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German Pages 447 [452] Year 2011
Burghart Wachinger Lieder und Liederbücher
Burghart Wachinger
Lieder und Liederbücher Gesammelte Aufsätze zur mittelhochdeutschen Lyrik
De Gruyter
ISBN 978-3-11-023346-9 e-ISBN 978-978-3-11-023347-6 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Gesamtherstellung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort Die mittelalterliche Lieddichtung hat, begünstigt durch Neigung und Projektverpflichtungen, in meiner Forschungsarbeit von früh an eine zentrale Rolle gespielt. In diesem Band werden achtzehn Aufsätze aus den Jahren 1970 bis 2007, von denen ich hoffe, daß sie auch heute noch lesenswert sind, erneut abgedruckt. Dazu kommen zwei neue Studien. Die wieder abgedruckten Aufsätze bleiben in Fragestellung und Konzeption ihrer Entstehungszeit verhaftet. Darum wird auch auf die Seitenzahlen der Erstdrucke verwiesen. Die Zählung der Fußnoten stimmt jedoch wegen kleinerer Eingriffe häufig nicht mehr mit den Erstdrucken überein. So sind punktuelle Irrtümer und stilistische Mängel stillschweigend verbessert, und die Zitierweise ist vereinheitlicht. Außerdem habe ich versucht, in Nachträgen auf die seitherige Forschung hinzuweisen und gelegentlich auch zu ihr Stellung zu nehmen; diese Nachträge sind teils in eckigen Klammern eingefügt, teils ans Ende des Aufsatzes gestellt. Personennamen und Werktitel, Handschriften sowie ausgewählte Stichwörter sind durch Register erschlossen. Die Anregung zu diesem Sammelband und tatkräftige Hilfe bei der Ausführung waren ein Geburtstagsgeschenk von drei befreundeten Tübinger Kollegen. Christoph Huber hat die ersten Verhandlungen mit dem Verlag geführt und die alten Vorlagen einscannen lassen. Frieder Schanze hat für die Vereinheitlichung der Zitierweise gesorgt und sorgfältig Korrektur gelesen. Paul Sappler hat alle Datenverarbeitungsprobleme von der Texterfassung bis zu den Registern mit den komplizierten Instrumenten des Tübinger Textverarbeitungsprogramms TUSTEP so aufbereitet, daß mir das Arbeiten leicht fiel, und hat noch bis kurz vor seinem Tod an den Programmen für die Register gearbeitet. Auch noch den Satz des Bandes auszuführen, wie er vorhatte, war ihm nicht mehr vergönnt. Einer der beiden neuen Aufsätze ist seinem Andenken gewidmet. Allen drei Initiatoren aber danke ich herzlich für dieses Geschenk. Unter ihren Helfern hat sich Susanne Borgards besonders engagiert, und nach Paul Sapplers Tod hat Anne Kirchhoff mit Kompetenz und liebenswürdiger Selbstlosigkeit die Ausführung des Satzes übernommen. Daß sich der alte Tübinger Geist freundschaftlich sachbezogener Zusammenarbeit hier wieder so bewährt hat, ist mir eine große Freude. Birgitta Zeller-Ebert hat das Verlagsrisiko eines solchen Bandes ohne Zögern übernommen und zusammen mit Susanne Mang für beste verlegerische Betreuung gesorgt. So wurde die langjährige exzellente Zusammenarbeit mit dem Max Niemeyer Verlag auch unter den gegenwärtig erschwerten Bedingungen weitergeführt. Dafür bin ich dankbar.
Inhalt
Autorschaft und Überlieferung (1991) Was ist Minne? (1989)
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Liebeslieder vom späten 12. bis zum frühen 16. Jahrhundert (1999)
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67
Deutsche und lateinische Liebeslieder. Zu den deutschen Strophen der Carmina Burana (1984/85) . . . . . .
97
Natur und Eros im mittelalterlichen Lied (neu)
Die sogenannten Trutzstrophen zu den Liedern Neidharts (1970)
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125
Neidhart-Schwänke im Bild (neu) . . . . . . . . . . . . . . . .
137
Vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade (1996)
. . . . . . . . . .
161
Hohe Minne um 1300. Zu den Liedern Frauenlobs und König Wenzels von Böhmen (1988) . .
179
Frauenlobs Cantica canticorum (1992)
195
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Von der Jenaer zur Weimarer Liederhandschrift. Zur Corpusüberlieferung von Frauenlobs Spruchdichtung (1987)
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217
Sangspruchdichtung und frühe Meisterliedkunst in der Literaturgeschichte (2007) . . . . . . . . . . . . . . . .
231
Die Welt, die Minne und das Ich. Drei spätmittelalterliche Lieder (1989)
245
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Sprachmischung bei Oswald von Wolkenstein (1977)
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Herz prich rich sich. Zur lyrischen Sprache Oswalds von Wolkenstein (1984/85)
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259
279
VIII
Inhalt
Blick durch die braw. Maria als Geliebte bei Oswald von Wolkenstein (2001)
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297
Gattungsprobleme beim geistlichen Lied des 14. und 15. Jahrhunderts (2003) . . . . . . . . . . . . . . . .
311
Notizen zu den Liedern Heinrich Laufenbergs (1979) . . . . . . . .
329
Michel Beheim. Prosabuchquellen – Liedvortrag – Buchüberlieferung (1979)
. . . . .
363
Liebe und Literatur im spätmittelalterlichen Schwaben und Franken. Die Augsburger Sammelhandschrift der Clara Hätzlerin (1982) . . . .
395
Abgekürzt zitierte Ausgaben und Handbücher
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417
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420
Personennamen und Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . .
423
Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Stichworte
437
Siglen für Handschriften und Drucke Register
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Autorschaft und Überlieferung Wenn nach Ansätzen einer Typologie von Autoren gefragt wird, darf der Aspekt der Überlieferung nicht fehlen. Denn ein Autor wird für uns erst durch die Überlieferung konstituiert. Die Überlieferung aber ist lückenhaft. Es gibt Autoren, von denen wir nur noch den Namen kennen, aber keinen Text.1 Und es gibt Werke, zu denen uns kein Verfassername überliefert ist. Äußere Zufälle haben bei Auswahl und Gestaltung dessen, was uns überliefert ist, zweifellos eine erhebliche Rolle gespielt. Doch haben auch Bedürfnisse und Konzepte der Überlieferungsträger (und der Literaturgesellschaft insgesamt) mitgewirkt, darunter auch Vorstellungen von Autortypen und Autorschaft. Und es ist anzunehmen, daß mancher Autor sich in seinem Verhalten als Autor bereits an den ihm bekannten Bedingungen der Überlieferung und an den in der Literaturgesellschaft präsenten Autorschaftskonzepten orientiert hat. Die Probleme im Spannungsfeld von Autorschaft und Überlieferung sind höchst vielfältig.2 Zu ihnen gehören auch literaturtheoretisch wichtige Fragen wie die Geschichte des Anspruchs auf geistiges Eigentum, samt den Sonderproblemen des Urheberschutzes, der Pseudepigraphie und der fiktiven Autorschaft.3 Ein anderer großer Komplex ist das vieldiskutierte Problem der Verschriftlichung mündlicher Traditionen wie der Heldendichtung, der Kleinepik oder des Rechtswissens. In produktiv verarbeitender Überlieferung kann der Autor fast verschwinden. Umgekehrt kann unter günstigen Umständen – sie liegen bei lateinischen Autoren häufiger vor als bei deutschsprachigen – die Überlieferungsgeschichte sehr direkt in die Lebensumstände des Verfassers hineinführen, wenn etwa divergierende Fassungen eines Werkes als Autorfassungen erkannt und mit der Biographie oder dem Arbeitsprozeß korreliert werden können.4 Autorentypen, * hg. von Walter Haug und Burghart Wachinger, Tübingen 1991 (Fortuna vitrea 6), S. 1–28. 1
Vgl. Horst Brunner, Dichter ohne Werk, in: Überlieferungsgeschichtliche Editionen und Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters. Fs. Kurt Ruh, Tübingen 1989 (TTG 31), S. 1–31. 2 Lesenswert noch immer Friedrich Wilhelm, Zur Geschichte des Schrifttums in Deutschland bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts II. Der Urheber und sein Werk in der Öffentlichkeit, München 1921 (Münchener Archiv für Philologie des Mittelalters und der Renaissance 8). 3 Vgl. Peter von Moos, Fictio auctoris. Eine theoriegeschichtliche Miniatur am Rande der Institutio Traiani, in: Fälschungen im Mittelalter I, Hannover 1988 (MGH Schriften 33, I), S. 739–780. 4 Aus der deutschen Literatur sei als relativ sicherer Fall genannt Konrads von Megen-
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Autorschaft und Überlieferung
Aus der Fülle der Probleme können hier nur Ausschnitte angeŠsprochen werden. Ich möchte im Folgenden in einem ersten Abschnitt anhand einiger Beispiele der einfachen Frage nachgehen, ob und wie bei Texten, deren Verfasser wir kennen, der Autor und sein Name in der handschriftlichen Überlieferung bewahrt und dem Leser vor Augen gestellt wird. In einem zweiten Teil werde ich bei einigen umfangreicheren Liederœuvres fragen, wie sich Corpusüberlieferung und Autorprofil zueinander verhalten. Dabei beschränke ich mich im wesentlichen 1. auf deutschsprachige Überlieferung, 2. auf handschriftliche Überlieferung des 13. bis 15. Jahrhunderts. Beide Einschränkungen sind nur durch die Grenzen meiner Kompetenz begründet. Ein breiteres Einbeziehen der lateinischen Tradition wäre vor allem deshalb wünschenswert, weil Konzepte von Autorschaft im gelehrt-klerikalen Bereich früher, prononcierter, aber auch anders ausgebildet worden sind als in der laikal-volkssprachlichen Literatur. Ein Ausgreifen ins 16. Jahrhundert aber wäre wünschenswert, weil der Buchdruck neue Formen der Autorpräsentation entwickelt hat, freilich im wesentlichen erst in der Postinkunabelzeit.
I Wie wird der Autor in den Handschriften präsentiert? So einfach diese Frage ist, beim heutigen Stand unserer Ausgaben und Hilfsmittel ist sie keineswegs immer leicht zu beantworten. Denn Überschriften und Rubriken werden in den Handschriftenbeschreibungen selten genau genug wiedergegeben. Es ist z. B. nicht möglich, ohne aufwendige Recherchen mit Sicherheit festzustellen, in welchen Handschriften der ›Tristan‹ Gottfrieds von Straßburg vom Schreiber als Werk Gottfrieds kenntlich gemacht ist. Es scheint aber, daß sich in keiner einzigen Handschrift eine Überschrift oder eine Incipit- oder Explicitformel findet, die Gottfried als Verfasser nennt. Die wenigen vorhandenen Überschriften lauten nur (Herr) Tristrant (Handschriften M und H, beidemale von jüngerer Hand), Tristan ´ınde ysalde (N, im Register 1r Historia Tristan & Isaldis) und einmal – wohl im Gegensatz zu Eilharts ›Tristrant‹ – der nuwe tristan (B). Da Gottfried selbst seinen Namen nicht nennt, konnte der Leser also erst aus den Prologen der Fortsetzungen, die in fast allen Handschriften sich anschließen, erfahren, wer der
berg ›Buch der Natur‹, siehe Georg Steer (Hg.), Konrad von Megenberg, Von der sel, München 1966 (Kleine deutsche Prosadenkmäler des Mittelalters 2), S. 11–16; Gerold Hayer, Die Überlieferung von Konrads von Megenberg ›Buch der Natur‹. Eine Bestandsaufnahme, in: Deutsche Handschriften 1100–1400. Oxforder Kolloquium 1985, hg. von Volker Honemann und Nigel F. Palmer, Tübingen 1988, S. 408–423. Schwierig und umstritten ist jedoch die Frage von Autorfassungen z. B. in der Überlieferung des ›Jüngeren Titurel‹, vgl. Dietrich Huschenbett, Albrecht, Dichter des ›Jüngeren Titurel‹, in: 2VL, Bd. 1, 1978, Sp. 158–173.
Autorschaft und Überlieferung
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Autor war. Wenn aber eine Handschrift keine Š Fortsetzung enthielt wie W,5 oder wenn von der Fortsetzung der Prolog weggelassen war wie in O und R,6 dann war der Name des Dichters dieser Handschrift überhaupt nicht zu entnehmen. Sicher waren manche Texte, die wir aufgrund eines Teils der Handschriften mit einem Autornamen zu verbinden gewohnt sind, für viele mittelalterliche Leser anonym, weil die ihnen vorliegende Handschrift keinen Namen nannte. Allerdings nicht unter allen Umständen; denn es gab offenbar auch Wissenstraditionen über Texte, die von der Textüberlieferung getrennt verliefen. Die Literaturexkurse sind Beispiele dafür. Der höfische Versroman ›Flore und Blanscheflur‹, in dem sich der Verfasser ebenfalls nicht selbst nennt, ist durchweg anonym überliefert; den Namen des Autors, Konrad Fleck, kennen wir nur aus den Literaturexkursen Rudolfs von Ems. Aber solches Wissen war offensichtlich nur wenigen literarisch breit Gebildeten verfügbar, und es war ungesichert. Wie unsicher, zeigt eine nachträgliche Notiz von einer Hand des späten 15. oder frühen 16. Jahrhunderts in der Münchener ›Tristan‹-Handschrift M: Von diser historj hatt von erst geschriben der Meister Tohuˇmas von Brittannia uˇnd nacho mals einem sein buch gelichen mit namen Filhart von Oberet der hat es darnach Inn Reymen geschriben. Das ist – in einer Gottfried-Handschrift! – ein Stück aus der Nachschrift der gedruckten Prosabearbeitung von Eilharts ›Tristrant‹, in der eine vage Erinnerung an Gottfrieds Quelle Thomas fälschlich mit Eilharts Version verbunden wird. Daß Autornamen in der Überlieferung gefährdet sind, gilt nicht nur für die Dichtung der höfischen Klassik. Die ›Melusine‹ Thürings von Ringoltingen erscheint in drei von 16 Handschriften anonym; wieviele Drucke den Verfassernamen bewahrt haben, verrät die einschlägige Literatur nicht, in Feyerabendts ›Buch der Liebe‹ von 1587 fehlt jedenfalls die Vorrede, in der sich der Verfasser nennt, und jeder sonstige Hinweis auf den Autor.7 Bei der ›Deutschen Sphaera‹ Konrads von Megenberg ist der Name des Autors in fünf von zehn Handschriften ausgefallen; drei von ihnen bewahren wenigstens den Namen des Verfassers der lateinischen Vorlage.8 Von 75 Handschriften, die das ›BüchŠlein von der 5
Gisela Kornrumpf erschließt auch für die Züricher Fragmente, daß sie aus einer Handschrift ohne Fortsetzung stammen: Handschriftenkataloge und Überlieferungsgeschichte, in: Beiträge zur Überlieferung und Beschreibung deutscher Texte des Mittelalters, hg. von Ingo Reiffenstein, Göppingen 1983 (GAG 402), S. 1–18, hier 15. 6 In beiden Handschriften ist damit auch die Fortsetzung anonymisiert, vgl. Ulrich von Türheim, Tristan, hg. von Thomas Kerth, Tübingen 1979 (ATB 89), S. XI–XIII und Lesart zu v. 3598; Heinrich von Freiberg, Tristan, ed. Danielle Buschinger, Göppingen 1982 (GAG 270). 7 Thüring von Ringoltingen, Melusine, hg. von Karin Schneider, Berlin 1958 (Texte des späten Mittelalters 9); Thüring von Ringoltingen, Melusine in der Fassung des Buchs der Liebe (1587), hg. von Hans-Gert Roloff, Stuttgart 1969, S. 143–149; Hans-Gert Roloff, Stilstudien zur Prosa des 15. Jahrhunderts, Köln/Wien 1970, S. 19 Anm. 66. 8 Konrad von Megenberg, Die Deutsche Sphaera, hg. von Francis B. Brevart, Tübingen 1980 (ATB 90), S. 5f.
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Liebhabung Gottes‹ überliefern, nennen nur drei den richtigen Verfasser Thomas Peuntner (davon eine in einem Nachtrag von späterer Hand); einige andere halten einen anonymen Kartäuser, der einen Empfehlungsbrief für diesen Traktat verfaßt hat, oder Nikolaus von Dinkelsbühl, dessen Predigten als Hauptquelle genannt sind, für den Autor; die Mehrzahl der Handschriften äußert sich gar nicht.9 Ein besonders interessanter und gut untersuchter Fall ist das ›Compendium theologicae veritatis‹ des Hugo Ripelin von Straßburg. Georg Steer hat aus dem deutschen Sprachraum 469 lateinische Handschriften nachgewiesen. Etwa zwei Drittel von ihnen nennen keinen Verfasser, in den übrigen finden sich insgesamt 19 verschiedene Verfassernamen. Am häufigsten ist die (falsche) Zuschreibung an Thomas von Aquin, der ein gleichnamiges Werk verfaßt hat; nur 51 Handschriften kennen den richtigen Verfassernamen. Bemerkenswerterweise hat sich zu diesem Werk – in Verbindung mit der Textüberlieferung, aber auch losgelöst von ihr – eine regelrechte gelehrte Diskussion über die Verfasserfrage entwickelt. »Man empfand die Anonymität des geschätzten Handbuches durchaus als drückend.«10 Diese Diskussion hat jedoch nur einen Bruchteil der lateinischen Überlieferung erreicht. In den Handschriften der deutschen Übersetzungen aber wird noch viel seltener als in der lateinischen Tradition irgendein Autorname genannt, der richtige niemals, von einer Verfasserdiskussion findet sich nichts,11 und auch Übersetzernamen sind nicht bezeugt. Ernsthafteres Interesse an den Autoren war eher Sache der wirklichen Kenner, sei es der Gelehrten wie beim ›Compendium theologicae veritatis‹, sei es der Büchernarren. Einer der bekanntesten Liebhaber ›schöner Literatur‹ deutscher Sprache war Jakob Püterich von Reichertshausen; er nennt in seiner Bücherliste, wo immer er Informationen hat, auch die Verfassernamen und bleibt dabei relativ selten hinter unserem Wissensstand zurück.12 Die normalen Schreiber und Verbraucher von Literatur aber waren an den Autoren offenbar meist nicht sonderlich interessiert. In drei Buchanzeigen aus der Werkstatt des Diebolt Lauber von Hagenau finden sich 16 Titel, die wir mit großer Sicherheit bekannten Autoren zuordnen können; aber nur einer davon ist mit dem Š Verfassernamen angeführt, bezeichnenderweise frigedang, was auch als Titel verstanden werden konnte.13 9
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Bernhard Schnell, Thomas Peuntner, ›Büchlein von der Liebhabung Gottes‹. Edition und Untersuchungen, München 1984 (MTU 81), S. 11 f. Georg Steer, Hugo Ripelin von Straßburg, Tübingen 1981 (TTG 2), S. 205–214, Zitat S. 211. Von 31 vollständigen oder einen Titel zitierenden deutschen Handschriften nennen zwei Thomas von Aquin, eine Albertus Magnus; daß der Dominikaner in der Initiale von Ha 1 speziell Hugo Ripelin meine (Steer [wie Anm. 10], S. 309), scheint mir vor diesem Hintergrund eher unwahrscheinlich. Der Ehrenbrief des Püterich von Reichertshausen, hg. von Fritz Behrend und Rudolf Wolkan, Weimar 1920. Rudolf Kautzsch, Diebolt Lauber und seine Werkstatt in Hagenau, in: Centralblatt f. Bibliothekswesen 12 (1895), S. 1–32, 57–113, hier 108–111.
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Wenn ein Verfasser das Fortleben seines Namens mit seinem Text sichern wollte, so mußte er sich in einem Prolog oder Epilog nennen. Da aber Prologe und Epiloge nicht ganz selten weggelassen wurden, war es noch sicherer, den Namen im Werkinneren nochmals einzuflechten, wie das Hartmann und Wolfram getan haben, oder ihn wie Konrad von Heimesfurt dem Werk als Akrostichon einzuschreiben, was freilich auch keinen sicheren Schutz vor Entstellungen durch Abschreiber bot. Daß ein so großer Teil der mittelalterlichen Literatur für uns anonym bleibt, ist zweifellos zu einem nicht unerheblichen Prozentsatz dem Desinteresse der Schreiber und Auftraggeber an den Verfassernamen anzulasten. Freilich darf man sicher nicht annehmen, daß ein Interesse der Autoren an der Bewahrung ihres Namens überall so wie bei der höfischen Literatur die Regel gewesen sei. Es gab große Gattungsbereiche, vor allem geistliche Gebrauchstexte und SachLiteratur, aber auch Drama oder Heldenepik und andere literarisch weniger individuelle Erzählwerke, große Bereiche, in denen es schon den Verfassern/Bearbeitern/Übersetzern selbst nur in Ausnahmefällen in den Sinn gekommen zu sein scheint, Autorschaftsrechte zu beanspruchen und ihren Namen mit den Texten zu verknüpfen. Anonymes Produzieren und Verbrauchen von Texten war eher die Regel und ist keineswegs auf die Volkssprache beschränkt, sondern auch im Lateinischen weit verbreitet. Der Anspruch auf Autorschaft ist eines der elementaren Kriterien einer Typologie von Autoren. Dieser Anspruch mußte aber, zumal in der Volkssprache, in der die alten auctores nicht von jeher vorgegeben waren, erst gegen das normale Verbrauchen von Texten durchgesetzt werden. Insofern sollten wir uns nicht über Tendenzen zur Anonymisierung wundern, sondern eher darüber, daß Autorschaft in der handschriftlichen Überlieferung volkssprachlicher Literatur doch immerhin eine beachtliche Rolle spielt.14 Es gibt manchmal Indizien für ein Interesse am Verfasser, die nicht auf den ersten Blick auffallen. In der Gottfried-Handschrift P dominiert sicher wie sonst in der ›Tristan‹-Überlieferung das Interesse an der stofflichen Abrundung. Zur Ergänzung wird hier, anders als sonst, Eilharts ›Tristrant‹ herangezogen. Zwischen Gottfried und Eilhart aber sind die ersten Verse der ›Tristan‹-Fortsetzung Ulrichs von Türheim eingeschoben. Wie immer man sich diese KlitteŠrung im übrigen erklären mag, daß aus Ulrichs Text ausgerechnet die Klage um Meister goffrit aufgenommen ist, zeigt doch wohl, daß man dem Autor gegenüber nicht ganz gleichgültig war.15 Die Werke Wolframs von Eschenbach wurden im allgemeinen in getrennten Traditionen überliefert, der ›Parzival‹ teils für sich allein, teils mit den verschiedensten anderen Texten kombiniert, der ›Willehalm‹ fast immer in Verbindung mit der Vorgeschichte Ulrichs von dem Türlin und der 14
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In der altfranzösischen Überlieferung sind die Verhältnisse im Grundsätzlichen ähnlich, vgl. die vorzügliche Untersuchung von Sylvia Huot, From song to book. The poetics of writing in old French lyric and lyrical narrative poetry, Ithaca/London 1987, S. 39–45 u. ö. (vgl. Register s. v. Authorship). Kerth (wie Anm. 6), S. XIII und Lesarten zu v. 1–14.
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Fortsetzung Ulrichs von Türheim. Daß im Münchener Cgm 19 ›Parzival‹ und ›Titurel‹ aufeinander folgen, könnte auch dem stofflichen Zusammenhang zu verdanken sein. Daß aber nach einer später anders gefüllten Lücke, die für eine Fortsetzung des ›Titurel‹ reserviert gewesen sein mag, auch noch zwei Tagelieder folgen, die man (obwohl sie ohne Autornennung von einem andern Schreiber aufgezeichnet sind) schon aus stilistischen Gründen kaum einem anderen Dichter als Wolfram zuschreiben kann, legt die Vermutung nahe, daß hier gegen die Mitte des 13. Jahrhunderts der ungewöhnliche Versuch einer gattungübergreifenden Autorausgabe unternommen worden ist.16 Ein zweiter Versuch einer ›Wolfram-Ausgabe‹ in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zeigt bereits ein überformtes Wolfram-Bild: Die Lieder bleiben hier ausgeschlossen, die authentischen epischen Werke aber sind kombiniert mit Werken der Wolfram-Nachfolge, von denen einige als Werke Wolframs galten: drei aus der gleichen Werkstatt stammende und in der Heidelberger Bibliothek gemeinsam erhaltene Codices enthalten ›Parzival‹ und ›Lohengrin‹ (Cpg 364), Albrechts ›Jüngeren Titurel‹ (Cpg 383) und die ›Willehalm‹-Trilogie (Cpg 404).17 In beiden Fällen wird das spezifische Interesse am Autor Wolfram nicht durch irgendwelche redaktionelle Zutaten, sondern nur durch die Zusammenstellung der Texte bezeugt. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Handschriften den Autor deutlich oder gar auszeichnend herausstellen. Sieht man von Prologen, Präfationen, Widmungen und dergleichen Textstücken, die zum Werk selbst gehören, ab, so sind der Ort für Angaben zum Autor die Rubriken: mehr oder weniger aussagekräftige Incipit- oder Explicittexte, die als Schreiber- oder Redaktorenzutat variabler waren als der Text selbst, deren Nachrichten aber durchaus als Traditionsgut weitergereicht wurden. Die Geschichte der redaktionellen Rubriken ist noch nicht geschrieben.18 Aber der Eindruck, daß AutornennunŠgen in Überschriften und Explicitnotizen in deutschen Handschriften erst im 14./15. Jahrhundert etwas häufiger werden, dürfte nicht täuschen. In der deutschsprachigen Lyriküberlieferung gibt es Autorrubriken vom späten 13. Jahrhundert, d. h. von den erhaltenen Sammelhandschriften, an. Es wäre zu prüfen, ob die Liedüberlieferung etwa eine Vorreiterrolle gespielt haben könnte. Im 15. Jahrhundert werden einige Rubriken recht redselig und überliefern gelegentlich glaubhafte Nachrichten und wenig glaubhafte Anekdoten über die Verfasser, so etwa einige Rubriken der 16
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Vgl. Peter Jörg Becker, Handschriften und Frühdrucke mittelhochdeutscher Epen, Wiesbaden 1977, S. 82–85. Zur Datierung vgl. jetzt Karin Schneider, Gotische Schriften in deutscher Sprache I. Vom späten 12. Jahrhundert bis um 1300, Wiesbaden 1987, Textband, S. 152f. Der Versuch scheint allerdings nicht von Anfang an geplant gewesen zu sein, denn die Schlußpartie vom Ende des ›Parzival‹ an besteht aus Einzelblättern (Gisela Kornrumpf brieflich). Becker (wie Anm. 16), S. 91 f., 99 f., 122. Zahlreiche Hinweise unter speziellem Aspekt bei Nigel F. Palmer, Kapitel und Buch. Zu den Gliederungsprinzipien mittelalterlicher Bücher, in: Frühmal. Studien 23 (1989), S. 43–88.
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Kolmarer Liederhandschrift.19 Aber schon in der Mitte des 14. Jahrhunderts hat im Hausbuch des Michael de Leone Hand A (Michael de Leone selbst?) an das e o Explicit hie get vz die guldin smitte angefügt die meister Cunrad geborn von e o e 20 wirzeburg tıchte: vnd ist zv friburg im prisgev begraben. Und 1387 wird sogar in der zyklischen ›Willehalm‹-Überlieferung, der die Autoren sonst unwichtig sind,21 einmal Wolfram in doppelter Weise als Autor hervorgehoben: durch dreifache Überschrift – rot und blau auf deutsch und golden auf lateinisch – mit dem ehrenden Epitheton der edle meister/magister und, bisher nicht beachtet, durch ein Bild bei einem Wolfram-Exkurs Ulrichs von Türheim.22 Ein Bild des Autors, üblicherweise am Textanfang, war eine besondere Auszeichnung. Die Tradition des Autorbilds reicht weit zurück.23 Schon in der Š Antike gab es Textrollen mit vorangestelltem Autorbild etwa von Vergil und Terenz. Im Frühmittelalter scheint die Tradition im wesentlichen auf die Verfasser heiliger Bücher eingeschränkt worden zu sein, vor allem die Evangelisten, aber auch Heilige und Kirchenlehrer. In Bibelkommentaren werden manchmal der biblische Autor und der Kommentator nebeneinander gezeigt, so in einer Prüfeninger Handschrift um 1140.24 Einer Ordensregelhandschrift ist manchmal 19
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Vgl. vor allem Walter Röll, Redaktionelle Notizen in der Kolmarer Liederhandschrift und in der anderen Überlieferung des Mönchs von Salzburg, in: PBB 102 (1980), S. 215–231. Das Hausbuch des Michael de Leone (Würzburger Liederhandschrift) der Universitätsbibliothek München (2o Cod. ms. 731), in Abb. hg. von Horst Brunner, Göppingen 1983 (Litterae 100), 58v; vgl. Gisela Kornrumpf und Paul-Gerhard Völker, Die deutschen mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek München, Wiesbaden 1968, S. 81. Das Interesse Michaels de Leone an den Grabstätten ›seiner‹ Autoren wäre vor dem Hintergrund lateinischer Traditionen zu sehen, vgl. etwa Margaret T. Gibson und Nigel F. Palmer, Manuscripts of Alan of Lille, ›Anticlaudianus‹ in the British Isles, in: Studi Medievali 3a Serie 28,11 (1987), S. 905–1001, hier Palmer S. 922. Christoph Gerhardt, Zur Überlieferungsgeschichte des ›Willehalm‹ Wolframs von Eschenbach, in: Studi Medievali 3a Serie 11,1 (1970), S. 369–380; Werner Schröder, Wolfram von Eschenbach II. Wirkungen im 13. und 14. Jahrhundert, Stuttgart 1989, bes. S. 649f. Wien, Cod. Ser. n. 2643, 66v und 313r. Vgl. Josef Krasa, Die Handschriften König Wenzels IV., Wien 1971, S. 43 und 45; Krasa deutet das Bild, das den Autor mit Kiel und Federmesser vor dem Schreibpult zeigt, auf Ulrich von Türheim, doch spricht der Kontext – in der O-Initiale zu O kvnstericher wolfram (Rennewart v. 21711) – eher für Wolfram. Außerdem ist Ulrich in den Bildern zum Anfangs- und Schlußgebet jugendlich bartlos dargestellt, Wolfram aber mit weißem Bart. Ausführlicher dazu Burghart Wachinger, Wolfram von Eschenbach am Schreibpult, in: Wolfram-Studien 12 (1992), S. 9–14. Peter Bloch, Autorenbild, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, hg. von Engelbert Kirschbaum, Bd. 1, 1968, Sp. 232–234; Ewald M. Vetter, Die Bilder, in: Codex Manesse . . . Kommentar zum Faksimile . . ., hg. von Walter Koschorreck und Wilfried Werner, Kassel 1981, S. 41–100, hier 68–70; Joachim M. Plotzek, Bildnis A I.II., in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 2, 1983, Sp. 154–167, hier 164. München, Clm 14398, lv, Abb. in: Regensburger Buchmalerei, München 1987 (Bayer. Staatsbibl., Ausstellungskataloge 39), Tafel 108. Vgl. auch Berlin SBBPK, Ms. theol.
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ein Bild vorangestellt, auf dem der Ordensgründer und Regelverfasser seine Regel einem Ordensangehörigen übergibt.25 Und in Sammlungen von Urkunden und Privilegien wird gelegentlich der Aussteller als auctor und Garant des Rechts abgebildet.26 Voraussetzung war also offensichtlich die besondere auctoritas eines Verfassers und die besondere geistliche oder rechtliche Verbindlichkeit des Textes. Autoritäten der weltlichen Wissenschaft und Verfasser, die noch nicht lange tot waren, wurden wesentlich seltener eines Autorbildes für würdig gehalten. Daß der Musiktheoretiker Guido von Arezzo schon um 1050, um die Zeit seines Todes, im Bild eines schreibenden Autors seinem Werk vorangestellt wurde,27 ist eine ungewöhnliche Auszeichnung. Erst zum Spätmittelalter hin werden Autorbilder auch für weltliche Autoritäten häufiger. Ein Extremfall ist sicher eine 1322 entstandene Handschrift mit einem Auszug aus den philosophischen Werken des Raimundus Lullus, zusammengestellt von seinem Schüler Thomas le Mye´sier. Die Handschrift beginnt mit zwölf ganzseitigen, durch Texte ausführlich erläuterten Miniaturen. Von diesen schildern I–IV und VIII–X in fast hagiographischer Weise Szenen aus dem Leben Lulls, wobei unter den Hörern mehrfach auch Thomas zu erkennen ist; V–VII gelten der Darstellung des Inhalts von Lulls Lehre und ihres philosoŠphischen und religiösen Rangs; XI zeigt Lull und Thomas im Gespräch über Notwendigkeit und Berechtigung von Auszügen aus Lulls großem Œuvre; und im letzten Bild dediziert Thomas, durch den hinter ihm stehenden Lull autorisiert, seine drei verschiedenen umfangreichen Auszüge der Königin Johanna von Burgund-Artois, die nach dem kleinsten, dem im Codex folgenden ›Electorium parvum‹, greift.28 Ein außerordentlicher Aufwand nicht nur an kostspieliger Ausstattung, sondern auch an Reflexion über Autor
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lat. fol. 342, lv, Abb. in: Glanz alter Buchkunst, Wiesbaden 1988 (Staatsbibl. Preuß. Kulturbesitz, Ausstellungskataloge 33), S. 84f. Berlin SBBPK, Ms. theol. lat. qu. 199, 67V; Bamberg, Msc. Lit. 142, 65r; Abb. in: Regensburger Buchmalerei (wie Anm. 24), Tafel 17 und 92. Der Bildtypus ist allerdings kaum vom Dedikationsbild zu unterscheiden. Ewald M. Vetter, Bildmotive – Vorbilder und Parallelen, in: Codex Manesse. Katalog zur Ausstellung, hg. von Elmar Mittler und Wilfried Werner, Heidelberg 1988, S. 275– 301, hier 278f., 292f. und Abb. S. 600–603. Weitere Hinweise bei Michael Curschmann, Pictura laicorum litteratura? Überlegungen zum Verhältnis von Bild und volkssprachlicher Schriftlichkeit im Hoch- und Spätmittelalter bis zum Codex Manesse, in: Pragmatische Schriftlichkeit im Mittelalter. Erscheinungsformen und Entwicklungsstufen, hg. von Hagen Keller u. a., München 1992 (MMS 65), S. 211–229, hier Anm. 60. Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 334 Gudianus latinus, 4r; Abb. u. a. bei Joachim Prochno, Das Schreiber- und Dedikationsbild in der deutschen Buchmalerei I. Teil, Leipzig/ Berlin 1929 (Die Entwicklung des menschlichen Bildnisses, hg. von Walter Goetz, II), S. 44; Mittelalterliche Handschriften der Herzog August Bibliothek. 120 Abbildungen ausgewählt und erläutert von Wolfgang Milde, Frankfurt a. M. 1972, Nr. 43. Vgl. Raimundus Lullus – Thomas le Mye´sier, Electorium parvum seu Breviculum. Vollst. Faks. der Handschrift St. Peter perg. 92 der Bad. Landesbibl. Karlsruhe, hg. von Gerhard Römer und Gerhard Stamm, 2 Bde., Wiesbaden 1988.
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und Exzerptor, Gesamtœuvre und Einzelwerk und die Problematik einer authentischen Vermittlung. Bei einem deutschen Text ist ein solcher Aufwand im Mittelalter nicht vorstellbar. Aber im 13. Jahrhundert treten doch, sehr vereinzelt zunächst, auch für deutsch schreibende Verfasser Autorbilder auf. Als ältestes Verfasserbild zu einem deutschsprachigen profanen Text gilt die Darstellung Rudolfs von Ems in einer Handschrift des ›Willehalm von Orlens‹ aus den 1270er Jahren.29 Sie zeigt den Dichter, wie er einem Schreiber diktiert. Wenig später erscheint in ähnlicher Darstellung, vielleicht durch diese Handschrift oder eine gemeinsame Vorlage angeregt, wiederum Rudolf von Ems, diesmal zu Beginn seiner Weltchronik.30 Man möchte es ungern für einen Zufall halten, daß gerade Rudolf von Ems als lateinisch gebildeter Autor mit Verbindungen zu den Staufern erstmals durch Verfasserbilder ausgezeichnet worden ist. Die Priorität Rudolfs von Ems ist freilich nicht ganz sicher, zumindest dann, wenn man sich nicht auf die erhaltenen Handschriften beschränkt. Es ist in einigen Fällen möglich, von mehrfach bezeugten Illustrationszyklen auf ältere verlorene Stammhandschriften zurückzuschließen. Wie immer die dabei auftretenden Datierungsprobleme zu lösen sein mögen, es scheint, daß der Schritt zu Autorbildern auch für deutsche Texte im 13. Jahrhundert mehrfach getan wurde. Das ist auch plausibel, denn die Ausbildung und Festigung eines BeŠwußtseins von literarischer Meisterschaft in der Volkssprache ist uns für dieses Jahrhundert aus den Texten selbst so vielfach bezeugt, daß eine Umsetzung in die Gestaltung von Handschriften nahegelegen haben muß. Bezieht man diese erschließbaren frühen Autorbilder mit ein, so zeigen sich neben dem höfisch-gelehrten Romanautor und Weltgeschichtsdichter Rudolf von Ems weitere Ausprägungen der im 13. Jahrhundert präsenten Vorstellungen von literarischer Meisterschaft. Problematisch ist der Fall eines homo litteratus vom Anfang des 13. Jahrhunderts: Die Illustrationen, die in zahlreichen Handschriften von Thomasins ›Welschem Gast‹ erhalten sind, gehen bekanntlich auf eine Vorlage zurück, möglicherweise sogar auf eine vom Verfasser selbst veranlaßte und betreute Hand29
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München, Cgm 63. Vgl. Hella Frühmorgen-Voss, Mittelhochdeutsche weltliche Literatur und ihre Illustration, in: DVjs 43 (1969), S. 23–75, hier 40, wieder in: dies., Text und Illustration im Mittelalter, hg. von Norbert H. Ott, München 1975 (MTU 50), S. 1–56, hier 18 und Abb. 23. Zur Datierung jetzt Schneider (wie Anm. 16), Textband S. 241–243. München, Cgm 8345, Ir (›Wernigeroder Codex‹); vgl. Codex Manesse (wie Anm. 26), S. 298 (Datierung auf 1270/80) und S. 608 (Abb.). Ellen J. Beer, Die Buchkunst der Handschrift 302 der Vadiana, in: Rudolf von Ems, Weltchronik – Der Stricker, Karl der Große. Kommentar zu Ms 302 Vad., Luzern 1987, S. 61–125, hier 86–90, sieht das Verhältnis komplexer: Sie datiert den Cgm 8345 in seinem Hauptteil auf 1270/80. Das vorgeheftete Blatt I sei mit »gegen Ende des 13. Jahrhunderts [. . .] vielleicht etwas zu spät« datiert. In der Genesisdarstellung der verso-Seite stimme das Blatt allerdings besser zur ›Christherre-Chronik‹ als zu Rudolfs Text. Das würde bedeuten, daß möglicherweise mit dem Autor gar nicht Rudolf von Ems gemeint war.
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schrift.31 Das zweite Bild des Illustrationszyklus folgt dem Dedikationsschema, modifiziert es aber in Anlehnung an Thomasins Prolog: ein kniender Mann, der offenbar eben mit dem rechts stehenden Pferd angekommen ist, überreicht einer Frau das Werk. Die Frau ist laut Beischrift ›die deutsche Zunge‹, die übrigen Beischriften variieren in den Handschriften oder fehlen ganz. In zwei Heidelberger Handschriften erscheint der Mann als Bote Thomasins. Hier bleibt also der Autor selbst außerhalb des Bildes, ist nur durch den Boten und sein Werk vertreten. In der Gothaer Handschrift von 1340 aber, die den Zyklus am vollständigsten bewahrt hat, steht über dem Knienden, was bisher niemand richtig entziffert hat, causa efficiens.32 Nun sind in den lateinischen Accessus ad auctores seit dem 13. Jahrhundert die vier aristotelischen αιÆ τι αι/causae auch auf Literatur angewendet worden, und die bewirkende Ursache, die causa efficiens, meint den Autor.33 Š Ich wage nicht, zu behaupten, daß diese Beischrift auf Thomasin zurückgeht, obwohl diese Vorstellung ihre Reize hätte: die Überlieferung ist unsicher, und die Anwendung des gelehrten Terminus auf einen lebenden volkssprachlichen Autor schon zu einer Zeit, da er sich im Lateinischen erst allmählich breiter durchsetzte, wäre höchst ungewöhnlich. Aber daß im 13./14. Jahrhundert überhaupt jemand auf den Gedanken kommen konnte, einen deutschsprachigen Autor in prätentiöser Terminologie als causa efficiens zu bezeichnen, scheint mir doch bemerkenswert. Auch die aus dem 14. Jahrhundert erhaltenen Codices picturati des ›Sachsenspiegels‹ gehen auf eine ältere Vorlage zurück. Deren Datierung ist umstritten. Während die Analyse der Wappen auf 1292–1295 führt,34 sprechen allgemeinere Überlegungen entschieden für eine frühere Datierung: Die Fragmente einer bebilderten ›Willehalm‹-Handschrift aus den 1270er Jahren35 zeigen das gleiche 31
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Frühmorgen-Voss (wie Anm. 29), S. 56–64, im Wiederabdruck S. 35–44 (dort die ältere Literatur); Ewald Vetter, Die Handschrift und ihre Bilder, in: Der Welsche Gast des Thomasin von Zerclaere. Codex Palatinus Germanicus 389 der Universitätsbibliothek Heidelberg, Wiesbaden 1974 (Facsimilia Heidelbergensia 4, Begleitband), S. 67–190; Schneider (wie Anm. 16), S. 173f. Thomasin von Zerclaere, Der welsche Gast, hg. von Friedrich Wilhelm von Kries, Bd. IV, Göppingen 1985 (GAG 425/IV), S. 11, dazu Kommentar S. 48. [Vgl. jetzt Horst Wenzel, Der Dichter und der Bote. Zu den Illustrationen der Vorrede in den Bilderhandschriften des ›Welschen Gastes‹ von Thomasin von Zerclaere, in: Beweglichkeit der Bilder, hg. von Horst Wenzel und Christina Lechtermann, Köln/Weimar/ Wien 2002 (pictura et poesis 15), S. 82–103.] Paul Klopsch, Einführung in die Dichtungslehren des lateinischen Mittelalters, Darmstadt 1980, S. 53 und 149; Alastair J. Minnis, Medieval theory of authorship. Scholastic literary attitudes in the later Middle Ages, London 1984, Register s. v. causa efficiens; ders. und Alexander Brian Scott (Hgg.), Medieval literary theory and criticism c. 1100− c. 1375, Oxford 1988, S. 198–200. Für Hilfestellung danke ich Christoph Huber. Klaus Nass, Die Wappen in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels. Zu Herkunft und Alter der Codices picturati, in: Text-Bild-Interpretation. Untersuchungen zu den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels, hg. von Ruth Schmidt-Wiegand, München 1986 (MMS 55), I. Textband, S. 229–270. Wolfram von Eschenbach, Willehalm. Die Bruchstücke der ›Großen Bilderhandschrift‹.
