Der Briefwechsel zwischen Bettine Brentano und Max Prokop von Freyberg [Reprint 2019 ed.] 9783110865523, 9783110036183

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German Pages 356 [372] Year 1972

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Der Briefwechsel zwischen Bettine Brentano und Max Prokop von Freyberg [Reprint 2019 ed.]
 9783110865523, 9783110036183

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Sibylle von Steinsdorff Der Briefwechsel zwischen Bettine Brentano und Max Prokop von Freyberg

Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker Begründet von

Bernhard Ten Brink und "Wilhelm Scherer Neue Folge Herausgegeben von

Stefan Sonderegger und Thomas Finkenstaedt 48 (172)

w DE

G Walter de Gruyter • Berlin • New York 1972

Der Briefwechsel zwischen Bettine Brentano und Max Prokop von Freyberg

Herausgegeben und kommentiert von

Sibylle von Steinsdorff

w DE

G Walter de Gruyter • Berlin • New York 1972

Diese Arbeit wurde noch unter der Mitherausgeberscliaft von

Hermann Kunisch angenommen.

ISBN 3 11 003618 5 Library of Congress Catalog Card N u m b e r : 72-83056 © 1972 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sdie Verlagshandlung • J . G u t t e n t a g , Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer K a r l J . Trübner • Veit & Comp., Berlin 30 • Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. P r i n t e d in Germany Satz und Drude: T h o r m a n n & Goetsch, Berlin

VORWORT

Die Korrespondenz zwischen Bettine Brentano und Max Prokop von Freyberg ist nahezu vollständig erhalten. Die hier vorgelegten achtundsiebzig Briefe (achtundzwanzig von Bettines, fünfzig von Freybergs Hand) werden erstmals im vollen Wortlaut veröffentlicht. Bisher waren lediglich einige Auszüge bekannt, die Karl Frh. von Freyberg in seinem 1928 erschienenen Buch „Hundert Jahre Edelmannsleben. I. Band: Der Großvater Max Prokop" mitgeteilt hatte. Die Mehrzahl der diesem Band zugrundeliegenden Handschriften befindet sich im Besitz von Baron Alfred von Freyberg, Jetzendorf, dem ich für die Druckgenehmigung wie für die liebenswürdige und großzügige Unterstützung meiner Arbeit herzlich danke. Baron Pankraz von Freyberg, Geisenheim, stellte freundlicherweise ein Brieffragment von Bettines Hand zur Verfügung, der Direktor des Freien Deutschen Hochstifts, Frankfurt am Main, Herr Dr. Detlev Lüders, zwei in seinem Institut aufbewahrte Briefe Freybergs. Bei der Materialbeschaffung waren mir mehrere Archive und Bibliotheken behilflich. Für die Genehmigung, bisher unpublizierte Manuskripte aus dem Familien- und Freundeskreis der beiden Briefpartner zu benutzen, danke ich neben dem Freien Deutschen Hochstift dem Goethe- und SchillerArchiv in Weimar und seinem Leiter, Herrn Professor Dr. Karl-Heinz Hahn. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Hermann Kunisch, der diese Arbeit angeregt und betreut hat. Sie wurde im Wintersemester 1967/68 von der Philosophischen Fakultät der Universität München als Dissertation angenommen. Für den Drude wurde sie überarbeitet und an einigen Stellen gekürzt.

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort Verzeichnis der Abbildungen Einleitung Text

V VIII 1 51

Kommentar

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Literaturverzeichnis

342

Register

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VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN

Abb. 1

Bettine Brentano. Radierung von Ludwig Emil Grimm (1809). Reproduktion nach dem Exemplar des Freien Deutschen Hochstifts, Frankfurt a. M.

Abb. II

M a x Prokop von Freyberg. Ölgemälde von Electrine von Freyberg, geb. Stuntz (1824). Original im Besitz von Baron Alfred von Freyberg, Jetzendorf. Wiedergabe nach einer Abbildung in: Geist und Gestalt. Biographische Beiträge zur Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, vornehmlich im zweiten Jahrhundert ihres Bestehens. 3. Bd. 1959.

Abb. III

Bettine von Arnim. Radierung von Ludwig Emil Grimm (1838). Reproduktion nach dem Exemplar des Freien Deutschen Hochstifts, Frankfurt a. M.

Abb. IV

M a x Prokop von Freyberg. Ölgemälde (undatiert, Maler unbekannt) im Besitz der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Wiedergabe nach einer Abbildung im Jahrbuch 1959 der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

Abb.V

Bettine Brentano an Max Prokop von Freyberg, 14. (Juni 1810). Handschrift im Besitz von Baron Alfred von Freyberg, Jetzendorf.

Abb. VI

M a x Prokop von Freyberg an Bettine Brentano, 24. Juli 1810. Handschrift im Besitz von Baron Alfred von Freyberg, Jetzendorf.

EINLEITUNG

Der Freyberg-Briefwechsel fällt in eine entscheidende Epoche von Bettines Leben. Er gibt Zeugnis von ihrer Entwicklung in den letzten Jahren ihrer Jugend, von dem nur schwer gefaßten Entschluß, sich — in der Ehe mit Achim von Arnim — zu binden, und weist zugleich über die zwanzig Jahre dieser Ehe hinaus auf die alte Bettine. Zwar fehlt in dieser Zeit noch ein wesentliches Charakteristikum der künftigen gefeierten Schriftstellerin: das nicht nur allgemein formulierte, sondern ganz konkret zur Tat drängende politische Engagement. Doch unverkennbar äußert sich bereits das Bestreben, junge Menschen zu begeistern und zu kämpferischem Heldentum aufzurufen. Die Briefe an Max Prokop von Freyberg zeigen Bettine zum erstenmal in jener Rolle, die bisher der alternden Frau in den Jahren nach 1835 vorbehalten schien: Führerin und Erzieherin eines Jüngeren sein zu wollen. Die Rolle der Fünfzigjährigen in ihren Beziehungen zu Philipp Nathusius und Julius Döring 1 ist hier vorweggenommen. Selbst die Sprache dieser Briefe klingt in auffälliger Weise an die der späten Bettine an; sie sind schon weit entfernt vom unbekümmert-heiteren Plauderton etwa der Briefe an den Bruder Clemens im „ Frühlingskranz" oder der frühen Goethe-Korrespondenz. Zum Verständnis des Freyberg-Briefwechsels ist es erforderlich, sich den biographisch-zeitgeschichtlichen Hintergrund zu vergegenwärtigen, vor dem er entstand, und einen kurzen Blick auf den Landshuter Kreis um Savigny, dem Freyberg angehörte, zu werfen. Im Herbst des Jahres 1808 zieht Bettine mit ihrem Schwager Friedrich Carl von Savigny und dessen Familie nach Bayern. Savigny folgt 1

Philipp Engelhard Nathusius ( 1 8 1 5 — 1 8 7 2 ) entstammte einer Großindustriellenfamilie in Althaldensleben bei Magdeburg. Zeitweilig Mitarbeiter an der „Kreuzzeitung", gab das „Volksblatt für Stadt und Land" heraus, publizierte mehrere Bücher; gründete in Neinstedt am Harz nach dem Vorbild des Rauhen Hauses eine Knabenrettungsanstalt. — Julius Döring, Sohn eines Justizbeamten, geboren 1 8 1 7 in Wolmirstedt bei Magdeburg. Studierte 1837—1839 in Berlin und trat selbst in den preußischen Justizdienst. Weitere Daten sind nicht bekannt. — Beider Beziehung zu Bettine wurde durdi „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde" veranlaßt. Ihren Briefwechsel mit Nathusius veröffentlichte Bettine unter dem Titel „Ilius Pamphilius und die Ambrosia" (2 Bde. Berlin 1847 f.). Aus der Korrespondenz mit Döring wurden bisher nur Bettines Briefe herausgegeben. (Vgl. Werner Vordtriede: Bettina von Arnims Briefe an Julius Döring. In: JbFDH 1963, S. 341 ff.)

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Einleitung

einem Ruf an die Universität Landshut; Bettine bleibt zunächst in München zurück, hauptsächlich um hier ihre Stimme ausbilden zu lassen. Sie ist jetzt dreiundzwanzig Jahre alt. Im Hause ihrer Großmutter Sophie von La Roche in Offenbach und im Kreise der Geschwister in Frankfurt, im „Goldenen Kopf", hat sie früh Zugang zum kulturellen Leben ihrer Zeit gehabt, zahlreiche Verbindungen geknüpft und schwärmerische Freundschaften geschlossen. Die Beziehungen zu dem Lieblingsbruder Clemens, zu Karoline von Günderrode, zu Savigny und Achim von Arnim haben in umfangreichen Korrespondenzen ihren Ausdruck gefunden. Sie hat zu Füßen von Goethes Mutter gesessen und den Erzählungen aus dessen Jugend gelauscht. Im Frühjahr 1807 war sie ihm in Weimar selbst begegnet; es wurde das entscheidende Erlebnis ihrer Jugend. Seit einem Jahr wirbt sie in leidenschaftlichen Briefen um die Zuneigung ihres „Herrn und Meisters"". In München ist Bettine zum erstenmal ganz auf sich selbst verwiesen, entlassen aus dem großen Brentanoschen Familienkreis. Sie führt ihren eigenen, kuriosen kleinen Haushalt in zwei Zimmern beim Grafen Moy 2 in der Rosengasse: „ich bin jezt ganz allein Herr im Hause . . . ich sitze auf dem Herde auf einem Schemel und lese und dabei rühre ich zuweilen meine Suppe; ich bin ganz befriedigt in diesem Leben und mir deucht gar nicht daß ich diese Grenze erweitern d ü r f t e . . . " schreibt sie an Goethe. 3 Neben vielfältiger Lektüre widmet sie sich vor allen Dingen ihren Musikstudien. Ihr Gesanglehrer ist der „kolossale" Hofkapellmeister und Komponist Peter von Winter 4 , Klavierunterricht erteilt ihr la

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Eine in bezug auf Goethe von Bettine wiederholt gebraudite Formel; vgl. Bettinas Leben und Briefwechsel mit Goethe. Auf Grund des von Reinhold Steig bearbeiteten handschriftlichen Nachlasses neu hrsg. von Fritz Bergemann. Leipzig 1927. S. 200; ferner Bettines Brief an Freyberg vom 6.—16. Juli 1810 (21/445 f.). Häufig auch „mein Herr" u.a.; vgl. Bergemann, S. 185, 187, 191. Charles Louis Antoine, Chevalier de Moy de Sons (1769—1836), ein französischer Emigrant, hatte 1804 in München ein Stoff- und Galanteriewarengeschäft eröffnet. Er war seit 1798 mit Elisabeth von Pestel (1770—1833) aus Offenbach, einer Freundin der Familien Brentano und La Roche, verheiratet. Vgl. dazu Die Andacht zum Menschenbild. Unbekannte Briefe von Bettine Brentano. (Hrsg. von Wilhelm Schellberg und Friedrich Fuchs.) Jena (1942) S. 75. Vgl. Reinhold Steig: Bettina. In: Deutsche Rundschau 72, 1892, S. 271. Eine humorvolle Schilderung ihres Tageslaufs gibt sie in einem Brief an Savigny; Andacht, S. 99. Peter von Winter (1754—1825), ein Schüler von Abt Georg Vogler, wurde 1776 Musikdirektor der Mannheimer Hofoper und folgte 1779 dem Hof nach München, w o er sidi vor allem als Opernkomponist einen Namen machte. Bettine beschreibt ihn in einem Brief an Goethe (vgl. Anm. 3), Ludwig Emil Grimm schildert ihn in seinen Lebenserinnerungen (Ludwig

Einleitung

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Sebastian Bopp5, der Lehrer der königlichen Prinzen. Ludwig Emil Grimm, einer ihrer Münchner Freunde, hat in seinen Lebenserinnerungen eine solche Singstunde geschildert: wie Bettine auf einem Stuhl hinter ihrem Lehrer steht und mit einer Notenrolle auf seinem Kopf den Takt schlägt, um den darob schließlich erzürnten Winter mit einem schnell zubereiteten Glas Zuckerwasser wieder zu besänftigen." Gemessen am betriebsamen Leben der Handelsstadt Frankfurt muß München Bettine zunächst als der Inbegriff des Provinziellen erscheinen. Das „Menschenwesen" dort ist ihr „durchaus zuwieder" 7 ; sie klagt über Einsamkeit und Langeweile. Doch bald lebt sie auch hier in einem Kreis von Freunden und Bekannten, in dem sie irrlichternd ihr Wesen treibt; gleichermaßen beliebt und bewundert wie spöttisch kritisiert. Daß sie schon am frühen Morgen „im wunderlichsten Aufzug" durch die Straßen und den Leuten ins Haus gelaufen und „nicht wieder weg zu bringen" gewesen sei, berichtet der Bettine allerdings nicht besonders freundlich gesinnte Neffe Ludwig Tiecks, Theodor Bernhardi, in seinen Jugenderinnerungen. 8 In Frankfurt höre man „Wunderdinge" von ihr, „wie sie in München Epochen macht, die Gesandten empfängt pp.", meldet dagegen Meline Brentano schon im November 1808 dem Schwager nach Landshut. 9 Zu Bettines täglichem Umgang gehören der Philosoph Friedrich Heinrich Jacobi, einst gern gesehener Gast ihrer Großeltern La Roche in Ehrenbreitstein, seit 1807 Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, und Ludwig Tieck, der sich eben mit seinem Bruder Friedrich und seiner Schwester Sophie Bernhardi in München niedergelassen hatte. Tieck, den Jenaer Vertrauten ihres Bruders Clemens, hatte Bettine schon zwei Jahre zuvor in Frankfurt kennengelernt und sich für ihn begeistert. Sie kannte seine Werke und hatte sein Bild in ihrem Zimmer hängen; einige überschwengliche Briefe an ihn waren jedoch ohne Antwort geblieben.10 Jetzt lauscht sie entzückt, wenn er ihr vorliest. An Savigny

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6 7 8 9 10

Emil Grimm: Erinnerungen aus meinem Leben. Hrsg. von Wilhelm Praesent. Kassel u. Basel (1950) S. 45). Sebastian Bopp (1762—1839), königlidi-bayerischer Kammermusikus; von Bettine mehrfach erwähnt in ihren Briefen an Savigny (Andacht, S. 98 f. u. ö.). Grimm, Erinnerungen, S. 45. Vgl. ihren Brief an Goethe vom 1. Februar 1809; Bergemann, S. 240. Jugenderinnerungen von Theodor von Bernhardi. Leipzig 1893. S. 37. Andacht, S. 90. Vgl. Achim von Arnim und die ihm nahe standen. 1. Bd.: Achim von Arnim und Clemens Brentano. Bearb. von Reinhold Steig. Stuttgart 1894. S. 194. Ferner: Briefe an Ludwig Tieck. Ausgewählt und hrsg. von Karl von Holtei. 1. Bd. Breslau 1864. S. 16 ff. S. 27 ff.

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Einleitung

schreibt sie: „Ich kenne wenig Menschen, die durch ihren Geist so bestimmten Einfluß auf mich haben als Tieck. Er hebt meine Natur, die zum Teil durch eigne und fremde Zufälle sich oft verwühlt und vergraben hat, wieder hervor . . I h r e ebenso schnell gefaßte Verehrung und schwärmerische Zuneigung für Jacobi versucht sie in einer großen Epistel vor ihm und sich selbst zu rechtfertigen: „Es hat mich zuweilen mit schneller Ahndung vor dem Antliz eines Menschen eine Liebe ergriffen, die ich nicht zu deuten wußte . . . Die Lieb ist wie ein fliegender Götterbothe, wo er seinen Stab schwingt in den Lüften, da bricht der Frühling aus, auf Erden . . . lassen Sie sich den Frühling meines Herzens Wohlgefallen, und gönnen mir freundlich die gute Wirkung, die es zeitlebens auf mich haben wird." 1 2 Clemens berichtet Arnim von ihren täglichen Besuchen bei Jacobi, „ihre Hände ruhen oft unbewußt freundlich beim Gespräch ineinander." 13 In seinem Hause lernt Bettine Sailer und Baader kennen, das Ehepaar Schelling und den durchreisenden Wilhelm von Humboldt. Seinen „Woldemar" und „Allwill" schickt ihr Jacobi mit der Bitte um ihr Urteil. Der Enthusiasmus für Tiedc wie Jacobi wird im täglichen Verkehr allerdings bald getrübt durch persönliche Differenzen und kleine Reibereien, hauptsächlich mit den Schwestern der beiden Freunde. Schließlich geht sie nicht mehr zu Jacobis, weil man dort Witze auf sie mache,14 und besucht den gichtkranken, mürrischen Tieck nur noch aus Mitleid. Allerdings mögen gelegentliche kritische Äußerungen der beiden über Goethe und Arnim entscheidend zur Entfremdung beigetragen haben. Die Beziehungen zu dem Ehepaar Schelling scheint ebenso von persönlichen Vorurteilen und Spannungen bestimmt zu sein. Was ihr an Schelling nicht behage, so bekennt Bettine Goethe, sei dessen Frau Caroline. 15 Clemens hatte sie in Jena noch als Gattin August Wilhelm Schlegels kennengelernt. Sie ist der gesamten „AngeBrentanorei" 19 nicht sonderlich günstig gesinnt und kann es sich nicht versagen, die in der Münchner Gesellschaft mit ihren Briefen von Goethe prahlende Bettine 11 12

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17

Andacht, S. 85. Aus F. H. Jacobi's Nachlaß. Hrsg. von Rudolf Zoeppritz. 2. Bd. Leipzig 1869. S. 27 ff. Vgl. Clemens Brentanos Brief an Achim von Arnim vom 1. Oktober 1808; Steig I, S. 259. Andacht, S. 102. Vgl. ihren Brief an Goethe vom 8. März 1809; Bergemann, S. 249. Vgl. Caroline Schellings Brief an Luise Wiedemann (München, Februar [?] 1809). In: Caroline. Briefe aus der Frühromantik. Nach Georg Waitz vermehrt hrsg. von Erich Schmidt. 2. Bd. Leipzig 1913. S. 540 ff. Gemeint ist Carolines Freundin Pauline Gotter (1786—1854), die spätere zweite Gattin Schellings. Sie stand seit 1808 sowohl in brieflichem wie persönlichem Verkehr mit Goethe.

Einleitung

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sogleich auf eine Nebenbuhlerin in Jena eifersüchtig zu machen." Bettine erklärt beide Sdiellings kurzerhand für „zu häßlich" 18 und meidet ihren Umgang. Daß sie sich jedoch in München ernsthaft mit Schellings Philosophie beschäftigt hat, beweisen die Briefe an Freyberg. Nahegebracht hat sie ihr allerdings wohl weniger Schelling selbst als vielmehr Franz Baader, „der einzige, den ich unter allen leiden mag, der nicht hundertmal etwas mit der bekannten Begeistrung vorträgt, wie Schelling und andre, die mit unbegreiflicher Unverschämtheit immer die Welt durch ihr System treiben wollen" 1 '. Ihre Beziehungen zu Baader bleiben ungetrübt. Wie Schelling 1806, so war der Arzt, Geologe, Philosoph und Theologe Franz Baader zwei Jahre später einem Ruf an die Münchner Akademie gefolgt. Die um diese Zeit einsetzende Freundschaft zwischen ihnen bezeichnet die ersten Anfänge der Münchner romantischen Bewegung. Bettine hat an ihren Auseinandersetzungen, speziell über das Problem des Bösen, lebhaften Anteil genommen. Sie hat sicher Schellings 1809 erschienene, vielbesprochene Schrift über das Wesen der menschlichen Freiheit gelesen; Baaders im selben Jahr publizierte Abhandlungen „Beiträge zur dynamischen Philosophie im Gegensatze der mechanischen" schickt sie an Goethe. 20 Der Brief an Freyberg vom 6.—16. Juli 1810 aus Bukowan kreist um den Schellings Naturbetrachtung zugrundeliegenden Gedanken der Polarität aller Kräfte in der Natur (21/365 ff., bes. 2 . 395 ff.). Die große Baader-Stelle im drauffolgenden Brief (24/225 ff.) nimmt ausdrücklich Bezug auf ihre Münchner Gespräche „über Naturfilosophie". Durch Baader ist Bettine wohl auch in die theosophisch-mystische Spradi- und Gedankenwelt Jacob Böhmes und Saint-Martins eingeführt worden, die ebenfalls in den Freyberg-Briefen anklingt. Ihr Interesse am politischen Zeitgeschehen, vornehmlich die lebhafte Sympathie für die Tiroler Volkserhebung des Jahres 1809, verbindet Bettine mit dem österreichischen Gesandten G r a f Stadion, dem in den Briefen an Savigny, Goethe und Arnim häufig erwähnten „schwarzen Fritz" 2 1 . In einem Brief aus München vom Juni 1809 vertraut sie ihrer 18 19 20 21

Bergemann, S. 257 f. Vgl. Bettines Brief an Goethe vom 6. August 1809; Bergemann, S. 262. Mit ihrem Brief vom 1. September 1809; Bergemann, S. 264 und S. 441. Graf Friedrich Lothar von Stadion-Warthausen ( 1 7 6 1 — 1 8 1 1 ) war mit Bettine verwandt. Ihr Großvater mütterlicherseits, Georg von La Roche, war ein natürlicher Sohn von Stadions Großvater, dem kurmainzischen Minister Graf Anton Heinrich Friedrich von Stadion (1691—1768). Stadion war zuerst Domherr zu Mainz, später Diplomat in österreichischen Diensten. Seine Mission als Gesandter in München, den Eintritt Bayerns in den Krieg mit Napoleon gegen Österreich zu verhindern, mißlang. Nach dieser Niederlage schied er 1809 aus dem Amt und zog sich auf seine Güter in Böhmen zurück, wo er zwei Jahre später starb.

8

Einleitung

Schwester Meline „von Mund zu Mund" an: „erstens meine feste Freundschaft, mit einem der herrlichsten Männer der Welt, Graf Stadion, der so lange er hier war midi keinen Abend verlassen hat. und an dem mein Herz hängt wie an einem ungemein liebreichen Vater" 2 2 . Stadion ist in München das Haupt der patriotisch-antifranzösischen Partei, der insgeheim auch der Kronprinz nahesteht. Diesen, den späteren König Ludwig I., lernt Bettine auf einem Ball kennen, wo sie „gleich sehr tief ins Gespräch" kommen. 23 Sie liest seine Gedichte und ist nachhaltig beeindruckt von seinem jugendlichen Idealismus. Ein von ihr erwähnter Brief an ihn vom April 1809 über das Schicksal der Tiroler ist allerdings nicht erhalten. 24 Sie sei oft in die Münchner Residenz gegangen, um ihm vielleicht zu begegnen, hat sie später einmal dem König gestanden. 25 Neben diesen älteren Freunden hat Bettine einen Kreis von jungen Menschen, hauptsächlich Künstlern, um sich versammelt. Ihnen gegenüber, die alle jünger als sie oder doch höchstens gleichaltrig sind, gefällt sie sich in der Rolle der Belehrenden, Erziehenden: „all diesen Menschen spreche idi nun in verschiedner Art Trost zu, und ist mir eine angenehme Würde, als ihr kleines Orakel von ihnen berathen zu werden" 2 6 . Tatkräftige Hilfsbereitschaft verbindet sich bei Bettine schon in der Jugend mit dem Bedürfnis, auf andere Menschen einzuwirken. An einer anderen Stelle spricht sie von ihren „Zöglingen" 27 . Zu ihnen zählt der achtzehnjährige Musiker Peter Lindpaintner, ein Schüler Winters. Bettine erwähnt ihn mehrfach Goethe und Arnim gegenüber: „blond, gar nicht schön, aber gutmüthig, sittsam und sehr kindisch" 28 . Sie korrespondiert später von Landshut aus mit ihm über Musik und nimmt lebhaften Anteil an seinen 22 23

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Unveröffentlichter Brief H F D H . Vgl. Bettines Brief an Arnim vom 2. Dezember 1808. Adiim von Arnim und die ihm nahe standen. 2. Bd.: Achim von Arnim und Bettina Brentano. Bearb. von Reinhold Steig. Stuttgart u. Berlin 1913. S. 235. Bettine erwähnt ihn in „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde". Werke und Briefe. 2. Bd. Hrsg. von Gustav Konrad. Fredien (1959) S. 187. Erhalten sind dagegen ein Briefentwurf an Ludwig I. aus dem Jahre 1854 (Werke und Briefe. 5. Bd. Hrsg. von Joachim Müller. Frechen (1961) S. 392 ff.) sowie zwei Briefe Ludwigs an Bettine von 1831 und 1854 (Handschriften F D H ) . Ersterer gedruckt in: Sammlung Ernst und Theone Kellner, Bremen. Hrsg. von Hans Kasten. Bremen 1932. S. 24. Werke und Briefe V, S. 392 f. Vgl. ihren Brief an Goethe vom 23. September 1 8 0 9 ; Bergemann, S. 274 f. („berathen" hier im Sinne von „um R a t fragen"). Bergemann, S. 279. Vgl. Bettines Brief an Arnim vom 9. Dezember 1809; Steig II, S. 357 f. — Peter Joseph Lindpaintner ( 1 7 9 1 — 1 8 5 6 ) war der Sohn eines Tenoristen der kurfürstlichen Kapelle in Koblenz; er wurde 1812 Musikdirektor am neuerrichteten „Theater am Isarthor" in München, 1819 Direktor der Stuttgarter Hofkapelle.

Einleitung

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Studien. In einem seiner Briefe an sie bezeichnet er sich als „einen F r e u n d . . . der vielleicht die Entwicklung seines Geistes Ihnen allein zu danken hat." 29 Ein anderer Zögling ist der schon genannte Zeichner Ludwig Emil Grimm, der jüngere Bruder Jacobs und Wilhelms. Er ist durch Vermittlung Savignys und der Geschwister Brentano, die ihn großzügig unterstützen, Schüler bei dem Kupferstecher Karl Heß. Seine Jugenderinnerungen sind eine reizvolle Quelle zu Bettines Münchner und Landshuter Zeit. Er berichtet, wie er sich fast täglich bei ihr einfand und sie am Kamin ein einfaches Essen zubereitete, während er zeichnete und skizzierte.30 Aus dieser Zeit stammt eine Reihe von Portrait-Skizzen Bettines von seiner Hand, jene „kleine Sammlung von lauter Bettinen... wie sie geht und steht"31. Sie unternehmen gemeinsam Streifzüge durch die Umgebung Münchens und besuchen die Galerie, wohin die Gemälde Dürers und Lucas Cranachs Bettine besonders ziehen. „Sie hat ein sehr richtiges Urteil, und man kann viel von ihr lernen", heißt es bei Grimm. 32 Aus Landshut hat sie mehrmals an ihn geschrieben, erhalten sind jedoch nur zwei kleine Billetts vom 8. Dezember 1809 und 28. April 1810.33 Zu den von Bettine betreuten „jungen Aufschößlingen der Kunst" 34 gehört noch der Maler Peter Epp, „so außerordentlich arm, daß es eigentlich schimpflich ist."35 Von ihm läßt sie sich Dürers Selbstbildnis aus der Münchner Galerie kopieren und schickt diese „dem Original unendlich 29

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Erhalten sind drei Briefe Lindpaintners an Bettine; alle undatiert, aber wohl aus den Jahren 1809/1810 (unveröffentlicht, Handschriften GSA). Einer dieser Briefe trägt den Poststempel „München 29. N o v . 1809". Ein weiterer Brief, vom 22. Oktober 1809, erwähnt Andacht, S. 158 (ohne Quellenangabe). Grimm, Erinnerungen, S. 45. Bergemann, S. 280. Grimm, Erinnerungen, S. 43. Beide beschränken sich auf kurze Mitteilungen; das erste enthält lediglich einige Bemerkungen zu Grimms Arbeiten, im zweiten fordert sie ihn auf, an ihrem und Savignys Auszug aus Landshut teilzunehmen und sie bis Salzburg zu begleiten. Vgl. Raimund Pissin: Zehn ungedruckte Briefe von Bettina und Achim von Arnim an Ludwig Emil Grimm. In: Preuß. Jahrbücher 240, 1935, S. 109 ff. Dort auch ein Brief Grimms an Bettine von 1851. Zwei weitere Briefe von Grimm an Bettine aus den Jahren 1825 und 1836 bei Wilhelm Schoof: Bettina von Arnim und Ludwig Emil Grimm. In: Didaskalia, 112. Jhg., 1934, Nr. 3, S. 9 ff. und Reinhold Steig: Urkunden zum Leben und Werk des Malers und Radierers Ludwig Grimm. In: Das literarische Echo 14, 1911/12, Sp. 746 ff. Bergemann, S. 274. Steig II, S. 236. — Peter Epp (gest. nach 1813) hatte sich in Heidelberg nach den Bildern der Boissereeschen Sammlung gebildet und trat vor allem als Kopist alter Meisterwerke sowie als Portraitmaler und Miniaturist hervor.

