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German Pages 264 Year 2015
Esther Baumgärtner Lokalität und kulturelle Heterogenität
2009-10-05 15-09-41 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02ff222648957958|(S.
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Esther Baumgärtner (M.A.) ist Ethnologin und beschäftigt sich insbesondere mit Prozessen der Verortung von Identitäten und Lebensstilen.
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Esther Baumgärtner
Lokalität und kulturelle Heterogenität Selbstverortung und Identität in der multi-ethnischen Stadt
2009-10-05 15-09-41 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02ff222648957958|(S.
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Die vorliegende Arbeit wurde 2008 von der Fakultät für Verhaltens- und Empirische Kulturwissenschaften der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg unter dem Titel »›Einmal Jungbusch – immer Jungbusch‹: Selbstverortung im multi-ethnischen Stadtraum« als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2009 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Esther Baumgärtner Lektorat: & Satz: Esther Baumgärtner Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1340-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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Inhalt
Dankeschön
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Einleitung „Achtung, Sie betreten Jungbusch“ ‚Walk the Jungbusch‘ Selbstverortung: Ich und ‚mein‘ Jungbusch Forschungsinteresse Aussichten
11 12 15 16 18
Kapitel 1 Verortung im Raumdiskurs der Gegenwart Die Ent-Ortung des ‚Anderen‘ Transnationale Räume Globale Räume Landschaften der Macht Hochmobil?
23 27 30 34 37 41
Kapitel 2 Multi-ethnische urbane Räume ‚Fremde‘ in Theorie und Praxis der Stadt Ortseffekte und der soziale Raum der Stadt Stadtentwicklung Simulierte Gentrifizierung Großstadtmythen
45 51 55 58 62 66
Kapitel 3 Jungbusch: Ort und Stadt Jungbusch im Kontext Räumliche Randlage Abwärts: Die soziokulturelle Entwicklung des Jungbusch Hafenviertel – Rotlichtmilieu – Rotlicht ‚light‘ Arbeiterviertel – Migrantenghetto – kosmopolitisches Viertel
71 75 80 83 87 91
Kapitel 4 Lokalität ‚revisited‘ Delokalisierung und Hybridität? Die Entgrenzung des Ortes Wo die wilden ‚locals‘ wohnen Die Lokalisierung des ‚Fremden‘ im sozialen Raum der Stadt Lokalität und Lebensstile: Konsumption des Ortes
97 101 104 108 110 116
Kapitel 5 Ethnographie des Ortes Konsequenzen für die Feldforschung im multi-ethnischen Stadtraum Vom Suchen und Finden von Interviewpartnern ‚First Contact‘ Interviews Diskursanalyse Räumliche Daten Auswertung, Repräsentation und Forschungsethik
121 126 128 128 131 134 136 138
Kapitel 6 ‚Spatial Brokerage‘ Die Produktion lokalisierter Identität und Körperlichkeit Sackträger und Hafen: Zur Produktion sozialer lokalisierter Identität ‚Bus(c)hpeople‘: Zur Produktion multikultureller lokalisierter Identität „Achtung, Sie betreten Jungbusch“: Zur Produktion hybrider lokalisierter Identität Buschputz! Zur Produktion moralischer lokalisierter Identität Kapitel 7 Ortspolitiken und Selbstverortungen Andere Orte: Ortsidentität und lokale Lebensstilisierung ‚Place‘ 1: Heimat und Beharrlichkeit – eine emotionale Verortung ‚Place‘ 2: Durchgangsraum? Diasporischer Raum und soziale Mobilität ‚Place‘ 3: Soziale Netzwerke – Integration auf der Straße ‚Place‘ 4: Heimat der ‚underdogs‘ – subalterner Raum Jungbusch
143 148 153 158 162 167
173 180 185 191 196 200
Kapitel 8 Raumkonflikte ‚Owning‘ Jungbusch? Ethnische Raumkonflikte Geschlechtsspezifische Raumkonflikte Jungbuschtouristen Lebensstilspezifische Raumkonflikte
205 206 208 213 218 221
Schluss Jungbusch und kein Ende Multi-ethnische Begegnungen Angebote für Frauen und Familien Lokalität und Identität in einer globalen Gegenwart Weitere Forschungsperspektiven
227 231 233 235 237
Literatur Abbildungsverzeichnis
239 260
Dankeschön
Mein Dank gilt zunächst einmal den Bewohnern und ‚Sympathisanten‘ des Jungbusch dafür, dass Sie Ihre Zeit, Ansichten und Erfahrungen mit mir geteilt haben. Außerdem möchte ich den Gentlemen der Geschichtswerkstatt – insbesondere den Herren Norbert Herrmann, Wolfgang Kasper, Heinz Harder und dem inzwischen verstorbenen Ingo Derr – danken, deren Erinnerungen und Netzwerke viel zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Die ‚Jungbusch-Aktivistin‘ Rita Kunz-Krusenbaum ist nicht nur eine Quelle lokaler Informationen, sondern hat mit Ihrer Herzlichkeit viel zu meinem Wohlbefinden im Quartier beigetragen. Vielen Dank auch an alle Freunde und Bekannte im Jungbusch und all die, die es im Verlauf meiner Forschung geworden sind. Auch ohne die Hilfe, das Engagement, den Rat und zuweilen die Kritik von zentralen Personen – allen voran dem Quartiermanager Michael Scheuermann, der Leiterin vom Internationalen Mädchentreff Nazan Kapan und vielen anderen Menschen aus dem Umfeld des Gemeinschaftszentrums – würde es diese Forschung heute so nicht geben. Dank auch an meine Gesprächspartner von Institutionen der Stadt – insbesondere Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz und Frank Gwildis vom Fachbereich Städtebau – und im Jungbusch – dem ehemaligen Pfarrer der Hafenkirche Ulrich Schäfer, dem ehemaligen Leiter der Jungbuschgrundschule Wolfgang Glaser und dem Geschäftsführer des Musikparks Christian Sommer. Für fachlichen Rat und Unterstützung bedanke ich mich besonders bei meinem Betreuer Jürg Wassmann am Institut für Ethnologie an der Universität Heidelberg. Vielen Dank auch an Thomas Hengartner vom Institut für Volkskunde der Universität Hamburg, der mich insbesondere in Sachen Stadtethnologie at home beraten hat. René Kern, Katharina Stockhaus, Holger Ziegler, Carmen Reiss, Susanne Kühling, Anita Stadler und Pat Bell haben mich mit Ihren Anmerkungen und Anregungen zum Nachdenken gebracht. Schließlich möchte ich mich bei meiner Mutter für allerlei Rat und finanzielle sowie mentale Unterstützung bedanken. 9
Dieses Buch möchte ich aber meinem Vater widmen, der leider dessen Fertigstellung nicht mehr erleben durfte.
Einleitung „ Ac htung, Sie betre te n J ungbusc h“ 1
Beim Jungbusch handelt es sich um einen statistischen Bezirk Mannheims in direkter Nähe zur Innenstadt. Zwischen Neckar, Rhein-Neckar-Verbindungskanal und Luisenring gelegen, befindet sich der Jungbusch in einer räumlichen Randlage. Das Quartier2 ist – trotz eigenständiger Identität – kein eigenständiger Stadtbezirk. Politisch wird er mit der Innenstadt zum Stadtbezirk ‚Innenstadt/Jungbusch‘ zusammen gefasst. Strukturell unterscheidet er sich jedoch teilweise stark von der Innenstadt, die in sich ebenfalls nochmals segmentiert ist.3 Es ist kein Ort mit besonderer Relevanz für die meisten Mannheimer. In den Jungbusch verirren sich nur wenige ‚normale‘ Stadtbewohner. Vielmehr fungierte das Quartier lange Zeit als eine Art Negativ der Stadt: Es galt als Rotlichtviertel und Ausländergetto und repräsentierte damit keineswegs den durchschnittlichen bürgerlichen Stadtteil. Von den 5639 (Statistikstelle Stadt Mannheim, Stand 31.12.2008) Personen, die im Jungbusch (Statistischer Be-
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Dieser ‚Warnhinweis‘ – mit rotem Stift geschrieben – verzierte eine Zeit lang den Aufgang von der Straßenbahnhaltestelle Dalbergstraße zum Jungbusch (gesehen im November 2006). Ich verwende den Begriff Quartier im Sinne einer historisch gewachsenen Nachbarschaft und beziehe mich dabei auf das hier definierte Gebiet des Jungbusch. Der Stadtteil Innenstadt/Jungbusch besteht aus 7 statistischen Bezirken. Fünf davon umfassen das Gebiet der Quadrate (der Aufteilung der Innenstadt in Gebäudeblöcke), bei den beiden übrigen handelt es sich um Jungbusch und Mühlau. Dabei umfasst der Bezirk Mühlau das Handelshafengebiet, das im Vergleich zur Fläche der hafen-typischen Nutzung durch Gewerbe, Transport und Lagerung über eine sehr geringe Wohnfläche verfügt. 11
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zirk 211) leben, sind etwa 52% Ausländer4 (das heißt Personen ohne deutschen Pass). Legt man stattdessen den Migrationshintergrund zu Grunde, zeigt sich allerdings ein Anteil von 65% Migranten (Statistikstelle Stadt Mannheim, Stand 31.12.2008). Den größten Anteil haben dabei Menschen mit türkischem Migrationshintergrund, gefolgt von Italienern. Noch in den 90er Jahren fanden neben den Besuchern der Rotlichtbars höchstens einige Punks und Alternative ihren Weg in dieses Stadtgebiet. Die bürgerliche Bevölkerung Mannheims mied weitgehend den Jungbusch als ‚asoziale‘ Wohngegend. Auch die zwei Moscheen im Jungbusch – die am Luisenring gelegene Yavuz-Sultan-Selim-Moschee gilt als größte repräsentative Moschee Deutschlands – wurden lange Zeit lediglich von der islamischen Bevölkerung Mannheims wahrgenommen. Selbst die Bewohner der neuen Studentenwohnheime rund um das Quartier hielten sich in ihrer Freizeit praktisch nicht hier auf. Seit der Jahrtausendwende beginnt sich diese Vorstellung allerdings von Grund auf zu wandeln. Die Veränderung in der öffentlichen Wahrnehmung basiert zum Einen auf einer aktiven Darstellung des Jungbusch nach außen durch Akteure im Stadtteil, zum Anderen auch auf der Entwicklung von spezifischen Konzepten zur Förderung von Stadtgebieten „mit besonderem Entwicklungsbedarf“ (Soziale Stadt 2000). Seit Beginn meiner Feldforschung im Jungbusch hat sich viel verändert. Anderes ist gleich geblieben.
‚Walk the Jungbusch‘ Im Gegensatz zu Stadtvierteln von Metropolen wie New York, London oder Berlin kann sich wohl nur ein kleiner Teil der Menschheit etwas unter dem Jungbusch vorstellen. Daher möchte ich versuchen, zunächst auf Art des ‚Flaneurs‘ eine Beschreibung des Jungbusch zu vermitteln: Vom Marktplatz her kommend, zwischen den G- und H-Quadraten, auch Türkenmeile oder Dönerstraße genannt, spazieren wir geradewegs auf den Jungbusch zu. Hier in den Quadraten ist auf der Straße und dem Gehweg sehr viel los: Frauen, Männer und Kinder sind unterwegs, kaufen ein, unterhalten sich oder spielen. Die Straße ist gesäumt von Ladenlokalen, Imbissen und Bäckereien, hauptsächlich für ein türkisches Publikum. Am Ende der Quadrate trifft man auf den an dieser Stelle 5-spurigen Luisenring, den es zu queren gilt. Da dauert es ein bisschen, bis es grün wird. Wir könnten allerdings auch ein Stück nach rechts laufen und die Unterführung nehmen, die auch gleichzeitig zur Straßenbahnlinie Nr. 2 von Neckarstadt/West nach Feudenheim führt. Erst kürzlich wurde diese von Kindern und Jugendlichen aus Filzbach und Jungbusch 4
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Zur besseren Lesbarkeit verwende ich zur Bezeichnung männlicher und weiblicher Personen nicht die Endung -Innen. Sofern nicht explizit darauf hingewiesen wird, sind hier aber immer beide Geschlechter gemeint.
EINLEITUNG
mit Graffitis und Mosaiken verschönert. Allerdings riecht es da oft etwas streng, denn ein Klo gibt es hier dummerweise nicht. Überhaupt spielt auch der Geruch auf diesem Weg eine Rolle, denn je nach Windrichtung können wir den Schokoladengeruch der Firma Schokinag im Jungbusch riechen, die Kakaobohnen verarbeitet. Jetzt ist grün und wir laufen praktisch direkt auf das Rhodos, ein über 30 Jahre hier ansässiges griechisches Lokal zu. Das ist besonders nachts sehr beliebt, wegen der speziellen Sperrzeiten. Außerdem werden hier praktisch bis in die frühen Morgenstunden warme Speisen serviert, was Großstadtbewohnern wahrscheinlich nicht ungewöhnlich erscheint, in Mannheim aber nicht gerade häufig vorkommt. Jetzt haben auch die Straßen wieder einen offiziellen Namen. Hier in der Jungbuschstraße ziehen sich wie auch auf der anderen Seite des Rings die Häuserfronten mit ihren Gründerzeit- und Jugendstilfassaden weiter, hier und da unterbrochen von einem neueren Gebäude. Wenn wir die Jungbuschstraße ein paar Meter weiter laufen, kommen wir heute an einem türkischen Supermarkt vorbei. Vorher war hier ein Laden für Satellitenschüsseln und Zubehör. Danach käme eigentlich die Kneipe Hildes Treff, aber die gibt es nicht mehr. Und dann kommt die Onkel Otto Bar, die angeblich älteste Rotlichtbar Mannheims. Kurzzeitig hieß sie mal Susis Strip Bar. Ist aber in Wahrheit gar keine mehr. Heute ist es ein Club und ab und an fanden dort auch schon ‚erotische Lesungen‘ statt. Vorne am Eck zur Beilstraße war bis vor kurzem ein großer Laden für Sportwetten. Gegenüber gibt es ein Café, wie es hier viele gibt. Aber nicht dass man jetzt denkt: Kaffeehaus. Eher Männercafé. Es gibt natürlich auch andere Kneipen und Cafés im Jungbusch: zumeist italienische, türkische oder deutsche. In einige haben inzwischen weitere Wettbüros ihren Einzug gehalten. Viele Frauen sieht man im Jungbusch nicht. Im Gegensatz zu Männern und Kindern. Die sieht man, hören kann man sie auch. Aber nicht immer verstehen, denn hier werden viele Sprachen gesprochen. Wenn wir weiter geradeaus laufen würden, könnten wir noch mehr Cafés und Kneipen sehen und einen Getränkeladen. Außerdem das Gemeinschaftszentrum Jungbusch, das Laboratorio 17 in dem sozio-kultuelle Veranstaltungen statt finden, das Why Not – eine Fetischbar – und das Blau, wo sich Künstler und Alternative seit vielen Jahren treffen. Auch das Nelson, eine Café-Bar, die es noch nicht so lange gibt, ist hier. Aber wir biegen nach rechts in die Beilstraße. Auf den Bollern im verkehrsberuhigten Teil der Straße – der schon manchmal mit einem Parkplatz verwechselt wird – sitzen Leute, um sich zu unterhalten. Kinder spielen auf dem nahe gelegenen Spielplatz, den es an dieser Stelle nur gibt, weil hier im Zweiten Weltkrieg ein Haus zerstört und nicht wieder aufgebaut wurde. Da ist fast immer was los. Zumindest nachmittags, morgens sieht man nur ein paar Leute. Menschen stehen vor den Kneipen und Läden in kleinen Grüppchen auf der Straße. Am hinteren Ende des Spielplatzes war 13
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zwischenzeitlich eine Baustelle. Die Fatih-Moschee hat ihre einstigen Hinterhofräume vergrößert. Ein Stück weiter mündet die Böckstraße in die Beilstraße. Wenn man sich jetzt nach links wendet, Richtung Rhein-Neckar-Verbindungskanal, nimmt das Treiben auf der Straße ein wenig ab. Hier gibt es weniger Läden und zur Hafenstraße hin werden auch die Wohngebäude weniger. Denn jenseits der Hafenstraße beginnt das Hafengebiet. Hier gibt es eine Tankstelle, die Ruine der Kaufmannmühle und inzwischen auch die Popakademie Baden Württemberg und ganz unten am Neckar den Musikpark. Wenn man die Hafenstraße nach rechts läuft, kommt man auf die Werftstraße. Ähnlich wie in der Böckstraße gibt es hier nur wenig Betrieb. Die Fassaden sind hier oftmals gar nicht oder sehr lieblos renoviert und in den Hinterhöfen sieht es oft chaotisch aus. In andere hat schon ein gewisser Wandel mit neuen Mietern und bunten Fassaden Einzug gehalten. An einem Haus konnte man noch bis vor kurzem Einschusslöcher vom Zweiten Weltkrieg sehen, inzwischen ist es allerdings verputzt worden. Die Werftstraße ist wie die Hafenstraße nur einseitig durchgehend bebaut. Auf der Seite zum Neckar hin, auf dem Gebiet der früheren Halbergwerft, befinden sich heute ein Spielplatz und die Jungbusch-Grundschule. Hier ist gerade die neue Turn- und Veranstaltungshalle gebaut worden. Noch ein Stück weiter an der Musikkneipe Contra‘N vorbei treffen wir rechts wieder auf die Beilstraße. Vor uns liegt die Dalbergstraße, die hier direkt zur Jungbuschbrücke über den Neckar führt. Diese Straße ist eine Bundesstraße und stark befahren. Der Verkehr Richtung Innenstadt und Luisenring führte bislang zwei- beziehungsweise dreispurig durch die Dalbergstraße, die Straßenführung soll in Zukunft aber verändert werden. Die Gegenrichtung wird ebenfalls zweispurig über Seiler- und Schanzenstraße befahren. Die Gebäude zwischen Luisenring, Seiler-, Schanzen- und Dalbergstraße bilden eine Art überdimensionale, bewohnte Verkehrsinsel. Inzwischen gibt es hier ein kleines Café mit dem Namen Buschgalerie, in dem immer das Nachbarschaftsblatt „Der kleine Buschklopfer“ ausliegt. Von da aus gesehen führt nun die Schanzenstraße geradeaus. Nach ungefähr 50 Metern stoßen wir auf die Seilerstraße. Ähnlich wie die Schanzenstraße, ist diese nur in halber Länge zweispurig ausgebaut. Die Seilerstraße Richtung Hafen (linkerhand) ist eigentlich eine Industriestraße. Hier liegt die Schokinag auf der rechten Seite und auch geradeaus die Straße runter und verhindert mit einem blauen, schiffsförmigen Gebäude die Sicht auf den Neckar. Der Teil der Schanzenstraße, der jetzt noch vor uns liegt, grenzt ebenfalls an die Schokinag und auf der anderen Seite an das Gelände der Liebfrauenkirche. Hier ist es wieder ein bisschen grüner, hinter dem Gemeindehaus steht sogar ein Feigenbaum. Rechst von uns können wir schon das Minarett der Yavuz Sultan Selim-Moschee an der Ecke Seilerstraße und Luisenring erkennen. Der lange, schlanke Turm wurde erst später hinzugefügt, zuvor war er etwas 14
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gedrungener. Beleuchtet wird er durch einen Kranz blauer Neonröhren. Der Moschee gegenüber ragt der Turm der Liebfrauenkirche in den Himmel, der nachts ebenfalls beleuchtet ist. Diese Kombination wird auch sehr gerne als Fotomotiv vom Luisenring her aufgenommen. Natürlich gibt es noch mehr Straßen im Jungbusch, viel mehr allerdings auch nicht gerade. Es ist ein kleiner Fleck eigentlich, aber zu sehen gibt es vieles.
S e l b s t ve r o r t u n g : I c h u n d ‚ m e i n ‘ J u n g b u s c h Mein wissenschaftliches Interesse am Jungbusch entwickelte sich weniger aus theoretischen Überlegungen, sondern vielmehr auf Grund konkreter Erfahrungen. Andere Studenten der Ethnologie – besonders in Heidelberg – mag es zu weit entfernten Orten ziehen, um die ‚Fremde‘ zu erkunden. Für mich erwies sich der Jungbusch, ein Stadtviertel in Mannheim, als strange enough. So ein statistischer Bezirk einer Stadt in Deutschland entspricht normalerweise kaum dem ‚typischen‘, häufig ‚exotischen‘ ethnologischen Forschungsgebiet. Auf der Suche nach dem ‚Fremden‘ nehmen Ethnologen weite Wege in Kauf und sehen dabei, geprägt von der Suche nach ‚der‘ Kultur manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht, wie Loch (2006) ebenso charmant wie reflexiv beschreibt. Doch ‚Fremdheit‘ ist relativ: Zumindest aus Sicht einer Ethnologie-Studentin vom Dorf mit einem Grundschule-Gymnasium-JobStudium Lebenslauf und eher kleinbürgerlich geprägtem Habitus erscheint auch der Jungbusch als ziemlich fremdartig. Während ich zur Jahrtausendwende in Heidelberg an meiner Magisterarbeit über die Nutzung von Medien zur Konstruktion von Identität in einer ‚globalen Welt‘ schrieb, beschlossen mein Lebensgefährte und einige seiner Freunde von der Mannheimer Neckarstadt in den Jungbusch zu ziehen. Da zwei unserer Lieblingskneipen ebenfalls in diesem Quartier waren und zudem auch die Innenstadt näher am Jungbusch liegt, schien die Idee prinzipiell nicht schlecht zu sein. So zogen die drei irgendwann in die Böckstraße ein. Zwei große, hohe Zimmer, ein etwas Kleineres, Küche, Bad, Toilette und ein endloser Flur zu einem – im Vergleich zu meinem Minizimmer in Heidelberg – vernünftigen Preis. Gut, die Bar im Erdgeschoss mit einer nackten Frau als Leuchtreklame entsprach nicht gerade der Realität in den Schöner Wohnen Heften meiner Mutter, aber doch alles in allem wesentlich cooler als die saubere Schnuckeligkeit Heidelbergs. Dahin zog es uns von nun an kaum noch, ebenso wenig wie in die nahe Neckarstadt. Neben den Mannheimer Quadraten respektive der eigentlichen Innenstadt Mannheims, entwickelte sich der Jungbusch zu einem unserer wichtigsten Aufenthaltsorte der Freizeitgestaltung und des Abenteuers. Denn mit seinem Nachtleben und der Migrantenkultur strahlte dieser eine Art schäbigen und exotischen Flair aus. Trotz dieser ‚schrecklichen Schönheit‘ – einer 15
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Mischung aus Menschenansammlungen, überfüllten Mülleimern, roten Lichtern und Hundehäufchen – waren wir uns sicher: der Jungbusch ist etwas Besonderes. Der Ort Jungbusch war dabei auch verbunden mit unserer Vorstellung alternativen Lebens jenseits der spießigen Dörfer unserer Kindheit und auch jenseits landläufiger Ideale von Alternativität in den Großstädten. Für uns war diese Form der Landflucht längst zum mainstream geworden. Warum sollten wir Hamburg brauchen, oder Berlin, schließlich wollte jeder Hinz und Kunz dahin und diese Städte waren längst voll mit den Schulkameraden unserer Jugend. In den Jungbusch wollte außer uns so ziemlich niemand. Diese Identifikation mit dem Quartier war natürlich nur eine partielle. Trotzdem waren wir Studenten beziehungsweise Akademiker, die diesen Ort anprobierten wie ein Kleidungsstück. Der Jungbusch war weder Zukunft noch Vergangenheit, er war genau hier und genau jetzt. Doch gerade diese partielle Teilhabe an den lokalen Alltagspraxen führte auch zur Konfrontation meines eigenen Bildes mit anderen, hegemonialen Wahrnehmungen dieses Gebietes als zumindest asozial, wahrscheinlich auch gefährlich. Damals hatte ich noch nichts gehört von Gentrifizierung und der Rolle von ‚Pionieren‘ bei diesem Prozess. Erst als die Stadt Mannheim und das Quartiermanagement Jungbusch sich um die ‚Aufwertung‘ des Quartiers bemühten, traten die Konflikte zwischen unserer Sicht und anderen Sichtweisen deutlich zu Tage. So begann ich mich für diese Widersprüche in der Wahrnehmung des Jungbusch zu interessieren und mich zu fragen, wie viele alternative imaginierte Jungbusch-Räume, im Sinne von Appadurais (1990: 296) „imagined worlds“, es wohl gab.
Forschungsinteresse Diese kurze Darstellung meines nicht-wissenschaftlichen Kontaktes mit dem Jungbusch soll weniger den Ankunftsnarrationen in klassischen Ethnographien ähneln – obwohl dies zur Legitimierung echter Feldarbeit manchmal empfehlenswert ist, wie Caputo (2000) in Hinblick auf ihre Feldforschung at home erklärt. Ich möchte vielmehr aufzeigen, dass mein Interesse am Jungbusch zunächst nicht wissenschaftlich begründet war, sondern selbst Teil der Lokalisierung eines spezifischen Lebensstils. Mein erster Kontakt mit dem Jungbusch und die Entwicklung einer ‚alternativen‘ Konstruktion eines Jungbusch-Raums reflektiert damit auch einen Teil jenes „situierten Wissens“ (vgl. Haraway 1995) vor dem Hintergrund einer „sozialisierten Subjektivität“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 159), die unseren Zugang zur Welt beeinflussen. Aus meinem anfänglich sehr subjektiven Blick auf den Jungbusch und dem Gegensatz zwischen meiner eigenen Wahrnehmung und der Darstellung des Quartiers im öffentlichen, hegemonialen Diskurs resultierte schließlich mein wissenschaftliches Interesse an diesem Gebiet. Ich begann mich zu fragen, ob 16
EINLEITUNG
eine Heterogenität bei der Produktion von Diskursen über und bei der Aneignung von Räumen im Jungbusch besteht. Dabei lagen drei miteinander in Beziehung stehende Thesen zu Grunde: 1. Trotz der Diskussionen um die veränderte Bedeutung von Lokalität durch Faktoren wie Migration und Globalisierung haben Orte keineswegs an Bedeutung für die Konstruktion von Identitäten verloren. Im Gegenteil werden Strategien der Verortung aktiv entwickelt. Heterogene Lebensentwürfe der Gegenwart realisieren sich dabei auch in der Konstruktion von Lokalitäten als Lebensumfeld und Aktivitätsräume (vgl. Massey 1995). 2. Im Falle marginalisierter Stadträume, die häufig eine hohe Anzahl von Migranten, eine hohe Arbeitslosenquote und Industriebrachen im Zuge postfordistischer und transnationaler wirtschaftlicher Entwicklungen aufweisen, treten bei der Produktion dieser Strategien die Widersprüche zwischen Exklusionsprozessen der hegemonialen Gesellschaft und Inklusionsprozessen der lokalen soziokulturellen Gemeinschaft zu Tage. 3. Der Jungbusch als ein multi-ethnischer Stadtraum hat neben einem hohen Anteil von Bewohnern mit unterschiedlichem Migrationshintergrund auch alteingesessene Bewohner und in den letzten Jahren eine wachsende Anzahl von Künstlern und Studenten. Diese unterschiedlichen Akteure ‚produzieren‘ jeweils eigenständige ‚subalterne‘ Sicht- und Aneignungsweisen von Lokalität, die einen Stadtraum zu ‚ihrem‘ Raum machen. Diese ‚subalternen‘ Produktionen von Raum nehmen sowohl Bezug auf hegemoniale Repräsentationen und Aneignungsweisen von ‚außen‘, wie auf konkurrierende Sicht- und Aneignungsweisen von ‚innen‘. Gerade in multiethnischen Stadtteilen spielen dabei auch Prozesse der Relokalisierung von Identitäten – als Folge einer persönlichen Erfahrung der Deterritorialisierung bei Migranten der ersten und zweiten Generation – eine Rolle. Die Produktion von Lokalität im Zuge von Prozessen der Selbstverortung betrachte ich daher als eine heterogene Praxis. Eine einzelne Lokalität, wie zum Beispiel ein Stadtraum in Mannheim, kann daher keineswegs als in sich geschlossener, homogener sozio-kultureller Raum verstanden werden. Vielmehr ermöglichen sowohl die realen Veränderungen von Raum und Ort, als auch die mit Lokalitäten verknüpften Imaginierungen unterschiedliche Formen von lokalen Identitätsproduktionen. Obwohl Orte und Lokalitäten als räumlich fixiert gelten, unterliegt ihre Produktion ständigen Veränderungen und Aushandlungen, Inklusionen und Exklusionen. Sie sind verknüpft mit subjektiven Ideen, wie Heimat oder Utopie, aber auch mit wirtschaftlichen Interessen in Bezug auf Standortfaktoren in einer globalen Konkurrenzsituation um Firmen und Betriebe. Der Jungbusch bildet für meine Feldforschung den Lokus und den Fokus für die Heterogenität der Bedeutung von Lokalität, insbesondere in Bezug auf die Produktion von lokalisierten Identitäten.
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Au s s i c h t e n In den letzten Jahren wurden Konzepte wie Raum und verwandte Begriffe wie Landschaft, Ort und Lokalität in unterschiedlichen Disziplinen geradezu extensiv thematisiert. Doch obwohl diese Begriffe teilweise sogar Synonym verwendet werden, lohnt es sich doch zunächst einmal einen näheren Blick auf unterschiedliche Definitions- und Entwicklungslinien im Raumbegriff, beziehungsweise in der Vielzahl von Raumbegriffen zu werfen. Denn obwohl diese Begriffe entsprechend ihres jeweiligen disziplinären Hintergrunds sehr unterschiedliche Zusammenhänge beschreiben, liefert uns jeder dieser Ansätze ein Puzzleteil zum Verständnis eines stetig wachsenden Zusammenhangs zwischen lokalen und globalen, räumlichen und örtlichen, materiellen und ideellen Veränderungen in der wissenschaftlichen ebenso wie in der alltäglichen Sichtweise auf Raum und Lokalität. Die Hinwendung zu räumlichen Begriffen im wissenschaftlichen Feld verweist dabei auch auf die Notwendigkeit, neue komplexe Beziehungen und Sichtweisen in den (inter-)disziplinären Diskurs zu integrieren und dafür gleichzeitig eine neue Begrifflichkeit zu entwickeln. Allerdings muss dabei auch ein kritischer Blick auf die Verwendung dieser Begriffe geworfen werden, da auch inhärente Machbeziehungen und Machtverortungen in den scheinbar globalen Räumen eine entscheidende Rolle spielen. Im 1. Kapitel werde ich also meine Forschung in den Raumdiskursen der Gegenwart verorten. Insbesondere der urbane Raum bildet dabei eine Schnittmenge für die Relokalisierung vieler Prozesse der Gegenwart. Die Stadt fungiert auch als Zentrum von Migrations- und Diasporagemeinschaften. Hierbei finden gerade in der kulturwissenschaftlichen Stadtforschung Konzepte des Kosmopolitismus Anwendung und tatsächlich erweitert sich durch Prozesse der Migration die Heterogenität der kulturellen Praxen im urbanen Raum. Doch neben dieser positiven Interpretation zeigen sich auch deutliche Segmentierungsprozesse in der Stadt: Sozial schwache und migrantische5 Gruppen finden sich hier oftmals in marginalisierten Stadtvierteln zusammen. Gleichzeitig haben sich auch neue Praktiken des Raumkonsums und der Aneignung von städtischem Raum entwickelt, welche teilweise zu einer weiteren Verdrängung dieser Bevölkerungsgruppen führen. Insofern haben hier globale Entwicklungen eine starke Auswirkung auf urbane Wohngebiete, wie ich im zweiten Kapitel Multi-ethnische urbane Räume diskutieren werde. Der Mannheimer Jungbusch ist ein solches marginalisiertes Stadtgebiet, in welchem derzeit entsprechende Stadtentwicklungsprozesse zur Anwendung kommen. Gleichzeitig sind diese Probleme auch nicht nur Resultat von öko-
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Damit meine ich sowohl Migranten als auch Personen mit Migrationshintergrund.
EINLEITUNG
nomischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen der Gegenwart. Stattdessen zeigt sich hier auch, welche schleichenden Prozesse nicht nur zur heutigen Dimension der Problemlagen beigetragen haben, sondern auch, wie diese im öffentlichen Diskurs über den Stadtteil reflektiert wurden. Insofern ist ein Ort auch nicht lediglich geprägt von den sozio-kulturellen Merkmalen seiner Bewohner, sondern er ist auch selbst ein Bedeutungsträger: Er ist ein place mit eigener Identität, welchem eine Vielzahl von Bedeutungen zugeschrieben werden. In Kapitel 3 werde ich daher insbesondere auf die Geschichte des Jungbusch aber auch auf seine Wahrnehmung in einer regionalen Öffentlichkeit eingehen, um zu versuchen, die spezifische Identität dieses Quartiers zu rekonstruieren. Doch Orte sind nicht nur selbst Träger von Identitäten, sie haben auch eine spezifische Relevanz für die Identitätskonstruktionen ihrer Bewohner. Dieser Zusammenhang zwischen Lokalität und Identität wurde allerdings in den letzten 20 Jahren, insbesondere im wissenschaftlichen Diskurs, zunehmend negiert: Die Bedeutung transnationaler oder diasporischer kulturelle Praxen wurde hier stattdessen zunehmend in den Blick genommen. Im 4. Kapitel ‚Being in Space‘ – Lokalität und Identität ‚revisited‘ werde ich mich mit diesem Diskurs um das Verhältnis zwischen Lokalität und kultureller beziehungsweise sozialer Identität näher befassen. Mit Bezugnahme auf gängige Theorien zur Ver- beziehungsweise Entortung von Kultur werde ich hier einen – wie ich meine neuen und kritischen – Blick auf diese Diskurse um Lokalität und Identität werfen. Dabei gibt es einige Anhaltspunkte dafür, dass die häufige Dichotomisierung von lokalisierten versus delokalisierten kulturellen Praxen letztlich eine analytische Trennung darstellt, welche im Alltag durchaus fließend verläuft: Transnationale und lokale Praktiken gehen hier ineinander über und werden keineswegs als Widerspruch empfunden. Um die Komplexität des Quartiers zu fassen, ist allerdings auch eine spezifische Methodik vonnöten, welche ich in Kapitel 5 vorstellen werde. Diese Ethnographie des Ortes ist geprägt von einer Erfassung der Diskurse über Lokalität einerseits und einer ethnographischen Forschung vor Ort andererseits. Um eine Gleichsetzung von spezifischen kulturellen Praxen mit dem Jungbusch zu vermeiden, empfiehlt sich eine multi-ethnische Perspektive, die sich an den strukturellen Bedingungen vor Ort ausrichtet. Lokale Kontroversen um Lokalität können dabei insbesondere durch die teilnehmende Beobachtung in Foren und Gesprächsrunden erfasst werden. Zum Verständnis dieser Beobachtungen müssen die hierbei gewonnenen Erkenntnisse mit intensiven Interviews mit Bewohnern und Experten abgeglichen werden. Ohne eine genaue soziale und räumliche Kenntnis des Quartiers und eine Ortserkundung mit Bewohnern sind viele verbale Aussagen allerdings schwer deutbar, denn es sind gerade die physischen Aneignungsweisen von Lokalität, die zu spezifischen mental maps eines Stadtraums führen können. Durch eine solche Me19
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thodik ist die Heterogenität eines Ortes und seiner Nachbarschaft erst hinlänglich erfassbar. In Kapitel 6 werde ich zunächst einmal auf die lokalen Strategien zur Produktion und Repräsentation von lokaler Gemeinschaft eingehen. Allerdings ist es gerade bei diesen Prozessen schwierig, zwischen subalternen und professionellen Ambitionen zu unterscheiden. Deswegen habe ich den Begriff des spatial brokers entwickelt, um die hierbei aktiven Personen näher zu bezeichnen. Bei dieser spatial brokerage lassen sich unterschiedliche diachrone Modelle der Inkorporierung von Lokalität identifizieren, die auch jeweils mit zeitgenössischen Debatten und Ereignissen in Zusammenhang stehen. Gleichzeitig repräsentieren sie auch spezifische Werthaltungen, welche mit einer ideellen Nachbarschaft in Verbindung gebracht werden. Trotz der zeitgenössischen Prägung koexistieren die differenten Strategien durchaus auch parallel, obwohl sich eine Transformation zugunsten hybrider Konzepte, aber auch zugunsten von neuen Ordnungsdiskursen zeigt. In Kapitel 7 werde ich mich mit den Prozessen der Selbstverortung in einem marginalisierten multi-ethnischen Stadtraum beschäftigen, welche tatsächlich insbesondere aus einer subalternen Perspektive von Bedeutung sind. Denn das Image des Quartiers, wie es in hegemonialen Diskursen thematisiert wird, hat auch eine gewisse Stigmatisierung seiner Bewohner zufolge: Der spezifische Ort Jungbusch wird hierbei im Sozialraum der Stadt verortet. Gleichzeitig wird diese Verortung nicht notwendigerweise von den Bewohnern auch so akzeptiert. Vielmehr entwickeln diese eigenständige Konzepte über den Jungbusch als place. Die differenten Strategien der Verortung, aber auch der Entortung sind dabei an spezifische Wahrnehmungen des Ortes gebunden, welche in hegemonialen Diskursen eher eine periphere Rolle spielen. So zeigt sich auch, dass mit der eigenen Position im sozialen Raum durchaus kreativ umgegangen wird. Diese heterogenen Wahrnehmungen und insbesondere die damit verknüpften Aneignungspraxen des Stadtraums sind allerdings auch mit Konflikten verbunden, auf die ich im 8. Kapitel näher eingehen werde. Diese Konflikte ergeben sich auch und gerade aus der Vielzahl sozio-kultureller Praxen auf einem geringen Raum. Hierbei zeigen sich nicht nur konfliktreiche Aneignungsweisen zwischen Deutschen und migrantischen Bewohnern, sondern auch unter migrantischen Gruppen selbst. Auch Gender-Thematiken spielen ebenso wie lebensstilspezifische und sozial-räumliche Konflikte eine Rolle. Aus diesen Konflikten um die Aneignung eines begrenzten und daher auch umkämpften Stadtraums ergeben sich auch spezifische territoriale Konzepte, welche den geographischen Ort auch gewissermaßen in ‚eigene‘ und ‚fremde‘ Zonen einteilen. Die häufige implizite Dichotomisierung in lokale und transnationale Gemeinschaften im wissenschaftlichen Diskurs wird im Alltag multi-ethnischer 20
EINLEITUNG
Stadtgebiete nicht bestätigt. Vielmehr stellt sich das Verhältnis zwischen Lokalität und Identität der Gegenwart wesentlich vernetzter dar. Die damit verbundenen zunehmend komplexen Strategien der Selbstverortung nicht nur von alteingesessenen, sondern auch von migrantischen und subkulturellen Bevölkerungsgruppen führen allerdings auch zu weiteren Implikationen und Fragestellungen. Daher werde ich in Kapitel 9 anhand der Reaktionen auf meine Forschungsergebnisse, die ich bei zwei Gelegenheiten im Jungbusch vorgestellt habe, zukünftige programmatische Perspektiven auf das Quartier, aber auch auf weitere Forschungsthemen diskutieren.
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Kapitel 1 Verortung im Raumdiskurs der Gegenw art
„Den Äquator messen, fuhr Pater Zea fort. Also eine Linie ziehen, wo nie eine gewesen sei. Ob sie sich dort draußen umgesehen hätten? Linien gebe es woanders. Mit seinem knochigen Arm zeigte er auf das Fenster auf das Gestrüpp, die von Insekten umschwärmten Pflanzen. Nicht hier! Linien gebe es überall, sagte Humboldt. Sie seien eine Abstraktion. Wo Raum an sich sei, seien Linien. Raum an sich sei anderswo, sagte Pater Zea. Raum sei überall! Überall sei eine Erfindung. Und den Raum an sich gebe es dort, wo Landvermesser ihn hintrügen.“ (Kehlmann 2005: 115)
Diese Darstellung eines möglichen Zusammentreffens zwischen dem Forscher Humboldt und dem Missionar Zea in „Die Vermessung der Welt“ ist wohl nicht zufällig in unserer Zeit entstanden. Von jenen Praktiken der Vermessung des Raums zur gegenwärtigen Debatte postmodern veränderter Raumkonzepte war es ein weiter Weg, dessen Verlauf in den letzten Jahren zunehmend zum Gegenstand wissenschaftlicher Debatten geworden ist. Auf den Raum bezogene Begriffe wie space, scapes, cartographies aber auch locality, place und landscape wurden in kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen seit den 90er Jahren geradezu extensiv verwendet.1 Die Bedeutungen dieser Begriffe variieren hingegen je nach disziplinärer Ausrichtung: Einige beziehen sich stärker auf die geographische andere mehr auf die sozio-
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Für eine Übersicht vgl. Soja 1996; Crang/Thrift 2000; Bachmann-Medick 2006; Schroer 2006. 23
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
kulturelle Landschaft. Die meisten jedoch liegen graduell zwischen beiden Konzepten und versuchen den Raum als sozial bedingt zu verstehen: „It has led some geographers to speak of a ‚spatial turn‘ as an integral element of the constellation of intellectual irruptions that have gone under the name of postmodernism, and to argue for the production of space, place and landscape as a fundamental and neglected dimension of social life“ (Gunn 2001: 1). Dieses wachsende Interesse am Raum in verschiedenen sozial- und kulturwissenschaftlicher Disziplinen wurde insbesondere seitens des eigentlich für den materiellen Raum zuständigen Faches – der Geographie, speziell der Humangeographie – kommentiert und mit der damit einhergehenden Kritik an der Dominanz der Historie innerhalb sozialwissenschaftlicher Diskurse in Zusammenhang gebracht. Gerade der Einfluss Foucaults wird für diese Veränderungen geltend gemacht (vgl. Katz/Smith 1993; Gunn 2001), da die Kritik an der Zeit als dominantes Prinzip und an der Geschichte als ihrer Wissenschaft als Wegbreiter für die Raumdiskurse der Gegenwart betrachtet wird. Die Erkenntnis, historischer Wandel sei ein „product of shifts in discursive regimes rather than of material transformations in economy, society and polity“ (Gunn 2001: 3) begünstigte, so die verbreitete Auffassung, die Hinwendung zu anderen, räumlichen Konzepten: „With the reassertion of space in social and cultural theory, an entire spatial language has emerged for comprehending the contours of social reality. A response in part to the widespread historicism that has dominated ‚Western‘ social thought over the last century and a half, this resurgence of interest in space and spatial concepts is broad based“ (Katz/Smith 1993: 67). Der beinahe inflationäre Gebrauch eines Raum-Vokabulars in den letzten Jahren wird so als Folge einer jahrelangen Vernachlässigung des Raumbegriffes innerhalb kultur- und sozialwissenschaftlicher Disziplinen betrachtet. Die Verbreitung von „spatial metaphors“, wie Katz und Smith (1993) die extensive Verwendung räumlicher Begrifflichkeiten bezeichnen, kennzeichnet auch die Veränderungen im Verhältnis zwischen Raum und Zeit im Zuge postmoderner Entwicklungen. Auch die postmoderne2 Kritik an ‚großen Erzählungen‘ und ihre Hinwendung zu heterogenen und partikularen Erkenntnissen (vgl. Lyotard 1994; Giddens 1996) machte den Raum für viele Autoren wieder interessant. Um die Rekonzeptualisierung von Raum in der Postmoderne zu verstehen, ist es allerdings zu-
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Den Begriff der Postmoderne muss man in Anbetracht der Lesarten von Beck (1986), Giddens (1996) oder Latour (1998) natürlich mit aller Vorsicht genießen. Ich verwende den Ausdruck ‚postmodern‘ weniger als deskriptiven Begriff für Prozesse, welche eine qualitative und quantitative Transformation in unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilbereichen (Ökonomie, Kommunikation, Kunst etc.) zur Folge hatten, sondern zur Beschreibung einer spezifischen Geisteshaltung, welche das Projekt postmoderner Umbrüche zuweilen nicht be- sondern herbeischreibt.
KAPITEL 1 – VERORTUNG IM RAUMDISKURS DER GEGENWART
nächst notwendig, die wissenschaftliche Vernachlässigung des Raumkonzeptes unter dem diskursiven Regime der Historie näher zu beleuchten. Selbstverständlich existierten auch vor dem postmodernen Interesse am Raum spezifische Raumkonzepte: Neben der Philosophie war es insbesondere die Physik, die den Raumbegriff prägte (vgl. Schroer 2006). Der Raum als wissenschaftliche Kategorie wurde allerdings im Wesentlichen als „Schauplatz der Geschichte“ (Günzel 2005: o. Seitenangabe) konzipiert. So verhinderte auch innerhalb der Geographie die Fokussierung auf eine Theorie des absoluten Raums – also eines physikalischen Verständnisses vom Raum als „Behälter“ (Schroer 2006: 38f) – die Entwicklung alternativer Raumkonzepte unter Einbeziehung sozialer Zusammenhänge (Katz/Smith 1993). Doch nicht nur die Geographie selbst versäumte eine Erweiterung dieses eingeschränkten Raumbegriffs, auch andere Disziplinen wie beispielsweise die Soziologie vernachlässigten die Entwicklung alternativer Raumkonzepte zugunsten eines verstärkten Interesses an der zeitlichen Struktur, welche auch hier als dominierende Kategorie verstanden wurde (vgl. Schroer 2006). Dieses Versäumnis führt Schroer auf unterschiedliche Ursachen zurück, die sich letztlich unter dem Begriff ‚Moderne‘ zusammen fassen lassen. Foucault (1991: 66) spricht in diesem Zusammenhang auch von einer epochalen Dominanz der Geschichte: „Die große Obsession des 19. Jahrhunderts ist bekanntlich die Geschichte gewesen: die Entwicklung und der Stillstand, die Krise und der Kreislauf, die Akkumulation der Vergangenheit, die Überlast der Toten, die drohende Erkaltung der Welt.“ Die mit der Moderne verbundenen Vorstellungen einer „Überwindung, Eroberung und Inbesitznahme des Raums“ (Schroer 2006: 22) sind dabei weniger geleitet von einem Aspekt räumlicher Beziehungen, als vielmehr von zeitlichen Konzepten des davor und danach. Diese Dominanz der Zeit über den Raum steht auch in Zusammenhang mit jeweils spezifischen Vorstellungen beziehungsweise Wertorientierungen: Die Zeit wird hierbei in Zusammenhang gebracht mit Fortschritt und Entwicklung, der Raum nimmt die gegensätzliche Bedeutung ein und steht für Verortung und Statik, für Bereiche des Lebens also, die von der Moderne quasi überwunden werden sollen: „With Time are aligned History, Progress, Civilization, Science, Politics and Reason, portentous things with gravitas and capital letters. With space on the other hand are aligned the other poles of these concepts: stasis, (‚simple‘) reproduction, nostalgia, emotion, aesthetics and the body“ (Massey 1992: 73; vgl. auch Schroer 2006). Die Zeitverständnis in der Moderne reflektiert damit grundlegende Prinzipien westlicher, mobiler Gesellschaften und ihrer Dominanz der Vernunft, die den ‚vormodernen‘ Kulturen gleichsam häufig abgesprochen wurden. Der Raum hingegen wurde hier insbesondere mit Expansion in Verbindung gebracht.
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LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
Mit der modernen Konzeption des Raums als Ausdehnung erfolgt allerdings auch eine Separation von Raum und Ort: Es entsteht ein „leerer Raum“ (Giddens 1996: 30), ein Raum, welcher der Partikularität des Lokalen enthoben ist und „als etwas von jedem spezifischen Ort oder Gebiet ‚Unabhängiges‘ installiert“ wird (Giddens 1996: 31). Gerade diese Vorstellung eines leeren Raums, so Katz und Smith (1993: 74) ermöglichte gleichsam erst die Verbreitung räumlicher Begriffe durch Vertreter der Postmoderne, da der materielle Raum als scheinbar bekannte und festgelegte Größe ein Bezugssystem für das Unbekannte und damit auch für metaphorische Ausdrücke darstellt: „Precisely in its deadness, as Foucault puts it – the taken-for-grantedness of spatial meanings – the language of space becomes a fertile repository or source of domain for metaphor.“ Die Ablösung vom modernen Raumbegriff fand allerdings erst verzögert statt. Den Anfang vom Ende dieses Raumverständnisses und der daran geknüpften geopolitischen Interessen sieht Günzel (2005: o. Seitenangabe) bereits mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs markiert: „Nach 1945 kommt es zu einer Leugnung des Themas ‚Raum‘, ohne dass der spezifische Zusammenhang zwischen Raumbegriff und Expansionsdenken aufgedeckt worden wäre.“ Nicht nur das extensive Verhältnis der Moderne zur Zeit, sondern auch das nach dem Zweiten Weltkrieg beim Thema Raum verspürte disziplinäre Unbehagen, dass sich nicht nur – aber insbesondere in den deutschen Wissenschaften breit machte – führte zu einer verzögerten Wahrnehmung der Beziehungen zwischen Mensch und Raum (vgl. Günzel 2005; Bachmann-Medick 2006; Schroer 2006). Das gegenwärtig starke Interesse am Raum in sehr unterschiedlichen Disziplinen kann daher nicht nur als Konsequenz einer postmodernen Kritik an Konzepten der ‚Moderne‘ verstanden werden, sondern auch als Folge der veränderten Rezeption geopolitischer Beziehungen. Mit anderen Worten, es macht sich eine neue Erkenntnis breit: „space has a history“ (Crang/Thrift 2000: 3). Der von Foucault in seinem Aufsatz „Andere Räume“ postulierte epochale Wechsel von der Zeit zum Raum stellt dabei eine frühe Thematisierung einer Rekonzeptualisierung von Raum dar: „Hingegen wäre die aktuelle Epoche eher die Epoche des Raumes. Wir sind in der Epoche des Simultanen, wir sind in der Epoche der Juxtaposition, in der Epoche des Nahen und des Fernen, des Nebeneinander, des Auseinander. Wir sind, glaube ich, in einem Moment, wo sich die Welt weniger als ein großes, sich durch die Zeit entwickelndes Leben erfährt, sondern eher als ein Netz, das seine Punkte verknüpft und sein Gewirr durchkreuzt“ (Foucault 1991: 66).
Foucault bringt den epochalen Wechsel von der Historie zum Raum nicht kausal mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen in Zusammenhang, 26
KAPITEL 1 – VERORTUNG IM RAUMDISKURS DER GEGENWART
vielmehr bezieht er sich auf einen diskursiven Wechsel von der Zeit zum Raum. Bei seiner Beschreibung des Raumkonzepts der Gegenwart als gekennzeichnet durch „Lagerungsbeziehungen“ (Foucault 1991: 67) von Personen und Gegenständen klingt auch eine spezifische Konnotation des Raums als Gleichzeitigkeit an: „Die Lagerung oder Platzierung wird durch die Nachbarschaftsbeziehungen zwischen Punkten oder Elementen definiert“ (Foucault 1991: 66). Der zeitlichen Abfolge wird hier das räumliche Nebeneinander entgegen gesetzt. Diese Konzeption des Raums als Netz von Beziehungen wurde von Theoretikern verschiedener Disziplinen immer wieder aufgegriffen (beispielsweise Soja 1996; Günzel 2005; Schroer 2006). Die Wende zum Raum ist aber auch ein Ergebnis der Feststellung, „[d]ie Alternative zum Raum sei nicht ‚kein Raum‘, sondern Raum und Mensch als reziproke Faktoren“ (Günzel 2005: o. Seitenangabe). Trotz der Konjunktur postmoderner Raumdiskurse werden diese innerhalb unterschiedlicher Disziplinen – von der Geographie bis zur Ethnologie3 – in den letzten Jahren insbesondere in Bezug auf Prozesse der Deterritorialisierung angewendet. Dabei werden transnationale beziehungsweise globale Räume auch als Phänomene verstanden, welche das Verständnis von Landschaften, Orten und Lokalitäten verändern. Insofern stellt sich allerdings auch die Frage, welche Bedeutung räumlichen Begrenzungen und Demarkationen zukommt und inwieweit postmoderne Raumdiskurse geeignet sind, die heterogenen Beziehungen zwischen Mensch und Raum zu fassen. Um mich diesen Fragen zu nähern, werde ich im Folgenden zunächst näher auf die disziplinären Hintergründe der gegenwärtigen Dominanz eines Konzepts der Deterritorialisierung von kultureller Praxis gerade in der Ethnologie eingehen.
D i e E n t - O r t u n g d e s ‚ An d e r e n ‘ Die Wende zum Raum äußerte sich in unterschiedlichen Disziplinen sehr differenziert, erhielt innerhalb der Ethnologie, die sich im Zuge der Postmoderne bereits sehr kritisch mit der eigenen Disziplin auseinander gesetzt hatte (vgl. Berg/Fuchs 1993), jedoch eine besondere Dynamik. Dabei wurde innerhalb der Ethnologie zunächst das moderne Konstrukt der topographisch verorteten ‚Anderen‘ im Gegensatz zu den als expansiver und mobiler verstandenen westlichen Gesellschaften hinterfragt. Die damit einhergehende Debatte um die Konzeption des ethnologischen Forschungsgegenstands entlud sich in einer massiven Kritik an der eigenen Disziplin. Mit dem wachsenden Bewusstsein um ‚mobile‘ kulturelle Gemeinschaften und transnationale Netzwerke wurde nun die territoriale Verwurzelung von ‚Kultur‘ innerhalb der Ethnolo3
Mit Ethnologie meine ich nicht ausschließlich die deutsche Disziplin, sondern auch die internationalen Wissenschafts- und Forschungstraditionen, die sich in ihr wiederspiegeln. 27
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
gie intensiv diskutiert. Die häufige Anwendung eines Kulturkonzepts territorialer Gemeinschaften, so die Kritik, führe zur Vernachlässigung von Prozessen gesellschaftlicher Mobilität. Denn der exotische ‚Andere‘, fixiert in Zeit, Raum und Gemeinschaft, als lebender Gegensatz zum mobilen Individuum in fragmentierten westlichen Gesellschaften, war lange Zeit ein wichtiger Bestandteil ethnologischer Wahrnehmung. So weist Appadurai (1988) darauf hin, dass die Ethnologie ihren Forschungsgegenstand, sprich: den ‚native‘, gleichsam verortet hat. Neben der Vorstellung einer Fixierung in einer „timeless traditional culture“ (Rosaldo 1993: 31) wird der ‚Andere‘ häufig auch als lokal fixiert wahrgenommen. „Probably the simplest aspect of the common sense of anthropology to which this image corresponds is the sense of physical immobility. Natives are in one place, a place to which explorers, administrators, missionaries, and eventually anthropologists, come“ (Appadurai 1988: 37). Die westlichen Konzeptionen von Zeit und Raum in der Moderne scheinen sich so auch in der Wahrnehmung des ‚Anderen‘ niederzuschlagen: ‚Mobilen‘ westlichen Kulturen wurden im ethnologischen Diskurs ‚lokale‘ indigene Kulturen gegenübergestellt. Gleichzeitig wurden diese Konzepte innerhalb der Ethnologie noch weiter institutionalisiert, indem sich bestimmte kulturelle Aspekte in eine dominante Wahrnehmung über geographische Gebiete verfestigen: „It remains now to ask, more generally, about the circumstances under which certain anthropological images – such as hierarchy – become hegemonic in, and confined to, certain places“ (Appadurai 1988: 45). Diese Umstände sind dann gegeben, wenn dominante Vorstellungen es Spezialisten wie Laien ermöglichen, die Besonderheit einer Kultur zu erfassen und gleichzeitig eine Verbindung zwischen innerkultureller Wirklichkeit und externer Erwartung besteht: Die Existenz solcher „topological stereotypes“ (Appadurai 1988: 46) vereinfacht so zum Einen unsere Wahrnehmung der Welt, limitiert zum Anderen aber auch die Bandbreite von Forschungsthemen ebenso wie die Wahrnehmung von unterschiedlichen Orten (vgl. Appadurai 1988: 46). Auch Gupta und Ferguson (1997a: 13) kritisieren die immanente Trennung zwischen Herkunftsland und Forschungsland und sprechen in diesem Zusammenhang von einer „hierarchy of purity of field sites“: „some fields are more equal than others – specifically those that are understood to be distant, exotic, and strange.“ Durch die implizite Beurteilung von Regionalgebieten kommt es nicht nur räumlich, sondern auch thematisch zu blinden Flecken in der Forschungslandschaft: Kulturelle Gemeinschaften, die als ‚arm an Kultur gelten‘, sind in wissenschaftlicher Hinsicht gleichsam ‚unsichtbar‘ (vgl. Rosaldo 1993: 197). Gerade dieser „academic regionalism“ (Okely 1996: 3) führte dabei allerdings nicht nur zur Vernachlässigung der Erforschung bestimmter geographischer Regionen, sondern auch mobiler kultureller Praxen.
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KAPITEL 1 – VERORTUNG IM RAUMDISKURS DER GEGENWART
Die Lokalisierung des ‚native‘ in der Ethnologie wird in den letzten Jahren allerdings zunehmend seitens „postmodernist, postcolonial or postexotic anthropologists“ (Kapferer 2000: 175) in Frage gestellt. Die Vorstellung einer generellen fixierten Territorialität nicht-westlicher kultureller Gemeinschaften und einer damit verbundenen Konzeption von räumlicher Immobilität wurde im Spiegel zunehmender und vor allem verstärkt wahrgenommener Bewegungen kultureller Gruppen vielfach diskutiert und führte zu einer neuen ethnologischen Schwerpunktsetzung auf transnationale Netzwerke und Diasporas (vgl. Clifford 1992, 1994, 1997a; Hannerz 1996; Gupta/Ferguson 1997b; Hastrup/Olwig 1997; Kokot 2000, 2002; Olwig 2002; Kokot/Tölölyan/Al-fonso 2004). Postkoloniale Einflüsse ebenso wie gesellschaftliche Veränderungen in den klassischen ethnologischen Forschungsgebieten durch Emigration haben so, insbesondere seit Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts, zu einer intensiven kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Disziplin und zu einer Unterscheidung zwischen „roots“ und „routes“ (Clifford 1997a) – also zwischen Wurzeln und Wegen – geführt.4 Van der Veer (1997: 91f) identifiziert drei wesentliche Aspekte der zunehmenden Problematik einer Verortung von Kultur: 1. Mit dem Ende des Kolonialismus entstanden neue Forschungsgebiete in komplexen Gesellschaften. 2. Es findet eine Veränderung im ethnologischen Verständnis von ‚Kultur‘ statt, wobei das Konzept der ‚Praxis‘ die Theorie des ‚Systems‘ ablöst. 3. Von nicht-westlichen Gesellschaften findet eine verstärkte Migration in die westlichen Metropolen statt, wodurch kulturelle Unterschiede sich zunehmend geographisch verwischen. Kulturen wurden nun verstärkt mit Bewegung im Raum in Verbindung gebracht (vgl. Clifford 1992, 1997a). Diese deterritorialisierten kulturellen Praxen werden dabei definiert als „something that crosses the boundaries between politically defined units“ (Hannerz 1998: 237). Dies beinhaltet dabei auch soziale Bindungen und kulturellen Austausch über weite Distanzen. Als Konsequenz dieser Deterritorialisierungsprozesse kam es auch zu Debatten um die Neudefinition des Gegenstandes und der Methodik ethnographischer Forschung (vgl. Marcus 1995). Der ethnologische Blick, welcher „societies and cultures as entities separated from one another in space“ (Hastrup 1992: 7) definierte, wurde damit einer gründlichen theoretischen Revision unterzogen. Diese kritischen Ansätze führten dabei auch zu neuen Konzepten und ei4
Praktisch zeitgleich mit der Perzeption einer Delokalisierung von Kulturen in der Ethnologie entwickelte sich allerdings auch ein neues Forschungsinteresse, welches explizit Lokalitäten in den Blick nimmt, ohne dabei auf die moderne Begrenzung indigener Kulturen auf einzelne Territorien zu verfallen (vgl. Hirsch/O’Hanlon 1995; Feld/Basso 1996; Jackson 2000). Dieser Themenbereich, der auch von der Forschungsgruppe Person, Space and Memory an der Universität Heidelberg untersucht wird, hat bislang allerdings keineswegs den weitreichenden Einfluss, der den Debatten um Prozesse der Ent-Ortung zukommt. 29
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
ner starken Differenzierung ethnologischer Forschungen. Die damit einhergehende theoretische Delokalisierung des ethnologischen Kulturkonzepts eröffnete somit auch neue Forschungsfelder durch die Konzeptualisierung transnationaler, mobiler kultureller Gemeinschaften. Die Erforschung delokalisierter kultureller Praxen entwickelte sich so zum Ausweg aus dem ethnologischen Verortungsproblem des native. Auf Grund des wachsenden Interesses an kultureller Mobilität wird die Vorstellung von verorteter Kultur nun nicht nur im Zuge ‚jüngerer‘ Entwicklungen – Stichworte sind hier Globalisierung oder Migration – in Zweifel gezogen. Die Transnationalität einzelner kultureller Gruppen wird inzwischen auch als Phänomen erkannt, das mit spezifischen Traditionen verbunden ist und nicht lediglich als Resultat gesellschaftlichen und politischen Wandels der letzten 50 Jahre betrachtet werden kann. Transnationale Beziehungen sind laut Hannerz (1998: 236) auch Folge wesentlich älterer Prozesse kulturellen Kontakts: „transnational events, structures, processes, and products did not appear all of the sudden in the twentieth century, or even its last few decades.“ Auch van der Veer (1997) verweist auf historische Phänomene der Ver- und Ent-Ortung und erwähnt in diesem Zusammenhang beispielsweise die Zwangsumsiedlung kultureller Gruppen oder Dislokationen durch den Sklavenhandel. Diese Feststellung ist sicherlich zentral: Das neue Interesse an deterritorialisierten kulturellen Prozessen steht nicht nur in Zusammenhang mit einer Intensivierung transnationaler Prozesse, sondern eben insbesondere auch mit einer Rekonzeptualisierung des ‚Anderen‘ in der Ethnologie. Diese Entwicklung ermöglicht auch eine veränderte Wahrnehmung des transnationalen Charakters einzelner kultureller Gruppen: So thematisiert Okely (1996) beispielsweise kulturelle Praxen von Sinti und Roma, welche in der Ethnologie auf Grund des Konzepts verorteter Kultur zeitweise schlicht vernachlässigt wurden. Das Konzept delokalisierter Kulturen hat aber nicht nur die Ethnologie, sondern auch andere Fächer, wie beispielsweise die Cultural Studies oder die Soziologie stark beeinflusst. Denn tatsächlich findet durch moderne Transport- und Kommunikationsmittel auch eine Intensivierung globaler Beziehungen, Bewegungen und Entwicklungen statt, die unser gegenwärtiges Verständnis von Raum maßgeblich beeinflussen. Daher werde ich im Folgenden zunächst auf die Perzeption transnationaler Entwicklungen und den damit einhergehenden Veränderungen in der Konzeption kultureller Räume eingehen.
Transnationale Räume Als Konsequenz der Feststellung steigender kultureller Mobilität in der Postmoderne wird heute innerhalb der Ethnologie und ihren Nachbarwissenschaf30
KAPITEL 1 – VERORTUNG IM RAUMDISKURS DER GEGENWART
ten in zunehmendem Maße ein delokalisiertes Kulturkonzept angewendet. Dies zeigt sich auch in der Fülle der Literatur zum Thema Diaspora (vgl. Bhabha 1994; Clifford 1994; Brah 1996; Kaya 2001; Kokot/Tölölyan/Alfonso 2004), travel (vgl. Clifford 1992, 1997a, 1997b; Hutnyk/Kaur 1999) und transnationaler Prozesse (vgl. Glick Schiller 1995; Hannerz 1996; Faist 2004). Diese Überwindung von Lokalität wird mit unterschiedlichen Begriffen in Zusammenhang gebracht, welche die Prozesse der Deterritorialisierung von Kultur beschreiben sollen. Dabei spielen auch Konzepte des Raums eine zentrale Rolle, was sich in der Rede von transnationalen, translokalen und globalen Räumen äußert (vgl. Low/Lawrence-Zúñiga 2003). Die via Migration geschaffenen „transnationalen sozialen Räume“ (vgl. Pries 1998, 2003; Faist 2004), welche insbesondere die „sozialen Netzwerke“ (Schröer/Sting 2003) der Migranten beim körperlichen oder mentalen Pendeln zwischen Herkunftsland und Einwanderungsland umfassen, beschäftigen dabei in zunehmendem Maße auch den öffentlichen Diskurs in den Einwanderungsländern und führen zu Transformationen in der Wahrnehmung von Migration Die Bewegung von Personen und Gruppen im globalen Raum, die Frage nach den routes ist dabei auch ein entscheidendes Merkmal des neuen theoretischen Verständnisses von Kulturen, die im Kontext von Migrations- und Diasporabeziehungen auftreten. Transnationale Räume sind insofern auch Räume der Vernetzung und der Grenzgänger, es sind in gewisser Weise „imagined spaces“ (vgl. Soja 1996) ohne eine direkte Entsprechung im materiellen Raum. Denn der Begriff Raum beinhaltet hierbei „the links between actors, whereas place refers to one specific location“ (Faist 2004: 4). Mobile Gruppen scheinen sich in dieser Konzeption nicht von Ort zu Ort oder zwischen mehreren Orten zu bewegen, sondern die Delokalisierung wird praktisch zum Dauerzustand – zu einem neuen Lebensgefühl – erklärt. Die Transnationalität von Akteuren wird daher immer weniger als eine Bewegung von A (Emigration) nach B (Immigration) verstanden: Soysal (2002: 341) zieht es vor von „simultaner Anwesenheit“ zu sprechen und beruft sich dabei auf die Begriffe „multi-connectedness“ (vgl. Soysal 1997) und „border crossings“ (vgl. Rosaldo 1993). Brah (1996: 205) spricht in diesem Kontext auch von „multi-axial locationality“: Eine Person ist also nicht mehr mit einem Ort verbunden, sondern simultan mit verschiedenen Orten zugleich. Mit dieser Entwicklung vermischen sich in zunehmendem Maße kulturwissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Forschungsthemen, obwohl die disziplinären Grenzen in vielen Ländern weiter aufrechterhalten werden. Obwohl Clifford (1992), Hannerz (1998) und Appadurai (2003) spezifische Lokalitäten wie Hotels und Flughäfen als Verortungen dieser delokalisierten kulturellen Praxen definieren, können diese auch als „Nicht-Orte“ im Sinne von Augé (1994) verstanden werden. Ein zentralerer Bestandteil delokalisierter Beziehungsgeflechte sind allerdings die Möglichkeiten der Vernet31
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
zung via Transport- und Kommunikationsmitteln, die zur Konstitution und Aufrechterhaltung transnationaler Räume beitragen. Diese produzieren und reproduzieren „imagined communities“ (Anderson 1983), die sich als transnationale oder diasporische Gemeinschaft um den Globus verteilen. Der deutlichste Unterschied zwischen transnationalen Räumen und Diasporas liegt nach Ansicht von Pries (1998: 63) vor allem in der Bildung neuer „sozialer Wirklichkeiten“ durch transnationale Beziehungen, „die die vorherigen sozialen Verflechtungszusammenhänge der Auswanderungsregion wie der Ankunftsregion transformieren und sich als neue Sozialräume zwischen und oberhalb dieser aufspannen.“5 Allerdings können Diasporabeziehungen sicherlich auf ähnliche Weise als verfestigte Formen dieser Transformationsprozesse betrachtet werden. Clifford definiert daher Diaspora als dauerhaften Zustand der Transnationalität mit spezifischen „historical contexts of displacement“ (Clifford 1994: 308). Dabei legt er den Schwerpunkt jedoch weniger auf die Erfahrungen des Verlusts und der Verfolgung, die mit der Entstehung diasporischer Gemeinschaften häufig verbunden sind, als auf ihre Bedeutung als Vermittler zwischen den realen und den imaginären Verortungen: Die ‚neuen‘ Identitäten der Diaspora sind dabei gekennzeichnet durch transnationale Verbindungen, denn „diaspora communities are ‚not-here-to-stay.‘ Diaspora cultures thus mediate, in a lived tension, the experiences of separation and entanglement, of living here and remembering/desiring another place“ (Clifford 1994: 311). Auch Safran (2004: 12) verwendet eine sehr ähnliche Defintion für Diaspora-Identitäten: „Being in a diaspora implies a tension between being in one place physically – the place where one lives and works – and thinking regularly of a place far away.“ Ein entscheidendes Merkmal von Diaspora beinhaltet damit die Sehnsucht nach einer Heimat, welche sehr unterschiedlich konzeptualisiert sein kann. Es handelt sich dabei nicht notwendigerweise um einen – beziehungsweise den eigenen – Nationalstaat, es mag sich auch um andere Orte, Regionen, oder Städte handeln, die im Verlauf der Diaspora-Erfahrung einer ethnischen Gruppe als relevant betrachtet wurden (vgl. Clifford 1994; Safran 2004). Deshalb wird Diaspora von Clifford (1994) nicht notwendigerweise mit einer national-staatlichen Bewegung in Zusammenhang gebracht, denn diese Territorialisierung, beispielsweise im Zionismus, stellt für ihn die Beendigung von Diaspora dar. Stattdessen konzipiert er Diaspora gerade auch als bewussten Zustand entgegen lokalisierter Normen: „Diasporas are caught up with and defined against (1) the norms of nation-states and (2) indigenous, and especially autochthonous, claims by ‚tribal‘ peoples“ (Clifford 1994: 307). Auf 5 32
Pries (1998) bezieht sich hierbei auf das Sozialraumkonzept von Pierre Bourdieu.
KAPITEL 1 – VERORTUNG IM RAUMDISKURS DER GEGENWART
Grund dieser Konzeption einer dauerhaften Sehnsucht nach einer verlorenen Heimat – so die These – wird jeder aktuelle Aufenthaltsort in der Diaspora eben nicht zur Heimat. Diaspora beinhaltet damit zumindest potentiell eine geringere Bindung an den Aufenthaltsort, als spezifische Formen einer dauerhaften Sesshaftigkeit. Nichts desto trotz lassen sich Merkmale der Diaspora in unterschiedlicher Abstufung praktisch überall feststellen: „In the late 20th century, all or most communities have diasporic dimensions (moments, tactics, practices, articulations)“ (Clifford 1994: 310). Der deutlichste Unterschied zwischen transnationalen oder diasporischen Gemeinschaften liegt sicherlich im Ausmaß der tatsächlichen Qualität und Quantität von transnationalen Beziehungen und Netzwerken und der dafür erforderlichen Mobilität. Doch auch Diasporas wird in der Regel ein hohes Maß an Mobilität und Flexibilität unterstellt: Die aus der Diaspora entstandenen delokalisierten Netzwerke basieren nicht nur auf medialen Verbindungen oder auf sozialen oder ökonomischen Verpflichtungen gegenüber Verwandten, sondern auch auf Grund kostengünstiger Flugverbindungen ins „imagined homeland“ (Guta/Ferguson 1997b: 39) oder zu anderen Lokalitäten der Diaspora. Cohen (1997: 169) geht sogar von einer noch weiter reichenden Mobilität von Personen in der Diaspora aus: „They are certainly more prone to international mobility and change their places of work and residence more frequently.“ Gleichzeitig wird die Rückkehr in die verlorene Heimat tabuisiert oder nur in einer sehr fernen Zukunft konzipiert (Clifford 1994: 304). Durch diese transnationalen Beziehungen festigen sich dabei aber weiterhin die DiasporaGemeinschaften (vgl. Clifford 1994) oder verstärken sich gar trotz der beginnenden Verwurzelung im Aufnahmeland (vgl. Schiffauer 2002). Doch der Begriff Diaspora rekurriert für Clifford auch auf eine veränderte Wahrnehmung und politische Haltung im Vergleich zu Begriffen wie Minderheit oder „ethnic neighborhood“ (Clifford 1994: 310). Kaya spricht in diesem Zusammenhang von „post-national diasporic communities“ (Kaya 2001: 76), welchen nicht nur ein Set von mehr oder weniger stark ausgeprägten Merkmalen der Diaspora (vgl. Safran 1991; Clifford 1994) unterstellt wird, sondern oft auch eine spezifische Form von „consciousness“ (beispielsweise bei Clifford 1994 und Gilroy 1996; vgl. dazu Kaya 2001 und Schwalgin 2004), die durch den Verlust von Heimat und die Identifikation mit einer „imagined community“ (Anderson 1983) erlangt wird. Dieses ‚diasporische Bewusstsein‘ ist dabei auch durchaus ein strategisches Moment der Selbstrepräsentation: Es zeichnet sich einerseits durch die negative Erfahrung von Ausgrenzung, andererseits durch die positive Identifikation mit einem größeren Ganzen aus (vgl. Clifford 1994). Die Entwicklung von Konzepten der Diaspora und des Transnationalismus kann damit auch verstanden werden als ein politischer Akt einer veränderten Repräsentationsstrategie. Die Identifizierung mit einer imaginierten Gemeinschaft beziehungsweise mit einer „nation, 33
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region, continent, or world-historical force (such as Islam) gives added weight to claims against an oppressive national hegemony“ (Clifford 1994: 310). In diesen Diskursen um transnationale Räume liegt der Schwerpunkt auf der Bewegung von Personen im Raum beziehungsweise der Konstruktion deterritorialisierter imaginierter Gemeinschaften. Diasporas und die Existenz transnationaler Netzwerke und Beziehungssysteme werden somit gedeutet als eine Überwindung lokaler und nationaler Grenzen. Diese Entwicklungen werden auch als konstitutiv für Veränderungen der politischen Strukturen einer bis dato nationalstaatlich orientierten Welt betrachtet. Doch diese Beziehungsnetzwerke beeinflussen nicht nur die klassischen ethnologischen Forschungsgebiete, sondern auch die sogenannten Einwanderungsländer und stehen eben auch in engem Zusammenhang mit jenen Prozessen der Transformation von Kommunikation und Transport, die im Allgemeinen unter dem Begriff der Globalisierung subsumiert werden.
Globale Räume Die Delokalisierung von Kultur und die gesteigerte Verwendung räumlicher Begriffe ebenso wie die Entwicklung entorteter kultureller Praxen steht auch in Zusammenhang mit sehr unterschiedlichen Prozessen (post)moderner Kommunikation und wirtschaftlicher und sozialer Transformation, die in der Regel unter der Bezeichnung ‚Globalisierung‘ gefasst werden. Dieser Begriff wird mit sehr unterschiedlichen Entwicklungen in Zusammenhang gebracht: Die hierunter subsumierten Phänomene reichen von geopolitischen Entwicklungen über neue Technologien der Kommunikation bis zu transnational agierenden Konzernen. Mit dem Niedergang des Kommunismus, so argumentiert Tsing (2000a: 331), beginnt die Nutzung des Ausdrucks „‚globalization‘ as the definitional characteristic of an era“. Die Entstehung eines globalen Bewusstseins entwickelte sich Tsing zufolge allerdings zum Einen durch die TV-Übertragungen von Bildern der Erde aus dem Weltall, zum Anderen durch die globalen Bemühungen von Umweltschutzaktivisten. Seit dieser Zeit wird der Begriff Globalisierung für eine Vielzahl ökonomischer und sozio-kultureller Veränderungen verwendet, die als symptomatisch für die Gegenwart betrachtet werden: „At the turn of the century, then, globalism is multireferential: part corporate hype and capitalist regulatory agenda, part cultural excitement, part social commentary and protest“ (Tsing 2000a: 332). Der Gedankengang der ‚Nachbarschaftsbeziehungen‘ im Raum und der Simultanität von Foucault findet sich wiederum auch in den Diskussionen um globale Entwicklungen und das Schrumpfen geographischer Entfernungen. Die als „time-space-compression“ (vgl. Harvey 1990) bezeichneten ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen werden dabei auch als Konsequenzen veränderter Produktionsverhältnisse betrachtet, als „link 34
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between postmodernism and the transition from Fordism to more flexible modes of capital accumulation via the meditations of spatial and temporal experiences“ (Harvey 1990: 201). Der Trend zur Nutzung räumlicher Begrifflichkeiten in diesem Zusammenhang wurde noch zusätzlich forciert durch die Ausdehnung transnationaler Prozesse und die Vorstellung einer beschleunigten Überwindung räumlicher Distanzen im Prozess kultureller Entwicklungen (vgl. Virilio 1993). Mit Hilfe neuer Technologien und den damit einhergehenden Veränderungen in der räumlichen Organisation von (post)industriellen Kapitalgesellschaften, wird insbesondere die lokale Bindung von Kapital und Produktion nachhaltig verändert. Für die über einen langen Zeitraum unhinterfragten Zusammenhänge zwischen ökonomischer und sozialer Ausbeutung der ‚Peripherie‘ zugunsten der Entwicklung spezifischer Lebensstile im ‚Zentrum‘ (vgl. Said 1994) wurden nun ‚globale‘ Ansätze entwickelt. Die komplexen Beziehungen zwischen dem „Westen und dem Rest“ (Hall 1994: 137) und die massiven Einschnitte und Umbrüche in jenen Kulturen, die traditionell Gegenstand ethnologischer Forschung sind, wurden dabei innerhalb der Ethnologie und auch in verwandten Disziplinen verstärkt thematisiert. Denn insbesondere das Phänomen der Arbeitsmigration verändert die Zusammensetzung der Bevölkerung sowohl in den Einwanderungs- als auch in den Herkunftsländern. Das Geld, das Verwandte im Ausland verdienen, transformiert gleichzeitig die ökonomischen Verhältnisse der Daheimgebliebenen. In diesem Zusammenhang weist Brah (1996: 21) darauf hin, dass sich seit den 1950er Jahren die Bedeutung der (ehemaligen) Kolonien für die Kolonialmächte mehrfach veränderte: Das Interesse an billigen Rohmaterialien wechselte zu einem verstärkten Interesse an billigen Arbeitskräften. Doch auch hier zeichnen sich mittlerweile starke Transformationen der globalen Wirtschaftsbeziehungen ab. Denn in der Gegenwart sieht dieses Verhältnis wiederum anders aus: Auf der Suche nach billigen Arbeitskräften werden diese inzwischen nicht mehr zu den Produktionsstätten transportiert, sondern umgekehrt die Produktion ins günstigere Ausland verlagert, mit allen negativen Konsequenzen für die dortige Umwelt und die Gesundheit der Arbeiternehmer und Anwohnenden. Die Hoffnung auf bessere Lebensverhältnisse lässt daher weiterhin viele die Flucht in den Westen antreten. Diese Beziehungen zwischen der westlichen Welt und ehemaligen Kolonialgebieten werden von der Ethnologie seit den 80er Jahren verstärkt in den Blick genommen. Insbesondere die Darstellung einer ethnologischen Variante der Wallerstein’schen Weltsystemtheorie, wie Eric Wolfs „Europe and the People Without History“ (1982) lieferte eine erste Basis für weitere kulturwissenschaftliche Konzepte der Globalisierung. Diese beschäftigten sich nicht lediglich mit der Partikularität einzelner, sondern mit den Wechselwirkungen durch Kontakt zwischen unterschiedlichen Gesellschaften. Wolfs Konzept der unglei35
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chen Wirkungsmacht des Zentrums gegenüber der Peripherie wurde allerdings zugunsten einer aktiveren Sichtweise sogenannter peripherer Kulturen ergänzt (vgl. Appadurai 1990, 1998; Hannerz 1996; Friedman 1997). Diese versuchten tatsächlich die ‚globalen‘ Konsequenzen der Globalisierung in den Blick zu nehmen (vgl. Lewellen 2002; Kreff 2003). Die globale Bewegung von Menschen, Gütern, Geldern, aber auch Images in Form von Filmen und Tourismusindustrie nimmt dabei wiederum keinerlei Rücksicht auf räumliche Distanzen und nationale Grenzen. Sozial- und Kulturwissenschaften sind damit gezwungen, sich den Veränderungen in ihren angestammten Forschungsgebieten anzupassen. Insofern liefert die von Appadurai (1990, 1998) entwickelte Theorie komplexer Beziehungen, welche sich nicht an binären Relationen orientiert, sondern an globalen scapes mit unterschiedlichen Bedeutungsspektren, eine gute Basis zur Beschreibung globaler Wechselwirkungen. Er unterscheidet dabei zwischen „finanscapes“, „mediascapes“, „idioscapes“, „technoscapes“ und „ethnoscapes“. Diese Landschaften verknüpfen globale Akteure auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichem Ausmaß. Sie dienen als Matrizen zur Erklärung vielfältiger globaler Prozesse und schaffen so eine Basis zur Darstellung komplexer transnationaler Beziehungen. Trotz dieser Transformation kultureller Formen im globalen Strom von Ideen und Medien, sieht Appadurai (1990: 301) aber die Deterritorialisierung von Personen als ein entscheidendes Merkmal der Gegenwart. Als zentral für diese globalen Entwicklungen betrachtet Appadurai (1990: 279) daher „the landscape of persons who constitute the shifting world in which we live: tourists, immigrants, refugees, exiles, guestworkers and other moving groups and persons constitute an essential feature of the world, and appear to effect the politics of and between nations to a hitherto unprecedented degree.“ Diese Bewegungen finden von ärmeren in reichere Regionen der Welt statt und schaffen damit neue Märkte: „At the same time, deterritorialization creates new markets for film companies, art impressarios and travel agencies, who thrive the need of the deterritorialized population for contact with its homeland. Naturally, these invented homelands, which constitute the mediascapes of deterritorialized groups, can often become sufficiently fantastic and one-sided, that they provide the material for new ideoscapes in which ethnic conflicts can begin to erupt.“ (Appadurai 1990: 302)
Die unterschiedlichen Landschaften stehen also auch untereinander in Beziehung: So vermögen mediale Darstellungen auch zur Verbreitung von Bildern unterschiedlicher „imagined worlds“ (Appadurai 1990: 296) beizutragen, welche wiederum für die Produktion von Ideologien nutzbar gemacht werden können und somit auch auf die Ausbildung von „ethnoscapes“ einwirken. Die 36
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globale Verteilung von Geldmitteln wirkt sich wiederum auf die Verfügbarkeit von Technik und entsprechendem know-how aus und vice versa, wodurch auch die Bewegung von Menschen an Komplexität gewinnt. Trotz dieser Entwicklung neuer Begrifflichkeiten – unter Zuhilfenahme räumlicher Metaphern zur Vermeidung von Assoziationen mit Begriffen wie ‚Erste Welt‘ vs. ‚Dritte Welt‘ beziehungsweise ‚Zentrum‘ vs. Peripherie‘ im Globalisierungsdiskurs – erfolgen die globalen Bewegungen von Waren und Menschen allerdings keineswegs zufällig. Eine entscheidende Rolle spielen dabei komplexe Machtbeziehungen der Gegenwart (vgl. Meusburger 2007), die im Zuge des häufigen Globalisierungshypes gerade in den Kulturwissenschaften teilweise stark vernachlässigt wurden. Im Folgenden werde ich daher näher auf die globalen Machbeziehungen und deren Verortungen eingehen.