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ungewöhnliche Prinzip der kontinuierlich den Text begleitenden Illumination, und dieses Prinzip ist zweifellos eher für den ›Sachsenspiegel‹ entwickelt worden als für einen epischen Text.36 Der Widerspruch ist vielleicht so aufzulösen, daß zwar das Prinzip und die Mehrzahl der Bildkonzeptionen aus früherer Zeit stammen, daß aber Einzelheiten wie Wappen in der Überlieferung erst später hinzugekommen oder modifiziert worden sind. Insofern läßt sich nicht beweisen, daß die Autorbilder der Codices picturati des ›Sachsenspiegels‹ auf die Zeit vor dem ›Willehalm‹-Codex zurückzuführen sind und somit Entwürfe bewahren, die älter sind als das Bild Rudolfs von Ems im Cgm 63. Es ist aber auch nicht auszuschließen, daß die Konzeption sogar bis zu Eike selbst zurückreicht. Daß ein Rechtsbuch das Bild eines auctor enthält, ist vor dem Hintergrund lateinischer Traditionen nicht überraschend. Eike von Repgow ist aber nicht als Stifter oder Garant des Rechts dargestellt, sondern in sehr genauer Entsprechung zu seinem Selbstverständnis in verschiedenen Inszenierungen seiner Autorschaft im Dienste des Rechts: einmal sein Werk dedizierend, wobei eine inspirierende Taube ihn zum Werkzeug des Rechts macht, das nach dem Prolog Gott selbst ist, einmal lehrend mit der Rute und einmal von einem überdimensionalen Buch, aus dem Christus hervorblickt, fast erdrückt.37 Zu den frühesten Autorbildern bei deutschen Texten gehören auch die der illuminierten Liederhandschriften im Umkreis des Codex Manesse und der Weingartner Liederhandschrift. Das neu aufgefundene Budapester Fragment Š zeigt, daß dieser Typus nicht nur, wie man angenommen hatte, im Südwesten verbreitet war. Wie weit er ins 13. Jahrhundert zurückreicht, muß freilich offen bleiben. Daß der Mündlichkeit nahestehende Kleinformen wie Lieder nach Autorenœuvres gesammelt und mit Autorbildern versehen worden sind, ist vor dem Hintergrund der skizzierten Gesamtsituation alles andere als eine Selbstverständlichkeit. In der Überlieferung seiner epischen Werke ist Wolfram nur einmal sehr spät und nur ›durch die Hintertüre‹ zur Ehre eines Autorbildes gelangt,38 und in
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Bayer. Staatsbibl. München, Cgm 193, III – German. Nationalmuseum Nürnberg, Graphische Sammlung, Hz 1104–1105 Kapsel 1607, im Faksimile hg. von Ulrich Montag, Stuttgart 1985. Julianus B. M. van Hoek, Eike van Repgow’s rechtsboek in beeld. Observaties omtrent de verluchting van de Saksenspiegel, Diss. Utrecht, Zutphen 1982; Michael Curschmann, Rez. Text-Bild-Interpretation (wie Anm. 34), in: PBB 110 (1988), S. 267–277, hier 269f.; Werner Schröder, Text und Bild in der ›Großen Bilderhandschrift‹ von Wolframs ›Willehalm‹, in: ZfdA 116 (1987), S. 239–268, wieder in: Schröder (wie Anm. 21), S. 773–802. Ruth Schmidt-Wiegand, Text und Bild in den Codices picturati des ›Sachsenspiegels‹, in: Text-Bild-Interpretation (wie Anm. 34), I. Textband, S. 11–31, bes. S. 14 und 30, dazu II. Tafelband, Tafel I, III (vgl. aber die abweichende Darstellung in II), XX, CXLIX. Vgl. oben Anm. 22. Nicht als Autorbilder zu verstehen sind die Darstellungen des Erzählers im Fragment der ›Großen Bilderhandschrift‹ des ›Willehalm‹ (vgl. Anm. 35 und 36). [Dazu jetzt Henrike Manuwald, Der Autor als Erzähler? Das Bild der IchFigur in der ›Großen Bilderhandschrift‹ des Willehalm Wolframs von Eschenbach, in:
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keiner einzigen ›Parzival‹-Handschrift gibt es am Anfang eine Rubrik mit dem Verfassernamen.39 In der Manesseschen Handschrift aber ist vor eine kleine Gruppe von Wolfram-Liedern nicht nur der volle Name gestellt, sondern auch ein ganzseitiges Bild (149v), das Wolfram so zeigt, wie er sich im ›Parzival‹ – in Auseinandersetzung mit der Minnesängerrolle – als Autor inszeniert hat, als Ritter mit schilde und ouch mit sper (115,16); und er erscheint sogar noch ein zweites Mal unter den Sängern des ›Wartburgkrieges‹ (319v). Man wird den Sammlungstypus um den Codex Manesse zunächst vor dem Hintergrund noch allgemeinerer Usancen der Liedüberlieferung sehen müssen. Sowohl in den bebilderten wie in den nicht bebilderten Sammeltraditionen der Lyrik gilt im späten 13. und 14. Jahrhundert weithin das Prinzip der Autorschaft.40 Es wird manchmal selbst dort durchgeführt, wo die Vorlagen keine verläßliche Auskunft über den Verfasser gaben. Aber ganz offensichtlich ist die Mehrzahl der Zuschreibungen authentisch; das bedeutet, daß die Namentradition wesentlich älter sein muß als die erhaltenen Handschriften, daß sie wenigstens bis ins letzte Viertel des 12. Jahrhunderts zurückreichen muß. Verständlich ist das nur, wenn schon beim Liedvortrag, auch beim Vortrag durch einen anderen, der Autor und sein Œuvre im Bewußtsein des Publikums präsent waren. Dieses generelle Interesse der Lyriküberlieferung an den Verfassernamen hat zweifellos zu tun mit dem hohen Repräsentationswert der Liedkunst, der auch Könige und Fürsten gedient haben. Dazu kommt sicherlich Hochachtung vor der besonderen formalen Meisterschaft, vor der Kunst des Töneerfindens. In der Sangspruchdichtung, in der die Töne mehrfach verwendbar waren, erbt sich dieses spezifische Verfasserinteresse fort bis in die Praxis des Meistergesangs, Š freilich bezogen auf die Tonautorschaft: In der meisterlichen Liedüberlieferung des Spätmittelalters werden die Namen der Tonerfinder treulich bewahrt, während die Namen jener Textautoren, die vorhandene Töne benutzten, nur selten überliefert sind.41 Aber es dürfte wohl noch ein weiterer Umstand zu diesem Nameninteresse der Liedüberlieferung beigetragen haben. Das Lied, ganz besonders das Minnelied, war die Form, in der sich am unmittelbarsten ein Ich zu präsentieren schien. Das weckte Neugier, das forderte Rahmenvorstellungen her-
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Autorbilder, hg. von Gerald Kapfhammer u. a., Münster 2007 (Tholos 2), S. 63–92; Peters (wie Anm. 73), S. 89–93.] Vgl. Wolfram von Eschenbach, ›Parzival‹. Abbildungen und Transkriptionen zur gesamten handschriftlichen Überlieferung des Prologs, hg. von Uta Ulzen, Göppingen 1974 (Litterae 34). Hugo Kuhn, Die Voraussetzungen für die Entstehung der Manesseschen Handschrift und ihre überlieferungsgeschichtliche Bedeutung, in: H. K., Liebe und Gesellschaft, hg. von Wolfgang Walliczek, Stuttgart 1980, S. 80–105, 188–192, bes. 89–91. Vgl. Gisela Kornrumpf und Burghart Wachinger, Alment. Formentlehnung und Tönegebrauch in der mittelhochdeutschen Spruchdichtung, in: Deutsche Literatur im Mittelalter – Kontakte und Perspektiven. Hugo Kuhn zum Gedenken, hg. von Christoph Cormeau, Stuttgart 1979, S. 356–411 [wieder in: Gisela Kornrumpf, Vom Codex Manesse zur Kolmarer Liederhandschrift, Bd. I, Tübingen 2008 (MTU 133), S. 117–168].
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aus. Es ist kein Zufall, daß die ersten volkssprachlichen Texte, die man, mögen sie auch erfunden oder aus den Liedern herausgesponnen sein, Dichterbiographien nennen könnte, die Vidas der provenzalischen Trobadors sind. Und in Deutschland ist nicht nur an Ulrich von Liechtenstein zu erinnern,42 sondern auch an die spätmittelalterlichen Dichterlegenden, die sich zwar nicht ausschließlich, aber doch weit überwiegend an Minnesänger hefteten: Neidhart, Tannhäuser, Bremberger und Moringer. Im Ich-Lied fallen für den naiven Hörer sprechendes Ich und besprochenes Ich als Autor und Gegenstand zusammen. Man interessierte sich für den Dichter nicht nur als Verfasser, sondern auch als Menschen mit besonderer Liebeserfahrung. Von hier aus ist auch das Bildprogramm der illuminierten Liederhandschriften zu beurteilen. Autorschaft wird in dieser Tradition überwiegend symbolisiert durch leere Schriftbänder, die nach der überzeugenden Deutung Michael Curschmanns43 den lyrisch-oralen Status der Texte im Unterschied zur Buchliteratur indizieren. Daneben gibt es im Codex Manesse einige wenige Autorenbilder, die den Dichter nach traditionellem Muster als Literaten diktierend zeigen. Sie gelten bezeichnenderweise den Epikern Bligger von Steinach und Konrad von Würzburg sowie dem (blinden?) Spruchdichter Reinmar von Zweter, der seine Strophen in einem Büchlein gesammelt und geordnet hat. Mit Wachstafeln erscheinen der Leichdichter von Gliers und der Romanautor Gottfried von Straßburg. Aufs Ganze gesehen sind dies Randerscheinungen. Geht man nach dem Gesamteindruck und prüft man, welche Bilder den »Anfängen« des Codex Manesse44 zugeordnet sind, so kann über die Grundidee kein Zweifel bestehen. Im Bildprogramm dieser Handschrift begegnen und durchdringen sich zwei Konzepte, die genau jenem Doppelaspekt des Minnelieds entsprechen: Der Dichter wird dargestellt als Autor des gesunŠgenen Lieds und/oder als Thema des Lieds, d. h. als Liebender und Repräsentant adliger Lebensform. Daß schließlich ausgerechnet das anonyme ›Nibelungenlied‹ in der St. Galler Handschrift eine Anfangsinitiale mit einer Figur erhalten hat, die nach ihrer Stellung als Autorenbild gedeutet werden kann, mag überraschen.45 Aber der rhetorische Sprechgestus zeigt, daß primär ein Vortragender gemeint ist, ein Autor nur im Sinne der alten mündlichen Tradition, d. h. derjenige, der nach der in der St. Galler Handschrift gar nicht überlieferten, vielleicht durch die Initiale entbehrlich gewordenen Prologstrophe die alten mæren für ein gegenwärtiges Publikum neu erzählt. 42
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Vgl. Kurt Ruh, Dichterliebe im europäischen Minnesang, in: Deutsche Literatur im Mittelalter (wie Anm. 41), S. 160–183. Curschmann (wie Anm. 26). Gisela Kornrumpf, Die Anfänge der Manessischen Liederhandschrift, in: Deutsche Handschriften 1100–1400 (wie Anm. 4), S. 279–296 [mit Ergänzungen wieder in: Gisela Kornrumpf, Vom Codex Manesse zur Kolmarer Liederhandschrift, Bd. I, Tübingen 2008 (MTU 133), S. 1–31]. Vgl. Joachim Heinzle, Das Nibelungenlied. Eine Einführung, München/Zürich 1987, Umschlagbild und S. 108f.
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Wie dieser flüchtige Überblick zeigt, führt die einfache Frage, ob und wie ein Autor in den Handschriften genannt und präsentiert wird, auf Aspekte der Typologie und Hierarchie von Texten und Autoren, die in den spätmittelalterlichen Literaturgesellschaften wirksam gewesen zu sein scheinen. Die lateinische Tradition achtet stärker auf die Verfasser als die deutsche, und sie bringt den klassisch oder heilig gewordenen auctores sichtlich noch höheren Respekt entgegen als den zeitlich näherstehenden. In der deutschen Tradition gelten für Lyrik andere Regeln als für den Roman; der Verfasser einer lateinischen Vorlage wird eher beachtet als der deutsche Übersetzer, während bei Bearbeitungen höfischer Literatur aus dem Französischen der deutsche Verfasser höher gehandelt wird als der französische. Wenn ich recht sehe – das Beobachtungsmaterial müßte freilich erheblich erweitert werden –, gelten solche Hierarchisierungsansätze in den spätmittelalterlichen Jahrhunderten weiter, ohne daß eine grundsätzliche Umstrukturierung einträte. Wohl aber werden auf allen Ebenen die Zeugnisse eines Interesses am Autor vom 12. bis zum 15. Jahrhundert häufiger und deutlicher. Die Dynamik dieses Prozesses ist allerdings quantitativ schwer abzuschätzen; denn er ist überlagert von einer anderen Entwicklung, von dem umfassenderen Prozeß eines gewaltigen Anwachsens volkssprachlicher Schriftlichkeit. Und dieser Prozeß führte dazu, daß auch anonyme Gebrauchstexte in weitaus größerer Menge aufs Pergament und später aufs Papier kamen. Genaue Prozentzahlen kann niemand nennen, aber es könnte durchaus sein, daß sich die Relationen zwischen anonymer und namentlicher Überlieferung trotz absoluten Ansteigens der Autorennamen nicht geändert oder sogar zugunsten der Anonymität verschoben haben. Zumindest für die Liedüberlieferung gilt, daß wir aus dem 15. Jahrhundert zwar mehr Autorennamen kennen als aus dem 13. und daß wir über viele dieser Autoren weit besser unterrichtet sind als über die Sänger früherer Zeiten, daß aber anders als im 13. Jahrhundert die anonyme Überlieferung überwiegt.
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Daß im Münchner Cgm 19 eine Wolfram-Handschrift mit ›Parzival‹, ›Titurel‹ und Liedern angelegt wurde, ist ein ungewöhnlicher Fall. In der Regel beschränken sich Autorsammlungen auf ein begrenztes Gattungsspektrum, und von Autoren mit sehr verschiedenartigem Œuvre wie Hartmann von Aue und Konrad von Würzburg gibt es keine übergreifenden Sammlungen. Auch Kombinationen thematisch benachbarter Gattungen unter dem Gesichtspunkt der Autorschaft, etwa einer längeren Reimpaarrede mit einer Liedersammlung desselben Verfassers in der Göttinger Handschrift Heinrichs von Mügeln46 oder in der Wiener 46
Karl Stackmann (Hg.), Die kleineren Dichtungen Heinrichs von Mügeln. 1. Abt.: Die Spruchsammlung des Göttinger Cod. Philos. 21, Berlin 1959 (DTM 50–52), S. XXXVII–XLVII.
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Handschrift Eberhards von Cersne,47 müssen eher als Ausnahmefälle gelten. Innerhalb der Gattungsgrenzen aber ist, vor allem bei kleineren Texten, bei denen sich Probleme der Corpusbildung besser beobachten lassen, der Gesichtspunkt der Autorschaft eines der wichtigsten Sammlungsprinzipien. Bei Sammlungen von Texten eines Autors hat der Philologe zu fragen, ob sie unmittelbar oder mittelbar auf ein vom Autor selbst zusammengestelltes Textcorpus zurückgehen oder sekundärem Sammeleifer zu verdanken sind; er hat zu prüfen, wieweit andere, ›unechte‹ Texte sich angelagert haben oder eingedrungen sind und ob Texte, die dem Corpus fehlen, aber in der Streuüberlieferung dem Autor zugeschrieben werden, Anspruch auf Authentizität erheben können. Doch es geht nicht nur um Fragen der Echtheit, nicht nur um den genauen Umfang eines Autorœuvres. Autorencorpora, wie sie uns aus dem Mittelalter überliefert sind, sagen immer auch etwas über das Leben der Texte und über die jeweils wirksamen Konzepte von Autorschaft aus, sei es als relativ unverfälschte Spiegelung der Arbeitsbedingungen und des Selbstverständnisses eines Autors, sei es als Zeugnisse des Gebrauchs und des Bildes, das sich die Nachwelt von einem Autor gemacht hat. Fragen dieser Art stellen sich für die Mären und Bispel des Strikkers48 ebenso wie für die Reden, Erzählungen, Priameln und Fastnachtsspiele Rosenplüts,49 für die Reimpaarreden des Teichners50 ebenso wie für die Predigten Bertholds von Regensburg.51 Und Š ganz besonders häufig stellen sie sich in der Liedüberlieferung, auf die ich mich nun beschränken möchte. Autographe oder teilautographe Liedersammlungen sind vor Hans Sachs nur von Michel Beheim und Hans Folz erhalten. Beide waren Dichter von Meisterliedern, bei beiden handelt es sich um relativ bescheidene Papierhandschriften. Die sozialen Bedingungen ihrer Autorschaft aber waren bei beiden verschieden, und das wirkt sich auch auf die Anlage ihrer Handschriften aus. Michel Beheim war um die Mitte des 15. Jahrhunderts Berufsdichter und -sänger an verschiedenen Fürstenhöfen und beim Kaiser in Wien. Sieht man von seinen Chroniken 47
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Danielle Buschinger (Hg.), Eberhard von Cersne, Der Minne Regel, Lieder, Göppingen 1981 (GAG 276). Hans-Joachim Ziegeler, Beobachtungen zum Wiener Codex 2705 und zu seiner Stellung in der Überlieferung früher kleiner Reimpaardichtung, in: Deutsche Handschriften 1100–1400 (wie Anm. 4), S. 469–526. [Vgl. auch ders. in: 2VL, Bd. 9, 1995, Sp. 427– 444; Franz-Josef Holznagel, Autorschaft und Überlieferung am Beispiel der kleineren Reimpaartexte des Strickers, in: Autor und Autorschaft im Mittelalter. Kolloquium Meißen 1995, hg. von Elizabeth Andersen u. a., Tübingen 1998, S. 163–184.] Jörn Reichel, Der Spruchdichter Hans Rosenplüt, Stuttgart 1985; Hansjürgen Kiepe, Die Nürnberger Priameldichtung, München 1984 (MTU 74); Gerd Simon, Die erste deutsche Fastnachtsspieltradition, Lübeck/Hamburg 1970 (Germanische Studien 240); Ingeborg Glier, Rosenplüt, Hans, und ›Rosenplütsche Fastnachtspiele‹, in: 2VL, Bd. 8, 1992, Sp. 195–232. Eberhard Lämmert, Reimsprecherkunst im Spätmittelalter. Eine Untersuchung der Teichnerreden, Stuttgart 1970. Dieter Richter, Die deutsche Überlieferung der Predigten Bertholds von Regensburg, München 1969 (MTU 21).
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und einigen großen Liederzyklen, die gesondert überliefert sind, ab, so sind seine Lieder in drei großen Sammelhandschriften A, B und C erhalten, wobei Beheim selbst bei A und C als Schreiber beteiligt ist.52 Manches spricht für die Vermutung Frieder Schanzes,53 daß die Handschrift A für König Ladislaus Postumus bestimmt war, daß Beheim sie aber dann nach dessen plötzlichem Tod als sein Handexemplar verwendet hat: er hat später entstandene Lieder in weniger sorgfältiger Schrift nachgetragen und die Handschrift auch zur Aufzeichnung von Familiennachrichten benutzt. B und C sind wohl ebenfalls als Widmungsexemplare konzipiert, mit denen sich Beheim bei fürstlichen Gönnern empfehlen oder bedanken wollte. Alle drei Handschriften wollen jedenfalls das gesamte Liederœuvre Beheims, so wie es zum jeweiligen Zeitpunkt vorlag, präsentieren, wohlgeordnet nach den Tönen und innerhalb der Töne nach Themen. Sie lenken damit über das Gesamtwerk den Blick auf den dahinter stehenden Meister. Anders die Sammlungen des Nürnberger Wundarztes, Literaten und Kleindruckers Hans Folz vom Ende des 15. Jahrhunderts. Die beiden Handschriften, an denen Folz als Schreiber beteiligt ist und die den Großteil seiner Meisterlieder überliefern, sind kleinteilig in einzelnen Lagen und Faszikeln angelegt.54 Hier fehlte der lange Atem zur Herstellung einer geordneten und vollständigen Autorsammlung, fehlte offenbar die Absicherung und Perspektivierung einer größeren Sammel- und Schreibarbeit durch fürstliches Mäzenatentum. Die Weimarer Handschrift (Q 566) enthält neben Faszikeln mit Folz-Liedern auch solche mit Texten anderer Autoren, die Folz nachweislich zu eigener literarischer Produktion angeregt haben – eine Sammlung also für den Hausgebrauch des Dichters. Die Münchner Handschrift (Cgm 6353) dagegen stammt aus dem Besitz des Kürschners Jacob Bernhaubt gen. Schwenter, dem Folz 1496 gegen Š Bezahlung ein Meisterlied zum Vortrag in der Singschule überlassen hat. Schwenter war offenbar ein Liebhaber der Folzschen Lieder und hat, wie sein Sohn in einem Vorspruch schreibt, vor vil jarenn sein ubrige zeitt inn solchem buchle mit singen unnd lesen [. . .] vertriben.55 Die kleinteilige Anlage dieser Handschrift, in der ein Lied zweimal erscheint, hat Schanze einleuchtend so erklärt, daß Folz einzelne Lagen mit wenigen Liedern zum Verleihen oder Verkaufen geschrieben und daß erst Schwenter die Einzelstücke zu einer Autorsammlung zusammengestellt habe.56 Ein solches Verfahren würde jedenfalls gut zu der ökonomischen Situation Folzens passen.57 52
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Hans Gille und Ingeborg Spriewald (Hgg.), Die Gedichte des Michel Beheim, Bd. I, Berlin 1968 (DTM 60), Einleitung; Frieder Schanze, Meisterliche Liedkunst zwischen Heinrich von Mügeln und Hans Sachs, Bd. I: Untersuchungen, München 1983 (MTU 82), S. 191–205. Schanze (wie Anm. 52), S. 196. August L. Mayer (Hg.), Die Meisterlieder des Hans Folz, Berlin 1908 (DTM 12), Einleitung; Schanze (wie Anm. 52), S. 300–321. Mayer (wie Anm. 54), S. 3. Schanze (wie Anm. 52), S. 310–312. Vgl. Johannes Janota, Hans Folz in Nürnberg. Ein Autor etabliert sich in einer stadt-
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Von ganz anderer Art sind die Sammlungen zweier Dichter aus dem Anfang und dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts: Graf Hugo von Montfort und der Ritter Oswald von Wolkenstein haben sich nicht selbst schreibend an den Sammelhandschriften ihrer Lieder und Gedichte beteiligt, haben aber zweifellos selbst den Anstoß zur Herstellung gegeben.58 Beide hatten professionelle Schreiber zu ihrer Verfügung, beide konnten sich Pergamentcodices leisten, bei beiden wurden die Handschriften wohl in erster Linie für den repräsentativen Hausgebrauch angelegt (auch wenn die ältere der beiden Oswald-Handschriften vielleicht schon zu Oswalds Lebzeiten in den Besitz Herzog Albrechts VI. von Österreich gekommen ist).59 Hugo von Montfort beschäftigte einen distinguierten Buchmaler für Initialen und Ornamente, wie ihm schon vorher beim Dichten Bürk Mangolt unser getrewer knecht (XXXI, 183 f.) als Komponist der Melodien zur Verfügung gestanden hatte. Am Schluß des Codex weisen Name, Wahlspruch und Wappen auf den gräflichen Autor und Besitzer der Handschrift hin. Dichtung ist hier entstanden und gesammelt als Teil einer adligen Lebensform. Bei Oswald von Wolkenstein sind beiden Handschriften Bilder des Verfassers vorangestellt. Die ältere präsentiert Oswald in ganzer Figur mit Wappen, Orden und mit einem Notenblatt, auf dem der Anfang des ersten Liedes steht, also in derselben Doppelrolle von Dichtersänger und Gegenstand des Lieds, in der die Manessebilder ihre Autoren zeigen. In der jüngeren Innsbrucker Handschrift mit ihrem berühmten, von einem italienischen Meister gemalten Individualporträt tritt die Dichterrolle zurück hinter der glanzvoll vorgestellten Person, ihrem bemerkenswerten Leben und ihrem mit den Orden zur Schau getragenen sozialen Status. Die Zahl jener deutschsprachigen Liederhandschriften des Mittelalters, die mit Beteiligung des Autors oder unter seinen Augen entstanden sind und sich erhalten haben, ist mit den genannten Handschriften bereits erschöpft. Es gibt aber Sammlungen, die als Abschriften oder Abschriften von Abschriften offenbar auf eine autornahe Sammlung zurückgehen. Vor allem finden sich derartige Fälle in jener Tradition, die das Konzept literarischer Meisterschaft in ganz besonderem Maße gepflegt hat: in der Sangspruchdichtung und der meisterlichen Liedkunst bis hin zum frühen Meistergesang. Die älteste Autorsammlung dieser Art ist für Reinmar von Zweter erschließbar, der in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts gedichtet hat. Mit Hilfe mehrerer Handschriften, vor allem aber des Heidelberger Cod. Pal. Germ. 350, hat Gustav Roethe eine Sammlung von 159 Strophen in dem von Reinmar fast ausschließlich benutzten Frau-Ehren-Ton als Autorsammlung erkannt.60 Sie ist so wohlgeordnet, daß ohne Zweifel Reinmar von Zweter
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bürgerlichen Gesellschaft, in: Philologie und Geschichtswissenschaft, hg. von Heinz Rupp, Heidelberg 1977 (medium literatur 5), S. 74–91. Nachweise in meinen beiden Verfasserlexikon-Artikeln: Hugo von Montfort, in: 2VL, Bd. 4, 1983, Sp. 243–251; Oswald von Wolkenstein, in: 2VL, Bd. 7, 1989, Sp. 134–169. Francesco Delbono in: Oswald von Wolkenstein, Handschrift A. Vollständige Faksimile-Ausgabe [. . .], Graz 1977, S. 9–12. Gustav Roethe (Hg.), Die Gedichte Reinmars von Zweter, Leipzig 1887, S. 94–111.
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selbst an der Sammlung und Ordnung beteiligt war (und die Vermutung Roethes, daß die außerhalb dieser Sammlung überlieferten Strophen im Frau-Ehren-Ton einer späteren Schaffensperiode Reinmars von Zweter entstammen, behält trotz mancher Datierungsprobleme eine gewisse Wahrscheinlichkeit). Im 14. Jahrhundert hat dann Heinrich von Mügeln seine Meisterlieder in einer Sammlung geordnet,61 im frühen 15. Jahrhundert Muskatblut.62 Es sind im Typus Vorläufer der Sammlungen Michel Beheims, nur sind sie uns nicht im Original, sondern lediglich in späteren Abschriften erhalten. Anders zu beurteilen sind sekundär veranstaltete Sammlungen. Sie sind als solche zu erkennen, wenn das Interesse an dem einen Autor von anderen Interessen gekreuzt wird. Solche Sammlungen scheinen in der Überlieferung Frauenlobs und des Mönchs von Salzburg aufzutreten. Im Frauenlob-Teil der ›Weimarer Liederhandschrift‹ aus dem 15. Jahrhundert könnte uns eine Sammlung erhalten sein, die bald nach Frauenlobs Tod 1318 im Kreise seiner Schüler angelegt worden ist und die neben Strophen des Meisters, vor allem aus seinen späteren Jahren, auch Texte seiner Verehrer und Schüler enthält, Texte im Stile Frauenlobs.63 Das Liederœuvre des Mönchs von Salzburg vom Ende des 14. Jahrhunderts ist uns vor allem durch die Aktivität eines um 1450 arbeitenden Skriptoriums erhalten, dem wir vier Corpushandschriften verdanken. Aber deren Bestand variiert, und mit ihm die Perspektive auf den Autor. Š Zwei der vier Handschriften geben zu Beginn eine biographische Notiz, aber die Nachrichten sind nicht identisch, und sogar der Vorname des Verfassers stimmt nicht überein. Vor allem aber wird das Interesse am Autor durch andere Interessen überlagert. Eine Handschrift bemüht sich z. B., die Übertragungen lateinischer Hymnen und Sequenzen zu einem Jahreszyklus aufzufüllen. Und in der Haupthandschrift für die weltlichen Liebeslieder reden die Rubriken eher von einem musizierenden und dichtenden Kreis um Erzbischof Pilgrim als von der künstlerischen Zentralfigur, dem Mönch von Salzburg.64 Bei beiden Autoren verschwimmen die Grenzen des literarischen Eigentums in der Überlieferung, aber bei beiden aus verschiedenen Gründen. Im Falle Frauenlobs hat, wie es scheint, ein individueller hochartistischer Stil einen kleinen Kreis von ›Schülern‹ zu Nachahmungen angeregt, die dann in die Autorsammlung mit aufgenommen wurden. Das Werk des Mönchs von Salzburg ist demgegenüber weit weniger individuell und weniger geschlos61
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Das möchte ich mit Schanze (wie Anm. 52), S. 20, vermuten, obwohl sich der beste Kenner, dessen Philologische Untersuchungen noch nicht publiziert sind, sehr zurückhaltend äußert: Stackmann (wie Anm. 46), S. CLIX f. [Vgl. jetzt Karl Stackmann, Philologische Untersuchungen zur Ausgabe der kleineren Dichtungen Heinrichs von Mügeln, Göttingen 2004 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philol.-Hist. Kl. III, 265), S. 138f.] Schanze (wie Anm. 52), S. 152–156. Burghart Wachinger, Von der Jenaer zur Weimarer Liederhandschrift, 1987, im vorliegenden Band S. 217–230. Burghart Wachinger, Der Mönch von Salzburg, Tübingen 1989 (Hermaea NF 57).
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sen. In seinen anspruchsvolleren Teilen – in den selbst verfaßten (d. h. nicht übersetzten) Sequenzen, in den selbst verfaßten geistlichen Liedern mit kunstvollem Strophenbau und in den zweistimmigen weltlichen Liedern – ist die Eigenart des Mönchs in der Überlieferung mit einiger Sicherheit zu erkennen; wo das Werk aber in die einfacheren Gebrauchstypen hinunterreicht, die sonst meist anonym tradiert werden, bei den einstimmigen, relativ schematischen Liebesliedern und bei den Hymnenübertragungen, da versagt sowohl unser stilgeschichtliches wie unser überlieferungsgeschichtliches Instrumentarium beim Versuch, die Grenzen des literarischen Eigentums zu bestimmen. Die größeren Autorsammlungen, die ich genannt habe, möchten mit Ausnahme der Folz-Handschriften durch umfassende Sammlung der Lieder und Gedichte einen Autor als Autor vorstellen. Es ist deshalb kein Zufall, daß die Tradition der meisterlichen Liedkunst mit ihrer starken Betonung des Meisterbegriffs in der Reihe der genannten Sammlungen so stark vertreten ist. Das werck mus seinen meister loben, hat ein späterer Vertreter dieser meisterlichen Tradition, der Hans-Sachs-Schüler Georg Hager, gesagt.65 Bei der sozialen Situation der älteren Meister von Reinmar von Zweter bis Muskatblut und Beheim und unter den Bedingungen des mittelalterlichen Schriftwesens wird man vermuten dürfen, daß die Entstehung umfassender Autorsammlungen dem bereits vorhandenen oder für die Zukunft erhofften Interesse eines fürstlichen Gönners zu verdanken ist. Selbstverständnis der Autoren und AutorŠschaftskonzept der Rezipienten mögen dabei mehr oder weniger konvergiert haben. Adlige Autoren dagegen (Hugo von Montfort, Oswald von Wolkenstein) brauchten keinen Mäzen, und auch für Kleriker wie Eberhard von Cersne war der Zugang zur Schriftlichkeit leichter. Unter nachmittelalterlichen Bedingungen aber hat Hans Sachs, der Erneuerer der meisterlichen Liedtradition, einerseits in 33 Foliobänden (darunter 16 Meistergesangbüchern) sein literarisches Lebenswerk wohlgeordnet aufgeschrieben, aber trotz großem Meisterstolz nur für den Hausgebrauch und als Familienerbbesitz; und er hat andererseits Teile dieses gewaltigen Œuvres nicht ohne Gewinn unter die Leute gebracht: in Einzeldrucken, in der großen, aber nicht vollständigen Folioausgabe und, bei den Meisterliedern, die durch den Druck ihren Gebrauchswert eingebüßt hätten, in Abschriften, für die er sich offenbar z. T. hat bezahlen lassen.66
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Clair Hayden Bell (Hg.), Georg Hager. A Meistersinger of Nürnberg 1552–1634, Bd. 4, Berkeley/ Los Angeles 1947, S. 1419. Zum Autorschaftsanspruch in der Überlieferung des nachreformatorischen Meistergesangs vgl. Dieter Merzbacher, Meistergesang in Nürnberg um 1600. Untersuchungen zu den Texten und Sammlungen des Benedict von Watt (1569–1616), Nürnberg 1987 (Nürnberger Werkstücke zur Stadtund Landesgeschichte 39), S. 64–73. Barbara Könneker, Hans Sachs, Stuttgart 1971, S. 11–14; Beschreibungen der Handschriften in RSM, Bd. 1. Abschrift gegen Bezahlung dort unter Dresden, M 8a (Bl. 251– 258), M 11 (Bl. *lr), M 192 (Bl. *lrv), vgl. auch Göttingen, Cod. Ms. Philol. 194 (Bl. ar).
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Interesse für literarische Meisterschaft des Autors dürfte überall mit im Spiele sein, wo Texte eines Autors gesammelt werden. Doch kann dieses Interesse von anderen Intentionen mehr oder weniger stark überlagert werden. Bei einer Sammlung von Predigten steht selbstverständlich nicht die literarische, sondern die geistliche Kompetenz des Verfassers im Vordergrund. Auch beim Aufschreiben der eigenen Lieder muß nicht die Selbstdarstellung dominieren. So in der 1870 verbrannten Liederhandschrift Heinrich Laufenbergs. Wenn sie richtig rekonstruiert wurde, hat sie das Leben des Dichters über Jahre begleitet, und er hat in ihr fortlaufend eigene und fremde geistliche Lieder aufgezeichnet, die eigenen jeweils mit Datum und Verfasserkürzel versehen. Das Dichten wie das Weiterschreiben der Handschrift war dabei für Laufenberg offenbar in erster Linie eine fromme Übung, die er mit Vorliebe um die Weihnachtszeit betrieb.67 Auch das Interesse am Dichterleben und an der Dichterliebe kann eine Triebfeder von Autorsammlungen sein. Etwa um dieselbe Zeit, da der Sangspruchmeister Reinmar von Zweter seine geistlichen, didaktischen, politischen und unterhaltenden Strophen zu einem Büchlein ordnete, hat Ulrich von Liechtenstein um seine Minnelieder und Minnegedichte herum seine eigene Minnesängerbiographie gedichtet. Sein ›Frauendienst‹ ist der Versuch, eine Werkausgabe in eine romanhafte Beschreibung von leidvoller Liebeserfahrung, Ritterschaft und Dichterleistung zu integrieren. Blickt man über das 13. Jahrhundert, in dem die hohe Minne noch ein dominierendes Konzept war, hinaus, so läßt sich immerhin noch Oswald von Wolkenstein anführen. Wie bereits Š angedeutet, scheinen seine beiden Sammelhandschriften nicht nur vom Gedanken der Meisterschaft des Verfassers getragen zu sein, sondern auch vom Bewußtsein eines besonderen Lebens und besonderer Liebeserfahrungen. Man könnte die Linie sogar noch ein winziges Stückchen weiter zu ziehen versuchen: bis zu den autobiographischen Liedern und Liedrubriken in den Sammelhandschriften des Michel Beheim. Aber bei ihm hat sich das Autobiographische von der Liebesthematik emanzipiert, und es bleibt im Ganzen der Sammlungen dem Meisterschaftskonzept völlig untergeordnet. Noch ein Autor, eine Sammeltradition, darf in diesem Zusammenhang nicht übergangen werden: Neidhart. Bei Neidhart ist bekanntlich das Profil eines Œuvres durch die Fülle von Dichtungen in Neidhartscher Manier verdunkelt. Insofern ist er Frauenlob zu vergleichen. Aber Neidhart pflegt ein anderes Genre, ja sein Werk ist mit dem seiner Nachahmer zusammen zu einem eigenen Genre geworden. In der Tradition der Neidhart-Sammlungen überwiegt das Interesse an der Figur, die hier von ihren Erfahrungen spricht, von Anfang an so sehr, daß der Autor als solcher kaum beachtet wird. Das gilt auch schon für die authentischste Sammlung, die wir haben, die Riedegger Handschrift, die von Moriz Haupt letztlich doch mit gutem Recht zum Kronzeugen für den echten Neidhart auser67
Burghart Wachinger, Notizen zu den Liedern Heinrich Laufenbergs, 1979, im vorliegenden Band S. 329–361.
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wählt wurde. In dieser Sammlung steht zwar fast nichts, vielleicht sogar überhaupt nichts Unechtes;68 aber es fehlt doch einiges, was möglicherweise echt ist, darunter einige Strophen, die das Singen betreffen. Insbesondere fehlen zwei Strophen, die auf das gesamte Œuvre Bezug nehmen, die eine spricht von achtzig neuen Weisen, die der Dichter verfaßt habe, die andere von 104 (plus 9 unvollendeten) Weisen und einer Tageweise.69 Die Echtheit dieser Strophen ist ganz fraglich, aber sie zeigen doch, daß die Idee eines Autorœuvres auch bei Neidhart nicht grundsätzlich abwegig war. Sie konnte sich freilich nicht durchsetzen. In der Riedegger Handschrift bereits wird Neidhart durch die Überschrift mit der vorausgehenden fiktiven Schwankfigur des Pfaffen Amis auf eine Ebene gestellt: Hie endet sich der phaff amis/ vnt hebt sich an hern neitharts weis.70 Und das Interesse an der Figur und ihren Konflikten mit den Bauern dominierte in der Gesamtentwicklung so stark, daß auch Lieder anderer Verfasser, die zu passen schienen, den Neidhartsammlungen einverleibt wurden: so wurden aus dem 13. Jahrhundert Lieder des von Stamheim und Gölis, aus dem 15. Jahrhundert zwei Lieder Oswalds von Wolkenstein zu Neidhart-Liedern umfunktioniert. Nur das Interesse an Š der Neidhart-Figur vermochte denn auch die NeidhartLiedersammlungen weiterzutragen, sogar bis über die Schwelle des Buchdrucks hinweg. Der letzte Neidhart-Druck erschien 1566 in Frankfurt unter dem Titel: Wunderbarliche gedichte vnd Historien des Edlen Ritters Neidharts Fuchß / auß Meissen geborn/ der Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten vnd Herrn / Herrn Otten vnd Friderichen Hertzogen zu Osterreich seligen Diener/ was er bey seinen zeiten mit den Bawren vnd andern mehr vollbracht vnd gestifftet hat / sehr kurtzweilig zu lesen vnd zu singen / das er auch wol der ander Evlenspiegel genannt werden mag.71 Noch immer erscheint Neidhart als Autor, aber das Interesse gilt der Figur.
* Indizien der Überlieferung verraten viel darüber, welches Bild sich die Schreiber, Maler, Sammler, Redaktoren, Auftraggeber und Leser von einem Autor gemacht haben und machen konnten. Und nicht ganz selten zeugen sie auch, wennschon meist nur gebrochen, von den Arbeitsbedingungen und dem Selbstverständnis eines Autors. Auch schon bei den begrenzten Ausschnitten, die diese Studie in den Blick nehmen konnte, den Rubriken und Illuminationen einiger deutschsprachiger Handschriften des 13. bis 15. Jahrhunderts und den Problemen der Corpusbildung in einigen deutschen Liederhandschriften derselben Epoche, 68
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[Vgl. jetzt Burghart Wachinger, Eine bezzerunge Neidharts?, in: »Texte zum Sprechen bringen«. Fs. Paul Sappler, Tübingen 2009, S. 65–80.] Neidhart, Winterlied 28.VI und 30,IX [SNE I, R 13: c V; R 20: c XII]. Abbildungen zur Neidhart-Überlieferung I, hg. von Gerd Fritz, Göppingen 1973 (Litterae 11), S. 1 = R 48r. Die Historien des Neidhart Fuchs. Nach dem Frankfurter Druck von 1566 in Abb. hg. von Erhard Jöst, Göppingen 1980 (Litterae 49), 1r.
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zeigt sich eine große Vielfalt und Differenziertheit der wirksamen Aspekte von Autorschaft. Eine Typologie von Autoren oder Autorschaftskonzeptionen muß offen sein für solche Vielfalt und Raum lassen für die Nuancen des Einzelfalls. Sie braucht aber darum nicht auf klare Grundlinien zu verzichten. Bei allen herangezogenen Beispielen scheinen mir drei Hauptkriterien Berücksichtigung zu fordern, von denen jedes für sich ausdifferenziert werden kann und muß: die sozioökonomische Situation des Autors und des Literaturbetriebs, dem er zugehört; Sprache und Bildungsanspruch der Texte, des Autors und seines Publikums; und die literarische Gattung mit ihren formalen, inhaltlichen und funktionalen Implikationen. Unter allen drei Kriterien werden Bedingungen und Konzepte beschreibbar, die durch die Gebrauchszusammenhänge von Literatur jeder Autorschaft vorgeordnet sind und in der Überlieferung zum Tragen kommen. Der Autor kann sich mit diesen Bedingungen und Konzepten kritisch und kreativ auseinandersetzen, aber er kann ihnen nicht im Sinne jüngerer Autorschaftskonzeptionen seine individuelle Persönlichkeit als eine das Werk konstituierende und strukturierende Größe entgegensetzen.72 Eine Typologie von Autoren und Autorschaftskonzeptionen der spätmittelalterlichen Jahrhunderte spiegelt in erster Linie synchronisch die Vielfalt Š der Gebrauchszusammenhänge von Literatur, die es nebeneinander gibt. Und innerhalb dieser Vielfalt bleibt bis über die Schwelle des Buchdrucks hinweg auch das Verbrauchen von Texten ohne Interesse für ihren Autor eine wichtige Möglichkeit. Dennoch hat sich in den besprochenen Beispielen so etwas wie eine historische Dynamik gezeigt, Anzeichen einer Entwicklung, auch wenn diese keineswegs geradlinig verlaufen zu sein scheint. Im Lauf der spätmittelalterlichen Jahrhunderte nimmt das Interesse am Autor in der lateinischen und der deutschen Überlieferung zu. Dabei bedeutet für die deutsche Literatur das 13. Jahrhundert mit seiner Entwicklung eines volkssprachlich-laikalen Meisterschaftskonzepts wohl den wichtigsten Schub. Was in diesem Prozeß zunimmt, ist jedoch, um es noch einmal zugespitzt zu sagen, nicht die Determiniertheit der Texte durch eine Autorindividualität, sondern der Gebrauchswert von Autorschaft. Den zeigt die Überlieferung.