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Einleitung

treu nachgeahmt(e)" Kopie an Goethe. 38 Ferner der ihr schon aus Frankf u r t bekannte, auch mit Tieck und Arnim befreundete Kunsthistoriker Karl Friedrich von Rumohr, der mit ihr der „Gesundheit wegen" 37 Spaziergänge an der Isar unternimmt und ihr bei seinen Besuchen „alle Papiere voll kleiner Landschaften kritzelt" 38 , ja sogar ihre Briefe an Goethe verziert. Audi durchreisende Freunde der Geschwister Brentano, wie Sulpice Boisseree im Herbst 1808, verkehren bei ihr. 38 Zu erwähnen ist schließlich ihre Freundschaft mit Joseph Janson von der Stockh. Die Erscheinung des jungen, idealistischen Arztes hat Bettine in einem Brief an Goethe — allerdings erst später, aus der Erinnnerung — geschildert: „schwarze glühende Augen, verbrantes von Blattern zerissnes Gesicht, arm wie Job, fremd mit allen, große ausgebreitete Natur, aber grade darum in sich fertig und geschlossen Uber ihren Umgang mit Janson in München erfährt man wenig, Bettine hat ihn sonst nirgends genannt. Doch hat sie an ihn eine Reihe von (nicht erhaltenen) Briefen geschrieben, die nach ihrer eigenen Aussage einem bestimmten Thema galten: Goethes Jugend. Als Janson im Sommer 1809 München verlassen mußte, „wurde", wie es in dem Brief an Goethe weiter heißt, „überdacht, was wir einander zugetragen hätten während unserm Beisammenseyn, es wurde erkannt, daß meine Worte über Dich, mein liebendes Wissen von Dir und der Mutter ein heiliger Schaz war, der nicht verlohren gehen solle, in der äuseren Schaale der Armuth würde ein solches Kleinod am heiligsten bewahrt sein; und so kams, daß mein Briefwechsel mit den einzelnen Anektoden Deiner Jugend erfüllt war, deren eine jede wie Geister zur rechten Zeit die Launen auflöste; — der Zufall, uns der geheiligtste, trägt auf seinen tausendfach beladnen Schwingen auch diese Briefe, und vielleicht wird es so, daß, wenn Fülle und Üppigkeit einst sich wieder durch das mißhandelte Fruchtland empor drängen, auch er die goldne Frucht nieder schüttelt ins algemeine Wohlseyn." 38

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Bergemann, S. 274. Das Selbstbildnis Dürers aus dem Jahr 1500 befindet sidi heute im Besitz der Alten Pinakothek in München (Inv.Nr. 537). Die von Goethe 1811 an das Ehepaar Arnim zurückgegebene Kopie Epps gelangte 1901 aus dem Nachlaß von Bettines Schwiegersohn Herman Grimm nach Weimar. Vgl. Bettines Brief an Arnim vom 18. Januar 1809; Steig II, S. 250. Andacht, S. 149. Ebd., S. 81. Vgl. Bettines Brief an Goethe vom 4. November 1810; Bergemann, S. 309ff. — Janson von der Stockh (1781—1834) gehörte zum Landshuter Medizinerkreis um Ringseis, der seine „originelle blitzende Genialität" rühmt (vgl. Erinnerungen des Dr. Johann Nepomuk v. Ringseis. Gesammelt, ergänzt und hrsg. von Emilie Ringseis. l . B d . Regensburg u. Amberg 1886. S. 78). D a mals praktischer Arzt in München, wurde Janson später Kreis- und Stadtgerichtsarzt in Landshut und lebte zuletzt in Traunstein.

Einleitung

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So habe sie dafür gesorgt, daß die Erzählungen seiner Mutter von ihr gesammelt und bewahrt blieben. 41 Das bedeutet: Bettine hat den Briefwechsel mit Janson als eine literarische Korrespondenz betrachtet, vielleicht schon an eine spätere Veröffentlichung gedacht. 42 Diese Tatsache ist aufschlußreich für den Grad schriftstellerischer Bewußtheit, die bereits zu dieser Zeit in ihre Briefe einfließt. Sie begreift sie als literarische Dokumente, deren Bedeutung jenseits aller persönlichen Bindung an den Korrespondenten liegt. 43 Von Jansons Briefen an Bettine sind neun überliefert 44 ; aus ihnen geht allerdings nicht eindeutig hervor, daß auch seine Briefe nur diesem einen übergeordneten Thema gewidmet gewesen wären. Sie enthalten vornehmlich den Dank für Bettines gefühlvoll poetisierende Mitteilungen, die ihm „als ein Mondschein unter schwarzen Wolken" erscheinen. Heiter und unbeschwert spiegelt sich Bettines Münchner Leben in ihren Briefen an die Savignys nach Landshut. Meist nur kleine Billetts mit kurzen Nachrichten über die Tagesereignisse, sind sie ganz in jenem kecken, mutwilligen Plauderton geschrieben, in dem sich die Geschwister Brentano früh geübt hatten. Doch genügt es Bettine im Grunde nicht, nur so „liebäugelnd" 45 zu korrespondieren. Dieser einen Seite ihres Wesens, die beherrscht ist von Witz und Laune, geistreichen und oft auch albernen Einfällen, steht in München ein im Laufe der Zeit immer stärker hervortretender Hang zur Reflexion, zur Versenkung in die Welt ihrer Stimmungen und Träume, Ahnungen und Gefühle gegenüber. Sie fühlt sich unverstanden, „wirklich bizarr, verloren und zerrissen" 48 . Immer häufiger klagt sie über ihre Einsamkeit, vollends nachdem der Verkehr mit Jacobi und Tieck unerfreulich geworden ist, Stadion und Janson von der Stockh München verlassen haben: „denn wenn idi auch Gespräche halte, es ant41

Bergemann, S. 311.

42

Sie hat später offensichtlich Philipp N a t h u s i u s B e i t r a g zu ihren Niederschriften über Goethes sie im Z u s a m m e n h a n g mit v o n ihr geplanten „auch interessant" („Ilius Pamphilius und B r i e f e II, S. 526).

43

A u f die Tatsache, d a ß Bettines Briefe, auch ehe sie als Dichterin v o n sich reden machte, in der Familie durchaus „als ein Stück Literatur a u f g e f a ß t " wurden, hat schon Friedrich Fuchs a u f m e r k s a m gemacht (Andacht, S. 227).

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A u s dem J a h r 1809 und o. D . (unveröffentlicht, H a n d s c h r i f t e n G S A ) . V g l . auch K . E . Henrici, Berlin. Versteigerung 148. Bettine v o n Arnim. Literarisches und Politisches aus ihrem handschriftlichen Nachlaß, darunter Goethes Briefwechsel mit einem K i n d e . 1929. S. 7. N r . 33.

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Andacht, S . 4 1 .

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V g l . den Brief an Clemens Brentano v o m 30. J u n i 1809. B r i e f e aus dem Brentanokreis. Mitgeteilt v o n Ernst Beutler. I n : J b F D H 1934/35, S. 450.

v o n diesen Briefen als einem J u g e n d erzählt; er bezeichnet Briefpublikationen als sicher die A m b r o s i a " ; Werke und

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wortet mir keiner." 4 7 Den wiederholten Aufforderungen Savignys und ihrer Schwester Gunda folgend, zieht sie Ende September 1809 ganz zu ihnen nach Landshut. Das kleine, idyllische, doch recht rückständige Landshut kann sich allerdings damals kaum mit anderen deutschen Universitätsstädten messen. Savigny spricht in seinen Briefen wiederholt von der Unfreundlichkeit und provinziellen Beschränktheit der Landshuter Verhältnisse: „Land und Volk ist wie sein Clima, kalt und roh, und sich hier heimisch zu fühlen, wird dem Fremden nicht leicht gelingen... Von einer Universität in unsrem Sinne ist hier freylich keine Spur." 4 8 Vor allem vermißt er das aus Jena und Marburg gewohnte rege geistige und gesellschaftliche Leben. Er kritisiert den unerfreulichen, schulmäßig-unfreien Universitätsbetrieb und beklagt sich über den mangelnden Kontakt unter den Professoren sowie das niedrige Bildungsniveau und die Interesselosigkeit der Studenten. 49 Heftiger noch urteilt sein Schwager Clemens Brentano — auch er war Savigny nach Landshut gefolgt — über die Trostlosigkeit der Stadt und die miserablen Zustände an der Universität. Marburg sei „in seiner sdllechtsten Z e i t . . . ein Athen, ein Bologna gegen hier" gewesen, schreibt er an Jacob und Wilhelm Grimm. 5 0 Dem Heidelberger Freund Görres rät er unter diesen Umständen dringend ab, sich um eine Berufung nach Landshut zu bewerben, wo rohe Sitten, Intrige und Niedertracht unter Studenten wie Professoren herrschten. 51 Aus Bettines Briefen klingt der Spott über die Landshuter Kleinbürgerlichkeit. Die Menschen seien „da wie die Bärnhäuter" schreibt sie an Arnim, 52 gegenüber der Schwester Lulu mokiert sie sich über den „alte(n) verrostete(n) Adel" und dessen Erstarrung in überlebten Konventionen: „Eine öffentliche Gesellschaft wär daher ein Gaudium für Dich, Du hättest für Jahre genug dran zu erzehlen" 53 . Wie anders freilich klingt 47 48

49 50

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52 53

Steig II, S. 323. So in einem Brief an Leonhard Creuzer vom 3. August 1809. Adolf Stoll: Friedrich Karl v. Savigny. Ein Bild seines Lebens mit einer Sammlung seiner Briefe. 3 Bde. Berlin 1927 ff. Bd. 1: Der junge Savigny. S. 382. Vgl. dazu das reiche Material bei Stoll I, S. 344 ff. Reinhold Steig: Clemens Brentano und die Brüder Grimm. Stuttgart u. Berlin 1914. S. 35. Vgl. dazu Philipp Funk: Von der Aufklärung zur Romantik. Studien zur Vorgeschichte der Mündiener Romantik. München 1925. S. 104 f. Steig II, S. 241. Bettina von Arnim. Briefe und Konzepte aus den Jahren 1 8 0 9 — 1 8 4 6 . In: Sinn und Form 5, 1953, Heft 3/4, S. 27 f. (Der Brief ist dort „vermutlich 1 8 0 8 " datiert; er ist jedoch mit Sicherheit erst nach Bettines endgültiger Übersiedlung nach Landshut, im Herbst 1809, geschrieben worden.)

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später ihr Urteil aus der Erinnerung: „Landshut war mir ein gedeihlicher Aufenthalt, in jeder Hinsicht muß idi's preisen. Heimatlich die Stadt, freundlich die Natur, zutunlich die Menschen und die Sitten harmlos und biegsam"54. Doch trotz aller Ungunst der äußeren Verhältnisse entwickelt sich die Landshuter Universität gegen Ende ihres ersten Jahrzehnts zu einem Zentrum geistiger Erneuerung in Süddeutschland, die während der kurzen Lehrtätigkeit Savignys — er blieb nur drei Semester — einen Höhepunkt erreicht. Die altbayerische Universität war 1799 von Ingolstadt nach Landshut verlegt und im Sinne der aufgeklärten Staatsführung des Kurfürsten Max Joseph und seines Ministers Montgelas neuorientiert worden. Zum großzügigen Bildungsprogramm dieser Regierung gehörte die Neuberufung zahlreicher bedeutender Gelehrter an die Hochschule; gerade aus deren Reihen jedoch sollten der herrschenden Richtung sehr bald die entschiedensten Gegner erwachsen. Als Savigny 1808 nach Landshut kommt, wird der anfängliche „akademische Kleinkrieg" der beiden rivalisierenden Parteien bereits als offener Kampf geführt, der im Grunde aber schon zugunsten der der Romantik nahestehenden, neuen „Landshuter Bewegung" entschieden ist.55 Mittelpunkt dieses ^anti-aufklärerischen Kreises, von der Gegenseite als „Mystiker, Mönche und Schellingianer"56 verketzert, ist Johann Michael Sailer. Vor Jahren als Professor an der theologischen Akademie in Dillingen selbst des Illuminatismus und der Aufklärerei verdächtigt und seines Amtes enthoben, hat er seit 1799 in Landshut den Lehrstuhl für Moral- und Pastoraltheologie inne. Zusammen mit den ihm freundschaftlich verbundenen Theologen Patriz Zimmer und Joseph Weber wird er jedoch hier bald als Obskurant und Römling angefeindet, der „Möncherei" und des Mystizismus bezichtigt. In dem altbayerischen Häuslerssohn Sailer verbindet sich eine starke und lebendige Verwurzelung im Volkstum mit umfassender Gelehrtheit und einer souveränen Offenheit gegenüber allen geistigen Strömungen seiner Zeit. Sie ließ ihn früh zum Gegner und Überwinder der im Rationalismus erstarrten Theologie der Aufklärung werden. Er lehrt die Rüdsbesinnung auf einen aus der Offenbarung lebenden Glauben und die Wiedererweckung einer verinnerlichten Religiosität, einer „Theologia cordis", die Katholiken wie Protestanten in seiner Umgebung gleicher54 55

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Vgl. „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde"; Werke und Briefe II, S. 241. Eine umfassende Darstellung dieser „Landshuter Bewegung", ihrer Entwicklung und ihres geistesgeschichtlichen Hintergrundes findet sich bei Funk. Vgl. Funk, S. 13. Ferner Hermann Kunisdi: Johann Andreas Schmellers geistesgeschichtliche Stellung. In: Kleine Schriften. Berlin (1968). S. 214.

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maßen anzieht. Ja, einige seiner Freunde sahen sich durch ihn zu der Hoffnung veranlaßt, daß die Überwindung der konfessionellen Gegensätze und damit die Verwirklichung eines romantischen Sehnsuchtstraumes erreichbar sei.57 Hinzu kommt Sailers überragende pädagogische Begabung. Der starke, bezwingende Eindruck seiner Persönlichkeit auf seine Freunde und Schüler ist von Zeitgenossen immer wieder hervorgehoben worden. Aus seiner weitverzweigten Korrespondenz sprechen die Natürlichkeit, Wärme und Herzlichkeit, die ihn zum verehrten Lehrer und zum Vertrauten von Menschen verschiedenster Herkunft, Stellung und Anschauung werden ließen. Der ihm in Landshut bald herzlich verbundene Protestant Savigny ist vor allem von Sailers allumfassendem „religiöse(n) Gemüth" beeindruckt, das den geistlichen Führer wie den Theologen leitet. An seinen Marburger Freund Bang schreibt er: „Dabey könnt Ihr Euch sein Interesse an diesen Dingen kaum liberal genug vorstellen. Das Polemische liegt ganz außer seinem Wege, auch das Gelehrte, literarische; ja selbst das Dogmatische scheint ihn wenig zu interessiren. Wenigstens die Verschiedenheit der Confession stört ihn nicht im geringsten, und er ehrt und würdigt die religiöse Begeisterung in jeder Form mit gleicher Liebe. So habe ich niemals den hohen herrlichen Sinn Luthers mit mehr Gefühl anerkennen sehen, als von diesem Manne, der von ganzem Herzen Katholik ist, und nie nach dem Ruhm eines Aufgeklärten gestrebt hat. Er hat eine außerordentliche Verbindung mit Menschen aus allen Ständen: alles ehrt und liebt ihn wie einen Vater, vor allen seine Schüler, und nach allen Seiten strebt er auf gleiche Weise zu wirken, erweckend, belebend, befestigend, aus dem Innersten seines religiösen Gemüths . . . Er selbst erscheint so ganz ohne Stolz, ganz ohne Anspruch und Feyerlichkeit, lustig, derb, kindisch. ,Ich bin ein Student', sagt er oft im Scherze, aber es liegt dem Scherz ein tiefer Sinn zu Grunde." 58 Schon bei der ersten flüchtigen Begegnung in München, im Hause Jacobis, fühlte sich Bettine zu diesem herzlichen und natürlichen Mann hingezogen. Von seiner volkstümlich-schlichten Erzählweise schwärmt sie in einem Brief an Arnim; „ich denke, daß er mir in manchem statt der alten Göthe dienen soll." 5 9 In Landshut schließt sie sich sogleich an Sailer an; auf gemeinsamen 57 58

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Vgl. dazu Stoll I, S. 350. Vgl. Savignys Brief vom 4. März 1810 aus Landshut an Johann Heinrich Christian Bang (1774—1851), Pfarrer in Goßfelden an der Lahn, der nicht nur mit Savigny, sondern auch mit den Geschwistern Brentano eng befreundet w a r ; Stoll I, S. 403 f. Steig II, S. 241.

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Spaziergängen findet sie bei ihm ein offenes Ohr für ihre „jugendlichen Ansichten" 60 . D a ß sie sich in Landshut, sicher unter dem Einfluß Sailers, intensiv mit religiösen Fragen befaßt und mit der Bibel wie mit Luthers Schriften beschäftigt hat, zeigen die Briefe an Freyberg. Sie, die allem Kirchlichen nach ihrer eigenen Aussage „mit gänzlicher Ignoranz und Nichtachtung"®1 gegenübersteht, besucht regelmäßig Sailers Predigten in der Universitätskirche und studiert mit einem kleinen, aus einigen Freunden zusammengesetzten Chor Kirchenmusik ein.62 Wenngleich auch Sailer zeitweilig Schellings Ideen nahegestanden hat, 83 die eigentlichen „Schellingianer" innerhalb der Landshuter Bewegung sind unter den Naturwissenschaftlern zu suchen, die bereits 1802 die Ehrenpromotion Schellings erreicht hatten. Unter ihnen ragen, auch in Bettines Briefen aus dieser Zeit, die Mediziner Friedrich Tiedemann und Johann Andreas Röschlaub, einer der entschiedensten Verfechter der Schellingschen Philosophie, sowie dessen berühmterer Schüler und Assistent Johann Nepomuk Ringseis63" hervor; ferner der Mathematiker und Theologe Maurus Magold und der Forstwissenschaftler Georg Anton Dätzl. Sie alle gehören zu dem Kreis, der sich regelmäßig im Hause Savigny trifft; Bettine berichtet Arnim über den Umgang mit diesen „Männern, die doch von den besten der jetzigen Welt sind" 64 . Von ihrem Kampf mit den Anhängern der Aufklärung zeugen die heute allerdings nur noch als Kuriosa genießbaren, gehässig krittelnden Schriften ihres Widersachers, des Philosophen Jakob Salat, über die Vorgänge in Landshut. 65 Mit kleinlichen Sticheleien, mit Konkurrenzvorlesungen und Denunziationen erschwerte man einander das Leben; „welches gräuliche Volk Vgl. ihren Brief an König Friedrich Wilhelm IV., 1849; Werke und Briefe V, S. 3 6 9 ; und Ludwig Geiger: Bettine von Arnim und Friedrich Wilhelm IV. Frankfurt 1902. S. 181 ff. 6 1 So in einem Brief an die Schwester Lulu vom 4. November 1 8 4 6 ; Werke und Briefe V, S. 438. 6 2 Vgl. dazu Briefe und Konzepte, S. 27, sowie Werke und Briefe II, S. 217 f. 6 3 Die These einer Freundschaft zwischen ihnen ist in letzter Zeit allerdings mit Recht verneint worden. (Vgl. Hans Graßl: Das neue Bild der Münchner Romantik. In: Literaturwiss. Jahrb., N . F . 2, 1961, S. 5 5 f . Ferner: Johann Michael Sailer. Leben und Briefe. Dargestellt von Hubert Schiel. 2 Bde. Regensburg 1948/1952.) ®3a Johann Nepomuk Ringseis (1785—1880), später maßgeblich beteiligt an der Verlegung der Landshuter Universität nach München, wurde dort 1826 Professor. Er stand mit Bettine bis ins Alter in freundschaftlicher Verbindung. (Vgl. auch Anm. 90.) 0 4 Steig II, S. 338. 6 5 J. Salat: Denkwürdigkeiten betreffend den Gang der Wissenschaft und Aufklärung im südlichen Deutschland. Landshut 1823. Ders.: Schelling in München. Heidelberg 1845. 60

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hatten wir auch damals uns gegenüber!" schreibt der sonst in seinen Formulierungen eher zurückhaltende Savigny noch vierzig Jahre später.®6 Nach Ringseis' Meinung hatte jedoch gerade Savignys Auftreten unter den Kollegen „etwas freundlich Ausgleichendes, ölartig Beschwichtigendes . . . und dieß nicht in diplomatisch berechneter Weise, sondern aus der Fülle eines liebreich edlen Gemüthes." 67 Entscheidend mitbestimmt und weitergetragen werden die neuen Gedanken schließlich durch die um Savigny und Sailer gescharte Jugend. Sicher ist die Zahl der wirklich geistig interessierten Studenten an der Universität damals nicht groß. Über die sich im allgemeinen in rohen Sitten, ständigen Unruhen und Schlägereien äußernde jugendliche Kraftmeierei der Studentenschaft beklagen sich auch Savigny und Sailer. Umso mehr widmen sie sich jenen begabten Schülern, über die Bettine schreibt: „nur wenige junge Leute besuchen unser H a u ß , aber dieße sind ausgezeichnet, an Geist, und auch an Schönheit" 68 . D a ist einmal die von Bettine so genannte „Ringseisische Compagnie" 68 , eine Gruppe von jungen Medizinern, deren H a u p t und Anführer Johann Nepomuk Ringseis ist. Die religiöse und philosophische Neubesinnung der Landshuter Romantik erweitern sie um jenen christlich-patriotischen Geist, der in dieser Zeit am stärksten unter den Heidelberger Romantikern um Arnim und Görres lebendig ist. Zu diesen werden auch literarische Beziehungen angeknüpft. 1808 erschien in Arnims „Zeitung f ü r Einsiedler" 70 eine Reihe von Gedichten der Landshuter Freunde Nepomuk und Sebastian Ringseis, Joseph Low, Karl Aman und anderer, die allerdings mehr von jugendlichem Enthusiasmus als von poetischer Gestaltungskraft geprägt sind; die ganze Welt wird hier in die Schranken gefordert. In der Vorstellungswelt dieser Studenten vereinigen sich ziellos-kriegerische Gefühle, ethische Hochspannung und exaltierter Mystizismus zum Bewußtsein besonderer Erwählung. So heißt es in einem Brief, den sie als Antwort auf den Druck ihrer Gedichte im „Einsiedler" an Görres nach Heidelberg schreiben: „Wir sind der unerschütterlichen Überzeugung, daß uns der Herr des Himmels zu ganz besonderen Zwecken verbunden habe . . . Die Zeichen der Zeit sind außerordentlich; Erdbeben, Pestilenz und allgemeinen Religionskrieg erwarten wir, und wir brennen durch und durch, für das Höchste, für Religion und Vaterland zu kämpfen und zu siegen, oder im Kampfe zu sterben. Heldentaten möchten wir tun, wert, von Dichtern besungen zu 66

67 08 69 70

An Ringseis am 13. März 1851. Vgl. O. Pfülf S. J.: Savigny und die Dinge in Bayern. In: Stimmen aus Maria Laach 67, 1904, S. 203. Ringseis, Erinnerungen I, S. 97. Briefe und Konzepte, S. 27. Steig II, S. 246. In der Nr. 33 vom 23. Juli 1808.

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werden . . . Aber dringende Not, deutlichere Zeichen und Aufforderungen vom Himmel erwarten wir . . . Nur Gegenstände, um Gottes willen, Gegenstände her, an denen unser Geist würdig sich üben kann!" 71 Das ist noch ganz im Stil ähnlicher pathetischer Ausbrüche der im „Göttinger Hain" vereinigten Klopstockjünger geschrieben. Die Freunde werden durch Clemens Brentano bei Savigny eingeführt und Ringseis datiert von da an eine neue, reiche Epoche seiner Landshuter Studienzeit. 72 Ihnen „durch Gesinnung verwandt" 73 sind Savignys Schüler, die Juristen Alois Bihler, Karl von Gumppenberg, Eduard Schenk, Antonio Salvotti, Xaver Nußbaumer 73 " und Max Prokop von Freyberg; auch sie feurige Anhänger des neuen Landshuter Geistes und seiner Lehrer, lechzend nach großen Taten und Heldenruhm. Unbestrittener weiblicher Mittelpunkt des geselligen Lebens im Hause Savigny ist Bettine. Man muß sich wohl ihre Rolle im Kreise dieser jungen Leute, nur wenige sind gleichaltrig, die meisten einige Jahre jünger als sie, schon ähnlich der der alternden Frau unter „ihren" Berliner Studenten denken. Wie sie diese durch die Widmung der „Günderode" zu „heiligkühner" Begeisterung aufrief, 74 so hat sie schon in Landshut „aus jedem den göttlichen Funken herauszuschlagen"75 versucht. Es muß in diesem letzten Jahr vor ihrer Ehe von der jetzt Fünfundzwanzigjährigen eine ganz besondere Faszination ausgegangen sein, die ja einige Monate später in Wien auch Beethoven tief beeindruckt und in Teplitz Goethe mehr denn je zu fesseln vermag. Alle Zeugen der Lands71

72 73 73a

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Zehn Landshuter Studenten an Joseph Görres, Landshut, 22. August 1808. In: Briefe deutscher Romantiker. Hrsg. von Willi A. Koch. Leipzig o. J. S. 406 ff. Ringseis, Erinnerungen I, S. 93. Ebd. Alois Bihler (1788—1857), später Appellationsgerichtsrat in Nürnberg. Hinterließ handschriftliche Jugenderinnerungen; ein Auszug daraus wurde posthum veröffentlicht. (Vgl. A. B. [d.i. Alois Bihler]: Beethoven und „das Kind". In: Die Gartenlaube, Nr. 20, 1870, S. 314 f.) — Karl von Gumppenberg (1791—1863) wurde Präsident des Oberlandesgeridits in München und bayerischer Staatsrat. — Eduard Schenk (1788—1841,1828 in den Adelsstand erhoben), von 1828 bis 1831 bayerischer Innenminister; trat auch als Dichter hervor. — Antonio Salvotti von Eichenkraft und Bindeburg (1789—1866) stammte aus Mori bei Trient, starb als österreichischer Reidisrat. — Franz Xaver Nußbaumer (1788—1854), zuletzt Bergwerks- und Salinenkassierer in München. — Zu ihren Briefen an Bettine vgl. Anm. 78 und Anm. 90. Vgl. die der „Günderode" vorangesetzte Widmung. Werke und Briefe I, S. 217. Vgl. Heinrich Treitschke: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. 4. Teil. Leipzig 1889. S. 418.