Landschaften der Macht Die Bedeutung ungleicher Macht- und Wirtschaftsbeziehungen wird in den verschiedenen Theorien, die sich der Erklärung des Phänomens der Globalisierung gewidmet haben, sehr unterschiedlich gewichtet. Kreff (2003: 33) unterscheidet daher zwischen Globalisierungstheorie einerseits und Weltsystemtheorie andererseits, wobei letztere insbesondere von globalisierungskritischen Ansätzen wieder aufgegriffen wird. Trotz der weiten Verbreitung des „global babbel“ (Abu-Lughod, Janet 1991) findet auch weiterhin eine Diskussion um die sozio-kulturellen Bewegungsmodi im globalen Raum statt. Hier lassen sich zwei wesentliche Modelle unterscheiden: das bereits erwähnte Konzept der deterritorialisierten globalen Landschaften nach Appadurai (1990, 1998), in welchem Gelder, Produkte, Ideen und Menschen scheinbar in ganz beliebige Richtungen fließen und die Theorie der flexiblen Zentren und Peripherien nach Hannerz (1992, 1996, 2001), welches von bestimmten Bewegungsmustern im globalen Raum ausgeht. Obwohl Appadurai (1990: 295) die Territorialisierung kultureller Bezüge zugunsten seines Konzepts der landscapes völlig aufhebt, entwickelt auch er ein Konzept globaler kultureller Bewegungen und betont in diesem Zusammenhang die Tendenz zur kulturellen Heterogenisierung. Doch globale Beziehungen werden in dieser Theorie nicht von bestimmten – beispielsweise westlichen – Kulturen dominiert, sondern es findet im Gegenzug immer eine kulturelle „indigenization“ statt: „this is true of music and housing styles as much as it is true of science and terrorism, spectacles and constitutions.“ Dieses Argument ist sicherlich richtig um der Angst vor einer „McDonaldisierung“ (Ritzer 1998) von Kultur zu begegnen. Denn die Mittel zur Verringerung räumlicher Distanzen durch Kommunikationstechnik und Transportmittel werden nicht nur zu Vermarktungszwecken verwendet, sondern auch zur
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Verfolgung politischer Ziele durch subalterne Gruppen, beispielsweise NGO’s. Hannerz’ Rückbezug auf ein Zentrum-Peripherie-Konzept liegt hingegen insbesondere begründet in seiner Feststellung von „relationships of inequality existing in geographical space“ (Hannerz 2001: 1611). Mit seinem „world cities“ Ansatz betrachtet Hannerz (1996) beispielsweise Weltstädte als die Zentren, von welchen sich „cultural flows“ auf die Peripherien verteilen. Weltstädten kommt so eine gewisse Macht bei der Produktion von heterogenen kulturellen Formen zu. „Cities may be centres in particular ways to particular people, dispersed in a transnational periphery – Rome to the Catholic world; San Francisco to the gay people not only from elsewhere in the United States, but also from other continents; Memphis, Tennessee, to friends of country music“ (Hannerz 2001: 1611). Diese „cultural flows“ gehen dabei nicht notwendigerweise immer von mehr oder minder legitimen kulturellen Gemeinschaften, sondern unter Umständen auch von peripheren Gruppen im Zentrum aus: „London, Paris, New York, and Miami continue to be, or grow into, expatriate capitals of parts of the Third World. It may even seem as if many national cultures now have their centres, their cynosures, outside the territory of the state“ (Hannerz 1992: 229; vgl. auch Kreff 2003). Hannerz spricht daher auch von einer Funktion der „global cultural brokerage“ (Hannerz 1996: 138) von Weltstädten: Sie sind nicht nur der Ursprung von „cultural flows“, sondern fungieren auch als Verstärker peripherer kultureller Stile. Globale Entwicklungen haben damit sowohl homogenisierende als auch heterogenisierende Momente (vgl. Hannerz 2001). Die Frage, ob Globalisierung nun gut oder schlecht ist, lässt sich daher nicht eindeutig beantworten: sie ist beides. Sie bietet Schwierigkeiten und Chancen, ist aber in komplexe Machtbeziehungen eingebunden, welche auch die Bewegung von Kulturgütern, Menschen, Geldern, Medien und Ideologien bestimmen. Anders als Hannerz und Appadurai thematisieren Hardt und Negri (2004) insbesondere die Mechanismen der Legitimierung von Hierarchien und kommen daher zu einem etwas anderen Verständnis von Globalisierung: „Stark vereinfachend könnte man sagen, dass die Globalisierung zwei Gesichter aufweist. Auf der einen Seite umspannt das Empire [als globale Form der Souveränität; E.B.] mit seinen Netzwerken von Hierarchien und Spaltungen den Globus; sie erlauben es, die Ordnung mittels neuer Mechanismen der Kontrolle und mittels des permanenten Konflikts aufrechtzuerhalten. Andererseits bedeutet Globalisierung aber auch, dass neue Verbindungen des Zusammenwirkens und der Zusammenarbeit entstehen, die sich über Länder und Kontinente hinweg erstrecken und auf zahllose Interaktionen fußen.“ (Hardt/Negri 2004: 9)
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KAPITEL 1 – VERORTUNG IM RAUMDISKURS DER GEGENWART
Mit diesem Argument lässt sich allerdings auch verstehen, dass Globalisierung, ob nun gut oder schlecht, eingebunden ist in Machtbeziehungen, die sich heute nicht mehr lediglich durch Konflikte zwischen einzelnen Staaten äußern. Was also in Appadurais Konzeption fehlt, sind tatsächlich die Landschaften der Macht, die in den letzten Jahren besonders deutlich zutage treten, da die ethnischen Konflikte, auf die auch Appadurai Bezug nimmt, selbst globale Konnotationen erhalten. Appadurai (1990) beschäftigt sich zwar mit diesen konfliktreichen Beziehungen, die er als „ideoscapes“ bezeichnet, schenkt dem Faktor der Legitimation von Ideologien aber weit weniger Aufmerksamkeit als Hardt und Negri. Denn gerade die Auflösung von Blockstrukturen und bipolaren Beziehungen nach dem Ende des Kalten Krieges und der Triumph kapitalistischer Wirtschaftssysteme über den Sozialismus führten zu einer Neustrukturierung globaler Mächteverhältnisse. Als Konsequenz dieser Entwicklung veränderte sich auch das Machtverhältnis zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen. Das Problem des Mächteverhältnisses in einer deterritorialisierten Welt besteht für Hardt und Negri (2004) daher in der Ausübung von ‚legitimer Gewalt‘, die nun nicht mehr dem modernen Nationalstaat unterstellt ist, sondern zur Frage nach universellen Werten geworden ist. Diese Legitimität wird dabei von unterschiedlichen Kräften beansprucht: „Bin Laden beispielsweise sucht Legitimität dadurch zu erlangen, dass er sich als der moralische Held der Armen und Unterdrückten des globalen Südens darstellt. In ähnlicher Weise beansprucht die US-Regierung für ihre militärische Gewalt Legitimität, und sie beruft sich dabei auf ihre Werte, nämlich Freiheit, Demokratie und Wohlstand“ (Hardt/Negri 2004: 43). Auch politische Aktivisten, internationale Organisationen, aber auch religiöse oder kulturelle Gemeinschaften können auf ähnliche Weise an der Produktion von Legitimität teilnehmen, wobei sie keineswegs kosmopolitisch orientiert sein müssen, häufig ist sogar eher das Gegenteil der Fall. Insofern stellt sich verstärkt die Frage nach der Repräsentation lokaler, nationaler oder ideologischer Interessen und der Nutzung globaler Plattformen als Mittel zu deren Durchsetzung. Die Anschläge auf London und New York durch islamische Terroristen als globale Form des Terrorismus zielt sicherlich nicht nur auf die symbolische Bedeutung dieser Städte in Bezug auf ihre Produktion von ‚cultural flows‘, sondern auch als Zentren von globalen Machtprozessen. Virilio (1993: 10) spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „Rezentralisierung“ der „weltumspannenden Kommunikationsnetze“ an spezifischen „Knoten“, in denen sich mehr Informationen ansammeln, als andernorts. Diese spezifischen „Knoten“ nehmen letztlich auch Einfluss auf die Organisation von Appadurais „technoscapes“ und „finanscapes“, die auf spezifische Weise verteilt werden. Insbesondere in Bezug auf die geographische 39
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Verteilung des Finanzsystems merkt Pollard (2001: 388) an: „Many parts of Africa, Asia and Latin America are not only not included in the ‚global financial system‘, they are being actively excluded as banks refuse to lend money until outstanding debts has been paid. There is what Massey (1993) describes as power geometry at work when some commentators describe the financial system as global.“ Mit dem Konzept der „power geometry“ betont Massey (1993), dass nicht alle sozio-kulturellen Gruppen gleichermaßen an den Prozessen der Globalisierung Anteil haben. Insofern lassen sich Appadurais (1990) „ethnoscapes“ auch als Form ungleicher Verteilung von Ressourcen verstehen: während die Massentouristen der Wohlstandsgesellschaften nicht nur die Kultur fremder Länder konsumieren, versuchen viele Mitglieder dieser ärmeren Gesellschaften ihre Arbeitskraft durch Migration in jene Wohlstandsgesellschaften zu veräußern. Die transnationalen Bewegungen von Menschen, Geldern und Technologien äußern sich in neuen Formen der Armut in westlichen Gesellschaften ebenso wie in nicht-westlichen Gesellschaften durch eine „Topografie der Ausbeutung“ (Hardt/Negri 2004: 186): „Wir leben in einem System globaler Apartheid. Dabei sollte jedoch klar sein, dass Apartheid nicht einfach ein System der Exklusion ist, so als würden unterdrückte Bevölkerungsteile schlicht als wertlos und entbehrlich ausgeschlossen. Im globalen Empire von heute ist Apartheid, wie früher schon in Südafrika, ein produktives System hierarchischer Inklusion, das den Reichtum der Wenigen durch die Arbeit und die Armut der Vielen perpetuiert. Der globale politische Körper ist damit auch ein ökonomischer Körper, der durch die globale Arbeits- und Machtverteilung bestimmt ist.“ (Hardt/Negri 2004: 188)
Die sozio-kulturelle ‚Peripherie‘ ist somit nicht länger außerhalb westlicher Länder verortet, vielmehr haben sich neue ‚Zentren‘ und neue ‚Peripherien‘ entwickelt. Doch diese sind durch die Veränderungen eines flexibler gewordenen Kapitalismus weniger leicht zu verorten als ehedem. Nichtsdestotrotz sind die Landschaften der Macht keineswegs gleichmäßig über den Globus verteilt. Trotz der neueren Fokussierung der Kulturwissenschaften auf globale Räume und Mobilität sollten wir nicht vergessen, dass all dies auch weiterhin im Rahmen ungleicher Machtverhältnisse geschieht und dass diese Prozesse nicht selten an Zäunen und Häfen enden. Oder, wie Soja (1996: 87) in Bezug auf die Verortung globaler Ungleichheit schreibt: „‚We‘ and ‚they‘ are dichotomously spatialized and enclosed in an imposed territoriality of apartheids, ghettos, barrios, reservations, colonies, fortresses, metropoles, citadels, and other trappings that emanate from the centerperiphery relation.“ Die „power geometry“ (Massey 1993) hat zwar ihre geographischen Verortungen im Laufe der Zeit verlagert, doch Migration und Di40
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aspora führen nur zu einer Veränderung der Verteilung globaler Apartheid, nicht zu ihrer Aufhebung. Zur Konzeptualisierung einer kritischen ethnologischen Theorie der Globalisierung müssen diese Entwicklungen ebenfalls in Betracht gezogen werden, wobei auch postmoderne und postkoloniale Raumbegriffe und Konzepte in ihrer bisherigen Auslegung kritisch hinterfragt werden müssen. Insofern stellt sich auch die Frage, ob die gegenwärtig sehr starke kulturwissenschaftliche Schwerpunktsetzung auf mobile kulturelle Praxen der Heterogenität (post)moderner Lebensstile und Alltagspraxen gerecht wird? Wer sind eigentlich die mobilen kulturellen Gruppen, welche die Ethnologie der letzten 20 Jahre so stark beeinflussen und inwiefern sind diese überhaupt repräsentativ für die Konzeptualisierung neuer Lebenswelten?
Hochmobil? Die Komponente der veränderten Machtbeziehungen zwischen Zentren und Peripherien, aber auch die Produktion neuer Formen von Armut weltweit, lassen die Beziehungen zwischen kulturellen, sozialen und räumlichen Distanzen in einem anderen Licht erscheinen. Die kosmopolitischen Räume und hybriden Identitäten der sogenannten globalen Welt nährten die Illusion von sozialer und kultureller Veränderung, von einer geringer gewordenen Determinierung durch Kultur und Gesellschaft, von einer Wahlmöglichkeit der Lebensstile, die durch verschiedene Gesellschaftstheorien der Individualisierung (vgl. beispielsweise Beck 1986; Schulze 1993) noch verstärkt wurden. Die Attraktivität von transnationalen Thematiken für die Ethnologie und andere Kulturwissenschaften liegt insbesondere im Erklärungspotential für kulturelle Gemeinschaften, die nationale oder ethnische Gruppen über staatliche Grenzen hinweg verbindet. Die Betonung liegt hierbei auf einer grundlegenden Vorstellung der Ähnlichkeiten von und Verbindungen zwischen deterritorialisierten Gemeinschaften beziehungsweise in der Beziehung zu einem konkreten Herkunftsort im Falle von transnationalen Gemeinschaften oder zu einem „imagined homeland“ (Gupta/Ferguson 1997b: 39) im Falle von DiasporaGemeinschaften. Diese Aspekte waren und sind häufig immer noch der Fokus von Untersuchungen zum Thema Diaspora. Doch der Gegenstand dieser Untersuchungen ist dabei etwas schwammig. Es mangelt dem wissenschaftlichen Diskurs an klaren Definitionen. So werden beispielsweise türkische Migranten in Deutschland von unterschiedlichen AutorInnen einmal als Diaspora-Gemeinschaft (vgl. Kaya 2001) und einmal als transnationale Gemeinschaft (vgl. Kosnick 2004) betrachtet. Insbesondere Cliffords (1994) Hinweis, Diasporas würden häufig nur einen Teil der von Safran (1991) aufgeführten Merkmale aufweisen, machen die Abgrenzung zu anderen transnationalen Beziehungsgefügen schwierig. Dies führte zu einem geradezu inflationären Gebrauch des 41
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Konzeptes. Auch Kokot (2002) beschäftigt sich mit diesen Fragen und kommt zu dem Schluss, dass mit Prozessen der Delokalisierung sehr unterschiedliche Erfahrungen verbunden sein können, die nicht notwendigerweise zu einem tatsächlichen Diasporabewusstsein führen. Diaspora betrachtet sie daher als wissenschaftliches Konzept, welches auf die Überbewertung von Mobilität im akademischen Diskurs zurück zu führen ist: Die „regelrecht gefeierte Loslösung von lokalen Bindungen (Bhabha 1994, Clifford 1994), für welche die ‚Diaspora‘ angeblich einen Prototyp darstellt“ (Kokot 2002: 106) kann, so ihre Kritik, empirisch nicht bestätigt werden. Schwalgin (2004: 76) sieht einen möglichen Grund für die Betonung einer tendenziellen Superiorität von Mobilität in diesen Diskursen als begründet in der persönlichen Erfahrung der Autoren und den „positive effects of mobility from their own experiences as members of a diaspora and/or members of a transnational academic community. But for priviledged academics, this experience of ‚being on the move‘ is quite different form that of Armenian migrants […].“ Die Durchsetzungskraft deterritorialisierter Konzepte in der Ethnologie, aber auch der Cultural Studies und anderen Wissenschaften, hängt eben nicht nur mit einer gesteigerten Bewegung beziehungsweise einer grundsätzlich positiven Bewertung von Mobilität zusammen, sondern auch mit der wachsenden Zahl von Autoren, sowohl Literaten als auch Wissenschaftlern, die den (post)kolonialen ‚Anderen‘ nun anstelle des Ethnologen repräsentierten. Obwohl sich diese Quellen selten empirisch mit postkolonialen Lebensstilen auseinandersetzen, fließen sie gleichsam als ‚Informanten‘ in die ethnologische Wissensproduktion ein. Mit dieser Einbeziehung postkolonialer ebenso wie durch Migrationserfahrungen geprägter Literatur als Datenquelle für wissenschaftliche Texte (vgl. Rosaldo 1993; Clifford 1997a, dazu kritisch van der Veer 1997; Fabricant 1998) wurden gleichzeitig auch hegemoniale Diskurse in der Ethnologie hinterfragt: „This transformation of ‚our‘ objects of analysis into analyzing subjects most probably will produce impassioned, oblique challenges to the once-sovereign ethnographer“ (Rosaldo 1993: 147). Das Auftreten dieser neuen postkolonialen/postterritorialen/postnationalen Subjekte im wissenschaftlichen Diskurs verstärkte das Interesse an kultureller Mobilität und den damit verbundenen Lebensstilen beispielsweise in der Diaspora. Die dringend notwendige, klare qualitative Unterscheidung delokalisierter kultureller Gruppen in transnationale Gemeinschaften, DiasporaGemeinschaften und andere mobile Gruppen wie Touristen wird dabei leider erst in den letzten Jahren unternommen (vgl. Kokot 2002; Kokot/Tölölyan/ Alfonso 2004). Denn die häufig beschriebene Heterogenisierung von Identitäten und die Erfahrungen von Mobilität verbinden Diaspora-Gemeinschaften diskursiv durchaus auch mit anderen mobilen, transnationalen Gruppen, wie beispielsweise dem Reisenden bei Clifford (1992). Die möglichen Konsequenzen einer Loslösung von lokalen Bindungen und der aktuelle Kontakt mit 42
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dem Heimatland oder anderen Lokationen der Diaspora hängt allerdings auch von Faktoren wie Bildung, finanzieller Unabhängigkeit, aber auch von der Existenz transnationaler Netzwerke ab. Die Kritik an einer „unthinking assumption that cultures always flow into patterns congruent with the borders of essentially homogenous nation states“ (Gilroy 1996:5) und die Einbeziehung ‚anderer‘ postkolonialer, diasporischer und transnationaler Stimmen in den wissenschaftlichen Diskurs war zwar angesichts der Existenz mobiler beziehungsweise deterritorialisierter kultureller Räume notwendig und richtig, allerdings wurden die tatsächlich existierenden Möglichkeiten und Bedingungen zur Ausbildung solcher delokalisierter Gemeinschaften selten in den Blick genommen. „Diaspora-Identitäten“ werden so als „weitgehend homogen und stabil angesehen“ und „soziale Beziehungen und Gemeinschaftsbewusstsein als Mitglieder einer Diaspora werden quasi als prä-existent vorausgesetzt“ (Kokot 2002: 101). Die Zugehörigkeit zu einer als homogen konzipierten transnationalen Gemeinschaft – sei es eine ‚türkische‘, ‚armenische‘ oder ‚indische‘ – wurde so nicht unbedingt nach spezifischen Merkmalen der Diaspora untersucht, sondern diese wurden bereits im Vorfeld den Untersuchten Gruppen zugeschrieben. Dadurch wird auch die mögliche Ausbildung einer spezifischen Bindung zur Residenzgesellschaft im wissenschaftlichen Diskurs häufig vernachlässigt. Die Heterogenität von Diaspora-Erfahrungen (vgl. Olwig 2002) und die Rahmenbedingungen transnationaler Existenzen (vgl. Soysal 1994, 1997) haben tatsächlich wenig gemein mit der schönen neuen Welt des Reisens, des Kosmopolitismus und der Hybridität, wie sie häufig den kulturwissenschaftlichen Diskurs der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts dominierten. Die Produktion von imaginierten transnationalen Gemeinschaften ist tatsächlich sehr komplex, wobei kosmopolitisch beziehungsweise multikulturell orientierte kulturelle Praxen neben Formen reaktionärer Orientierungen am Heimatland existieren (vgl. Kosnick 2004). Auch der Zustand „in-between“ (Bhabha 1994) äußert sich für hybride Existenzen oftmals eher im Sinne vom Ausschluss aus zwei kulturellen Praxen: So sind in Deutschland aufgewachsene Personen mit türkischem Migrationshintergrund Almanci (Deutschländer) für Türken in der Türkei, bleiben aber ‚Türken‘ für die Deutschen. Besonders die sprachlichen Fähigkeiten dieser Deutsch-Türken werden nicht nur in der Residenzgesellschaft bemängelt, sondern führen auch zum Ausschluss aus transnationalen Praxen, sofern ein korrektes türkisch verlangt wird (vgl. Kosnick 2004). In den letzten Jahren wird so deutlich, dass für unterschiedliche ethnische, nationale und soziale Gruppen die Erfahrung von und der Umgang mit Mobilität, Transnationalität und Diaspora sehr unterschiedlich verläuft. Es zeigt sich, dass die geradezu exemplarische physische Mobilität beziehungsweise Delokalisierung im Prinzip nur für privilegierte Gruppen erreichbar ist. Die Vorstellung eines ideellen kulturellen Raums beziehungsweise einer Entor43
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tung von Kultur, welche so als relativ homogene und sozialer Realitäten enthobene Erfahrung von Mobilität erscheint, und die in der Literatur der kulturellen Zwischenräume beschworen wird, trifft in dieser Form nicht zu. So verweist Fabricant (1998) auch darauf, dass die Vehikel vermehrter Mobilität keineswegs eine Freiheit von – sich auch räumlich manifestierenden – Restriktionen auf Grund von Klassen- oder ethnischer Zugehörigkeit darstellen. Bereits die Bedingungen des Reisens, so Fabricants Argument, unterscheiden sich wesentlich zwischen postkolonialen Reisenden Erster Klasse und Flüchtlingen der Dritten Klasse. Hier manifestieren sich soziale Grenzen auch in einer Zonierung des materiellen Raums. Auch die transitorischen Orte des Reisens und die „translocalities“ (Appadurai 2003) der Migranten unterliegen häufig massiven Beschränkungen von persönlicher Bewegungsfreiheit und Restriktionen des Zugangs. Die sich global manifestierenden Geographien der Apartheid äußern sich also auch in der Praxis des Reisens beziehungsweise im sozialen Status von Migranten in der Residenzgesellschaft. Mobilität erfordert dabei neben finanziellen Mitteln auch den ‚richtigen‘ Pass in Bezug auf Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen. In Deutschland beispielsweise werden Migranten heute formal-juristisch sehr unterschiedlich behandelt. Die Herkunft aus einem Land der europäischen Union macht auf Grund der Freizügigkeitsregelungen innerhalb der EU eine ständige Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung nicht nötig. Spätaussiedler, sogenannte Russlanddeutsche, erhalten qua ius sanguinis wesentlich problemloser einen deutschen Pass als in Deutschland geborene Migranten türkischer Herkunft. Andere Länder regeln Aufenthaltsbedingungen beispielsweise anhand spezifischer Anforderungen bezüglich Ausbildung oder Vermögen, wie etwa Neuseeland oder Australien. Obwohl also in den Erzählungen des Delokalisierungsdiskurses räumliche Grenzen überwunden zu sein scheinen, sind sozio-kulturelle Grenzen, die sich durch den jeweiligen Zugang zu ökonomischem oder sozialem Kapital ergeben, weiterhin sehr real. Die Ideale des Reisens und der Mobilität, die über postkoloniale, diasporische oder transnationale Autoren auch in ethnologische Diskurse Eingang gefunden haben und einen Trend zur Erforschung scheinbar delokalisierter kultureller Praxen ausgelöst hat, bedarf also dringend einer Korrektur. Im Folgenden konzentriere ich mich daher insbesondere auf lokale Manifestationen sozio-kultureller Prozesse der Gegenwart.
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Kapitel 2 Multi-ethnische urbane Räume
Insbesondere sogenannte „global cities“ (vgl. Sassen 1991) oder die bereits erwähnten „world cities“ (vgl. Hannerz 1996) werden mit Prozessen der Delokalisierung, des Transnationalismus und der Globalisierung in Verbindung gebracht. Weltstädte beziehungsweise globale Städte sind dabei nicht nur Zentren ökonomischer und kultureller Macht, sondern auch die lokalen Manifestationen verschiedenster Entwicklungen der Gegenwart. Dabei ist es allerdings unklar, welche Städte diesen Status inne haben – so thematisiert beispielsweise Sassen (1991) London, New York und Tokyo, Featherstone (2002) hingegen zählt auch Bombay, Singapur und Sao Paolo zu den globalen Städten. Ebenso unklar ist, welche Kriterien für die Vergabe dieses Etiketts erfüllt sein müssen. Ist Berlin beispielsweise eine globalere Stadt als Frankfurt? Ist der kulturelle oder der ökonomische Einfluss entscheidender für diese Einordnung? Und was ist mit den unzähligen industriellen oder mittlerweile postindustriellen mittelgroßen Städten, die eine besondere Anziehungskraft auf Arbeitsmigranten ausübten – welchen Veränderungen und Entwicklungen bedingt durch jene globalen, transnationalen Prozesse sehen sich diese gegenüber? Auch der Geograph Edward Soja (1997) beschäftigt sich mit diesen Fragen und entwickelt in diesem Zusammenhang das Konzept der „Postmetropolis“. Dieser Begriff umschreibt gegenwärtige Formen städtischen Lebens, die noch von weiteren „post-prefixed-terms“ (1997: 20) wie Postfordismus, Postkolonialismus und Postindustrialismus gekennzeichnet sind. In graduellen Abstufungen finden sich diese Entwicklungen, so Sojas These, in Städten rund um den Globus. Hier wird also nicht die Weltstadt, sondern die Stadt an sich als materielle Manifestation verschiedenster sozialer, ökonomischer und kultureller Veränderungen der Gegenwart betrachtet. Damit kritisiert er auch eine Hierarchisierung von Städten, wie sie beispielsweise durch das Konzept 45
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der Weltstädte vorgenommen wird. Die graduelle Abstufung bei der Zuschreibung der Bedeutung urbaner Räumen betrachtet er als Folge einer Überbewertung spezifischer, lokal verorteter Wirtschaftsbereiche im zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskurs. Als Beispiele solcher kleinräumigen Ansammlung von Schlüsselökonomien, die das Image ganzer Städte bedingen, nennt er die Wall Street in Manhatten und die City in London (Soja 1997: 25). Die Postmetropolis ist damit anders als bei Sassen, Hannerz und Featherstone weniger eine spezifische Lokalität, sondern vielmehr ein Set von Entwicklungsprozessen. Soja identifiziert dabei sechs Diskurse, welche die Postmetropole betreffen: Der Begriff „Flexcity“ bezieht sich auf die zunehmende Flexibilisierung von Warenproduktion und Arbeitsmarkt, mit „Exopolis“ bezeichnet er die strukturellen Veränderungen in Bezug auf das territoriale Ausufern der Städte. Neue Formen sozialer Ungleichheit fasst Soja unter dem Begriff „Metropolarities“ zusammen, die Entstehung neuer Sicherheitszonen in den Städten wird von ihm als „Carceral Archipelagos“ bezeichnet. Die Transformationen von Imaginationen über die Stadt umschreibt er mit dem Begriff „Simcity“. Von besonderer Bedeutung für dieses Kapitel ist allerdings das Thema der „Cosmopolis“, welches sich auf die „globalisation of urban capital, labour and culture“ (Soja 1997: 22) bezieht. Dieses Gerüst der Kosmopolis soll die im Folgenden diskutierten kulturwissenschaftlichen Debatten zum Thema urbaner Entwicklungen unter dem Gesichtspunkt einer „spatiality of globalisiation“ und den damit einhergehenden „cultural politics of identity and difference being spawned in global cities“ (Soja 1997: 25) in den Blick nehmen. Denn innerhalb der ethnologischen Stadtforschung wird die Bedeutung der Transformationen von Städten durch globale Entwicklungen zwar thematisiert, allerdings aus einer sehr spezifischen Perspektive: Gerade die Koexistenz verschiedener ethnischer Gruppen gilt hierbei neben weiteren Formen kultureller und sozialer Differenzierung und der Existenz delokalisierter kultureller Praxen als wesentliches Merkmal urbanen Lebens (vgl. Hannerz 1996: 128–132). Häufig wird dabei die Bedeutung der Stadt als „Behälter importierter Kulturenvielfalt“ (Welz 1996: 139) in den Blick genommen. Ein zentraler Begriff ist auch hier das Konzept des Kosmopolitismus, dem in aller Regel eine wichtige Bedeutung in Hinblick auf die kulturelle Heterogenisierung von Städten zugeschrieben wird. Eine der gängigsten Definitionen des Kosmopoliten findet sich bei Hannerz (1996: 103–106), der zwischen drei Typen sozial-räumlicher Orientierung im Sinne Lefebvres (1991) unterscheidet. Hannerz differenziert hierbei nicht zwischen nationalen und transnationalen Lebenswelten, sondern zwischen „locals“, „cosmopolitans“ und anderen mobilen Gruppen wie Touristen oder Migranten. Es handelt sich bei Hannerz’ Kosmopoliten also um professionelle, transnational agierende Individuen wie Ingenieure und Journalisten und keineswegs um den ‚durchschnittlichen‘ Arbeitsmigranten. Kosmopoli46
KAPITEL 2 – MULTI-ETHNISCHE URBANE RÄUME
tismus wird hierbei betrachtet als „an orientation, a willingness to engage with the other“ (Hannerz 1996: 103). Gleichzeitig zeigt ein Kosmopolit nach dieser Definition kein Interesse an Integration oder Assimilation: „The cosmopolitan may embrace the alien culture, but he does not become committed to it. All the time he knows, where the exit is“ (Hannerz 1996: 104). Kosmopolitismus kann in diesem Zusammenhang im Wesentlichen als eine Lebensart betrachtet werden, die sich an fremden kulturellen Formen orientiert, ohne diese zu übernehmen. Vielmehr wird die entsprechende kulturelle Praxis der ihn umgebenden „locals“ (Hannerz 1996: 111) quasi von ‚außen‘ wahrgenommen. Diese Konzeptualisierung des Kosmopoliten ist allerdings nicht unumstritten. Werbner (1999: 17) betrachtet Hannerz’ Definition als gekennzeichnet durch „a hidden Eurocentric and class bias“ und plädiert für die Verwendung des Begriffes auch für Personen, die nicht Teil einer globalen „new cosmopolitan elite“ (Friedman 1999: 236) sind: „Cosmopolitanism, in other words, does not necessarily imply an absence of belonging to more than one ethnic and cultural localism simultaneously. This is as true of working class cosmopolitans as it is of third-world intellectual elites who produce the kind of hybrid artistic products – books, films, art – which have so far been the main focus of scholarly attention“ (Werbner 1999: 34). Im Gegensatz zu der von Hannerz’ vorgenommenen Typisierung in Angehörige lokaler, kosmopolitischer oder anderer mobiler Lebenswelten, rekurriert Werbner hier auf die Simultanität von kosmopolitischen, transnationalen und lokalen Identitäten. Obwohl sich spezifische Tendenzen zu einer Differenzierung zwischen einer „transnational diaspora“ beziehungsweise einer „cosmopolitan diaspora“ (Werbner 1999: 28) durchaus abzeichnen, schließt laut Werbner die Zugehörigkeit zu einem Typus nicht die simultane Beziehung zu anderen Lebenswelten aus. Vielmehr sind transnationale und kosmopolitische Ausrichtungen eingebettet in komplexe Netzwerke, wie Werbner am Beispiel von Heiratsregelungen und Verwandtschaftsdynamiken in der pakistanischen Diaspora zeigt. Da sich der Zustand einer kulturellen Liminalität und die Frage nach der Identität, insbesondere von Migranten der zweiten Generation, teilweise als Suche nach alternativen Räumen zwischen den Kulturen artikuliert, eröffnet sich noch ein weiterer Aspekt dieses Konzepts. Der Begriff Kosmopolitismus wird dabei auch in Alltagdiskursen verwendet, um beispielsweise ein spezifisches Verhältnis zwischen Herkunfts- und Residenzkultur zu beschreiben, da er die Existenz von Zwischenräumen und delokalisierten kulturellen Formen zu fassen vermag. So beschreibt die deutsch-türkische Rapperin Azize-A ihr Verhältnis zwischen den Kulturen folgendermaßen: „I attempt to erase the question ‚are we Turkish or German,‘ and announce that we are multi-kulti and cosmopolitan. I want to show that we are no longer sitting between the two chairs, we have got a ‚third chair‘ between those two“ (Kaya 2001: 40). 47
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
Hier wird Kosmopolitismus im eigentlichen Wortsinn verstanden – als Konzept eines Weltbürgertums. Insofern wird er hier gleichsam als Antithese zur einen oder anderen nationalen Identität verstanden.1 Schiffauer (2003) identifiziert in diesem Zusammenhang insbesondere Stadträume als Verortungen kosmopolitischer Identitäten von Migranten. Ausführlicher beschäftigt sich Haller (2004) mit der Bedeutung von Städten als lokale Manifestation kosmopolitischer Lebensformen, welche er am Beispiel von spezifischen urbanen Strukturen des Mittelmeerraums diskutiert. Haller argumentiert, dass Lokalitäten – insbesondere Städte – im Mittelmeerraum durch Formen eines „local cosmopolitanism“ (Haller 2004: 39) gekennzeichnet sind. Insbesondere historische Hafenstädte betrachtet er als Zentren dieses mediterranen Kosmopolitismus, als materielle Manifestationen von Homi Bhabhas „third space“ (1994; vgl. Haller 2004: 37). Dieser „third space“ ist im Wesentlichen ein Raum, der von Hybridität gekennzeichnet ist und sich jenseits kultureller Grenzen befindet. Die Bedingungen zur Entstehung eines dritten Raums sind für Bhabha durch die Veränderungen im Zuge der Postmoderne, des Postkolonialismus und die Entwicklung von Konzepten der „in-betweenness“ und der Grenzkulturen gekennzeichnet. „The wider significance of the postmodern condition lies in the awareness that the epistemological ‚limits‘ of those ethnocentric ideas are also the enunciative boundaries of a range of other dissonant, even dissident histories and voices – women, the colonized, minority groups, the bearers of policed sexualities. For the demography of the new internationalism is the history of postcolonial migration, the narratives of cultural and political diaspora, the major social displacements of peasant and aboriginal communities, the poetics of exile, the grim prose of political and economic refugees.“ (Bhabha 1994: 4f)
Das Eintreten in den „third space“ bedeutet hier eine Überwindung soziokultureller und räumlicher Grenzen, denn die Kultur des „third space“ ist eine „international culture“ (Bhabha 1994: 38; Hervorhebung im Original) jenseits von Nation und Kultur. Der Raum des „third space“ impliziert damit auch die Befreiung von einer Verortung des Fremden im Diskurs über den ‚Anderen‘. Insbesondere der koloniale Diskurs über den ‚Anderen‘ wird hier verstanden als ein Machtapparat, „that turns on the recognition and disavowal of racial/cultural/historical differences. Its predominant strategic function is the creation of a space for a ‚subject‘ peoples through the production of knowl-
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Kulturwissenschaftliche Forschungen zeigen allerdings, dass sich nationale Identifizierungen – beispielsweise Patriotismus – auch bei transnationalen Gemeinschaften finden lassen. Kosmopolitische und nationale Orientierungen stehen sich also keineswegs konträr gegenüber, sondern beide Momente können für postmoderne Identitäten eine Rolle spielen (vgl. Cheah/Robbins 1998).
KAPITEL 2 – MULTI-ETHNISCHE URBANE RÄUME
edges in terms of which surveillance is exercised and a complex form of pleasure/unpleasure is incited“ (Bhabha 1994: 70). Städte bilden also nach Hallers Konzeption Räume, in denen sich lokale, kosmopolitische und mobile Gruppen begegnen. Diese Begegnung wird hier als Interaktion betrachtet, die durch die Bedingungen des „third space“ gewährleistet wird. Die Stadt als „third space“ impliziert damit auch die Befreiung des ‚Anderen‘ nicht nur von kolonialen, sondern von diskriminierenden Machtdiskursen überhaupt. Haller betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Administration und Bildungseinrichtungen, die ebenso wie der Hafen in Städten des Mittelmeerraums, ethnische oder religiöse Grenzen zu überwinden vermögen. Dieses Phänomen der Stadt als „third space“ ist allerdings gewissermaßen ein Idealfall, dessen Lebensdauer durchaus begrenzt sein kann. Denn Haller (2004: 41) stellt fest, dass mit dem Erstarken von nationalen Einflüssen im Postkolonialismus kosmopolitische Tendenzen zunehmend als Bedrohung einer nationalstaatlichen Organisation betrachtet werden: „Certain groups, especially the Jews, have again and again been accused of cosmopolitanism (in the sense of ‚world citizenship‘), implying that anyone who is a citizen of the world cannot be a loyal member of the state.“ Insofern ist das Überleben der Stadt als „third space“ stark abhängig von politischen Einflüssen und deren Kontrolle über den urbanen Raum und den in ihm lebenden Subjekten. Die Stadt als Raum des ‚Anderen‘ ist damit auch ein umkämpftes Terrain und eingebunden in spezifische Machtstrukturen. Die besondere Beziehung von Wissen, Raum und Macht, die auch in Stadträumen eine zunehmende Rolle spielt – man denke hier beispielsweise an die Debatten zum Thema Videoüberwachungen oder die Entstehung sogenannter Gated Communities – findet sich zunächst bei Michel Foucault (1994) im Konzept des Panoptismus. Im Interview von Paul Rabinow mit Michel Foucault (Rabinow 1984) wird dieser Zusammenhang aber auch in Bezug auf die Stadt deutlich: Denn Kontrolle über den Raum versteht Foucault als ein Merkmal der Macht und ist somit mit deren Mechanismen verbunden. Die Kontrolle über den materiellen Raum ist dabei in erster Linie eine Konsequenz anderer Machtdiskurse. So wurden diesbezügliche Praktiken wie Architektur und Stadtplanung seit dem 18. Jahrhundert politisch als Mittel zur Kontrolle über den menschlichen Körper instrumentalisiert: „One begins to see a form of political literature that addresses, what the order of a society should be, what a city should be, given the requirements of the maintenance of order; given that one should avoid epidemics, avoid revolts, permit a decent and moral family life, and so on“ (Foucault, cf. Rabinow 1984: 239). Diese Form der politischen Organisation von Raum2 erfordert zunächst einmal das Wissen über die 2
Günzel weist darauf hin, dass Foucaults Raumverständnis in diesem Sinne kein topographisches, sondern vielmehr ein topologisches ist: „Behördliche Registratur, architektonische Vorgaben und körperliche Erfahrung sind im euklidischen 49
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entsprechend zu kontrollierenden Objekte. Ebenso wie nach Bhabha (1994: 70f) der koloniale Diskurs „produces the colonized as a social reality which is at once an ‚other‘ and yet entirely knowable and visible“ wird nach Foucault der menschliche Körper an sich den Mechanismen der Macht unterworfen. Das Konzept der Stadt oder städtischer Räume als „third space“ – als ein Raum, in dem der ‚Andere‘ nicht repräsentiert wird, sondern sich selbst repräsentieren kann und den ihn betreffenden ‚nationalen‘ Diskurs überwindet – ist letztlich in der Gegenwart ebenso wie in der Vergangenheit ein verhältnismäßig seltenes Phänomen. Die Zwischenräume, in denen auch der idealtypische Kosmopolit zu Hause ist und die zur Überwindung der räumlichen und sozialen Enge einer sich territorial manifestierenden Apartheid beitragen sollen, unterliegen in der Regel durchaus spezifischen Konventionen und Restriktionen. Ihre räumliche Kontrolle geht durch Prozesse der Inklusion beziehungsweise der Exklusion des ‚Fremden‘ in den Städten vonstatten. Diese Prozesse wirken sich lokal sehr unterschiedlich auf den Stadtraum aus, auch wenn sie mit urbanen Metropolen als ganzen in Verbindung gebracht werden. In der Regel zeigt sich jedoch eine starke Differenzierung des Stadtraums: die Orte des Konsums kosmopolitischer Lebensstile sind dabei häufig räumlich und sozial weit von Lebensräumen ‚anderer‘ kultureller Praxen entfernt. Die jüngeren Veränderungen der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes führen heute zudem zu einer verstärkten Verarmung von verschiedenen Bevölkerungsgruppen, wobei besonders ethnische Minderheiten und Migranten von diesem Phänomen betroffen sind. Die Auswirkungen dieser Entwicklungen äußern sich auch in der räumlichen Struktur der Stadt und führen, so Sassen (1991) zu einer „spatial polarization“, die zwar in „global cities“ besonders stark ausgeprägt ist, sich allerdings mittlerweile als ein generelles Phänomen urbaner Räume darstellt. Denn dass dieses Phänomen der sozialen Segregation längst auch in den übrigen Städten angekommen ist, zeigt sich an der Zunahme von Exklusionsprozessen beispielsweise auch in deutschen Städten, die häufig mit Sicherheitsdiskursen verbunden sind (vgl. Wehrheim 2002).3 Diese innere Differenzierung des Stadtraums und die daraus resultierenden territorialen Grenzen wirken sich auf unterschiedliche sozio-kulturelle Gruppen sehr differenziert aus. In den Kultur- und Sozialwissenschaften haben sich bei der Interpretation dieser Grenzen verschiedene Zugänge entwickelt, die im Folgenden näher erläutert werden sollen.
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Raum getrennt, in topologischer Hinsicht aber sind sie nur Transformationen ein und desselben Relationsraumes“ (2005: o. Seitenangabe). Die Konzentration einzelner Bevölkerungsschichten auf spezifische Stadtgebiete ist allerdings kein neues Phänomen, sondern zieht sich durch die Kulturgeschichte der Stadt (Gunn 2001).
KAPITEL 2 – MULTI-ETHNISCHE URBANE RÄUME
‚Fremde‘ in Theorie und Praxis der Stadt Die Stadt der Gegenwart setzt sich zusammen aus sehr unterschiedlichen Bestandteilen, die ähnlich dem Konzept des kulturellen „mosaic“ (Hannerz 1998, Barth 1993) zu den Facetten einer Metropole beitragen. Entsprechend hat sich in unterschiedlichen Disziplinen ein differenzierter Umgang mit diesem Phänomen entwickelt: In Anlehnung an die Traditionen der Stadtsoziologen in den USA und der ethnologischen Feldforschung wurde und wird immer noch häufig ein Konzept der face-to-face-Gemeinschaft beziehungsweise der kulturellen community zur Erforschung von Minderheiten in der Stadt genutzt. Dabei wird, insbesondere bedingt durch Segregationsprozesse, die ethnische Gemeinschaft mit einer spezifischen lokalen Nachbarschaft in Verbindung gebracht, welche häufig auch gleichzeitig den Lokus für transnationale Kulturen bildet. Dieses Konzept der Gleichsetzung zwischen Kultur und Lokalität wird seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zunehmend aufgeweicht. In der Ethnologie ist dabei insbesondere die Erforschung von dorfartigen Strukturen in der Stadt Ursache für Kritik. Besonders die Stadtethnographie bemängelte das unreflektierte Verhältnis zwischen „Anthropology in the City“ versus „Anthropology of the City“.4 Diese Kritik bezieht sich im Wesentlichen auf die vormals gängige Wahrnehmung der Stadt als „encapsulation“ des „urban villager“ (Hannerz 1980: 256) anstatt die Stadt als Ganzes in den Blick zu nehmen. Eine ähnliche Klage äußert auch Lindner (1998: 14) in Bezug auf die herkömmliche Stadtethnologie, welche „Forschungswerkzeuge aus den klassischen Feldern in den Stadtraum transferiert“ anstatt die Bedingungen der Stadt als eigenständige „Lebensform“ zu konzipieren. Auffällig ist hierbei allerdings die in der ethnographischen Stadtforschung auch weiterhin häufig praktizierte Gleichsetzung von Lokalität mit ethnischer Gemeinschaft und face-to-face-community. Denn trotz dieser Kritik wird die Stadt in der Ethnologie ebenso wie in der Soziologie und anderen Nachbarwissenschaften, die sich mittlerweile der Methodik der Feldforschung bedienen, immer noch häufig als Lebensraum einzelner ethnischer beziehungsweise subkultureller Gruppen untersucht (beispielsweise Lang 1998; Kaya 2001; Wacquant 2001; Bourgois 2003). Die daraus gewonnenen ‚subalternen‘ Einsichten in spezifische, oftmals marginalisierte Gemeinschaften sind keineswegs zu unterschätzen. Diese werden dabei allerdings als sozialräumlich 4
Vgl. Hannerz 1980; Kokot 2000; Lang 1998; Lindner 1993, 1998. Gemeint sind damit ethnographische Forschungen, welche den urbanen Gesamtkontext einbeziehen. Lindner (1993: 101) bezeichnet diesen als „Atmosphäre“ oder „character“ einer Stadt: „Cities too, let’s say Berlin or Frankfurt, are cultures in the anthropological sense, not only their parts, let’s say Berlin-Kreuzberg or Frankfurt-Rödelheim. More than that, the argument would be, that Rödelheim could only be in Frankfurt, Kreuzberg only in Berlin.“ 51
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
weitgehend separiert von der ‚Mehrheitsgesellschaft‘ – aber auch von anderen sozio-kulturellen Gemeinschaften – wahrgenommen, ohne die möglichen Wechselwirkungen zwischen differenten ethnischen Gruppen und unterschiedlichen Lebensstilen in Stadträumen in den Blick zu nehmen. Insofern scheint die Feldforschung auch im urbanen Raum insbesondere durch eine Suche nach dem ‚Fremden‘ begründet zu sein. Das Eintauchen in andere Lebenswelten vermittels der Ethnographie ist somit auch gerade mit einer Stadtforschung kompatibel, „die sich der Stadt als terra incognita, als einem erst zu findenden und zu erfindenden Territorium zuwendet“ (Lindner 2004: 204). Gerade der Bedeutung der Stadt als ‚Cosmopolis‘ wird damit zu wenig Rechnung getragen. Denn das Miteinander differenter ethnischer Gruppen wird dabei häufig aus dem Blick verloren. Dies mag an den entsprechenden nationalen, regionalen und lokalen Bedingungen der Verortung des ,Fremden‘ in der Stadt liegen: Während sich beispielsweise in den USA tatsächlich eine räumliche Segregation von Minderheiten entwickelte, die sich zu Stadtteilen, Vierteln oder Blocks mit einer einzigen ethnischen Gruppe herausbildeten, attestiert Wacquant (2006: 30) eine solch deutliche Entwicklung für Europa nicht: „Es gibt kein türkisches Ghetto in Berlin, kein arabisches in Marseille, kein Surinamesen-Ghetto in Amsterdam und kein karibisches in Liverpool.“ Tatsächlich hätten sich in Europa vielmehr einzelne Stadtgebiete entwickelt, die von einer hohen ethnischen Vielfalt geprägt seien und die nicht die ghetto-typische Inklusion ihrer Bewohner vornehmen. Wacquant (2006: 30) spricht in diesem Zusammenhang von „Antighettos“. Konflikte zwischen ethnischen Gruppen seien in Europa daher eine Folge der räumlichen Nähe und nicht der räumlichen Distanz, wie sie in den USA auftritt (Wacquant 2006: 31). Doch auch in den USA, in denen mono-ethnische Nachbarschaften eher verbreitet sind, hat sich die Konzentration einzelner Gruppen auf spezifische Stadtviertel nicht allerorten gleichermaßen entwickelt. So stellt Davis (2001) fest, dass sich die Zusammensetzung von Latino-Nachbarschaften in Städten der USA graduell unterscheidet. Während es in Los Angeles tatsächlich Gebiete gibt, in denen 90% der Bewohner einen spanischen Nachnamen tragen, finden sich in Stadtgebieten in New York in allen Latino-Nachbarschaften auch große Anteile anderer ethnischer Gruppen. Neben Differenzen in der ethnischen Zusammensetzung städtischer Räume spielen auch soziale Unterschiede für die Konzeptualisierung des ‚Fremden‘ in der Stadt eine wichtige Rolle. Denn die Verteilung von Minderheiten und Migranten im sozialen Raum der Stadt ist auch abhängig vom jeweiligen sozialen Status. Zhou (2005) nimmt daher auch eine feinere Differenzierung vor und unterscheidet zwischen „underclass ghetto“ und „ethnic enclave“: während Ersteres in erster Linie von „native-born minorities“ (Zhou 2005: 138) mit hoher Arbeitslosenquote, geringen sozialen Netzwerken und Rückzugstendenzen auf Grund von Diskriminierungserfahrungen bewohnt wird, ist 52
KAPITEL 2 – MULTI-ETHNISCHE URBANE RÄUME
Letzteres gekennzeichnet durch Migranten der ersten Generation mit starken inner-ethnischen Verbindungen, einer geringeren Armut und einer deutlichen Aufstiegshoffnung. Eine solche Zuordnung lässt sich allerdings an einzelnen Stadtgebieten, wie beispielsweise dem Mannheimer Jungbusch, nur schwerlich treffen: Hier leben Migranten der ersten, zweiten und dritten Generation und es zeigen sich zu unterschiedlichen Zeiten und für differente ethnische Gruppen sowohl Anzeichen einer Enklave als auch eines Ghettos.5 Dies liegt auch an den spezifischen historischen Bedingungen der Verortung von Migranten in Deutschland. In Mannheim wie in anderen deutschen Städten haben sich Konzentrationen einzelner migrantischer Gruppen insbesondere in der Nähe von industriellen Zentren gebildet, doch auch hier handelt es sich in der Regel nicht um mono-ethnische Gebiete. Der hohe Anteil einzelner Nationalitäten an spezifischen Standorten Mannheims lässt sich, so Horn/Lukhaup/Swiaczny (1999: 23), auf die jeweilige Unterbringung in Sammelunterkünften in den 70er Jahren zurück führen. Anders verhält es sich mit den innerstädtischen Wohnlagen: in Mannheim sind die Innenstadtgebiete und die nahe Neckarstadt sehr heterogene und multi-ethnische Stadtteile. Diese Situation resultiert auch aus der spezifischen, teilweise engen Bebauung dieser Gebiete, dem Alter der Bausubstanz und aus historischen Faktoren, auf die im Kapitel 3 noch näher eingegangen wird, welche zu einer negativen Bewertung dieser Wohnlagen und damit zu einer geringen Nachfrage ihres Wohnraums führte. Gleichzeitig spielen auch andere Faktoren bei der Verteilung von Migranten im Stadtraum eine Rolle: „Für den Prozess der Segregation der ausländischen Bevölkerung können unterschiedliche Faktoren verantwortlich gemacht werden. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei die Frage, ob es sich um freiwillige oder erzwungene Segregation handelt. Bei der erzwungenen Segregation spielen die Mechanismen des Wohnungsmarktes und die Zuweisungspraxis für den sozialen Wohnungsbau eine Rolle. Bei der freiwilligen Segregation ist auf die Bedeutung sozialer Netzwerke (u. a. für die Kettenmigration) und die den speziellen Bedürfnissen angepassten Handels-, Dienstleistungs- und sozialen Infrastruktureinrichtungen in ethnisch geprägten Vierteln hinzuweisen (Binnenintegration).“ (Horn/Lukhaup/Swiaczny 1999: 21)
Die empirische Unterscheidung dieser unterschiedlichen Formen der Segregation sei allerdings schwierig, da zwischen „geringer Integrationsabsicht“ und „geringen Integrationschancen“ (Horn/Lukhaup/Swiaczny 1999: 22) nur schwer eine Trennlinie gezogen werden könne. Gebiete wie der Mannheimer Jungbusch waren allerdings schon früh ein Auffangbecken verschiedener Gruppen von Migranten. Zu einer schrumpfen5
Vgl. dazu insbesondere Kapitel 7. 53
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
den alteingesessenen Bevölkerung haben sich dort seit den 50er Jahren insbesondere Türken und Italiener, aber auch Griechen, Jugoslawen (heute Teilgebiete), Spanier, inzwischen aber auch vermehrt Deutschstämmige aus Gebieten der ehemaligen Sowjetunion und Osteuropa hinzu gesellt. Der Jungbusch zeigt daher auch eine spezifische ethnische Verteilung der Wohnbevölkerung, wobei im Vergleich zu anderen Stadtgebieten Griechen, Staatsbürger des ehemaligen Jugoslawien, türkische und noch deutlicher italienische Bewohner anteilig in Bezug auf die Gesamtbevölkerung des statistischen Bezirks überrepräsentiert sind (Horn/Lukhaup/Swiaczny 1999).6 Obwohl es in Mannheim auch andere Gebiete mit einer ähnlich hohen Wohndichte migrantischer Bevölkerung gibt, sticht der Jungbusch durch seinen besonders hohen Anteil dieser Gruppen, der derzeit bei 65% liegt (Statistikstelle der Stadt Mannheim vom 7.12.2008), deutlich hervor. In den Innenstadtbezirken Mannheims reicht lediglich die Westliche Unterstadt mit ihren knapp 60% migrantischer Bevölkerung nahezu an den Jungbusch heran, während in den wohlhabenderen Bezirken der Innenstadt lediglich ein Anteil von etwas über 30% erreicht wird. Der Anteil von Migranten im Jungbusch ist außerdem mehr als doppelt so hoch als der der gesamten Stadt Mannheim. Trotz der verhältnismäßig hohen ethnischen Heterogenität europäischer Stadtgebiete sind also ethnische Gruppen keineswegs gleichmäßig über den gesamten Stadtraum verteilt, sondern es treten lokale Häufungen auf. Diese tatsächlichen oder auch nur scheinbaren lokalen Konzentrationen bestimmter ethnischer Gruppen führen dabei schnell zu Etikettierungen. So werden im hegemonialen Diskurs oftmals einzelne ethnische Gruppen als prägend für Stadtgebiete wahrgenommen. Dabei wird, wie Mandel (2002) im Falle von Kreuzberg zeigt, die de facto existierende multi-ethnische Verteilung in Bezug auf die tatsächliche Wohndichte ausländischer Bevölkerung, insbesondere im öffentlichen Diskurs, jedoch vernachlässigt: Stadtgebiete werden als ‚ethnisch‘ im Hinblick auf eine einzelne oder mehrere ‚ausländische‘ Gruppen dargestellt, wobei die „statistischen Realitäten“ (Mandel 2002: 370) unter Umständen verzerrt dargestellt werden. So entstehen bei der Einstufung von Stadträumen sozusagen blinde Flecken auf der ethnischen Landkarte, wie Mandel am Beispiel des Diskurses über Kreuzberg zeigt: „Mit dieser Wortwahl [Kreuzberg sei ein „nichtdeutscher Lebensraum“; E.B.] wurden auch all die Anhänger einer Alternativkultur und anderen deutschen Bevölkerungsgruppen exkommuniziert, die in Kreuzberg lebten. Sie waren keine ‚richtigen‘ Deutschen mehr“ (Mandel 2002: 370). Die Gleichsetzung von ethnisch mit ‚fremd‘ führt also zu einer 6
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Horn, Lukhaup und Swiaczny (1999) beziehen den Faktor des Migrationshintergrunds bei ihrer Darstellung leider nicht mit ein. Hierdurch könnten sich sicherlich gewisse Abweichungen zu ihrer Analyse der statistischen Zusammensetzung unterschiedlicher Stadtgebiete Mannheims ergeben.
KAPITEL 2 – MULTI-ETHNISCHE URBANE RÄUME
Verzerrung der Darstellung von Orten und Stadträumen, deren tatsächliche statistische Zusammensetzung teilweise aus dem Blick gerät. Die Bewohner dieser Stadtteile werden daher sozusagen von ‚außen‘ als eine nicht-deutsche lokale Gemeinschaft wahrgenommen, die tatsächliche Vielfalt ethnischer Gruppen (wozu ich im Folgenden auch immer die deutsche zähle) und die sich daraus ergebenden heterogenen kulturellen Praxen in solchen Stadtteilen werden häufig übersehen. Die wissenschaftliche Erforschung einer einzigen ethnischen Gruppe an einem spezifischen Ort kann diese Verzerrungen noch weiter verschärfen. Daher ist es notwendig, auch die sozialen Bedingungen vor Ort und die damit verbundenen hegemonialen „Raumbilder“ (Ipsen 1993), die sich über marginalisierte Orte etablieren und damit auch stigmatisierend auf ihre Bewohner wirken, näher in den Blick zu nehmen.
O r t s e f f e k t e u n d d e r s o z i a l e R au m d e r S t a d t Mit den Wirkungen von Vorstellungen über Orte auf deren Bewohner hat sich insbesondere der französische Soziologe und Sozialanthropologe Pierre Bourdieu (1991, 1997) beschäftigt. Das Konzept der „Ortseffekte“ (Bourdieu 1997) ist allerdings auch in seine Theorie des Sozialraums (Bourdieu 1998a, erstmals 1979 in Paris erschienen) eingebunden. Diese gilt mittlerweile – allerdings in adaptierter Form – als wissenschaftliche Ausgangsbasis für gegenwärtige sozialraumorientierte Stadtentwicklungsprogramme wie beispielsweise das Bund-Länder-Programm Soziale Stadt (Soziale Stadt 2000), welche auch im Jungbusch von Bedeutung sind. Auf die Spezifika dieser Programme werde ich zu einem späteren Zeitpunkt näher eingehen. Zunächst soll hier die Relevanz der Bourdieu’schen Sozialraumtheorie in Bezug auf den Stadtraum im Allgemeinen näher in den Blick genommen werden. Das Konzept des Sozialraums schließt sich an seine „Theorie der Praxis“ (Bourdieu 1979) an, in welcher er die Begriffe Habitus und symbolisches Kapital bereits im Anschluss an seine Forschungen der kabylischen Gesellschaft vorweg nimmt. Der Sozialraum ist hier im Wesentlichen ein Raum intrasozialer Beziehungen, welcher sich prinzipiell auf ganz unterschiedliche Gesellschaften anwenden lässt. In „Die feinen Unterschiede“ versucht Bourdieu (1998a) dann eine Theorie der komplexen Gesellschaft zu entwickeln, in welcher die Lebensstile anhand des Habitus als Dispositionssystem und der Verteilung unterschiedlicher Kapitalsorten (ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital) im sozialen Raum positioniert werden. Dieser Raum erhält seine Struktur letztlich durch die Möglichkeit der Transformation einzelner Kapitalsorten in symbolisches Kapital beziehungsweise in deren legitime Formen, wie zum Beispiel Bildungstitel oder Prestige (vgl. Bourdieu 1998a, 1999). Geregelt wird der Tauschwert für einzelne Kapitalsorten in symbolisches Kapital durch das „Feld der Macht“: 55
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
„Das Feld der Macht (nicht zu verwechseln mit dem politischen Feld) ist kein Feld wie die anderen: Es ist der Raum der Machtverhältnisse zwischen verschiedenen Kapitalsorten oder, genauer gesagt, zwischen Akteuren, die in ausreichendem Maße mit einer der verschiedenen Kapitalsorten versehen sind, um gegebenenfalls das entsprechende Feld beherrschen zu können, und deren Kämpfe immer dann an Intensität zunehmen, wenn der relative Wert der verschiedenen Kapitalsorten (zum Beispiel der ‚Wechselkurs‘ zwischen kulturellem und ökonomischem Kapital) ins Wanken gerät; vor allem also dann, wenn das im Feld bestehende Gleichgewicht zwischen jenen Instanzen bedroht ist, deren spezifische Aufgabe die Reproduktion des Felds der Macht ist (im Falle Frankreichs das Feld der Grandes écoles).“ (Bourdieu 1998b: 51)
Entscheidend bei der Sozialraumtheorie Bourdieus ist daher gerade ihr Erklärungspotential für die Produktion und Reproduktion von Hierarchien und Machtverhältnissen im sozialen Raum. Für Bourdieu ist es genau die Wirkmächtigkeit des Feldes der Macht, welche die Bedingungen von Transformationsprozessen, beispielsweise durch die Verknappung des symbolischen Kapitals, vorgibt. Der soziale Raum ist damit die gesellschaftliche Ordnung sozialer Unterschiede, die dem Individuum übergeordnet ist und seine Positionierung darin bestimmt. Der ererbte und erlernte klassenspezifische Habitus, ein System von spezifischen Dispositionen als „strukturierte Strukturen“ und „strukturierende Strukturen“ (Bourdieu 1999: 98) bedingt dabei die sozialen Möglichkeiten, an denen sich die individuelle Zielsetzung und Zukunftsperspektive orientiert. Obwohl die Möglichkeit besteht, die eigene Position durch Aufstieg oder Abstieg zu verändern, ändert sich die Logik des sozialen Raums dabei allerdings nicht. Obschon der soziale Raum zunächst als Metapher verstanden werden könnte, vergleicht Bourdieu in einem Interview sein Konzept auch mit einer geographischen Landkarte. „Dieser soziale Raum besitzt, wie der geographische eine Struktur – es gibt so etwas wie eine gesellschaftliche Topologie: Einige Menschen stehen ‚oben‘, andere ‚unten‘, noch andere ‚in der Mitte‘. Bei der Beschreibung des sozialen Raums verfahre ich wie ein Geograph, der etwa Deutschland in einen Norden und einen Süden einteilt. Der Norden ist eher protestantisch, der Süden eher katholisch. Der Süden kann nun noch weiter eingeteilt werden in Baden-Württemberg, Bayern usw., und jede dieser Regionen lässt sich mit Bezug auf die übrigen Regionen näher darstellen. Wer ‚oben‘ beheimatet ist, dürfte wohl nur in den seltensten Fällen jemanden von ‚unten‘ heiraten. Zunächst einmal sind die Aussichten generell gering, dass sie sich überhaupt treffen. Sollte das einmal geschehen, dann wahrscheinlich nur so en passant, kurz, auf einem Bahnhof oder in einem Zugabteil. Von einem wirklichen Zusammentreffen lässt sich da schwerlich reden. Und sollten sie tatsächlich einmal ins Gespräch kommen, werden sie sich wohl nicht wirklich verstehen, kaum sich eine rich56
KAPITEL 2 – MULTI-ETHNISCHE URBANE RÄUME
tige Vorstellung voneinander machen können. Mit anderen Worten: es gibt so etwas wie einen Raum, der sehr starke Zwänge ausübt.“ (Baumgart 1997)
Entfernungen im sozialen Raum sind nach dieser Erläuterung, ähnlich wie geographische Entfernungen, nur schwer zu überwinden. Aber es ist nicht nur die geographische Distanz zwischen Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein, die ein „Zusammentreffen“ erschwert, es sind auch daran gekoppelte sozio-kulturelle Unterschiede, in diesem Fall unterschiedliche Konfessionen. Man könnte sich aber durchaus vorstellen, dass unterschiedliche Dialekte, kulturelle Praktiken und Gepflogenheiten ebenfalls ein Zusammentreffen beschränken. Diese Effekte betreffen sicherlich nicht nur die nationale Gemeinschaft: Die von Bourdieu beschriebene Verknappung des symbolischen Kapitals in der französischen Gesellschaft betrifft konsequenterweise nicht nur die französische Bevölkerung, sondern selbstverständlich auch die in Frankreich lebenden Migranten. Zudem manifestieren sich diese sozialen Unterschiede eben nicht nur im Sozialraum, sondern auch im materiellen Raum der Stadt. Diese Verortung sozio-kultureller Unterschiede im geographischen Raum zeigt Bourdieu insbesondere in seinem Artikel über „Ortseffekte“: „Ähnlich wie ein Club, der unerwünschte Mitglieder aktiv ausschließt, weiht das schicke Wohnviertel jeden einzelnen seiner Bewohner symbolisch, indem es ihm erlaubt, an der Gesamtheit des akkumulierten Kapitals aller Bewohner Anteil zu haben. Umgekehrt degradiert das stigmatisierte Viertel symbolisch jeden einzelnen seiner Bewohner, der das Viertel degradiert, denn er erfüllt die in verschiedenen gesellschaftlichen Spielen geforderten Voraussetzungen ja nicht.“ (Bourdieu 1997: 166)
Die Logiken des Sozialraums manifestieren sich folglich auch im realen Raum und spielen beim Verständnis gerade von marginalisierten Stadtvierteln und der dialektischen Beziehung zwischen lokalisierter Stigmatisierung und sozial-räumlicher Marginalität eine Rolle. Auch hier zeigt sich die Überlagerung von Zentren und Peripherien in den Landschaften der Macht: Der „physisch verwirklichte beziehungsweise objektivierte Sozialraum“ (Bourdieu 1997: 161) mit der deutlichsten Ausdifferenzierung sozio-kultureller Unterschiede in Frankreich, ist Bourdieu zufolge die Hauptstadt Paris. Trotzdem wird der Sozialraum praktisch überall in die Strukturen des materiellen Raums eingeschrieben. Die Verbindung mit einer spezifischen Lokalität bedingt dabei die Entwicklung des entsprechenden Sozialkapitals, aber auch die Grundlagen für die Ausbildung spezifischen kulturellen Kapitals. Umgekehrt beeinflusst die Position im Sozialraum auch die Verortung im physischen Raum: „Man hat jeweils das Paris (oder die Stadt in der man wohnt) entspre57
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chend seinem eigenen ökonomischen, aber auch kulturellen und sozialen Kapital“ (Bourdieu 1991: 32). Im besten Fall, das heißt durch die entsprechende Zusammensetzung der unterschiedlichen Kapitalsorten, resultiert der Zugang zu exklusiven Lokalitäten wiederum auch in symbolischem Kapital – Bourdieu (1991) spricht hierbei vom „Club-Effekt“. Dieser ist als das Gegenteil des „Ghetto-Effekts“ zu verstehen. Im materiellen Raum findet so eine ständige Auseinandersetzung um „Raumprofite“ (Bourdieu 1991: 30) statt. Gerade der Stadtraum ist somit stark von sozialräumlichen Positionierungen beeinflusst. Die Macht zur Veränderung dieser Verortung sozialer Unterschiede sieht Bourdieu (1991) insbesondere in der Hand des Staates, der vermittels Transformationen in der Wohnungsbaupolitik auf die negativen Entwicklungen in stigmatisierten Vierteln und des daraus resultierenden geringen Zugangs zu legitimen Formen sozialen und kulturellen Kapitals einwirken kann. Insofern scheint die Inkorporierung von Bourdieus Sozialraumtheorie in gegenwärtige Stadtentwicklungsprogramme durchaus logisch. Auch im Jungbusch finden verschiedene Programme Anwendung, auf welche ich im Folgenden näher eingehen werde.
Stadtentwicklung Tatsächlich wird in den gegenwärtigen Programmen der Stadtentwicklung eine Imageverbesserung sogenannter ‚sozialer Brennpunkte‘ und die Erhöhung der sozialen Netzwerke in problematischen Wohnquartieren angestrebt. Stadtentwicklungsprogramme werden hier explizit räumlich konzipiert: Einzelne Straßenzüge, Stadtviertel oder sogenannte ‚Quartiere‘ – die nicht unbedingt historischen Nachbarschaften entsprechen – werden zum Ziel spezieller Aufwertungsstrategien. Der Zugang von einzelnen Quartieren zu Programmen der Stadtentwicklung ist dabei an eine spezifische Konzeption des sogenannten „besonderen Entwicklungsbedarfs“ (Soziale Stadt 2000) gebunden. Dieser ist beispielsweise dann gegeben, wenn sich soziale ‚Problemlagen‘ in bestimmten geographischen Gebieten häufen: Geringes Einkommen der Haushalte, niedriges Bildungsniveau, sogenannte ‚Integrationsprobleme‘, aber auch Verkehrs- und Umweltbelastung und fehlende private Investitionen werden von verschiedenen Programmen als Merkmale für potentielle Zielgebiete genannt (vgl. beispielsweise Soziale Stadt 2000; Wirtschaftsministerium Baden Württemberg 2005; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und Europäische Union o. J.). Auch Mannheim und Ludwigshafen nehmen an verschiedenen Stadtentwicklungsprogrammen teil, was auch am wirtschaftlichen und sozio-kulturellen Hintergrund dieser Städte liegt. Neben Stuttgart ist der Rhein-NeckarRaum, und dabei besonders die industriell geprägten Arbeiterstädte Ludwigshafen und Mannheim, ein wichtiges süddeutsches Zentrum für Einwanderer. 58
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Die Herkunftsländer der Migranten sind vielfältig, für Mannheim und Ludwigshafen wird von über 170 Nationen ausgegangen. In beiden Städten liegt der Anteil ausländischer Wohnbevölkerung bei über 20% (vgl. Gemeinschaftsinitiative URBAN II 2004). Am deutlichsten zeigt sich der Einfluss türkischer, gefolgt von italienischen Migranten. Besonders die Bedeutung des Rhein-Neckar-Raums als traditioneller Industriestandort fungierte als pull factor für die Zuwanderung. Die post-industrielle Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft und die Verlagerung von Produktionsstandorten ins Ausland im Zuge der Globalisierung betreffen allerdings gerade jene Städte, die durch einen hohen Anteil von Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe gekennzeichnet sind. Im Rhein-Neckar-Raum, der insbesondere durch einige global players – wie die BASF in Ludwigshafen, Daimler, Roche, ABB und John Deere in Mannheim – dominiert wird, resultierten diese Entwicklungen in Stellenabbau und erhöhter Arbeitslosigkeit über dem jeweiligen Landesdurchschnitt (vgl. Gemeinschaftsinitiative URBAN II 2004). Mittels Konzepten der Stadtentwicklung suchen diese Städte nach neuen Lösungen für Industriebrache, Arbeitsplatzmangel und anderen städtischen Problemen der Gegenwart. Trotz der geographischen Nähe und der wirtschaftlich ähnlichen Situation zwischen Ludwigshafen und Mannheim, werden beide Städte allerdings nicht nur durch den Rhein getrennt, sondern auch durch ihre Zugehörigkeit zu zwei unterschiedlichen Bundesländern. Dennoch bewarben sich beide Städte gemeinsam für URBAN II, ein Förderprogramm der Europäischen Union, das besonders benachteiligte innerstädtische Gebiete fördern soll. Mit diesem Programm soll „die Entwicklung und Umsetzung besonders innovativer Strategien zur wirtschaftlichen und sozialen Wiederbelebung in einer beschränkten Zahl städtischer Gebiete in ganz Europa unterstützt“ werden.7 Dies umfasst sowohl wirtschaftliche, soziale, umwelt- und sicherheitspolitische sowie infrastrukturelle Interventionen im Stadtgebiet. Durch staatliche Programme wie Soziale Stadt oder europäische Programme wie URBAN wird versucht, eine ökonomische und städtebauliche Entwicklung kleinräumig, das heißt in einem Straßenzug oder in einem Stadtbezirk, voranzutreiben. Auch der Jungbusch ist Teil der Mannheimer URBAN II-Gebiete, zu denen auch Teile der Neckarstadt/West und die westliche Unterstadt gehören, die ebenso wie der Jungbusch eine marginalisierte Bewohnerschaft mit einem hohen Anteil von Migranten, Arbeitern, Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen aufweisen und als wenig bevorzugte Wohnlagen mit einem hohen An-
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„Urban II: Hintergrund“. (http://europa.eu.int/comm/regional_policy/urban2/intr o_de.htm) (12.01.04). Siehe außerdem: „Mitteilung der Kommission an die Mitgliedstaaten vom 28. 04.2000“. (http://europa.eu.int/comm/regionalpolicy/sour ces/docoffice/official/guidelines/pdf /urban _de.pdf) (12.01.04). 59
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teil von Altbauten gelten.8 In diesen Wohngebieten liegt der Anteil ausländischer Bevölkerung über dem städtischen Durchschnitt, wobei der statistische Bezirk Jungbusch als Gebiet mit dem höchsten Anteil ausländischer Wohnbevölkerung im Mannheimer URBAN II-Gebiet mit 64,3% angegeben wird (vgl. Gemeinschaftsinitiative Urban II 2004).9 Der Anteil dieser Gruppe ist seit 1997 rückläufig, während die Zahl der Migranten im Bezirk Jungbusch im Jahr 2008 bei 65% lag (Stadt Mannheim Statistikstelle, Stand 31.12.2008). Der Rückgang von Bewohnern ohne deutschen Pass liegt zum Einen sicherlich an der verstärkten Einbürgerung, zum Anderen ermöglicht die Erfassung von Migranten auch die Einbeziehung von sogenannten Russlanddeutschen. Die Ziele der URBAN II-Förderung liegen in der Stärkung lokaler Wirtschaft, dem Erhalt von lokaler Infrastruktur unter Einbeziehung von Bewohnern zur Förderung „lokaler Identität“ und der Flankierung durch soziale Maßnahmen (vgl. Gemeinschaftsinitiative URBAN II 2004). Doch auch private Investoren sollen durch Subventionen einen Anreiz erhalten, in marginalisierte Stadtgebiete zu investieren. Neben URBAN II ist Mannheim auch Teil anderer Förderungsprogramme der EU und des Bundes, wobei die Grenzen der Fördergebiete jeweils neu verhandelt wurden, weshalb einige Gebiete unter unterschiedliche Förderprogramme fallen (vgl. Hänschke/Schubert/Spieckermann 2003). Eine weitere Förderung von Stadtentwicklungsprozessen durch die EU im Jungbusch stellt das Ziel-2-Programm dar. „Bei Ziel 2 konzentrieren sich die Maßnahmen auf die Förderung von wirtschaftlichen Aktivitäten und die Ansiedlung von Unternehmen in einem attraktiven Umfeld sowie auf die Sanierung industrieller Standorte und vernachlässigter städtischer Gebiete. In den benachteiligten Gebieten werden Investitionen in die gewerbliche Wirtschaft und lokale Infrastruktur angeregt, um dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen“.10 Dabei geht es um die Förderung kleinräumiger Gebiete, die neben EU- und Landesmitteln auch mit städtischen Mitteln beifinanziert werden. Die Ziel-2-Förderung bezieht spezifische Zielgruppen ein, dazu gehören Frauen, Migranten, die Musikwirtschaft und spezielle geographische Fördergebiete, wodurch lokale Synergieeffekte genutzt werden sollen (vgl. auch Hänschke/Schubert/Spieckermann 2003). Im Jungbusch wurden durch dieses Programm beispielsweise der Musikpark und die Popakademie gefördert, wodurch die Chance zur Profilierung Mannheims als ‚Musikhauptstadt‘ kombiniert wird mit den Vorteilen der Ziel-2-Förderung am Verbindungskanal Jungbusch. Gerade der Strukturwan8
Die URBAN II Fördergebiete umfassen auch industrielle Gebiete, die nicht genau mit den Territorien der Stadtteile übereinstimmen. 9 Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 1999. 10 „Was ist Ziel 2?“ (http://www.mannheim.de/io2/browse/Webseiten/Politik% 20&20Verwaltung/%C3%84mter%20&%20Eigenbetriebe/Amt%208%C3%BCr %20) (13.08.05). 60
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del von der industriell geprägten Stadt zur postindustriell geprägten Stadt wird dabei auch als Imagewechsel vollzogen, der den Standort Mannheim für die Ansiedlung neuer Unternehmen attraktiver machen soll. Die Bedeutung der Musikkultur für diesen Prozess erläutert der ehemalige Kulturbürgermeister und derzeitige Oberbürgermeister von Mannheim Dr. Peter Kurz wie folgt: Dr. Peter Kurz: „Das ist ein Thema mit hoher Aufmerksamkeit. Popmusik ist, wie der Name sagt, ein populäres Thema. Und für uns ist es auch ein Imageträger, zu sagen, man verbindet Mannheim mit einer moderneren, positiven Assoziation. Und das strahlt natürlich auch auf andere Bereiche aus. Es ist natürlich ein Unterschied, ob Sie an schlechte Luft denken oder ob Sie an Popmusik denken. Beides ist sozusagen nicht fair und erklärt nicht die Stadt. Aber das Eine schafft Ihnen ein positives Assoziationsumfeld und das Andere ein Negatives.“
Der geplante Ausbau des Verbindungskanals zu einem stadtnahen Freizeitund Naherholungsgebiet spielt bei den Planungen für den Stadtteil eine besondere Rolle. Neben dem Bau des Musikparks als Existenzgründerzentrum und der Popakademie mit Fördermitteln von Stadt, Land und EU stehen bis dato allerdings noch einige weitere der geplanten Großprojekte aus. Der Bau der Turnhalle wurde mittlerweile abgeschlossen, doch der geplante Umbau von Teilen der ehemaligen Kauffmannmühle lässt beispielsweise noch auf sich warten. In Anlehnung an das Bundesprogramm Soziale Stadt wurden in Mannheim außerdem vier Gebiete (Östliche Unterstadt, Herzogenried, Neckarstadt West und Jungbusch11) identifiziert, welche durch ein spezielles Quartiermanagement unterstützt werden. Der spezifische Charakter einer Lokalität, das heißt die Bewohnerstruktur, die Geschichte, die geographische, soziale und kulturelle Lage werden dabei zur Schaffung eines neuen Images und einer neuen lokalen Identität nach innen und nach außen strategisch eingesetzt. Im positiven Sinne kann man dies auch deuten als die Nutzbarmachung lokaler Potentiale. Eine wichtige Rolle spielt dabei der öffentliche Diskurs über den Jungbusch, der sich in den letzten Jahren deutlich verändert hat. Diese Veränderungen resultieren insbesondere aus Kunst- und Kulturaktionen unter Einbeziehung von Bewohnern, hier wird also die Rolle von Künstlern für eine soziale Aufwertung gezielt eingesetzt und auch finanziell unterstützt, wobei die integrative Funktion innerhalb des Stadtteils auch gleichzeitig zur positiven Außendarstellung genutzt wird. Diese Prozesse der Stadtentwicklung, eine an Lokalität ausgerichtete soziale Arbeit und kulturelle Projekte werden von Herrn Gwildis vom Fachbereich Städtebau als „integriertes Handlungskonzept“ bezeichnet: 11 Das Quartiermanagementgebiet Jungbusch umfasst die statistischen Bezirke Jungbusch und Mühlau. 61
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Frank Gwildis: „Ziel ist es eigentlich, ein Quartier, ein entwicklungsfähiges Quartier, zu erhalten – was sich ja heute auch schon in vielen Teilen so darstellt – das lebendig ist. Das multikulturell angelegt ist, das Zukunftsperspektiven für die Bewohnerschaft eröffnet, das Arbeitsmöglichkeiten schaffen wird, das angenehme Aufenthalts- und Freizeitmöglichkeiten bietet, das eine entsprechende Versorgung auch für die Bewohnerschaft darstellt. Das eine gewisse Attraktion auch darstellt für Zuzugswillige, einfach weil das Umfeld entsprechend stimmt. Also wir stellen uns schon so ein lebendiges Stadtviertel vor und nicht eines, das sozusagen so ein bisschen unter der Käseglocke vor sich hindümpelt, beziehungsweise dann auch einfach eingeht.“
Zu diesem Zweck sollen nicht nur neue Ansätze entwickelt und Prozesse angeregt werden, sondern auch eine Ergänzung der bisherigen Bewohnerschaft durch „frisches Blut“ vonstatten gehen: Herr Gwildis: „Damit auch sozusagen dieser bisherige Charakter, der sich in den letzten Jahrzehnten so dargestellt hat – als früheres Rotlichtviertel, beziehungsweise dann als Durchgangsstation auch gerade für viele Migranten – dass diese Tendenz aufgehoben ist. Und die scheint momentan sich sukzessive aufzuheben. Wir haben inzwischen leichte Zuzüge und es gibt auch Interesse bei bestimmten Bevölkerungsgruppen, dort wieder hinzuziehen.“
Um eine Verdrängung von Bevölkerungsgruppen in andere Stadtgebiete zu vermeiden, werden neben einer Investitionsförderung daher im Jungbusch auch Prozesse der Bürgerbeteiligung und die Vernetzung der Bewohner durch das Quartiermanagement unterstützt. Zusätzlich wird allerdings auch versucht, einen Wandel vom sozialen zum sogenannten „kulturellen Brennpunkt Jungbusch“ zu vollziehen.
Simulierte Gentrifizierung „Gentrification ist der Prozeß, in dessen Verlauf zuvor verwahrloste und verfallene innerstädtische Arbeiterviertel für Wohn- und Freizeitnutzungen der Mittelklasse systematisch saniert und renoviert werden.“ (Smith 1993: 183)
Mit welchen Methoden wird also dieser Stadtentwicklungsprozess vorangetrieben? Mittlerweile werden unter anderem mit Hilfe der Subventionierungsprogramme neue Unternehmen und Dienstleister, insbesondere im Bereich Medien, im Jungbusch angesiedelt. Auch im Rahmen eines gesamtstädtischen Entwicklungsprojekts zum Stadtjubiläum im Jahr 2007 kommt dem Jungbusch eine besondere Bedeutung zu: Das mittlerweile umgestaltete Gelände 62
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am Rhein-Neckar-Verbindungskanal, der den Jungbusch vom Hafengebiet abgrenzt, soll als „optische Visitenkarte der Stadt für die aus Norden ankommenden Bahnreisenden“ dienen (Stadt Mannheim 2006). Neben den sogenannten „Impuls- und Leuchtturmprojekten“ (Meier 04/04) – der Popakademie und des Existenzgründerzentrums Musikpark – spielt insbesondere das Speichergebäude der alten Kauffmannmühle am Verbindungskanal eine wichtige Rolle im geplanten Aufwertungsprozess. Hier sollten in Zukunft einmal Lofts als Wohnflächen entstehen. Dieses Gebäude ist bis heute allerdings völlig unsaniert, die Nachfrage nach diesen Lofts muss wohl erst noch durch eine „Imageverbesserung“ (Quartiermanagement Jungbusch o. J.a) angeschoben werden. Dabei wird durch LOS (Lokales Kapital für soziale Zwecke) besonders die Einbindung von Bewohnern in die Prozesse der künstlerischen Gestaltung dieses Images gefördert. Die im Jungbusch statt findende Anbindung von Kunst und Kultur – die auch als wichtige Begleiter von Gentrifizierungsprozessen gelten (vgl. Zukin 1982, 1991, 1995) – an die Prinzipien einer sanften Aufwertung weist damit auch eine gewisse Ähnlichkeit mit diesen Umstrukturierungen von Städten und Nachbarschaften auf. Als Paradebeispiel klassischer Gentrifizierungsprozesse gelten us-amerikanische Städte, allen voran New York (beispielsweise Smith 1993, 1996; Häußermann/Siebel 1993). Die Rückkehr bürgerlicher Bevölkerung in Innenstadtgebiete verlief hier auch deswegen einigermaßen dramatisch, da sich us-amerikanische Innenstädte durch verschiedene Entwicklungen im 20. Jahrhundert oftmals in einem desolaten Zustand befanden. Denn der vorausgegangene Rückzug in stadtnahe Neubaugebiete, insbesondere seitens einer bürgerlichen Wohnbevölkerung, führte zu massiven baulichen und sozialen Veränderungen der Innenstädte. Diese Entwicklungen wurden zum Ende des 20. Jahrhunderts zunehmend kritisch bewertet: Der Wegzug von Wohnbevölkerung und der Ausbau der Verkehrswege in die Stadtzentren führte zu regelrechten ‚Autostädten‘, welche für eine Wohnnutzung immer unattraktiver wurden. Gleichzeitig wurden die Stadtzentren systematisch zugunsten einer gewerblichen Nutzung verändert. Zudem wurde der durch den Trend zum Wohnen im Grünen übriggebliebene Wohnraum in Zentrumsnähe häufig zum günstigen Wohnraum für sozial unterprivilegierte, da es sich in der Regel um wenig sanierte und stark verkehrsbelastete Gebiete handelte. Auch in Deutschland führte die „stadtplanerische Trennung von Wohnen und Arbeiten“ (Funke/Schroer 1998: 228) zu einer Verdrängung von Familien in die städtische Peripherie, während sich Single-Haushalte und andere Lebensund Wohngemeinschaften eher in den Stadtzentren konzentrieren. Dieser Prozess resultierte teilweise sogar in einer praktischen Entvölkerung der Innenstädte. Die zentrumsnahen, unterprivilegierten Gebiete gelangten allerdings zu neuer Prominenz, wobei dieser Vorgang in europäischen Städten etwas ver63
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zögert und unter anderen Rahmenbedingungen statt fand. In den USA, wo bereits in den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ein Trend zum „Loft Living“ (Zukin 1982) einsetzte, wurden im Zuge dieser Entwicklung vormalige Mieter, in diesem Fall insbesondere Künstler, durch ökonomische Prozesse der Mietpreissteigerung aus entsprechenden Gebieten vertrieben. Dieses Phänomen betrachtet Zukin zwar als verwandt mit dem Prozess der Gentrifizierung, dennoch aber als differenziert: Denn Gentrifizierung bedeutet in Anlehnung an den englischen Begriff gentry (Adel) eine Besiedlung eines Gebietes durch Angehörige einer höheren Klasse, was im Fall der Aneignung von Lofts nicht gegeben sei. „Gentrification typically occurs when a higher class of people moves into a neighborhood, makes improvements to property that cause market prices and tax assessments to rise, and so drives out the previous, lower-class residents. However, in the case of lofts, the social class distinctions between old (artist) residents and new (non-artist) residents are somewhat blurred, and the real victims of gentrification through loft living are not residents at all. Before some of the artists were chased out of their lofts by rising rents, they had displaced small manufacturers, distributors, jobbers, and wholesale and retail sales operations. For the most part, these were small businesses in declining economic sectors. They were part of the competitive area of the economy that had been out-produced and out-maneuvered, historically, by the giant firms of monopoly capital.“ (Zukin 1982: 5)
Laut Zukin kann damit der Trend zum Loft nicht als Gentrifizierung im eigentlichen Sinne betrachtet werden. Dies liegt in erster Linie am simplifizierten Klassenkonzept, welches Zukins Definition von Gentrifizierung zu Grunde liegt. Betrachtet man die etwas differenziertere Theorie des Sozialen Raums von Pierre Bourdieu (1998a), so kann beim „Loft Living“ wohl von einer Verdrängung einer Personengruppe mit relativ höherem kulturellen Kapital durch Angehörige derselben Klasse mit relativ höherem ökonomischem Kapital gesprochen werden. Als die eigentlichen Opfer betrachtet Zukin die Unternehmer der unteren Mittelklasse und ihre Angestellten, welche im Zuge wirtschaftlicher Entwicklungen nicht mehr konkurrenzfähig waren, wodurch ein Leerstand entsteht, der zunächst durch Künstler gefüllt wurde: „The main victims of gentrification through loft living are these business owners, who are essentially lower middle class, and their work force“ (Zukin 1982: 6). Streng genommen kann es sich nach Zukins Definition auch hier nicht um Gentrifizierung handeln, gehören doch diese Selbstständigen und Unternehmer ebenfalls zum Kleinbürgertum, allerdings wohl nicht in den aufsteigenden, sondern in den absteigenden Zweig (vgl. Bourdieu 1998a). Auch der Jungbusch soll für ein bürgerlicheres Publikum attraktiver werden, um sowohl die Wohnstruktur als auch den Ruf des Stadtteils zu verbes64
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sern. Denn auch die anhaltende Sanierung durch Bewohner von Innen, das sogenannte „incumbent upgrading“ (Clay 1979; vgl. Dangschat 1988) ohne die für Gentrifizierungen typische Veränderung der Bevölkerungsstruktur, wird hier nicht angestrebt. Schließlich bietet der Jungbusch auch freie Bauflächen in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt – ein rares Gut in einer dicht bebauten Stadt. Beim Jungbusch handelt es sich allerdings um ein Gebiet, das aus historischen Gründen eine eigenständige – oft allerdings negativ konnotierte – Identität entwickelt hat. Trotzdem sollen die hier angewendeten Stadtentwicklungsprozesse, beispielsweise durch die Einbindung der Bewohner, einen sozial verträglichen Rahmen für strukturelle Veränderungen bilden. Die typischen sozialen Konflikte, die in herkömmlichen Gentrifizierungsprozessen durch die massive Verdrängung der bisherigen Bewohner innerstädtischer Gebiete entstehen, sollen dadurch vermieden werden. Insofern entspricht die Transformation des Jungbuschgebiets nicht den klassischen Gentrifizierungsprozessen, sondern es handelt sich um einen politisch kontrollierten, sozialen und wirtschaftlichen Prozess. Dabei soll durch die Vermittlung und Entwicklung kultureller Vielfalt die Attraktivität für Investoren aber auch für Sanierungen durch Hauseigentümer erhöht werden. Der Heterogenität dieser Prozesse und der beteiligten Behörden und Akteure kann mit bisherigen Modellen also nur schwer Rechnung getragen werden. Da in diesem Prozess allerdings bestimmte Begleiterscheinungen der Gentrifizierung – insbesondere die Nutzbarmachung und Ansiedlung von Kunst und Kultur – gezielt Anwendung finden, spreche ich in diesem Zusammenhang von einem Prozess der simulierten Gentrifizierung. Der Ablauf der Aufwertungsprozesse im Jungbusch entspricht zunächst der Abfolge klassischer Gentrifizierungsprozesse: Nach der Entdeckung eines günstigen innerstädtischen Stadtviertels durch bestimmte Gruppen, welche in der Literatur als ,Pioniere‘ (vgl. Smith 1993; Lang 1998) bezeichnet werden, entsteht ein neuer Markt, welcher zu einer Entwicklung der stetigen Verteuerung des Gebietes führt. Lang (1998: 38) unterteilt den Prozess der Gentrifizierung in drei Phasen: 1. „Pioniere – Studenten, Künstler oder Azubis sowie ethnische Minderheiten – die zuerst in den billigen, weil nicht sanierten Altbauwohnungen Einzug halten und die allernotwendigsten Renovierungsarbeiten selbst verrichten.“ 2. Andere Bürger, die gerne „in unprätentiöser Umgebung, in einem ethnisch gemischten Viertel [...] leben, dem sie zudem durch ihre eigenen Bau- und Renovierungsmaßnahmen ihr Gepräge geben können“ ziehen ins Viertel. In der dritten Phase werden Investoren, Makler und Immobilienfirmen aufmerksam und eine systematische Modernisierung und Verteuerung beginnt. Es ist im Wesentlichen die dritte Phase, die im Jungbusch durch das Eingreifen der Politik, aber wohl auch durch andere Faktoren – beispielsweise eine geringere Gewinnmarge auf Investorenseite – deutlich anders verläuft. 65
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Auch die von Lang verwendete Feinabstimmung der beteiligten sozialen Gruppen reicht zur Beschreibung der Heterogenität marginalisierter multiethnischer Stadtgebiete aber nicht aus. Die Gleichsetzung von ethnischen Minderheiten mit anderen Pionieren ist schon allein deshalb nicht schlüssig, da diese Gruppen (Sudenten, Künstler und Azubis) in einem deutlich größerem Umfang über legitime Kapitalsorten nach Bourdieu (1998a) verfügen als beispielsweise die Bevölkerung mit Migrationshintergrund oder Ansässige der Arbeiterklasse. Dadurch entsteht bei Gentrifizierungstheorien zunächst einmal die Problematik der Festlegung, welche Gruppen noch zu den Verdrängten oder schon zu den Verdrängern gehören, wie Zukins Beispiel des „Loft Living“ zeigt. Während die Lebensstile bestimmter Pioniere (Künstler, Alternative etc.) dabei etwas stärker in den Blickpunkt genommen werden (vgl. Zukin 1982; Lang 1998), erscheinen die ursprünglich Ansässigen, zu denen ich im Übrigen auch weite Teile der Bewohner mit Migrationshintergrund zähle, lediglich als Zahlen und Randnotizen. Es sind aber eben genau diese Gruppen mit sehr niedrigen Einkommen, die bei Steigerungen des Mietpreises stärker in Bedrängnis geraten und für die die Suche nach adäquatem Wohnraum ungleich schwerer ausfällt. Dieses Missverhältnis in der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit gegenüber jenen Bevölkerungsgruppen verhindert allerdings letztlich auch das Verständnis dieser Prozesse: Denn es sind jene marginalen Gruppen, die den soziokulturellen Hintergrund und damit gewissermaßen die Spielwiese für die Lebensstilisierungen eines „neuen Kleinbürgertums“ (Bourdieu 1998a) überhaupt erst liefern. Denn gerade die Prozesse der Gentrifizierung stellen auch eine Inanspruchnahme der Ghettos durch Zugehörige dieser Klassenfraktion dar, welche sich dabei auch einen symbolischen „Raumprofit“ (Bourdieu 1991) versprechen. Denn mit dem Zuzug in marginalisierte Stadtviertel durch Pioniere ist auch eine gewisse Sozialromantik verbunden, eine Verheißung und ein Mythos.