Nachtrag Seit dem Erscheinen dieses Aufsatzes hat die Diskussion über Autor und Autorschaft im Mittelalter erheblich an Intensität gewonnen, und vielfach wurden dabei auch Aspekte der Überlieferung und insbesondere das Zeugnis der Autor72
Dies hat schon Hugo Kuhn klar gesehen: Versuch über das 15. Jahrhundert in der deutschen Literatur, in: H. K., Liebe und Gesellschaft (wie Anm. 40), S. 135–155, hier 138–142.
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bilder einbezogen.73 Angesichts dieser Forschungslage habe ich nur in wenigen Einzelfällen auf jüngere Untersuchungen hingewiesen. Auf einen Wiederabdruck der Abbildungen habe ich verzichtet.
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Vgl. zuletzt Ursula Peters, Das Ich im Bild. Die Figur des Autors in volkssprachlichen Bilderhandschriften des 13. bis 16. Jahrhunderts, Köln/Weimar/Wien 2008 (pictura et poesis 22), mit einer umfassenden Bibliographie.
Was ist Minne? Saget mir ieman, waz ist minne?, fragt Walther von der Vogelweide, und er formuliert damit eine Frage, die sich in der mittelalterlichen Literatur häufig wiederholt und die zu einer zentralen Frage der mediävistischen Literaturwissenschaft geworden ist.1 Was also ist minne? Eine erste Antwort ist leicht: minne bedeutet ›Liebe‹. Aber was ist Liebe? Nil pluriformius amore lautet ein alter Spruch, ›nichts ist vielgestaltiger als die Liebe‹. Das gilt heute wie im Mittelalter. Wenn wir Germanisten das Wort minne oft unübersetzt lassen, so hat das insofern eine gewisse Berechtigung, als damit eine historische Distanz angedeutet ist. Wo in den mhd. Texten das Wort minne vorkommt, stimmen Bedeutung und Assoziationsfeld kaum je ganz genau mit unseren Vorstellungen von Liebe überein (wie immer diese Vorstellungen beim einzelnen von uns aussehen mögen). Aber Liebe, minne war auch im Mittelalter etwas ungemein Vielgestaltiges. Vergleichbar unserem Wort Liebe wird mhd. minne gebraucht für Gottesliebe, Nächstenliebe, Eltern- und Gattenliebe, Freundschaft, Flirt, erotische Faszination und Leidenschaft und auch für den Akt der sexuellen Vereinigung. Es gibt wohl einige Unterschiede des Wortgebrauchs. Š So bedeutet minne im Rechtswesen ›gütliche Einigung‹ im Gegensatz zu reht als streng geregeltem ›Rechtsverfahren‹. Aber die entscheidenden Unterschiede liegen nicht in den lexikalischen Grundbedeutungen von mhd. minne und nhd. Liebe, sondern in der Art, wie im Mittelalter und wie heute von Liebe, Eros, Sexualität geredet wird, welche Denkformen und Erwartungen sich in den SprachBeiträge * zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 111 (1989) [Heft 2 = Festgabe zum 60. Geburtstag von Joachim Bumke, hg. von Ursula Peters und Joachim Heinzle], S. 252–267. 1
Überarbeitete Fassung eines Vortrags zur Eröffnung der Ausstellung ›Codex Manesse‹ am 12. Juni 1988 in Heidelberg und Gastvortrags in Aachen am 28. November 1988. Die Vortragsfassung erscheint in den Heidelberger Jahrbüchern. Aber auch hier wurde der Vortragsstil beibehalten. Die Zitate – durchweg Texte des Codex Manesse – entstammen den gängigen Ausgaben. Wissenschaftliche Literatur nenne ich nur vereinzelt, wo ich mich auf Spezielleres beziehe. Mit Joachim Bumke weiß ich mich in dem Bemühen einig, auch komplizierte Sachverhalte allgemein verständlich zu sagen. Von seinem Kapitel ›Die höfische Liebe‹ (in: Joachim Bumke, Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, 2 Bde., München 1986, S. 503–582), aus dem ich das Anfangszitat aufgreife, unterscheidet sich meine Skizze durch ein eingeschränkteres Beobachtungsfeld, das genauere historische Differenzierungen erlaubt. Der Versuch, den Zusammenhang von Konzeptionen und Darstellungsweisen zum Angelpunkt einer Darstellung zu machen, kann sich u. a. auch auf einige Bemerkungen Bumkes berufen (Höfische Kultur, S. 504f.).
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konventionen ausdrücken und wie sie von gesellschaftlichen Bedingungen gesteuert werden. Saget mir ieman, waz ist minne? weiz ich des ein teil, soˆ wist ichs gerne meˆ. der sich baz denn ich versinne, der berihte mich durch waz si tuot soˆ weˆ. minne ist minne, tuot si wol: tuot si weˆ, so enheizet si niht rehte minne. sus enweiz ich wie si danne heizen sol.2
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›Kann mir jemand sagen, was Liebe ist?‹, so fragt Walther von der Vogelweide in der Rolle eines Minnesängers in sein Publikum hinein. In dem Lied, das so beginnt, klaffen Erwartung und Erfahrung auseinander. Die Erwartung heißt: Liebe ist Freude, Lust. In der zweiten Strophe bietet der Sänger auf der Basis dieser Erwartung sogar eine differenzierte Definition an: Liebe ist die gerecht geteilte Freude zweier Herzen – minne ist zweier herzen wünne: teilent si gelıˆche, sost diu minne daˆ. Gegenüber einseitigem Männergerede über Liebeslust, wie man es auch fürs Mittelalter als Hintergrund voraussetzen muß, ist dies eine fast partnerschaftliche Liebestheorie. Aber es ist nur eine Theorie. Die Erfahrung des Minnesängers widerspricht ihr. Seine Dame teilt nicht; obwohl er ihr durch sein Lob Freude schenkt, hilft sie ihm nicht in seiner einseitigen Liebesnot. Er erwägt eine Absage, den Abbruch der ungleichen Beziehungen, die so wenig den Erwartungen entsprechen. Aber die Schlußverse widerrufen solche Gedanken: weˆ waz sprich ich oˆrenloˆser ougen aˆne? den diu minne blendet, wie mac der gesehen? Die Erfahrung demonstriert die Unzulänglichkeit der vorangestellten Definition, der bloßen Theorie. Das, was den Sänger ergriffen hat, was dieses Ich blendet, ist ja wohl doch minne, Liebe, auch wenn es der Erwartung nicht entspricht; vielleicht ist es sogar die wirkliche, die eigentliche Liebe. Aber das wird nicht gesagt. Der Definition des Liedanfangs wird am Ende nicht eine bessere Definition, sondern eine andere Redeweise, die hilflose Frage des Betroffenen entgegengestellt. Walther von der Vogelweide konfrontiert also in diesem Lied nicht nur eine freundlich oberflächliche LiebeskonzepŠtion mit einem tieferen, spannungsreicheren Verständnis von Liebe, sondern auch eine theoretisierende Redeweise mit der Sprache des Betroffenen; und beide, Konzeption und Redeweise, gehören zusammen: nur wer betroffen ist, weiß wirklich, was Liebe ist, der aber kann nicht abstrakt definierend darüber reden. Was Liebe im Mittelalter wirklich war, wie die Menschen geliebt, wie sie in der Liebe empfunden haben, ist unserer Neugier ebenso wenig unmittelbar zugänglich wie die Gefühle der jungen Leute in unserer Nachbarschaft. Einsichten in das vielgestaltige Wesen der Liebe, Einsichten, die unsere begrenzten eigenen Erfahrungen übersteigen, gewinnen wir nur über sprachliche Äußerungen und über sensibles Beobachten des Sichtbaren, historische Einsichten nur über die überlieferten Texte und Bilder. Diese aber sind nicht unmittelbare Zeugnisse 2
Walther von der Vogelweide L. 69,lff.
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gelebten Lebens, sondern Kunst; selbst bei den relativ wenigen historischen Berichten über Liebesaffären und bei den noch selteneren authentischen Liebesbriefen, die wir aus dem Mittelalter haben, ist immer mit literarischer Stilisierung zu rechnen. Aber ist nicht Gefühlssprache, sind nicht die gelebten Gefühle selbst immer von vorgeprägten Schemata, von Literatur mitbestimmt? Daß Liebe ein wichtiges Thema der Kunst, insbesondere der Literatur, ist, scheint uns heute selbstverständlich. Für das Mittelalter aber war das Thema eine Entdeckung. Deutschsprachige Texte gibt es seit dem späten 8. Jahrhundert, aber erst um die Mitte des 12. Jahrhunderts beginnt Liebe in der deutschen Literatur eine nennenswerte Rolle zu spielen, und von da an bis ins späte 13. Jahrhundert ist Liebe geradezu das dominante Thema. Die provenzalische und französische Literatur geht in dieser Entwicklung der deutschen um etwa ein halbes Jahrhundert voran, und auch in der lateinischen Literatur gewinnt das Thema Liebe im 12. Jahrhundert überraschende Bedeutung. Natürlich gibt es antike Liebesdichtung, die bekannt war, und man muß auch mit unterliterarischen mündlichen Traditionsströmen von Erzählungen und Liedern rechnen; aber die Intensität, mit der im 12. Jahrhundert das Thema Liebe allenthalben aufgegriffen wurde, ist doch neu. Tristan, Lancelot, Troubadourlyrik und Vagantendichtung, Abaelard und Heloise, Liebeshöfe und Brautmystik und nicht zuletzt, als Gegenschlag, eine intensive Erneuerung der frauen- und sexualitätsfeindlichen Traditionen gehören in diesen Diskussionszusammenhang. Auch wenn die lateinische Literatur der Kleriker nicht nur reagiert, sondern produktiv und anregend beigetragen hat, lag das Zentrum des neuen Interesses doch offenbar beim Laienadel, genauer: bei Š den ständisch nicht völlig homogenen Gesellschaften weltlicher Höfe.3 Mittelalterliche Liebesliteratur ist daher, soweit Liebe nicht geistlich verstanden wird, überwiegend volkssprachlich. Daß sich die Laiengesellschaft von dem Thema Liebe so sehr hat faszinieren lassen, hängt zusammen mit einem neuen selbstbewußten Anspruch auf diesseitige Orientierung in der Welt, aber auch mit einem Problematischwerden des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft, wie es sich auch auf anderen Gebieten zeigt. Die Frage nach den geistigen Voraussetzungen und den historisch-sozialen Bedingungen der vielfältigen Aufbruchsphänomene des 12. Jahrhunderts und speziell der Liebesliteratur der Laien gehört zu den spannendsten Fragen der Mittelalterforschung. Ich kann ihr hier nicht nachgehen und kann noch weniger versuchen, die ganze Fülle der Liebesliteratur bis zum Ausgang des Mittelalters auszubreiten. Ich will mich auf den Ausschnitt beschränken, den uns die Manessesche Handschrift sehen läßt. Entstanden um und nach 1300 in der adlig-höfisch geprägten Stadtkultur in oder um Zürich, umfaßt dieser Codex alles, was den Sammlern aus rund anderthalb Jahrhunderten deutscher Liedkunst zugänglich war, soweit es sich irgendwie mit einem Dichternamen verbinden ließ. Das ist keineswegs nur Minnesang, 3
[Eine Differenzierung verschiedener Diskurse über Liebe und Sexualität unternimmt Walter Haug, Die höfische Liebe im Horizont der erotischen Diskurse des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Berlin/New York 2004 (Wolfgang Stammler Gastprofessur 10).]
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sondern in beträchtlichem Umfang auch geistliche, moralische, politische und kunsttheoretische Lieddichtung. Aber der Minnesang dominiert doch ganz eindeutig. Er ist mit einer Fülle verschiedener Typen vertreten, und jeder Typus impliziert zugleich eine bestimmte Perspektive auf das Phänomen Liebe, ein bestimmtes Register, in dem man von Liebe reden konnte, genauer: in dem man vor einer höfischen, an Hofsitten orientierten Gesellschaft öffentlich von Liebe singen konnte. Mit der Beschränkung auf Liedkunst blieb freilich jede breitere Entfaltung von Liebesthematik ausgeschlossen, wie sie erzählend etwa in Romanen, traktatartig systematisierend in den sogenannten Minnereden möglich war. Soweit es die Kurzform des Liedes erlaubt, fehlt Erzählendes und Szenisches nicht ganz. Als Beispiel nenne ich das Tagelied. Das Motiv vom Abschied der Liebenden bei Tagesanbruch ist weltliterarisch weit verbreitet. In der höfischen Liedkunst des Mittelalters wurde daraus ein fester Liedtypus einer lyrischen Szene. Die Liebenden sind als Ritter und Dame ständisch festgelegt, ein Wächter, der gesellschaftliche Ehre und heimliche Liebeslust des Paares schützen soll, weckt und warnt. Während im romanischen Tagelied ein paarmal der eifersüchtige Ehemann der Dame erwähnt wird, findet man im DeutŠschen die Art der Gefährdung des Paares nie expliziert. Vielleicht fürchtete man, daß solche Details die überaus künstliche Situation leicht ins Komische ziehen könnten. Das Tagelied zielt nicht auf Realismus. An der Grenze zwischen Nacht und Tag, Intimität und Außenwelt, Vereinigung und Trennung kann Liebe als höchst intensive Erfahrung geschildert werden, als Lust und Qual zugleich. Die Bedrängtheit des kurzen Augenblicks erlaubt eine relativ deutliche Darstellung von Liebkosungen, ohne daß der hohe Stil gefährdet wäre. Das Wissen um die bevorstehende Zeit des Getrenntseins wirft andererseits die Frage auf, wie Liebe über die Distanz hin möglich ist. So bietet das Tagelied die Chance, die sinnliche und die seelische Seite der Liebe aufeinander zu beziehen und in eine Balance zu bringen. Man konnte auch anders, frecher von Liebe dichten. Es gab Lieder, die die Gesellschaft (nicht unbedingt nur die Männergesellschaft) durch kleine hübsch verkleidete Unanständigkeiten unterhielten, etwa indem sie die uralte Technik anwendeten, Sexualvorgänge unter Handwerkstätigkeiten zu verstecken; ich denke z. B. an das Liedchen von dem minnebæren Büttner, der durchs Land zieht und den Frauen mit Hilfe seines Treibels das ›Fäßchen‹ bindet.4 Solche Lieder sind allerdings im Codex Manesse, im deutschen Sprachgebiet überhaupt, ziemlich selten überliefert. Das gleiche gilt für Pastourellen, Erzählungen von der Liebesbegegnung zwischen einem Ritter und einem einfachen Mädchen im Freien mit witzigem Werbungsdialog und Erfolg oder Mißerfolg auf der Stelle. Derartige Lieder hatten es offenbar schwerer, aufs teure Pergament zu kommen, als Lieder hohen Stils. Man wird es aber sicher nicht nur der Überlieferung anlasten dürfen, daß in einem erstaunlich vielfältigen Spektrum von Typen und Tonlagen ein Liedtypus 4
KLD 15, XXXIX, überliefert unter dem Namen Gottfried von Neifen.
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ganz eindeutig überwiegt: das Ich-Lied der sogenannten hohen Minne. Diesem Typus galt offensichtlich die Vorliebe der Dichter und die höchste Wertschätzung der Gesellschaft. Und mancherlei andersartige Lieder und Liedtypen sind als spielerische Variation, kritische Gegenposition oder Parodie auf diesen Typus bezogen. Auf ihn will ich mich daher besonders konzentrieren. Das Konzept der hohen Minne, über das schon so viele Bücher und Aufsätze geschrieben worden sind, das Konzept einer Liebe, in der die Frau höher gestellt wird als der Mann, in der der Mann ihr als Herrin seinen Dienst anbietet, sie in ihrer Schönheit und Tugend zum höchsten Gut auf Erden erklärt, in ihrer Gunst das Ziel seines Lebens sieht, obwohl er nicht weiß, ob sie ihn je erhören wird, dieses Konzept Š ist ganz überwiegend und in den ersten Generationen nach seiner Übernahme aus der Romania fast ausschließlich an die Form des Ich-Lieds gebunden. Konzeption und Redeweise gehören zusammen, sind zumindest eng assoziiert. Die Perspektive eines einseitig von Liebe betroffenen Ich, das nichts über die Gefühle der geliebten Frau weiß, nur ihre unnahbare Haltung sieht, diese eingegrenzte Perspektive fördert den preisenden, klagenden Ton, fördert das Werben um erste kleine Zeichen wie Gruß oder Blick, fördert das zarte Verschweigen des letzten Zieles der leiblichen Vereinigung (das andererseits nur in seltenen Sonderfällen explizit negiert wird), fördert das, was den besonderen Rang der hohen Minne im Gefüge der umfassenden Liebesdiskussion mitbegründet hat: die Reflexion auf die eigenen Gefühle und Zielsetzungen und die Reflexion auf das Wesen der Liebe. ›Herrin, willst du mich retten, so blicke mich nur ein ganz klein wenig an. Ich kann mich nicht mehr länger wehren, ich muß sterben. Ich bin krank, mein Herz ist verwundet. Herrin, das haben mir meine Augen und dein roter Mund angetan.‹ So lautet ein kleines einstrophiges Lied Heinrichs von Morungen, ein bescheidenes Durchschnittslied der hohen Minne.5 In unendlichen, manchmal eintönigen, oft aber auch geistreichen Variationen werden solche Klagen durchgespielt. Gewicht gewinnt dieser Liedtypus durch die Intensität der Sprache und die Differenziertheit der Argumentation, Brisanz erreicht er dort, wo der Absolutheitsanspruch solcher Liebe sich an Grenzen reibt. So kann die Erschließung des Inneren, der neuen Welt der Gefühle, eine Isolierung des Ich gegenüber der Umwelt bewirken; nicht selten fühlt sich der Sänger dem Spott der Unverständigen ausgesetzt. Und doch dient das Lied von den inneren Leid-Erfahrungen des Einzelgängers der Gesellschaft zur Freude, zu einer Art weltlicher Erbauung. Aus dieser Spannung entstehen Ansätze zu IchReflexionen6 und zu kunsttheoretischen Überlegungen7, die auf viel spätere Zeiten vorausweisen. 5 6
MF 137,10ff.
Vgl. Klaus Grubmüller, Ich als Rolle. ›Subjektivität‹ als höfische Kategorie im Minnesang?, in: Höfische Literatur, Hofgesellschaft, Höfische Lebensformen um 1200, hg. von Gert Kaiser und Jan-Dirk Müller, Düsseldorf 1986, S. 387–406. 7 Ich denke an Zuspitzungen der Gesangsthematik wie Morungens wan ich dur sanc bin ze der welte geborn (MF 133,20) und an einige Aspekte des Pointentauschs in der sogenannten Reinmar-Walther-Fehde.
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Das ganze Leben auf eine Liebe zu gründen, deren Erfüllung völlig ungewiß ist, kann von außen her nur als Wahnsinn erscheinen. Das Ich kennt diese Außenperspektive, aber es rechtfertigt das Risiko der Vergeblichkeit mit dem intuitiven Wissen, daß die Dame das höchste Gut auf Erden ist. Da der Erfolg ungewiß ist, wird manchmal auch darüber reflektiert, ob schon im Dienen an sich ein Sinn liege. In anderen, meist späteren Liedtypen wird der Sinn des Frauendienstes gelegentlich in einer ethischen Vervollkommnung des Mannes gesehen, und man hat dies oft zum Angelpunkt einer Deutung des Konzepts der hohen Minne gemacht. Dem typischen Ich-Lied der hohen Minne aber ist solche Moralisierung fremd. Sinn wird eher gesucht in einer unbedingten, nicht nach dem Erfolg fragenden Orientierung auf den höchsten Wert hin. Bei Reinmar dem Alten heißt es in einem berühmten Lied:8 ›Ich will nicht frei von ihr sein, solange ich auf dieser Welt noch etwas wünschen kann. Meine beste Freudengarantie und alle meine Hoffnung auf Glück liegt an ihr. Wenn ich dies verliere, so habe ich nichts, und dann kümmerts mich nicht, was mir danach noch zustoßen mag. [. . .] Gnade liegt am Ende des Weges. Sie mag sich mir zeigen, falls und soweit es mein Glück bestimmt hat. Ich suche sie jedenfalls nirgendwo sonst. Vom Dienst an ihr will ich nie frei werden. Wenn man von vergeblicher Mühe redet, soll damit mein Streben gemeint sein, so kränkt es mich. Ich habe, als ich mich auf diese Liebe einließ, nicht damit rechnen können, daß ich je den Tag erleben würde, da mir von ihr Freude widerfährt. Mag ich erfolglos sein, so war es doch gut und richtig, mein Leben, wie es vor mir lag, dorthin zu geben.‹ ich enwaˆnde niht, doˆ ich es began, ich engelebte noch an ir lieben tac. ist mir daˆ misselungen an, doch gap ich ez wol, alse ez daˆ lac.
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Der Gedanke, daß die Liebe zu einer Frau höchster Maßstab und Inhalt eines Lebensentwurfs sein könnte, mußte im weiteren Kontext des geistlich geprägten mittelalterlichen Welt- und Menschenbildes befremdlich, ja gefährlich wirken. Liebe als bloße Sinnenlust war demgegenüber leichter als Sünde oder als Lizenz der Jugend ausgrenzbar. Es ist daher kein Zufall, daß in der lateinischen Liebespoesie der Scholaren solche Aufladung der Liebe zum lebensleitenden Wert fast völlig fehlt. Aber die geistlichen Maßstäbe waren ja auch für die Laien der Zeit gültig. So konnte eine Konfrontation der Werte nicht ausbleiben. Die beschränkte Perspektive des Ich-Lieds erlaubte Š es zwar, das Pathos der hohen Minne auch ohne solche Konfrontation ziemlich weit zu treiben; man hatte ja auch anderes, z. B. die realen Bedingungen eines Lebens unter dem Gebot der Liebe, fast völlig ausgeblendet. Gelegentlich wagt sich ein Dichter bis hart an die Grenze der religiösen Problematik vor, ohne sich dann entschieden auf sie einzulassen: hete ich naˆch gote ie halp soˆ vil gerungen, er næme mich zuo zim eˆ
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MF 158,lff.
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mıˆner tage heißt es bei Morungen einmal.9 Und ein andermal, nachdem er die Geliebte als venus-ähnliche numinose Macht geschildert hatte, Weˆ waz rede ich? jaˆ ist mıˆn geloube bœse und ist wider got.10 Wo aber religiöse Thematik ins Zentrum rückt wie bei den Kreuzzugsliedern, kann die Entscheidung nur für Gott fallen. Aber noch in der Absage an die irdische Liebe wird die allgemeine Diskussion über Liebe weitergeführt. So stellt Hartmann von Aue dem bloßen Wahn der hohen Minne die Liebe zu Gott entgegen, bei der die Gegenliebe gewiß ist.11 Das Ich-Lied der hohen Minne hat nach seiner Übernahme aus der romanischen Dichtung etwa von 1170 bis 1200 in Deutschland fast ausschließlich geherrscht. Ältere Liedtypen, etwa die Strophen des Kürenbergers, die eine größere Vielfalt von Liebessituationen in kurzen rollenhaften Reden vorführen, wurden verdrängt. Pastourellen müssen, wie eine Anspielung zeigt,12 bekannt gewesen sein, sie sind aber nicht überliefert. Selbst das Tagelied ist aus diesen Jahren nur durch Anspielungen13 und in einer verinnerlichenden Umformung Heinrichs von Morungen14 belegt. Lediglich Frauenmonologe und Wechsel, d. h. aufeinander bezogene Monologe von Mann und Frau, variieren gelegentlich die einseitige Männerperspektive des Haupttypus. Ein eigentlicher Dialog bleibt Einzelfall.15 Das Minnelied war in dieser Zeit primär Ich-Aussage eines betroffenen Ich über sein Liebesleid und über den Anspruch der wahren Liebe. Erst durch Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach wird das Typen- und Themenspektrum wieder entschieden erŠweitert. Wolfram ist der Meister des Tagelieds, distanziert sich aber auch einmal von der gefährlichen Heimlichkeit der Tageliedliebe durch den Hinweis auf eheliche Liebe16 – einer der ganz seltenen Fälle, wo innerhalb der Minnesangtradition die Ehe erwähnt wird. Walther verfügt souverän über verschiedene Typen und Inszenierungsformen, mischt und kontrastiert auch verschiedene Redeweisen in virtuoser Inter-
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MF 136,23 f. Ich bevorzuge die Lesart der Handschrift A und der älteren Auflagen von MF. MF 139,l1f. MF 218,5ff. Als solche verstehe ich Albrecht von Johannsdorf MF 90,32ff. [Vgl. in diesem Band
S. 70f.] Wolfgang Mohr, Spiegelungen des Tagelieds, in: Mediaevalia litteraria. Fs. Helmut de Boor, München 1971, S. 287–304. MF 143,22ff. Albrecht von Johannsdorf MF 93,12 ff. Eva Willms argumentiert in ihrer demnächst erscheinenden Habilitationsschrift zu Recht gegen die Überbewertung dieses Dialogs für die Theorie der hohen Minne. Den Einzelheiten ihrer Deutung vermag ich mich jedoch nicht anzuschließen. [S. jetzt Eva Willms, Liebesleid und Sangeslust, München, Zürich 1990 (MTU 94), S. 21–25. Überzeugender finde ich Nicola Zotz, Inte´gration courtoise. Zur Rezeption okzitanischer und französischer Lyrik im klassischen deutschen Minnesang, Heidelberg 2005 (GRM-Beiheft 19), S. 212–221.] Wolfram von Eschenbach, Lied IV der üblichen Reihenfolge [u. a. in MF].
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aktion mit dem Publikum. Nicht wenige seiner Gedichte sind Lieder der hohen Minne; das eingangs zitierte Lied gehört zu ihnen. Aber Walther setzt sich auch kritisch mit sozialen und minnetheoretischen Implikationen des Konzepts der hohen Minne auseinander: durch utopische Gegenentwürfe in den Mädchenliedern und durch Konfrontation mit den Ansprüchen einer gesellschaftlichen Ethik. Schließlich Neidhart, der noch zu Walthers Lebzeiten angefangen hat zu dichten. Bei ihm sind komische und aggressive bäurische Szenen in den merkwürdigsten Figurationen auf triebhafte Sexualität und werthafte hohe Minne bezogen. Er versetzt ein höfisches Minnesänger-Ich in eine dem Hof ferne bäurische Umgebung, wo es – in den ›Sommerliedern‹ – durch seine erotische Faszination die ländliche Ordnung durcheinanderbringt oder – in den ›Winterliedern‹ – in der Konkurrenz mit dem körperhaften Minnewerben der geckenhaften Dorfburschen selbst bedroht erscheint. In einer Entwicklung, in der die meist verschwiegenen Implikationen des höfischen Singens von Minne von einzelnen Meistern mehr und mehr in die Reflexion einbezogen werden, steht Neidhart an einem äußersten Punkt. Freilich, er reflektiert diese Implikationen nicht, sondern spielt sie in verzerrenden Situationen aus. Und damit stehen seine Lieder immer in Gefahr, ins bloß Unterhaltsame umzukippen. Für das 13. Jahrhundert neben und nach Walther und Neidhart sind die verschiedenen bis dahin entwickelten Typen und Redeweisen des Minnesangs verfügbar. Nach wie vor dominiert das Ich-Lied der hohen Minne, daneben kann man Dialoge, Tagelieder oder bäurische Szenen dichten, ab und zu entstehen noch Kreuzzugslieder mit Minnethematik. Tanz und Liebe in freier Natur werden häufiger thematisiert als früher, da und dort tauchen ein paar freche Obszönitäten auf, einmal eine Klage über altersbedingte Impotenz.17 Aber man hat den Eindruck, Liebe wird nun nicht mehr so sehr als erregendes Problem Š gesehen. Die anspruchsvolle Kühnheit des Durchprobierens, was denn wahre Liebe sein könnte, hat nachgelassen. Erst um 1300 stößt man im östlichen Mitteldeutschland im Kreis um Meister Heinrich Frauenlob zu neuen Grenzen vor: dort wird Liebe in naturphilosophische Spekulationen einbezogen, und in diesem Zusammenhang spielt man auch das Konzept der hohen Minne noch einmal mit systematischpsychologischem Interesse in Ich-Liedern und Dialog-Liedern durch. Aber von diesen Bemühungen gelangen nur Ausläufer bis zu den Schweizer Sammlern des Codex Manesse. Drei Tendenzen scheinen mir die Liedkunst von der hohen Minne im 13. Jahrhundert bis hin zu den Züricher Sammlern zu bestimmen: Schematisierung, Didaktisierung und Konkretisierung. Bei aller Verschiedenheit der Mittel antworten sie doch wohl gemeinsam einem generellen Bedürfnis der Zeit. Man mußte bestrebt sein, die systemsprengenden Potenzen des Eros vor allem dort zu entschärfen, wo irdische Liebe als höchster, lebensleitender Wert proklamiert wor17
Der Schulmeister von Esslingen, KLD 10, I,3.
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den war. Man konnte und wollte aber andererseits die Sensibilisierung für Innerlichkeit und für zartere Formen des Redens über Frauen und Liebe nicht einfach aufgeben. So versuchte man den Minnesang in Gleise zu lenken, die einer höfischen Kultivierung gesellschaftlicher Lebens- und Umgangsformen förderlich waren. Der am häufigsten beschrittene Weg ist eine Schematisierung des Inhalts zugunsten von Eleganz der Reime und des Strophenbaus oder zugunsten von kunstvoller Metaphorik.18 Solange die Minneklagen nicht in bohrende Reflexion übergingen, waren sie unanstößiges Material für poetische Artistik. Es gibt da Lieder von einer sprachlichen Brillanz, wie sie im Deutschen nicht allzu oft erreicht worden ist. Aber das Erregende der Liebe blieb eingegrenzt auf einen etwas engeren Freiraum, der die gesellschaftlichen oder religiösen Verbindlichkeiten nicht ernsthaft in Frage stellte. Unter Didaktisierung verstehe ich die Tendenz, die hohe Minne in einen allgemeinen Frauenpreis oder eine Tugendlehre einzubauen. Hauptgedichttypus dafür ist der Sangspruch, eine didaktische Form, in der gerade nicht ein Vereinzelter, ein Betroffener spricht, sondern das Allgemeine und das für die Gesellschaft Nützliche konstatiert wird. Hier werden die Frauen insgesamt als Freudenbringer für die Gesellschaft gepriesen. Und hier kann die Liebe zur Lehrmeisterin des jungen Adels gemacht werden: ›Alle Schulen taugen nichts, Š verglichen mit der Schule der Liebe‹, sagt Reinmar von Zweter:19 Diu Minne leˆrt die vrouwen schoˆne grüezen, diu Minne leˆret manegen spruch vil süezen, diu Minne leˆret groˆze milte, diu Minne leˆret groˆze tugent, diu Minne leˆret, daz diu jugent kan ritterlıˆch gebaˆren under schilte.
Gemeint ist minne als dienende Ergebenheit gegenüber Frauen, wie sie im IchLied der hohen Minne als Element der Leidenschaft entwickelt worden war. Was sich geändert hat, zeigen die benachbarten Strophen: sobald die Tugendlehre in Sachen Liebe spezifischer wird, stehen Selbstbeherrschung für die Männer und Reinheit für die Frauen obenan. Als dritte Tendenz der Entwicklung des Konzepts der hohen Minne in der Lyrik des 13. Jahrhunderts habe ich Konkretisierung genannt.20 Ich verstehe darunter Versuche, die Ich-Rolle der hohen Minne durch realistische Züge so anzureichern und zu überziehen, daß sie als fiktiv oder gespielt bewußt wird. Ich nenne nur zwei sehr verschiedenartige Beispiele:
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Hugo Kuhn, Minnesangs Wende, Tübingen 21967 (Hermaea NF 1). Die Gedichte Reinmars von Zweter, hg. von v. Gustav Roethe, Leipzig 1887, Nr. 31. Ich übernehme das Stichwort von Ingeborg Glier, Konkretisierung im Minnesang des 13. Jahrhunderts, in: From symbol to mimesis. The generation of Walther von der Vogelweide, hg. von Franz H. Bäuml, Göppingen 1984 (GAG 368), S. 150–168.
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Hug von Werbenwag beginnt ein siebenstrophiges Minnelied21 mit drei Strophen konventioneller Minneklage: Auch der Frühling bringt dem Sänger keine Freude, denn seine eˆren rıˆche Dame, deren wengel und Mund so roˆsenroˆt sind, verweigert ihm den Dank für seinen Dienst und seinen Gesang. Von der vierten Strophe an wird nun die gattungsübliche Vorstellung von Minnedienst und Minnelohn beim Wort genommen. Verweigerter Lohn ist einklagbar: soˆ wil ich dem künige von ir klagen – laˆt der künic daz ungerihtet, soˆ hab ich zem keiser muot. Strophe 5 malt dann aus, was bei einem Gerichtsverfahren passieren könnte: Da die Dame unter Eid behaupten wird, meinen Dienst nicht angenommen zu haben, wird es wohl zum Gerichtszweikampf kommen müssen; aber wie könnte ich denn auf ihre wengel unde ir munt soˆ roˆt einschlagen, und andererseits wäre es eine Schande, sleht ein wıˆp mich aˆne wer in kampfe toˆt. Strophe 6 spielt trotzdem den Gedanken eines Instanzenwegs weiter und unmittelbar in die brisante politische Situation der Jahre 1246/47 hinein: Wenn König Š Konrad (gemeint ist Konrad IV.) meine Klage nicht ernst nimmt, dann vielleicht der Kaiser (nämlich Friedrich II.), wenn der nicht, dann der junge künic uˆz Düringen lant (d. h. der Gegenkönig Heinrich Raspe) oder vielleicht der Papst, bei dem es auch ein Gnadenrecht gibt. Die abschließende 7. Strophe ist der Dame in den Mund gelegt: Lieber friunt, sagt sie, dir ist minne bezzer danne reht. Aber es wird deutlich, daß die alte Rechtsformel minne oder reht hier umgedeutet ist, daß minne hier nicht eine ›gütliche Rechtsvereinbarung‹ meint, sondern hoˆhe minne. Denn die Dame will jetzt den Dienst des Sängers durchaus akzeptieren, aber sie behält sich die Freiheit vor, Lohn zu gewähren oder nicht: ich bin des muotes frıˆ. Das Lied des Hug von Werbenwag läuft also am Ende wieder hinaus auf die in die Zukunft hinein offene Situation der hohen Minne. Aber das groteske Ausmalen einer Alternative hat den nur metaphorischen Charakter der Rede von Minnedienst und Minnelohn bewußt gemacht. Liebe beruht auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Und doch führt das Lied auch dieses Prinzip an seine Grenze: Wenn sich der Mann in der hohen Minne einseitig bindet, dann erscheint die Haltung der Frau leicht als kokett, was ihrer Stilisierung als höchstes irdisches Gut abträglich ist. Ein anderes Verfahren der Konkretisierung hat Meister Hadlaub entwickelt, jener Züricher Minnesänger um 1300, der die Liedersammlungen der Familie Manesse erwähnt, der also im Umkreis der Vorstufen oder der Anfänge des Codex Manesse gelebt und gedichtet hat. Hadlaub erzählt. Das Ich-Lied der hohen Minne hatte von Anfang an gelegentlich auch erzählende Elemente zugelassen. Das Ich konnte etwa berichten, daß ihm die Geliebte im Traum erschienen sei oder daß es ihm bei einer Begegnung mit der Dame vor übergroßer Liebe die Sprache verschlagen habe. Aber solche Elemente waren selten und blieben ganz untergeordnet. Hadlaub baut diese Möglichkeit in einer Gruppe von Liedern systematisch aus: Als Pilger verkleidet habe er seiner Dame beim morgend21
KLD 27, I.
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lichen Kirchgang ein Minnebrieflein an den Mantel geheftet – wie sie es wohl aufgenommen hat?22 Oder: Er habe beobachtet, wie sie ein Kind herzte; als sie weg war, habe er das Kind an den Stellen geküßt, wo vorher ihr Mund es berührt hatte.23 Oder: Die ganze höfische Gesellschaft von Zürich und dem Umland habe sich bei der Geliebten für den Sänger verwendet, schließlich hätten sie seine Hand in die ihre gelegt, er sei vor Liebe fast gestorben, sie aber habe ihm ärgerlich in die Hand gebissen – doch welch eine Freude dieser Biß ihres zarten Mundes!24 Es sind all jene Genreszenen, die Gottfried Keller in seiner Š HadlaubNovelle zu einer kontinuierlichen Liebesgeschichte ausgestaltet hat. Bei Meister Hadlaub selbst sind diese Episoden in die Minneklage des Ich-Lieds eingebunden. Aber sie geben dieser Klage einen Ton von leicht ironisierender Selbstdarstellung. Da die vornehme Gesellschaft unter Namensnennung in die Szenen einer hohen Minne einbezogen wird, kann man sich durchaus überlegen, ob dies nicht teilweise wirklich so passiert ist; dann hätte eine ganze Gesellschaft die hohe Minne ihres Sängers begleitend mitgespielt, hätte Minnesang inszeniert. Aber gleichgültig, ob erinnertes Gesellschaftsspiel, oder, wie ich eher glaube, literarische Fiktion – die Hyperbolik der hohen Minne, nach der schon der winzigste Gnadenbeweis höchstes Glück bedeutete, wird durch solches Ausmalen von Situationen dem Lächeln ausgesetzt, die Ich-Rolle wird nicht mehr ganz ernst genommen, das Pathos der Leidenschaft will nicht mehr ganz gelingen. Die drei Tendenzen in der Entwicklung des hohen Minnesangs im 13. Jahrhundert, Schematisierung, Didaktisierung und Konkretisierung, schließen einander nicht aus, sondern können sich auch überlagern. Ich bin am ausführlichsten auf die Tendenz der Konkretisierung eingegangen; denn sie führt, nicht nur über Hadlaub, auf die Manessesche Handschrift zurück. Auch die Bilder dieser Handschrift lassen sich am ehesten unter dem Stichwort Konkretisierung in unsere Überlegungen zur Liebe im Mittelalter und zum hohen Minnesang einbeziehen. Die 137 Bilder des Codex Manesse sind »nach Stellung und Funktion [. . .] Autorenbilder«.25 Häufig weist eine Schriftrolle eine Figur als den Autor aus, manchmal wird der Dichter sogar schreibend oder diktierend gezeigt. Dem Stil der Zeit gemäß werden die Autoren selbstverständlich nicht als Individuen dargestellt. Thematisiert wird vielmehr die überindividuelle soziale Existenz: in Standesbildern – König, Fürst, Ritter, Geistlicher, Verwaltungsbeamter, Fahrender – und in Bildern der ständischen, d. h. vor allem der höfisch-ritterlichen Lebensform – Kampf, Turnier, Jagd, Tanz, Spiel und Liebe. Es ist ein erzählfreudiger Querschnitt durch eine ganze Welt, und dies ist es wohl, was den Bildern ihre heutige Beliebtheit eingebracht hat bis hin zu den Tapeten und Lampenschirmen eines altdeutsch stilisierten Wohnkomforts. 22 23 24 25
SM-Sch. 30,1. SM-Sch. 30,4. SM-Sch. 30,2.
Hella Frühmorgen-Voß, Bildtypen in der Manessischen Liederhandschrift, in: Werk – Typ – Situation, hg. v. Ingeborg Glier u. a., Stuttgart 1969, S. 184–216, dort S. 185.
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Was sagen nun diese Bilder über Stellenwert und Auffassung von Liebe bei den Malern und Auftraggebern aus? Auch hier sind Inhalte und Redeweise kaum voneinander zu trennen. Das andere Medium bedingt eine andere Redeweise: Inneres muß sichtbar gemacht werden, die für das Fühlen und Singen so wichtige Dimension der Zeit ist nur begrenzt darstellbar, das klärende Wort fehlt. Wenn eine Frau, auf einern Turm stehend, einen Mann in einem Korb an einer Winde zu sich hochzieht (Kristan von Hamle, 71v), so ist zwar klar, daß von einem heimlichen Liebesrendezvous erzählt wird; aber wir wissen nicht sicher, ob dies nur ein etwas ungewöhnlicher Weg zu einer Tageliedsituation sein soll oder gar nur eine Wunschphantasie eines Sängers der hohen Minne, ober ob man nicht doch eher an die verbreitete Erzählung denken soll, nach der eine Frau einen unerwünschten Liebhaber nur halb zu sich hochzieht und ihn dann bis zum Morgen, bis die Leute kommen, in dieser blamablen Situation baumeln läßt. Nicht selten sind Motive aus den Texten des jeweiligen Dichters aufgegriffen, manchmal auch ohne spezifischen Bezug verbreitete Motive der Minnesangsprache. Endilhart von Adelburg kniet vor seiner Dame, öffnet sein Gewand und zeigt ihr die blutende Brust, in der ein überdimensionaler Pfeil steckt (181v). Läßt nur der Wechsel ins andere Medium das alte Motiv von der Herzenswunde komisch erscheinen, oder ist das Pathos der hohen Minne hier bewußt überzogen und ironisiert? Bei dem von Stadegge wird man durch ein Bild überrascht, auf dem ein Edelmann eine vornehme Dame an den Haaren zieht und ihr eine Ohrfeige gibt (257v). Nicht daß eine solche Vorstellung dem Mittelalter an sich fremd gewesen wäre, aber im minniglich-höfischen Kontext der Handschrift fällt sie doch auf. Das Bild ist angeregt durch ein Lied der hohen Minne, das gleich daneben steht (KLD 54, I): Der Sänger beklagt die Vergeblichkeit seines Werbens und steigert sich, die Grenzen höfischer Sprache abtastend, in Vorwürfe hinein: ›Wer hat Euch solche Schönheit gegeben, daß er Euch nicht mehr Güte geschenkt hat? In der Tat, Ihr seid eine leidbringende Frau, wenn Ihr den Menschen so weh tut. Würdet Ihr einen Toren bezwingen, wie Ihr mich bezwingt, könnte er seine Erziehung vergessen und sich auf unschöne Weise rächen.‹ Die Grobheit, die das Lied durch solche Verklausulierung gerade noch meidet, ist im Bild vor Augen geführt. Aber gemäß dem Stil des Grundstockmalers ist sie so graziös-spielerisch dargestellt, daß man eher an eine getanzte Szene denkt. Trotz der Konkretisierung wird also auch im Bild die potentielle Brutalität des Motivs durch artifizielle Stilisierung weitgehend abgefangen. Liebe erscheint in den Bildern in einem viel breiteren Spektrum von Varianten als in den Texten. Vorherrschend ist eine anmutige Zeremonialität in der Beziehung zwischen den Geschlechtern. Manche Bilder darf man wohl als Visualisierung des Konzepts der hohen Minne deuten: Dichter und Dame einander zugeordnet, durch eine Schriftrolle, d. h. durch die Dichtung, zugleich verbunden und getrennt; oder der Dichter kniend vor der Dame und ihr sein Lied überreichend. In Turnierbildern, wo oben die Damen teilnehmend zusehen, wie unten die Ritter kämpfen, und in Darstellungen, in denen die Dame dem Ritter seine Waffen
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überreicht, wird der Frauendienstgedanke, der im Ich-Lied nur als Beteuerung artikuliert werden kann, in ritterliche Handlung umgesetzt. Aber es kommen auch andere Vorstellungen von Liebe ins Bild: innige Umarmung, Liebesgelöbnis (178r), Griff unter den Rock (285r), Ritter und Bauernmädchen in Pastourellensituationen (394r, 395r), Minnetrank (271r), Brautraubroman (316v), gemeinsame Lektüre des ›Lanzelet‹ Ulrichs von Zatzikhoven (311r).26 Damit wird ein viel weiterer Kreis von Liebesthemen und -vorstellungen aus der höfischen Literatur der Laien zitiert, als ihn die Texte der Handschrift, als ihn insbesondere Hadlaubs Lieder der hohen Minne zeigen. Aber sie werden zusammen mit den bildlichen Umsetzungen von Metaphern wie Liebesfessel oder Liebeswunde auf eine einheitliche Ebene eines spielend-anspielenden Umgehens mit der Tradition projiziert, das bei Hadlaub Analogien findet; sie sind Teil einer höfischen Gesellschaftskultur, zu der auch eine Kultur des Redens von Liebe gehört. Zum Schluß möchte ich noch ein letztes Bild des Codex Manesse erwähnen: Konrad von Altstetten ist dargestellt, wie er unter einem Blütenbaum mit dem Oberkörper im Schoß seiner Dame ruht. Diese neigt sich liebkosend über ihn. Auf seiner linken Hand aber sitzt ein Falke, der in einen Köder beißt, den er ihm hingehalten hat (249v). Dieses Bild wirkt auf mich wie eine Illustration zu einer Strophe des Kürenbergers, des frühesten Minnesängers, den wir kennen, eines Dichters, der vom Konzept der hohen Minne noch nicht berührt zu sein scheint:27 Wıˆp unde vederspil diu werdent lıˆhte zam. swer sıˆ ze rehte lucket, soˆ suochent sıˆ den man. als warb ein schœne ritter umbe eine vrouwen guot. als ich dar an gedenke, soˆ steˆt wol hoˆhe mıˆn muot.