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huter Zeit sind bemüht, dieses eigenartig Bezaubernde ihres Wesens zu beschreiben. „Ihre ganze Erscheinung hatte etwas Besonderes. Von kleiner, zarter und höchst symmetrischer Gestalt, mit blassem klarem Teint, weniger blendend schönen als interessanten Zügen, mit unergründlich dunklen Augen und einem Reichthum langer schwarzer Locken, schien sie wirklich die in's Leben getretene ,Mignon' oder das Original dazu gewesen zu s e i n . . . Wer diesem eigentümlichen Wesen jemals nahe getreten war, konnte es im Leben nicht mehr vergessen. Ihr reicher Geist, ihre sprudelnde Regsamkeit, voll poetischer Gluth und Phantasie, verbunden mit ungesuchter Anmuth und grenzenloser Herzensgüte, machten sie im Umgange unwiderstehlich", erinnert sich Alois Bihler, der an den geselligen Abenden bei Savignys Bettines Gesang am Klavier begleitete." Die Verehrung der Landshuter Studenten für Bettine ist aber doch mehr von „staunender Bewunderung", denn von „zarteren Gefühlen" bestimmt; 77 man findet sie eher interessant, geistreich, genial. Und wenn sie den Freunden als ein Engel erscheint, so ist dabei weniger an eine sanfte, anmutige Gestalt zu denken als an eine heldische Natur, einen „Erzengel". Bettine berät die jungen Leute in ihren Herzensangelegenheiten und oft, so schreibt sie, sei sie bange gewesen, daß die schüchternen Geständnisse ihr selbst galten; aber es ging dann doch allemal um eine andere. 78 Freybergs Tagebücher aus den Jahren 1809 und 1810 berichten häufig von Zusammenkünften bei Savigny, wo Professoren und Studenten sich zu gemeinsamem Musizieren, zu Schach- und Billardspiel und zu enthusiastischen Gesprächen trafen. Daß dabei die politischen Zeitereignisse kaum berührt werden, mag verwundern, wenn man bedenkt, daß Bayern damals im Zentrum der napoleonischen Kriege lag und Landshut im Jahre 1809 nicht nur Schauplatz wiederholter Truppendurchzüge, sondern auch einer Schlacht zwischen der österreichischen und der französischen Armee war, daß man den Aufstand der Tiroler aus nächster Nähe verfolgen konnte. Der Grund ergibt sich jedoch aus der besonders schwierigen politischen Situation Bayerns. Die Parteinahme der Regierung für Napoleon läßt die deutsch-nationale Gesinnung im Lande nur zögernd und nur im geheimen aufkommen und muß die bayerischen Patrioten zudem in einen inneren Zwiespalt bringen, kämpfen doch die eigenen

« Vgl. Bihler, S. 315. Vgl. Ringseis, Erinnerungen I, S. 96. 7 8 Vgl. „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde"; Werke und Briefe II, S. 243. — Rührend klingt der Brief Nußbaumers, den Bettine zeitweilig finanziell unterstützte, vom 6. Juni 1810: „Fräule! Sie sind mir hier in Landshut als ein wohlthätiger Engel erschienen . . . Sie sind meine erste Wohlthäterin, und meine Brodmutter." (Unveröffentlichter Brief H GSA.) 7

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Truppen unter der Fahne des Imperators. Jegliche aktive Beteiligung am politischen Geschehen ist selbstverständlich nur im Sinne des offiziellen Kurses möglich. 79 Es bleibt innerhalb des Landshuter Kreises bei einigen studentischen Kommersen, wobei mit „großem burschikosen Enthusiasmus... auf Deutschheit gesungen und getrunken" 80 wird; ihnen folgen aber fast regelmäßig hochnotpeinliche Untersuchungen und Verwarnungen der Rädelsführer durch die Universitätsbehörde oder gar Drohungen, z. B. mit dem Entzug der Stipendien, von Seiten des Ministeriums in München. Ringseis schreibt in seinen Erinnerungen: „Obschon unter uns ein näheres Eingehen auf die Fragen der Politik nicht an der Tagesordnung war, so lastete doch die allgemeine Weltlage, insbesondere aber die des deutschen, des bayerischen Vaterlandes uns auf dem Herzen." 8 1 Im Hause Savignys ist man durch die Verbindung mit Görres und Creuzer in Heidelberg, mit Arnim und Clemens Brentano in Berlin über die Entwicklung im übrigen Deutschland zweifellos im Bilde, man wird auch in der Familie solche Nachrichten besprochen haben. Bettines Briefe an Arnim sind weiterhin voller, wenngleich verschlüsselter, politischer Anspielungen. Doch mußten gerade Savigny und Sailer eine unliebsame Beeinflussung ihrer Studenten vermeiden, um nicht den Argwohn der Universitätsverwaltung zu erregen, mit der auszukommen ihnen ohnedies schwer genug gemacht wurde. Es ist hauptsächlich ein schöngeistiger Salon, der sich bei Savigny zu heiterer Geselligkeit versammelt. Man befaßt sich mit neuester Literatur und bildender Kunst. Goethes soeben erschienene „Wahlverwandtschaften", aus denen Savigny oder Bettine vortragen, sind Gegenstand der abendlichen Gespräche, wobei Bettine ihren Meister gegen jede Kritik mit Lebhaftigkeit verteidigt. Auch die von Goethe erhaltenen Briefe pflegt sie herumzuzeigen. Das Interesse für bildende Kunst ist unter den Studenten allgemein sehr groß. Freyberg verkehrt mit seinen Freunden Gumppenberg und Schenk bei dem Akademiedirektor von Langer in München; Ausflüge dort79

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Nidit so sehr auf Überzeugung als auf den Drang nadi „Heldenruhm" dürfte es jedoch zurückzuführen sein, daß die Landshuter Studenten zur Zeit des Tiroler Aufstandes gegen Bayern eine Abordnung, zu der auch Freyberg gehörte, nach München schickten, um den König ihrer Bereitschaft zum Waffendienst zu versichern. Dieser ließ ihnen allerdings noch unterwegs ausrichten: „Die Buben sollen studiren." (Vgl. dazu K. Höfler: Max Procopius Freiherr von Freyberg-Eisenberg. In: Histor.-polit. Blätter für das kathol. Deutschland 29, 1852, S. 140.) Vgl. Savignys Brief an Clemens Brentano vom 27. Februar 1810; Stoll I, S. 402 f. Ringseis, Erinnerungen I, S. 101.

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hin, wie ins nahegelegene Schleißheim, werden stets zum Besuch der Galerien benützt. Freybergs Kunstbetrachtungen in seinen späteren italienischen Tagebüchern verraten ein früh geschultes, sicheres Urteilsvermögen. Auch das in dieser Zeit weitverbreitete Studium alter und neuer Kupferstiche wird eifrig betrieben. Als Max Prokop seinem jüngeren Bruder Wilhelm 1810 Ratschläge für dessen juristisches Studium in Landshut erteilt, gehört dazu auch dieser: jeden Sonntagvormittag das Kupferstichkabinett zu besuchen.82 Wie in München vermag jedoch auch in Landshut das gesellige Leben Bettine nie ganz auszufüllen. Es sei nur „ein lustiger, bunter Vorhang", mit dem sie sich in Gesellschaft maskiere und der, sobald sie wieder allein sei, „sich nadi und nach vor einem ernsten, oft tiefbetrübten Gesicht in die Höhe (zieht)" soll Ludwig Emil Grimm in Landshut einmal zu ihr gesagt haben. 83 Bettine schwankt mehr und mehr zwischen dem Verlangen nach Einsamkeit, das sie bisweilen fast schmerzlich überfällt, und der Klage über ihre große innere Verlassenheit. Sie liest ganze Nächte hindurch in Goethes Werken, in der Bibel, „im Luther" oder in zeitgenössischen philosophischen Schriften. Tagsüber hängt sie auf der Trausnitz, dem Landshuter Sdiloßberg, ihren Träumen und Phantasien nach, versucht wohl auch in Tagebuchblättern und kleinen Abhandlungen die sie bewegenden Gedanken zu formulieren. 84 An Arnim schreibt sie im Januar 1810: „Oft denke ich, der Schlaf ist besser als Wachen, weil da die Grenzen des Daseins zusammen fallen, weil da mich keiner halten kann im geschwinden Flug . . .", denn „Im Traum auch nur läßt sich ahnden, wie unendlich die Seele ist, da in einem einzigen ihrer Gedanken, oder Athemzüge, der Mensch schwimmt wie ein kleiner Fisch im Meere und nicht weiß, wie er herkömmt und wohin?" 8 5 Zu einem letzten Höhepunkt dieser Zeit gestaltet sich der Abschied im Frühjahr 1810, als Savigny Landshut verläßt und einem Ruf an die neugegründete Berliner Universität folgt. Zunächst begibt er sich jedoch mit seiner Familie und Bettine für die Sommermonate auf den Brentanoschen Familienbesitz Bukowan in Böhmen. Die letzten Tage und Wochen in Landshut sind erfüllt von einer hektischen Betriebsamkeit. Die Studen82 83 84

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Unveröffentlichter Brief H Jetzendorf. Steig II, S. 356. Die in ihrem Nachlaß im F D H erhaltenen, noch unveröffentlichten Blätter, die Bettines Datierung zufolge in den Jahren 1809 und 1810 entstanden sein sollen, sind jedoch vermutlich erst später, während der Arbeit an „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde" von ihr verfaßt worden. Wie es sich mit ähnlichen, im GSA liegenden Aufzeichnungen von ihrer Hand verhält, müßte noch geprüft werden (vgl. auch Anm. 152). Steig II, S. 372.

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ten helfen beim Packen oder versammeln sich vor der Wohnung des verehrten Lehrers zu Vivatrufen. Zahlreiche Kollegen Savignys und Freunde der Familie finden sich zu einem letzten Besuch ein. „Bey meinem öffentlichen Abschied haben Viele geweint", berichtet Savigny den Brüdern Grimm nach Kassel. 88 Freybergs Tagebuch schildert den Aufbruch in detailfreudiger Ausführlichkeit und mit pathetischem Überschwang, als ein sdiicksalschweres Ereignis. Am 2. Mai „um 10 Uhr sammelten wir uns, wir traten im Bibliothek-Saale zusammen und tranken das Valet!" Zwei Stunden später geleiten Professoren und Studenten den „Meister" im Triumphzug aus der Stadt, wo man sich unter Tränen trennt. Bettine schreibt später an Goethe: „die ganze Welt war in und vor unserm Hauße versammelt, es ward Wein ausgetheilt, und unter währendem Vivatrufen ging der Zug zu Fuß zum Thor hinaus, die Reiter begleiteten das Fuhrwerk, auf einem Berg, wo der Frühling eben zum erstenmal die Augen aufgethan hatte, nahmen die Professores und ernsteren Personen einen feierlichen Abschied . . ." 87 Mehrere von Savignys engsten Schülern ziehen mit der Gesellschaft zwei Tagereisen weit mit bis nach Salzburg. Sie reiten voraus oder sitzen abwechselnd neben ihrem Lehrer im Wagen oder bei Bettine auf dem Bock. Erste Station ist der Wallfahrtsort Altötting, dessen düstere Weihe die Gemüter feierlich erhebt; erst am Abend des nächsten Tages erreicht man Salzburg. Das Erlebnis der großartigen Gebirgslandschaft und der nächtlichen Einfahrt in die Stadt verdiditet sich für Bettine zum gespenstigen Traum: „langsam wie die Geister hob sich hie und da ein Berg und sank almählig in seinem blizenden Schneemantel wieder unter, mit der Nacht waren wir in Salzburg; es war schauerlich, die glattgesprengten Felsen himmelhoch über den Häusern hervorragen zu sehen, die wie ein Erdhimmel über der Stadt schwebten, im Sternenlicht; und die Lanternen, die da all mit den Leutlein durch die Straßen fackelten; und endlich die 4 Horn, die schmetternd den Abendseegen bliesen: da tönte alles Gestein und gab das Lied vielfältig zurück, die Nacht hatte in diesem fremden Ort gleichsam einen Zaubermantel über uns geworfen: wir wüsten nicht, wie das war, daß alles sich beugte und wankte, das ganze Firmament schien zu athmen . . ." 8 8 Am nächsten Morgen besteigt man gemeinsam den nahen Gaisberg und versammelt sich auf der Höhe, wo man einen heiligen Schwur ewiger Freundschaft ablegt. Im allgemeinen Begeisterungstaumel zerbricht Bettine ihren Granatschmuck und verteilt die Stücke 88 87 88

Stoll I, S. 412. A m 13. Juli 1810 aus Bukowan; vgl. Bergemann, S. 2 9 6 f . Vgl. die unter dem 28. Juli 1810 an Goethe gerichteten Zeilen; Bergemann, S. 301 f.

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unter die ihr zujubelnden Studenten, die sie halb ernst-, halb scherzhaft zu „Rittern vom Granatorden" schlägt.89 Noch ganz von der Salzburger Hochstimmung getragen ist der kurze Briefwechsel, den Bettine dann von Wien und Bukowan aus mit einigen der „Granatenritter" führt, von dem aber mit einer Ausnahme nur Briefe an Bettine erhalten sind. 90 Darin empfehlen sich die Freunde ritterlichhuldigend oder auch naiv-anhänglich ihrer Erinnerung. Rührend klingt das Bekenntnis des zweiundzwanzigjährigen Nußbaumer vom 6. Juni 1810: „Fräule! nie hab ich mich ja einem Menschen so gern vertraut als Ihnen." 91 Und Ringseis teilt ihr mit: „Als wir von Ihnen geschieden waren, haben wir Ihr Andenken häufig durch begeisterte Rückerinnerungen gefeyert, und Ihr Name ward nicht anders als mit Enthusiasmus genannt." 92 Die meisten dieser Briefe machen allerdings auch das Forcierte solcher exaltierten Gefühlsseligkeit deutlich, die im Grunde noch ganz dem Freundschaftskult des 18. Jahrhunderts verhaftet ist. Die Hyperbolik des Ausdrucks läuft ständig Gefahr, zur Phrase zu werden. „Elender kann ich mir unmöglich den Zustand eines Unglücklichen, den ein fürchterlicher Sturm auf eine menschenleere öde Insel verschlägt, denken, als den meinigen in dem nun ganz verödeten Landshut", klagt Gumppenberg in seinem ersten Brief vom 17. Mai 1810, kurz nach der Rückkehr; den zweiten, vom 12. Juli, unterschreibt er als „Ihr Ritter bis in den Tod" 9 3 . Das ist derselbe Ton, der sich dann auch im Freyberg-Briefwechsel bis zur Peinlichkeit wiederholt. — Von Bettines Seite ist lediglich ein Auszug aus einem Brief an Alois Bihler vom 9. Juli 1810 bekanntgeworden, der 89 90

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Vgl. „Goethes Briefwechsel mit einem K i n d e " ; Werke und B r i e f e II, S. 244. Überliefert sind je 2 Briefe von G u m p p e n b e r g (1810) und Ringseis (1810 und 1815), 1 Brief v o n N u ß b a u m e r (1810) (unveröffentlicht, Handschriften G S A ) ; 2 B r i e f e von Alois Bihler (1810 und 1814) (unveröffentlicht, H a n d schriften Staatsbibliothek München). Ferner 1 Brief Bihlers v o m 19. Juli 1810 (vgl. Albert L e i t z m a n n : Beethoven und Bettina. I n : Deutsche Revue, 43. Jhg., 1918, B d . 1, S. 116 ff.) sowie 1 Brief von Ringseis (vgl. Ringseis, Erinnerungen I, S. 549 f . ; Bettines spätere Briefe an Ringseis, aus den Jahren 1816—1850, sind abgedruckt bei O . P f ü l f S. J . : Aus Bettinas Briefwechsel. I n : Stimmen aus M a r i a Laach, B d . 64, 1903, S. 4 3 7 — 4 5 4 , S. 5 6 4 — 5 7 3 und Bd. 65, 1903, S. 74—88). — Weitere Briefe der Landshuter Freunde muß Varnhagens N a c h l a ß in der Preuß. Staatsbibliothek, Berlin, enthalten haben, der heute als verschollen gilt. W a l d e m a r Oehlke erwähnt daraus B r i e f e v o n N u ß b a u m e r , Schenk und Bihler. (Vgl. Waldemar O e h l k e : Bettina von A r n i m s Briefromane. Palaestra X L I . Berlin 1905. S. 146 f.) Unveröffentlichter Brief H G S A (vgl. A n m . 90). In seinem Brief v o m 20. J u n i 1810 (unveröffentlicht, H G S A ) . (Vgl. A n m . 90.) Unveröffentlichte Briefe Handschriften G S A (vgl. A n m . 90).

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ihre erste Begegnung mit Beethoven in Wien schildert.' 4 Aus den überschwenglichen Dankesbezeugungen der Briefpartner ergibt sich aber, daß sie auf Schreiben Bettines antworten, die sicher ganz ähnlich von den Erinnerungen an die Zeit in Landshut und den Salzburger Abschied schwärmten. Einige Wochen später schreibt sie aus Bukowan an Goethe: „da ich Dir zum leztenmal von Landshuth aus schrieb . . . wüste ich nicht, wie reich ich war, wie mir Schäze zugeflossen waren, von denen ich keine Ahndung hatte, daß sie in der Welt seyen. — jezt muß ich sagen, daß Landshuth mir der gedeihlichste Aufenthalt war, in keiner Hinsicht kann ich es genugsam preißen . . ," 9 5 Das ist noch unter dem Eindruck des Salzburger Abschieds empfunden und verrät doch auch schon die Wirkung der ersten Briefe Freybergs. In der Rückbesinnung wird Landshut mit seinen „geweißten Giebeldächern und dem geplackten Kirchturm"' 6 zur Idylle, die „Landshuter Jugendfreundlichkeit" 97 zur zeitlebens gehüteten, oft beschworenen Erinnerung. Erst die fast Sechzigjährige sollte bei einem Besuch in München im Jahre 1843 einige der alten Freunde wiedersehen. In dem bereits erwähnten Reisebericht an Goethe aus Bukowan entwirft Bettine in wenigen, das jeweils Typische anschaulich charakterisierenden Sätzen die Portraits der Begleiter. Da sind der rührend treue Schwabe Bihler, „die personifizirte Volksromanze"; Nepomuk Ringseis' „Ritterfisiognomie"; der weltmännisch gebildete Eduard Schenk, der südländisch schöne Italiener Salvotti und Karl von Gumppenberg, „sehr edlen Herzens, bis zur Schüchternheit still". Dabei hebt sidi zum erstenmal eine Gestalt deutlich unter den übrigen heraus: Max Prokop von Freyberg: „der bedeutendste unter allen: 20 Jahr alt, eine Gestaldt als ob er 30 Jahr hätte, groß und stark, ein Gesicht wie eine Römische Gemme, die Liebe und das Wohlwollen leuchtet aus allen Bewegungen; spricht beinah nie — selbst seine besten Freunde, denen er auf alle Art seine Zuneigung beweist, haben noch kein vertrauliches Wort von ihm gehört — verträgt die härtesten Anstrengungen, schläft wenig, guckt alle halbe Stunde Nachts zum Fenster hinaus nach den Sternen; hat gar nicht das, was man äuserlich Bildung nent, geht doch mit Fürsten um, ändert nie sein Wesen in Gesellschaft, ist von den andern als der Erste angesehen, obschon er weder Verstand noch Wiz äusert, aber was der Freiberg will, 94

95 98 97

Abgedruckt bei Bihler, S. 315. (Der Brief ist allerdings nicht, wie dort irrtümlich angegeben, in Wien, das Bettine bereits Anfang Juni wieder verlassen hatte, geschrieben, sondern in Bukowan.) Bergemann, S. 295. Vgl. „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde"; Werke und Briefe II, S. 245. So in einem Brief an Ringseis vom 24. August 1833; vgl. Pfülf, S. 572.

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das muß geschehen... bei ihm ist aber ein Wort, wie der Anschlag in einem Bergwerk: eine Schichte führt zur andern, und ist nimmer des Schazes ein End, so wie die Erd durchdrungen ist mit tausend verborgnen Adern, also sein Herz mit Liebe."88 Die schwärmende Bettine zeichnet das Idealbild eines romantischen Jünglings. Dieses Portrait des jungen Freyberg geht nur wenig verändert in „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde" ein; dort ist es nodi um zwei Züge vermehrt: „geheimnisvolle Natur . . . übt eine magische Gewalt über die Freunde . . In der Erinnerung verstärkt sich also der Eindruck des rätselhaft Unergründlichen. Max Prokop Freiherr von Freyberg-Eisenberg, geboren am 3. Januar 1789 in Freising, stammt aus einem alten süddeutschen Adelsgeschlecht.100 Nach dem frühen Tod des Großvaters war sein Vater Johann Baptist als Zweitgeborener einer nicht eben sehr begüterten Familie zum geistlichen Stande bestimmt worden; bereits dem Fünfzehnjährigen war eine Domherrenstelle in Freising zugedacht. Während eines längeren Aufenthaltes in Frankreich lernte er jedoch die Tochter eines protestantischen, sächsisch-gothaischen Oberstleutnants, Luise Dorothea von Wangenheim, kennen, die damals Hofdame der Prinzessin von Soubise war. Er heiratete sie 1781, ohne vorher die Einwilligung der Familie eingeholt zu haben, sowohl nach protestantischem wie nach katholischem Ritus. Der Hausstand wurde zunächst in Straßburg gegründet. 1784 trat Freyberg in den Dienst des Fürstbischofs von Freising, erst als Geheimrat und Oberstküchenmeister, später auch als Oberstjägermeister und Pfleger von Burgrain. Von den vier Kindern aus dieser Ehe — drei Söhnen und einer Tochter — war Max Prokop das zweite, beim Tod des erst vierzigjährigen Vaters (1796) gerade sieben Jahre alt. Aus seiner Kindheit und frühen Jugend wissen seine Biographen wenig zu berichten.101 Die Kinder blieben zunächst weiter in Freising unter der Obhut der Mutter, einer „Dame von entschlossenem Charakter und großer Geschäftsgewandtheit"102, die die Verwaltung des väterlichen Erbes für die Kinder übernommen und dazu ein Haus in der Residenz-Schwabinger Gasse in München gekauft hatte, wo die Familie auch zeitweilig wohnte. Max Prokop besuchte seit 1799 88 99 100

101

102

Bergemann S. 297 ff. Werke und Briefe II, S. 242. Zur Geschichte der Freiherrn von Freyberg wie zur Biographie Max Prokops vgl. Karl Freiherr von Freyberg: Hundert Jahre Edelmannsleben. I. Bd.: Der Großvater Max Prokop. [Mehr nicht erschienen.] München—Regensburg 1928. Außer der Biographie Karl von Freybergs (vgl. Anm. 100) kommen hier die Gedächtnisrede von K. Höfler (vgl. Anm. 79) sowie die Beiträge in ADB VII, 1878, S. 365 ff. und N D B V, 1961, S. 420 f. in Betracht. Vgl. Edelmannsleben, S. 12.

Abb. I

Bettine Brentano (1809)

Abb. II

Max Prokop von Freyberg (1824)

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die Theresianische Akademie in Wien und wurde im Herbst 1803 mit vierzehn Jahren in München in die kurfürstlich-bayerische Pagerie aufgenommen. Seine Mutter hatte sich inzwischen in zweiter Ehe mit dem Freiherrn Karl von Keßling vermählt, der als Oberststallmeister des bayerischen Kurfürsten auch die Aufsicht über die Pagen innehatte. Obwohl Max Prokop und seine Geschwister einem anderen Vormund unterstanden, wurde das neue Familienoberhaupt doch ganz selbstverständlich als väterliche Autorität anerkannt und respektiert; das geht aus gelegentlichen Bemerkungen in den Tagebüchern des Stiefsohnes eindeutig hervor. Aus den Jahren in Wien wie aus der ersten Zeit in der Pagerie sind keine Tagebuchaufzeichnungen vorhanden, sie setzen erst gegen Ende des Jahres 1806 ein.103 Es scheint, daß dem stillen und verschlossenen Knaben innerhalb der umfassenden Ausbildung der Pagen die Reitübungen und der Dienst zu Pferde am meisten Freude und Befriedigung bereiteten, er ging auch gerne zur Jagd, während er an den zahlreichen Hoffesten, die vor allem zur Faschingszeit veranstaltet wurden, wenig Vergnügen fand. Er zog sich gerne zurück, las viel und studierte eifrig; doch verzeichnen die Tagebücher auch häufige Theaterbesuche, allerdings ohne nähere Erläuterung der Aufführungen oder der empfangenen Eindrücke. Im August 1807 aus dem Pagendienst entlassen und mit einem Stipendium des Hofes für drei Jahre ausgestattet, begann der Achtzehnjährige im Wintersemester 1807/08 das juristische Studium in Landshut. Ein Jahr später wird dort Savigny, der „herrliche, göttliche Mann" 104 , sein leidenschaftlich verehrter Lehrer; bald ist er auch in dessen Haus eingeführt. Jede persönliche Begegnung mit Savigny wird im Tagebuch, das er jetzt mit großer Hingabe und Genauigkeit führt, vermerkt und mit pathetischen Worten festgehalten. Eintragungen wie diese: „Dann ging i c h . . . zu Savigny. Ein herrlicher Mann; freundlich, gefällig, der erste seiner Wissenschaft" oder „Vormittag besuchte i c h . . . Savigny. Des herrlichen Mannes! er reichte mir seine würdige Hand", finden sich häufig. Unter dem 30. November 1809 heißt es: „Nachmittags bey Savigny dem vortrefflichen M a n n e . . . Ich lerne stets viel bey diesem hoch gescheiten Menschen, bey diesem wahren teutschen BiderMann und genialischen Geiste voll Einfachheit und Größe!" Und am 15. Dezember schreibt er: „Ich ging um 10 mit Schenk und Gumppenberg zu Savigny. Ein göttlicher Mann! Gott segne ihn. Ich bin von Ehrfurcht gegen ihn hingerissen." Von den übrigen Professoren werden Sailer, Tiedemann und Ast 103

104

Die bisher nur in Auszügen veröffentlichten Tagebücher Max Prokops (vgl. Edelmannsleben, passim) befinden sich im Besitz von Baron Alfred von Freyberg, Jetzendorf. Sie wurden für diese Arbeit freundlicherweise zur Verfügung gestellt. In den Tagebüchern kehrt diese Wortverbindung stereotyp wieder.