G r o ß s t a d t m yt h e n Eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von klassischen aber auch simulierten Gentrifizierungsprozessen spielt die Transformation von Imaginierungen über zunächst einmal marginale Stadtgebiete. Denn ohne die Hoffnung auf eine entsprechende Nachfrage durch potentiell zahlungskräftigere Kunden wird kaum ein Investor umfangreiche Sanierungsmaßnahmen vornehmen. Insofern spielt die Rekonzeptualisierung solcher Stadtgebiete im öffentlichen Bewusstsein eine entscheidende Rolle für den Erfolg eines Aufwertungsprozesses. Auch bei einem sanften Stadtentwicklungsprozess, wie er für den Jungbusch angestrebt wird, ist die Ankurbelung der positiven Imaginierungen über das Quartier notwendig. 66
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In den klassischen Gentrifizierungsprozessen entwickelte sich der lebensstilspezifische Distinktionswert innenstadtnaher Gebiete nicht zufällig, sondern auf Grund der Mobilisierung einer „Grenzmetaphorik“ (Smith 1993). Diese schafft sich auch noch ihre eigenen Helden: „In der Sprache der achtziger Jahre sind Stadt-Pioniere, Stadt-Siedler und StadtCowboys die neuen Helden der städtischen Grenze. [...] Die gentrifizierte Stadt offenbart den Optimismus, die Romantik und die gewinnverheißenden Aussichten der Grenze. Nirgends ist dieser Grenzoptimismus so stark eingesetzt worden, um Gentrifizierung als eine progressive, sozial segensreiche Wandlung darzustellen, wie in New York City.“ (Smith 1993: 183f)
Smith spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „ökonomischen Grenze“ (Smith 1993: 190): Insbesondere die „gegenwärtige städtische Arbeiterklasse [wird; E.B.] als nicht-sozial betrachtet, als eine physische Bedrohung, die von der Umgebung ausgeht“ (Smith 1993: 188). Doch die von Smith beschriebene Grenzmetaphorik muss im Zusammenhang mit den spezifischen Gegebenheiten in amerikanischen Städten betrachtet werden, um sie näher zu verstehen: Die hohe Segregation in amerikanischen Großstädten, die oftmals unterschiedliche Blocks mit mono-ethnischen Gemeinschaften hervorbringt, bildet innerstädtische Grenzen, deren Überschreitung als physische Gefahr betrachtet wird. Hinter diesen Grenzen befindet sich der ‚Großstadtdschungel‘, der besonders von der weißen Mittelschicht als Bedrohung empfunden wird. Diese vormals unsichtbaren Grenzen werden zunehmend sichtbar durch die verschiedenen Formen der Gated Communities, die sich nicht mehr auf die Einschließung ethnischer und unterprivilegierter Gruppen in den Ghettos verlässt, sondern auf Techniken der aktiven Ausschließung zurück greift (vgl. Blakely/Snyder 1999). Obwohl diese Verortung von spezifischen gemeinschaftlichen Lebensformen sich letztlich insbesondere an der jeweiligen Klassenzugehörigkeit fest macht, wird von Befürwortern und Bewohnern solcher Gated Communities eher auf Konzepte von Verantwortlichkeit und Wohlanständigkeit zur Legitimierung derartiger Segregationsprozesse rekurriert. Im Gegensatz zur „‚spatialisation of class‘ [as, E. B.] the extent to which the spatial structure of nineteenth-century towns and cities reflected fundamental social and economic divisions“ (Gunn 2001: 2) bilden diese neuen Formen exklusiven Wohnens eine extremere Form der Abschottung, die sich weitgehend auf den gegenwärtigen Sicherheitsdiskurs beruft. Während marginalisierte Gruppen durch Gated Communities aus privilegierten Wohngegenden ausgeschlossen werden, werden sie durch klassische Prozesse der Gentrifizierung aus innenstadtnahen Wohngegenden verdrängt. In beiden Fällen spielt die Produktion sozial-räumlicher Grenzen eine entscheidende Rolle. Während bei Gated 67
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Communities die Überschreitung sozialer Grenzen in zunehmendem Maße verhindert wird, ist in der klassischen Gentrifizierung das Überschreiten der Grenze allerdings erwünscht und gefordert. Die Pioniermetaphorik dient dabei als Lockmittel zur Überwindung dieser Grenzen. Dieser Entdeckungsfaktor spielt nicht nur im urbanen Raum eine Rolle, sondern ist auch Teil anderer finanzieller Träumereien und Versprechungen in einem weiteren, globalen Kontext. Tsing (2000b) zeigt die Verbindung zwischen globalem Investment und Frontiermythos am Beispiel der Inszenierung eines Medienspektakels um eine Goldmine in Indonesien, bei der die indonesische Landschaft diskursiv gleichermaßen zu einer Wildnis transformiert wurde. Wenn eine Landschaft – respektive ein urbanes Gebiet – solchermaßen uminterpretiert wird, so Tsings Deutung, weckt dies eine Verheißung von unbewohntem und freiem Raum, welcher von all jenen genutzt und ökonomisch ausgebeutet werden kann, welche die Mittel und den Mut haben, die Grenze zur Wildnis – und damit auch zur Gefahr – zu überschreiten. Dieser liminale Raum ist ein Raum des Risikos, doch gleichzeitig verspricht er auch hohe Gewinne. Die Metapher der urbanen Grenze dient somit nicht nur der Legitimation eines Eindringens qua Zivilisierung, sondern birgt auch eine gewisse Attraktivität für Investoren. Im Grenzmythos werden Investoren gleichermaßen zu Helden der Expansion von Zivilisation in der Wildnis des Großstadtdschungels stilisiert. „Realtors and developers are praised for their selfless commitment to civic revitalization, regardless of the real-estate profits resulting from their putative altruism“ (Smith 1992: 69f). Allerdings liegt dieser Metaphorik auch der symbolische Faktor der Entdeckung zu Grunde, der wesentlich zur Mythenbildung einer Grenze zwischen ‚Zivilisation‘ und ‚Wildnis‘ beiträgt. Pioniere sind die Entdecker des unbekannten, die sich mutig vorwagen, um den Weg für Nachfolger zu ebnen. Denn auch wenn sich Qualität und Quantität der ‚Landnahme‘ zwischen neuen Mietern und Investoren unterscheidet, stehen sie gleichermaßen im Zentrum dieser Mythenproduktion. Diese umkreisen dabei die Thematiken einer Gegenwelt: den unzivilisierten Raum, den (urbanen) Dschungel. Eine besondere Rolle spielen dabei die öffentlichen Medien, die zunächst einmal eine entsprechende Aufmerksamkeit gegenüber möglichen Gentrifizierungsgebieten schaffen. Mit der Verbreitung einer entsprechenden Grenzmetaphorik wird dabei zunächst einmal der Mythos der neuen urbanen Grenze geschaffen: „Newspapers habitually extol the courage of urban homesteaders, the adventurous spirit and rugged individualism of the new settlers, brave pioneers, presumably going where no (white) man has ever gone before“ (Smith 1992: 69). Es sind letztlich die positiven medialen Repräsentationen dieser ‚unzivilisierten‘ Stadtgebiete, welche sie „als Lebensraum für die neue städtische Mittelschicht schmackhaft und goutierbar machen“ (Lang 1998: 30). 68
KAPITEL 2 – MULTI-ETHNISCHE URBANE RÄUME
Diese Veränderungen bezeichnet Lang am Beispiel Berlins als „symbolische Gentrifizierung“ (Lang 1998: 30), welche weitgehend vom Fall der Mauer initiiert wurde: Das Motiv der Gegenkultur im Stadtteil Kreuzberg wurde werbewirksam umgeschrieben und damit eine diskursive Neudefinition herbeigeführt, welche gleichzeitig die Wahrnehmung des Stadtteils ebenso verzerrt wie das vorherige Image Kreuzbergs. Lang spricht hier von der „Dialektik zwischen Bilderwelt und Lebenswelt“ (1998: 31). Diese mediale Inszenierung von Kreuzberg ist Teil einer Strategie, um das wiedervereinigte Berlin für Investoren attraktiver zu machen, und damit vergleichbar mit den vorher erwähnten Praktiken der Grenzmythen. Auch im Fall von Kreuzberg entwickelte sich ein Konzept des unzivilisierten beziehungsweise chaotischen Stadtraums, der in eine neue und notwendige Ordnung überführt werden soll. Diese Beispiele der ökonomischen und symbolischen Ausbeutung von Grenzmythen lässt den Schluss zu, dass es neben einem Prozess der symbolischen Gentrifizierung auch einen Prozess der hegemonialen symbolischen Abwertung geben kann, welche auch zu der subalternen Mythenbildung einer Region oder eines Stadtgebietes beitragen. Gentrifizierung und ähnliche Aufwertungsprozesse werden als eine fortschreitende Entwicklung verstanden, welche letztlich in drei Phasen der Wahrnehmung von Orten verläuft: von einem als ‚unzivilisiert‘ – problematisch, marginalisiert, ‚fremd‘, gefährlich – definiertem Zustand zu einem ‚domestizierten‘ – konsumierbar, exotisch, aufregend – und letztlich ‚zivilisierten‘ – bürgerlich, sicher, ruhig – Zustand verstanden. Es bedarf also zunächst einmal eine Konstruktion der sozialen Destabilität beziehungsweise eines Freiraums, um den Pioniergeist einzelner anzuregen. Da Gentrifizierung in aller Regel als eine temporale Entwicklung begriffen wird, wird auch bei der Identifikation der unterschiedlichen beteiligten Gruppen in der Regel eher auf ihr zeitliches Nacheinander rekurriert, als auf ihr räumliches Nebeneinander. Der Begriff Gentrifizierung impliziert zwar eine relativ schnelle Veränderung, dennoch findet innerhalb eines gewissen Zeitraums auch eine Überschneidung unterschiedlicher Lebensstile und damit verbundener Diskurse statt. Es ist gerade diese Heterogenität von existierenden Images über spezifische Stadtgebiete, welche zu ihrer medialen Präsenz ebenso wie zu ihrer Transformationen beiträgt. Die Gentrifizierungstheorie und die Relevanz einer damit verbundenen Grenzmetaphorik für die soziokulturelle Aneignung neuer Territorien geben einen Hinweis darauf, dass die Bedeutung von Stadtraum heute auch geprägt ist von verschiedenen Lebensstilisierungen. Eine wichtige Rolle spielen dabei hegemoniale Diskurse über Stadtgebiete und deren Aneignung als place.
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Kapitel 3 Jungbusch: Ort und Stadt
Die gleichzeitige Existenz verschiedener, teilweise konträrer Konzepte in Bezug auf denselben Ort findet in den bisher diskutierten Modellen kaum Beachtung: Eine Lokalität – ein Stadtraum – wird vielmehr als bebaute Umwelt verstanden, die auf eine spezifische Art und Weise les- und interpretierbar ist. Soziale Transformationen und ökonomische Prozesse werden in diesen Modellen betrachtet als dem Raum von außen – vom Menschen – oktroyiert, um diesen dann als objektivierbare soziale Realität wiederum zu prägen. Doch die sozio-kulturellen Transformationen urbaner Räume sind kein völliger Neustart, sie ereignen sich nicht im ‚leeren‘ Raum. Stadträume sind nicht nur Schauplatz kultureller Praxen, sondern auch Teil eines kulturellen Gedächtnisses. Neue Diskursformationen werden daher immer wieder an bereits existierenden Orts-Bildern gemessen, hegemoniale Vorstellungen durch subalterne Sichtweisen in Frage gestellt. Somit entsteht eine gewisse Gleichzeitigkeit und Überlagerung von Diskursen und Ideen über Raum. In der Stadtgeographie hat in jüngerer Zeit insbesondere Soja (1996) versucht diese Beziehung zwischen Stadträumen und Diskursen mit dem Konzept des „thirdspace“ zu fassen: Mit diesem entwickelt er eine Verbindung zwischen „real-and-imagined place“ und wendet es auf die Realitäten gegenwärtiger Städte an. Dabei überführt er postmoderne, feministische und postkoloniale Ansätze in eine „Trialektik“ des Raums und macht diese für seine geographische Stadtforschung nutzbar. Raum hat somit nicht nur einen materiellen Aspekt einerseits und einen diskursiven Aspekt andererseits – vielmehr sind Vorstellungen von Raum auch im realen Raum verortet. Inspiriert von Lefebvre (1991) argumentiert Soja daher für eine Erweiterung des geographischen Raumbegriffes: Jenseits des materiellen Raums („Firstspace“) und des diskursiven Raums („Secondspace“) plädiert er für ein Konzept des „Thirdspace“: „Here then is space directly lived, with all its intractability intact, a 71
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
space that stretches out across the images and symbols that accompany it, the space of ,inhabitants‘ and ‚users‘“ (Soja: 1996: 67). Innerhalb dieses dritten Raums manifestieren sich sowohl hegemoniale Konzepte des Raums als auch „,counterspaces,‘ spaces of resistance to the dominant order arising precisely from their subordinate, peripheral or marginalized positioning“ (Soja 1996: 68). Dieser trialektische Ansatz ergänzt damit auch Foucaults Konzept von Wissen, Raum und Macht und ermöglicht eine Verortung von Bhabhas „third space“ im materiellen Raum nicht als kosmopolitische Stadt, sondern als ein Ort des Widerstands. Ähnlich wie die postmodernen Konzeptionen von Mobilität entspringt aber auch Sojas Formulierung des „thirdspace“ eher dem Wunsch nach gesellschaftlicher Transformation als tatsächlicher empirischer Forschung: Wie dieser von Bewohnern und Nutzern tatsächlich gelebt wird und inwiefern dies Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen beispielsweise zum Thema Widerstand gegen hegemoniale Raumkonzepte sein kann, lässt Soja weitgehend offen. Der Akteur steht keineswegs im Zentrum seiner Betrachtung, vielmehr sieht er seine Arbeit als Ergänzung der zeitgenössischen Stadtforschung. Denn er beobachtet „a growing tendency in postmodern critical urban studies to overpriviledge the local – the body, the streetscape, psychogeographies, erotic subjectivities, the microworlds of everyday life and intimate community – at the expense of understanding the city-as-a-whole, or what Lefebvre described as the ‚urban reality.‘ Macrospatial perspectives are too often labelled taboo by those more attuned to flânerie, by critics who see in the view from high only a dominating masculinist voyeurism, and by what be called vulgar voluntarists romancing the unconstrainable powers and intentions of human agency against any form of structural analysis or determination.“ (Soja 1996: 21)
Leider definiert er dabei allerdings die Makro- beziehungsweise die Mikroperspektive nicht näher, ebenso wenig wie die Stadtforschungen, auf die er sich bezieht. Stattdessen wendet er das Konzept der „real-and-imagined places“ des „thirdspace“ exemplarisch an einer europäischen (Amsterdam) und einer us-amerikanischen Stadt (Los Angeles) an. Mit einer Mischung aus persönlichen Begegnungen, Beiträgen aus der Stadtgeschichte, der Beschreibung städtebaulicher Entwicklungen in Bezug auf die Unterschiede in der Nutzung von Stadtzentren und der Praktiken des segregierten (Los Angeles) im Gegensatz zum integrierten Wohnen (Amsterdam), versucht er beide Städte zu vergleichen. Dahinter steht die Absicht, dem seiner Meinung nach überprivilegierten Blick des Flaneurs etwas „stimulating confusion“ (1996) hinzuzufügen. Dabei lässt er offen, um wen es sich bei den Flaneuren handelt: sind es die Forscher, 72
KAPITEL 3 – JUNGBUSCH: ORT UND STADT
die – wie er selbst – im Flanieren Erkenntnisse über die Stadt gewinnen oder sind es sozusagen Hauptinformanten, die ihre Erfahrungen und ihr Wissen an den Geographen oder Stadtforscher weitergeben. Der von Walter Benjamin (1980) geprägte Begriff des Flaneurs ist eigentlich ein Charakter der Moderne, der auch in zeitgenössische Machtbeziehungen eingebunden ist: „When the flanêur ‚goes botanising on the asphalt‘, he does so as a detached spectator and his visions are mediated on a male gaze, objectifying women as a part of the urban landscape“ (Simonsen 2004: 47). Soja definiert den Flaneur hingegen als „street-wandering free agent of everyday life, the ultimate progenitor of the view from below“ (Soja 1997: 21). Betrachtet man die bereits diskutierten Restriktionen im städtischen Raum, insbesondere in Hinblick Gated Communities (vgl. Blakely/Snyder 1999; Low 2003), aber auch auf urbane Räume des Konsums (vgl. Jahn/Lanz/Ronneberger 1999), das spezifische Verhältnis von Frauen zum öffentlichen Raum (vgl. Koskela 1997) und die ethnische Segregation von Nachbarschaften gerade in den USA (vgl. Wacquant 2006), so scheint dieser Flaneur tatsächlich das Produkt romantischer Fantasien zu sein, jedoch keinesfalls ein freier Akteur des Alltags. Doch die Spannungsfelder des „thirdspace“ werden erst dann sichtbar, wenn hegemoniale und subalterne Sichtweisen auf den Raum parallel in den Blick genommen werden. Dabei ist es zunächst wichtig, den Raum nicht nur als Projektionsfläche sozio-kultureller Entwicklungen und Ideen zu betrachten, sondern auch als Gegenstand kultureller Praxen. Ein solches Verständnis findet sich insbesondere in ethnologischen Konzeptionen von Lokalitäten in ihrer Bedeutung als place oder landscape. Der Bezug zu einer bebauten oder unbebauten Umwelt existiert dabei nicht nur in Form eines Zugehörigkeitsoder Heimatgefühls, sondern auch durch ein komplexes System kultureller Praxen, wie beispielsweise Exklusionen und Tabus (vgl. Kühling 2001; Munn 2003). Places, so definiert Kühling (2007: 176) diesen Begriff, sind Räume, denen eine spezifische kulturelle Bedeutung zukommt: „‚Place‘, then, is a construct of collective history, memory, personal and shared emotions and experiences, created by social interaction and relationship.“ Sie sind verbunden mit Machtstrukturen, Verwandtschaftssystemen, Geschlecht, Moral und Identität (vgl. Kühling 2001) oder aber mit Sinneswahrnehmungen und Körpererfahrungen (vgl. Feld 1996). Diese unterschiedlichen Ansätze können unter den Begriffen „embodied space“ und „inscribed space“ gefasst werden (Low/Lawrence-Zúñiga 2003). „Embodied space“ rekurriert dabei auf „the existential and phenomenological reality of place: its smell, feel, color, and other sensory dimensions“ (Low/ Lawrence-Zúñiga 2003: 5). Diese sinnliche Wahrnehmung und Verinnerlichung von landscapes ist dabei insbesondere für die kognitive Ethnologie von Bedeutung (vgl. Wassmann 2003; Wassmann/Stockhaus 2007). „Inscribed spaces“ beziehen sich hingegen auf die Frage „how people attach meaning to 73
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
space, and transform ‚space‘ into ‚place‘“ (Low/Lawrence-Zúñiga 2003: 13). Orte und Lokalitäten erhalten also jeweils ihre spezifische Bedeutung durch die phänomenologische Erfahrung und durch ein kulturelles und historisches Bezugssystem. Dies bezieht sich nicht lediglich auf Landschaften, sondern beispielsweise auch auf Gebäudestrukturen (vgl. Bourdieu 1999). Orte sind also nicht bloße Schauplätze von Kultur, „a physical setting or a passive target for primordial sentiments of attachment“, sondern „lived experience“ (Rodman 1992: 641), welche in differente kulturelle Praxen integriert sind. Gleichzeitig sind diese Bedeutungen auch durchaus umkämpft. Minderheiten oder subkulturelle Gruppen können die hegemonialen Wahrnehmungen eines Ortes in Frage stellen: so wird der australische Ayers Rock, von Aborigines Uluru genannt, beispielsweise sowohl von weißen Australiern als auch von der indigenen Bevölkerung als ein symbolischer Ort verstanden. Sein betreten ist aus Sicht der Aborigines tabu. Die damit jeweils verbundenen unterschiedlichen Praktiken der Aneignung beziehungsweise Abgrenzung von Orten können allerdings zu Konflikten zwischen „whitefella’s law“ und „Aboriginal law“ führen (vgl. Munn 2003).1 Als beliebtes Ziel von Touristen unterliegt der Ayers Rock dabei zudem einer ganzen Reihe von spezifischen Regelungen und Praxen, um seine Attraktivität zu erhalten, dabei aber auch ökologische und politische Schadensbegrenzung zu betreiben. Konflikte zwischen der Wahrnehmung einer indigenen Bevölkerung und des touristischen Blicks treten auch anderorts zutage. Kühling (2001) berichtet von dem Fall eines Missverständnisses zwischen Touristen und den Einwohnern von Dobu in Bezug auf die jeweils unterschiedliche Bedeutung von Ort als touristische Attraktion fremder Kultur und Natur einerseits und einem lokalen Konzept von Ort als gefährlich oder tabu andererseits. Lokalität unterliegt insofern Prozessen des aktiven place-making, das auch mit spezifischem kulturellem Wissen verknüpft ist. Mit Rodmans (1992: 647) Konzeption von Raum als „socially constructed, and contested, in practice“ wird eine neue Perspektive auf einzelne Lokalitäten ermöglicht: „a single physical landscape can be multilocal in the sense that it shapes and expresses polysemic meanings of place for different users.“ Dieses Konzept von Raum als „multilocal“ und vor allen Dingen auch „multivocal“ kann nicht nur auf den Kontakt indigener Kulturen mit whitefellas angewendet werden. Der Konflikt zwischen hegemonialen und subalternen Wahrnehmungen von Orten findet sich auch innerhalb westlicher Gesellschaften. Barbara Bender (1998) zeigt am Beispiel von Stonehenge, dass es auch hier um Auseinandersetzungen um ‚richtige‘ Aneignungsformen eines Ortes geht. Hierbei wird der Schutz durch die Umzäunung eines cultural her1 74
Für eine postkoloniale Auseinandersetzung um Orte vergleiche auch Kuper (2003).
KAPITEL 3 – JUNGBUSCH: ORT UND STADT
itage site als Teil offizieller Politik in Frage gestellt durch Gemeinschaften mit einem eher esoterischen Interesse an Stonehenge als rituellem Ort. Hier treffen differente Sichtweisen auf eine spezifische Lokalität – als nationales Symbol einerseits und als Lokation privater beziehungsweise subkultureller Aneignungsvorstellungen andererseits – aufeinander. Auf diese Weise können sich sehr unterschiedliche Interessen und Vorstellungen am selben Ort lokalisieren. Stonehenge und Ayers Rock sind dabei nicht nur Symbole des Nationalstaats und damit einer hegemonialen nationalen Gemeinschaft, sondern auch von subalternen Gruppen. Gleichzeitig haben insbesondere Touristen ein großes Interesse an diesen Orten, unter Umständen auch Wissenschaftler wie Archäologen, Geologen und Ethnologen. Das Konzept der Multivokalität und der Multilokalität ermöglicht damit eine neue Perspektive nicht nur für die Erforschung nicht-westlicher Kulturen. Vielmehr nimmt Rodman eine Adaption geographischer Raumkonzepten auf die Mikroebene des ethnologischen Blicks vor und bildet damit ein Bindeglied zum Verständnis von Stadtraum aus dem Blickwinkel von Akteuren und eine Verknüpfungsmöglichkeit mit Edward Sojas „thirdspace“. Denn der Ansatz von Soja ermöglicht trotz seiner Präferenz einer Makroperspektive im Anschluss an Rodman auch eine Übertragung auf die Mikroebenen der Stadt. An dieser Stelle soll keineswegs der Erkenntnisgewinn einer makrotheoretischen Stadtforschung geschmälert werden. Für eine ethnologische Perspektive auf den Stadtraum als place ist es jedoch von Bedeutung, dass Imaginierungen über und die alltägliche Aneignung von Orten eng miteinander verknüpft sind. An diesen Schauplätzen finden Auseinandersetzungen zwischen hegemonialen und subalternen Sichtweisen statt und dies überall auf der Welt und nicht lediglich an Orten mit besonderem symbolischen Gehalt oder in Kontaktsituationen mit ‚fremder‘ Kultur. Es sind daher nicht nur symbolische Orte und Landschaften, auf die diese Konzepte anwendbar sind, sondern auch die urbanen Landschaften des Alltags.
Jungbusch im Kontext Um die gegenwärtig hohe mediale Aufmerksamkeit gegenüber dem Jungbusch und die damit einhergehenden diskursiven Veränderungen in der hegemonialen Wahrnehmung des Quartiers zu verstehen, soll hier zunächst seine Position im sozialen Gefüge der Stadt Mannheim rekonstruiert werden. Mannheim gehört zum Gebiet des Bundeslandes Baden-Württemberg. Mit über 300.000 Einwohnern und einer durch Gewerbe und Hafen gekennzeichneten Wirtschaft hat es sich im letzten Jahrhundert zu einer wichtigen Metropole des Rhein-Neckar-Dreiecks entwickelt. Dies liegt auch an seiner Lage nahe der Mündung des Neckars in den Rhein, was im Laufe der Zeit dazu führte, dass sich Mannheim zu einem Umschlagplatz der Binnenschifffahrt 75
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
entwickelt hat. Der Hafen und die umliegenden Industrielandschaften prägen das Stadtbild bis heute. Das Zentrum Mannheims bildet dabei allerdings einen abgegrenzten Kern, die sogenannten Quadrate. Abbildung 1: Der Jungbusch
Quelle: © Amtliche Stadtkarte 1:15000 der Stadt Mannheim, Ausgabe 2007, FB Geoinformation und Vermessung Beim Bau der Stadt Mannheim und der angrenzenden Zitadelle Friedrichsburg Anfang des 17. Jahrhunderts folgte man einer spezifischen Grundrissgeometrie: Während die Zitadelle sich durch strahlenförmig angeordnete Straßen auszeichnete, wurde die Stadt Mannheim an einem rechtwinkligen Grundriss ausgerichtet, aus dem sich Gebäudeblöcke, die sogenannten ‚Quadrate‘ ergeben. Festung und Stadt waren durch die sternförmige Festungsmauer der Zitadelle getrennt, doch auch die Stadt selbst war von einer sternförmigen Umgrenzung umgeben. Diese formale Trennung zwischen Stadt und Zitadelle veränderte sich im Laufe der Zeit. Nach den Zerstörungen durch den 30jährigen Krieg wurde die rechtwinklige Anordnung der Straßen auch auf die Zitadelle ausgeweitet. Nach weiteren Zerstörungen in Folge der Auseinandersetzungen im pfälzischorléanschen Erbfolgekrieg wurde die Trennung zwischen Festung und Stadt völlig aufgehoben (vgl. dazu Reiß-Museum 1995; Rings 2003). Die heutige Struktur der Quadrate basiert größtenteils auf dem ursprünglichen Bauplan 76
KAPITEL 3 – JUNGBUSCH: ORT UND STADT
und den im 17. Jahrhundert vorgenommenen Veränderungen. Die Quadrate sind dabei um zwei Hauptachsen ausgerichtet: der sogenannten Breiten Straße und den sogenannten Planken. Die Planken trennen dabei auch die historisch eher höfisch geprägte Oberstadt von der näher am Neckar gelegenen bürgerlichen Unterstadt (vgl. Reiß-Museum 1995). Die Bezeichnungen Planken und Breite Straße gehören zu den wenigen Straßennamen, die im Innenstadtgebiet gebräuchlich sind. Denn in den Quadraten werden nicht die Straßen selbst, sondern die Gebäudeblöcke benannt. Dabei wurden 1811 Buchstaben und Zahlen zur Bezeichnung eingeführt (vgl. Probst 2005).2 Durch diese Praxis sind zwar Quadrate und Häuser eindeutig bestimmbar, aber nicht die Straße. Im Volksmund haben sich bei einigen zentralen Straßen der Innenstadt daher Bezeichnungen entwickelt beziehungsweise erhalten, die im Stadtplan so nicht verzeichnet sind und auch nicht als Adresse dienen können. Dazu gehört die oben erwähnte Breite Straße, deren offizielle Bezeichnung Kurpfalzstraße kaum gebräuchlich ist und ebenso wenig als postalische Anschrift existiert. Parallel zu den Planken zum Neckar hin liegt die sogenannte Fressgasse und zum Schloss hin die Kunststraße. Diese Achsen bilden heute den innenstädtischen Kern Mannheims, der in erster Linie durch Einzelhandel und Gastronomie geprägt ist. Während die Oberstadt heute durch eine gehobene Wohn- und Gewerbenutzung gekennzeichnet ist, gilt die gesamte Unterstadt als weniger vorzeigbar. Besonders die Westliche Unterstadt wird als ethnisches Gebiet betrachtet und im Wesentlichen mit der türkischen Kultur assoziiert, was sich auch in der inoffiziellen Verwendung des Begriffs ‚Türkenmeile‘ für die Straße zwischen G- und H-Quadraten zeigt. Erst mit dem Wachstum der Stadt im Zuge der Industrialisierung und der zunehmenden Bedeutung des Hafens dehnte sich die Quadratestruktur auch auf dem Gebiet der ehemaligen Festungsmauer aus. Einige Häuserblöcke wurden vergrößert, neue kamen hinzu. Für die wachsende Bevölkerung der Stadt reichte auch dieser Platz nicht aus: Ganze Stadtviertel entstanden in der
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Ausgehend von der ehemaligen Feste, dem heutigen Schloss, befindet sich heute linkerhand entlang der Breiten Straße Richtung Kurpfalzbrücke die Buchstabenfolge A–K, wobei sich an der Bismarckstraße die A-Quadrate 1–5 aufreihen. Dies ist allerdings eine Ausnahme, da es in der Regel zu jedem Buchstaben sieben Quadrate gibt. Das erste Quadrat eines Buchstabens ist jeweils das der Breiten Straße am nächsten liegende. In der Richtung der aufsteigenden Buchstaben verlaufen auch jeweils die Hausnummern. Dies gilt ebenso für die rechterhand verlaufenden Quadrate L–U, wobei die L-Quadrate nicht ganz dem Schema gemäß angeordnet sind. Diese Nummerierung ist für den Ortskundigen durchaus schlüssig, führt allerdings bei Besuchern der Stadt und bei Adressangaben oftmals zu Verwirrung. Die Angabe O 5, 3 beispielsweise beschreibt die Hausnummer drei im fünften Quadrat des Buchstaben O. 77
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zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und um die Jahrhundertwende.3 Als eines der ersten neu erschlossenen Gebiete und praktisch zeitgleich mit dem Ausbau der Quadrate begann die gezielte Bebauung des Jungbuschgebietes. Ähnlich wie die Schwetzingerstadt und der Lindenhof, war das Jungbuschgebiet geprägt von einer Mischnutzung aus Gewerbe und Wohnen. Kurze Zeit später wurde außerdem die Oststadt als gehobenes Wohnviertel gebaut, die Neckarstadt/West und die etwas großbürgerlichere Neckarstadt/Ost entwickelten sich als Vorstädte, die zudem einen Übergang zu Gewerbe- und Hafengebieten bildeten. Trotz ähnlicher historischer Voraussetzungen haben sich diese Gebiete in den letzten hundert Jahren sehr unterschiedlich entwickelt. Während die Neckarstadt/Ost, der Lindenhof, die Oststadt und die Schwetzingerstadt im Allgemeinen als gute Wohnlagen gelten, werden der Jungbusch und die Neckarstadt/West zusammen mit anderen Gebieten als problematische ‚soziale Brennpunkte‘ betrachtet. Als Kriterien dieser Einschätzung dienen beispielsweise der Anteil von Personen mit ausländischer Nationalität und die Quote von Sozialhilfebeziehern und Arbeitslosen, die in diesen Gebieten zum Teil deutlich über dem städtischen Durchschnitt liegt. Laut Otte (2001) zählt der Jungbusch heute zusammen mit der Neckarstadt/West zu den „innenstadtnahen, benachteiligten Wohnlagen“, die Neckarstadt/Ost, die Schwetzingerstadt, die Oststadt und der Lindenhof zu den „innenstadtnahen, gehobenen Wohnlagen“, was sich in der Präferenz dieser Lagen als potentielle Wohngebiete äußert.4 Mit dem Begriff Jungbusch wird üblicherweise ein historisches Stadtgebiet von Mannheim bezeichnet, das aber kein Stadtbezirk im eigentlichen Sinne ist. Verwaltungspolitisch wird das Quartier mit der Innenstadt Mannheim unter dem Begriff „Innenstadt/Jungbusch“ zusammen gefasst, was auf Grund der räumlichen Nähe, aber auch durch die baugeschichtlichen Entwicklungen bedingt sein dürfte. Nichtsdestotrotz ist der Jungbusch ein stehender Begriff für Bewohner in und um Mannheim und wird als eigenständiges Quartier wahrgenommen. Als Jungbusch wird heute in der Regel das Gebiet zwischen Luisenring, Neckar und Rhein-Neckar-Verbindungskanal (früher in seiner natürlichen Form „Kleiner Rhein“ genannt) beschrieben.5 Der Ge3
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Im Jahr 1850 betrug die Anzahl der Bewohner noch knapp 25 000, bereits in den 90er Jahren desselben Jahrhunderts wurden die 100 000 überschritten (vgl. Reiß-Museum 1995). Während der Lindenhof und die Oststadt auf den Plätzen zwei und drei landen, erreichen die Neckarstadt/Ost und die Schwetzingerstadt immer noch beide den 10. Platz. Die Innenstadt selbst erreicht immerhin den 8. Platz. Der Jungbusch und die Neckarstadt/West werden im Ranking nicht gesondert aufgeführt. Zusammen mit dem Gebiet Wohlgelegen bilden sie innerhalb der Zusammenfassung nach Wohngebietstypen allerdings das Schlusslicht. Die territoriale Begrenzung des Quartiers wird in den letzten Jahren allerdings verwischt: Jungbusch und Mühlau sind zwar jeweils eigene statistische Bezirke,
KAPITEL 3 – JUNGBUSCH: ORT UND STADT
wannname Junger Busch bezeichnete zunächst ein Gehölz im Norden des ehemaligen Dorfes Mannheim (vgl. Der Brockhaus 2006). Nach der Enteignung der Bewohner des Dorfes durch Kurfürst Friedrich zugunsten seiner Pläne zum Zitadellenbau entwickelte sich diese Gegend zu einem dünn besiedelten Gebiet mit kleinen Häusern und Gehöften (vgl. Der Brockhaus 2006). Das heutige Gebiet Jungbusch stimmt geographisch allerdings nicht genau mit diesem Namensgebenden Gebiet überein. Wann der Name Jungbusch für das heutige territoriale Gebiet Verwendung fand, ist nicht genau bekannt. Spätestens zum Ende des 18. Jahrhunderts wird das Gebiet zwischen Ring, Neckar und kleinem Rhein dann offiziell als Jungbusch bezeichnet (vgl. historische Quellen abgebildet in Rings 2000: 254). Mit der Lage am sogenannten „Kleinen Rhein“, der zum heutigen Rhein-Neckar-Verbindungskanal ausgebaut wurde und in der Nähe sowohl der Neckar- als auch der Rheinhafenanlagen, wurde der Jungbusch im Verlauf der industriellen Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum gefragten Gebiet.6 Aus den Gärten um Mannheim erwuchsen nunmehr ganze Wohn- und Industrieviertel (vgl. Rings 2000). In ihrer Baustruktur weisen die in Folge dieser Entwicklungen beiderseits des Luisenrings entstandenen beziehungsweise ausgebauten Quadrate der westlichen Unterstadt und des Jungbusch eine große Ähnlichkeit auf. Die spezifische Quadratestruktur der Innenstadt wurde auch bei der Bebauung des Jungbusch beibehalten und zunächst der Nummerierung der Innenstadtquadrate angepasst. Erst später entstanden die heutigen Straßennamen. Der Luisenring fungierte dabei bis in die 60 Jahre des 20. Jahrhunderts als lebendige Verbindung zwischen den Bewohnern der beiderseits des Rings entstandenen repräsentativen Gebäude: „Der Luisenring war als Teil der um die Altstadt führenden Flaniermeile mit tiefen Vorgärten, begrünten breiten Gehwegen und Bäumen konzipiert und entstand in der letzten Dekade des 19.Jh. als vornehme Allee. Gleichzeitig ließen sich vermögende Mannheimer auch in den benachbarten Quadraten nieder, in denen zahlreiche pompöse Villen entstanden“ (Der Brockhaus 2006: 197). Zu dieser Zeit siedelten sich allerdings auch immer mehr Industriebetriebe an und führten auch zu Veränderungen in der Sozialstruktur des Quartiers. Zu den Betrieben, die ihre Ursprünge im Jungbusch haben, zählt die heutige BASF. Auch die Firma C.F. Boehringer hatte
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sie werden aber beispielsweise im Aufgabenbereich des ‚Quartiermanagement Jungbusch‘ als ein Gebiet zusammen gefasst. Besonders eindrucksvoll ist dieser Bebauungsschub zur Zeit der Entstehung des Verbindungskanals im direkten Vergleich der Stadtansichten zwischen 1870 und 1885 in Rings (2003: 103) abgebildet. 79
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zeitweise ihren Sitz im Jungbusch (vgl. Die lebendige Stadt Jg. 1931/32; Mannheimer Morgen (MM) vom 4.7.1991)7. Während das Gebiet also zunächst neben der Wohnnutzung besonders durch Industrie geprägt war, wurde die Bedeutung des Hafens zu Anfang des 20. Jahrhunderts immer wichtiger. Gleichzeitig änderte sich auch die Relevanz des Jungbusch für die Stadt Mannheim: Er wurde zum zentralen Umschlagplatz von Waren durch Schifffahrt und Bahnanlagen. Dadurch entwickelte sich auch der eigenständige Charakter des Quartiers und der angrenzenden Quadrate, wobei die hier als Jungbuschstraße8 bezeichnete Achse zwischen Hafen und Marktplatz besonders hervorgehoben wird: „Die Jungbuschstraße, die den Marktplatz mit dem Strom verbindet, ist eine ausgesprochene Hafenstraße: mit ihrem turbulenten Verkehr, den bazarmäßig vollgehäuften Etalagen, Gelegenheitsgeschäften aller Art, mit ihren knalligen Reklameschildern“ (Die lebendige Stadt Jg. 1931/32). Durch die wachsende Bedeutung des Hafens für die Stadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts entsteht zwischen den Quadraten der Westlichen Unterstadt und des Jungbusch zunächst eine Übergangszone zwischen Stadt und Hafen. Das angrenzende Gebiet Filzbach beziehungsweise Filsbach und der Jungbusch werden im Artikel aus „Die lebendige Stadt“ praktisch als eine Einheit beschrieben.9 Diese Verbundenheit zwischen Innenstadt und Jungbusch nimmt allerdings besonders in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts rapide ab.
Räumliche Randlage Durch die spezifischen Entwicklungen in der Binnenschifffahrt – dem veränderten Warenstrom, wachsenden Ladevolumen und zunehmender Containerverschiffung – verirren sich heute nur noch selten Schiffe in den Verbindungskanal und Schiffer in den Jungbusch. Die Kauffmannmühle und die Schiffswerft am Verbindungskanal schlossen in den 60er Jahren ihre Türen. Am Salzkai entstand zur Jahrtausendwende außerdem ein Containerterminal: Die Rolle des Jungbusch als zentraler Warenumschlagplatz für die Stadt gehört der Vergangenheit an. Mit der zunehmend geringen Bedeutung des Ver7
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StadtA MA S2/1846-1. Alle zitierten Zeitschriftenartikel der Jahre bis einschließlich 1993 stammen aus der Sammlung des Stadtarchivs unter der Nummer StadtA MA 1846-1. Bis einschließlich 2001 aus StadtA MA 1846-2. Alle späteren Artikel einschließlich der Artikel des „Meier“ wurden von mir selbst archiviert. Offiziell reicht die Jungbuschstraße in Richtung Innenstadt nur bis zum Luisenring, nicht bis zum Marktplatz. Gelegentlich wird die Verlängerung Richtung Marktplatz allerdings von älteren Anwohnern ebenfalls als Jungbuschstraße bezeichnet. Heute wird dieses Gebiet mit der Westlichen Unterstadt in Verbindung gebracht. Fraenger spricht hingegen von „Straßen, die am Nordrand des alten Jungbusch, der sogenannten Filzbach liegen“ (Die lebendige Stadt Jg. 1931/32).
KAPITEL 3 – JUNGBUSCH: ORT UND STADT
bindungskanals für die Schifffahrt und mit der Abwanderung ansässiger Industriebetriebe veränderte sich auch die Bedeutung des Quartiers für die Stadt Mannheim. Der Verbindungskanal beziehungsweise die Hafenstraße entwickelt sich zur räumlichen Barriere zwischen Stadtgebiet und Hafengebiet. In einem Artikel des „Mannheimer Morgen“ vom 31.10.1997 heißt es: „Schon lange verbindet der sogenannte Verbindungskanal gar nichts mehr. [...] Und auch ansonsten ist der Platz gottverlassen, eine Art modernes Niemandsland, eine Grenze, wenn auch ohne Schlagbaum: Dies- und jenseits – ein Dazwischen.“ Diese Barriere beginnt eigentlich bereits in der Hafenstraße, denn das Gebiet zwischen Verbindungskanal und Hafenstraße gehört zum Hafengebiet und unterliegt damit der Verwaltung des Landes Baden-Württemberg: Ohne Einverständnis des Hafenamtes passiert am Verbindungskanal nichts. Oder wie ein Informant es einmal bezeichnet hat: „Hier hört die Stadt auf und das Land fängt an.“ Mit Ausnahme des Gebiets am Verbindungskanal und einem Bereich am Neckar ist der Jungbusch ein dicht bebautes Gebiet, Möglichkeiten für bauliche Prozesse sind daher insbesondere in diesen Bereichen gegeben. Durch die Ansprüche gerade auf das Gebiet am Verbindungskanal seitens des Hafenamtes ergeben sich allerdings auch besondere Auflagen und Probleme, denn das Hafengebiet soll auch weiterhin durch Handel und Gewerbe geprägt sein. So heißt es in einer Veröffentlichung über den Binnenhafen Mannheim (Staatliche Rhein-Neckar-Hafengesellschaft Mannheim mbH – HGM 1997: 46): „Kontraproduktiv sind dagegen nicht hafenaffine Nutzungen wie z.B. Freizeiteinrichtungen und -aktivitäten innerhalb des Hafengebietes, u.a. allein schon weil diese hafenuntypischen Gewerbe starke Individualverkehre erzeugen, deshalb erhebliche Straßenverkehrsrisiken mit sich bringen und somit kontraproduktiv wären.“ In den letzten Jahren wurde hier auf Jungbuschseite der Musikpark als Existenzgründungszentrum der Musikwirtschaft und die Popakademie gebaut, die beide im Jahr 2004 fertig gestellt wurden. Infolge einer Beschwerde dieser neuen Anrainer über die Lärmbelästigung einer Bauschredderanlage jenseits des Verbindungskanals kam es auch zu einer Kontroverse über die Relevanz unterschiedlicher Nutzungskonzepte des Areals. In einem Artikel des „Mannheimer Morgen“ vom 3.4.2006 wird ein Vertreter der im Hafen ansässigen Firma REMAG mit den Worten zitiert: „Es muss doch einen Bereich geben, wo der Blaumann und nicht der weiße Kragen im Vordergrund steht.“ Die Umstellung von einem industriellen zu einem postindustriellen Wirtschaftssystem ist insofern keineswegs unumstritten, dies zeigt sich aktuell in den Auseinandersetzungen um den möglichen Abriss der Teufelsbrücke zugunsten veränderter Verkehrsführungen im Hafen, im Zuge der geplanten Erweiterung bereits bestehender Containerterminals.
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Die Gebäude der Kauffmannmühle am Verbindungskanal und jenseits der Hafenstraße sind in Privatbesitz. Die Pläne zum Ausbau von Teilen der Kauffmannmühle in Lofts zeigen allerdings kaum Fortschritte, die Gebäude am Verbindungskanal befinden sich weiterhin in einem sehr baufälligen Zustand. Im Sommer 2006 wurde hier aus Anlass der Fußballweltmeisterschaft von privaten Betreibern die sogenannte Jungbuscharena als Veranstaltungsstätte eröffnet, die aber lediglich eine Zwischennutzung für das marode Gebäude darstellt. Während mittlerweile am Verbindungskanal ein Konzept des ‚Wohnen und Arbeiten am Wasser‘ geplant ist, welches den Zugang zum Kanal für Bewohner, Unternehmen und Besucher attraktiver gestalten soll, wurde diese Möglichkeit für den Neckar versäumt. Im Gegensatz zum Verbindungskanal, der auf Jungbuschseite immer noch insbesondere durch Industriebrache gekennzeichnet ist, die inzwischen teilweise zu Freiflächen umgestaltet werden, ist der Weg zum Neckar durch die Entwicklungen von Hafen und Industrie komplett verbaut. Der Neckar dient hier immer noch als Verkehrsweg: Ein Containerterminal und ansässige Betriebe nutzen den Fluss zum Warentransport, isolieren ihn aber gleichzeitig vom Jungbusch. Mit der Steigerung des Nahverkehrsaufkommens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich auch zusehends eine Abgrenzung zur Innenstadt. Der Jungbusch ist seit den 70er Jahren durch den Ausbau des Luisenrings zunehmend räumlich isoliert. Durch die vielspurigen Ringstraßen um die Quadrate wurde er ebenso wie andere angrenzende Stadtteile räumlich von der Innenstadt abgetrennt. Besonders der Luisenring bildet für Fußgänger wie Radfahrer eine teilweise gefährliche Barriere. Einzelhändler sind dadurch praktisch ausschließlich auf die Bewohner als Kundschaft angewiesen. Die Barrierewirkung des Rings macht sich deutlich bemerkbar. Marc, einer meiner Informanten, beschreibt das Problem wie folgt: Marc (46), Selbstständig: „[Ich habe] gerade mit einem Bekannten von mir gesprochen, der einen Dönerladen hatte und auch einen kleinen Lebensmittelladen. Der hat aber zweimal pleite gemacht. Oder beziehungsweise, es hat sich nicht gelohnt. So ein Türke. Und der würde gerne ein Geschäft aufmachen. Da gibt es natürlich viele, die das gern machen würden. Aber hier fehlt die Laufkundschaft. Wenn du hier einen Dönerladen aufmachst, das ist / oder der Star-Döner, hat auch nach kurzer Zeit zugemacht. Es ist fast unmöglich hier zu existieren oder hier zu überleben.“
Zusätzlich wird der Stadtteil durch andere größere Straßen (Dalbergstraße, Freherstraße, Seilerstraße) segmentiert und ist heute eher als Verwaltungseinheit denn als Sozialraum zu begreifen. Das gewachsene soziale Umfeld des Jungbusch aber auch die sozialen Beziehungen zur Westlichen Unterstadt wurden zerschnitten und neue Gebäudeinseln geschaffen, beziehungsweise zu deren verstärkter Isolierung beigetragen. Der Jungbusch ist so nicht nur eine 82
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Insel, sondern geradezu ein Archipel. Die Straßen bilden dabei ein trennendes Element, welches den direkten Kontakt von Nachbarn erschwert oder gar gefährlich macht. Diese Segmentierung der lokalen Nachbarschaft wurde zugunsten der schnellen Anbindung unterschiedlicher Industrie- und Hafengebiete an anliegende Autobahnstrecken, aber auch der neuen Vororte an die Stadtmitte, in Kauf genommen. Die nach und nach erfolgte Isolation des Stadtteils durch den Ausbau des Rings und anderer Straßen zeigt aber auch die von McCreedy (2001) beschriebene kulturelle und ökonomische Bedeutung der Verkehrsführung als Verbindung zwischen unterschiedlichen Räumen des Konsums und die durch sie entstehende Trennung gewachsener Nachbarschaften. Im Jungbusch wurden jedoch nicht nur bestehende Straßen mehrspurig ausgebaut, auch der Bau von mehrspurigen Brücken über den Neckar und über den Rhein strukturiert den Stadtteil. So wurde Anfang der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts die mehrspurige Kurt-Schuhmacher-Brücke von Mannheim nach Ludwigshafen am Rande des Quartiers fertig gestellt. Der Luisenring bildet eine ihrer Zufahrtstrassen und wurde dementsprechend umgebaut. Eine ehemals oberirdisch verlaufende Straßenbahnlinie wurde nun für eine kurze Strecke unter die Erde verlegt. Die aus diesem Umbau resultierende Verkehrsbelastung des Luisenrings führte bereits in den 70er Jahren zu lokalen Protesten. In Anlehnung an die Vorschläge von Studenten des städtebaulichen Instituts Stuttgart, die Ende der 70er Jahre eine Diplomarbeit über den Jungbusch mit dem Titel „Wohngebiet für soziale Randgruppen“ (Kleinhans/Paulitschek/Scherer 1977) vorlegten, wurde für den Jungbusch eine Verkehrsberuhigung angestrebt. Seit den 80er Jahren hat man so an einigen Stellen versucht, zumindest verkehrsberuhigte Zonen zu schaffen und den Schwerlastverkehr vom und zum angrenzenden Hafengebiet Mühlau umzuleiten. So ist gerade der zentrale Teil des Jungbusch durch eine verkehrsberuhigte Zone und Geschwindigkeitsbegrenzungen ein intensiv sozial genutzter Raum. Am Archipel-Charakter des Stadtteils hat sich allerdings bis heute nichts geändert.
Ab w ä r t s : D i e s o z i o k u l t u r e l l e Entwicklung des Jungbusch In den Gründerzeit- und Jugendstilbauten im Jungbusch wohnten zunächst viele Industrielle, Kaufleute und andere eher wohlhabende Bürger. Je nach Quelle wird der Jungbusch allerdings von Beginn an als Arbeitersiedlung (vgl. Probst 2005) oder aber als Wohnort für Wohlhabende (vgl. Keller 2002) bezeichnet. Tatsächlich scheint das Quartier in ein besseres und ein schlechteres Gebiet unterteilt gewesen zu sein, wobei ersteres zwischen Jungbuschstraße und Akademiestraße und letzteres in unmittelbarer Nähe zu Kauffmannmühle und Werft nordöstlich der Jungbuschstraße lag (vgl. Rings 2003). Da 83
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die Industrie allerdings bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus Platzmangel weitgehend in andere Stadtteile beziehungsweise auf die andere Rheinseite wieder abwanderte, entwickelte sich der Jungbusch, dank dem Ausbau des Verbindungskanals, praktisch zum ausschließlichen Hafenviertel, dessen Straßenbild hauptsächlich durch den Verkehr beim Be- und Entladen der Schiffe geprägt war (vgl. Rings 2003). Damit änderte sich auch der öffentliche Raum und die Wohnstruktur im Viertel: Auch Reeder und Kapitäne zogen in den Jungbusch. Gleichzeitig wohnten Tagelöhner und Arbeiter vor Ort (Rings 2003: 174f). Die Straßen waren nunmehr besonders durch die Sackträger gekennzeichnet, welche die Schiffe per Hand be- und entluden und auf Grund der schweren körperlichen Arbeit zu einem regen Absatz zugunsten der ortsansässigen Lebensmittelhändler beitrugen. Mit der Einführung maschineller Entladung mittels Kränen und Spillanlagen in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts brach die Sackträgergilde allerdings auseinander und der Jungbusch wandelte erneut sein Gesicht: Die Sackträger begannen aus dem Quartier zu verschwinden.10 Zu diesem Zeitpunkt war das Bürgertum, sofern man es sich leisten konnte, bereits in bessere Wohnviertel abgewandert, insbesondere in die noblere Oststadt. Das Quartier entwickelte sich inzwischen zusehends zur Amüsiermeile. Denn während des Be- und Entladens der Fracht wurde die Zeit zu einem Aufenthalt im Jungbusch oder in der Stadt genutzt. Die Anziehungskraft des Quartiers für Schiffer besonders in den 50er Jahren lag allerdings nicht nur in der Versorgung mit Lebensmitteln begründet, sondern auch in seinem Ruf als Rotlichtviertel. Der Mannheimer Historiker Rings (2003: 176) beschreibt diesen Wandel auch als Folge sozialer Veränderungen im Viertel, welche die Situation im Jungbusch zusätzlich verschärften: „Dann durchmischte sich das soziale Gefüge des Jungbusch nach dem Zweiten Weltkrieg zusehends [...]. Allüberall fanden sich nun Hafenkneipen; ein prosperierendes Rotlichtmilieu inklusive Straßenstrich zeichnete den ,Magnet Jungbusch‘ zudem aus. Am Rhein war das Viertel geradewegs zum Mythos avanciert, zahlreich und gern liefen die Schiffer hier ein: In den Jungbusch gehen war in Schifferkreisen geradezu ein stehender Begriff... Freilich dürften auch die nach Kriegsende in Mannheim zahlreich stationierten amerikanischen Soldaten die Entwicklung hin zum ‚Puffviertel‘ befördert haben.“
Weitere Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg veränderten die Bevölkerungsstruktur im Jungbusch erneut. Zunächst insbesondere durch dessen unmittelbare Folgen. Denn da der Jungbusch von Bombardierungen, die andere Gebiete der Stadt stark betrafen, weitgehend verschont blieb, entwickelte er sich zu einer Durchgangsstation für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen. 10 Vgl. Hakenkreuzbanner vom 3.11.1944. 84
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Der knappe Wohnraum in der übrigen Stadt in den Nachkriegsjahren führte zu einer verstärkten Belegung des Jungbusch und auch des Bezirks Mühlau: Flüchtlinge aus Schlesien und anderen vormals deutschen Gebieten, aber auch ausgebombte Einwohner Mannheims fanden hier vorübergehend, zum Teil auch dauerhaft, eine Bleibe.11 Während weite Teile der Stadt auf Grund der Zerstörungen wieder neu aufgebaut wurden, blieben die Wohnungen im Jungbusch – auch auf Grund der hohen Belegungsquote – daher etliche Jahre unsaniert. So heißt es in einem Artikel des „Mannheimer Morgen“ vom 15.10.1974 über den Jungbusch, dort besäßen 21% der Wohnungen kein WC, 69% kein Bad. Der von Rings (2003: 176) für den Jungbusch konstatierte „Filtering-down-Prozess“ scheint da kaum verwunderlich. Denn durch den Bau von Stadtrandsiedlungen wurde neuer Wohnraum im Grünen geschaffen. Ebenso wie in anderen Städten, setzte auch in Mannheim ein Trend zum Wohnen in Vororten ein. Das nunmehr etwas herunter gekommene Jungbuschgebiet mit seinen wenigen Grünflächen und seiner Nähe zum Mühlauhafen wird in den 60er Jahren daher zunächst durch Gastarbeiter italienischer und griechischer Herkunft neu belebt. Im Laufe der Zeit kamen insbesondere türkische Migranten hinzu. Zwischen 1976 und 1980 nahm laut Amt für Stadtentwicklung und Statistik (1981) die Einwohnerzahl im Jungbusch um 10,4% zu, obwohl gleichzeitig der Anteil deutscher Bewohner abnahm. Die ausländische Bevölkerung (davon 43,5% Türken, 28,3% Italiener, 7,8% Jugoslawen, 7,8% Griechen und 2,9% Spanier; 10,7% sonstige) erreichte zum Jahr 1981 die 50-Prozent-Marke. Bei dieser wuchs wie bei den Deutschen Bewohnern besonders die Gruppe der Alleinstehenden unter 35 Jahren. Während bei der deutschen Bevölkerung jedoch auch ein Rückgang junger Ehepaare, Familien, und Einzelpersonen über 35 Jahren feststellbar ist, nahmen im gleichen Zeitraum bei der ausländischen Wohnbevölkerung Familien mit Kindern und Paare über 35 zu. Die Fluktuation der Bevölkerung war zudem zu diesem Zeitpunkt sehr hoch: Die gesamte Bevölkerung schlug sich damals alle drei Jahre (zum Vergleich: Stadt Mannheim alle 7 Jahre) um (vgl. Amt für Stadtentwicklung und Statistik 1981). Die Gründe für die hohe Fluktuation und die starke Zunahme ausländischer Wohnbevölkerung lag häufig in einer unfreiwilligen Segregation begründet: So erklärten 75,5% der ausländischen – aber nur 23,8% der deutschen – Bevölkerung deshalb im Jungbusch zu wohnen, weil sie nichts 11 Diese Entwicklung wird insbesondere in den Erinnerungen von Bewohnern im persönlichen Gespräch deutlich. In der Sachliteratur zum Thema findet sich im Allgemeinen kaum eine Erwähnung der Situation des Quartiers in den Nachkriegsjahren. Einen Einblick gewährt hier die Sammlung „Geschichten aus dem Busch“ von Wolfgang Kasper, der die Erinnerungen von Jungbuschbewohnern zusammengetragen hat. (Vgl. Kasper, Wolfgang 2006. Geschichten aus dem Busch. Mannheim: Geschichtswerkstatt Jungbusch.) 85
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Besseres finden konnten. Seit seinem Höchststand 1997 sinkt der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung, gemeint sind Personen ohne deutschen Pass, von ca. 67% (Statistikstelle der Stadt Mannheim: Koordinierungskreis Jungbusch vom 7.12.2005) auf ca. 52% (Statistikstelle der Stadt Mannheim; Stand 31.12.2008), wobei der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund 2008 bei 65% lag. Zum Vergleich: im gesamten Stadtgebiet sind es 30,4%. Heute liegt im Jungbusch außerdem der Anteil von Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen über dem städtischen Durchschnitt. Gleichzeitig ist die Bevölkerung hier insgesamt jünger, was insbesondere an der hohen Anzahl Kinder und Jugendlicher mit Migrationshintergrund liegt. Der Altersdurchschnitt im Jungbusch liegt bei 34,8 Jahren, in der Gesamtstadt ist er um fast sieben Jahre höher (Statistikstelle der Stadt Mannheim: Koordinierungskreis Jungbusch vom 7.12.2005). Auf Grund der hohen Migrantenzahlen zeigt sich der Einfluss der Einwanderer auf den Jungbusch auch kulturell. In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts zogen zunächst insbesondere italienische – in geringerer Zahl auch griechische – Migranten in den Jungbusch. Etwas später kamen türkische Migranten hinzu, die bis heute den größten Anteil der migrantischen Bevölkerung ausmachen. Der Jungbusch hat damit durchaus auch eine Relevanz für diasporische Gemeinschaften: Dies zeigt sich nicht nur in der Vielzahl italienischer, türkischer und griechischer Lokale und Geschäfte, sondern auch in der Entstehung entsprechender religiöser Gemeinschaften. So befand sich früher der Treffpunkt der griechischen Ökumene im Jungbusch und in der katholischen Liebfrauenkirche findet ein gesonderter Gottesdienst für unterschiedliche ethnische Gruppen statt. Besonders islamische Einflüsse führten zu einer hohen Dichte weiterer religiöser Einrichtungen vor Ort. Diese werden jedoch keineswegs ausschließlich lokal genutzt und spielen dadurch für die Wahrnehmung des Quartiers nach außen eine große Rolle. Die Yavuz Sultan Selim-Moschee, die zum Dachverband DøTøP gehört, bildet mit ihrem im Jahre 2005 erneuerten und erhöhten Minarett an exponierter Stelle am Luisenring eine der Hauptattraktionen im Jungbusch, sowohl für Muslime als auch für Besucher.12 Inzwischen gehören Veranstaltungen der bereits als offener Moschee geplanten Yavuz Sultan Selim-Moschee und der benachbarten Liebfrauenkirche auch zum kulturellen Programm der Langen Nacht der Museen13. Auch die etwas kleinere und konservativere, zu Milli Görüú gehörige Fatih-Moschee, die mit Mitteln der Mitglieder kürzlich von einer etwas ma12 Gerade die hohe Zahl von Gläubigen an Freitagen und Feiertagen führt auch zu einem häufig beklagten Parkplatzproblem. 13 Wie in vielen anderen Städten findet auch in Mannheim einmal im Jahr die Lange Nacht der Museen statt. Hierbei wird neben Museen und Kunst auch ein Schwerpunkt auf Kultur gelegt. So nehmen neben der Yavuz Sultan SelimMoschee beispielsweise auch Kirchen und die Mannheimer Synagoge teil. 86
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roden Hinterhofmoschee zu einem geräumigen Gebetsraum mit Schulungsund Gemeinderäumen vergrößert wurde, führt inzwischen Besucherführungen durch. Bei lokalen Veranstaltungen, wie beispielsweise beim Nachtwandel14, öffnet auch sie ihre Türen und bietet dabei beispielsweise Informationen, türkische Spezialitäten und ein Musikprogramm. Gleichzeitig stellen beide Moscheen auch einen alltäglichen sozialen Treffpunkt für viele Muslime dar: Es finden Treffen oder Kurse statt, man kann dort essen oder einen Tee trinken. Diese lokale Koexistenz unterschiedlicher kultureller Praxen auf engem Raum und zu verschiedenen Zeiten beeinflusst auch die öffentlichen Diskurse über den Jungbusch. Obschon sich die Thematiken im Laufe der Jahre verändert haben, spielt die Vergangenheit des Quartiers auch für seine heutige Wahrnehmung eine zentrale Rolle. So wird der Jungbusch über die Jahre immer wieder als Ort des ‚Fremden‘ – sowohl in einer bedrohlichen als auch in einer exotischen Variante betrachtet. Daher werde ich im Folgenden zunächst auf die hegemoniale diskursive Wahrnehmung der spezifischen Stadtteilkultur des Quartiers eingehen, um dann die Diskurse über die sozio-kulturelle Zusammensetzung des Jungbusch in den Blick zu nehmen.
Hafenviertel – Rotlichtmilieu – Rotlicht ,light‘ Dass der Jungbusch ein Stadtteil im Niedergang sei, wurde bereits in einem Artikel aus den 50er Jahren beschrieben: Nach dem 1. Weltkrieg sei aus dem Jungbusch eine „zwielichtige Gegend“, nach dem Zweiten Weltkrieg dann eine „dunkle Gegend“ geworden (Rhein-Neckar-Zeitung, kurz RNZ vom 29.05.1953). Hier wird zunächst von der wohlhabenden und gutbürgerlichen Vergangenheit des Jungbusch als Wohnort von Reedern, Schiffseignern und Kaufleuten gesprochen, doch dann wird ein anderes Bild des Jungbusch beschworen: „Der Jungbusch hat zwei Gesichter – eines, das nur die Nacht kennt, und eines, das nicht anders aussieht als das aller anderen Stadtteile.“ Von den Nöten der anständigen Bewohner – „ehrenwerte Leute, die mit ihrer Hände Arbeit ihr täglich Brot verdienen“, die „nichts gemein [haben; E. B.] mit den nächtlichen Gästen und Radaubrüdern“ und die sich gegen den Ruf des Jungbusch als „Räuberviertel“ zu Wehr setzen wollen – ist hier die Rede. Im Artikel werden für diesen Zustand der sozialen und temporären Spaltung des Jungbusch in einen (all-)täglichen und einen ungewöhnlichen nächtlichen
14 Der Nachtwandel ist eine ebenfalls einmal jährlich statt findende Veranstaltung im Jungbusch, bei der spezifische Orte mit kulturellen Ereignissen verknüpft werden. Verschiedene lokale Einrichtungen und Künstlerinitiativen bieten ein Programm von Poesie bis Musik, das zwei Abende lang besucht werden kann. 87
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Raum zum einen eine städtische laissez faire Politik15, zum anderen die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten der Polizei16 verantwortlich gemacht. Außerdem kann man aus diesem Artikel erfahren, dass der Wirt eines kleinen Cafés sich gegen „zwei betrunkene, fremdländische Gäste“ zur Wehr setzen musste und bei einer Razzia 84 Damen festgenommen, wovon 36 gleich ins Krankenhaus verbracht wurden. Der Verfasser lässt seinen Artikel mit einem Kommentar eines Betroffnen enden: „,Wissen Sie, dass eine einzige Syphilisbehandlung den Staat 500 DM kostet?‘ fragte der Arzt in die Runde.“ Die Verursacher der nächtlichen Zustände im Stadtteil werden hier nicht genauer genannt. Durch die Verwendung von Begriffen wie „Radaubrüder“, „Damen“ und „fremdländische Gäste“ – dies scheint der Verfasser vorauszusetzen – kann sich der Leser bereits vorstellen, um was für einen Personenkreis es sich hier handelt. Die Damen scheinen dabei potentiell gefährlicher als die männlichen Gäste, da sie mit ihren berufsbedingten Krankheiten nicht nur den Ruf des Jungbusch beschmutzen, sondern auch noch dem Staat auf der Tasche liegen. Allerdings verweist ein Artikel aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg darauf, dass das Rotlichtmilieu bereits früher im Jungbusch Einzug gehalten hatte. So ist in der Zeitschrift „Die lebendige Stadt“ des Jahrgangs 1931/32 bereits von „Strichvögeln“ im Jungbusch die Rede. Das Gebiet zwischen Marktplatz und Hafen wird hier im positiven Sinne als „Hafenviertel“ und „Mannheimer Sankt Pauli“ beschrieben, „samt allem Zubehör an Pierreusen und Trotteusen, die sich nach Aufhebung gewisser Häuser im Jungbusch als Strichvögel eingenistet haben.“ Doch im Gegensatz zu dieser Beschreibung einer Hafenatmosphäre, die auch von einer gewissen Faszination gegenüber dem Gebiet und seinem besonderen Flair gekennzeichnet zu sein scheint, macht sich im Artikel der „RNZ“ aus dem Jahre 1953 und auch in späteren Darstellungen eindeutig Kritik breit: Der ‚brave Bürger‘ wird hier den Randgruppen der Gesellschaft gegenüber gestellt. Letztere bleiben anonym und gesichtslos, während wir den Erfahrungen konkreter Anderer, in Person des Arztes beziehungsweise des Wirtes, lauschen dürfen. Der Anspruch der ‚braven Bürger‘ auf den Jungbusch wird hierbei legitimiert und die Vernachlässigung des Stadtteiles durch die Stadt Mannheim beklagt. Diese veränderte Wahrnehmung des Quartiers lag sicherlich in der bereits beschriebenen Verschärfung der lokalen Situation begründet. Sie war letztlich aber auch Folge gesellschaftlicher Veränderungen, insbesondere in der mora15 Der Stadtteil sei zu Unrecht vernachlässigt, „weil man andernorts […] die Meinung vertritt, dass jede Stadt eine Gegend haben müsse, wo sich zweifelhafte Elemente austoben können“ (RNZ vom 29.05.1953). 16 Aufgrund von Verwarnungen gegen ein zu hartes Vorgehen der Polizisten hätte sich der Zustand im Viertel verschlechtert: „Das [gemeint ist hier die rechtliche Einschränkung der Polizisten, E. B.] weiß natürlich die einschlägige Gesellschaft da unten nur zu genau“ (RNZ vom 29.05.1953). 88
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lischen Bewertung von Prostitution. So wurde diese im Dritten Reich stark bekämpft, solange sie sich nicht strategisch nutzen ließ (vgl. Paulus 2003). Später entwickelte sich in den 60er und 70er Jahren ein hoher Grad an organisierter Prostitution, die auch zu den bekannten und sichtbaren Formen von räumlich akkumulierten Angeboten führte, wie beispielsweise die Reeperbahn als ‚sündigste Meile der Welt‘. Gleichzeitig fand auch eine zunehmende „Verhäuslichung“ (Löw/Ruhne 2006) der Prostitution statt: das Rotlichtmilieu wird seit den 60er Jahren von der Straße geholt und in Bordelle verlegt. Diese räumliche Organisation führt allerdings auch zu spezifischen städtischen Landkarten der Prostitution. Doch während sich beispielsweise jenseits des Neckars das Rotlichtmilieu in der Lupinenstraße für den Passanten unsichtbar hinter Metalltoren verortet, war es über einen langen Zeitraum im Jungbusch sichtbar im Stadtraum verteilt. Das Rotlichtmilieu wird daher nach dem Zweiten Weltkrieg in zunehmendem Maße mit dem gesamten Quartier Jungbusch in Verbindung gebracht. Der Vergleich mit Sankt Pauli, wenn auch im Kleinen, trifft auch in den Nachkriegsjahren durchaus zu. Doch nicht nur die Schiffer nutzten zunächst diese Angebote, auch nach dem Zweiten Weltkrieg stationierte Soldaten, Bewohner aus dem Umland und Neugierige fanden sich im Jungbusch ein. Als Schiffer und Soldaten verschwunden waren, blieben die Rotlichtbars. Die Hafenviertelatmosphäre wich dem Image vom Rotlichtbezirk. Etliche Bars säumten die Straßen, insbesondere die Jungbuschstraße. Mit 47 Gaststätten und 25 Bars wird der Jungbusch als „Sorgenkind der Stadt“ (RNZ 16.06.1976) bezeichnet. Obwohl diese Seite des Jungbusch nicht unbedingt neu war, wurde sie in den 70er und 80er Jahren als besonders massiv und störend empfunden und in der Regel insbesondere mit dem Niedergang der Schifferkultur in Zusammenhang gebracht, welche gesellschaftlich durchaus positiv besetzt war.17 So heißt es in einem Artikel der „Rheinpfalz“ (kurz RP) vom 14.10.1987: „Am Abend gehen die Leuchtreklamen der Kneipen und Bars an. [...] Nur einige erinnern mit Namen wie ‚Schifferbörse‘ oder ‚Zum Kapitän‘ daran, dass dieses Viertel seine vergangene Größe dem wachsenden Umschlag im Hafen verdankt, Treffpunkt der Kaufleute, Seemänner und Lastenträger war.“ Das historische Hafenviertel, das von Fraenger in „Die lebendige Stadt“ (1931/32) noch mit dem Ruch des Rotlichts in Verbindung gebracht wurde, wird so im Nachhinein vom Beigeschmack der Prostitution befreit. Im „Mannheimer Morgen“ (kurz MM) vom 18./19.6.1977 wird der Jungbusch vor dem Zweiten
17 Der deutsche Film „Große Freiheit Nr. 7“ von 1944 wurde zwar von den Nazis als unvereinbar mit dem Ideal einer deutschen Seefahrtskultur betrachtet, avancierte später allerdings – ebenso wie andere Spielfilme aus diesem Milieu – zur gängigen Fernsehunterhaltung (vgl. auch Barth 1999). 89
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Weltkrieg sogar als „solides Arbeiterviertel“ bezeichnet.18 Schifferkultur und Prostitution werden im öffentlichen Diskurs der 70er und 80er Jahre zunehmend als voneinander isolierte Phänomene betrachtet. Das lokale Rotlichtmilieu wird vielmehr als spezifisches Problem der Gegenwart identifiziert und nicht als ein historisches Phänomen. Dies mag auch daran liegen, dass die Bedeutung des Jungbusch als Ausgehviertel in dieser Zeit nahezu ausschließlich vom Rotlichtmilieu bestimmt wurde, während ältere Anwohner durchaus positive Erinnerungen an einige Tanzlokale im Jungbusch haben, die man auch als Pärchen besuchte. Während das Quartier in seiner Bedeutung als Vergnügungsviertel florierte, wuchsen allerdings seine sozialen Probleme. Die Bewohner versuchten auch politisch auf Missstände aufmerksam zu machen. In Folge des in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts angestoßenen Projekts zur Wohnumfeldverbesserung durch Kleinhans, Paulitschek und Scherer (1977), wurde in den 80er Jahren ein „Sozialplan Jungbusch“ (Arbeitskreis Sozialplan Jungbusch 1987) entwickelt, der auch auf die Begrenzung des ‚Amüsierbetriebs‘ abzielte. Gegen Ende der 80er Jahre lässt sich auch tatsächlich eine gewisse Verringerung in der Anzahl der Barbetriebe feststellen, doch die Bewohner der „Rumpelkammer Jungbusch“ (MM vom 4./5.2.1984) wehren sich auch weiterhin gegen das Milieu: Insbesondere die „aufdringlichen Leuchtreklamen“ werden als „,optische Verschandelung‘“ (MM vom 20.10.1987) betrachtet. Um den Ruf des Stadtteils als Rotlichtviertel zu verändern, fordern sie eine Einschränkung dieser offensichtlichen Außenwerbung. In den 90er Jahren nimmt die Bedeutung als Vergnügungsviertel weiterhin ab und damit auch die Beschwerden der Bewohner. Im öffentlichen Diskurs spielt diese Thematik allerdings auch weiterhin eine zentrale Rolle. Dennoch wird in hegemonialen Darstellungen des Quartiers immer wieder auf seine einstige Bedeutung als Amüsierviertel hingewiesen. Bei der Beschreibung der künstlerischen Verschönerung des Spielplatzes Beilstraße heißt es: „Lange gab es hier im Mannheimer Stadtteil Jungbusch nichts buntes außer den roten Lampen vor den Oben-ohne-Bars“ (RP vom 18.05.1994). Der Jungbusch kommt daher trotz der Schließung der Bars nicht wirklich vom Image als Rotlichtviertel los: „Das zweifelhafte Image als verruchtes RotlichtViertel haftet dem Jungbusch an wie die Hafenluft“ (MM vom 23.10.1998). Dieses öffentliche Interesse an der Vergangenheit des Quartiers wandelt sich seit der Jahrtausendwende zum offenen Konsum des Rotlichtruchs beziehungsweise des Hafenviertelcharakters. Beim Nachtwandel 2004 wird die Thematik dessen eingeführt, was ich als Rotlicht light bezeichne: Unter dem Titel „Susis Text Bar“ wurde hier im Originalambiente einer historischen Rot18 Diese Wahrnehmung hält sich auch heute noch und ist für die Identifikation mit dem Stadtteil von entscheidender Bedeutung (vgl. Kapitel 6). 90
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lichtbar erotische Literatur verlesen. Auch hier spielen Künstler beim Imagewandel eine entscheidende Rolle. Die Authentizität des Stadtteils und spezifischer Lokalitäten wird hierbei umfunktioniert zu einer eigenen Lokalkultur. Dieses Flair zieht etliche wohlanständige Besucher an, die hier sozusagen unverfänglich Gelegenheit erhalten, einen Fuß auf bislang unbekanntes Terrain zu setzen, wo „Stadtteil-Kultur die Rotlichtmeile erobert“ (MM vom 19.01.2005). War es zunächst hauptsächlich der intellektuelle Konsum von Erotik, so hat sich inzwischen die nun wieder unter ihrem ursprünglichen Namen „Onkel Otto“ firmierende Bar weniger auf ein kulturell interessiertes Publikum spezialisiert. Mittlerweile hat sie sich zum gefragten Club entwickelt, wobei die Geschichte des Jungbusch als Reklame fungiert: Bei der Beschreibung dieser Lokalität ist so vom „Seefahrer-Flair“ die Rede, denn die Bar „im Herzen des Jungbusch“ sei „Anlaufpunkt für die Seefahrer und ihre Bekanntschaften, die oft nicht länger als ein paar Nächte dauerten“ gewesen (Morgen Magazin vom 27.4.2006). Die gesellschaftliche Problematik der Prostitution und die Stigmatisierung von Rotlichtgebieten wird hier zugunsten eines neuen, mit den Werten des „neuen Kleinbürgertums“ (Bourdieu 1998a) kompatiblen Rotlichttourismus ausgeblendet. Als Image wird nicht zufällig das Seefahrt- und Hafenmotiv verwendet, obwohl die Besucher der ‚echten‘ Onkel Otto Bar seit den 70er Jahren mit beidem nur wenig gemein gehabt haben dürften. Erotik wird hier zum Verkaufskonzept erklärt: „Ein wenig Obszönität darf immer durchblicken“, so einer der Inhaber (Morgen Magazin vom 27.4.2006). Das Motto sex sells, das auch in anderen Clubs eine gewichtige Rolle spielt, wird hier nachgerade historisiert und trägt so zur Popularität und zum Konsum von Lokalität bei.