Es ist natürlich nicht sicher, daß der Maler diese Strophe, die an ganz anderer Stelle der Handschrift steht, wirklich im Sinn hatte. Vielleicht hat er nur ähnlich gedacht. Im Bild wie im Text sind Liebe und Falknerei Auszeichnungen des höfischen Mannes. Beide implizieren Wertschätzung für das edle Objekt der Zähmung, Vermeidung von Gewalt und Sensibilität für den Willen des anderen. Beide aber sind doch letztlich Künste zur Steigerung von Lust und Status des Mannes. Die Korrespondenz von Anfang und Spätzeit des deutschen Minnesangs macht etwas sichtbar, was immer mitzudenken ist. Der Minnesang, die höfische Liebesdiskussion der Laien insgesamt, besteht aus einem ganzen Ensemble von Konventionen des Redens und Denkens von Liebe, und dieses Ensemble seinerseits ist eingebettet in noch allgemeinere Traditionen. Zwischen den verschiedenen Vorstellungen und Redeweisen gibt es vielerlei Gemeinsamkeiten und Oppositionen zugleich. Man kann, wenn man will, auch das Lied der hohen Minne, das in diesem Ensemble von Stimmen eine führende Position hatte, als bloße Steigerung einer Denkweise verstehen, der die Liebe und das 26
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Vgl. Gisela Kornrumpf, ›Heidelberger Liederhandschrift C‹, in: 2VL, Bd. 3, 1981, Sp. 584–597, hier Sp. 595. MF 10, 17ff.
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Singen von Liebe ähnlich wie Tanzen, Fechten und Falknerei als Hofkunst gilt, deren Beherrschung den wahren Adligen ausmacht. Man kann aber auch die kritischen und in die Zukunft weisenden Aspekte des Minnesangs und speziell des Lieds der hohen Minne betonen.28 In der Voraussetzung der Aufrichtigkeit und lebenslangen Beständigkeit der Liebe, in der Betonung der Freiwilligkeit der Liebe,29 im Hineindenken in die Perspektive des anderen sind Prinzipien einer personalen Liebe entdeckt worden. Vieles an den damaligen Exzentrizitäten und Gedankenwagnissen könnten wir kaum für uns, für das heutige Verhältnis der Geschlechter akzeptieren. Aber als einen historisch notwendigen Schritt hin auf eine nicht dogmatische und doch nicht unverbindliche Ethik der Liebe, die wir suchen, sollten wir den Minnesang ernst nehmen.
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Hugo Kuhn, Determinanten der Minne, in: LiLi 7 (1977), Heft 26, S. 83–94, wieder in: H. K., Liebe und Gesellschaft, Stuttgart 1980, S. 52–59. Rüdiger Schnell, Causa amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur, Bern/München 1985 (Bibliotheca Germanica 27), S. 184 u. ö.
Liebeslieder vom späten 12. bis zum frühen 16. Jahrhundert Bei einem gemeinsamen Seminar mit Hans-Georg Kemper über Liebeslyrik im Hochmittelalter und im Barock hat sich gezeigt, wie wenig Alt- und Neugermanistik für einen solchen epochenübergreifenden Vergleich gerüstet sind. Trotz einer regen, in manchen Bereichen ausufernden Forschung hier wie dort sind die entscheidenden Entwicklungslinien und Wendepunkte der Liebeslyrik zwischen Minnesang und ›Vagantendichtung‹ einerseits, volkssprachlicher und lateinischer Barockpoesie andererseits noch keineswegs zureichend herausgearbeitet. Die folgende Skizze versucht, für zwei, wie ich meine, zentrale Problemfelder einige Hinweise zu geben. Im Zentrum steht die deutschsprachige Lyrik; kurze Ausblicke auf die lateinische und die italienische Lyrik vor allem im ersten Abschnitt können nicht mehr leisten, als die weiteren Zusammenhänge anzudeuten. Trotz der Blickrichtung auf die Barocklyrik beschränke ich mich zeitlich auf die dreieinhalb Jahrhunderte, die mir einigermaßen vertraut sind, die Zeit von den Anfängen überlieferter deutschsprachiger Liebeslyrik in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts bis zu den ersten gedruckten Sammlungen deutscher weltlicher Liedsätze, den Liederbüchern von Erhart Öglin, Peter Schöffer und Arnt von Aich aus den Jahren 1512 bis 1518,1 von den Liebesliedern der Carmina Burana bis zu den ›Amores‹ des Konrad Celtis. Außer Betracht bleiben also die Folgen von Reformation und Konfessionalisierung für Liebesverständnis und Liebesdichtung, nur als Orientierungspunkt außerhalb der Grenzen erscheint der bildungsbewußte Neueinsatz deutschsprachiger Lyrik mit Martin Opitz. Auf zwei Problemfelder möchte ich eingehen: In einem ersten Abschnitt frage ich nach Formen des Gebrauchs von Liebeslyrik im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Ein zweiter Abschnitt gilt den von den Texten gezeichneten Liebessituationen und den in ihnen implizierten LiebeskonŠzepten. Beide Ansätze zielen auf recht elementare Bedingungen und Grundmuster der Mittelalter * und frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche und Neuansätze, hg. von Walter Haug, Tübingen 1999 (Fortuna vitrea 16), S. 1–29. 1
Christoph Petzsch, Hofweisen. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Liederjahrhunderts, in: DVjs 33 (1959), S. 414–445, hier 414f. Zur Datierung des von Arnt von Aich gedruckten Liederbuchs (vgl. Anm. 46) auf 1518 siehe jetzt Hartmut Beckers, Bauernpraktik und Bauernklage. Faksimileausgabe des Volksbuchs von 1515/18 [. . .]. Mit Einleitung, Übersetzung und Anmerkungen sowie einem neuen Gesamtverzeichnis der Lupuspressendrucke, Köln 1985 (Alte Kölner Volksbücher um 1500, 5), S. 99 f., Nr. 11.
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Liebesliedtradition. Es scheint mir, daß sich langfristige Entwicklungslinien am ehesten auf dieser Ebene abzeichnen. Die herausragenden einzelnen Lieder, die seit langem berühmten und einige weitere, die es auch verdienten, berühmt zu werden, haben vielfach Experimentcharakter. Und die konzeptionellen Anstrengungen, das Thema Liebe mit lyrischen Mitteln zu den großen, Orientierung gebenden Themen Religion, Ethik, Recht oder Natur in Beziehung zu setzen, haben zu wenig Tradition begründet. Frauenlob kann immerhin, über einen spürbaren Graben hinweg, noch um 1300 auf einzelne Problemformulierungen im Minnesang um 1200 anspielen. Für das deutsche Lied des 15. Jahrhunderts aber ist die Tradition auf der Ebene grundsätzlicher Reflexionen schlicht abgerissen, und Celtis setzt mit seinem Versuch, Varianten der Liebe auf Ordnungen der Natur zu beziehen, ganz neu von außen her an.
1. Gesungene und gelesene Lyrik – Aspekte des Gebrauchs
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Neuzeitliche Lyrik ist Leselyrik, ihre Existenzform ist das Buch, das einzelne Gedichtblatt, auch eine Ecke in einer Zeitung. Selten wird ein lyrischer Text vorgelesen, obwohl gerade Kenner das laute Lesen als die eigentliche Zielform lyrischer Texte empfinden. Noch seltener wird ein Gedicht von einem professionellen Komponisten vertont und dann von einer Sängerin oder einem Sänger vorgetragen. Die Musik ist in solchem Fall sekundäre Zutat, auch Ausdeutung, und ihr Eigenanspruch überwiegt beim Vortrag in der Regel den des Textes. Hochmittelalterliche Lyrik ist von vornherein für den (solistischen)2 Gesangsvortrag verfaßt. Textautor und Melodieautor scheinen vielfach, wenn nicht in der Regel, identisch gewesen zu sein, soweit nicht – wie bei Kontrafakturen oder vielbenutzten Sangspruchtönen – der Text zu einer vorhandenen Melodie gedichtet wurde. Das gilt für den Minnesang ebenso wie für Trobador- und Trouve`relyrik und für die mittellateinische weltliche Lieddichtung. Es gilt grundsätzlich, obwohl uns durchaus auch andere Gebrauchs- und Übermittlungsformen (z. B. Übersendung in schriftlicher Form, Tanz) bezeugt sind3 und obwohl die schriftliche Überlieferung nur selten, für den Minnesang so gut wie Š nie Melodien bewahrt hat. Die jüngere Forschungsdiskussion hat denn auch Fragen nach der Pragmatik der Texte, nach ihrer Bezogenheit auf Aufführungssituationen, mehr und mehr in die Interpretation einbezogen.4 2
Chorisch z. B. Hymnen, Refrains bei Tänzen, wohl auch brauchtümliche deutsche Strophen aus den Carmina Burana. 3 Joachim Bumke, Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, München 1986, Bd. 2, S. 751–758; Michael Schilling, Minnesang als Gesellschaftskunst und Privatvergnügen. Gebrauchsformen und Funktionen der Lieder im ›Frauendienst‹ Ulrichs von Liechtenstein, in: Wechselspiele. Kommunikationsformen und Gattungsinterferenzen mittelhochdeutscher Lyrik, hg. von dems. und Peter Strohschneider, Heidelberg 1996 (GRM, Beihefte 13), S. 103–121. 4 Vor allem seit Hugo Kuhn, Minnesang als Aufführungsform (1969), wieder in: H. K.,
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Wie sich der Übergang vom hochmittelalterlichen ›System‹ zum neuzeitlichen vollzogen hat, ist trotz der intensiven Diskussion über Mündlichkeit und Schriftlichkeit noch keineswegs zureichend geklärt. Eine Diskussion des Problems hat im Auge zu behalten, daß die eher praktisch-mediale Frage Singen oder Lesen mit anderen Fragen zusammenhängt, von denen ich einige ansprechen will. Nicht diskutieren möchte ich die Rolle der Schrift als Hilfsmittel beim Dichten und in der Überlieferung; sie ist wohl von Anfang an zumindest als eine wichtige Möglichkeit vorauszusetzen. Erheblich für das Verständnis der langfristigen Entwicklungen scheinen mir jedoch Schrift- und Œuvrebewußtsein der Autoren, impliziter und expliziter Gesellschaftsbezug der Texte und erschließbare Formen des Gebrauchs der Texte durch die Gesellschaft. Man darf nicht ohne weiteres von dem einen dieser Problemkreise auf den anderen schließen und etwa annehmen, fortgeschrittenes Œuvrebewußtsein beweise bereits, daß die Texte primär gelesen worden seien. Aber man darf ebenso wenig die praktische Frage Singen oder Lesen, von der ich hier ausgehe, isoliert sehen. Ein kurzer Blick auf die romanische Lyrik mag helfen, die deutschen Verhältnisse aus größerem Abstand zu sehen. Schon für die Trobadordichtung, die Mutterkultur der mittelalterlichen volkssprachlichen Lyriktraditionen, werden Ausmaß und Relevanz nichtmusikalischer Existenzformen unterschiedlich beurteilt;5 daß das gesungene Lied als Norm galt, ist jedoch nicht zu bezweifeln. Die verbreitete Auffassung, der »divorzio tra musica e poesia« sei eine Errungenschaft der sizilischen Dichtergruppe um Kaiser Friedrich II., läßt sich nach dem Buch von Joachim Schulze6 nicht mehr halten; auch bei diesen Lyrikern Š muß die Musik noch eine wichtige Rolle gespielt haben. Dennoch scheinen die zur neuzeitlichen Situation hinführenden Entwicklungen in der italienischen Lyrik früher als anderswo recht weit getrieben worden zu sein. Nur handelt es sich nicht um eine schnelle Wende, sondern um einen langen komplexen Prozeß, der sich in einem vielfältigen Nebeneinander verschiedener Gebrauchsformen für Text und Theorie, Stuttgart 1969, S. 182–190, 364–366. Aus jüngster Zeit vgl. besonders Jan-Dirk Müller, Ir sult sprechen willekomen. Sänger, Sprecherrolle und die Anfänge volkssprachlicher Lyrik, in: IASL 19 (1994), S. 1–21; Peter Strohschneider, »nu sehent, wie der singet!« Vom Hervortreten des Sängers im Minnesang, in: ›Aufführung‹ und ›Schrift‹ in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Jan-Dirk Müller, Stuttgart/Weimar 1996 (Germanistische Symposien 17), S. 7–30; Helmut Tervooren, Die ›Aufführung‹ als Interpretament mittelhochdeutscher Lyrik, ebd., S. 48–66; Thomas Cramer, Waz hilfet aˆne sinne kunst? Lyrik im 13. Jahrhundert. Studien zu ihrer Ästhetik, Berlin 1998 (Philologische Studien und Quellen 148). 5 Dietmar Rieger, Hören und Lesen im Bereich der trobadoresken Lieddichtung, in: Zs. f. roman. Phil. 100 (1984), S. 78–91; Jörn Gruber, Singen und Schreiben, Hören und Lesen als Parameter der (Re-)Produktion und Rezeption des Occitanischen Minnesangs des 12. Jahrhunderts, in: LiLi 15 (1985), H. 57/58, S. 35–51. 6 Joachim Schulze, Sizilianische Kontrafakturen. Versuch zur Frage der Einheit von Musik und Dichtung in der sizilianischen und sikulo-toskanischen Lyrik des 13. Jahrhunderts, Tübingen 1989 (Beihefte zur Zs. f. roman. Phil. 230). Für den Hinweis auf dieses wichtige Buch danke ich Gisela Kornrumpf.
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verschiedene Texttypen, aber auch für dieselben Texte vollzogen hat. In Dantes ›De vulgari eloquentia‹ wird die Kanzone (cantio), die vornehmste Gattung volkssprachlicher Dichtung, als fictio rethorica musicaque poita bezeichnet.7 Auf der Seite der Produktion denkt Dante dabei die Musik immer mit, allerdings ohne sich wirklich auf sie einzulassen; auf der Seite der Reproduktion und Rezeption aber rechnet er problemlos mit beiden Möglichkeiten: sive cum soni modulatione proferatur, sive non.8 Die Ballata bleibt demgegenüber ganz dem Vortrag zum Tanz zugeordnet,9 für das Sonett, die dritte lyrische Hauptgattung, fehlen diesbezügliche Aussagen. Boccaccio läßt im ›Decameron‹ – vielleicht idealisch verklärend, aber kaum völlig realitätsfern – die Erzähltage mit solistisch vorgetragenen Liebesliedern ausklingen; in einzelnen Fällen wird dazu getanzt, oder es werden die Refrains von der ganzen brigata mitgesungen. Um dieselbe Zeit aber arbeitete einerseits Petrarca an der Buchlyrik seines ›Canzoniere‹, hatten sich andererseits in der mehrstimmigen Musik des Trecento neuartige Verbindungen von Text und Ton ergeben, sekundäre Vertonungen von Gedichten, die wahrscheinlich ursprünglich melodielos waren, und neue Texttypen wie die caccia,10 die von vornherein auf die Möglichkeiten der neuen mehrstimmigen Kompositionstechnik ausgerichtet waren. Die Gründe und die Bedingungen für den im Italienischen besonders früh wirksamen Trend zur Trennung (und dann auch neuer Kombination) von lyrischer Dichtung und Musik dürften vielfältig sein. Neben der allgemeinen Ausbreitung von Schriftlichkeit und schriftliterarischer Bildung, die in den Hof- und Stadtgesellschaften Italiens besonders weit fortgeschritten war, mag man Vertrautheit mit antiker und antikisierender Lyrik bei den hochgebildeten, z. T. auch lateinisch schriftstellernden Dichtern in Rechnung stellen. Eine wichtige Rolle aber dürften zwei spezifische Neuentwicklungen der italienischen Tradition gespielt haben: Sonett und Zyklenbildung. Während bei der Minnekanzone die immer wieder neuen Formen und Melodien fast notwendiges Pendant zur immer wieder neu ansetzenden Inszenierung von Liebesklage und Werbung vor der Gesellschaft sind, verlagert sich bei gleichbleibender Form das Interesse Š auf die gedanklich-sprachliche Seite. Das muß zwar nicht zur Trennung von Musik führen, wie in Deutschland Sangspruchdichtung und Meistergesang zeigen. Beim Sonett aber scheint es früh dazu geführt zu haben, denn außer der Etymologie (›Liedchen‹) gibt es offenbar keinen frühen Hinweis für eine Verbindung von Sonetten und musikalischem Vortrag; die Sonettkompositionen des Trecento dürften eher sekundäre Vertonungen sein. Fast noch wichtiger für den Prozeß der Verselbständigung der Textseite aber scheinen mir die Zyklusbildungen bei Dante und Petrarca gewesen zu sein. Im Zusammenhang eines Buches, sei es ›Lie7
De vulgari eloquentia, hg. von Pier Vincenzo Mengaldo, in: Dante Alighieri, Opere minori, tomo II, hg. von dems. u. a., Milano/Napoli 1979, II, iv, 2. 8 Ebd., II, viii, 4. 9 Ebd., II, iii, 5: indigent enim plausoribus, ad quos edite sunt. 10 Vgl. Peter Cahn, Kanon, in: 2MGG, Sachteil 4, 1996, Sp. 1677–1705, hier 1686f.
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besbiographie‹, sei es Œuvre-Präsentation, wird das einzelne Gedicht nur noch lesend wahrgenommen. Im deutschen Sprachraum ist die Lyrik von dem allgemeinen Prozeß der Verschriftlichung der Kultur nicht unberührt geblieben, aber sie ist dieser Entwicklung nicht so weit gefolgt wie die italienische Lyrik. Definiert man Lyrik vom neuzeitlichen Verständnis des Begriffs her, so wären auch einzelne Texte und Typen der Reimpaardichtung und damit unsangbare Texte einzubeziehen.11 Für den hier ins Auge gefaßten Bereich der Liebesdichtung wäre vor allem an die Tradition der Minnereden zu denken, die nach vereinzelten früheren Vorläufern vom Ende des 13. bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts blühte12 und wohl im wesentlichen Leseliteratur war.13 Der Zusammenhang von sangbaren Liebesliedern und für die Lektüre bestimmten Minnereden, der öfter auch durch Überlieferungssymbiosen bestätigt wird,14 und die komplementäre Differenzierung der beiden Gattungen nach Aussageweisen und Problembewußtsein bedürften neuen Nachdenkens.15 Die meisten Minnereden freilich und gerade die anspruchsvollsten liegen durch Umfang und didaktisch-explikatorische Grundhaltung außerhalb des heute gängigen Lyrikbegriffs. Die eher ›lyrischen‹ Randformen der Minnereden und die kleinen Liebesgrüße16 aber stellen nach Zahl und Anspruch keine wirkliche Konkurrenz zum breiten und lebendigen Traditionsstrom der Liebeslieder dar. Eine rein literarische Lyrik deutscher Sprache entsteht in nennenswertem Umfang erst im 17. Jahrhundert, und da stellt sie sich, z. T. unter Rückgriff auf italienische Traditionen, als Kunstdichtung der Gebildeten neben und über die aus dem späten Mittelalter weiterlebenden und weiterentwickelten Liedtraditionen: das gemeinschaftlich gesungene Kirchenlied, das solistisch vorgetragene Meisterlied und – für unsere Frage nach Liebeslyrik relevant – die ein- und mehrstimmigen weltlichen Liedtraditionen, die mit Begriffen wie Volkslied, Gesellschaftslied, Hofweise17 in der Vielfalt ihrer Typen und Niveaus literatur11
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Vgl. Eva und Hansjürgen Kiepe (Hgg.), Gedichte 1300–1500, München 1972 (Epochen der deutschen Lyrik 2), S. 5f. Ingeborg Glier, Artes amandi. Untersuchung zu Geschichte, Überlieferung und Typologie der deutschen Minnereden, München 1971 (MTU 34). Indizien für gesprochenen Vortrag sind, wenn ich recht sehe, seltener als bei geistlichen, politischen und scherzhaften Reden. Glier (wie Anm. 12), S. 369f. mit Anm. 221; Burghart Wachinger, Liebe und Literatur im spätmittelalterlichen Schwaben und Franken. Zur Augsburger Sammelhandschrift der Clara Hätzlerin, 1982, im vorliegenden Band S. 395–415. Einzelne Hinweise bei Glier (wie Anm. 12), S. 10f., 24–27. Jürgen Schulz-Grobert, Deutsche Liebesbriefe in spätmittelalterlichen Handschriften. Untersuchungen zur Überlieferung einer anonymen Kleinform der Reimpaardichtung, Tübingen 1993 (Hermaea NF 72). Vgl. Christoph Petzsch, Einschränkendes zum Geltungsbereich von ›Gesellschaftslied‹, in: Euphorion 61 (1967), S. 342–348; ders., Hofweisen (wie Anm. 1); Horst Brunner, Gesellschaftslied, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 1, 1997, S. 717f.
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geschichtlich noch immer ganz unzureichend erfaßt sind. Die neue literarische Lyrik bleibt zwar nicht aufs Buch beschränkt. Einzelne Gattungen wie die Hochzeitscarmina sind eminent gesellschaftsbezogen und für den Vortrag bestimmt – aber nunmehr für den Sprechvortrag. Daß man die Lyrica oder getichte [. . .] zur Music sonderlich gebrauchen kan, war Opitz bewußt,18 aber ob ein Gedicht liedhafter Form dann wirklich vertont wurde, blieb jetzt dem Zufall überlassen. Der »divorzio tra musica e poesia« war in der literarischen Barocklyrik entschiedener vollzogen als in den gleichzeitig noch fortlebenden Liedtraditionen älteren Typs. In lateinischer Sprache war die lyrische und elegische Dichtung der Antike als Leselyrik mehr oder weniger präsent geblieben, Nachahmungen mit erotischer Thematik waren jedoch offenbar selten. Wohl aber entstand im 12. und frühen 13. Jahrhundert parallel zu und z. T. in Anlehnung an volkssprachliche Poesie in Frankreich und dann auch im deutschen Sprachraum eine gesungene Vortragsdichtung großenteils erotischen Inhalts. Nach der berühmten Sammlung der Carmina Burana (um 1230) ist uns allerdings kaum noch derartiges überliefert. Ein Fall wie das formal ambitiöse Herbst-Liebeslied Iam en trena plena um 1400, lateinisches Pendant zum deutschen Herbst-Liebeslied Man siht lovber tovber scheint eher eine Ausnahme geblieben zu sein.19 Verbreiteter mögen einfache erotische Scholarenliedchen gewesen sein, wie das ›Rostocker Liederbuch‹ einige überliefert.20 Konrad Celtis, mit dem die neulateinische Lyrik in Deutschland Š beginnt, dürfte die mittelalterliche Tradition sangbarer rhythmischer Liebeslyrik in lateinischer Sprache höchstens noch in solchen primitiven Ausläufern gekannt haben, als er seine Oden und Elegien in antiken Metren dichtete. Auch die volkssprachliche Liedtradition lag offenbar außerhalb seines Horizonts. In den ›Amores‹ transponierte er zwar programmatisch die antike Liebeselegie in vier Gegenden und auf vier Frauen des zeitgenössischen Germaniens, und in den Oden erscheinen teilweise dieselben deutschen Frauennamen als Adressatinnen.21 Der Bezug auf ›Deutsches‹ führte aber, soviel ich sehe, nirgends dazu, daß 18
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Martin Opitz, Buch von der deutschen Poeterei, hg. von Wilhelm Braune, 6. Druck, Tübingen 1954 (Neudrucke deutscher Literaturwerke 1), V. Capitel, S. 22. Walter Röll, Vom Hof zur Singschule. Überlieferung und Rezeption eines Tones im 14.–17. Jahrhundert, Heidelberg 1976, S. 63–76; dazu Gisela Kornrumpf, in: AfdA 90 (1979), S. 14–22 [mit Ergänzungen wieder in: Gisela Kornrumpf, Vom Codex Manesse zur Kolmarer Liederhandschrift, Bd. I, Tübingen 2008 (MTU 133), S. 245–256]. Das Rostocker Liederbuch nach den Fragmenten der Handschrift neu hg. von Friedrich Ranke und J[osef] M. Müller-Blattau, Halle 1927 (Schriften der Königsberger Gelehrten Gesellschaft, Geisteswiss. Klasse 4. Jahr, H. 5), Nachdruck mit vollst. Faksimile, Leipzig/Kassel 1987, Nr. 16 und 51, sprachmischend Nr. 43. Conradus Celtis Protucius, Quattuor libri amorum secundum quattuor latera Germaniae, Germania generalis, ed. Felicitas Pindter, Leipzig 1934. Grundlegend zum Verständnis: Ursula Hess, Erfundene Wahrheit. Autobiographie und literarische Rolle bei Conrad Celtis, in: Kontroversen, alte und neue. Akten des VII. Internationalen Germanistenkongresses Göttingen 1985, hg. von Albrecht Schöne, Bd. 7, Tübingen 1985,
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er auch Motive volkssprachlicher Liebesdichtung seiner Zeit aufgegriffen und verarbeitet hätte (was wenig später Heinrich Bebel tut22). Die ›Amores‹ bieten mit ihren elegischen Distichen Leselyrik, sie sind nicht sangbar, mag auch in ihnen das Dichten mehrfach als Singen zur lyra oder cithara imaginiert sein. Sie werden 1502 als Buch mit Widmungsvorrede und programmatischen Holzschnitten23 publiziert und sind in ihrer zyklischen Konstruktion entschieden Buchlyrik. Und auch für die lockerer gereihten, thematisch vielfältigeren Oden plante Celtis eine Buchausgabe (sie erschien erst nach seinem Tod). Dennoch empfand Celtis offenbar das Buchleben seiner Gedichte als Begrenzung; denn er förderte entschieden den Versuch seines Schülers Petrus Tritonius, Texte in den antiken Metren, darunter auch Texte von Celtis selbst, in vierstimmigen Sätzen genau nach den antiken Längen und Kürzen zu vertonen. Die ›Melopoiae sive Harmoniae tetracenticae super XXII genera carminum [. . .]‹ (Augsburg, Erhart Öglin 1507) hatten sogar einen gewissen Erfolg; sie wurden wiederaufgelegt, und der Kompositionstypus wurde von bedeutenderen Komponisten aufgegriffen, offenbar weil er Schulinteressen entgegenkam.24 Aber die Beschränkung der Š neulateinischen Lyrik und zumal der erotischen auf die Existenzform im Buch wurde damit nicht auf Dauer durchbrochen. Die Musik blieb sekundäre Zutat. Man darf fürs Lateinische die ›Amores‹ des Konrad Celtis, fürs Deutsche die Barocklyrik als herausragende Orientierungsgrößen betrachten, an denen im Vergleich deutlich wird, wie stark alle vorherige Lyrik doch noch auf den Gesangsvortrag bezogen war. Hochliterarische Leseformen wie das Sonett, Buchlyriker wie Dante und Petrarca hat es im deutschen Sprachraum vor diesen späten Neueinsätzen nicht gegeben. Wohl aber hat die massive Ausbreitung der Schriftkultur sich schon im Spätmittelalter vielfältig auch auf die Tradition und die Produktion von Liedern ausgewirkt, und es finden sich Ansätze zu einer Literari-
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S. 136–147; Franz Josef Worstbrock, Konrad Celtis. Zur Konstitution des humanistischen Dichters in Deutschland, in: Literatur, Musik und Kunst im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, hg. von Hartmut Boockmann u. a., Göttingen 1995, S. 9–35. Günter Hess danke ich für die Überlassung eines Entwurfs seiner ›Amores‹-Übersetzung und für weitere Hinweise. Günter Hess, ›Vulgaris cantio‹. Gattungsprobleme zwischen Volkssprache und Latinität um 1500, in: Werk – Typ – Situation. Studien zu poetologischen Bedingungen in der älteren deutschen Literatur. Fs. Hugo Kuhn, hg. von Ingeborg Glier u. a., Stuttgart 1969, S. 346–370. Vgl. Dieter Wuttke, Humanismus als integrative Kraft. Die Philosophia des deutschen ›Erzhumanisten‹ Conradus Celtis. Eine ikonologische Studie zu programmatischer Graphik Dürers und Burgkmairs, in: Artibus et historiae 6, Nr. 11 (1985), S. 65–99, wieder in: ders., Dazwischen. Kulturwissenschaft auf Warburgs Spuren, Bd. 1, BadenBaden 1996 (Saecula spiritalia 29), S. 389–454. Rochus von Liliencron, Die Horazischen Metren in deutschen Kompositionen des 16. Jahrhunderts, in: Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft 3 (1887), S. 26–91; HansJoachim Moser, Paul Hofhaimer. Ein Lied- und Orgelmeister des deutschen Humanismus, Stuttgart/Berlin 1929, S. 162–167, Anhang S. 112–128; Giuseppe Vecchi, Tritonius, in: MGG, Bd. 13, 1966, Sp. 698f.
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sierung, die – auf bescheidenerem Niveau – in eine ähnliche Richtung weisen wie die Entwicklung in Italien. Dazu nur einige Hinweise, die nun entschiedener Fragen des Autorbewußtseins und des Gebrauchs mit einbeziehen. Daß melodielose Überlieferung immer ein melodieloses Leben der Texte impliziere, wird man nicht behaupten wollen; denn für Melodien brauchte man sicher oft weniger eine Gedächtnisstütze als für Texte. Überblickt man aber die großen Sammlungstraditionen für die Lyrik des 12. und 13. Jahrhunderts, so wird man doch feststellen dürfen, daß in den oberdeutschen Traditionen um die Handschriften A, B, C und E, in denen nirgends Melodieaufzeichnungen vorkommen, das Interesse offenbar stärker textlich-literarisch orientiert war als etwa in der Handschrift der Carmina Burana oder in der mitteldeutsch-niederdeutschen Tradition, deren wichtigster Vertreter die Jenaer Handschrift (J) ist. Dazu paßt, daß in den Handschriften A, B, C und E auch das Interesse an den Textautoren stärker war, während etwa in J Töne und Tonautoren das Organisationsprinzip bildeten.25 Die Anfänge dieser literarischen Sammlungstraditionen dürften erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts liegen.26 Über die Zeit davor ist damit noch nichts gesagt. Auch ohne strikte Beweise bezweifle ich nicht, daß der Gesangsvortrag vor einer höfischen Gesellschaft – in welchen konkreten Situationen auch immer – die wichtigste Lebensform der Kunstlyrik von ihren Anfängen um 1160 bis weit ins Spätmittelalter hinein gewesen ist. Wenn nun in den oberdeutschen Sammlungstraditionen des 13. Jahrhunderts einseitig die literarische Seite des Lieds gepflegt wurde, darf man darin wohl den Ansatz zu Š einer ähnlichen Entwicklung sehen, wie sie gleichzeitig in Italien stattfand. Sie wurde aber in Deutschland nicht mit solcher Konsequenz verfolgt, daß es zur Ausbildung einer rein schriftliterarischen Lyriktradition gekommen wäre. Ein Œuvrebewußtsein – in Italien offenbar eine der Bedingungen zur Entwicklung einer Leselyrik – findet sich in Ansätzen (Typendifferenzierung27 und Selbstzitate) schon bei Reinmar dem Alten und Walther von der Vogelweide. Aber es bezieht sich offenbar bei ihnen noch auf eine unbestimmte Zahl einzelner im Gebrauch befindlicher Lieder, nicht auf ein Buch und ein festes Textcorpus. Bei Neidhart setzen sich Typendifferenzierung und Selbstzitate entschie25
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Gisela Kornrumpf und Burghart Wachinger, Alment. Formentlehnung und Tönegebrauch in der mittelhochdeutschen Spruchdichtung, in: Deutsche Literatur im Mittelalter. Kontakte und Perspektiven, hg. von Christoph Cormeau, Stuttgart 1979, S. 356– 411, hier 361–366 [wieder in: Gisela Kornrumpf, Vom Codex Manesse zur Kolmarer Liederhandschrift, Bd. I, Tübingen 2008 (MTU 133), S. 117–168, hier 122–126]. *AC erst später, vgl. Gisela Kornrumpf in: 2VL, Bd. 3, 1981, Sp. 583. Zusammenfassend zu den Vorstufen Franz-Josef Holznagel, Wege in die Schriftlichkeit. Untersuchungen und Materialien zur Überlieferung der mittelhochdeutschen Lyrik, Tübingen/ Basel 1995 (Bibliotheca Germanica 32), S. 208–256. Für Reinmar Gisela Kornrumpf in einem Vortrag vor der Wolfram von EschenbachGesellschaft, Landshut 1996; vgl. einstweilen dies. in: Die Lieder Reinmars und Walthers von der Vogelweide aus der Würzburger Handschrift I. Faksimile, Wiesbaden 1972, S. 16.
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dener fort. Ob die beiden Strophen, die das Œuvre zu summieren scheinen (80 bzw. 104 Weisen),28 authentisch sind, braucht hier nicht entschieden zu werden. Sie bezeugen zwar die Idee einer Ganzheit des Liederœuvres, nicht aber die Vorstellung eines Buchs. Im Gegenteil: die Weisen sind auch für andere verfügbar (loufent mir nu ledic bıˆ), und Neidhart scheint vom Erfolg seiner Dichtweise fast überdeckt worden zu sein, indem seine Lieder von anderen so vielfach gebraucht, weitergedichtet und nachgeahmt wurden, daß gerade bei ihm Entscheidungen über die Grenzen des Œuvres kaum zu treffen sind. Die erste erschließbare ›Edition‹ eines deutschen Sangvers-Œuvres ist eine thematisch wohlgeordnete Sammlung von Sangspruchstrophen im Frau-EhrenTon Reinmars von Zweter, eine Sammlung, die wohl auf den Autor selbst zurückgeht und die wenigstens an einer Stelle den Eindruck macht, daß einzelne Strophen eigens für den Zusammenhang des Büchleins gedichtet wurden. Bewahrt ist diese ›Edition‹ aber nur in einer einzigen (melodielosen) Handschrift des 14. Jahrhunderts. Die sonstige Überlieferung bietet, auch wo sie nachweislich auf das Büchlein zurückgeht, Einzelstrophen und Strophengruppen, die zum Vortrag geeignet sind.29 Und daß aus dem 15. Jahrhundert eine Melodie zum Frau-Ehren-Ton überliefert ist, die in den Grundzügen die alte Melodie Reinmars von Zweter bewahrt haben könnte,30 zeigt, wie selbstverständlich die Sangbarkeit auch in diesem Fall war. Wenig später, ebenfalls noch um die Mitte des 13. Jahrhunderts, entsteht im ›Frauendienst‹ Ulrichs von Liechtenstein ein Buch, das auf andere Weise ebenfalls einen Schritt in Richtung auf eine stärker schriftliche Einbindung und Präsentation von Lyrik bedeutet, hier auch speziell von Liebeslyrik. Als fiktiv autobiographischer Rahmen und poetologischer Kommentar zu den eigenen Liedern und Reimpaargedichten läßt sich der ›Frauendienst‹ sehr wohl mit Dantes ›Vita nuova‹ vergleichen.31 Aber ganz abgesehen vom Niveauunterschied zeigt der Vergleich auch den Abstand nicht nur hinsichtlich Erzählung und Liebeskonzeption, sondern auch bei den hier diskutierten Fragen. Bei Dante ist von der pragmatischen Einbindung der Gedichte fast nie die Rede; nur gelegentlich wird angedeutet, daß ein Gedicht bekannt wurde, nur auf das erste Sonett, das sich fragend an tutti i fedeli d’Amore wendet, erhält der Dichter schriftliche Sonette als Antwort.32 Wie die Frauen, die des Dichters Liebe begleiten und die mit ihm 28 29
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Winterlied 28, VI und 30, IXc (SNE I, R 13: c V und R 20: c XII). Die Gedichte Reinmars von Zweter, hg. von Gustav Roethe, Leipzig 1887, S. 93–147; Franz H. Bäuml and Richard H. Rouse, Roll and codex: A new manuscript fragment of Reinmar von Zweter, in: PBB 105 (1983), S. 192–231, 317–330. Horst Brunner, Die alten Meister. Studien zu Überlieferung und Rezeption der mittelhochdeutschen Sangspruchdichter im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, München 1975 (MTU 54), Töneregister. Kurt Ruh, Dichterliebe im europäischen Minnesang, in: Deutsche Literatur im Mittelalter (wie Anm. 25), S. 160–183, wieder in: ders., Kleine Schriften, Bd. 1, Berlin/ New York 1984, S. 324–345. Vita nuova, hg. von Domenico De Robertis, in: Dante Alighieri, Opere minori, tomo I/1, hg. von dems. und Gianfranco Contini, Milano/Napoli 1984, III, 9–14.
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über seine Liebesdichtung reden,33 zur Kenntnis seiner Gedichte gelangt sind, bleibt völlig offen; daß schriftliche Verbreitung vorausgesetzt wird, ist die nächstliegende Vermutung. Ulrichs ›Frauendienst‹ dagegen steckt voller Hinweise auf den konkreten Gebrauch der Texte. Das Spektrum reicht von schriftlicher Übermittlung an die Dame und deren Einzellektüre über gesungenen Vortrag oder Vorlesen vor der Dame durch Mittelspersonen bis zur Verbreitung als von der Gesellschaft gern gesungenes oder getanztes Lied; solistischer Vortrag vor der Gesellschaft wird nicht erwähnt, ist aber wohl Voraussetzung für solchen breiteren Kunsterfolg.34 Mag auch da und dort die Grenze zwischen literarischem Rahmen und sangbarem Lied verwischt sein,35 die Grundvorstellung bleibt doch, daß die Lieder der Gesellschaft als gesungene bekannt werden. Die Überlieferung bestätigt diese Sicht: die Sammler der Manesseschen Liederhandschrift haben trotz ihrer schon stark schriftliterarisch geprägten Interessen aus dem ›Frauendienst‹ eben doch nur die sangbaren Lieder aufgenommen, nicht die nichtsangbaren Büchlein, die ja thematisch ebenso gepaßt hätten. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts scheint sich also in der mittelhochdeutschen Lyrik ein Literarisierungsschub auch in dem Sinne abzuzeichnen, daß der Sammlung und Š schriftlichen Fixierung von Dichterœuvres höhere Bedeutung beigemessen wurde als in der Frühzeit des Minnesangs. Auch dieser Schub geht aber nicht so weit, daß es zur Ausbildung einer eigentlichen Lese- und Buchlyrik gekommen wäre wie in Italien. Nach den Sammelhandschriften des frühen 14. Jahrhunderts scheint diese Tendenz zur Literarisierung zumindest beim Liebeslied gebremst worden zu sein. In der thematisch anders orientierten Tradition von Sangspruchdichtung und Meisterliedern blieb mit dem Interesse an den wiederverwendbaren Tönen wenigstens das Interesse an den Namen der Tonerfinder lebendig. Einzelne bedeutende Berufsdichter dieser Tradition, Heinrich von Mügeln, Muskatblut, Michel Beheim, Erfinder eigener Töne, deren Melodien uns erhalten sind, haben für die geschlossene Erhaltung ihres Œuvres gesorgt (oder es wurde in ihrer Umgebung dafür gesorgt), z. T. mit deutlichen Tendenzen zur Zyklusbildung, die dem Einzeltext, losgelöst vom Vortrag, eine nur im Buchzusammenhang wahrnehmbare Dimension verleiht.36 Das Liebeslied aber spielt in diesen Œuvres nur eine Randrolle, soll nur abrundend die Kompetenz des Meisters auch auf diesem 33 34
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Ebd. XVIII, 6–8. Dieter Kartschoke, Ulrich von Liechtenstein und die Laienkultur des deutschen Südostens im Übergang zur Schriftlichkeit, in: Die mittelalterliche Literatur in Kärnten, hg. von Peter Krämer, Wien 1981 (Wiener Arbeiten zur germanischen Altertumskunde und Philologie 16), S. 103–143; Schilling (wie Anm. 3). Kartschoke (wie Anm. 34), S. 126–128. Vgl. Burghart Wachinger, Michel Beheim. Prosabuchquellen – Liedvortrag – Buchüberlieferung, 1979, im vorliegenden Band S. 363–393; Frieder Schanze, Meisterliche Liedkunst zwischen Heinrich von Mügeln und Hans Sachs, 2 Bde., München 1983 (MTU 82.83).
