeit-Carmen!" Am Schornstein in bescheidener Ecke Hängt ein Bildniß wie im Verstecke: In rotem Sammt ein feiner Mann, Den man als Ziegler erkennen kann. Er hält in lässiger Hand einen Stift Und eine Rolle mit Schnörkelschrift. Ein unschuldig Angesicht! Kaufherr, glaub' ich, ist er nicht. Doch ist's vielleicht ein heitrer Schalk, Denn Augen hat er wie ein Falk: Er ist vor etlichen hundert Jahren Auf diesem Erdball herumgefahren Und ward bedacht von der Geschichte Mit folgendem kurzen Lebensberichte: „Er war ein Geiger und Poet Und seine Spezialität Das Hochzeit-Carmen." Die Frauen wenden Sich an ihn mit bittenden Händen: „Herr Vetter, setzt ein Carmen hin Für unsre jüngste Frau Zieglerin!" Der im Sammt lächelt ihnen Bescheid: „Ein Carmen ist keine Kleinigkeit, Muß sein von Gottesfurcht durchdrungen. Mit ein paar weltlichen Anspielungen." Er reibt sich sanft die Stirn und schreibt Coulant, daß die Feder nicht hangen bleibt: „Bräutlein unten im Festgemach, Dich grüßen die Ziegler oben im Dach! Die Ziegler hinter den Spinneweben Freuen sich in Dir aufzuleben!

90 Aus jeder Zeit und in jedem Amt, Menschen waren wir allesammt. Wir haben geweint und auch gelacht. Manchen ernsten Possen gemacht: Wir stnd eine lange Lebenstette — Wiege und Sterbebette — Die sich wohl noch verlängern mag Um einen Brautring und Hochzeitstag! Wir haben noch eine weite Bahn, Ein Lichtlein zündet das andre an — Wen senden wir in den Hochzeitssaal? Frau Freude mit ihrem Sonnenstrahl, Der aus dem Lebensflämmchen glimmt Und mit dem Leben den Abschied nimmt! Freude, redliches Himmelskind, . Du liebst die Herzen, die offen sind! Wandle, schwebe mit leichtem Schritt! Bring der Braut das Kränzlein mit! Halt' ihr's zu Häupten voll und ganz, Dann zerpflücke du selbst den Kranz, Spende jedem Gast ein Blatt, Daß er sein Stücklein Freude hat!" (Zwei Kinder in alter Tracht treten mit einem Körbchen ein und vertheilen da(lärmen unter die Gäste.)

Die Gelegenheit benutzend, der verehrten Freundin seinen

Gruß zu senden.

CFMeyer. Gottlob kein Bräutigam.

51. Weißenfels 1/Mai 83.

Ja, Verehrtester, „hier wird gefreit und anderswo begraben!" Ihr Carmen ist gewiß eines der interessantesten, die je einer Braut gewidmet worden sind und der Schluß nicht blos das — sondern tief und schön.

Ja, „Freude mit

91 ihrem Sonnenstrahl, der aus dem Lebensflämmchen glimmt

und mit dem Lebm den Abschied nimmt." Freilich, wie Sie in Ihrem letzten guten Brief fragen: Was dauert? So ich heute: Was ist Freude? Die Antwort würde allemal — wie die auf die Frage des Pilatus — eine individuelle sein. Ich habe es mir' oft als einen Hauptmangel vorgeworfen, daß ich mich nicht allzu leicht freuen kann.

Obgleich — oder

weil? — ich von Natur d. h. niemals verdrießlich gewesen bin.

Aber mir fehlen so viele Organe: der Spielsinn — schon als Kind hatte ich keine Puppenfreuden, — der Sammler­ sinn,

der Besitzsinn über das Nothwendigste hinaus, der

Zierlichkeitssinn und manche andere--------- leider auch der

Leichtsinn, — der gute Geselle.

Ueber das dumme, zu­

dringliche Ich. Ich wollte ja von Ihrem Carmen sprechen. Es hat mir ein Stücklein Freude gebracht, — schon weil es von Ihnen kam — was Heuer zum ersten Male selbst dem Grünwerden und der Frühlingssonne nicht recht gelingen

will.

Und, denken Sie, es war das erste Hochzeitscarmen,

das mir zu Gesicht gekommen ist.

In Ihrer freien Schweiz

scheinen sich patrizische Sitten länger erhalten zu haben als bei uns; ich bezweifele sogar daß Sie — einige hanseatische Geschlechtshäuser und Schlösser von einstmals Reichsunmittel­

baren etwa abgerechnet, irgendwo noch ein Erbhaus gleich

Ihrem „Pelikan" und seiner von Ihnen so anschaulich heiter geschilderten Ahnengalerie finden würden. Ich begreife, daß Sie Aristokrat sind, — selbstverständlich nicht in unserm Junkersinne. In einer Mansarde wie der meinigen wird

man naturgemäß Demokrat. In Ihrem letzten Briefe nannten Sie Ihre Schwester

„mein armes Schwesterchen", verehrter Freund, ich glaube, sie ist so reich wie Sie, vielleicht reicher d. h. unerschöpflich reich.

Ich las kürzlich in der revue d. d. m. einen Artikel

92 über die petites soeurs des pauvres, von Maxime du Camp, die erste Lektüre, die mir seit 2 Monaten das Herz wieder

warm gemacht hat. Von allen Barmherzigkeiten ist die gegen das hülslose Greisenalter mir von jeher als die er­ habenste und erhebendste vorgekommen,

weil von jeglichem

Menschenelend der geistige und körperliche Versall des Greisen­

alters

mir

das

niederschlagendste,

trostloseste

Petites soeurs des pauvres, vous etes adorables. hatte euch bisher nicht gekannt.

erscheint.

Und ich

Daß Ihnen Mendelsohns Paulus nicht Gnüge gethan, begreife ich; Mendelsohn — gewiß einer der reinsten, glück­

lichsten Menschennaturen und Musiker durch und durch — ein

Bach oder Händel war er nicht.

Und es gehört etwas

dazu, um den in gewissem Sinne größten Mann der Welt­

geschichte dem Ohr begreiflich darzustellen. Denn für den größten geistigen Helden halte ich Paulus und auf ihn möchte

ich immer deuten unserem Stöcker und Consorten gegenüber. Ich habe mancherlei kleine körperliche Anfechtungen zu überwinden gehabt und bin noch zu mattherzig, um mich

darüber zu freuen, daß ich sie noch einmal überwunden. In meinem Alter lebt man Kümmernisse nicht mehr aus. Ende Mai od. Anfang Juni werde ich wohl auf ein paar Wochen

nach Kissingen, oder Teplitz gehen.

Nicht um zu euren,

gegen das was Einem in meinem Stadium fehlt, hilft kein Wässerchen; nur zum Wiedersehen meiner lieben Freundin

Ebner, die noch alljährlich heilsgläubig von Quelle zu Quelle pilgert.

Das Ziel ist mir demnach gleich, doch wäre mir

Teplitz lieber, obgleich ich es kenne und Kissingen, sammt

Frankenland, nicht. Man wirst aber bei Wege wieder ein­ mal gern einen Blick auf die Sixtina u. eine Stromfahrt in das obere Elbthal — vulgo sächsische Schweiz — zählt für uns bescheidene Nichtschweizer auch zu den Schönheits-

93 freuden.

Nach der Heimkehr, Ende Juni, melde ich Ihnen

dann, wie es mir ergangen ist — insofern natürlich etwas aus dem Plane wird. Erinnern Sie sich noch unseres Fräulein Doctor?

Ach, ich fürchte, daß Sie ein Mitleidswinkelchen für sie offen halten müssen. Sie hat ein Opus über —!!! geschrieben und alle ihre Hoffnungen darauf gebaut. Auch richtig einen Verleger dafür gefunden. Aber um's Himmelswillen, wer

in Deutschland, dem zur Zeit aller Poesie so abholden, interessiert sich für--------- ? wie viele kennen ihn nur dem

Namen nach.

Ich sehe eine bittere Enttäuschung voraus.

Und die-------- ist eine reine, edle, kraftvolle Natur wie wenige. Nur das Gran geistigen Hochmuts, das sie zu viel hat, weil

sie weiß, daß sie rein, edel und kraftvoll ist wie wenige, ver­ dirbt ihr das Leben. Die Augen sind größer als der Magen. Gott befohlen!

In aufrichtiger Ergebenheit L. F.

52.

4. Mai 1883. Verehrte Freundin, ich benütze ein freies Stündchen,

um Ihre l. Zeilen

umgehend zu beantworten, freilich etwas aphoristisch, da ich Ihnen viel zu sagen habe. Haben Sie aus dem „Carmen" erraten, daß die Braut

(jetzt Frau) meines 43 jährigen Schwagers, die jüngere Schwester seiner.seligen ersten Frau,-------- angenehm und von feinen Manieren? Denken Sie sich, ich habe das C. selbst vor­

getragen (in Moliereperücke u. rotem Sammtmantel)! — Ein

94 anderes Gelegenheitsgedicht folgt nächstens.

Die Rodomon-

tade der 2 ersten Oktaven ist so unverfänglich als möglich

gemeint. Cela 6tait de rigueur, rote der erste Toast auf den Kaiser bei Ihnen im Reiche draußen. — Die paulinischen Briefe sind mir unendlich lieb, schon weil sie „Geschichte" sind, ganz fester Boden, während mir z. B. das Ev. Johannis, nicht nur das letzte

Cap., zeitweilig

einen geradezu ge­

spenstischen Eindruck macht. Ich glaube, l. Freundin, wir denken in vielen Dingen überein, aber Sie würden sich viel­ leicht doch wundern, wie derselbe Mensch (sc. meine Wenig­ keit) nicht nur soviel Sehnsucht nach ewigen Dingen sondern

auch eine so große Anhänglichkeit an das Luterthum, die fest constituirte, Protest. Kirche mit einer sehr strengen Kritik (einer unwillkürlich aus einer starken historischen Anlage

hervorgehenden Kritik) der evang. Schriftstücke und — mehr noch — mit dem überzeugtesten Monismus, dem entschie­ densten Mißtrauen in alle andern als menschlichen Kate­

gorien vereinigen kann. Ich muß zuweilen selbst über diese Widersprüche lachen mit jenem nicht genug zu lobenden

Leichtsinne, deffen ich gar sehr bedarf,

um der starken

melancholischen Ader das Gleichgewicht zu halten, welche ich von meiner lieben Mutter geerbt habe, und die meine ganze „lyrische" Ader ist.

Leider werde ich meine dramatischen Mappen für diesen Sommer zurücklegen, denn ich muß 2 Novellen — eine lustige

und eine ernste — beendigen.

Halb-Versprechen wurden

mir wie Pistolen in einer Ehrensache auf die Brust gesetzt. Der Holländer-Schorer (vom deutschen Familienblatt) hat

mich persönlich heimgesucht und da er ein Gentleman ist, kann ich nicht auskneifen, obgleich ich eigentlich nichts versprochen habe als vage Aussichten ohne Termin u. Nötigung. Ueber meinen dram. Plänen habe ich ausdauernd und

95 leidenschaftlich gesonnen, auch einiges geschrieben.

Die Sache

war, daß ich folg, zusammen wollte. 1.) einen deutsch-mittelalterlichen Stoff 2) mit modernen Beziehungen und 3) einer ganz einfachen Fabel, die in jedem Bauer­

hause sich abspielen könnte. Wie ein Bach seine Kiesel, wälze ich meine Pläne, sie

vielfach abschleifend, ohne sie je zu verlieren.

Neulich habe

ich ein paar Szenen zu einem „Sohn des Büßers von Canossa d. h. Heinrichs V, geschrieben, den Sie ja aus Ihrem Gregorov. Rom. kennen, d. h. in einfachster Formel (ich behandle die Geschichte souverän, aber nicht ungetreu) ein Mensch, energisch, finster, pflichtreu, verschlossen, der sich

im Gegensatze zu seinem Vater, einem „genialen Sünder" (Gregor) ausbildet und diesen erst durch die äußersten Um­

stände genötigt — blutendem Herzen bevormundet.

Ein

unlöslicher Conflict — doch, verehrte Freundin, ich bin schon

3 Male zu Tisch gerufen und muß abbrechen.

Ein ander Mal

mehr. Schreiben Sie mir — bitte — noch eine Zeile vor Ihrer

Abreise.

Heinrich V unter uns auf Cavalierparole! Meyer.

53. Weißenfels, 11/6. 83. Verehrter Freund,

Ich

sitze seit

Wochen —

eines häuslichen Umbaues

wegen, dessen Umfänglichkeit ich nicht vorausgesehen hatte — wie Scipio zwischen den Trümmern von Karthago, in

einem Zustande von Schutt, Staub und Getös, der eine correcte Hausfrau zur Bezweiflung bringen würde.

Zum

96 Glück bin ich keine correcte Hausfrau. Dazu wiederholte häßliche körperliche Anfälle und ein mehrtägiger Ausflug in

ein paar Krankenstuben des Verwandtenkreises.

Aus diesen

Gründen hat sich nicht nur meine geplante Sommerreise, son­

dern auch der Dank für Ihren lieben Brief und das Geschenk Ihres neuesten Conterfeys verzögert. Letzteres hat mich herzlich

erfreut als Erinnerungszeichen und als untrügliches höchsten Wohlbefindens. So schaut doch wohl nur ein Glücklicher,

will sagen ein Befriedigter in die camera obscura seiner Zeitlichkeit.

Und Ihrer vielwerthen Hausehre mache ich mein Kom­ pliment. Denn schwächlich ernährt hat sie ihren Gebieter wahrlich nicht.

Eher ein wenig zu gut, sodaß ein paar

Becher Mühlbrunnen oder Ragotzi — an der Quelle ge­

trunken — im Kampfe gegen die angeerbte dichterische Me­ lancholie vielleicht kaum geringere Dienste leisten mürben als der „nicht genug zu lobende eingeborene Leichtsinn" des

Künstlers.

Bei alledem — Gott erhalte Ihnen Ihre Fülle.

Unsereiner möchte Sie darum beneiden.

Auf die „ernste" wie die „lustige" Novelle freue ich mich, wennschon ich gar nicht damit einverstanden bin, daß Sie in „Familienblätter" schreiben. Das können andere Leute besorgen. Muscate für unsere braven vierbeinigen

Nährmütter.

Ihre Freunde spähen sehnsüchtig nach einer

Leistung, die nicht viele andere besorgen können.

Nach einem

tragischen Hohenstaufen, oder auch einem romantischen zweiten Heiligen und Bündnerhelden. Zu meiner Genugthuung habe

ich in unseren besseren Organen, von den berufeneren unserer

Kritiker die unbedingte Würdigung Ihrer Gedichte gefunden; trotz dieser Genugthuung hat mir aber keiner völlig genug gethan, auch nicht Ihr Landsmann Frey. Genug ist nicht genug.

97 Zwischen dem 14ten u. löten — Befinden u. Wetter sollen

entscheiden — denke ich nun zu reisen und zwar wieder nach Reichenhall.

Etwas weit und warm für meine gegenwärtige

Verfassung; da es aber der Curort Fr. von Ebners ist und die Reise nur den Zweck eines voraussichtlich letzten Wieder­ sehns dieser lieben Freundin hat, darf eine kleine Strapatze

nicht gescheut werden. 8—10 Tage — bis zum ersten Juli — denke ich mit ihr in „Institut St. Zeno bei Reichen­ hall, Baiern", zu weilen" dann mich noch ein Weilchen

bei Wege in den Wäldern des Fichtelgebirges zu erfrischen und trifft es sich günstig, einer Vorstellung in Bayreuth bei­ zuwohnen. Bin ich auch durchaus keine bedingungslose Ver­

ehrerin Wagners, verstehe, und darum genieße ich im Grunde auch nur reine Musik, d. h. ohne zerstreuende Beanspruchung

anderer Organe als die des Ohrs — (es sei denn etwa des dem Hörsinne am verwandtesten Duftsinnes, auf dessen Mitwirkung aber noch kein Zukunftsmusiker verfallen ist, nur etwa die alten Kirchengründer mit ihren Weihrauch­ wolken; mein Ideal einer Musikaufführung aber wäre: von

einem unsichtbaren Orchester — wie in Bayreuth — eine

Beethovensche Symphonie unter entsprechenden Strömen von Orangen, oder Wein- u. Lindenblüthendüften.) Nach diesem Mammuthartigen Zwischenbau erlasse ich

Ihnen den Schlußsatz, warum ich mir Heuer ein besonderes

Verständniß des Parsifal zutraue.

Kommt mein Plänchen

zur Ausführung melde ich den Eindruck.

mir jedenfalls an.

Bayreuth sehe ich

Es ist eines der Jugendländer meiner

Zu unserer Zeit war Jean Paul noch in der Mode und ich mühte mich redlich ab, für ihn zu schwärmen, Altersgenossen.

wiewohl mir das niemals recht gelingen wollte.

Nochmals

Dank und Gott befohlen. L. Franyois. Francois-Meyer, Briefwechsel.

7

98

54. 16. Juni 1883.

Meine verehrte Freundin, ich sympathisire aufrichtig d. h. aus Erfahrung mit Ihrer

Baunot und wünsche Glück zu der Veränderung.

Ein Brief

aus Bayreuth über dm Parcival, dessm Ouvertüre ich un­ längst hier gehört habe, wäre mir, bei Ihrer festen Auffassung der Dinge unendlich lieb. Wagner verlangt aufmerksamste Berücksichtigung, als ein bedeutendes Stück unserer Zeit d. h. unserer selbst. Was bedeutet eigentlich das „voraus­ sichtlich" letzte Wiedersehen?

Ich denke nicht.

Ist Fr. von Ebner leidend?