Ar b e i t e r v i e r t e l – M i g r a n t e n g h e t t o – kosmopolitisches Viertel Ein weiteres wichtiges Thema im öffentlichen Diskurs über den Jungbusch ist der hohe Anteil von Migranten. Sie wurden häufig als das zweite Problemfeld des Quartiers in den Raum geführt, auch über die Grenzen der Stadt Mannheim hinaus. Insbesondere seit den 70er Jahren wird auf den zunehmenden materiellen Verfall des Gebiets im Zusammenhang mit Zuwanderung hingewiesen. „Trostloses Bild eines Stadtteiles: Was soll aus dem Jungbusch werden? – Auf dem Weg zum zerfallenden Ausländergetto“ titelt der „Mannheimer Morgen“ vom 15.10.1974. Hier wird nun auf die ‚neuen‘ Probleme des Jungbusch hingewiesen und auch diesmal bleiben sie gesichtslos: Vielmehr wird eine „Tendenz zur Ansiedlung von sozialen Problem- und Randgruppen“ attestiert. Der Anteil von Migranten im Jungbusch, so erfahren wir hier, beträgt 39%, „etwa fünfmal soviel wie der Mannheimer Durchschnitt.“ Sozialer 91
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und materieller Niedergang des Quartiers werden im Diskurs nahtlos mit einer Abwanderung deutscher Bevölkerung und einem Anstieg von Migranten verknüpft. Der „überdurchschnittliche Ausländeranteil“ (RNZ vom 16.6.1976) wird hier nicht als Folge von unfreiwilliger Segregation betrachtet, sondern als ursächlich für soziale Probleme. So würden „Bemühungen öffentlicher Stellen für ein freundlicheres Gesicht des Stadtteils zu sorgen, immer wieder von Bewohnern selbst zunichte gemacht“ (MM vom 15.10.1974): Von Vandalismus und Aggression gegenüber der ‚deutschen Minderheit‘ ist die Rede. Immer häufiger wird im hegemonialen Diskurs darauf hingewiesen, dass der Jungbusch vor dem Zweiten Weltkrieg ein „gutbürgerliches Viertel“ (RNZ vom 16.6.1976) und eine „gute Wohnadresse“ (MM vom 18./19.6.1977) für „reiche Beamte und Kaufleute“ (RNZ vom 2.6.1981) gewesen sei. Die kurze Phase der großbürgerlichen Vergangenheit des Quartiers wird dabei, ebenso wie sein ehemaliger Status als „solides Arbeiterviertel“ (MM vom 18./19.6. 1977), zur Verdeutlichung des sozialen Abstiegs und der Gegensätze zwischen den Gründerzeitfassaden und den ‚neuen‘ Bewohnern angeführt. Insbesondere der soziale Zusammenhalt wird in den 80er Jahren als problematisch beschrieben, trotz des eingeleiteten Sanierungsprozesses und der Entschärfung des Rufs als Rotlichtviertel: „Der Mannheimer Stadtteil ‚Jungbusch‘, eigentlich der älteste Stadtteil der späteren Residenz, soll, wie vor einiger Zeit berichtet, vom üblen Ruch, das ‚Mannemer St. Pauli‘ zu sein, gänzlich befreit werden. Die Schwierigkeiten, den Stadtteil, der einmal ein rechtes Gut-Leut-Viertel war, zu ‚regenerieren‘, wie die Stadtplaner das nennen, liegen indes heute weniger im Nachtleben, das trotz einiger übriggebliebener Bars, längst nicht mehr so bedeutend ist. Problematischer ist da schon, dass im Jungbusch immer mehr Ausländer wohnen, dass die deutsche Bevölkerung weitgehend überaltert ist und dass trotz der vielfach frisch herausgeputzten Bürgerfassaden noch lange kein einheitliches Stadtteilleben existiert.“ (RP vom 14.01.1985)
Besonders der Anteil türkischer Migranten im Jungbusch wird in den Printmedien der 70er und 80er Jahre sorgenvoll diskutiert: „Wird der Jungbusch zum zweiten ‚Kreuzberg‘?“ fragt die „Rheinpfalz“ am 22.7.1981 und gibt gleich selbst die Antwort: „Jeder zweite Ausländer in diesem Stadtteil hat die türkische Nationalität, der Rest verteilt sich auf Italiener, Jugoslawen, Griechen und Spanier. Eine Entwicklung, die im Berliner Stadtteil Kreuzberg – fast ausschließlich in türkischer Hand – Parallelen haben könnte.“ Auch in einem weiteren Artikel der „Rheinpfalz“ vom 14.10.1987 erfahren wir, dass sich im Jungbusch in Wahrheit die deutsche Bevölkerung in der Minderheit befindet: „Der Jungbusch hat zwei Gesichter. Tagsüber wird er zumindest bei schönem Wetter von ausländischen Kindern und alten Leuten geprägt. Damit 92
KAPITEL 3 – JUNGBUSCH: ORT UND STADT
ist gleichzeitig deutlich, wer hier wohnt. Der Jungbusch ist Mannheims einziges Gebiet, in dem mehr Ausländer als Deutsche leben.“ Auch die Bedeutung des Quartiers als Rotlichtbezirk wird im selben Artikel nochmals aufgegriffen: „Die große Zeit der Amüsierbetriebe scheint allerdings vorbei; immerhin hat ihre Zahl in den letzten Jahren von 21 auf dreizehn abgenommen. Dafür steigt die Zahl der türkischen Gaststätten.“ Die Lösung des einen Problems wird hier als der Beginn des nächsten dargestellt. Im hegemonialen Diskurs wird der Sozialraum Jungbusch damit als über die Jahre bedroht von unterschiedlichen feindlichen Übergriffen konzipiert: Einerseits in Form des Rotlichtgewerbes, andererseits durch die wachsende Zahl von Migranten, die sich im öffentlichen Raum immer deutlicher präsentieren und damit praktisch ebenso sichtbar sind, wie ehedem die roten Lichter. Gleichzeitig entwickelt sich aber auch die Rede vom ‚bunten Stadtteil‘ Jungbusch, in dem man fremde Kultur in Form von Speisen oder Folklore fast wie im Urlaub, der ohnehin oftmals in die Herkunftsländer der ansässigen Migranten führte, goutieren kann: „Besucher konnten kulinarische Spezialitäten vom Bosporus und aus den europäischen Mittelmeerländern genießen, oder sich von den bunten Kostümen und temperamentvollen Rhythmen der ausländischen Mitbewohner bezaubern lassen“ (RNZ vom 25.6.1986). Die Anziehungskraft der Exotik des Fremden bildet auch die Facetten des Weiteren öffentlichen Diskurses. Während zu Beginn der 90er Jahre noch auf lokaler Ebene sehr kontrovers über den Bau einer repräsentativen Moschee im Jungbusch diskutiert wird, wird die Migrantenkultur in den Medien insgesamt positiv verklärt und essentialisiert dargestellt: „Zwar glänzt hier kein Messingschild auf Hochglanz poliert, dafür breitet sich überall der dezente Charme einer fast südländischen Nachlässigkeit aus, der mit Kehrwoche und Schrubber-Orgien nicht viel im Sinn hat“ (MM vom 25.7.1991). Im Jungbusch „tummeln“ sich die Bewohner des „Vielvölkerstadtteils“ als „multikulturelles Mischmasch“: „die Italiener bringen ihr Temperament ein“, andere ethnische Gruppen sorgen für „Farbtupfer“ (MM vom 25.7.1991). Nicht alle sind davon so begeistert wie der Verfasser des Artikels, besonders die Alteingesessenen: „Ein Ghetto entstehe hier am Verbindungskanal, befürchten die Altjungbuschler und fühlen sich verdrängt, eingeschränkt, verschandelt“ (MM vom 25.7.1991). Diese kritischen Stimmen von Alteingesessenen gehen im Diskurs zugunsten der Darstellung vom „lebendigen Wohnviertel“ (MM vom 15.3.1996) allerdings mehr und mehr unter. Die „mediterrane Lebensart“ (MM vom 24.6.1994), der „orientalische und südländische Flair“ und das „multikulturelle Zusammenleben ohne große Konflikte“ (MM vom 6.11.1998) werden betont. Die Heterogenität und Exotik der Bewohner wird zunehmend als positiv gegenüber der scheinbaren Homogenität der Alltagskultur in anderen Stadtteilen dargestellt:
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LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
„,Andere Stadtteile‘, sagt sie [Christa Langlotz, eine inzwischen verstorbene, sehr engagierte Bewohnerin des Jungbusch; E. B.], ohne Namen zu nennen, ‚sind doch tot‘. Was man vom Jungbusch nicht gerade sagen kann: Hier rennen, etwa in der Beilstraße, noch richtige Lausbuben dem Fußball hinterher. An jeder Ecke stehen Gruppen von Leuten palavernd zusammen wie auf einer südländischen Piazza. Und aus einer Unzahl von Kneipen quillt ein würziges Aromagemisch aus Zigarettendampf, fremdländischen Gesprächsfetzen und exotischer Musik. Der Busch ist ein multikulturelles Viertel: Hier leben Italiener, Griechen, Türken, Deutsche und Osteuropäer auf dem engen überschaubaren Areal zwischen Akademie-, Hafen- und Holzstraße zusammen.“ (MM vom 23.10.1998)
Dieses multikulturelle Flair zieht zwar ein intellektuelles Publikum an, ändert allerdings in der hegemonialen Wahrnehmung des Jungbusch als Problemgebiet nur bedingt etwas, was sicherlich auch im hohen Anteil von Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen im Stadtteil begründet liegt. Der kosmopolitische Aspekt des Jungbusch wird in den letzten Jahren allerdings noch zunehmend betont, wobei auch weiterhin das Konzept des ‚südländischen Fremden‘ eine Rolle spielt. Insbesondere die Erfahrungen von Migranten in Deutschland werden aber nun verstärkt in den Blick genommen: Von „Integration bei gleichzeitiger Bewahrung der kulturellen und religiösen Eigenheiten“ (MM vom 4.5.1994) ist die Rede und von der „Herausbildung eines Heimatgefühls“ (RP vom 11.5.1994). Während im öffentlichen Diskurs bis Mitte der 90er Jahre noch die soziale Gemeinwesenarbeit als wichtigstes Integrationsmittel dargestellt wurde, wird inzwischen verstärkt der kulturelle Austausch betont. Dabei spielt Kunst ebenso eine Rolle wie unterschiedliche kulturelle Praxen und die Vielfalt von Lebensstilen. So wird für den Jungbusch eine spezifische Kompatibilität zwischen populärkultureller und multikultureller Hybridität festgestellt: „Eine solche Band passt einfach hinein ins Multikulti-Viertel Jungbusch: Ein bisschen Reggae, funkige Gitarren-Riffs, ein jazziges Saxofon, dazu exotisch pluggernde Perkussioninstrumente“ heißt es beispielsweise im „Mannheimer Morgen“ vom 14.5.2003. Die neue Bedeutung als Pop-Stadtteil wird hier nahtlos mit einer Multikulti-Romantik verknüpft. Migranten werden zunehmend als Repräsentanten des Stadtteils dargestellt und erhalten in den Printmedien nunmehr ein Gesicht: Jugendliche der Creative Factory werden bei der Theaterarbeit abgebildet (MM vom 21.6.2005), am 16.8.2006 überlässt der „Mannheimer Morgen“ den Buschgirls, die im und für den Jungbusch ein Online-Magazin produzieren, fast eine gesamte Seite. Hier wird auch „og mc“, ein Rapper aus dem Jungbusch vorgestellt: „Die Inspiration für seine Musik holt er sich von den Straßen, auf denen er sieht, was in der Welt abgeht. Mit seinem Kollegen ‚Brokie‘ produziert er die Beats selber, und seine Musik nimmt er nur im Jungbusch auf. [...] So ein Leben klingt interessant. 94
KAPITEL 3 – JUNGBUSCH: ORT UND STADT
Aber der Rapper ist auch ein netter junger Mann, der Ziele und Wünsche wie jeder andere hat.“ Bei dieser veränderten Darstellung von Migranten wird die Vielfalt im Jungbusch nun nicht mehr mit Urlaub, sondern zunehmend mit künstlerischer Kreativität verknüpft. In einem Artikel über die meist türkischen Jugendlichen der Creative Factory heißt es im Stadtmagazin „Meier“ vom Juli 2004: „Im Mannheimer Hafenviertel hat sich eine kreative Zelle gebildet, nur ein paar Schritte entfernt von Susis Strip Bar und dem türkischen Café Televole, aus dem nach 18 Uhr tumultartiger Lärm quillt.“ Diese Umbrüche in der Darstellung des Stadtteils sind natürlich auch Teil komplexer gesellschaftlicher Entwicklungen und Veränderungen in der Wahrnehmung von Lokalität, Gemeinschaft und Fremdheit. In der öffentlichen Konzeption des Jungbusch sind diese Transformationen gleichermaßen Segen und Fluch: Zum Einen hat sich das Image des Jungbusch vom Paria der Stadt zum schillernden Quartier gewandelt und damit zu einer erhöhten Aufmerksamkeit gegenüber lokalen Belangen und zum Rückgang einer Stigmatisierung der Bewohner geführt. Zum Anderen können fehlende ‚neue‘ events diese Entwicklung auch schnell wieder stagnieren lassen. Denn die öffentlichen Erwartungshaltungen hinsichtlich der Existenz einer lokalen Exotik sind inzwischen durchaus hoch gesteckt.
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Kapitel 4 Lokalität ‚re visited‘
Zum 400jährigen Jubiläum der Stadt Mannheim fand am 24.01.2007 in der Innenstadt ein Konzert mit Mannheimer Musikern unter freiem Himmel statt. Es war sehr kalt, trotzdem waren viele gekommen um die ‚Mannheimer‘ Rolf Stahlofen, Uwe Ochsenknecht – der zwar aus Mannheim stammt aber keineswegs hier wohnt – und Joy Flemming zusammen mit Mitgliedern der Söhne Mannheims und weiteren Musikern verschiedener Nationalitäten, deren Zugehörigkeit zu Mannheim bei einer Vorstellungsrunde durch Stahlofen erst erklärt werden musste. Bereits bei der Vorstellung eines Rappers aus dem Jungbusch, wurde von einer Gruppe Jugendlicher mit Migrationshintergrund lautstark „Jungbusch, Jungbusch“ skandiert. Im Anschluss an die livebands leerte sich der Platz auch auf Grund der sehr kalten Witterung praktisch vollkommen. Gegen diesen Publikumsschwund versuchte ein DJ mit Ethno-PopMusik anzukämpfen und erklärte das „kosmopolitische Mannheim“ zum „Nabel zwischen Orient und Okzident“. Diese Ode an das Weltbürgertum beeindruckte die jugendlichen Fans allerdings wenig: Mit weiteren „Jungbusch, Jungbusch“-Rufen warteten sie auf die Ankunft ihres Idols.
Auf Grund des hohen Anteils an Migranten könnte man zunächst davon ausgehen, dass für viele Bewohner transnationale Identitätskonzepte eine wesentlich größere Rolle spielen als lokale. Dass also der Jungbusch als „diasporic 97
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
space“ (Kaya 2001) verstanden werden kann, in dem die Orientierung an das Heimatland beziehungsweise an „imagined homelands“ (Gupta/Ferguson 1997b: 39) eine wichtigere Rolle spielt als die Identifikation mit dem Jungbusch als multi-ethnischem Stadtteil. In Anbetracht der hohen Fluktuationsrate der Jungbuschbevölkerung scheinen lokale Bindungen in der Tat nur geringfügig ausgeprägt zu sein. Dennoch spielen die sozialen Bindungen vor Ort nicht nur für die alteingesessene Bevölkerung eine wichtige Rolle, sondern durchaus auch für viele Migranten der ersten, zweiten und dritten Generation. Die Bedeutung von Lokalitäten des Residenzlandes für Migranten und ihre Nachkommen wird in der Literatur zum Thema Diaspora und Transnationalismus allerdings selten exploriert. Die Vernachlässigung dieses Themenbereichs liegt im Wesentlichen sicherlich darin begründet, dass im wissenschaftlichen Diskurs lokale Identitäten und transnationale Identitäten als Gegenpole betrachtet werden. Transnationale Identitäten werden mit Konzepten der Delokalisierung durch Effekte der Globalisierung und kultureller Bewegungen, wie Migration und Diaspora, in Verbindung gebracht, während Lokalität in der Regel mit Identitätskonzepten der face-to-face-community verknüpft zu sein scheint. Diese Opposition zwischen heterogenen, mobilen Identitäten einerseits und homogenen, lokalen Identitäten andererseits, die sich auch weiterhin durch die disziplinäre Schwerpunktsetzungen manifestiert, bedarf jedoch dringend einer nachhaltigen Korrektur. Im Folgenden werde ich zunächst diskutieren, warum sich eine solche strukturelle Opposition zwischen lokalen und transnationalen Identitäten – insbesondere im globalisierungstheoretischen wissenschaftlichen Diskurs – überhaupt entwickelt hat. Globale Veränderungen durch transnationale Prozesse wurden in ihrer Gesamtheit als massiv empfunden und sorgten entsprechend auch im wissenschaftlichen und im öffentlichen Diskurs für Furore. Während die Homogenisierung von Orten durch internationale Konzerne, die Durchdringung des Lokalen durch globale Prozesse und die Entwicklung „glokaler“ Stile durch die Transformationen von lokalen Praxen mittels einer zumeist westlich geprägten Populär- und Konsumkultur, relativ häufig thematisiert werden (beispielsweise Miller 1997; Robertson 1998; Inda/Rosaldo 2002; Bröskamp 2006), so finden die tatsächlichen Veränderungen des Ortes und damit auch seiner Bedeutung als place in diesem Zusammenhang kaum Beachtung.1 Lokalität, beziehungsweise der spezifische Ort, wird vielmehr als Gegensatz zur ‚beschleunigten‘ globalen Welt konzipiert. Ein solches Verständnis von Globalität als übergeordneter Prozess, der auf Lokalitäten Einfluss nimmt und diese miteinander verbindet, findet sich beispielsweise in Giddens (1996: 85) Definition von Globalisierung: „Definieren lässt sich der Begriff der Globali1 98
Eine Ausnahme zu dieser Regel findet sich zum Beispiel bei Massey (1997).
KAPITEL 4 – LOKALITÄT ‚REVISITED‘
sierung demnach in einer Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen, durch die entfernte Orte in solcher Weise miteinander verbunden werden, dass Ereignisse am einen Ort durch Vorgänge geprägt werden, die sich an einem viele Kilometer entfernten Ort abspielen, und umgekehrt.“ Hier wird der Bewegung im Raum eine Dominanz über den Ort zugebilligt. Der Begriff Globalisierung impliziert dabei unterschiedliche Gegensatzpaare: global vs. lokal, Veränderung vs. Kontinuität, Zentrum vs. Peripherie (vgl. Wassmann 1998) und – so könnte man hinzufügen – Raum vs. Ort. Diese Vorstellung entwickelt sich sicherlich maßgeblich durch die medial beeinflusste Wahrnehmung von Simultanität. Die cyberspaces des „global village“ McLuhan/Powers 1995) reduzieren den Ort auf die physische Lokation des users. Die globale Vernetzung – so scheint es zumindest – mindert dabei stetig die Relevanz lokaler Bindungen. Ein weiterer Grund für die Dominanz globaler und transnationaler Diskursfragmente nicht nur in wissenschaftlichen Diskussionen liegt Schroer (2006) zu Folge in der konzeptuellen Trennung zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft begründet, wobei Gesellschaft dem Faktor der Globalität zugeordnet, während Gemeinschaft in der Regel als lokales Phänomen betrachtet wird. Im Zuge des Globalisierungsdiskurses zeigt sich hierbei allerdings eine zunehmende qualitative Differenzierung zwischen lokalen face-to-face-Gemeinschaften im Gegensatz zu nationalen oder transnationalen „imagined communities“ (vgl. Anderson 1983). Letztere gelten in der Regel als komplexer, heterogener und teilweise auch als reflexiver, als lokale Netzwerke. Mobilität und Deterritorialisierung, nicht lokale kulturelle Praxen, werden also als Medium sozio-kultureller Veränderung betrachtet, auf die ich in diesem Kapitel noch näher eingehen werde. Hier soll zunächst einmal die Beziehung zwischen Lokalität und Gemeinschaft vor dem Hintergrund einer gewissen Romantisierung des Lokalen im Globalisierungsdiskurs kritisch diskutiert werden. Nicht zufällig gilt das Lokale auch im wissenschaftlichen Diskurs als ein Rückzugsort vor einem Zuviel an Diversität in der globalen Welt. Mit dem Verlust der „identities of specific places“ und damit der „local roots“ von „face-to-face communities, that are locatable“ durch eine zunehmende Diversifizierung von Identitätsmodellen, beginnt eine Suche nach neuen – imaginären – Verortungen, beispielsweise durch die Rekonstruktion von Ethnizität (Hall 1991: 35f). Die Konzeptualisierung von Lokalitäten als quasi passive Empfänger oder gar Opfer globaler Trends lässt sich so auch durch die Verknüpfung von Lokalität mit einer homogenen Gemeinschaft erklären, welche verschiedene disziplinäre Diskurse kennzeichnen. Dieses Konzept findet sich beispielsweise in der soziologischen Wahrnehmung des einzelnen Ortes als Heimat einer Gemeinschaft:
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LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
„Within the sociological tradition the term local and its derivates locality, and localism, have generally been associated with the notion of a particular bounded space with its set of close-knit social relationships based upon strong kinship ties and length of residence. There is usually the assumption of a stable homogenous and integrated cultural identity which is both enduring and unique. In this sense it was often assumed that members of a locality formed a distinctive community with its own unique culture – something which turns the location of their day-to-day interactions from a physical space into a place.“ (Featherstone 2003: 343; Hervorhebung im Original)
Diese Verknüpfung von Lokalität mit Gemeinschaft, welche durch spezifische kulturelle Merkmale gekennzeichnet ist, findet sich ebenso in anderen Disziplinen und Denktraditionen. So wird auch innerhalb der Humangeographie der Lokalität ganz explizit eine Bedeutung für die Identität unterstellt. Hier wird beispielsweise die Metapher der Verwurzelung, die auch bei der Konzeption nationaler Identitäten zum Tragen kommt (vgl. Malkki 1997), für die Beschreibung lokaler Identität verwendet: „All inhabited landscape holds cultural meaning, emotional significance that is a product of interaction with the land over time. These less observable facets of landscape include its atmosphere and sentimental value. The phrase ‚sense of place‘ is also used to describe these meanings. Commonly, sense of place refers to the positive attachments people hold for the environments in which they live, those intangible qualities, built up over time, that make landscapes ‚special and worth defending.‘ […] A part of what makes places special is their capacity to provide inhabitants with a sense of rootedness […].“ (Robertson 2006: 7; Hervorhebung E. B.)
Der menschlichen Beziehung zum Raum werden dabei allerdings durchaus unterschiedliche Qualitäten unterstellt. Dabei unterscheidet beispielsweise der Humangeograph Ipsen (1993: 9) zwischen einer rein funktionalen Nutzung des Raums und einer reflexiven, symbolischen Aneignung von Raum in ‚komplexeren‘ Gesellschaftsformen: „Wenn wir von regionaler Identität reden, dann sicher nicht von der naiven Ortsgebundenheit einer vorindustriellen, vormodernen Gesellschaft. Der Bauer und der Jäger nutzen den Raum existenziell, eine Distanz zum Raum ist nicht möglich, weil lebensbedrohend.“ Eine Vorstellung von regionaler Identität bildet sich nach Ipsen durch den nationalen und internationalen Kontakt. Dahingegen hat der Raum in jenen vorindustriellen und vormodernen Gesellschaften – ob er sich dabei auf Gesellschaften aus Vergangenheit oder Gegenwart bezieht, ist nicht ersichtlich – auch eine andere, eben ‚existenzielle‘ Bedeutung. Diese Vorstellung missachtet die Komplexität von Raum in seiner bereits diskutierten symbolischen und phänomenlogischen Bedeutung als place. Denn die Bedrohung des eigenen Lebens durch eine mangelnde Kenntnis der Umgebung existiert auch 100
KAPITEL 4 – LOKALITÄT ‚REVISITED‘
in komplexen Gesellschaften und äußert sich beispielsweise in dem englischen Ausdruck streetwise. Dieses spezifische lokale Wissen, welches im urbanen Raum zum ‚Überleben‘ benötigt wird, sorgt auch dafür, sich auf der Straße zu recht zu finden und Gefahren besser einschätzen zu können. Ipsen sitzt hier einem Vorurteil auf, das Hastrup und Olwig (1997: 6) auch vielen Ethnologen attestieren und als spezifisch westliche Voreingenommenheit identifizieren: „The anthropological place-fixation can also be seen to be related to a tendency in the West to see non-Western people as somehow closer to nature.“ Diese Vorstellung, manche Gemeinschaften seien ‚lokaler‘ als andere beeinflussen dabei wohl auch die Bandbreite ethnologischer Forschungen, die sich folglich entweder auf den lokalen ‚native’ oder auf marginale cum lokale Gemeinschaften in komplexeren Gesellschaften konzentrierten. So stellt Ferguson kritisch (2004: 159) fest: „Unsurprisingly, it is the least ‚developed‘ who are generally understood to be the most ‚local‘. […] For the kind of societies and settings that anthropologists typically study and the kind they do not are separated precisely by ‚development‘ […]. Indeed, it is clear not only that anthropologists have mostly studied in ‚less developed countries‘, but also that they have tended to study ‚less developed‘ categories of people within those countries (indigenous native peoples in Brazil, ‚tribal‘ or ‚hill‘ people in Southeast Asia, foragers in Southern Africa, and so on). Likewise, when anthropologists work in the ‚developed world‘, they tend to study the poor, the marginal, the ,ethnic‘, in short, the Third World within.“
Kapferer (2000) weist allerdings darauf hin, dass der Prozess der Feldforschung in der Regel ebenso wie die Lebensweise scheinbar lokaler Gemeinschaften weit weniger statisch verläuft. In der ethnographischen Praxis erweitern Tauschbeziehungen mit teilweise weit entfernten Nachbarn, die Komplexität von Heiratsregelungen, aber auch die tägliche Versorgung mit Nahrungsmitteln, die unter Umständen weite Wege erfordert, die Grenzen des Dorfes und den Aktionsradius von Ethnologen ebenso wie von den Angehörigen der dörflichen Gemeinschaft. Insofern sind lokale Gruppen oftmals weniger ‚verortet‘, als es in der Gegenüberstellung von lokal vs. global den Anschein hat.
D e l o k a l i s i e r u n g u n d H yb r i d i t ä t ? Dennoch wird diese Dichotomisierung von Lokalität vs. Globalität beziehungsweise face-to-face-community vs. imaginierter Gemeinschaft noch um den Faktor daran geknüpfter Identitätskonzepte erweitert. Denn mit der Konzeption von deterritorialisierten kulturellen Praxen wurde auch die Frage nach 101
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
der sozialen Identität neu gestellt. Dabei spielt insbesondere der Begriff der Hybridität eine zentrale Rolle. Bei gegenwärtigen postmodernen Akteuren handele es sich beispielsweise um „hybrid ‚natives‘“ (Clifford 1997a: 19), die selbst eine große Erfahrung von ‚Fremdheit‘ aufweisen. Clifford (1997a: 19) beschreibt daher den ‚Informanten‘ in der Ethnologie auch als „problematic figure“: „A great many of these interlocutors, complex individuals routinely made to speak for ‚cultural‘ knowledge, turn out to have their own ‚ethnographic‘ proclivities and interesting histories of travel. Insider-outsiders, good translators and explicators, they‘ve been around. The people studied by anthropologist have seldom been homebodies“ (Clifford 1997a: 19). Der „hybrid ‚native‘“ wird hier explizit als Akteur mit einer gewissen Erfahrung an Fremdheit definiert, während der ‚Indigene‘ durch eine „continuity of habitation, aboriginality, and often a ‚natural‘ connection to the land“ gekennzeichnet ist (Clifford 1994: 308). Aus dem verorteten ethnologischen Informanten wird hier ein Reisender, der die Erfahrung kultureller Differenz auch gleichzeitig interpretiert. Dies rückt den hybriden ‚native‘ näher an den Ethnologen selbst heran und demokratisiert so das Verhältnis zwischen Forscher und Erforschtem als Beziehung zwischen zwei Experten. Der Informant wird damit auch zum aktiven Vermittler zwischen der eigenen und der fremden Kultur. Die Vorstellung einer postmodernen und postkolonialen kulturellen Hybridität wird daher im wissenschaftlichen Diskurs verbunden mit physischer Mobilität beziehungsweise kultureller Delokalisierung durch Kosmopolitismus, Diaspora, Migration und travel (Clifford 1992, 1994; Hannerz 1996). Diese hybriden Lebensformen transzendieren, so die Lesart, in besonderem Maße die lokale Verwurzelung von Kultur. Cohen (1997: 170) sieht insbesondere Diasporas als ein Mittel zur Transzendenz lokaler Strukturen, da sie als „bridge between the particular and the universal“ fungieren und verwendet den Begriff des „cosmopolitanism“ zur Beschreibung diasporischer Gemeinschaften, welchen er einem spezifischen „localism“ entgegen stellt. Hybride Identitäten sind allerdings das Resultat sehr unterschiedlicher Erfahrungen von gradueller Fremdheit. Gilroy betrachtet sie als Produkt von „hybrid, creole origins“ (Gilroy 1996: 73), dem Aufwachsen im Zwischenraum der Kulturen. Der postkoloniale Hybriditätsdiskurs reproduziert allerdings letztlich ein Konzept homogener Identität, welches er eigentlich zu überwinden versucht. Denn die Begeisterung für Hybridität dramatisiert das tatsächliche Ausmaß räumlicher Fixiertheit ‚lokaler‘ Kulturen und negiert dabei möglicherweise die Intensität interkultureller Kontakte in Gegenwart und Vergangenheit. Homogene Identitäten erscheinen so im schlimmsten Fall gar als persönliches Scheitern, zumindest aber als rückständig: „Hybridity becomes truth and national, local, ethnic and other restricted identities become backward, red-neck 102
KAPITEL 4 – LOKALITÄT ‚REVISITED‘
and nationalist“ (Friedman 1999: 253). Friedman (1997) entlarvt diese Konzepte daher als eigentlich ‚moderne‘ Sichtweise. Trotz einer prinzipiellen Delokalisierung von Kulturkonzepten wird, so Friedmans Kritik, der exotische Andere nun vom lokalisierten ‚native‘ zum lokalisierten Indigenen, der im Wesentlichen als ein Produkt der Vergangenheit betrachtet wird: „coherence, wholeness and authenticity are relegated to the past, both colonial and even more so, pre-colonial“ (Friedman 1997: 80). Gleichzeitig wird Identität in diesen disziplinären Diskursen, so Friedman weiter, „abstracted from the subject and reduced to a mere mask or role to be taken on at will“ (Friedman 1997: 76). Wendt zufolge trägt der Begriff des Hybriden sogar Züge eines rassistischen Kolonialismus, da er seiner Meinung nach nicht für alle Formen kultureller beziehungsweise ethnischer Hybride Anwendung findet, sondern insbesondere auf Nachkommen aus Mischehen in Kolonialsituationen Bezug nimmt. Daher zieht er den Begriff „blend“ (1999: 410f) vor, „in which influences from outside (even the English language) have been indigenized, absorbed in the image of the local and national and in turn have altered the national and local.“ Doch der „Hype um Hybridität“ (Ha 2005) hat sich längst auch in Deutschland zu einem gängigen Begriff in Migrationsdiskursen entwickelt. Bachmann-Medick (2006: 198) sieht darin einen Ausdruck der Kritik an einer sogenannten ‚Leitkultur‘ und Konzepten „wie Akkulturation, Integration und Assimilation usw. Stattdessen wird das wechselseitige Ineinanderwirken verschiedener, auch antagonistischer Kulturen und Teilkulturen betont.“ Der Hybriditätsdiskurs wird also auch in Bezug auf Migration zunehmend politisch gedeutet (vgl. Hutnyk 1998). Ha (1999: 166) spricht in diesem Zusammenhang auch von einem „Recht auf Selbstdefinition“, welches beispielsweise aus dem ‚Kanaken‘ den ‚Kanak‘ entstehen lässt, in Anlehnung an ähnliche Prozesse der Selbstbenennung beispielsweise unter Schwarzen in den USA. Die Entwicklung subalterner Gegendiskurse ist dabei sicherlich für das eigene Selbstbild als Angehöriger einer Minderheit von zentraler Bedeutung. Gleichzeit hat sich hier auch ein hegemonialer Hybriditätsdiskurs entwickelt, der nicht ganz unproblematisch ist. So kritisiert Ewing (2006: 266) die „celebration of hybridity“ in Bezug auf Migranten und verweist auf die Wirkmächtigkeit der Vorstellung einer ‚erfolgreichen‘ Vermischung kultureller Praxen: „The concept of hybridity has been important for valorizing the identities of those who successfully occupy culturally ,in-between‘ spaces, such as the Turkish girl who takes up boxing or the successful GermanTurkish entrepreneur.“ Gerade die steigende Popularisierung hybrider Stile führt dabei auch zu einer politischen und ökonomischen Inanspruchnahme des Begriffes. Denn entsprechend häufig dient dieser inzwischen auch den Vermarktungsmechanismen kultureller Differenz. Auch Terkessidis (1999) verwehrt sich gegen die Wirkmächtigkeit hybrider Identitätskonzepte, insbeson103
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dere in Bezug auf die Situation von Migranten und speziell in Deutschland. Hier seien die hegemonialen Diskurse über den ‚Ausländer‘ inzwischen gekoppelt an eine populärkulturelle Konsumption von kultureller Differenz, die Menschen mit Migrationshintergrund besonders dann stigmatisieren, wenn diese die eigene ‚Hybridisierung‘ vermeiden beziehungsweise diese nicht dem hegemonialen Konzept von Hybridität als Befreiung von Tradition und kulturellen Zwängen anpassen. Dabei sind es hier insbesondere hybride Körper, die in die Maschinerie des Differenzkonsums einfließen. Diese Gegenüberstellung der Identitätspolitiken von Migranten und einer hegemonialen Inanspruchnahme des Hybriditätsdiskurses spiegelt sich in der von Nederveen Pieterse (1998: 107) getroffenen Unterscheidung zwischen einer „assimilatorischen“ und einer „destabilisierenden Hybridbildung“: Während erstere „das Herrschende nachahmt“, „untergräbt“ letztere „das Zentrum“. Doch Nederveen Pieterse verwendet als Beispiele für diese Typisierung postkoloniale Autoren wie Rushdie, Naipaul, Spivak und Said und nicht empirische Untersuchungen der Lebensgeschichten von Migranten. Insofern ist diese Dichotomisierung in der Praxis sicherlich nur bedingt geeignet, denn sie unterschlägt die Möglichkeit einer unpolitischeren oder zumindest unkritischeren Hybridbildung: Spezifische Lebensstile wie die Ausrichtung von Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund an mediterranen Formen des Machismo (vgl. Tertilt 1996) oder die zunehmende Politisierung von Religiosität durch junge Migranten mit islamischem Hintergrund (vgl. AmirMoazami/Salvatore 2003) resultieren letztlich ebenfalls aus Situationen des kulturellen Kontakts und der Hybridisierung. Diese untergräbt zwar das Zentrum, jedoch nicht notwendigerweise mit dem Ziel einer Erweiterung kultureller „Melange“ (Nederveen Pieterse 1998), sondern als Widerherstellung einer scheinbar homogenen Identität durch Prozesse der „Selbstethnisierung“ (Schiffauer 2002).
Die Entgrenzung des Ortes Kemal (25): „Aber Dalbergstraße ist schon zum Beispiel ein anderes Land.“
Migration ist zwar ein Akt der physischen Mobilität, dabei findet allerdings nicht notwendigerweise auch eine emotionale Delokalisierung statt. Vielmehr ist die Selbstverortung auch an die Produktion von Zugehörigkeit zu lokalen, nationalen oder transnationalen Gemeinschaften gebunden. Orte und Lokalitäten sind nicht bloße territoriale Einheiten, sie werden vielmehr kontinuierlich mit sozialen Bedeutungen gefüllt. Sie sind also nicht nur gelebter Alltag, sondern auch gleichzeitig Symbole, die produziert, reproduziert und transformiert werden. Ein spezifischer Ort kann dabei nicht nur von unterschiedlichen so104
KAPITEL 4 – LOKALITÄT ‚REVISITED‘
zialen Gemeinschaften unterschiedlich gelesen werden, er kann in diesem Prozess auch seine räumlichen Dimensionen verändern. So verorteten meine Gesprächspartner die Grenzen des Jungbusch durchaus unterschiedlich: in Abhängigkeit von ihren persönlichen Netzwerken, aber auch dem Gefühl von Zugehörigkeit oder der Ähnlichkeit sozio-kultureller Praxen. Während einige den Jungbusch dadurch territorial verkleinern, dehnt er sich für andere auch auf weitere Gebiete aus, wie beispielsweise auf den Hafen oder aber auf die Quadrate. Gemeinschaft und Ort werden also beide mit zunehmender Mobilität und kultureller Diversifizierung zum Gegenstand kultureller Praxen nicht nur der Selbstverortung, sondern auch der Entgrenzung von Orten. Die Bedeutung von Lokalität, von Orten und Landschaften für diese kulturelle Praxen sollte also weniger in Bezug auf ‚rootedness‘ im Sinne von Verwurzelung gelesen werden, sondern als sowohl reale als auch imaginäre Verortung von Identitäten im Raum, welche für die Konstruktion von „imagined communities“ (Anderson 1983) eine Rolle spielen. Diesen Begriff entwickelt Anderson explizit in Hinblick auf die Nation, da diese nicht auf persönliche Beziehungsnetzwerke fußt und daher besonderen Bedingungen der Produktion von Gemeinschaft unterliegt: „It is imagined because the members of even the smallest nation will never know most of their fellow-members, meet them, or even hear of them, yet in the minds of each lives the image of their communion“ (Anderson 1983: 15; Hervorhebung im Original). Das Gebilde ‚Nationalstaat‘ wird allerdings von unterschiedlichen Seiten ständig bedroht, insbesondere durch Prozesse der Globalisierung und der Partikularisierung (Anderson 1983; Edensor 2002). Auf Grund dieser Gegebenheiten muss eine imaginäre Gemeinschaft zunächst einmal als solche produziert und kontinuierlich reproduziert oder aber entsprechend transformiert werden. Das heißt für ihre Mitglieder als Gemeinschaft, der sie angehören, erkennbar sein. Doch auch ihre realen oder imaginierten Verbindungen zwischen Territorium und Gemeinschaft müssen erst durch eine Reihe von Prozessen gefestigt werden. In den letzten Jahren haben daher insbesondere in humangeographischen Diskursen sogenannte „iconic sites“ (Edensor 2002) und „representative landscapes“ (Agnew 1998), welche für Produktionen nationaler Gemeinschaft von Bedeutung sind, eine hohe Aufmerksamkeit erfahren. Denn die Identifizierung einer nationalen Identität verläuft neben anderen Faktoren wie Sprache, Geschichte oder Rituale auch über räumliche Praktiken, beispielsweise durch die Verbindung mit spezifischen Landschaften. Diese Landschaften haben dabei nicht nur eine repräsentative Funktion nach außen, sondern „are also loaded with symbolic values and stand for national virtues, for the forging of the nation out of adversity, or the shaping of its geography out of nature, whether conceived as beneficent, tamed or harnessed“ (Edensor 2002: 40). Edensor unterscheidet dabei zwischen Land105
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schaften und „iconic sites“: „Typically these spatial symbols connote historical events, are either evidence of past cultures, providing evidence of a ‚glorious‘ past of ,golden age‘ and antecedence (Stonehenge, the Great Pyramids, the Taj Mahal), or they are monuments erected – often within larger memoryscapes – to commemorate significant episodes in an often retrospectively reconstructed national history (Statue of Liberty, Arc de Triomphe, Nelsons’s Column)“ (Edensor 2002: 45). Auch Agnew (1998) beschäftigt sich mit der Verknüpfung von Nation und Territorium, wobei, so seine Feststellung, häufig „representative landscapes“ eine bedeutende Rolle spielen. Allerdings hängt die Produktion solcher typischer nationaler Landschaften seiner Ansicht nach stark von den historischen Umständen ab. Die häufig zitierte englische Variante einer pittoresken Landschaft, betrachtet er als Resultat des expansiven politischen und ökonomischen Interesses im Ausland. Reisende, Händler und Industrielle, die England hinter sich ließen, trugen seiner Ansicht nach zur Entwicklung einer nostalgischen Sicht auf das ländliche England bei. Transnationale Praxen tragen also ebenfalls zur Ikonisierung nationaler Landschaftsbilder bei. Bei der Konstruktion solcher symbolischer Orte spielen aber auch weitere Faktoren eine Rolle: Insbesondere in einer globalen Welt dienen konkrete – insbesondere exotische – Lokalitäten oftmals als „vehicles for the imagination“ (Otto/Verloop 1996: 375). Diese führen dabei zur Reproduktion ebenso wie zur Transformation der imaginativen Verknüpfungen zwischen Orten, Landschaften und Gemeinschaften, da auch ‚fremde‘ Sichtweisen in die Konstruktion ‚eigener‘ nationaler oder transnationaler Ortskonzeptionen einfließen. Ein weiterer entscheidender Faktor für die Ausbildung der Identifikation einer sozio-kulturellen Gemeinschaft mit einem spezifischen Territorium liegt daher auch in der Abgrenzung der eigenen von fremden kulturellen Praxen. Voraussetzung ist dabei allerdings ein interkultureller Kontakt, also das Wissen um die Existenz einer „out-group“ (Baumann 2000) die gewisser Maßen als Spiegel fungiert (vgl. dazu auch Barth 1969, 2000). Am Beispiel der Konstruktion einer argentinischen Identität, verweist Archetti auf die wichtige Beziehung zwischen dem ‚eigenen‘ und dem ‚fremden‘ Bild einer imaginierten Gemeinschaft: „Notions of Argentinean identity are not exclusively constructed internally, within given boundaries. They can also be conceptualised in contraposition to other identities, recognised or not by the natives themselves. The ideas and images of the ,national‘ are quite often a mirror in which the glance of others is as crucial as the glance of the natives themselves“ (Archetti 1998: 190). Im Falle Argentiniens stellt er des Weiteren fest, dass eine nationale Identität über verschiedene Ko-Konstruktionen eine Verbindung mit der Landschaft (der Pampa), dem nationalen und internationalen Fußball und den Spielern darstellt. Dabei spielt auch der Faktor der Aneignung fußballerischen Könnens auf der Straße, beziehungsweise auf freien 106
KAPITEL 4 – LOKALITÄT ‚REVISITED‘
Grundstücken, sogenannten potreros, eine entscheidende Rolle. Denn diese Verortung einer als national-typisch betrachteten fußballerischen Praxis wird dabei auch als Gegenstück zu einer – als Teil eines kolonialen englischen Erbes verstandenen – Variante des Erlernens mittels eines Trainers gedeutet.2 Die symbolische Transformation von Orten verläuft dabei zuweilen zugunsten einer strategischen Produktion imaginierter Gemeinschaft. So hält Jacobs (1999) die architektonische Gestaltung von Stadtraum in London für eine symbolische Verknüpfung mit englishness, der Vergangenheit als Empire und der geplanten Zukunft als einem wichtigen und global relevanten Börsenstandort. Die Spezifika einer englischen Identität werden dabei gleichsam als Absage an die Europäische Union und ihre Einflüsse verstanden. Doch die Produktion einer veränderten Verknüpfung von Orten mit imaginierten Gemeinschaften muss nicht unbedingt mit solchen Transformationen des realen Raums einhergehen, sondern kann ebenso diskursiv erfolgen: So plädiert Epeli Hau’Ofa für eine Verwendung des Begriffes Oceania anstatt des gebräuchlichen Pacific Islands, da sich Oceania auf „a sea of islands with their inhabitants“ (Hau’Ofa 1994: 153) beziehe. Damit kritisiert er nicht nur das westliche Konzept der verstreuten Inseln im Meer, sondern entwirft auch eine nationale Gemeinschaft transinsulaner Ozeanier, da das Meer hier nicht als Barriere, sondern als Verbindung betrachtet wird. Solche Verortungen in spezifischen Lokalitäten finden sich auch bei der Konstruktion diasporischer Gemeinschaften, wodurch beispielsweise ihre Kontinuität gefestigt wird (vgl. Safran 1991, 2004). Dabei können unterschiedliche Generationen allerdings durchaus differente homelands konstruieren (vgl. Gillespie 1995). Doch auch im Stadtraum finden Entgrenzungen des Ortes und Verortungen von Gemeinschaften statt, wie sich auch am Beispiel scheinbar lokaler Identitäten zeigt.
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Repräsentativ für diese Verknüpfung zwischen der argentinischen Landschaft und der Identität der nationalen Gemeinschaft ist dabei insbesondere der pibe, der sein spielerisches Können sozusagen autodidaktisch erlernt. Diego Armando Maradona ist dabei ‚der‘ pibe, der Held der Nation. Auf diese Form der Übertragung von Lokalität auf den Körper werde ich in Kapitel 6 noch ausführlicher eingehen. 107
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
Wo die wilden ,locals‘ wohnen Renate (48): „Ja, und das war aber dann schon die Zeit, da habe ich außerhalb geschafft. Ich habe bei den Amerikanern geschafft, ich habe in verschiedenen Großmärkten geschafft und am Schluss war ich dann sieben Jahre beim (Name eines Feinkostgeschäft; Anmerkung E. B.). Und zu dem Zeitpunkt – das ist aber so, wie in der Ikea-Werbung – da habe ich tatsächlich nur geschlafen im Jungbusch. Ja, meine Freizeit – ich war in Heidelberg, ich war in Schriesheim, ich war überall, nur nicht im Jungbusch.“
Renate lebt schon ihr ganzes Leben im Jungbusch. Auch ihre Eltern haben bereits hier gewohnt und ihre Kinder sind hier aufgewachsen. Entsprechend der empirischen Verknüpfung zwischen Lokalität und Identität über „lebenszeitliche Raumbindung (z.B. Geburtsort, Wohndauer) und Variablen der Zugehörigkeit zur lokalen Kulturgemeinschaft (z.B. Teilnahme an lokalen Festen, Sprechen des Dialektes, lokal orientiertes Wohnverhalten)“, die von Otte (2001: 15) als Merkmale lokaler Identität konzipiert werden, ist Renate quasi eine ‚Lokale‘ wie sie im Buche steht. Doch diese Definition vernachlässigt die Bandbreite der Bedeutungen von Lokalität als place in mehrfacher Hinsicht. So kann trotz dauerhafter Ortsansässigkeit die Verbindung zwischen einem Ort und einer Person biographisch durchaus sehr gebrochen sein. Edwards (1998: 157) spricht in diesem Zusammenhang von „constantly shifting perspectives“, welche mit einem Ort in Verbindung gebracht werden. Die persönliche Beziehung zu einer Lokalität unterliegt damit Wandlungsprozessen, die sowohl von den jeweiligen Perspektiven und Lebensplanungen3, als auch von Transformationen des Ortes abhängig sind. Die Dauer der Ansässigkeit ist also kein Kriterium für lokale Identität, sie mag auch Folge äußerer Umstände sein, in diesem Fall beispielsweise durch die Erbschaft des Hauses. Wo findet sich also das ‚Lokale‘, wenn Orte in zunehmendem Maße entgrenzt sind und dauerhafte Bindungen nicht immer auch eine Identifikation oder Beheimatung bedeuten? Und wo findet sich der local beziehungsweise der ortsgebundene ‚Indigene‘, der in den wissenschaftstheoretischen Diskursen um die Deterritorialisierung ‚kosmopolitischen‘ Kulturen gegenübergestellt wird? Die Definition solcherart verorteter Kulturen fällt nicht leicht: Sie erscheinen in erster Linie als das Negativ von Hybridisierung und Kosmopolitismus. Dies liegt insbesondere daran, dass diese beiden Konzepte sozusagen einen Schatten auf lokalisierte kulturelle Praxen werfen, denn diese sind eben 3
In der Soziologie werden die Begriffe „Lebenschancen“ und „Lebensziele“ verwendet (Dangschat 1994).
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KAPITEL 4 – LOKALITÄT ‚REVISITED‘
nicht mobil, nicht hybrid, nicht kosmopolitisch und alles in allem scheinbar homogener. Doch auch im Lokalen finden Veränderungen und Hybridisierungen statt. Die Veränderung tendenziell lokalisierter Identitäten – um es mal ganz vorsichtig zu formulieren – durch ‚fremde‘ Stile zeigt sich in der Gegenwart sicherlich zunächst einmal in der verstärkten Konsumption gobaler Kulturprodukte. Besonders bei der Stilisierung von Jugendkulturen spielen lokale aber auch globale Einflüsse eine Rolle. Bei dieser „Stil-Bastelei“ (Zinnecker 1981) werden ‚fremde‘ Einflüsse auf spezifische lokale, territorialisierte Praxen übertragen. Auch wenn die spätere Wirkmächtigkeit des Globalisierungsdiskurses bei frühen Autoren subkultureller Jugendkultur (vgl. Hall/Jefferson 1976) noch gar keine Rolle spielen konnte, finden sich bereits hier Hinweise auf die Aneignung entorteter Stilbilder – beispielsweise die RastafariSubkultur – und auch auf die Rolle von Lokalitäten, allerdings insbesondere in Bezug auf Jugendkulturen der Arbeiterklasse (vgl. Clarke et al. 1976: 52). In späteren Diskursen um den Einfluss der Globalisierung wird in diesem Zusammenhang auch vom Ausverkauf der Authentizität gesprochen (vgl. Farin 1997). Diese globalen Einflüsse sind allerdings zunächst eine räumliche Entgrenzung lokaler Subkulturen zu globalen Stilen, die dann andernorts adaptiert werden. Nayak (2003) hat dabei insbesondere die Bedeutung globaler Stile für gegenwärtige englische Jugendkulturen untersucht und stellt fest, dass bei der Aneignung hybrider Formen auch eine Selbstidentifizierung weißer Jugendlicher mit Stilen einer ‚black culture‘ statt findet. Dadurch entsteht natürlich die Gefahr einer Essentialisierung dieser kulturellen Praxen, dennoch wird die lokale Aneignung dieser Stile von den ‚weißen‘ Jugendlichen selbst durchaus als authentisch wahrgenommen. Durch den Einfluss von Globalisierung, Migration und veränderten Formen der Konsumption entwickelten sich solche neuen Subkulturen nicht nur in urbanen Metropolen, sondern – so Nayaks (2003: 106) Feststellung – auch Jugendliche in „peripheral white locales“ formten neue „youthscapes“. Diese Jugendlichen betrachtet er (2003: 134) als „white mavericks, individuals who subvert the acceptable boundaries of white, English ethnicity through hybrid interactions with global cultures.“ Prozesse der Hybridisierung beeinflussen somit auch ‚lokalere‘ Identitäten nachhaltig. Aber es sind nicht nur globale Musikstile, die aus dem local einen „Gängschda“ machen (vgl. Androutsopoulos 2005) oder auch zu weniger harmlosen Spielarten einer Aneignung von HipHop Identitäten von politisch rechtsgerichteten Gruppen führt (vgl. Loh 2005). Auch andere Formen, beispielsweise die Kanaksprak, finden nicht nur unter türkischen Migranten Anwendung, sondern werden auch von deutschen Jugendlichen gesprochen (vgl. Deppermann 2005).
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Diese Stile sind dabei aber nicht lokaler Bezüge enthoben. In der Praxis wird Lokalität sogar als Teil dieser hybriden Kulturen betont, wie sich insbesondere im Bereich von HipHop und Rap zeigt. Bands wie „Die Söhne Mannheims“, das ehemalige „Rödelheim Hartreim Projekt“ und andere ‚hybride‘ musikalische Formen nehmen – sicherlich auch in Anlehnung an die soziale und symbolische Bedeutung von us-amerikanischen ‚neighborhoods‘ für dieses Genre – sogar ausdrücklich Bezug auf geographische Räume wie Städte und Stadtteile. Während im globalen Musikbusiness letztlich diese lokalen Bezüge wiederum eher als imaginierte Räume fungieren, sind sie für viele Jugendlichen, welche sich diese musikalischen Stile aneignen, durchaus reale Heimaten. Kaya (2001) umgeht daher das Problem der Dichotomisierung globaler Hybridität vs. lokaler Homogenität, indem er von sogenannten „glocalized identities“ ausgeht. Diese entwickeln sich durch die „Bricolage“ (Lévi-Strauss 1973) unterschiedlicher Stile: „Unlike hybridity, bricolage foregrounds political – rather than natural – paradigm of articulation and identity. To put it differently, the notion of bricolage, unlike hybridity, presumes the individual as a social agent who is capable of making decisions“ (Kaya 2001: 39). Die tatsächliche Ausbildung lokaler Bezüge ist so weniger eine Frage der Wohndauer oder der Wahl der Tageszeitung, sondern Teil von Identitäts- und Repräsentationsstrategien, die einer genauen Betrachtung bedürfen.
Die Lokalisierung des ‚Fremden‘ im sozialen Raum der Stadt ùenol (24): „Aber wenn man jetzt sagt ‚der ùenol‘ dann meint man meistens den aus Jungbusch. Dann weiß jeder, wer ich bin.“
Nicht nur scheinbar ‚lokale‘ Identitäten sind unter Umständen weit weniger verortet, als manche wissenschaftstheoretischen Diskurse glauben machen. Vielmehr stellt sich auch die Frage, ob scheinbar deterritorialisierte, mobile, transnationale oder diasporische Gemeinschaften nicht unter Umständen spezifische Strategien des place-making entwickeln, die sich nicht nur am ‚imaginierten‘ Heimatland, sondern möglicherweise an den Alltagsorten im Residenzland orientieren. Wo also verorten sich die ‚Fremden‘ des multiethnischen Stadtraums? Spielt dabei das ‚verlorene‘ Heimatland als Verortung der eigenen nationalen Gemeinschaft eine bedeutendere Rolle als die räumliche Umgebung des Alltags? Ein zentrales Problem liegt dabei in der Anwendbarkeit gängiger wissenschaftlicher Konzepte auf die konkrete Situation in einem multi-ethnischen Stadtteil. Das Ideal des kosmopoliten Migranten aus den flottierenden Hybri110
KAPITEL 4 – LOKALITÄT ‚REVISITED‘
ditäts- und Transnationalismusdiskursen hat wenig gemein mit dem türkischen Gastarbeiter aus Anatolien (vgl. Ewing 2006) oder dem italienischen Gastarbeiter aus Sizilien (vgl. Rieker 2003), die lange Zeit den Stoff für Migrationsgeschichten lieferten. Dabei wurde insbesondere die türkische Migration nicht nur innerhalb unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen als exemplarisch betrachtet (vgl. Soysal 2002). Für diese Arbeitsmigranten der ersten Generation boten die Anwerbestaaten zunächst einmal – ähnlich wie die urbanen und industriellen Zentren ihrer Heimatländer – bezahlte Arbeitsplätze, die in ländlichen Gebieten der Herkunftsnationen nicht gegeben waren. Diese Migrationskultur entwickelte sich im Wesentlichen auf Grund ökonomischer oder politischer Zwänge mit der Hoffnung auf sozialen Aufstieg oder zumindest der Verhinderung eines sozialen Abstiegs der zunächst zurückgelassenen Familien. In der ersten Generation von Arbeitsmigranten zeigte sich daher nicht unbedingt eine Vorstellung dauerhaften Aufenthalts. Auch soziale Aufstiegschancen waren insbesondere im Falle der Gastarbeitermigration nach Deutschland nicht unbedingt gegeben. Zuwanderung sollte hier aus staatlicher Sicht in erster Linie kontrollierbar sein (vgl. Herbert 2001; Hunn 2005). Der Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache oder weiterführende qualifizierende Maßnahmen standen dabei weniger auf dem Programm. Vielmehr ging es oftmals darum, einfache, aber körperlich schwere Arbeiten zu verrichten und dabei geringere Löhne als die deutschen Kollegen zu kassieren (vgl. Herbert 2001). Die Lebensverhältnisse dieser ersten Generation, die zumeist aus Männern bestand, waren dabei oftmals gekennzeichnet durch gemeinsames Wohnen und Arbeiten. Die Einwanderung wurde zunächst durch Anwerbeverträge geregelt und an entsprechende Zielorte gelenkt. Denn gerade im Bereich industrieller Produktion, dem Bergbau und der Landwirtschaft bestand eine hohe Nachfrage nach Arbeitskräften. Die Bewegung von Arbeitsmigranten in Deutschland war so zunächst stark reglementiert: Eine unkontrollierbare Mobilität wurde seitens jener Branchen, welche als besonders unattraktiv betrachtet werden konnten – beispielsweise auf Grund schlechter Arbeitsbedingungen und niedriger Löhne – mit großer Skepsis gesehen (vgl. Rieker 2003). Dennoch wurde mit der 1961 in Kraft tretenden Freizügigkeitsregelung innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft besonders der Status von Migranten aus deren Mitgliedsländern vereinfacht. Die bis 1968 abgeschlossenen Verträge mit Staaten außerhalb der EWG erschweren aber bis heute den Aufenthaltsstatus von Migranten dieser Länder. Gleichzeitig wurden durch Phänomene der chain migration die anfänglich staatlich gelenkten Verortungen auch aufgeweicht. Durch das transnationale Sozialkapital von Migranten (vgl. Haug 2000) prägten diese auch eigenständige Netzwerke (vgl. Hunn 2005) aus, die gesetzliche Regelungen zu einem gewissen Grad umgehbar machten.
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Bei dieser ersten Generation von Migranten, deren kulturelle Identität sich eher am Herkunftsland orientierte, ist trotz der persönlichen Erfahrung von Mobilität und Transnationalismus die Ausbildung hybrider Identitäten en gros nicht ersichtlich.4 Besonders ‚der‘ Migrant aus der Türkei avancierte beinahe zum Mythos der problematischen Integrationsgeschichte: „In öffentlichen und wissenschaftlichen Diskursen erscheinen Türken im besten Falle als unbarmherzige Verfechter einer wiederbelebten türkischen oder islamischen Kultur, im schlimmsten Falle als nicht eingliederbare Träger des Fremden. Hinzu kommt, dass die grundlegende ethnische oder kulturelle Andersartigkeit, die ihnen zugeschrieben wird, die Migranten vom öffentlichen Leben in ihren Gastländern ausschließt, ihre Teilnahme daran unsichtbar macht und ihre Situation als „Anomie“ wertet.“ (Soysal 2002: 342)
Während Migranten der ersten Generation also tatsächlich noch als transnationale „moving targets“ (Welz 1998) betrachtet werden, wird für eine Migrantenkultur der zweiten und dritten Generation inzwischen zunehmend das bereits diskutierte wissenschaftliche Konzept der kulturellen Hybridität verwendet. Dieser steigenden Differenzierung migrantischer Lebensstile wird in der wissenschaftlichen Forschung bislang allerdings noch zu wenig Rechnung getragen. Die von Bourdieu (1998a) für Frankreich entwickelte und von anderen Autoren (beispielsweise Vester et al. 2001; Vester 2005) weiterentwickelte Theorie einer Fragmentierung der Klassengesellschaft in differenzierte soziale Milieus, die sich durch spezifische Lebensstile voneinander abgrenzen, beziehen sich in der Regel auf Räume, die zwar als sozial heterogen aber ethnisch homogen konzipiert werden. Migranten wird in diesen Untersuchungen keine besondere Beachtung beigemessen. Obwohl eine solche Betrachtung der Milieuverteilung von Migranten inzwischen vorgelegt wurde (vgl. Sinus Sociovision 2007a), fehlt den Sinus-Untersuchungen – die in aller Regel zu Marktforschungszwecken verwendet werden – das Potenzial zur Erklärung von Transformationen migrantischer Lebensstile. Sie dienen lediglich dazu, den Ist-Zustand der Milieuverteilung darzustellen. Hinzu kommt noch, dass die verwendeten Kategorien teilweise allgemeine Erfahrungen der Entortung auf soziale Entitäten umbrechen, beispielsweise mit der Bezeichnung „entwurzeltes Milieu“. Trotz dieser Kritik liegt mit diesem Modell aber auch erstmalig
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Inwiefern sich dieses Phänomen durch eine andere Einwanderungspolitik der Bundesrepublik verändert hätte, darüber kann nur spekuliert werden. Sicherlich hätte im Falle türkischer Migranten eine veränderte Aufenthaltsregelung und eine erhöhte Freiheit auch in religiöser Hinsicht möglicherweise zu einer Verringerung der Orientierung am Herkunftsland und zu einer Erhöhung eines diasporischen Bewusstseins geführt.
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ein Instrument vor, um die Heterogenität migrantischer Lebenswelten genauer abzubilden. Eine umfassende theoretische Erfassung migrantischer Lebensstile in deren Beziehungen, Ähnlichkeiten und Unterschiede zu anderen, beispielsweise ‚deutschen‘ Lebensstilen steht allerdings immer noch aus. Dennoch haben sich in den letzten Jahren unterschiedliche Wege entwickelt, beispielsweise den Bourdieu’schen Kapitalbegriff den Gegebenheiten multi-ethnischer Gesellschaften anzupassen, die mehr oder weniger in eine umfassende Gesellschaftstheorie integriert werden können: Während sich der Begriff des transnationalen Sozialkapitals eher mit der konkreten Erfahrung von Mobilität befasst (vgl. Faist 2004; Pries 1998) und von einem Nutzen für spezifische ethnische Gemeinschaften ausgeht gibt es auch Ansätze, die sich mit der Positionierung von Minderheiten im Sozialraum der Residenzgesellschaft beschäftigen. Modood (2005: 205) schlägt beispielsweise den Begriff „ethnic capital“ vor, um den wachsenden Zugang von Personen mit Migrationshintergrund zur höheren Bildung zu erklären. Allerdings weist er folgerichtig darauf hin, dass dieser Begriff zu einer vereinfachten Wahrnehmung von Minderheitengruppierungen führt. Zhou (2005) spricht von „ethnicity as social capital“ und den spezifischen „ethnic effects“ (Zhou 2005: 133), welche die soziale Mobilität ethnischer Gemeinschaften betreffen und ergänzt dabei transnationales soziales Kapitel um den Faktor lokalisierten ethnischen Sozialkapitals. Dies ist eine wichtige Ergänzung zu den Bourdieu’schen Kapitalsorten und vermag die ethnische Komponente sozialen Kapitals zu fassen, ohne dabei notwendigerweise allein auf transnationale Netzwerke Bezug zu nehmen. Dieses Kapital, welches ich als ethno-soziales Kapital bezeichnen würde, spielt zumeist innerhalb von ethnischen Gemeinschaften eine wichtige Rolle da es, wie Modood (2005) in Bezug auf Putnam (2000) beschreibt, den Wirkmechanismen des bonding social capital stärker unterworfen ist. Es ermöglicht also wenig linking beziehungsweise bridging und erschwert damit soziale Mobilität (zur Relevanz dieser Dimensionen von sozialem Kapital für die soziale Arbeit vergleiche insbesondere Karstedt 2004). Aber es gibt meiner Meinung nach noch eine weitere ethnische Kapitalsorte, welche sich eben nicht nur innerhalb der eigenen ethnischen Gruppe auswirkt, sondern sich gerade in Beziehung zu anderen ethnischen Gemeinschaften auswirkt: das ethno-kulturelle Kapital. Dieses wird ebenfalls über Familie und Zugang zu Bildung erworben und kann sich negativ auswirken, insofern es häufig als Mangel an legitimer Bildung oder ‚Leitkultur‘ gedeutet wird. Allerdings vermag es sich auch positiv auszuwirken, insofern ethnokulturelles Kapital in symbolisches Kapital konvertiert werden kann, indem es durch einen „selective biculturalism“ (Falicov 2005) um die Erreichung legitimer Bildungstitel ergänzt wird und damit den immer wichtiger werdenden 113
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Bereich der Fähigkeit zur kulturellen Übersetzung und zur interkulturellen Kompetenz bedient. Diese Lesart könnte in Ergänzung zum Konzept des ethno-sozialen Kapitals die heterogenen Werdegänge unterschiedlicher ethnischer Gemeinschaften in der Einwanderungsgesellschaft, beispielsweise in Bezug auf den Zugang zu Bildungsressourcen erklären ohne dabei eine Essentialisierung ethnischer Gemeinschaften vorzunehmen. Inwiefern sich dieses ethno-kulturelle Kapital auswirkt ist dabei auch von den Zuschreibungen der Mehrheitsgesellschaft gegenüber ethnischen Minderheiten abhängig, die nicht nur durch stigmatisierende Diskurse, sondern auch durch politische oder ökonomische Interessen am Herkunftsland von Migranten ausgerichtet sein können. Die Aufnahme bilateraler Wirtschaftsbeziehungen beispielsweise kann zu einer verstärkten Nachfrage nach Muttersprachlern führen und damit den sozialen Status einzelner ethnischer Gruppen positiv beeinflussen. Durch eine Differenzierung in ethno-soziales und ethno-kulturelles Kapital könnte also nicht nur der sozialen, sondern auch der kulturellen Stratifizierung ethnischer Gruppen Rechnung getragen werden.5 ‚Klassische‘ Lebensstileinteilungen sind damit für die Besonderheiten in einem multiethnischen Raum allerdings nur ansatzweise zu verwenden. Dadurch wird nicht nur die Heterogenität migrantischer Lebensstile bislang zu wenig beachtet, sondern auch der Blick auf die tatsächlich stattfindende Verortung migrantischer Gruppen, insbesondere in der zweiten und dritten Generation in Deutschland und speziell in deutschen Stadträumen, verstellt. Denn der spezifische urbane Raum, beispielsweise das als ‚Heimat‘ empfundene ethnische Stadtviertel scheint hier durchaus ein – wenn auch nicht der ausschließliche – Lokus von Identifikation zu sein. So beschreibt Brah die Verortung von jungen Indern beispielsweise in Southall auch als Teil der Selbstbehauptung hybrider Kultur: „It is not that these groups are more ‚progressive‘ than the parental age groups, as they tend to be described in some public discussions. Rather, having grown up in 5
Allerdings schaffen diese Ergänzungen auch Probleme in Bezug auf die Theorie des Sozialraums einer Gesellschaft: Während sich die Bandbreite kulturellen Kapitals durch ethno-kulturelles Kapital erweitert, wird das soziale Beziehungsgefüge verstärkt untergliedert. Insofern stellt sich die Frage, welche Relevanz beispielweise der ethnischen Zugehörigkeit für den Zugang zu potentiellem sozialem Kapital zukommt. Auf Grund dieser Komplexität wäre es einleuchtend, einfach gesonderte Lebensstiltypen durch die Erhebung empirischer Daten unter Migranten, womöglich unterschiedlicher Herkunft, zu ermitteln. Andererseits würde durch eine solche Vorgehensweise den komplexen Beziehungen von unterschiedlichen ethnischen Kapitalsorten untereinander nicht Rechnung getragen werden. Inwieweit die in Bezug auf den nationalen sozialen Raum erfassten Lebensstilmodelle diesen kulturellen Spezifika Rechnung tragen können, bedarf einer empirischen Überprüfung.
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Britain, they articulate a home-grown British political discourse. They lay claim to the localities in which they live as their ‚home‘. And, however much they may be constructed as ‚outsiders‘, they contest these psychological and geographical spaces from the position of ‚insiders‘.“ (Brah 1996: 47; Hervorhebung im Original)
Kaya (2001: 144) stellt eine ähnliche Selbstverortung auch bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Berlin-Kreuzberg fest, schränkt dies aber auf Zugehörige der Arbeiterklasse ein: „Kreuzberg is a diasporic space for the working-class Turkish youth. On the one hand, as long as these youngsters are surrounded by the signs, music, rhythms and major issues of Turkey in the diaspora, they tend to have an ‚imagined sense of belonging‘ to the homeland Turkey, which has been ‚deferred‘ as a spiritual, cultural and political metaphor. On the other, they develop a strong sense of homing to the ‚Turkified‘ Kreuzberg due to the same reason.“
Die Konzeptualisierung von lokalen Kulturen im Gegensatz zu transnationalen, hybriden Kulturen als definiert durch den Grad der Ver-/Entortung scheint so also nicht zuzutreffen. Vielmehr bewegen sich diese Diskurse auch weiterhin oftmals im Fahrwasser tradierter Muster von Diskriminierung und Exklusion, denn die persönliche Erfahrung von Lokalisierung und Deterritorialisierung impliziert eben nicht die Entwicklung spezifischer entorteter oder Heimat-orientierter Lebensstile. Vielmehr müssen diese Ver- und Entortungen wiederum als Teil von komplexen Identitätsstrategien betrachtet werden: Der Grad lokaler oder translokaler Selbstverortung hängt dabei eben nicht nur von der Existenz sozialer Netzwerke oder Mobilitätserfahrungen ab, sondern ist auch ein aktiver Prozess der Beziehungskonstitution im Raum. Wolf (2002) spricht daher auch von einem „emotional transnationalism“ im Hinblick auf Nachkommen von Migranten. Stadträume wie der Jungbusch bilden den Lokus, in welchem sich locals und hybrids treffen und sich in gewisser Weise auch vermischen. Hier wird nicht nur die alltägliche Bedeutung von Lokalität und Verortung differenter ethnischer Gruppen verhandelt, sondern die damit einhergehenden Transformationen kultureller Praxen und Lebensstile spielt auch für die zunehmende Heterogenisierung von Lokalitäten eine entscheidende Rolle.
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Lokalität und Lebensstile: Konsumption des Ortes „Aus der Mélange von Industrie, Hafen und Wohnort, aus der Parallelität von ‚Fenster zur Welt‘ und ‚heimischem Kiez‘ bildet sich die besondere Charakteristik des Ortes. Er ist exponiert und zurückgezogen zugleich, er ist prominent und unentdeckt, er ist ganz alltäglich und dennoch einzigartig.“ (Stadt Mannheim 2006)
In den letzten Jahren wird der Jungbusch – auch auf Grund der Imagepflege durch die Prozesse der Stadtentwicklung – von einem neuen Publikum entdeckt. Dieses Interesse führt zwar nur teilweise zu merklichen Veränderungen, beispielsweise in Form neuer Gastronomien und einer hohen Publikumsfrequenz bei einigen lokalen Veranstaltungen, doch die spezifische „Charakteristik“ des Ortes wird vermehrt als Mischung aus Exotik und Alltäglichkeit betrachtet. Gerade die Kombination aus lokalen und transnationalen kulturellen Praxen wird als ein Spezifikum des Quartiers beschrieben. Allerdings bezieht sich das Bild des Kiezes im allgemeinen Sprachgebrauch sowohl auf einen entlegenen Stadtteil als auch auf eine Gegend, die durch Prostitution gekennzeichnet ist. Wieso wirkt eine solche Mischung anziehend, sogar auf ein bürgerliches Publikum? Schließlich wird die Lebenspraxis in marginalisierten Gebieten im öffentlichen Diskurs häufig mit Kriminalität und Gewalt in Verbindung gebracht. Das Interesse an einer Aneignung von Lokalität durch die Lebensstilisierung gehobenerer Milieus liegt jedoch genau an dieser Mischung und der mit ihr verknüpften Vorstellung der Authentizität einer ‚neuen‘ Unterschicht. Die marginalisierte Bevölkerung ist hier nicht nur, wie in den herkömmlichen Gentrifizierungstheorien, die Ursache von Gefahren, denen man sich als mutiger Gentrifier zu stellen hat. Sie ist auch verknüpft mit spezifischen Vorstellungen von Exotik. Denn hierbei spielt die Aneignung dieser Lokalitäten durch gesellschaftliche Gruppen, die sich einer besonders ausgeprägten Form der „Lebensstilisierung bedienen“ (Dangschat 1994: 353; vgl. Funke/Schroer 1998), eine wachsende Rolle. Die Unterscheidung im Grad der Ausformung von Lebensstilen zwischen marginalisierten Gruppen auf der einen, sogenannten Pionieren und Gentrifiern auf der anderen Seite, wie sie auch von Dangschat (1994) vorgenommen wird, sehen Funke und Schroer allerdings nicht als gegeben an. Sie gehen von einer Zunahme der Lebensstilisierung der Gesellschaft insgesamt aus, welche begründet ist durch gesellschaftliche Prozesse der „Kulturalisierung“ und der „Subjektivierung“ (Funke/Schroer 1998; vgl. Schulze 1993). Diese Differen116
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zierung von Lebensstilen findet ihren Ausdruck nicht nur in neuen Konsummustern und kulturellen Praktiken, sondern auch in Distinktionspraxen durch die symbolische und physische Aneignung von Räumen. Diese betrifft nicht nur die exklusiven Räume und Clubs, sondern in zunehmendem Maße auch die sogenannten Ghettos. Denn, wie Funke und Schroer (1998) argumentieren, Unterschichten sind nicht notwendigerweise stil-los. Im Gegenteil dienen Lebensstilisierungen marginaler Gruppen häufig als Matrizen für kleinbürgerliche Lebensstile. Dieses Phänomen ist keineswegs neu: Insbesondere jugendkulturelle Stile aus dem Arbeitermilieu wurden immer wieder von anderen gesellschaftlichen Milieus aufgegriffen und mit eigenen Stilmitteln ergänzt und distinguiert. Um die Jahrtausendwende hat sich diese Übernahme ‚fremder‘ Stile zum Zwecke der Distinktion allerdings stark beschleunigt, wobei nicht nur ständig neue Stile produziert oder zumindest entdeckt werden, sondern auch eine starke Orientierung an Retro-Stilen, die von den Endkonsumenten nicht immer bewusst als solche wahrgenommen werden, statt findet. Die Entwicklung ‚neuer‘ Lebensstile sehen Funke und Schroer (1998: 225) allerdings keinesfalls als Freiheit der Wahl an, sondern sie resultieren aus der „Lebenssituation der neuen Dienstleistungsberufe.“ Gerade in diesen Berufen, welche Bourdieu (1998a) bereits als „neues Kleinbürgertum“ identifizierte, wird die Lebensstilisierung zu einer notwendigen Überlebens-Taktik, um die Stolperfallen des eigenen Habitus zu überwinden. Es handelt sich hier nicht mehr um „Genuss“, sondern um eine „Pflicht“ zum Konsum (Funke/Schroer 1998). Diese Lebensstile bedürfen daher auch ständig neuer Erlebnisfelder, um Möglichkeiten zur Distinktion zu bieten. Insofern kann die Aneignung von innenstadtnahen Gebieten auch als eine Inbesitznahme neuer Territorien verstanden werden, welche entsprechende Distinktionsmerkmale liefern. Tatsächlich geht aus den Prozessen simulierter Gentrifizierung durch Kunst und Kultur und der Verbesserung des Images des Jungbusch weniger eine dauerhafte Inbesitznahme von Raum durch andere gesellschaftliche Gruppen hervor, als vielmehr eine temporäre Konsumption von Lokalität durch Vertreter des ‚neuen Kleinbürgertums‘. Dabei spielt der spezifische Charakter des Ortes eine entscheidende Rolle. Dieser setzt sich im multiethnischen Stadtraum zusammen aus globalen und lokalen Faktoren. Im Jungbusch sind diese sowohl auf Grund von Faktoren der Vergangenheit als auch der Gegenwart des Viertels gegeben: „Im Mannheimer Jungbusch treffen Gegensätze aufeinander, entsteht Reibungshitze zwischen unterschiedlichen sozialen und kulturellen Milieus. Hinter bröckelnden großbürgerlichen Fassaden träumen Punks noch vom sozialromantischen Multikulti, während die Migranten ihr eigenes Ding machen, an der Hafenpromenade die Sanie-
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rung in vollem Gange ist und Popakademie und Musikpark den Strukturwandel längst eingeläutet haben.“ (Meier 10/2005)
Die unterschiedlichen Versionen von Lokalität werden hier als an sich unvereinbare Gemengelage dargestellt, die aber die Vielseitigkeit zur Konsumption von Lokalität bei spezifischen Gelegenheiten sogar noch erhöhen: „Um die Migranten noch stärker einzubinden, wird unter anderem ein internationaler Liederabend inszeniert, Sufi wird Rap ‚meeten‘, in der letzten (verlassenen) Rotlichtbar werden erotische Geschichten gelesen, im Gemeinschaftszentrum wird ein Underground-Festival rocken, [...] für Neugierige bietet die FetischBar Why Not eine Bondage-Show an. Wenn das nicht nach Jungbusch klingt“ (Meier 10/2005). Alles, was im weitesten Sinne unter den Begriff ‚Kultur‘6 gefasst werden kann, wird hier als Event zum Vergnügen der übrigen Mannheimer Bevölkerung angeboten, wobei die teilweise transnationalen locals, die Alternativen ebenso wie die Reste des einst im Jungbusch ansässigen Rotlichtmilieus den authentischen Hintergrund für (klein-)bürgerliche Formen der Lebensstilisierung liefern. Das ‚Fremde‘ wird also nicht mehr im Museum besucht, sondern in seinem ureigenen Territorium: mit der Zunahme einer nicht diasporisch orientierten Gastronomie in den letzten Jahren wird dieses Vergnügen einem breiten, interessierten Publikum ermöglicht. Für die weniger Mutigen bieten sich auch verschiedene Events, wie der Nachtwandel, Theateraufführungen von Migranten und andere Kunst- und Kulturtermine, um dem Jungbusch einen Besuch abzustatten. Die Zielgruppe sind hier – anders als bei der von Welz (1996) beschriebenen Erschließung Harlems – nicht die Touristen, sondern die kleinbürgerliche Bevölkerung Mannheims. Auch hier lässt sich, angesichts des Nachtlebens und der Eventkultur, ähnlich wie bei den Bustouren durch Harlem konstatieren: „Die Eindrücke von Armut und Verslumung, die im Vorbeifahren mitgenommen werden, bleiben oberflächlich genug, um eine sozialromantische Idyllisierung und nostalgische Verklärung zuzulassen“ (Welz 1996: 322). So mutet es nicht überraschend an, wenn zur Anregung der Bürgerbeteiligung an Stadtentwicklungsprozessen „Stadtsafaris“7 in entsprechende marginale Stadträume unter der Führung sogenannter „Scouts“ statt finden. Dies führt zur Entwicklung eines Ethno- beziehungsweise eines Randkulturtourismus, welcher von den Bewohnern auch durchaus als solcher wahrgenommen wird (vgl. Kapitel 8).
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Dieser Begriff ist in Anbetracht der zunehmenden „politization of ‚culture‘“ (Wright 1998) durch Ethnologen aber auch durch andere Akteure mit aller Vorsicht zu genießen. Vgl. http://www.eki-mannheim.de/media/pdf/070328_dokumentation_tisch1.pdf (04.09.2009).
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KAPITEL 4 – LOKALITÄT ‚REVISITED‘
Der Jungbusch selbst wird zum Label für eine Vielzahl möglicher Stilisierungen: Auf der Ebene alternativer kultureller Formen kann dieser symbolische Ort Jungbusch sozusagen exportiert werden – „Jungbusch! over Weinheim“ lautet die Überschrift auf einem flyer. Die Existenz von kultureller Hybridität ist dabei für die Konsumption des Ortes für ein neues Kleinbürgertum von großer Bedeutung um „das symbolische Feld ihrer Selbstrepräsentation zu erweitern“ (Ha 2006: 1). Denn Hybridität und Kosmopolitismus spielen gegenwärtig eine immense Rolle, nicht nur als Distinktionsmerkmal für Individuen, sondern auch für die symbolische Repräsentation von Städten und sogar Nationen vermittels ‚weicher Standortfaktoren‘, um ihre Attraktivität für bestimmte Segmente der Gesellschaft zu erhöhen: „Im globalen Wettbewerb nationaler Ökonomie und Kulturen ist es sogar für die Nation eine Aufgabe mit wachsender Bedeutung, kosmopolitisch und offen für produktive Flüsse von migrierendem Kapital, kreativen Subjekten und mächtigen Symbolen zu erscheinen“ (Ha 2006: 19). Nichts desto trotz sind diese Lebensstile und Konsummuster nicht überall in der Stadt gleichermaßen erwünscht und mit anderen Distinktionspraktiken nicht unbedingt kompatibel. Die Lebensstilisierung des ‚neuen Kleinbürgertums‘ verortet sich daher häufig in kleinräumigen Gebieten und in städtischen Nischen – in Gebieten, die diesbezüglich einen gewissen Distinktionswert aufweisen. Stadtteile wie der Jungbusch werden in diesem Zusammenhang als Paradebeispiel für Stadträume gesehen, die noch den Konsum von Differenz ermöglichen: Sie gelten als kreativ, kosmopolit, hybrid, einzigartig und auf Grund ihrer subalternen Alltagskultur auch als authentisch. Denn es ist gerade der Faktor der Historie als ehemaliges Hafen- und Rotlichtviertel mit seiner Gleichzeitigkeit von alteingesessener Bevölkerung, der lokalisierten Transnationalität der Migranten und der Existenz differenter Lebensstile, der ihn für die Konsumption von Lokalität so interessant macht. Insofern bilden multiethnische Stadträume wie der Jungbusch eine Schnittstelle für verschiedenste Lokalitätskonzepte der Gegenwart. Eine wissenschaftliche Rekonzeptualisierung von Lokalität als ein auch weiterhin relevantes Modell der Selbstverortung nicht nur für sogenannte lokale Gemeinschaften ist daher dringend notwendig, um die multiplen Bedeutungsebenen von Orten in den Blick zu bekommen. Im Folgenden werde ich daher auf die Entwicklung einer entsprechenden empirischen Methodik, einer Ethnographie des Ortes, näher eingehen.
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Kapitel 5 Ethnographie des Ortes
„Als Verdichtungsraum sozialer Prozesse und kultureller Entwicklungen“ (Hengartner/Kokot/Wildner 2000: 3) ist die Stadt zur Erforschung von Prozessen der Konstitution von Heterogenität in interkulturellen Räumen ein sehr geeignetes Feld für kulturanthropologische Ansätze. Trotzdem hat der von Hannerz (1980) geäußerte und vielzitierte Vorwurf (vgl. Kokot 2000; Lang 1998; Lindner 1993, 1998), eine bloße Übertragung von traditionellen ethnographischen Forschungsmethoden dörflicher Strukturen auf die Stadt werde der Komplexität des städtischen Raums und der Diversität der dortigen Lebenspraxen nicht gerecht, leider noch nicht zu einer systematischen Neuinterpretation der Ethnologie der Stadt geführt. Denn die Übertragung ‚traditioneller‘ ethnologischer Perspektiven auf die Stadt resultiert auch aus der bereits diskutierten, oftmals unhinterfragten Gleichsetzung von Gemeinschaft und Ort: Obwohl die ethnologische Forschung in situ statt findet, ist der Ort hier in der Regel eher der Lokus als der Fokus der Forschung.1 Translokale beziehungsweise transnationale Lebensstile werden, so sie in der empirischen Forschung mit Urbanität in Bezug gesetzt werden, hingegen oftmals als isoliertes Phänomen in der Stadt verstanden (vgl. beispielsweise Kaya 2001; Ceylan 2006) und nicht als konstituierendes Prinzip für die Stadt, wie sie von Theoretikern wie Hannerz (1996) oder Davis (2001) gedeutet werden. Die Beharrlichkeit, mit der diese Gleichsetzung von Gemeinschaft und Ort insbesondere in der Ethnologie vorangetrieben wird, hängt aber auch mit 1
Kaya (2001) und Lang (1998) beziehen sich zwar beide auf Kreuzberg, allerdings setzt Lang ihren Schwerpunkt auf die alternative Subkultur, während Kaya türkische Jugendliche in den Blick nimmt. Dürr (2002, 2005) setzt ihren Schwerpunkt bei ihrer Stadtforschung in den USA speziell auf Hispanics. Antweiler (2000) untersucht zwar unterschiedliche ethnische Gruppen Ujung Padangs, allerdings weniger in Bezug auf Lokalität sondern auf innerstädtische Mobilität. 121
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
der inzwischen nahezu unverrückbaren Dominanz der Feldforschung als Methode zusammen (vgl. Gupta/Ferguson 1997a). Der Begriff Feldforschung umschreibt die Methode der Ethnologie und wird traditionell verstanden als Entwicklung einer langfristigen Beziehung zwischen einem Ethnologen und einer zumeist verorteten Gemeinschaft. Obwohl die Ethnologie im Grunde eine globale Wissenschaft ist, erlangt sie so mehr als jede andere Disziplin ihre Forschungsergebnisse durch eine Verortung ihrer Methodik. Diese besteht in der Regel in der teilnehmenden Beobachtung während eines längeren Aufenthaltes vor Ort und wurde insbesondere durch Bronislaw Malinowski populär. In „Argonauten des westlichen Pazifik“ beschreibt er die Vorteile des engen Kontakts vor Ort: „Bald schon [...] nahm ich auf bestimmte Weise am Dorfleben teil, indem ich erwartungsvoll den wichtigen oder festlichen Ereignissen entgegen sah, am Klatsch und an der Entwicklung der kleinen Dorfbegebenheiten persönlich Anteil nahm und jeden Morgen zu einem Tag erwachte, der sich mir mehr oder weniger so darstellte wie den Eingeborenen“ (Malinowski 1979: 29).2 Die Betonung liegt hier auf der Teilhabe an der Alltagserfahrung der erforschten Kulturen, auf dem „Eintauchen in das Leben der Eingeborenen“ (Malinowski 1979: 46) in ihrer ‚natürlichen‘ Umgebung. Der Ethnologe vor Ort trat zwar nicht unbedingt in der Realität aber zumindest in der entsprechenden klassischen Ethnographie meist als einziger Weißer zutage (Rosaldo 1986: 96). Innerhalb dieser Versuchsanordnung, welche das Labor sozusagen nach draußen, in die Ferne, den Dschungel verlegt, findet die Wissenschaft Ethnologie statt (vgl. Gupta/Ferguson 1997a; Hannerz 1996). Im Zuge der postmodernen Diskussion um Macht und Repräsentation (vgl. Berg/Fuchs 1993), beschäftigte sich die Ethnologie nicht nur sehr eingehend mit ihrer Rolle bei der Produktion von Diskursen über ‚fremde‘ Kulturen, sondern auch die Methodik der Ethnologie und die Rolle des Ethnologen wurden intensiv in den Blick genommen. Renato Rosaldo lässt kein gutes Haar an diesem ‚Einsamen Ethnographen‘: „Once upon a time, the Lone Ethnographer rode off into the sunset in search of ‚his native.‘ After undergoing a series of trials, he encountered the object of his quest in a distant land. There, he underwent his rite of passage by enduring the ultimate ordeal of ‚fieldwork.‘ After collecting ‚the data,‘ the Lone Ethnographer returned home and wrote a ‚true‘ account of ‚the culture‘“ (Rosaldo 1993: 30). Die Ethnologie macht sich sozusagen selbst zum Gegenstand der Forschung und nimmt gerade die Ethnographie als Verschriftlichung von Erfahrungen im Feld ins Zentrum der Kritik (vgl. Berg/Fuchs 1993: 15). Doch auch die Feldforschungssituation selbst wird reflektiert: Rosaldo (1986: 92) vergleicht die Arbeit des Ethnologen gar mit Praktiken der Überwachung und Disziplinierung: „In re2
Die Originalausgabe erschien 1922 unter dem Titel „Argonauts of the Western Pacific“.
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KAPITEL 5 – ETHNOGRAPHIE DES ORTES
trospect, the fieldworker’s mode of surveillance uncomfortably resembles Michel Foucault’s Panopticon, the site form which the (disciplining) disciplines enjoy gazing upon (and subjecting) their subjects.“ Die Diskussion um das Verhältnis zwischen dem Ethnologen beziehungsweise der Ethnologin zu den erforschten Kulturen hat so das Selbstverständnis der Ethnologie stark verändert. Ethnologe – in der Tat handelt es sich in der klassischen Ethnologie zumeist um einen männlichen Vertreter – zu sein galt nun im Spiegel postkolonialer und feministischer AutorInnen nicht länger als ein Prädikat dafür, ein ‚Eingeweihter‘ in eine ‚Kultur‘ zu sein: Denn die Person des Ethnologen spielt bei der Teilhabe an kulturellem Wissen eine entscheidende Rolle (vgl. Abu-Lughod, Lila 1991; Hauser-Schäublin 2002). Doch das Wissen, welches eine ethnographische Forschung zu erlangen meint, ist nicht nur „situiert“ (Haraway 1995), es ist zudem auch in hohem Maße lokalisiert. Und somit nicht unbedingt übertragbar auf weiterreichende politische oder geographische Territorien (vgl. Barth 1993). Das simple ‚vor Ort sein‘ legitimiert den Forschenden nun nicht mehr länger zum „sprechenden Subjekt“ (Foucault 1998). Auch andere Faktoren gewinnen an Bedeutung: Interdisziplinarität, Multilokalität, Methodensicherheit und bi-nationale Projekte spielen eine verstärkte Rolle in der Ethnologie der Gegenwart. Trotz dieser Veränderungen im Selbstverständnis der Ethnologie im Zuge postmoderner Krisen und den Entwicklungen in einer globalen Welt, welche die Verortung des fieldwork site erschweren, zeigt sich in der Realität gegenwärtiger Forschungen, dass die Definition von Feldforschung in situ nahezu veränderungsresistent zu sein scheint. Die Praktiken der Selbstlegitimierung als Ethnologe beziehungsweise Ethnologin haben sich insofern zwar verändert, doch die dauerhafte oder wiederholte Anwesenheit vor Ort ist immer noch ein entscheidendes Merkmal der Ethnologie. Die Qualität von Anwesenheit und Kontakt mag von Situation zu Situation allerdings variieren. Selbst der Ansatz einer „multi-sited ethnography“ (Marcus 1995), welcher die Konzeption einer verorteten Gemeinschaft aufzubrechen sucht, führt häufig lediglich zu einer Aneinanderreihung von field sites: Die Forscher müssen sich nun mit den Angehörigen einer ‚community‘ an verschiedenen Orten und in einem kürzeren Zeitrahmen vertraut machen.3 In einigen Fällen der jüngeren Vergangenheit wird die Methodik der Feldforschung dadurch zum Ballast der Ethnologen – insbesondere wenn sie sich abseits traditioneller Pfade be-
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Haller (2005) betrachtet die Relevanz lokaler Praxen und Beziehungsnetzwerke auch für diasporische Gemeinschaften als keineswegs unerheblich und schlägt daher im Gegensatz zu Marcus (1995) auch hier die Durchführung stationärer Feldforschungen vor. 123
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
wegen – oder schlimmer noch, produziert ein Gefühl von Angst (vgl. Caputo 2000; Mulcock 2001; Muir 2004).4 Gleichsam ist die Akzeptanz von Forschenden innerhalb ‚ihrer‘ Gemeinschaft und die Bildung langjähriger Beziehungen oder Freundschaften zu den Erforschten auch weiterhin eine Art Feldforschungsideal. Ebenso wie bei anderen ‚Freundschaftsbeziehungen‘ gibt es auch hier keine Gebrauchsanleitung, vielmehr erscheint die Überwindung erster Schwierigkeiten und die Erreichung eines Status als Eingeweihte auf der persönlichen Leistung der Forschenden zu beruhen. Stocking (1992: 14) weist darauf hin, dass die disziplinären Überzeugungen bezüglich der ersten Feldforschungserfahrung einen kontrollierten reflexiven Umgang mit dieser Situation oft schwierig machen: „Certainly there is a pervasive belief, that there is something ineffable about fieldwork; an epistemological ideology of cultural immersion justifies a methodological practice that at some point becomes a matter of sink or swim“. Das Ideal eines „profound engagement in a community’s life“ (Weiner 1995:6) oder des „deep hanging out“ (Rosaldo, zitiert nach Clifford 1997b: 188) mit dem Resultat der völligen Anerkennung der Feldforscher als Freunde oder Verwandte, ja als „brother“ (Wacquant 2001: 17), dient gleichzeitig zur Legitimation der eigenen Forschungsergebnisse. Diese Form der Selbstlegitimierung ergibt sich auch aus der oftmals exklusiven Beziehung zwischen Ethnologen und ihrem jeweiligen Feld: „The credibility of our field reports rests mainly on their uniqueness, that is, on the absence of any other reports that might present contrary „findings,“ that is, test their reliability“ (Salzman 1994: 35). Die damit verbundene ausschließliche Erforschung von einer spezifischen lokalen oder translokalen ethnischen Gruppe wird innerhalb der Ethnologie oftmals vorausgesetzt: Die Frage, in welcher ‚community‘ man denn nun Forschung betreibe, der sich auch Muir (2004) stellen musste, zeugt von einem weitgehend unhinterfragten Verhältnis einiger Ethnologen zur Konstruktion einer ethnischen Gemeinschaft. Ebenso häufig wird die Frage nach dem Ort der Feldforschung gestellt: Antworten wie „in Indonesien“ werden von diesen Fragestellern in der Regel als völlig ausreichend betrachtet, während die Antwort „in Mannheim“ häufig einigen Erklärungsbedarf nach sich zieht. Dies hängt zum Einen sicherlich mit dem bereits im ersten Kapitel diskutierten ethnologischen Regionalismus, zum Anderen mit der „hierarchy of purity 4
Obwohl diese Definition von Feldforschung angesichts veränderter Forschungsschwerpunkte zunehmend problematisch erscheint, ist sie vergleichbar mit einem rites de passage des Studenten oder des Doktoranden. Stocking (1992: 12f) spricht in diesem Zusammenhang von einem „initiation ritual“ als eine Art „incorporative ritual“ des „anthropological tribe.“ Die legitime Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Ethnologen konstituiert sich beinahe ausschließlich über die Erfahrung im Feld.