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Gebiet demonstrieren. Für Liebeslieder gab es keine Sammlungstradition mehr, die nach Anspruch und Niveau den Traditionen des 13./14. Jahrhunderts, die das Liebeslied in den Mittelpunkt gerückt hatten, vergleichbar wäre. Die thematisch gemischten Œuvresammlungen der adligen Dichter Hugo von Montfort und Oswald von Wolkenstein blieben an die besonderen Bedingungen einer Haussammlung gebunden. Die Liebeslieder des Klerikers Eberhard von Cersne bilden nur einen Appendix zu seinem Hauptwerk, einer umfangreichen Minnerede.37 Beim Mönch von Salzburg sind die Liebeslieder schmaler und mit weniger sicherer Autorschaftszuschreibung überliefert als die geistlichen Kunstlieder.38 Niederrheinische Sammlungen, in denen das Liebeslied noch eine zentrale Bedeutung hat und die vereinzelt auch noch alte Minnelieder bewahren, die ›Haager Liederhandschrift‹ (um 1400) und die ›Berliner Liederhandschrift mgf 922‹ (1. Viertel des 15. Jahrhunderts),39 sind ebensowenig an Autoren interessiert wie die Liederbücher des 15./16. Jahrhunderts, in denen ein jüngerer Typ von Liebesliedern dominiert. Während so das Interesse am Liebeslied als hochliterarischem Produkt im 14. und 15. Jahrhundert deutlich nachließ, hat sich die allgemeine Verbreitung und Intensivierung der Schriftkultur, die sich im selben Zeitraum auch nördlich der Alpen vollzog, doch in anderer Weise auf die Lyriküberlieferung ausgewirkt: Es wird jetzt vereinzelt eine Form des schriftlichen Gebrauchs von Liedern greifbar, die man fürs 12. und 13. Jahrhundert immer nur erschlossen hat, die Aufzeichnung auf Einzelblättern. Auch sie erfolgt in der Regel – bei Liebesliedern, soviel ich sehe, ausnahmslos – anonym.40 Es läßt sich nicht beweisen, daß solche Liederblätter, soweit sie Liebeslieder enthalten, Zeugen einer bestimmten Verwendungsform sind, des Liebesgrußes. Doch scheinen gewisse Aufzeichnungsformen in Liederbüchern und manche Aussagen der Lieder selbst darauf zu deuten, daß die anonymen Liebeslieder des 15. Jahrhunderts vielfach eingebettet waren in ein Liebesbrauchtum, das, im Gegensatz zum höfischen Liebesdiskurs des 12. und 13. Jahrhunderts und seinen möglicherweise da und dort praktizierten gesellschaftlichen Brauchtumsformen, eher vorehelich-privaten Charakter hatte. Neujahrsgrüße im Liebeslied, erste Ansätze für die in der frühen Neuzeit massenhaft auftretende Gelegenheitspoesie, legen ebenso wie Bezüge zu Fastnacht und Maitanz auch Zusammenhänge 37
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Vgl. Elisabeth Hages-Weißflog, Die Lieder Eberhards von Cersne. Edition und Kommentar, Tübingen 1998 (Hermaea NF 84). Vgl. Burghart Wachinger, Der Mönch von Salzburg. Zur Überlieferung geistlicher Lieder im späten Mittelalter, Tübingen 1989 (Hermaea NF 57), S. 130–132 [und Christoph März, Die weltlichen Lieder des Mönchs von Salzburg, Tübingen 1999 (MTU 114), S. 43–50]. Vgl. die Artikel zu diesen Handschriften in 2VL von Ingeborg Glier (Bd. 3, 1981, Sp. 358–360) und Helmut Lomnitzer (Bd. 1, 1978, Sp. 726f.). Jüngste Zusammenstellung bei Eckart Conrad Lutz, Das Dießenhofener Liederblatt. Ein Zeugnis späthöfischer Kultur, Freiburg i. Br. 1994 (Literatur und Geschichte am Oberrhein 3), S. 15–17.
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mit jahreszeitlich gebundenem Liebesbrauchtum (Partnerschaft auf Zeit?) nahe.41 Devisen und Liebesformeln, wie sie etwa im ›Königsteiner Liederbuch‹ (um 1470), oft abgekürzt, unter den Liedern stehen, lassen vermuten, daß die Vorlagen Einzelblätter waren, die vielleicht als Liebesgrüße verwendet wurden.42 In dieselbe Richtung weist die Mode, den Namen der Geliebten in abgekürzter Form zu nennen (z. B. libstez E). Dabei ist durchaus auch mit Wiederverwendung durch andere Personen in anderen Beziehungen zu rechnen. Ein Lied, das laut Strophenakrostichon für eine Martha gedichtet war, erhält im ›LochamerLiederbuch‹ (um 1455) die Nachschrift (in hebräischer Schrift): der allerliebsten barbara meinem treuen liebsten gemahel.43 Entsprechend meint ein Männername im Akrostichon wie der des Mertein Imhov im Liederbuch der Klara Hätzlerin den Dichter wohl mehr als Liebend-Widmenden denn als Kunstmeister, der ein Š Werk signiert.44 Zu vermuten ist aber auch ein Widmungsbrauchtum anderer Art, daß nämlich ein Freund dem anderen ein Lied für seine Sammlung schenkt, die dann fast Stammbuchcharakter erhält.45 Solches Brauchtum beruht offenbar teilweise auf der jetzt wie selbstverständlich gegebenen Schriftlichkeit der Texte. Es stellt aber die Sangbarkeit und das Gesungenwerden der Lieder nicht grundsätzlich in Frage. Wie eng die Verbindung zur Musik war, wie sehr in der geselligen wie in der artistischen Musizierpraxis das Liebeslied dominierte, zeigen die nun nicht mehr so seltenen Liederbücher mit Noten. In ihnen werden die Liebeslieder in ganz anderem Sinn zu Gebrauchstexten in dienender Rolle durch die Entwicklung der Mehrstimmigkeit. Je höher der Anspruch des musikalischen Satzes ist, desto weniger kann auf die Nuancen und Überraschungen des Textes geachtet werden. So wird die konventionelle monologische Liebesklage, deren Thematik der Hörer auch erfaßt, wenn er nicht alle Einzelheiten versteht, zum beliebtesten Texttyp im mehrstimmigen weltlichen Lied des 15. und 16. Jahrhunderts. Das gilt schon für Oswald 41
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Arne Holtorf, Neujahrswünsche im Liebesliede des ausgehenden Mittelalters. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des mittelalterlichen Neujahrsbrauchtums in Deutschland, Göppingen 1973 (GAG 20); Lutz (wie Anm. 40), S. 23–34. Ein früher Beleg beim Tannhäuser (Lutz, S. 30f.) dürfte nicht höfisches Brauchtum bezeugen, sondern ländliches Brauchtum spiegeln. Paul Sappler (Hg.), Das Königsteiner Liederbuch. Ms. germ. qu. 719 Berlin, München 1970 (MTU 29), bes. S. 8 und S. 23f.; vgl. Petzsch (wie Anm. 45). Das Lochamer-Liederbuch. Einführung und Bearbeitung der Melodien von Walther Salmen, Einleitung und Bearbeitung der Texte von Christoph Petzsch, Wiesbaden 1972 (Denkmäler der Tonkunst in Bayern NF Sonderbd. 2), S. 47; Holtorf (wie Anm. 41), S. 249 f. Wachinger (wie Anm. 14), S. 409f. Anders bei den artistischen Texten des Adam von Fulda, bei denen die Signatur im Akrostichon wohl auch noch die Autorschaft am mehrstimmigen Satz mitmeint, vgl. Heinrich Hüschen in: 2VL, Bd. 1, 1978, Sp. 57, und Liederbuch des Arnt von Aich (wie Anm. 46), Nr. 38 und 71. Rostocker Liederbuch (wie Anm. 20), S. 8/200; Christoph Petzsch, Zur Vorgeschichte der Stammbücher. Nachschriften und Namen im Königsteiner Liederbuch, in: Archiv f. d. Studium d. neueren Sprachen u. Literaturen 222/137 (1985), S. 273–292.
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von Wolkenstein, bei dem die persönlichen, Liebe problematisierenden Lieder alle einstimmig sind, während in den mehrstimmigen Sätzen die monologische Liebesklage konventionelleren Zuschnitts dominiert. Es gilt aber auch, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen, für das Liederbuch des Arnt von Aich,46 in dem von 75 Liedsätzen 47 auf eine monologische Liebesklage oder Liebesbeteuerung komponiert sind, 17 weitere auf Texte mit anderen Varianten der Liebesdichtung. Für das monologische Liebeslied, den häufigsten Typus, impliziert die Verbindung mit der Mehrstimmigkeit noch ein besonderes rezeptionsästhetisches Phänomen. Beim einstimmigen, solistisch vorgetragenen Lied liegt es nahe, die Rolle des im Text sprechenden Ich und den Vortragenden nahe aneinanderzurücken oder zu identifizieren. Wird aber ein Liebesmonolog von zwei Sängern zweistimmig vorgetragen, so tut sich eine unüberbrückbare Distanz auf zwischen Stimme und Rolle, zwischen Vortrag und Aussage. Es gibt Indizien, daß man dies empfunden hat und zu vermeiden suchte. Ein zweistimmig gesetzter Liebesmonolog Oswalds von Wolkenstein47 ist in der älteren Handschrift A in Š beiden Stimmen textiert, in der jüngeren Handschrift B nur noch im Tenor, was bedeutet, daß die andere Stimme instrumental zu realisieren ist.48 Alle übrigen mehrstimmigen Liebesmonologe Oswalds sind in beiden Handschriften nur in einer Stimme textiert. Die enge Assoziation von Stimme und Textrolle hat andererseits die beiden Dichter, die die Mehrstimmigkeit fürs deutsche Lied entdeckten, den Mönch von Salzburg und Oswald von Wolkenstein, zu mancherlei Experimenten mit Mehrtextigkeit bei Mehrstimmigkeit verlockt, so z. B. in der Form, daß jeder Stimme eine Dialogrolle zugeordnet wurde, der Dialog also simultan ertönte. Durchgesetzt hat sich schließlich auf längere Zeit das Tenorlied, in dem in der Regel nur der Tenorstimme Text zugeordnet war, die Identität von Stimme und Textrolle also auch im Rahmen der Mehrstimmigkeit noch einmal suggeriert werden konnte. Freilich haben wechselnde Aufführungs- und Kompositionspraktiken den Liedsatz des 15. und 16. Jahrhunderts immer weiter von der Illusion weggeführt, daß sich in der Hauptstimme unmittelbar ein Ich ausspreche. Der Text mit seiner Ichrolle wurde mehr und mehr zum bloßen Vehikel eines mehrstimmigen Satzes. Experimente und Schwierigkeiten der Übergangszeit könnten aber ein Argument dafür sein, daß in der vorausgegangenen monodischen Zeit die Assoziation von Ichrolle des Textes und Vortragsstimme in der Tat wirksam gewesen ist. 46
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Das Liederbuch des Arnt von Aich, hg. von Eduard Bernoulli und Hans Joachim Moser, Kassel 1930; zur Datierung vgl. Anm. 1. Kl. 51; vgl. auch unten S. 54–57. Oswald von Wolkenstein, Handschrift A, in Abb. hg. von Ulrich Müller und Franz V. Spechtler, Stuttgart 1974, 20v–21r; Oswald von Wolkenstein, Abbildungen zur Überlieferung I: Die Innsbrucker Wolkenstein-Handschrift B, hg. von Hans Moser und Ulrich Müller, Göppingen 1972 (Litterae 12), XXIIrv. Ebenfalls in zwei Stimmen textiert ist, als einziges Lied der Sammlung, Nr. 21 des Lochamer-Liederbuchs (wie Anm. 43).
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Selbstverständlich schließt die eine Form des Gebrauchs die andere nicht aus. Im Hofieren, dem Darbringen eines Ständchens, kann die mehrstimmige Musik dem Liebesbrauchtum dienstbar gemacht werden. Ich verweise nur auf Kapitel 62 von Sebastian Brants ›Narrenschiff‹ und den dazugehörigen Holzschnitt.49 Das früheste Lied, in dem eine ständchenähnliche Situation inszeniert wird, ist nicht zufällig zugleich eines der frühesten deutschen mehrstimmigen Lieder. Es stammt vom Mönch von Salzburg, bei dem ja auch der neue Typus des ›Liederbuchlieds‹ erstmals greifbar wird.50
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Es handelt sich bei diesem Lied um einen Dialog zwischen zwei Liebenden, die sich in der Hauptstimme abwechseln, was auch in der Handschrift markiert ist (das swarcz ist er, das rot ist sy). Er beginnt:51 Er: Hör, libste frau, mich deinen knecht! Sy: Waz bedeutt des nachts das laut geprecht? Anfang eines Ständchens in der vorgestellten Situation und Anfang des Musikstücks in der Aufführungssituation scheinen hier völlig konform zu sein. Im Fortgang des Dialogs zeigt sich freilich, daß die Ständchensituation nicht durchgehalten ist. Das Paar ist von klaffern bedroht, der Mann muß dann sogar im Widerspruch zum laut geprecht des Anfangs behaupten, er sei haimlich gekommen. Und in einer zweiten, simultan gesungenen Stimme rückt ein warnender wachter die Situation in die Nähe einer Tageliedsituation.
Man hat sich vorzustellen, daß dieses mehrstimmige Lied im Umkreis des Salzburger Erzbischofshofes aufgeführt wurde, eine Ständchensituation wird also nur zitiert. Vortrag vor einer Hofgesellschaft wird man auch für die monodischen Liebeslieder des Mönch-Corpus anzunehmen haben. Aber im weltlichen Œuvre dieses Dichters – richtiger wohl: im weltlichen Repertoire eines literarisch-musikalisch aktiven Kreises um den Mönch von Salzburg52 – finden sich, ob nur imaginiert oder auch praktiziert, Anzeichen einer neuen Art der gesellschaftlichen Einbettung von Liebesdichtung, wie sie im 12. und 13. Jahrhundert nicht bezeugt ist und nicht vorstellbar wäre: Lieder als Gutenachtgruß, als Neujahrsgruß, als datierter Liebesbrief des Erzbischofs an sein libstez E, als datierter Liebesgruß von fünfzehn Salzburger Hofleuten vom Kaiserhof aus an die in Salzburg zurückgebliebenen Damen.53 Wenn wenig später Hugo von Montfort und Oswald von Wolkenstein auch die eigene Verlobte oder Ehefrau mit Topoi der Liebesdichtung bedenken, ist dies nur eine Verlängerung solcher privater Anwendbarkeit des Liebeslieds. 49
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Sebastian Brant, Das Narrenschiff, hg. von Manfred Lemmer, 3., erw. Aufl., Tübingen 1986, S. 151f. Burlesk verzerrt erscheint ein Ständchen als Bestandteil des Hofierens schon in Heinrich Wittenwilers Ring, hg. von Edmund Wießner, Leipzig 1931 (DLE, Reihe Realistik des Spätmittelalters 3), v. 1344ff. Vgl. Brunner (wie Anm. 54). Mönch von Salzburg W 5; in Zeile 2 lehne ich mich an die Sterzinger Handschrift an, vgl. den Lesartenapparat. Wachinger (wie Anm. 38). Mönch von Salzburg W 1, 6, 7, 19.
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2. Liebeskonzeptionen und vorgestellte Liebessituationen Horst Brunner hat 1978 vier Corpora von Liebesliedern aus der Zeit um 1400 im synchronen Vergleich und in diachronen Perspektiven charakterisiert.54 Dabei hat er die wohl wichtigste Wende in der Geschichte des mittelalterlichen deutschen Liebeslieds erstmals deutlich herausgestellt. Im niederdeutschen Raum setzt sich um 1400 der Kleriker Eberhard von Cersne noch intensiv mit Š den tradierten Liedtypen, darunter dem Liebesmonolog der hohen Minne, auseinander.55 Im ostoberdeutschen Raum aber zeigt sich um dieselbe Zeit, während der adlige Dilettant Hugo von Montfort eigene Wege geht, ebenfalls in klerikalem Umfeld, beim Mönch von Salzburg und in der Sterzinger Handschrift, erstmals der jüngere Typus von Liebeslied, wie er dann die Liederbücher des 15. Jahrhunderts und darüberhinaus prägt. Die Wende, die Brunner unter den Aspekten Bauformen, Gattungstypologie und Liebeskonzeption skizziert hat, fällt in etwa zusammen mit den ersten Ansätzen zu jener Wende der Überlieferung und des Gebrauchs, von der die Rede war. Ich möchte im folgenden die inhaltlich-konzeptionelle Seite noch etwas eingehender betrachten. Dabei konzentriere ich mich der besseren Vergleichbarkeit halber auf den Typus, der in der hochmittelalterlichen wie in der spätmittelalterlichen Tradition dominiert, das monologische Liebeslied. Der neue Typus des Liebeslieds in Ich-Form, wie er im Mönch-Corpus vorliegt, schöpft aus einem Fundus von Motiven, Schemata und Sprachformeln, in den manches aus dem Minnesangfundus übernommen wurde – so vor allem der Anspruch der stæte, aber auch Vokabeln wie genade und dienen –, der als ganzer aber doch neu wirkt und den alten Elementen einen neuen Stellenwert gibt. Der entscheidende Unterschied ist eine andere Darstellung der Liebe. Das im späten 12. Jahrhundert aus der Romania übernommene Modell der hohen Minne ist aufgegeben. Die Texte sprechen fast durchweg von einer gegenseitigen Liebe, die im Inneren kaum angefochten ist, eher von außen durch Trennung oder durch klaffer bedroht wird – so zumindest im Mönch-Corpus, in den späteren Liederbüchern ist dann auch Treulosigkeit ein wichtiges Thema. Will man im lyrischen Monolog ähnliche Liebesvorstellungen schon früher suchen, so muß man (von wenigen Ausnahmen abgesehen, die noch zu besprechen sind) bis in den frühen Minnesang zurückgehen. Es ist in der Tat nicht auszuschließen, daß der neue Liedtypus auch an alte, mündlich fortlebende Liedtraditionen anknüpft. Zu bedenken ist jedoch, daß auch in der szenischen Gattung Tagelied vergleichbare Liebessituationen vorausgesetzt sind, und zu prüfen wäre, wie weit andere Stränge des breiten höfischen Liebesdiskurses, vor allem Minnereden und andere Typen des Liebeslieds, zu der Wende beigetragen haben könnten. Die allgemein54
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Horst Brunner, Das deutsche Liebeslied um 1400, in: Gesammelte Vorträge der 600Jahrfeier Oswalds von Wolkenstein, Seis am Schlern 1977, hg. von Hans-Dieter Mück und Ulrich Müller, Göppingen 1978 (GAG 206), S. 105–146. Bei ihm weist jetzt Elisabeth Hages-Weißflog (wie Anm. 37) Vertrautheit auch mit provenzalischen Liedtraditionen nach.
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sten Normen dieses Diskurses – Freiwilligkeit, Beständigkeit, Ausschließlichkeit der Liebe56 – werden denn auch von der Wende nicht in Frage gestellt. Beim heutigen Stand der Forschungsdiskussion dürfte es nicht möglich sein, die wesentlichen Gründe für den Traditionsbruch im monologischen Liebeslied klipp und klar namhaft zu machen. Doch ist vielleicht schon einiges gewonnen, wenn der poetologische Kern der Wende etwas präziser gefaßt werden kann. Um mich diesem Ziel zu nähern, möchte ich zunächst an einem Lied Oswalds von Wolkenstein einige Beobachtungen anstellen. Ich habe dieses Lied57 gewählt, weil es mir einerseits die Wende schon vorauszusetzen scheint, andererseits stärker als sonst im 15. Jahrhundert üblich auf Formen, Motive und Redegestus der älteren Minnelieder zurückgreift.
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I
Ach senleiches leiden, meiden, neiden, schaiden, das tuet we. besser wär versunken in dem se. Zart minnicleiches weib, dein leib mich schreibt und treibt gen Josaphat. herz, muet, sin, gedank ist worden mat. Es schaid der tod, ob mir dein treu nicht helfen wil, aus grosser not; mein angst ich dir verhil. Dein mündlein rot hat mir so schir mein gir erwecket vil. des wart ich genaden an dem zil.
II
Mein herz in jamer vicht, erbricht. bericht und slicht den kumer jo! frau, schidlicher freuntschaft wart ich so Recht, als der delephin, wenn in der sin füert hin zu wages grunt vor dem sturm, und darnach wirt erzunt Von sunnen glast, die im erkückt all sein gemüet. herzlieb, halt vast durch all dein weiplich güet! Lass deinen gast nicht sterben, serben, werben in unfrüet! in ellenden pein ich tob und wüet.
Rüdiger Schnell, Causa amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur, Bern/München 1985 (Bibliotheca Germanica 27), S. 184 u. ö.; ders., Die ›höfische‹ Liebe als ›höfischer‹ Diskurs über die Liebe, in: Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfischritterlichen Kultur, hg. von Josef Fleckenstein, Göttingen 1990 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 100), S. 231– 301. Kl. 51 [Text und Übersetzung jetzt nach unserer zweisprachigen Auswahlausgabe: Oswald von Wolkenstein, Lieder frühneuhochdeutsch/neuhochdeutsch. Ausgewählte Texte hg., übersetzt und kommentiert von Burghart Wachinger, Melodien und Tonsätze hg. und kommentiert von Horst Brunner, Stuttgart 2007 (RUB 18490), S. 124–129].
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III Mein haubt das ist beclait
mit waffen, slaffen, straffen die natur, das mich zwingt ain stund für tausent ur. Wenn ich mein lait betracht die nacht, so wacht mein macht mit klainer kraft, und ich freuden ganz wird sigehaft. Mich niemant tröst, und ist mein leiden sicher gross. mein herz das wirt geröst mit manchem seuftenstoss. Ach we, wann wirt erlöst mein trauren? tauren, lauren negt und posst, damit ich der sinn wird gar enplosst. I
Ach, schmerzliches Sehnen, Meiden, Streiten, Abschiednehmen, das tut weh. Besser wäre im Meer versunken sein. Liebe, liebenswerte Frau, du verbannst mich, treibst mich fort nach Josaphat. Herz, Fühlen, Sinnen, Denken sind mir matt geworden. Es mag der Tod aus großen Qualen mich erlösen, wenn deine Treue mir nicht hilft. Meine Angst verschweige ich dir. Dein rotes Mündlein hat mir oft so heftig mein Begehren erweckt; von ihm erhoff ich endlich Gnade.
II
Mein Herz kämpft sich im Jammer ab, es bricht. So ordne doch und glätte diese Pein! Auf freundliche Schlichtung warte ich, Herrin, ganz wie der Delphin, wenn seine Klugheit ihn zu Grund des Meeres führt, wenn Sturm aufzieht, doch nachher glüht er auf im Glanz der Sonne, die ihn im Innersten belebt. Ach Liebste, bei all deiner weiblichen Güte: bleib treu! Laß den, der in dir wohnt, nicht sterben, siechen, nicht in Trübsal leben! Vom Schmerz des Fernseins werde ich verrückt und wild.
III
Mein Haupt ist ganz umhüllt von Wehklag, Mattsein, Unterdrücken meines Triebs, was mich in einer Stunde mehr als tausendmal bedrängt. Wenn ich bei Nacht mein Leid bedenke, erwacht meine Männlichkeit, will stark sein und ist doch schwach, ich unterdrücke alle Lust. Mich tröstet niemand, und mein Leid ist wahrlich groß. Geröstet wird mein Herz und stößt nur Seufzer aus. Ach, wann werd ich erlöst aus meinem Trauern? Das Warten und das Harren nagt und stößt, und dabei komm ich ganz von Sinnen.
Das Lied gilt wohl mit Recht als eines der frühesten Lieder Oswalds von Wolkenstein. Die Erwähnung von Josaphat dürfte auf eine Reise ins Heilige Land zu beziehen sein, die Oswald wohl 1409/11 unternommen hat (womit die Assoziation ›Jüngstes Gericht‹, die diesem Namen anhaftet, nicht ausgeschlossen werden soll; sie würde im Kontext dieses Liedes signalisieren, daß die von der Geliebten geforderte Trennung in den Tod führen könnte). Die Geliebte ist, wenn dieser Realitätsbezug stimmt, sogar mit einiger Wahrscheinlichkeit biographisch zu identifizieren; sie dürfte mit der späteren Gegnerin im Erbschaftsstreit identisch sein, der Hausmannin, von der Oswald 1421 sagt, er habe sie wol dreuzen jar und dennocht mer geliebt.58 Die Chance einer biographischen Situierung des Liedes bleibt jedoch dem Lied selbst äußerlich, vom Typus autobiographischer
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Kl. 1,21.
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Lieddichtung, wie er im 15. Jahrhundert da und dort, gerade auch bei Oswald, auftritt, ist unser Text fernzuhalten. Konservativ ist die Form. Der Strophenbau – Kanzone mit drittem Stollen – folgt einem Muster, das seit dem 13. Jahrhundert äußerst beliebt war, beim Š Mönch von Salzburg aber nicht vorkommt. Zur Schlagreimtechnik gibt es Vergleichbares in Minneliedern des späten 13. und des 14. Jahrhunderts. Neuartig ist allerdings die Zweistimmigkeit.59 Motive und Bilder erinnern vielfach an den Minnesang des späten 12. und des 13. Jahrhunderts. Die mehrfach variierte Metaphorik der Liebessehnsucht als Krankheit bis zum Tod oder bis zum Wahnsinn gehört zu den beliebtesten Minnesangmotiven, wennschon sie auch jenseits der Gattungsgrenzen weit verbreitet war. Das rote Mündlein der Geliebten als Signal für ihre erotische Attraktivität, die Sehnsuchtsgedanken in der Nacht, der Appell an die einer Frau zukommende Güte, der ganze Gestus der Klage eines Ich, das sich alles Heil von der genade einer Dame erhofft, all das verbindet das Lied mit älteren Minneliedern. Dennoch sind auch die Unterschiede nicht zu übersehen. Es sind nur Nuancen, aber zusammen indizieren sie eine grundlegend veränderte Situation. Das erotische Begehren wird deutlicher artikuliert (mein gir I,12), ja die Beherrschung des Sexualtriebs wird in der Trennung zum Problem (straffen die natur III,2, wohl auch III,5); im Lied der hohen Minne, das sich doch immer auch als Werbelied oder Annäherungsversuch gibt, wäre das nicht möglich. Daß durchweg nur die Geliebte angeredet ist, daß nur geklagt, nicht auch gepriesen, nicht auch der Rang dieser Liebe betont wird, wäre in einem Lied der hohen Minne zumindest ungewöhnlich. Das klassische Minnelied war immer auch, wie es Hugo Kuhn einmal formuliert hat, »Rede zur höfischen Gesellschaft über die höfische Rolle der Liebe«;60 davon ist hier nichts mehr zu spüren. Der Abschied zur Fahrt ins Heilige Land erinnert an alte Kreuzzugsmotive in der Minnelyrik. Aber daß die gefährliche Fahrt als von der Dame gewünscht, als von ihr gestellte Aufgabe gefaßt wird, was Kommunikation, wenn nicht sogar Ansätze zu einer Bindung, voraussetzt, finde ich nicht in monologischen Kreuzzugsminneliedern, nur als Handlungselement im ›Frauendienst‹ Ulrichs von Liechtenstein.61 Das Lied Oswalds von Wolkenstein setzt überhaupt mehr an Kommunikation zwischen Ich und Geliebter voraus als die älteren Minnelieder, ja es spricht wie aus einem bestehenden Liebesverhältnis heraus: herzlieb, halt vast (II,9) – so könnte ein Minnesänger nie sprechen. Das Ich fühlt sich als gast (II,9) der Geliebten, glaubt zumindest gast gewesen zu sein, gast offenbar im Herzen der Geliebten. Das 59 60
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Vgl. oben S. 51. Hugo Kuhn, Zur inneren Form des Minnesangs, in: Der deutsche Minnesang. Aufsätze zu seiner Erforschung, hg. von Hans Fromm, Darmstadt 1961 (Wege der Forschung 15), S. 167–179, hier 173f. Ulrich’s von Liechtenstein Frauendienst, hg. von Reinhold Bechstein, 2 Bde., Leipzig 1888, 1314ff. (= 376,23 ff.).
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Pathos der Klagen, der Appell an ihre treu (I,8), die Hoffnung auf genaden (I, 13), vielleicht auch das Gleichnis vom Sturm, der den Delphin bedroht (II, Š 4–8), all das scheint zu besagen, daß das bestehende Liebesverhältnis nicht nur äußerlich durch die Trennung, sondern auch von innen her bedroht ist, daß es eine schwierige, schmerzliche Liebe ist. Von liebe zwar hab wir uns oft dick laides nicht erlassen, sagt Oswald später mit Bezug auf die Hausmannin.62 Auch ohne daß man auf die mögliche biographische Identität der Personen rekurriert, darf man die Stelle als Parallele zitieren. Eine schwierige gegenseitige Liebe ist bei Oswald denkbar geworden, und die Minnesangmotive dienen ihrer Darstellung im Lied. Das besprochene Lied Oswalds von Wolkenstein setzt die Wende in der Tradition des deutschen Liebeslieds, die das Mönch-Corpus markiert, insofern voraus, als es aus einer bestehenden Liebesbindung heraus spricht. Aber es kann Einzelzüge der älteren Tradition aufgreifen, weil es diese Liebe neu von innen her problematisiert. Oswald tut das übrigens nicht immer, manche seiner Lieder stehen durch bloße spannungslose Reihung von Liebes- und Treuebekundungen sehr viel näher beim Mönch von Salzburg. Will man den Sonderfall Oswald von Wolkenstein und will man manche späteren Typen von monologischen Liebesliedern in die großen historischen Linien einbeziehen, so scheint es mir empfehlenswert, als Kern der Wende nicht die Ablösung eines Liebeskonzepts durch ein anderes anzusehen, etwa der hohen Minne als unerfüllter Dienst- oder waˆn-Liebe durch das Konzept einer erfüllten gegenseitigen Liebe. Dies ist schon deshalb ratsam, weil ja auch die Klage des Minnesängers, von wenigen zuspitzenden Einzelfällen abgesehen, ex negativo dem Konzept der gegenseitigen erfüllten Liebe verpflichtet ist. Was sich verschiebt, ist viel eher die Sprechsituation des Liebesmonologs, der Zeitpunkt innerhalb einer vorstellbaren Liebes-›Geschichte‹. Das Lied der hohen Minne spricht grundsätzlich in einer Situation des Liebesanfangs: Das sprechende Ich ist einseitig von Liebe betroffen, hat aber (noch) keine Gegenliebe erfahren. Es spricht, als habe noch gar keine Kommunikation mit der Geliebten stattgefunden außer höchstens eine Abweisung oder ein Verbot zu singen. Ob jemals eine positive Antwort kommen, ob jemals Gegenliebe möglich sein wird, liegt in der Zukunft verborgen. Auch wenn diese Situation der einseitigen Betroffenheit gelegentlich andeutungsweise in eine ›Geschichte‹ verlängert wird – Liebe von Kind an, Liebe seit dem ersten überwältigenden Anblick, erinnerte Szenen der Sprachlosigkeit in Gegenwart der Geliebten, Liebessehnsucht vielleicht bis zum Tod –, der Minnesänger ist immer vil kuˆme an dem beginne.63 Demgegenüber spricht das monologische Liebeslied des jüngeren Typus immer schon aus einer Beziehung heraus. Die Liebe mag durch Trennung oder klaffer bedroht sein, sie wird doch als gegenseitig bestehend vorausgesetzt. Die Liebe Š mag sogar – in 62 63
Kl. 1,37 f. Heinrich von Morungen, MF 145,31.
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Liederbüchern des 15. Jahrhunderts eher als beim Mönch von Salzburg – durch Nebenbuhler und Untreue zerstört worden sein, sie war doch einmal vorhanden: Ich hett mir ain pulen außerkoren, an dem ist all mein trew verloren; darumb muß ich sie meiden.64
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Ich schlage also vor, die Wende im monologischen Liebeslied, die sich gegen Ende des 14. Jahrhunderts erkennen läßt, auf der Inhaltsebene nicht primär als historischen Wandel von Liebeskonzepten zu verstehen, sondern als Verschiebung der jeweils angenommenen Situation monologischen Sprechens. Damit sollen Existenz und Wirksamkeit von Liebeskonzepten nicht geleugnet werden, es stellt sich aber die Frage nach ihrem Status im historischen Prozeß. Es gibt im mittelalterlichen literarischen Diskurs, wie schon erwähnt, einige sehr allgemeine Prinzipien der Liebe: Exklusivität, Aufrichtigkeit und Beständigkeit werden als Bedingungen wahrer Liebe, einer Liebe, die das wahre irdische Glück bedeutet, nicht in Frage gestellt. Damit setzt sich die volkssprachliche Literatur insgesamt ab einerseits von kirchlich-asketischer Sexualitätsfeindlichkeit und andererseits von Männerprahlreden, wie sie schon Heinrich von Melk rügte,65 aber auch vom sehr viel freieren und oft frivoleren Ton erotischer Dichtungen der männlich-klerikalen Gesellschaft.66 Innerhalb dieses weitesten konzeptionellen Rahmens aber werden ganz verschiedene Varianten von Liebe literarisch durchgespielt. Für ihre Ausdifferenzierung sind poetologische Vorentscheidungen stofflicher oder formaler Art mindestens ebenso wichtig wie konzeptionelle Präferenzen, und beide stehen miteinander in komplizierten Wechselbeziehungen. Sprechsituationen aber sind in den Texten eindeutiger nachweisbar, und ein Frageansatz von ihnen her erlaubt eine gewisse Distanz gegenüber den ausufernden Diskussionen um das Wesen der hohen Minne, erlaubt es, die vielfach übliche Verabsolutierung dieses einen Konzepts, das dann oft noch als Basis für weitreichende sozialgeschichtliche Deutungen dienen muß, zu vermeiden und das Nebeneinander verschiedener Gattungen nicht als Konkurrenz von Liebeskonzepten, sondern als Variation der Perspektivierungen zu verstehen. In der klassischen Minnekanzone, wie sie die deutschen Dichter des späten 12. Jahrhunderts mit einer fast rigiden Ausschließlichkeit aus der reicheren romanischen Liedkultur67 übernommen und weiterentwickelt haben, ist die moŠno64 65
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Lochamer-Liederbuch (wie Anm. 43), Nr. 1, Str. II. Heinrich von Melk, Von des todes gehugde / Mahnrede über den Tod, Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch, hg. von Thomas Bein u. a., Stuttgart 1994 (RUB 8907), v. 354–361. Burghart Wachinger, Deutsche und lateinische Liebeslieder. Zu den deutschen Strophen der Carmina Burana, 1985, im vorliegenden Band S. 97–123. Zur Gattungsvielfalt der provenzalischen Lyrik vgl. zuletzt Brigitte Schlieben-Lange, Das Gattungssystem der altokzitanischen Lyrik: Die Kategorisierungen der Dichter und der Poetologen, in: Gattungen mittelalterlicher Schriftlichkeit, hg. von Barbara Frank, Thomas Haye und Doris Tophinke, Tübingen 1998, S. 81–99.
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logische Rede also in einer Situation einseitiger Betroffenheit angesetzt, in einem Zeitpunkt vor irgendeinem Zeichen von Gegenliebe. Aus dieser Situierung lassen sich fast alle typischen Züge der Minnekanzone verstehen: Die Rede richtet sich primär an eine Zuhörerschaft, von der Geliebten wird meist nur in der dritten Person gesprochen; kommt es doch zu einer direkten Apostrophe der Dame, so wirkt sie wie eine Anrufung aus großer Distanz oder wie der Versuch, das Bild der Dame sich näherzurücken. Die Einseitigkeit des Betroffenseins begünstigt auch Reflexionen über die Liebe und über die eigenen Empfindungen. Doch soll das Lied aus der Distanz heraus die geliebte Frau erreichen und bewegen. Alle Elemente – Klage, Reflexion, Preis, Aufrichtigkeitsbeteuerungen – dienen letztlich dem Werben um Gegenliebe.68 Aus der Situation eines Annäherungsversuchs in Ich-Rede an eine noch fernstehende Dame wird auch verständlich, daß das sinnliche Begehren nur äußerst zurückhaltend in lobenden Attributen wie ›roter Mund‹ angedeutet werden kann (während etwa das Tagelied in der Darstellung erotischer Glut sehr viel weiter gehen darf und nur durch die allgemeinen Dezenzregeln höfischen Sprechens begrenzt wird). Umgekehrt muß der Werbende bemüht sein, die erbetene freie Liebesgewährung, die ja, wie vor allem einige Frauenmonologe deutlich aussprechen, gesellschaftlich sanktioniert ist, durch Assoziation mit Tugend- und Glücksbegriffen als akzeptabel erscheinen zu lassen. Oder er kann als Pendant zur erhofften Risikobereitschaft der Frau betonen, daß er sich bereits zu einer lebenslangen Liebe entschlossen hat auf die Gefahr hin, nie erhört zu werden.69 Wie man sieht, lassen sich so gut wie alle wesentlichen Ausprägungen der klassischen Minnekanzone aus der gewählten Sprechsituation ableiten. Nicht erklärt ist damit allerdings, warum gerade diese Sprechsituation bevorzugt wurde, warum gerade dieses Modell lyrischen Sprechens solch durchschlagenden Erfolg hatte. Man kann mit Wolfgang Mohr feststellen, daß der Moment »der Werbung, d. h. der noch nicht gelösten ›Spannung‹« auch in anderen Zeiten sich als poetisch besonders fruchtbarer Moment bewährt hat.70 Die historische Besonderheit des Minnesangs ist aber damit noch nicht zureichend erfaßt. Man müßte bedenken, daß der gesellschaftliche Widerspruch zwischen dem neu aufbrechenden Liebesdiskurs, der die Freiheit der Liebe zu einem zentralen Postulat Š machte, und dem Verbot freier Liebe für Damen der Gesellschaft im Werbelied der hohen Minne am pointiertesten durchgespielt und überspielt werden konnte.71 Im Blick 68
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Besonders herausgearbeitet von Gert Hübner, Frauenpreis. Studien zur Funktion der laudativen Rede in der mittelhochdeutschen Minnekanzone, 2 Bde., Baden-Baden 1996 (Saecula spiritalia 34.35). So etwa Reinmar, MF 158,31ff. Wolfgang Mohr, Minnesang als Gesellschaftskunst (1954), zitiert nach dem Wiederabdruck in: Der deutsche Minnesang (wie Anm. 60), S. 197–228, hier 199. So würde ich umformulieren, was Eva Willms vorschlägt: Liebesleid und Sangeslust. Untersuchungen zur deutschen Liebeslyrik des späten 12. und frühen 13. Jahrhunderts, München 1990 (MTU 94), S. 197.
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auf diesen Diskurs aber mag man mit Hugo Kuhn darauf verweisen, daß sich in der Minnekanzone ein sehr viel allgemeineres Muster zuzuspitzen scheint, die »freie innerweltliche Selbstbestimmung des Mannes, des Laien, durch freie Unterwerfung unter die als Wert absolut gesetzte Subjektivität der Partnerin: die hohe, ferne, gefährliche und verlockende Minne.«72 Man mag mit Walter Haug noch einen Schritt weitergehen und den Liebesdiskurs der Laien einzuordnen versuchen in eine umfassendere neue Erfahrung der Differenz zwischen Innen und Außen, zwischen Mensch und Gott, zwischen Ich und Du, die im 12. Jahrhundert aufbricht und eine epochale Wende des Denkens markiert. Dem Minnesänger gerät in der Sprechsituation der einseitigen Betroffenheit »seine Kunst und seine Liebe in die Reflexion [. . .]. Dabei wird ihm die Freiheit der liebenden Zuneigung bewußt, d. h., indem er sich die Freiheit der Partnerin bewußt macht, entdeckt er seine eigene Freiheit; [. . .] die Differenz enthüllt sich ihm als die Unverfügbarkeit der Person.«73 Solche Hinweise mögen die Hartnäckigkeit verständlich machen, mit der die Dichter mehr als ein Jahrhundert lang am Modell der klassischen Minnekanzone festgehalten haben, auch wenn sie gewiß nicht alle seine Implikationen reflektierten. Wie aber ist es dazu gekommen, daß dieses Modell aufgegeben wurde, daß stattdessen eine Sprechweise bevorzugt wurde, die von einer bestehenden Liebe ausgeht? Man wird zunächst bedenken müssen, daß das 14. Jahrhundert, in dem sich die Ablösung der einen Präferenz durch die andere vollzogen hat, insgesamt eine »Zeit von Abbrüchen und Übergängen, von Stagnationen und Diskontinuitäten« war.74 Auch die andere Leitgattung der klassischen höfischen Literatur, der Versroman, ist in dieser Zeit kaum noch produktiv. Die Veränderungen der literaturtragenden Schichten und ihrer Interessen, die diese Umbrüche bedingen, sind uns noch nicht hinreichend erkennbar. Es gibt aber doch gattungsspezifische Befunde, die den Wechsel, wenn nicht erklären, so doch verständlicher machen können. Der jüngere Typus ist nicht aus dem Nichts entstanden. Das Ich-Lied der hohen Minnewerbung war von Anfang an nicht der einzige Liedtypus im Minnesang, wenn es auch vor allem im späten 12. Jahrhundert einseitig bevorzugt wurde. Gegenseitige Liebe wird, von Gegensang und lateinischer Liebeslyrik einmal ganz abgesehen, vorgeführt im Ta72
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Hugo Kuhn, Determinanten der Minne (1977), zitiert nach dem Wiederabdruck in: ders., Liebe und Gesellschaft, hg. von Wolfgang Walliczek, Stuttgart 1980, S. 52–59, 182–186, hier 58. Walter Haug, Die Entdeckung der personalen Liebe und der Beginn der fiktionalen Literatur (1995), zitiert nach dem Wiederabdruck in: ders., Brechungen auf dem Weg zur Individualität. Kleine Schriften zur Literatur des Mittelalters, Tübingen 1995, S. 233–248, hier 241. Hugo Kuhn, Versuch einer Literaturtypologie des deutschen 14. Jahrhunderts (1969), zitiert nach dem Wiederabdruck in: ders., Liebe und Gesellschaft (wie Anm. 72), S. 121–134, 193–195, hier 122.
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gelied,75 im Wechsel und manchmal auch im Frauenlied. In ihnen müssen Trennung bzw. Getrenntsein jene Spannung erzeugen, die überhaupt erst poetische Intensität ermöglicht. Ganz vereinzelt wird Gegenseitigkeit der Liebe sogar im männlichen Ich-Lied vorausgesetzt. Das Jubellied Heinrichs von Morungen (MF 125, 19ff.) läßt nicht mehr erkennen, als daß die Dame das Wort gesprochen hat, daz dem herzen mıˆn soˆ naˆhen lac – gemeint ist kaum die Zusage eines »Schäferstündchens«,76 eher die Annahme des Dienstes oder Gesangs, schon dies aber für Morungen eine exzeptionelle Situation. Bei Reinmar MF 156, 10ff. freut sich das Ich auf Heimkehr und gegenseitigen Trost in der Liebesnacht – Rollenrede eines Kreuzfahrers? So ließe sich wohl noch der eine oder andere randständige Text zitieren.77 Dank für gewährte Liebe finde ich im Ich-Lied allerdings erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts bei Meister Heinrich Teschler, und hier zeigen sich denn auch Töne, die auf den jüngeren Liedtypus vorauszuweisen scheinen:78 Hierunder sıˆst gemant an triuwe, an stæte: der pflig gegen mir, als duˆ vil gerne ie tæte, so wil ouch ich diu beide dir uˆz herzeklicher liebe gir mit voller waˆge widerwegen.