Sie aber, verehrte Freundin, halten wir

mit beiden Armen auf dieser schlechten Erde fest. Der Szela der Fr. Baronin, welcher ich mich empfehle, hat meinen sehr lieben u. sehr polnisch patriotischen Nachbar

Graf Plater entsetzlich aufgebracht. Der

Gedanke

bischen raffinirt. gefällt mir.

des Mölange Wagner-Orange ist ein Ich wäre nicht darauf verfallen, aber er

Uebrigens haben — vor dem mittelalterlichen

Weihrauch — schon die Römer die Schattmtücher über ihrem

Cirkus und seinen Kämpfen mit Essenzen getränkt. Ich bin hier unendlich still und ruhig und nachdenklich

und allein. (Frau und Kind, welche ich übrigens natürlich sehr liebe, sind auf Schloß Horben). Ich danke Ihnen, daß Sie mehr und Größeres von mir verlangen.

Wir werden ja sehen, viel hängt freilich auch

an Kräften, über deren Gehm und Kommen wir nicht gebieten.

Dann fehlt mir ein Segel: Ich bin nicht ehrgeizig. Die ed. 2 meiner Gedichte steht bmor, ohne daß es mich freute. Einfach weil die Sammlung mir durch ihre Subjektivität verleidet ist. Man sucht die unmdliche Mannigfaltigkeit oder

99

auch die Grundfiguren, kurz das Ganze, nicht eine armselige Individualität.

Und — Apropos — sagt das nicht Hamlet: mir mangelt der Ehrgeiz? darf ich eine Bemerkung machen?

Homer kann

— nicht nur zuweilen schlummern, sondern auch Schlummer erregen. „Schön, aber langweilig", sagte ein Knabe Pfitzers, als er (der Vater) ihm eines seiner Gedichte vorlas.

Faust

kann mit seinen Ungleichheiten aus der Stimmung fallen lassen. Aber Hamlet packt jederzeit und stimmt mit dem ersten Wort: Diese tödtliche Angst, diese gebrochenen Lichter, diese

Lüge und Maske und dieser geniale Mensch, der darin herumwirtschaftet.

Sehen Sie, l. Freundin, doch ich muß

abbrechen u. lege noch ein Ballädchen bei für ed. 3.

Wenn

Sie bald antworten, benutze ich Ihre Kritik. Nun, meine Allerverehrteste und Unentbehrliche, Gottbefohlen! CFM.

55. (Postkarte.)

Institut St. Zeno 19/6. 83.

Verehrtester, Vorgestern glücklich hier angelangt und von Ihren lieben

Zeilen anheimelnd begrüßt

Die beiden Freundinnen finden Jedes Wort das

Ihren Reigen sehr schön; tief u. wahr.

rechte.

Dieses leise unsterbliche Leben der Toten neben der

brutalen Gewalt des sterblichen Lebens! — Bis zum ersten

Juli gedenke ich hier zu bleiben. Dann jedenfall eine Kunst­ schau in München u. bei gutem Wetter Herumtreiben bis zum 12ten in Bayreuth; bei schlechtem Heimkehr ohne Parsifal. Item: nach meiner Sinnesart: Ausnutzen der

Stundengunst u. bescheidenes Weichen vor deren Ungunst. 7*

100

Frau v. Ebner empfiehlt sich. hier gelesen.

Ihren Szela habe ich erst

Kann den Zorn Ihres Freundes im Grunde

aber nicht verstehen. Die kaiserliche Gesinnung der Bauern ist ja historisch. Wir wüßten gern etwas Näheres über den Herrn — außer von seinem nationalen Museum u. seiner

Gemahlin. Dank u. besten Gruß. L. F.

Continuirlich

geheizt.

strömender Regen

u.

im Zimmer ein­

Das nennt man Sommerfrische.

56.

Weißenfels, 1/8. 83.

Verehrter Freund, Nehmen Sie es humoristisch auf, wenn ich Ihnen bei­

folgendes Stückchen altbacken aufgewärmten Pumpernickel

anbiete. Ein Leckerbissen ist es nicht, und eines Nährbissens, der es allenfalls sein könnte, bedürfen Sie nicht. Item:

nur ein bescheidenes Erinnerungszeichen. Ich verüble Ihnen wahrlich nicht,

wenn Sie mir ehrlich sagen, daß Sie den

schwerverdaulichen Stoff unschmackhaft gefunden haben, bei alledem ist es die einzige meiner Geschichten, die ich — vor etwa 22 Jahren — mit einiger Selbstzufriedenheit geschrieben

habe. *) Was aber einstmals Silber war, wird häufig in der

Erinnerung Blei und — vice versa.

Und

nun will ich, wie Sie wünschten, den Eindruck

vom Parsifal vermelden, mit welchem meine Sommerreise ab­ schloß. Kurzweg: der vollendetste theatralische, nicht etwa, *) Judith, die Kluswirthin. Novelle von Louise v. Franyois. Stuttgart. Kollektion Spemann. Band 49 o. I. A. d. H.

101 den ich im Leben gehabt, denn das würde wenig bedeuten, aber den ich, ganz ohne Zweifel, während meines Lebens hätte haben können. Ich war und bin auch noch nur eine

bedingte Verehrerin Wagners, meine Freude an ihm reichte kaum über den Lohengrin hinaus; ich ging als Sceptikerin zu dem romantischen Ueberschwang dieses „Bühnenweihe­ festspiels", nur von der Musik erwartete ich eine meiner

Stimmung entsprechende Wirkung; und just diese Erwartung ist mir nicht völlig erfüllt worden; die Musik allein würde mich nicht hingerissen haben; ich bezweifele sogar, daß sie mir bei wiederholtem Hören,

einen befriedigenden d. h.

schönen Eindruck machen würde.

Ich habe mich bis zum

Schluß nach einer erlösenden Harmonie gesehnt und im zweiten Akte, meine ich, würde nicht nur ein reiner Thor sondern

auch ein unreiner Weiser, dem Sinnenzauber widerstanden haben, der so absolut unmelodiös auf seine Gehörnerven zu wirken unternahm. Von neuem und stärker als jemals überkam mich der Zweifel, daß die Zukunft dieser Zukunfts­

opern scheitern wird an der Zumutung die dem edelsten und

gebrechlichsten musikalischen Organ, der Menschenstimme, durch

das unausgesetzte recitativische Ueberschreien der gewaltigen Instrumentation gemacht wird. Die außerordentliche Wirkung dagegen, welche die Unsichtbarkeit des Orchesters hervorbringt, dies reine, — wenn auch noch duftlose! — Hören wird

gewiß allmählig von allen Bühnen und hoffentlich auch in allen Concertsälen erstrebt werden. —

Aber alles, was die Seele durch das Auge empfängt, das bildliche. Abbildliche — das ist ein vollkommenes Kunst­ werk; Supraromantismus in classischer Form. In Scenerie, Farbengebung, Rhythmus der Bewegungen, kurzum in der

gesamten Auffassung und Darstellung das verkörperte Traum­ bild eines großen Dichters des zwölften Jahrhunderts; so

102 etwa wie mir das jüngste Gericht des Cornelius in der Münchener Ludwigskirche als die Verkörperung einer Dante-

schm Vision vorgekommen ist.

(Wer dagegen könnte vor

Rubens jüngstem Gericht — gewiß seinem Meisterstück! — an Dante denken?) Dazu die Oertlichkeit von Bayreuth — der Bau des

Amphitheaters auf grüner, weitschauender Höhe, der Contrast zwischen dem mystischen Dunkel im Zuschauerraum mit den langen Zwischenpausen in freiem, heiterem Tageslicht, die weihevolle Stimmung des Publikums, der gesammte vornehm praktische Apparat: der Parsifal würde auf einer anderen Bühne gewiß nicht ähnlich wirken wie dort, so wie eine

Südfrucht in ihrer Heimat vom Baume gebrochen, saftiger munden wird denn als Dessert auf einem nordländischen Tisch. Genug davon — vielleicht zuviel.

Die Zeitungen werden

Ihnen möglicher Weise schon überlästig, wohl gar in wider­ sprechendem Sinne mit diesem Stoffe geworden sein; (ich habe

seit Wochen keine einzige gelesen,) ich möchte. Sie

hätten sich selbst aufgemacht, hätten mit eigenen Augen geschaut, mit eigenen Ohren gehört; ja im Grunde ist es ein Unrecht an sich selbst, daß Sie zu bequem gewesen sind, sich

über diesen scheinbaren Anachronismus am Ende des 19ten Jahrhundert als Zeuge ein Urtheil zu bilden. Auch im Uebrigen ist es mir gut gegangen.

Im Still­

leben des anmutigen Reichenhaller Thales und einzigen Um­ gang mit meiner liebenswerthen Freundin Ebner habe ich mich

gesundheitlich und gemüthlich recht erholt: mir in München die Ausstellung betrachtet — wenig goldene Früchte in der

zierlichst versilberten Schale; das Säculum der Aufklärung und des Dampfes ist sichtbarlich keines für die bildenden

Künste. —

103

Nun sitze ich wieder in meiner heimischen Klause, die ich gründlicher, als da ich sie verließ, als eine Trümmer­ stätte wiedergefunden habe, zu der man auf Nothstiegen empor­

klettern muß. — Und wie ist es Ihnen in dieser Sommerzeit ergangen? Wie den Ihren? — Was ist fertig geworden, das uns Winterfreuden verheißt?

Mit herzlichem Gruß die Ihrige. Louise Franyois. Das Libretto habe ich ungelesen auf der Heimreise ver­ loren und wahrscheinlich nichts Bedauernswerthes verloren.

57.

4. Aug. 1883. Liebe, verehrte Freundin, Dank für die eben durchlaufenen Zeilen: ich freue mich daß Sie sich erfrischt haben und es Ihnen überall gut er­

Das Büchlein werde ich bequem lesen: kommt es ja von Ihnen. Nach dem Hineinblicken ist es hübsch

gangen ist.

genug, vielleicht sehr hübsch, vielleicht ein Meisterstück. schreibe Ihnen darüber.

Ich

Auch für die Parcifalvorführung

Ich muß ihn doch auch einmal haben, wenn auch nur in München. Liegt doch der Text, meinen freundlichsten Dank.

saffiangebunden, mit Wagners Namenzug (nicht ä. mon adrcsse natürlich) hier vor mir. Wagner fesselt mich als

seltsames Amalgam mit einer gewissen, ja einer unbestreit­ baren Größe und läßt mich dabei gemütlich völlig frei, was

mir auch recht ist.

Hier haben wir allen möglichen Spektakel, Badeaus­ stellung. 50jährige Stiftung der Kochschule u. s. f. Ich freilich halte mich hier hübsch bei Seite.

Ja, als ich neulich für

104 eine mäßige Seifig

(Gelegenheitsgedicht) beschenkt werden

sollte, brach gerade ein Donnerwetter los und die Station war von hier nicht zu erreichen. Die Silberplatte wurde mir dann zugesendet. Gute Leute! — Was ich getan?

Schlimme Nachrichten.

Ein Luther-Lied für die Rundschau

entworfen — so einfach als möglich — Die 2. Ausl, der Gedichte besorgt (einiges Neue und 1 altes gestrichen). Eine

Novelle, eine Strafnovelle geschrieben für das Schorersche Familienblatt (Folge eines leichtfertigen Halbverfprechens).

Jetzt wollte ich den „Dynasten" beginnen.

(Sie erinnern

sich, den Renaissance-Bösen) aber weiß Gott (unter uns;

wie überhaupt alles dies) meine l. Vaterstadt (und von dieser wäre im Dynasten viel die Rede) sängt an, besonders seit sie sich so schrecklich selbst rühmt oder rühmen läßt, mir — was man so nennt — langweilig zu werden. Es ging nicht, trotz Stimmung. Das Schweizerische widerstand mir. Das wird vorbeigehen. Dafür ergötze ich mich nun an einem mittelalterlichen Novellchen mit großen Figuren.

So verliere ich mein Leben (hoffentlich nicht durch die kl. Bantingcur die ich mache.) Schreiben Sie bald Ihrem CFM.

58.

25. Sept. 1883, Schloß Horben im Aargau. Verehrte Freundin,

mit einer Reisefeder gebe ich Ihnen ein Lebenszeichen

zwischen zwei Ausflügen, voraus um Ihnen für Ihre „Judith" zu danken, welche ich, noch in Kilchberg, mit großem Jntereffe in einer ganz freien Stunde gelesen habe. Der scharfe Blick,

die kräftige Hand, eine spannende aber klare Fabel, Haupt-

105 sächlich die Energie der Heldin haben mir aus der Maßen

gefallen, dann in einzelnen Zügen die Ihnen eigentümliche

Geberde, Ihre Individualität, welche ich freilich jetzt kenne, und die mich anheimelt. Nur Schade, daß die utilitarische Nebenabsicht (Heilung der Trunksucht) der Erzählung zu viel Erdenschwere gibt. Anschlüsslich aber ohne jede Vergleichung oder Zusammen­ stellung kennen Sie unsere Kinderschriftstellerin Johanna Spyri. Im Reichsboten-Kalender, welcher für Sie ohne Zweifel sehr leicht erreichbar ist, steht eine Erzählung von

ihr, welche bei weitem nicht ihre beste ist, aber doch einen Begriff gibt. Ich kenne die Frau von jung auf — vor so und soviel Jahren, da sich unsere Mütter an einem Curorte

fanden, gingen wir Jungen hinter den Eltern eine Stunde lang neben einander, ohne ein Wort an einander zu ver­ lieren. Das hat sich seither ein wenig geändert, obwohl nicht allzusehr, denn wir sind beide von kurzen Worten ge­ blieben.

Im Uebrigen sind wir, Frau Spyri und ich, gute

treue Freunde. Dieser

mit Schwierigkeiten

geschriebene

Brief

datirt

aus einem Jagdschloß der längst saecularisirten Aebte von Muri im Aargau, das auf einem breiten Bergrücken liegt. Aussicht: Rigi und Pilatus, Zuger- Baldecker- und Hall­

wylersee. Mein Auge bedarf zuweilen der Ebene, der Weite, denn auf meinem schönen Kilchberg stecke ich zwischen zwei Bergzügen.

In meinem ungeheuren Schlafzimmer habe

ich an der Gypsdecke flatternde Vögel, d. h. in ganzer Gestalt,

nur mit dem Flügel an der Decke klebend. Ihr M.

Wahrhaftig, ich vergaß Ihnen zu sagen, daß ich in

den letzten Tagen (natürlich noch in Kilchberg) Besuche von Vischer und Wildenbruch erhalten habe.

106

Wie befinden Sie sich? fels.

Ich denke oft nach Weißen­

Vergeben Sie das Geschmiere.

59. 3. Oct. 1883. Verehrte Freundin, wenn. Ihnen heute nicht das Ohr geklungen hat, so

weiß ich nicht.

Die „Türkin" war hier und Sie, gnädiges

Fräulein, waren der Gegenstand des Gespräches.

Ich sagte

dann zu meiner Frau, die eine ganz besondere Vorliebe für

preußische Fräulein hat: (2 Richthofen, Pensionsfreundinnen, die vor Jahren hier zu Besuche waren, haben auch mir sehr gefallen): ich wollte wol, L. v. Franyois besuchte uns ein­ mal. Meine Frau stimmte bei, doch fürchtet sie sich ein

bischen vor Ihnen, denn die Türkin nannte Sie eine „impo­ sante Erscheinung". Fräulein —, das erste Mal, als sie hier aß (fteilich in sehr heterogener Gesellschaft) etwas ftemd, wurde heute

ganz traulich.

Der Doctor nahm Urlaub und es blieb das

gute Kind übrig. Ich glaube es wird chr so oder so gut gehen. Sie verdient es. Den — habe ich fteilich noch nicht gelesen, weil ich meine 2 Novellen (i. e. zweite dieses Jahres. Die erste, das Lutherlied und die ed. 2 der Gedichte erhalten Sie im November) componire und die toten

Gespenster nicht gerne verscheuche.

Ich shakespearisiere darin

ein bischen, nach Kräften versteht sich, doch glaube ich nicht, daß es rückwärts gehe.

Rodenberg besuchte mich.

Er ftagte viel nach Ihnen

und meinte, in Ermangelung einer neuen Novelle von L. v. F. würde er für die Rundschau auch eine der alten nehmen. Darf

107

ich ein Wort von der „Schnackenburg", die ja ein origi­ nelles Ding sein soll, verlauten lassen?? Mein bester Jugendfreund kehrt mir zurück: er hat eben den österr. Dienst quittirt, mit 58 Jahren, als Generalmajor zur Disposition. Zugleich ist er aber auch (d. h. schon vor

20 Jahren in Italien) katholisch geworden, was gegenwärtig

hier stark grassirt. „eine feste Burg".

Wir beide, Verehrteste, bleiben bei: Vielleicht mache ich noch einen Früh­

winter-Sprung in eine Haupstadt, aber nicht n.ö., sondern westlich oder südlich. Nun, bitte, eine Rückzeile, sonst bilde ich mir ein, —

da meine Phantasie gegenwärtig stark arbeitet — Sie seien gram geworden 8 8

Ihrem CFM.

Ueber die „Judith" habe ich Ihnen wohl recht nichtig geschrieben, aber, wenn Sie wüßten, wie häufig ich gestört werde, . . bei der kleinsten Zeile! Vergeben Sie das Geschmiere.

Ich habe heute schon

viel geschrieben.

60. Weißenfels, 4./10. 83.

Verehrter Freund, Ich mag den Dank für Ihren lieben Brief nicht länger auf dem Herzen behalten; sollten Sie von Ihrem Jagd­

schlösse noch nicht heimgekehrt sein, thut's nichts. Sie finden

ihn, — den Dank nämlich — dann vor und lassen ihn zu gelegener Stunde über sich ergehen. Nach Frau Spyri wollte ich Sie längst schon fragen

und unterließ es nur, weil ich wohl gemerkt habe, daß Sie sich nicht gern fragen lassen. Ich gehöre zu denen, die

108 Kinder lieb haben, das Kind Heidi hatte mich geradezu wieder zum Kinde gemacht, (vor sechzig Jahren war ich auch so ein Heidi, nicht so fromm, zärtlich und genügsam,

aber ebenso lebhaft, neugierig, springerisch und ehrlich) da hätte ich gern etwas persönliches von der Mutter des Heidi gewußt und mehr noch von der des köstlichen Peterli, meines Leibhelden nämlich!