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KAPITEL 5 – ETHNOGRAPHIE DES ORTES
of field-sites“ (Gupta/Ferguson 1997a: 12) zusammen. Inwiefern die solchermaßen konstruierten Gemeinschaften durch spezifische sozio-kulturelle Gemeinsamkeiten wie lokale Herkunft, ethnische, religiöse, subkulturelle oder nationale Zugehörigkeit gekennzeichnet sind oder vielmehr eher durch Beziehungsnetzwerke wie Kernfamilie, Verwandtschaft oder Freundschaftsbeziehungen, ist häufig unklar. Andererseits reflektiert das Prinzip der Feldforschung in gewisser Weise den Kern der Ethnologie als Disziplin und grenzt sie somit auch von ‚konkurrierenden‘ Wissenschaften ab. Doch dieses Feldforschungsideal ist umso schwerer zu erreichen, als die zunehmend komplexen globalen Vernetzungen starken Einfluss auf unser jeweiliges Feld, im Sinne von lokalisierter oder lokalisierbarer Ethnographie, ausüben. Die Ethnologie befindet sich damit auch beständig am Scheideweg zwischen einem Festhalten an traditionellen Forschungsgebieten und Themen und der Hinwendung zu neuen Schwerpunkten. Dieses Problem wurde von Hannerz (1986: 364) schon frühzeitig thematisiert: „When the concern of otherness comes to dominate anthropology, it turns away from the large-scale, complex Western societies in which it is, after all, intellectually rooted. And it turns to what is not only geographically and culturally most distant but also to the organizationally most different. The anthropology of the Other thrives in the local community where the division of labor is strictly limited, where there is little diversity of experience, and where social contacts are face-to-face, with meanings carried by body movements and spoken words, or by song, dance, and ritual.“
Insbesondere die Entstehung der sogenannten Cultural Studies brachte neue Themenkomplexe in das Gesichtsfeld der Ethnologie. Anstatt einer breiten Diskussion über den Gegenstand kulturwissenschaftlicher Forschungen wurde allerdings oftmals eher eine verstärkte Differenzierung von thematischen und regionalen Ausrichtungen vorgenommen.5 Ethnologische Themen wurden und werden, wie die Erfahrung Caputos (2000) bei ihrer Feldforschung at home zeigt, in der Ferne lokalisiert. Feldforschungen ‚zu Hause‘, insbesondere im Kontext einer fragmentierten und spezialisierten Gesellschaft, ähneln selten der immer noch leicht romantisch verzerrten Vorstellung des eingebundenen Ethnographen, der am Alltag seiner Informanten teilnimmt. Ohne einen überschaubaren Ort – ein Dorf, ein Jugendtreff oder ein Sportclub (vgl. beispielsweise die ethnographischen Forschungen von Tertilt 1996; Kaya 2001; Wacquant 2001) mit einer sich als solche definierenden Gemeinschaft – ist dieses Ideal kaum erreichbar. Und selbst in diesen Fällen umfasst der so erlangte Einblick oftmals lediglich die an diesen Ort gebundene spezifische kulturelle beziehungsweise subkulturelle Praxis und gibt nicht notwendigerweise 5
Vgl. den Kommentar von Thomas Kirsch in den Mitteilungen der DGV 2007, Heft 37, 6-7. 125
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
Hinweise auf andere Lebensbereiche. Der stark strukturierte Alltag in komplexen Gesellschaften und die Zugehörigkeit untersuchter Akteure zu unterschiedlichen Gemeinschaften, macht diese Form der ethnographischen Arbeit häufig zu einem komplizierten und manchmal frustrierenden Unterfangen. Der damit verbundene „field envy“ (Muir 2004: 197) auf „‚real‘ fields“ (Caputo 2000: 20) ist für Ethnologen außerhalb dieser klassischen Form der Ethnologie beinahe unvermeidlich.
Konsequenzen für die Feldforschung im multi-ethnischen Stadtraum Im Falle meiner Feldforschung ist das Feld geographisch verhältnismäßig klar umrissen: der Jungbusch. Größere Probleme macht hier eher die Definition einer entsprechenden lokalen Gemeinschaft und die aus dieser Fragmentierung resultierenden Vielzahl von Konzepten über das Quartier. Denn dieses wird nicht von allen Interviewpartnern sozial und räumlich gleichermaßen definiert. Was sich für mich zunächst als multikulturelle Lebenswelt im Jungbusch darstellte, entpuppte sich als mehr oder weniger zufällige Anordnung sehr differenter Lebens- und Handlungspraxen von unterschiedlichen Gruppen und Gemeinschaften auf begrenztem Raum. Einige dieser Gemeinschaften definieren sich auf Grund ähnlicher Weltbilder, Interessen, ethnischer Herkunft, Geschlecht oder Alter. Manche identifizieren sich selbst mit dem Jungbusch, obwohl sie möglicherweise nicht dort leben, während andere dort leben, aber sich um nichts in der Welt mit dem Jungbusch identifizieren möchten. Diese Komplexität der Beziehungen zum Ort führen damit auch zu Besonderheiten der Feldforschungssituation. Trotz eines räumlich umgrenzten Feldes finden sich auf diese Weise viele communities, sofern man erst einmal weiß, wo man nach ihnen suchen muss. Denn im Jungbusch zeigt sich sehr deutlich die Vielschichtigkeit eines multi-ethnischen Stadtraums. Er ist ein spezifischer geographischer Ort, der gleichzeitig Projektionsfläche, Sozialraum und Produkt hegemonialer Kultur darstellt. Gleichzeitig ist er auch place, also mit Bedeutung, Erinnerung und Erfahrung gefüllter Raum: Er ist die Projektionsfläche heterogener Gemeinschaften mit jeweils unterschiedlichen Konstruktionen von lokaler Verortung. Die vielfältigen Konzeptionen vom Jungbusch als place gilt es also mittels der Feldforschung erst einmal zu identifizieren. Diese Varianz der Bedeutungsebenen zusammen mit den Spezifika der identitätsrelevanten Bedingungen von multi-ethnischem, marginalisiertem Raum auch für sozio-kulturell benachteiligte Gruppen und unter Einbeziehung ungleicher Machtverhältnisse, erfordern eine gewisse Methodenvielfalt, die ich als Ethnographie des Ortes bezeichne.
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KAPITEL 5 – ETHNOGRAPHIE DES ORTES
Das Hauptinteresse gilt dabei den alltäglichen Praktiken der Aushandlung lokalisierter Identitäten ohne den Fokus auf eine Gemeinschaft oder community zu legen, sei sie nun ethnisch, (sub-)kulturell oder geschlechtsspezifisch konnotiert. Anstatt also ein intensives Verhältnis zu einer verhältnismäßig ‚leicht‘ zugänglichen Gruppe aufzubauen, besuchte ich zunächst vermehrt Veranstaltungen, die allgemein die Bewohner des Jungbusch einluden, beziehungsweise das Leben, die Zukunft oder die Vergangenheit des Quartiers zum Gegenstand hatten. Da die Stadtentwicklungsprogramme stark auf den Aspekt der Bürgerbeteiligung ausgerichtet sind, bestand für mich auch die Möglichkeit, diese Treffen und Veranstaltungen für meine teilnehmende Beobachtung zu nutzen. Bei diesen Zusammenkünften werden die Planungen für den Jungbusch vorgestellt und ausgehandelt, wobei Verantwortliche der Stadt Mannheim, Mitarbeiter von Institutionen und Bewohner über die Zukunft des Jungbusch debattieren. So besuchte ich Bürgerversammlungen, kommunalpolitische Treffen, Gesprächskreise, Grundsteinlegungen und Planungsrunden für den Bau unterschiedlicher Projekte, obwohl die Teilnahme von Bewohnern sich teilweise stark in Grenzen hält. Auch bei jenen Veranstaltungen, die öffentlichkeitswirksam das Image des Stadtteils verbessern sollen, indem Bewohner Mannheims Gelegenheit erhalten, den stigmatisierten Jungbusch quasi in einem ‚sicheren‘ setting zu besuchen, wie beispielsweise der Nachtwandel oder das Sidewalktheater6, habe ich teilgenommen. Doch auch auf der Ebene der Bewohner selbst bildeten sich immer wieder Interessengruppen, beispielsweise zum Thema Verkehr oder Sauberkeit, die dann vom Quartiermanagement als Themenschwerpunkte aufgegriffen wurden. Auf Grund dieser Bemühungen von verschiedenen Vereinen und Aktionsbündnissen und der forcierten Entwicklungen im Jungbusch in den letzten Jahren, fanden solche Veranstaltungen relativ häufig statt. Allerdings zeichnen sich die Treffen in der Regel durch einen strukturierten Ablauf und klare zeitliche Begrenzungen aus, was die teilnehmende Beobachtung erleichtert, teilweise aber wenig Raum für Verständnisfragen lässt, die dann in ausführlichen Interviews geklärt wurden. Viele dieser Veranstaltungen zielen auch darauf ab, Probleme, Beschwerden oder Auseinandersetzungen zu schlichten, gemeinsame Lösungen zu entwickeln aber auch eine Akzeptanz für Veränderungen bei den Bewohnern zu wecken. Die Besucher dieser Treffen sind neben Ortsansässigen auch städtische Angestellte, Sozialpädagogen, Vorstände unterschiedlicher ansässiger Vereine und andere Verantwortliche im Stadtteil, wie Pfarrer, Repräsentanten von Moscheen oder Investoren. Auch die inzwischen eingestellten monatlichen Treffen der Geschichtswerkstatt Jungbusch waren eine wichtige Informationsquelle nicht nur über die Vergangenheit des Quartiers, sondern auch über die Repräsentationen die6
Im folgenden Kapitel dazu mehr. 127
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
ser Vergangenheit in der Gegenwart, sowohl nach ‚außen‘ – in die Stadt Mannheim – als auch nach ‚innen‘ – in den Jungbusch. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe von Bewohnern und ehemaligen Bewohnern (tatsächlich besteht der Kern ausschließlich aus Männern), welche sich mit einer lokalen Erinnerungsarbeit beschäftigen und sich beispielsweise mit Diaabenden oder Lesungen auch am Nachtwandel beteiligen. Zusätzlich nahm ich auch andere, weniger regelmäßige Treffen, wie Feste, Sprachkurse und Gesprächskreise wahr, um Bewohner kennen zu lernen und mich mit den Institutionen im Jungbusch vertraut zu machen. Durch die spezifische sozio-kulturelle Situation vor Ort erwies sich die Entwicklung enger sozialer Beziehungen, wie sie mit dem Ideal der Feldforschung verbunden wird, als einigermaßen schwierig. Das Zusammenleben im multi-ethnischen Stadtraum gestaltet sich durchaus auch konfliktreich, wie ich auch in Gesprächen und Interviews feststellen musste. Auf diese Dynamiken werde ich in Kapitel 9 noch im Einzelnen eingehen, an dieser Stelle ist es allerdings wichtig festzuhalten, dass diese lokalen Konflikte den Prozess der Feldforschung in einem geographisch sehr begrenzten Gebiet durchaus behindern und zu sozialen, ethnischen und territorialen Grenzziehungen führen, welche es unter Umständen erschweren, von unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften gleichermaßen als Gesprächspartnerin anerkannt zu werden. Trotz dieser Probleme beim ‚Eintauchen‘ in die lokale Kultur erwies es sich als überaus nützlich, entsprechend dem Feldforschungsideal auch selbst im Jungbusch zu wohnen. Dieses ‚vor Ort sein‘ hatte eine starke symbolische Bedeutung: gerade im marginalisierten Jungbusch, der in den letzten Jahren im Mittelpunkt stadtplanerischer Aufmerksamkeit steht, haben die Bewohner oftmals den Eindruck, letztlich zum bloßen Objekt kurzfristiger politischer Interessen, Prozesse und Projekten degradiert zu sein. Dass ich selbst im Jungbusch wohnte, erwies sich daher als hilfreich, um das Vertrauen auch jener Bewohner zu erlangen, die sich der öffentlichen Stigmatisierung der ,Jungbuschler‘ deutlich bewusst sind und eine gewisse Scham über ihr lokales Umfeld und ihre Wohnbedingungen empfinden.
V o m S u c h e n u n d F i n d e n v o n I n t e r v i ew p a r t n e r n ,First Contact‘ Der Jungbusch wird von den Bewohnern auch immer in einer doppelten Bedeutung gesehen: als place, in dem das alltägliche Leben statt findet und als marginalisierter Stadtraum Mannheims. Da die Bewohner auf Grund der negativen Wahrnehmung des Jungbusch in der Öffentlichkeit dazu tendieren, ihr Lebensumfeld nach außen als eine Art multikulturelle Utopie zu präsentieren, lassen sich Brüche und Konflikte bei der Produktion lokalisierter Identitäten 128
KAPITEL 5 – ETHNOGRAPHIE DES ORTES
insbesondere im ausführlichen Gespräch in Form eines Interviews erfragen. Das wesentliche Merkmal der Befragten besteht darin, dass sie alle entweder im Jungbusch wohnen oder beruflich beziehungsweise privat starke Verbindungen zum Jungbusch aufweisen. Um der multi-ethnischen und sozialen Bewohnerstruktur gerecht zu werden, orientierte ich mich beim sampling an einer Zusammensetzung, die der strukturellen Mischung des Quartiers entspricht: Ich befragte für die Interviews sowohl Angehörige deutscher, türkischer, italienischer und anderer ethnischer Gruppen mit differentem sozialem Hintergrund. Um diese Interviewpartner zu finden, erwies sich eine genaue Kenntnis des Stadtteils als Notwendigkeit. Denn der Zugang zu möglichen Informaten wird durch die lokalen Aneignungsweisen des öffentlichen Raums erschwert. Cafés und Kneipen im Jungbusch sind häufig hauptsächlich Männern vorbehalten und eignen sich für eine Wissenschaftlerin nicht als Einstiegsorte für Gespräche, da hier das eigene biologische Geschlecht erst sozial ausgehandelt werden muss und ein solcher Kontakt bei jeder ethnischen Gruppe nicht nur Verwunderung ausgelöst, sondern auch zu Missverständnissen geführt hätte. Der Zugang zu Bewohnerinnen im Jungbusch wurde durch deren verhältnismäßige Unsichtbarkeit im öffentlichen Raum negativ beeinträchtigt. Lokale bürgerschaftliche Veranstaltungen erwiesen sich zudem häufiger als Treffpunkte von Sozialpädagogen und anderen im Quartier Beschäftigten, als von deren Klienten. Insbesondere Bewohner mit Migrationshintergrund waren dabei eher selten vertreten. Auch der Zugang zu Gruppen, die auf Grund verschiedener Faktoren eine gesellschaftliche Randstellung inne haben, gestaltete sich schwierig – beispielsweise zu Migranten mit geringen Deutschkenntnissen, insbesondere sofern sie noch keinen deutschen Pass besitzen. Dies war gerade bei Migranten aus der Türkei ein Thema.7 Besonders bei diesen Personen bestand eine große Sorge, dass kritische Äußerungen missverstanden werden oder gar Einfluss auf ihren weiteren Aufenthalt in Deutschland haben könnten. Aus diesen Gründen habe ich bei Interviews mit Sprechern mit geringen Deutschkenntnissen in zwei Fällen mit Übersetzern gearbeitet, welche diesen bekannt waren. In einem dritten Fall sicherte ich meinem Interviewpartner zu, dass er – sollte er subjektiv den Eindruck haben seine Antworten auf Deutsch würden seine Gedanken ungenügend wieder geben – auf Türkisch antworten könne, um ihm hinterher eine Übersetzung nochmals vorzulegen. Dies erwies sich allerdings als nicht notwendig. Diese Besonderheiten behinderten zusätzlich den Zugang zu einzelnen Gruppen, deren Tagesablauf, Aufenthaltsorte, Lebensstile und Gewohnheiten keineswegs auf den Jungbusch begrenzt sind und dadurch Begegnungen oh-
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Obwohl ich über Kenntnisse der türkischen Sprache verfüge, sind diese nicht ausreichend für längere Interviews, wie sie mir vorschwebten. 129
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
nehin oft schwierig machen. Trotz der verhältnismäßigen Überschaubarkeit des Feldes erwies sich daher der Kontakt zu den unterschiedlichen lokalen Gruppen und Gemeinschaften als nicht ganz einfach. Das Schneeballprinzip, welchem ich ursprünglich zu folgen versuchte, zeitigte nur einen sehr mäßigen Erfolg. Sofern es überhaupt funktionierte, dann insbesondere innerhalb von sozio-kulturell ähnlichen Gruppen in der gleichen Alterskohorte: Rentner kennen andere Rentner, Studierende andere Studierende. Dass Angehörige einer ethnischen Gruppe Kontakt zu einer anderen ethnischen Gruppe zu vermitteln vermochten, kam äußerst selten vor. Auch innerhalb familiärer Netzwerke erwies sich dieses Prinzip als schwierig: Ehefrauen betonten häufig die geringe Freizeit ihrer Gatten, die deren Teilnahme an einem Interview scheinbar unmöglich machte, wodurch indirekt auch wiederum die Übernahme kommunikativer Aufgaben durch das weibliche Geschlecht zementiert wird. Erschwerend kommt noch hinzu, dass ähnliche Prozesse des gate-keeping auch intergenerationeller Natur sind: Meine Versuche, Kontakt mit älteren Migranten über deren Kinder aufzunehmen, wurde häufig mit der Begründung „meine Eltern würden nie Interviews geben“ abgelehnt. Um den Kontakt zu Gesprächspartnern herzustellen waren daher Vereine, Organisationen und soziale und religiöse Einrichtungen meine wichtigsten Ansprechpartner. Besonders beim Kontakt zu Migrantinnen erwies sich die Hilfe von, als vertrauenswürdig eingestuften, Vermittlerinnen als sinnvoll. Die von Riesner (1995) beschriebene Problematik der starken Sozialkontrolle innerhalb türkischer Gemeinschaften, stellte sich für meine Forschung allerdings als weniger relevant heraus. Dies liegt sicherlich hauptsächlich an der gänzlich anderen Fragestellung: Während Riesner speziell die Lebenssituation türkischer Frauen in den Blick nimmt, berührt der Zugang über den Ort sicherlich in geringerem Maße das persönliche Umfeld der Befragten. Vielmehr spielen dabei die bereits erwähnten Sprachbarrieren und der möglicherweise schwierige rechtliche Status eine hinderliche Rolle. Aber auch die ungewohnte Situation, von einer Wissenschaftlerin mit deutscher Staatsbürgerschaft nach der eigenen Meinung befragt zu werden, einer Meinung, die im öffentlichen Diskurs in der Regel nur eine geringe Rolle spielt, erwies sich teilweise als Barriere. Insofern war meine eigene ethnische Zugehörigkeit gelegentlich hinderlich für den Kontakt zu potentiellen Interviewpartnern. Anders verhielt es sich mit meinem Hintergrund als Ethnologin: Die Resonanz der Bewohner auf mein Anliegen war dabei zwar einigermaßen unterschiedlich, im Allgemeinen aber eher positiv. Trotz des vielfach vorhandenen Erklärungsbedarfs über die Bedeutung des Begriffes Ethnologie und die Tätigkeitsbereiche von Ethnologen, wurde entgegen meiner Erwartung von Bewohnern und anderen Kontaktpersonen nur in seltenen Fällen Verwunderung über eine ethnologische Forschung in einem Stadtgebiet Mannheims geäußert. Erstaunte Reaktionen auf den Begriff Ethnologie, wie sie von Lang (1998: 92) beschrieben wurden 130
KAPITEL 5 – ETHNOGRAPHIE DES ORTES
und welche fortan zu ihrer Selbstbeschreibung als Kulturwissenschaftlerin führten, kamen in seltenen Fällen allerdings ebenfalls vor. Dennoch bin ich aus zwei Gründen bei meiner Vorstellung als Ethnologin geblieben: Zum Einen führten eben diese Interpretationen meines Fachs häufig zu ersten Darstellungen der Wahrnehmung des Quartiers. Dies zeigte sich beispielsweise in positiven Äußerungen über die kulturelle Vielfalt im Stadtteil einerseits oder im Gegenzug bei der Problematisierung des engen Kontakts unterschiedlicher kultureller Praxen andererseits. Im Allgemeinen überwog bei den Bewohnern die Vorstellung, dass eine Ethnologin im Jungbusch durchaus ein entsprechendes Arbeitsfeld finden könne, da das Quartier in aller Regel als ‚besonderer‘ Stadtteil betrachtet wird. Zum Anderen wird der Begriff Kultur ganz allgemein und im Jungbusch im Speziellen häufig im Sinne von Kunst verwendet. Die im Jungbusch praktizierte „Stadtteilkulturarbeit“ (Quartiermanagement Jungbusch o. J.a) umfasst dabei in der Regel die künstlerische Auseinandersetzung mit der multikulturellen Herkunft der Bewohner und wird hier definiert als ein Mittel für die „soziale und ethnische Integration“ (Quartiermanagement Jungbusch o. J.a: Anlage 3). Insofern gestaltet sich der Begriff Kultur im Jungbusch in der Regel als künstlerisches und politisches Konzept. Eine Vorstellung als Kulturwissenschaftlerin hätte mich nach meinem eigenen Empfinden zu nahe an die Akteure dieser Projekte heran gerückt und die Wahrnehmung meiner Person als unabhängige Beobachterin gefährdet.
Interviews Das aus dieser besonderen Situation resultierende sample von 23 Interviews spiegelt dennoch weitgehend die soziale Zusammensetzung im Jungbusch wieder: Die Gruppe der deutschen Befragten ist verhältnismäßig alt, denn deutsche Jugendliche beziehungsweise junge Erwachsene sind kaum im Jungbusch anzutreffen. Bei den neun unter 30-jährigen Befragten haben daher sechs einen Migrationshintergrund. Unter den drei deutschen Interviewpartnern dieser Altersgruppe sind zudem zwei Studenten, die während ihres Studiums in den Jungbusch gezogen sind. Von den sieben Befragten im Alter von 31 bis 40 Jahren haben vier einen Migrationshintergrund. Einer der deutschen Befragten dieser Gruppe wohnt allerdings nicht im Jungbusch, sondern hat lediglich beruflich mit dem Jungbusch zu tun. Von den insgesamt acht Befragten im Alter ab 41 Jahren haben lediglich drei einen Migrationshintergrund. Zwei meiner Gesprächspartner dieser Altersgruppe sind in Rente, beide sind deutscher Herkunft. Insgesamt waren vier meiner GesprächspartnerInnen zum Zeitpunkt des Interviews Hausfrauen, drei waren Studenten, einer Doktorand, einer Auszubildender, eine Schülerin, zwei arbeitslos (davon einer angelernt und eine frisch immigrierte Lehrerin), zwei in Teilzeitbeschäftigun131
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gen angestellt. Drei sind selbstständig in der Gastronomie beziehungsweise im Einzelhandel. Eine Interviewpartnerin ist im Gesundheitsbereich und zwei weitere im Bildungsbereich angestellt. Ein Informant ist in der Musikbranche tätig. Bei der Struktur der Interviews habe ich mich an den „mehrsprachigen Intensivinterviews“ von Honer (1989) orientiert. Diese sind Bestandteil ihrer sogenannten „lebensweltlichen Ethnographie“ (Honer 1989, 1993). Dabei kombiniert Honer (1989) nach eigener Aussage phänomenologische und ethnographische Methoden mit dem Ziel, alltägliches Handeln zu verstehen. Allerdings lässt sie bei ihrer Konzeption zur Erforschung von Alltagshandeln zeitgenössische Debatten um die Positioniertheit der Person des Forschenden (vgl. beispielsweise Abu-Lughod, Lila 1991; Hauser-Schäublin 2002) bei ihrer Konzeption „lebensweltlicher Ethnographie“ sträflich außer acht. Diese Positioniertheit des Forschenden – so zeigt auch meine Erfahrung im Zugang zum Feld – spielt eine bedeutende Rolle. Die intrinsischen Machtbeziehungen im Kontakt mit fremden Alltagspraxen, die durch ethnische Zugehörigkeit, soziale Lage oder Geschlecht beeinflusst werden, müssen selbstverständlich reflektiert und in den Forschungsprozess einbezogen werden. Die spezielle Rolle des Forschenden im Feld, mit den damit verbundenen Machtungleichheiten, ist allerdings auch ein mögliches Instrument der politischen Einflussnahme seitens des Forschenden, indem zur Sichtbarmachung gesellschaftspolitischer Problematiken beigetragen werden kann (vgl. Smith 1999). Trotzdem beinhaltet das von Honer (1989) konzipierte „mehrphasige Intensivinterview“ – mit der zeitlichen Abfolge einer „offenen Gesprächsphase“, „biographischer Narrationen“ und einer „homogenisierenden Befragung“ mittels eines Leitfadens – die Vorzüge qualitativer Verfahren bei einer gleichzeitigen Vergleichbarkeit der Daten. Es ist damit sehr geeignet für eine Ethnographie des Ortes. Allerdings habe ich den Ablauf ein wenig variiert: Statt der vorgestellten Phase eines normalen Gesprächs, das auf meine Interviewpartner eher irritierend wirkte, habe ich die Interviews mit konkreten Fragen zum Zuzug in den Jungbusch begonnen. Dafür wurde während des Interviews Raum gegeben für ‚normale‘ Gespräche. Die jeweiligen Interviewverläufe unterscheiden sich dabei je nachdem, ob die Interviewpartner seit der Geburt beziehungsweise Kindheit oder Jugend im Jungbusch wohnten, oder ob sie erst später durch eigene Entscheidungen in den Jungbusch gezogen ist. Im ersten Falle habe ich in den Interviews jeweils auch nach dem Aufwachsen im Quartier gefragt, wobei sich heraus gestellt hat, dass bei einigen Interviewpartnern diese Phase als ‚schwierig‘ oder ‚hart‘ beschrieben wird. Dies kann natürlich durch historische Faktoren bedingt sein, wie die Kriegsoder Nachkriegszeit, aber auch durch persönliche oder familiäre Probleme, wie beispielsweise die Scheidung der Eltern, die dem Umzug in den Jungbusch vorausgegangen ist. Oft sind damit auch soziale Problematiken verbun132
KAPITEL 5 – ETHNOGRAPHIE DES ORTES
den, wie beispielsweise der Umzug in eine Sozialwohnung im Quartier. Teilweise wird aber auch die Kindheit beziehungsweise Jugend im Jungbusch als problematisch beschrieben, insbesondere auf Grund der sozialen und ethnischen Zusammensetzung in den 80er und 90er Jahren. Hier wird insbesondere die ‚Straße‘ – also der öffentliche Raum – als gekennzeichnet durch kriminelle oder gefährliche Verhaltensweisen beschrieben, an denen man selbst aktiv beteiligt war oder deren passives Opfer man wurde. Im Gegensatz zu diesen Beschreibungen wird die Jugend im Jungbusch von Gleichaltrigen aber auch als ‚normal‘, wie ‚anderswo auch‘ beschrieben, also der sozialen Exotisierung des Jungbusch entgegengearbeitet. Bei Interviewpartnern, die erst im Erwachsenenalter in den Jungbusch gezogen sind, spielen oft Faktoren wie Migration, aber auch Heirat beziehungsweise beides zusammen, eine Rolle. Während von Migranten der zweiten Generation sehr offen über die Migration der Eltern gesprochen wird und deren einzelne Lebens- und Arbeitsstationen detailliert wiedergegeben werden, wird von Migranten der ersten Generation dieses Thema eher vermieden. Hier äußert sich wohl auch die von Rieker (2003: 84) beschriebene Vermeidung der „schmerzhafte[n] Erinnerung“, die zu einer Auslassung problematischer Lebensphasen führt. Dies zeigt sich aber sicherlich auch in anderen Situationen, beispielsweise wenn der Umzug in den Jungbusch mit sozialem Abstieg oder dem Verlust von Freunden und Verwandten durch den Wohnortswechsel einhergeht. Andererseits konnte ich auch feststellen, dass die Entscheidung in den Jungbusch zu ziehen, oftmals auch sehr bewusst getroffen wird, wobei auch hier wiederum die sozio-kulturelle Zusammensetzung eine Rolle spielt: Die ‚Multikulturalität‘ und das besondere ‚Flair‘ des Jungbusch, aber auch die Tatsache, dass Freunde und Verwandte dort wohnen, spielen hierbei eine wichtige Rolle. Oftmals sind Interviewpartner nach einem Wegzug aus dem Jungbusch später wieder ins Quartier zurückgekehrt. Auch finden häufig Umzüge innerhalb des Jungbusch oder sogar innerhalb von einzelnen Häusern statt, um eine größere oder modernisierte Wohnung zu finden. Daher habe ich auch offene Fragen zur Einschätzung der Lebenssituation vor Ort, zur Zukunftsperspektive für den Jungbusch und über einen langfristigen Verbleib im Quartier gestellt. Hierbei wurde auch gemäß der Prinzipien der Grounded Theory (Strauss/Corbin 1996) die Entwicklung von Hypothesen mittels weiterer Interviews überprüft. Zusätzlich zu den Interviews mit Bewohnern und anderen Personen mit engen Beziehungen zum Jungbusch habe ich auch sogenannte ‚Experten‘ interviewt. Diese Experteninterviews (Meuser/Nagel 2002) sind allerdings nicht als randständig zu verstehen, denn im Falle des Jungbusch sind Experten in der Regel keineswegs objektive Außenstehende. Es handelt sich vielmehr um Personen, die nicht nur berufliche Interessen an den Jungbusch knüpfen, son133
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
dern gleichzeitig immer auch als Repräsentanten von Organisationen und Einrichtungen fungieren, welche jeweils eigene politische Ziele und Interessen verfolgen. Diese bilden im Sinne von Meuser und Nagel (2002: 75f) „eine zur Zielgruppe komplementäre Handlungseinheit“ deren „Kontextwissen“ für meine Forschung relevant war. Die von mir interviewten Experten sind gleichzeitig auch Entscheidungsträger und Repräsentanten, welche damit eben jene „Kontextbedingungen“ (Meuser/Nagel 2002: 75) schaffen, die wiederum für die Bewohner und ihre Optionen der Selbstverortung entscheidend sind. Als Experten fungieren in meiner Forschung beispielsweise leitende Mitarbeiter von Einrichtungen im Jungbusch, beispielsweise der Quartiermanager Michael Scheuermann oder die Leiterin des Mädchentreffs Nazan Kapan, welche ich jeweils insbesondere auf Grund Ihrer langjährigen Kenntnis des Jungbusch und seiner Bewohner interviewte. Doch auch auf der städtischen Ebene befasst man sich derzeit stark mit dem Jungbusch. Um auch diese Position kennen zu lernen, befragte ich den ehemaligen Kulturbürgermeister und gegenwärtigen Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz und den für den Jungbusch Beauftragten des Fachbereichs Städtebau Frank Gwildis. Auch mit dem langjährigen Pfarrer der Hafenkirche im Jungbusch Ulrich Schäfer und mit dem zeitweiligen Leiter der Jungbusch-Grundschule Wolfgang Glaser habe ich Experteninterviews geführt. Diese Interviews folgen natürlich einer etwas anderen Struktur, da die persönliche Beziehung zum Jungbusch hier weniger von Interesse ist, als die professionelle Haltung, die von diesen Personen eingenommen wird. Hier bieten die Interviews keinen Raum für lebensgeschichtliche Themen, sondern orientieren sich in Ihrer Struktur an der Erfragung von professionellem Wissen zur Entwicklung des Quartiers.
D i s k u r s a n a l ys e Die Diskursanalyse (vgl. Dracklé 1996; Keller 1997, 2003; Bublitz 1999; Jäger 1999) basiert auf den Grundannahmen über Diskursmechanismen von Michel Foucault. In „Die Ordnung des Diskurses“ beschreibt er (Foucault 1998), welchen Mechanismen der Regulierung der Diskurs unterworfen ist. Während von Foucault die Entlarvung dieser Regulierungsmechanismen als Möglichkeit einer Gesellschaftskritik verstanden wird, stellt die Diskursanalyse als Methode ein Instrument dar, um die Entwicklung konkreter Diskurse zu entschlüsseln. Diskurse entstehen allerdings keineswegs zufällig, deswegen ist es notwendig, zu identifizieren, wer spricht beziehungsweise wer nicht spricht. Foucault (1998: 26) nennt diesen Ausschlussmechanismus die „Verknappung der sprechenden Subjekte“. Mit dieser Methodik lassen sich also die übergeordneten Logiken von Interviews oder Medienberichten über spezifische Thematiken erfassen. So kann unterschieden werden zwischen hegemonialen Diskursen und den aus 134
KAPITEL 5 – ETHNOGRAPHIE DES ORTES
dem Diskurs ausgeschlossenen ‚Anderen‘, welche häufig auch den Gegenstand dieses Diskurses bilden, beispielweise beim Thema Rassismus (Potter/Wetherell 1995) oder Aids (Seidel/Vidal 1997). Der Diskurs reflektiert damit auch Machtbeziehungen, da „in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen“ (Foucault 1998: 10f). In öffentlichen medialen Diskursen lassen sich daher in der Regel diejenigen Diskursformationen entschlüsseln, welche als legitime, hegemoniale Sichtweisen betrachtet werden können. Die Diskurstheorie ist somit in erster Linie auch ein politisches Instrument, denn sie erschließt die Mechanismen hegemonialer Diskurse und ermöglicht es, institutionalisierte Machtverhältnisse transparent zu machen oder sogar zu verändern. Beim Stadtteil Jungbusch handelt es sich um ein Gebiet, welches lange Jahre unter dem Stichwort ‚sozialer Brennpunkt‘ firmierte und in den letzten Jahren eine ‚Aufwertung‘ erfahren soll. Seitens der Stadt Mannheim wurde dieser sogenannte ‚Entwicklungsbedarf‘ erkannt und entsprechende Schritte eingeleitet. Zum Einen war es daher von Interesse, zu verfolgen, inwieweit der Jungbusch diskursiv als problematisch dargestellt wird und welche Veränderungen der Diskurs über den Jungbusch im Zuge der ‚Aufwertung‘ erfährt. Andererseits stellte sich die Frage, welche Gegendarstellungen zum hegemonialen Diskurs existierten. Daher wurden im Rahmen der Forschung über den Stadtteil Jungbusch diskursanalytische Verfahren auf zwei unterschiedlichen Ebenen verwendet. Zum Einen auf der Ebene der Medienberichte über den Jungbusch, welche auch bei der Darstellung des Jungbusch nach außen – in der Stadt und in der Region – wirksam sind. Zum Anderen in Bezug auf die öffentlichen Diskurse, die im Jungbusch selbst relevant sind und oftmals konkurrierende Darstellungen produzieren, auf städtischer Ebene allerdings nur eine periphere Rolle spielen. Auf der Ebene der hegemonialen Medien handelt es sich größtenteils um Veröffentlichungen der Mannheimer Tageszeitung „Mannheimer Morgen“ (MM). Aber auch andere regionale Tageszeitungen wurden berücksichtigt, sofern sie im Mannheimer Stadtarchiv gesammelt wurden. Seit dem Jahr 2000 gibt es auch ein Online-Archiv des „Mannheimer Morgen“, mit dem gezielt Kombinationen von Begriffen abgefragt werden können. Zudem habe ich ab 2002 ein eigenes Archiv von Artikeln, insbesondere des „Mannheimer Morgen“ und des „Meier“ angelegt. Beim „Mannheimer Morgen“ und den anderen verwendeten Tageszeitungen handelt es sich um eher bürgerlich bis konservativ orientierte Medien, welche die Hauptinformationsquelle regionaler Themen darstellen und somit von einer breiten Leserschaft genutzt werden. Die Stadtteilseiten, auf denen in erster Linie die kleinräumig relevanten Nach135
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
richten wie Faschingsveranstaltungen, Schulfeste etc. Erwähnung finden, sind allerdings nur in der Stadtausgabe des „Mannheimer Morgen“ zu finden. Insofern werden die meisten Artikel über den Jungbusch nur innerhalb der Stadt Mannheim wahrgenommen und stellen damit sozusagen den Jungbusch in Relation zur Stadt dar. Anders verhält es sich bei den ebenfalls im Stadtarchiv gesammelten Tageszeitungen „Rheinpfalz“ (kurz RP aus Ludwigshafen) und „Rhein-NeckarZeitung“ (kurz RNZ aus Heidelberg), welche Rückschlüsse auf die regionale Wahrnehmung des Jungbusch zulassen. Beim „Meier“ handelt es sich um ein Veranstaltungsmagazin für den Rhein-Neckar-Raum, welches insbesondere ein studentisch geprägtes Publikum anspricht und monatlich erscheint. Die besondere Identität des Jungbusch wird dabei auch durch die blumige Sprache zur Beschreibung des Quartiers in den Zeitungen im Rhein-Neckar-Raum deutlich. Unterschiedliche Fragmente des Diskurses gehen in den verwendeten Quellen häufig nahtlos ineinander über. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Verschränkung einzelner Diskursstränge gelegt: Als „Diskursverschränkung“ bezeichnet Jäger (2003) die Verbindung zweier an sich unterschiedlicher Diskursstränge, beispielsweise der diskursiven Verschränkung und anschließenden Entschränkung von Rotlicht und Schifferkultur. Auf der zweiten Ebene handelt es sich in erster Linie um die Zeitschrift „Buschtrommel“, welche vom Gemeinschaftszentrum Jungbusch als Zeitung für das Quartier herausgegeben wird. Hierin werden den Bewohnern nicht nur lokale Veranstaltungen vorgestellt, sondern auch ein spezifisches Image des Stadtteils entwickelt (vgl. Kapitel 6). Bei wichtigen Ankündigungen wird hierzu auch gelegentlich die italienische und türkische Sprache verwendet. Gerade die „Buschtrommel“ versteht sich im Zuge des Aufwertungsprozesses auch als Vermittlungsorgan zwischen Stadt und Bewohnern. Als Ergänzung gibt es daher inzwischen auch den „Buschklopfer“, der sich als kritisches Pendant versteht, von Bewohnern herausgegeben wird und explizit deren Interessen und Kritiken in den Vordergrund stellen will. Diese beiden Zeitungen beschäftigen sich insbesondere mit lokalen Problematiken, wie beispielsweise der Verkehrsbelastung, aber auch mit Fragen des multi-ethnischen Zusammenlebens.
Räumliche Daten Zur Erfassung quantifizierbarer räumlicher Daten habe ich zunächst im Anschluss an die Interviews, in Anlehnung an Langs (1998) Vorgehensweise in Kreuzberg, Begriffe aus dem öffentlichen Diskurs zur Auswahl gestellt. Die Interviewpartner – Bewohner ebenso wie Experten – sollten dabei zunächst unter diesen Begriffen auswählen und angeben, welche sie für auf den Jungbusch zutreffend erachten. Dabei habe ich auch darauf hingewiesen, dass die136
KAPITEL 5 – ETHNOGRAPHIE DES ORTES
se Begriffe nicht unbedingt dem gegenwärtigen Diskurs über das Quartier entsprechen. Dazu gehört beispielsweise der Begriff ‚Ghetto‘, der in den 80er Jahren, mit Fragezeichen versehen, in der regionalen Presse auftauchte. Auch die Rede vom ‚bürgerlichen Viertel‘ wird heute lediglich in Bezug auf die Vergangenheit des Jungbusch in der Gründerzeit gebraucht. Anders verhält es sich mit der Bezeichnung als ‚Hafenviertel‘, die zunächst zur Beschreibung des Jungbusch zu Beginn des 20. Jahrhunderts verwendet wurde, heute aber eine Renaissance erlebt. Die Begriffe ‚Szeneviertel‘, ‚Künstlerviertel‘ und ‚Wohnviertel am Wasser‘, kursieren insbesondere seit Beginn des Aufwertungsprozesses in verschiedenen regionalen Medien. Der Ausdruck ‚Rotlichtviertel‘ hingegen wird immer noch häufig mit dem Jungbusch in Verbindung gebracht, obwohl sich in dieser Beziehung das Gesicht des Quartiers stark gewandelt hat und andere Stadtgebiete zum Teil ein sichtbareres Angebot in diesem Bereich bieten. Auch der Begriff ‚Problemviertel‘ wurde eher in den 80er und 90er Jahren verwendet, dient aber, ebenso wie der Verweis auf des ‚Rotlichtviertel‘, auch in der Gegenwart zur Kontextualisierung des Jungbusch und der hier statt findenden Entwicklungen. Zusätzlich habe ich dieselben Begriffe allerdings auch verwendet um zu erfragen, welche dieser Beschreibungen nach Meinung der Befragten von ‚außen‘ auf den Jungbusch angewendet werden: Was also Leute, die den Jungbusch nicht gut kennen, über ihn denken. Diese Vorgehensweise diente dazu festzustellen, inwieweit die oftmals negativen Diskurse über den Jungbusch als störend empfunden werden und inwieweit ein daraus resultierender Effekt von den Bewohnern befürchtet wird. Eine weitere Methode, die im Rahmen der Bewohnerinterviews vorgenommen wurde, war die Erstellung von place maps, einer spezifischen geographischen Abwandlung der sogenannten mental maps: Hierbei wurden den Gesprächspartnern Stadtpläne Mannheims vorgelegt, in welche sie zunächst markieren sollten, welche Gebiete für sie zum Jungbusch gehören. In einem weiteren Schritt wurden die „activity spaces“ (vgl. Massey 1993) der Interviewpartner im Jungbusch erfasst und markiert. Hier ging es weniger um eine Untersuchung der individuellen Bewegungen, sondern um eine Feststellung der Aneignungsweisen des Jungbusch in Bezug auf Freizeitaktivitäten, die Nutzung der lokalen Infrastruktur und die persönlichen Beziehungen im Quartier. Damit sollte sicher gestellt werden, dass die im Interview dargestellten Erfahrungen im Jungbusch auch in Relation gesetzt werden können zu den tatsächlichen Aktionsräumen. Gleichzeitig wollte ich mit dieser Vorgehensweise feststellen, inwieweit meine Interviewpartner den Jungbusch tatsächlich für Freizeitaktivitäten nutzen beziehungsweise ob Beziehungsnetzwerke innerhalb des Quartiers bestehen, beispielsweise zu Vereinen, aber auch zu Freunden und Verwandten.
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LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
Zusätzlich habe ich mit ausgewählten Bewohnern Begehungen des Quartiers, also Jungbusch-Spaziergänge, unternommen. Sicherlich wäre es in diesem Zusammenhang auch sehr aufschlussreich gewesen, Gesprächspartner wie von Kühling (2007) in Anlehnung an Hägerstrands (1970, 1975) „time geography“ vorgeschlagen, über einen längeren Zeitraum zu begleiten. Diese Vorgehensweise birgt in der spezifischen Situation in einem deutschen urbanen Stadtraum allerdings einige Probleme. Zunächst einmal wäre es ein ziemlich ungewohnter Eingriff in die Privatsphäre von meinen Interviewpartnern gewesen. Zum anderen wären dadurch zwar sicherlich spannende Einsichten in den Alltag meiner Informanten entstanden, diese hätten allerdings in vielen Fällen nur zu einem geringen Teil mit dem öffentlichen Stadtraum Jungbusch zu tun gehabt. Viele Freizeitaktivitäten, der Arbeitsplatz oder der Aufenthalt in der eigenen Wohnung haben in aller Regel nichts mit dem Alltag im Quartier zu tun, somit wäre eine Verabredung für spezifische Treffen ohnehin notwendig gewesen. Bereits die Durchführung einer abgespeckten Version in Form von Quartiers-Spaziergängen erwies sich allerdings als sehr schwierig: Nur wenige meiner Interviewpartner erklärten sich zu einem solchen bereit. Während für meine beiden männlichen Begleiter eine Art Führung durch den Stadtteil keinerlei Problem darstellte und sie meiner Anfrage sehr gerne nachkamen, war es besonders problematisch, auch Interviewpartnerinnen für diesen Plan zu begeistern. Diejenigen die ich deswegen fragte, erklärten mir, dass sie sich ohnehin kaum im öffentlichen Raum Jungbusch aufhalten würden, sondern sich in der Regel lediglich auf der Straße bewegten, um von A nach B zu gelangen. Die einzige meiner Gesprächspartnerinnen, die sich zu einem gemeinsamen Ausflug ‚nach draußen‘ entschließen konnte, tat dies auch nur in einer eingeschränkten Form, da sie ohnehin mit ihren Kindern den nahegelegenen Spielplatz besuchen wollte. Dennoch boten diese Spaziergänge interessante Einblicke, da die sinnliche Wahrnehmung bei einem Spaziergang auch Themen und Überlegungen generierte, die in einem Interview so nicht erfassbar sind. Dabei äußerte sich auch das spezifische räumliche Wissen über den Jungbusch, die Verknüpfung einzelner places mit der Biographie meiner Begleiter und die Identifizierung von Aktivitätsräumen mit kulturellen Praxen, die als ‚fremd‘ oder ‚gefährlich‘ empfunden werden.
Au s w e r t u n g , R e p r ä s e n t a t i o n und Forschungsethik Bei der Auswertung des Interviewmaterials habe ich zunächst einmal – unabhängig von Alter, ethnischer Zugehörigkeit oder Geschlecht – ähnliche Repräsentationen des Quartiers zu thematischen clustern gebündelt. Hierbei wurde vor allen Dingen das spezifische Konzept der Selbstverortung, welches 138
KAPITEL 5 – ETHNOGRAPHIE DES ORTES
den differenten Repräsentationsmustern zu Grunde liegt, identifiziert. Zentral war dabei die Überlegung, dem hegemonialen Diskurs die unterschiedlichen subalternen Wahrnehmungen des Jungbusch entgegen zu stellen und die vielfältigen Formen des Zusammenwirkens von lokalisierten und delokalisierten Identitätsfragmenten, die im Alltag eines multi-ethnischen Stadtraums anzutreffen sind, darzustellen. Weiterhin erschien es mir wichtig, die inneren Widersprüche, die durch die Verortung in einem marginalisierten Stadtraum entstehen, angemessen darzustellen, was teilweise zur Wiedergabe recht langer Interviewpassagen geführt hat. Außerdem habe ich versucht, nicht nur meine eigenen thematischen Schwerpunkte bei der Niederschrift zu berücksichtigen, sondern auch von Bewohnern häufig geäußerte Probleme zu Papier zu bringen. Gerade das Kapitel ‚Raumkonflikte‘ resultiert aus Erfahrungen und Äußerungen von Bewohnern, die durchaus an der Machbarkeit eines multiethnischen Zusammenlebens zweifeln lassen. Dennoch erscheinen sie mir für die Einschätzung des Alltags in einem Quartier wie dem Jungbusch als relevant. Gegen diese Probleme scheint kein Bewohner gänzlich gefeit zu sein, und ich hoffe, dass es mir gelungen ist, diese Nachvollziehbar zu machen, um so ein Verständnis für die Schwierigkeiten des Zusammenlebens im multiethnischen Stadtraum zu wecken. Gerade bei der Wiedergabe lokaler Konflikte ist ein spezifisches Fingerspitzengefühl bei der Auswahl und Repräsentation von Interviewpassagen vonnöten. Hierzu gilt es auch Fragen der ‚korrekten‘ Darstellung von Daten und Aussagen von Interviewpartnern zu bedenken, wie sie in den letzten Jahren immer häufiger diskutiert werden. Dabei geht es um Fragen der wissenschaftlichen Ethik, beispielsweise bezüglich der Einsicht von Befragten in die erhobenen Daten und letztendlich auch um Datenschutz. In der klassischen Ethnologie haben sich diesbezüglich immer wieder Schwierigkeiten ergeben, beispielweise beim Umgang mit tabuisiertem Wissen. In einigen Ländern wie Neuseeland oder Kanada wird die Thematik der Forschungsethik inzwischen praktisch institutionalisiert, um die Befragten ebenso wie die Wissenschaftler vor möglichen rechtlichen Folgen zu schützen. Auch in Deutschland wird dieses Thema zunehmend debattiert – so beispielsweise auf der DGV-Tagung 2007. Die Transparenz des Forschungsverlaufs gegenüber den erforschten Gruppen hat sich in der Ethnologie, auch mit Rücksicht auf die Tatsache, dass ethnologische Forschungen nicht unbedingt in der Sprache der Beforschten publiziert werden, deutlich erhöht. Dies erfolgte auch im Bewusstsein, dass die Anwesenheit des Forschenden ohnehin zur Entstehung von Fragen der Repräsentation beiträgt. Die Darstellung der von mir vorgenommenen abschließenden Diskussion mit Interviewpartnern und engagierten Personen im Jungbusch im Schlusskapitel soll auch dazu dienen, strittige Themen im Forschungsprozess offen zu legen und die ,Allmacht‘ der Autorin zu beschränken. 139
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
Die Frage nach dem Umgang mit und der Repräsentation von Daten stellte sich mir aber auch deswegen, weil der Jungbusch zwar nicht gerade ein Dorf ist, aber bestimmte Personen doch mehr oder weniger bekannt sind. Daher befragte ich meine Interviewpartner, ob sie bestimmte Teile der auf Band aufgezeichneten Interviews als vertraulich betrachteten oder damit einverstanden wären, dass ich sämtliches Material verwende. Gelegentlich wurde ich auch gebeten, das Band bei speziellen Passagen abzustellen. Obwohl viele Bewohner dies nicht für notwendig erachten, habe ich am Ende alle Interviews anonymisiert.8 Ausnahme bilden die Experteninterviews und das Gespräch mit dem Geschäftsführer des Musikpark Mannheim: Da hier Personen letztlich gleichzeitig auch Institutionen repräsentieren, habe ich in diesen Fällen den realen Namen verwendet, allerdings nicht ohne vorher das Einverständnis dieser Gesprächspartner einzuholen und gegebenenfalls strittige Passagen nicht zu veröffentlichen. Außerdem habe ich allen Interviewpartnern, die nochmals Einblick in von mir verwendete Zitate haben wollten, diese schriftlich mit der Möglichkeit Einspruch zu erheben, zugestellt. Um auch einen Gesamteinblick in meine Interpretationen zu geben, habe ich außerdem zwei Vorträge im Jungbusch gehalten (vgl. den Schluss Jungbusch und kein Ende). Trotz dieser Vorkehrungen bleibt der Repräsentationsprozess heikel: Durch Namensgebungen wird oftmals das Geschlecht und die ethnische Zugehörigkeit automatisch zugeschrieben. Dies hängt auch mit den Lesegewohnheiten der wissenschaftlichen Rezipienten zusammen, entspricht aber nicht unbedingt der Selbstrepräsentationstechnik von Befragten, wie Weißköppel (2001: 89f) feststellt. Dennoch erscheint mir die Darstellung – beispielsweise des ethnischen Hintergrunds der Befragten – durchaus als relevant: Im Falle des von mir erhobenen Interviewmaterials lassen sich die Mechanismen der ‚Exotisierung‘ von Fremden gerade durch das Kenntlichmachen des multi-ethnischen samples vermeiden. Auf Grund der Anonymisierung von Gesprächspartnern ist auch die Möglichkeit gegeben, inter-ethnische Stigmatisierungen und Diskriminierungen darzustellen, die bei allen ethnischen Gruppen gleichermaßen auftreten – auch wenn sich ihre Machtpositionen im nationalen und im lokalen sozio-kulturellen Raum durchaus unterscheiden mögen – und zum Verständnis eines multi-ethnischen Stadtteils als place von großer Bedeutung sind. Ebenfalls zu Bedenken war die Wiedergabe mehr oder weniger persönlicher Merkmale in der Sprache: Dialekte oder gebrochenes Deutsch können 8
Manche mögen dies für eine übertriebene Maßnahme halten, die der Selbstbestimmung des interviewten ,Akteurs‘ nicht gerecht wird. Ich selbst bin eher der Ansicht, dass sich Menschen im Augenblick eines Interviews nicht unbedingt ständig darüber im Klaren sind, in welchen Kontexten diese Passagen, einmal veröffentlicht, noch diskutiert werden mögen.
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KAPITEL 5 – ETHNOGRAPHIE DES ORTES
ebenso wie grammatikalische Fehler zu einer sozialen oder kulturellen Zuschreibung führen, die unter Umständen zu einer Fehleinschätzung des Gesprächspartners oder seines sozialen Status führt. Hier gilt es, Interviewpartner einerseits vor allzu negativen Wahrnehmungen zu schützen, andererseits die Individualität des Sprechers zu erhalten, also keine ‚Übersetzung‘ vorzunehmen. Einen allzu starken und daher sicherlich für viele unverständlichen Dialekt oder Akzent habe ich ein wenig geglättet, ohne eine völlige ‚Verhochdeutschung‘ vorzunehmen. Allerdings habe ich bei Interviewpartnern mit sehr gebrochenem Deutsch Fehler korrigiert, um nicht vom Inhalt der Aussagen durch sprachliche Mängel abzulenken. Insofern habe ich auch Wiederholungen in aller Regel weg gelassen. Selbstunterbrechungen sind durch ein / gekennzeichnet, Fremdunterbrechungen durch //. Längere Pausen sind durch .. erkennbar.
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Kapitel 6 ‚Spatial Brokerage‘
Im Jungbusch treffen in den letzten Jahren neue Konzepte der Stadtentwicklung mit Schlagworten wie Aufwertung, Integration, Sicherheit und Bürgerbeteiligung auf spezifische Strukturen, die sich bereits in den 1970er und 1980er Jahren auf Grund der Initiative von Bewohnern und Institutionen vor Ort gebildet haben. Erst diese Aktivitäten führten zur Einrichtung des Gemeinschaftszentrum Jungbusch als Trägerverein von weiteren sozialen Einrichtungen (beispielsweise Jugendinitiative, Bewohnerverein, Geschichtswerkstatt, aber auch lokalen Einrichtungen überregionaler Träger wie AWO und Caritas). Zusammen mit den ortsansässigen Kirchengemeinden von Hafenkirche und Liebfrauenkirche wurden zu dieser Zeit auch Zukunftsperspektiven für den Jungbusch entwickelt, die in den gegenwärtigen Prozessen zur Stadtentwicklung, auch vor dem Hintergrund des Stadtjubiläums im Jahre 2007, wieder aufgegriffen wurden. Infolge der programmatischen Umgestaltung sozialer Arbeit zu einer sozial-räumlich orientierten Quartiersentwicklung (vgl. Riege/Schubert 2002; Kessl/Otto 2004), wurde die Leitung des Gemeinschaftszentrums 2002 in eine Quartiermanagementstelle überführt, die von den bereits bestehenden Strukturen und dem lokalen Wissen der Mitarbeiter und des ehemaligen Geschäftsführers des Gemeinschaftszentrums und heutigen Quartiermanagers Michael Scheuermann profitiert. Die Schwerpunktsetzung wurde damit auch auf die Vernetzung sozialräumlich orientierter sozialer und ökonomischer Förderprogramme im Jungbuschgebiet gelegt.1 Mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen verschiedener Entwicklungsprogramme wurde so beispielsweise die Ansiedlung neuer Institutionen, wie Popakademie und Musikpark, und die Sanierung 1
Zum Einzugsbereich des Quartiermanagements gehört außerdem noch ein Teil der Mühlauinsel, die üblicherweise nicht als zum Jungbusch zugehörig betrachtet wird. 143
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
von Gebäuden gefördert, aber auch die soziale und kulturelle Arbeit im Jungbusch ausgeweitet und ergänzt.2 Um diesen programmatischen Überbau deutlich werden zu lassen, werde ich zunächst auf die Vorgaben von Quartiermanagementprojekten, wie sie von Hänschke, Schubert und Spieckermann (2003) für die Stadt Mannheim entwickelt wurden, eingehen. Diese basieren letztlich auf der grundlegenden Annahme, marginalisierte Stadtteile seien geographische Gebiete ohne funktionierende Nachbarschaften: „In den vom sozialen Abstieg bedrohten Quartieren ist die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger am öffentlichen und politischen Leben fast vollständig zum Erliegen gekommen. Weder identifizieren sie sich mit dem Quartier, noch engagieren sie sich für die Gemeinschaft. Nachbarschaftsbezogene Netze sind zerrissen und existieren kaum noch“ (Hänschke/Schubert/Spieckermann 2003: 39). Das hier beschworene Ideal von einer Nachbarschaftlichkeit ‚aus guten alten Zeiten‘ ist allerdings sicherlich auch in anderen Stadtgebieten, die nicht als ‚soziale Brennpunkte‘ wahrgenommen werden, so nicht mehr vorhanden. Der Zerfall von face-to-face-communities ist ein allgemeines gesellschaftliches Phänomen, welches sicherlich auch im Zuge von wachsender Mobilität, steigenden Individualisierungstendenzen und der hohen Bedeutung von neuen Kommunikationsformen zu einer Erosion von spezifischen traditionellen Gemeinschaftsformen geführt hat.3 Insofern sind auch Wohngegenden mit einer sozial besser situierten Bewohnerschaft nicht gegen diesen Zerfall nachbarschaftlicher Netzwerke gefeit. Die Abhängigkeit von sozialen Einrichtungen und informellen Netzwerken ist in marginalisierten urbanen Räumen lediglich wesentlich größer als in eher kleinbürgerlichen oder bürgerlichen Wohngebieten. Insofern handelt es sich hier in erster Linie um ein strukturelles Problem, welches zunächst aus der negativen ökonomischen Lage vieler Bewohner resultiert. Die Programmatik sozialräumlich orientierter Stadtteilarbeit sieht allerdings zur Lösung dieser Missstände zunächst eine Verbesserung der sozialen Beziehungen innerhalb des geographisch definierten Sozialraums vor. Die Betonung liegt dabei letztlich auf der „Aktivierung der Eigenkräfte“ (Quartiermanagement Jungbusch o. J.a: 11) der Bewohner „zur Schaffung stabiler, selbst tragender nachbarschaftlicher sozialer Netze“ (Hänschke/Schubert/Spieckermann 2003: 17; zur Kritik am zu Grunde liegenden sozialpolitischen Konzept vgl. Ziegler 2001; Kessl/Otto/Ziegler 2002). Neben dem Quar2
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Dabei fand allerdings auch eine Transformation der sozialen Arbeit statt: Die Quantität der Angebote hat sich zwar stark erhöht, doch die Intensität der Beziehungsarbeit ist bei diesen, größtenteils temporären, Angeboten sicherlich deutlich eingeschränkt. Zudem ist die lokale soziale Arbeit zunehmend von sogenannten Public-Private-Partnerships abhängig. Vergleiche dazu ausführlich Putnam 1995 und 2000, auf dessen Ansätze sozialräumliche Stadtentwicklungskonzepte wesentlich aufbauen.
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KAPITEL 6 – ,SPATIAL BROKERAGE‘
tiermanagement sind auch weitere, sogenannte „Schlüsselakteure“ – dazu gehören Mitarbeiter städtischer Dezernate, Bürgermeister oder die Geschäftsführer verschiedener Einrichtungen – und zwischen diesen vermittelnde „Brückenakteure“ beteiligt, um die Herstellung einer „quartiersbezogenen Öffentlichkeit zu gewährleisten“ (Hänschke/Schubert/Spieckermann 2003: 40–44). Im Gegensatz zu kultur- und sozialwissenschaftlichen Konzepten des Akteurs wird der Begriff hier auf die Netzwerkarbeit professioneller Experten angewendet, während die Bewohner als „Kunden“ (Hänschke/Schubert/Spieckermann 2003: 41) verstanden werden. Das Quartiermanagement und die Gemeinwesenarbeit im Stadtteil sollen sich dabei am Sozialraum orientieren, um ein „eigenständiges Stadtteilleben aufzubauen“ und „Netzwerke“ von „professionellen Akteuren“ zur „Bearbeitung der lokalen Probleme“ (Hänschke/ Schubert/Spieckermann 2003: 39f) zu entwickeln. Die Qualifizierung dieser Akteure beinhaltet zunächst eine Ausweitung von Handlungskompetenzen auf Personen mit spezifischem know how. Diese „Quartiersakteure“ (Hänschke/Schubert/Spieckermann 2003: 42) sind im Gegensatz zu den „Schlüsselakteuren des Quartiermanagement“ nicht notwendigerweise professionelle Experten, sondern stammen aus „unterschiedlichen Einrichtungen und Sektoren im Quartier, in dem die Verwaltung, die Politik, die freien Träger, soziale Einrichtungen, lokale Vereine etc. involviert sind. Jeder Akteur aus dem Netzwerk muss seinen Teil zum Quartiermanagement beitragen“ (Hänschke/Schubert/Spieckermann 2003: 43). Dieses Netzwerk sehr unterschiedlicher sozialer Träger bedarf laut Hänschke, Schubert und Spieckermann (2003: 40f) der „geteilten Werte und Überzeugungen“ die durch eine „Identifikation“ mit dem Stadtteil entwickelt werden sollen: „Geeignet dafür ist eine bestimmte Netzwerkkultur mit Empfängen, Events oder auch Stadtteilspaziergängen und Exkursionen“, die zur Schaffung einer „Corporate Identity“ beitragen. Diese Form der ‚Verbetrieblichung‘ von Stadtgebieten, in denen die Bewohner zu Kunden mehr oder weniger professioneller Stadtteilnetzwerker werden, zeugt auch von einer sehr spezifischen Konzeption von Lokalität. Diese wird hier nicht mit Alltagskultur, sondern insbesondere mit betriebswirtschaftlichen Strategien in Verbindung gebracht. Die strukturelle und programmatische Trennung in professionelle Akteure und nicht-professionelle Kunden vor dem Hintergrund einer Orientierung an einem ManagementKonzept entspricht allerdings nicht den oben beschriebenen gewachsenen Strukturen vor Ort. Ich ziehe es daher vor, eine eigene Begrifflichkeit zu entwickeln, welche keine konzeptuelle Trennung von Bewohnern und professionellen Akteuren vorsieht. In Anlehnung an den Begriff des cultural brokers – also des kulturellen Mittlers – spreche ich daher von spatial brokers. Gemeint sind damit zunächst einmal ganz allgemein Personen, die aktiv an Prozessen der Repräsentation des Jungbusch, nach innen und nach außen, beteiligt sind. 145
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
Im Gegensatz zu Welz’ (1996) Konzept der „cultural brokerage“ betrachte ich spatial brokers allerdings nicht nur als professionelle Akteure hinter den Kulissen, sondern als auf verschiedene Arten und durch heterogene Gruppen institutionalisierte beziehungsweise legitimisierte Repräsentanten des Stadtteils. Insofern sehe ich nicht nur die Mitarbeiter des Gemeinschaftszentrums oder verschiedener sozialer Einrichtungen, wie beispielsweise Kindergärten und Jugendtreffs, als spatial brokers, sondern auch aktive Bewohner und Ehrenamtliche. Mit dieser Definition möchte ich der Vorstellung, Bewohner seien praktisch passive Rezipienten von Stadtentwicklungsprogrammen, die zur Teilhabe animiert werden müssen, eine etwas andere Betrachtungsweise entgegensetzen. Dennoch gibt es zwischen professionellen und nicht-professionellen Akteuren strukturelle Unterschiede und Ungleichgewichte. Denn obwohl der Begriff des cultural brokers innerhalb eines breiteren Diskurses auch insbesondere mit der Vermittlung zwischen zwei Kulturen, beispielsweise in der Entwicklungszusammenarbeit, in Verbindung gebracht wird, ist dieses Ideal der Vermittlung de facto an spezifische – oftmals ungleiche – Machtbeziehungen gebunden (vgl. Venbrux 1998). Diesen Aspekt möchte ich auch beim Konzept der spatial brokerage keinesfalls vernachlässigen, denn trotz der Heterogenität der spatial brokers wird die Repräsentation des Jungbusch durch offizielle Institutionen stark kanalisiert. Insbesondere die Aktivitäten der Bewohner erfolgen aber nach spezifischen eigenen Interessen: Sie fungieren als spatial brokers beispielsweise durch politische Teilhabe in städtischen Gremien oder ein starkes lokales Engagement in Vereinen oder Projekten. Besondere Aufmerksamkeit in den lokalen und regionalen Medien erreichte beispielsweise der Bewohnerverein Jungbusch in den 1980er und 1990er Jahren, der die Bewohnerschaft zu unterschiedlichen Themenkomplexen mobilisierte. Damit wurde eine öffentliche Aufmerksamkeit für soziale Probleme im Jungbusch geschaffen und die subalterne Wahrnehmung des Stadtraums öffentlich gemacht.4 Auf Seiten der professionellen spatial brokers finden sich neben Angestellten aus sozialen Einrichtungen auch Vertreter der ansässigen Kirchen und Moscheen. Diese mobilisieren für gemeinsame Aktionen – wie Demonstrationen gegen den Verkehr aus Anlass eines tödlichen Unfalls in der Seilerstraße oder Initiativen zur Säuberung des Stadtteils – auch ihre Gemeindemitglieder. Diese spatial brokers haben dabei auch eine Stellvertreter-Funktion inne: So treten beispielsweise Kindergärtnerinnen, Sozialarbeiter, Vereinsvorstände oder außerordentlich engagierte Bewohner bei Veranstaltungen auch als Repräsentanten der Jungbuschbevölkerung auf und weisen auf Probleme oder soziale Missstände hin. Trotz eines in vielen Interviewgesprächen deutlich er4
Besonders zu Beginn der 1990er Jahre machte der Bewohnerverein allerdings eher durch Aktionen gegen den Bau der Moschee am Luisenring von sich Reden.
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KAPITEL 6 – ,SPATIAL BROKERAGE‘
kennbaren allgemeinen Interesses an den Entwicklungen im Jungbusch, wird der Besuch von diesbezüglichen Veranstaltungen von vielen Bewohnern oftmals nur bei aktuellen persönlichen Problemen in Anspruch genommen: Bei Fragen bezüglich Mieterrechten oder der Förderung von Sanierungen, sozialen Problemen mit anderen Bewohnern beispielsweise in Bezug auf Lärmbelästigungen, Sauberkeitsmängel oder Falschparken und Kritik an der lokalen Infrastruktur. In der Regel werden also Stellvertreter von Bewohnern als durchaus legitime Experten und als Vertreter spezifischer Interessengruppen des Quartiers betrachtet. Als Stellvertreter fungieren daher zumeist Personen, die qua Beruf oder Erfahrung als lokale Experten oder zumindest als gute Redner gelten. Reibungsverluste treten in erster Linie dann auf, wenn ein Sprecher in Kontroversen nicht von beiden Seiten – beispielsweise von Bewohnern einerseits und lokalen beziehungsweise politischen Institutionen andererseits – als Vertreter anerkannt wird. Die Bewohner des Jungbusch betonen zur Legitimierung eines Sprechers in der Regel den Faktor der Ortsansässigkeit: Die Aussage „der wohnt gar nicht hier“ dient dabei zur Diskreditierung eines Sprechers. Gleichzeitig wird ‚Bildung‘5 und ‚Redegewandtheit‘ ebenfalls als wichtiges Gut, beispielsweise in Diskussionsrunden, betrachtet: „Ich kann mich nicht so gut ausdrücken“ wird von Bewohnern häufig als Entschuldigung für gar keine oder eine allzu kritische Beteiligung an Bürgergesprächen geäußert, weshalb gewandtere Redner quasi zu Sprechern delegiert werden. Diese Scheu mancher Bewohner, das Wort zu ergreifen, hängt sicherlich auch mit den persönlichen Erfahrungen in manchen lokalen Veranstaltungen zusammen. Denn trotz der programmatischen Forderung nach Bürgerbeteiligung zeigt sich bei der teilnehmenden Beobachtung in Veranstaltungen auch eine gewisse Tendenz zur „Verknappung des Diskurses“ (Foucault 1998: 20): Allzu renitente Äußerungen von Bewohnern werden oftmals übergangen, Beiträge zu Problemen mit Angehörigen anderer ethnischer Gruppen werden immer wieder als politisch unkorrekt abgetan, während Sprechern mit einem höheren Bildungshintergrund bei Diskussionen mehr Aufmerksamkeit und längere Redezeit geschenkt wird. Die häufig von Bewohnern angesprochenen Alltagskonflikte im Stadtteil – wilde Müllkippen, Pöbeleien, die Nicht-Einhaltung der Kehrwoche und allgemeine Ängste vor einer Überfremdung, die keineswegs nur von deutschen Bewohnern geäußert werden – entsprechen eben nicht dem bürgerlichen Ideal eines harmonischen multikulturellen Zusammenlebens und werden daher oftmals als bloße Vorurteile gedeutet. Anders verhält es sich, wenn kritische Äußerungen gegenüber anderen ethnischen Gruppen ‚moralisch‘ legitimiert 5
Diese Definition von ‚Bildung‘ bezieht sich nicht unbedingt auf legitime Formen, sondern eher auf ein spezifisches berufliches oder lokales Expertentum. 147
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werden können und in der gegenwärtigen gesamtgesellschaftlichen Lage konsensfähig sind. Dieses ist insbesondere dann gegeben, wenn eine Bedrohung des sich erst langsam im Jungbusch etablierenden progressiv-bürgerlichen Wertesystems vermutet wird. Ein Beispiel hierfür wäre die Kontroverse um die nächtlichen Ruhestörungen durch ein von Roma frequentiertes Kaffee, auf das ich im Kapitel Raumkonflikte noch näher eingehen werde. Oftmals werden jedoch diese und ähnliche lokale Initiativen nicht durch das Quartiermanagement initialisiert, sondern vielmehr die Anliegen von Bewohnern gebündelt. Spatial brokers kanalisieren dabei auch die diversen lokalen Repräsentationsstrategien, wobei in der Regel versucht wird, einen Konsens unterschiedlicher Perspektiven zu erreichen. Den spatial brokers kommt damit auch eine Verstärkerfunktion zu, die durchaus von jenen Bewohnern im Viertel mitgetragen wird, die sich selbst nicht dazu in der Lage sehen, eine positive Öffentlichkeit für den Jungbusch zu schaffen. Dabei wurde nicht selten auch meine eigene Arbeit im Jungbusch als eine Form von spatial brokerage gedeutet: Meine Position als Wissenschaftlerin wurde von Gesprächspartnern auch als Chance einer erhöhten Einflussnahme verstanden, um „die da oben“ auf lokale Probleme aufmerksam zu machen. Neben diesen Repräsentationspraktiken, welche in erster Linie eine lokale Verbesserung sozialer Problemlagen anstreben, gibt es auch konkretere Versuche einer Produktion lokalisierter Identitäten.
Die Produktion lokalisierter Identität6 und Körperlichkeit „Ziel der weiteren Stadtteilentwicklung muss es sein, […] die weitere Aufwertung des Stadtteils voranzubringen und dabei das Quartier in seiner Vielfalt und Einzigartigkeit zu profilieren. Die Verwurzelung der jetzigen Bewohnerschaft ist dabei genauso zu fördern wie der Zuzug leistungsstärkerer Bevölkerungsschichten.“ (Quartiermanagement Jungbusch o. J.a: 8)
Die Strategien der spatial brokerage zielen nicht nur auf die Vermittlung zwischen konträren Jungbusch-Bildern. Eine weitere wichtige Funktion nehmen sie auch in Bezug auf die Schaffung einer interkulturellen lokalen Gemein6
Da unter dem Begriff ,lokale Identität‘ sowohl der Charakter eines Ortes als auch die Beziehung von Bewohnern zu einer Lokalität betrachtet werden können, spreche ich im Folgenden von lokalisierter Identität, also der Identifizierung mit und Selbstverortung in einem Ort. Auf das hier zu Grunde liegende Identitätskonzept werde ich in Kapitel 7 ebenso wie auf die Konzeption eines örtlichen „Habitus“ (beispielsweise bei Lindner 2003) noch näher eingehen.
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KAPITEL 6 – ,SPATIAL BROKERAGE‘
schaft wahr, die zumindest in Bezug auf ihren geteilten Stadtraum ein gemeinsames Wertesystem internalisieren soll. Bei dieser Produktion lokaler Identitätsgefüge sind diese notwendigerweise positiv besetzt und rekurrieren auf eine „imagined community“ (Anderson 1983), insofern sie die lokale Gemeinschaft im multi-ethnischen Stadtraum mittels ritualisierter Praktiken und eigener Medien zunächst einmal konstituieren. Dabei beziehen sie sich zum Einen auf Merkmale einer historischen lokalen Gemeinschaft, welche in dieser Form nicht mehr existiert. Zum Anderen auf die Produktion bestimmter Werthaltungen – Fleiß und Ordnung sind dabei eher konservative Ansätze, während Multikulturalität und Hybridität eher progressive Konzepte sind – welche jeweils nur von Teilen der Bewohnerschaft getragen werden und die daher ständigen Prozessen der Aushandlung dieser Werte unterworfen sind. Die Entwicklung lokalisierter Identitäten spielt im Jungbusch eine wichtige Rolle: Auf der programmatischen Ebene wird als Reaktion auf die Stigmatisierung des Jungbusch versucht „Identität im Quartier“ (Quartiermanagement Jungbusch o. J.a: 11) in zunehmendem Maße zu generieren. Hierbei soll der Zuzug neuer Bevölkerungsgruppen gefördert, aber auch die Verweildauer von gegenwärtigen Bewohnern im Stadtteil erhöht werden. Dabei stellt sich allerdings die Frage, wie diese lokalisierten Identitäten überhaupt produziert und letztlich von den Bewohnern auch internalisiert werden sollen. In Anbetracht der Heterogenisierung lokaler Identifizierungen in einer globalen Welt, wie ich sie in Kapitel 4 skizziert habe, ist die empirische Erfassung lokaler Identität keine leichte Aufgabe. Als ein Indiz lokalisierter Identität, welches mit der Methodik einer Ethnographie des Ortes auch tatsächlich erfassbar wird, gilt die symbolische Übertragung von Lokalität auf den menschlichen Körper. Appadurai (1995: 205) nennt diesen Vorgang „inscription of locality onto bodies“. Dieses Einschreiben von Lokalität auf den Körper findet in der Regel durch „rites de passage“ – also den von Van Gennep (2005) beschriebenen Übergangsriten zwischen Lebensabschnitten – statt. Diese wurden in der Ethnologie zwar häufig beschrieben, allerdings nicht unter dem Aspekt des „spatial symbolism“, wie er von Appadurai (1995: 205) konzipiert wird. Die Vernetzung von Person und Lokalität wird gefestigt durch „techniques for the spatial production of locality“ (Appadurai 1995: 205), dazu zählen Praktiken wie Hausbau oder Kultivierung. Diese Verbindungen zwischen dem Körper und der Lokalität haben sich, so Appadurai, durch transnationale beziehungsweise translokale Bewegungen, technische Entwicklungen und globale Einflüsse massiv verändert. Folglich hätten gerade multi-ethnische Stadtgebiete wie der Jungbusch extreme Schwierigkeiten mit der Aufrechterhaltung einer – wie auch immer definierten – lokalisierten Identität. Diese These wird im Falle des Jungbusch zunächst auch durch lokale statistische Daten untermauert. Dies äußert sich auch im zahlenmäßigen Ver149
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hältnis zwischen deutscher und migrantischer Wohnbevölkerung. So erklärt Herr Scheuermann, der Quartiermanager: „Die deutsche Gruppe ist verhältnismäßig alt, die ausländische Gruppe ist verhältnismäßig jung. Zumindest war das vor zehn Jahren, als ich hier angefangen habe, in dieser Deutlichkeit auch noch der Fall.“ Inzwischen verändert sich dieses Bild insofern, als das Durchschnittsalter der ausländischen Bevölkerung steigt, da diese auch im Rentenalter in Deutschland verbleiben. Dazu nochmals Herr Scheuermann: „Die ziehen nicht zurück, wie man damals wohl gedacht hat, sondern bleiben bei ihren Familien.“ In Stadtteilen wie dem Jungbusch wirken sich zudem „Ortseffekte“ (vgl. Bourdieu 1991) besonders negativ aus. Dies äußert sich in einer hohen Fluktuation der Wohnbevölkerung: „Die Funktion des Jungbuschviertels als ‚Durchgangsstation‘ mit hohem Anteil von sogenannten ‚transitorischen‘ Bevölkerungsgruppen wird durch den Sachverhalt bestätigt, dass sich die Bewohnerschaft rechnerisch innerhalb von 4 Jahren zu 100% verändert. In der Gesamtstadt ist dies erst nach 8 Jahren der Fall“ (Quartiermanagement Jungbusch o. J.b: 13). Bei einer Untersuchung zum Image der Stadt Mannheim, stellt Otte (2001: 79ff) daher fest, dass der Jungbusch zusammen mit anderen „innenstadtnahen, benachteiligten Wohnlagen“ am seltensten als präferiertes Wohngebiet genannt wurde. Aufgeschlüsselt nach Lebensstiltypen, sind es insbesondere die sogenannten „Heimzentrierten“, „Hedonisten“ und „Unterhaltungssuchende“, die den Jungbusch als Wohngebiet bevorzugen, also die unteren teilmodernen bis modernen Milieus, die im Jungbusch auch auf Grund des hohen Anteils von sozialschwachen Bevölkerungsgruppen überrepräsentiert sein dürften. Insbesondere unfreiwillige Formen der Segregation führen dazu, dass der tatsächliche Wohnort und das präferierte Wohngebiet dabei oftmals nicht übereinstimmen. Der Versuch einer Produktion von lokalisierter Identität zur „Verwurzelung“ der Bevölkerung ist daher keineswegs neu. Seit den 80er Jahren finden zur Erhöhung des nachbarschaftlichen Austauschs jährlich Stadtteilfeste statt. Verschiedene Vereine und Initiativen bieten hier für einen Nachmittag Essen, Getränke und auch ein kulturelles Rahmenprogramm mit musikalischen Auftritten an. Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Produktion lokalisierter Identität ist der Einsatz von Medien: Die vierteljährlich erscheinende „Buschtrommel“7 und der ebenfalls kostenlose „Buschklopfer“, der je nach Bedarf erscheint, befassen sich beide mit der Darstellung lokal relevanter Ereignisse und produzieren so ein Bewusstsein um die Eigenständigkeit des Quartiers. Die Verwendung des Begriffes ‚Busch‘ anstelle von Jungbusch findet sich dabei insbesondere im Rahmen der spatial brokerage. So wird der Begriff ge7
Zur Namensgebung der Buschtrommel erklärt mir Renate, dass Busch auch als Dschungel verstanden werden kann und die Trommeln sich auf die Verbreitung von Informationen beziehen.
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rade in der „Buschtrommel“ häufig verwendet. In Interviews und in Alltagsgesprächen wird allerdings in der Regel vom Jungbusch gesprochen, obwohl hin und wieder die Verkürzung absichtlich in Redewendungen eingefügt wird – beispielsweise im Sinne von „da ist was im Busch“. Auch bei offiziellen lokalen Veranstaltungen wird in Ansprachen häufig der Begriff „Busch“ verwendet. In Bezug auf den im Jungbusch ansässigen Arzt ist auch schon mal scherzhaft vom „Buschdoktor“ die Rede. Die Verknüpfung mit dem ‚bush‘ oder ‚Busch‘ als liebevolle Abkürzung für den Jungbusch hat sich inzwischen auch in den Strategien der Namensgebung von (pop)kulturellen Initiativen und Unternehmen niedergeschlagen: Eine Internet-Mädchengruppe nennt sich Buschgirls, Xavier Naidoo wählte für sein im Musikpark angesiedeltes Label den Namen Beats around the bush und ein Künstler gab seinen Ausstellungsräumen den Titel Buschgalerie8. Aus dem ‚Ausländerghetto Jungbusch‘ wird der kulturell heterogene ‚Busch‘. Der Begriff hat dabei drei Konnotationen: 1. dient er als Abkürzung und rekurriert auch auf den ursprünglichen Gewannnamen Junger Busch. 2. wird er zur kritischen Beschreibung der sozialen Vernachlässigung des Stadtraums Jungbusch verwendet. 3. dient er im positiven Sinne zur Identifikation mit dem Jungbusch, der durch seine Bedeutung als geographischer, sozialer und kultureller Grenzraum einen besonderen Zusammenhalt erforderlich macht. Gleichzeitig findet mit den Repräsentationsstrategien der spatial brokerage auch eine Platzierung dieses positiven Konzepts von Lokalität im hegemonialen Diskurs statt. Im Gegensatz zur – auf die Bewohnerschaft begrenzten – sozialen Funktion dieser Methoden der Produktion lokalisierter Identität nach innen wurde mit den Kulturwochen und der seit 2004 statt findenden Folgeveranstaltung Nachtwandel auch deren Repräsentation nach außen vorgenommen, um der negativen Wahrnehmung des Jungbusch entgegen zu wirken. Dabei wird auf ein heterogenes kulturelles Programm Wert gelegt, das im Wesentlichen von Bewohnern oder von im Jungbusch engagierten Kulturschaffenden bestritten wird: Neben spezifischen ethnokulturellen Beiträgen (Sufi- oder Romamusik, Bauchtanz) werden auch subkulturelle Strömungen (bondage-shows, Punk, Rap oder Graffiti), Kunstprojekte und in zunehmendem Maße hybride kulturelle Formen (türkischer HipHop, Sufi-Rap) mit dem Quartier verknüpft. Dabei gibt es nicht einen Veranstaltungsort, sondern der Jungbusch selbst wird zur Bühne: Die Besucher werden mit Hilfe eines Veranstaltungsführers zur Begehung und Erkundung des Jungbusch aufgefordert. Im Programm des Nachtwandels 2006 heißt es: „Zwischen Hafen und City wandelt sich der Jungbusch derzeit zu einem atmosphärischen und urbanen Stadtteil: Städtebauliche, soziale und kulturelle Neuerungen be-
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Heute befindet sich an dieser Stelle ein Café desselben Namens. 151
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leben das Quartier. Historisch betrachtet ist der Jungbusch das Hafen- und Handelsviertel Mannheims. Der Glanz früherer Tage lässt sich an den Fassaden und an der Vielzahl von Ladengeschäften ablesen, die heute oft ungenutzt leer stehen. Diese Tradition wollen Künstler und Kulturschaffende im Jungbusch aufgreifen und diesen Glanz für zwei Nächte wieder herstellen. Läden, Lager, Hinterhöfe und andere locations im Jungbusch werden aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt und mit Leben gefüllt. Wir laden Sie ein, durch den Jungbusch zu wandeln und ihn in einem neuen anderen Licht zu erleben.“9
Das hier präsentierte Ideal einer urbanen, heterogenen Nachbarschaft wird auch in der programmatischen Marschrichtung des Quartiermanagements angestrebt. Daher wird prinzipiell die positive Außendarstellung des Jungbusch verfolgt und entsprechend dieser Aufwertungsstrategien ortsspezifische Potentiale, Symbole und Akteure auch gezielt zur Darstellung von gelebter Multikulturalität eingesetzt. Die heterogenen kulturellen Identitäten der Bewohner dienen dabei gleichzeitig der Umschreibung und Transformation des hegemonialen Jungbuschbildes. Die Vielfalt lokalisierter Identitäten, aber auch ihre historische Entwicklung, spielt dabei eine wichtige Rolle. Diese verschiedenen Formen der Produktion von lokalisierten Identitäten nach innen und außen zielen auch auf die Verortung neuer und das Sichtbarmachen vorhandener Gemeinschaften im Quartier. Doch eine positive Repräsentation und eine Verbesserung des Lebensumfelds liegen auch im Interesse vieler Bewohner. Der Wunsch nach positiven Veränderungen wird in vielen der von mir geführten Interviews geäußert.10 Die verschiedenen sozio-kulturellen Gruppen im Jungbusch unterstützen daher weitgehend die Produktion eines positiven, kosmopolitischen Jungbusch-Images. Dabei findet allerdings auch eine Einschreibung von Lokalität auf den Körper statt: Einerseits werden historische oder gegenwärtige Personen als symbolische Repräsentanten – beziehungsweise Archetypen – des Jungbusch installiert, zum Anderen dienen diese als positive Vorbilder zur Verinnerlichung lokalisierter Identitäten und mit diesen diskursiv verbundener Werthaltungen und Verhaltensmuster. Die Einschreibungen von „locality onto bodies“ (Appadurai 1995: 205) finden eben auch in multi-ethnischen Stadtgebieten auf vielfältige – wenn auch weniger mittelbare – Weise statt und fördern dabei das, was Foucault als „Technologien des Selbst“ (Foucault 1993; vgl. auch Bröckling/Krasmann/Lemke 2000) bezeichnet. Diese Technologien des Selbst sind durchaus komplex: „Der Körper ist eingelassen in eine 9
Das Programm wird von der Künstlerinitiative Laboratorio 17 und dem Quatiermanagement Jungbusch herausgegeben. 10 Als einzige Bedenkenträger erscheinen dabei Bewohner mit einer links-alternativen Einstellung (vgl. Kapitel 8). 152
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Arbeit am Selbst, in Technologien und Praktiken, vermittels derer er von anderen und sich selbst geformt wird, eingebunden in eine Macht, die ihn gestaltet und formt und zur Selbstformung erst befähigt“ (Duttweiler 2003: 31; Hervorhebung E. B.). Die „Arbeit am Selbst“ findet zwar durch das Subjekt selbst statt, sie ist allerdings nicht autonom, sondern eingebunden in spezifische Machtverhältnisse. Foucault spricht in diesem Zusammenhang von einer „interaction of those two types of techniques – techniques of domination and techniques of the self“ (Foucault 1993: 203). Doch sind es hier nicht allgemeine gesellschaftliche Ideale der „Body Consciousness“ (vgl. Duttweiler 2003), sondern lokale Anforderungen an den Körper, eine Art Technologien des lokalen Selbst, die hier in den Körper eingeschrieben werden. Im Folgenden werde ich vier verschiedene Produktionsformen lokalisierter Identitäten und die damit einhergehenden Praktiken zur Einschreibung dieser Identitäten auf den Körper aufzeigen.