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öfter erwähnt, unter den Studiengenossen sind seine nächsten Freunde „Charles" von Gumppenberg und Eduard Schenk; sie alle Mitglieder des engeren Kreises um Savigny. Preyberg ist jetzt zwanzig Jahre alt; noch immer ein ernster, grüblerischer, selbst im Umgang mit Gleichaltrigen verschlossener und schüchterner Jüngling. Zwar widmet er sich seiner Ausbildung mit großem Fleiß und erledigt besonders „was die Studien b e t r i f t . . . Savignys Arbeiten nicht ohne Freude" 105 ; doch gilt sein Interesse gleichermaßen der bildenden Kunst und Literatur. Die Tagebücher verzeichnen regelmäßige Museums- und Theaterbesuche; in einem Brief an seinen jüngeren Bruder Wilhelm aus dem Jahre 1810 empfiehlt er diesem als Lektüre die Werke von „Goethe, Schiller, Jean Paul, Schlegel und Herder" 1 0 6 . „Hamlet", den er in zahlreichen Aufführungen gesehen hat, und die Gestalt des Max Piccolomini gehören zu den mit Vorliebe zitierten literarischen Vorbildern, mit denen er sich identifiziert; von Bettine erbittet er sich später „Romanzen der ritterlichen Vorwelt" (33/182 f.). Wie die übrigen jungen Leute des Landshuter Kreises ist er erfüllt von einer schwärmerischen, jugendlich-unbestimmten Sehnsucht nach hohen Idealen und „großen Taten". Aus nationaler Begeisterung und einer exaltierten, ganz aus dem Gefühl lebenden Religiosität erwächst die Vision eines wiedererstandenen heiligen Reiches aus der Verbindung von Christentum und Germanentum, f ü r das zu kämpfen sie sich von Gott auserwählt glauben. Die Gewißheit solcher Berufung steigert sich bei Freyberg jedoch zu einem nur auf sich bezogenen messianischen Sendungsbewußtsein, das in den Tagebüchern wie später in den Briefen an Bettine verhüllend umschrieben wird als sein „Geheimniß" oder seine „Bestimmung"; als ein göttlicher Auftrag, „das Werk" zu vollbringen: „Ja, ja, was geschrieben steht, die Stund ist nah! Sie komme finde mich den bereiteten. Gieb mir dein Schwert du allermächtigster auf daß ich dein Reich gründe." 107 In einem seiner Briefe spricht er von seinem „apostolischen Beruf" (64/29), ohne daß dahinter doch je irgend konkrete Ziele deutlich würden. Selbst noch in der verzweifelten Antwort auf Bettines Abschiedsbrief, da er ihr nun „nichts mehr verhehlen" und sein Geheimnis offenbaren will, wird doch nichts anderes als wieder nur das Verworren-Ungreifbare seiner drängenden Sehnsucht sichtbar (73/14 ff.). Von allen Landshuter Freunden sollte es ihm später am schwersten fallen, seine hochgespannten Erwartungen mit der Realität und den täglichen Pflichten seines bürgerlichen Berufes in Einklang zu bringen. 105 108 107

Tagebuch, 9. November 1809. Unveröffentlichter Brief H Jetzendorf. Tagebuch, 19. April 1809.

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Bettine ist Freyberg wohl zum erstenmal im Herbst 1809, nach ihrer Übersiedlung von München nach Landshut begegnet; wahrscheinlich sogar nicht vor Beginn des Wintersemesters im November, als die Studenten aus den Ferien zurückkehrten. In Max Prokops Tagebuch wird sie erstmals am 7. Dezember als Angehörige der „vortrefflichen Familie" seines verehrten Lehrers erwähnt: „Heute war ich mit Gumppenberg bey Savigny. Da er zuerst zu thun hatte so führte uns die Bettine unterdessen in ihr Zimmer. Mir hat das viel Vergnügen gemacht, Sie hat uns schöne Gemälde gezeigt und richtig über Kunst gesprochen. Auch hat sie etwas ganz eignes Alterthümliches heiliges in ihrem Äußern. Später kam P. Sailer, und noch später die Savigny, nach ihr Röschlaub. Audi sie schätze ich als eine herrliche Frau, mit viel Geist und Anmuth. Endlich kam der treffliche Mann. Wir unterhielten u n s . . . ein paar Stunden recht angenehm." 108 Ebenso wie aus den an ihre Geschwister, Arnim oder Goethe gerichteten Briefen Bettines aus Landshut an keiner Stelle hervorgeht, daß Freyberg für sie innerhalb des Kreises um Savigny bald besondere Bedeutung gewonnen hätte — sie nennt ihn nie —, so erscheint auch sie in den folgenden Monaten in seinen Tagebüchern nur beiläufig, fast am Rande, wenn von Besuchen bei Savigny die Rede ist. „Ich war abermal Nachmittag bey Savigny. Wir besahen herrliche Zeichnungen. Auch Betinia und seine Gemahlin waren da", notiert er am 20. Januar 1810. Und noch am 13. April 1810 heißt es lediglich nüchtern referierend: „Abends waren wir bey Savigny der uns zu sich laden ließ, weil Bettine die Psalmen sang." 10 » Die ekstatischen Anrufungen und Liebesgeständnisse des Tagebuchs an „mein Mädchen", an einen „gleichgeschaffnen Engel" gelten vielmehr in dieser Zeit weder Bettine, noch sonst einer realen Person. Sie sind an eine fiktive weibliche Idealgestalt gerichtet, die als die „Geliebte meiner Seele", als „Braut über den Bergen" (vgl. auch 55/3 f.) einst Teil jenes in seiner Phantasie geschauten Reiches, seines gottverheißenen Heldenlebens sein soll. Es ist schwer zu entscheiden, wann die Anbetung dieser Idealgestalt in den Tagebüchern, auch für Max Prokop wohl zunächst noch unbewußt, los

109

a u c h Edelmannsleben, S. 19 f. Dort wird das Datum dieser Tagebuchsteile allerdings irrtümlich mit „Donnerstag den 6. Dezember 1808" angegeben; sie findet sich jedoch im Tagebuch von 1809 und ist eindeutig „Donnerstag, den 7. Dez." überschrieben. Ähnliche Eintragungen finden sich am 20. Januar 1810: „Auch Betinia und seine Gemahlin waren da", am 17. Februar: „Auch seine Frau und Betinya waren da" und am 30. Januar anläßlich eines Gesprächs über Goethes „Wahlverwandtschaften": „und Betynia hat es auch gefunden und die Savigny".

V g l

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zur verhüllenden Umschreibung seiner Verehrung für Bettine wird. 110 Doch vollzieht sich dieser „Ubergang zur Personifizierung der Wünsche und Sehnsuchtsgedanken" nicht so rasch und keineswegs so ausdrücklich und vollständig, wie Karl von Freyberg annimmt; die meisten von ihm in diesem Zusammenhang zitierten Tagebuchstellen beziehen sich jedenfalls nidit zweifelsfrei auf Bettine.111 Und wenn Max Prokop abends unter den Fenstern der Savignyschen Wohnung steht, wenn er jede Gelegenheit, das Haus zu betreten, mit Eifer wahrnimmt, so gelten seine Gedanken doch vornehmlich Savigny selbst, ihm hofft er zu begegnen, und nur in zweiter Linie auch dessen Schwägerin Bettine Brentano. Erst in den letzten Wochen des Zusammenseins in Landshut beginnt er wohl, sich eines aufkeimenden Gefühls für Bettine, die jetzt häufiger im Tagebuch auftritt, bewußt zu werden. Seine Verehrung für die Freundin führt, wie nicht anders zu erwarten, sogleich zur Idealisierung ihrer Person. Hatte er bei einer der ersten Begegnungen schon „etwas ganz eignes Alterthümliches heiliges in ihrem Äußern" gefunden, so heißt es nun anläßlich der Beschreibung der Feier zu Savignys Namenstag am 27. Februar 1810: „Auch Betynia zeigte mir ihre schöne Seele voll reinem LebensFeuer und Unschuld." Am 14. März finden sich die überschwenglidien Worte: „Und S. sah ich und B. Wenn du einen Engel hast Mensch werden lassen so ist es B. dieser Spiegel eines ¡dealischen Lebens, dieser Abglanz der vortrefflichsten Menschheit!" Ein Lob aus ihrem Munde, jede an ihn gerichtete Freundlichkeit Bettines, jede kleine Bevorzugung wird im Tagebuch mit beglückten Worten festgehalten: „Heute ist ein schöner Tag gewesen. Wir waren bey Savigny. Ich habe von B Veilchen erhalten; die werden ewig blühen . . . Ich sey der gröste den S gebildet, sagte sie bey Gott ich schwöre daß ich's werden will." 112 Am 18. März 1810 gibt Savigny öffentlich bekannt, daß er einen Ruf nach Berlin angenommen habe. Freybergs Tagebucheintragungen aus den letzten Märztagen stehen ganz unter dem niederschmetternden Eindruck dieser Nachricht und dem Gedanken an die baldige Trennung von seinem Lehrer und von Bettine. „Gott Herr der Heerscharen laß uns diesen Vater laß mir diesen Engel", heißt es am 25. März. 110 y g l dazu Wolfgang Frühwald über die Beziehung Clemens Brentanos zu Emilie Linder. Clemens Brentano, Briefe an Emilie Linder. Hrsg. und kommentiert von Wolfgang Frühwald. Bad Homburg v. d. Höhe (1969) S. 311 f. 111

112

Edelmannsleben, S. 21. — Audi in den Briefen Freybergs kommt es nie zu einer eindeutigen Identifikation der „Braut über den Bergen" mit Bettine; vielmehr scheint es, als würde jene Figur nur zeitweilig die Züge Bettines annehmen, ohne jedoch gänzlich mit ihr zu verschmelzen. Tagebuch, 2. April 1810. Wahrscheinlich handelt es sich hier um dieselbe Szene, an die Freyberg auch in seinem zweiten Brief erinnert: „denn sagten Sie idi sey der Beste unter Savignys Sdiülern . . . " (4/33 ff.).

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Die Stimmung der letzten Wochen bis zum Abschied schwankt ständig zwischen wehmütiger Niedergeschlagenheit, über der Max Prokop wiederholt in heftige Klagen ausbricht, und euphorischer Intensität im Genuß des nun fast täglichen Beisammenseins. Die ersten warmen Frühlingstage locken zu vermehrten Ausflügen in die nähere und weitere Umgebung Landshuts, an denen außer den Schülern Savignys regelmäßig auch die befreundeten Professoren und deren Frauen teilnehmen. Auf solchen Spaziergängen sondern sich Bettine und Max Prokop nun öfter von der übrigen Gesellschaft ab. Die in ihrem exzentrischen Drang und überspannten Mystizismus verwandten Seelen finden sich rasch. „Entzückt" hört Max Prokop zu, wenn die Freundin von Goethe, von Dürers und Raffaels Bildern oder von der Bibel „gottergriffen und gesalbet" spricht.113 Diese Tagebuchnotizen sowie die späteren Erinnerungen im Briefwechsel sind die einzigen Quellen, aus denen man, wenngleich nur in Andeutungen, etwas vom beglückenden Einverständnis der letzten Tage in Landshut erfährt: von einem gemeinsamen Spaziergang im Schloßgarten, wo sich die beiden wie die Kinder necken und balgen, von „bedeutungsvollen" Blicken, „geheimnißvollem" Schweigen und heimlichem Händedrücken. Am Vorabend der Abreise bringt er ihr Veilchen, die sie in die Bibel legt, und erhält auch von ihr „schöne Andenken". Es folgen der Abschied in Landshut und die gemeinsame Fahrt nach Salzburg. Auf dieser Reise versetzt ein nächtliches Gespräch an einem der Fenster des Gasthofes Max Prokop in selige Verwirrung: „Sie neigte ihr Haupt ganz zu dem meinen herüber Aber meine Seele ist stark geblieben" 114 . Bettine erzählt ihm „die Mythe von Castor und Pollux" und sie wählen dieses Sternbild als Symbol ihres „Bundes". „Es ist schön und herrlich um mich seit die klare Freundschaft des vortrefflichsten Mädchens um meine Seele schwebt", notiert er am Morgen des nächsten Tages. Das gesteigerte Gefühl dieser Tage, die Gespräche auf dem Wagen, wo M a x Prokop zwischen Laufen und Salzburg neben Bettine sitzen darf, schließlich das gemeinsame Erleben der heroischen Gebirgslandschaft kulminieren in dem „heiligen" Freundschaftsbund, zu dem sie sich auf dem Gaisberg die Hand reichen. Was für die anderen Freunde mehr oder weniger Ausdruck einer ganz dem Augenblick verhafteten, überschwenglichen Regung ist, wird für Freyberg zu einem richtungweisenden, seine Gedanken, Sehnsüchte und Hoffnungen in den folgenden Jahren bestimmenden Erlebnis. Mit Bettine trennt er sich von den anderen, auf abseits gelegenen Pfaden steigen sie hinab; „und ich weinte und sah ihr ins Auge und sie 113 114

Tagebudi, 20. April 1810. Tagebuch, 2. Mai 1810.

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weinte auch — dann ermannt gingen wir zusammen und blieben fest, und ich drükte oft ihre H a n d , und es tobte in meiner Brust aber ein göttlicher Sturm voll Entschluß heroischer Thaten —". Auch das Versprechen, einander zu schreiben, wird mit einem Händedruck besiegelt; feurig blickt ihm Bettine ins Gesicht: „Freyberg: jetzt erkenne ich die Stellung meines Gestirns meine Briefe an Sie sollen felsenfest seyn . . . wer weis was sich göttliches in uns verbirgt!" l i s Bettines Interesse ist auch in diesen Tagen sicher nicht eindeutig und ausschließlich auf diesen einen Freund konzentriert. Immerhin hatte sie aber wohl schon in Landshut bei Freyberg das stärkste Echo, die heftigste Bewunderung für den idealischen Höhenflug ihrer Gedanken gefunden und schließlich die Überzeugung gewonnen, daß von den jungen Leuten aus dem Kreis um Savigny eben dieser doch „der bedeutendste" 116 sei. Die Gleichgestimmtheit ihrer Seelen führt nun zu einem Briefwechsel, dessen leidenschaftlicher Ton, das ist bezeichnend, mit der räumlichen und zeitlichen Entfernung nur umso mehr zunimmt; er äußert sich in stetig wiederkehrenden Sentenzen und wortreichen Phrasen, denen sich auch Bettine zunächst ganz überläßt. Doch hat sie in ihren Briefen an Freyberg sehr bald und betont die Grenzen dieser Freundschaft gesetzt. Der schwärmerische Bund mit Max Prokop, ihre Liebe zu ihm, ist nur eine Variante ihrer im Grunde stets gleichbleibenden Haltung gegenüber den Menschen, die sie erwählt hat. Sie formt sich selbstherrlich ihr eigenes Bild vom Partner, um in dessen Apotheose sich selbst emporzuschwingen und wie in einem Spiegel die idealische Überhöhung ihres Ich zu finden. So heißt es in der „Günderode": „Jede Liebe ist Trieb, sich selbst zu verklären" 1 1 7 ; man „liebe nur im Andern seinen eignen Genius" schreibt sie 1839 in einem Brief an Julius Döring. 118 H a n n a h Arendt hat es als das Typische solcher romantischen Liebe bezeichnet, daß sie „den Liebenden von der Wirklichkeit der Geliebten erlöst." 11 ' Der „Mangel an Rezeptivität, wie an Aufnahme115

Tagebuch, 5. Mai 1810. Bergemann, S. 298. 117 Werke und Briefe I, S. 530. na Ygj Vordtriede, Döring, S. 362. (Ebd. S. 466: „und so muß das Ideal sich in Dir ausbilden was meine Liebe in Dir sieht".) Allerdings macht Bettine an einer anderen Stelle in diesen Briefen gerade ihren eigenen Fehler Döring zum Vorwurf, nämlich „daß Du Dir selbst ein geschnitztes Bild machest dasselbige anzubeten; nähmlich daß D u Gestalten Deiner Phantasie verfolgst, sie zu erhöhen auf einem Standpunckt der Deinem Reitz zum Großen entspreche." (Ebd. S. 410 f.) Eine Reihe ähnlicher Äußerungen findet sich auch in „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde"; Werke und Briefe II, S. 337, 349. 119

1,9

Hannah Arendt: Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik. München (1959). S. 20.

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fähigkeit oder Fassungskraft", den Ricarda Huch für die wesentlichste Charaktereigenschaft; sowohl Clemens' wie Bettines hält, 120 zeigt sich bei dieser hauptsächlich in den menschlichen Beziehungen. 121 Sie macht aber auch Bettines innere, von außen nie wirklich zu gefährdende Sicherheit aus; immer hat sie sich in ihrer „Eigenmacht" zu bewahren gewußt, ein Wort, das schon in den frühen Briefen an den Bruder Clemens eine wichtige Rolle spielt. Goethe hat diese „bettinische" Weise zu lieben erkannt, wenn er schreibt, man könne ihr eigentlich nichts geben, da sie sich alles selber schaffe.122 Arnim hat sie zeitlebens bitter empfunden und sich ihrer vergeblich zu erwehren gesucht. Einem schwächeren, rezeptiven Partner wie Max Prokop gegenüber kommt sie voll zur Wirkung; er hat sie womöglich gar nicht erfaßt. In den Briefen an ihn kommt Bettines Selbtsbesessenheit an mehreren Stellen deutlich zum Ausdruck: „Aber frei will ich seyn und ganz mein, und was ich gebe daß soll mich nicht binden, beachte Diese Worte wohl, vielleicht verstehest Du noch manches mit der Zeit, hier durch in mir" (21/465 ff.); „so einsam war ich und so einsam muß ich bleiben mag sich auch an mich hängen und anbauen was da will" (51/12ff.). Schließlich apodiktisch formuliert und zur Maxime erhoben: „der M e n s c h soll sich dem a n d e r n n i c h t h i n g e b e n , e r s o l l a b e r m i t i h m z u s a m m e n w i r k e n , begreif das. —" (48/36 ff.). Durch nachgestellte Bekräftigungen: „beachte diese Worte wohl", „begreif das" oder Unterstreichungen hebt Bettine selbst solche Stellen als besonders bedeutsam aus dem Kontext heraus. Auch das von ihr in ähnlichem Zusammenhang in ihren Briefen wie im Werk mehrfach erwähnte, sie jedesmal von neuem erschütternde Erlebnis ihres Spiegelbildes taucht in den Freyberg-Briefen auf (21/312 ff.)123. Schließlich bezeichnet sie den Freund als ein „Herrliche(s) Werkzeug" Gottes, wodurch dieser „gute Dinge wirck(e)"; durch Freyberg sei ihr „etwas großes was lange mir bevorstand . . . endlich geworden" (21/501 ff.). Aus solchen Geständnissen hätte Max Prokop zuverlässiger Bettines Absichten ihm gegenüber ablesen können als aus ihren leidenschaftlichen Bekenntnissen zu ihm, in denen sie sich am eigenen Gefühl berauscht: „ich sage Dir, zu allem bin ich bereit, aber nicht dazu, von Dir zu l a s s e n . . . " (29/99f.); „meine H a n d hab ich dir gereicht, und ich lasse sie dir, ich 120 Ricarda Huch: Die Romantik. Tübingen u. Stuttgart 1951. S. 505. 121 Ygj d a z u auch die Einleitung von Rudolf Alexander Schröder zu: Achim und Bettina in ihren Briefen. Briefwechsel Achim von Arnim und Bettina Brentano. Hrsg. von Werner Vordtriede. 2 Bde. Frankfurt (1961). 1. Bd. S. XII. 122 Bergemann, S. 295. 123 y g j J a z u a u ch die Anmerkung zu dieser Stelle, S. 283 f.

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nehme nimmer zurück; nimmer!" (21/585 f.) 124 Max Prokop wird durch sie in eine zügellose Schwärmerei hineingezogen, aus der er sich schließlich nur langsam und schmerzlich zu lösen vermag. Der für ihn unerwartet plötzliche Abbruch der Freundschaft durch Bettine 1814 125 ist ihm unbegreiflich, das zeigen seine immer verzweifelteren Bitten um Anwort, die er selbst dann noch vorbringt, als für Bettine diese Episode längst abschlössen, ja gegenstandslos geworden ist. Bettines erster Brief vom 16. Mai 1810 aus Wien, er kreuzte sich mit Max Prokops erstem aus München, gibt gleichsam die Exposition der ganzen Korrespondenz. In drei kurzen Abschnitten werden die wenigen Leitmotive genannt, unter die sie die Beziehung zu Freyberg stellt. Sie werden in den folgenden Briefen in schier endlosen Variationen miteinander verbunden und ineinander verwoben. Das erste Motiv ist die Erinnerung: „Nur um Ihnen und mir die verfloßne Zeit wieder nah zu rücken, schreib ich . . . " (2/2 ff.). Es ist die Erinnerung an jenen einen hohen Augenblick ihrer „Begegnung" mit Max Prokop auf dem Gaisberg bei Salzburg, wo sie sich in gemeinsamer höchster Begeisterung fanden und „einander die Hände reich(t)en"; Freyberg preist ihn in seinem Tagebuch als „die herrliche Stunde der Einigkeit" 1 2 8 . In der Rückschau erhält er schicksalhaften Rang, er „schließt Ewigkeit in sich" 127 und wirkt über den Tod hinaus: „wenn der eine stirbt so lebt er im andern fort". Ähnlich bedeutungsvoll ist Bettine einst die erste bewußte Begegnung mit dem Bruder Clemens gewesen.128 Ihren Briefwechsel mit Goethe hat sie als die immer wiederholte Verherrlichung des einen Moments begriffen, da sie ihm in Weimar gegenübertrat und ihr ganzes Sein verwandelt fand. Noch 1834, während der Arbeit an „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde", schreibt sie an Clemens: „wie ich durch die ganze Reihe von leidenschaftlichen Briefen immer wieder diesen einen Moment erwähne das rührt mich so tief, und ich habe so fest für ihn Ferner 29/103 ff.: „Du b i s t . . . herrlicher als alles was mein Gedancke erreichen kann, Gott hat dich angehaucht, und du stehst in der Unschuld Würde . . . wenn midi alles verlassen würde, was ich mir bis jezt erworben, wenn mir die Augen geblendet würden, wenn mir die Zunge erlahmte, und ich könnte dich dencken, so hätte ich ein Leben in der Brust das mit Reichthum überfüllt ist. — " 1 2 5 Dieser letzte Brief Bettines ist nicht erhalten; vgl. 73/11 ff. und die Anm. dazu S. 337. 1 2 5 Tagebuch, 2. Mai 1810. 127 Vgl. dazu noch zwei weitere Stellen in Bettines Briefen: „mir ist unsere Freundschaft, seit sie ist, e i n A u g e n b l i c k , e i n F u n k e N u r , der aber Ewigkeit in sich begründet, der aber das Herz bis in den tiefsten Grund erhellet" (24/36 ff.); „hat mir doch in Salzburg eine 4telstunde die Ewigkeit zugetragen . . ." (29/152 f.). 1 2 9 Vgl. „Frühlingskranz"; Werke und Briefe I, S. 36. 124

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meine Begeisterung eingewurzelt empfunden daß ich überzeugt bin dieser Moment ist die Versetzung meiner Seele aus dem groben irdischen Reich... in jenes überirdische Reidi . . ,"129 Kaum anders verhält es sich mit den Briefen an Freyberg. Die Korrespondenz dient also nicht dem Austausch von Nachrichten, Meinungen, Begebenheiten; Bettines Briefe an Max Prokop werden vielmehr immer wieder der Beschwörung jener GaisbergSzene und der Bekräftigung dessen gelten, was dort ein für allemal zwischen ihnen abgemacht worden ist: „denn ich habe nichts anders, nichts mehr zu sagen als damals; Ihr Begehren bleibt das meine, was Sie begeistert, begeistert mich auch, und i [ c h ] l i e b e , w a s S i e l i e b e n " (2/3 ff.) ; Mit dem Schauplatz der „Begegnung", dem Gaisberg, ist ein zweites Motiv genannt. Als der Berg schlechthin, „wo es uneben und Steil ist" (2/17 f.), wird er zum Sinnbild ihrer gemeinsamen Erhebung über die Welt — „O wahrlich es war ein bedeutendes Zeigen daß wir so hoch auf den Bergen unser Leben zum erstenmal voreinander erschloßen, und unsere Hände so fest ineinander fügten . . . " (24/98 ff.) —, zum Ort ihrer über allem Irdischen in einer höheren Sphäre angesiedelten Freundschaft. Mit dieser einen, immer wieder erwähnten Szene auf dem Gaisberg verschmilzt in einem späteren Brief die Erinnerung an ein Zusammensein mit Freyberg auf dem „Schloßberg", der Burg Trausnitz bei Landshut. In Bukowan besteigt Bettine, wenn sie an Max Prokop schreibt, mit Vorliebe den „Ptesch", eine Anhöhe in der Nähe des Gutshofes: „Ich war auf dem Ptesch; da oben ist mir so wohl geworden, die Aussicht rund umher, ist so Königlich, und wo sie so ist, da dendk ich deiner " (27/64 ff., vgl. auch 29/90 ff.).130 Auch im Traum sieht sie sich wiederholt mit dem Freund auf dem Gipfel eines Berges: „obschon am A b e n d . . . ich halbsdilafend von dir träumte daß wir mit einander auf einer Bergspize waren, allein in dunkler N a c h t . . ( 5 6 / 2 1 ff.). Als drittes Motiv erscheint die Nacht, sie bezeichnet das MystischGeheimnisvolle dieses der Welt entrückten Bundes: „Die Nacht mit tausend Sternen ist unsere Zeit" (2/17). Nacht und Traum werden zum 129 Ygi l u j 0 Brentano: Der jugendliche und der gealterte Clemens Brentano über Bettine und Goethe. In: JbFDH 1929, S. 331. Ferner die Ausführungen bei Anneliese Hopfe: Formen und Bereiche schöpferischen Verstehens bei Bettina von Arnim. München, Phil. Diss. 1953. [Masch.] S. 51 ff. 130 y g i dazu auch Clemens Brentanos Schilderung von Bukowan in seinem Brief an Jacob und Wilhelm Grimm vom 3. September 1810: „In Bukowan ist eine wilde, wunderbare Gegend, das ganze Terrain liegt so hoch, daß zehn Minuten hinter dem Schloß auf einem Berg, Ptetsch genannt, ein Panorama von dreihundert Stunden im Umkreis zu sehen ist . . . " (Steig, Brentano, S. 107).

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Medium der unermüdlich erneuerten Begegnung mit Max Prokop. 131 Die meisten Briefe Bettines an ihn sind nachts geschrieben. Auch die Schriftr stellerin pflegte später die Nächte hindurch über ihren Büchern und Korrespondenzen zu sitzen. Doch das Hauptthema des Freyberg-Briefwechsels, auch dieses in Bettines erstem Brief bereits anklingend, ist die Erziehung des Helden; um nichts anderes ist es Bettine im Grunde zu tun. Durch die Begegnung wird der ihr eigentümliche pädagogische Eros wachgerufen, in Max Prokop findet er ein -williges Objekt. „Du meine grosse Erzieherin" nennt er sie einmal (40/58 f.). Sie sieht in ihm den jugendlichen Überwinder, dem es aufgegeben ist, sich über alle irdische Gemeinheit zu erheben, damit Bettines idealisches Ich wiederum in ihm sich, finde. Sie zeigt ihm den Weg: „wie ein Feuer im Leuchtthurm dem Seefahrer im Sturm ein Trost und sichere Leitung ist, so ich — " (3/24 f.). Selbst als sie ihn zum erstenmal in der zweiten Person anspricht, geschieht das in einer Adhortation: „bleib nur immer so, halt dich nur wie ein Baum dem Gott die Ungewitter zum Scherz und [Z]eitvertreib schickt — " (2/11 f.). Der beschwörende Ton dieser Wendung wird noch verstärkt durch den unvermittelten Wechsel in der Anrede; wie der Brief in der dritten Person begonnen hatte, fährt er danach wieder fort. In dieser überraschenden Abirrung verrät sich weniger die Hinneigung zum Freund als vielmehr die Rollenverteilung. Bettine übernimmt den Part der Führenden; sie stellt Forderungen, appelliert, bestimmt den Ton. Freyberg als der jüngere, eher rezeptive Partner soll nach dem Bild geformt werden, das sie von ihm entworfen hat. 132 In dem Bild des jugendlichen Helden, des „Heldenkind(es)" (21/198), das Bettine Max Prokop ständig vor Augen hält, verbinden sich die Heldenapotheose des 18. Jahrhunderts, der vom „Sturm und Drang" geprägte Begriff des „Originalgenies" und die romantische Gestalt des unschuldig-weisen Kindes, das eine bessere Zeit heraufführt. Diese Vorstellungen entspringen einundderselben Quelle und sind als Reaktion gegen das rationalistische, „philisterhafte" Bildungsideal der Aufklärung, das hauptsächlich auf die Entwicklung der Vernunft- und Verstandeskräfte abzielte, zu verstehen. Bettine hatte es in der Jugend hinreichend kennengelernt, um es zeitlebens zu bekämpfen. Schon im „Frühlingskranz" spricht sie ironisch von der „Bildungsanstalt schöner 131

132

Vgl. auch 9/50 ff., 19/28 ff. Ähnliche Formulierungen finden sich in Bettines Briefen an Goethe (Bergemann, S. 271, 284, 287 f.) und Julius Döring (Vordtriede, Döring, S. 355). „.. . so muß das Ideal sich in Dir ausbilden was meine Liebe in Dir sieht", heißt es später in einem Brief an Döring (Vordtriede, Döring, S. 466).