Unser Reuter, hätte er das Peterli

noch erlebt, er würde die Schweizer Dichterin um diesen dummen Jungen beneidet haben. Sollten Sie es für angebracht halten, so sagen Sie

gelegentlich Ihrer Freundin ein Wort des Dankes und der Freude aus meinem Herzen heraus.

Daß meine westphälische Geschichte kein allzuderber Brocken für Sie gewesen ist, freut mich; denn ich traue

Ihnen nicht zu, daß Sie aus Wohlwollen schmeicheln.

Die

Ausstellung, die Sie machen, hat vor Ihnen schon meine liebe Ebner gemacht; also der Mann und die Frau, auf

deren Urtheil ich den höchsten Wert lege.

Curios, daß ich

selber niemals auf diesen Tadel gekommen bin; die Trunk­

sucht war mir weder Nebensache noch Utilitätszweck.

Des

Contrastes halber brauchte ich notwendig der willensstarken

zur Härte ausgearteten Heldin gegenüber einen gemüthstiefen Helden, dessen Charakterschwäche zum Laster ausartet; und welches Laster hätte ich in diesem Stande und in dieser Zone

wählen sollen, als das des Trunks? Das soll aber keine Rechtfertigung sein. Ich glaube Ihnen, wie ich es meiner feinfühligen Marie geglaubt, daß ich aus Vernünftelei ästhe­ tisch gesündigt habe.

Ich war wieder etliche Wochen entfernt von Hause. In Westphalen (ungefähr Scenerie der Judith) — Bad Oeynhausen — das ich seit 33 Jahren nicht wiedergesehen hatte. Im Hause einer nahen Verwandten habe ich dort

109 das menschliche Elend von einer mir bis dahin unbekannten

und ungeahnten Seite kennen lernen. dung — beide

Krankheit und Erblin­

mir ja sehr vertraute dunkle Mächte —

waren nur nebensächliche Konsequenzen des hoffnungslosesten

Herzeleids. Auf dem Rückwege verweilte ich ein paar Tage in

Sondershausen bei meinem Leochen und seiner Mutter, zwei Ihnen noch unbekannte Matadore meiner letzten Lebenssorge

und hörte da — am Sedantage — wieder einmal u. sehr gut die eroica, die mich wunderbar an Ihren Doppel­ reigen erinnerte, freilich

ohne dessen Grundmotiv,

die

letzten Verse. Beethoven schließt mit dem Siege des Lebens ab. Der erste Satz ist (nebst dem zweiten der C moll Symphonie) das Herrlichste, was für mein Empfinden musi­ kalisch geleistet worden ist, oder je geleistet werden kann. Wie aber die Erklärer darauf gekommen sind, etwas Napo­

leonisches oder sonstwie Heldenhaftes in dieser Einleitung zu finden, habe ich niemals fassen können.

Es ist ein un­

vergleichliches Liebesduett, wie es Hero und Leander, Romeo und Julia geführt haben könnten. Wollte man die Inspira­

tion in den Zeitereignissen suchen, so hätte man allenfalls an

Louis Ferdinand, Großvater Wildenbruchs, denken Die ideale Liebe zur Königin, die man ihm zu­

können.

schrieb, sein Heldentod, die Vernichtung und Erhebung des Vaterlands. Aber dummes Zeug! Ich wollte Ihnen ja nur sagen, daß ich während des schönen Hörens an Sie gedacht habe. Auch in Erfurt war ich eine Woche lang und sah da — nicht zum ersten Male — den Hauptmann

von Roberts, dessen Preisnovelle „Es" Sie vielleicht gelesen haben. Ein feiner, liebenswürdiger Mensch, der Kränklich­ keitshalber just seinen Abschied genommen hatte — ich glaube nicht schweren Herzens — um ganz nach dem geliebten

110 Rom

leben.

zu übersiedeln und ausschließlich der Literatur zu

Da Sie so vielfach von deutschen Dichtern heim­

gesucht werden, kann er wohl auch einmal an Ihre Thür klopfen. Nehmen Sie ihn dann freundlich auf. Heimgekehrt gerieth ich gleich in einen gewaltigen Kaiser­ trouble und Jubel.

Es war großes Manoeuvre in der Nähe

meines Saalstädtchens, das ich noch nie in solchem Schmuck und Frohleben gesehen habe; auch nicht in solcher Menschen­ fülle.

Auch in meiner Antichambre — zu deutsch Vorsaal

— lagerten und tummelten sich circa zwei Dutzend Vater­ landsverteidiger. Ich hätte das alte Fräulein in dieser kriegerischen Fassung aufnehmen lassen und seinem verehrten Freunde und Gönner ein Andenken damit stiften sollen!

Jmmermanns alter Hofschulze — meinetwegen auch irgend ein Anderer — hat aber Recht: die Könige sind dem Volke zum Plaisir in die Welt gesetzt und ich möchte wissen, wie

königslose Republikaner den Naturdrang befriedigen,

von

Zeit zu Zeit zusammenzuströmen, Hurrah zu schreien, Ehren­

pforten zu bauen und ausnahmsweise einmal auch mit Lust zu einer Ehrenausgabe in den Seckel zu greifen. Nun an der Saale und am Rhein ist in dieser Beziehung jetzt das

Mögliche geleistet worden.

Aber es ist auch wirklich etwas

zur staunenden Freude Ergreifendes

im Anblicke unseres

majestätischen Achtzigers, wie er bei Wind und Wetter stun­ denlang zu Pferde sitzt, bei trefflichem Appetit tafelnd Reden hält, bis in die Nacht hinein mit gleicher Liebenswürdigkeit

abwechselnd Wirth und Gast ist und in den Zwischenpausen mit unnachahmlich freundlicher Würde sich umjauchzen, an­ singen, mit Blumen bewerfen läßt u. s. w. Das Beste bei der Sache aber ist doch, daß er bescheidentlich seinen Kanzler gewähren läßt, der sich von alle dem Spektakel fernhält u.

das Nothwendige in der Stille besorgt.

„Der Reiter hält's

111 immer länger aus als das Roß", ist ein gut gefundenes — oder erfundenes — Wort von Bismarck, als sein alter Herr

Jenes Hinfälligkeit gegenüber der eigenen Rüstigkeit beklagte. Ich schließe meine weitschweifige Epistel einen Tag später als ich sie begonnen. Inzwischen ist Ihr Briefchen einpassirt.

Dank dafür.

Es hat mich köstlich amüsirt.

Fräulein Doctor treibt seinen Spott mit der altjüngferlichen runzeligen Kleinstädterin — sie eine imposante Erscheinung! Ja, ja so treibt man es im Bewußtsein der Jugend und einer Thusneldengestalt!

Herzlich gefreut hat es mich aber, daß Sie, lieber Freund, sich unserer — gütig und gastlich erwiesen haben.

Ich halte sie für eine durchaus edle Natur und denke über ihre Zukunft weit weniger vertrauensvoll als Sie. Zudem soll sie, — wie ich durch Fr. v. Ebner immer mit wahrem Antheil

vernommen, denn ich stehe direct nicht in Verbindung mit

ihr — neuerdings bitteres Herzeleid erfahren haben. Sollten Sie sie wiedersehen, grüßen Sie sie wärmstens von mir. Daß Rodenberg eine alte Erzählung von mir aufwärmen will und — falls ich Sie recht verstanden habe, — die

Schnakenburg ausersehen hat, halte ich für einen Scherz

oder unbedachte Rederei.

Der Verleger würde ja auch

wohl kaum seine Einwilligung dazu geben. Die Schnaken­ burg aber, so weit ich mich ihrer erinnere, denn ich besitze keinen Abdruck derselben, würde bei abermaligem Erscheinen so wenig gefallen wie bei dem früheren.

Es ist in der

Personificirung von Eitelkeit und Stolz als Contraste — ein Lieblingsproblem von mir, — gewiß das Maaß weit über­ schritten worden.

Man hat mir gesagt, daß sie geistreicher

geschrieben wäre als meine anderen Geschichten, angesprochen

hat sie aber nur in einer einzigen Familie — einer unga­

rischen, mir stockfremden, — und zwar aus dem Grunde,

112

weil man in seinem Kreise die Originale zu meinen Por­ träts gefunden zu haben glaubte. Die Originale laufen aber allerwaerts in der Welt herum und ich habe sie nur

ein bischen carrikirt. Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin; der Ge­ danke, daß ein Mensch sich ein wenig vor mir fürchtet, hat

mich förmlich eitel gemacht. Es ist mir das im Leben noch nicht passirt — nämlich das Gefürchtetwerden — auch

dann nicht, wo es nutzbringend gewesen wär, es anzustreben. Wenn ich es im Leben noch zu einer zweiten Schweitzerreise bringe, — ich gehe stark mit dem Luftschloß um — und dann, wie sich von selbst versteht, auch einen Guck und Knix in Villa

Meyer mache, dann wird die liebe Hausfrau, wenn ich wieder fort bin, gewiß zu Ihnen sagen: Ei, wie habe ich mir die

alte Reckenburgerin doch so ganz anders gedacht! Leben Sie wohl.

Glück auf die Reise sei es nach Rom

oder Paris. Auf das, was der November mir von Ihnen bringen soll, freue ich mich. Treulichst L. Franyois.

Es

raucht u.

staubt

u. lärmt um meine Mansarde

herum — dieser endlose Bau!

61. Halle a. S. 2/11. 83.

Verehrter Freund, Ich glaubte Sie bereits — oder noch — in Rom oder Paris; darum verschob ich den Dank für Ihren lieben Knaben, der mir hierher nachgesandt worden ist. Er hat nicht nur mich — wie sich das von selbst versteht — sondem

113 auch meine belletristisch weniger interessirten hiesigen Gast­

freunde — der Mann ist Jurist und exclusiver Shakespeareaner, die Frau Musikantin und eine fromm geschäftige Martha, außerdem ein Original an Lebenskraft, innerlichst ergriffen, ja wenn sich der Ausdruck für den schmerzlichen

Vorwurf schickte,

entzückt.

Die Originalität der Kunst,

durch welche ein abgelegener, scheinbar einfach pädagogischer

Stoff — ein Genrebild aus dem Roccocoalter — zu einem zeit­ genössisch polemischen und zugleich bedeutungsvoll historischen gemacht wird, die Präcision der Zeichnung der verschiedensten

seelischen Contraste, das knappe Schöpfen aus dem bewußten Vollen sind empfunden und bewundert worden; ja die

Freunde wollten es nicht gelten lassen, als ich den Einwand wagte, daß zumal in einem Familienblatt die Wirkung sich erheblich gesteigert haben würde, wenn's dem Autor beliebt hätte, uns seine Fabel direct als anschauliches Er-

lebniß,

statt indirekt als Erzählung eines Dritten, vorzu­

führen, was selbstverständlich eine breitere Entfaltung be­ dingt hätte. Ich habe den gleichen Einwand im Stillen

gegen Ihren Heiligen erhoben; nicht während des Lesens,

aber im Nachdenken über ihn und zumal im Vergleichen mit Im „Brigittchen" dagegen ist mir dieser vermittelnde Vortrag durch die Laune des Erzählers als eine köstliche Zuthat erschienen; das Brigittchen

dem mustergültigen Jenatsch.

und Julian Boufflers halte ich von Ihren kleineren Er­ zählungen für die gelungensten, und freue mich, — mit vielen Genossen — auf eine zweite, die dieses Jahr uns noch bringen soll.

Ein Herbstbesuch in Halle ist ein Herkommen, auf welches altbefreundete, liebe Landsleute wie auf eine Gerecht­ same rechnen. Es hat sich heuer von einer Woche fast auf drei ausgedehnt, da sie mich nicht eher in meine mehr FranyotS-Meyer, Briefwechsel.

g

114 denn jemals zerstörte Wohnung abziehen lasten wollten. Montag geht die Fahrt aber unwiderruflich fort. Ich höre hier häufig Erinnerungen an die Schweiz, und speciell Zürich, laut werden von früheren Lehrern oder

Schülern Ihrer jungen, reichen alma mater, die des unzähl­ baren Touristenschwarms ganz ungerechnet. Dann und wann fällt dabei auch ein Wort über Sie, Verehrter, ab, kein

sehr ausgiebiges, aber immer ein erquickendes, weil gerecht werdendes. Was man dagegen von G. Keller erzählt, (ob­ schon man ihn schriftstellerisch höher stellt, als ich es zu thun vermag) möchte ich gern für Klatsch oder Uebertreibung halten.

Frau Spyri aber ist die wohlverdiente Freundin

Haus bei Haus, das mit einer Kinderstube gesegnet ist.

Rodenbergs Absicht, eines meiner älteren dummen Ge-

schichtchen in seinem Blatte noch einmal erscheinen zu lasten, halte ich für ein bischen Paperlapap; auf einer anständigen Tafel bringt man nichts aufgewärmtes. Die Schnakmburg hat einen ziemlich dankbaren Stoff, (Gegenwirkung von Eitelkeit und Stolz — beide unberechtigt;) in der Ausfüh­ rung ist das dem Spott gestattete Maaß jedoch weit über­

schritten und Freude hat an dem Dinge wohl kaum einer gefunden. Ueberdies bezweifele ich, daß der Verleger in einen Wiederabdruck willigen würde. Wir sitzen hier im (Zentrum der Lutherfeiern; Vorträge,

Musiken, Enthüllungen, Aufzüge, Sammlungen und kein Ende.

Devrients Festspiel in Jena findet einen ungemessenen Bei­

fall.

Gebildete wie Ungebildete fühlen sich erhoben und ent­

zückt — ungeachtet der Bescheidenheit des äußeren Apparates. Nebenbei auch ein Beweis, daß die dramatische Wirksamkeit nicht auf dem Jnnehalten der dramatischen Regel beruht. Ein altbekanntes Lebensbild in seinem Auf- und Abstieg, nichts weiter. Ich halte es für wahrscheinlich, und würde

115 mich darüber freuen, daß derlei Volksspiele, zu denen Ober­

ammergau den — (allerdings höchst dramatischen) — Anstoß gegeben hat, sich bei uns in Deutschland einbürgern. Welcher Ort einen Helden, ein bedeutendes Ereignis zu feiern hat, wird ihn auszügestalten suchen. Gewönne die Kunst auch

nichts Großes dabei, es wäre immerhin ein Schritt aus dem Materialismus heraus. — Tentirt Sie Ihr Zwingli nicht?

Der wäre, dächt' ich ein weit dramatischerer Held

als unser Luther. Soll ich Ihnen den, ich meine den Devrient'schen schicken, sobald ich ihn von Jena erhalte? Hier ist er noch nicht im Buchhandel erschienen; doch that

ich einen Blick in das Exemplar eines vom Festspiel Heim­ kehrenden. Kein Lesestück, sicherlich; ein bildliches Schau­

stück; sans comparaison — Shakespeares Historien ver­ wandt. Dank für Ihre freundliche Erinnerung. Sie? und wann denken Sie heimzukehren?

Wann reisen Kasteien Sie

sich nur ja nicht zu streng mit Bantingschen Vorschriften, gehen zum Frühling lieber nach Karls- oder Marienbad,

da macht sich die Sache leichter.

Dankbarlichst ergeben L. Franyois.

Der Schluß Ihres Knaben ist ganz ausnehmend schön.

62. Kilchberg 7. Nov. 1883.

Verehrte Freundin, Devrients

„Luther" ist angelangt und interessirt mich,

als Manier gewaltig.

Doch schwerlich für einen Zwingli.

8*

116 Ich habe zeither manches abgelehnt (puncto Gelegenheits­ gedicht) und zeitweilig böses Blut gemacht, besonders neuer­

dings durch mein Fernbleiben von der Stiftungsfeier gerade unserer Alma, obschon ich Ehrendoktor bin. Aber es war eben licht und schön hier oben (letztm Aug.) und ich dächte,

den Poeten hat man zeither einige Absonderlichkeiten zu­

gestanden.

Oder nicht? • Uebrigens dachte

meine Abwesenheit bliebe unbemerkt.

ich

wirklich,

Seien Sie übei^eugt,

liebe Fr., Ihre „Reisenden" wissen nichts von mir außer von Hörensagen und auch dann wol wenig genug. Ich bin in der Tat neugierig, was Sie zu Novelle II (Rundschau

Wieder ein Rahmen, Gnädige, Dante, kein geringerer, erzählt in

Dec./Jan.) sagen werden.

aber ein lebendiger.

Verona, am Hofe Cangrandes eine bewegliche Geschichte. Ich gab Auftrag, Ihnen die Corr. Bögen der ersten Hälfte

zu senden und bekomme dafür eine Zeile, nicht wahr?

Jetzt durchblättere ich meine Entwürfe und lasse mich hin

und herlocken. Da ist besonders eine „Richterin" (oder magna

peccatrix) mit einem Friedr. II. im Hintergrund (natürlich dem Kaiser) die mich tentirt. Szene: Enna in Sizilien (das Enna der Proserpina) aber das ist fast zu schaurig ..

Denken Sie sich, mein Embonpoint ist verschwunden, ohne alle Gewaltthat; denn mit Fleisch und Wein läßt sich gut leben, doch auf welche Briefstoffe gerate ich?

Ihr M. Ja so — die Reise.