Helmut de Boor wollte dieses Lied wegen der Gegenseitigkeit der Liebe als Lied an die Ehefrau verstehen; es steht jedoch am Ende eines Zyklus der hohen Minne und ist darum eher als imaginierter Vorgriff auf eine Situation nach der endlich erfolgten Liebesgewährung zu verstehen.79 Für sich allein mag man es immerhin als Ankündigung eines Wechsels der Modelle betrachten. Die endgültige Verschiebung der Präferenzen, die zur Etablierung des jüngeren Typus führte, muß sich im zweiten und dritten Viertel des 14. Jahrhunderts vollzogen haben. Aus dieser Zeit ist uns nur sehr wenig an Liebeslyrik überliefert. Als größtes für diesen Zeitraum gesichertes Corpus verdienen daher die Minnelieder Heinrichs von Mügeln mehr Beachtung, als ihnen bisher zuteil geworden ist.80 Sie bilden freilich nur ergänzende Facetten eines Sangspruch75
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Zum Verhältnis Tagelied – Ichlied vgl. Christoph Cormeau, Zur Stellung des Tagelieds im Minnesang, in: Fs. Walter Haug und Burghart Wachinger, Bd. 2, Tübingen 1992, S. 695–708. Hübner (wie Anm. 68), S. 454, Anm. 60. Vgl. etwa die Lieder, die Willms (wie Anm. 71), S. 49 in Verzeichnis 3 nennt. Lied 13 in: SM-Sch., S. 254 f., vgl. Max Schiendorfer in: 2VL, Bd. 9, 1995, Sp. 712– 714. Helmut de Boor, Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. Zerfall und Neubeginn, München 1962 (Geschichte der deutschen Literatur III, 1), S. 338 (in der Neubearbeitung durch Johannes Janota, 1997, S. 291, mit Recht getilgt); Helmut Lomnitzer, Geliebte und Ehefrau im deutschen Lied des Mittelalters, in: Liebe – Ehe – Ehebruch in der Literatur des Mittelalters, hg. von Xenja von Ertzdorff und Marianne Wynn, Gießen 1984 (Beiträge zur deutschen Philologie 58), S. 111–124, hier 113. Grundlegend jetzt: Karl Stackmann, Minne als Thema der Sangspruch- und Lieddich-
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Meisterlied-Œuvres mit ganz anderen thematischen Schwerpunkten und dürfen deshalb nicht einfach als typische Vertreter der Liebeslyrik ihrer Zeit gewertet werden. Zeugen der Gattungsgeschichte sind sie eher, weil sie mit hohem artistischem Bewußtsein Motivschatz und Sichtweisen ihrer Zeit zu Eigenem verarbeiten. Von den elf Liedern Heinrichs von Mügeln, in denen sich ein liebendes Ich artikuliert, den »Minnebekundungen«,81 stehen sechs als Lieder der Werbung und Klage eines einseitig Betroffenen noch mehr oder weniger in der Tradition des alten Haupttyps, drei preisen die Geliebte und die Liebe, zwei beklagen den Verlust der Liebespartnerschaft. Bemerkenswert ist die Nuancierung der Themen im einzelnen und die Verteilung der Lieder im Œuvre. Die Lieder des traditionelleren Typs sind überwiegend in Sangspruchtönen verfaßt und finden sich jeweils gegen Ende eines Spruchbuches eingeordnet (Buch IX, X und XV). Vom klassischen Muster unterscheiden sich diese Lieder allerdings durch das Fehlen aller Dienst- und Tugendmotive und damit aller Elemente einer ethischen Positivierung der Liebesleidenschaft. Immer geht es darum, daß das Ich durch die Liebe vom Verlust des Verstandes (sin) bedroht ist. Das wib, von dem die Betörung ausgeht, changiert zwischen der einen vom Ich geliebten Frau und dem (in der Spruchdichtungstradition etablierten) Allgemeinbegriff wib; das Ich andererseits scheint sich von der konkret inszenierten Rolle zu einem paradigmatischen Vorführen männlicher Minneverfallenheit zu verallgemeinern. Im zyklischen Kontext der Spruchbücher wird diese unweise Minneverfallenheit dann jeweils durch unmittelbar folgende didaktische Lieder über Frauen und Minne kritisch beleuchtet.82 Einen ganz anderen Eindruck macht die geschlossene Serie von Liebesliedern, die in der Göttinger Handschrift den Abschluß von Mügelns sangbarem Œuvre Š bildet, Buch XVI in Stackmanns Ausgabe. Der Tönegebrauch folgt hier der Minnesang-Tradition – jedes Lied hat seinen eigenen Ton. Referenzen auf Tugend und Ehre der/des Geliebten und auf Treue und Minnedienst sind hier, anders als bei den Liedern der Spruchbücher, in die Ich-Aussage hineingenommen. Daß die Minne den sin rauben kann, klingt auch hier mehrfach an. Historischmythologische Exempla aber, wie sie in den Minneliedern der Spruchbücher vorkommen, fehlen hier, dafür spielen Naturmotive – Jahreszeiteneingang, Gleichnisse, Vergleiche und Metaphern aus dem Bereich der Natur – eine größere Rolle. Mehrfach wird, auch im Gegensatz zum Wechsel in der Natur, die lange Dauer der Liebe thematisiert, dreimal wird sie in Altersmotiven konkretisiert.83
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tung Heinrichs von Mügeln, in: bickelwort und wildiu mære. Fs. Eberhard Nellmann, hg. von Dorothee Lindemann u. a., Göppingen 1995 (GAG 618), S. 324–339. Stackmann (wie Anm. 80), S. 329. In Str. 381–383 ist der Umschlag in die Kritik schon ins Lied selbst hineingenommen: das in der Handschrift nachfolgende, in der Edition vorangestellte Lied Str. 378–380, das letzte des Buchs, ist eine allgemeine Tugendmahnung. Vgl. Stackmann (wie Anm. 80), S. 336–338.
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Aber wenn ich recht sehe, gibt es die Vorstellung gegenseitiger Liebe nur entweder in dienender Erwartung oder im Rückblick auf Verlorenes, nicht als gegenwärtige Erfüllung. Dies gilt zumindest, wenn man, wie Stichwort- und Motivkorrespondenzen nahelegen, versucht, das ganze Buch XVI als Zyklus zu lesen. Bei solcher Betrachtung ist als Einleitung auch Lied 1 (Str. 384–386) einzubeziehen, in dem die Ich-Rolle nicht dem Liebenden, sondern dem Dichter gehört; es preist zunächst in der Tradition Konrads von Würzburg die von güte und wirdikeit der Frauen ausgehende Freude, um dann die Frauen an ere zu mahnen und vor swacher minne zu warnen. Alle übrigen Lieder sind »Minnebekundungen« meist eines männlichen, bei Lied 7 (Str. 402–404) eines weiblichen Ich. Nach der didaktischen Einleitung von Lied 1 preisen die Lieder 2, 3 und 4 (Str. 387–395) mins lebens amm, die geliebte Frau, als Quelle aller Freude; sie wird das Ich auch noch im Alter wärmen, in ihrer tugent verjüngt es sich und segelt, allen Neidern zum Trotz, freudig mit Hilfe von ihres trostes mast. Das klingt zunächst nach glücklicher Zweisamkeit, und daß – wie beim ›jüngeren‹ Liedtypus – gegenseitige Liebe vorausgesetzt sei, ist nicht ganz auszuschließen. Bei genauerem Zusehen aber gründen sich Freude, Zuversicht und Preis mehr auf das Sein der Dame als auf ihr Verhalten. Nur vage ist von ihrem trost die Rede, aber nichts spricht dafür, daß dieser trost mehr besagt, als daß sie sich das dienende Werben gefallen läßt; zumindest der Ausblick auf glückliche Geborgenheit bei der Geliebten im Alter dürfte (im zyklischen Zusammenhang mit Lied 6!) als reines Wunschbild aufzufassen sein. Versteht man Lied 2 bis 4 so, dann schließt sich Lied 5 (Str. 396–398) gut an; hier folgt nach langem, ermüdendem, leidendem Dienen das Flehen um genaden stür oder wenigstens trostes nar, Nahrung für die Hoffnung. Erst in Lied 6 (Str. 399–401) ist eindeutig von einer Reaktion der Dame die Rede, diese aber ist negativ: si gibet urloub oft und swachen trutz, immer wieder Abweisung und demütigenden Widerstand; und jetzt, da er in ihrem Dienst alt geworden ist, serviert sie ihn kalt ab: ›was sol der Š alde lutz?‹ Der Liebende aber hofft, ihr wenigstens sterbend noch dienen zu dürfen. Bei dieser Karikatur einer hohen Minne dürfte die Sympathie mit der Minnesängerrolle endgültig in kritische Distanz umschlagen. Die beiden letzten Lieder des Zyklus sprechen dann von verlorener Liebe. In Lied 7 (Str. 402–404) beklagt die Dame den Verlust des Geliebten als Bruch der truwe. Das zentrale Bild des entflogenen Falken greift auf das Falkenlied des Kürenbergers oder eher auf die Tradition, in der dieses steht, zurück.84 Aber während beim Kürenberger 84
Zu diesem Lied vgl. auch Ingrid Bennewitz-Behr, Von Falken, Trappen und Blaufüßen. Kein ornithologischer Beitrag zur Tradition des mhd. Falkenliedes beim Mönch von Salzburg und Heinrich von Mügeln, in: Spectrum medii aevi. Fs. George Fenwick Jones, hg. von William C. McDonald, Göppingen 1983 (GAG 362), S. 1–20. [Seither sind noch zwei Arbeiten im Zusammenhang der Besprechung anderer spätmittelalterlicher Falkenlieder knapp auf Mügelns Lied eingegangen: Manfred Kern, Der verhuhnte Falke. Anmerkungen zu einer möglichen Ästhetik der spätmittelalterlichen Liebes-
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die Dame den Falken schoˆne vliegen sieht und so noch im Verlust Adel und Freiheit des Geliebten wahrnimmt, hofft die Dame bei Mügeln, daß gebrochene Federn und Winterhärte den Falken zurücktreiben; und mit der Überlegung, daß ein weniger edler, aber ihr zugetaner Blaufuß ihr lieber wäre als der entflogene Falke, resigniert sie vor einem Kerngedanken der hohen Minne, die den geliebten und begehrten Menschen mit dem irdischen summum bonum gleichgesetzt hatte. Lied 8 (Str. 405–407) schließlich ist die Klage eines Mannes über den Verlust einer Liebe, die von genade und reichem lon bestimmt war, nun aber wegen eines zornes der Dame zerbrochen ist. Für den Bruch scheint es in der verderbt überlieferten Schlußzeile eine Schuldzuweisung zu geben: Nach Karl Stackmanns Textherstellung wird die Dame verantwortlich gemacht: das herzeleit din schulde hat geticht; denkbar wäre aber auch eine Selbstbezichtigung des Mannes, der mit dem Verhalten seines Herzens (Untreue?) den zorn der Dame verursacht hat: lid, herze, das din schulde hat geticht.85 Beide Lieder scheinen im Rückblick der verlorenen Liebe mehr an Gegenseitigkeit zuzuschreiben, als die Lieder 2 bis 6 gezeigt hatten. Der Zyklus ist darum nicht als ›Roman‹ mit identischen Figuren aufzufassen, sondern als Folge von Situationen aus typischen Minnelebenswegen, arrangiert unter den Aspekten ›noch nicht und vielleicht nie‹ und dann gleich ›nicht mehr‹. Mit seiner Integration von Minneliedern in die Sangspruchbücher und in deren Denkzusammenhänge einerseits, mit seinem Zyklus verschiedener Liebesliedtypen als Varianten, ja Stationen nicht glückender Liebe andererseits scheint Heinrich von Mügeln artistisch zu experimentieren. In beiden Fällen gerät die in Ich-Rollen inszenierte Liebe durch Akzentsetzungen und zyklischen Kontext in eine kritische Außenperspektive, vor allem die einseitige Liebe des traditionellen Werbelieds, die als unverständig und illusionär erscheint. Als Hintergrund und Basis der Experimente aber ist eine allgemeinere gattungsgeschichtliche Situation zu erahnen, eine Situation, in der vieles nebeneinander Š möglich war, in der alte Gattungsdominanzen ins Wanken gerieten, Elemente des traditionellen Minnelieds frei verfügbar und neu bewertbar wurden und früher randständige Typen mehr Aufmerksamkeit fanden. Durchgesetzt hat sich dann auf einer sprachlich weniger anspruchsvollen Ebene, offener für einen nicht nur artistischen Gebrauch, der jüngere Typus des monologischen Liebeslieds. Im Umkreis des Mönchs von Salzburg wird er am Ende des 14. Jahrhunderts zuerst greifbar. Man wird sich, wenn man die Ablösung der dominanten Modelle in der Liebeslyrik verstehen will, gewiß nicht ausschließlich auf die Opposition von einseitiger Betroffenheit und (gelungener oder gescheiterter) Gegenseitigkeit kon-
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lyrik, in: Neophilologus 86 (2002), S. 567–586; Nicola Zotz, Auf dem Weg zum Quodlibet. Das Falkenlied des ›Königsteiner Liederbuchs‹ neben anderen mittelalterlichen Falkenliedern, in: Ieglicher sang sein eigen ticht. Germanistische und musikwissenschaftliche Beiträge zum deutschen Lied im Spätmittelalter, hg. von Christoph März, Lorenz Welker und Nicola Zotz (in Vorbereitung).] Der Text der Göttinger Handschrift lautet: leyt hertze das din schulde had geticht.
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zentrieren dürfen. Das Werbungslied der hohen Minne ist schon lange vor dem 14. Jahrhundert auch von anderer Seite relativiert worden. Horst Brunner hat vor kurzem im Blick auf die spätmittelalterlichen Entwicklungen auf die Tradition der Minneabsage aus Enttäuschung über die Dame hingewiesen, Aufkündigungen des Minnedienstes, die von den klassischen Sängern am Liedende durch eine revocatio abgefangen wurden, im Lauf des 13. Jahrhunderts aber auch öfter das letzte Wort bildeten.86 Eine solche Minneabsage setzt voraus, daß das irdische summum bonum nicht mehr in der geliebten Dame selbst gesehen wird, sondern in einem abstrakten Wert wie Treue. Schon Walther von der Vogelweide hatte ja seine Liebe von triuwe und stætekeit seines vrowelıˆn abhängig gemacht (L. 50, 13). Was sich nach Walthers Auseinandersetzungen mit dem hohen Minnesang breit durchsetzte, war einerseits ein verflachtes Konzept gesellschaftlicher Frauenverehrung, das sich didaktisch vermitteln ließ, aber aus der Inszenierung eines betroffenen Ich ausscherte und nur noch ganz im allgemeinen mit dem Glück, das von den Frauen ausgeht, begründet werden konnte, andererseits ein im Reflexionsanspruch reduzierter, mit Schematismen operierender Redegestus der hohen Minne, der auf andere Weise zu einer »Atrophie der Ich-Rolle«87 führte. Gewiß, aus dem Redegestus konnte das Risiko der Liebe angesichts der Freiheit des Du immer wieder neu als Thema generiert werden, sei es auch nur im witzig konkretisierenden Spiel.88 Und noch am Ende des Š 13. Jahrhunderts hat Frauenlob die Unverfügbarkeit des Du mit neuen Mitteln zum theoretischen Problem erhoben.89 Aber aufs Ganze gesehen ist das Interesse an solchen Implikationen des klassischen Minnesangmodells im 13. Jahrhundert beträchtlich zurückgegangen. Bezieht man so die Geschichte des Minnesangs in seiner ganzen Breite in die Überlegungen ein, so erscheint der Umbruch des 14. Jahrhunderts nicht mehr so überraschend. Verständlich wird auf diesem Wege aber eher das Auslaufen des alten Haupttypus als die Neuordnung alter Ansätze zu einem neuen dominanten 86
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Horst Brunner, Die Absage an die Geliebte im Minnesang, in: Durch aubenteuer muess man wagen vil. Fs. Anton Schwob, hg. von Wernfried Hofmeister und Bernd Steinbauer, Innsbruck 1997 (Innsbrucker Beitr. zur Kulturwiss. Germanist. Reihe 57), S. 47– 59. Das früheste deutsche Absagelied war vielleicht ein verlorenes Lied Wolframs von Eschenbach, auf das er sich in seiner ›Selbstverteidigung‹ bezieht, vgl. ›Parzival‹ 114,5– 19 und 337,5f. Mit diesem Begriff beschreibt Worstbrock eine wesentliche Seite jener Stilwende, die Kuhn als Wende zu einem »objektiven« Stil zu fassen versucht hatte: Franz Josef Worstbrock, Lied VI des Wilden Alexander, in: PBB 118 (1996), S. 183–204, hier 199; vgl. Hugo Kuhn, Minnesangs Wende, 2., vermehrte Aufl., Tübingen 1967 (Hermaea NF 1). Zum Beispiel Hug von Werbenwag I, KLD I, S. 181f. Zum Begriff der Konkretisierung vgl. Ingeborg Glier, Konkretisierung im Minnesang des 13. Jahrhunderts, in: From symbol to mimesis. The generation of Walther von der Vogelweide, hg. von Franz H. Bäuml, Göppingen 1984 (GAG 368), S. 150–168. Susanne Köbele, »Reine« Abstraktion? Spekulative Tendenzen in Frauenlobs Lied 1, in: ZfdA 123 (1994), S. 377–408. [Vgl. auch die neuere Literatur unten S. 193f.]
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Modell. Auch wenn der neue Typus nicht auf dem gleichen literarischen Niveau und nicht mit dem gleichen Anspruch der Neuentdeckung einsetzte wie seinerzeit die Minnekanzone, muß er doch große Attraktivität gehabt haben. Wenn ich recht sehe, lag diese einerseits in neuen Formen und Situationen des gesellschaftlichen Umgangs mit Liebesliedern (davon war schon die Rede), andererseits in der neuen thematischen Schwerpunktsetzung selbst: Hatte der ältere Typus in der Inszenierung eines einseitig betroffenen Ich Gelegenheit geboten, in wechselnden Gefühls- und Gedankenbewegungen die Unverfügbarkeit des Du zu durchleiden und die Frage waz ist minne? zu stellen, so konzentriert sich der jüngere Typus auf das Thema der Beständigkeit der Liebe. Es geht nunmehr vor allem um die Bewahrung eines Innnenraums vertrauter Nähe und gegenseitiger Verläßlichkeit auch in der Trennung und auch unter widrigen Umständen. Die Maßstäbe, an denen sich rechte Liebe zu orientieren hat, brauchen nicht mehr im personalen Experiment gesucht zu werden, sondern sind vorweg gewußt; es geht eher um ihre Bewährung in der Praxis. Kann man es wagen, diese Neuorientierung zu parallelisieren mit Tendenzen in anderen Bereichen des literarischen und geistlichen Lebens, die sich, im einzelnen keineswegs synchron, in der Richtung aber übereinstimmend, zwischen dem hohen und dem späten Mittelalter durchgesetzt haben: Wendungen von risikofreudigen Aufbrüchen zum Bewahren und Ausbauen des Gesicherten, von spekulativen Annäherungen an das Absolute zu Denkmustern, nach denen man leben konnte?
Nachtrag Die Überlegungen des zweiten Teils dieses Aufsatzes wurden aufgegriffen und kritisch weitergeführt von Gert Hübner und Johannes Janota.90 Eine Diskussion der wenigen Punkte verbleibenden Dissenses scheint mir hier weder möglich noch sinnvoll.
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Gert Hübner, Die Rhetorik der Liebesklage im 15. Jahrhundert. Überlegungen zu Liebeskonzeption und poetischer Technik im ›mittleren System‹, in: Deutsche Liebeslyrik im 15. und 16. Jahrhundert, hg. von Gert Hübner, Amsterdam/ New York 2005 (Chloe 37), S. 83–117; Johannes Janota, Ich und sie, du und ich. Vom Minnelied zum Liebeslied, Berlin/ New York 2009 (Wolfgang Stammler Gastprofessur 18).
Natur und Eros im mittelalterlichen Lied Für das Verfassen deutscher Gedichte ist uns aus dem Mittelalter keine Lehrschrift überliefert, die den lateinischen Poetiken oder der provenzalischen ›Doctrina de compondre dictats‹ vergleichbar wäre. Die einzige Anweisung für das Dichten von Minneliedern, die ich kenne, ist die Überschrift zum 16. Buch der Lieder Heinrichs von Mügeln in der Göttinger Handschrift. Sie dürfte auf den Autor selbst oder seinen Umkreis im späten 14. Jahrhundert zurückgehen und lautet so:1 Hie wil der meister leren, wie alle vorrede gegen dem Meyen, gegen dem Somer, gegen dem wintter setzen vnd blumen sal, wer von der mynne tichtet.
Das müßte man wohl etwa so paraphrasieren: ›Hier will der Meister demonstrieren, wie jemand, der von der Liebe dichtet, jede Einleitung auf den Mai, den Sommer oder den Winter beziehen und so das Gedicht schmücken2 soll.‹ Das bezieht sich auf den sogenannten Natureingang, genauer: auf das beliebte Verfahren, Minnelieder mit einer Schilderung oder wenigstens Nennung der Jahreszeit beginnen zu lassen. Die Generalisierung alle vorrede ist selbstverständlich überzogen, Heinrich von Mügeln selbst stattet nur einen Teil der folgenden acht Minnelieder mit einem Jahreszeiteneingang aus. Aber daß die Generalisierung unterlaufen konnte, ist die Folge einer außerordentlichen Beliebtheit des Natureingangs im Minnelied. Und treffend ist auch der Ausdruck vorrede: Die Naturmotive stehen in der Regel am Liedbeginn und haben so gut wie immer nur dienende Funktion. Was leisten sie für das Hauptthema Liebe? Wie halten es verschiedene Liebeskonzepte – von erotischen Phantasien bis zur hohen Minne – mit der Einbeziehung von Naturmotiven? Die Forschung hat den Naturmotiven im Minnesang seit langem Aufmerksamkeit geschenkt.3 Unbestritten ist heute der topische Charakter aller Naturmo1
Heinrich von Mügeln, Bd. I.2, S. 471. Zur Frage der Authentizität vgl. Karl Stackmann, Philologische Untersuchungen zur Ausgabe der kleineren Dichtungen Heinrichs von Mügeln, Göttingen 2004 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Philol.-Hist. Kl. III, 265), S. 129f. 2 Zur Wortgeschichte von blüemen vgl. Gert Hübner, Lobblumen. Studien zur Genese und Funktion der »Geblümten Rede«, Tübingen/Basel 2000 (Bibliotheca Germanica 41), S. 33–88. 3 Ich nenne nur einige ausgewählte Titel aus den letzten Jahrzehnten, beginnend mit dem Aufsatz, der meine Überlegungen vor allem angestoßen hat: Wolfgang Mohr, Die Natur im mittelalterlichen Liede, in: Geschichte – Deutung – Kritik. Fs. Werner Kohlschmidt, Bern 1969, S. 45–63, wieder in: Oswald von Wolkenstein, hg. von Ulrich Müller, Darmstadt 1980 (Wege der Forschung 526), S. 194–217; ders., Goethes Gedicht ›Wiederfinden‹ und der Frühlingsreien Burkarts von Hohenvels, in: Fs. Friedrich
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tive in der mittelalterlichen Lyrik, eine traditionsverhaftete selektive Künstlichkeit der Darstellungen, die einen unmittelbaren Zugang zur ›Naturanschauung‹ oder zum ›Naturgefühl‹ mittelalterlicher Menschen nicht erlaubt. Unbestritten, wenngleich weniger im einzelnen untersucht,4 ist auch die generelle Ähnlichkeit von Art und Funktion der Naturmotive im romanischen und deutschen Minnesang und in der mittellateinischen Liebeslyrik. Aber so richtig der allgemeine Eindruck des Topischen und Ubiquitären ist, man hat doch auch gesehen, daß die Variationen und Nuancierungen von Motiven und Funktionen überaus vielfältig sind und daß ihre Beachtung wichtige Indizien liefert für die genauere Interpretation der einzelnen Texte. Zuletzt hat Susanne Köbele einen komplexen »Kriterien-Katalog« zu Art und Funktion der Naturmotive im Minnelied entworfen, ein Arsenal von Fragen, das von der Forschung noch keineswegs abgearbeitet worden ist.5 Ich kann in der folgenden Skizze nicht auf die ganze Fülle der Beispiele und Probleme eingehen. Stattdessen möchte ich versuchen, etwas grundsätzlicher nach dem Umgang verschiedener Arten von Liebesliedern mit Naturmotiven zu fragen. Nach einigen Vorerinnerungen zu den häufigsten Typen des Verhältnisses zwischen Naturmotiven und Hauptthema des Lieds (1) gehe ich auf den mittelalterlichen Naturbegriff und seine Bedeutung für die Vorstellungen von Eros und Liebe in der mittellateinischen Lyrik ein (2). Vor diesem Hintergrund scheinen mir der dominante Typus des volkssprachigen Minnelieds, Beißner, Bebenhausen 1974, S. 256–273; Hans Becker, Die Neidharte. Studien zur Überlieferung, Binnentypisierung und Geschichte der Neidharte der Berliner Handschrift germ. fol. 779 (c), Göppingen 1978 (GAG 255), S. 361–374; Wolfgang Adam, Die ›wandelunge‹. Studien zum Jahreszeitentopos in der mittelhochdeutschen Literatur, Heidelberg 1979 (Beihefte zum Euphorion 15); Jutta Goheen, Mittelalterliche Liebeslyrik von Neidhart von Reuental bis zu Oswald von Wolkenstein, Berlin 1984 (Philol. Studien u. Quellen 110), S. 18–91; Burkhardt Krause, Natur – Naturlyrik – Naturanschauung. Anmerkungen zur ›Mentalität‹ lyrischer Natur im Mittelhochdeutschen, in: Natur und Lyrik, hg. von Theo Stemmler, Tübingen 1991, S. 233–286; Jan-Dirk Müller, Jahreszeitenrhythmus als Kunstprinzip, in: Rhythmus und Saisonalität. Kongreßakten des 5. Symposions des Mediävistenverbandes in Göttingen 1993, hg. von Peter Dilg, Gundolf Keil und Dietz-Rüdiger Moser, Sigmaringen 1995, S. 29–47; Thomas Bein, Jahreszeiten – Beobachtungen zur Pragmatik, kommunikativen Funktion und strukturellen Typologie eines Topos, ebd., S. 215–237; Ludger Lieb, Der Jahreszeitentopos im ›frühen‹ deutschen Minnesang, in: Topik und Rhetorik, hg. von Thomas Schirren und Gert Ueding, Tübingen 2000, S. 121–142; ders., Die Eigenzeit der Minne. Zur Funktion des Jahreszeitentopos im Hohen Minnesang, in: Literarische Kommunikation und soziale Interaktion, hg. von Beate Kellner, Ludger Lieb und Peter Strohschneider, Frankfurt a. M. u. a. 2001, S. 183–206; Susanne Köbele, Frauenlobs Lieder, Tübingen/Basel 2003 (Bibliotheca Germanica 43), S. 47–116; Christoph März, Die Jahreszeiten der Sentimente. Zum »Natureingang« in den Liedern Neidharts, in: Deutsche Literatur und Sprache im Donauraum, hg. von Christine Pfau und Kristy´na Sla´mova´, Olomouc 2006, S. 221–236. 4 Hinweise etwa bei Theodor Frings, Erforschung des Minnesangs, in: PBB (Halle) 87 (1965), S. 1–39. 5 Köbele 2003 (wie Anm. 3), S. 56f.
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das Ich-Lied der hohen Minne, und seine Gegentypen, die Sommer- und Winterlieder Neidharts, schärferes Profil zu gewinnen (3). In einem weiteren Schritt zeige ich, wie Walther von der Vogelweide und Burkhard von Hohenfels in Auseinandersetzung mit hoher Minne und Dörperdichtung vermittelnde Positionen suchten, und versuche, von ihnen aus Linien ins spätere 13. Jahrhundert zu ziehen (4). Schließlich gehe ich auf die Frühlingsreigen Oswalds von Wolkenstein ein und frage im Hinblick auf sie nach Traditionen der Verknüpfung von Frühjahrsnatur, Eros und Tanz jenseits von Neidharts Dörperwelt (5).
1. Naturmotive und Liedthema Naturmotive haben in der mittelalterlichen Lyrik dienende Funktion. Das Hauptthema ist ein anderes, in den hier interessierenden Traditionen Liebe und Eros. Daß seit dem späteren 13. Jahrhundert in bewußter Überschreitung der Gattungskonventionen gelegentlich auch Themen der Sangspruchdichtung durch einen Natureingang emotionalisiert werden6 und daß im lateinischen Hymnus die Natur auch aufs Heilsgeschehen verweisen kann,7 will ich hier nur nebenbei erwähnen, und den komplizierten Sonderfall Frauenlob8 klammere ich aus. Erwähnt sei jedoch die sehr seltene Ausnahme, daß das eigentliche Thema nicht ausdrücklich genannt wird, sondern vom Publikum zu ergänzen ist.9 So mag man sich bei Walthers Lied Uns haˆt der winter geschadet über al (L. 39,1) in beiden überlieferten Fassungen10 fragen, ob das Winterleid letztlich die Liebe oder gesellschaftliche Zustände meint. In einer Einzelstrophe des Hug von Werbenwag wird die Farbenschönheit der Natur von einer anderen Schönheit übertroffen – soll man an die Schönheit der Geliebten oder an die der jenseitigen Welt denken?11 Eine Tradition hat sich aus solchen Versuchen nicht entwickelt. Vereinzelte Ansätze, die Natur zum Hauptthema eines Liedes zu machen, finde ich dann erst wieder in der schwach bezeugten Tradition der Frühlingsreigen, wenn deren Tanz- und Erosmotive stark zurückgedrängt oder ›gezähmt‹ sind;12 so in einem Lob des Mai von Muskatblut, einem Zeitgenossen Oswalds von Wolkenstein.13 Ein Sonderfall bleibt auch das Vogelruflied Oswalds von Wolkenstein (Kl. 50). Während die altfranzösische Vorlage das Singen der Vögel auf höfisches und unhöfisches Singen von der Liebe bezog, hat Oswald nur die Oberfläche der Klangimitation aufgegriffen und zu einem umfassenden Klangbild der Frühjahrsvitalität ausgebaut.14 Immerhin 6
Z. B. Konrad von Würzburg 31 (milte); vgl. aber auch schon Tannhäuser, Leich I (Fürstenpreis). 7 So etwa im Osterhymnus Mundi renovatio, Analecta Hymnica 54, S. 224–227. 8 Vgl. Köbele 2003 (wie Anm. 3). 9 Bein 1995 (wie Anm. 3), S. 221f. 10 Vgl. Thomas Bein, Uns haˆt der winter geschadet über al (Walther L. 39,1, Cormeau 15). Über Textfassungen, Textgenesen und literaturwissenschaftliche Konsequenzen, in: Magister et amicus. Fs. Kurt Gärtner, o. O. 2003, S. 579–599. 11 Lied V, KLD I, S. 184; vgl. Lyrik des späten Mittelalters, S. 748. 12 Vgl. Goheen 1984 (wie Anm. 3), S. 79–85. Zu den Frühlingsreigen s. unten. 13 Lieder Muskatblut’s, hg. von E. v. Groote, Cöln 1852, Nr. 48. 14 Vgl. meine Anmerkungen in: Oswald von Wolkenstein, Lieder frühneuhochdeutsch/ neuhochdeutsch. Ausgewählte Texte hg., übersetzt und kommentiert von Burghart
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paßt dieser Sonderfall zu der Beobachtung, von der unten die Rede sein wird, daß in einzelnen Liedern Oswalds von Wolkenstein die gemeinsame Frühjahrsfreude von Natur und Menschen zum Hauptthema wird, dem die individuelle Liebeslust nur zugeordnet ist.
Der Bezug zwischen Naturmotiven und dem Hauptthema Liebe kann auf sehr vielfältige Weise hergestellt werden. Ausschließen möchte ich aus den folgenden Überlegungen Naturvergleiche und -metaphern. Sie gehören zum Minnesang, aber hier soll es nur um solche Formen gehen, die der Natur, auch wenn sie untergeordnetes Thema bleibt, ein gewisses Eigenleben zugestehen. Naturbild und Liebesthematik können dann vor allem über Raum- oder über Zeitvorstellungen verknüpft werden, und es scheint mir nicht unnütz zu sein, beides genauer zu unterscheiden, als es oft geschieht. Ein Raumbild, meist ein locus amoenus, topische Schilderung eines lieblichen Platzes in freier Natur, bildet in der Regel den Hintergrund für eine erzählte Szene. Ein solcher Ort signalisiert Distanz von der Alltagswirklichkeit, er schafft in der literarischen Tradition seit der Antike z. B. Raum für ein philosophisches Gespräch oder ist ein Ort der Entrückung, an dem man etwa auch Personifikationen begegnen kann.15 In der Minnesangtradition bedeutet der locus amoenus Entfernung von der höfischen Gesellschaft, Gelegenheit für eine freie Liebesvereinigung. So vor allem in der Pastourelle, der Begegnung zwischen einem höhergestellten Mann (Ritter oder Kleriker) und einer einfachen Frau, einem Typus, der in der romanischen Lyrik beliebt war und auch in der mittellateinischen Dichtung vorkommt, im deutschen Minnesang aber fast nur in Abwandlungen belegt ist. Die sozialen Implikationen einer freien Liebesbegegnung können jedoch auch so weitgehend ausgespart sein, daß der locus amoenus der Szene einen idealischen Schimmer verleiht. So in Walthers Under der linden (L. 39, 11) oder, ironisch gebrochen, im Mittelteil von Tannhäusers Leich III.16 In eigenartiger Weise wird der locus amoenus in einer Strophe Albrechts von Johannsdorf sogar in die hohe Minne einbezogen (MF 90,32):17 Wıˆze, roˆte roˆsen, blaˆwe bluomen, grüene gras, bruˆne, gel und aber roˆt, dar zuo des kleˆwes blat, von dirre varwe ein schœner slat under einer linden was. dar uˆfe sungen vogele. daz was ein schœne stat. Kurz und lanc gewahsen, bıˆ einander stuont ez schoˆne. noch gedinge ich, der ich vil gedienet haˆn, daz sıˆ mir loˆne.
Fünf der sechs Zeilen beschreiben einen locus amoenus, wie üblich im Präteritum. Es folgt dann aber keine Liebesszene, sondern ein Ausdruck der Hoffnung auf endliche Erfüllung einer langen Dienstliebe, die noch immer um Gegenliebe
15
16 17
Wachinger, Melodien und Tonsätze hg. und kommentiert von Horst Brunner, Stuttgart 2007 (RUB 18490), S. 325–328. Daß die Entrücktheit durch Einbrechen banaler Wirklichkeit jäh als Traum entlarvt wird, ist eine Besonderheit von Walthers witzigem Lied L. 94,11. Vgl. unten S. 86f. Im gleichen Ton folgt noch eine zweite Strophe. Diese ist aber thematisch so selbständig, daß sie hier unberücksichtigt bleiben kann.
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wirbt. Der locus amoenus, als gesehen oder geträumt berichtet, ist hier zur Chiffre geworden für das, was für das Ich noch in der Zukunft liegt. Die Strophe konkretisiert im unüberhörbaren Verschweigen dessen, was der Ort nahelegt, das, was nachher in der Sprache der hohen Minne vorsichtiger, weil vieldeutiger, loˆnen genannt wird – ein reizvolles Spiel an den Grenzen höfischer Sprachrestriktionen, das davon lebt, daß locus amoenus und hohe Minne eigentlich nicht zusammenpassen. Unter zeitlichem Aspekt kann Natur als Tages- oder als Jahreszeit evoziert werden. Im Tagelied bezeichnet etwa das Singen der Vögel den Anbruch des Tages und damit das Ende der heimlichen Liebesnacht, so in der Weckrede der Frau in dem frühen Lied MF 39, 18:18 ›Slaˆfest du, vriedel ziere? wan wecket uns leider schiere ein vogellıˆn soˆ wol getan, daz ist der linden an daz zwıˆ gegaˆn.‹
Die Tagesboten der Natur werden allerdings im Lauf der Gattungsgeschichte weitgehend verdrängt durch die Einführung des Wächters, der die der Gattung inhärenten gesellschaftlichen Spannungen in Sympathie und Mahnung ausdrükken kann. Nur gelegentlich führt dann der Wächter auch die Morgenzeichen der Natur an, am großartigsten in Wolframs zweitem Tagelied (MF, S. 437): ›Sıˆne klaˆwen durch die wolken sint geslagen, er stıˆget uˆf mit groˆzer kraft; ich sich in graˆwen tegelıˆch, als er wil tagen: den tac . . .‹
Daß die Morgennatur selbst die Liebenden weckt, kommt erst wieder bei Oswald von Wolkenstein vor, der in Kl. 20 den Morgensturm vom Orient her über alle Länder bis nach Portugal brausen läßt, damit dann auch ain freulin zart aufwacht und den Wächter beschuldigt, er habe schlecht aufgepaßt. Ohne solch gewaltigen Aufwand und ohne Andeutung einer gesellschaftlichen Problematik ihrer Liebe blicken und lauschen die Liebenden in Kl. 101 auf die Morgenzeichen der Natur, die ihnen den schmerzlichen Abschied ankündigen. Im Einzelfall können locus amoenus und Morgenzeichen auch kombiniert werden. Dafür ein Beispiel aus der Frühzeit des Minnesangs, ein Wechsel von Dietmar von Aist (MF 34,3): ˆ f der linden obene daˆ sanc ein kleinez vogellıˆn. U vor dem walde wart ez luˆt. daˆ huop sich aber daz herze mıˆn an eine stat, daˆ ez eˆ daˆ was. ich sach daˆ roˆsebluomen staˆn. die manent mich der gedanke vil, die ich hin zeiner vrouwen haˆn.
18
Interpunktion gegenüber der Ausgabe geändert.
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›Ez dunket mich wol tuˆsent jaˆr, daz ich an liebes arme lac. sunder aˆne mıˆne schulde vremedet er mich menegen tac. sıˆt ich bluomen niht ensach noch enhoˆrte der vogel sanc, sıˆt was mir mıˆn vröide kurz und ouch der jaˆmer alzelanc.‹
Die erste Strophe ist hier Rede des Mannes. Er hört erst ein Vöglein auf der Linde, dann wird es laut vor dem Wald. Das sind offenbar die Tageszeichen: ein Vogel fängt an, und schnell wachen alle Vögel auf und stimmen ein. Das läßt an die Situation eines Tagelieds denken, aber der Mann ist allein. Er wird durch die Vögel an seine Liebe erinnert, zuerst an eine Liebessituation, die nur durch den locus amoenus, an dem sie stattgefunden hat, angedeutet ist, und erst über diese Erinnerung werden die sehnsüchtigen Gedanken wieder wach. Anders der Monolog der Frau in der zweiten Strophe: Sie spricht von vornherein aus ihrer Liebessehnsucht heraus. Die Erinnerung an die Liebesvereinigung am locus amoenus und an die Blumen und den Vogelgesang, die zu ihr gehörten, hat bei ihr verhindert, daß sie Blumen und Vögel etwa unabhängig von dieser einen Situation hätte wahrnehmen können. Es ist nicht so, wie die Frau fürchtet, daß der Mann sie etwa nicht mehr liebte. Beide lieben einander, beiden stehen die Natureindrücke geradezu stellvertretend für die Situation der erotischen Erfüllung, und doch offenbart die Verschiedenheit ihrer Naturwahrnehmungen eine Verschiedenheit ihres Denkens und Liebens.19 Weitaus häufiger als locus amoenus und Morgennatur kommen die Naturphänomene der Jahreszeiten vor, so häufig, daß, wie gesagt, die Göttinger Mügeln-Handschrift diesen Typus geradezu zur Regel aller Minnedichtung erheben wollte. Der Jahreszeitentopos, die Frühjahrszeichen der Natur und ihre Negation in den Herbst-Winter-Zeichen, bereitet das Hauptthema des Liedes auf andere Weise vor. Beim locus amoenus stehen die Naturmotive für die Gesellschaftsferne, die eine Liebe jenseits gesellschaftlicher Schranken ermöglicht. Beim Tagelied signalisieren die Morgenzeichen der Natur umgekehrt das Ende einer gesellschaftsfernen Zeit der heimlichen Liebe. In beiden Fällen bildet die Natur den Hintergrund einer epischen Situation, mag diese auch nicht immer auserzählt sein. Der Jahreszeitentopos aber geht grundsätzlich von einem lyrischen Einklang zwischen äußerer Natur und innerem Zustand der Menschen aus, mag dieser auch durch spezifische Erfahrungen der Minne gebrochen sein. Auf diesen Typus will ich mich jetzt konzentrieren, weil er mir für die Frage nach dem Verhältnis von Natur und Eros besonders bemerkenswert zu sein scheint.
19
Vgl. Arthur Groos, Modern stereotyping and medieval topoi: The lovers’ exchange in ˆ f der linden obene‹, in: JEGP 88 (1989), S. 157–167. Dietmar von Aist’s ›U
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2. Mittelalterlicher Naturbegriff und Natur als causa amoris Wie herrlich leuchtet mir die Natur! Dieser Anfang von Goethes Sesenheimer ›Mailied‹, »das so viele Züge mit einem mittelalterlichen Frühlingsreien gemein hat,« könnte in keinem mittelalterlichen Lied stehen. Das hat schon vor fast vierzig Jahren Wolfgang Mohr gesehen. Die Erläuterungen, die er an diese Beobachtung knüpfte, haben mich zum kritischen Weiterdenken angeregt. Darum sei ihr Anfang zitiert: Den Begriff ›Natur‹ in dem Umfang, wie Goethe ihn meint, konnte das Mittelalter noch nicht denken, denn es hatte kein Wort dafür. Das Fremdwort natur(e) dringt zwar schon im Mittelalter in die deutsche Sprache ein, aber es bleibt ein gelehrtes Wort. Wie in lat. natura überwiegt die immanente Bedeutung ›angeborene oder anerschaffene Art, Begabung und Kraft‹ nicht nur der Menschen und Lebewesen, sondern aller Dinge. Menschen, Tiere, Kräuter, Edelsteine, die Elemente und Gestirne h a b e n ihre nature, aber sie s i n d nicht die ›Natur‹.20
Wenn Mohr hier »das Mittelalter« sagt, meint er offensichtlich nur das deutschsprachige Mittelalter; denn gleich darauf entwirft er eine imponierende Skizze, wie der Weg von den neuplatonisch inspirierten philosophisch-poetischen Naturspekulationen des lateinischen 12. Jahrhunderts zur Naturanschauung der Goethezeit verlaufen ist. Ich meine nun allerdings, daß Mohr schon den mittelhochdeutschen Wortgebrauch zu eng sieht.21 Auch scheint mir der Graben zwischen gelehrten und volkssprachlichen Naturkonzepten weniger tief gewesen zu sein, als Mohr voraussetzt. Über die natura-Traditionen des Mittelalters sind wir freilich heute sehr viel breiter und differenzierter unterrichtet als vor vierzig Jahren.22 Den Unterschied zur Lyrik der Goethezeit sehe ich darum weniger im Umfang des Naturbegriffs als darin, daß die mittelalterliche Lyrik das unmittelbare Gegenüber von Ich und Natur nicht kennt, ein Gegenüber, das im Sesenheimer ›Mailied‹ mit dem Gegenüber der Liebe parallelisiert ist, im ›Ganymed‹ zur Sehnsucht nach liebender Aufhebung der Trennung von Ich und Natur wird. »Natuˆre meint im Mittelalter nicht [. . .] die – belebte oder unbelebte – Außenwelt des Menschen, soweit sie nicht von ihm selbst erzeugt ist, sondern die in dieser und im Menschen selbst aufgrund ihrer Geschöpflichkeit wirkenden Kräfte und Prinzipien.«23 Es ist nicht nötig, alle Facetten des mittelalterlichen Naturbegriffs hier zu entfalten, zumal das Wort natuˆre in den mittelhochdeutschen lyrischen Naturein20 21
22
23
Mohr 1969/1980 (wie Anm. 3), S. 61/214. Genauer zur Wortgeschichte jetzt Klaus Grubmüller, Natuˆre ist der ander got. Zur Bedeutung von natuˆre im Mittelalter, in: Natur und Kultur in der deutschen Literatur des Mittelalters. Colloquium Exeter 1997, hg. von Alan Robertshaw und Gerhard Wolf, Tübingen 1999, S. 3–17. Vgl. die Literatur bei Grubmüller 1999 (wie Anm. 21), S. 4, Anm. 5; dazu seither: Natur im Mittelalter. Konzeptionen – Erfahrungen – Wirkungen. Akten des 9. Symposiums des Medävistenverbandes, Marburg, 14.–17. März 2001, hg. von Peter Dilg, Berlin 2003. Grubmüller 1999 (wie Anm. 21), S. 3.