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edler Ideen" 133 ; im Alter hat sie den Begriff der „Bildungsphilisterei" geprägt und den „prätensionsvollen Bildungsschwindel der Philister" angeprangert. 134 Mit allem Nachdruck vertritt sie ein neues Bildungsideal. Alles Anlernen, alles Nachbeten sei nur ein „Spiel", aber „kein Hebel, der uns zu den E i n z i g k e i t e n erhebt, zu denen wir erschaffen sind", schreibt sie 1816 an Ringseis. 135 Ein Grundprinzip schon der „schwebenden Religion", die Bettine einst mit Karoline von Günderrode gründen wollte, bestand darin, „daß wir keine Bildung gestatten — das heißt kein angebildet Wesen, jeder s o l l . . . sich zutage fördern wie aus der Tiefe ein Stück Erz oder ein Quell, die ganze Bildung soll darauf ausgehen, daß wir den Geist ans Licht hervorlassen." 136 Das sind, in Bettines Sprache transponiert, die Thesen der Frühromantiker, Novalis', Friedrich Schlegels, Schleiermachers. Was die Menschen, nämlich die Bildungsphilister, „lange und vergeblich auf mühsamen Wegen suchen" müssen, das offenbart sich im kindlichen Menschen spontan als „Himmlische Weisheit" (47/56 f.). In Freyberg erkennt sie ein solches Kind. Er befindet sich in jener ursprünglichen Gottesnähe, die ihr selbst jetzt nur noch in der Erinnerung und im Traum zugänglich ist oder aber durch die Vermittlung eines jungen Menschen wie Max Prokop: „Eine Unschuldige fromme Zeit ziehest Du wieder in meine Brust herauf, die ich schon mit den früheren Jahren entschwunden glaubte", schreibt sie ihm am 6. Juli 1810 aus Bukowan (21/9 f.). 137 Hier wird deutlich, wie weit sich die f ü n f u n d zwanzigjährige Bettine schon von der Welt des „Frühlingskranzes" entfernt hat, wo das Reich des Kindlichen noch sicherer Besitz war. 139 Jetzt 133

Werke und Briefe I, S. 27. 134 Vgl „Ilius Pamphilius und die Ambrosia"; Werke und Briefe II, S. 619. 135 Pfülf, S. 566. 136 Werke und Briefe I, S. 340. 137 Ygj d a z u auch 37/83 ff. : „in unserm Gespräch wird sich uns eine Welt entw i c k l n , eine junge Welt, noch näher bei Gott, wie die Kinder" und 24/96 ff.: „du bist ein jüngeres Kind Gottes das Ihm noch näher ist, daß mich mit sich hinaufziehen wird —". 138 D e r „Frühlingskranz" gilt im allgemeinen als das Werk Bettines, in dem sie sich — im Alter — am intensivsten in der Rolle des Kindes dargestellt hat. (Vgl. dazu August Langen: Deutsche Sprachgeschichte vom Barock bis zur Gegenwart. In: Deutsche Philologie im Aufriß, Bd. I, Sp. 1247; Gertrud Grambow: Bettinas Weltbild. Berlin, Phil. Diss. 1941. [Masch.] S. 7; Maria Johanna Zimmermann: Bettina von Arnim als Dichterin. Basel, Phil. Diss. 1958. S. 47.) Doch läßt der Vergleich mit den wenigen erhaltenen Briefen darauf schließen, daß gerade dieses Werk den Originalbriefwechsel verhältnismäßig wortgetreu wiedergibt; hier lagen Bettine wahrscheinlich die Briefe aus der Jugend in einer solchen Fülle vor, daß ein weiteres „Ausschmücken" nicht nötig war. (Vgl. auch die Untersuchungen von Oehlke.) Es spricht daher viel für die Ansicht, daß die junge Bettine im „Frühlingskranz" am deutlichsten

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•wird Freyberg die erste Mittlergestalt, durch die sie sich jenes goldne Paradies zurückerobern will: „denn Du bist jünger, und dem Reich um so näher, das nur die besizen sollen, die da sind und werden wie Die Kinder" (29/75 ff.). Eine ganz ähnliche Funktion übernehmen später für sie Philipp Nathusius und Julius Döring. Anneliese Hopfe sieht in dieser „Verjüngungsmythe" die Neubelebung eines alten Topos bei Bettine und ein Hauptmotiv ihrer Dichtung, das aber erst im Alterswerk zu finden sei. 1 " Das Kindliche ist jedoch für Bettine schon jetzt zur „Rolle" geworden, zur bewußt gesuchten Daseinsform. Clemens spricht einmal von ihrer „oft zu besonnenen Naivität" 140 . Es macht die Tragik romantischen Wesens aus, daß die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, im Schillerschen Sinne Naiven, nur immer stärker in Reflexion und Bewußtheit, ins Sentimentalische hineinführt. Bei Bettine konnte diese gewollte Naivität später zur Manier werden, die manchen peinlich berührt hat. Als sie Goethe das Portrait Freybergs entwirft, hebt sie hervor, daß er „weder Verstand noch Wiz"141 habe; auch dies waren Zentralbegriffe des aufgeklärten 18. Jahrhunderts. 142 Einfachheit, Ursprünglichkeit und naive Frömmigkeit, auch Unbeholfenheit und Trotz dagegen kennzeichnen das „Heldenkind". Mangel an gesellschaftlicher Lebensart wird als Vorzug, nämlich als der Ausdrude einer „reinen kräftigen Natur" gewertet. Wenn er ihr je „feiner, gebildeter . . . recht wie man allgemein liebenswürdig intereßant pp. gefunden wird" begegnen sollte, dann könne sie nicht mehr zu ihm aufsehen, schreibt Bettine in einem ihrer ersten Briefe an Max Prokop (11/15 ff.).143 Der Held soll ausschließlich dem Gesetz seines eigenen Inneren unterworfen sein. Bettine umschreibt es als das „Ideal deiner Seele" oder das „Ideal deines Charakters", nennt es schließlich den „Genius". Fast alle ihre späteren Werke und Briefe, insbesondere wieder die Korrespondenzen mit Nathusius und Döring, gelten der Verherrlichung des „menschlichen Genius"; ein Begriff, der mehr und mehr zu einem Schlüsselwort ihres Welt- und Menschenbildes wird. Freyberg zum Helden zu erziehen, bedeutet für sie, „dem Genius die Flügel zu lösen" (19/86). Die Ziele,

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zu fassen ist, daß hier das Kindhafte ihres Wesens noch wirklich naiv und nicht gespielt, als „Rolle", erscheint. Hopfe, S. 44. In einem Brief an Arnim [um 1815]; Beutler, S. 454. Bergemann, S. 298. Schüler Gottscheds gaben 1741—45 die Zeitschrift „Belustigungen des Verstandes und Witzes" heraus; eine andere, ebenfalls dem Gottsched-Kreis nahestehende Gruppe veröffentlichte „Neue Beiträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes" (1744 ff.). Julius Döring ruft sie zu: „Nicht Witz, nicht Klugheit; nicht wie Menschen dencken, werden Wir sein. D u und ich" (Vordtriede, Döring, S. 348).

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die dieser ihm setzt, werden jedoch von Bettine nidit konkret bezeichnet, sondern bleiben, wie in Max Prokops Briefen, idealistisch verschwommen. Einem „Bergwanderer" (44/75)144 gleich, soll er sich über alle irdische Niedrigkeit, über das „Gewirre der nebelichten Welt" (29/45) erheben.145 Denn auf den Berggipfeln atme man „die Lüfte ein im Nachtwind, in denen der Genius uns anhaucht", heißt es in der „Günderode". 146 Der Held hat die Aufgabe, am Zeitgeschehen aktiv teilzunehmen, er soll „in die Wogende wellenschlagende Zeit eingreifen" (14/93), doch es bleibt unklar, in welcher Weise das geschehen soll. Der Wille zur Tat gilt schon für diese, „denn nicht die That sondern der Wille ist das Herrliche in dem Menschen . . ( 2 1 / 2 5 3 f.). Der Zuruf Bettines „ D e i n L i e b e s t h e u r e s B l u t ! — v e r s p r ü z e es f ü r s V a t e r l a n d " (24/177f.) dürfte deshalb kaum allzu wörtlich zu verstehen sein. Zudem sind die Grenzen zwischen irdischem und überirdischem Vaterland ständig in Fluß. Die Wirkungen, die durch solche verstiegenen Appelle bei Max Prokop ausgelöst werden, entbehren mitunter nicht einer gewissen unfreiwilligen Komik, so etwa wenn er zur ewigen Erinnerung an Bettines Mahnung „ B l e i b e s t a r k . . . " mit dem Hirschfänger eine Kerbe in seinen Arbeitsstuhl schlägt (4/104 ff.). Es kommt nicht von ungefähr, daß Bettine dem Freund nicht zeitgenössische Helden wie Andreas Hofer oder Ferdinand von Schill, deren Schicksal sie kannte, sondern literarische, historische, legendäre und biblische „Helden" vor Augen stellt. Sie bleibt auch hier völlig in dem poetisch überhöhten Bereich, der für den gesamten Freyberg-Briefwechsel charakteristisch ist. Sie zitiert Goethes Götz von Berlichingen, erwähnt Cortez, den Eroberer Mexikos, beruft sich schließlich auf die Apostel, die heroisch in den Märtyrertod gingen. Sie verzichtet darauf, die Taten ihrer Helden zu schildern, sondern beläßt es bei der bloßen Anführung von Namen und Zitaten. Als ihr Arnim seinen neuen Roman „Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores" schickt, fühlt sie sich bei der Lektüre unversehens an Max Prokop erinnert; sogleich übernimmt sie einige aus dem Zusammenhang der Geschichte gerissene Sätze in einem Brief, enthusiastisch bewegt von bloßen Worten wie Heldenstärke, Wille, Entschluß, Größe, Schicksal (12/90 ff.)147. Selbst über die Begegnung mit 144

Vgl. audi 21/623 f.: „O du Sohn der Natur! der über die Berge schreitet." Das Irdisch-Zeitliche sieht Bettine häufig unter dem Bild des Nebels; vgl. etwa an Goethe: „der dicke Erdennebel..." (Bergemann, S. 288); oder: die Tiroler seien ein Volk, „das, wie es den Adlern gleidi auf den höchsten Felsspizen über den Nebeln ruht, auch so über den Nebeln der Zeit wohnt . . . " (ebd., S. 260). Vgl. auch Vordtriede, Döring, S. 345. 148 Werke und Briefe I, S. 338. 147 Vgl. a u c h di e Anmerkung zu dieser Briefstelle, S. 268. 145

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Beethoven in Wien berichtet sie unter dem Aspekt der Heldenerziehung. Versucht Bettine in ihrem Brief an Alois Bihler, diesem die Erscheinung des Komponisten nahezubringen," 8 und spiegelt sich später in „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde" dieses Erlebnis als die Berührung mit dem Genius der Musik, 14 ' so notiert sie für Freyberg nur flüchtig die Begebenheiten: „da ich bei ihm eintrat ging er auf mich loß sah mich starr an, drückte mir die Hand, spielte auf mein Verlangen . . . ging mit, und blieb bis Abends 10 Uhr bei dem Absdiied drückte er mich wie jemand den man lange lieb hat ans Herz, noch 2 Abende kam er, es waren die lezten die ich in Wien war", um sodann auf das Eigentliche, Paradigmatische hinzusteuern: „er ist so stolz wie ein König auf seine Kunst, er sieht alles irdische mit Verachtung an, läst sich an nichts binden . . . " (9/16 ff.)150. Ihre Erziehungsaufgabe gegenüber Julius Döring und Philipp Nathusius begreift Bettine unter dem Bilde der Demeter, jener Göttin, die den Demophoon, den Sohn des Königs Keleus, über ein Feuer hielt, „um seine Sterblichkeit hinwegzubrennen." 151 In den Briefen an Freyberg wird die Beziehung auf den Demeter-Mythos zwar noch nicht ausdrücklich formuliert, doch stellt Bettine — wenigstens im Rückblick — auch die Sehnsüchte und das Bestreben der Landshuter Zeit unter dieses Zeichen. In ihrem Nachlaß findet sich der Entwurf eines Briefes, überschrieben „Auf der Trausnitz bei Landshut 1810 — An Goethe " 1 5 2 . Dort heißt es: „ich kann kein Glück brauchen. Besinn ich midi so weiß ich nichts was ich gern möcht im Leben; nur unmögliches war mir Lieb. Von Oben Saamen ausstreuen weit umher in die Herzen der Völkerschaften . . . Gesetze stiften, jugendliche Staaten, Krieg führen Der Die Seele lebendig macht Knechtsdienst ausrotten der sie tödet, wie man einen Acker umworfelt ihn urbar zu machen; Wie Demeter den Sohn der Könige in die Flamme halten der Unsterblichkeit; Das Sterbliche an ihm verzehren mit der Begeistrung 148 149 150 151

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Bihler, S. 315. Werke und Briefe II, S. 245 ff. Vgl. auch die Anmerkung zu 9/6 f., S. 264. Vgl. dazu Robert von Ranke-Graves: Griechische Mythologie. Quellen und Deutung. Bd. I (1960) S. 77 ff. (rowohlts deutsche enzyklopädie Bd. 113/ 114); ferner Vordtriede, Döring, S. 431 und „Ilius Pamphilius und die Ambrosia", Werke und Briefe II, S. 566. Unveröffentlicht, H F D H (die Jahreszahl 1810 in der Oberschrift offensichtlich verbessert aus: 1809). Ein weiteres Manuskript, ebenfalls im F D H , betitelt „Auf der Trausnitz", weist dieselbe Stelle auf. Beide Handschriften erwähnen Ereignisse aus der Münchner und Landshuter Zeit, vor allem den Rückzug der österreichischen Truppen im April 1809 sowie den Aufstand der Tiroler. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt es sich dabei jedoch, wie das Schriftbild zeigt, um „Briefe", die Bettine zur Ergänzung und Erweiterung der authentischen Korrespondenz während der Arbeit an „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde" nachträglich verfaßte.

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Gluth; das möcht ich — Wie die Göttin ihn erziehen in der Einsamkeit der Nacht, eine freudige Lebensflamme, nicht im Sumpf zu leuchten der trägen Gegenwart, Nein, der Zukunft begierig, das Herz eine heisse Quelle die schnell dahin rauscht vom Entschluß zur That; — Gebet und Erfüllung zugleich, und aus der Wurzel eine junge Menschheit hervortreibe, und den Bund der Geister mit ihr erneue, daß sie Eins sei mit der Natur, des Unmuths und der Sorge frei, überwalle von heroischem Feuer; das ist Unsterblichkeit." Die leidenschaftliche Apotheose des Heldischen in den Briefen an Max Prokop erhält ihren besonderen Akzent durch die Entscheidung, vor die sich Bettine in dieser Zeit gestellt sieht. Sie soll ihrem Leben die endgültige Richtung geben. Arnim ist nach dem Tod seiner Großmutter Caroline von Labes 153 in der finanziellen Lage, eine Familie gründen zu können. Er reist nach Böhmen, sich Bettines Jawort zu holen, von ihrer gegenseitigen tiefen Neigung seit langer Zeit überzeugt. Noch Bettines Landshuter Briefe berechtigten ihn dazu, und in der Brentanoschen Familie wie unter ihren Freunden galten sie längst als versprochen. In Bukowan erscheint Bettine plötzlich unentschlossen und abweisend. Ratlos und verwirrt kehrt Arnim nach Berlin zurück. Die Enttäuschung spiegelt sich in seinem Brief vom 10. Juli, in dem er in seiner klaren, männlich festen Art noch einmal die Redlichkeit seiner Gesinnung beteuert und auf eine Entscheidung drängt. Mit merklicher Verstimmung argwöhnt er plötzlich, Bettine habe ihn seit Jahren als bloßen Vorwand poetischer Gefühlsseligkeit mißbraucht, als „poetische(n) Haubenstock, an den Du allerlei überflüssige Worte des Gefühls angeheftet" 154 . Sie hatte Arnim in Bukowan von neuen Erfahrungen gesprochen, vom „Hingeben zu großen Zwecken der Zeit" 1 5 5 . In solch dunkel-mystifizierenden Andeutungen wird der Ton der Freyberg-Briefe vernehmbar. Die Landshuter Eindrücke, die Begegnung mit Beethoven in Wien und dazu die ersten Briefe Max Prokops haben Bettine in eine Art von Begeisterungstaumel versetzt. In der Bukowaner Einsamkeit lebt sie in einer ständigen Überreiztheit der Gefühle, die sie der Wirklichkeit zunehmend entrückt: „in meiner Natur entwickelt sich immer mehr das was den Menschen nicht angehört, und 153

Caroline Marianne Elisabeth von Labes, geb. Daum (um 1730—1810), war am 10. März 1810 „nach unglaublichen Leiden gestorben" (Steig II, S. 386). Sie war in erster Ehe mit dem Kammerdiener Friedrichs des Großen, Michael Gabriel Fredersdorf, verheiratet, in zweiter Ehe mit Baron von Labes. Ihre Tochter Amalie Caroline von Labes wurde die Mutter Achim von Arnims, bei dessen Geburt sie 1781 starb.

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Steig II, S. 396.

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Ebd., S. 397.

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trennt midi schneident, selbst von diesem besten Freund", schreibt sie an Max Prokop anläßlich der Ankunft Arnims in Bukowan, „oft weiß ich nicht wohin ich gehöre, alles was ich will ist nicht auf Erden, die Musick begeistert mich vielleicht nur so, weil sie im Augenblick ihrer Erscheinung sich loßwindet und davon flieht mit den Lüften; ich wünsche mir, es mögte eine Wolke mich umfassen und mich weiter Treiben im Wind und Sturm . . . i c h mögte vergehen wie ein Ton vergeht" (10/8ff.). Solcher romantischen Sehnsucht nach Hingabe an das Unendliche, nach Auflösung in die All-Einheit der Natur, muß jede bürgerliche Bindung als Fessel an die irdische, „gemeine" Wirklichkeit erscheinen. In immer rauschhafter empfundenen Bildern äußert sich jetzt in Bettines Briefen ein dionysisches Lebensgefühl: „Ach Leben! Leben! wunderbares! trefflich geschmücktes! das Da mit ungehemmter Gewallt, alles erschüttert, entzündet das aus einer Wurzel Tausend Blüthen emportreibt, das zusammenstürzt was Rauch und Asche ist, und nur die Flamme mit zum Himmel nimt" (29/56 ff.). Alles drängt und treibt im Rhythmus derartiger Sätze zum Ausdruck kosmischer All-Verbundenheit. Bettine hat phantastische Träume von Kampf und Krieg und empfindet dabei, wozu sie fähig wäre (21/29). Noch zehn Jahre später schildert sie Ringseis einen solchen Traum. Sie sieht sich auf einem „feurigen Rappen" über die Berge einem nicht näher benannten „Feldherrn" entgegenreiten und verbindet sich mit ihm im Kampf gegen einen ebenso unbestimmten Feind. Hier taudien dieselben Bilder auf, die sich in den Freyberg-Briefen ständig wiederholen. Bettine will diesen Traum als eine „Hieroglyphe" ihres Lebens verstanden wissen, „in der versinnlicht wird, zu was ich fähig war und was mir nicht geworden."" 6 Die zögernde Haltung Bettines gegen Arnim ist wohl weniger auf ein Schwanken zwischen ihm und Freyberg zurückzuführen. Es ist unwahrscheinlich, daß sie je erwogen hat, diesen zu heiraten, auch wenn ihre Geschwister das zeitweilig annahmen. 157 Ihre Unsicherheit ist vielmehr dadurch zu erklären, daß ihrem Wesen jegliche Bindung widerstrebt.158 Bettine will kein „schwaches Mädgen" sein, das sich an den Mann anlehnt. Der Satz aus Goethes „Iphigenie": „zu Hauß und in dem Kriege herrscht der Mann" (21/349 f.), ist ihr verhaßt. Sie will selbst herrschen und die Welt nach ihrem idealischen Konzept verändern. Denn daß sie 158

Vgl. ihren Brief an Ringseis vom 12. Juli 1821; Pfülf, S. 568. — In der „Günderode" heißt es ähnlich: „daß ich oft in Träumen mich nadi dem Szepter umsehe, w o Gott den für midi hingelegt h a t . . . " (Werke und Briefe I, S. 367). 157 Vgl. dazu Beutler, S. 453 und Ehebriefwedisel II, S. 846. 158 j\jur so wird auch jener merkwürdige Traum von dem gekrönten Weib verständlich, den Bettine Max Prokop am 16. Juli erzählt (21/634 ff.).

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„eigentlich zum Weltumwälzer geboren" 150 sei, war schon der jungen Bettine gewiß. Sie ist überzeugt, daß Arnim es sei, der Schutz benötige, sie wolle ihn „bergen" schreibt sie an Max Prokop, er sei doch der Mensch, der am ehesten ein Recht auf sie erworben habe. Die Ehe wird als Tribut an das Irdische begriffen, denn: „geb dem Kaiser was des Kaisers ist, und Gott was Gott ist — " (21/536 f.) heißt es in dem Brief, der die Nachricht von Arnims Abreise aus Bukowan enthält. Die Entscheidung ist gefallen. Bettine ist „entschloßen", sich „nicht mehr zu wehren" (29/227 f.); „ich will mich also führen lassen, ich will gehen, den Weg der mir gezeigt i s t . . . Erde Du bist es nicht, Himmel wirst du mir werden? . . . aber was weiß ich denn, was recht ist, obs nicht heldenmäßiger Gott wohlgefälliger ist, daß ich Verzicht thue auf all dieß Aufbraußen der Jugend; und in Demuth und Liebe denen Lebe die mein Begehren, denn frevel ist es, vorgreifen zu wollen, ins Schicksal" (29/122 ff.). Um so entschiedener siedelt sie nun ihre Beziehung zu Max Prokop in einem Raum über allem Irdischen an. Deutlich wird die Sphäre ihrer Vereinigung mit Arnim gegen die ihres Bundes mit Freyberg abgegrenzt. Ihm will sie der „Freund" sein, „der Bruder" (21/47, 21/180 ff., 24/348 ff., 27/37f., 37/89f.), ein männlicher Kampfgenosse. So wie er sie ganz selbstverständlich „als Heldin, als WaffenGefährtin" apostrophiert (18/135 f., 16/86 ff.). Zunehmend überträgt sie auf ihn ihre Sehnsucht nach einer idealischen Überhöhung des eigenen Ich: „ich hab einen begeisterten Glauben an m i c h ; und Dir treu bleiben, in dieser Liebe, die so heilig so groß ist, daß sie kein Mensch ergründen kann, das ist mein heiligstes Geschäft" (29/208 ff.). J e weiter sich Bettine von Max Prokop in der Realität entfernt, desto mehr wandelt sich sein Bild zum Idol, dem sie geradezu religiöse Verehrung entgegenbringt; sie scheut nicht zurück vor Formeln religiöser Anbetung. Wie denn überhaupt ihre „Andacht zum Menschenbild" stets religiös bestimmt, das heißt auf das Göttliche im Menschen, auf den „Genius" gerichtet ist. 180 Sie sieht in Freyberg einen „Kelch der Religion aus dem ich Trost trinke" (29/193 f.); wie in einer ekstatischen Verzückung fleht sie: „wenn ich also einst vor Dir niederknie so gewähre es, in heiliger M a j e s t ä t . . ( 2 9 / 2 2 2 f.). Durch die Hypertrophie solcher Passagen geraten die Freyberg-Briefe mitunter bedenklich an den Rand des Erträglichen. Dagegen sind sie noch frei von jenem andeutungsreich-peinlichen Spiel mit Worten um Gefühle, in dem sich die alternde Bettine gegenüber Döring und Pückler ergeht. 158

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V g l . ihren Brief an S a v i g n y v o m 4. N o v e m b e r 1849 (Andacht, S. 3 3 8 ) ; an diesen hatte sie aber bereits 1804 geschrieben: „ M i r überwältigt diese immerwährende rastlose Begier nadi Wirken oft die Seele und bin dodi nur ein einfältig Mädchen, deren Bestimmung g a n z anders ist." (Ebd., S. 23.) V g l . Andacht, S. 164 ff.