Jetzt jedenfalls nicht, da meine

Schwester jeden Augenblick eintretm kann, zu längerem Auf­ enthalt. — Und dann giebt es (nicht mit ihr) Oekonomisches zu ordnen.*)

Ueberdies wohne ich jetzt wirklich sehr bequem

•) Auch gut 4/s meiner Briefe habe ich verbrannt und die l. Ihrigen chronolog. geordnet.

117

und liebe die Wintertage unendlich. gestimmt.

Auch bin ich zur Arbeit

Dennoch will ich sehen es möglich zu machm,

mit meiner l. Frau für eine Woche nach Paris gehen, aber schreiben Sie nur, es wird alles nachgeschickt. Der-------- von Frl.-------- ist gar nicht Übel, sehr gewissenhaft — bei Ge­

legenheit sollte ihr die Baronin Ebner ins Ohr sagen: künftig deutlicher zu sprechen und mit den Armen nicht zu rudern.

Sie würde dadurch eine andere Person.

Doch

wohin gerate ich zum zweiten mal?

Ihr M.

63. Weißenfels 19/11. 83. Verehrter Freund!

Gestern abend hat es in meinem Hause gebrannt; der Schaden für meinen reichen Wirth ist nicht groß und Gefahr,

oder auch nur Schreck hat es für mich persönlich nicht ge­ geben. Wenn man nur noch an sich allein zu denken hat, erschreckt und ängstet man sich nicht mehr.

Immerhin ein

Ersatz. Aber ohne eine schlaflose Nacht ist es natürlich nicht ab­ gegangen und ein müder Ton wird darum aus diesen Zeilen herausklingen. Dennoch will ich es nicht länger verzögern, das Eintreffen ihres halben Mönchs dankbarlichst zu melden

und Sie zu bitten, den Eindruck, den Sie „frank u. frei" ausgesprochen wünschen, verschieben zu dürfen, bis der ganze Mann fertig, d. h. zu Grabe getragen ist. Denn trotz

wiederholten Lesens ist der Eindruck noch ein flackernder; das Interesse an dem Erzähler verschlingt geradezu das an

dem Helden, der bis jetzt int Grunde ein kläglicher armer Teufel ist.

Sein Schicksal — denn ohne Zweifel läßt er

118

sich die Geliebte von deren toller Mutter aufnötigen, wie

er sich die Braut von seinem argen Vater aufluxen ließ — erinnert an die Sage von dem ersten Entstehen der Guelfenund Ghibellinenfehden in Florenz; ob die weitere Fabel der göttlichen Comödie entnommen ist, erinnere ich mich nicht; der Dante versteht sich ja auf vornehme Klatschgeschichten; aber Unsereiner versteht sich nicht immer auf deren Zu­

sammenhang.

Auch Ihre Erzählung wird schwerlich leicht

und von Vielen gefaßt werden. Ich bin gespannt, welchen innerlichen Bezug das Thema mit einem oder dem Anderen der Zuhörerschaft — vermutlich der Gemahlin des Cangrande — haben wird, denn ohne solchen Bezug würden Sie die Persönlichkeiten nicht bis zu den Namen herab ver­ mischt und auch wohl schwerlich den Dichter als Fabulisten

eingeführt haben, wenn es sich nicht um den Spruch eines Richters gehandelt hätte. In den Correcturbogen sind noch

etliche kleine Fehler haften geblieben, die ich mir zu bestem erlaubte; wäre es noch an der Zeit, schickte ich Ihnen die Blätter zurück; oder etwa an den Verleger, den Sie mir nennen würden?

Werden Sie mir es Übel nehmen, lieber Freund, wenn ich bei dieser Gelegenheit auf einen kleinen sprachlichen Irrtum aufmerksam mache, den ich verschiedmtlich in Ihren Schriften entdeckt habe? Ist es schweizerischer Provinzialismus, oder die

lange Gewohnheit, an das französische. Sie gebrauchen den ver­ neinenden Comparatif (als) mit einer doppelten Negation.

Ich

glaube



obgleich

ich

niemals die Nase in

deutsche Grammatik gesteckt habe — daß das nicht richtig ist.

Auge und Ohren sprechen mir dagegen.

In den vorliegenden

Bogen habe ich den Gallicismus zweimal entdeckt:

Pag 11: Ich bin kränker als du (nicht) denkst. „ 20: Du schaust jugendlicher als (keiner) von uns.

119

Nicht wahr, Sie beschuldigen mich nicht der Ungebühr um dieser bescheidenen Ausstellung willen? Noch habe ich herzlich zu danken für das Exemplar der zweiten Auslage — Schon der zweiten, ich gratulire! — Ihres Julien Bouffiers.

Beste Gratulation zur gelungenen Bantingcur. Treiben Sie es aber nicht zu weit damit; solche einseitige Er­ nährung ist immer etwas naturwidrig. Tüchtig laufen oder reiten und von Zeit zu Zeit ein auflösendes Wässerchen wirken gewiß unschuldiger. Mein verstorbener Bruder hatte

sich vor Jahren durch modificirten Banting binnen Kurzem um 14 ■». erleichtert; ob ihm eine Kur in Marienbad oder Kissingen nicht aber dauernd bessern Dienst gethan hätte? Falls Ihre verehrte Fräulein Schwester noch bei Ihnen

ist, empfehlen Sie mich ihr recht angelegentlichst und schreiben mir einmal, bitte, etwas über sie und ihr Ergehen. An Ihre Fr. Gemahlin richte ich bei jedem Brief an Sie in Gedanken regelmäßig die herzlichsten Grüße und bilde mir ein, daß Sie

dieselben ausrichten,

auch wenn sie nicht in Lettern aus­

gedrückt sind. Freut sich Ihr Töchterchen recht auf den heutigen Christ? Welch schöne Puppe werden Sie ihr von

Paris mitbringen!

Glückliche Fahrt!

Und glückliche Heim­

kehr! Ob Sie viel anregend Neues zu schauen haben werden? Treulichst

Louise F.

64. 22. Nov. 1883. Verehrte Freundin,

ich hoffe, der Schreck hat Ihnen nicht zugesetzt. Immer­ hin sind derlei Vorfälle nicht nervenstärkend und ich wünsche

120 ein paar schlafreiche Nächte! Auch wir hier hattm Feuer­ lärm. Gestern früh sprang das Gashäuschen einer be­ nachbarten Fabrik in die Lust, zwei Spritzen wurden aus

meiner Scheune gezogen, vor meinen Fenstern zwei Feuer­ hörner von zwei Anfängern geblasen und ich — verschlief alles. Daraus geht klar hervor, daß ich nicht in Paris bin.

In der That, der Ausflug dorchin ist Deo volente ins nächste Frühjahr verschoben. Unsere kleine Camilla hat am Ende doch auch den Keuchhusten erwischt, welchen die Dorskinder

fast alle im Sommer und Herbst durchgemacht haben.

Das

hält die Mutter zurück. Ich rede nicht von einem heftigen Katarrh-Fieber, welches mich mitgenommen hat. Beitrag

(oder Nachtrag) zur Banttngkur, welche ich getrost fortführen darf, da ich von Haus u. Familie aus mager bin. Meine Schwester war hier sehr vergnügt. Ich muß glauben: das immerhin ziemlich asketische Leben in Männe­ dorf bekommt ihr.

Freilich,

obschon sie dort ihr eigenes

Haus und an der Anstalt-------------------------------------------------

— — — — — — — eine unabhängige Stellung hat, ist die Schwester--------- scheint mir von Zeit zu Zeit sehr

gern bei uns. Auch uns ist sie sehr lieb, da sie eine große innere Freudigkeit hat. Ich

habe diese Jahresenden unbeschreiblich gerne und

lasse mich durch 5—6 Verdrösse, darunter einige starke Ge­ meinheiten, welche ich jüngst erlitten habe, gar nicht stören.

Gestern z. B. in der Dämmerstunde, um ein kleines Tableau zu machen, saß ich in meinem hohen getäfelten Zimmer mit der Frau eines gichtkranken Nachbars, welcher morgen seine

Stadtwohnung bezieht, einer federdünnen Dame, die Abschied zu nehmen gekommen war, zusammen und wir wechselten unsere Religionsbegriffe, während draußen zwei Männerchen

einen großen Rasenplatz umgruben, „Hansli" der Pfau auf

121 dem Dache schrie, und drüben bei Graf Plater zum Diner geläutet wurde. Es war zu heimlich! Was Sie mir von dem Eindrücke sagen, welche Ihnen die Hälfte des Mönches gemacht hat, verehrte Freundin, hat mich gar nicht ergötzt und ist ein schlechtes Omen. Hätte ich

mich vergriffen? jedenfalls bin ich froh, einen Avis erhalten zu haben.

Ich mache mich fest in den Bügeln, um einen

Stoß auszuhalten.

Jetzt über die Sache zu verhandeln,

wäre zu spät und zu früh. Rundschau bringen.

Lassen wir in Gottesnamen die

(Dec. u. Jan-Heft)

den

verfluchten

Mönch

Es bleibt dann noch die Buchausgabe (die Feder

ist mir zersprungen, neues böses Omen!) das Urteil einiger

Freunde und meine eigenen wieder frisch gewordenen Augen. Die italienische (mehr noch als französische) doppelte Ne­

gation wendete ich sehr gewissenhaft als Localton an. Das ist ja aber mit einem Federstriche zu beseitigen.

Was ich

Ihnen schickte, war ein zweites unbenutzt gebliebenes Exem­ plar der Correctur, von meinem Schreiber zu Ihrer Privat­

lektüre notdürftig corrigirt. Das Lutherdrama, welches mir in seiner Art sehr ge­

fallen hat, nahm die Schwester mit an ihrem Namenstage Elisabeta.

Gestern wurde in Zürich Wildenbruchs Harold

gegeben, ich begnügte mich, das Drama in meinem Fauteuil zu lesen mit großer Lust, obgleich durchaus nicht ohne Vor­

behalt, oft die Augen schließend, um die Gestalten zu er­

blicken — es hat mich selbst gefreut daß ich an dem Dichten eines Andern noch so voll teilnehmen konnte.

Für meine I. Frau lese ich immer Grüße zwischen den

Zeilen. Leben Sie recht wohl, verehrte Freundin und behalten Sie lieb

Ihren CFM.

122

65. 29. Nov. 1883. Liebe Freundin, die flüchtigste Zeile nach einem langen Laufe durch den Herbstnebel vor. Postabgang.

Vor November-Mitte komme ich hier nicht los, wenn es überhaupt in diesem Jahre noch zum Steifen kommt. Ich beendige und expedire morgen meine zweite Novelle an die

Rundschau (Dec.-Jan.). Sagen Sie mir nicht, ganz frank und frei ein Wörtchen über die erste: „den Knaben"? Oder habe ich Ihnen die Corr. Bogen nicht zugesendet?

Es

geht mir gewaltig viel durch den Kopf und Ihre Briefe sind meine Bouffole. Frau Spyri empfiehlt sich Ihnen ganz

herzlich. Noch ein Wort über meine „Gönnerschaft". Ro­ denberg erkundigte sich aufs angelegentlichste nach Ihnen. Schreibt sie nichts Neues,

sagte er, so nähme ich gerne

etwas Aelteres, selbst schon Veröffentlichtes.

Ich schwieg.

Von der „Schnackenburg" sprach mir nachher Frl. —. Kaum mehr Platz zum herzlichsten Gruß!

C. F. M.

66. Weißenfels 23. 12. 83. Verehrter Freund,

Einen Gruß zum heiligen Christ und die wärmsten Wünsche

für ein frohes neues Jahr, Ihnen u. denen, die Sie lieb haben. Seit Abgang meines letzten Briefes u. Empfang Ihrer Antwort ist mir bei dem Gedanken an Sie gar nicht koscher zu Muthe. Nicht, daß ich so eitel wäre zu fürchten. Sie haben mir meine dumme Ehrlichkeit übel genommen; aber

etwas Ungehöriges mag ich doch wohl vorgebracht haben.

123 sonst hätten Sie mir die Correcturbogen auch des zweiten

Teils Ihres Mönches geschickt. Ich warte nun das Januar­ heft der Rundschau ab, lese dann die ganze Geschichte in

einem Zuge und schreibe Ihnen — trotz Allem und Allem! — „frank u. frei" den empfangenen Eindruck — denn zu einem Urtheil bin ich nicht angethan. Es ist ja eine prächtige Dichterkühnheit, den Dante zum Vorwurf zu nehmen, nur

— aber das habe ich ja schon gesagt; ich hoffe noch immer, daß auf irgend eine Weise der Dichter sich aus seiner secundairen Erzählerrolle zum Helden, Träger, Vermittler der

Geschichte entpuppen wird.

Ich habe kürzlich Manzonis Verlobte wieder gelesen. In meiner Jugend versuchte ich es im Italienischen, dessen ich nicht hinlänglich mächtig war — jetzt bin ich seiner völlig unmächtig, — die feine Laune des Vortrags ging mir dadurch verloren; Göthes freudige Bewunderung — eine seiner glänzendsten Eigenheiten das frohe Würdigen und Preisen alles Guterkannten! — war mir fast unverständlich.

Nach nahezu einem halben Jahrhundert lese ich das Werk nun wieder, diesmal deutsch. Unter uns: der Übersetzer--------

hätte seine Sache auch etwas geschmackvoller u. sorgfältiger machen können; aber--------- notwendig sparsame Honorare mögen wohl keinen Aufwand von Kunst und Studium ge­

statten.

Den plötzlichen Impuls gab mir unser Luthertreiben

und der novellistische Kampf gegen das katholische Priester-

thum, in welchen, Pardon! Sie, Verehrter, sich neuerdings etwas verbissen haben. (Der Heilige und Hutten gehören selbstverständlich nicht unter diese Kategorie.) Weiblicher

Oppositions- oder Gerechtigkeitssinn trieb mich, auch einen apologetischen Dichter und zwar den Berufensten, zu Worte kommen zu lassen. Denn so groß die Kunst ist, aus dem denk­ bar unscheinbarsten Motiv — von Haus aus ein Lustspielstoff!

124 — dem Walten der Naturereignisse vergleichbar, ein wahr­

heitleuchtendes, gewaltiges Zeitbild zu entwickeln, wir wür­

den uns mit Schauder von dem Realismus der geschilderten Gräuelscenen abwenden, wenn dieselben nicht durch die Idealität echter Priesterseelen verklärt würden. Dank dieser sonnigen Verklärung ist das Nachtgemälde ein erfreuendes

Gemeingut geworden und wird es bleiben, wennschon Breite und Anordnung der Darstellung dem Zeitgeschmäcke kaum

noch gemäß sind. Die Summa dieser meiner Salbaderei, die Sie gütig entschuldigen mögen, ist aber, nach meiner Meinung und nach der meinen nicht allein, daß das Priesterfeld dichterisch ab-

gewirthschastet ist und daß ich wünsche, ein verehrter, viel­ vermögender Poet von heute,

wolle seine Saaten künftig

auf einem andern Acker ausstreuen. Aber nun die liebe, kleine Kamilla!

Ist sie die böse

Krankheit los? Sie hätten sich mit dem Kinde und seiner Mama gleich in den Dampfwagen setzen und nach Bellaggio oder wenigstens Montreux sausen sollen; das hätte geholfen.

Das einzige Mittel die anstrengende Plage bald zu ent­ fernen, ist Luftveränderung. Sieben Meilen, so heißt es bei uns, genügen schon. Aus der Ebene in die Berge oder

vice versa. Wolle Gott, daß Sie das Fest ohne den An­ blick dieser Qual feiern dürfen. Wie viel Puppen bescheeren Sie denn dem Kinde. Vor mir liegt für meine Freundschaft ein bescheidenes Sortiment, dazu drei Heidis und etliche Robinsons, die unverwüstlichen.

Wenn Sie

einmal in

Gesprächslaune sind,

erzählen

Sie mir doch etwas von Ihrem Freund und Nachbar dem Grafen Plater, dessen Sie wiederholt in Ihren Briefen flüchtig erwähnt haben. Durch die Memoiren der K. Bauer ist die Aufmerksamkeit wieder vielfach auf den alten Revo-

125 lutionshelden gelenkt worden und ich bin wiederholt nach der Natur seines Verhältnisses

zu der Schauspielerin gefragt

zumal von Alten, die sie einstmals mitgefeiert haben, oder

die mit ihrer Familie in Baden in Zusammenhang gestan­ den? War sie wirklich seine Frau? Wer ist schuld an dem veröffentlichten Aergernis, er, sie oder der Biograph? Ich habe die Memoiren übrigens nicht gelesen.

Und

nun Gott befohlen,

verehrter Freund;

habe ich

Sie plumper Weise ein bischen verstimmt, tragen Sie mir es nicht nach in das neue Jahr; bleiben Sie der einsamen schwatzhaften Alten wohlwollend geneigt. Treulichst

Louise Franyois.

Ich habe vergebens in meiner öden Hiesigkeit danach

geforscht,

ob die zweite Auflage Ihrer Gedichte, die Sie

schon für den November in Aussicht stellten, erschienen sei? In der Buchhändlerzeitung soll noch nichts davon stehen.

Ist der Catarrh glücklich überstanden. Bantingen Sie ja nicht zu lange. Trinken Sie Emser Kränchen. Strapatzieren Sie sich nicht; Ihr Leben ist reicher und schöner als das von Millionen, hüten Sie es. Ich habe auch wieder verschiedenes von Renan gelesen

und mit Behagen. Hätte ich nicht schon so verschiedentlich gefragt, würde ich fragen, ob die unschmeichelhaste Schil­

deret, die Sie mir von dem Manne entworfen haben dem Schrifffteller gilt, oder dem Menschen etwa nach persön­ licher Kenntniß? Was mich besonders interessirte war dir

Kenntnis u. Würdigung deutschen Denkens und Wesens, die

er gewiß vor allen Franzosen voraushat. Freilich warm die Sachen sämtlich vor 70 erschienen. Ob er seitdem anders urtheilt?