Sackträger und Hafen: Zur Produktion sozialer lokalisierter Identität „An die Tradition dieses Hafengebiets erinnert der aus Bronze gegossene Sackträger, der als einziger von der blühenden Gilde übrig geblieben ist. Früher traf man sie auf Schritt und Tritt in ihren Lederhosen, das rote Halstuch im Genick, und den Sackbändeln, die aus den Hosentaschen guckten. Sie verkehrten in ihren eigenen Kneipen im Jungbuschgebiet: im ‚Sackbändel‘ in der Hafenstraße oder bei ‚Hummel‘ in der Jungbuschstraße und in vielen anderen Schiffer- und Hafenkneipen.“ (Arbeitskreis Sozialplan Jungbusch 1987)
Im Laufe der Zeit haben sich unterschiedliche Konzepte lokalisierter Identitäten in Abgrenzung zu den hegemonialen Diskursen über den Jungbusch entwickelt. So wurde beispielsweise in den 80er Jahren speziell der Sackträger zur Symbolfigur des Jungbusch erklärt. Zwischen Spielplatz und verkehrsberuhigter Zone der Beilstraße steht heute, auf Betreiben des Bewohnervereins, die Bronzefigur eines Mannes mit Mütze und einem Sack auf dem Rücken. Es ist das einzige Denkmal im Jungbusch und verweist auf den Berufsstand der Sackträger. Die Sackträger, die auch in einer Gilde organisiert waren, waren in Hafengebieten für das Löschen der Ware zuständig, bevor Modernisierungen das Be- und Entladen von Hand überflüssig machten. Über den Bezug dieser Gilde zum Jungbusch ist im Grunde wenig bekannt. Abgesehen vom Hinweis sowohl auf den immensen Kalorienbedarf als auch auf den großen Durst der schwer arbeitenden Sackträger (Arbeitskreis Sozialplan Jungbusch 153
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1987), ist in Mannheim nur wenig Literatur über die spezielle Bedeutung dieses Berufsstands für den Jungbusch zu finden. Meine erste Begegnung mit der Geschichte der Sackträger fand noch im Vorfeld meiner Feldforschung, bei der Teilnahme an einem sogenannten Jungbuschspaziergang im Oktober 2002 unter dem Motto „Kunst und Kultur im Jungbusch“, statt. Diese Führung durch das Quartier wurde von einem Mitglied der Geschichtswerkstatt und einer im Jungbusch wohnhaften Künstlerin geleitet. Beim Denkmal wurde an die Vergangenheit des Jungbusch als Hafen- und Kneipenviertel für Schiffer erinnert, wobei der Jungbusch auch über Mannheims Grenzen hinaus als Vergnügungsviertel im Stil der Reeperbahn bekannt gewesen sei. Im Sommer 2004 fanden sogar zwei Veranstaltungen statt, die sich mit dem Thema Sackträger befassten: Zum Einen wurde am 9.7.2004 in einem Gebäude der alten Kauffmannmühle eine Ausstellung von Produkten unter dem Label „Sackträger“ vorgeführt, zum Anderen wurde am 14.7.2004 auf Initiative der Geschichtswerkstatt Jungbusch eine Gedenktafel am Sackträgerdenkmal eingeweiht. Ersteres zielte auf die Möglichkeiten der Vermarktung eigener Produkte unter dem Dach des geplanten Zunfthauses in der Kauffmannmühle, wobei lokale Geschichte, Kunst und Beschäftigungsmöglichkeiten für benachteiligte Jugendliche, insbesondere Migranten, im Zentrum der Überlegungen standen. Inzwischen ist allerdings weder von einem Einzug des Zunfthauses in den immer noch völlig unsanierten Teil des Gebäudes, noch von den Sackträgerprodukten die Rede. Letzteres, also die Einweihung der Gedenktafel, ist Folge der Bemühungen der Geschichtswerkstatt Jungbusch, die Geschichte des Stadtteils den heutigen Bewohnern – so erläuterte mir ein Mitglied der Geschichtswerkstatt – wieder näher zu bringen. Denn bei der Installation des Denkmals verzichtete man zunächst auf eine erläuternde Beschriftung. Außerdem verleiht der Bewohnerverein Jungbusch einmal im Jahr für besondere, in der Regel ehrenamtliche, Verdienste um das Quartier den Sackträgerpreis. Die Bedeutung des Sackträgers als Archetyp des hart arbeitenden kleinen Mannes wird so symbolisch auf den Preisträger für die erfolgreiche Inkorporation der Verantwortlichkeit für die lokale Gemeinschaft übertragen. Diese Bedeutung des Sackträgers für den Jungbusch und die Begeisterung für diese Berufsgruppe hat zunächst einmal auch etwas Irritierendes. Warum identifiziert sich ein Quartier mit einer ausgestorbenen Berufsgruppe der Arbeiterschicht und nicht mit den ebenfalls einst ansässigen Industriellen oder Schiffseignern? Zur Beantwortung dieser Frage müssen insbesondere die lokalen Bedingungen bei der Einführung dieses Symbols auch vor dem Hintergrund der sozio-kulturellen Strömungen und Strukturen, welche sich auch auf den Jungbusch auswirkten, betrachtet werden. Ein Grund für die Identifikation mit der Berufsgruppe der Sackträger liegt zunächst einmal sicherlich in ihrer symbolischen Funktion: Mit der Rückbe154
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sinnung auf eine Stadtteilidentität als Hafenviertel Mitte der 80er Jahre setzt auch eine Veränderung im Selbstverständnis der Bewohner und im Bewusstsein der gesamten Stadt ein. Die ‚Jungbuschbewohner‘ setzen der Stigmatisierung ihres Wohnortes nunmehr ein eigenes ‚Image‘ des Jungbusch entgegen. Es soll nicht nur nach außen das Quartier positiv repräsentieren und angesichts der lokalen Umbrüche seit dem Zweiten Weltkrieg ein anderes, besseres Image schaffen, sondern auch nach innen. Der soziale Hintergrund der Sackträger spielt hier insbesondere in Bezug auf die Produktion einer imaginierten sozialen Gemeinschaft eine Rolle (vgl. Blokland 2005). So lautet die neue Inschrift des Denkmals auch: „Gewidmet der Zunft der Sackträger, die zum Hafen und zum Jungbusch gehörten, hier lebten und arbeiteten und viel zum Wohlstand und zur Entwicklung des Jungbusch im wahrsten Sinne des Wortes ‚beigetragen‘ haben.“ Dabei wird auch die historische Bedeutung des Jungbusch für die Entwicklung der Stadt Mannheim betont, wie mir der 68-jährige Herr Franke, ehemals Selbstständiger, der sein ganzes Leben im Jungbusch verbrachte, erklärt: „Und das Aufblühen von Mannheim ist ein groß Teil vom Hafen über den Jungbusch in die Innenstadt. [...] Und dann in der zweiten Hälfte vom 19. Jahrhundert, 1850/60, wo dann die Industrie gekommen ist und dann Autos gebaut worden sind, um 1902/03/05, da ist ja Benz da unten gebaut, und da ist ja der Waldhof sehr groß geworden. Und da ist natürlich der Reichtum und das Wohlbehagen von Mannheim ist dann über die Industrie gekommen. Aber ursprünglich im 19. Jahrhundert ist es vom Hafen gekommen. Mannheim wurde bekannt durch den Hafen. Durch den Neckar und durch den Rhein.“
Der Sackträger dient dabei als Identifikationsmedium, insbesondere für die übrig gebliebene alteingesessene Bevölkerung selbst, die sich zum Zeitpunkt der Installation des Sackträgerdenkmals im Wesentlichen aus Arbeitern, Rentnern und Hausfrauen zusammen setzte (Amt für Stadtentwicklung und Statistik 1981). Hinzu kommt wohl auch, dass der Jungbusch zum damaligen Zeitpunkt sozusagen ziemlich weit unten in der Hierarchie der Stadtteile Mannheims angekommen ist und der Beginn dieses Niedergangs mit der verschwindenden Bedeutung des Jungbusch als Verbindungsraum zwischen Stadt und Hafengebiet in Zusammenhang gebracht wird. Die „schweren Jungs“ (Mannheim Illustriert 1984), die harte körperliche Arbeiten bei geringem Lohn (vgl. Rings 2003: 175) verrichteten, waren bekannt für ihren großen Appetit und Bier-Durst (vgl. Arbeitskreis Sozialplan Jungbusch 1987) und eine scheinbar etwas lockere Moral (vgl. Rings 2003: 176). Sie repräsentieren eine Ära, die im Nachhinein geradezu als heile Welt imaginiert wird. Der Niedergang der Gilde und das Aussterben der Sackträger auf Grund technologischer Entwicklungen, welche die maschinelle Entladungen von Schif155
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fen ermöglichten, wird auch in Verbindung gebracht mit dem Niedergang der Hafenkultur im Jungbusch (vgl. Arbeitskreis Sozialplan Jungbusch 1987). Der Rückbezug auf ‚eigene‘ lokale Werte, die durch diesen Hafencharakter repräsentiert werden, dient auch heute noch der Schaffung lokalisierter Identität und wird als Teil einer spezifischen Schifferkultur betrachtet. Die Identifikation mit der Sackträgergilde – und damit auch mit der Vergangenheit des Jungbusch als an sich kosmopolitisches und gewissermaßen translokales Hafenviertel – ermöglicht gleichzeitig eine Differenzierung zwischen dem ‚ordentlichen‘ Hafenviertel des Arbeiters und dem späteren Image des reinen ‚Puffviertels‘ nach der Schließung der Werft am Verbindungskanal: Renate (48), Selbstständige, die ebenfalls im Jungbusch aufwuchs: „Wobei ich sagen muss, in meiner Jugend war der Jungbusch Arbeiterviertel. Es waren viel Schiffer unterwegs bei uns, durch die Werft und so. Und wir hatten natürlich auch eine Schifferverkaufsstelle, meine Eltern. Was heißt, wenn nachts um zwölf ein Schiffer geschellt hat, musste man aufmachen und musste dann bedienen. [...] Und ich hab das damals nicht als unangenehm empfunden, wobei es ja immer laut war und es war viel Trubel im Jungbusch. Und dann kam ja so eine Bar nach der anderen. Zu dem Zeitpunkt, wo noch mehr Schiffer da waren, da waren das mehr Kneipen. Und dann kamen ja erst die Bars. Und das habe ich ja aber auch als Kind und Jugendlicher gar nicht so empfunden, auch nicht so negativ empfunden. [...] Aber wie es dann so eine Bar neben der anderen war, ok. Da habe ich das auch schon mitgekriegt. Das war halt für den Stadtteil sehr, sehr negativ.“
Die Bedeutung insbesondere der Sackträger als Symbol für das Quartier ist mittlerweile Programm, obwohl diese keinesfalls nur im Jungbusch tätig waren: „Noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte die Zunft der Sackträger das Erscheinungsbild des Hafens und seiner angrenzenden Stadtteile“ (Staatliche Rhein-Neckar-Hafengesellschaft Mannheim mbH-HGM 1997: 23). Insofern kann hier gewissermaßen von einer „invention of tradition“ im Sinne von Hobsbawm (2005: 9) gesprochen werden, die zunächst einmal der sozialen Kohäsion dient, der aber auch Aspekte der Legitimierung von Statuspositionen und der Perpetuierung von spezifischen Wertesystemen inne wohnen. Diese „invention of tradition“ hat daher in erster Linie eine soziale Dimension, insofern sehe ich diesen Vorgang nicht als ‚Erfindung‘ im Sinne einer historischen Verfälschung, sondern vielmehr als eingebettet in einen spezifischen historischen Kontext und in Prozesse sozio-kultureller Transformationen. Daher ist es sicherlich sinnvoller in Anlehnung an Jolly (1992: 62) von „politics of pasts and presents“ zu sprechen. Der Bezug auf eine historische Figur als identitätsstiftend für den Jungbusch muss auch im Kontext der ethnischen Zusammensetzung des Quartiers und der deutschen ‚Ausländerpolitik‘ zum Zeitpunkt seines Erscheinens in den 80er Jahren betrachtet werden: Trotz der bereits damals erhöhten Ver156
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weildauer von Migranten in Deutschland „blieb es dabei: Deutschland sei kein Einwanderungsland, die Ausländer seien nur zur vorübergehenden Arbeitsaufnahme hier und würden mehrheitlich über kurz oder lang wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren“ (Herbert 2001: 262). Die Besinnung auf die frühere Bedeutung des Jungbusch als Hafenviertel ermöglichte damit auch die Konzeptualisierung eines lokalen liminalen Raums mit einem gewissen Maß an kultureller Fremdheit, ohne die Relevanz der deutschen Bewohner als gate-keeper zu negieren. Denn trotz der ebenfalls im Bewohnerverein beteiligten „ausländischen Bewohner“ (Mannheimer Rundschau 3/1988) haben hier zu Beginn der 1990er Jahre auch Strategien zur Verhinderung einer weiteren Verortung von ‚allzu‘ Fremdem mit der Begründung eingesetzt, der Jungbusch fungiere als städtisches Auffangbecken für Problemgruppen (vgl. MM vom 12.12.1990; RP vom 6.7.1991). Die Identifikation mit dem Sackträger wird wiederum durch die Mechanismen der spatial brokerage noch weiter reproduziert und transformiert. Nachdem die Geschichtswerkstatt Jungbusch die Idee für die Beschriftung des Sackträgerdenkmals entwickelte, wurde diese sukzessive in die Prozesse zur ‚Aufwertung‘ des Jungbusch überführt: Ein Sponsor, der sein erfolgreiches Unternehmen mit Hilfe von Sackträgern aufbaute und zudem im Jungbusch aufwuchs, wurde gefunden und durfte die Plakette öffentlichkeitswirksam einweihen.11 Gleichzeitig verwies der Quartiermanager Michael Scheuermann in seiner Rede auf den Jungbusch als Ursprung von heutigen global players wie die BASF. Damit wird auch auf den Mythos ‚vom Tellerwäscher zum Millionär‘ rekurriert und auf die Bedeutung des ,kleinen Mannes‘ für die Stadt hingewiesen. Trotz der hegemonialen Abwertung des Stadtteils seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts wird so ein gewisser Stolz auf die Zugehörigkeit zum Jungbusch generiert, der gleichzeitig auch auf eine positive Wirkung für seine Bewohner in der Gegenwart abzielt.
11 Die Akteure der Geschichtswerkstatt standen bei der Einweihung der Plakette eher am Rand des Geschehens, während der Sponsor als potentielles Vorbild für die Jugend den erfolgreichen Werdegang eines Jungbuschbewohners repräsentierte. 157
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‚Bus(c)hpeople‘: Zur Produktion m u l t i k u l t u r e l l e r l o k a l i s i e r t e r I d e n t i t ä t 12 „‚Der Jungbusch hat viele Gesichter‘! Es sind die Menschen des Stadtteils, die entscheidend dazu beitragen, dass der Jungbusch ein vielfältiges, spannendes und lebendiges Stadtviertel mit vielen Gesichtern ist. In der Rubrik ‚Bushmen‘ stellt die Buschtrommel in loser Reihenfolge Menschen vor, die auf ganz unterschiedliche Weise dem Jungbusch Profil verleihen.“ (Buschtrommel 1/2004: 5)
Im Falle eines multi-ethnischen Stadtraums wie dem Jungbusch beteiligen sich sehr unterschiedliche Personen an dem Prozess der Produktion lokalisierter Identität. Neben den gemeinsamen Festen und Veranstaltungen, denen auch ein Aspekt der Verortung von Identität zukommt, hat das Gemeinschaftszentrum Jungbusch daher in den letzten Jahren auch mit der medialen Repräsentation lokaler Identitätsmodelle begonnen. Insbesondere mit der Rubrik „Bus(c)hpeople“ in der lokalen Zeitung „Buschtrommel“ wurden einer multikulturellen Stadtteilidentität entsprechende Gesichter gegeben und damit heterogene Identifikationsmöglichkeiten mit dem Quartier angeboten. Hierzu wurden Bewohner mit ihren spezifischen Beziehungen zum Jungbusch als typische Vertreter ‚erfolgreicher‘ multikultureller Lebensstile vorgestellt. Zusätzlich wurde im Jahr 2006 mit einer Plakataktion – initiiert durch die Jugendinitiative Jungbusch – dieses Prinzip noch ausgedehnt: Bewohner des Stadtteils oder Personen, die über ihren Beruf enge Kontakte zum Jungbusch haben, wurden fotografiert und mit einer persönlichen Aussage zum Leben im Jungbusch zitiert. Unter der Überschrift „Ich finde den Jungbusch gut, weil …“, die auch ins italienische und türkische übersetzt wurde, wird die persönliche Aussage mit Name und Beruf oder Adresse wieder gegeben. Bourdieus (1997) Feststellung, der marginalisierte Stadtteil stigmatisiere jeden seiner Bewohner, wird durch diese Projekte symbolisch verkehrt: Der multikulturelle Bewohner wertet hier den stigmatisierten Stadtteil auf. Die persönliche Identität des spezifischen Bewohners wird hier zunächst auf den Stadtraum Jungbusch übertragen. Dieses neue Image von Lokalität kann im nächsten Schritt dann wiederum in den eigenen Körper eingeschrieben werden. Lokalität wird so wiederum inkorporiert, insbesondere von jenen, die sich mit den dargestellten Personen identifizieren können. Der Stadtteil wird auf diese Weise von Außenstehenden und Bewohnern neu entdeckt, wobei sich auch die Mitte der 90er Jahre gebaute Yavuz Sultan 12 In der „Buschtrommel“ wurde im Laufe der Zeit sowohl die Bezeichnung ‚Busch’ als auch die Schreibweise ‚bush’ verwendet. 158
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Selim-Moschee zu einem Anlaufpunkt für kulturellen Austausch entwickelt hat. Nach anfänglichen Widerständen gegen den Bau dieser großen repräsentativen Moschee, hat sich das Gebäude am Luisenring mittlerweile zu einer typischen landmark, sowohl der Stadt Mannheim als auch des Jungbusch, entwickelt. Zusammen mit der gegenüber liegenden Liebfrauenkirche wird die Moschee gerne auch als Fotomotiv in Printmedien verwendet. Dabei werden die Größenverhältnisse teilweise verzerrt dargestellt und der Anschein erweckt, als sei das wesentlich niedrigere Minarett der Moschee höher als der Kirchturm (vgl. Schmitt 2003). Diese Gegenüberstellung zweier Glaubenshäuser wird aber in der Regel dennoch in erster Linie als Symbol der Multikulturalität des Quartiers verstanden. Denn aus den anfänglichen Auseinandersetzungen um die Moschee entwickelten sich auch verstärkte lokale Kooperationen zwischen dem Islamischen Bund als Trägerverein der Moschee und anderen Institutionen im Jungbusch, um diese Situation zu entschärfen. Das Konzept der offenen Moschee ermöglicht dabei den Besuch der Gebetsräume, was inzwischen auch zu einer sehr erfolgreichen Beteiligung an der Langen Nacht der Museen führte. Dennoch zeigten sich im Konflikt um die Moschee auch die nationalen Grenzen lokaler Identitäten und die Problematik der Integration neuer transnationaler oder alternativer Gemeinschaften im Jungbusch. Die symbolische Funktion der Nachbarschaft von Moschee und Kirche repräsentiert dabei nicht unbedingt die alltägliche Lebenssituation. Maike, die 1995 nach ihrem Studium erstmals in den Jungbusch gezogen ist, erzählt: Maike (39), Sozialpädagogin: „Ich hab eigentlich erwartet, so ganz naiv, wenn ich da jetzt hinkomme und da steht ’ne Moschee: ach super, wie multikulturell. Neben einer Kirche, hat man ja auch nicht oft, genau daneben. Und die Leute sind das gewohnt, die kennen sich gegenseitig und bestimmt ist das hier dann so, dass das alles so Hand in Hand geht. Ganz naiv. War natürlich nicht so.“
Gerade die Sichtbarkeit von kultureller Heterogenität im öffentlichen Raum spielt für die Wahrnehmung des Quartiers eine zentrale Rolle, wie auch das nächste Beispiel zeigt: Erkan (30), Akademiker, der nach seiner Heirat in den Jungbusch gezogen ist: „Also mir gefällt es gut. Ich finde dieses multikulturelle super-spannend. Also ich könnte hier den ganzen Tag aus dem Fenster gucken und es wäre mir nicht langweilig. Weil halt sehr unterschiedliche Leute, sehr unterschiedliche Gesichter.“
Auch Nathalie, die ebenso wie Erkan erst seit kurzem im Jungbusch wohnt, beschreibt ihre Erfahrungen aus der Perspektive der Zuschauerin, nicht als
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Beteiligte, obwohl sie von der familiären Atmosphäre begeistert ist und ebenso wie Erkan gerne den Menschen auf der Straße oder in den Kneipen zusieht. Nathalie (28), arbeitet im medizinischen Bereich und wohnt in einer WG: „Ich find das hier eigentlich recht schön, weil, ich weiß auch nicht warum. Weil einfach durch die Straßen auch so – weil auch viele Menschen unterwegs sind und auch diese Eckkneipen, wo man eigentlich nicht reingeht, aber jedes Mal dran vorbei läuft und sich denkt, wer denn da wohl drinsitzt. Find ich eigentlich schon ziemlich lustig. Und auch da wo der Spielplatz ist, in der Jungbuschstraße, ich find die Ecke ist auch recht schön. Wenn man da so rumläuft im Sommer und dann die ganzen Leute anguckt, die da rumlaufen, ist eigentlich, ja, so ein bisschen wie ’ne große Familie irgendwie, und wo’s wie so ein Stadtkern ist, also ich finde das sehr schön hier.“ E. B.: „Hast du hier viele Leute kennen gelernt?“ Nathalie: „Nee, das eigentlich nicht, also ich kenn welche noch aus einem andern Haus, aber das sind auch wieder WG’s . Aber ich kenn jetzt nicht irgendwie Familien, die hier wohnen, also das nicht. Die lernt man auch nicht richtig kennen.“
Dabei haben inzwischen, wie sich im Jungbusch zeigt, deutsche Bewohner ebenso wie Migranten ein Interesse an sozialer Teilhabe und der Übernahme von Verantwortung für ihr Wohnumfeld entwickelt. Dieses Interesse entspringt allerdings nicht unbedingt aus einer Identifikation mit dem Stadtteil, sondern teilweise aus einer spezifischen Werthaltung oder einem vitalen Aufstiegsinteresse, wenn nicht für die eigene Person, dann doch zumindest für die nächste Generation. Obwohl der Jungbusch also mit multikulturellen Beziehungen verknüpft wird, wird die Mehrheit der Bewohner als geschlossene familiäre Gemeinschaft begriffen mit der Zugezogene nur schwer in Kontakt kommen. Multi-ethnische Stadträume wie der Jungbusch entsprechen allerdings keineswegs einem Konzept von Lokalität als Ort einer face-to-faceGemeinschaft, vielmehr sind es hier unterschiedliche Gemeinschaften, welche die Menge der Bewohner ausmachen. Diese Gemeinschaften haben zwar untereinander Berührungspunkte, diese ergeben sich aber im Wesentlichen durch die Überschneidungen in der Nutzung des öffentlichen Raums. Dennoch finden im Jungbusch auch soziale und ethnische Abgrenzungen statt, die sich auch territorial äußern (vgl. Kapitel 9). Das Zusammenleben in einem multi-ethnischen Stadtteil wird daher auch als harte Alltagsarbeit verstanden, die von jedem Einzelnen zu erbringen ist. Renate vermisst dabei die „gesunde Mischung“ von Kulturen im Stadtteil: Renate (48): „Also diese Zusammensetzung vom Jungbusch könnte nicht jeder Stadtteil vertragen. Ich finde, die Jungbuschler sind da spitze und da ist auch wieder ganz egal, welche Nationalität. Sie sind trotzdem alle bemüht, das irgendwie hinzukriegen, wenn die Grundvoraussetzung auch nicht stimmt.“
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Das alltägliche multikulturelle Zusammenleben bei einer gleichzeitigen Identifikation mit dem Quartier soll daher durch gemeinsame Aktivitäten – wie beispielsweise das jährliche Stadtteilfest – gestärkt werden. Verschiedene Initiativen und Vereine bereiten sich auf diese Veranstaltung vor, bestreiten das kulturelle Programm und sorgen sich um das leibliche Wohl. Nebenbei stellen die teilnehmenden Gruppen auch ihre Programme und Ziele vor. Abgesehen von dem sozialen Aspekt geht es hier auch um Information und Öffentlichkeitsarbeit über Angebote und Entwicklungen lokaler Einrichtungen und Initiativen. Die einzelnen Angebote sind dabei allerdings keineswegs interkulturell organisiert, die multi-ethnische Zusammensetzung wird hier vielmehr als friedliche Koexistenz dargestellt. Diese Präsentation eines kulturellen Nebeneinanders ist auch Teil eines gerade in den 90er Jahren geprägten Ideals der Multikulturalität, welches sich auch im institutionalisierten Umgang mit Minderheiten niederschlug. Multikulturalität wird dabei insbesondere als Aufrechterhaltung eigenständiger kultureller Identitäten gedeutet. Während die Teilhabe am kulturellen Leben als Bereicherung und Pluralisierung gedeutet wird, sorgt die spezifische Konstitution von Staatsbürgerschaft auch weiterhin für die Verhinderung einer aktiven politischen Teilhabe vieler Migranten. Die multikulturelle Begrifflichkeit, die sich in vielen Gesellschaftsbereichen, auch in der sozialen Arbeit und der Kommunalpolitik, weitgehend durchsetzte, ist daher keineswegs unproblematisch: „In viele multikulturalistische Forderungen nach Anerkennung und Sicherstellung kultureller Unterschiede nämlich ist ein Kulturbegriff eingelassen, der davon ausgeht, dass ‚ethnische Identität‘ durch das Festhalten an Traditionen und am kulturellen Erbe gewährleistet ist, dass ethnische Minderheiten sich durch Zusammenhalt, stabile Gruppenidentität und kulturelle Einheitlichkeit auszeichnen und dass die zu schützende traditionale Kultur ein eindeutig bestimmbares Ensemble von Praxisformen und Werten ausmacht.“ (Welz 1996: 112)
Dieses Ideal äußert sich auf dem lokalen Level der Nachbarschaft zunächst tatsächlich eher in der Aufführung entsprechender Folklore, trotz der von Welz (1993) fest gestellten tendenziellen Entwertung dieser kulturellen Formen. Inzwischen zeigt sich ein verstärkter Trend zugunsten eher kosmopolitisch und urban ausgerichteter Demonstrationen von kultureller Fremdheit, auch mit dem Zweck der Konsumption von Ethnokultur (vgl. Mandel 2002). Das im hegemonialen Diskurs häufig an die Wahrnehmung von ‚Fremdheit‘ geknüpfte Authentizitätssiegel ist allerdings in beiden Fällen ein zweischneidiges: Der Suche nach der ‚echten‘, ‚authentischen‘ Kultur, wie sie häufig in Reisemagazinen beworben wird, steht eine Praxis populärkultureller Vermarktungsstrategien des hybriden Körpers (vgl. Ha 2006) gegenüber. Die wachsende Forderung nach konsumierbarer kultureller ‚Authentizität‘ hat sich 161
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inzwischen somit selbst zu einem Ärmel der „ethnischen Zwangsjacke“ (vgl. Mandel 2002) entwickelt, die es Migranten, aber auch ethnischen Minderheiten erschwert, als aktive ‚Kulturproduzenten‘ aufzutreten und nicht lediglich als passive Träger kultureller Merkmale betrachtet zu werden. Im Jungbusch treten gerade Migranten über 25 Jahren kaum als Produzenten von Kultur in Erscheinung, sondern vielmehr als Vertreter ethnisch geprägter Institutionen, insbesondere der Moscheen. Diese Tatsache macht sie für den Konsum von Lokalität wenig verwertbar. Anders verhält es sich mit jugendlichen Migranten, wie das folgende Beispiel zeigt.
„ Ac h t u n g , S i e b e t r e t e n J u n g b u s c h “ : Z u r P r o d u k t i o n h yb r i d e r l o k a l i s i e r t e r I d e n t i t ä t Kemal (25), Student, ist im Jungbusch aufgewachsen und später in eine WG in der Jungbuschstraße gezogen: „Also mir gefällt’s nicht, wie der Jungbusch manchmal von Leuten von außerhalb gesehen wird. Das ist einfach ein falscher Blick darauf. Und ich denke, dass eigentlich auch so dieses Bild vom heruntergekommenen Jungbusch bei vielen auch deutschen Kindern jetzt gerade eigentlich sehr gut ankommt. In dem Sinne halt eben, wie sie sich sozusagen die HipHop-Gesellschaft in Amerika vorstellen.“ Und er führt weiter aus: „Also ich habe eine Menge Leute schon getroffen in der Straßenbahn – so 13, 14 Jahre alte Jungs – die haben auf einmal angefangen, mit einem pseudo-türkischen Akzent zu reden. Weil es irgendwie – ich glaub’, die haben’s cool gefunden oder so. Ich fand’s in dem Augenblick total lächerlich. Und ich denke, dass es halt eben so eine Wirkung auf die Kinder hier hat – oder auf die Bevölkerung, auf die Restbevölkerung hat. Man kann seine Stereotypen hier irgendwie absetzen, das zum guten Teil. Aber eigentlich ist das ja nicht wirklich was Negatives, finde ich jetzt. Es ist eigentlich nicht wirklich negativ, wenn man sieht, dass andere so versuchen zu sein, für wie sie einen halten. Die denken eben, dass hier wirklich alle so rumlaufen, alle so reden, alle so drauf sind. Aber das stimmt eigentlich gar nicht, das ist bloß ’ne Sache, die sie sich selbst eingeredet haben.“
In den letzten Jahren haben insbesondere hybride und glokale Formen der Vermischung von Kunst und Kultur zur Veränderung der diskursiven Wahrnehmung des Quartiers beigetragen (vgl. Baumgärtner im Druck). Diese Entwicklung steht auch in Zusammenhang mit der Lancierung neuer Projekte (Musikpark, Popakademie) und der Förderung von Kunstaktionen im Zuge des Aufwertungsprozesses. Insbesondere seit der Einführung des Nachtwan162
KAPITEL 6 – ,SPATIAL BROKERAGE‘
dels als kompaktere Form seines Vorläufers, der sogenannten Kulturwochen, wird der Jungbusch als Ort mit diesen heterogenen kulturellen Formen verstärkt verknüpft. Dabei wird lokale ‚Ethnokultur‘ inzwischen gerade mit Kunst und mit hybriden Stilen vermischt und erzeugt so für zwei Nächte eine Utopie der Vielfalt und des kulturellen Austauschs. Diese Entwicklungen im lokalen Bereich stehen sicherlich auch in Zusammenhang mit weiteren Veränderungen in der öffentlichen Wahrnehmung von Migranten seit 9/11: Der Begriff der Multikultur wird nunmehr verstärkt mit sogenannten Parallelgesellschaften, Ehrenmorden und Terrorismus in Verbindung gebracht. Insbesondere Migranten mit islamischer Religionszugehörigkeit waren und sind Gegenstand dieser Debatte. Auch die Auseinandersetzungen zwischen jugendlichen Migranten und der Polizei in französischen banlieues hat zu einer verstärkten öffentlichen Aufmerksamkeit für Themen im Bereich von Migration und Integration geführt. Hierbei dienen Migranten selbst, aber auch Sozialarbeiter und Akademiker als Informanten und Experten für Medien, die mit einer Mischung aus Neugier gegenüber dem ‚Fremden‘ und einem erhobenem Zeigefinger aus den Problemgebieten der Nation berichten. ‚Der‘ Migrant oder ‚die‘ Migrantin werden hier nicht als einzelne Akteure mit persönlichen Biographien, Werthaltungen und politischen Einstellungen behandelt, sondern vielmehr als Typus. Migranten und ihre Nachkommen sind damit zu einer medialen Sensation geworden. Hybride Formen werden dabei – im Gegensatz zum Kopftuch, welches nicht selten als Symbol für einen zunehmenden Fundamentalismus gepaart mit traditionellen Frauenbildern betrachtet wird – als integrierbarer in die demokratische Mehrheitsgesellschaft betrachtet. Besonders in den öffentlichen Debatten um die soziale und familiäre Stellung der Frau in türkischen Familien wird der Generationenkonflikt damit auch als emanzipatorischer Akt verstanden. Gerade bei emotionalen Themen, wie beispielsweise bei sogenannten Ehrenmorden, wird die steigende Individualisierung von jungen Frauen mit Migrationshintergrund häufig mit traditionellen und vormodernen Wertesystemen der Elterngeneration kontrastiert. Der häufige Rekurs auf die Differenz der ‚Kultur‘, sowohl von Migranten selbst als auch von Kommentatoren der Parallelgesellschaftsdebatte, führt dabei auch zur Markierung ethnischer Grenzen, welche durch hybride Formen überwindbar scheinen. Diese werden daher oftmals als potentiell kompatibler mit ‚modernen eigenen‘ Lebensformen und als Loslösung von der ‚traditionellen fremden‘ Kultur betrachtet. Diese Entwicklung findet ihre lokale Entsprechung in erster Linie in den Darstellungen der ‚Integrationsarbeit‘ vor Ort. Entsprechende Fotos in Printmedien und auf Homepages lokaler Einrichtungen zeigen Jugendliche mit Migrationshintergrund beispielsweise auf der Bühne vor deutschem und migrantischem Publikum bei lokalen Veranstaltungen in Aktion. Abbildungen der Räume von Jugendeinrichtungen, die Jugendliche vor dem Computer oder 163
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im Freien vor einer mit Graffiti besprühten Wand abbilden, vermitteln den Eindruck, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund hier nicht nur nicht benachteiligt, sondern im Gegenteil sogar befähigt werden. Jugendkultur kann hierbei auch als Teil pädagogischer Bemühungen verstanden werden. Die Beziehungen zu lokalen sozialen Einrichtungen und deren Mitarbeitern werden von Jugendlichen im Jungbusch aber auch durchaus als zentral für die persönliche und berufliche Entwicklung beschieben. Dennoch existiert Jugendarbeit nicht im luftleeren Raum, ihre Finanzierung ist an die Programmatiken wünschenswerter Sozialisierungen gebunden, welche selbst Gegenstand gesellschaftlichen Wandels sind. Dies zeigt sich beispielsweise in den letzten Jahren in einer zunehmenden Kulturalisierung sozialer Problemlagen (vgl. Klein/Landhäußer/Ziegler 2005). Gleichzeitig findet in marginalisierten Stadtteilen mit hohem Migrantenanteil auch eine Verdichtung spezifischer jugendkultureller Stile statt: Durch die strukturelle Benachteiligung von Kindern aus Migrantenfamilien im deutschen Bildungssystem verfestigen sich auch peer-group-Beziehungen, da der Weg von der lokalen Grundschule meist zur nächsten Hauptschule führt. Diese neue „ethnische Unterklasse“ (Schiffauer 2005), die von Zaimo÷lu (2007) auch als „Ethnoproletariat“ bezeichnet wurde, formt über die Relokalisierung von globalen Gegenkulturen auch ein spezifisches Verständnis von lokalisierter Identität: Die Verwendung von Stilmerkmalen glokaler Jugendkultur, wie HipHop, Rap oder Graffitis ermöglichen dabei eine Verknüpfung mit einer spezifischen lokalisierten Identität, die der Beziehung zu us-amerikanischen neighborhoods entlehnt ist. So zieht ùenol Parallelen zwischen seiner Beziehung zum Jungbusch und der Beziehung von Rappern zu ihrem eigenen Viertel: ùenol (24), Gelegenheitsjobber, wohnt derzeit in den angrenzenden Quadraten und verbringt viel Zeit im Jungbusch: „Also, wie gesagt: einmal Jungbusch, immer Jungbusch.“ [beide lachen] E. B.: „Also ist es so ein Lebensgefühl auch, Jungbusch?“ ùenol: „Ja natürlich, natürlich. Es ist ja genauso, wie jetzt / gehen wir mal nach Amerika. Zum Beispiel diese ganzen Rapper und und und. Die kommen ja überwiegend aus den Bronx, Harlem und was weiß ich was. Egal, wie viel Kohle die machen oder wie berühmt sie werden und in diese reichen Viertel ziehen: Die zieht es immer wieder da rein. Weil die ja da aufgewachsen sind, die sind da zu Hause. Und das ist genauso wie hier.“
Der Entwicklung lokalisierter Identitäten kommt daher für jugendliche Akteure eine besondere Bedeutung zu. Diese orientieren sich an glokalen Stilformen und markieren den Jungbusch als ‚ihren‘ Raum, beispielsweise in Form
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von einfachen Graffitis, die subkulturelle Praxen („Turkish hustlers13 club“) und territoriale Grenzen („Achtung, Sie betreten Jungbusch. 100% Gefahr“) markieren. Neben dieser Verwendung kurzer Texte als spontanes Ausdrucksmittel zur Markierung des öffentlichen Raums, werden diese Selbstverortungen im Jungbusch auch zunehmend nach außen dargestellt. Insbesondere spezifische Jugendgruppen, wie beispielsweise Mitglieder der Creative Factory im Jungbusch, treten dabei als Repräsentanten hybrider lokaler Identität in Erscheinung und nutzen den öffentlichen Raum als Bühne. Die Teilnehmer sind zumeist Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund aus dem Jungbusch, aber auch aus anderen Stadtteilen. Neben der Entwicklung eigener und der Interpretation klassischer Theaterstücke, treten diese auch als Sänger, Tänzer und Musiker in Erscheinung. Im Zuge des gewachsenen Interesses an hybriden kulturellen Formen hat sich ein deutliches Echo auf diese Aufführungen, sowohl außerhalb wie innerhalb des Jungbusch, entwickelt. Insbesondere das Theaterstück „Hunger nach Glückseligkeit“, in Anlehnung an Schillers „Die Räuber“, verbindet ‚Migrantenkultur‘ mit deutscher ‚Hochkultur‘ einerseits und mit dem Jungbusch andererseits. Baustellen, die leerstehende Kauffmannmühle und andere verfallene Überbleibsel und bröckelnde Fassaden von ehemaligen Industriebetrieben im Jungbusch dienen als Hintergrund für die Darstellung des Schiller’schen Generationenkonflikts, dem im öffentlichen Diskurs eine hohe „Authentizität“ (MM vom 10.6.2006) unterstellt wird. Zur Repräsentation einer unterdrückten Jugendkultur im sogenannten Sidewalktheater werden Stilelemente der breakdance- und HipHop-Kultur eingesetzt, der kriminelle Hintergrund der Räuber wird in einen regional und ethnisch geprägten gangsta slang mit Bewegungen aus dem Kickboxen übersetzt. Die Schauspieler spielen Figuren und durch die Verknüpfung mit dem Jungbusch und hybriden kulturellen Praxen auch scheinbar sich selbst. Die dargestellten Konflikte werden so auch vor dem Kontext ihres Migrationshintergrunds interpretiert: „Auf der Bühne werden Alltagskonflikte ebenso wie Alltagsprobleme ausgetragen, wird diskutiert, werden Aggressionen spielerisch abgebaut, das Miteinander geübt. All das eben, womit sich die Menschheit seit jeher beschäftigt: Alt gegen Jung. In dieser Konstellation der jungen Leute aus dem Jungbusch kommt allenfalls die nicht immer eindeutige Identität dazu. Das drückt sich in Sätzen aus wie: ‚Ich bin anders,
13 Der Begriff hustler hat mehrere Bedeutungen und bezeichnet beispielsweise Prostituierte oder Gauner. In weiteren, eher subkulturellen Verwendungen wird er mit mehr oder weniger legalen Unternehmungen zum Broterwerb – als dealer, Zuhälter oder ähnliches – in Verbindung gebracht. Das Verb to hustle bedeutet auch drängeln, eilen oder geschäftig sein. 165
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ich fühle anders, ich kann nicht leben wie er will, seine Traditionen gehören nicht zu mir.‘“ (Buschtrommel 2/2005)
Insbesondere die Kombination von Schauplätzen im Jungbusch – der im hegemonialen Diskurs häufig als Mischung aus exotisch und gefährlich dargestellt wird – mit dem Migrationshintergrund der Darsteller regt die Fantasie von Zuschauern und Kommentatoren an, die sowohl geographisch als auch ideell in eine ‚fremde‘ Welt entführt werden, die gerade dadurch real wirkt: „An einer Baustelle am Verbindungskanal erleben die Zuschauer den harten Alltag der Arbeiter, die von ihrem Chef schikaniert werden. Der HipHop-Tanz der jungen Männer und Frauen auf der Plattform des Baukrans ist Ausdruck ihres Wunsches, sich selbst zu verwirklichen. Auf den Rampen der Kaufmannmühle werden die jungen Männer im steten Kampf um Respekt und Anerkennung zu Räubern, während ihre Freundinnen in einer beeindruckenden Fensterszene überlegen, wie sie sie wieder zur Vernunft bringen können.“ (MM vom 15.5.2006)
Das pädagogisch gestützte Auftreten von jungen Migranten als Kulturproduzenten hybrider Jugendkultur wird dabei auch überführt in das neue Konzept des Kulturraums Jungbusch, der Kunst und Kultur verbinden soll. Dabei ist es gerade das Spiel mit der Lebenswelt von jugendlichen Migranten der Creative Factory und den verfestigten Vorurteilen vieler Zuschauer, welches öffentliche Aufmerksamkeit erregt, was sich in der Aufgeregtheit bei dem für das Publikum überraschenden Auftritt der Jugendlichen auf einer Veranstaltung zeigt: „Die jungen Schauspieler sind inzwischen so gut, dass sie bei einer Veranstaltung des Baudezernates in der Alten Feuerwache in einem fünfminütigen Lifeact einen Überfall so glaubwürdig darstellten, dass die Gäste Realität und Spiel kaum auseinander halten konnten“ (Buschtrommel 3/2004). Der Vorteil der expliziten und erkennbaren künstlerischen Ausdrucksform von Hybridität im Rahmen eines ‚hochkulturellen‘ Theaterstücks liegt daher darin, dass sie zwar Kritik übt, diese allerdings in eine verständliche und legitime kulturelle Praxis überführt. Auch die anderen Vorstellungen der Creative Factory sind in einen Rahmen eingebunden, der die Darstellung eigener Erfahrungen und lokaler Lebenswelt ermöglicht, ohne den formalen Rahmen einer Aufführung übermäßig zu strapazieren. Bei Veranstaltungen im Jungbusch, seien sie politischer, sozialer oder künstlerischer Natur, treten Jugendliche der Creative Factory auf, um Stil-Bricolagen in Form von türkischem Rap, einer Art Trommel-battle auf Metallfässern oder Ausschnitte aus gemeinsam erarbeiteten Theaterstücken vorzutragen. Diese Inszenierung einer durchaus im Jungbusch existenten glokalen und hybriden Jugendkultur spielt bei den Prozessen der symbolischen Aufwertung des Quartiers eine bedeutende Rolle. In der öffentlichen Wahrnehmung verändert 166
KAPITEL 6 – ,SPATIAL BROKERAGE‘
sich so das Bild des Migrantenghettos zur Vorstellung eines integrierten Kulturviertels. Gleichzeitig dienen die Auftritte im Jungbusch und deren positive Perzeption auch als Identifikationsmöglichkeit für nachfolgende Generationen von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Diese können sich aus dieser glokalen Vielfalt einen Lebensstil aneignen, der eine Mischung aus Exotik und Gefahr darstellt. Der Jungbusch wird, wie auch der hybride Akteur, zur Projektionsfläche von Phantasien und Stereotypen über Nähe und Fremdheit. Diese Projektion kann damit bei ausbleibenden Aufstiegschancen in der Mehrheitsgesellschaft auch die Selbstdefinition von Jugendlichen mit Migrationshintergrund als Außenseiter, die sich in spezifischen territorialen Gebieten mit eigenen street rules bewegen, verfestigen. Diese Regeln werden durch Mechanismen der Ethnisierung und „Selbstethnisierung“ (Schiffauer 2002) entsprechender subkultureller Praxen allerdings wiederum als konträr zur Mehrheitsgesellschaft verstanden. Die Produktion hybrider lokalisierter Identität ist damit keineswegs völlig unproblematisch. Sie kann auch zur Verstärkung von Prozessen territorialer Exklusion führen.
Buschputz! Zur Produktion moralischer lokalisierter Identität „Jungbusch – l(i)ebenswert und sauber. Ich bin dabei.“
Die Sauberkeit im öffentlichen Raum ist ein Thema, das die Jungbuschbewohner sehr bewegt. In Bewohnergesprächen taucht es immer wieder auf und auch in den meisten Interviews wird diese Materie von Informanten aufgegriffen. Dabei geht es insbesondere um die Problematik der Verschmutzungen durch Hundekot und Abfälle und die Entsorgung von Haus- und Sperrmüll im öffentlichen Raum. Doch auch weitere Thematiken im Bereich Sauberkeit und Ordnung im Quartier sind daran geknüpft, beispielsweise Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit, ‚wildes‘ Urinieren und Lärm. Die Kritik an der Sauberkeit im Jungbusch wird dabei nicht nur von konservativen Bewohnern des Stadtteils getroffen, sondern auch von progressiveren Gruppen aufgegriffen, wie die folgenden Aussagen zeigen: Erkan (30), Akademiker: „Vor allem bei uns in der Straße ist das auch sehr schlimm, dass Leute uns regelmäßig direkt vor die Haustür ihre Hunde / da ihren Dreck ablassen.“
Nathalie, die in einer Wohngemeinschaft in der Kirchenstraße lebt, erhofft sich daher von den Stadtentwicklungsprozessen auch eine höhere Sauberkeit:
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Nathalie (28): „Klar, es hat vielleicht dann positive Effekte, dass dann mehr aus dem Viertel gemacht wird. Dass es vielleicht auch sauberer ist, einfach. Weil doch jetzt überall wenn du guckst, auf jeder Straße liegt Müll rum. Oder diese ganzen Hunde und solche Sachen. Das es da einfach von dem her mal sauberer ist. Ich denk mal so ganz negativ ist das natürlich nicht.“
Aus diesem Grund hat sich die Initiative „Saubere Böckstraße“ gegründet, die in einer gemeinsamen Aktion die Baumscheiben dieser Straße von Müll befreit und anschließend bepflanzt hat. Für die Bäume wurden außerdem Patenschaften übernommen, welche die Zuständigkeit einzelner Bewohner auch für diese Grünflächen markieren. Im Jahr 2006 wurde außerdem erstmalig der Buschputz mit einem Müllsammelwettbewerb und einem musikalischen Auftritt der Creative Factory veranstaltet. Im Vorfeld wurden an alle Haushalte im Jungbusch Plaketten verteilt mit der Aufschrift „Jungbusch – l(i)ebenswert und sauber. Ich bin dabei“ und der Aufforderung auf Deutsch, Türkisch und Italienisch: „Zeigen Sie ihre Verbundenheit und hängen Sie die Plakette in ihr Fenster zur Straße hin.“ Mit der Aktion des Buschputzes soll ein Verständnis für Sauberkeit internalisiert werden, das sich speziell auf den Stadtraum Jungbusch bezieht. Neben der Äußerung von Verbundenheit durch die Zurschaustellung der Plakette, zielt der Wettbewerb zum Müllsammeln nicht nur auf die Erziehung erwachsener Bewohner, sondern insbesondere auch auf Kinder. Die Pflege der Baumscheiben durch einzelne Paten und der Müllsammelwettbewerb überträgt die Verantwortung für das lokale Umfeld Jungbusch damit symbolisch auf seine Bewohner. Das dies nicht unbedingt ohne weiteres funktioniert, zeigte sich insbesondere darin, dass der Wettbewerb von einigen Kindern durchaus mit unlauteren Mitteln geführt wurde: Bei einigen führte der Eifer, möglichst viel Müll zu sammeln dazu, diesen aus Abfallbehältern in den eigenen Müllsack umzufüllen. Die Produktion einer moralischen lokalen Gemeinschaft spielt aber auch beim Vorgehen gegen Fehlverhalten im öffentlichen Raum ganz allgemein eine Rolle und ist zumeist Folge von Konflikten um eine ‚angemessene‘ Aneignung desselben, wie sich beispielsweise in der öffentlichen Kritik an der Raumnutzung einzelner ethnischer Gruppen zeigt (vgl. auch Kapitel 8). Dabei wird neben Verschmutzungen besonders Lärm als problematisch betrachtet, der durch die Relevanz des öffentlichen Raums als Kommunikationszentrum zwangsläufig entsteht. Laute Unterhaltungen oder Streitigkeiten auf der Straße werden dabei als ebenso störend empfunden, wie öffentlicher Alkoholkonsum. Neben tatsächlich vorhandenen unterschiedlichen kulturellen Grundhaltungen – zum Beispiel in Bezug auf den Konsum von Alkohol, welcher von Bewohnern mit türkischem Migrationshintergrund tendenziell oftmals als problematischer angesehen wird als von vielen anderen lokalen ethnischen Gruppen – dienen Konzeptionen von kulturspezifischen oder religiösen ‚Men168
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talitäten‘ auch zur Erklärung von mangelnder Sauberkeit und anderen lokalen Problemen: Herr Franke (68): „Wenn Sie nach Laudenbach gehen oder Hemsbach, da ist doch ein bissele, da sieht man schon am Samstag oder Freitag – Samstag etwas mehr – die kehren. Sie können auch am Dienstag oder Mittwoch, aber es ist halt in Deutschland, im christlichen Abendland, ist es halt der Sonntag, da wird vorher sauber gemacht. Ne. Und ich meine, wenn sie sagen, der Sonntag ist für mich ein Tag wie jeder andere, dann soll er’s halt am Dienstag machen oder am Donnerstag, ist mir egal, aber kehren sollte er seine Umgebung.“
Hier findet sich auch der Verweis auf die Kehrwoche als eine Art christliches Kulturgut. Dabei ist Herr Franke nach eigener Aussage durchaus zu Zugeständnissen an kulturelle Unterschiede bereit, er fordert aber den Konsens in Sachen Sauberkeit. Doch auch der Unterschied zwischen ‚Stadt‘ und ‚Land‘ wird hier von Herrn Franke kontextualisiert. Dieser Zusammenhang wird auch von Herrn Cankaplı, der lange Zeit in einer Kleinstadt gelebt hat, aufgegriffen: Herr Cankaplı (54) ist Selbstständig und lebt und arbeitet erst seit kurzem im Jungbusch: „Was mich stört überhaupt im Jungbusch: die Saubereit fehlt sehr. Nirgends ist es so schmutzig wie im Jungbusch. Die Leute kehren nicht vor den Türen. Die Geschäfte machen das auch nicht. Seit ich hier bin, jeden Abend, kehre ich vor den Türen von meinem Geschäft. Und ich will auch, dass andere das machen. Aber ich habe noch nie ein Geschäft oder einen Privatbewohner gesehen, der vor seiner Tür gekehrt hat. Wo ich gewohnt habe, in [Name einer Kleinstadt, E. B.], alle Bewohner kehren vor dem Haus und es ist sauber. Das hat mir sehr gut gefallen. Und das ist auch eine sehr saubere Stadt.“
Die Vernachlässigung des Quartiers allgemein, aber auch von einzelnen Gebäuden wird dabei auch mit dem Leben im urbanen Raum, aber auch mit einer Verschlechterung der sozialen Struktur und einer hohen Fluktuation der Bevölkerung im Stadtteil in Verbindung gebracht. Neben der Eigenverantwortung, die den Mietern und Bewohnern in Bezug auf den Zustand des gemeinschaftlich genutzten Raums zukommt, betont Semra auch die Verantwortlichkeit von Vermietern, die oftmals nicht im Jungbusch leben und sich nicht um das soziale Gefüge, sondern vielmehr um ihren Profit sorgen: Semra (26) ist Hausfrau und Mutter und mit einem ‚Jungbuschler‘ verheiratet: „Und in diesem Haus wo ich hier wohne, auch im Hinterhof, wo ich eingezogen war, waren keine einzigen Türken – türkische Familie überhaupt also – und neben dran auch nicht. […] wir waren die einzige türkische Familie hier in diesem Haus und es war alles sehr, sehr schön und ganz leicht. Man brauchte niemandem was zu sagen, was 169
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er machen sollte oder so, überhaupt allgemein. Und der Hausbesitzer war Türke und er wollte einfach die Häuser los werden und er hat es dann einfach dem verkauft, der gleich als erstes da war. Und er hat gar nicht nachgefragt oder nachgeforscht, ob diese Leute es sich leisten können und ob es dann irgendwie passt, wissen Sie, und deswegen: Jetzt sind es nur türkische Familien.“ E.B.: „Und das ist jetzt auch wieder ein türkischer Hausbesitzer – nur ein anderer als damals, als Sie eingezogen sind?“ Semra: „Ja, da waren Italiener, da waren Bulgaren, da waren Rumänen, da waren Deutsche sogar da, gemischt. Jugoslawen waren da. Gemischt, aber es ging angenehm. Es störte niemanden, jeder machte seine eigenen Sachen, jeder putzte sein eigenes Treppenhaus, oder so, wissen Sie. Es ging dann. Jetzt kann man sich nicht verstehen, weil unsere Menschen, also unsere türkischen Leute, versuchen glaube ich ihre eigene Kultur von der Türkei hierher zu bringen. Es sind sehr viele Leute die neu gekommen sind und hier sind sehr viele Bulgaren jetzt dazu gekommen, von Rumänien sind sehr viele Leute hergekommen, und es sind Leute die meistens nicht arbeiten und es sind Leute die meistens nur Ärger machen [...].“
Für Semra ist es das multikulturelle Zusammenleben im Stadtteil und insbesondere das Beharren auf der eigenen Kultur, welches zu einem mangelnden Verständnis der Bewohner untereinander führt und sich negativ auf die kommunale Ordnung auswirkt. Der ‚Import‘ ,fremder‘ Kultur nach Deutschland wird hierbei im Gegensatz zu den ideologischen Konzeptionen multikulturellen Zusammenlebens der 90er Jahre, die den Rückbezug auf die eigene Kultur als Bereicherung betrachten, als Anpassungsunfähigkeit verstanden. Die fremde Kultur wird hier definiert als jeweils differentes soziales Gefüge, welches nicht den Gepflogenheiten und der Progressivität der Mehrheitsgesellschaft entspricht. ‚Fremde‘ Kulturen beziehungsweise ein Missverhältnis zugunsten einzelner ethnischer Gruppen verändern nach Semras Einschätzung den Stadtraum daher eher negativ: Sie fördern soziale Probleme und beeinflussen durch unerwünschte Verhaltensweisen auch ihr Umfeld negativ, beispielsweise durch nächtlichen Lärm und Streitigkeiten. Der häufig durchaus im positiven Sinne beschworene ‚mediterrane Flair‘ des Viertels soll sich also aus Sicht einer moralischen lokalen Gemeinschaft nicht in nächtlichen Störungen oder mangelndem Ordnungssinn äußern. Das Nicht-Einhalten von Kehrwochen, Lärm und Aggressivität werden in dieser Konzeption allerdings nicht selten mit ethnischer Herkunft verknüpft. Gleichzeitig wird dieser Mentalitätsdiskurs, wie Semras Aussage zeigt, nahtlos in eine Thematisierung von Arbeitslosigkeit überführt. Gerade der Faktor der hohen Arbeitslosenquote im Jungbusch wird dabei im stadtteilinternen Diskurs mit den Problemen im öffentlichen Raum wie Lärm und Schmutz in Verbindung gebracht. Arbeit wird dabei auch zum Distinktionsinstrument: Die arbeitende Bevölkerung fühlt sich von der arbeitslosen Bevölkerung belästigt und gestört, da letztere auf Grund von mehr Freizeit die Gelegenheit 170
KAPITEL 6 – ,SPATIAL BROKERAGE‘
hat, durch nächtliche Lärmbelästigungen in Erscheinung zu treten. Hierbei wird auch betont, dass nicht aus Intoleranz gegen abweichende Verhaltensweisen vorgegangen wird, sondern dies durch die Strukturierung des Arbeitsalltags bedingt ist. Insofern fußt diese moralische lokale Gemeinschaft in erster Linie auf einem geteilten Ordnungsdiskurs des kleinsten gemeinsamen Nenners und wirkt damit tendenziell exkludierend auf große Teile der marginalisierten Bewohnerschaft des Quartiers. Insofern findet hier nicht notwendigerweise eine Verdrängung unterer sozialer Schichten oder ethnischer Gruppen per se statt, aber die Exklusion bestimmter Fraktionen der unteren Klassenmilieus und einzelner ethnischer Gruppen, die nicht in diesen Wertekanon passen.
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Kapitel 7 Ortspolitiken und Selbstverortungen
„Wohnen Sie hier? Dann wissen Sie doch, wie es hier zu geht.“ „Der Jungbusch ist besser als sein Ruf.“
Mit diesen und ähnlichen Sätzen beginnt nicht selten die erste Kontaktaufnahme mit Bewohnern des Jungbusch. Insofern wird die Repräsentation des eigenen Wohnorts keineswegs nur den cultural brokers überlassen. Vielmehr entwickeln die Bewohner auch jeweils eigene Strategien zum persönlichen Umgang mit der Lebenssituation in einem stigmatisierten Quartier. Diese Selbstrepräsentation wirkt auf den ersten Blick als Beschönigung einerseits und ‚schlecht reden‘ andererseits. Denn dabei findet auch der Versuch statt, aus strukturellen Bedingungen, die sich im Quartier als Problemlagen summieren und auf die einzelne Bewohner keinerlei Einfluss haben, biographisch einen Sinn zu entwickeln. Im Falle des Jungbusch übt dabei zudem der hegemoniale Diskurs einen deutlichen Druck auf das Quartier und seine Bewohner aus. Obwohl beispielsweise das Rotlichtmilieu eine Dienstleistung zur Verfügung stellt, die nicht bloß lokal genutzt wird, führte die moralische Empörung darüber nicht in erster Linie zur Stigmatisierung der Prostitution, sondern zur Stigmatisierung des Jungbusch. Ähnlich wird die zunächst unfreiwillige Segregation von Migranten nicht als Folge von Diskriminierungen und städtischer Wohnungspolitik betrachtet, sondern als lokales Problem. Die Bewohner haben daher ihre jeweils eigenen Strategien entwickelt, diese Stigmatisierungen des Quartiers umzudeuten. In Anbetracht bereits diskutierter Gentrifizierungs- und Stadtentwicklungsdiskurse ist es dringend notwendig, auch diese marginalisierten Repräsentationen von Lokalität, die politics of place beziehungsweise Ortspolitiken 173
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der Bewohner, in den Blick zu nehmen. Diese Begrifflichkeit lehnt sich an das Konzept der Identitätspolitiken an. Der hierbei zu Grunde liegende Identitätsbegriff ist ein flexibler, er kann mit Hall (1996: 3f) verstanden werden als „strategic and positional“: „That is to say, directly contrary to what appears to be its settled semantic career, this concept does not signal that stable core of the self, unfolding from beginning to end through all the vicissitudes of history without change; the bit of the self which remains always-already ‚the same‘, identical to itself across time. […] It accepts that identities are never unified and, in late modern times, increasingly fractured; never singular but multiply constructed across different, often intersecting and antagonistic, discourses, practices and positions.“
Die Einheit oder Unverbrüchlichkeit des Selbst wurde freilich bereits von Vertretern von Rollen- und Interaktionstheorien hinterfragt: das ‚Selbst‘ wird hier als Produkt von Kommunikations- und Interaktionsprozessen zwischen Person und Gesellschaft begriffen. Den inneren Kern des Selbst bezeichnet Mead (1934) als ‚I‘, mit dem wir uns selbst identifizieren, im Gegensatz zum sozialen ‚Me‘1, welches die Erwartungen Anderer an uns antizipiert. Insofern wird die Konstitution des ‚Selbst‘ hier als dynamisch verstanden und existiert auch in Abhängigkeit von unserem jeweiligen Gegenüber. Neben dieser entwicklungspsychologischen Perspektive wurden auch struktur-funktionalistische Ansätze entwickelt, welche die Bedeutung von Rollen zur Integration des Individuums in das gesellschaftliche System feststellen (vgl. Parsons 1979). Dass diese Prozesse allerdings keineswegs immer positiv oder glatt verlaufen, sondern durchaus auch problematische Züge für das ‚Selbst‘ tragen können, zeigte beispielsweise Goffman (1975) mit dem Begriff des ‚Stigmas‘, welches von späteren Theoretikern insbesondere in Bezug auf die Folgen negativer Zuschreibungen für das Individuum und soziale Gruppen diskutiert wurde (vgl. Hohmeier 1975). Doch die jeweils von Anderen, aber auch von der Gesellschaft zugeschriebenen Handlungsstrukturen oder Rollen werden vom Individuum keineswegs eins zu eins übernommen (vgl. Habermas 1973; Turner 1977). Aus diesen relativ frühen Ansätzen interaktionstheoretischer Modelle lässt sich die Komplexität der Konstruktionen von Identitäten bereits ableiten, insofern ist es nicht verwunderlich, dass sie auch heute in der Migrationsforschung (vgl. Hupka/Reinders 2003) angewendet werden. Denn insbesondere in Bezug auf die Produktion einer ‚kulturellen‘ oder ‚ethnischen‘ Identität sind die Zuschreibungen von außen von zentraler Bedeutung (vgl. Eidheim 1
Hermans (2003) weist darauf hin, dass diese Trennung von ‚Me‘ und ‚I‘ durchaus schon früher getroffen wurde, allerdings nicht mit denselben Implikationen – insbesondere in Bezug auf die Bedeutung von Interaktion – wie von Mead.
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KAPITEL 7 – ORTSPOLITIKEN UND SELBSTVERORTUNGEN
1969). Allerdings verläuft dieser Prozess nicht ungebrochen. Das heißt, die zugeschriebene kulturelle oder ethnische – aber auch soziale2 – Identität wird nicht notwendigerweise auch von den Angehörigen dieser Gruppen eins zu eins übernommen. Insofern verstehe ich Identitätspolitiken als jene Strategien, die sozio-kulturelle Minderheiten nutzen, um mit hegemonialen Zuschreibungen umzugehen, also diese entweder weitgehend zu internalisieren, oder aber eigene, unabhängige Konstruktionen zu entwickeln. Dieser Prozess ist allerdings immer, wie auch Hall bemerkt, in gesellschaftliche Diskurse eingebunden: Obschon dieser Begriff in den hier zitierten Interaktionstheorien noch nicht seine heutige Wirkmächtigkeit entfaltet hat, können Zuschreibungsprozesse mittlerweile sicherlich als Teil hegemonialer Diskurse interpretiert werden. Gleichzeitig fließen diese auch oftmals in die Produktion subalterner Gegendiskurse ein, wie Lila Abu-Lughod (1991) beispielsweise anhand des Geschlechterdiskurses zeigt. Hegemoniale Diskurse haben dabei auch Anteil an den homogenisierenden Prozessen zur Konstitution von „Normalität“ (Bublitz 2003) im Gegensatz zum Anormalen. Dabei spielt für Bublitz insbesondere bei der Internalisierung von Normalität – also der „Normalisierung“ – neben der Diskurstheorie auch das Konzept des Habitus eine entscheidende Rolle. In eine ähnliche Richtung weist auch Halls Definition von Identität durch seine Verwendung von Begriffen wie „practices“ und „positions“. Denn der Begriff der Praxis wurde – neben anderen Ansätzen, die beispielsweise von Ortner (1984) diskutiert werden – wesentlich von Pierre Bourdieu (1979) geprägt, der hierzu eine komplexe Theorie entwickelt hat. Da sich daran auch seine von mir bereits diskutierten Überlegungen zum Sozialraum und den hierin statt findenden Positionierungen und Übertragungen auf den geographischen Raum anschließen, werde ich an dieser Stelle auch auf das Konzept des Habitus näher eingehen, da dieser insbesondere auf die Bedeutung von Personen als soziale Akteure rekurriert. Der Habitus ist dabei stark durch gesellschaftliche Strukturen geprägt, das heißt, es „können mit dem Habitus alle Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen, und nur diese, frei hervorgebracht werden, die innerhalb der Grenzen der besonderen Bedingungen seiner eigenen Hervorbringung liegen“ (Bourdieu 1999: 102). Mit diesem Konzept des Habitus als System von Dispositionen, als „strukturierte und strukturierende Struktur“ (Bourdieu 1999: 98) erscheint Lila Abu-Lughods (1991) Hinweis auf die Selbstbeschränkung, der subalterne Diskurse unterworfen sind, geradezu folgerichtig: Wie sollten sich diese auch außerhalb ihrer strukturellen Wirklichkeitsbedingungen kons-
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Man denke nur an die Diskurse um eine ‚neue Unterschicht‘ (Kessl 2005). 175
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tituieren? Denn der Habitus ist auch die Inkorporierung dieser Strukturen mittels Erziehung und Sozialisation.3 Damit hat Bourdieus Habituskonzept auch etwas sehr verstörendes, denn es verweist darauf, dass keine soziale Gruppe als solche – weder durch Bildung noch durch Kapital oder andere Privilegien – per se außerhalb dieser Praxis steht. Der nicht zuletzt deshalb häufig geäußerte Vorwurf eines zu großen Determinismus der Bourdieu’schen Theorie (vgl. beispielsweise King 2000; Crossley 2001; Kumoll 2005) verkennt dabei allerdings die Differenz zwischen Person und Sozialraum, die trotz dem verbindenden Prinzip des Habitus existiert. Denn die Möglichkeit zu gesellschaftlicher Transformation existiert trotz aller Grenzen des Habitus: Der soziale Raum kann sich durchaus verändern, dies äußert sich beispielsweise in der Entstehung neuer Klassenfraktionen (vgl. Bourdieu 1998a). Die spezifischen Habitusformen sind zudem durchaus unterschiedlich ausgeprägt: Der kleinbürgerliche Habitus ist beispielsweise durch das ‚Streben‘ und die Mimikry des Bürgertums, beziehungsweise dem was er dafür hält, geprägt. Dies äußert sich im „Bildungseifer“ (Bourdieu 1998a: 503) dieser Klassenfraktion. Hingegen versucht sich das „neue Kleinbürgertum“ von anderen etablierten Gruppen durch Distinktion und die Entwicklung eines ‚neuen‘ Lebensstils abzugrenzen. Der Habitus einzelner Fraktionen entwickelt sich dabei scheinbar auch und gerade durch seine Relation zu anderen Gruppen im Sozialraum: Die Entwicklung von Moden, Trends und Lebensstilisierungen resultiert letztlich auch aus diesen Beziehungen zwischen Klassenfraktionen. Tatsächlich kann der Sozialraum auch aktiv transformiert werden. Nach Bourdieu allerdings insbesondere durch eine reflexive Wissenschaft, die nicht dem Fehler einer Reproduktion des „common sense“ (vgl. Bourdieu/Wacquant 1996) bestehender Strukturen anheimfällt. Anders sieht es aus bei der Transformation der sozialen Person. Diese besitzt zwar einen kreativen Spielraum zur Entwicklung von Optionen, jener ist allerdings in der Regel endlich: Er kann nur im Rahmen der habituellen Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata erfolgen. So kann der Einzelne zwar seine Position im sozialen Raum verändern, beispielsweise durch sozialen Auf- oder Abstieg, nicht aber seinen persönlichen Habitus, denn dieser ist ja auch Folge seiner spezifischen Biographie – seiner Erziehung, seiner sozialen Netzwerke, seiner Bildung – also letztlich der Verfügbarkeit von Kapitalsorten. Meine Kritik an Bourdieu liegt eher darin, dass er wichtige Praktiken bei der Selbstpositionierung, die unter die Begriffe der Lebensstilisierung und der Distinktion fallen, letztlich auf die Ausbildung spezifischer „Bedürfnissysteme“ (Bourdieu 1998a: 590), insbesondere in mittleren und höheren Klassenfraktionen zurückführt. Damit wird den unteren Klassen ein rein 3
Bei aller Differenz zur Theorie Foucaults kann der Bourdieu’sche Habitus auch verstanden werden als Äquivalent zu Foucaults ‚Technologien des Selbst‘.
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funktionaler Geschmack unterstellt: Hier ist beispielsweise bei Vester et al. (2001) vom „Habitus der Notwendigkeit“ die Rede. Obwohl diese Interpretation strukturell durchaus zutreffen mag, stellen auch Vester et al. (2001) eine Binnendifferenzierung des sogenannten „traditionslosen Arbeitnehmermilieus“ fest. Als Gründe für diese Entwicklung werden in erster Linie ein Generationen- und Elitenwechsel und damit einhergehende Modernisierungstendenzen betrachtet (vgl. Vester et al. 2001: 33). Die hierbei verwendete starke Orientierung an der sozialen Ausgangslage gesellschaftlicher Milieus verstellt aber gerade den Blick auf die Lebensstilisierungen unterer Klassenfraktionen, die durchaus vorhanden zu sein scheinen, wie beispielsweise die SinusMilieus (vgl. Sinus Sociovision 2007b) demonstrieren. Denn trotz der eingeschränkten finanziellen und kulturellen Möglichkeiten, welche eine distinguierte Konsumorientierung verhindern, äußern sich die Lebensstilisierungen der unteren Klassenfraktionen beispielsweise in spezifischen Werthaltungen und kreativen Transformationen kultureller Stile. Wacquant (2001: 47) stellt in diesem Zusammenhang beispielsweise fest, dass in den unteren Klassenfraktionen nicht über Konsum, sondern über die „Vermittlung moralischer und körperlicher Dispositionen“ unter Umständen ein „Ausschluss der Ausgeschlossenen“ durch Gruppierungen mit einem höheren Aufstiegsinteresse statt findet. Eine andere, gegenläufige Tendenz bei der Entwicklung subalterner Lebensstile stellt Bourgois (2003: 8) fest. Er spricht in diesem Zusammenhang von der Entwicklung einer „,inner-city street culture‘: a complex and conflictual web of beliefs, symbols, modes of interaction, values, and ideologies that have emerged in opposition to exclusion from mainstream society.“ In Bezug auf die Möglichkeiten zur Entwicklung differenzierter Identitätspolitiken sollte also davon ausgegangen werden, dass jede Klassenfraktion eigene Strategien zumindest potentiell zu entwickeln vermag. Diese können dabei in einem zunehmend heterogenen Sozialraum mit sehr unterschiedlichen Lebensstilisierungen verbunden sein. Neben nationalen, regionalen oder lokalen kulturellen Praxen spielen allerdings auch transnationale, globale oder diasporische Identifizierungen hierbei eine wachsende Rolle. Da in den letzten Jahren der Begriff der Identitätspolitiken, wie Supik (2005) bemerkt, für ein weites Feld von Prozessen verwendet wird, werde ich im Folgenden versuchen, mein Konzept der Ortspolitiken deutlicher zu machen. Hierzu werde ich auf die Beziehungen zwischen sozio-kultureller Identität der Akteure und ihre Politiken der Selbstverortung im Jungbusch vor dem Hintergrund der sozialräumlichen Effekte, die sich aus der Ansässigkeit in einem marginalisierten Stadtgebiet ergeben, eingehen. Unter Ortspolitiken verstehe ich somit zunächst einmal eine strategische Repräsentation des Ortes in Verknüpfung mit dem jeweils eigenen Selbstbild. Gerade das negative Image des Quartiers im hegemonialen Diskurs führt dabei zu sehr spezifischen Formen der lokalisierten Selbstrepräsentation seiner Bewohner. Als 177
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Antwort auf den dominanten Diskurs über den Jungbusch sind nicht nur offizielle Stellen und verschiedene Einrichtungen zusammen mit spatial brokers im Jungbusch bemüht, diesen positiver darzustellen, auch die Bewohner selbst entwickeln eigene Vorstellungen über ihr Quartier und versuchen eigene Formen der „Gestaltungsmacht“ (Dangschat 1994: 440) über den Ort auszuüben. Diese sind dabei stark mit einer sozialräumlich strukturierten urbanen Landkarte verknüpft: Kemal (25): „Ja, also für gutbürgerliche Leute ist es halt nichts. Ich mein’, so Leute, die jetzt in der Oststadt [diese gilt als bessere Wohngegend, E. B.] wohnen, die könnten jetzt nicht in den Jungbusch umziehen, das wäre nichts für sie. Das wär’ viel zu unruhig. [...] Also, jemand von der Oststadt könnte hier nicht herziehen. Der könnte hier gar nicht leben. Das könnte man vergessen.“
Hier wird also der Stadtraum selbst mit dem Bourdieu’schen Sozialraum in enge Verbindung gebracht. Die körperliche und symbolische Aneignung des eigenen Quartiers verknüpft dabei die Bewohner des Jungbusch mit ihrem sozialen und geographischen Umfeld und zwar sowohl mit dem physikalischen Raum, als auch mit der Positionierung dieses Raums innerhalb des städtischen Sozialraums. Bei der Beschreibung des Jungbusch als place findet damit gleichzeitig auch immer wieder eine relationale Positionierung des Quartiers innerhalb einer sozio-kulturellen räumlichen Matrix statt. Die Einschätzung dieser Matrix stadtraumspezifischer Lebensstile ist dabei auch abhängig von der Wahrnehmung der eigenen sozialräumlichen Position im Stadtraum: Durch eine Politik der Selbstverortung werden persönliche Dispositionen über den Faktor der örtlichen Lokalisierung mit der angestrebten Position im sozialen Raum in Verbindung gebracht. Die tatsächlich sehr niedrige soziale, ökonomische sowie kulturelle Position im Sozialraum, die viele Bewohner im Jungbusch inne haben, wird durch die hegemonialen Diskurse im Wesentlichen als eine schlechte Positionierung im sozialen Raum der Stadt verstanden. Gleichzeitig dient auf Seiten der Bewohner eine positive Identifizierung mit ihrem Stadtraum auch einer Verbesserung der subjektiven Wahrnehmung der eigenen Position im Sozialraum, wobei die Generierung einer positiven lokalisierten Identität eben nicht unbedingt der Übernahme hegemonialer Vorstellungen entspricht. Insofern sind es hier im Wesentlichen drei Aspekte, die die Beziehung von Akteuren zum multi-ethnischen Stadtraum bedingen: 1. die Ortsidentität4,
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Allerdings verwende ich diesen Begriff anders als Habermas (1999) nicht in Bezug auf die personale Identität – hier ziehe ich in Anlehnung an andere Formulierungen, wie nationale oder ethnische Identität, den Begriff der lokalisierten
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damit meine ich mit Einschränkung den ‚Habitus‘ eines Ortes. Dangschat (1998: 216) beschreibt diesen als gekennzeichnet „durch eine spezifische lokale Kultur […], welche die Rahmenbedingungen für das Ausmaß sozialer Integration/Desintegration sowie sozialer Toleranz setzt“. Linder (2003) betrachtet dieses Konzept auch als Übertragbar auf ganze Städte, wobei der „Habitus der Stadt als System der Dispositionen und Vorlieben“ betrachtet wird. Diese Lesart hat natürlich einiges für sich, allerdings ist die Definition eines solchen Habitus wiederum Teil von Zuschreibungen, bei Lindner sind es beispielsweise Studenten der Ethnologie, welche zu den Eigenschaften von Städten befragt werden, andere Bevölkerungsgruppen würden vermutlich den Habitus einer Stadt anders beschreiben. Meiner Ansicht nach spielen bei diesem Ranking die Modi der Konsumtion des Ortes, wie ich sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt, insbesondere in Zusammenhang mit dem neuen Kleinbürgertum diskutiert habe, eine entscheidende Rolle. Insofern gehe ich davon aus, dass die Ortsidentität nur dann erfasst werden kann, wenn man neben sozialen, historischen und kulturellen Faktoren ebenso die Wahrnehmung des Ortes durch unterschiedliche soziale Milieus und ethnische Gruppen in den Blick nimmt. Die Ortsidentität betrachte ich als ebenso wenig eindeutig oder gar dauerhaft fixiert, wie die soziale Identität. Sie ist allerdings bestimmten Zwängen, wie der baulichen Struktur und der sozialen oder kulturellen Zusammensetzung in Vergangenheit und Gegenwart unterworfen, welche – ähnlich dem Habitus – die räumlichen Entwicklungsmöglichkeiten gewissermaßen einschränken. 2. Die lokale Lebensstilisierung, also die individuellen beziehungsweise gemeinschaftlichen Strategien der Selbstverortung beim Umgang mit und der Darstellung von Lokalität gegenüber Dritten, wobei diese je nach sozialräumlicher Position und der lokalen Selbstverortung des Adressaten auch variieren kann. Insbesondere bei Migranten und ihren Nachkommen spielen dabei auch die Effekte von Migration und Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt und damit verbundene Tendenzen einer sozialen Mobilität ‚nach unten‘ eine wichtige Rolle (vgl. Modood et al. 1998). 3. Die Interdependenzen zwischen differenten lokalen Lebensstilisierungen, also die Synergien und Konflikte, welche aus der lokalen kulturellen Vielfalt entstehen. Mit anderen Worten sehe ich hier spezifische Formen von Ortspolitiken am Werk, welche die eigene und die Ortsidentität auch vor dem Hintergrund von sozialräumlichen Positionierungen im Stadtraum markieren, repräsentieren und konstruieren.