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Was dem Bekenntnis zum Heldischen, zu einem kämpferischen Leben und das heißt zu dem selbstherrlich geschaffenen Bilde Freybergs besonders in den Wochen der Entscheidung den Unterton so ungezügelter Leidenschaftlichkeit verleiht, ist die geheime Resignation, die sich dahinter verbirgt. Die einzige wörtliche „Liebeserklärung" in Bettines Briefen an Max Prokop ist jedoch an Goethe gerichtet (21/441 ff.). Freybergs Antworten bewegen sich in ähnlicher Höhenlage, indem sie stets das rein Geistige der „Umarmung" ihrer „Seelen" betonen. N u r selten findet sich daneben das schlichte Bekenntnis einer doch auch irdischen Liebe zu Bettine, „ich habe dich so lieb" (25/120), deren er selbst zunächst kaum gewahr wird, von der Freundin mitgerissen in den Taumel schwärmender Begeisterung. Die N a t u r seiner Gefühle für Bettine, zumal seine völlige Abhängigkeit von ihr, ist ihm nie recht zu Bewußtsein gelangt. Doch die hohen Ideale, die hochgesteckten Ziele und Erwartungen, unter die er sein Leben gestellt hat, bleiben untrennbar mit Bettine verbunden. Wie die meisten Romantiker-Briefwechsel ist auch der zwischen Bettine und Freyberg nicht mehr „eine freye Nachahmung des guten Gesprädis" im Sinne der Brieftheorie des 18. Jahrhunderts. 1 6 1 Diese Briefe sind nicht auf den Dialog abgestellt, sondern enthalten monologische Bekenntnisse von Stimmungen, Phantasien, Träumen, enthusiastische Wortfolgen über philosophische und religiöse Themen, f ü r die der Adressat oft nicht mehr als den Anlaß abgibt. Sie dienen nicht dem Austausch alltäglicher Nachrichten oder der geistigen Auseinandersetzung, sondern schwelgen in Worten und Gefühlen, wobei sie auch äußerlich Tagebuchform annehmen. Sie werden je nach Stimmung abgebrochen und wieder aufgenommen, ziehen sich häufig über mehr als eine Woche hin, bis schließlich ein Bündel solcher Blätter adressiert und abgeschickt wird. 168 Verglichen mit den Briefen Freybergs besitzen die Bettines jedoch weitaus größere sprachliche Kraft und Orginalität, so daß ihnen zweifellos das Hauptinteresse zukommt. Der stets gleichbleibende Ton in den Briefen Max Prokops, in dem sich vielfach Angelesenes und Anempfundenes in stereotypen Wendungen wiederholt, wirkt rasch ermüdend; sein lamentierendes Pathos berührt nicht selten peinlich. 183 D a ß er seine 181

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C. F. Geliert: Briefe, nebst einer Praktischen Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen. Leipzig 1758. S. 3. Diese Tatsache macht es, da Anrede und Schlußformel in den meisten Fällen fehlen, oft schwer, Anfang und Ende eines Briefes zu bestimmen. Als Freyberg 1819/20 die Tagebücher seiner Italienreise von 1812 veröffentlichte (Tagebücher aus Italien. 2 Hefte. München 1819 f.; Tagebücher aus

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Briefe zunächst in Form einer Kladde aufsetzte, die er dann, in den meisten Fällen unverändert, fein säuberlich „ins Reine" übertrug, ist der Frische und Spontaneität des Ausdrucks zudem gewiß nicht förderlich gewesen. Bei der Lektüre dieser Briefe fällt zunächst ihre Realitätsferne auf. Wie der Bund zwischen Bettine und Max Prokop stets in einer der Wirklichkeit entrückten Sphäre bleibt, so reicht die „gemeine Wirklichkeit" auch kaum in ihre Korrespondenz hinein. Man erfährt wenig über Freybergs Tätigkeit in Landshut und München, nichts über Bettines Leben in Bukowan. In „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde" hat sie später beschrieben, wie sie dort am Gutsleben regen Anteil nahm, wie sie ihrem Bruder Christian, der Bukowan für die Geschwister verwaltete, bei der Planung und Errichtung neuer Gebäude half, Ziegel brannte und Johannisbeerwein kelterte, Christian sie auch reiten und schießen lehrte.164 Dieser Bericht folgt sicher der Wahrheit; allem geistigen Höhenflug, allen Träumen und Phantastereien steht bei Bettine immer auch das Bedürfnis nach Handeln, nach praktischer Betätigung gegenüber: „ich führe hier ein zu müsiges Leben das ist mir nicht gut" (27/62; vgl. auch 29/194 f.). In die Briefe an Max Prokop dringt jedoch nichts von diesem geschäftigen Treiben; sie sind, gleich den seinen, vielmehr von einer mystisch gespannten Weltabkehr geprägt. Auf der Höhe des Tages, um die Mittagszeit, fühlt Bettine „zuweilen große Anwandlung zur Melancholie" (14/51 f.) und das Bedürfnis, sich mit der Bibel in der Hand vor dem Licht und den Menschen zurückzuziehen, „so daß ich den Tag nicht leiden mogte, daß ich Dunckle Orte suchte; wenn mir die Sonne ins Angesicht schien so war mein Schmerz unerträglich . . . im Dunkel ward mirs leichter, ich dachte immer: ,Nur weit von Der Welt, nur kein Sonnenstrahl, der mir das Leben beleuchtet'" (21/300 ff.). Die ungehemmte Versenkung in die eigene Gefühls- und Phantasiewelt, die als ein hervorstechender Zug in Bettines Wesen früh schon ihren Bruder Clemens erschreckt hatte, erreicht in dieser Zeit eine extreme Dimension. Die Briefe sind wie von Treibhausluft erfüllt; das Eintreffen einer Antwort von Max Prokop vermag Bettines innere Erregung dermaßen zu verstärken, daß sie nichts zu sich nehmen kann: „Seit 3 Stun-

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Rom. 2 Hefte. München 1820) und sie Friedrich Schlegel mit der Bitte um dessen Urteil zusandte, schrieb ihm dieser: „Bei der Fülle des Gefühls, welches in Ihren Ansichten herrscht, dürften Sie im Ausdruck, glaube ich, manchmal eher auf Mäßigung und Selbstbeschränkung bedacht sein, wodurch der Eindruck des wahren Gefühls eher erhöht, als geschwächt wird." (Vgl. Edelmannsleben, S. 81.) Werke und Briefe II, S. 253 f. — In den Originalbriefen an Goethe fehlt diese eingehende Schilderung allerdings noch. Vgl. dazu auch Stoll I, S. 418 f.

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den halte ich einen Brief von Dir in Händen . . . seit ich ihn gelesen habe versagts mir, Speiße und Tranck zu nehmen . . ( 2 4 / 1 0 8 ff.) 165 . Eine Art Traumdasein gilt für das eigentliche Leben, es beginnt im Halbschlummer, entfaltet sich in der Nacht. Vorwiegend nachts schreiben Bettine und Max Prokop einander: „Die N a c h t . . . ist unsere Zeit" (2/17). Beide sind ganz in das romantische Reich der Nacht eingetaucht. 168 Hier verschwimmen die harten Konturen der Wirklichkeit. Die Empfindung des eigenen Ich ist „doppelt und 3fach" (21/327) gesteigert. In der Nacht fühle sie sich wie geläutert, schreibt Bettine (11/54). Erst vor der dunklen Folie gewinnen die Bilder der Phantasie Plastizität und Farbe. Dies zeigt sich besonders deutlich in Schilderungen des Naturerlebnisses, die, wie auch sonst in Bettines Werk, am reinsten gelingen. Dabei nährt sich die Vorstellung bezeichnenderweise nicht an der unmittelbaren Beobachtung, sondern steigt aus einer inneren Anschauung, aus der Erinnerung empor. So entsinnt sich Bettine an einen Jahre zurückliegenden Rheinspaziergang mit Arnim (24/398 ff.) oder an Wiener Gewitterstimmungen: „Abends wenn die Gewitter über dem grünen Meer der Bäume schwebten, wenn Die schwarzen Wolken das Abendroth scharf durchschnitten, wenn die Blizze Senckrecht vor mir nieder schoßen, und die Bäume unter denen ich saß, endlich mit ihren schwehren Blüthenzweigen auch einstimmten in die schauerliche Harmonie, und ein Zeigen gaben im saußen der Wipfel, daß ihnen der Geist der heiligen Natur fühlbar s e y . . ( 2 9 / 4 7 ff.). Von Gewittern, Blitzen, Stürmen sind diese Naturvisionen fast durchwegs erfüllt. Auch in früheren Briefen hatte Bettine die Natur durch Personifikation zu beseelen gewußt; jetzt erscheint sie ihr in einer dämonischen Bewegtheit, die ganz ihrer eigenen Unruhe und Ungelöstheit entspricht. Alle verfügbaren stilistischen Mittel dienen der Darstellung eines unaufhaltsamen Dahindrängens: „in der Mitte das sehr enge Thal von einem wilden Bach durchschossen . . . die Alten Eichen die wie grüne Fackeln in die Sonne heraufflamten... daß alle Blätter sidi bewegten und das Leben der ganzen Natur wie ein Opfer gegen den Himmel drang . . ( 2 4 / 4 1 4 ff.; vgl. auch 24/405 ff., 19/2). Mit der Hingabe an die Natur, mit dem Gang in die Nacht vollzieht Bettine eine Aufwärtsbewegung in ein von Phantasiebildern besetztes Reich, dessen „schauerliche Harmonie" ihr zur höchsten Empfindung ihrer selbst verhilft. 165

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In ähnlicher Weise berichtet sie, daß sie unter dem Eindruck der Begegnung mit Goethe in Teplitz eine Zeitlang eine Aversion gegen gekochte Speisen empfand. Vgl. Werner Vordtriede: Bettina und Goethe in Teplitz. In: J b F D H 1964, S. 360. Die Arbeit von Zimmermann geht ausführlich auf das Nachtreich der „Magierin" als einen typischen Bereich im Werk der alten Bettine ein.

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D a ß sich der religiöse Vorstellungsgehalt der Briefe in zahlreichen Anklängen an biblische Wendungen äußert, überrascht zumindest bei Max Prokop kaum. Er, der in streng kirchlicher, katholischer Tradition aufgewachsen ist, hat sidi zeitlebens an dem in der Jugend aufgenommenen christlichen Gedankengut orientiert. Die Idee des ihm aufgegebenen Kampfes um ein göttliches Reich auf Erden, sein messianisches Sendungsbewußtsein, lehnt sich ganz natürlich an die ihm vertraute Sprache von Bibel und Katechismus an. Man wird jedoch schwerlich behaupten können, daß dieser den ganzen Briefwechsel charakterisierende Stil ausschließlich auf Freyberg zurückgehe und Bettine sich ihm nur angeglichen habe. 167 Als Tochter eines katholischen Vaters und einer protestantischen Mutter wurde Bettine drei Jahre lang im Pensionat der Ursulinen in Fritzlar erzogen. Aus dieser Zeit bewahrte sie die Erinnerung an die poetische Geborgenheit klösterlichen Lebens. Unter der Obhut ihrer Großmutter Sophie von La Roche kam sie mit pietistischen Kreisen in Berührung. In der geistigen Atmosphäre des Landshuter Kreises, zumal unter dem Einfluß der Persönlichkeit Sailers, scheint Bettine, wenn auch nur vorübergehend, praktizierende Katholikin geworden zu sein. In den Freyberg-Briefen ist „viel vom Glaube die Rede" (24/224 f.), und der Freundschaftsbund wird zum „Gebetsbund" 168 : „wenn ich an Dich schreibe so werde ich fromm" (51/ 52). Aller kirchlichen Dogmatik freilich ist Bettine stets mit Ablehnung begegnet. 16 ' Die Bibel zählte sie allerdings von Jugend auf unter die von ihr bevorzugten Bücher. Man sehe es ihren Briefen doch an, daß sie viel in der Bibel lese, schreibt sie 1808 an Arnim. 170 Dodi handelt es sich dabei um eine zeitgemäße, eher literarisch-ästhetische Beschäftigung mit der Heiligen Schrift. Die Bibel gehörte zum allgemeinen Bildungsgut, der „Bibelton" zum selbstverständlichen Sprach- und Zitatenschatz. Seit Herder und Klopstock hatte man sich gewöhnt, sie vor allem als ein dichterisches Kunstwerk zu betrachten. 171 In den Werken der Romantiker wird die Sprache der Bibel als archaisierendes Stilmittel gebraucht, werden wörtliche und paraphrasierende Bibelzitate, rhythmische und syntaktische Nachahmungen, hauptsächlich der Psalmen, häufig verwendet. Ebenso 167

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Die Ansicht vertritt Karl von Freyberg (Edelmannsleben, S. 2 7 ) ; ähnlich auch Friedrich Fuchs (Andacht, S. 167). Vgl. Andacht, S. 166. Vgl. Anm. 61. Steig II, S. 77. Vgl. dazu Goethes Äußerung in den „Noten und Abhandlungen" zum „West-östlichen D i v a n " : „Ein großer Teil des Alten Testaments ist mit erhöhter Gesinnung, ist enthusiastisch geschrieben und gehört dem Felde der Dichtkunst an." (Hamburger Ausgabe, Bd. 2, S. 128.)

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hat die Beschäftigung mit den Mystikern, besonders mit Jacob Böhme, in der Sprache vieler Romantiker ihre Spuren hinterlassen. Unter den frühen Korrespondenzen Bettines ist jedoch keine so gleichbleibend auf einen Ton gestimmt wie die mit Freyberg. Die intensivste Zeit des Bundes mit Max Prokop ist für Bettine mit ihrer Abreise aus Bukowan bereits abgeschlossen. Von den achtundzwanzig an Freyberg gerichteten Briefen sind fünfzehn, zugleich die weitaus umfangreichsten, in den Monaten Mai bis August 1810 vor der Übersiedlung nach Berlin geschrieben. Die restlichen dreizehn verteilen sich, immer kürzer werdend, auf die beiden folgenden Jahre. Zwar läßt die neue, noch ungewohnte und fremde Welt Berlins Bettine noch manchmal wehmütig nach Landshut, Salzburg und Bukowan zurückblicken und in sehnsüchtigen Worten nach dem Freund verlangen, doch nimmt sie die kulturgesättigte Atmosphäre der großen Stadt, der „literarische Betrieb", in dem Arnim eine wichtige Rolle spielt, nur zu bald gefangen. Der Brief an Freyberg vom 3. Dezember 1810 verrät bereits die Wandlung: „Das Gebeth, die Flamme Der Begeistrung, sie können nicht stets gegen Himmel steigen und auflodern, auch soll man nicht Dringen dahin, die Ruhe, das einfache Leben wie es so die Tageszeit mit sich bringt, es führt auch Gold im Mund — " (44/2 ff.). Erstaunt registriert man den neuen Ton, aus dem schon Arnim zu sprechen scheint, der einmal an Bettine nach Bukowan schrieb: „daß mir eine Menge Dinge, die häufig in der Welt bewundert, die ich auch wohl sonst aufgesucht, mir nichts mehr anhaben. Es ist sehr leicht, in müßiger Zeit über vieles hinauszudenken zum scheinbar ungemeinen, wie der Schneidergesell, der an der Bohnenstange am blauen Montag in den Mond zu klettern glaubte; aber schwer und selten ist die That!" 1 7 2 Bettines Weg hat sich entschieden. Zwischen Bukowan und Berlin lag die für sie so bedeutungsvolle, in den Freyberg-Briefen allerdings nicht erwähnte Begegnung mit ihrem „Herrn und Meister" in Teplitz. 173 Sie hat Goethe f ü r Bettine endgültig in das Zentrum ihres „idealischen Lebens" gerückt, daran wird auch der äußere Bruch ein Jahr später nichts ändern; Arnim ist zum Mittelpunkt des „irdischen Lebens" geworden. Daneben ist jetzt kein Platz mehr zu vergeben. Arnims eifersüchtiger Reaktion auf einen Brief von Freyberg entgegnet sie mit den Worten, wenn er ihr verspreche, „nie eifersüchtig auf Goethe zu seyn", so wolle sie 172

Steig II, S. 397. 173 Ygi J a 2 u Vordtriede, passim. Ferner Curt von Faber du Faur: Goethe und Bettina von Arnim: Ein neuer Fund. In: PMLA LXXV, N o . 3, 1960, S. 216ff. und André Germain: Goethe et Bettina. Paris 1939.

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„am nächsten schönen Tag, mit ihm ins freie Feld gehen, und ihm alles geloben, was er begehre" (44/36 ff.). Einen Tag danach verlobt sie sich mit Arnim, drei Monate später ist sie verheiratet. Zwar ist Bettine wie Freyberg davon überzeugt, daß man sich wiedersehen werde, ja wiedersehen müsse. Eifrig bestärkt sie ihn in seinem Plan, zu einem längeren Studienaufenthalt nach Berlin zu kommen; ein Vorhaben, das immer wieder verschoben und schließlich aufgegeben werden muß. Wüßte Max Prokop jedoch ihre nun folgenden letzten Briefe richtig zu lesen, so würde er erkennen, wie sie, zunächst vorsichtig und zartfühlend, dann immer entschiedener, versucht, ihn auf seine eigene, von ihr unabhängige Bahn zu weisen. Doch er versteht sie nicht. 1814 bricht Bettine, in einem offenbar unmißverständlichen Brief, der nicht erhalten ist, die Beziehungen zu ihm ab.174 Bei Ringseis, mit dem sie und Arnim in Verbindung bleiben, erkundigt sie sich in den nächsten Jahren noch mehrfach freundschaftlich besorgt nach ihm. So 1816: „Wenn Sie an Freiberg schreiben, meinen Gruß, und daß ich ihm jetzt nicht schreiben kann, und daß ich ihm zu gut bin und allen Segen wünsche. Verlassen Sie diesen nicht und schreiben ihm d e u t s c h." 175 D a ß man endlich „deutsch", das heißt konkret und ohne Umschweife mit ihm reden müsse, hat sie, die sich unterdessen aus den Illusionen der Landshuter Zeit gelöst hat und in der Ehe mit Arnim ihre „irdischste" Epoche durchlebt, inzwischen erkannt. Die Träume ihrer Jugend wird sie erst später und in gewandelter Form wiederaufnehmen. Freyberg hatte in Landshut bald nach Savignys und Bettines Weggang seine Studien beendet. Nach einer mehrwöchigen Reise durch die Schweiz und nach Italien kehrt er nach München zurück. Seine Karriere im Staatsdienst entwickelt sich in der vorgeschriebenen Weise. 1812 besteht er den „Staatsconcurs" mit Auszeichnung, erhält den Akzeß beim Stadtund Kreisgericht München und wird zum bayerischen Kämmerer ernannt. In dieser Funktion begleitet er 1816, anläßlich der Vermählung der Prinzessin Charlotte von Bayern mit Kaiser Franz I., den außerordentlichen Gesandten nach Wien. Im selben Jahr avanciert er zum Legationsrat, 1824 zum Ministerialrat im Innenministerium. Weniger glücklich und weniger realistisch veranlagt als Bettine, fällt es ihm schwer, in der nur widerwillig akzeptierten Berufstätigkeit Befriedigung zu finden. Er fühlt sich durch sie in der Entwicklung seiner spezifischen Begabung zur Kunstund Geschichtsforschung behindert. Im April 1811 schließt er einen Brief an seinen Bruder Wilhelm mit den Worten: „Adieu, ich eile zur Gerichts 174

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In welchem Ton dieser Brief geschrieben war, läßt sich aus Freybergs Antwort jedoch ablesen (vgl. 73/11 ff.). Pfülf, S. 565.

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Stelle, wolle Gott bald anderswohin, denn dieses München mit seinen Alltagsgesichtern ist mir widerwärtig wie Rhabarber." 1 7 8 Eine mehrmonatige Reise nach Italien im Jahr 1812 scheint die ersehnte Befreiung zu bringen — und läßt ihn danach die Beengung der bürgerlichen Existenz in München nur umso drückender empfinden. Beharrlich versucht er, aus dem durch Herkunft, Erziehung und Ausbildung vorgezeichneten Geleise auszubrechen. Das führt 1814 zu dem Entschluß, ganz nach Italien überzusiedeln, um sich dort der Kunstbetrachtung und Kunstbeschreibung zu widmen und eine „Geschichte Bayerns" zu schreiben. Aus Familienrücksichten gibt er den Plan wieder auf. In einem Brief vom 8. Juni 1814 berichtet Sailer Savigny über die ehemaligen Landshuter Schüler. Verglichen mit Gumppenberg, so heißt es da, habe „Max F r e y b e r g . . . einen härteren Stand: hineingezogen oder vielmehr hinausgeworfen in die große Welt, hat er es schwer, etwas Rechtes in sich zu sein." 177 Freyberg hat sich im Grunde von den Idealen und dem exaltierten Sendungsbewußtsein seiner Jugend nie zu lösen vermocht. Bis ins hohe Alter bewahrt und nährt er die Erinnerung an den „heiligen Bund" mit Bettine. Desto schmerzlicher trifft ihn daher ihre Distanzierung. Am 19. Oktober 1814 notiert er in sein Tagebuch: „Was ich bin — bin ich durch Gottes Gnade, meine Liebe, und Bettine." Stets hat er ihre Briefe zur Hand, selbst auf allen Reisen führt er sie mit sich, in seinem Tagebuch zitiert oder paraphrasiert er daraus seitenlange Passagen. Es ist anfänglich rührend, später fast quälend zu lesen, wie er Bettine immer verzweifelter um ein Zeichen ihrer Zuneigung oder dodi wenigstens um das Almosen einiger weniger Worte anfleht. Bis auch er schließlich verstummt oder doch nur noch einmal jährlich zu Bettines Namenstag Grüße nadi Berlin schickt. Ob der Brief von 1820 (Nr. 76) tatsächlich der letzte vor dem Wiedersehen ist, läßt sich nicht mit Gewißheit sagen; es mögen einige Briefe Freybergs verlorengegangen sein. Nach seiner Eheschließung im Jahre 1824 1 7 8 aber hat vermutlich auch er zu schreiben aufgehört. Dem Wiedersehen vom Herbst 1843 geht eine indirekte Begegnung voraus. Auf einer Reise durdi Süddeutschland lernt Arnim 1829 Freyberg kennen. E r schreibt darüber an seine Frau: „Von Deinen früheren Bekannten soll ich Dir wohl zuerst berichten... Freyberg sah ich im Archive, dem er v o r s t e h t . . . Er scheint mit diesem in seiner Art einzigen Archive wohlbekannt, es sind da die meisten Urkunden des ganzen Landes versammelt. Er hat in seinem Wesen etwas Zurückhaltendes, was ich mir 178 177 178

Unveröffentlichter Brief H Jetzendorf. Schiel II, S. 398. E r heiratete Caroline Gräfin Montgelas (1804—1860), die Tochter jenes Mannes, gegen dessen aufklärerische Ideen er einst in Landshut mitgefochten hatte.

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Abb. III

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Bettine von A r n i m (1838)

Abb. IV

M a x Prokop von Freyberg (undatiert)

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sehr gut erklären kann, wenn ich an seine ungemäßigten Erwartungen denke, die er einst über sich äußerte." 178 — Arnim hat den Phantasten offensichtlich nie recht ernstgenommen. 1843 trifft Bettine Max Prokop in München wieder; sie ist achtundfünfzig, er vierundfünfzig Jahre alt. Bettine kommt mit ihren drei Töchtern von einem Sommerurlaub zurück. Sie ist inzwischen eine berühmte Schriftstellerin, „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde", „Die Günderode" und „Dies Buch gehört dem König" sind bereits veröffentlicht. Auch Freyberg hat sich schriftstellerisch, allerdings mehr als Historiker, hervorgetan. 180 Seit 1825 ist er Vorstand des Reichsarchivs, wo unter seiner Leitung die hervorragend edierten Bände V—XI der „Regesta sive rerum Boicarum autographa" erschienen, seit 1827 hat er als ordentliches Mitglied einen Sitz in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, zu deren Präsident er 1842 als unmittelbarer Nachfolger Schellings gewählt wird; seit 1839 fungiert er zudem zeitweilig als Vertreter des Innenministers von Abel. Darüberhinaus war er schon 1830 in den Landrat berufen worden und gehört von 1835 bis 1848 regelmäßig der Kammer der Abgeordneten an, wo er durch seine sachlich-prägnanten Reden Aufmerksamkeit erregt. Die von Sailer vorgeschlagene Ernennung zum „Gouverneur" des Kronprinzen Maximilian, des späteren Königs Max II., war allerding vom Hofe abgelehnt worden. Über die Wiederbegegnung mit Bettine existieren nur Berichte Dritter. Bettines Tochter Maximiliane erzählt in ihrem Reisetagebuch davon,181 Freybergs Sohn Max geht in der aus nachgelassenen Aufzeichnungen zusammengestellten Biographie seines Vaters182 näher darauf ein. Es fällt ihm offensichtlich schwer, die „zwar originelle, aber ziemlich vernachlässigte äußere Erscheinung" der einstigen Seelenfreundin des Vaters mit dem Bild in Übereinstimmung zu bringen, das ihr berühmtes Buch „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde" in ihm erweckt hat. Sowohl Maximiliane von Arnim wie Max von Freyberg sind übrigens der Meinung, daß die briefliche Verbindung seit 1810 ununterbrochen aufrechterhalten worden war. Es lassen sich nur Vermutungen darüber anstellen, wie dieses Zusammentreffen — offenbar sah man sich mehrmals, aber immer in größerem Kreise — auf Bettine und Max Prokop gewirkt hat. Für Bettine bedeutete das Zusammensein mit Freyberg und anderen Landshuter Freun179 Ehebriefwechsel II, S. 844 f. ibo Yg[ ¿ a s Verzeichnis seiner Schriften in N D B V, 1961, S. 421, sowie die Bibliographie. 181 Vgl. Johannes Werner: Maxe von Arnim. Ein Lebens- und Zeitbild aus alten Quellen geschöpft. Leipzig (1937). S. 122 ff. 188 Unveröffentlichtes Manuskript H Jetzendorf.

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den wohl ein unbeschwertes Aufleben heiterer Jugenderinnerungen. Max Prokop dagegen scheint es tiefer berührt zu haben, gerade weil sein sonst mit so erschöpfender Akribie geführtes Tagebuch, zur Verwunderung auch des Sohnes, „nicht die leiseste Äußerung darüber" aufweist. Es mag sein, daß ihm die schicksalhafte Verknüpfung seiner unerfüllten Träume und Illusionen mit der Gestalt Bettines erst jetzt bewußt geworden ist. Einige Zeit später schreibt er noch einmal an sie, den Ton ihrer Jugend wiederaufnehmend, in den freilich eine Spur der Verbitterung des Alters einfließt. Bald darauf verliert er, der zeitlebens königstreue, untadelige Beamte, im Zusammenhang mit den politischen Wirren um die Tänzerin Lola Montez nach und nach sämtliche Ämter. Tief enttäuscht zieht er sich zurück, auch sein öffentliches Wirken als gescheitert betrachtend. Am 21. Januar 18§i ist er in München gestorben. Die Unvereinbarkeit seiner historisch-rückwärtsgerichteten Weltanschauung mit Bettines den Strömungen der Zeit aufgeschlossener H a l tung hat er 1843 wohl selbst gespürt. Dennoch beruft er sich wenige Wochen vor seinem Tode in einem letzten Brief an die Freundin erneut auf die frühere Gemeinsamkeit, deren Wiederherstellung er insgeheim noch immer wünscht. So bleibt Freyberg bis zuletzt in einem eigentümlich juvenilen Zwiespalt befangen. Es gelingt ihm nicht, seine Fixierung auf ein unerreichbares Ideal zu überwinden. Er ist in einem frühen Stadium seiner Entwicklung erstarrt: „Und so stehe ich noch wo ich damals gestanden bin — . . . " (77/16 ff.). Bettine dagegen hat sich, ohne den Kern ihres Wesens je zu verleugnen, mit den Jahren gewandelt und in weltzugewandter Aktivität Befriedigung gefunden. Eine Verständigung war nicht mehr möglich; auch die beiden letzten Briefe Freybergs hat sie daher nicht mehr beantwortet.

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i. Max Prokop an Bettine

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M ü n c h e n am 1 2 M a y 1 8 1 0 Liebe Freundin! Seit idi Sie verließ, war mein Leben ein einziger langer Traum von Ihnen; Mein Glük und die schöne Dämmerung einer kommenden Zeit haben mir jede Stunde versüßet, jede Gegend verherrlicht, jeden Schritt gekrönt; jeden Blik gelohnt. O wie unaussprechlich viel dank' ich Ihnen! ich bin wie wiedergeboren, als wenn tausend Blüthen in mir aufgegangen, ein ganzer Frühling in mir neugeschaffen wäre. Das alles hab' ich recht empfunden als ich in Siegsdorf zur MorgenStunde am Hochaltare niedersank, aufblikend durch das Gewölbe und küssend jenes bedeutungsvolle Kettchen, der Rache geweiht; da war mir die Andacht klar wie die Freundschaft; und ich habe Kraft gesogen, und mir war das Spiel wie gewonnen, und wie besiegt lag das Jahrhundert vor mir. Als ich von Ihnen schied gieng ich mein Geheimniß in Gedanken durch, aufgerollet lag mir mein LebensPlan, und wie sich die GebürgsKette hinzog von Aufgang gegen Abend, und recht viel Freundlich' Thal=Land zu seinen Füssen lag, so dacht ich soll das Meteor deiner Thaten hinzieh'n zwischen Felsen, Muth und lieblichen Stunden, im BogenSchwunge; die Unendlichkeit vorwärts und rükwärts. Das ist recht schön daß ich Ihnen das alles sagen darf, ganz ausschütten meine Seele vor der gleichsgeschaffnen; ohne Falte dastehn und ohne allen Kummer. O Freundin so muß es gut werden, aus so heiligem Bunde muß köstliches entstammen, und Göttliche Frucht muß solche Pflanze gebären. Als ich Neumarkt verließ, gieng ich zu Fusse bis an den Platz wo wir alle das leztemal ausgestiegen waren; ich hatte meinen Thränen freyen Lauf gelassen, so daß mir leicht ums Herz war, und ich kräftig dastand und gerüstet. Als ich aber inne hielt, dort wo wir alle hingesehen hatten über den ruhigen See, da sank ich nieder betend für unser aller Wohl. Und ich war heiter als ich in den Wagen stieg, dachte ganz ruhig, den Bergen ins Angesicht sehend, besonders dem heiligen Geisberg von dessen Gipfel wir niedersahen ins Thal, wie in ein künftiges Leben. Und als sich der Sturm in meiner Brust gelegt hatte, und meine Seele wie der Ozean war wenn er im undurchfurchten Spiegel daliegt vor dem Auge Gottes, da bükt ich zu dem Himmel auf daß er meinen Arm stählen und die Stunde sollte schlagen lassen. Ja! Sie müssen mir versprechen daß Sie in heitern Nächten auch oft aufsehen wollen nach den Sternen und dem Mondlicht;

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denn dort begegnen sich dann unsere Blike die mir soviel Muth geben! Als sich später GewitterWolken thürmten sah ich trotzig in das verlarvte Gebürge hin, weil ich mich nicht fürchte vor diesen Blitzen und diesem — 40 Donner — und weil ich oben auf der BergZinne stehen will wenn seine Keule ringsum die Stein Wand zerspalten, und weil ich selbst zersplittern will den morschen Blok der Tyranney. J a ! es ist mir heiß und enge, und der ThatenDurst will mir oft die Brust zersprengen; ich möchte Berge gegen Himmel schnellen und dem Laster sein Grab graben. Soll ich denn 4 j noch lange brüten über dem herrlichen Tagewerk, noch viele lange Nächte harren der ersehnten Stunde des Vereins! Ihr Himmel erbarmt euch meiner Sehnsucht; mein Gott gieb meiner Seele Nahrung!