126

67. Christtag 1883. Verehrte Freundin,

indem ich meine Briefe von 1883 ordne, 4/s derselben verbrennend, durchlaufe ich die Ihrigen, um sie sorgfältig aufzuheben und erstaune wie viel Freundschaft u. Liebe (und Dinte) Sie an mich gewendet haben. Ich schreibe heute

nicht lange, sondern fasse alles in ein Wort u. eine Zeile: Heil u. Segen! Wir feiern hier ein schönes, helles Fest mit Frühlings­ wärme und südl. Himmel. Zum ersten Male nach 4wöchigem

Stubengefängnis darf die kleine Milla, deren Keuchhusten sich

bessert, wieder ins Freie.

Sie singt heute den ganzen Tag:

Kumm, mer wend ge s' Stählt g'schaue In ere schöne Wknechtszkt Bin ere liebe Fraue, Wo m!s Jesuschindli lit. Id est:

Komm, wir wollen das Ställchm besichtigen In einer schönen Weihnachtszeit Bei einer lieben Frau, Wo mein Jesuskindchen liegt.

Ich schreibe Ihnen aus einem Trubel von Versendungen,

Rechnungen, Bescheerungen rc. Mit dem „Mönche" steht es nicht so schlimm als wir fürchteten. Er wird, trotz seiner Mängel, im Ganzen gut ausgenommen. den Schluß.

Ich sende bald

Ich wünsche von Herzen Gesundheit, nicht zu viel Ein­ samkeit, nicht zu viel Leute und jenes Reich des Friedens,

welches ich zwar nicht besitze, aber doch zeitweilig empfinde, ohne es mir erklären zu können. Ihr CFM.

127

68. Weißenfels 9/1. 83.*)

Verehrter Freund,

Den allerersten Dank im neuen Jahre und den aller­ herzlichsten Ihnen für zwei eigenste Gaben. Die Gedichte kamen noch im alten; ich erschrak ein bischen darüber, denn ich hatte in meinem letzten Briefe nicht betteln wollen, wirklich nur fragen, da ich sie bei unserm hiesigen Sortimenter bis dahin

vergeblich bestellt hatte, um einem treubefreundeten Lands­ manne, dem Professor Graefe — Augengraefe II — eine Weihnachtsfreude damit zu machen. Er ist einer der Modernen, die unter einer absorbirenden Specialität leiden, sich aber doch nicht von dem „Karrenschieben" loseisen können, und der es dankbar empfindet, wenn man ihm einmal etwas andere und

bessere Luft als die seiner Krankenzimmer zu athmen giebt. Neues habe ich — dank Ihrer mittheilenden Güte — nicht in der zweiten Auflage gefunden, mit Ausnahme des

prächtigen Lutherliedes.

Zumal der siebente Vers ist eine

Essenz. Das der Segen, welchen wir erst nach drei u. einhalb Jahrhunderten auf einem blutgettänkten, zerstampften,

brachliegenden Acker zu ernten begonnen.

Das Natürliche;

um den Preis des eminentesten Bauwerks, welches sich aus

der Uebernatur zur Unnatur entwickelt hatte.

Andere Völker

schnitten die Saat, die der deutsche Bauer Luther gesäet hatte, früher als wir; in unserem spröden deutschen Boden ging sie am spätesten auf, aber am tiefsten bestockt. In diesen Tagen feiern nun auch Sie Ihren Befreier; und

gewiß ist Ihr Zwingli eine vielseitigere, sympathischere Er­

scheinung als die des unseren; ebendarum aber würde ihm Luthers That nicht gelungen sein. Ich habe bisher ver­ gebens unter den Kundgebungen zu Ehren Ihres Helden *) Offenbar verschrieben statt 84.

A. d. H.

128 nach Ihrem Namen, Verehrtester, gespürt.

Warum schwieg der Dichter, der Historiker, unter seinen Landsleuten u. Zeit­ genossen der Berufenste zu Dank und Preis? An die Kürzung des „Doppelreigens" muß ich mich

erst gewöhnen.

Möglich, daß die Kunstform dadurch ge­

wonnen hat; mir waren die gleichsam personificirenden Strophen besonders wert und ich möchte, daß das Gedicht

auch in der ursprünglichen Fassung erhalten bliebe.

Zum Zweiten: der Mönch, den ich nun wiederholt in einem Gusse gelesen habe. Das Resultat, ein deutliches zweifaches Miniaturbild aus einer Zeit, von welcher ich so

gut wie nichts kenne außer der göttlichen Komödie und das, was ich von unserm Gregorovius gelernt und behalten habe. Sie schöpften aus reichen, vertraut gewordenen Quellen; jedes Wort spricht dafür, wie ein Pulsschlag der grausen

Epoche, in welcher Ihr Staufischer Lieblingsheld unterlag.

Um mit dem von Ihnen erwählten bildlichen Abschnitt zu

sympathisiren, müßte ich ein Menschenalter jünger sein als ich bin. Der kunstvolle Rahmen, wie Sie es nennen, ist mir zu reich für das Gemälde; der Dichter der Hölle, der Richter seiner Zeit, — dabei muß ich bleiben — zu groß

zum Fabulisten.

Ich zweifele nicht, daß Sie den Menschen

Dante treffenb gezeichnet haben, nach unserer überkommenen Schätzung jedoch erscheint er herabgedrückt.

Ich hatte die

Empfindung, als ob Sie den Stoff zuvörderst dramatisch er­ dacht und behandelt und erst nachträglich novellistisch umfaßt hätten. Bild und Bild giebt eine Scene, die auf der Bühne von äußerster Wirkung sein müßte.

Haben Sie gelesen,

oder gehört, daß Coppö — wohl der liebenswürdigste unter

den heutigen französischen Dichtern, — kürzlich eine Tragödie zur Aufführung hat bringen lassen, deren Motiv, als Er­

lebnis Ezzelins — von Ihnen

episodisch

erwähnt wird?

129 Bewußter Vatermord.

Allerdings in ein späteres Jahr­

hundert italienischer Wüstheit verlegt.

Soll ich nach Frauenart —

d. h.

empfindungsweise,

sonder Kunst und Studium — ein bischen an Einzelheiten mäkeln — frank und frei, wie Sie es gütigst gestattet haben,

so sei es das Folgende: Die Rede Dianens nach ihrer Zusammengebung durch den toten Alten — Pag. 16 des ersten Teils — würde mir

gedrängter, knapper, präciser mehr ihrem Wesen und ihrer Lage entsprechend dünken. Ihre Selbstkritik wäre, dächte ich, nicht am Platze. Liebe fordern und versprechen in dieser Stunde wäre mindestens geschmacklos — aber Treue um

Treue, Pflicht um Pflicht, die Mahnung paßt. Einem gegen­ über der die heiligste Treue und Pflicht vor ihren Augm

brach.

Demgemäß wäre es wohl auch der menschlichen

Logik — wenn auch nicht der weiblichen Natur — gemäßer,

wenn sie, die Frau, die Rache, welche Vater und Bruder versagen, persönlich ausübte, nicht an dem verhältnismäßig

schuldlosen Weibe, von ihr bereits beschimpften, sondern an dem beschimpfenden Verräter. Den Todesstreich Ihrer Lucrezia aus dem anderen Motiv.

Der armen Antiope

würde dann freilich wohl nur das Ende der Julia übrig­ bleiben; aber der an Hamlet erinnernde Wechselmord Astorres

und Germanos fiele fort.

Immerhin eine Leiche weniger in

dem grausen Spiel. Germano darf weiterleben. Rächstdem: könnte der Zufall mit dem rollenden Ring nicht etwas weniger künstlich ausgesonnen werden? Ich weiß freilich nicht wie. Aber sollte eine ausgiebigere Phan­ tasie nicht ein Medium finden, das schärfer einleuchtete und wohl gar als ein erster Akt der Schuld erschiene? An­ genommen, daß Sie den Vorwurf statt novellistisch dramattsch

ausgeführt hätten, wie würde diese Scene auf der Bühne FranyoiS-Meyer, Briefwechsel.

9

130 anschaulich dargestellt werden können?

Diese einzige (Scene

so nimmer; alle anderen springen in die Augm. So. Ich bin fertig. Alles in Allem: Ihr Mönch ist

nicht die Ihrer Novellen, die mir vorzugsweise gefällt; aber ich kenne unter unsern heutigen deutschen Dichtern keinen, der eine vorzüglichere schreiben könnte und wenn ich wünsche, daß Ihre Phantasie sich aus der gefangennehmenden düstern

Zone in eine lichtere einbürgerte, in eine, wenn nicht gegen­ wärtige, so doch der Gegenwart wirksamere Analogien bietende, so ist das eben weiblicher Gusto — weiter nichts.

An Papa u. Mama meinen herzlichsten Glückwunsch zu dem freigelassenen, singenden Töchterchen. Bleibe es heil von aller Qual so lange es Kind ist!

Es giebt kaum eine

schwerere als Kinder leiden zu sehen. Seltsam, daß der Keuchhusten für die meisten just nicht sprüngigen oder

brüchigen Naturchen ein Entwickelungsstadium bildet.

Haben

Sie in den Alpen auch das phänomenale Morgen- und Abend­

glühen eine Stunde vor und nach Sonnenuntergang erlebt? Mir war's ein Ereignis. Dazu Märztemperatur im Januar.

Ich habe heute Gänseblümchen beim Spazieren

gepflückt.

Eiszapfen werden, fürchte ich, im März nachkommen, wie

vorig Jahr, wo ich fußhoch im Schnee watete, als ich der Leiche meines guten Bruders folgte. Ich baue in stillen Stunden an dem Luftschloß, den Frühling Heuer zweimal zu genießen, will sagen nach einem

Sauser durch den Gotthard unter italienischem Himmelblau, dann wieder unter heimischem Nebelgrau. Es wird, wenn

überhaupt, indeß voraussichtlich erst im Spätsommer zu dem Sauser

kommen.

Manches Erforderliche muß zuvor ein­

treten; manches Gefürchtete nicht eintreten. nach Paris? Dank u. Gruß.

Wann geht es

Louise Franyois.

131

69. 20. Februar 1884.

Verehrte Freundin, Mein Leben vergeht wie im Geschwätz oder wie der

biblische Ausdruck lautet.

Verschiedene Umstände haben mich

seit Neujahr genötigt, mich ziemlich zusammenhängend an

unserm Stadt- und bes. Familienleben zu beteiligen. Nächstens werde ich nun auch in den ältesten (er ist vor der Refor­

mation gestiftet) Club von Zürich ausgenommen werden, da ich einen Anteil, einen sog. „Schild" geerbt habe, deren feste

Zahl (60) nie überschritten wird.

Die „Schilder" vererben

sich vom Vater auf den ersten Sohn, können aber in gewissen Grenzen auch verkauft oder testirt werden. Ich weiß nicht, ob ich zu alledem lachen oder weinen soll. Natürlich stellt sich allmählig auch des Weinens halber, das

Bedürfnis einer Stadtwohnung oder eines Wagens ein, beides fast unleidliche Uebel, schon wegen der Vermehrung des Ge­

sindes, welche ich soweit als möglich in die Zukunft hinaus­

schiebe. Sie werden zu diesen Klagen lachen, da sie die eines*) Begüterten sind oder gar eine böse Prahlerei durchfühlen wollen.

Dem ist aber nicht so.

Es sind sehr reelle Leiden.

Immerhin habe ich Raum und weiß mir ihn nötigenfalls selbst etwas gewaltsam zu verschaffen für meine Sachen auf dem poet. Webstuhle.

Der „Mönch", mit dessen Erscheinen in

Buchform es gar keine Eile hat, verschwindet hinter mir, und mich beschäftigt etwas Neues, kein ungefährliches Thema.

Daß ich es wiederum in alte Zeit (Charlemagne) verlege, hat seinen Grund darin, daß ich für meine etwas großen Ge­ stalten eine geräumige Gegend und wilde Sitten brauche, und nun will ich doch lieber ins Mittelalter als nach Asien gehen.

*) relativ, versteht sich, nach unsern schweizerischen sehr kleinen Verhältnissen.

132

Bismarcks Unterdrückung der Un. States Condolenz hat mich unwillkürlich lachen machen — obgleich sie mich eigent­ lich als geborenen Republikaner hätten aufbringen sollen.

Neulich schrieb mir Frl. Helme Böhlau von Jena, ob es wahr sei, daß wir Schweizer ein ungemütliches Volk wären.

In vollem Emst.

Es war eine Art Erkundigung, die sie

einzog für einen Einwandemngslustigen. Ist es wahr, verehrte Freundin? Sind wir ungemütlich?

Ihr CFMeyer.

Erstem, beim Verlaffen der Tonhalle, sagte mir ein Freund, er gehe nach Jtalim und auf der ganzen Heimfahrt beschäftigte mich das „Reisen" und auch der Gedanke, ob

Sie Ihren „Sauser", wann und wohin Sie ihn ausführen werden?

Nach Paris könnte ich jetzt leicht gehen aber 1. ist

das Frühjahr in Kilchberg herrlich 2. muß ich gerade heute furchtbare ©teuern zahlen weil ich rara avis, mein Haben ehrlich und redlich declarire 3. liegt meiner Frau gegen­ wärtig nichts daran, 4. habe ich selbst keine Lust und 5. bin ich wirklich in meiner Fabel glücklich, obwohl sie nur

langsam Gestalt gewinnt.

Nun noch eine Bitte.

Ich habe ein pompöses Album,

ich weiß selbst nicht mehr von wem, bescheert bekommen und möchte es wohl würdig füllen.

Der Raum ist beschränkt,

z. B. werden nur 4 lebende Geistliche ausgenommen. Dürfte

ich um eine Photogr. der Reckenburgerin bitten, womöglich: Cabinet-Format.

Es ist freilich

ein bischen aufdringlich.

Jedenfalls aber eine in Visitenform.

Die mir vor Jahren

gespendete wurde mir von einer Ihrer Bewunderinnen ge­ raubt, natürlich nur mittels guter Worte.

Ihr C. F. M.

133

Note zum „Club". Er nennt fich sehr unaesthetisch: „die Böcke". Zur Zeit (1444 ungefähr), als Zürich mit den übrigen Eidgenossen in Fehde lag u. dann Frieden schloß, wanderten 60 Züricher aus, sei es, daß sie den Krieg auf eigene Faust fortsetzen wollten, sei es, daß die Eid­

genossen sie, als ihrige enragirtesten Feinde vom Frieden ausschlossen. Endlich doch heimgekehrt, gründeten sie die Gesellschaft. Das ist die Legende. Vielleicht aber sind die 60 Schilde nur die ursprünglichen Anteile an dem ältesten Züricher Gesellschaftshause, „Zur Schnecke" dessen Gründung

noch weiter zurückliegt. 70.

Weißenfels, 28/2. 84. Ob die Schweizer, Derehrtester, ungemüthliche Leute sind, weiß ich nicht,

da ich keinen von ihnen persönlich kenne.

Ihre Dichter und Schriftsteller, so lange wir deren kennen, sind

es nicht,

selber Keller nicht immer ausgenommen.

Einer von ihnen jedoch hat kürzlich mir bewiesen, daß das Grundwort und Wesen der Gemüthlichkeit in ihm so gut bestellt

wie sein Urtheil ist, indem er einem jungen Blaustrumpf, als derselbe sich ziemlich wagehalsig auf die steile und staubige

Straße der Litterarhistorie lancirte, einen handlichen Stab zur Stütze gereicht hat. Ihr —drittel hat mich gefreut, fast wie eine mir persön­

lich erwiesene Gunst; er ist umgehend nach Wien gedampft, wo er der getreuen Ebner eine ähnliche Freude bereitet hat. Fräulein Doctor wird, denke ich, schon vor den Freun­

dinnen durch ihn beglückt worden sein. Die-------- kenne ich nicht; aber den Dichter habe ich in der Jugend gründlich gelesen, schon darum, weil er Byrons Freund war, unter dessen Zauberbanne ich dazumal blindlings stand. Wenn-

134 schon dieser ein halbes Menschenalter tot war, als ich seinen Namen zum ersten Mal nennen hörte, hat er mich durch seine

poetische Selbstverklärung unersetzlich geschädigt, indem er mir in meinem einzigen Balljahre, dem 18ten, allen Geschmack an meinen Tänzern, lauter Lieutenants, verdarb. Wo hätte sich einer mit meinem Childe Harold vergleichen können?

Auch Shelley kam neben ihm zu für;.

Sein Genius würde

mit der Zeit den byronischen überflügelt haben; aber er starb

ungereift und nur ein einziges seiner kleinen Gedichte, the

sensitive plant, lebt, selbst dem Wortlaute nach, noch deut­ lich in meiner Erinnerung. Des Dichters Pantheismus — Panidealismus wie Hartmann die alte Hypothese, im Grunde doch die einleuchtendste von allen, umgetauft hat — ist in

dieser tiefsinnigen Dichtung zu dauernder Schönheit ver­ klärt. — Bei der Ankündigung von — — dachte ich daher: „Most über Most"; nun freut es mich, von Ihnen

zu hören, daß der neue Most sich zu einem trink- und halt­ baren Weine abgeklärt hat. Sie waren also nicht in Paris — wie ich eigentlich im

Januar vermutete, — u. haben vor der Hand auch keine Lust hinzugeben. Wohl Ihnen! Der alte Professor Erd­ mann in Halle — ich glaube der letzte Hegelianer, d. h. von der äußersten Rechten u. ein denkbar liebenswürdigster Greis, — sagte mir verwichenen Herbst nach der Heimkehr

von einem Ausfluge nach Oberitalien:

„Es ist doch ein

Laster um das Reisen." Er meinte wohl unsere deutsche Reiselust. Ich habe lebenslang auch an dieser Seuche

laborirt; aber meinen Fieberdurst selten stillen dürfen. Im Grund gar nicht. Auch der geplante Sauser in den südlichen Frühling hinein ist aufgegeben. Die wenigen Menschen, die

ich noch „Angehörige" zu nennen habe, sind Wintersiechlinge u. unser nordischer Frühling soll erst entscheiden, ob ich mich

135 mit Ruhe aus ihrer Nähe entfernen darf.