Identität vor – sondern auf die historischen und sozio-kulturellen Eigenschaften eines Ortes. 179
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An d e r e O r t e : O r t s i d e n t i t ä t und lokale Lebensstilisierung Natürlich ist die Selbstverortung in einem marginalisierten Stadtgebiet – also die Akzeptanz eines Ortes gewissermaßen als Heimat – keineswegs selbstverständlich. Zunächst einmal ist sie im Wesentlichen eine zugeschriebene Lokalisierung, die sich durch den Zuzug in einen Stadtraum ergibt. Im Falle eines marginalisierten Stadtteils ist damit in der Regel auch ein deutliches soziales Stigma verbunden. Während die Jungbuschbewohner zur Beschreibung ihres Stadtteils Begriffe wie multikulturelles Viertel, gefolgt von Hafenviertel aber auch Problemviertel verwenden, sehen sie Zuschreibungen von ortsfremden Personen eher als geprägt durch Begriffe wie Rotlicht oder Ghetto. Es wird dem Jungbusch also von den Bewohnern eine eigenständige Bedeutung zugeschrieben, die anderen Sichtweisen bisweilen konträr gegenüber gestellt ist. Vor dem Hintergrund hegemonialer Diskurse, der lokalen Bevölkerungsstruktur und der ,Geschichte‘ des Quartiers entwickeln sich eigene subalterne Wahrnehmungen der Identität eines Ortes. Die Identität einer Lokalität ist dabei zunächst bedingt durch die sozial-räumliche Geschichte seiner Nachbarschaft als „Gemeinschaft des Ortes“ (Tönnies 1988). Diese bezieht sich beispielsweise auf die Abgrenzung zu anderen nachbarschaftlichen Gemeinschaften, die sich im Laufe der Zeit entwickelt haben. Diese nachbarschaftlichen Abgrenzungen, die in der Regel auf die historisch gewachsene Identität eines Ortes rekurrieren, haben sich in den letzten fünfzig Jahren durch die Zunahme menschlicher Mobilität allerdings in steigendem Maße fragmentiert. Es ist nicht nur die unmittelbare Umwelt, welche die Kontextualität von Nachbarschaften in sich selbst und gegenüber äußeren Bedingungen beeinflusst, sondern – insbesondere im Falle von multiethnischen Stadtgebieten – auch transnationale und globale Faktoren. „On the one hand, communities can exist without being in the same place – from networks of friends with like interests to major religious, ethnic or political communities. On the other hand, the instances of places housing ,single‘ communities in the sense of coherent social groups are probably – and, I would argue, have long been – quite rare“ (Massey 1997: 238). Dies impliziert auch eine Veränderung von jenen Nachbarschaften, in welchen sich ein Individuum bewegt. Face-to-face-communities, Familien oder peer-groups können dabei auch gleichzeitig als Teil verschiedener nationaler, subkultureller, lokaler oder transnationaler „imagined communities“ (Anderson 1983) konzeptualisiert werden. Multi-ethnischer Raum ist insofern auch ein multi-place: Unterschiedliche Gruppen entwickeln jeweils eigenständige Konzepte einer Ortsidentität und Identifikationen mit Lokalität, es bilden sich differente ethnische, soziale, generationelle oder subkulturelle Gemeinschaften innerhalb einer Nachbar180
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schaft. Dennoch zeigt sich, dass im Falle des Jungbusch Lokalität auch als ein ‚besonderer‘, als ‚anderer‘ Ort empfunden wird. Kemal (25): „Ja, der Jungbusch hat halt eben den Ruf, den Sankt Pauli ungefähr in Hamburg hat, nur eben viel kleiner. Das ist es halt eben. Wenn man in Hamburg sagt, dass man in Sankt Pauli wohnt, dann hat man gleich auch einen ganz anderen [uv.]. Das ist so. Aber ich mein, eigentlich hat der Jungbusch einen sehr guten Ruf. Und, also auf die Art zwar ein bissel schon schäbig, ein bissel schon herunter gekommen. Aber dafür werden Filme, die in Mannheim gedreht werden, bevorzugt im Jungbusch gedreht und nicht in der Innenstadt oder am Wasserturm, oder in der Oststadt, sondern halt eben hier gedreht. Und das macht die Gegend schon interessant. Interessanter, als sie wahrscheinlich sogar in Wahrheit ist. Und, ja, das hab ich auch gemerkt irgendwie. Inzwischen bin ich sogar eigentlich auch stolz darauf, hier zu wohnen. Deswegen wohn‘ ich ja auch hier und nicht in der Innenstadt oder in der Neckarstadt. Sondern halt eben hier. Weil, die Straße [gemeint ist seine Wohnadresse, die Jungbuschstraße; E. B.] hat halt schon was zu sagen, find‘ ich. Und dadurch, dass ich schon mein ganzes Leben hier wohne, dann sollte ich auch dazu stehen, find‘ ich [lacht].“
Die hegemonialen Diskurse über den Jungbusch werden von Kemal also durchaus kreativ gedeutet und interpretiert. Zudem wird diese Konzeption der Identität des Quartiers mit der eigenen Lebenssituation beständig abgeglichen. So fühlte sich Kemal, der im Jungbusch aufgewachsen ist, als Kind und Jugendlicher nie ganz zugehörig. Dies führt er auf seine Religion – im Gegensatz zur Mehrzahl der türkischen Migranten in Deutschland und auch im Jungbusch gehören Kemal und sein Familie zur Glaubensrichtung der Aleviten – und auch auf die immanente Gewalt innerhalb von peer-groups seiner Alterskohorte zurück. Daher entwickelte Kemal zunächst eine große Abneigung gegen den Jungbusch, die sich erst in den letzten Jahren, als er während seines Studiums eine zeitlang nicht im Jungbusch wohnte, zum Positiven verändert hat. Die Bedeutung von Lokalität wird hier jedoch nicht unbedingt als identitätsstiftend, sondern als Lebensstilisierung betrachtet. Kemal: „Und für mein Leben, also ich mein, es ist jetzt kein Ort wo ich jetzt ewig leben würde oder so, auch ewig leben will. Sondern es ist schon ’ne Sache, da lebt man halt eben ’ne Weile. Vor allem wenn man jünger ist, ist es sehr attraktiv. Wenn man älter wird eher unattraktiv. Zumindest in dem jetzigen Zustand, ich weiß ja nicht wie es später wird. Aber eigentlich versuchen doch schon die meisten Leute irgendwann aus Mannheim weg zu gehen. [...] Würde ich in Deutschland bleiben, würde ich am liebsten doch eigentlich hier leben. Zumindest in der Innenstadt, in der Nähe vom Jungbusch oder auch wirklich im Jungbusch drin. Könnte ich mir eigent-
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lich schon vorstellen. Aber das ist jetzt keine Volkszugehörigkeit oder so, der Jungbusch. Nichts was auf dem Pass drauf stehen könnte.“
Lokalisierte Identität ist für ihn eben nicht fixiert, wie die nationale Identität. Die Selbstverortung im Jungbusch ist hier eine freiwillige, die auch auf Grund der spezifischen Identität des Ortes existiert und gleichzeitig an spezifische Lebensphasen und Lebensstilisierungen gebunden ist. Bei Marc findet sich eine ähnliche Sichtweise auf den Jungbusch. Obwohl er bereits in den achtziger Jahren in die Güterhallenstraße (statistischer Bezirk Mühlau) zog, und seitdem in verschiedenen Wohnungen im Jungbusch gewohnt hat, spricht er von diesem Quartier als einem spezifischen Typus von Stadtraum, der seinem Lebensstil entspricht. Dennoch hat der Jungbusch für ihn auch etwas Besonderes, eine eigenständige Identität als Stadtteil und eine persönliche Bedeutung: Marc (46): „Mein Lebensmittelpunkt ist der Jungbusch, durch [...] die Szene, die Leute, die ich kenne, mit denen ich zu tun habe. Das Musikmachen. Der Proberaum ist nicht weit von hier. Der [Name eines Freundes; E. B.] wohnt hier, die anderen wohnen zwar weiter weg, aber... Das ist jetzt mal mehr oder weniger zufällig der Jungbusch. Das könnte auch von mir aus jetzt so ein ähnliches Viertel wie die Neckarstadt sein. Aber das ist im Prinzip egal. Beziehungsweise der Jungbusch hat anscheinend doch irgendwas ganz spezielles, was es sonst in Mannheim nicht gibt. Irgendwas ist hier, was halt Jungbusch ist, das gibt es woanders nicht.“
Eine klare lokalisierte Identität im Sinne einer dauerhaften Verortung sieht auch Marc bei sich als nicht gegeben an. Dennoch schließt er grundsätzlich die Existenz einer solchen Verwurzelung keineswegs aus. Dies zeigt sich insbesondere in seiner Beschreibung des „Jungbuschlers“: Marc: „Wobei ich mich jetzt nicht total als Jungbuschler sehe, verstehst? Ich bin ja auch erst hierher gezogen. Natürlich, ich spiele da manchmal mit, dass ich jetzt sag: wir Jungbuschler und so. Das mach ich gern einmal mit, aber ich sehe mich jetzt nicht als Jungbuschler und ich glaube auch nicht, wenn ich wo anders hinziehen würde, dass ich irgendwie Probleme hätte, mich da irgendwie – sagen wir mal – einzuleben. Also nie im Leben.“
Marc unterscheidet hier zunächst zwischen seiner eigenen Einstellung zu Lokalität und seinem Konzept der ‚Jungbuschler‘. Obwohl er manchmal im Spaß die Zugehörigkeit zu dieser lokalen Gemeinschaft behauptet, sieht er sie als definiert durch eine gewisse Ortsfixiertheit. Infolgedessen wird die Konzeption der eigenen Flexibilität in Bezug auf das Wohnviertel von Marc als Argumentation entgegen einer Selbstidentifizierung als ‚Jungbuschler‘ verwendet, da er seiner Ansicht nach keine Probleme hätte, sich in ein neues 182
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Wohnumfeld einzuleben. Die lokalisierte Identität wird hier also tatsächlich als Widerspruch zu Prozessen persönlicher Mobilität und der Befähigung zu Anpassungsleistungen betrachtet. Allerdings relativiert er diese Dichotomie auf meine Nachfrage, was er denn genau mit „Jungbuschler“ meint: E. B.: „Und was wäre jetzt für dich ein Jungbuschler?“ Marc (46): „Ja gut, im Moment sind alle, die im Jungbusch wohnen Jungbuschler, sagen wir mal so. Aber wie gesagt, das ist so, diese Fluktuation ist hier vielleicht schon ein bisschen höher wie in anderen Stadtteilen, kann ich mir vorstellen. Aber ob das jetzt wirklich so ist, weiß ich auch nicht.“
In beiden Beispielen wird der Jungbusch als ‚anderer‘ Ort gesehen, der eine spezifische Ortsidentität besitzt. Gleichzeitig wird das Quartier hier aber nicht notwendigerweise mit einer dauerhaften Beheimatung in Zusammenhang gebracht. Die Konzeptualisierung des Jungbusch entspricht also gewissermaßen dem Prinzip der „Heterotopie“ (Foucault 1991). Heterotopien sind Räume, denen eine besondere Funktion im alltäglichen sozial-räumlichen „Beziehungsnetz“ zukommt: „Es gibt gleichfalls – und das wohl in jeder Kultur, in jeder Zivilisation – wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können. Weil diese Orte ganz andere sind als alle Plätze, die sie reflektieren oder von denen sie sprechen, nenne ich sie im Gegensatz zu den Utopien die Heterotopien.“ (Foucault 1991: 68)
Als Beispiele für Heterotopien nennt Foucault nicht nur den Friedhof oder die Ritualisierung der Entdeckung von Sexualität außerhalb spezifischer Orte, beispielsweise auf der Hochzeitsreise. Auch Bordelle, die Kolonien oder das Schiff betrachtet er als solche Heterotopien. Diese sind dabei auch an einen zeitlichen Faktor gebunden, Foucault (1991: 70) spricht hier auch von einer „Heterochronie“. Heterotopische Räume sind damit auch gebunden an Situationen, in welchen „die Menschen mit ihrer herkömmlichen Zeit brechen“ (Foucault 1991: 70). Gerade in ‚anderen Orten‘ wie dem Jungbusch gibt es tatsächlich eine hohe Zahl von Bevölkerungsgruppen, die sich in einem ‚liminalen Raum‘, in einer Art sozio-kulturellem Zwischenraum befinden. Für Studenten sind diese Orte beispielsweise ein Übergangsraum zwischen Elternhaus und Arbeitswelt. Von Migranten werden sie aber auch als Durchgangsstationen zur hegemonialen Gesellschaft betrachtet, die man auch irgendwann verlassen möchte, sobald man sich in Deutschland heimisch fühlt. Gleichzeitig ist der Jungbusch 183
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aber auch ein ‚normaler‘ Lebensraum für seine Bewohner: Hier findet Alltag statt und es bestehen soziale Bindungen, Netzwerke und Beziehungen. Für junge Migranten stellt er unter Umständen auch eine spezifische Erfahrung von Heimat und Sicherheit dar. ùenol antwortet auf meine Frage, was ihm am Jungbusch gefällt: ùenol (24): „Die Leute. Das ist einfach deine Umgebung. Ist vertraut. Also man fühlt sich hier sicher. Das ist – wie soll ich dir das erzählen? Es ist ja genauso, wenn du jetzt ein Haus hast, ja? Und eine Umzäunung und hast deine zwei Labradore da rumhängen, rumspielen und deine Familie und, und, und. Da fühlst dich ja vertraut. Aber sobald du hinter den Zaun gehst, also vor dem Zaun bist, bist du ja dann schon irgendwo auch unsicher. Ja, weil das ist – da kann dir alles passieren. Aber im Haus drin ist es ja irgendwo selten, dass was vorkommen kann. Und genauso läuft es hier im Jungbusch. Du musst dir das ganze hier so wie ein Haus vorstellen mit Garten [lacht].“
Die ‚Besonderheit‘ des Jungbusch unterstützt also insbesondere bei liminalen Gruppen eine spezifische Form der geistigen Beheimatung. Trotzdem bleibt auch diese Erfahrung nicht unbedingt ungebrochen. Obwohl sich ùenol im Jungbusch heimisch fühlt, möchte er zum Beispiel nicht, dass seine Kinder hier aufwachsen. Auch hier spielen Zukunftsperspektiven wie Kinder und Familie, aber auch berufliche Laufbahn und angestrebter sozialer Aufstieg eine Rolle für die Relevanz von Lokalität für die eigene Identität. Die Wahrnehmung als ‚anderer‘ Ort ist somit ein entscheidender Aspekt bei der Lokalisierung eines multi-place, in dem sich spezifische Gemeinschaften mit differenten Lebensstilen in liminalen Lebensphasen begegnen. Die Identifizierung mit Lokalität ist dabei allerdings kein ‚natürlicher‘ Prozess, denn eine dauerhafte Verortung wird von diesen liminalen Gruppen nicht unbedingt angestrebt. Die Beheimatung verläuft hier also nicht lediglich anhand von roots als permanente oder fixierte Identität, sondern als teilweise temporäre Verortung in einer spezifischen lokalen Umgebung. Im Falle eines marginalisierten und stigmatisierten Stadtteils wie dem Jungbusch findet dabei auch eine Umkehrung der hegemonialen Diskurse über den Stadtteil statt. Die von den Bewohnern deutlich wahrgenommene Stigmatisierung als Getto, Rotlicht- oder Problemviertel wird umgedeutet durch eine Gegenüberstellung des eigenen Quartiers mit anderen – als bürgerlicher wahrgenommenen – Stadtteilen. Während der eigene Stadtraum als lebendig, bunt und alternativ beschrieben und ihm so auch ein spezifischer Flair attestiert wird, werden andere Stadtteile als ruhig, wenig interessant oder weniger alternativ beschrieben. In diesem Sinne lässt sich auch eine Kongruenz zwischen Selbstbild und Stadtteil feststellen, die sich in unterschiedlichen Konzepten des Stadtraums äußert. Diese Konzepte entstehen auch auf Grund spezifischer Annahmen über 184
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die Existenz lokaler Gemeinschaften – wobei hier stärker als bei der Produktion einer imaginierten lokalen Gemeinschaft durch spatial brokers – bestimmte Bewohnergruppen tendenziell exkludiert werden.
‚Place‘ 1: Heimat und Beharrlichkeit – eine emotionale Verortung „Die Jungbuschbevölkerung ist überaltert.“ „Die Bewohner sind alle schon über 70.“
Diese Aussagen wurden unabhängig voneinander und bei verschiedenen Gelegenheiten von einem Rentner, der im Jungbusch aufwuchs und eine starke Verbindung zum Jungbusch pflegt und von einer Bewohnerin, ebenfalls im fortgeschrittenen Alter, geäußert. Sie zeigen, ähnlich wie Marcs Erwähnung der ‚Jungbuschler‘, eine spezifische Konstruktion einer örtlichen Gemeinschaft, deren Merkmale zunächst einmal näher in den Blick genommen werden sollen. Auffällig ist dabei, dass bei der Gesamtheit der Bevölkerung im Jungbusch keine Überalterung festgestellt werden kann. Im städtischen Vergleich ist der Jungbusch sogar ein verhältnismäßig junger Stadtteil. Wie kann es also zu diesen Aussagen kommen? Auf wen bezieht sich hier der Begriff Bewohner und wer wird hier bei der Produktion einer Gemeinschaft des Ortes exkludiert oder zumindest ignoriert? In Anbetracht der Tatsache, dass insbesondere die Wohnbevölkerung mit Migrationhintergrund zur demographischen Verjüngung des Stadtteils beiträgt, könnte diese Aussage zunächst als Form eines „discriminatory repertoires“ (vgl. Blokland 2003) verstanden werden und dieses Verständnis wäre sicherlich grundlegend richtig. Allerdings würde die Komplexität der historischen und praxisrelevanten Zusammenhänge, die zu einem solchen Selbstbild als ‚Bewohner‘ beigetragen haben, ignoriert. Dieses Selbstbild hängt wesentlich zusammen mit den Veränderungen in der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in den letzten 60 Jahren. Diese Entwicklung lässt sich zwar objektiv demographisch feststellen, schlägt sich aber im Bewusstsein bestimmter Bevölkerungsgruppen sehr subjektiv nieder. Diese ‚gefühlte‘ Demographie verweist auf spezifische Blindstellen in der Definition des Begriffs Jungbuschbevölkerung, die insbesondere mit der starken Abwanderung deutscher Bevölkerungsgruppen seit den 60er Jahren zusammen hängt. Die ursprünglich existente „Gemeinschaft des Orts“ (Tönnies 1988), die tatsächlich weitgehend durch face-to-face-Beziehungen geprägt war, hat sich seitdem stark dezimiert. Nachfolgende Generationen sind oftmals nicht im Jungbusch geblieben. Gleichzeitig schrumpft die alteingesesse185
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ne Gemeinschaft altersbedingt auch weiterhin. Renate unterscheidet hier zwischen ‚Jungbuschlern‘ allgemein und sozusagen ‚autochthonen‘ Jungbuschbewohnern und verweist darauf, dass die alteingesessene Bevölkerung im Stadtteil kaum noch existent ist: „Richtig alte Jungbuschbevölkerung haben wir in dem Sinne gar nicht mehr.“ Obwohl sie selbst als Tochter einer ‚alteingesessenen‘ Familie qua Definition selbst zur ‚richtigen‘ Jungbuschbevölkerung gehört, war der Jungbusch in ihrem Leben lange Zeit nebensächlich. Trotzdem hat sie die Veränderungen in der Sozialstruktur durchaus bemerkt: Renate (48): „Man hat zwar dann mitgekriegt, der eine oder andere / nach und nach sind die Leute weg gezogen. Weil es zu laut war und .. muss man das Kind beim Namen nennen, weil sie tatsächlich Angst hatten vor der Überfremdung.“
Renate begründet die Abwanderung deutscher Bevölkerung im Wesentlichen durch die besonderen Bedingungen im Quartier selbst, also durch pushFaktoren und nicht durch pull-Faktoren, wobei die zunehmende Wahrnehmung des Jungbusch als Raum ‚fremder‘ Kultur keine geringe Rolle spielte. Die Abwanderung deutscher Wohnbevölkerung und der Zerfall der ‚Nachbarschaft‘ hat aber sicherlich auch mit dem Faktor des geringen Freizeitnutzwertes des Jungbusch zu dieser Zeit, besonders während der 60er, 70er und 80er Jahre zu tun. Neben der hohen Zahl von Migranten spielte dabei die Verwandlung des Quartiers in ein Rotlichtviertel eine zentrale Rolle bei der Zuspitzung ortsspezifischer Problematiken. Die heute noch im Jungbusch lebenden Alteingesessenen sind dabei nur noch der verbliebene ‚Rest‘ einer Gemeinschaft, die durch die hohe Abwanderungsrate stark dezimiert wurde. Die besondere Identifikation mit dem Stadtteil, die als maßgebliches Merkmal für die Konstruktion einer Identität als ‚Jungbuschler‘ von älteren, zumeist deutschen Bewohnern betrachtet wird, resultiert auch aus der Verknappung des lokalen sozialen Kapitals durch den Wegzug von Angehörigen der Mittelschicht. Dieser Prozess verschärfte noch die soziale Entwertung des Wohngebiets und führte nach und nach zur weiteren unfreiwilligen Exklusion der verbliebenen Bevölkerung aus bestehenden sozialen Beziehungsgeflechten und zur Inklusion derselben in eine lokale Gemeinschaft, welche versuchte, aus der Not eine Tugend zu machen. Eine positive lokalisierte Identität wird damit oftmals als Teil der Vergangenheit betrachtet, als Relikt einer ‚guten alten Zeit‘, in der eine Identifikation mit dem Jungbusch entgegen anderer lokalisierter Identitäten beziehungsweise Nachbarschaften, wie beispielsweise der Filsbach, verstanden werden konnte. Frau Müller, die nach dem Zweiten Weltkrieg zu ihrem Mann in den Jungbusch zog, beschreibt dieses Verhältnis und die damit einhergehende Definition von ‚Jungbuschlern‘ als ehemals dörfliche lokale Gemeinschaft.
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Fr. Müller (71), Rentnerin: „Früher war man ein echter Jungbuschler, wenn man innen drin war [lacht]. Na ja, heute ist das, mal sagen, früher hat man gesagt: das andere ist die Filsbach. [...] Ich bin froh, da bei uns, ab dem Ring, ist das mehr innerlich. Früher, wo man noch nicht die Gaststätten und verschiedene Sachen gehabt hat, da war morgens, Sonntagmorgens, der Jungbusch wie ein Dorf. Und den Dorfcharakter hat er verloren. Das ist es nicht mehr. Aber Sie werden dann wieder merken, wenn Sie über den Ring rüber kommen, dass dann wieder eine andere Welt los geht. So also bis da rum (zeigt mit dem Arm), da kennen sich die Leute wieder eher untereinander. Und weiter runter zu, gibt es dann wieder einen furchtbaren Durchgangsverkehr. Da hat man gar niemand, wo praktisch dazu gehört, das ist alles ein bisschen / Aber was man wirklich zum Jungbusch zählt? Ich weiß halt, dass ich im Jungbusch wohne [lacht].“
Obwohl der Jungbusch also früher einen ‚Dorfcharakter‘ hatte, sieht Frau Müller diesen heute nicht mehr als gegeben an. Bei ihrem Konzept des Quartiers als Dorf spielt tatsächlich der face-to-face-Charakter von Beziehungen eine wichtige Rolle. Dabei hat aber zunächst die Ortsansässigkeit die lokale Identität bestimmt: Man war ein ‚echter Jungbuschler‘, wenn man zentral im Jungbusch wohnte. Lokale soziale Beziehungen und Ortsansässigkeit werden hier praktisch als kongruent empfunden. Den Niedergang des dörflichen Charakters sieht Frau Müller als bedingt durch die Entwicklung des Quartiers zum Vergnügungsviertel. Doch auch städtebauliche Veränderungen – wie beispielsweise der Ausbau von Straßen – führten zu einer Desintegration der lokalen Gemeinschaft. Herr Franke, ein Hausbesitzer im Jungbusch, dessen Großvater bereits hier gewohnt und gearbeitet hat, spricht in diesem Zusammenhang auch von einem Heimatgefühl. Dieses sei allerdings in der Gesellschaft allgemein und im Jungbusch im Besonderen bedingt durch die spezifischen lokalen Verhältnisse wie enge Bebauung, schlechtes Image und eine hohe Fluktuation der Wohnbevölkerung verloren gegangen. Herr Franke (68), Rentner: „Früher hat man 30, 40 Jahre gewohnt. Es sei denn, man hat ein Haus bauen oder kaufen können und andere Möglichkeiten, vergrößern können, ist man wohnen geblieben. Und da war man irgendwie daheim. Und das müsste wieder, das Gefühl müsste wieder werden. Das man sagt: Ich wohn da, das ist meine Heimat. Und dann müsste das Image vom Jungbusch sich verbessern.“
An anderer Stelle erklärt er sein eigenes Verhältnis zum Jungbusch: E. B.: „Und gibt es was, was Ihnen jetzt nicht gut gefällt am Jungbusch?“ Hr. Franke: „Ja sicher. Dass die Fluktuation sehr groß ist. Dass für die Menschen das keine Heimat ist. Jeder schwärmt: ‚Ach, wenn ich eine andere Wohnung krieg, dann zieh ich aus.‘ Und das gefällt mir nicht ganz, dass man sagt: Die wo nicht so 187
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
lang wohnen, die empfinden es als Schmach, im Jungbusch zu wohnen. Ich sag immer, mir gfallt’s im Jungbusch, ich bin zufrieden, ich lebe gut im Jungbusch.“
Mit dem Hinweis darauf, dass ein Heimatgefühl neu entstehen könnte, wenn sich das ‚Image‘ des Jungbusch wieder verbessert und die Leute es nicht als ‚Schmach‘ empfinden, dort zu wohnen, zeigt sich auch eine Besonderheit in der Wahrnehmung des Verhältnisses von Lokalität und Identität: Lokalisierte Identität in der Gegenwart wird hier nicht verstanden als ‚gegeben‘, sondern vielmehr als ‚angeeignet‘. Die Vorstellung einer örtlich fixierten Identität qua Geburt und Wohndauer wird hier tatsächlich umgedeutet und den äußeren Bedingungen angepasst zu einer Identifizierung mit Lokalität. Neben dem von Herrn Franke erwähnten Heimatgefühl, aber auch der ‚Schmach‘, im Jungbusch zu wohnen, spielen auch andere Emotionen eine Rolle: Frau Müller betrachtet ihren Verbleib im Stadtteil auch nach dem Tod ihres Ehemannes daher als Charakterfrage, als ‚Sturheit‘. Frau Müller: „Ich bin ein sturer Mensch. Und wenn mir in der Firma jemand sagt: ‚Man kann nicht da wohnen, wo Ausländer wohnen‘, da habe ich mich immer gewurmt. Und wenn jetzt jemand da gewohnt hat und ist früher nicht ‚Jungbusch‘ gefahren, sondern ‚Rheinstraße‘, dann habe ich mich über den auch geärgert. Haben früher viele gemacht.“ E. B.: „Was heißt das?“ Frau Müller: „Jungbusch hat man nicht so gern gehört. Rheinstraße war etwas vornehmer. Da hat man da bei den Fahrkarten dem Schaffner noch sagen müssen, wie man fährt. Dann haben sie ‚Rheinstraße‘ verlangt und ‚Jungbusch‘ sind sie ausgestiegen.“
Der Scham oder der ‚Schmach‘, die durch den Verfall der Nachbarschaft seit den 60er Jahren das Lebensgefühl von Bewohnern im Jungbusch prägte, wird dabei mit Strategien begegnet, welche das Selbstbild mit alters- und milieuspezifischen positiven Werten besetzen: mit Heimatverbundenheit oder mit einer gewissen Beharrlichkeit. Die Selbstverortung im Jungbusch wird hier in erster Linie nicht als positive Identifikation beschrieben, beispielsweise im Sinne von Stolz auf lokale Spezifika wie Gebäude, Geschichte, Personen etc., sondern als Standorttreue entgegen vieler Widerstände. Diese ‚Sturheit‘ ebenso wie eine Art Verantwortungsgefühl für den eigenen Stadtteil, die sich beispielsweise in einem ehrenamtlichen Engagement äußern beziehungsweise in einer Haltung, die das ‚Wegsehen‘5 ablehnt, wer5
Diese Praxis, die sich auch in einer gewissen Kontrolle des Verhaltens von anderen Bewohnern im öffentlichen Raum äußert, mutet in der Realität sehr gewöhnungsbedürftig an. So machte ein ‚Jungbuschler‘ nach einer Aktion zur Begrünung der Baumscheiben eine Passantin mit Hund lautstark und in etwas barschem Tonfall darauf aufmerksam, dass sie diesen gefälligst anderswo ausfüh-
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KAPITEL 7 – ORTSPOLITIKEN UND SELBSTVERORTUNGEN
den dabei als spezifisches Merkmal der verbliebenen Alteingesessenen betrachtet. Im Gegensatz dazu wird abgewanderten Bewohnern ein gewisses Heimatgefühl gegenüber dem Jungbusch abgesprochen. Herr Franke sieht sogar in den ehemaligen Bewohnern die stärksten Kritiker des Quartiers. Auf meine Frage, was Menschen, die den Jungbusch nicht persönlich kennen für Vorstellungen über den Jungbusch haben, gibt Herr Franke folgende Antwort: Herr Franke: „Rotlichtviertel, schlechtes Viertel, kann man nicht drin leben. Und wenn Sie dann nachfragen, dann haben sie mal im Jungbusch gewohnt, sind im Jungbusch groß geworden und sind heute ganz begeistert, dass sie weggegangen sind. Im Moment ist das Image oder die Möglichkeit im Jungbusch – außer junge Leute, die sind so problemloser, wenn sie herziehen – aber die länger in Mannheim wohnen, die würden auf keinen Fall in den Jungbusch ziehen.“
Er unterstellt hierbei Menschen, die schon einmal hier gewohnt haben, eine ähnliche oder sogar negativere Einstellung gegenüber dem Jungbusch, als anderen Bürgern Mannheims. Lediglich junge Leute, die neu nach Mannheim kommen, haben seiner Ansicht nach dieses Vorurteil nicht. Herr Franke erwartet von der ehemaligen Bevölkerung des Jungbusch kein Zugehörigkeitsgefühl, sondern im Gegenteil unverhohlene Ablehnung gegenüber dem Stadtteil. Frau Müller und Herr Franke verweisen damit beide darauf, dass das Verbleiben im Stadtteil auch eine aktive Identifizierung mit dem Quartier und eine Form von Widerstand gegen hegemoniale Wahrnehmungen darstellt. Der Faktor, im Jungbusch geboren und aufgewachsen zu sein, definiert also nicht notwendigerweise die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft. Vielmehr wird die Verbundenheit mit dem Jungbusch, beziehungsweise das Ausharren im Stadtteil während der Jahre seines ökonomischen und sozialen Niedergangs, als Merkmal lokaler Zugehörigkeit betrachtet. Die Gemeinschaft der ‚Jungbuschler‘, die ihre lokalisierte Identität durch verschiedene Formen der Ortspolitiken auch weiterhin pflegt, basiert somit auch auf der Akzeptanz der eigenen Position im sozialen Raum der Stadt, die man selbst als ‚kleines Rädchen im System‘ einnimmt. Die damit einhergehende Rückbesinnung auf einen spezifischen Wertekodex der gegenseitigen Solidarität und der Verantwortlichkeit für das Quartier und seine Gemeinschaft wird insbesondere für Angehörige des traditionellen Arbeitermilieus als typisch betrachtet (vgl. Vester 2005).6 Doch im Falle der Reproduktion von lokaler Gemeinschaft im
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ren solle. Auch mich erschreckte die Heftigkeit dieses Ausbruchs. Diese resultierte allerdings auch aus einer Vielzahl negativer Erfahrungen bei Versuchen, eigene Vorstellungen korrekter Verhaltensweisen im öffentlichen Raum tatsächlich aktiv durchzusetzen. Dies kann mit der industriell geprägten Arbeitswelt in Verbindung gebracht werden. So erklärt Robertson (2006: 11) den Zusammenhang zwischen mining 189
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
Jungbusch sind keineswegs nur Angehörige eines traditionellen Arbeitermilieus beteiligt, vielmehr findet hier eine Revitalisierung von solchen traditionellen Werthaltungen auch durch Angehörige anderer Milieus statt. Die quasi-natürliche Beziehung zwischen Lokalität und Gemeinschaft wurde durch die negativen Entwicklungen vor Ort nachhaltig gestört und es bildeten sich neue Praktiken zur Produktion lokalisierter Identität. So trifft sich die noch im Stadtteil verbliebene Gemeinschaft der autochthonen Jungbuschbevölkerung regelmäßig bei Veranstaltungen, insbesondere bei festlichen Gelegenheiten. Diese Veranstaltungen, die vom Bewohnerverein organisiert werden, sind die wichtigsten Gelegenheiten für gemeinsame Aktivitäten. Sie werden in geringem Maße auch von ehemaligen Bewohnern des Quartiers besucht, die sich teilweise immer noch im Verein engagieren. Insofern trifft sich hier nicht notwendigerweise eine aktuelle Wohnbevölkerung, sondern auch eine weiterhin mit der lokalen autochthonen Gemeinschaft sympathisierende Gruppe ehemaliger Bewohner. Diese definieren sich zwar selbst nicht mehr als Jungbuschbewohner, fühlen sich aber dennoch der Gemeinschaft der Alteingesessenen zugehörig, teils durch das Aufwachsen, teils durch jahrelanges Wohnen im Viertel. Obwohl zu diesen Veranstaltungen regelmäßig die gesamten ‚Bewohner‘ des Quartiers eingeladen werden, treffen sich hier allerdings im Wesentlichen Teile der deutschen Bevölkerung, die sich größtenteils im Rentenalter befinden. Die migrantische Bevölkerung ebenso wie jüngere Bewohner sind bei diesen Gelegenheiten kaum vertreten, was auch an dem volkstümlichen Charakter der Veranstaltungen liegen dürfte. Dieser ergibt sich durch die Konstruktion einer spezifischen lokalen Jungbuschidentität gepaart mit einem Rückbezug auf eigene – sowohl kulturelle als auch lokale – Werte und Traditionen, die von dieser Alterskohorte als besonders relevant empfunden werden: Dazu gehören Weihnachtsfeiern, Faschings- und andere Tanzveranstaltungen, die mit spezifischen kulturellen Praxen, wie dem Konsum von Alkohol, Hausmacherkost oder Schlagermusik verbunden sind. Der lokale Bezug entsteht durch Liedgut wie das ‚Sackträgerlied‘ oder die Verleihung des Sackträgerpreises und den Inhalt von Redebeiträgen, aber auch durch lokale Erinnerungsarbeit, welche insbesondere durch die Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit geprägt ist. Bei Spaziergängen mit Bewohnern dieser Generationen durch den Stadtraum werden besonders Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs (FlakStandorte, zerstörte Gebäude, Evakuierungen etc.) und die damalige soziale und wirtschaftliche Infrastruktur (ansässige Einzelhändler, Kneipen, Firmen, Hafen etc.) thematisiert. landscapes und der Produktion von dauerhaften lokalen Gemeinschaften mit den spezifischen Arbeitsbedingungen des Bergbaus: „In fact the physical and economic challenges of mining life often produce communities with a marked ability to endure.“ 190
KAPITEL 7 – ORTSPOLITIKEN UND SELBSTVERORTUNGEN
Neben den ritualisierten Formen der Gemeinschaftsproduktion durch Feste, werden daher auch kontinuierlich die lokalen Erinnerungen dieser Alterskohorte, die während oder kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, in den gegenwärtigen Stadtraum Jungbusch inskribiert. Hier ist es insbesondere die erinnerte Ortsidentität, die in die Ortspolitiken der Gegenwart einfließt. Trotz der Verwendung des allgemeinen Begriffs ‚Bewohner‘ sowohl beim Namen des Vereins als auch bei Veranstaltungshinweisen, findet so eine subtile Abgrenzung statt, die zu einer Ausschließung jüngerer beziehungsweise migrantischer Bevölkerung führt. Diese ist allerdings von den Protagonisten nicht intendiert und wird eher als mangelndes Interesse an der lokalen Gemeinschaft gewertet, denn als immanenter Konflikt unterschiedlicher kultureller Praxen.
‚Place‘ 2: Durchgangsraum? Diasporischer Raum und soziale Mobilität Frau Donati (46): „Der Jungbusch war mal früher wie eine Familie, da haben sie alle zusammen gehalten.“
Die Bedeutung von „ethnoscapes“ (Appadurai 1990) bei der Produktion von Nachbarschaft als „diasporic space“ (Kaya 2001) wird besonders mit den Anfangsjahren von Migrationsbewegungen in Zusammenhang gebracht. Ähnlich dem Konzept der „hemúerilik“ (Faist 2004: 28) – also der Netzwerke in Bezug auf Arbeits- oder Wohnungssuche im Einwanderungsland unter türkischen Migranten aus demselben Dorf – wird von verschiedenen ethnischen Gruppen der Jungbusch mit einem lokalisierten sozialen Netzwerk transnationaler Beziehungen in Verbindung gebracht. Diese lokalisierten transnationalen Netzwerke funktionieren zum Teil immer noch, dennoch werden sie weitgehend als Relikte der Vergangenheit betrachtet. Lediglich in einem Fall wird die Relevanz des diasporischen Raums Jungbusch auf Grund der sozialen Distanz zu Deutschen durch mangelnde Sprachkenntnisse als ein Vorteil benannt. Denn ähnlich wie die alteingesessene Jungbuschbevölkerung vermerken auch Migranten einen Verfall lokaler Gemeinschaft, wobei hier ebenfalls der hohe Anteil von Migranten und die Abwanderung deutscher Wohnbevölkerung für diesen Prozess verantwortlich gemacht werden. Die von Kaya (2001: 138) attestierte gefühlte Sicherheit im diasporischen Raum wird dabei häufig nicht bestätigt, vielmehr stehen auch Migranten der Bedeutung des Quartiers als Einwanderungsviertel mit gemischten Gefühlen gegenüber. Somit stellt sich das Verhältnis zum Jungbusch als transnationaler oder Diaspora-Raum aus der Sicht der Betroffenen wesentlich komplexer dar: Einerseits wird der Zusammenhalt betont, andererseits werden auch soziale Problematiken und die Realitäten ethnischer Diskriminierung und Konflikte deut191
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
lich wahrgenommen. Insofern machen sich hier auch Strategien einer EntNetzung, eines Rückzugs aus diasporischen Netzwerken, bemerkbar. Gershon (2007: 489) spricht in diesem Zusammenhang von „techniques for disentangling“, also einer Vermeidung ökonomischen und sozialen Kontakts in der Diasporasituation. Obwohl in Gershons Konzeption dabei insbesondere die Verweigerung der Erfüllung familiärer Verpflichtungen gemeint ist, finden ähnliche Prozesse auch beim Rückzug aus nicht-familiären Netzwerken statt: Anstatt beispielsweise den Kontakt mit anderen Migranten zu suchen, gibt es auch Strategien, diesen Kontakt zu meiden. Eine solche Strategie der Distanzierung vom Jungbusch und seiner Qualität als diasporischem Raum findet sich bei der Familie Donati. Herr und Frau Donati, die beide aus Familien mit Migrationserfahrungen stammen – sie ist als Tochter eines Italieners und einer Deutschen in Deutschland aufgewachsen, er kam als Kind mit seinen Eltern nach Deutschland – und seit 1987 im östlichen Teil des Jungbusch wohnen, beschreiben diesen als eine eigene Welt, mit besonderer Bedeutung für Migranten, von der sie sich allerdings selbst distanzieren: Frau Donati (46), Teilzeitbeschäftigte: „Sagen wir: der Jungbusch war / die ersten Immigranten sind alle in den Jungbusch. Italiener waren die ersten, dann kamen die Spanier, Jugoslawen. Und die haben dann alle zusammen gehalten. Früher war das ein Immigrantenviertel. Aber nach und nach: die meisten sind zurück nach Italien, oder nach Spanien, Jugoslawien.“ Herr Donati (49), arbeitslos: „Aber viele Italiener sind auch wieder zurück“ // Sie: „Ein Teil ist dann wieder zurück gekommen, ist dann wieder in den Jungbusch rein. Da haben sich dann Bekannte wieder um Wohnungen drin gekümmert. Der Jungbusch ist halt irgendwie – er gilt als verrufen, ist aber auf der einen Seite nicht verrufen. Weil das ist wie so ein Zusammenhalt, wo die halt da drin haben.“ Er: „Wie gesagt: früher“ // Sie: „Ein Teil ist auch darin aufgewachsen. Sagen wir mal so: wer schlechte Straße[n] nehmen will, der nimmt sie und wer gerade gehen, der geht gerade. Lokale hat es schon immer drin gegeben.“ Er: „Und da waren viele Italiener drin, Jungbusch, viele Italiener.“ Sie: „Und nach und nach, der größte Teil ist nach Ludwigshafen rüber gezogen, wo wir kennen.“ Er: „Oder nach Italien.“ Sie: „Oder nach Italien zurück. Ältere auf jeden Fall dann, wo ihre Rente kriegen und wieder zurück gehen.“ Er: „Ältere nicht, aber Junge.“ Sie: „Junge gehen auch. Aber die kommen auch wieder zurück, dass ist es dann auch wieder. Die müssen dann wieder von vorne anfangen.“ E. B.: „Und sind die dann so auch also gezielt jetzt hier in die Gegend gezogen? Also war das dann so, dass die Leute gesagt haben: ,Da sind Italiener, da wollen wir hin?‘“ 192
KAPITEL 7 – ORTSPOLITIKEN UND SELBSTVERORTUNGEN
Sie: „Nee, nee. Italiener hat es ja überall gegeben, das hat ja mit dem Jungbusch nichts zu tun. Nur halt bestimmte haben halt schon Verwandte drin gehabt und da war zum Beispiel eine Wohnung leer und dann hat es geheißen: ‚Komm rüber, da ist eine Wohnung frei für dich, kannst gleich einziehen‘. Und so nach und nach / das haben dann die Spanier so gemacht. Zum Beispiel in dem Haus [deutet auf das Nebenhaus; E. B.], wenn zum Beispiel eine Wohnung leer war, hat man gesagt: ‚Hör mal zu, da ist eine Wohnung leer‘. Und das hat man halt früher über Mundpropaganda gemacht. Und dann waren die Wohnungen halt auch billig, weil der Jungbusch als verrufen gegolten hat und dann waren die Mieten auch nicht so hoch.“
Der Jungbusch wird hier ganz spezifisch mit der Geschichte der Migration nach Mannheim verknüpft, wobei die Pioniere unter den Migranten auch die Rolle von lokalen Experten einnahmen. Die Beziehungsnetzwerke innerhalb einzelner ethnischer Gruppen dienen als lokales soziales Kapital, welches vor Ort nutzbar gemacht werden kann und die anfänglichen Hürden eines Neuanfangs in Deutschland vereinfachten. Trotz des negativen Images des Jungbusch wird in diesem Beispiel in erster Linie der Zusammenhalt betont und nicht die äußeren Zwänge, wie Einwanderungsbeschränkungen und Segregation des Wohnungsmarktes, die diese Formen der Solidarität erst notwendig machten. Auch die Donatis sind für einige Jahre nach Italien zurückgekehrt, haben sich dann aber für ein Leben in Deutschland entschieden. Mit ihren beiden Söhnen bewohnen sie zunächst eine Zwei-Zimmer-Wohnung im Jungbusch, später ziehen sie in eine größere Wohnung im selben Haus. Auch die Mutter von Herrn Donati wohnt im Haus und ist auf Grund ihres Alters und geringer Deutschkenntnisse auf die Hilfe ihrer Familie angewiesen. Innerhalb der Hausgemeinschaft haben die Donatis eine Schlüsselfunktion inne, sie leben mit am längsten im Haus und sind die Ansprechpersonen für die Hausverwaltung, aber auch für die übrigen Bewohner. Sie sehen sich allerdings selbst nicht als Jungbuschler, sondern distanzieren sich von den Leuten „da drin“. Deren Netzwerke beschreiben sie als suspekt, denn die internen lokalen Beziehungen im Jungbusch werden hier nicht als soziales Kapital, sondern als Merkmal einer ‚schlechten Gesellschaft‘ verstanden. Diese negative Wahrnehmung diasporischer oder transnationaler Gemeinschaften ist keineswegs ein Einzelfall. Die Beschreibung des Jungbusch als Verortung von in sich verschworenen migrantischen Gruppen findet sich auch bei Gamze und Erkan, die nach ihrer Heirat in den Jungbusch gezogen sind. Beide möchten nicht im Zentrum des Quartiers leben, da sie hier die soziale Kontrolle, insbesondere durch die eigene ethnische Gruppe, als zu stark empfinden. Besonders Gamze, die erst seit kurzem aus Istanbul zu ihrem Mann – der als Sohn türkischer Migranten in Deutschland aufwuchs – gezogen ist, empfindet die soziale Zusammensetzung des Quartiers als überraschend. Als 193
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
frisch gebackene Immigrantin hatte sie sich vorgestellt, sie würde sich nun in die ‚deutsche Kultur‘ integrieren müssen. Der Jungbusch erinnert sie allerdings eher an die Türkei. Besonders die Nutzung des öffentlichen Raums als Treffpunkt und Aufenthaltsort empfindet sie für sich selbst und ihre Lebensvorstellungen als problematisch. Erkan fasst die Eindrücke seiner Frau, die gerade dabei ist, deutsch zu lernen, zusammen: Erkan (30): „Sehr viele Menschen auf den Straßen, sehr viele Türken, sehr viel – also jetzt nicht negativ – aber es ist eben so alles sehr laut, sehr viele Kinder auf den Straßen und so. Also man hat wenig Intimsphäre. Ich denk’, dass es sie vielleicht auch an Istanbul ein bisschen erinnert.“ [er fragt auf Türkisch nach; E. B.] Gamze (31), Lehrerin: „Evet, evet.“ [Ja, ja; Übersetzung E. B.] Erkan: „Ich meine, da in dem Viertel, wo sie jetzt auch in Istanbul gewohnt hat, also da sind nur Menschen auf der Straße. Da sitzen die Leute nicht in ihren Wohnungen zum Fernsehen. Die hocken sich auf die Straße und gucken fernsehen. Oder die essen auf der Straße, die sind den ganzen Tag auf der Straße. Und das ist halt dann sehr laut. Also ständig Menschen und du kannst / Also bei allem, was du machst, wirst du beobachtet und immer, wenn du auf die Straße gehst, gucken die Leute und so. Also ich denke, dass sie auch deshalb vielleicht nicht unbedingt da wohnen will. Weil auch, ich meine, da gucken die Leute halt ständig. Und hier ist man noch ein bisschen am Rand. Also hier ist man eigentlich relativ ungestört.“
Der Stadtraum als diasporischer Raum wird in beiden Fällen also durchaus nicht nur mit positiven Faktoren in Verbindung gebracht, beispielsweise mit sozialem Beziehungssystemen, Sicherheit oder ethnischer Vielfalt, sondern auch als Einschränkung der Privatsphäre und der persönlichen Lebenschancen und Lebensziele verstanden. Hingegen wird die ‚heile‘ Welt des Jungbusch der ersten Migranten als ein Ort beschrieben, an dem Deutsche und ausländische Bewohner in Kontakt zueinander standen, beziehungsweise das Quartier durch eine höhere Zahl deutscher Bewohner gekennzeichnet war. Costas, dessen Vater aus Griechenland nach Mannheim kam, ist im Jungbusch aufgewachsen und lebt auch heute mit seiner Familie hier. Er beschreibt diese Zeit aus seiner Sicht: Costas (35), Selbstständig: „Damals war also / die Hochzeiten und die Taufen und die Verlobungen, die wir hier gefeiert haben, das ist für die Leute heute gar nicht mehr nachvollziehbar. Weil wir waren ganz normal der Grieche um die Ecke für den Durchschnitts-Gutbürgerlichen, oder Durchschnittsdeutschen, der hier gelebt hat. Die Struktur, die Publikumsstruktur in dem Stadtteil war damals halt auch ganz anders. Das war ein normales Arbeiterstadtviertel. Nur so Arbeiter, Angestellte und so weiter. Aber überwiegend, von der Aufteilung her, das waren schon 80% Deutsche
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KAPITEL 7 – ORTSPOLITIKEN UND SELBSTVERORTUNGEN
damals. Also – oder 70%. Von der Vermischung her war das so, doch schon so bisschen wie die Neckarstadt/Ost7 jetzt, weißt du.“ E. B.: „Und die Leute, die jetzt hier Hochzeiten oder Taufen gefeiert haben, waren das eher Griechen?“ Costas: „Nein, nein, das waren Deutsche. Deutsche und Griechen, damals zu der Zeit.“
Nicht nur die Abwesenheit deutscher Wohnbevölkerung, auch die eher problematische Sozialstruktur wird hier als Merkmal der Gegenwart im Viertel betrachtet. Ähnlich wie im Fall des Ehepaars Donati wird auch von Costas die aktuelle Situation des Quartiers als defizitär im Vergleich zu früher betrachtet. Diese Idealisierung der Vergangenheit, wie sie sich auch bei der alteingesessenen Bevölkerung findet, ist sicherlich kein Phänomen, welches auf den Jungbusch begrenzt wäre. Dennoch lassen diese Beschreibungen Schlüsse auf die Wahrnehmung der gegenwärtigen Situation zu. Trotz der Bedeutung des Quartiers als diasporischer Raum, werden das Gefühl von Zugehörigkeit und die Identifikation mit dem Stadtteil nicht nur mit der Anwesenheit deutscher Bevölkerungsgruppen, sondern auch mit einer spezifischen Sozialstruktur in Verbindung gebracht. Die Bedeutung transnationalen sozialen Kapitals (vgl. Pries 1998; Faist 2004), welches besonders für die erste Generation von Migranten eine Rolle spielt, scheint mit zunehmender Verweildauer im Residenzland bei der zweiten Generation teilweise negativ konnotiert zu sein.8 Obwohl auch die persönlichen Netzwerke teilweise aus dieser Situation entstanden sind, wird deren Nutzen für die persönliche Situation der Gegenwart negiert und verstärkt auf den Mangel an verwertbares – das heißt in symbolisches Kapital konvertierbares – soziales Kapital verwiesen. Costas: „Ich muss schon 110% bringen, damit ich gleichwertig bin.“
Besonders die für Personen mit Migrationshintergrund erschwerte Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt führt zu einer, auch also solcher wahrgenommen, Kumulation von Problemen. Trotz der weiterhin hohen Zahl von Migranten im Jungbusch und der durchaus existenten Identifikation mit der nationalen Identität des Herkunftslandes, hat die Bedeutung des Quartiers als diasporischer Raum für diese Personen – auch im Zuge einer Verringerung der Zuwanderung eigener Landsleute – abgenommen. Die damit verbundenen sozialen Beziehungen bestehen für Migranten der zweiten und dritten Generation ohnehin eher formal. Von größerer Bedeutung sind nun Freundschafts7 8
Die Neckarstadt/Ost gilt im Gegensatz zur angrenzenden Neckarstadt/West als verhältnismäßig ruhiges und gut-bürgerliches Viertel. Gleichzeitig entstehen neue Formen transnationaler Netzwerke, die außerhalb traditioneller Beziehungssysteme etabliert werden (Straßburger 2004). 195
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
und familiäre Netzwerke und die dauerhafte Einrichtung von Verbänden und Vereinen. Dabei dient gerade das lokale Engagement in der Regel insbesondere zur Konsolidierung sozialer Positionen, beispielsweise als Unternehmer oder Hausbesitzer. Doch auch in Hinblick auf die Entfaltungsmöglichkeiten des Nachwuchses wird dem lokalen Umfeld von vielen Migranten eine besondere Relevanz beigemessen. Dabei wird die Abwesenheit deutscher Bewohner und bürgerlicherer Gruppen auch ganz deutlich als Nachteil für die eigenen Lebensziele gesehen.
‚Place‘ 3: Soziale Netzwerke – Integration auf der Straße
ùenol (24): „Also im Jungbusch ist der Vorteil halt, dass man sich sofort integriert. Von daher. Weil wir sind hier ein Mischvolk. Also so richtig. Hast du ja bestimmt gemerkt, wo du hier durch gelaufen bist. Ja? Also wir haben von jedem etwas. Alt, dumm, dünn, dick. Egal was, deutsch, türkisch, Albaner.. Und deswegen, also für jemanden, der jetzt / gut, klar, ich meine jetzt für einen Studenten oder so ist das schwer, sehr schwer. Was heißt sehr schwer..“
Besonders junge Migranten, die zudem durch lokale soziale Einrichtungen im Jungbusch stark integriert sind, entwickeln eine ‚neue‘ Art lokalisierter Identität. Diese bezieht sich auf die Zugehörigkeit zu einer multi-ethnischen Jungbusch-Bevölkerung, betont aber gleichzeitig den Faktor der eigenen ethnischen Herkunft. Hierbei wird der Jungbusch als ein Ort definiert, dem auch eine gewisse Toleranz gegenüber ‚Fremdartigkeit‘ unterstellt wird. ùenol – für den der Jungbusch bei der Bildung und Erhaltung von sozialen Netzwerken ein zentrale Rolle spielt – verwendet das Pronomen ‚wir‘, wenn er von den Bewohnern des Quartiers spricht, wobei dieses ‚wir‘ gewissermaßen eine „imaginierte Gemeinschaft“ (Anderson 1983) insofern darstellt, als dieses als „Mischvolk“ konzipiert wird. In diesem ist jeder für sich, wobei sich aber eine Art Erfahrungsgemeinschaft bildet, die durch das Leben im multi-ethnischen Stadtteil geprägt ist. ùenols Beschreibung des Jungbusch klingt ein wenig nach einem kulturellen Supermarkt, in dem unterschiedliche ethnische Identitäten erhältlich sind. Dies ist eines der bedeutendsten Merkmale des multi-ethnischen Stadtraums, der im Gegensatz zum diasporischen Stadtraum nicht in erster Linie mit einer Ausrichtung am Herkunftsland verbunden ist, sondern es sind auch andere ethnische beziehungsweise soziale Gruppen, die sich auf die Konzep196
KAPITEL 7 – ORTSPOLITIKEN UND SELBSTVERORTUNGEN
tualisierung lokaler Gemeinschaft auswirken. Denn ebenso wie in der Konzeption das ‚Jungbuschlers‘ bedarf es hier für die Zugehörigkeit zu einer ortsspezifischen Gemeinschaft auch eines vitalen Interesses an Identifikation und Interaktion. Hierzu gehört auch die face-to-face-Beziehung zu diesem ‚Mischvolk‘, wobei den Studenten hier eine Sonderrolle beigemessen wird, auf die ich zu einem späteren Zeitpunkt noch näher eingehen werde. Trotz dieser Imaginierung einer multi-ethnischen lokalen Gemeinschaft, sind die eigenen Beziehungsnetzwerke beziehungsweise peer-groups nicht unbedingt ebenso multi-ethnisch. Gerade der überproportionale Anteil von Personen mit Migrationshintergrund bei den unter 30-jährigen führt bei lokalen Beziehungen fast zwangsläufig zum Rückbezug auf die eigene ethnische Gruppe beziehungsweise auf andere Migranten, da sich lokal kaum Kontakte zu deutschen Gleichaltrigen bieten. Freundschaftsbeziehungen, die aus der Begegnung im Stadtteil resultieren, werden dabei dem Jungbusch zugeordnet, während andere Beziehungen außerhalb des Quartiers statt finden.9 Obwohl also differente inter-ethnische Freundschaftsnetzwerke durchaus existieren, sind diese im Quartier nicht selten auf eine ethnische Gruppe begrenzt. Denn im Jungbusch findet das soziale Leben oftmals an speziellen, ethnisch konnotierten Treffpunkten statt.10 Bei einem gemeinsamen Spaziergang durch den Jungbusch zeigt sich, dass ùenol tatsächlich den öffentlichen Raum an Hand ihrer Nutzung durch differente ethnische Gruppen identifiziert. Dieses Wissen um ethnische territoriale Grenzen sieht er, im Gegensatz zu anderen Bewohnern (vgl. Kapitel 8) allerdings nicht als bedrohlich, denn durch diese Kenntnisse wird auch der eigene place Jungbusch – also die Orte, an denen er sich mit seinen Freunden trifft – für andere definierbar. Dieses Wissen ist letztlich auch bedeutsam für die Orientierung im Stadtteil. Die Straße als Raum sozialer Interaktion ist aber nicht nur für die eigene lokale peer-group, sondern insbesondere auch in Kontakt mit Bewohnern anderer ethnischer Zugehörigkeit von immenser Bedeutung. E. B.: „Und hast du immer im Jungbusch gewohnt?“ ùenol: „Klar. Ich bin hier groß geworden, aufgewachsen. Bin aber zwischendurch mal immer mal dahin, mal dahin. [...] Aber das zieht immer wieder her. Ja klar, weil das ist ja: Du bist hier aufgewachsen, deine ganzen Freunde sind hier, die ganzen Bekannten. Ich mein, bis man von der Straße hier runter läuft, ja, dauert erst mal ei9
Insofern besteht bei ethnographischen Forschungen in spezifischen lokalen Kontexten – wie Jugendtreffs oder ethnisch definierten Einrichtungen – die Gefahr, das tatsächliche Ausmaß und die subjektive Bedeutung von Beziehungen zur selben ethnischen Gruppe über zu bewerten. 10 Eine Ausnahme hierzu bilden Angebote wie der Internationale Mädchentreff und einige Angebote für Kinder. Diese sind in der Regel – im Gegensatz zu Cafés und anderen Treffpunkten für Jugendliche und Erwachsene – durch ein gemischtes ethnisches Publikum geprägt. 197
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ne halbe Stunde, weil du dann jeden grüßt: ‚Hallo, wie geht’s, was machst du?‘ und, und, und.“ E. B.: „Also du kennst hier wirklich so viele Leute?“ ùenol: „Hmhm. So ziemlich alle.“ E.B.: „Echt?“ ùenol: „Ja natürlich.“ E. B.: „Also wenn ich hier durch laufe, kenne ich überhaupt niemand.“ ùenol: [lacht] „Du kommst ja auch nicht aus Jungbusch.“ E.B.: „Nee. Aber wirklich: muss man hier aufgewachsen sein?“ ùenol: „Um die Leute hier zu kennen?“ E. B.: „Ja.“ ùenol: „Nein, nicht unbedingt. Ich mein, ich hab zum Beispiel überall Freunde, nicht nur im Jungbusch. Auch in Stadtrichtung, oder komplett Mannheim. Ich sag immer: Mannheim ist ein kleines Dorf.“
Die Zugehörigkeit zum Stadtteil und dass es ihn immer wieder ‚herzieht‘ wird über die Bedeutung persönlicher Beziehungen und die Größe des Bekanntenkreises definiert. Wobei gerade das zufällige Treffen von Freunden und Bekannten auf der Straße als bedeutsam gewertet wird.11 Der öffentlichen Raum, insbesondere die Straße, wird dabei auch als Treffpunkt der eigenen peergroup betrachtet. Besonders Männer dominieren den öffentlichen Raum, Mädchen im Jugendalter und Frauen sind verhältnismäßig selten vertreten. Doch auch im Interview mit Sonia, die mit ihren Eltern und Schwestern im Jungbusch lebt, taucht der zufällige Kontakt auf der Straße wiederum als bedeutsam für das Leben im und die Wahrnehmung vom Jungbusch auf: Sonia (19), Abendschülerin: „Ja, also das ist so, ich bin ja praktisch im Jungbusch aufgewachsen und das ist ja / ich zähl hier zwar als Ausländerin, weil ich ja Italienerin bin und das auch anerkenne. Also ich bin Italienerin und das bleibe ich auch. Aber ich meine, ich hab hier meine Freunde. Wie gesagt, wenn man hier aufwächst, neunzehn Jahre lang da lebt, dann hat man ja ziemlich viele Freunde. Also ich komm kurz raus und das geht dann nur noch: ‚Hallo, hallo, wie geht’s dir.‘“
11 Dieses Phänomen der besonderen Bedeutung der Straße für Jugendkultur ist natürlich nicht Jungbusch-spezifisch. Doch auch hier findet inzwischen eine „Verhäuslichung“ (Zinnecker 2001) von Kindheit und Jugend statt. Durch den Wandel von der Jungbuschgrundschule zur Ganztagesschule wird diese Entwicklung noch verstärkt. Auch wurde eine zeitweilige Aufsicht für den Spielplatz Beilstraße eingeführt, was den Wünschen vieler Eltern nach mehr Sicherheit für ihre Kinder entgegen kommt. Dennoch fungiert die Straße im Jungbusch im Vergleich zu anderen Stadtteilen als wichtiger Raum sozialer Praxis für verschiedene Generationen. 198
KAPITEL 7 – ORTSPOLITIKEN UND SELBSTVERORTUNGEN
Hier zeigt sich auch, dass in diesem Fall keineswegs ein Selbstverständnis transnationaler Identität im Sinne einer Loslösung von Lokalität und einer Existenz in einem kulturellen Zwischenraum feststellbar ist. Vielmehr sieht sich Sonia selbst als gekennzeichnet von einer nationalen Zugehörigkeit, in diesem Fall der italienischen, bei einer gleichzeitigen Identifizierung mit dem Sozialraum Jungbusch. Nicht Italien ist die Heimat, sondern der Jungbusch. Gleichzeitig sieht sie ihre Identität geprägt von einer Vorstellung italienischer Kultur. Das Zusammenleben im Stadtteil wird von ihr aber ähnlich wie bei ùenol eben nicht als diasporischer Raum wahrgenommen, sondern explizit als ein Nebeneinander von verschiedenen kulturellen Identitäten, die sich gemeinsam einen Stadtraum teilen. Die gegenseitige Anerkennung erfolgt hierbei gerade auf Grund der Wahrnehmung dieser ethnischen Unterschiede, woraus sich ein Gefühl der Heimat ergibt: Sonia: „Also wenn ich morgens, wie gesagt, aufstehe – und meistens ist das halt so im Sommer: Du stehst auf, guckst raus und du siehst dann schon die ganzen kleinen Kinder. Die spielen am Spielplatz und diese ganze Bewegung hier im Jungbusch überhaupt mit den ganzen Kindern. Und du fühlst dich wirklich wie zu Hause, weil du siehst, die Kinder spielen frei: es gibt einen großen Spielplatz, einen kleineren Spielplatz. [...] Und ja, man fühlt sich halt richtig wohl. Weil man sieht halt auch die Wärme, dass die Kinder miteinander spielen können. Und es gibt auch viel, wo man sagen kann: Italiener spielen mit Türken, Türken spielen mit Italienern, Deutschen. Also alle zusammen. Also die Kinder haben wirklich da keinen Rassismus und sagen, nein, du bist ein Türke, ich spiele jetzt nicht mit dir. Oder: Du bist ein Deutscher, du gehörst nicht zu uns. Also die spielen richtig alle zusammen. Man sieht das auch und dadurch fühlt man sich wirklich wie zu Hause. Man weiß dann, man ist dann jetzt nicht ausgeschlossen.“
Trotzdem wird hier keine kosmopolitische Identität als willentlicher Akt der Aufgabe einer Identifikation mit nationaler Identität oder eines Konzepts des ‚Dazwischen‘ konzipiert. Diese lokalisierte multi-ethnische Identität ähnelt vielmehr der von Schiffauer (2002) festgestellten „Selbstethnisierung“, die sich allerdings hier nicht als Rückzug begreift, sondern im Gegenteil als ein bewusster Schritt kultureller Selbstpositionierung im multi-ethnischen Stadtraum. Gerade die Feststellung, dass Sonia in Deutschland ‚als Ausländerin gilt‘, verstärkt für sie die Bedeutung der ortsansässigen multi-ethnischen Gemeinschaft, die sich in erster Linie durch eine gemeinsame lokale Identifizierung beziehungsweise eine gemeinsame Erfahrung von Fremdheit konstituiert. Das multi-ethnische Umfeld ermöglicht damit auch einen selbstbewussten Umgang mit der eigenen ethnischen Identität. Der Jungbusch ist damit auch ein besonderer Ort, der sehr stark mit der eigenen Identität als Jugendlicher mit Migrationshintergrund gekennzeichnet ist. Die nahezu völlige Abwe199
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senheit deutscher Jugendlicher im öffentlichen Raum trägt sicherlich noch zusätzlich zu dieser Wahrnehmung bei.
‚Place‘ 4: Heimat der ,underdogs‘ – subalterner Raum Jungbusch „Jungbusch – darkest part of town“12
Gleichzeitig sind dieses Miteinander und die Nähe zu fremden kulturellen Praxen auch geprägt von einer sozialen Distanz zu bürgerlichen Lebensstilen. Negative Erfahrungen, die mit dem Quartier in Verbindung gebracht werden, führen dabei auch zu einer spezifischen Selbstidentifizierung als soziokultureller underdog. In diese underdog-Konzeption können allerdings durchaus heterogene sozio-kulturelle Praxen inkludiert sein. Anders als in der Produktion einer imaginierten sozialen Nachbarschaft mit spezifischen Werthaltungen, ist die underdog-Konzeption auch marginalisierten kulturellen Praxen gegenüber verhältnismäßig aufgeschlossen. ùenol (24): „Ich mein, wir haben ja hinten die Studentenwohnheime, Musikpark und, und, und. Ja, aber die können sich halt mit dem gesamten hier nicht identifizieren, weil die denken, dass ist unterm Niveau. Obwohl das eigentlich ein ganz simples Leben ist, dass wir hier führen. Das ist: jeder für sich, aber irgendwie alle zusammen.“
Der Unterschied zwischen dem Jungbusch und den Studentenwohnheimen beziehungsweise dem Musikpark wird hier ganz deutlich als sozialräumliche Distanz trotz der direkten geographischen Nähe betrachtet. Die Lebenswelt im Jungbusch, so unterstellt ùenol, wird von privilegierteren Gruppen als unter deren ‚Niveau‘ betrachtet. Trotz des ‚simplen Lebens‘ wird insofern laut ùenol von diesen Privilegierten kein Kontakt zu den Bewohnern gesucht. Die Identifikation mit dem Quartier und seinen Bewohnern spielt auch hier wieder eine entscheidendere Rolle für die Definition einer lokalen Gemeinschaft, als die tatsächliche Ortsansässigkeit. Diese Produktion einer sozialen Gemeinschaft mit entsprechenden sozialräumlichen Positionen der Bewohnerschaft wird auch von Marc geteilt: Marc (46): „Ich bin jetzt nicht hier, weil ich ein absoluter Fan vom Jungbusch bin, sondern natürlich habe ich irgendwas gesucht. Das hätte auch in der Neckarstadt oder in den Quadraten sein können. Aber ich finde das, na wie sagt man da jetzt? Das gesellschaftliche Niveau, wie man jetzt mal sagt, das bisschen Unterprivilegier-
12 Aufdruck auf dem sweatshirt eines Jugendlichen. 200
KAPITEL 7 – ORTSPOLITIKEN UND SELBSTVERORTUNGEN
te was halt hier irgendwie da ist. Das entspricht schon auch meiner eigenen gesellschaftlichen Stellung irgendwo, so ein bisschen.“
Diese Selbstidentifizierung als underdog impliziert dabei allerdings nicht den Wunsch nach einer Verbesserung der persönlichen Position im Sozialraum, sondern nach einer spezifischen Lebensstilisierung, die aus der Not eine Tugend macht und versucht, sich den Logiken gesellschaftlicher Strukturierungsprinzipien im sozialen Raum durch eine Umdeutung der eigenen sozialen Lage zu entziehen. In ähnlicher Form, wie durch das Konzept des ‚Kanak‘ (vgl. Ha 1999) diskriminierenden Fremdbildern ein subalternes Selbstbild entgegen gesetzt wird, bietet die Selbstidentifizierung als underdog eine Möglichkeit zum aktiven Umgang mit stigmatisierenden Prozessen. Mit dem ortspezifischen ‚Niveau‘ beziehungsweise dem ‚simplen Leben‘ werden auch lokale kulturelle Praxen in Zusammenhang gebracht, die als Gegensatz zu den Normen eher (klein)bürgerlicher Nachbarschaften betrachtet werden können. Selbst die Rotlichtvergangenheit, der von vielen Bewohnern mit einer deutlichen Ablehnung begegnet wird, wird hierbei durchaus positiv gedeutet: Costas (35): „Der Jungbusch hat früher gastronomisch geblüht, weißt du, man kann sagen: Im Vergleich zu heute ist das gar nichts. Heute ist nicht mal ein Abklatsch von dem, was es früher war. Natürlich waren da auch Animierbars, Unterhaltungsbars, vor den Bars waren Tanzlokale. Resi’s, Schiffernamen, also: Kapitän, Schifferbörse etc. Die Läden, die es eigentlich gar nicht mehr so gibt. Und das war so eine Anlaufstelle, das war ein Unterhaltungsbezirk, weißt du. Man kann sagen, so was wie ein Sankt Pauli von Mannheim. Was leider nicht mehr existent ist. Und das war auch, also damals in den 70er Jahren schon interessant für Leute hier, sich gastronomisch zu betätigen.“
Dabei wird auch die Abwesenheit einer rigiden Verhaltensordnung im öffentlichen Raum der Gegenwart als Wesensmerkmal des Jungbusch betrachtet: Sonia (19): „Also im Jungbusch ist wirklich immer nur Bewegung. Auch meine Tante, die in Neckarau wohnt, da ist auch nicht soviel Bewegung. Man sieht zwar die Kinder, die spielen draußen, haben aber eine bestimmte Uhrzeit, wo um acht Ruhe sein muss und die dann wirklich nach Hause gehen müssen. Die dürfen nicht mal im Sommer weiterspielen. Wenn sie jetzt gerade auf einem Spielplatz spielen: Nein, um acht muss Ruhe sein. Da gucken schon die ganzen alten Leute aus dem Fenster und fangen an zu schreien. Und hier ist es halt nicht so. Ok, manchmal ist es ziemlich schlimm, wo man denkt: ‚Oh Gott, die sollen jetzt endlich mal nach Hause gehen, ich möcht meine Ruhe haben, ich möcht schlafen.‘“
201
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
Die ‚Bewegung‘ im öffentlichen Raum, die sich nicht an Vorschriften und Ruhezeiten hält, wird hier als eine Besonderheit des Jungbusch im Gegensatz zu anderen Stadtgebieten, die von einem (klein-)bürgerlichen Normensystem geprägt sind, konzipiert. Gleichzeitig wird dabei auch wiederum die heterotope Identität des Quartiers mit spezifischen Ethnokulturdiskursen in Verbindung gebracht. Pavel, der ähnlich wie Kemal den Jungbusch aus seiner Kindheit kennt und ihn erst als Student als Lebensraum für sich wiederentdeckt hat, beschreibt das öffentliche Leben auf der Straße als wesentlich für die Entwicklung eines spezifischen Lebensgefühls. Dieses wird eben nicht als ‚typisch deutsch‘ empfunden und gewinnt gerade daraus auch seine Attraktivität: Pavel (25) ist Student und wohnt im Jungbusch in einer WG: „Was gefällt mir im Jungbusch? Also im Sommer gefällt es mir sehr. Zum Beispiel, dass sehr viel Leben in den Straßen ist, abends und nachts, das hat einfach was von einer Stadt irgendwie in Südeuropa. Man fühlt sich echt nicht mehr, als wenn man in Deutschland wäre. Also die Leute sind irgendwie alle draußen und es ist Leben draußen, es tut sich was. Das finde ich sehr schön, das trägt auch ziemlich viel zur Stimmung hier bei. Weil es in anderen Stadtteilen zum Beispiel nicht so ist. Da sitzen alle zu Hause und / keine Ahnung / und nachts ist keiner mehr auf der Straße. Und das finde ich im Jungbusch sehr, sehr super.“
Dabei ist es gerade die Mischung aus unterschiedlichen marginalisierten kulturellen Praxen, welche hier auch zur Konstruktion einer subalternen Ortsidentität beitragen. Die Mischung aus Migranten und ehemaligem Rotlichtviertel wird hierbei als positives Merkmal verstanden, wie sich bei Maike, die ursprünglich aus einer Kleinstadt kommt und wegen ihres Arbeitsplatzes nach Mannheim und in den Jungbusch gezogen ist, zeigt: Maike (39): „Am Anfang kam ich mir immer ganz cool vor, wie wenn ich durch so eine Filmkulisse lauf. Weißt, dann ist da mal so eine Stripbar und dann ist ein türkischer Laden daneben und dann sitzen immer die Leute abends auf der Straße, im Sommer. Und da hab ich echt gedacht: [verstellt die Stimme] Du wohnst in einem coolen Stadtteil.“
Der Jungbusch wird hier weniger als realer Ort, sondern als Stadtraum außerhalb der Normalität betrachtet, welcher einer Filmkulisse gleicht. Die Bedeutung des Jungbusch als Heterotopie tritt hier sehr deutlich zu Tage. Diese Verknüpfung des Quartiers mit marginalisierten sozio-kulturellen Praxen ist dabei auch geprägt durch die Sehnsucht nach einem gesellschaftlichen Ideal der Toleranz gegenüber fremder Kultur und Subkultur. Dabei zeigt sich auch, dass die lokale sozio-kulturelle Vielfalt mit subalternen und subkulturellen Konzeptualisierungen von Lokalität verwoben wird. Das Image 202
KAPITEL 7 – ORTSPOLITIKEN UND SELBSTVERORTUNGEN
des Jungbusch als Problemstadtteil wird hier umgedeutet und erschafft dabei einen erstrebenswerten Lebensraum. Diese Selbstverortungen sind selbstverständlich auch geprägt von einer spezifischen Lebensstilisierung außerhalb der Norm. Trotz der sicherlich auch zu einem gewissen Grad existierenden Romantisierung fremder Lebenswelten, wird diese Rekonzeptualisierung des Jungbusch als underdog-Stadtteil auch von Personen vorgenommen, die die sozialen Realitäten und Probleme im marginalisierten multi-ethnischen Stadtteil aus persönlicher oder beruflicher Erfahrung durchaus kennen. Diese werden allerdings hier vielmehr als koexistierende differente kulturelle Praxen denn als Problemlagen verstanden. In dieser Konzeptualisierung des Jungbusch zeigt sich am deutlichsten, welche Rolle den marginalisierten Bewohnern eines Stadtraums auch bei dessen Nutzbarmachung zur Lebensstilisierung privilegierter Gruppen in Prozessen der Gentrifizierung zukommt: Ethno- und soziokulturelle lokale Praxen werden hierbei nicht nur durch subalterne Bevölkerungsgruppen idealisiert, sondern diese Bilder fließen auch in die Jungbusch-Wahrnehmungen anderer Klassenfraktionen mit ein.
203
Kapitel 8 Raumkonflikte
Die Bedeutung von multi-ethnischem Stadtraum als place für seine Bewohner zeigt sich wesentlich heterogener, als herkömmliche „Raumbilder“ (vgl. Ipsen 1993) scheinbar homogener regionaler, nationaler oder lokaler Räume oft glauben machen wollen. Gerade multi-ethnische Orte bilden inzwischen aber Kontakträume, in denen diese Heterogenität ständig neu verhandelt wird. Sie stellen dabei eine Schnittstelle unterschiedlicher kultureller Praxen dar. Diese strukturieren allerdings wiederum den Raum: Die differenten places einer multi-ethnischen Bewohnerschaft existieren nicht nur als imaginierter Raum, sondern sie werden auch gleichsam in den Raum inskribiert. Denn, wie Gray (2002: 39) feststellt: „Creating a place for one’s self and for one’s group is central to personal and social existence.“ Diese Prozesse des aktiven placemaking als fundamentales Merkmal menschlicher Existenz führen dabei auch zu spezifischen Aneignungsweisen von Lokalitäten. Differente Gemeinschaften, welche sich denselben Stadtraum teilen, leben so nicht notwendigerweise in friedlicher Koexistenz. Insofern ist die Multikommunalität eines Ortes nicht nur eine Quelle kultureller Heterogenität, sondern es existiert auch ein verhältnismäßig großes Potential für Konflikte um die Aneignung von Stadtraum, wie ich während meiner Feldforschung im Jungbusch feststellen konnte. Dabei gerieten diese Raumkonflikte, insbesondere durch deren öffentliche Austragung aber auch durch die häufige Erwähnung von Problemen im öffentlichen Raum in Interviews, in mein Blickfeld. Da seitens der Bewohner diese Thematik als nicht ganz unwesentlich für die Selbstverortung im Jungbusch betrachtet wird, werde ich im Folgenden näher auf diese Konflikte eingehen. Dabei sollen nicht die psychosozialen Ursachen von Diskriminierungen, Fremdenfeindlichkeit und der Rückbesinnung auf eigene religiöse, traditionelle oder nationale Werte Gegenstand dieses Kapitels sein, sondern vielmehr die räumlichen Manifestationen von Konfliktebenen, 205
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
wie sie aus den besonderen sozio-kulturellen Bedingungen im marginalisierten multi-ethnischen Jungbusch auftreten. Diese Raumkonflikte können sich auf unterschiedliche Weise manifestieren. So stellt Okely (1996: 3) für das Zusammenleben unterschiedlicher kultureller Gruppen fest, dass diese differenzierte Strategien zur sozialen und kulturellen Abgrenzung entwickeln: „Different groups inhabiting the same spaces can create and shift boundaries by subtle means.“ Neben einer Konstruktion gruppenspezifischer Identitäten durch Merkmale wie Religion, Nationalität, ethnischer Zugehörigkeit oder subkultureller Lebensstile, spielt in multiethnischen Quartieren wie dem Jungbusch der Konflikt um die Aneignung von Territorien eine bedeutende Rolle: Zum Einen kann es sich dabei um subtile Abgrenzungsprozesse beispielsweise zwischen ethnischen oder sozialen Gruppen handeln, die sich in der Aneignung von öffentlichen Räumen, Gebäuden, Jugendtreffs etc. widerspiegeln, zum Anderen aber auch um Konflikte, die durch eine breitere Öffentlichkeitswirkung gekennzeichnet sind, wie beispielsweise die Auseinandersetzungen beim Bau der repräsentativen Moschee im Jungbusch. So bilden unterschiedliche ortsansässige Gemeinschaften differente Formen des place-making aus, die sich in speziellen Aneignungsformen des Stadtraums äußern. Daher muss unterschieden werden zwischen der Repräsentation des Jungbusch durch einzelne Personen und Gruppen einerseits und der Produktion und Reproduktion sozialer und ethnischer Grenzen, die sich im Stadtraum räumlich manifestieren andererseits. Also den politics of place, welche für die Selbstverortung der eigenen Identität im Raum eine Rolle spielen und den Raumkonflikten, welche durch die Existenz unterschiedlicher lokaler Gemeinschaften und ihre jeweiligen Aneignungsweisen von Raum entstehen. Denn gerade im multi-ethnischen Stadtraum sind solche internen Grenzziehungen von zentraler Bedeutung. In diesen Stadtgebieten spielen also nicht nur die Machtbeziehungen sozialer und ethnischer Gruppen untereinander und ihr jeweiliger Einfluss auf die Produktion von öffentlichkeitswirksamen Diskursen über Raumkonflikte eine Rolle – sondern auch die damit verbundenen territorialen Aneignungspraxen.
‚ Ow n i n g ‘ J u n g b u s c h ? Begriffe wie ‚Sozialer Brennpunkt‘, welche eine Abweichung dieser Stadtteile von einer erwünschten Norm implizieren, umfassen eine Gemengelage von Problemen: Soziale Dimensionen wie Arbeitslosigkeit, Armut und geringe Chancen auf Bildung spielen in multi-ethnischen Stadträumen eine große Rolle und verschärfen noch das an sich bereits krisenanfällige Zusammenleben unterschiedlicher sozio-kultureller Gruppen auf engem Raum. Dennoch sind, wie bereits in Kapitel 2 diskutiert wurde, die Verhältnisse im Jungbusch und 206
KAPITEL 8 – RAUMKONFLIKTE
in anderen multi-ethnischen Stadträumen Deutschlands nicht gleichzusetzen mit den sozialen Problematiken des us-amerikanischen Ghettos, welche die öffentlichen Imaginationen oftmals prägen. Seit den Krawallen in den Vorstädten Frankreichs hat sich auch der Begriff banlieue als neuer Imaginationsraum von Gewalt, Kriminalität und Armut festgesetzt und wird mit Formen eines gewalttätigen Widerstands gegen eine problematische soziale Lage in Verbindung gebracht. In der Tat werden marginalisierte multi-ethnische Stadtteile im hegemonialen Diskurs häufig als Bedrohung empfunden. Dies liegt sowohl an ihrer sozialen Lage, als auch an ihrer kulturellen Zusammensetzung. Denn Konzepte fremder Kultur sind in einer breiten Öffentlichkeit häufig mit Klischees verbunden, beispielsweise durch die „Diskursverschränkung“ von Geschlechterthematiken und ‚Ausländerdiskursen‘ (Jäger 2003). Gleichzeitig sind im öffentlichen Diskurs über multi-ethnische Stadträume wie den Jungbusch die Selbstrepräsentationen von einigen Bevölkerungsgruppen eher marginal, dazu gehören insbesondere Migranten mit geringen Kenntnissen der deutschen Sprache, Frauen und Mädchen. In der öffentlichen Wahrnehmung solcher Stadträume, aber auch innerhalb dieser Quartiere, entwickelt sich so ein spezifischer Fokus bei der Wahrnehmung von Konflikten. Einige, insbesondere in multi-ethnischen Stadträumen relevante Thematiken, erfahren daher in der Öffentlichkeit eine erhöhte Aufmerksamkeit. Dies liegt auch an der Furcht vor „feindlichen Übernahmen“ (vgl. Sutterlüty/Walter 2005) durch die Neugründung von Firmen oder den Aufkauf von Immobilien durch Migranten, aber auch den Bau von Moscheen (vgl. Schmitt 2003). Diese Phänomene werden dabei nicht als Zeichen einer sozialen und kulturellen Integration gedeutet, sondern als eine dauerhafte Einrichtung im Residenzland, welche einer autochthonen Bevölkerung das eigene Stadtviertel ‚entfremdet‘. Diese öffentlichen Debatten spiegeln sich auch in politischen Bewegungen auf der lokalen Ebene: So etablierte sich auch im Jungbusch eine Not in my backyard (NIMBY)-Haltung zu unterschiedlichen Themen. Ein zu hoher Anteil von Migrantenkindern in der lokalen Schule oder die Unsichtbarkeit ‚deutscher‘ Kultur – hierunter wird ebenso das Verschwinden des Bäckers oder der Kehrwoche wie das der deutschen Sprache im öffentlichen Raum gefasst – sind Phänomene, die von vielen deutschen Bewohnern des Jungbusch mit Sorge betrachtet werden. Insbesondere die Beziehungen zwischen ‚indigener‘ Bevölkerung und Migranten gelten daher auch im wissenschaftlichen Diskurs häufig als geprägt durch die Diskriminierung letzterer (vgl. Blokland 2003, 2005; Sutterlüty/Walter 2005). Doch im Jungbusch zeigt sich, dass auch die Beziehungen zwischen unterschiedlichen migrantischen Gruppen durch Diskriminierungen gekennzeichnet sind. Denn die Angst vor geringen Bildungschancen und negativen Einflüssen durch die sozio-kulturelle Situation im Stadtraum existiert bei ei207
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
ner näheren Betrachtung nicht nur bei der autochthonen Bevölkerung, sondern bei praktisch allen Bevölkerungsgruppen im Jungbusch gleichermaßen. Die Idealisierungen des multi-ethnischen Stadtraums durch heterogene kulturelle und subkulturelle Ortspolitiken, welche bei der persönlichen Selbstverortung im Stadtraum Jungbusch bedeutsam sind, stehen dabei allerdings auch in Konflikt mit anderen Lebensentwürfen, beispielsweise in Bezug auf den eigenen sozialen Aufstieg, auf Selbstverwirklichung oder die Familienplanung. Insbesondere die große Abhängigkeit vom direkten Nahraum seitens marginalisierter Bevölkerungsgruppen stellt sich dabei als problematisch dar, denn dieser wird gerade von Eltern oftmals nicht als geeignetes Umfeld für eine günstige Entwicklung der eigenen Kinder betrachtet. Doch sozio-ökonomische Zwänge führen auch zur Notwendigkeit, sich mit dem eigenen Stadtraum zu arrangieren, da sie den Aktionsraum deutlich einschränken (Friedrichs/Blasius 2000). Diese strukturellen Bedingungen führen dabei zu Raumkonflikten, die sich durch die multi-ethnische Zusammensetzung in einigen Bereichen noch verschärfen. Die Heterogenität der Bewohner spiegelt sich so auch in der physischen Aneignung von Orten durch unterschiedliche Gruppen und Gemeinschaften wieder. Auf Grund der relativen Randlage und der geringen Laufkundschaft haben viele Cafés und Kneipen im Jungbusch einen wichtigen sozialen Aspekt für ein lokales Publikum. Nur wenige, insbesondere sub- oder populärkulturell geprägte Einrichtungen, haben ein größeres Einzugsgebiet. Vor Gaststätten, Telefonläden und Cafés bilden sich besonders im Sommer einzelne Grüppchen. Das Leben findet hier sprichwörtlich auf der Straße statt und wird besonders von Männern dominiert, die teilweise in wechselnden Konstellationen zusammen stehen oder sitzen, beziehungsweise um den Block flanieren. In den letzten Jahren hat sich der Anteil von Restaurants mit Außenbestuhlung während der Sommermonate erhöht, dennoch wird zusätzlich jeder mögliche Sitzplatz belegt. Insbesondere Betonklötze, welche der Regelung des Verkehrs und der Einfassung von Baumscheiben dienen, werden zu Treffpunkten, während die zumeist einzeln stehenden Bänke eher selten benutzt werden. Auch Spielplätze, Industriebrachen und Parkplätze sind populäre Aufenthaltsorte für alt und jung, was oftmals auch im begrenzten Wohnraum begründet liegt. Der öffentliche Raum spielt also für verschiedene Gemeinschaften eine zentrale Rolle, dies führt aber auch zu Prozessen der räumlichen Exklusion des ‚Anderen‘.