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O er hat sie mir gegeben seit ich's Ihnen vertrauen darf was meines Willens Ziel ist, nach welcher Palm ich ringe, nach welchem Feind ich werfen will mein Geschoß. Wie hab ich das verdient daß ein so göttlich Wesen mir seine Freundschaft ganz geschenkt hat, und ausgetauscht die Seele gegen mein Gemüth. Aber ich will und werde es verdienen; möchte gern der herrliche Mann seyn den das Jahrhundert ruft, daß er erstehe die Geisel zu schwingen und dem schönen göttlichen Königreich einen ewigen Thron zu bauen. — Ich bin über Berchtels Gaden und Oberbayern nach München gereiset; Die ersten Tage hat mir manchmal geschwindelt, als stünd ich auf einer unermeßlichen Höh' aber Ihr HändeDruk hat mein Herz erfreut und mich genährt bis in den Tod. Nach unserm WatzMann sah ich oft hinauf als unsere Gondel auf dem KönigsSee schwamm. Unter dem Tosen einer Cascade hab' ich alle heiligsten Schwüre erneuert; oft haben wir Ihnen allen Gesundheiten ausgebracht; Flasche und Glas den SeeGöttern geweiht; — Oft hab ich die schönen Stunden durchgedacht die wir zusammen lebten, so recht eines Sinns, recht wie Morgenboten eines Frühlings. Ich schwöre Ihnen daß sie wiederkehren sollen diese Stunden meine Seele dürstet nach Ihrer Freundschaft trostreichem Wort; Sie sind die Braut meines Gemüths. O versprechen Sie mir daß Sie mir ewig klar ins Auge sehen wollen, den freundlichen Händedruk nie versagen; und ich will tauchen in alle Tiefen und Höhen nimmer rasten nimmer ruhen bis ich werth bin des R u f s meines Zeit Alters; bis ich schwingen darf das gewichtige Schwerdt zur Saat und zur Erndte; bis mir mein Mädchen den EichKranz um die Stirne windet.

Als ich heute im Theater war, / man gab Montalban / wurden die Worte gesungen: „Und die RacheStunde Gottes ist gekommen" Sie können wissen wie das auf mich gewirkt hat; Dann dacht ich mir wie unbeschreiblich 75 traurig es seyn müste wenn ein angehender Held in dem grosse feurige Thaten gähren zurükgeschrekt würde daß er müßig zu bringe seine künftige Zeit; verzweiflungsvoll daläge den Kopf in seiner Freundin Schoß, in einer schönen herrlichen Gegend ein thatenloses Leben verbrächte; fast

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möchte mich so ein Gedanken zermalmen, weil ich nur die Liebe die von 80 ewig gleicher Sonnen Glut entbrannt sind für das Beste, die alles an das Höchste setzen um des Höchsten willen, die kein Ungemach keinen FehlWurf scheuen, den steten Himmel im eignen Herzen tragen, und ein solcher will ich seyn! Dann war es mir als ob ein Ritter von den Böhmischen Bergen herabritte, blau und weiß gekleidet; es war ein schöner Vormittag 8 j — und er ritt über Bayerns Ebene hin; Ruhe und Hoheit im Gesichte;

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etwas Begieriges — ein Streben eingeprägt in seine Züge Verzeihen Sie — ich schwärme — kennen Sie die Geschichte des Piccolomini und der Thekla; das ist gar nicht die unsere; was dort Leidenschaft ist, ist bey uns klarer Freundschafts-Himmel, was dort endet wie ein TrauerSpiel, soll uns allen werden ein gepriesener Festtag. Z u dem was ich Ihnen an jenem grossen Abend schrieb setzen Sie hinzu: „Und jeder Ihrer Blike war mir wie vom Himmel herübergestrahlt;" denn das Affektlose unsers heitern Einverständnisses muste von jeher wie aus dem Himmel herüberwalten, daß daraus viel Gutes gestiftet würde. — Noch eins! Daß Sie mich ganz haben; weil ich Ihnen alles, alles sagen möchte was meine Seele bewegt: Ich setze Ihnen etwas aus meinen Tagebüchern her, daß Sie sehen mögen wie ich damals dachte und empfand als Ihr Zutrauen mein Beginnen noch nicht gekrönt hatte: d e n I l t e n M ä r z 1 8 1 0 : (das Ganze ist an jenen Engel gerichtet den ich liebe) „den Tag will ich dir erzählen, aber du mußt nicht böse werden; als ich erwachte sprang ich auf und an die Bücher. Dein Geist war bey mir. Als ich um 10 Uhr die Kirche besuchte waren die Savigny, und die Bettine da; meine Seele umfaßt diese beyden mit der reinen Flamme der Ehrfurcht; du weist es zu herrlicher Engel meines Gemüths. Da war mir die Andacht klar und Sailers Wort klang zu meinem Herzen. Dann / o der seeligen Stunde / gieng ich zu Savigny. Wenn ich diesen sehe ist er mir ein Apostel der Kraft und Weihe, ein Gesalbter des Himmels, eine Krone des MenschenGeschlechts. Ich dachte mir: Findest du ihn allein so wirf dich zu seinen Füssen und preise seine Sorgfalt und Liebe denn du kannst nicht Leben ohne seine Freundschaft und ohne seine Achtung nicht gedeihen. — — Nachmittag schrieb ich an Wilhelm; laufe auf das Billard um Savigny zu finden; ich fand ihn nicht Noch keine Ruhe, lauter Zerstreuung endlich Ermattung und Schlummer — Vergieb Mädchen das war nicht männlich. o ich will dafür meine Brust dem Sturm entgegen werfen und der Zerstörung in den Arm fallen. Bey Gott das will ich; was mich das Schiksal heißt will ich nicht dulden, was die Natur fodert nicht gewähren, was die Triebe begehren ihnen versagen, groß seyn in Entsagungen, göttlich in deiner Liebe! Jezt lauf ich wieder aufs Billard finde Savigny wieder nicht. Es war

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Abend die Sonne schon hinab. Bettine saß am Fenster, ich segnete sie; erblike dein Aug in den Sternen. Sie bemerkt mich — mich dürstet nach freyem Raum ich schreite durchs Thor und erblike Savigny — Meine Seele wird beklommen mein Herz strömt über; an dir Mein Mädchen rieht ich 125 mich auf, schwöre dir ewige Liebe . . Sehen Sie so hab ich immer gedacht; wie freundlich ist mir das Schiksal daß ichs Ihnen sagen darf! Schreiben Sie mir auch bald daß ich stark bleibe Empfehlen Sie mich recht von Herzen Ihrem Schwager und Ihrer Schwester — Halten Sie den Brief geheim; Bleiben Sie meine Freundinn. Leben 1 3 0 Sie wohl Ihr Max. Die Addreße ist: a Möns. Möns, le Bar. M a x de Freyberg135 Eisenberg, Etudiant en Droits i Landshut Abzulegen bey Madame Huber Mate140 rialistin. Ich bitte Sie ebenfalls um Ihre d i r e c t e Addreße daß ich mich an sonst niemand zu wenden brauche.

2. Bettine an Max

Prokop

[Wien,] am ißtenMay [/S/o] N u r um Ihnen und mir die verfloßne Zeit wieder nah zu rücken, schreib ich, denn ich habe nichts anders, nichts mehr zu sagen als damals; Ihr Begehren bleibt das meine, was Sie begeistert, begeistert mich auch, und j i [ c h ] 1 i e b e, w a s S i e 1 i e b e n Alles was ich sagen könnte, kann ich nicht schreiben ich wollte wir wären bei einander, nur darum daß mirs leichter würde, wenn ich bei Euch bin fühl ich midi besser, stolz, leicht, Kräftig, hier die Menschen machen midi so müde, daß ich den Mund nicht aufthun mag. 10 mir ist es so lieb, daß Sie nicht so abgebildet sind, so fertig wie andre, bleib nur immer so, halt dich nur wie ein Baum dem Gott die Ungewitter zum Scherz und [Zeitvertreib schickt — [I]ch kann nicht schreiben, ich erinnere mich der Zei[t d]a ich Ihnen mit den Augen mehr sagen konnte als jezt mit dem besten Willen; Dendken 15 Sie, daß ich oft mitten im Gewühl der Menschen, meinen Blick allein auf

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Sie richte, daß Ihr Vertrauen wie eine feste Säule in meiner Brust aufgerichtet ist — Die Nacht mit tausend Sternen ist unsere Zeit, wo es uneben und Steil ist (wie auf dem Geißberg) da reichen wir einander die Hände; wenn der eine stirbt so lebt er im andern fort 20 in 8 Tagen, hoff ich in Prag zu seyn Die Veilgen Trag ich immer noch auf dem Herzen in der Nacht leg ich sie u[nter] mein Kopfkißen An Herrn Baron Max von F r e i b e r g in 25

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3. Bettine an Max Prokop

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\Wien, ly. May /i/o] Das lezte was Wir miteinander ausmachten war, daß Wir nicht getrennt würden durch die Entfernung; Sie haben wahrhaftig Wort gehalten: ich bin nicht getrennt, mitten unter Menschen zieht mich ein dunckles Gefühl bei Seite, wie damals wo Sie auch meinen Blick auf sich zogen. Wenn ich in mein Zimmer Trette, ist mir immer als fände ich Sie, so lebhaft ist Ihr Andenken das mich in der Einsamkeit stärcker umfaßt; Sie haben also wort gehalten lieber Freund; und halten midi fest im Herzen, ich emfinde es, durch die unwillkührliche Annährung an Sie. Ich werde den Plaz nicht vergessen wo Wir uns zum leztenmal sahen, ich werde ihn nie vergessen. Alle Gewohnheit, alle Ängstlichkeit verschwindet vor der Liebe, sie gehet nicht irre, wenn sie auch auf neuen Wegen wandelt, sie schaudert nicht wenn sie auch am Abgrund hergehet; sie fragt nichts nach Gedancken nach Worten; ihr Wesen ist ein Elementh worinn der Freund Seeligkeit athmen soll, da er vorher nur Luft schöpfte, und wenn ich mich frage was ich mit Ihnen will; so ist es immer die Sehnsucht daß es Ihnen unendlich wohl in mir werde. Die Welt ist leer und unbedeutend, diese Welt für die man alles thun will; wen sie führt, den führt sie irre; wer sie leiten will, den zertrümmert sie. Guter Freyberg bleiben Sie nur immer ü b e r der Welt stehen, obschon Ihr Geist ein Weltbürger ist, obschon das Herz groß genug ist, Millionen wie einen Freund zu umfassen, und dencken Sie nur, daß in der Welt I c h bin wie ein Feuer im Leuchtthurm dem Seefahrer im Sturm ein Trost und sichere Leitung ist, so ich —. Wien ist für mich eine traurige Stadt, Welt und Lebensart sind mir gleich zuwieder; wenn ich nun dencke daß man in Salzburg mit aller Gemächlichkeit, hätte innigen Verkehr mit Gottes allmächtiger Natur

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haben können, und daß sich unser Beider Gemüther, wie eine Himmels30 pflanze aufgeschwungen hätte. Ich ging lezt Abends allein im Garten den Wir am Hauße haben, es w a r mir als gingen Sie neben mir her, ich emfand daß Sie mich ansahen. Oft hab ich tausend Dinge Ihnen mitzutheilen oft meine ich, ich müßte Sie führen, Ihnen die Augen verbinden und über das Unglück, die Gefahr, 3$ hinausführen, oder es müßte mir Weisheiht vom Himmel kommen um Ihnen zu bedeuten wie's gehen soll; aber wie die Liebe ihre Flügel ausbreitet und alles Elend des Menschlichen Lebens verdeckt, so verdeckt sie mir hier allen Zweck, alle Einsicht, allen Plan über Dich, und es ist recht, sie ist der Führer, der beste Trost, die beste Berechnung f ü r die Zukunft, 40 von ihr werden die Felsen in Salzburg auch sprechen — . als Wir oben allein standen da sprachen die Felsen und die Lieb miteinander, ihre Reden hatten einen festen Wiederhall in der Brust der mir ewig nachklingen wird, da oben waren wir recht in der H a n d Gottes, mehr als wir vielleicht emfanden denn wenn ich sehe, was dadurch all, so zwangloß 45 und schön in uns geworden, so kann idi nicht anders glauben als das Gott uns seegnend berührt hat. Was sag ich alles noch? ich hab mein H e r z erleichtert in diesen Zeilen es w a r schwehr von Liebe, wie eine Blume schwehr v o m Thau ist. in Bucowan werde ich fröhlicher seyn zum wenigsten finde ich einen Brief — j o und der Umriß des Gesichts von Grimm? haben Sie's nicht vergessen Gott sey mit Dir, wenn Du traurig bist so dencke nur immer daß Du noch ein reiches Gut in deines Freundes Herz besizest, daß wenn Du Dunckle Wege gehen must, ich mit Freuden mitwandre, daß ich ein Theil Deiner Selbst bin und alles Schicksal mit trage. 55 in 8 tagen bin ich gewiß nicht mehr [hier.] [Bettine] am An Herrn Baron M a x v : in

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4. Max Prokop an Bettine Landshut am 23 M a y 1 8 1 0 Liebe, Liebe Freundin! Seit meinem lezten Briefe bin ich um vieles stärker geworden, und mein Gemüth wird klärer von Stunde zu Stunde. Das macht das schöne herrliche Band das Sie um mich geschlungen, das j hohe Verhältniß das ein göttlicher Finger uns vorgezeichnet hat. Ich fühle

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den Edelmuth meiner Hinopferung, und weil ich alle, alle Blüthen meiner Jugend f ü r das Höchste was ich strebe, pflüken will, und dann, weil ich Ihnen das so recht unbefangen sagen kann, und denken darf, wenn Sie da wären, würden Sie mir so recht begeisternd ins Auge sehen, und so recht 10 seelenstärkend die H a n d drüken, so ist mir's oft unbeschreiblich ruhig um's Herz, und wie eine schöne Landschaft am heitern SommerAbend ist meine Seele. Und in Stunden der Begeisterung, wenn mich eine unendliche Sehnsucht erfüllt, mich himmelwärts treibt, und wenn ich meine, die ganze Erde Hesse sich so im Schwünge mit fortreissen, und der gute Zwek er15 freuend vor meinem klaren Auge liegt, da denke ich mit Belohnung an alle die das gutheissen und die sich mit mir freuen würden, wenn sie bey mir wären.

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Das Bild Raphaels hat tief in meine Seele gegriffen; die himmlische Welt hat durch sein Auge zu mir gesprochen, und eine ganze Zukunft lag mir wie entfaltet da. Ich weis nicht was so unbeschreiblich belohnendes liegt in seinen Zügen und versöhnendes in seinem Blike. Freundin! denken Sie hinüber wenn so alles, alles hinweggelöscht ist was eine Zeichnung verstalten, eine Harmonie trüben, ein Herz bekümmern kann; o denken Sie mit mir hinüber wenn wir in Gottes Auge unsere Seelen sonnen, unser Thun entfalten werden vor seinem Throne! Wenn ich ihn denke diesen süssen, unendlichen Gedanken, betend, weinend — denke, — dann liegt mein Leben wie eine lange Harmonie vor mir, in die Sie mit einklingen, die Sie mit vergöttern. — Auch Dürers Bildniß hab ich gesehen und es hat ähnliche Gedanken in mir erwekt; das ist ein Teutscher gewesen; ein Meer von K r a f t spricht aus seinen Augen. Bettine! es hat sich mir ein heiterer Himmel geöffnet — Das Schöne was er uns bringen wird sollen Sie erst später erfahren — Eines Abends als wir bey Savigny waren riefen Sie mich ans Bette, denn Sie waren unpäßlich, und da sollt' ich einen Streit schlichten den Sie mit Salvotti hatten — denn sagten Sie ich sey der Beste unter Savignys Schülern. Freundin das Wort hab ich aufgefaßt und dachte so bey mir, wie wenn du von ganzer Seele diesen Namen zu verdienen strebtest — wie wenn du vor Teutschland dastehn dürftest, und einen noch höhern Namen . . . ich mag es nicht schreiben — aber mein Wille ist tiefer als der Äther und mein Ziel ermessen nur Kometen-Bahnen. Recht groß möcht' ich werden oder kein Daseyn haben, recht meiner Geliebten würdig oder auf immer von allen Thronen Verstössen.

U n d wenn Sie's ganz wüßten wie es mit meiner Liebe mit dieser un45 ergründlichsten ist; wie sie ganz nur dasteht auf Glaube und Hoffnung; ohne irdisches Daseyn; nur so blos die Geister sich umfassen die Seelen an einander schmiegen, ehe der Mund eine Sylbe sprach. Wahrlich! will ich

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mir selbst werth seyn, und -würdig der Gabe die mir der Himmel in Ihrer Freundschaft schenkt, dann denk ich mich, den hinopfernden, hingegebe50 nen, fest blikenden in des Tugend Alters goldne Dämmerung hin! Und weil ich in allen diesem Sehnen, in diesem Thun und Treiben meiner Seele so deutlich erkenne den Finger Gottes, so kräftig fühle seine alles belebende Nähe, so hingerissen bin von verklärender Begeistrung; mein ich immer es gezieme mir zu ringen und zu kämpfen daß ich überall 5 5 vortrefflich, bewährt, gediegen sey. dieses Streben von Gott mir eingehaucht, verklärt durch Liebe und aufgewachsen unter dem SonnenHimmel Ihrer Freundschaft wird mir ein GewährsMann seyn, daß ich unter vielen, vielen Wegen die von uns hinüberziehen, den beglükendsten erwähle. 60

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den 2 1 M a y in M ü n c h e n . Ich schreibe diese Zeilen den Abend bevor ich nach Landshut gehe. Die Thränen flimmern mir im Auge, weil ich mich recht hindachte in den Augenblik wo wir Hand in H a n d sassen auf jenem Bänkchen am Wege vom Geisberg herab, und uns recht felsenfest ins Auge blikten. Denn gestern und heute ist mir eng um's Herz gewesen; aber jezt seh' ich voll SeelenKraft zu den Sternen auf; denn ich dachte das Göttliche unserer Freundschaft und süsses Beben ist durch meine Seele gegangen, und hat aufgerichtet meine Stirne zu den Himmeln und hat gewaffnet meine Faust gegen alle Stürme. O, wenn ich's Ihnen nur so recht sagen könnte wie's vor mir liegt, wie ich's schaue und entzükt bin. — Ich reise izt nach jener Stadt wo Sie einen schönen Winter zubrachten. Glauben Sie mir, daß ich vor Ihren Fenstern Nachts oft auf den Knieen gelegen bin und zu Gott gebetet habe daß er Ihnen, meinem Lehrer Savigny und Ihrer Schwester es wolle gut gehen lassen; denn ich habe recht gerne nahe um Sie alle seyn wollen, und so dacht ich mir bist du diesen, lieben, herrlichen edlen Menschen am nächsten. Ich reise dahin sage ich von wo mein LebensFaden wie neu angesponnen Glorreich laufen wird in die Ewigkeit hinüber; nach jener Stadt reise ich nachdem ich schöne seelige Tage eines Frühlings gelebt, der mit FlammenSchrift in meine Brust gegraben ist; ich gehe dahin nachdem mich der Hauch eines Mädchens verklärte das mir der Himmel gesendet hat, daß es mit seiner grossen Seele mein dürstendes Gemüth tröste, daß es mit EngelsHoheit ein begeisterndes Licht ausgiesse über meine Liebe über die unergründliche, Himmelhohe.

Mir ist in diesem Augenblik als ob ich eine recht grosse Reise machen 8$ sollte durch lauter nie gesehene Länder, die ich aber nicht zu betreten fürdite, weil idi mich unendlich stärker fühle als das bisdien Hinderniß das mir ein feindseeliger Dämon etwa bringen mag. — Wissen Sie noch wie ich Ihr Pferd führte, und wie wir rechts weit hinaussahen über die aufgeschichteten Berge, und wie wir oben auf dem Gipfel Thränen im

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90 Auge hatten — o ziehen Sie auch Ihre Hand nicht zurüke wenn es recht rauh, und schroff, und eng, und voll Klippen, wird auf der Bahn die ich befahren soll, denn alles das geschieht doch nur um jener Ewigkeit willen deren Namen in meiner Seele glüht, deren Andenken mich mit Heiligkeit durchschaudert, deren Trost wie ein göttliches Gebürge dasteht. — Das 95 eine schmerzt mich — daß ich den Sonntag da wir von Salzburg fuhren Si[e] nicht mehr habe nach der Kirche führen können —. Aber das wird v[iel] leicht wohl noch öfter geschehen — Heute morgens habe ich recht schön von Ihnen geträumt, — halb wach halb schlummernd waren sich unsre Geister nahe 100 A m 2 2 t A b e n d s in L a n d s h u t .

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Nehmen Sie meinen dank göttliche Freundin für Ihren schönen Brief — er hat mir Ihre Seele ganz wiedergegeben. Ich dachte mir: Landshut wirst du kalt und leer antreffen weil Sie alle weit von da sind — und Ihr Brief hat mein Gemüth getröstet. Als ich die Worte laß: B l e i b e s t a r k . . . lief ich wie begeistert nach meinem Hirschfänger und ihn aus der Scheide reissend schwur ich einen heiligen Schwur standhaft zu seyn und hieb zum Andenken dieser Stunde eine Narbe in meinen ArbeitsStuhl. J a ich will so bleiben und noch rüstiger werden bis Gott seinen tapfern Schnitter hinausschikt daß er erndten soll. Meine Freundinn, ziehn Sie nie Ihre Hand zurük, die ich segnend erfaßt habe, die mir ein grosser Fels ist an den ich mich in SturmesNöthen klammern mag. Recht kann ich's Ihnen auch nicht schreiben wie mir's ums Herz ist; und was ich alles ausschütten wollte in Ihre trauliche Seele — aber ich habe Männlichkeit daß ich's ertrage, und du mein Mädchen! und Stern! bleibst auch stark! Wenn Sie einige Zeit in Bukowan oder Karlsbad bleiben so sagen Sie mir's; vielleicht geh ich in einigen Monaten nach Berlin. Ich werde eine Geschichte unserer Freundschaft schreiben wie's gekeimt und Geblüht hat und unter Gottes Auge geworden ist, denn der Herr hat uns viel Gnade gegeben und uns auser[se]hn unter tausenden Leben Sie wohl!

a Mademoiselle Mademoiselle B e t t i n e d e B r e n t a n o de L a Roche iL 125 Prague

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Bettine an Max Prokop [Wien, um den 23. Mai 1810] K a u m bedarf es des Schreibens; ich glaube in diesen abziehenden Gedancken (die mich allem entreißen, und allein mit Ihnen beschäftigen), zu erkennen, daß Wir uns verstehen und auch ohne Buchstab unsere Ge5 dancken wechseln, mehr und mehr gehts in midi ein das Wir nicht getrennt sind, dieß ist ein herrlich Zeigen, es wiederfährt nicht allen Menschen, ich hab Ehrfurcht vor dem Ereigniß das uns zusammenführte und glaub das mir niemals etwas herrlicheres zukommen wird, das menschliche Herz ist sonsten so eng es ist gleich erfüllt von einem Gegenstand, hat es die Liebe, o so mag es der Freundschaft entbehren, und ist es glücklich so kann es das Unglück des Mitbürgers nicht herbergen, lebt es dem Wohl andrer und der Pflicht so kann es das begehren der eignen N a t u r nicht stillen pp — . von Dir glaube ich grade das Gegentheil, ich glaub, daß alles in gleichem Wuchs emporstrebt das alles in gleichem Maase des Seegens theilhaftig 5 wird der über dich ausgegoßen ist, Du bist glücklich bis in die Wurzel von welcher Du ergrünest, frei, ohne Stempel von Kunst, von Welt und sinnlicher Bildung; in dem seeligen Alter w o die Ideale in der Brust erwachen, ungestört deinem eignen Willen überlassen, du brauchst nicht diese göttliche Blüthe dem Vorurtheil aufzuopfern, du hast das schöne Ziel vor Dir, entweder alles was Du umfassen Kanst, diesem Ideal deiner Seele alles eigen zu machen, oder selbsten ein Opfer seiner Schönheit zu werden, beides gleich herrlich nur das erste, eine Sinnliche Erscheinung in der Welt das Zweite ganz allein eine Vergeisterung in Gott, von dem alles schöne ausgehet. — ich weiß nicht ob ich mich verständlich mache — ich kann Dich nicht dencken mit irgend einem Band beschwehrt, wovon so manche andre gefesselt sind ich kann nicht dencken, das etwas Macht über Dich gewinne daß deiner Freiheit schade, ich glaube, und hoffe, (und Bethe) daß Du im Stand seyest alles zu vertilgen was deinem Seelenadel schade, daß Du nie nie Fesslen Tragen mögest daß deine N a t u r zu hoch zu Stolz zu Starck von Gott aus ist um sich irgend zu ergeben dem was Du nicht für Würdig erkennest. — und dieß nenne ich das Ideal deines Carackters, ich kann mich nicht deutlicher aussprechen aber in diesen Worten so ungeschickt sie das sagen was ich meine, liegt doch das tiefe Geheimniß was mich Dir zu eigen macht — man könnte glauben ich sey vielfältig und sonderbar, aber mein Sinn ist so einfach das er mit nichts was durch Menschen veranstaldtet wird zusammenhängt, er ist hoch hoch über alles, w o nur Verschiedenheit und Vielfältigkeit in eine Maße zusammen schmilzt, frei von Eigennuz und allen gebrechlichen Eichenschaften des Menschengeschlechts; ja das ist mein Sinn mein Wille, wenn ich nur schon dieß errungen hätte, wenn ich nur schon so loß w ä r von allem was midi noch

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nieder zieht — mein Wille ist es aber, bei Gott, und Du sollst mir die H a n d reichen, und sollst mir helfen; und ich will Dir helfen; was Dir wiederfährt, wiederfährt auch mir, ich will besser Durch dich werden, herrlich, Groß, will ich werden durch dich, und will dir auch wieder Treu 4 j Dienen kein Menschlich Verhältniß soll auf uns einwircken — Dieß alles sage ich aus tiefem Geist, der nicht leicht in der Sprache sich offenbahrt, nehme es auch so an — wer weiß sehe ich dich bald wieder, Zufall hatte uns hier so lang aufgehalten auf Pfingsten sind wir in Bucowan dort kömmt auch Arnim hin. 50 ich will nicht bitten daß du auch kommst ich weiß daß es geschieht wenns seyn kann.