Darf ich es und

bleibe gesund, dann mache ich mich etwa Mitte Juli in mäligen Etappen, Rhein und Schwarzwald entlang auf nach der Schweiz; nehme — falls ich sie vertrage — etliche Bäder in Ragatz, oder stärke mich auf einer Tour durch den Engaddin, dessen Lüfte bei uns für Ihre kräftigsten

gelten. Im Spätsommer möchte ich dann auf der Simplonstraße nach den Seen gehen und nach einem Blick auf Mai­ land durch den Gotthard Heimsausen.

So das Luftschloß,

das ein Athemhauch umblasen kann. Verwegen genug immer­ hin für eine alte, einsame, kränkliche Kleinstädterin, die durch­

aus keine Reisevirtuosin ist, der aber eine unsympathische Ge­ nossenschaft die Reisefreude jämmerlich beeinträchtigen würde.

Daß Bismarks Gebühren Sie lachen gemacht hat, ver­ Mich hat es nach der Indifferenz der Regierung bei L's Begräbnis nicht überrascht, aber verdrossen bitterlich.

stehe ich.

Ob es nun eine Naivetät oder eine bewußt ironische Ran-

cüne der Amerikaner war, — wegen des Schweinefleisches! mittelst der Verherrlichung eines Juden! — ein vornehmer Gewalthaber hätte, lachend wie Sie, der Kundgebung keinen Werth beigelegt und sie im Sande verlaufen lassen; während

durch einen kleinlichen Haß der Name eines redlichen, aber abgethanen Gegners zu einem historischen geworden ist.

Der kleine Lasker lebt fortan als Dokument von des großen Bismark Nichtgroßmuth.

Ist Ihnen die Sache auch so

erschienen, oder wie anders? Ich gratulire zu dem Fabelei, über dem Sie brüten.

Wenn doch ein Schweizer Adler — oder Geier daraus flügge würde, wie der Jenatsch. In der Heimat bewegen Sie sich am stolzesten. Ist Karl d. G. in der Schweiz gewesen, hat

er Spuren in ihr hinterlassen? bösen Dynasten geworden?

Was ist denn aber aus dem

136 Das Kabinetbild werden Sie nächstens direkt von Erfurt,

wo es gefertigt wird, (nach dem Disitenkartenabdruck) er­ halten. Erkmnen würden Sie mich nicht danach, wenn ich

Jhnm auf meiner Sommerreise zufällig begegnen sollte. Ich aber Sie zuverlässig auf den ersten Blick.

Aber was

soll denn Saul (nein nicht einmal Saul, nur eine Saulin) unter dm Propheten? Ich und 4 Geistliche ganz allein zwischen zwei pompösen Pappendeckeln! Seien Sie herzlich gegrüßt.

L. Franyois.

71. Mittemacht, den 11. März 1884. Verehrte Freundin,

Gestern langte die Phot, an, welche ich für einmal mir gegenüber in meinen Brieffächer steckte, und zuweilen sehr aufmerksam betrachte — jetzt bleibt nur noch das Letzte, daß ich Sie de facie ad faciem schaue, und wenn Sie hier

durchwandern, bitte ich Sie — und meine l. Frau bittet mit — sich hier ein bischen auszumhen. Sie werden hier zwischm den Zufällen einer Reise zu Hause sein. Ich muß mir etwas Sülle schaffen, diese Comitös und

Concerte und Soireen machen mich mittelmäßig, aber sehen Sie einmal: morgen gebe ich ein kl. Essen, übermorgen Gesellschaft jenseits des Sees bei meinem Schwager, am Vormittag ein Begräbniß, übermorgm ein feierlicher Bock­ empfang bei dem Obmann Georg von Wyß — ich habe Ihnen doch von den „Böcken" geschriebm? Sie mir aber kein Sterbenswörtchen darauf erwidert. Es ist seltsam, wie

der Umgang abschleist, nach wenig Monaten ist es mir un­

möglich, jemandem ein unverbindliches Wort zu sogen.

137

Aber daneben habe ich meine Novelle, sie spielt in der Schweiz.

Nie mehr als in diesen frühlingskräftigen Tagen

wurde mir das Schöne klar, und ich werde das Mögliche

tun. Ich mag davon aus dem sehr begreiflichen Aberglauben nicht schreiben, den Geist zu verscheuchen, den man mit „For­ meln" nicht citirt, sondern verjagt. Es sind hier wirklich Kräfte im Spiel, die wir nicht berechnen können. Anderer­ seits würde ich mich auch nicht wundern, wenn, wie int

Märchen, das Gold sich unterwegs in Staub verwandelte. Ich habe wieder viel Musik gehört, u. A. die Abend­ malscene aus dem Parcival, welche mir nicht gefiel, sie ist nicht ursprünglich.

Besser gefiel mir die Symphonie Romeo u.

Julia von Berlioz, barock, aber originell. Harmonie, darf ich etwas erzählen?

Dann — die

Nun die Harmonie ist

ein bürgerlicher Gesangverein: Männerchöre und gemischte Chöre. Ich wohnte der Probe bei. Auf einmal nach der

Pause, nachdem die Herren ein Paar „Biere" geleert, treten sie zusammen und intoniren vor ihren Gattinnen u. Töchtern,

mit Donnerstimmen: „Nicht gezeugt sein wäre das Beste" — es war der berühmte Chor des Sophokles — und unend­ lich lächerlich.

Beim Weggehen sagte ich zu dem Präsidenten

der Harmonie: ich hoffte, die Herren, die ein sehr gesundes Aussehen haben, hätten nur mit dem Munde, nicht mit dem

Herzen gesungen. Julian Schmidt hat in den Preuß. Jahrbüchern eine Art Essay über mich geschrieben, mit einer gewissen Vorliebe,

welche ich mir nicht erklären kann.

Die Wahrheit ist:

meine Sachen sind erträglich als Studien: die Werke müssen erstkommm. Und der so redet, ist geboten Ende 1825! Die heutige Allg. Z. bespricht Kellers Gedichte, nicht

lauter, ziemlich perfid. wer Keller ist.

Ich sage Ihnen einmal mündlich,

Sie wissen, ich halte ihn sehr hoch.

138 Diesen Brief überlesend, finde ich chn geistlos aber bon

enfant und voller Dankes und Freundschaft zu Ihnen, so mag er laufen.

Stets Ihr CFM. 72.

Weißenfels 9/5 84. Verehrter Freund, Seit Monaten herrscht hier unter den Kindern eine Augenentzündung — aber nicht die böse ägyptische — so

daß zu ihrer Wonne und dem Weh der Eltern die Schulen

geschlossen werden mußten.

Im Verlauf hat sie auch Er­

wachsene und sogar Alte ergriffen und auch mich — als Modedame — beschäftigungslos gemacht. Nicht lesen und schreiben zu dürfen, wäre nun ein paar Wochen lang gar

nicht so uneben gewesen, wenn der Frühling sich so lieblich

angefühlt hätte, als er sich mit den Augen ansah. Man hätte sich querfeldein müde gelaufen und je länger, je lieber

sich allgemach wieder heil geschlafen.

Aber bei diesem heil­

losen Ostwind — meinem Erzfeind — u. den wetteifernd ihn ablösenden Stürmen aus Westen, zu Hause hocken, selber

frierend sehnsüchttg in die frierenden Blüten draußen blicken, seinen Catarrh und außer ihm keinen andern Zeitvertteib als — ohne Brille — mit ein paar mächtigen Hornnadeln wollene Zacken stricken — das ist kein spaßiges Lenzesleben, wenn auch ein natürliches im siebenundsechzigsten pflegen,

Jahre. Fürchten Sie nun nicht, daß eine Ansteckungsbaccille aus meiner Tintenflasche sich auf Sie oder gar Ihre kleine Milly überträgt. Die Sache ist vorbei, und unsere ärztlichen Matadore glauben auch nicht an die Ansteckungsfähigkeit dieser

schmerzlosen und ungefährlichen, nur unbequemen Seuche.

139 Geibels Tod hat mich doch schmerzlich betrübt, obgleich ich lange darauf vorbereitet war.

Die schönen Menschen

sind nicht so dicht gesäet, daß man einen leicht entbehren könne und Geibel war eine schöne Natur, verwandt seinem Freunde Mendelsohn, nur nicht so ungetrübt heiter — weil dieser jung starb und jener ein Greis wurde. Eine in Lübeck

lebende Geibel Befreundete und Verwandte, die sich mir herz­ lich genähert hatte, hat um vielseitigen Heimatswünschen zu

entsprechen, mit ehrlicher Herzenswärme ein kurzes Lebens­ bild von ihm entworfen und bei Grautoff in Lübeck erscheinen lassen, darin auch Ihrer, v. F., erwähnt wird.

„Seine höchste Genugthuung war es, wenn ein moderner Dichter etwas geleistet, das ihn mit Begeisterung erfüllen

konnte.

Als er C. F. Meyers Roman der Heilige gelesen,

sagte er, er sei stolz darauf, daß dieses Meisterstück geschaffen worden und noch im letzten Herbst, da seine Kräfte bereits erschreckend abnahmen, äußerte er, daß er sich kein Gedicht

dieses Dichters, das zerstreut in diesem oder jenem Blatte erscheine, entgehen lasse." Er wird Ihnen das vielleicht selbst geschrieben haben; aber ich hoffe, es verdrießt Sie nicht, daß eine gleich große Verehrerin von Ihnen, Frl. Amalie Evers, ein bescheidenster

Blaustrumpf, aber ein sehr gebildetes Individuum, es auch anderen zu wiffen thut.

Gestern erhielt ich einen Brief mit dem Poststempel

Zürich.

Ich freute mich schon,

obgleich die Adresse von

fremder Hand war. Vielleicht von dem Herrn Sekretär. O weh! Unterschrift Emilie Kempin. Zürich — Enge.? Anfang:

„Im Namen der Redaction des „Philanthrop" frage ich Sie an" u. s. w. Was mag das um's Himmelswillen! für ein Organ sein,

140 das sich zur Vermittlerin ein derarttg neuerndes grammatikalisches Genie erwählt? Ich habe umgehend in die Enge geantwortet, daß nicht ich, sondern H. Spemann darüber zu entscheiden habe, ob meine Judith im „Philanthrop" wieder abgedruckt werden dürfe. Waren Sie in Paris? Etwa im April, wo es daselbst

am schönsten sein soll. Treiben Sie noch Banting? Original

oder mit homöopathischer Neuerung — Fett gegen Fett — die sich in der That bewähren soll. Ich halte es mit Karls­ bad oder Marienbad. Kommt mein Reiseplänchen im Hoch­ sommer zur Ausführung und führt der Weg nach Ragatz

über Zürich, was ich nicht gewiß weiß, — kommt übrigens auch nicht allzuviel darauf an, — dann hoffe ich Sie von Angesicht kennen zu lernen u. sicherlich auf den ersten Blick zu erkennen.

Ich freue mich aber schon auf Ihr langes

Gesicht, wenn sich Ihnen die alte, schwarze, ungeschickte Reisestümperin als Original des wohlig lächelnden, jugend­

lichen Bildes in Ihrem Album präsentiert.

Ich denke von

Ragatz dann die Jenatschstraße hinunter an die Seen zu ziehen, und endlich die alte Neugier zu befriedigen, ob der Himmel dort wirklich so viel blauer ist als daheim.

Sie

Leben Sie bis dahin wohl und bleiben mir freundlich gesinnt. aber. Verehrter, sollen mein Itineraire verfertigen.

L. Franyois.

Vor der Augenmisöre Verschiedenes von Renan gelesen, den Sie nicht leiden können aber ich sehr. Auch Merimöes Briefe an Panizzi. Schopenhauer deuffch.

Renan schreibt so gut französisch wie

141

73. Alles Liebe u. Freundliche voraus.

13. Mai 1884.

Würden Briefe anstecken, verehrte Freundin, so liefen Sie mehr Gefahr als ich, denn in Zürich — freilich nicht

hier oben — grassirt der Typhus und bei diesem Anlaß stirbt auch mancher andere ohne Typhus mit, z. B. vor wenigen Tagen der einzige Sohn von unserer Johanna Spyri

nach langjährigem Herzleiden. Ihre lieben Zeilen nach längerem Schweigen und ge­ heilten Augen haben mich gefreut, und ich werde das Mög­ liche thun, wenn Sie mich besuchen, dem Ideale zu gleichen, welches Sie sich von mir gemacht haben. Ohne Scherz, ich

denke, wir werden uns verstehen.

Immer habe ich die alten

Frauen, in Ehrerbietung gesprochen, lieber gehabt als die jungen,

und dabei fällt mir eine Bemerkung der Frau

Swetschine

ein,

Greisin haben.

daß die Franzosen keinen Ausdruck für

Vieillarde sagt sich nicht und vieille femme

ist etwas anderes. Die Posttasche geht ab.

Ich kann nicht überlesen.

„Anfragen" mit dem Accusativ ist Bundesdeutsch. redet u. schreibt man in Bern,

So

(Test une belle langue,

presqu’aussi belle que le Franqais federal. Im übrigen ist Pfarrer Kempin ein anerkannt braver Mann, ein Phil­ anthrop und Theophilanthrop (oder

Philolheantrop

oder

Theanthropophil oder Anthropotheophil) und sein Journal

ein in gemeinnützigen Kreisen geachtetes. „Enge" aber heißt eine hübsche Vorstadt, wo Keller lange wohnte (angenehmer

als er jetzt auf der andern Seeseite wohnt) und wodurch man auch nach Kilchberg fährt. Geibel war u. ist mir sehr lieb.

Jensen in der Allg.

142

hat ihn glaublich geschildert. Daß er meine Sachen mochte wußte ich nur ganz im allgemeinen, aber ich setzte es sozu­

sagen voraus.

Wildenbruchs neue Balladen sind sehr feurig.

Bei ihm ist Poesie — Blutwärme. Die Debatten über das Socialistengesetz haben einen großen Zug und einen dunkeln Hintergrund. Hier verwirft unser „Volk", conservativer als unsere Regierung, über­ haupt alle neuen Gesetze, und unbedingt alles, was Geld kostet. Ich brenne auf den Prozeß Kraszewski, da ich den

Mann persönlich seltne.*) Hier ist es schön, bes. mein weiter Rasen, welchen ich

ganz umstechen ließ.

Ihr M. 74. Weißenfels, 5/7. 84.

Verehrter Freund, Am 28.ten Mai ist in Wiesbaden mein letztes! Ge­ schwister gestorben.

Ein jüngerer Halbbruder, aber im Alter

mir nicht so fern stehend, daß wir nicht auf eine gemeinsame

Kindheit im mütterlichen Hause hätten zurückblicken können. Er war kein Freudig-Lebender, wennschon er manchen Anlaß

gehabt hätte, es zu sein; lange siechend ist er unerwartet rasch u. sanft gestorben, den Tod eines Glücklichen.

Wohl ihm!

Ich gehe nun nicht direct nach der Schweiz, sondern zunächst nach Wiesbaden, wo meine gute Schwägerin und

ihre Töchter, von dem jähen Schlage tief erschüttert, meine Gegenwart wünschen und wohin auch mich das Herz zieht.

Uebermorgen breche ich, so Gott will, auf, via Sonders*) So lange als möglich halte ich den mir sehr lieben Mann für un- oder wenig schuldig.

143 Hausen und Erfurt — eine Vetternstraße der Sorge —, und denke heute in 8 Tagen in Wiesbaden zu sein. Dort bleibe ich bis Ende Juli, wohl der äußerste Termin für eine Badecur in den Alpen. Am liebsten erreichte ich Ragatz ohne Aufenthalt in einem Sauser.

Doch wird das für einen alten Siechling

kaum angängig sein.

Ich werde mir von meinen Nichten —

zwei lieben jungen Mädchen — die erfahrene Schweizer Tou­ ristinnen sind, die für mich geeignetste Route angeben lassen. Was jenseit der Cur in Ragatz liegen soll, bleibe der Gunst oder Ungunst unberechenbarer Kräfte und Mächte über­

lassen. Zu den letzteren zählt ja neuerdings auch die Cholera, die sich leicht von der Seeküste an die Ufer der Seen, die

ich für den September im Sinne hatte, verbreiten mag.

Jedenfalls, wie man nicht nach Rom reist, ohne den Papst gesehen zu haben, denke ich die Schweiz nicht zu verlassen, ohne Dr. C. F. Meyer gesehen zu haben.

Den Rückweg

nehme ich über Zürich; auf dem Hinwege werde ich eventuel — nur daselbst übernachten dürfen.

Wollen Sie mir ein

Wort sagen, etwa über Ihre eigenen Sommerpläne, oder mir armen Reisestümperin einen guten Rat — zumal in

Betreff von Ragatz — geben, so adressiren Sie freundlichst

nach Wiesbaden L. v. F. bei Frau Majorin Herbst, Bahn­ hofstraße 8. — (Die

letzte

Eventualität — die mit dem

guten Rath — soll durchaus keine verschämte Erpressung sein.)

Die arme, arme Frau Spyri! Das ist doch wohl das härteste: ein einziges Kind lange leiden und endlich doch vor sich hinscheiden zu sehen. fromme Frau ist!

Gott sei Dank, daß sie eine so

Hoffentlich übertreiben unsere Zeitungen hinsichtlich Ihrer

Typhusheimsuchung und noch hoffentlicher sind Sie u. alle die Ihren frei von jeder Anfechtung geblieben. Neulich kam mein Doctor — den ich aber niemals befrage, auch wegen

144 Ragatz nicht befragt habe —, um mich vor einer Schweitzer

Reise zu warnen, da der gesundheitliche Zustand allda —

er wußte aber nicht speziell wo — höchst bedenklich sei. bange machen gilt nicht!