Ethnische Raumkonflikte Der Charakter von Orten im Jungbusch ist weitgehend ethnisch geprägt. Neben den auch für Ortsunkundige leicht zu identifizierenden ethnisch relevanten Einrichtungen wie Läden und Moscheen, sind es im multi-ethnischen 208
KAPITEL 8 – RAUMKONFLIKTE
Jungbusch zusätzlich auch subtilere Formen räumlicher Abgrenzung, welche zu Konflikten führen. Während Moscheen auch von einer breiteren, gesamtstädtischen Öffentlichkeit als besonders konfliktträchtige Repräsentationen ‚fremder‘ Kultur betrachtet werden (vgl. Schmitt 2003)1, bewegen sich andere Raumkonflikte eher auf lokalem Niveau. Dies zeigt sich insbesondere in der Nutzung einzelner Cafés und kleiner Geschäfte als soziale Treffpunkte spezifischer ethnischer Gruppen und einer starken Ausdifferenzierung dieser Einrichtungen auf Grund interner ethnischer „Segmentationsprozesse“ (Ceylan 2006: 192). Diese Segmentationsprozesse resultieren auch aus dem Anstieg der jeweiligen migratorischen Bevölkerungsgruppen und der damit einhergehenden „inneren Differenzierung“ (Seufert, cf. Ceylan 2006: 192). Diese Prozesse der inneren Differenzierung können dabei auch ethnische Solidaritäten zugunsten einer klassenspezifischen Differenzierung verdrängen, wie Gregory (2002) in Hinblick auf afro-amerikanische Gemeinschaften feststellt. Die soziale Relevanz dieser Treffpunkte ergibt sich also sowohl aus transnationalen beziehungsweise ethnischen als auch aus sozialen Gesichtspunkten. Im Gegensatz zur ‚ethnisierten‘ Form von Lokalen, in denen mit dem Label ethnisch ein heterogenes Publikum gewonnen werden soll, handelt es sich hier um Läden, Cafés oder Kneipen, die sich stark an einem lokalen, ethnisch homogenen Publikum orientieren und denen auch eine zentrale soziale Bedeutung für das jeweilige Publikum zukommt. Diese ergibt sich gerade aus einer hier stattfindenden Verortung von Beziehungsnetzwerken im Rahmen entsprechender „sociospatial knowledge networks“ (Skelly et al. 2002), welche den Austausch von lokalen und translokalen Informationen ermöglichen. Trotz der vordergründigen Ausrichtung vieler Einrichtungen auf die Herkunftskultur, sind diese ebenso wichtig für die Bewältigung des Alltags im lokalen Lebensumfeld (vgl. Bletzer (2003) für die Relevanz von grocery stores für die Aufrechterhaltung einer „Latino identity“ von Migranten in den USA und Ceylan (2006) für die soziale Funktion türkischer kahves in Deutschland). 1
Der von Schmitt gezeigte Zusammenhang zwischen öffentlichen Protesten gegen den Bau von Moscheen und Schlüsselaktivisten scheint sich auch im Jungbusch zu bestätigen: Während der Bau der repräsentativen Yavuz-Sultan-SelimMoschee Mitte der 90er Jahre zu massiven Protesten der Bewohner – unter dem Einfluss Einzelner vehementer Gegner der Moschee – führte, hat die Erweiterung der Fatih-Moschee in der Böckstraße und die Errichtung eines höheren Minaretts der Yavuz-Sultan-Selim-Moschee in den letzten Jahren zu keinen Protesten geführt. Allerdings wird von Bewohnern als Grund für den Protest in den 90er Jahren auch der zunehmende Verfall der sozialen Infrastruktur zu dieser Zeit angeführt. Neben dem Einfluss von Persönlichkeiten auf die öffentliche Reaktion zu Plänen des Moscheebaus mögen also lokale Faktoren durchaus eine Rolle spielen: Die städtischen Pläne zur Stadtteilerneuerung könnten sich ebenso wie der Gewöhnungseffekt durchaus positiv auf die Rezeption dieser Projekte ausgewirkt haben. 209
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
Diese Lokale sind im Jungbusch oftmals durch eine einfache Ausstattung gekennzeichnet und setzen kaum auf den Faktor einer spezifischen ‚Ethno‘Atmosphäre. Die Grundausstattung der Cafés besteht aus einer Theke und einfachen Tischen, einem Fernseher, Spielautomaten und einer oftmals relativ hellen Neonbeleuchtung. Auf Schmuck wird weitgehend verzichtet, eine nationale Flagge oder ein Ferrarizeichen mag Rückschlüsse auf die Nationalität der Nutzer zulassen. In der Regel ist die ‚ethnische‘ Zuordnung für Ortsfremde eher diffus, während die Bewohner sehr genaue Kenntnis darüber haben, welche Gruppen welche Einrichtungen frequentieren. Dieser Charakter wird den Orten jedoch nicht nur zugeschrieben, er beeinflusst tatsächlich die Wahrnehmung und das Verhalten im öffentlichen Raum Jungbusch und die Identifikation mit dem Stadtteil. Denn während der Straße auch eine Funktion als multi-ethnischer Kommunikationsraum zukommt, sind die Cafés, Lokale und teilweise auch Plätze in der Regel durch bestimmte ethnische Gruppen geprägt. Diese Rückzugsorte ethnischer Gemeinschaften werden besonders bei mildem Wetter auch auf den multi-ethnischen Raum der Straße ausgedehnt. Jene Aneignung besonders des öffentlichen Raums kann sich durchaus verändern, sie ist zeitlich oftmals limitiert auf bestimmte Phasen, die durch das Wetter bedingt sein können aber auch davon abhängig, inwieweit Beschränkungen von außen vorgenommen werden. Im Falle eines Cafés in der Beilstraße, das insbesondere von Roma frequentiert wurde, wurde die nächtliche Lärmbelästigung durch dessen Gäste – die sich meist nicht in, sondern vor dem Lokal aufhielten – von Anwohnern als so massiv empfunden, dass diese Problematik Eingang fand in den Aufgabenbereich des Quartiermanagements. Hier versuchte man vergeblich, einen Kontakt mit den Besuchern des Cafés, das inzwischen geschlossen wurde, herzustellen. Selbstverständlich führen nicht alle Formen nächtlicher Lärmbelästigung zu einem Einschreiten des Quartiermanagements. Dieses wird vielmehr dann aktiv, wenn sich Beschwerden seitens der Bewohner häufen, was im Falle des Roma-Treffpunkts der Fall war. Dabei wurden allerdings keine ‚ethnischen‘ Argumente gegen die Nutzer des Cafés angeführt, sondern auf eine soziale Problematik verwiesen: Die arbeitende Bevölkerung des Jungbusch fühle sich durch den nächtlichen Lärm gestört und sei so den Anforderungen des harten Arbeitsalltags nicht mehr gewachsen. Die Techniken zur Lenkung und Überwachung von Minderheiten – die von Hesse (1997) als „white governmentality“ bezeichnet werden – werden hier also nicht in einem ethnisch-diskriminierenden, sondern in einen sozial-moralischen Diskurs geführt. Solche massiven Eingriffe in die Belange einzelner ethnischer Gruppen sind allerdings nur selten zu beobachten. In der Regel wird – in Anlehnung an die Konzepte zur Produktion lokalisierter Identitäten – auf Kommunikation, Einsicht und gemeinsame Zielsetzungen Wert gelegt. Allerdings zeigt dieses 210
KAPITEL 8 – RAUMKONFLIKTE
Beispiel, dass das mit dem Jungbusch positiv assoziierte südländische Flair seine realen Beschränkungen zur Not auch mit dem Verweis auf Sperrzeiten und andere rechtliche Regelungen findet. Trotz des Kontaktes zwischen den einzelnen Nationalitäten auf der Straße zeigt dieses Beispiel, dass der Alltag im multi-ethnischen Stadtraum keineswegs idyllisch verläuft. Insbesondere das Gefühl einer relativen Fremdheit im eigenen Viertel wird dabei auch von meinen InterviewpartnerInnen als negativ empfunden beziehungsweise als potentielle Ursache von Missverständnissen betrachtet: ùenol (24): „Es gibt Gruppierungen, ja? Sagen wir mal: Türkengruppe, Sintigruppe, italienische Gruppe, deutsche Gruppe, ja? Aber die zu mischen irgendwie, das klappt nicht so ganz. Ich mein’, Jungbusch ist klein. Also das ist ja sehr relativ, dass fängt hinten an der Werftstraße an und endet an der Akademiestraße. Und wenn man dann bedenkt, dass man hier manchmal Leute trifft – also ich treffe hier als mal Leute, die ich noch nie gesehen hab’, ja. Und die wohnen dann gleich bei mir um die Ecke. Und das ist schon blöd. Also dann zu sagen: Hey, ich kenn die Leute gar nicht. Oder wenn man die dann anspricht oder so, laufen die an einem vorbei, weil man denkt, das wird eine blöde Anmache. Obwohl das gar nicht Sinn und Zweck des ganzen ist. Ist schon schwierig manchmal. Aber ansonsten ist alles ok. Also, wie gesagt: einmal Jungbusch, immer Jungbusch.“
Während ùenol das Nebeneinander von unterschiedlichen kulturellen Gruppierungen als friedliche Koexistenz beschreibt – die allerdings resistent gegen Mischungsversuche bleibt – und die Probleme im Umgang miteinander auf Missverständnisse zurück führt, sehen andere Bewohner die Distanz kultureller Gruppen als aktive Segmentierung, die sich auch räumlich definiert. Bestimmte Gebiete werden von einzelnen ethnischen Gruppen – so heißt es – „belagert“ und „kontrolliert“, so dass andere diesen Raum nicht für sich nutzen können: Frau Donati (46): „Der Spielplatz im Jungbusch, die ganzen, die da drin sind, sind von Türken belagert, da gibt es immer Ärger.“ E. B.: „Hm. Wieso, weil es zu laut ist?“ Frau Donati: „Nee, die haben dann ihren Platz und da wird kontrolliert, dass nur dann die / also andere dürfen da nicht drauf.“ E. B.: „Ach so. Aha.“ Frau Donati: „Das ist dann in deren Hand.“ E. B.: „Und was ist hinten an der Schule, an der Grundschule?“ Frau Donati: „An der Grundschule? Da ist auch nix mehr. Da ist ja da der Spielplatz, aber wie gesagt: Das sind alles nur Türken. Alles Türken, alles Türken. Im Sommer hocken die dann dort und wo sollen andere Jugendliche dann hin.“
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LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
Die ‚Türkisierung‘ des ehemals eher italienisch-dominierten Jungbusch wird hier auch als Raumnahme verstanden, welche andere ethnische Gruppen einschränkt beziehungsweise verdrängt. Diese Befürchtungen finden sich also durchaus auch im Umgang unterschiedlicher ethnischer Gruppen untereinander. Eine solche Darstellung, wie sie von Frau Donati vorgenommen wird, wird in dieser Vehemenz selten expliziert, findet sich in umgekehrter Form allerdings ähnlich auch bei Semra, deren schlechte Erfahrungen aus Begegnungen mit italienischen Kindern resultieren: E. B.: „Stimmt es, dass die Spielplätze nach Nationalitäten verteilt sind?“ Semra: „Ja. Dieser Spielplatz ist mehr für die anderen Leute, halt die italienischen Kinder und so.“ E. B.: „Der hier [Spielplatz Beilstraße; E. B.]?“ Semra: „Ja. Weil die tun, als würde es nur denen gehören, die quälen dann die Kinder wirklich dann auch so. Das ist dann so ’ne Gruppe, wo sich auch alle kennen und dann reden sie in ihrer eigenen Sprache und sagen sich gegenseitig was. Und dann wird einfach einer rausgewählt von den anderen Kindern und dann quälen sie die Kinder. Das ist mir auch schon passiert.“
Hier zeigt sich nicht nur, dass negative persönliche Erfahrungen auf spezifische ethnische Gruppen verallgemeinernd übertragen werden, sondern auch, dass diese mit spezifischen Lokationen in Verbindung gebracht werden. Diese Verknüpfung von diskriminierenden Ansichten mit einzelnen Orten führen dabei nicht nur zu einer spezifischen mental map des Jungbusch, in welcher ‚eigene‘ und ‚fremde‘ Territorien jeweils markiert sind, sondern auch zu Formen einer Binnensegregation beziehungsweise zur Verlagerung von Aktivitätsräumen: Während Semra sich für ihre Familie nichts sehnlicher wünscht, als ein eigenes Haus mit genügend Platz für die Kinder, um drinnen spielen zu können und bis dahin Ausflüge in den Luisenpark und die Sicherheit der Moschee vorzieht, reduziert Frau Donati ihren Aktionsradius auf das konkrete Umfeld ihrer Straße und erledigt Besorgungen in der Innenstadt und nicht im Jungbusch. Auch Costas bestätigt die Existenz von solchen mental maps und eine Distanz zwischen Bewohnern unterschiedlicher ethnischer Herkunft: Costas (35), Selbstständig: „Also man ist schon jemand, man kennt sich untereinander. Aber es ist jetzt nicht so, dass man sich jetzt so austauscht, ständig, weißt du, dass man aufeinander hockt oder zueinander hockt. Also das ist nicht so. Also man führt schon sein eigenes Leben. Das ist auch dieses Typische, das viele Leute verwechseln. Die denken: Ah, der Jungbusch, das ist in sich ein, weißt, ein blühender Stadtteil, der miteinander funktioniert. Das ist nicht so. Das ist ein nebeneinander funktionieren. Ja? Klar, die hocken da, die hocken da, die sind da, die sind da [markiert dazu mit den Händen jeweils einzelne Stellen auf dem Tisch; E. B.]. Also so, 212
KAPITEL 8 – RAUMKONFLIKTE
wenn du so willst, funktioniert’s. Aber es ist kein Miteinander in dem Sinn. Jeder macht sein Ding irgendwie.“ Später fügt er hinzu: „Das ist so was wie ein Dorf hier. […] Man weiß hier immer nach einer gewissen Zeit, wer wo hingehört, wer hier was ist. Dementsprechend verhält man sich halt auch. Und das funktioniert irgendwie. Man fügt sich ein in dieses Nebeneinander. […] Jeder hat halt, wie sagt man, sein Revier abgesteckt.“
Auch hier wird auf eine deutliche Segmentierung des Stadtraums verwiesen. Insbesondere von Frau Donati und Semra wird dabei die Raumnahme durch einzelne ethnische Gruppen als beinahe persönliche Bedrohung empfunden. Dabei argumentieren Frau Donati und Semra nicht mit der Einschränkung der eigenen Person, sondern gerade mit der Sorge um ihre Kinder und deren Entwicklungsmöglichkeiten im Jungbusch. Die Furcht vor einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, und vor einem möglichen schlechten Einfluss, den man selbst nicht revidieren kann, spielt in Gesprächen mit Interviewpartnern mit Kindern immer wieder eine Rolle. Selbst ùenol möchte, trotz seiner positiven Sicht auf den Jungbusch, seine zukünftigen Kinder einmal nicht hier groß ziehen: Was sie von der Straße wissen müssten, könne er ihnen auch selbst beibringen.
Geschlechtsspezifische Raumkonflikte Strategien einer vermeidenden Raumnutzung zeigen sich dabei insbesondere unter den Bewohnerinnen des Jungbusch. Obwohl hier ebenfalls ethnische Konflikte eine Rolle spielen, wird der öffentliche Raum auch als besonders problematischer Aufenthaltsort für Frauen wahrgenommen. Sicherlich ist dies kein Jungbusch-spezifisches Problem. Denn die soziale Praxis der Geschlechterverhältnisse spiegelt sich auch im Raum: „space reflects social organization“ (Ardener 1997: 2). In vielen Gesellschaften findet sich eine Tendenz zur männlichen Dominanz des öffentlichen Raums, während der private Raum eher in den weiblichen Einflussbereich fällt. Aus dieser Tendenz lässt sich zwar nicht notwendigerweise auf den jeweiligen Einfluss der Geschlechter auf die Sphäre der Macht schließen (vgl. Rosaldo 1974; Duncan 1996), allerdings spielt die jeweilige kulturelle Konstruktion von Geschlecht eine entscheidende Rolle für die Bewegung von Frauen im öffentlichen Raum. In einem multi-ethnischen, marginalisierten Stadtgebiet wie dem Jungbusch zeigt sich, dass die sozial-räumliche Umgebung einen Einfluss auf die Strategien bei der Nutzung des öffentlichen Raums ausübt: Anstelle des „bold walk“ (vgl. Koskela 1997) zeigt sich hier eine Tendenz zum Rückzug. Die jeweilige Strategie von Frauen im öffentlichen Raum ist Koskela zufolge von drei Faktoren abhängig: 1. von der persönlichen Erfahrung und der persönli213
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
chen Sichtweise auf und den Umgang mit Geschlechterdifferenzen. 2. der Interpretation des jeweiligen Grades der Geschlechtergleichberechtigung in einer Gesellschaft und den entsprechenden Konzeptionen von ‚Gefahren‘ im öffentlichen Raum. 3. von der persönlichen Kenntnis des geographischen Raums und 4. von der entsprechenden Konstruktion von Weiblichkeit als körperlich oder moralisch gefährdet. Diese Faktoren bedingen sich meiner Ansicht nach sehr stark gegenseitig, denn die „moralischen Gefühle“ (vgl. Montada 1993), wie beispielsweise Scham, die mit einer negativen persönlichen Erfahrung in Verbindung gebracht werden, stehen sicherlich auch im Verhältnis zu den jeweiligen kulturellen Konstruktionen von Weiblichkeit. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass geschlechtsspezifische Raumnutzungspraxen insbesondere in multiethnischen Stadträumen mit Ängsten, Empörung und Vorurteilen verbunden sein können. Der im Jungbusch feststellbare Rückzug vieler Frauen aus dem öffentlichen Raum liegt hier zunächst insbesondere an der Dominanz männlicher Raumnutzungspraxen. Für viele Frauen hat die Straße als sozialer Treffpunkt eine geringe Bedeutung, eine wichtigere Rolle kommt spezifischen Frauenräumen zu: Neben dem Besuch von Spielplätzen mit dem Nachwuchs bilden gesonderte Frauenräume bei Veranstaltungen von Vereinen und Moscheen die wichtigsten Aufenthaltsorte von Frauen. Junge Frauen und Mädchen nutzen oftmals eigene Einrichtungen wie den Mädchentreff. Diese Treffpunkte werden als Bereicherung des lokalen Angebots gesehen, da die Café- und Kneipenszene des Quartiers nur begrenzt als Aufenthaltsort für Frauen – aber auch für Paare und Familien – betrachtet werden. Die Dominanz von Männern im öffentlichen Raum wird dabei von Frauen insbesondere deswegen als unangenehm gesehen, weil deren Verhalten oftmals als rücksichtslos, unfreundlich oder aufdringlich empfunden wird und sie sich dadurch in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt fühlen. Frau Korkmaz (31), die nach der Scheidung ihrer Mutter erstmals in den Jungbusch zog und heute mit ihrem Mann und ihren drei kleinen Kindern dort lebt, beschreibt eine solche Situation: E. B: „Und was gibt es denn, was Ihnen am Jungbusch gut gefällt?“ Frau Korkmaz: „Im Moment eigentlich nicht so arg viel.“ E. B.: „Warum?“ Frau Korkmaz: „Weil es mich stört, wenn es so viele Männerlokale gibt. Weil hier neben meinem Haus ist ja eines. Und dann finde ich das nicht so toll, wenn die so auf türkisch dann schlimme Wörter sagen. Manchmal gibt es auch Streitereien und nachts gibt es mal auch Krach und so. Man kann halt nicht so rumlaufen, wie man eigentlich möchte, weil die dann auch vor der Tür stehen und dann einen angucken und solche Sachen. Und in der Beilstraße jetzt bei Café [Name des Cafés; E. B.] zum Beispiel, da stehen die Romaner voll auf der Straße und da machen sie nicht mal einem den Weg frei, wenn man vorbeilaufen will. Da muss man entweder je214
KAPITEL 8 – RAUMKONFLIKTE
manden da auf die Seite schubsen, dass man überhaupt vorbei laufen kann, oder die andere Straßenseite benutzen. Und das gefällt mir eigentlich nicht.“
Auch Renate führt diese Einschränkungen weiblicher Bewegungsfreiheit im Jungbusch auf die spezifische Struktur öffentlicher Räume zurück. Wie bei Frau Korkmaz gehen hier Geschlechterdiskurse in Diskurse über ethnische Gruppen nahtlos über: Renate (48), die immer im Jungbusch gelebt hat: „Und es gibt unheimlich viel italienische und türkische Cafés, wo ja nur Männer drin sitzen. Finde ich keine gesunde Entwicklung. Weil wir sind weder Sizilien, noch sind wir Istanbul, ja? Wir sind Jungbusch und ich denke, es soll doch alles vorhanden sein. Ich meine, dass jetzt italienische und türkische Frauen nicht in eine Kneipe gehen, ok. Da kann ich mit umgehen, die müssen nicht in eine Kneipe. Aber es soll uns deutschen Frauen doch offen stehen, wir müssen uns jetzt nicht unbedingt anders verhalten. Eine deutsche Frau geht in eine Kneipe. Ich geh jetzt nicht in irgendeine Kaschemme, aber in eine urige Kneipe geh ich unheimlich gern. Und da muss ich jetzt nicht meinen Mann dabei haben, ich kann auch mit Freundinnen. Und das ist hier im Jungbusch überhaupt nicht gegeben.“
Diese Situation hat sich durch die Erweiterung des Angebotsspektrums im Zuge der Stadtteilerneuerung in den letzten Jahren zwar etwas verbessert, doch die spezifischen Aneignungspraktiken des öffentlichen Raums werden auch weiterhin als einschränkend für weibliche Nutzungsweisen empfunden. Dabei wird von beiden Frauen allerdings auch der Spielraum von Weiblichkeit abgesteckt: Die urige Kneipe ist für Frauen legitim, anders ist es mit ‚Kaschemmen‘. Das Wegschubsen wäre zwar eine Möglichkeit des Umgangs mit der Situation der männlichen Raumnahme, ein solches Verhalten wird allerdings von Frau Korkmaz keineswegs als selbstverständlich betrachtet. Aus diesen lokalen Bedingungen entsteht auch eine geschlechtsspezifische Bewegungsform: Während Männer sich auf der Straße auch dauerhaft aufhalten, bewegen sich Frauen eher zielgerichtet im öffentlichen Raum, um öffentliche oder private ,Schutzzonen‘ – wie die Moschee, den Spielplatz oder Freunde – aufzusuchen.2 Die Interviews mit Frau Korkmaz und Renate zeigen allerdings, dass diese Geschlechtersegregation aus Sicht der Frauen nur eingeschränkt als freiwillig verstanden werden kann. Die Nachfrage nach Veran2
Selbstverständlich können diese Frauenräume auch als Zentren emanzipatorischer Bewegungen fungieren. Allerdings sind die Rahmenbedingungen hier andere als bei politischen Projekten, wie beispielsweise Frauenhäusern, denn der weibliche Ort ist hier nicht in erster Linie ein erstrittener, sondern ein zugewiesener Raum. Inwieweit die Relevanz kultureller Unterschiede in der Konzeption von Geschlechterbeziehungen sich auf die entsprechende Konstruktion von Frauenräumen auswirkt, bedürfte einer gesonderten Untersuchung. 215
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
staltungen für Frauen im Jungbusch und die Nutzung des eigens für Mädchen existierenden Angebots sind daher auch Folge der speziellen Gegebenheiten im öffentlichen Raum. Die daran geknüpften ethnischen Diskurse entspringen allerdings nicht ausschließlich fremdenfeindlichen Vorurteilen, sondern entstehen teilweise auch aus den Alltagserfahrungen in multi-ethnischen Stadträumen. So erklärt Nazan Kapan, die Leiterin des Internationalen Mädchentreff im Jungbusch, die Ursprünge der Mädchenarbeit hier wie folgt: Nazan Kapan: „Der Ausgangspunkt war folgender: die Hausaufgabenhilfe International […] und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an verschiedenen Mannheimer Schulen haben festgestellt, dass insbesondere die türkischen Mädchen mit Erreichen des Pubertätsalters einfach aus den gemischten Gruppen weggeblieben sind. Dann gab es da halt engagierte Mitarbeiter, die nachgeforscht haben und dann zu Hause nachgefragt haben, warum, weshalb, wieso. Und einfach viele Eltern dann gesagt haben, sie möchten einfach nicht mehr, dass ihre Töchter in gemischte Gruppen gehen. Da kommt so dieser traditionelle Gedanke durch, soweit wie möglich Kontakt zu männlichen Wesen vermeiden, außer was verpflichtend ist wie Schule und so, da können sie es leider nicht machen. Oder Gott sei Dank nicht.“
Trotz dieser spezifischen lokalen Entwicklungen, welche zur Gründung des reinen Mädchentreffs im Jungbusch führten, sieht Nazan Kapan die Existenz patriarchaler Strukturen im Allgemeinen und nicht ethnische Strukturen im Besonderen als zentrales Motiv für die Mädchenarbeit an. Tatsächlich wäre es für die Beurteilung des Geschlechterverhältnisses im Jungbusch sicherlich zu einfach, südeuropäische Geschlechterrollen (vgl. dazu beispielsweise Dracklé 1998) als alleinige Beweggründe für den Rückzug vieler Frauen aus dem öffentlichen Raum zu interpretieren. Denn auch spezifische Vorurteile über Geschlechterrollen in fremden Kulturen, können zu Rückzugsstrategien unterschiedlicher Art führen. Dabei stellt sich allerdings die Erfahrung von Migrantinnen deutlich anders dar, als gängige Konzeptionen eines Ist-Zustandes der Gleichberechtigung in Deutschland vermuten lassen. So kann es auch in scheinbar liberaleren sozialen Räumen zu einer Beschränkung der Bewegungsfreiheit, insbesondere von Migrantinnen, kommen: Im Interview mit Semra – die durch ihre Heirat aus Frankfurt am Main in den Mannheimer Jungbusch zog – erzählt diese von den negativen Erfahrungen, die sie als Trägerin eines Kopftuchs auf der Mannheimer Messe gemacht hat. Beim Besuch des Volksfests mit verschiedenen Fahrbetrieben wurde ihr empfohlen, sich als muslimische Frau doch lieber in angemesseneren Orten zu bewegen: Semra (26): „Einmal ist es mir bei der letzten Messe passiert. Ich wollte dann, bevor es dunkel wird, meine Kinder hinbringen und wieder zurück. Da sind wir spazieren gegangen und ich hab sie dann irgendwo einsteigen lassen, wo sie herumfahren 216
KAPITEL 8 – RAUMKONFLIKTE
konnten. Und da kam eine besoffene Frau, die hat so dermaßen mich angeschrien, da [lacht] guckten die ganzen Leute in der Umgebung mich an und ich dachte schon: ‚Hab ich was Unpassendes gemacht‘? Mir kam das nicht gleich in Gedanken, dass es an meinem Kopftuch lag. Also so nachtragend denk ich auch nicht, dass jeder mich beobachtet oder so. Zuerst hab ich halt gedacht: Hab ich was Falsches gemacht oder Falsches getan, irgendwie. Und dann schrie sie mich an, ob ich mich nicht schämen würde, in solche Stellen hinzukommen, da könnt ich ja gleich zu den Diskos auch reingehen, oder so. Und da bin ich lieber ruhig geworden und ruhig geblieben, weil: Ich konnte ihr sowieso nichts antworten, denn sie war besoffen. Aber es waren auch Nicht-Besoffene da, die auch was gesagt haben. Und das hat mir gar nicht gepasst, aber, wie gesagt, das ist irgendwie auch Alltag für uns, wissen Sie? […] Da denkt man sich schon, wieso ein Stück Stoff soviel bei den anderen Menschen aus macht.“
Neben der männlichen Dominanz im öffentlichen Raum Jungbusch spielen also durchaus auch andere Faktoren eine Rolle für die Entwicklung weiblicher Strategien der Raumnutzung. In diesem Falle ist es eine Frau, die auf Grund von Stereotypisierungen über muslimische Frauen letztlich die Bewegungsfreiheit einer Muslima im öffentlichen Raum zu beschränken sucht. Insofern sind Frauen an der Perpetuierung von geschlechtspezifischen Aneignungspraktiken von Raum keineswegs unbeteiligt – hier wirkt sich dabei zudem auch ein hegemoniales Frauenbild westlicher Prägung auf die Wahrnehmung von Angehörigen anderer ethnischer Gruppen aus (vgl. Hooks 2000). Trotz der spezifischen Geschlechterverteilung im öffentlichen Raum Jungbusch, wird dieser allerdings nicht notwendigerweise als Angstraum beschrieben. Gerade die Kenntnis des Quartiers und seiner Bewohner führt unter Umständen zur Ausbildung eines Sicherheitsgefühls, das sich gerade durch die spezifischen sozialen Nutzungsweisen des öffentlichen Raums im Jungbusch ergibt. Besonders nachts wird das Quartier durch die relativ große Anzahl von Passanten auf der Straße auch als weniger gefährlich eingeschätzt als beispielsweise die Innenstadt.3 Die soziale Bedeutung der Straße führt hierbei zu einem Gefühl der Sicherheit im Jungbusch als Heimat: Sonia (19), Abendschülerin: „Und wenn ich auch in der Stadt bin, ich fühl mich irgendwie abends – jetzt zum Beispiel: Was weiß ich, es ist Mitternacht oder so, ich will von der Stadt nach Hause laufen. Ich fühl mich überhaupt nicht sicher. Und sobald ich einen Fuß in den Jungbusch setze, dann weiß ich: ‚Ok, ich bin jetzt zu Hause.‘“
3
Dies gilt sicherlich nicht für Frauen mit fremdenfeindlichen Einstellungen, da hier die Anwesenheit von Migranten auf der Straße wohl eher als Bedrohung denn als Sicherheit empfunden wird. 217
LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
Auch für Nathalie ist es die Familiarität des sozialen Lebens auf der Straße, welches bei ihr zu einem Gefühl der Sicherheit im Stadtteil beiträgt. Obwohl sie im Gegensatz zu Sonia nicht im Jungbusch aufgewachsen und daher auch weniger in die eine oder andere lokale Gemeinschaft integriert ist, sieht sie auf Grund der Existenz solcher Gemeinschaften ihre Sicherheit im öffentlichen Raum als gewährleistet an. Nathalie (28): „Eigentlich hab ich fast nur positive Erfahrungen gemacht. Bin noch nie irgendwie angepöbelt worden oder belästigt worden oder so. Weil doch viele jetzt denken: ‚Oh, Jungbusch ist schon so ein bisschen so ein dunkles Fleck dahinten‘. Aber damit hatte ich eigentlich bis jetzt noch keine Probleme. Ich geh auch nachts im Jungbusch jetzt nach Hause von der Kneipe oder so und fühl mich eigentlich nicht irgendwie unsicher.“
Letztlich ist das Sicherheitsempfinden von Frauen im öffentlichen Raum auch Folge von ganz persönlichen Erfahrungen und vom eigenen Geschlechterverständnis. Es lässt sich allerdings generell feststellen, dass der öffentliche Raum Jungbusch, auch in Bezug auf Lokale und andere Treffpunkte häufig einer Geschlechtertrennung unterliegt. Diese führt ebenso wie die ethnischen Raumkonflikte zu spezifischen Aneignungsweisen von Raum. Der multiethnische Stadtraum kann dabei auch zur Verstärkung von Geschlechtertrennungen beitragen, indem die männlich dominierte Straße beispielsweise nicht als Aufenthaltsort für Frauen und junge Mädchen erachtet wird. Gleichzeitig führt die soziale Relevanz des öffentlichen Raums für unterschiedliche ethnische Gemeinschaften im Jungbusch auch zu einem erhöhten Sicherheitsgefühl durch die Konzeption eines quasi-familiären Zusammenhalts.
Jungbuschtouristen Eine weitere Quelle des Raumkonflikts, welche von Bewohnern des Jungbusch als relevant betrachtet werden, sind externe Aneignungspraktiken des Stadtraums. Also die diskursive und materielle Raumnahme durch Außenstehende, die nicht dem Jungbusch, sondern der Stadt Mannheim zugeordnet werden. Hier ist es nicht die innere Segmentierung, die als problematisch eingestuft wird und auch nicht der Einfluss fremder Kultur, sondern die Sichtweise der Rest-Mannheimer auf den Jungbusch. Insbesondere spielt hier die bereits in Kapitel 2 erwähnte Konzeption von Stadtraum als Wildnis beziehungsweise als Abweichung von der Norm eine Rolle. Die damit einhergehende Praxis des „Differenzkonsums“ (vgl. Terkessidis 1999) wird von den Bewohnern marginalisierter Stadtteile häufig als negativ empfunden (vgl. dazu auch Kaya 2001: 140f).
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KAPITEL 8 – RAUMKONFLIKTE
In der regionalen Öffentlichkeit wird der Jungbusch häufig als no-go area für die bürgerliche Bevölkerung der Stadt verstanden. Dieser Status des Jungbusch als eine Art räumlicher misfit oder ‚Paria‘ wird hierbei als Resultat seiner spezifischen Geschichte betrachtet, der sich ins Gedächtnis der Mannheimer Bevölkerung unwiderruflich eingebrannt hat. Dieses öffentliche Image reduziert – so der Vorwurf von Ortsansässigen – die Bewegung von ‚Mannheimern‘ im öffentlichen Raum Jungbusch auf spezifische Gebiete und Gelegenheiten. Marc (46): „Das ist schon immer ein komisches Viertel gewesen, was schon immer mit starken Bewegungen / weil das ist ja ein Hafenviertel. Früher sind die Schiffer – als die noch Personal auf den Schiffen hatten und als die noch tagelang gelöscht wurden, die Schiffe – da sind die hier durch den Jungbusch gefallen, die Matrosen, und haben sich voll gesoffen und sind zu den Mädels mit den roten Lichtern gegangen. Und die GI’s und so weiter. Das war hier Amüsierviertel. Es war schon immer viel Bewegung hier. Andererseits war es schon immer sehr verrufen und in der Stadt selbst drin – es gibt so eine Barriere, das ist der Ring. Oder die Barriere fängt schon früher an, eigentlich am Paradeplatz. Es gibt Leute die gehen – Mannheimer – die gehen höchstens einmal im Jahr über den Paradeplatz rüber. Von ihrer, von der Wasserturmseite aus gesehen. Das ist für die dann gefährlich hier. Also das ist verrufen, die wollen da nicht hin. Ausländeranteil zu hoch und Angst und was weiß ich. Sodom und Gomerra. Das ist so. Psychische Barriere.“
Diese Beschreibung der Vorbehalte gegenüber dem Jungbusch reflektiert treffend die hegemonialen Diskurse über das Quartier. Das negative Image führt dabei zur „psychischen Barriere“ bei den Mannheimern jenseits des Paradeplatzes, welche durch eine gewisse Angst geprägt ist. Andererseits wird der Jungbusch im Zuge von neuen Formen der Lebensstilisierung auch als Ort der Freizeitgestaltung neu entdeckt. Auch dieses Phänomen der kurzfristigen Aufenthalte von Besuchern und ‚HobbyEthnologen‘ im Stadtteil, welche die Atmosphäre im marginalisierten multiethnischen Quartier konsumieren um dann zu Hause, in den besseren Wohngegenden, von ihren Erfahrungen mit den just plain folks zu berichten, wird von Bewohnern deutlich wahrgenommen: Costas (35): „Aber ich muss dir ehrlich sagen, mittlerweile ist es ja auch so: Früher haben wir viel mehr Jungbusch-Gäste gehabt, mittlerweile haben wir sehr viel Auswärtige, verstehst du? Also so Jungbuschtouristen, nennen wir es mal so. Pseudointellektuelle Jungbuschtouristen.“ E. B.: „Ach so, so wie ich [lacht]. Ich wohn’ hier.“ Costas: [lacht] „Du wohnst hier. Ok, dann bist du kein pseudo-intellektueller Tourist, sondern“ / (beide lachen)
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LOKALITÄT UND KULTURELLE HETEROGENITÄT
E. B.: „Aber in der Seilerstraße.“4 Costas: „Nein, das ist oft, was ich so ein bisschen anprangere. Weißt du, die Leute so auf unserer, nennen wir es mal so halbwegs gebildeten Wellenlänge, kommen hier vorbei, finden alles toll. Aber ziehen sich auch wieder zurück in ihr Schneckenhaus, verstehst du? Die gehen nicht die letzte Konsequenz ein. Das ist, was mich immer geärgert hat. Weißt? Wir haben hier diese 300 Apartments von diesen Studentenwohnungen. Wir haben nichts von diesen Studenten. Die hätten irgendwie mit eingebunden werden müssen. Und das gleiche Problem ist auch mit dieser Popakademie und Musikpark. Ich weiß, dass viele Jungs: ‚Ah, das Yuppie-Ding hat bei uns nichts zu suchen‘, sich aufregen. Aber sie regen sich umsonst auf, weil die haben auch nichts mit dem Jungbusch zu tun. Dieser Synergie-Effekt geht völlig vorbei an diesem Stadtteil. Dieser Stadtteil hat gar nichts, außer das Fahrradöl von den Ketten und die Zigarettenstummel. Sonst gar nichts.“
Costas kritisiert hier insbesondere eine gewisse sozialromantische Haltung gegenüber dem Jungbusch. Die Veränderungen im hegemonialen Diskurs, die zu einer verstärkten öffentlichen Aufmerksamkeit beitrugen, werden deshalb auch nicht als Vorteil für das Quartier interpretiert. Vielmehr verstelle diese diskursive Transformation eine tatsächliche Entwicklung des Jungbusch. Hierbei existiert zum Teil eine deutliche Diskrepanz zwischen der Einschätzung langjährig im Jungbusch ansässiger Personen und den im Verlauf des Aufwertungsprozesses lancierten Darstellungen. Während letztere den Bruch zwischen marginalisierten Bewohnern und „Leuchtturmprojekten“ als Spannungsfeld betrachten, wird der Jungbusch von Bewohnern als spezifische sozio-kulturelle Nische verstanden, die sich sozial-räumlich zum „YuppieDing“ der Popakademie und des Musikparks ebenso wie zu den „(pseudo)“intellektuellen Sozialromantikern abgrenzt. Auf ähnliche Art und Weise kritisiert auch Frau Müller die Entwicklung eines Jungbuschtourismus. Sie bringt dieses Phänomen in Zusammenhang mit den Stadtentwicklungsprozessen der letzten Jahre – insbesondere mit der Popakademie – welche zu einer erhöhten medialen Aufmerksamkeit gegenüber dem Jungbusch geführt haben, damit aber gleichsam zur Beförderung einer Konsumption von Fremdheit betragen: Frau Müller (71), Rentnerin: „Und wenn ich ganz ehrlich bin: Ich hätte die Popakademie nicht gebraucht. Und ich kann Ihnen Bilder zeigen, wo man dann plötzlich mal hergekommen ist und hat Busfahrten da abgeladen und hat unsere Wohnungen gezeigt. Da habe ich mich dermaßen geärgert. Dann habe ich meinen Foto geholt, mich auf die Fensterbank gestellt und habe die fotografiert. Damit sie mal merken, wie das ist. Wir sind doch kein Zoo.“ 4
Diese Antwort reflektiert die oftmals von Bewohnern geäußerte Haltung, der östliche Teil des Quartiers, in dem meine Wohnung liegt, gehöre nicht wirklich zum Jungbusch dazu.
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KAPITEL 8 – RAUMKONFLIKTE
Gerade die Versuche zur Produktion eines positiven Images seitens der spatial brokerage, die häufig in Ortsterminen resultieren, führen dabei zu einem Gefühl der persönlichen Abwertung. Die Bewohner, der Stadtteil und dessen Zustand werden hierbei oftmals von professionellen Akteuren repräsentiert. Die Bewohner fungieren weitgehend als Statisten.5 Die hier vorgenommene Unterscheidung zwischen ‚Jungbuschlern‘ und ‚Auswärtigen‘ ist dabei gekennzeichnet durch den zeitlichen Rahmen des Aufenthalts im Jungbusch und den damit einhergehenden Differenzen in der Wahrnehmung. Frau Müller bezieht sich damit allerdings auch auf die alltäglichen Erfahrungen der Diskriminierung auf Grund des Wohnorts. Während für externe Besucher oder Bewohner in spezifischen Lebensphasen – wie beispielsweise Studenten – der marginalisierte multi-ethnische Stadtraum durchaus Freiräume bietet, hat er auf dauerhaft ansässige Gruppen eine deutliche stigmatisierende Wirkung. Diese negativen Effekte des Lebens im Jungbusch werden in Hinblick auf die ‚Auswärtigen‘ allerdings – als Teil der Ortspolitiken – häufig negiert. Dies bedeutet nicht, dass die Befragten keine Kritik an den Lebensbedingungen im Jungbusch hätten, sondern vielmehr, dass man nicht Teil eines Spektakels zur Romantisierung sozialer Ungleichheit werden möchte. Die Betonung der eigenen Zugehörigkeit zum Jungbusch wird dabei auch zu einer Art umgekehrter Distinktion als authentische Marginalisierte, im Gegensatz zu den „Pseudo-Intellektuellen“, die sich wieder in ihre sicheren Festungen zurück ziehen und „nicht die letzte Konsequenz“ eingehen, also sich nicht auf die Erfahrung persönlicher Stigmatisierung und einer Selbstidentifikation als underdog einlassen.
Lebensstilspezifische Raumkonflikte Besonders linke Gruppen im Jungbusch haben sich in den letzten Jahren zu Agenten der Bevölkerung erklärt und auf negative Konsequenzen einer Gentrifizierung des Quartiers aufmerksam gemacht. Zielscheibe dieser Bedenken sind wiederum insbesondere die Popakademie und der Musikpark, die als Vertreter der Musikindustrie und Zugpferd der ,Aufwertung Jungbusch‘ doppelt kritisch betrachtet werden. Dabei wird dieses Thema von alternativen Gruppen zum Einen in Hinblick auf den Verlust von Freiraum diskutiert (vgl. Meier 09/2004) – was auch in der Besetzung eines Gebäudes am Verbindungskanal an Weihnachten 2003 seinen Ausdruck fand (MM vom 29.12. 2003) – zum Anderen in Bezug auf die massenkompatible Verschulung von 5
Die Praxis der offiziellen Ortstermine führt auch bei Bewohnern, die im Prozess der spatial brokerage als Katalysatoren fungieren, häufig zu Irritationen: Vertreter aus Stadtteilarbeit, Politik und Medien bilden meist die Mehrheit der Anwesenden, während viele Bewohner eher zufällig an solchen Veranstaltungen teilnehmen, beziehungsweise lediglich aus der Ferne zusehen. 221
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musikalischer Kultur, die sich in der Gründung der sogenannten Rock’n’Roll Highschool als Zusammenschluss von verschiedenen Mannheimer Künstlern und Musikern äußerte. Während die Vertreter der Rock’n’Roll Highschool aber auch Veranstaltungen der spatial brokerage für ihre Auftritte nutzen, hat sich die Situation zwischen linken Aktivisten und insbesondere dem Musikpark zeitweilig stark zugespitzt. Dabei wird die wissenschaftliche Diskussion zum Thema Gentrifizierung in einen politischen Diskurs um ‚Luxussanierungen‘ integriert, der im Wesentlichen von einer, teilweise akademisch gebildeten, Subkultur geführt wird. In einem Flugblatt der Anarchistischen Gruppe Mannheim zur ‚Revolutionären Sylvesterdemo‘ am 31.12.2006 wird der Jungbusch als ein typisches Beispiel für die Umstrukturierung von Stadträumen zugunsten einer kapitalistischen Standortpolitik gesehen: „Der Jungbusch, das ehemalige Hafenviertel Mannheims, wurde mittlerweile zu einem Modellprojekt dieser Stadtteilumstrukturierungen. Das ehemalige ‚Schmuddelviertel‘ ist mit seiner zentralen Lage und attraktiven Altbauwohnungen ein Stadtteil mit großem Potential, neues ‚In-Viertel‘ zu werden. Bisher lebten in diesem Stadtteil hauptsächlich MigrantInnen verschiedener Nationalitäten, aber auch viele alternative Jugendliche, Künstler, Intellektuelle etc. Die günstigen Mietpreise und der eigene Charme ließen ein Flair entstehen, das in dieser Art in Mannheim sicherlich einmalig war. In den letzten Jahren wurde mit der Errichtung des ‚Musikparks‘, der ‚Popakademie‘, einem künstlichen Neckarstrand versucht, den Stadtteil zu einem europäischen Zentrum der kommerziellen Popmusik und einem Quartier für Besserverdienende mit Vorzeigecharakter umzugestalten.“
Der alternative Charme des Viertels – der durch Migranten aber auch Gruppierungen mit subkulturellen Lebensstilen erst entsteht – wird hier als bedroht durch Prozesse der Popkulturalisierung und Kommerzialisierung betrachtet. Befürchtet wird dabei insbesondere ein Ausverkauf des Quartiers, der zu eben jener Verdrängung sozial marginalisierter Gruppen führen würde, wie sie in Theorien der Gentrifizierung gemeinhin beschrieben werden. Diese Darstellung vernachlässigt allerdings, dass die Entwicklungen der letzten Jahre zwar zur Legitimation von Mietpreissteigerungen dienen, die hohe Fluktuation der Bewohner allerdings schon seit längerem zu einer relativ flexiblen Gestaltung des Mietpreises führt. Micha – ein 26-jähriger Student, der zum Zeitpunkt unserer Interviews bereits in der zweiten Wohngemeinschaft im Jungbusch wohnte und der den Veränderungen im Quartier ebenfalls sehr kritisch gegenüber steht – fasst die Bedenken gegenüber den Entwicklungsprozessen zusammen. Dabei reflektiert er auch die ökonomischen Differenzen zwischen unterschiedlichen Typen von ,Pionieren‘ klassischer Theorien der Gentrifizierung. Gleichzeitig äußert er auch Bedenken gegenüber möglichen Prozessen des kulturellen Wan222
KAPITEL 8 – RAUMKONFLIKTE
dels durch die weitere Verschärfung der sozialen Distanz einzelner Bevölkerungsgruppen, welche zu Veränderungen der Bewohner- und der Besucherstruktur führen: Micha: „Das sind einfach Wohnungen, die sich vielleicht Studenten-WG’s leisten können, wo alle doch relativ zahlungskräftig sind – jeder Einzelne – und dann zusammen eine hohe Miete irgendwie zahlbar ist. Aber die Migrantengruppen oder auch andere irgendwie finanziell schwächere Gruppen, die können sich das natürlich nicht leisten. Und das sind ja auch Gruppen, die ja bis jetzt die angestammte Bewohnerschaft sind. Also wäre zu befürchten, dass die quasi dadurch verdrängt werden in andere Stadtteile, wo die Mieten billiger sind. Wo sie aber auch mehr aus dem Blickfeld sind, wie Rheinau, Schönau, könnte ich mir vorstellen. Es passt halt auch zu dieser Musik-Standort-Geschichte, dass hier ein anderes Publikum herziehen soll, wie natürlich Studenten für die Popakademie zum Beispiel. Oder auch entsprechendes Klientel der Mitarbeiter für den Musikpark oder so. Ja und, keine Ahnung, dass dementsprechend halt natürlich auch irgendwie wieder die Infrastruktur vielleicht verbessert aber auch verändert wird. Also, dass mehr so Kneipen, wie, weiß nicht – in der Jungbuschstraße hat diese eine komische Kneipe jetzt aufgemacht. Die soweit ich weiß noch keinen Namen hat.“
Micha rekurriert hier nicht nur auf das Eintreffen sozialer, sondern auch kultureller Veränderungen. Die Ortsidentität des Jungbusch wird dabei scheinbar mit einer spezifischen Sozio-Kultur verknüpft: Migranten und alternative Kultur sind zwar analytisch trennbar, werden allerdings bei diesen lebensstilspezifischen Raumkonflikten unmittelbar miteinander verwoben. Die Transformationen eines alternativen Stadtteils zum Hort der Konsumkultur sieht Lang (1998: 65) allerdings nicht als simples Opfer-Täter-Schema, wie es im gentrifizierungskritischen politischen Diskurs dargestellt wird: „Tatsächlich sind auch jene an der Errichtung und Nutzung dieser neuen Infrastruktur beteiligt, die gemeinhin als ‚verdrängte Bevölkerungsgruppen‘ gehandelt werden: die türkischen Migranten.“ Insofern ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass sich der Versuch lokaler Aktivisten, dieses Thema auch einer breiteren Öffentlichkeit im Jungbusch zugänglich zu machen, schwierig darstellte. Gerade die Migranten als potentielle Opfer von Verdrängungsprozessen, die außerdem am wenigsten an lokalen Diskursen beteiligt sind, erwiesen sich als problematische Ansprechpartner. Micha (26): „Man erlebt auch oft irgendwie, dass keine Bereitschaft da ist zur Kommunikation. Das war auch ein Problem von der Stadtteilgruppe. Dass das immer schwierig war, Migranten irgendwie anzusprechen mit dem Thema, die ja doch irgendwie den höchsten Bewohneranteil hier darstellen. Wo halt die Versuche auch dann waren, Flugblätter und so mehrsprachig zu machen und alles. Was sicher etwas bewirkt hat, aber so Resonanz – weiß ich nicht, ist nicht so großartig. So ein richti223
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ges Miteinanderleben-Gefühl ist es immer noch nicht irgendwie. Ich mein’, das hat man nirgendwo, das hab’ ich in der Innenstadt schon gar nicht [lacht].“
Diese Kommunikation wird nicht nur durch sprachliche Barrieren erschwert, sondern auch aufgrund sehr unterschiedlicher Lebensstilkonzepte: Die zum Teil kleinbürgerlichen und konservativen Ansichten vieler Migranten mit der Hoffnung auf sozialen Aufstieg führen keineswegs zu einer ideologischen Kritik an Aufwertungsprozessen, das Gegenteil ist der Fall. Lediglich die möglichen ökonomischen Auswirkungen stellen aus dieser Perspektive ein Problem dar. Doch in der Regel ist es eher der schlechte Zustand der Wohnungen in Relation zu einer ohnehin gar nicht so günstigen Miete, die von Bewohnern als problematisch empfunden wird. Die meisten meiner Interviewpartner mit Migrationshintergrund äußern daher keine Ängste vor Verdrängung, sondern sehen eine erfolgreiche Stadtteilentwicklung oftmals als Alternative für eigene Umzugspläne in bessere Wohnviertel. Trotz der hehren Ziele der Gentrifizierungskritiker stellt sich diese Debatte daher letztlich auch weniger als ein sozialer Konflikt zwischen arm und reich dar, sondern vielmehr als Auseinandersetzung um die legitime Aneignung und Repräsentation des Quartiers. Während Micha den Jungbusch selbst als alternatives Viertel beschreibt und von einer sozialen Verantwortung gegenüber den Minderheiten im Stadtteil ausgeht, sieht Christian Sommer, der Geschäftsführer vom Musikpark, durch die Prozesse der Stadtteilentwicklung einen wirtschaftlichen und kulturellen Vorteil, der allein auf Seiten des Jungbusch liegt: Herr Sommer: „Die Einen merken das, das sind vor allen Dingen natürlich die Gewerbetreibenden, der Handel, die Hausbesitzer. Die verzeichnen hier ganz klar positive Effekte. Die Anwohner der Straße, das Quartiermanagement. Es ist ein großer Fokus auf dem Jungbusch. Jungbusch ist in aller Munde, jeder redet über den Jungbusch. Das war ja bis vor einigen Jahren noch so ein bisschen das Nutten- und Puffviertel und man hat da eigentlich einen großen Bogen darum gemacht. Mittlerweile ist der Jungbusch extrem hip. Es wird auch wahrgenommen, dass es hip ist. Das sorgt für das Selbstbewusstsein. […] Andere sehen da drin eine Bedrohung. Die Mieten steigen: Sehen darin eine, sag ich mal, Bevormundung, eine Verjugendlichung des Ganzen. Sehen diese sozialen Besitzstände bedroht, die sich einfach auf Grund des 30-jährigen Wohnens hier etabliert haben. Dass bestimmte Läden, die sie immer kennen, vielleicht jetzt auch verdrängt werden. Ich halte das an der Stelle wirklich für ungerechtfertigt. Wir haben ein großes Problem, sowohl mit Musikpark als auch Popakademie, mit einer kleinen Zelle im Jungbusch, die darin so ein kulturpolitisches Problem sieht. Die linke, antifaschistische Bewegung, die hierin, sag ich mal, eine Edelsanierung, eine Manifestation der Yuppie-Kultur sieht.“ […]
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E. B.: „Könnte man jetzt auch sagen, dass vielleicht der Jungbusch durch das Image, das er hat oder hatte, vielleicht auch zur Popularität vom Musikpark beigetragen hat? Also, gibt es auch umgekehrt ein Ausstrahlen?“ Herr Sommer: „Nee, ganz sicherlich nicht. Im Gegenteil. Also das ist was, womit wir sehr stark kämpfen. Also mit diesem: ‚Was ihr seid im Jungbusch, mein Gott!‘ […] Nee, das ist ein Malus. Also muss man ganz klar sehen. Ein ganz klein wenig bringe ich ins Feld dieses multikulturelle Künstler [macht ein pfeifendes Geräusch]. Aber da ist halt einfach Kreuzberg doch noch mal was anderes.“
In diesen gegensätzlichen Haltungen zur Entwicklung des Quartiers zeigt sich allerdings auch, dass in diesem Konflikt die autochthone Bevölkerung entweder als passives Opfer oder als passiver Gewinner von Entwicklungsprozessen wahrgenommen wird. Der Jungbusch wird somit zum Austragungsort einer Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Lebensstilmodellen, die mit differenten Raumbildern des Jungbusch korrelieren: Während für Micha die Verdrängung der Bewohner voran schreitet, ohne dass der Traum von der territorialen Machbarkeit der Utopie völlig ausgeträumt ist, ist der Jungbusch für Herrn Sommer auch mit Musikpark und Popakademie weiterhin ein Problemviertel, welches einer positiven Entwicklung bedarf. Obwohl die marginalisierten Bewohner in beiden Diskursfragmenten vorkommen, wird ihnen keine eigenständige Gestaltungsmacht über den Jungbusch zugesprochen, die Existenz von subalternen Ortspolitiken wird hier ebenso wie im klassischen Gentrifizierungsdiskurs vernachlässigt
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Schluss Jungbusch und kein Ende
Bei zwei öffentlichen Vorträgen im Jungbusch, zu denen auch meine Interviewpartner eingeladen waren, habe ich meine Ergebnisse nochmals vorgestellt und diskutiert. Diese Vorgehensweise hatte zwei Gründe: Zum Einen wollte ich meinen Gesprächspartnern die Gelegenheit bieten, auf meine Forschungsergebnisse zu reagieren und sie gegebenenfalls zu kritisieren, um diese Reaktionen in meine Arbeit einzubeziehen. Zum Anderen wollte ich nach dem langen Kontakt zu vielen Schlüsselinformanten meine Schlussfolgerungen auch an die Protagonisten aus dem Jungbusch zurückgeben, um auf Probleme, die mir gegenüber dargestellt wurden, hinzuweisen und möglicherweise auch einen Teil zu deren Lösung beizutragen. Die Ergebnisse dieser Vorträge mit anschließender Diskussion stellen sich wie folgt dar: Die meisten Anwesenden fanden insgesamt den Jungbusch und seine Bewohner gut getroffen und die Problematiken des multi-ethnischen Zusammenlebens gelungen wieder gegeben. Außerdem konnte ich bei diesen Gelegenheiten einige – meiner Ansicht nach strittige – Interpretationen verifizieren. Andererseits wurde auch Kritik laut: Einer meiner Interviewpartner hatte sich unter meinem Forschungsinteresse eine stärkere Beschäftigung mit Geschichte und Architektur des Quartiers vorgestellt und keine sozio-kulturell angelegte Studie. Eine weitere Klage bestand darin, dass ich in meinem Vortrag die Trennung zwischen städtischer Sicht und der Ebene der Gemeinwesenarbeit im Jungbusch analytisch zu wenig kenntlich gemacht hätte. In dieser Arbeit ist das – wie ich hoffe – nicht der Fall. Selbstverständlich hat die Stadt Mannheim teilweise andere Primärziele als eine sozial ausgerichtete Gemeinwesenarbeit. Andererseits kann man diese Ebenen nicht vollständig trennen, insofern natürlich die Stadt letztlich auch über die Vergabe von Geldern
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entscheidet. Die Gemeinwesenarbeit ist, wenn auch nicht ausschließlich, abhängig von den politischen und finanziellen Entscheidungen der Stadt.1 Besonders in der zweiten Diskussionsrunde, die mehrheitlich von Angestellten verschiedener Institutionen und von lokal aktiven Künstlern besucht war, wurde allerdings zunächst ein Schreibfehler in meiner Präsentation bemängelt: Der von mir fälschlicherweise ohne ‚c‘ geschriebene ‚Buschputz‘ löste Irritationen aus. Hier hatte sich schlicht ein Schreibfehler eingeschlichen. Dieser wurde zu meiner Überraschung als Interpretation meinerseits gedeutet und erstaunlicherweise mit der Begründung, dies erinnere an George W. Bush, vehement abgelehnt. Eine solcherart politische Kritik irritierte mich insbesondere deshalb, weil die Bezeichnung ‚bush‘ für den Jungbusch tatsächlich in öffentlichen Diskursen gebräuchlich ist. Meine diesbezüglichen Hinweise auf die Verwendung des Begriffes ‚Bushmen‘ in der lokalen Zeitschrift „Buschtrommel“ (4/2005: 3) wurden von einer Besucherin sogar als Unkenntnis der Verhältnisse vor Ort interpretiert: Die Buschtrommel schreibe sich ja selbstverständlich auch mit ‚c‘. Aufklärung über diesen Sachverhalt konnte schließlich der Quartiermanager Herr Scheuermann geben, der bestätigte, dass die Schreibweise ‚bush‘ ohne ‚c‘ in der Buschtrommel durchaus verwendet wurde, was die Empörung einigermaßen linderte. Daraufhin habe ich sämtliche Schreibweisen nochmals genau überprüft. Alle in dieser Arbeit verwendeten Schreibweisen wurden original so geschrieben – ein Hinweis auf G. W. Bush ist von mir also keineswegs intendiert. Außer bei dieser Gelegenheit wurde eine solche Beziehung allerdings auch nie von Informanten oder von mir selbst hergestellt. Bei dieser Gelegenheit wurde auch darauf hingewiesen, dass es schon immer zwischen unterschiedlichen Gruppen im Stadtraum Konflikte gab und dass die ethnische Dimension lediglich ein zugeschriebenes Merkmal sei. Diese Anmerkung ist sicherlich richtig. Es ist in diesem Zusammenhang allerdings auch wichtig festzustellen, dass die Bewohner selbst diese Raumkonflikte in dieser Form ‚ethnisieren‘ und sich dahinter natürlich auch Motive der Diskriminierung ethnischer ‚Anderer‘ verbergen. Hieraus entspann sich eine rege Debatte um das Thema Integration und um die Relevanz der sozialen Verhältnisse im Jungbusch für den bislang eingeschlagenen Weg zur Aufwertung des Stadtteils. Die restliche Diskussion rotierte im Wesentlichen um zwei Themenkomplexe, die sich weniger mit meiner Arbeit als mit dem IstZustand im Jungbusch beschäftigten. Zum Einen ging es hierbei um die Di1
Selbstverständlich sind auch andere Träger an der Gemeinwesenarbeit im Jungbusch beteiligt, doch auch diese sind in aller Regel nicht unabhängig von Geldern der öffentlichen Hand. Lediglich die in einigen Bereichen vorhandenen und auch notwendigen Public-Private-Partnerships ermöglichen es der Gemeinwesenarbeit, relativ unabhängig Projekte zu fördern und damit deren Bestand zu gewährleisten.
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mension der Integration, auf die ich im Folgenden noch näher eingehen werde, zum Anderen um die Dimension der sozialen Vielfalt ethnischer Gruppen und damit verbunden mit der Frage, inwieweit der künstlerische Anspruch vieler Projekte dazu angetan ist, Bewohner tatsächlich einzubinden. Maßnahmen, die der Integration von Minderheiten dienen sollen, sind natürlich auch ein programmatischer Bestandteil von Stadtentwicklungskonzepten und werden auf der lokalen Ebene unter anderem im Quartiermanagement und in der Gemeinwesenarbeit verankert. Debatten um das Thema Integration und wie diese zu definieren sei, werden allerdings selbstverständlich auch auf lokaler Ebene geführt, wobei sich die Einigkeit über die Bedeutung des Begriffes in Grenzen hält. Neben der Sprache und der Kenntnis ‚der deutschen Kultur‘, die inzwischen eine politische und juristische Relevanz auf den Ebenen des Bundes und der Länder haben, geht es auf der lokalen Ebene eher um konkrete Aushandlungsprozesse, Beziehungsnetzwerke und Sozialkontakte: Kann ich mich mit meinem Nachbarn unterhalten? Welche Sprache sprechen meine Kinder in der Schule? Gibt es ein geteiltes Gefühl von Verantwortung für den Nahraum? Wo halte ich mich auf, welcher Raum ist für mich vielleicht Tabu? Hier spielen natürlich Vorurteile eine gewisse Rolle, insofern wird in wohlmeinenden Debatten oftmals ein übergroßes Maß an Toleranz gefordert: Dem Ausdruck von Unbehagen einer Bewohnerin im Anschluss an meinen zweiten Vortrag, darüber, dass man im Jungbusch auf der Straße praktisch kein deutsch hören würde und daher nachbarschaftlicher Austausch kaum möglich sei, wurde von einigen Anwesenden mit dem Verweis auf die Existenz deutscher Enklaven in Mittelmeerländern begegnet. Auch deutsche Auswanderer würden im Ausland auf ihrer eigenen Sprache beharren. In Italien sei man aber beispielsweise gerne bereit, deutsch zu lernen, um mit diesen Zugezogenen zu kommunizieren. Mein Hinweis, dass hier auch möglicherweise ökonomische Interessen speziell in der Tourismusbranche vorhanden seien, die eine Bilingualität befördere, wurde allerdings als Fehlinterpretation abgelehnt. Andere Nationen – hier die Italiener – wurden vielmehr von einigen Zuhörern als integrationskompatibler, als die deutsche Mehrheitsgesellschaft, dargestellt. Die Forderung nach Bilingualität gestaltet sich im Jungbusch allerdings etwas schwierig, da sich hier sehr verschiedene ethnische Gruppen eine Lokalität teilen. Dieses Problem habe ich bei dieser Gelegenheit auch aus meiner Sicht geschildert: Zu Beginn meiner Feldforschung hatte ich mich nicht zufällig dafür entschlossen, einen Türkischkurs zu besuchen, obwohl auch italienisch oder griechisch für eine Untersuchung im Jungbusch durchaus sinnvoll gewesen wären. Dieser Bemerkung wurde erstaunlicherweise trotz der vorangegangenen Kritik über die mangelnde Neigung deutscher Bewohner, ihren Mitbürgern mit Migrationshintergrund sprachlich mehr entgegen zu kommen, 229
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mit einigem Unverständnis begegnet. Meiner Erläuterung, dass dies eine in der Ethnologie durchaus übliche Praxis sei und dass die mangelnden Deutschkenntnisse von potentiellen Gesprächspartnern bei meiner Feldforschung oftmals auch als Barriere für Interviews gesehen wurden, wurde mit dem Hinweis begegnet, man könne ja auch auf Übersetzer zurück greifen. Zwischen den hierbei geäußerten Erwartungen an die Sprachkenntnisse von ehrenamtlichen oder professionellen ‚Sozialarbeitern‘ und an die Bewohner wurde in dieser Runde deutlich differenziert, ohne dass dieser Widerspruch in der weiteren Diskussion aufgelöst wurde. Insofern stellt sich retrospektiv die Frage, wie sich diese Debatte deuten lässt. Ist die Forderung nach der Verwendung der deutschen Sprache als Lingua franca in einem multiethnischen Stadtraum also überzogen? Aber wenn von Gegnern einer solchen Forderung der Versuch einer deutschen Ethnologin, türkisch tatsächlich zu lernen als merkwürdig empfunden wird, geht es hier dann noch um Integration auf einer Beziehungsebene oder doch eher um ein ‚Helfersyndrom‘, das auf ungleichen Machtbeziehungen beruht und der Aufwertung des eigenen Status dient? Ein ähnliches Phänomen stellt Blokland bei den Begründungen für soziales Engagement in einer holländischen Nachbarschaft fest: „Here, status inequality enabled contacts and was reproduced along two lines. Firstly, the conviction of the rightness of their views about migrants gave the volunteers a higher status than ‚the racist Dutch‘ who were morally less worthy. […] Secondly, interethnic contacts regularly lacked reciprocity. The native Dutch women then did not seek help from their migrant neighbours, but helped them“ (Blokland 2003: 8; Hervorhebung im Original). Insofern ist es natürlich auch möglich, dass die Bewohnerin in gewisser Weise Recht hat – dass Integration dann funktioniert, wenn man dem ‚Anderen‘ eben nicht helfen, sondern ihn verstehen will. Dieses Verstehen ist allerdings ohne Kenntnisse der entsprechenden Sprache einigermaßen schwierig. Doch wenn zwischen den Alltagserwartungen von Bewohnern und einigen ehrenamtlichen beziehungsweise professionellen Helfern eine solche Diskrepanz im Umgang mit der multi-ethnischen Bevölkerungsstruktur vor Ort einhergeht, wie kann ein für alle Seiten befriedigendes Miteinander vonstatten gehen? Um mich einer Antwort auf diese sehr zentrale Frage für die weitere Entwicklung im Jungbusch zu nähern, möchte ich daher aus den Ergebnissen meiner Forschung und vor dem Hintergrund dieser Diskussionsrunden und verschiedenen Gesprächen mit Sozialpädagogen und Ehrenamtlichen im Jungbusch, welche Integration als Umgang zwischen gleichberechtigten Partnern verstehen, zwei häufig genannte Forderungen von Bewohnern aufgreifen. Aus diesen lassen sich wiederum programmatische Aufgabenstellungen entwickeln, die meiner Ansicht nach einen gleichberechtigten Austausch ermöglichen könnten.
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Multi-ethnische Begegnungen Im öffentlichen Integrationsdiskurs werden gegenwärtig insbesondere sprachliche Kompetenzen und Kenntnisse deutscher Kultur – gemeint ist damit häufig speziell ‚Hochkultur‘, das heißt beispielsweise Kenntnisse der klassischen deutschen Literatur – als Schlüsselkompetenzen gewertet. Integration wird hier zunächst als Befähigung zum sprachlichen kommunikativen Austausch und zur Teilhabe an einem kanonisierten ‚kulturellen Wissen‘ betrachtet. Aus diesem Grunde wurde inzwischen durch das Zuwanderungsgesetz der Pflichtbesuch sogenannter Integrationskurse für Migranten eingeführt, welche die Entwicklung sprachlicher, aber auch politischer, historischer und kultureller Kompetenzen fördern.2 Auch im Jungbusch finden solche Kurse statt, unter anderem unterstützt von religiösen Trägern vor Ort. In solchen Integrationskursen findet allerdings kein Austausch zwischen migrantischen und deutschen Bürgern statt. Im Gegenteil sind die hier erlebbaren sozialen Kontakte auf die eigene ethnische Gruppe beziehungsweise Angehörige anderer ethnischer Gruppen mit geringen Deutschkenntnissen beschränkt. Gerade der mangelnde Kontakt zwischen migrantischer und deutscher Bevölkerung wird allerdings von vielen Bewohnern im Jungbusch als problematisch empfunden. Einerseits spiegeln sich hier Forderungen der deutschen Wohnbevölkerung, die Migranten sollten sich lokal stärker engagieren. Andererseits beklagen Migranten das mangelnde Interesse der deutschen Bewohner, gemeinsame sozio-kulturelle Angebote im Stadtteil wahrzunehmen. In Kapitel 8 habe ich bereits versucht, einige Ursachen für lokale Raumkonflikte zu erläutern, an dieser Stelle möchte ich nun darauf eingehen, wie der Wunsch nach sozialen Kontakten von deutscher und migrantischer Bevölkerung möglicherweise erfüllbar ist. Dazu ist es zunächst notwendig, einen Rahmen zu schaffen, der interethnischen Kontakt befördert und zum gleichberechtigten Austausch von Wissen und Erfahrungen führt. Die bisherigen integrativen Potentiale einiger Projekte im Jungbusch zeigen vielversprechende Ansätze, sind allerdings noch nicht vollständig ausgelotet. Beispielsweise zeigen die Vorführungen der Creative Factory vor Ort, dass die Vermischung von Jugendkultur, Hochkultur und Lokalkultur vor dem Migrationshintergrund der Schauspieler nicht nur die Konsumption des Fremden, sondern auch eine positive Identifizierung mit der eigenen ethnischen und glokalen Identität ermöglicht: Zunächst einmal ist die Tatsache, dass Jugendliche aus demselben Quartier, die selbst aus Familien mit Migrationshintergrund stammen, auf der Bühne stehen und dies mit Erfolg, eine nicht zu unterschätzende Erfahrung, die auch zur Rekonstruk-
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Vgl. http://www.bamf.de/nn_566316/DE/Integration/Integrationskurse/integrationskurse-inhalt.html__nnn=true (12.03.2008). 231
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tion der eigenen sozialen/ethnischen/kulturellen Identität beiträgt. Hinzu kommt, dass hier auf der Bühne trotz der klassischen Schiller’schen Vorlage kein Hochdeutsch, sondern der bei den meisten Kindern und Jugendlichen im Quartier übliche Jugendslang gesprochen wird. Dieser ist zum Einen ethnisch (beispielweise ‚Kanaksprak‘) und zum Anderen auch regional (mannheimerisch/kurpfälzisch) gefärbt. Neben dem Faktor, dass hier auch positive Rollenmodelle entworfen werden, ist es meiner Meinung nach gerade die Tatsache, dass das soziale Machtgefüge scheinbar verkehrt wird, die eine fundamentale Rolle für die Produktion eigener Identitätspolitiken spielt. Migranten bieten hier etwas, das eine starke Nachfrage, auch bei einem deutschen Publikum, und eine entsprechende Öffentlichkeit erfährt. Die Erfahrung eines deutlichen Interesses seitens der Mehrheitsbevölkerung an traditionellen, hybriden oder glokalen kulturellen Praxen von Minderheiten ist ein Phänomen, welches oftmals auch zu einer veränderten Wertschätzung des entsprechenden eigenen kulturellen Wissens führt. In der Ethnologie sind solche Entwicklungen durchaus nicht unbekannt: Die Nachfrage nach ‚Kultur‘ und ‚Tradition‘ beispielsweise von Touristen führt nicht selten zur Neuauflage oder Weiterentwicklung dieser Praxen (vgl. Otto/Verloop 1996; Hughes-Freeland 1998). Ähnliche Prozesse einer Revitalisierung der eigenen kulturellen Identität finden sich auch in Migrationssituationen: Die in Deutschland wahrgenommene und sicherlich durchaus kritisch zu bewertende verstärkte „Selbstethnisierung“ (Schiffauer 2002) von jugendlichen türkischen Migranten muss daher nicht notgedrungen als Zeichen für die Existenz von Parallelgesellschaften gedeutet werden. In Anlehnung an Mortons (1998) Untersuchungen zur Produktion einer ethnischen Identität von Tonganern in Australien kann man diese Entwicklung auch durchaus positiv deuten und als Folge des veränderten politischen Klimas in vielen Residenzländern sehen, welches eine Multikulturalisierung nationaler Identitäten überhaupt erst ermöglicht hat. „Selbstethnisierung“ kann somit auch als Folge veränderter Identitätspolitiken und eines veränderten Selbstbewusstseins betrachtet werden. Ich möchte daher in Anlehnung an Morton dafür plädieren, die Chancen einer lokalen kulturellen Vielfalt zu nutzen und Migranten eben nicht als passive Empfänger von kulturellem Wissen der sogenannten ‚deutschen Leitkultur‘ zu betrachten, sondern auch als Träger eigenen kulturellen Wissens. Um aus der von Blokland (2003) beschriebenen Falle der ungleichen Machtbeziehungen in interkulturellen Kontaktsituationen herauszukommen, muss ein Austausch zwischen den Bewohnern unterschiedlicher ethnischer Herkunft als Experten ihrer eigenen kulturellen Praxen statt finden. Ein wichtiger Faktor dabei ist aber auch das soziale Milieu, das hier näher in Betracht gezogen werden muss. Wer sind eigentlich die Migranten im Jungbusch? Inwiefern sind die ausgewiesenen Entwicklungszugpferde ‚Kunst 232
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und Kultur‘ dazu geeignet, die Bewohner im Jungbusch tatsächlich einzubinden? Trotz der nicht unwesentlichen Zahl von lokalen Kulturproduzenten mit Migrationshintergrund, deutet das soziale Gefüge vor Ort nicht darauf hin, das typische Publikum von Vernissagen, Theaterstücken oder Konzerten zu stellen. Insofern werden viele Veranstaltungen, welche das Image des Jungbusch in Mannheim und der Region verbessern, von Bewohnern eher gemieden. Dies ist allerdings nicht generell so: Eine Ausnahme sind sicherlich wiederum die Aufführungen der Creative Factory. Hier gibt es neben einem regionalen und gesamtstädtischen Publikum auch viele lokale Zuschauer mit und ohne Migrationshintergrund. Allerdings ist die Motivation zum Besuch dieser Veranstaltungen anders gelagert: Diese liegt oftmals in der persönlichen Beziehung zu den Darstellern und in der Kenntnis der anderen Besucher. Es sind also in diesem Fall auch die Beziehungsnetzwerke, die den Besuch einer solchen Veranstaltung bedingen. Auch die geringe formale Trennung zwischen Ensemble und Publikum und die Tatsache, dass diese Aufführungen größtenteils im eigenen Quartier statt finden, mag eine Rolle spielen. Der Besuch eines Theaters – als einem Ort, der in erster Linie durch bildungsbürgerliche kulturelle Praxen gekennzeichnet ist – würde wohl eine höhere Hemmschwelle erzeugen. Diesen besonderen Voraussetzungen kann bei Kunst- und Kulturprojekten sicherlich nicht immer Rechnung getragen werden. Insofern empfiehlt es sich, die Schwerpunkte Kunst und Kultur um eine etwas veränderte Ausrichtung auf multi-ethnische Begegnungsmöglichkeiten zu ergänzen. Diese sollten zunächst einmal drei Bedingungen erfüllen: 1. Sie sollten kompatibel sein mit der Vielsprachigkeit im Jungbusch, das heißt nonverbale Kommunikation fördern. 2. Sie sollten ungleiche Machtbeziehungen zwischen deutschen ‚Experten‘ und migrantischen ‚Kunden‘ vermeiden: Die Teilnehmer an Projekten sollten ebenso wie die beteiligten Experten unterschiedlichen ethnischen Gruppen aber ähnlichen sozialen Schichten angehören. 3. Sie sollten den Interessen der lokalen Bevölkerung entsprechen, das heißt die sozialen Gegebenheiten vor Ort berücksichtigen. Themen wie Familie, Kinderbetreuung, berufliche Weiterbildung, Steuerberatung etc. erfüllen vielleicht nicht unbedingt die Ziele höherer Bildung, sind aber näher an den Alltagsproblemen im Viertel.
An g e b o t e f ü r F r a u e n u n d F a m i l i e n Eine weitere wichtige Thematik im Jungbusch sind insbesondere die geringen Angebote für Frauen beziehungsweise für Familien. Denn gemeinsam mit der Kritik an der Dominanz von Männern im Stadtraum Jungbusch geht auch die Forderung nach Freizeitangeboten für Frauen, aber auch Paare und Familien einher. Tatsächlich führt die geschlechtsspezifische Strukturierung des öffentlichen Raums zu einem weiteren Rückzug von Frauen aus dem Straßenbild. 233
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Es sind in erster Linie die bereits vorhandenen geschützten Räume, die lokal genutzt werden: die Moschee, die Kirche oder einige spezielle Angebote wie Mädchentreff, Frauengymnastik etc. Daher wird schon seit längerer Zeit von einigen Expertinnen im Stadtteil ein spezieller Frauentreffpunkt gefordert. Hierzu gab es auch schon erste Aktionen, beispielsweise die kurzzeitige Einrichtung eines Frauencafés. Viele Angebote werden allerdings insbesondere von spezifischen ethnischen Gruppen genutzt, eine Durchmischung von nichtmigrantischen und migrantischen Teilnehmerinnen ist bislang eher selten gegeben. Insofern stellt sich im Jungbusch die Frage, wie eine interkulturelle Frauenarbeit aussehen könnte, die nicht nur die Begegnung von Migrantinnen untereinander, sondern auch mit deutschen Frauen erhöht. Dabei muss zunächst einmal geklärt werden, wie die speziellen Räume für Frauen strukturiert sein sollten. Denn Frauenräume sind nicht gleich Frauenräume. Vielmehr gibt es qualitativ einen großen Unterschied zwischen einem aktiv ausgeübten Hausrecht, wie es beispielsweise in Frauenhäusern Anwendung findet, und der formalen Trennung von Mann und Frau in spezifischen Institutionen, beispielsweise beim Besuch in der Moschee aber auch an profaneren Orten wie in der Sauna oder im Sportstudio. Beide können von Frauen subjektiv als sicher oder förderlich wahrgenommen werden, dennoch sind die Machtverhältnisse in diesen Institutionen sehr unterschiedlich. Während in Frauenhäusern der Zugang zu den eigenen Räumen der Kontrolle von Frauen unterliegt, besteht ein solches matriarchales Hausrecht in anderen Institutionen nur bedingt. Das teilweise nur eingeschränkte Recht auf einen spezifischen place muss allerdings nicht unbedingt als problematisch in Bezug auf die Entwicklung eigener Netzwerke gewertet werden. Denn in erster Linie steht der Wunsch nach Austausch mit anderen Frauen und Rückzugsmöglichkeiten, welche spezifische Frauenräume bieten, bei den Aussagen meiner Gesprächspartnerinnen im Vordergrund: Sich unter Frauen frei bewegen zu können, ohne den Beschränkungen des männlichen Blicks im öffentlichen Raum zu unterliegen. Denn der öffentliche Raum ist auch mit der Notwendigkeit zu einer strategischen Bewegung verknüpft. Denn hier werden dem weiblichen Körper spezifische Verhaltensweisen eingeschrieben, es entwickeln sich sozusagen spezielle weibliche „Technologien des Selbst“ (vgl. Foucault 1993) durch die Erfahrungen des eigenen Körpers als Objekt (vgl. Young 1990). In multi-ethnischen Stadträumen stellen sich allerdings spezifische Herausforderungen für die Frauenarbeit dar. Dabei spielt auch der Faktor, der den jeweils ‚fremden‘ Kulturen zugeschriebenen Geschlechterbeziehungen eine Rolle. Insbesondere die bereits in Kapitel 8 diskutierte Frage des Einflusses kultureller Unterschiede, beziehungsweise deren Perzeption, bei der geschlechtlichen Strukturierung des öffentlichen Raums, muss hier bedacht werden. Denn im Jungbusch bilden sich spezifische tabu places für Frauen, wel234
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che die Einrichtung lokaler Frauenräume durchaus sinnvoll erscheinen lassen. Eine multi-ethnische Frauenarbeit ist dabei auch darauf angewiesen, die sozialen und kulturellen Hintergründe der Bewohnerinnen in Betracht zu ziehen. Denn gerade die Frauenbewegung westlicher Prägung wurde im Wesentlichen von (weißen) Frauen des Bürgertums begonnen und fortgeführt. Obwohl sie sich gewissermaßen zu einer globalen Bewegung entwickelt hat, gab und gibt es auch heute noch Frauen, die innerhalb des emanzipatorischen Projektes nur eine marginale Rolle spielen (vgl. Hooks 2000). Insofern ist es in einem Stadtteil mit der sozio-kulturellen Struktur des Jungbusch notwendig, denselben Prinzipien zu folgen, die ich bereits für die multi-ethnische Stadtteilarbeit vorgeschlagen habe: Einen gleichberechtigten Umgang, welcher inter-ethnische Vorurteile ebenso wie die Tendenz der Marginalisierung von Frauen aus anderen sozialen Schichten mit ,fremden‘ kulturellen Praxen abzubauen hilft. Dabei sollte allerdings vermieden werden, Frauenarbeit nur auf spezielle geschlossene Frauenräume zu beschränken, sondern vielmehr auch aktiv die Aneignung von öffentlichem Raum im Jungbusch zu unterstützen. Zusätzlich würde dabei die höhere Sichtbarkeit von Frauen im Quartier sicherlich auch zu einem größeren Sicherheitsgefühl weiblicher Bewohner im Stadtraum führen. Insbesondere für die im Stadtentwicklungsprozess formulierte Zielsetzung, junge Familien im Stadtteil zu halten, wäre es dringend notwendig, die bisherigen Angebote beispielsweise für Mütter mit Kindern zu ergänzen. Anders kann der Rückzug von Frauen aus dem öffentlichen Raum Jungbusch im Moment wohl nicht aufgehalten werden.
Lokalität und Identität i n e i n e r g l o b a l e n G e g e nw a r t Der von mir gewählte Forschungszugang, einen spezifischen Ort in seiner kulturellen Heterogenität zu begreifen, ist sicherlich nicht dazu angetan, en détail die lokalen Lebenswelten einzelner ethnischer Gruppen zu untersuchen. Dennoch liefert ein solcher multi-ethnischer Zugang zum Ort eine Reihe von Vorteilen, denn er bietet die Möglichkeit, sich abseits von ausgetretenen Pfaden und verfestigten Paradigmen zu bewegen. Entscheidend bei der Einschätzung der Relevanz von einzelnen Orten für seine heterogene Bewohnerschaft ist sicherlich, dass diesen entgegen der hegemonialen wissenschaftlichen Debatten um Globalisierung, Diaspora und Transnationalismus, durchaus eine verhältnismäßig wichtige Rolle bei der Selbstverortung im sozialen Raum zukommt. Die häufige Beschränkung von Stadtforschungen auf einzelne ethnische Gruppen ebenso wie die augenblickliche Wirkmächtigkeit des Diasporaund Transnationalismus-Diskurses in kulturwissenschaftlichen und ethnologischen Forschungen verstellte bislang weitgehend den Blick auf diese hetero235
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genen kulturellen Strategien der Verortung. Dem multi-ethnischen Stadtraum kommt dabei tatsächlich eine Schlüsselfunktion zu. Gleichermaßen zeigt sich, dass die Bewohner solcher Stadträume sehr aktiv mit Prozessen der Stigmatisierung durch Lokalität umgehen. Hierbei wird die jeweilige Positionierung von Lokalität und Person von Bewohnern des Jungbusch zudem sehr deutlich wahrgenommen. Ortsidentitäten und lokalen Lebensstilisierungen kommt daher auch eine wichtige Rolle bei der Selbstverortung im sozialen Raum der Stadt zu. Gleichzeitig werden die lokalen Probleme, welche in diesen Diskursen thematisiert werden, keineswegs als strukturelles Merkmal in das eigene Selbstverständnis vollständig inkorporiert. Vielmehr werden eigene Strategien zur Repräsentation von Identität und place entwickelt. Lokalität erfährt hier beinahe ein revival: Trotz der Transformationen von place und dem Verschwinden autochthoner Bevölkerung, zeigt sich gerade bei jüngeren Bewohnern mit Migrationshintergrund eine starke Identifikation mit dem Jungbusch. Die Selbstverortung in einem multi-ethnischen Stadtraum ist dabei auch ein Prozess, der mit lokalisierten Identitätspolitiken verwoben ist. Diese politics of place oder Ortspolitiken ergeben sich allerdings durch eine Vermischung der Wahrnehmung der eigenen ethnischen und sozialen Identität und der jeweiligen Konzeption der Ortsidentität. Inwiefern der Jungbusch also als ‚sicher‘ oder als ‚Heimat‘ empfunden wird, ist zunächst einmal nur bedingt von seiner Bedeutung als ethnischer Raum abhängig: Die lokalen Netzwerke zu Familie, Freunden und Angehörigen der selben ethnischen Gruppe ebenso wie eine Infrastruktur, in der Kommunikation über die Muttersprache verläuft, spielen unter Migranten mit fortschreitendem und nunmehr auf Dauer angelegtem Aufenthalt in Deutschland eine geringere Rolle. Vielmehr werden gerade von Familien mit Migrationshintergrund die Zukunftschancen für den eigenen Nachwuchs im Jungbusch eher schlecht eingeschätzt. Damit scheint der Abgleich zwischen Lebensstilen und Lebenszielen auch für Migranten den Bezug zum Ort zu bedingen. Auch bei anderen Gruppen zeigt sich eine Konstruktion der Verortung sozialer und ethnischer Identitäten: Bei Alteingesessenen unterliegt die Selbstverortung im Jungbusch ritualisierten Prozessen der Repräsentation lokaler Gemeinschaft. Hierbei spielen auch insbesondere Grundhaltungen und Wertkonzepte eine entscheidende Rolle für die Begründung von Heimatgefühlen. Ähnlich zeigen jüngere Bewohner mit Migrationshintergrund zwar durchaus eine Selbstidentifizierung mit (trans-)nationalen und globalen Identitäten, dies widerspricht allerdings nicht einer Selbstverortung in einem als multi-ethnisch konzipierten Jungbusch. Auch hier spielen spezifische Werthaltungen, wie beispielsweise Toleranz, die mit dem Jungbusch in Verbindung gebracht werden, eine zentrale Rolle. In der Selbstidentifizierung als underdog zeigt sich am deutlichsten, dass sich subalterne politics of place auch als Gegendiskurs 236
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zur eigenen sozialräumlichen Position darstellen können und damit durchaus aktiv eine eigenständige und strategische Ortspolitik entwickelt wird. Diese fließt wiederum in (klein)bürgerliche, sozialromantische Konzeptionen der Ortsidentität des Jungbusch mit ein. Insofern gibt es nicht ein Image des Stadtraums, das von allen lokalen Gruppen gleichermaßen wahrgenommen wird, sondern es gibt eine Vielzahl von Facetten. Diese treten im hegemonialen Diskurs allerdings nur bedingt auf. Denn sie ergeben sich nicht aus der Verortung einer spezifischen ethnischen oder subkulturellen Gruppe, sondern aus der Vielzahl der kulturellen Praxen vor Ort. Der Jungbusch ist in dieser Hinsicht ein multi-place, der konkurrierende Wahrnehmungen von Ort zunächst einmal zulässt. Dennoch entwickeln sich aus dieser Heterogenität auch Konflikte. Insbesondere die physische, aber auch die diskursive Aneignung von Raum führt dabei zu Problemen und Rückzugstendenzen. Ohne eine Förderung von inter-ethnischen Begegnungsmöglichkeiten, auch im öffentlichen Raum, werden sich diese langfristig nicht lösen lassen.
W e i t e r e F o r s c h u n g s p e r s p e k t i ve n Allerdings stellt sich im Anschluss an diese Studie natürlich nicht nur die Frage, wie sich der Jungbusch weiterhin entwickelt. Aus programmatischer Sicht lassen sich zwar einige Aussagen über den Stand der Dinge im Jungbusch treffen und einige bestehende und in Angriff zu nehmende Probleme extrahieren. Aus wissenschaftlicher Perspektive kann diese Studie allerdings auch einen Anknüpfungspunkt für weitere Forschungsschwerpunkte liefern, beispielsweise in Bezug auf eine empirische, quantitative Erfassung migrantischer Lebensstile in Deutschland. Eine solche Studie könnte auch helfen, das Verhältnis zwischen sozialem und kulturellem und den von mir vorgeschlagenen Kategorien des ethno-sozialen und des ethno-kulturellen Kapitals zu klären. Damit würde die Heterogenität von migrantischer Bevölkerung und ihre Positionierungen in der deutschen Gesellschaft wesentlich besser erfasst werden als bisher, da hier Faktoren wie negative aber auch positive Diskriminierungen integriert und somit auch die Effekte von ‚ethno‘-Kapitalsorten erfasst werden könnten. Außerdem wäre es dadurch möglich, das Konzept der Integration zu reformulieren, da mit der Erfassung von Lebensstilen zudem geklärt werden könnte, wie differenziert die Lebensziele von Migranten in Deutschland tatsächlich sind. Doch insbesondere in Bezug auf die Erforschung der Beziehung von Lokalität und Identität zeigt sich bei meiner Untersuchung im Jungbusch, dass alltägliche subalterne Selbstverortungen eben nicht objektivierbare Strukturen inkorporieren, sondern dass hier durchaus eigene Strategien entwickelt werden. Um sozio-kulturelle Prozesse in multi-ethnischen Stadträumen der Ge237
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genwart annähernd vollständig zu verstehen, ist es daher dringend notwendig, auch marginalisierte Bevölkerungsgruppen als eigenständige Akteure zu begreifen. Ethnographische Methoden und insbesondere langfristige Feldforschungen vor Ort führen allerdings insbesondere im Bereich interdisziplinärer Stadt- und Migrationsforschung in Deutschland, trotz erfreulicher Ausnahmen, bis dato im hegemonialen wissenschaftlichen Diskurs tendenziell ein Schattendasein. Gerade in Bezug auf die Relevanz inter-ethnischer Beziehungen für die Ausbildung neuer lokaler Identitätskonzepte, aber auch auf die sozio-kulturellen Konflikte in marginalisierten Stadträumen, sind die Möglichkeiten einer anthropology at home noch längst nicht ausgelotet.
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Ab b i l d u n g s ve r z e i c h n i s Abbildung 1: Der Jungbusch
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