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gängen nicht vorzukommen scheint. Wohl aber glaube ich voraussetzen zu dürfen, daß es bei vielen Dichtern ein Bewußtsein davon gab, daß die einzelnen Naturphänomene, die sie zur Sprache brachten, als – um es lateinisch gelehrt zu sagen – natura particularis oder natura naturata bestimmt waren von der natura universalis oder natura naturans, von übergeordneten gottgewollten Wirkungskräften und Ordnungsprinzipien.24 Als vorzügliche Instrumente der natura naturans aber gelten, zumal im Zusammenhang der platonistischen Tendenzen des 12. Jahrhunderts, wo Natura als vicaria dei gesehen wird, Eros und Zeugungskraft. Was Matthias Lexer in seinem Natur-Artikel im Deutschen Wörterbuch als ersten großen Bedeutungskomplex formuliert hat, beschreibt, obwohl aus Belegen des 18. und 19. Jahrhunderts gewonnen, sehr gut auch den mittelalterlichen Begriff der natura naturans: »die schöpfung im activen sinne: die zeugende, bildende, verändernde, erhaltende und ordnende kraft im weltalle oder in dessen theilen«; ihr entspricht auf der Seite der natura particularis die Bedeutungsangabe »der zeugende same, das zeugende oder gebärende glied; die schaffende, bildende und erhaltende kraft, der lebenskeim und lebenstrieb des einzeldinges und die daraus hervorgehende natürliche beschaffenheit desselben«.25 Ich möchte nun meinen, daß die Funktion der Naturphänomene und speziell der Jahreszeiteneingänge im Minnesang besser verständlich wird, wenn man diese Naturkonzeption als Hintergrund mitdenkt. Sie impliziert den Gedanken von der Natur als causa amoris. Rüdiger Schnell hat gezeigt, daß dieser Gedanke nicht erst im späten Mittelalter auftaucht, sondern lateinisch schon früher belegt ist und insbesondere in der mittellateinischen Liebeslyrik häufig anklingt, auch wenn das Wort natura nicht immer vorkommt.26 Vielfach ist da von der erneuernden, zeugenden, gebärenden Frühjahrsnatur die Rede, die zum Venusdienst auffordert. Nur ein Beispiel: Estivali gaudio tellus renovatur, militandi studio Venus excitatur. gaudet chorus iuvenum, dum turba frequens avium garritu modulatur. 24
25
26
Vgl. Christoph Kann, Zeichen – Ordnung – Gesetz: Zum Naturverständnis in der mittelalterlichen Philosophie, in: Dilg 2003 (wie Anm. 22), S. 33–49, hier 39. Die beiden Begriffspaare haben ihre je eigene Geschichte, die hier, wo es nur auf Grundvorstellungen ankommt, nicht zu interessieren braucht; vgl. K. Hedwig, Natura naturans/ naturata, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 6, 1984, Sp. 504–509, und T. Borsche/B. Hoppe, Natura universalis/particularis, ebd. Sp. 509–517. DWb., Bd. 7, 1889, Sp. 430 und 436, hier zitiert nach Grubmüller 1999 (wie Anm. 21), S. 3. Rüdiger Schnell, Causa amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur, Bern/München 1985 (Bibliotheca Germanica 27), S. 286–321; zum Unterschied zwischen lateinischen und volkssprachlichen Natureingängen S. 318– 321.
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Quanta sunt gaudia amanti et amato sine fellis macula dilecte sociato! iam revernant omnia nobis delectabilia, hiems eradicatur.27
In der mittellateinischen Liebeslyrik steht die Naturdarstellung deutlicher im Zusammenhang des kosmisch-vitalistischen natura-Begriffs, und die Rede von der Liebe läßt das sexuelle Begehren deutlicher hervortreten als im deutschen Minnesang. In dieser Dichtung der clerici, der männlichen Jungakademiker, schenkt natura, zumal im Frühling, Freiraum und Legitimation zur freien Liebe. Daß die gelehrten Konzepte mit sehr viel weiter verbreiteten, teilweise gewiß brauchtümlich ausgestalteten Vorstellungen vom Frühjahr als der Zeit der Liebe konvergierten, liegt auf der Hand. Wie begrenzt jedoch der Freiraum für die Liebe in der lateinischen Welt war, illustriert die Tatsache, daß die zitierte Strophe in der Handschrift der ›Carmina Burana‹ noch ein zweites Mal vorkommt: Im geistlichen Spiel vom König von Ägypten soll sie zu Beginn gesungen werden, wenn der heidnische König zum Götzendienst einzieht; wenig später, als die Heilige Familie nach Ägypten kommt, stürzen die Götzenbilder, und der König bekehrt sich.28
3. Natur im klassischen Minnesang und bei Neidhart Im volkssprachlichen Minnesang, der zweifellos auch vor Damen vorgetragen wurde, fehlen Hinweise auf den Zusammenhang der Naturphänomene mit der den ganzen Kosmos durchwirkenden Kraft der Natur so gut wie vollständig, im deutschen vielleicht noch konsequenter als im romanischen Minnesang. Und im Reden eines Ich von seiner Liebe ist Sexuelles weitgehend tabuisiert. Der Jahreszeiteneingang ist damit in seiner argumentativen Kraft deutlich geschwächt. Die Liebe wird andererseits aus ihrer Bindung an Natur und Jahreszeit befreit. Der Minnesang setzt auf die »Eigenzeit der Minne«.29 Wo Jahreszeiteneingänge vorkommen, werden sie daher meist in irgend einer Form kontrastiv auf die Liebe bezogen. 27
28 29
CB 80; Übersetzung nach Carmina Burana (Vollmann): »In der sommerlichen Freude erneuert sich die Erde, es erwacht das Liebesverlangen und der Eifer für den Venusdienst. Der Chor der jungen Burschen ist freudig erregt, wenn die dichtgedrängte Vogelschar singt und zwitschert. Unendlich sind die Freuden, wenn man liebt und wiedergeliebt wird, wenn man ohne eine Spur von Bitterkeit ein liebes Mädchen zur Freundin hat! Alles, was uns Wonne bringt, erneuert sich frühlingshaft, der Winter wird mit Stumpf und Stiel ausgerottet.« CB 228. Lieb 2001 (wie Anm. 3), besonders S. 193.
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Auffällig ist jedoch, daß der Jahreszeitentopos im französischen grand chant courtois relativ selten zu sein scheint30 und daß er von einigen der bedeutendsten und anspruchsvollsten deutschen Minnesänger, Friedrich von Hausen, Heinrich von Morungen, Reinmar dem Alten, Hartmann von Aue, im werbend-klagenden Ich-Lied des Mannes fast völlig gemieden wird und in den seltenen Fällen, in denen er vorkommt, extrem knapp ausfällt.31 Die Gründe für solche Zurückhaltung liegen nicht auf der Hand. Wenn Reinmar einmal den Topos von vornherein als unpassend verwirft – ich haˆn meˆr ze tuonne denne bluomen klagen (MF 169,14) – mag er sich auch als Artist gegen alles Klischeehafte wenden, aber er schneidet damit doch auch die Gemeinsamkeit natürlichen Empfindens mit den anderen Menschen ab. Und wenn Reinmar und Hartmann, die im männlichen Ich-Lied so restriktiv sind, keine Scheu haben, einer Frau Frühjahrsmotive in den Mund zu legen, so mag das daran liegen, daß in deren deutlich fiktiver Rede erotisches Begehren eher artikuliert werden konnte.32 Sollte die Vorstellung, daß Frühjahrsnatur, Vitalität und Sexualität einen Zusammenhang bilden, aus gelehrten wie brauchtümlichen Traditionen so fest im Bewußtsein verankert gewesen sein, daß diese Minnesänger im bloßen Nennen von Vogelsang und Blumen etwas davon mitschwingen hörten und sich deshalb lieber zurückhielten? Im Gegensatz zu den strengen Klassikern des Sangs von hoher Minne hat Neidhart den Natureingang fast regelmäßig verwendet und ihn gezielt eingesetzt zur Differenzierung seiner beiden Haupttypen, der Sommer- und der Winterlieder. Daran wird man bei aller Problematik einer genauen Bestimmung des ›echten‹ Kerns seines Œuvres festhalten dürfen. Im altüberlieferten, aber nicht als ganz sicher ›echt‹ geltenden Bestand der Handschrift C führen etwa in Sommerlied 3 zwei Strophen Beschreibung der Frühjahrsnatur in der dritten auf das Motiv der tanzlustigen Alten und rücken damit Naturerneuerung, Verjüngung und Sexualtrieb eng aneinander.33 In einer Zusatzstrophe zu einem C-Lied, die nur in der späten Handschrift c überliefert ist, den früheren Herausgebern aber als echt galt, schlägt im Munde eines Mädchens der Hinweis auf das fast chaotische Wuchern der Frühjahrsnatur direkt in ein Beischlafbegehren um:
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Vgl. Friedrich Wolfzettel, Natur und Landschaft in der altfranzösischen Lyrik, in: Natur und Lyrik, hg. von Theo Stemmler, Tübingen 1991, S. 101–136, hier S. 104. Lieb 2001 (wie Anm. 3), S. 191f. Vgl. Hausen MF 43,10, Morungen MF 140,32, Reinmar MF 165,1, 169,9, Hartmann MF 205,1; etwas ausführlicher Reinmar MF 183,33 (nach Hausmann, S. 61, zur nicht so gut gesicherten Liedreihe y1 gehörig), etwas häufiger im Bereich der Reinmar-Rugge-Vermischung; vgl. Albrecht Hausmann, Reinmar der Alte als Autor, Tübingen/Basel 1999 (Bibliotheca Germanica 40). Reinmar MF 167,31, 196,23, Hartmann MF 216,1, 217,14; Hausmanns Argumentation, daß in Reinmars Witwenklage MF 167,31 der Natureingang geradezu ein Fiktionalitätssignal sei, kann ich allerdings nicht nachvollziehen, vgl. Hausmann (wie Anm. 31), S. 260f. Sommerlied 3 (SNE I, C 237–239); vgl. auch Sommerlied 1 (SNE I, C 210–212) und 9 (SNE I, R 9).
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Ez gruonet an den esten, daz alles möhten bresten die boume zuo der erden. nu wizzet, liebiu muoter mıˆn, ich belige den knaben werden.34
Im Liedercorpus der besonders verläßlichen Handschrift R fehlen solche engen Verknüpfungen von Frühjahrsnatur und groteskem, dörperlichem Sexualverlangen. In den Naturbeschreibungen selbst bleiben dort erotische Konnotationen, wenn man sie denn heraushören möchte,35 sehr dezent. Ein solcher Natureingang suggeriert zunächst eine »ungebrochene Teilnahme am höfischen Diskurs«, aber das »in manchen Natureingängen aufgerufene Liedpersonal« ist doch nur scheinbar ein höfisches.36 Die höfschen kint sind, wie an Raumsignalen (straˆze, Stubentanz) und weiterem Personal allmählich deutlich wird, einfach hübsche Mädchen, die auch für einen dem Hof zugehörigen Mann attraktiv sind, aber in ihrem Verhalten sich schließlich als unhöfisch erweisen. Naturmotive dienen hier also dazu, eine höfisch anmutende Diskursebene aufzubauen, um sie dann brüchig werden zu lassen und in eine Welt des unkontrollierten Eros zu gleiten, die als dörperliche Gegenwelt vom Hofpublikum durchaus genossen werden kann.
4. Walther von der Vogelweide, Burkhard von Hohenfels und das spätere 13. Jahrhundert Walthers Mailied (L. 51, 13) scheint sich von den Restriktionen des klassischen hohen Minnesangs betont abzusetzen und sich gleichwohl vor einem Abgleiten in einen unkontrollierten Eros in Acht zu nehmen:37 I
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Muget ir schouwen, waz dem meien wunders ist beschert? seht an pfaffen, seht an leien, wie daz allez vert.
Sommerlied 2, Str. VI (SNE I, C 222–226: c VI). Zu beligen vgl. Mittelhochdeutsches Wörterbuch, hg. von Kurt Gärtner, Klaus Grubmüller und Karl Stackmann, Bd. 1, Doppellieferung 3/4, Stuttgart 2007, Sp. 562f. Zum Motiv des Taus nur teilweise überzeugend Bruno Fritsch, Die erotischen Motive in den Liedern Neidharts, Göppingen 1976 (GAG 189), S. 43–48. Anna Kathrin Bleuler, Überlieferungskritik und Poetologie. Strukturierung und Beurteilung der Sommerliedüberlieferung Neidharts auf der Basis des poetologischen Musters, Tübingen 2008 (MTU 136), S. 117 und 63. Aus der reichen Literatur zu diesem Lied nenne ich: Hugo Kuhn, Walther von der Vogelweide: Muget ir schouwen, in: Wege zum Gedicht, hg. von Rupert Hirschenauer und Albrecht Weber, München/Zürich 1956, S. 54–63, wieder in: ders., Text und Theorie, Stuttgart 1969, S. 191–198 und 366; Hubert Heinen, Walthers Mailied (L 51,13): Vortragsbedingter Aufbau und gesellschaftlicher Rahmen, in: ABäG 6 (1974), S. 167– 182; Susan L. Clark, The manipulated image: Walther von der Vogelweide’s 51,13, in: Rice University Studies 62 (1976), No. 2, S. 17–28.
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Groˆz ist sıˆn gewalt. in weiz, ob er zouber kunne: swar er vert in sıˆner wunne, daˆn ist nieman alt. II
Uns wil schiere wol gelingen: wir suln sıˆn gemeit, tanzen, lachen unde singen aˆne dörperheit. Weˆ, wer wære unfroˆ? sıˆt diu vogellıˆn alsoˆ schoˆne singent in ir besten doˆne, tuon wir ouch alsoˆ!
III Wol dir, meie, wie duˆ scheidest
allez aˆne haz! wie duˆ walt und ouwe kleidest und die heide baz! Diu haˆt varwe meˆ. ›duˆ bist kurzer, ich bin langer‹,38 alse strıˆtent si uˆf dem anger, bluomen unde kleˆ. IV Roˆter munt, wie duˆ dich swachest!
laˆ dıˆn lachen sıˆn. scham dich, daz duˆ mich an lachest naˆch dem schaden mıˆn. Ist daz wol getaˆn? oweˆ soˆ verlorner stunde, sol von minneklıˆchem munde solhe unminne ergaˆn! V
Daz mich, frowe, an fröiden irret, daz ist iuwer lıˆp. an iu einer39 ez mir wirret, ungenædic wıˆp! Waˆ nemt ir den muot? ir sıˆt doch genaˆden rıˆche: tuot ir mir ungenædeklıˆche, soˆ sint ir niht guot.
VI Scheident, frowe, mich von sorgen,
liebet mir die zıˆt! oder ich muoz an fröiden borgen. daz ir sælic sıˆt! Muget ir umbe sehen? sich fröit al diu welt gemeine. möhte mir von iu ein kleine fröidelıˆn geschehen? 38 39
Interpunktion gegenüber Cormeaus Ausgabe geändert. Gegen Cormeau glaube ich, daß man hier mit den früheren Herausgebern die Lesart der Leithandschrift C (iemer) nach s bessern sollte.
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Einen Natureingang dieses Umfangs hatte es in der deutschen Lyrik bis dahin noch nicht gegeben, und um ein ähnliches Gleichgewicht zwischen Naturmotiven und Liebesthematik zu finden, müßte man bis zu Heinrich von Veldeke MF 62, 25ff., einem ungewöhnlichen Einzelfall, zurückgehen. Nach der restriktiven Haltung der klassischen Minnesänger gegenüber dem Natureingang wirkt dieser Liedanfang fast provozierend. Der Mai erscheint personifiziert als mächtiger Zauberer der Verjüngung (I) und wird angeredet als einer, der im doppelten Wortsinn scheiden kann, einer, der ›unterscheidet‹, indem er auf das Grau des Winters Vielfalt und Buntheit folgen läßt, aber auch einer, der ›schlichten‹ kann, so daß die Verschiedenheiten der Menschen (I: pfaffen und leien), der Landschaftsformen (III: walt, ouwe, heide, anger) und der Pflanzen (III: bluomen unde kleˆ) ohne Zwietracht (haz) ausgelebt werden können. Auf dieses Wirken des Mai zu blicken wird das Publikum, die Hofgesellschaft, aufgefordert. Sie wird bald (schiere) glücklich sein, indem sie an der allgemeinen Freude teilnimmt, freilich – und damit grenzt sich das Lied von rein vitaler Freude ab – aˆne dörperheit, ohne das höfische Maß zu verletzen. In diese höfische Freudegesellschaft schließt sich der Sänger mit ein (II), sogar für das Singen in Nachahmung der Vögel beansprucht er keine Sonderrolle: tuon wir ouch alsoˆ! Daß für ihn als Liebenden die Freude nur ›geborgt‹ ist, zeigt erst der zweite Teil des Lieds. Dieser setzt mit hartem Bruch ein, bezieht sich aber mit stunde (IV), zıˆt und umbe sehen (VI) auf den Jahreszeiteneingang zurück. Durch den Ton der Liebessprache ist dieser Neueinsatz ebenso überraschend wie vorher der Natureingang. Die Dame ist in der Anrede zunächst (IV) auf den roten Mund reduziert, d. h. auf die erotische Verheißung, die in ihrem Aussehen liegt. Daß ihr Verhalten dieser Verheißung widerspricht, daß von minneklıˆchem Mund unminne ausgeht, wird geradezu aggressiv formuliert: Roˆter munt, wie duˆ dich swachest! ›Roter Mund, wie du dich erniedrigst! [. . .] Schäm dich, daß du mich nur anlachst, um mir zu schaden!‹40 Erst in den beiden letzten Strophen lenkt das Lied durch die Anrede frowe und gemäßigtere Vorwürfe einigermaßen in die Tonlage höfischer Minnewerbung ein. Ja, ich möchte vermuten, daß Walther eine der zentralen Minnestrophen Reinmars im Ohr hatte, als er diese Schlußstrophen dichtete (MF 165,28):41 Soˆ wol dir, wıˆp, wie rein ein nam! [. . .] duˆ gıˆst al der welte hoˆhen muot: maht ouch mir ein weˆnic vröide geben!
Reinmar hatte das wıˆp als freudeschenkenden Namen und Idee gepriesen, um daraus beim konkreten wıˆp, seiner Dame, die Bitte um ein weˆnic vröide (Hand40
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Es mag mit dem ungewöhnlichen Ton dieser Strophe zusammenhängen, daß sie einerseits in den Carmina Burana im Kontext lateinischer Liedpraxis aufgegriffen wurde, andererseits in der Minnesanghandschrift A fehlt. Vgl. den Hinweis von Peter K. Stein, in: Sprachkunst 10 (1979), S. 276–278. Walther hat diese Strophe bekanntlich, wie sein Nachruf auf Reinmar zeigt (L. 83,1), sehr geschätzt.
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schrift E: ein lützel vröide) abzuleiten. Walther erbittet in ähnlicher Argumentation ein kleine fröidelıˆn. Aber er setzt dazu doppelt an: Sein eines Argument ist, daß der Dame als sinnlich wahrnehmbarer, erotisch faszinierender Person (nicht nur als Idee) die Macht zum Freudeschenken gegeben ist (minneklıˆcher munt, genaˆden rıˆche), sein zweites, daß die Jahreszeit das Freudeschenken fordert. Und während Reinmar nach seiner preisend-argumentierenden Strophe sich fragt, ob er sich überhaupt wünschen dürfe, von einer so idealen Dame erhört zu werden, wagt Walther eine selbstbewußte, fast aggressive Kritik an der Verweigerungshaltung der Dame. Andererseits verwahrt sich Walther gegen ein Abgleiten der Freude in dörperheit. Das könnte schon gegen Neidhart gerichtet sein, muß aber nicht so verstanden werden, denn die Abgrenzung gegenüber dem vilain begleitet die höfische Dichtung seit je. Walthers Lied ließe sich auch verstehen als Versuch, eine Zwischenposition zwischen lateinischer Liebeslyrik und höchstem Minnesang zu artikulieren.42 Wie dem auch sei, die Wirkung des als Herrscher oder Zauberer personifizierten Mai ist nicht Liebe oder Liebesverlangen, sondern Freude, Verjüngung und harmonischer Wetteifer. Nur im Verjüngungsmotiv steckt ein Körnchen des vitalistischen Naturkonzepts, und nur im Motiv des roten Munds wagt sich der Eros kurz unverhüllt hervor. Nach dem Einschwenken in die höfische Minnewerbung genügt dem Ich schließlich sogar das Diminutiv fröidelıˆn. Aber gegenüber dem mehr aufs Innere gerichteten, klagenden, oft reflektierenden Ton der Lieder hoher Minne, wie er um diese Zeit dominierte, hat das Lied durch eine positive Einbeziehung von Natur und Eros eine neue Spannung gewonnen, die die Konventionen des Minnesangs zu sprengen drohte. Einen ganz anderen Versuch, die erneuernde Macht der Natur und einen kontrollierten Eros zu verknüpfen, hat Burkhard von Hohenfels in seinem Frühlingsreigen (KLD XI) unternommen.43 Er setzt mit seiner Inszenierung einer ländlichen Gesellschaft zweifellos schon Neidhart voraus, stellt sich aber gegen dessen Dörperwesen. I
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Doˆ der luft mit sunnen viure wart getempert und gemischet, dar gab wazzer sıˆne stiure, daˆ wart erde ir lıˆp erfrischet.
Daß Walther mittellateinische Poesie gekannt hat, ist kaum zu bezweifeln. Die Frage eines Einflusses auf Walther sollte aber getrennt gehalten werden von der Tatsache, daß die Strophen III und IV dieses Liedes auch in den Carmina Burana überliefert sind: CB 151 und 169. Hier sind sicher Walthers Texte primär, die lateinischen Lieder aber Neudichtungen in seinem Ton, vgl. in diesem Band S. 99. Ausführlich zu diesem Lied Franz Josef Worstbrock, Verdeckte Schichten und Typen im deutschen Minnesang um 1210–1230, in: Fragen der Liedinterpretation, hg. von Hedda Ragotzky, Gisela Vollmann-Profe, Gerhard Wolf, Stuttgart 2001, S. 75–90, wieder in: ders., Ausgewählte Schriften, hg. von Susanne Köbele und Andreas Kraß, Bd. 1, Stuttgart 2004, S. 87–101. Vgl. auch Lyrik des späten Mittelalters, S. 106–109.
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dur ein tougenlıˆchez smiegen wart si fröiden frühte swanger. daz tet luft, in wil niht triegen: schouwent selbe uˆz uˆf den anger. fröide unde frıˆheit ist der werlte für geleit. II
Uns treib uˆz der stuben hitze, regen jagte uns ˆın ze dache: ein altiu riet uns mit witze in die schiure naˆch gemache. sorgen wart daˆ gar vergezzen, truˆren muose fürder strıˆchen: fröide haˆte leit besezzen, doˆ der tanz begunde slıˆchen. fröide unde frıˆheit ist der werlte für geleit.
III Diu vil süeze stadelwıˆse
kunde starken kumber krenken. eben traˆtens unde lıˆse, mengelıˆch begunde denken waz im aller liebest wære. swer im selben daz geheizet, dem wirt ringe sendiu swære: guot gedenken fröide reizet. fröide unde frıˆheit ist der werlte für geleit. IV Heinlıˆch blicken, sendez koˆsen
wart daˆ von den megden klaˆren. zühteclich si kunden loˆsen, minneclich was ir gebaˆren. hoˆher muot was daˆ mit schalle naˆch bescheidenheite leˆre. wunderschœne waˆrens alle, ... ... ... ... . fröide unde frıˆheit ist der werlte für geleit. V
Suˆsaˆ wie diu werde glestet! sist ein wunneberndez bilde, soˆ si sich mit bluomen gestet: swer si siht, demst truˆren wilde. des giht manges herze und ougen. ein ding mich ze fröiden lücket: sist mir in mıˆn herze tougen stahelherticlich gedrücket. fröide unde frıˆheit ist der werlte für geleit.
Der Natureingang dieses Lieds ist im Minnesangkontext überraschend gelehrt. Er nennt zunächst nicht die üblichen Frühjahrsphänomene, deutet sie erst am Strophenschluß in dem einen Wort anger an. Vielmehr werden Prinzipien der
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natura naturans vorgeführt. Zitiert wird, wie Franz Josef Worstbrock gesehen hat,44 das Schema der Elementen-Syzygien, das auf Aristoteles zurückgeht. Danach haben die vier Elemente Anteil an jeweils zwei der vier Primärqualitäten: LUFT
warm
feucht
FEUER
WASSER
trocken
kalt
ERDE
Dieses Schema war im Mittelalter verbreitet und wurde öfter noch erweitert um die vier Jahreszeiten oder die vier Himmelsrichtungen, vor allem auch um die vier Körpersäfte des Menschen, die wiederum die Temperamente bestimmen. Impliziert ist dabei immer, daß in der Welt unterhalb des Mondes Werden und Vergehen durch die Mischung, die temperies qualitatum, zustande kommt. Die Mischung ist aber eine Mäßigung. Solches Prinzipiendenken mündet in der ersten Strophe in das alte mythische Bild von der Hochzeit zwischen Himmel und Erde: Durch das Zusammenwirken von Luft, Sonnenwärme und Regen wird die Erde geschwängert. Burkhard vermeidet es damit, Liebe zu sehr an die erregende Kraft der Frühjahrsnatur zu binden. Das umfassendere Naturprinzip der temperies führt ein in eine Reigenszene, die insgesamt von Mäßigung bestimmt ist, zunächst in der Mittelsituation im Stadel zwischen der Hitze in der Stube und dem Regen draußen, dann auch im Verhalten der ländlichen Gesellschaft, in die sich das Ich ohne Distanzierung einschließt. Das ist deutlich gegen Neidhart gerichtet. Die alte Frau ist nicht tanzlustig, weil sie von neuem Verlangen überwältigt ist, sondern hat witze, der Tanz geht eben und lıˆse, alles folgt bescheidenheite leˆre. Die höfische Tugend der maˆze scheint hier geradezu als allgemeines Naturprinzip, das nicht nur am Hof gilt, gesehen zu sein. Freude und Freiheit im rechten Maß, auch beim Tanz und in der Liebe, sind eine Möglichkeit, die allen Menschen von der Natur gegeben ist, die sie nur wahrnehmen müssen. Burkhard muß dazu allerdings die Intensität des Eros dämpfen, ihn auf ein problemloses guot gedenken reduzieren. Von der grübelnden Introspektion Reinmars und dem aufbegehrendem Werben Walthers ist er damit ebenso weit entfernt wie von Neidharts Abdrängen des Eros ins Außerhöfische. Blickt man von den beiden besprochenen Liedern aus auf die Naturmotive in höfischen Minneliedern des späteren 13. Jahrhunderts, so scheint mir zunächst evident, daß der Liedtypus, den Gottfried von Neifen entwickelt und höchst artistisch durchgespielt hat, mit seiner Verbindung von Natureingang und Minneklage und dem stereotypen roten Mund nicht ohne Walthers Mailied zu denken ist. Aber was bei Walther ein gewagtes Experiment war, hat Neifen zu einem neuen, leichteren Typus des Lieds von hoher Minne verwandelt, indem er das 44
Worstbrock (wie Anm. 43), Anm. 11 mit Literatur.
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Minneleid meist nur kontrastiv auf die Frühjahrslust oder parallelisierend oder übersteigernd auf das Winterleid bezog. Nur in wenigen Liedern (z. B. KLD XIII, XIV) klingt auch Walthers Argumentationslinie nach, immer allerdings ohne die Walthersche Aggressivität des Tons. Das Lied Burkhards von Hohenfels bleibt demgegenüber mit seinem gelehrten Naturverständnis und mit seiner Gegeninszenierung gegen den Neidhartschen Typus ein einmaliges Experiment. Wohl aber ist das Bestreben, Minne auf ein unproblematisch freudespendendes guot gedenken zu beschränken, im 13. Jahrhundert vielfach zu spüren. Besonders ausgeprägt ist dieses Bestreben in jenem Liedtypus, den vor allem Konrad von Würzburg gepflegt hat, in dem nicht von der einen Liebe des Ich die Rede ist, sondern von der Beglückung durch Frauen und Liebe im allgemeinen. Die Frühjahrsnatur hat in solchen Liedern denn auch keine das Liebesverlangen weckende oder legitimierende Kraft, sondern ist reine erfreuende Schönheit. Gelegentlich können in diesem Liedtypus die ästhetisierten Naturmotive die entschärfte Liebesthematik so an den Rand drängen, daß Frühling und Liebe zu einer atmosphärischen Einheit der schönen Freude verschmelzen. So bei Konrad von Würzburg, Lied 7: I
Seht an die wünneclichen zıˆt, diu mit spilnder güete gelfe roˆsenhüete bringen aber sol! Diu heide in liehter varwe lıˆt von des meien blüete: fröuderıˆch gemüete zimt den jungen wol. Zieren kan sich daz gevilde, grüene sint berg unde tal, daˆ diu liebe nahtegal und diu lerche wilde sanges ein unbilde schellent überal. Meienbluot hoˆchgemuot sendes herzen sinne minne- clichen tuot.
II
Geblüemet schoˆne staˆt der plaˆn: daˆvon wil ich koˆsen. uˆz der velse cloˆsen brunnen clingent daˆ; Man siht dur grüenez gras uˆf gaˆn gelwe zıˆteloˆsen; bıˆ den roˆten roˆsen glenzent vıˆol blaˆ; Durch die swarzen dorne lachet wıˆziu bluot vil manecvalt:
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die sehs varwe treit der walt, der von dœnen crachet unde uˆz loube machet cleider wol gestalt. Meienbluot hoˆchgemuot sendes herzen sinne minne- clichen tuot. III Soˆ wol dem manne der nu sıˆ
froˆ von wıˆbes minne! dem wirt uˆze und inne wunnen vil bereit: Wand im der bernden boume zwıˆ gruonet naˆch gewinne, daz im sıˆne sinne machet vil gemeit. Liep naˆch herzeliebe denket unde mıˆdet leiden pıˆn, soˆ diu bluot ir gelfen schıˆn sıˆnen ougen schenket und diu lerche clenket in daz oˆre sıˆn. Meienbluot hoˆchgemuot sendes herzen sinne minne- clichen tuot.
Von der Vorstellung einer natura, die den Liebestrieb erregt, ist solche höfisch zähmende Ästhetisierung von Natur und Liebe freilich weit entfernt. Die generalisierende Sprechweise läßt allerdings prinzipiell auch eine stärkere Artikulation erotischer Vorstellungen zu, wennschon dies relativ selten realisiert worden ist. Ein Beispiel ist Lied XXIX Ulrichs von Liechtenstein, das freilich daran festhält, daß die Liebe auch unabhängig von der Jahreszeit Maigefühle wecken kann: Sumervar ist nu gar heide velt anger walt, hie und daˆ wıˆz, roˆt, blaˆ, gel, bruˆn, grüen, wol gestalt. wünneclıˆch, fröiden rıˆch ist gar swaz diu erde treit. sælic man, swer soˆ kan dienen daz sıˆn arebeit im liebe leit.
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II
Swem got gıˆt daz er lıˆt liebe, der mac wol sıˆn sunder leit. imst bereit zaller zıˆt meien schıˆn. [. . .]
V
Minnen solt wirt geholt volleclıˆch daˆ ein man unde ein wıˆp umbe ir lıˆp laˆzent vier arme gaˆn, decke bloˆz. fröide groˆz wirt daˆ beidenthalben kunt. ob daˆ niht meˆr geschiht, kleinvelhitzeroˆter munt wirt minnen wunt, dar naˆch gesunt.45
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4. Frühlingsreigen im 13. Jahrhundert und bei Oswald von Wolkenstein Das zuletzt zitierte Lied trägt im Rahmen von Ulrichs ›Frauendienst‹ als einziges die Überschrift Ditz ist ein reye. Zahlreiche andere Lieder mit und ohne Natureingang sind als tanzwıˆse bezeichnet, sie sind alle hinsichtlich erotischer Vorstellungen sehr viel zurückhaltender, sind z. T. einfach Lieder der hohen Minne. Es mag sein, daß die unterschiedliche Bezeichnung diesen Unterschied andeutet. In beiden Fällen aber sagt die Überschrift nichts darüber aus, ob die Lieder getanzt worden sind, vielleicht war ja nur die Melodie tänzerisch. Im Falle des zitierten Liedes lautet die Einleitung im ›Frauendienst‹ so: Swie kleine mich diu minne twanc, ze dienest ich den frowen sanc einen reien minneclıˆch, mit süezen worten dœnerıˆch. den sanc ich gegen der sumerzıˆt, soˆ perg und tal gezieret lıˆt, und daz der walt haˆt grüene dach. nu sült ir hœren, wie der sprach:46 45 46
Zitiert nach KLD. Ulrich’s von Liechtenstein Frauendienst, hg. von Reinhold Bechstein, 2 Bde., Leipzig 1888 (Deutsche Dichtungen des Mittelalters 6. 7), Str. 1380.
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Daß das Lied zum Tanzen bestimmt war und daß tatsächlich dazu getanzt wurde, ist denkbar, wird aber nicht gesagt. Wenn ich im Folgenden von Frühlingsreigen spreche, ziele ich nicht auf den tatsächlichen Gebrauch, sondern meine nur Lieder, die in irgend einer Weise den Tanz ansprechen. Tanz impliziert Körperlichkeit und steht damit einer allzu abstrakten Minneauffassung im Wege. Der Blick auf die tanzende Geliebte kann aber so dezent angedeutet sein, daß die Grenzen zwischen höfischer und dörperlicher Liebe fast irrelevant werden. Bei Heinrich von Morungen heißt es (MF 139,23ff.): Naˆch der mıˆn gedanc seˆre ranc unde swanc, die vant ich ze tanze, daˆ si sanc. aˆne leide ich doˆ spranc.
In einem Neidhart-Lied, das nur außerhalb der Handschrift R überliefert ist,47 wird nur durch den Tanzort Linde angedeutet, daß es sich wohl um einen Dorftanz handelt: Ich bin holt dem meien: dar inne sach ich reien mıˆn liep in der linden schat. manic blat ir daˆ wac für den sunnenheizen tac.
In der Zartheit des Eros unterscheidet sich dieses Liedchen kaum von dem Heinrichs von Morungen. Im allgemeinen aber sind Tanzsituationen im 13. Jahrhundert deutlich entweder der höfischen oder der dörperlichen Sphäre zugeordnet, auch wenn sich in Dorfszenen das Unhöfische erst langsam zeigt wie im Haupttypus der Neidhartschen Sommerlieder oder negiert wird wie bei Burkhard von Hohenfels. Eine eigenartige Verschränkung von höfischen und dörperlichen Vorstellungen findet sich aber in den Leichdichtungen Tannhäusers. Ich wähle als Beispiel Leich III, in dem verschiedene Ebenen der Imagination oszillierend ineinander geschachtelt sind.48 Der Sänger spricht zu Beginn eine offenbar höfische Tanzgesellschaft von Damen an, denen er aus der Frühjahrsnatur einen Blumenkranz mitgebracht hat, und er fordert sie auf, hinauszugehen und die Blumenfülle zu entdecken. Dort habe er sich gewünscht (oder würde sich wünschen), daß er sich mit seiner frouwe unterhalten (kosen) könne. Diese Dame habe ihn für diesen meie als ihren dulz amis erwählt, für sie wolle er reien, d. h. wohl einen, diesen Reigen dichten und singen. Es folgt die Erzählung von einer Liebesbegegnung wohl mit dieser selben frouwe in freier Natur, so als hätte der Sänger tatsächlich erlebt, was er sich eben noch gewünscht hatte, eine pastourellenartige Szene am locus amoenus, durch sprachliche Signale, die wohl ironisch übertrieben sind, als höfisch, ja arthurisch stilisiert; und kurz bevor sich die Geliebte dem Ich-Erzähler hingibt, bittet sie ihn, ihr zu tschantieren von der 47 48
Sommerlied 5 (SNE I, C 258–260), überliefert in C und c. Vgl. zuletzt Gert Hübner, Minnesang im 13. Jahrhundert. Eine Einführung, Tübingen 2008, S. 104–112.
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linden esten und von des meien glesten, erbittet also vor dem Minnevollzug ein Minnelied mit Natureingang. Zurückkehrend aus der Erinnerung in die ebenfalls nur imaginierte Gegenwart fordert der Sänger zum Tanz auf, aber die angesprochene Damengesellschaft wird jetzt durch Neidhartsche Namensnennungen und den derben Hinweis Diu da niht enspringet, diu treit ein kint dörperlich ›verkleidet‹, und die Geliebte des Sängers, die ihm das Herz verwundet hat, heißt jetzt Kunigunt. Insgesamt gibt es im 13. Jahrhundert neben dem etablierten Typus der Sommerlieder Neidharts keinen festen Typus von Frühlingsreigen, eher nur hier und da einzelne Experimente. Im 15. Jahrhundert aber wuchert die Frühjahrs-TanzThematik bei Oswald von Wolkenstein, und bei ihm ist sie vielfach mit freizügiger Erotik verbunden. Die Frage nach Traditionen, an die Oswald anknüpfen konnte, wird noch zu stellen sein. Jedenfalls verdienen die Frühlingsreigenlieder Oswalds von Wolkenstein in einer Untersuchung zum Verhältnis von Natur und Eros besondere Beachtung. Auch bei Oswald von Wolkenstein bilden die Frühlingsreigen keinen ganz homogenen Typus, der sich von anderen Liedtypen sauber unterscheiden ließe. Einige Lieder, auf die ich nicht näher eingehen will, weil sie eher im traditionellen Rahmen bleiben oder weil sie durch zusätzliche Motive ausscheren, seien vorweg wenigstens genannt: Kl. 47, Fröleichen so well wir schir singen, springen hoh: Nach kurzem FrühjahrsTanz-Aufruf ein Lied der Liebessehnsucht. Kl. 53, Frölich, zärtlich, lieplich und klärlich, lustlich, stille, leise: Aufwecken der Geliebten, Aufforderung zu Frühjahrstanz und Kranzbinden, Entbehrungsschmerz und Ausmalen der Liebesvereinigung als Elemente der Wunschphantasie des Einsamen. Kl. 100, O wunniklicher, wolgezierter mai: Drei kurze Strophen, I und II Frühjahrsnatureingang mit einem im Generellen bleibenden Reigenmotiv, III Liebessehnsucht. Kl. 106, Nempt war der schönen plüde früde: I Frühjahrsnatureingang mit Tanzaufforderung an die kinder, II–IV Liebessehnsucht.
Vier Lieder Oswalds scheinen mir für die Frage nach den Funktionen von Naturmotiven besonders aufschlußreich zu sein: Kl. 21, 37, 42 und 75. Alle vier haben drei recht umfangreiche Strophen mit einer Tendenz zu sehr kurzen Reimgliedern und Schlagreimen bei sonst durchaus unterschiedlicher metrisch-musikalischer Faktur. Alle verbinden ausgiebige Beschreibungen der Frühjahrsnatur mit Aufrufen zu Tanz und erotischer Lust. Sie unterscheiden sich darin, wie die besondere Liebessehnsucht oder Liebeslust des Sänger-Ichs in die allgemeine Freude einbezogen wird. Ich zitiere Kl. 42, das Lied, von dem Wolfgang Mohr bei seinen Überlegungen zur Natur im mittelalterlichen Lied ausgegangen ist,49 und füge den Versuch einer Übersetzung bei:50 49 50
Mohr 1969/1980 (wie Anm. 3). Text nach der Wiener Oswald-Handschrift A, Regulierung der Graphie und Auswahl der Lesarten nach den Grundsätzen unserer Auswahlausgabe (wie Anm. 14), S. 317. Mein Verständnis des stellenweise schwierigen Textes stützt sich vor allem auf folgende Arbeiten und wählt zwischen deren Deutungen aus: Werner Marold, Kommentar zu
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Vil lieber grüesse süesse sich erheben, streben frölich, zölich, jetten, tretten in das phat. drat frue und spat hört man dringen, singen, klingen voglin in der auen Durch helle döne schöne in den strauchen, rauchen esten, glesten, fliegen, kriegen widerstreit. breit anger weit sol man grüenlich, küenlich, süenlich kurzlich ane schauen. Winder kalt ungestalt, dein gewalt ist gespalt von den süessen lüften. liechten summer ane kummer wil ich tummer als ein frummer geuden unde güften. Grüener kle jagt den sne jarlang me in den se wilder meres flüete. nachtigalle, droschel schalle, lerchen halle uns gevalle für des ofens güete.
den Liedern Oswalds von Wolkenstein, bearb. und hg. von Alan Robertshaw, Innsbruck 1995, S. 146–148 [Dissertation von 1926]; Josef Schatz, Sprache und Wortschatz der Gedichte Oswalds von Wolkenstein, Wien/Leipzig 1930 (Akademie der Wissenschaften in Wien, Phil.-hist. Kl. Denkschriften 69.2); Mohr 1969/1980 (wie Anm. 3); Walter Röll, Vom Hof zur Singschule. Überlieferung und Rezeption eines Tones im 14.–17. Jahrhundert, Heidelberg 1976 (Germanische Bibliothek, Reihe 3), S. 87–101.