Nun,

Wir haben tropische Temperatur; ich bin vom Räumen und Scharwenzen — während meiner Abwesenheit giebt es eine Hauptreinigung der Mansarde, die sich übrigens seit dem Neubau gar stattlich ausnimmt — schachmatt und kann

kaum die Feder halten.

Gott befohlen L. Francois.

75.

Kilchberg bei Zürich Station Bendlikon Bahn Zürich—Glarus

22. Juli.

Verehrteste Freundin meinen herzl. Anteil an Ihrem jüngsten Verluste.

Ge­

schwister sind ein gutes Ding, besonders im Alter. Aber alles fließt und zerfließt, selbst die alten „Mansarden".

Ein Haus in Zürich, worin ich viel erlebt habe, ist so complet von der Erde verschwunden und das darin Erlebte ebenfalls.

Selig, wer ein zweites inneres Leben führt un­

vergänglicher Art. Diese letzten Sommerwochen sind mir schnell und ohne

145

Eindruck vergangen unter Besuchen und zweiten Bearbeitun­ Ich erschrak und be­

gen: Hutten ed. 5 und der Mönch.

greife nun, daß Sie erschraken über das Unkraut in dem Mönche.

Geläutert und gelichtet habe ich, ohne Abbruch

der Kraft, — so meine ich wenigstens. Neulich hatte ich Besuch der — —.

Sie schreibt jetzt

einen Essay über drei Engländerinnen, darunter die Elliot. Jetzt ist sie in Interlaken mit der Mutter.

Sie machte

mir, trotz einiger Nervosität, einen guten Eindruck. (Schluß und Unterschrift fehlen.)

76.

Ragatz—Pfäfers

den Isten August Mittag 12.

Verehrte Frau u. Gemahl,

Gestern Nachmittag glücklich hier angelangt in dichter Gesellschaft, die ohne Unterlaß kaute oder gähnte. Warum hat letztere so vielfach gerechtfertigte Expectoration für den tolerantesten Dritten immer etwas Empörendes? scheiden aber hinreichend bequem untergebracht;

Hier be­ nur eine

Treppe hoch ein Zimmerchen über dem Salon. Gute Ver­ pflegung, freilich theurer als ich bisher auf Reisen existirt: 13 Franc den Tag, selbstverständlich ohne Bad; Wein rc.

Aber diesem köstlichen, crystallhellem

Wasser bringt man

schon ein Opfer, zumal da man wieder einmal auf italienisches Himmelblau hat verzichten müssen.

Als ich unter Kilchberg

vorüber fuhr, winkte ich einer Gestalt zu, die ich oben vor dem lieben Haus zu bemerken glaubte. War's eines von Ihnen, oder nur der große Hund? Ich dachte den Jünger­ gruß: Friede walte fernerhin in diesem Hause und unter

seinen glücklichen Menschen. FranyotS-Meyer, Briefwechsel.

Während meiner Rückfahrt 10

146 nach Zürich — Mittwoch Abend — gerieth ich mit einem

unbekannten Berliner Ehepaar in Unterhaltung, das aus

dem Engaddin zurückkehrte, und mir freundlichst eine Menge

erwünschter

Auskunft

und

bot.

Hotelbilder

Der

Herr

gehörte offenbar der alten Raye an, die Ihnen so wider­

In Pontresma kein Unter­ kommen; dagegen hinreichend in Silva Plana, und sehr

wärtig ist, und mir gar nicht.

empfehlenswerth — aber kostspielig — (Rayemerkmal des Berathers) — in Maloja.

such

Er rieth zu einem Besuchsver­

in dem bescheideneren, aber lohnenden Churwalden.

Was sagen Sie dazu?

Hier ist's gefüllt, aber wohl nur

von Undeutschen; man hört keinen heimischen Klang, außer

vom Dienstpersonal. Ich muß schließen, denn mein erborgtes Schreibzeug im Lesezimmer wird anderweitig verlangt.

Mit warmem Dank

und Gruß treulichst Louise. Clotilde von Schwarzkoppen geb. von Francois (von der Sippe der Poetischen)

Wellengleich sind Deine Worte Ueber meine Seele hin Hingeglitten wie Accorde, Welche über's Wasser ziehn. In des Seelensees Tiefen Wurde eine Nixe wach. Dachte Frühlingsstimmen riefen Sie empor zum jungen Tag.

Denn Nach Nach Nach

sie war schon lange lüstern dem warmen Sonnensttahl, der Rosen Liebesflüstern dem Sang der Nachttgall.

147 Arme Nixe! bliebst Du lieber Unten, wo das Fischlein glitt; Der Dich weckte zog vorüber Und den Frühling nahm er mit.

Im Hotel National mit grausamen Material von der

alten Louise aus der Sippe der Vernünftigen aus der Er­

innerung niedergeschrieben.

Mit Dank und Gruß.

Etwas zu weiblich für Ihren Gusto aber, nicht wahr,

doch schön ausgedrücktes Erstlingsgefühl eines siebzehnjährigen Mädchens.

77. 2. August 1884.

Kilchberg. Verehrte Freundin Ihre Zeile von Ragatz hat uns beide gefreut, wir

wünschen gute Kur u. andauerndes Wetterglück. Die gute Frau Oberst Ziegler hat bedauert, Sie nicht gesehen ;u

haben und als ich gestern bei Forstmeister Orelli von Ihnen sprach, gerieten zwei anwesende Frau Forstmeisterinnen in

gewaltigen Aufruhr: beide kannten Ihre Schriften.

sind Sie recht heimlich und deutlich geworden. Sie mir längst.

Mir

Lieb waren

Ich muß Ihnen doch gelegentlich ein Buch

von Eliza Wille senden. Aber Freundin, was denken Sie, daß ich die Semiten

nicht möge?

Ich bin — wissentlich — einer Ungerechtigkeit

nicht fähig, aber man darf doch schimpfen — mir lag eigent­ lich der ganze Literatur-Markt, jüdischer und christlicher im Sinne, und auch der verdrießt mich nicht arg. Was gehts

mich an? A propos, hat Goethe etwas über die Juden gesagt? Ich erinnere mich nicht aber unterschreibe blindlings. Uebrigens

io*

148 hat Sie der fragliche Jude gut beraten.

Churwalden, heim­

lich auf erster, frischer Bergesstufe, scheint mir etwas für eine friedliche Seele zu sein. Im Engadin sind die Maloja-

HStels kaum anzuraten, dagegen Silvaplana u. eher noch Sils-Maria (zwischen Maloja u. Silva-plana) Die Verse sind hübsch. Bitte mehr! Schreiben Sie ja, wohin Sie sich wenden und behalten

Sie lieb

Ihr Kilchberg.

78. (Postkarte.)

Ragaz 11/8 84.

Quellenhof.

V. F.

Donnerstag, den 14ten, so Gott will, reise ich ab. Die Wärme der hiesigen Luft u. des Waffers möchte mich leicht für das herbere Engaddin unfähig machen. Den ersten

Tag bis Chur oder Churwalden, den nächsten so weit ich vor Dunkelwerden gelange; ich hoffe Silvaplana.

bleibt Pontresina.

Das Ziel

Klüger und hungriger — Zweck meiner

Hiesigkeit — bin ich nicht geworden; aber gefallen hat es mir.

Das deutsche Element hat sich auch qualitativ durch

zwei reelle Excellenzen gehoben: unsern ersten Richter — Präs, ©[imfoit] (heute abgereist) und unsern ersten Stra­

tegen Gf. Msoltkej beide meine Tafelgenoffen zu bürgerlich deutscher Stunde.

Bekannt bin ich natürlich nüt keinem

Menschen geworden, selbst mit meinen Tischnachbarn nicht soweit, daß ich ihre Namen wußte. Ehe ich Ihre Heimat

verlaffe, sage ich Ihnen Lebewohl, heute nur noch einen Gruß in dankbar froher Erinnerung. L. von F.

149 79.

Weißenfels, 12/9. 84.

Verehrter Freund, Nach zweimonatlicher Abwesenheit bitt ich in meine Klause zurückgekehrt — ohne Italien betreten zu haben. Im Nieder­ blick von Malöja-Kulm habe ich einer nahezu sechzigjährigen

Hoffnung auf immer — d. h. ja nicht mehr auf lange, — Valet gesagt und werde ich mich bemühen, allmählich auch

mit der alten Sehnsucht — einem germanischen Grundleiden, aber einem löblichen — fertig zu werden.

Das Engaddin hat mich auf den ersten Blick enttäuscht, wennschon ich das herrlichste Wetter hatte und meine Station

in der Mitte von Maloja und Pontrestna — Silva Plana — wohl gewählt war.

Die Reisebücher nennen es das höchst­

gelegene und großartigste der bewohnten Alpenthäler; ich

dachte mindestens an das Chamounix; da fehlte mir dann

nicht nur der Magnetiseur Montblanc, sondern die beiden einschließenden Bergketten — (Julia u. Bernina, nicht wahr?)

kamen mir gar nicht von imponirender Grandiosität vor mit einziger Ausnahme des Morteratschgletschers, den ich

mir selbstverständlich nur von unten angeguckt und an dessen

Eis ich geglaubt habe, ohne es zu schauen.

Statt der ver­

fehlten starren Größe prägte sich mir nun aber von Stunde

zu Stunde ein Landschaftsbild ein von ungeahnter Anmuth und nordischem Frieden, gemahnend wie ein Idyll Tegners und in der Erinnerung sogar im Traume — unvergeßlich lebend

in seiner klaren Lust, seinen wunderbar schillernden Wasser­ spiegeln in ihrer dunklen Föhrenumrahmung, die hier und

dort — Sils Maria und Pontrestna — ein weißes Amphi­ theater überragt. Ein Gewinn für's Leben. Ich hätte länger bleiben sollen als kaum eine Woche; aber das Wetter

150 schlug um und die wehmüthige Entsagung auf der Schwelle des gelobten Landes wirkte heimsüchtig. Auch die Auffahrt von Chur aus allein im offenen Ein-

spännerchen mit einem prächtigen Fuhrmann als Cicerone

Den ersten Tag bis Thusis. Am zweiten kam ich auf die Jenatschstraße; der Schloßruine und dem war köstlich.

Kloster der Plantas wurde ein Gruß zugewinkt und die beiden Säulen auf dem unwirthlichen Julier waren mir interessante Bekannte. Der Rückweg über die Lenzer Heide war weniger anmuthend und in Churwalden brach das seit

gestern drohende Unwetter los. Summa Summarum: meine heurige Schweizerreise hat mir einen unvergänglichen Doppel­

eindruck hinterlassen.

Das Landschaftsbild, mit dem sie

schloß und das Heim der theueren, glücklichen Menschen auf

Kilchberg, mit deren Bekanntschaft ich den Anfang der Reise datire. Sonst habe ich, meiner Art gemäß, keine weiteren

gemacht, wenn ich meine wechselnden Tisch-Nachbarn — nach Auch von Eindrücken irgendwelcher Art — wie vorig

Kellner-Anordnung — nicht dazu rechnen will.

künstlerischen

Jahr in München und Bayreuth — war Heuer keine Rede, denn das Denkmal auf dem Niederwald hinterläßt vor­ wiegend den eines wohlbenutzten natürlichen Rahmens.

Abschließend, wie einleitend, verweilte ich wieder einige Zeit bei meinen trauernden Verwandten in Wiesbaden, der zierlichen, heiteren Caravanserei, dessen einzig wirklich schöne Punkte waldumrahmte Friedhöfe sind, der allgemeine und der russische, die rechte Scenerie für Ihren Doppelreigen! Den habe ich meinen jungen Nichten, die von dem Naturrecht

der Jugend nichts missen wollen, und das Wiederaufleben

nach dem Niederschlag des ersten Todesschmerzes schier für Sünde halten, vorgelesen.

Sie sagten: „das ist schön" unb

ließen die Köpfe hängen nach wie vor.

151 In die Heimath habe ich einen starken Catarrh mit­ gebracht und alle Hände voll zu kramen und nachzuholen ge­ funden. Thörichter Weise und nicht blos aus Müdigkeit,

den Sinn für das Spazierengehen — früherhin meine ge­ nügsame, aber bei Wind Wetter tägliche Freude verloren. Ich muß die Berge erst wieder vergessen lernen. In der

Einsamkeit meiner vier Wände ist mir jedoch heimisch wohl

wie sonst.

Das Alter verträgt den Wechsel nicht mehr

leicht. Es braucht einen Ruheplatz. Ich glaube, daß ich meinen Koffer nicht wieder packen werde.

Und wie ist es Ihnen und den Ihren in der erwählten

Sind Sie wohlbehalten mit gestärkter Schaffensfreude heimgekehrt? Sagen Sie Ihrer sehr lieben Alpenstille ergangen?

Frau das wärmste Wort von mir, das Sie passend finden

und grüßen auch das treuherzige, frohe „Kindli" von der

alten Kinderfreundin aus dem Norden.

Gott behüte Ihnen

dieses Glück. Vergessen Sie nicht Ihre aufrichtig ergebene

Louise Fr.

Die Fahrt von Silva Plana bis Churwalden machte

ich in offenem Postbeiwagen mit einer Schweizer Familie; zwei jungen Männern und ihrer Mutter einer feinsinnigen,

angenehm gestimmten Frau, Freundin von Fran Spyri, von

der sie mir manches Gute und Liebe mitteilte, obgleich sie im

Grunde wohl keine Mittheilerin war.

Das soll ja auch nicht

Schweizer Eigenart sein.

Frage: Dachten Sie sich die Mordschenke des ersten auf Maloja Kulm? Da wo jetzt das größte Hüte! der Schweiz mit allem Zubehör von Luxus rc. ent­

Kapitels

steht?

152

80. (Borgedruckt: Fridolin Stähli-HöSli.

Hotel und Pension Richtsau Klönthal)

18. Sept. 1884.

Meine verehrte Freundin, ich bin noch nicht zurück, schon die fünfte Woche halten mich die Berge und ich rüste bei diesem Wetter, welches nur ein Meer von Licht ist, sehr

langsam die Heimreise. Ihre Engadiner-Eindrücke haben mich unendlich geheimelt.

an­

Das ist ja mein Thal, wie Sie es beschreiben.

Den Gasthof in Silvaplana, den Sie bewohnten, habe ich, ein Nebenhaus bewohnend,

Speisesaal setzen sehen.

bauen und die Spiegel

im

Später habe ich dort wiederholt

und lange Wochen eingekehrt, auch noch den Tag vor dem

Sturz aus dem Wagen, welcher mir dann das Engadin ein

bischen verleidet hat.

Nicht eigentlich verleidet, sondern —

Sie wissen — ich bin ein wenig abergläubig.

Wie manchmal

bin ich über die Brücke nach dem verfallenen Dörfchen Surby

gewandert und was macht mein alter Corvatsch, der doch ewigen Schnee auf seinen Flügeln trägt, denn Corvatsch

(corvaccio) heißt nichts anderes als der große Rabe (corvo). Hier in Klönthal ist das Bild ein anderes. Wir sehen aus einem schönen Bergthal mit herrlichen Ahornen, welche ihre Zweige wie Kandelaber strecken*), den siebenzipfligen Glärnisch dicht vor uns, von der Sohle bis zu den sieben Spitzen wohl 6000' aus dem Thalgrunde aufsteigen, der­

selbe Glärnisch, welchen ich aus meinem Kilchberg in der Mitte meines Gesichtskreises erblicke.

Das Gasthäuschen hier

hatte eine ganz angenehme Gesellschaft versammelt, Vornehme und Geringe und mittlere Leute meinesgleichen, und constant ♦) Meyer veranschaulicht den Satz durch eine eigenhändige Zeichnung. A. d. H.

153

herrschte ein hübscher Ton anständiger Gleichheit.

Jetzt ist

alles verrieselt und verronnen, wir sind nahezu die Letzten.

Ich mußte bei Ihrer Verredung nicht wieder zu reisen, an das französische Sprichwort denken: II ne saut jamais

dirc: fontaine je ne boirai plus de ton eau! Wenn ich einen Wunsch thun dürfte, wäre es wohl, neben 9 mehr oder weniger fleißigen Monaten jährlich je wieder drei (Juli—Sept.) in den Alpen zu verleben, die ja

am Ende mein Eigentum — meine Heimat sind und denen ich ohne Vergleich meine glücklichsten Tage danke. Milly klettert ganz famos, und meine Frau ist mit ihrer

Leidenschaft für die Landschafterei stets reisebereit — insoweit kein Hinderniß, aber ist es klug, überhaupt zu wünschen?

Ist es fromm? Leben Sie recht wohl liebe Freundin

Ihr M.

81. Weißenfels, 11.,10. 84. Verehrter Freund!

Die erste Zeitschrift, die ich nach meiner Heimkehr zu durchblättern Muße fand, war das Märzheft der preußischen

Jahrbücher mit Julian Schmidts Essay über C. F. Meyer.

Daß derselbe mich — zumal von diesem vielfach ablehnenden Kritiker — wahrhaft freute, daß ich ihm im Wesentlichen

von ganzer Seele zustimmte, brauche ich Ihnen nicht zu

sagen; ich habe es Ihnen ja wiederholt merken lassen, daß

ich Sie schlechthin für den einzigen Dichter der Gegenwart halte, der über hundert Jahre noch Leser finden wird, und vielleicht mehrere als heute, wobei ich freilich immer auf das Culminationsstück rechne,

das Sie uns noch schuldig

154 sind und mit gutem Willen abtragen können und werden.