[B] das ich so vertraulich schreib, und Du sage, ich bitte verarge es nicht, es ist eine Form die ich mir nicht enthalten kann wo ich aufrichtig bin. 55 es ist mir als ob ich in diesem Brief ein Theures [Gelübde] gethan hätte. An Herrn M a x von Freiberg in Landshuth

6. Max Prokop an Bettine [Landshut, 25. Mai j # i o ] Ich erhalte so eben Ihren zweyten Brief, der hat auch tief in meine Seele gegriffen, und mein Glük himmelan gestellt. O bleib nur immer so du Engel, und etwas heiterer noch und trit ganz heraus ins verklärende Licht 5 der Sonne. — Fürchten Sie nichts — ich bin gestellt, /so glaub' ich's/ in eine höhere Hand, die alle Welt niederstürzen soll, vor meinem Anblik. Wenn ich so stünde auf einem hohen Gebürg, denk ich immer, meine Beyden Hände in den Händen Jener die mir so lieb sind meine starken Freunde um midi her, und wir alle hätten die Augen gegen den blauen 1 0 Himmel gekehrt, und Gott unsere Herzen ganz durchschauen würde, so müste alles was falsch und eitel und Böse ist vor diesem Gesicht nieder sinken und zerschmelzen; denn diese Kraft ermißt keiner die die Tugend giebt; vor dem Schalle dieses Horn's stürzen alle Planeten zusammen. N u r das Herz im Auge, und so in die Welt hinausgesehen; dem Manne ein 15 Schwert in die Faust; die Mädchen sehen vom Berge zu wenn er im Thale kämpft, und flechten dem Tapfern Kränze — O wenn das alles so seyn wird! wenn ein Händedruk nach heissen Tagen, ein Blik, ein Kuß allen den Lohn herübergiessen wird in meine Seele, schon hier — und wenn ich denke wie das alles blos Vorgefühl, blos Schattenriß ist, eines unendlichen

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20 Lebens — Ich zittere vor Begeisterung, Verklärung durchglüht mich in diesem grossen, grösten Gedanken! J a ich will ü b e r der Welt seyn — Sie wird mich nie zertrümmern, aber ich will zertrümmern diese Kugel des Irrsaals — die Liebe wird mein Elend nie zerdrüken —, weil ich nie elend seyn will, sondern die Glorie 25 der Zukunft, soll sie mir schon hier abspiegeln, und auf ihrer Grundfeste will ich aufbauen eine herrliche DenkSäule der besseren Menschheit: Das hat mich erquikt wie Morgenthau daß es dir öfters ist als sey ich um dich; Glaube fest daran — was ich so ganz mit heissem SeelenDurst umklammert habe, wer soll mir das loswinden können! Die Erzengel haben dir 30 meine Freundschaft entgegengetragen; du darfst feste Gebäude darauf gründen. — Ich fange selbst an der Zeit ins Gesicht zu lachen die meinen möchte daß sie uns getrennt habe — Nein! diesen Knopf wird keine Ewigkeit lösen, er wird sich fester schlingen von Stunde zu Stunde, je tiefer unser Geist messen wird; denn da ist kein Plätzchen mehr in mir 3$ das nicht ganz erfüllt wäre mit Freundschaft und Liebe, ein verklärender Hauch ist durch alle meine Gedanken gedrungen. J a , ich bin immer um dich, du bist immer bey mir, und deine Nähe begeistert mich, dein schönes Gemüth wohnt in meiner Brust; denn diese Pflanze hat Gott gepflanzt in sein hohes Gebürg, und unter seiner Sonne 40 wird sie schöne Blumen tragen, drum schikt er seine Engel daß sie sie pflegen und warten sollen, weil sich sein Auge daran ergözt. N u r recht gutes Muths; wenn auch die ernste Stunde oft einen schönen Genuß bereitet, und die Wehmuth oft süß ist, wenn nur die Kraft nicht von der Seite weicht. 4j Ich stehe wie ein grosser Fels-Berg in einer ungeheuren Ebne, Gottes Hauch wird ihn dahin wälzen wo es seines Willens ist, und ich will mich seines Wink's verständig finden; denn ich bin durstig nach seinem Wohlgefallen. — Seit diesem deinem Briefe trag ich wieder um die Hälfte leichter. Laß nur alles gut werden, wir steh'n in Gottes Hand, f ü r so 50 schöne Wünsche muß es herrliche Kronen geben. Laß das Bischen Zeit herum fliessen, und denke nur recht oft an midi und an alle jene Stunden; an unsere hohe Würde, an das schöne Ziel, an den Finger Gottes der sich uns geoffenbaret — dann wird eine Zeit kommen wo wir uns alle zusammenfinden — dann drükst du mir wieder die H a n d — Majestät soll j j in unsern Augen glänzen. Vertrau' nur fest auf mich und dich, — Sieh! ich hab den göttlichen Willen so deutlich gelesen daß ich nimmer zagen kann; deine H a n d hab' ich so fest gefaßt als meine Seele die Tugend; In dir ist mir viel Trost geworden, Ich habe die Hälfte einer süssen Last auf dich gewälzt. 60

Mir ist als sollt' ich dich bald wiedersehen — Aber indeß bist du ja doch immer um mich, so wie ich bey dir. das ist das schönste unsers Bund's daß

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er ganz aus dem Himmel herabgeschlungen ist, ganz auf Gottes Wink von EngelsHänden! Sey fröhlich, daure aus. Die Stunde wird schlagen. Laß mir nur die Zügel; ich will ihrer schon Meister werden, du darfst der Zukunft getrost ins Auge sehn. Träume nicht von Abgründen; ich kann wohl hinauf, aber nie hinab; Alles was uns lieb ist, ist vielleicht der Erfüllung nah'; nur bedächtig, kein lautes Wort. Singe, sey heiter in Gottes Natur. Ich höre dich wenn ich auch nicht an dir stehe, ich sehe dich wenn du auch nicht vor mir bist. Denn diese unendliche Beständigkeit unsers Gefühls bringt uns ja immer näher — Sage mir was mein Savigny macht mein grosser Savigny; der hat den schönen Antheil an meinem Wohle, Erinnere ihn an mich wenn es seyn kann — ich bin sein Kind das stark werden soll, ihm alle Müh* zu lohnen. — Dabey nimm meinen Dank. Ich dachte schon vor Monaten oft: o wenn es so kommen würde!, und es ist so gekommen, der Himmel soll von meiner Dankbarkeit erschallen; denn ich habe meinem Herrn von ganzer Seele gedient, und er hat seine Barmherzigkeit über mich ausgeschüttet. Dabey gedenk' ich der Worte des ersten Psalms: D e r i s t w i e e i n B a u m g e p f l a n z t an den Wa s s e r B ä c h e n , d e r seine F r u c h t b r i n g t zu s e i n e r Z e i t , und seine B l ä t t e [ r ] verwelken n i c h t , und w a s er m a c h t das geräth w o h l J a ! es wird wohl gerathen — standhaft, tapfer, heiter und zufrieden bis dahin. Jezt Leb wohl. Ich schreibe dir bald, recht bald wieder; an unsern Briefen richten sich unsre Seelen auf; denk recht oft an jene Stunden und sey fröhlich dabey; mir ist ihre Erinnerung so süß als es mir süß ist daß ich dich lieb haben darf.

Noch ein paar Worte, meine Seele fließt über dank dir Gott daß du mir K r a f t gegeben hast; ich will meine Schulter stemmen gegen donner und 90 Sturm und meine Stirne dem Blitz anbieten aber du must stark und fröhlich seyn denn Gott bey hier nodi und dann erst drüben soll's nodi herrlich kommen Schreibe mir doch wie lang ihr in Bukowan bleibt und ob Savigny auch da ist [ x x x ] 95 Vernichte meinen Namen in meinem ersten Briefe unten, du weißt doch von wem er ist, und setze auch deinen nie unter deine Briefe; ich kenne deine liebe Hand sdion. aMademoiselle Mademoiselle B e t t i n e de B r e n t a n o , de 100 la Roche \ a P r a g u e.

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Bettine

[Landshut am jo' May 1810] Ich lese, und lese immer wieder deinen schönen Brief — der ist mir auch so ein Bild das ich nicht satt sehen kann, denn immer schließt er mir neue Höhen und Tiefen auf. Wenn ich dann denke wo das alles hinaus soll, so ist mir nicht nur n i c h t bange sondern ich bin recht von ganzer Seele erfreut daß es so gekommen ist. Denn sage mir! wir, die schon hier ü b e r der Welt stehen, sollten wir nicht heitern Bliks herabsehen dürfen in's Thal wie damals als wir vom Geißberge niederschauten. Wir küssen die Hand die uns ein paar Augenblike getrennt hat, weil sie uns vielleicht alle bald wieder zusammenführt. Laß' dir's nur recht wohl ums Herz seyn, weil dich Gott ausersehen hat, und viel Hoffnung auf dir haftet. Auch dieses Leben ist schön für die welchen der Glanz des Himmels schon hier herüberleuchtet; glaube nicht daß der Zufall mit uns spielet; nein! der Hauch Gottes waltet in unserm Thun; so lange wir nur gut und stark sind. Seit ich mein Gemüth an deinem Blik sonne hat sich mein Streben viel veredelt, und schöne Funken sind zur Flamme geworden. Dein freundliches Auge verscheucht mir allen Trübsinn; weil ich es am blauen Himmel immer wieder finde; und dein Händedruk hat mir fast keinen Wunsch mehr gelassen. Und wenn ich denke daß alles was ich durch ein langes Leben thun und denken und fühlen und wollen werde, ich dir mittheilen und mit dir vollbringen, und dich auch recht oft fragen werde um deinen Sinn und dein Verlangen, so macht mich das unbeschreiblich stolz, und fast möcht ich weinen aus Dankbarkeit gegen den der's so geschaffen hat.

So eben erhalt ich wieder einen herrlichen Brief von dir; Wohl wahr! 25 du lebst fort in mir wie ich in dir — Kaum bedarf es des Schreibens — Aber nicht wahr du schreibst mir doch recht oft? Versprich mir das — Sieh' es ist mir so unbeschreiblich wohl wenn ich deine Schrift lese; Hab' doch jezt sonst noch wenig was midi zunächst erheitert und froh macht — denn mein Reich ist in die goldene Zukunft gebaut und es geziemt mir standhaft 30 zu warten, bis ich gerufen werde — dein Brief ist so stark und besonnen, ein wahrer Abdruk des Verhältnisses das in unsern Gemüthern aufgerichtet ist; es muß unbeschreiblich licht geworden seyn in deiner Seele. Halte dich nur fest, denn mein Arm zaget nicht, und meine Brust wird nie erzittern; Habe nur recht viel Ehrfurcht vor jenem Ereigniß das uns zusam35 menführte; die soll dir noch hoch angerechnet, noch herrlich gelohnt werden. — So mögen auch jene Gebürge, nach denen wir oft hinübersahen geworden seyn, wie das geworden ist was izt so licht und wundervoll in uns fortlebt; so aus fernen Träumen von Gottes Hauch zusammengetrieben, und nachdem es sich gefunden und ergriffen hat, festen Fuß

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40 fassend, und die Stirne kühn und ruhig aufrichtend zu der Anschauung Gottes und seiner Dinge. J a die Erinnerung dieser Stunden weht wie Heiligkeit durch den Garten meiner Lebens-Tage und ich wag' es kaum zu grübeln und zu forschen wie und warum es so gekommen ist — denn Gottes Finger ist mir sichtbar 45 in diesen Zügen, und eine holde göttliche Ahnung klingt durch meine Seele. —

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So war's auch einmal als ich vom Rigi Berge / :in der Schweiz:/ an einem verklärten Morgen über die Länder herabsah die zu meinen Füssen ausgebreitet lagen; da hingen meine Lippen an dem Gipfel der verschleyerten Jungfrau, dem Sinnbilde meiner Göttlichen, die gegen mir über stand in blauer Ferne, und meine Seele war aufgerichtet zu den Himmeln Drum will ich heiter seyn und ruhig hinaus sehen, und kräftig, und fest; und will immer denken wie ich's dem vergelte der's gegeben hat; will stark glauben an das was in meiner Brust geboren ist; und will nicht zaudern wenn mir das Horn zuruft aus den Wäldern, oder aus den blauen Himmeln die Posaune. Bettine! Jene Thränen die in unserm Auge glänzten als wir allein standen auf des Berges höchster Zinne, diese Thränen haben den göttlichen Bund gesiegelt — denn die Liebe zu den Ländern die ich unter mir sah, und den andern die noch ferner lagen, und die Liebe die unergründliche zu jenem Engel der mir den schönsten Kranz flechten wird, und das seelige dankbare Gefühl daß Gott mir dem einsamen dich gesandt hat, dich an der ich mein Wohlgefallen habe die mich so ganz getröstet und genährt h a t , . . . haben sie aus meinem Herzen hervorgelokt. J a du kamst wie ein Engel, der den Löwen wekt, der da schlief in einer Wüste. Aber sey mir gegrüßt; ich will einen Garten schaffen aus dieser Wüste daß es meinen Brüdern eine wahre Freude seyn soll drinn zu wandeln; ich will dich auf den Händen trag[en] weil du so traulich und freundlich zu mir kamst un[d meine] durstige Seele gesalbt hast. Laß es hinfliessen dieses Leben wie einen heitern FrühlingsTag, du bist seiner werth; Laß uns gehen Hand in H a n d und Aug in Auge, durch den selbstgeschaffnen Garten weil wir Gott angenehm sind; laß uns die schönen Kronen verdienen die einst unser Erbtheil sind.

Schreibe mir ob und wie lange du in Bukowan bist; 75 sichtsZeichnung ist mir's fast wie K a r l dem 12t der das was er von sich sah aus Zorn zerschnitt weil er nicht wollte; Adieu mir ist wohl wer weis vielleicht seh ich dich meine Liebe, Getreue, Erkohrene, Freundin,

mit meiner Geeinzige Portrait gezeichnet seyn bald wieder; sey M.

80 Landshut am 30t M a y 1 8 1 0

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a Mademoiselle Mademoiselle B e t t i n e de B r e n t a n o de la Roche a 85 P rague

8. Savigny und Bettine an Max

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Prag den 8. Jun. 1 8 1 0 . Heute, lieber Freyberg, erhalte ich Ihren Brief vom 23. May, und ich säume keinen Augenblick, ihn zu beantworten. Sie sehen daß Savigny doch säumen muß, Geschäfte hielten ihn ab, er 5 gab mir den Auftrag Sie zu versichern daß sein erster Brief an Sie seyn soll, in Bucowan könnte man 14 Tage bleiben von Pfingstag als Morgen an, wie es noch werden soll ob sich der Aufenthalt verlängern wird ist ganz unendschieden. Alle Salzburger Freunde bitten wir zu grüßen auch die zurückgebl [iebene] n den guten Bihler Nußbaumer pp ich we[rde] allen 1 0 insgesamt einen großen Brief von Bucowan aus schreiben. ich glaub allerdings daß Gumpenberg nic[ht] ohne Begleiter nach Berlin kommen werde [da]rum sey er hier insbesondere gegrüßt. Der Sailer soll uns lieb behalten, und recht oeconomisch seyn, seine Ausgaben werden sich um ein gut theil vermehren durch Porto f ü r meine Briefe an ihn. 15 Bettine An Freiherrn M a x v : F r e i b e r g recommandiert Landshuth in Baiern

9. Bettine an Max

Prokop

Prag am 8ten Juni [/S/o] bis jezt finde ich mich noch nicht ganz in den Reichthum deiner Liebe, mir schwindelt; seit zwei Stunden hab ich 3 Briefe von dir in Händen, — ich will Dir nichts von meiner Liebe sagen, sondern von meinen Begebenj heiten, die je nachdem, Klein oder groß sind, wie Du willst. In Wien war ich traurig, keinen Augenblick vergnügt; ich hörte etwas von Beethoven vortragen, und zum erstenmal emfand ich wieder etwas Leben, ich begehrte ihn Kennen zu lernen, Niemand wollte mich zu ihm führen selbst seine besten Freunde nicht, denn sie behaupteten daß er in tiefer Melan1 0 cholie versuncken sey, daß er keinen Menschen ansehe, und höchstens mir

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ein paar Grobheiten machen würde; späterhin hörte ich noch etwas von ihm, das so ganz meine Seele aussprach mir so deutlich fühlen machte wie in jeziger Zeit die Kunst sich in die tiefste Einsamkeit rette zwischen schwarzen Felszacken wo nur von oben der blaue Himmel durchschimmert. eine Gewallt die mehr Willen hat als ich selber, zog mich zu diesem Manne so sehr auch alles gegen ihn [sprach]. da ich bei ihm eintrat ging er auf mich loß sah mich starr an, drückte mir die Hand, spielte auf mein Verlangen was er seit Jahren nicht gethan hatte ging mit, und blieb bis Abends 10 Uhr bei dem Abschied drückte er mich wie jemand den man lange lieb hat ans Herz, noch 2 Abende kam er, es waren die lezten die ich in Wien war; — er bat midi um Gottes willen ihm zu schreiben, es sey ihm der einzige Trost, für Tausendfaches Unglück; wenn Du nun diesen Mann kenntest, so würde er dir doppelt auffallend seyn. er ist so stolz wie ein König auf seine Kunst, er sieht alles irdische mit Verachtung an, last sich an nichts binden sein Blick ist mitten unter Menschen aufs tiefste Geheimniß der Natur gerichtet, dabei ist er so einfach daß er selbst der Sprache nicht mächtig ist, nur durch Musick spricht, siehst Du das hat mir wieder so wohl gethan, daß auch dieser von allen andern mich unterschied; um dich, hat es mir wohl gethan, denn es bewährt mir daß Du nicht falsch gewählt hast.

Ach lieber Freund! lieber guter Freund! warum soll ich Dir erzehlen? — noch viel hät ich zu sagen, und doch hab ich das Herz nidit zum Schreiben gestimmt. — auch den Stadion hab ich hier noch gesehen er muß dein Freund noch werden ich hab größere Achtung vor ihm in seinem Un35 glück, wie ehedem, ich dachte an dich da er mir mit Thränen von zertrümmerter Hoffnung sprach, da er langsam aber mit erhöhter Begeistrung sagte,: der Mann der uns [ x x x ] , will muß auf den Winck Gottes Handien, aber nicht auf eignes Urtheil gehen; er muß Thun was ihm zu erst eingegeben ist, und darf nicht fragen wie es werden kann. — ich 40 schreib nicht mehr, ich bin heute zu sonderbar dazu, auch die schrift ist mir wie eine Gedancken-barriere an der man Zoll zahlen muß, ich will diese Polizei nicht achten, ich will frei an Dich dencken. Morgen am Samstag vor Pfingsten bin ich in Bucowan ob wir 4 Tage oder 4 Wochen, oder gar 4 Monate dableiben, ist noch ungewiß, ich werde 4 j Dir Nachricht geben so bald ich es weiß. Leb wohl Seel, Trost, guter guter Freund, wenn Du fromm bist, so leg deine Hände auf mein Haupt, und laße so den Seegen auf mich übergehen Leb recht wohl, wir müßen uns noch einmal recht lange sprechen, be[vo]r — jo

ich hab von Dir auch geträumt, daß Du in Bucowan die lezte Nacht vor deiner Abreiße mit mir gewesen seyst, wir saßen beide am Boden, in meinem Zimmer das Licht stand auch am Boden wir sprachen leise um

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nicht gehört zu werden da wir von einander gingen waren wir beide ruhig ohne äuserliche Bewegung wie zwei Säulen die in der Morgendämmerung zusammen waren, aber durch den hervorbrechenden Glanz der Sonne geschieden werden. Adieu ich bin dein, recht dein in allem was Du begehrst, mache daß ich dich sehe, es ist wahrlich gut. seit ich deine Briefe gelesen, fühle ich noch deutlicher, daß ich dir manches zu sagen habe, was nicht schnell in der Schrift sondern in ruhigem Gespräch sich entfalten muß. Diesen Brief schrieb ich im Gewirre des Tages wo Kind und Kegel durch das Zimmer rollte; ich bin lieber am Abend mit Dir wo sich die Gemeinheit müde fühlt, und sich zu Bette legt, wenn ich an Dich Dencke ist mir jeder lebendige zuwieder, in der untergehenden Sonne saß ich, zu Wien schaute über ein Meer von grünen Bäumen hin und mir war, als dürfe ich nur die Hand ausstrecken um die deinige zu fassen, ich dachte nicht an dich, ich war mit Dir. — auf unserer Reiße hierher ist mir ein seltsam Gesicht vorgekommen daß michs bis ins Mark schauderte, ich saß am Abend auf meinem gewöhnliehen Pläzgen auf dem Kutschersiz und sah der Kommenden Nacht entgegen meine Gedancken waren — mit Krieg beschäftigt, ich war tief im Gewühl von Recht und Unrecht versuncken, die Freiheit der Völker sprach mir ans Herz — plözlich sanck ein reines Feuer am Himmel nieder, aus der höchsten Ferne vor Erstaunen konnte ich nicht sprechen sondern stieß meine Schwester an, und deutete dahin, sie verstand midi nicht und schaute nicht auf, das Feuer zog in Gestaldt einer Glocke sehr langsam abwärts, plözlich stands fest in der Luft und wandelte sich in Silberweise Flammen. Savigny erkannte es sogleich da ich ihn aufmercksam machte; es bildete jezt ein Schwert, der Glanz war in reiner noch vom Tag erhellter Luft so starck, daß es vor den Augen hin und herschimmerte, wir sahen es beinah eine 4tel Stunde, es schien immer weiter gegen Norden zu ziehen, nun dencke es schien mir in dem Augenblick so geheimnißvoll — ich muste f ü r dich Beten; es war mir wie ein Zeigen f ü r Dich — du! wenn Du einst Seegen bringst, so trägt dich die Erde in den Himm [e] 1, die jezt Dich trägt; wenn Du Seegen [b]ringst, so bin ich die erste die Dir Huldigt, die den Saum deines Kleides küßt wenn aber auf Erden dein Streben nicht Frucht bringen soll, so schließe ich dich in mein Herz ein, und wandle mit dir einen rauen P f a d über Stein und Klippen, bis an den Ursprung der Quellen wo das Wasser rein ist, nicht besudelt durch das ansteckende herzlose Elend, und dort bin ich für Dich, und du sollst alles in mir finden was du in andern gesucht. ich will deine Trauer nicht schmähen, und deiner Fröhlichkeit nichts in Weg legen, ich verspreche viel, Gott weiß ob ichs halten kann, aber mein Wille ist es. ich muß dich doch noch sehen, und zwar recht bald, es hat sich

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95 noch vieles zwischen uns zu entfalten deine Begeisterung soll sich vor mir ausbreiten, aber sie soll auch an meinem Herzen hinschmelzen, das ist das reinste Feuer das nicht mehr brennt, das ist die reinste Flamme die nicht mehr flackert, /ob ich nach Carlsbad gehe weiß ich nicht es ist mir sehr traurig in der Ungewißheit zu seyn Du wirst dich noch erinnern was ich i oo dir gesagt hab über meine Liebe zu ihm. (zu Goethe) gebe deinen zukünftigen Briefen Nummern damit ich sehen kann ob keiner verlohren geht, ich werde es auch thun einer und zwar der erste von dir scheint mir verlohren zu seyn denn ich habe keinen worin dein Nähme unterschrieben, vom 23 May ist der erste dieser 3 die ich heute erhalten i o j hab. Gute Nacht Unschuldig Leben. An Herrn Baron M a x v o n recommandiert in 110 Landshuth in B a i e r n .

Freiberg

10. Bettine an Max Prokop [Bukowan, um den 10. Juni 181 o] Vieles liegt in meiner Brust noch, was all für Dich ist, und weil so ganz, ein reiner Wille dabei ist, so wird auch reine Wahrheit Drinn seyn; jezt fühl ich noch mehr wie sonst daß Unser Bund ein Geheimniß bleiben muß, j es würde uns nimmermehr die Welt verstehen. — Heute ist Arnim hier angekommen, ich hab mich erfreut an seiner Gestaldt an seinem Angesicht, es strahlt was lichtes freies aus ihm hervor was er selbst nicht kennt, was mir aber das liebste an ihm ist, grad weil ich ihn so lieb habe; aber in meiner Natur entwickelt sich immer mehr das was den Menschen nicht an10 gehört, und trennt mich schneident, selbst von diesem besten Freund oft weiß ich nicht wohin ich gehöre, alles was ich will ist nicht auf Erden, die Musick begeistert mich vielleicht nur so, weil sie im Augenblick ihrer Erscheinung sich loßwindet und davon flieht mit den Lüften; ich wünsche mir, es mögte eine Wolke mich umfassen und mich weiter Treiben im 15 Wind und Sturm; ich habe keine bestimmte Sehnsucht nach Gott aber ich mögte vergehen wie ein Ton vergeht. Du Freund! dich hat der Himmel geseegnet mit der Liebe es ist die herrlichste aller Gaben, wer recht lieben kann steht mit Himmel und Erde in heiligem Bund, wenn es nur durch Dich wahr wird was ich von Gott er20 bitte, wenn nur aller Glanz von Dir ausgeht, wenn nur alle Tugend sich

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an Dich andrängt, du bist recht gebohren ihre K r a f t an T a g zu bringen. In mir ist es nicht so wie in andern, wenn die Menschen midi ganz kennten sie würden Tief erschüttert werden, über das Gebilde meines Lebens, Ach lieber Freund; Freude, ist nicht allein Glückseeligkeit; meine Glückseelig25 keit ist so Tief unter die Felsen begraben, daß ich noch lange arbeiten muß biß ich zu ihr gelange; ja mein Herz w a r voll Ahndung da ich in die Salsburger Gebürge sah, ich dachte: bist D u deinem eignen Leben so nah weil du so bewegt bist, weil du begehrst aufgelöst zu seyn, in die so schöne Natur, und nur einen Augenblick w a r mir das Gelobte L a n d gezeigt ich. 30 durfte nicht drinn weilen, durfte nicht mein Herz an die ewigen Felsen andrücken, und wahrlich mein H e r z schlägt voller beim Anblick der Berge, als wenn es unter Menschen ist. — O Gott geb Dir seinen Seegen, und sonderlich, zu Deiner Liebe, diese Liebe möge wachsen bis an den Horizont. wenn deine Liebe nicht mehr ist, so bist Du nichts, Du bist alles 3 j Durch diese Liebe, es ist die Gestaldt in welcher Gott dir erscheint und zu D i r spricht. Gute Nacht jezt trete ich wieder ans Fenster, um einen Augenblick für dich zu beten, es ist alles in tiefem Schlaf, ich bin allein ich werde vielleicht sehr Fromm seyn können, deine 3 Briefe lese ich alle Tage.

40 A n Herrn Baron M a x in

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Freiberg

Landshuth

11. Bettine an Max Prokop [Bukowan, um den 11. Juni /S/o] Deine Liebe leuchtet mir wie ein Karfunckel durch die Brust, seit ich Freund mit D i r bin, bin ich in die üppigste Gegend meiner Lebensbahn gerathen, zu allen Seiten drängt sich die Blüthe empor; ich überseh nicht 5 mehr die Herrlichkeit denn ich bin darin versuncken. O Heute! heute hatte ich vieles im Geist dir zu sagen, in dem Duncklen Fichtenwald w o die Sonne ihre Strahlen wie Pfeile durchschoß, aber es last sich nicht alles auffassen was in guten Augenblicken durch die Seele geht; — ich hatte den Brief von Savigny an Dich gelesen; wie ganz anders bist Du darin auf1 0 gefast als ich dich kenne: Diese Bildung die Dir einstens das Recht geben soll, deinen Besiz Dein zu nennen, das heist, dir vor Menschen anzueignen was Du D i r vor Gott allein erworben hast, erscheint mir gleichsam als ein Niederreißen der Festungswerdke um eine getreue Stadt. Was andre Menschen als unbequem an D i r Tadlen daß D u nehmlich verschloßen und un1 5 behülflich erscheinst, ist mir das herrlichste Zeugniß einer reinen kräftigen

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