Den Vergleich Ihrer Grundnatur mit der Kleist's kann ich dagegen nicht gelten lassen, schon weil ich diesen Unglücks­ menschen nicht leiden kann.

In seinem Leben, Dichten und

ganz besonders seinem Sterben ist und bleibt er mir ein Halb­ barbar, wenn auch ein genialer. An Ihre etwas „wilden"

Antecedentien glaube ich nicht; Sie haben gewiß allezeit unter dem Gesetz des Maaßes gestanden und sind von der Natur für das Glück bestimmt gewesen, das Sie in Kunst und Leben

heute genießen und das Ihnen noch lange erhalten bleiben möge. Lassen Sie sich diesen Wunsch immerhin gefallen; —

(jener nachhinkende Bote hat mich wissen lassen, daß morgen

Ihr Geburtsfest ist) — wennschon Sie Ihren letzten freund­ lichen Brief mit dem Zweifel schließen: ob wünschen weise

und ob es fromm sei.

Warum denn nicht, Verehrtester?

Mindestens nicht das letztere; mögen die frommen Wünsche auch wenig frommen, d. h. wirken, dem der sie hegt sind

sie Wohlthat und Ersatz. Ein Leben ohne Wünsche, ist das nicht halber Tod? Vor diesem Altersloos bewahre Sie der

Himmel noch lange Zeit bis in Ihre letzte Stunde.

Und

ein so bescheidener, leichterfüllbarer Wunsch wie der eines sommerlichen Aufenthalts in den Hochalpen,

Sie lächeln

wohl selbst über diesen Zweifel!, wie sollte der für einen

unabhängigen Schweizer auch nur unweise sein?

Klimmen

und schwingen Sie sich in froher Hoffnung und in der That wie Sie bisher geklommen sind und sich geschwungen haben — nur den Armbruch erspare Ihnen der Geist Ihrer Berge.

Ihr Nachbar Glärnisch soll bereits eine Schneehaube tragen; die werden Sie nun wohl nur noch aus durchwärmter

lieber Heimstätte betrachten.

Ich sehe dieselbe deutlich vor

mir in warmer Erinnerungsfreude.

Gewundert hat mich in derselben, daß Sie sich Ihr Brutnest nach der Seite ein-

155 gerichtet haben, die keinen Fernblick gestattet. Wollten Sie Ihre

Jnnenblicke auch nicht durch Firnenleuchten zerstreuen lassen?

Ich bin nun so ziemlich wieder im gewohnten Schick,

spaziere ohne Unbehagen und Ungenügen in meinem be­ scheidenen Thale, denke nicht mehr mit Verdruß an das unerreichte Bergell und Veltlin. Noch ein wenig Spannkraft mehr und ich begebe mich vor Winterseinbruch auf ein paar

Tage nach Halle, wohin mich die alten, treuen Heimathsfreunde und manche neugewonnenen als eine jährliche Gerecht­ same Tag für Tag entbieten.

Es wäre ohne Zweifel das

Verständigste für mich. Jener Drängen nachzugeben und ganz in die größere Nachbarstadt zu übersiedeln.

Ich fände dort

Zuspruch die Fülle mancherlei Anregung und last not least:

für kaum vermeidliche böse Tage treffliche Kranken- und Siechenstätten.

Dennoch werde ich mich schwerlich zu diesem

Wechsel entschließen.

Die liebe Gewöhnung und die liebe,

liebe Einsamkeit hängen mir an.

Der Hallesche Universitäts-

bibliotheker, Dr. Hartwig, mein freundlicher Gönner und im Winter mein geistiger Speisewirth, hat mir als erste Portion

den Hadrian des Gregorovius und Ihres Bluntschli Memoiren versprochen. Ich lese Biographien mit Vorliebe und Selbst­

biographien ganz besonders. herzlich gerührt und beschäftigt.

Jüngst hat mich eine solche Eine die über hundert Jahre

alt, von der Welt so ziemlich vergessen nnd ihrem Grund­

wesen nach mir unverständlich ist.

Jung Stillings!

Wie

könnte Unsereiner an seiner Wahrheit und seinem Rechte

leisestens zweifeln? und doch, wer, wenn er verwandte Er­ fahrungen machte — und wer machte sie stärker oder schwächer

nicht? — würde ihnen nicht eine Deutung geben, die der

seinigen schnurstracks widerspräche?

Würde nicht Impuls

oder Naturtrieb nennen, was er göttliche Eingebung nennt; notwendige Wirkung, was ihm wundervoller Eingriff ist.

156 Hochmuth vielleicht, was ihm Demuth scheint, sich über­ schätzende Anmaßung, wenn nicht gar Leichtsinn, seine Zuversicht in Hülfe von Oben, bei dem persönlichsten Thun und Lassen. Wie seltsam muthet uns danach und daneben

Dichtung und- Wahrheit an; aber welcher Gewinn für uns Deutsche ist es, daß wir zwei solche divergirende und sich

ergänzende Zeit- und Lebensbilder haben! Und daß die beiden verschiedenartigen Zeitgenossen herzliche Freunde sein

konnten; daß wenigstens der Eine den Andern von Grund aus würdigen verstand; daß beide zu den selten Glücklichen

gehören. Welcher von beiden aber war der Glücklichere? Der Geisterseher, oder der Geistentbinder?

Während dieser beweglichen Lectüre ist mir von neuem der Wunsch aufgestiegen, welcher mich schon über der Ihrer Gedichte, die Ihrem Kunstwesen doch die eigentliche Signatur geben, lebhaft angewandelt hat. Auch Sie sollten Ihr Leben

beschreiben; es müßte ein Mittelglied bilden zwischen Jung

und Göthe; so einfach und ehrlich sein wie das des Religiösen;

so reich gegliedert und kunstschön wie das des Universalen. Thun Sie es doch. Verehrter; es gibt ja Stunden, in welchen der Fabelgenius schweigt und die Vorstellung neue Gestalten

nicht auszureifen vermag. Die Denkkraft aber ist rege; lassen

Sie dieselbe die Erinnerung verdichten. Ich weiß, was in Ihrer Lage die Sache schwierig macht. Der Familienzusammenhang, das Schonung fordernde Geschlechts- wohl auch Gemeinde­

gefühl.

Aber hat das Göthe, hat es auch Jung nicht zu über­

winden gehabt und sind doch wahr gewesen, ohne wehe zu thun?

Ich will nun schließen und dies breitspurige Schriftstück gleich noch selber in den Kasten werfen.

Vielleicht erreicht

es Sie noch am Abend des sonntägigen Festes. Früh wird das „Kindli" sein Berschen gebetet haben. Gott behüte Ihren Liebling.

Ihnen gewähre er ein erhaltsames Jahr der

157 Schaffensfreude und uns die Früchte desselben.

Ihrer lieben

Frau einen herzlichen Gruß. Louise Franyois.

Während des überlesens ist aus dem wohlbeabsichtigten Glückwunsch ein Scheusal von Wisch geworden. um das andere ein falsch ausgedrücktes.

Ein Wort

O, über das Alter, das leidige dummmachende Alter!

82. Weißenfels, 16./11. 84. Verehrter Freund!

Verzeihen Sie die Verspätung des Danks für die beiden

neuen Bände, die mir auf Anlaß Ihrer Güte von Ihrem Verleger zugesandt worden sind. Ich fand sie bei der Rück­

kehr von Halle, wo ich nach altem Herkommen einen Herbst­ besuch bei treuen Heimathssreunden abgestattet hatte. Die Freunde und wiederum deren Freunde sind mehr als gütig gegen mich gesinnt.

Ich könnte wahrscheinlich nichts Ver­

ständigeres thun, als ihrem Zureden nachgeben und ganz nach der größeren Stadt übersiedeln. Ich fände dort Rath und That und was für die einsame Alte besonders ins Gewicht fallen müßte, — in kaum vermeidlichen Krankheitszeiten die bewährtesten Heil- und Siechenstätten.

Dennoch werde ich mich niemals zu dem Wechsel ent­ schließen können. Es giebt keinen so verwöhnenden Umgang als die Einsamkeit. Für die Jugend kann sein, eine verderb­ liche Gewöhnung, für das Alter gewiß eine löbliche. Auch diesmal kam ich von der wohlgemeinten Unruhe ziemlich elend

nach Hause und wurde durch unerquickliche kleine Häuslich­ keiten noch elender. Für die — „immer alleinige" — wie wir

158 Sachsen sagen, Mansardenbewohnerin klingt das wohl komisch, ist aber — und gerade darum — leider wahr. Nun allgemach komme ich wohl wieder in das gewohnte Schick und zu der Muße Ihre neuen Auflagen — wie mich die fünfte freute!!!

Für heute daher nur Frappirt hat mich die Widmung

— mit den früheren zu vergleichen.

meinen allerwärmsten Dank.

des Mönchs an den toten Laube. Kannten Sie den lebenden? Hielten Sie ihn als Menschen oder Dichter und Schriftsteller besonders werth? Mit dem Bühnenmeister hatten Sie doch wohl nichts zu schaffen?

Durch die Fürsorge des Halleschen Universitätsbibliothekers

Dr. Hartwig — meines geistigen Speisewirths und Nähr­ vaters — sind mir der Hadrian unseres Gregorovius und die Memoiren Ihres Blunffchli zugekommen. Der erstere hat mich — wie alles von diesem Autor — erquickt und

bereichert.

Konnte an Thatsachen über den Lebenslauf des

kunstsinnigsten und schönheitssüchtigsten

aller Kaiser auch

wenig Neues vorgebracht werden, der Adel des Vortrags, die ahnungsvolle Deutung des Räthsechaften übten einen

erhellenden Zauber und das Gesammtbild der Hadrian'schen

Epoche gewährte der Laiin mannichfache Belehrung.

Wie anders der moderne Biograph in seiner behaglichen Breite. Ich bin erst im Anfang der Münchener Zeit, glaube aber, daß der erste Band mir der interessanteste bleiben wird.

Stimmungen, Personen, Zustände, Ereignisse, die ich, wenn­ schon aus weitem Abstand, aber mit jugendlich lebhaftem

Anteil sämtlich miterlebt, das ganze Ringen der vormärz­ lichen Zeit, wurden in veränderter Färbung und Beleuchtung gleich Traumbildern in der Erinnerung wach.

Die Gestalt

eines tüchtig strebenden, klar und selbstbewußten Mannes, eines ächten Schweizers, richtete sich auf. Die Beziehungen zu Ihrer Familie, verehrter Freund, wirkten tief bewegend

159 auf das Gemüth. Eines jedoch ist mir unverständlich ge­ blieben, und just das, wofür der Freund Verständniß zu

erwecken, oder beleben, sich zur Aufgabe gestellt hat.

Die

Ich wußte von demselben kaum Das, was über seine Lehre vorgebracht wird,

Persönlichkeit Rohmers.

den Namen.

erschien mir entweder nicht neu, oder phantastisch-abstrus und die Persönlichkeit blieb schattenhaft. Charakteristisch zu ge­ stalten versteht dieser poetische Rechtslehrer nicht. Hat Rohmer in Ihren Augen die Bedeutung, die jener ihm giebt? Für

die Mitwelt scheint er ein Vergessener.

Ich nahm meine

Zuflucht zum Conversations-Lexikon, aber weder Meyer noch Brockhaus erwähnen ihn.

Ich lernte in Halle auch einen jungen Schweizer, den juristischen Professor Brunnenmeister, bis vor Kurzem in

Zürich,

flüchtig kennen.

Herrn.

Für die Schweiz habe ich mich auch allezeit inter-

Einen frischen, liebenswürdigen

essirt; seit ich Sie kenne, interessire ich mich auch für die — Die alten Augen versagen. Gute Nacht,

Schweizer.

Verehrter.

Herzlichen Gruß und nochmals Dank. L. F.

83. 11. Dez. 1884.

Sie werden es sich gesagt haben, verehrteste Freundin, daß Ihre lieben letzten (jetzt schon bald monatalten Zeilen)

nicht ohne triftigen Grund bis jetzt unbeantwortet geblieben

sind. In der That, ich war nicht schreibfähig, und hatte mir durch eine verspätete Jugendlichkeit nach Art der älteren

Herren (Nachtfahrt in offenem Wagen) ein tüchtiges Fieber geholt. Ein Anfang ziemlich starker Beteiligung am Stadt­

leben wurde dadurch unterbrochen, doch hoffe ich unterdessen

160 wieder gesund zu sein und bin es eigentlich jetzt schon, nur noch ein bischen fade vom Schwitzen und Theetrinken. In­

zwischen hat sich freilich manches gehäuft, unter anderem ein Aktenbündelchen über den Mönch. Dieser ist Laube gewidmet, zuerst meines Verlegers wegen,

der weiland — als verschämter Laufbursche — von Laube in Leipzig hervorgezogen und ermutigt wurde.

Aber auch mir

hat dieser — und zur Zeit als noch kein Hahn nach mir krähte — gelegentlich trotz diametraler Verschiedenheit der Naturen — Liebes erwiesen. Mir, der ich meine Gegensätze liebe, war

sein Realismus und sein resolutes Wesen stets höchst angenehm. Die Einsamkeitsfrage wage ich nicht zu lösen. Richtige wird sich aber schon finden.

Das

Man muß nur nichts

gewaltsam machen, sondern die Dinge machen lassen, die

klüger sind als wir. Bluntschlis Denkwürdiges hat hier und in Deutschland

vielfach gestoßen.

Mir hat es der Mann einmal angethan

durch seine Naivität, die groß ist.

freilich nichts,

Mit Rohmer ist es

aber gerade Bluntschlis verblendete Opfer­

willigkeit ist ein seltener, fast idealer, jedenfalls mutiger Zug.

In meinen Zuständen habe ich natürlich viel gelesen, unter anderm in der neuesten Nummer des Pariser „Correspondant"

einen

ganz

allerliebsten Briefwechsel

(reinster

Louis quatorze) zwischen dem famosen Kanzelredner Mas-

caron und Frl. von Scudöry, woraus erhellt, daß das hoch­ gestimmte Fräulein an der berühmten Rede auf den toten

Turenne ein bischen „geholfen" hat. Ich habe das hoch­ herzige Fräulein, welches übrigens schon der „Gespenster­ hoffmann" in einer seiner Novellen gefeiert hat, trotz Boileau,

immer hoch gehalten. Feste?

Bekomme ich noch ein Briefchen zum

Herzlich

M.

161

84. Weißenfels, 30./12. 84.

Das war eine betrübliche Ueberraschung, Verehrtester, die

Ihr Brief brachte, und sorgliche Gedanken ziehen in ihrem Gefolge. Nicht ein einziges Mal war mir eingefallen, daß Sie krank sein könnten, als Sie mich ungewohnt lange auf ein Lebenszeichen warten ließen.

„Er hat etwas Besseres

vor, das Viele außer Dich erfreuen wird", meinte ich; ein paar Mal turbirte mich auch die Vorstellung, ich könnte — nicht in meinem letzten Briefe, aber in einem früheren von

Anfang Oktober — etwas Ihnen Verdrießliches — nicht

blos Sie langweilendes — geschwatzt haben.

Freilich wußte

ich nicht recht was; und daß es nur ein weibischer Zungen­

fehler gewesen wäre, würden Sie mir zugetraut haben; aber

just mit solchem Evaserbe macht einer am wenigsten Feder­ lesens, der so wie Sie ein strenger Richter über Worte ist.

Nun Gott sei Dank, daß Sie sich genesen melden konnten. Die „Fädigkeit" wird Ihrer reinen Firnenluft bald weichen

und Schaffenslust und Kraft werden im neuen Jahre wieder­ kehren.

Auch ihrer Frau Gemahlin und dem lieben Kinde

möge es ein gesegnetes werden.

Hüten Sie sich darin aber

vor Sorglosigkeiten, die den Ihren Sorge machen wie der Armbruch im Engadin und die Nachtfahrt in diesem Herbst.

Das Ingenium darf und kann jung bleiben; der Außen­

mensch

aber,

auch

einer von kraftvoller Art,

muß vom

fünften Jahrzehnt ab sich ein bischen douillettiren lernen. Ich habe das Fest, wie es einem alten Familienüberbleibsel

geziemt, still in meiner Klause verbracht, krank bin ich nicht, aber nur selten spazierfähig.

Eben schickt mir Dr. Hartwig

außer einem Bändchen „Italien" von Viktor Hehn — einem mir gänzlich neuen Namen — drei dicke Bände von Bernhardts Fran-oiS-Meyer, Briefwechsel.

11

162 russischer Geschichte, die ich mir großenteils zu lesen ersparen

werde.

Ich habe für alles Nordische keinen Sinn.

Selbst

Norwegen mit seiner überragenden Naturgröße und seinen kernhaften Menschen würde ich auch, wenn mir Flügel an­

gewachsen wären, schwerlich berühren; und unter seinen herben

Dichtern wird mir selten wohl.

Selbst Björnson verfällt

inhaltlich und formal häufig einer manierten Schroffheit;

nur Kielland — und auch der blos in einigen kleinen Skizzen hat mich erschüttert.

Kielland ist aber wohl ein Däne?

Ich bin zu alt, um mich mit der modernen Tendenz der

Novellistik nicht nur hoch im Norden zu befreunden.

Von

Turgenjew hat mich nur das Tagebuch eines Jägers entzückt, von Daudet nur die lettres de mon moulin.

Von beider

größeren Compositionen blos Bruchstücke.

Ihr „hochherziges Fräulein", das nahezu das ganze große Jahrhundert Frankreichs miterlebt hat, kenne ich nur dem geschichtlichen Namen nach und aus Hoffmanns Novelle, der einzigen, die ich von ihm zu Ende zu lesen vermocht habe, wenngleich ich noch aus einer Zeit stamme, wo er in gewissen

Kreisen dominirte. So leicht mich friert, so schwer grauelt mich — vor Gespenstern wenigstens. Da las ich neulich,

daß im thfcatre fran