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Die bluemen gele, hele, gar schon geferbet, gerbet, praune, schaune, plaue, graue mangerlai – mai, dein geschrai sich florieret, zieret, gieret köstlicher gelüste. Und hübsche wesli, gresli sich entspriessen, sliessen hüglich, tüglich plüede früede, viol spranz, glanz, virlofanz, aller pame zame, game, zier aus kalder früste. Stauden, stock machet schock, rauchen rock als ein bock, läublichen bedecket. swarzer doren weiss erkoren – gar verloren ist der zoren, den der winder wecket. Küeler brunn, warme sunn geit uns wunn. gail dich, nunn, hinden aus dem kloster bei dem Reine, in dem scheine als ein veine buelbegeine raien nach den ostern.
III Die swammen lupfen,
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stupfen aus der erde herde. würmli türmli wachen, machen neuen slauch. gauch, lock uns auch durch die haide! raide, ir maide, suecht der stauden winkel! Da well wir kosen, losen mit beslossen gossen warmen armen lieplich, dieplich in dem busch. dusch, mündlin, kusch! ob die raine saine klaine
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mir emplösst ain schinkel An ain knie, ich wer hie, des nit lie 20 und tet, wie ich das gefüegen kunde, zu ir rucken, freuntlich smucken, lieplich drucken, 25 biegen, bucken, ob si mir des gunde. So wer quitt, was ich litt. hielt si’s mit, 30 disen stritt müesst ich überwinden, sunder klifen tasten, grifen, manigen lifen 35 lust vertrifen bei dem schönen kinde.51 Viele liebe, freundliche Willkommensgrüße erwachen, stehen fröhlich, emsig auf, eilen52 und machen sich auf den Weg. (5) Flink von früh bis spät – man hört es – tummeln sich Vögel in der Au, singen, klingen (9) mit schönen hellen Tönen in den Sträuchern, den belaubten Ästen, leuchten auf, fliegen, jagen einander. (13) Den großen weiten Anger wird man bald grün sehen, kraftstrotzend, versöhnend. (17) Kalter, häßlicher Winter, deine Macht ist gebrochen von den süßen Lüften. (22) Vom hellen Sommer will ich Tor wie jeder Tüchtige unverdrossen jubeln und jauchzen. (27) Grüner Klee treibt den Schnee für dieses ganze Jahr ins Wasser wilder Meeresflut. (32) Nachtigallen-, Drosselklänge, Lerchentöne sollen uns mehr erfreuen als der gute Ofen. Die Blumen: gelbe, leuchtende, sehr schön gefärbt und aufgeputzt, braunrote, beige, blaue, graue jeder Art – (5) Mai, was dir zuruft, floriert und schmückt sich, begehrt Lust und Genuß. (9) Und hübsche Wasen, Gräslein bringen sich zum Sprießen53 und erschließen (16) aus dem kalten Frost (11) achtsam, tüchtig Blütenfreude, Veilchenpracht, Glanz und Flitter, aller Bäume Freundlichkeit,54 Prunk55
Lesarten: I,8 der] den B; I,13 angerweyt (ein Wort) B; I,20 entspalt B; I, 26 gu´fte AB; I,29 jarlag AB; II, 10 entsliessen spriessen B; III, 1 stupffen lupffen B; III, 15 klaine saine B; III, 36 bleiben bey dem kinde B. Der Ansatz von jeten als Verbum der Bewegung ist durch Kl. 92,47 gesichert, obwohl diese Bedeutung in den Wörterbüchern nicht nachweisbar ist. Da transitives spriezen belegt ist, scheint mir auch reflexives entspriezen möglich und damit die die Lesart der Handschrift A akzeptabel. Ich fasse zame als Adjektivabstraktum auf, wie es wohl auch in Kl. 124,10 (in lieber zam) und Kl. 47,27 (mach haimlich zam) vorliegt. Zu Reimen mhd. ou : a vgl. Schatz 1930 (wie Anm. 50), S. 26. Das Substantiv mhd. goume ist in der Bedeutung ›Wahrnehmung‹ gut belegt, vor allem in der Verbindung goume nemen ›wahrnehmen‹. Ich nehme an, daß hier eine Bedeutungsübertragung auf das, was wahrgenommen werden soll, vorliegt. Eine solche Über-
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und Schmuck. (17) Gesträuch und Wurzelstöcke treiben Büschel hervor, ein Pelzkleid wie vom Bock, laubhaftig überdeckt. (22) Schwarzdorn weiß erlesen – ganz dahin ist die Wut, die der Winter erregt. (27) Kühle Quelle, warme Sonne, das gibt uns Lebensfreude. (30) Vergnüg dich, Nonne! Hinten raus aus dem Kloster, um am Rhein im Sonnenlicht wie eine feine Buhlbegine nach Ostern den Reigen zu tanzen! III Die Pilze drücken und stoßen sich aus dem Erdboden hoch. (3) Würmlein wachen taumelnd auf,56 fressen sich wieder voll. (5) Kuckuck, locke auch uns durch die Heide! (7) Geschwind, ihr Mädchen, sucht ein Plätzchen im Gebüsch! (9) Da wollen wir plaudern, lieb tun mit umschlossenen, gegossenen,57 warmen Armen, zärtlich, verstohlen im Busch. (13) Drücke, küsse, Mündlein! Wenn die Schöne, zögernd, nur ein wenig mir ihr Bein frei machte bis zum Knie, (18) ich wär dabei, tät es nicht lassen, würde, wie immer ich’s möglich machen könnte, (22) zu ihr rücken, mich freundlich schmiegen, zärtlich drücken, biegen, beugen, wenn sie mir’s vergönnte. (27) Dann wär vorbei, was ich gelitten habe. Wenn sie das Spiel mitmachte, (30) wollt’ ich solchen ›Kampf‹ siegreich bestehen, gar nicht träge58 tasten, greifen, mannigfache Liebeslust erproben mit dem schönen Mädchen.
In diesem Lied dominiert die Beschreibung von Schönheit und freudeerregender Kraft der Frühlingsnatur bis ins erste Drittel der dritten Strophe und ist in so vielen Details entfaltet, daß man dies nicht mehr als Vorbereitung zum Hauptthema verstehen kann. Ein Ich erscheint in dieser Partie nur einmal flüchtig als teilhabend an der allgemeinen Freude (I, 23–26), sonst bleibt es eingeschlossen in Wir-Empfindungen und Wir-Aufforderungen (I,35, II,27–29, III,5 f., 9–13). Wie allumfassend die Frühlingslust sein soll, wird demonstriert in der Aufforderung an die Nonne, heimlich auszubrechen, um wie eine scheinreligiöse Buhlbegine an der nachösterlichen Tanzsaison teilzuhaben (II,30–36). Gleich darauf aber werden die Mädchen gar nicht mehr zum Tanz, sondern gleich zur Liebe ins Buschwerk gelockt (III,7–11). Erst hier gegen Ende des Lieds treten dann die erotischen Wünsche des Ich in den Vordergrund (III,13–36). Die eine Schöne, die mit dem bestimmten Artikel eingeführt wird (III,14), könnte ein Mädchen sein, nach dem sich das Ich schon den ganzen Winter schmerzlich gesehnt hat. Das in III,28 angesprochene Leid könnte aber auch bloß das allgemeine Winterleid sein, dann gäbe es gar keine Vorgeschichte dieser Liebesphantasie. Jedenfalls wirkt im Liedganzen die erhoffte Lust mit der einen Schönen nur als Konkretisierung der allgemeinen Frühlingslust.
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tragung liegt auch im mndl. gome ›Fest, festlicher Aufzug‹ vor, das Mohr 1969/1980 (wie Anm. 3), S. 63/216, Anm. 3, favorisiert. Wörtlich: Würmlein (Insekten, Käfer), ein Taumel, wachen auf. Ist die Bewegung des Umarmens als Gießen gesehen oder ist eher mit Blick von außen wie in Kl. 120,6 an ein Bildwerk zu denken? Der Vorschlag von Röll 1976 (wie Anm. 50), gossen als Plural von gosche ›Maul‹ zu verstehen (›mit zusammengeschlossenen Mündern und warmen Armen‹), scheitert wohl daran, daß gosche erst seit dem 16. Jahrhundert belegt und von Anfang an negativ besetzt ist. Mit Schatz 1930 gegen Röll 1976 (wie Anm. 50) stelle ich klifen zu mhd. klıˆben, mnd. und mndl. cliven ›kleben bleiben‹.
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Für die anderen drei Frühlingsreigen Oswalds muß ein kurzes Resümee genügen. In Kl. 37 sind die Proportionen umgekehrt: Im größten Teil des Liedes (bis III, 12) ist die Frühjahrsnatur, hier angereichert durch Motive des Tagesanbruchs, nur auf die eine Liebe des Ich bezogen. Dabei klingen Formeln höfischer Frauenverehrung an, aber es wird deutlich, daß es sich um eine erotisch erfüllte Liebe handelt. Diese Liebe wird ermuntert durch die Vitalität der Tierwelt (II,22– 26) und beim Tanz eingebettet in gesellschaftliche Frühlingsfreude. Dieser gilt der Schlußteil der letzten Strophe mit seinem Aufruf an die letzten Müden, hinauszugehen, sich zu freuen und mitzulachen, dankbar für solche Gnade Gottes. Kl. 21 ist mit seinen Spanienreminiszenzen vielleicht das älteste der vier Lieder, sicher ist es das schwierigste. Einzelne Stellen harren noch immer einer genauen Erklärung.59 Im Zusammenhang meiner Fragestellung verstehe ich das Lied so: Strophe I ist ein allgemeiner Aufruf zu frühjahrsgemäßem Treiben, gerichtet an alte Frauen und junge Mädchen, an Vögel und wilde Tiere, ja an den Bauern, der sich an die neue Arbeit machen soll. Das Sänger-Ich erwartet von der Jahreszeit erotische Lust im Freien, des freut sich mein bart (I,38). In der zweiten Strophe werden Gegensätze aufgebaut zwischen fremdem Kunstgesang und heimischem Kuckucksruf, zwischen vergangener erotischer Faszination in Spanien und gegenwärtiger erotischer Lust in der freien Natur. Dabei gilt die Präferenz dem Gegenwärtigen. Freilich gab es in Spanien eine, die den Sänger freuen könnte, wenn sie sich nur anders kleiden würde. Strophe III spricht weiter von dieser spanischen Schönheit. Wo dann die Rückkehr in die Gegenwart und ihre erotischen Freuden vollzogen wird, ist nicht ganz klar. Das Lied klingt jedenfalls aus in sexuellen Lockversen, in die gleich mehrere heimische Mädchennamen eingebaut sind. Hier spätestens ist das Sänger-Ich wieder bei der gegenwärtigen Frühjahrslust, bei der nicht eine einzige Geliebte, sondern das erotische Fluidum der Jahreszeit im Zentrum steht. Eine zweite, etwas längere Fassung des Liedes, die in den Drucken des ›Neidhart Fuchs‹ überliefert wird, ist zwar im Detail offensichtlich mehrfach gestört, dürfte aber auf Oswald zurückgehen. Durch zusätzliche Verse ist hier das Verhältnis von Erinnerung an die Spanierin und Hinwendung zu den gegenwärtigen Mädchen noch komplizierter. Dadurch daß auch schon in den Strophen I und II heimische Mädchennamen mit Aufforderungen zu sexuellen Handlungen eingeschoben sind, muß der Sprung zwischen Gegenwart und Erinnerung mehrfach vollzogen werden, und die Frühjahrslust schweift noch ungehemmter in Phantasien der Promiskuität aus. An Kl. 75 fasziniert den modernen Betrachter vor allem die Mittelstrophe, in der der Sänger Ösli und Gretli, die für das Publikum als der Autor und seine Gattin erkennbar sind, zum Frühlingsbad im Freien auffordert und sie in einer erotischen Szene Liebesspiele treiben läßt.60 Diese Mittelstrophe ist aber Teil 59 60
Eine ausführlichere Untersuchung zu diesem Lied bereite ich vor. Vgl. dazu Volker Mertens, Der Sänger geht baden . . . Oswald in seinen ›Margare-
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eines Aufrufs zur Frühjahrsfreude und zum Tanz, der an alle, kind, weib und man, gerichtet ist, und das wir des Refrains schließt alle Männer ein. Die besondere Lust des inszenierten Autors ist also auch hier die Konkretisierung der allgemeinen, vom Naturgeschehen hervorgelockten Frühjahrslustbarkeit. Auch wenn jedes der vier besprochenen Lieder sein eigenes Profil hat, gemeinsam ist ihnen neben der detaillierten Beschreibung der Frühlingsnatur die Einbettung der besonderen erotischen Lust des Ich in eine allgemeine Frühjahrslustbarkeit. Vorbilder für diesen Typus sind in der Tradition nicht ganz leicht zu finden. Spicker61 hat für Kl. 21 vor allem auf Neidhart verwiesen, und tatsächlich gibt es in diesem Lied ein paar entfernte Neidhart-Reminiszenzen, und nicht zufällig ist ja gerade dieses Lied in die Neidhart-Tradition aufgenommen worden. Aber Oswald meidet hier wie in den andern drei Liedern die für Neidhart typischen dörperlichen Dialogszenen. Näher lägen daher jene Frühjahrsfreude-TanzAufrufe, die Worstbrock als volkssprachliche Prätexte sowohl von Neidharts Sommerliedern wie einer Gruppe der Carmina Burana postuliert hat. In den drei Konstituenten dieses Typus, »Natureingang – Tanz der uirgines (und iuuenes) – die Eine, die Geliebte«62 mögen des öfteren Naturmotive und Tanzaufruf der Liebe eines Ich untergeordnet sein. Allerdings kann das letzte Element des Schemas auch fehlen oder so stark zurückgenommen sein, daß die besondere Liebe zu der einen Geliebten nicht als Ziel des Lieds, sondern nur als Element einer Frühjahrsfreude erscheint, die alle zu Tanz und Liebe stimuliert; so recht häufig in den Carmina Burana,63 seltener in deutschen Liedern.64 Für Kl. 21 könnte man auch auf den Tannhäuser verweisen, bei dem in Leich III wie oben dargestellt (und ansatzweise auch in II, IV und V) eine vom Sänger-Ich erzählte Liebesbegegnung im Freien eingebunden ist in Tanzaufforderungen, also gewissermaßen der Animation der als gegenwärtig vorgestellten Tänzerinnen dient. Ähnlich läßt sich in Kl. 21 die Erinnerung an die spanische Schöne als Stimulans für die gegenwärtige Frühjahrserotik verstehen. Die höfische Bändigung der Natur und die komplexe Balance zwischen höfischen und Neidhartschen Tönen im Reden über Liebe und Eros beim Tannhäuser sind allerdings mit dem Verfahren Oswalds kaum zu vergleichen.
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then‹-Liedern: poetologisch, performativ, kulturwissenschaftlich in ›fröhlicher Pluralität‹, in: Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150–1450, hg. von Ursula Peters, Stuttgart/Weimar 2001 (Germanistische Symposien. Berichtsbände 23), S. 329–344, dazu Diskussionsbericht S. 352f.; einschränkend zu den Gattungshintergründen Wachinger 2007 (wie Anm. 14), S. 354f. Johannes Spicker, Literarische Stilisierung und artistische Kompetenz bei Oswald von Wolkenstein, Stuttgart/Leipzig 1993. Worstbrock 2001/2004 (wie Anm. 43), S. 80/91. CB 137, 138, 143, 144, 145, 148, 150, 152, 161. Neidhart, Sommerlied 3 (SNE I, C 237–239, vgl. oben S. 76), Hug von Werbenwag IV (KLD I, S. 183, ohne Tanzmotive).
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Es gibt also wohl Hinweise, daß Oswald mit den hier besprochenen Frühlingsliedern an Traditionen anknüpfen konnte. Welche konkreten Texte und welche spezifischen Liedmuster er kannte, entzieht sich jedoch unserer Kenntnis. Die Überlieferung war ja Liedern von lustvoller Erotik insgesamt nicht gewogen. Da dürfte manches verloren gegangen sein. So wäre es denkbar, daß Oswald auf einem Typus von Frühlingsreigen aus dem 14. Jahrhundert aufbaute; denn möglicherweise ist der Typus der meisterlichen Frühlingsreigen, die dem Marienpreis, dem generellen Preis der Frau oder moralischen Themen dienen,65 nur der gezähmte Gegentypus zu einem verlorenen Typus erotisch getönter Frühjahrstanzaufrufe in kunstvollen Großformen. Die Naturdarstellungen aber leiten in Oswalds Liedern die Thematisierung erotischer Lust nicht nur ein, sondern durchziehen sie, ja ermöglichen sie wohl erst. Sie sind als solche kaum realistischer als die der Lyrik des 13. Jahrhunderts. Realitätssplitter und Namen aus der Südtiroler Heimat, wie sie Oswald später in Natureingängen zu anderen Themen gelegentlich einstreut,66 fehlen bei diesen Frühlingsliedern. Tradierte Elemente, so auch der weiß blühende Schwarzdorn, den wohl Konrad von Würzburg ›gefunden‹ hat, werden weiterverwendet, manchmal artistisch umspielt und variiert. Neu scheinen immerhin die Pilze in Kl. 21, 42 und 75 zu sein. Gerade sie aber sind keine Frühjahrsphänomene, ihre eindrucksvolle Spätsommer- und Herbstwuchskraft wird hier einfach in das Wuchern der Frühlingsnatur hineingenommen, und vielleicht schwingt auch die Sexualsymbolik von Pilzen mit (besonders in Kl. 21, II,6). Neu in der Lyrik scheint auch die Ausweitung der Tierwelt über die Vögel hinaus zu sein, auf wolf, fuxs, den has (Kl. 75, III,6) und auf das Kleingetier der würmli (Würmer, Käfer, Insekten etc.). Neu ist das übermütige Wiehern des eigenen Pferdes (Kl. 21, I,21) und das gierige Schreien aller Tiere (Kl. 37, II,24), neu, daß die Tiere den Pelz erneuern (Kl. 21, I,11) und Nachwuchs haben wollen (Kl. 21, I,18–20). Durch solche Erweiterungen des Motivarsenals wirkt die Natur nicht mehr so höfisch gezähmt wie in der älteren Lyrik. Stehen dahinter nur die realen Erfahrungen des Landedelmanns? Oder wird hier, wie auch immer an den ungelehrten Ritter vermittelt, die umfassende Vitalität spürbar, die dem mittelalterlichen Naturabegriff inhärent ist? Jedenfalls wird die menschliche Erotik eingebunden in die von der Natur, letztlich von Gott selbst (Kl. 37, III,27–30) geschenkte Lust frühlingshafter Neubelebung, so sehr eingebunden, daß man geneigt ist, nicht 65
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Christoph Petzsch, Frühlingsreien als Vortragsform und seine Bedeutung im Bıˆspel, in: DVjs. 45 (1971), S. 35–79; Horst Brunner, Die alten Meister, München 1975 (MTU 54), S. 165ff. u. ö. (Register s. v. Reihen); Frieder Schanze, Meisterliche Liedkunst zwischen Heinrich von Mügeln und Hans Sachs, Bd. I, München 1983, Register s. v. Reihen. Vgl. auch Anton Schwob und Ute Monika Schwob, Ich hör die voglin gros und klain/ in meinem wald umb Hauenstain. Beobachtungen zu den emotionalen Bindungen des Grundherrn Oswald von Wolkenstein an seinen Besitz, in: Röllwagenbüchlein. Fs. Walter Röll, Tübingen 2002, S. 137–151.
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mehr wie sonst fast überall im Mittelalter Liebe oder Eros, sondern den Frühling als das eigentliche Thema des Liedes anzusehen. Die Natur wäre dann nicht nur, wie von der Mügeln-Handschrift gefordert, vorrede zum blumen der Minnethematik, sondern der Eros wäre nur eine, wenn auch die wichtigste, Konkretisierung der Naturerfahrung.
Deutsche und lateinische Liebeslieder Zu den deutschen Strophen der Carmina Burana Die Geschichte des deutschen Minnesangs ist nur eine Sonderentwicklung innerhalb der mittelalterlichen Liedgeschichte. Die expliziten Reflexionen der Minnesänger über rechte Minne und richtiges Minnelob und die minnetheoretischen Positionen, die sie beim Durchspielen der verschiedenen Stile und Genres implicite entwickelten und weitergaben, sind nur ein Ausschnitt aus einem viel breiteren Spektrum von Liebeskonzeptionen und Varianten ihrer literarischen Gestaltung in verschiedenen Gattungen und Sprachen. Immer dann, wenn der Minnesang als Gesamtphänomen zur Diskussion steht – mag es um Fragen der Ursprünge oder der Überlieferung, der Formgeschichte oder der sozialen Bedingungen und Funktionen gehen –, wird man gut daran tun, den Blick vergleichend auf andere Traditionsstränge zu richten. Und dieser Vergleich muß wohl von jeder Generation neu unternommen werden, nicht nur weil der Fundus des Wissens wächst, sondern vor allem weil sich die Fragen ändern. Wenn heute die Frage nach den sozialen Bedingungen und den gesellschaftlichen Funktionen von Literatur als eine (wenn nicht geradezu als die eigentliche) Kernfrage der Literaturgeschichte angesehen wird, so muß für den Minnesang der Vergleich mit mittellateinischer Liebeslieddichtung besonderes Interesse gewinnen. Denn der Unterschied zwischen diesen Sprachen impliziert, wohl noch mehr als der zwischen verschiedenen Volkssprachen, eine Fülle von sozialen Barrieren, Š Gegensätzen der Lebensform und des kulturellen Bewußtseins. Es ist zu erwarten, daß, trotz mancherlei Beziehungen hin und her, Autorbewußtsein, Aufführungsform, Liebeskonzeptionen usw. in Liedern der beiden Sprachen und Kultursphären charakteristisch verschieden sind. Solche Unterschiede hat man natürlich immer gesehen. Eine präzise Beschreibung ist aber immer wieder auf Schwierigkeiten gestoßen, vermutlich weil man zu viel wollte, zu umfassende Aussagen anstrebte. Jede der beiden Sphären ist jedoch in sich reich differenziert und hat ihre eigene Geschichte, so daß sich generelle Oppositionen nur sehr schwer formulieren lassen. Es scheint daher sinnvoll, bei begrenzten Komplexen anzusetzen, zugleich aber deren Stellenwert in ihrer jeweiligen Tradition zu reflektieren. Zuerst * in: From symbol to mimesis. The generation of Walther von der Vogelweide, hg. von Franz H. Bäuml, Göppingen 1984 (GAG 368), S. 1–34. Wieder in: Der deutsche Minnesang. Aufsätze zu seiner Erforschung, hg. von Hans Fromm, Bd. II, Darmstadt 1985 (Wege der Forschung 608), S. 275–308, danach hier.
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Ich möchte hier ein Beispiel besprechen, das für beide Bereiche zugleich aufschlußreich ist, weil sich beide hier begegnen und durchdringen: die Sammlung der Carmina Burana,1 insbesondere jene lateinischen Lieder, denen in der Handschrift eine deutsche Strophe angehängt ist, die offensichtlich meist nach derselben Melodie wie das vorausgehende lateinische Lied zu singen war. Die deutschen Strophen der Carmina Burana sind viel diskutiert worden.2 Ein einst zentrales Problem, für das man sie vornehmlich auszuwerten versucht hat, die Frage nach dem Ursprung des Minnesangs, Š ist uns heute aus dem Kernbereich des Interesses gerückt; es war von hier aus ohnehin nicht zu lösen. In der enger gefaßten Frage aber, ob den lateinischen Liedern oder den deutschen Strophen die Priorität zukommt oder ob gar beide unabhängig entstanden und erst sekundär vereinigt worden sind, ist man zurückhaltend geworden. Weitgehend geklärt ist heute immerhin der zeitliche, lokale und institutionelle Rahmen für die Entstehung der Handschrift, von der alle Lösungsversuche ausgehen müssen:3 der Codex Buranus dürfte im 2. Viertel des 13. Jahrhunderts am Südrand 1
München, Bayer. Staatsbibliothek, Clm 4660. Faksimile-Ausgabe der Handschrift der Carmina Burana und der Fragmenta Burana, hg. von Bernhard Bischoff, München 1967. Zitate nach Carmina Burana (Hilka/Schumann/Bischoff). [Vgl. jetzt auch Carmina Burana (Vollmann).] 2 Ernst Martin, Die Carmina Burana und die anfänge des deutschen minnesangs, in: ZfdA 20 (1876), S. 46–69; Konrad Burdach, Reinmar der Alte und Walther von der Vogelweide, 2Halle 1928, S. 155–169; Richard M. Meyer, Alte deutsche volksliedchen, in: ZfdA 29 (1885), S. 121–236, bes. 178ff.; Axel Wallensköld, Das Verhältnis zwischen den deutschen und den entsprechenden lateinischen Liedern in den ›Carmina Burana‹, in: Me´moires de la Socie´te´ ne´o-philologique a` Helsingfors 1 (1893), S. 71– 109; Jakob Schreiber, Die Vaganten-Strophe der mittellateinischen Dichtung und das Verhältnis derselben zu mittelhochdeutschen Strophenformen. Ein Beitrag zur Carmina-Burana-Frage, Straßburg 1894; Bernhard Lundius, Deutsche vagantenlieder in den Carmina Burana, in: ZfdPh 39 (1907), S. 330–493; Otto Schumann, Die deutschen Strophen der Carmina Burana, in: GRM 14 (1926), S. 418–437; Hans Spanke, Der Codex Buranus als Liederbuch, in: Zs. f. Musikwiss. 13 (1931), S. 241–251, bes. 246–248; William T. H. Jackson, The German poems in the Carmina Burana, in: GLL N. S. 7 (1953), S. 36–43; Bruce Alan Beatie, Strophic form in medieval lyric. A formal-comparative study of the German strophes of the Carmina Burana, Diss. Harvard University, Cambridge, Mass. 1967 (ich konnte mit Genehmigung des Autors das Exemplar Joachim Bumkes, des Betreuers der Arbeit, benutzen); Ulrich Müller, Beobachtungen zu den ›Carmina Burana‹: 1. Eine Melodie zur Vaganten-Strophe. 2. Walthers ›Palästina-Lied‹ in ›versoffenem‹ Kontext: eine Parodie, in: Mittellat. Jb. 15 (1980), S. 104–111; ders., Mehrsprachigkeit und Sprachmischung als poetische Technik: Barbarolexis in den ›Carmina Burana‹, in: Europäische Mehrsprachigkeit. Fs. zum 70. Geburtstag von Mario Wandruszka, Tübingen 1981, S. 87–103; Olive Sayce, The medieval German lyric 1150–1300, Oxford 1982, S. 234–264 (diese Arbeit erschien erst nach Abschluß des Manuskripts; da und dort konnte ich in den Anmerkungen noch auf sie verweisen, eine Differenzierung meiner Argumentation, wie ich sie an manchen Stellen aufgrund der genauen Beobachtungen von O. Sayce wohl hätte versuchen sollen, war nicht mehr möglich). [Siehe auch Nachtrag S. 122f.] 3 Bernhard Bischoff, Einführung zur Faksimile-Ausgabe (wie Anm. 1), S. 13–15; Günter
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der Alpen geschrieben worden sein; Anlage und Repertoire sind am ehesten an einem Bischofshof mit Beziehungen zu einem Augustinerchorherrenstift vorstellbar. Im übrigen jedoch ist die Frage nach dem historischen Ort der deutschen Strophen offen. Meine Meinung, daß in der Mehrzahl der Fälle das lateinische Lied sekundär ist, daß aber bei einzelnen Liedern das umgekehrte Verhältnis vorliegen könnte, wird heute kaum auf energischen Protest stoßen. Es scheint mir denŠnoch nötig, die für mich entscheidenden Überlegungen hier wenigstens kurz zu rekapitulieren, zumal die Arbeit von Beatie,4 auf die ich mich teilweise stütze, nicht allgemein zugänglich ist. Deutsche Strophen und lateinische Lieder stimmen in aller Regel im Ton überein (wobei kleinere Varianten durchaus beabsichtigt sein können). Die Annahme zufälliger Ähnlichkeit und sekundärer Zusammenstellung durch einen Sammler ist bei der Vielfalt der Töne ganz unwahrscheinlich; sie ließe überdies die nicht seltenen inhaltlichen Parallelen zwischen lateinischen und deutschen Texten unerklärt. Das Verhältnis ist also in den meisten Fällen das von Vorbild und Nachbildung (Kontrafaktur). Bei jenen deutschen Strophen, die auch in rein deutschen Handschriften überliefert sind und dort im Zusammenhang ganzer Lieder stehen, ist kaum ein anderes Verhältnis vorstellbar, als daß die lateinischen Lieder die deutschen nachahmen. Niemand wird glauben wollen, die Eckenliedstrophe, eine der verbreitetsten Strophenformen des deutschen Mittelalters, sei von einem nur im Codex Buranus überlieferten Lied (CB 203) ausgegangen. Und wenn, wie Schumann nicht ohne Grund vermutet, die Hebet-sidus-Gruppe (CB 151, 165, 168, 169) von ein und demselben Autor stammt, so müßten bei Priorität des Lateinischen alle vier Lieder dieses Autors von verschiedenen deutschen Sängern nachgeahmt worden sein, wobei Walther und Neidhart sich jeweils gerade den ihrem Œuvre gemäßen Formtyp für die Nachahmung herausgepickt hätten; überdies müßten die lateinischen Sammler von den deutschen Imitationen gewußt und sie sekundär wieder mit ihren Vorbildern vereinigt haben – eine allzu komplizierte, ganz unwahrscheinliche Vorstellung. Der umgekehrte Weg aber ist einfach und plausibel: ein lateinischer Dichter hat Lieder verschiedener deutscher Minnesänger nachgeahmt, und die Vorbilder blieben in der Überlieferung zitathaft mit den Kontrafakturen verbunden. So können m. E. jene deutschen Strophen, die auch sonst überliefert sind, durchweg Priorität beanspruchen. Da es aber von vielen Zufällen abhängt, ob ein deutsches Lied überliefert ist, darf man auch bei den Unica das gleiche Verhältnis von Deutsch und Latein als Regelfall ansetzen.5 Bernt, ›Carmina Burana‹, in: 2VL, Bd. 1, 1978, Sp. 1179–1186; [Kommentar in Carmina Burana (Vollmann)]. 4 Siehe Anm. 2. 5 Vielleicht sollte ich das etwas weniger zuversichtlich formulieren. Sayce (wie Anm. 2) hält die nicht anderweitig bezeugten deutschen Strophen für überwiegend sekundär. Die Tatsache, daß in ihnen auch sonst nicht oder selten belegte Typen, Motive und Bauformen vorkommen, könnte allerdings auch mit der überlieferungsgeschichtlichen Sonderstellung dieser Strophen zusammenhängen (vgl. unten Abschnitt II).
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Es gibt nun allerdings einige Fälle, in denen die Priorität des lateinischen Lieds plausibler ist. Vier nur im Codex Buranus überlieferte deutsche Vagantenstrophen (CB 136a, 138a, 142a, 170a) sind fast die einzigen Vagantenstrophen in deutscher Sprache, die aus dem Mittelalter bekannt sind. Offenbar sind sie nur Nachahmungen der im Mittellateinischen beliebten Form anläßlich der jeweils vorausgehenden lateinischen Lieder. Mindestens aber müssen sie in einem ungewöhnlich stark lateinisch geprägten Umkreis entstanden sein, wären also Nachahmungen lateinischer Liedkunst selbst dann, wenn die ihnen in der Handschrift zugesellten lateinischen Lieder sekundär sein sollten. Priorität des Lateinischen vermute ich auch in manchen Einzelfällen. So mag in CB 180 der halbverständliche deutsche Refrain zwar ein Zitat aus einem älteren deutschen Lied sein. Dieses dürfte aber kaum das anschließende deutsche CB 180a gewesen sein, das mit seinem glatten und wohlintegrierten Refrain demgegenüber einen sekundären Eindruck macht.6 Es bleibt also wohl nur die Annahme übrig, daß innerhalb dieses einheitlichen Überlieferungskomplexes Tonentlehnungen in beiden Richtungen bezeugt sind. Verständlich wird dieser Befund am ehesten, wenn man mit einem relativ geschlossenen zweisprachigen Kreis von Dichtern und Musikern rechnet.7 Wenn die Praxis, lateinische Lieder auf deutsche Melodien zu dichten und sie zusammen mit einer Strophe des Vorbilds zu überliefern und vielleicht auch aufzuführen, erst einmal etabliert war, so war es zum analogen Verfahren in umgekehrter Richtung nur noch ein kleiner Schritt. Und je mehr die angehängte deutsche Strophe zur Gewohnheit wurde – sei es für Sänger, sei es für Schreiber –, desto eher konnten auch einmal ganz unabhängige Texte zusammengefügt werden, womit schließlich auch die wenigen Fälle verständlich würden, in denen die Töne offensichtlich nicht übereinstimmen (z. B. CB 167–167a). Wenn ich den Komplex der deutschen Strophen in den Carmina Burana nun nochmals aufgreife, so deshalb, weil es mir möglich scheint, auf der Basis der konkreteren Vorstellungen, die die heutige Forschungslage ermöglicht, den Zeugniswert dieses Sonderfalles für die Geschichte sowohl der lateinischen wie der deutschen Liebeslieddichtung noch genauer herauszuarbeiten. Ich untersuche zunächst die Stellung der lateinischen Lieder dieses Komplexes innerhalb der Handschrift und damit auch innerhalb der mittellateinischen Tradition, dann den Stellenwert der deutschen Strophen in der Minnesangüberlieferung und schließlich das Verhältnis von Latein und Deutsch innerhalb dieses Komplexes.
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Vgl. Olive Sayce, Carmina Burana 180 and the mandaliet refrain, in: Oxford German Studies 2 (1967), S. 1–12, und Sayce (wie Anm. 2), S. 241f. 7 So vor allem Beatie und Müller (wie Anm. 2).
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I. Die Stellung der Lieder mit deutschen Strophen in der Sammlung der Carmina Burana und in der lateinischen Tradition Die Lieder mit deutschen Strophen finden sich bekanntlich ganz überwiegend konzentriert in einigen wenigen Partien des Codex Buranus. Da der Codex, wie vor allem Otto Schumann gezeigt hat,8 eine planvoll angelegte Sammlung enthält, liegt die Hoffnung nahe, daß der Sammlungsaufbau Anhaltspunkte dafür liefern könnte, welchen Stellenwert die Sammler und Redaktoren den Liedern mit deutschen Strophen beigemessen haben. Dazu muß freilich dieser Aufbau nochmals interpretiert werden, und zwar auf einer mittleren Abstraktionsebene, auf der ein solcher Versuch bislang noch nicht unternommen worden ist. Bekannt ist ja einerseits – auf höchster Abstraktionsebene – die Großgliederung der Sammlung: 1. moralisch-satirische Dichtungen, 2. Liebeslieder, 3. Trinkund Spielerlieder und 4. geistliche Spiele. Ob – was für die Beurteilung des Sammlungsplans als ganzen interessant wäre – der verlorene Anfang eine mit dem geistlichen Schluß korrespondierende Abteilung von geistlichen Liedern enthalten hat, muß offenbleiben. Bekannt ist andererseits, daß Schumann – auf relativ niedrigem Abstraktionsniveau, sehr nah den Einzelbeobachtungen an Texten und Handschrift – eine Feingliederung in Gruppen nachzuweisen versucht hat.9 Er ging dabei aus von seiner Entdeckung, daß öfter eine Gruppe thematisch verwandter Rhythmi durch dazu passende sentenzenhafte Versus (Hexameter und Distichen) abgeschlossen wird und daß auch die Miniaturen am Ende thematischer Gruppen stehen. Nach diesem Prinzip unterscheidet er für die ersten beiden Abteilungen der Großgliederung 23 Gruppen; für die dritte, die Trink- und Spielerlieder, gibt er die Zählung auf, weil die Grenzen nicht mehr so deutlich seien, doch hält er grundsätzlich auch diesen Teil für ähnlich gegliedert. Zweifellos hat Schumann hier – ganz abgesehen von seinen unentbehrlichen Einzelbeobachtungen – ein besonderes Charakteristikum dieser Sammlung erkannt. Als eigentliches Aufbauprinzip aber kann mich seine Gruppengliederung nicht befriedigen. Wenn die Versus und die Miniaturen auch in Einzelfällen immer wieder gliederungsrelevant sind, so sind Schumanns Gruppen nach Umfang und Grad der Geschlossenheit doch zu verschieden, als daß sie den Gesamtaufbau tragen könnten; allzuoft steht Verschiedenes beisammen, allzuoft gehen thematische Beziehungen über die Gruppengrenzen hinweg, und die Abfolge der Gruppen bleibt auf dieser Ebene un8
Carmina Burana (Hilka/Schumann/Bischoff), Kommentarband, S. 31*–54*. Voraussetzung war die Herstellung der ursprünglichen Blattfolge durch Wilhelm Meyer, Fragmenta Burana, Berlin 1901. Über Schumann hinausgehende Hinweise zum Aufbau vor allem bei Bernt (wie Anm. 3). 9 Carmina Burana (Hilka/Schumann/Bischoff), Kommentarband, S. 31*f., 41*–54*; dazu Walther Bulst, Die handschriftliche Ordnung der Carmina Burana Nr. 56ff., in: Hist. Vjs. 28 (1933), S. 512–517; verteidigend Otto Schumann, Die Textgruppen des Codex Buranus, in: Hist. Vjs. 29 (1935), S. 286–301.
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verständlich. Bernhard Bischoff hat darum sicher mit Recht das Prinzip der Ergänzung der Rhythmi durch Versus von der Gliederungsfrage abgerückt und allgemeiner literatur-typologisch interpretiert:10 »Wo immer dem Redaktor etwas sachlich zu den Liedern Passendes gegenwärtig war, hat er es aufgenommen, und das Ergebnis war eine Liedersammlung mit moralischen und didaktischen Anmerkungen. So nähert sich, so befremdlich es klingen mag, der Plan der Carmina Burana ein wenig jenem mancher moralischen Enzyklopädien, die ihrerseits reichlich mittelalterliche Rhythmen und Verse zitieren: der Distinctiones monasticae et morales eines englischen Zisterziensers und der jüngeren Summa recreatorum böhmischen Ursprungs.« Aufbau und Konzeption der Sammlung werden nun, scheint mir, noch plastischer, wenn man jenen Zusammenhängen nachspürt, die über den Umfang einer Schumannschen Gruppe hinausreichen, ohne gleich eine ganze Großabteilung zu erfassen. Auf dieser mittleren Ebene besteht auch am ehesten die Chance, Einsichten in die Stellung der Lieder mit deutschen Strophen zu erhalten; denn die Nester mit diesen Liedern sind einerseits nicht auf eine einzige Schumannsche Gruppe beschränkt, andererseits erreichen sie nicht den Umfang einer Großabteilung. Ich möchte das im Folgenden versuchen. Dabei setze ich Schumanns ausführliche Behandlung voraus und formuliere, zusammenfassend und da und dort ergänzend oder anders akzentuierend, sozusagen entlang an ihr. Wie bei jeder Aufbauanalyse einer mittelalterlichen Sammelhandschrift kann es dabei die Existenz eines Konzepts oder einer sinnhaltigen Struktur nicht in Frage stellen, wenn einzelne Texte falsch oder ungeschickt (im Sinne des Konzepts) eingeordnet sind (häufig z. B. wegen Tonidentität, die punktuell thematischen Zusammenhängen vorgezogen wird, oder auch wegen einer Nachbarschaft in der Vorlage). Und es kommt auch nicht darauf an, ob das Konzept den Sammlern und Redaktoren in allen Einzelheiten bewußt gewesen ist. Manchmal arrangieren sich die Dinge ja ›von selbst‹, d. h. aufgrund von Konventionen, Symbiosen und Zufällen der literarisch-kulturellen Situation, die den Zeitgenossen nicht mehr bewußt werden; die so entstandenen Strukturen dürfen aber aus unserer historischen Distanz heraus doch als Zeugnisse dieser Situation gedeutet werden.11 L a s t e r s c h e l t e : avaritia, simonia, invidia (CB 1–13). Gruppe 1–4 der Schumannschen Einteilung handelt von der avaritia, zuerst ausdrücklich und hauptsächlich, dann (Gruppe 2 und 3) wird die Klage über dieses Laster zunehmend in den Rahmen einer allgemeinen Klage über die Zeit und über den Niedergang wahrer nobilitas gestellt. Schließlich (Gruppe 4) wird die Habgier präzisiert auf die Klerikersünde der simonia. Gruppe 5 (CB 12–13), kaum eine Gruppe von eigenem Gewicht, hat die invidia zum Thema, die letztlich dem Angefeindeten nützen, dem Neider schaden muß. Obwohl CB 12 das Thema auf die Liebe bezieht, ist das Liedchen hier eingereiht, z. T. vielleicht wegen der Nachbarschaft 10 11
Bischoff (wie Anm. 3), S. 9. [Zur folgenden Strukturskizze vgl. jetzt Carmina Burana (Vollmann), S. 905–909.]
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in einer Vorlage (das Lied dürfte aus der erschlossenen Notre-Dame-Handschrift stammen; in F [Florenz, Bibl. Laurenziana, Plut. 29.1] stehen CB 15 und 19 in seiner Nähe). Zusammen mit den angefügten Versus aber zeigt das Lied, daß invidia Š mit avaritia assoziiert wurde. So zielt der ganze Anfang der erhaltenen Handschrift auf ein Anprangern der Laster im Umkreis der avaritia. L e h r e f ü r g e i s t l i c h e F ü r s t e n : Fortuna, largitas, virtus, conversio (CB 14–40). Gruppe 6 (CB 14–18) schlägt scheinbar abrupt ein neues Thema an: Fortuna. Genauer gesagt, geht es um die instabilitas fortunae und die stabilitas virtutis; das wird in dem ursprünglichen Bestand der Gruppe (CB 14, 15, 18) noch deutlicher, gilt aber auch für die durch Nachträge erweiterte Fassung. Diese Thematik gilt traditionsgemäß vor allem als Warnung und Lehre für die Herrschenden, hier, von armen Scholaren gesungen, besonders auch für ihr Verhältnis zu jenen Armen, die vielleicht eines Tages ihren Platz einnehmen könnten. Gruppe 7 (CB 19–20) mit der Ermahnung zur richtigen largitas schließt sich daher gut an. Es folgen in Gruppe 8 (CB 21–25), 11 (CB 33–38) und 12 (CB 39– 40) Mahnungen zur Tugend, zu frommem Leben und zur Weltabkehr, gerichtet an Geistliche, ganz besonders aber an die reichen und herrschenden unter ihnen, die ecclesiarum principes (CB 23) und prelati (Überschrift zu CB 33). Diese Spezifizierung der Lehre und Mahnung wird freilich nicht ganz durchgehalten. Eingeschoben sind Gruppe 9 und 10 (CB 26–32) mit den treffenden Überschriften De correctione hominum und De conversione hominum, d. h. moralische und religiöse Lehre für alle Menschen, geistliche Herren natürlich eingeschlossen (vgl. besonders CB 27, v. 3,17). P o l i t i s c h e A k t u a l i s i e r u n g d e r L e h r e (CB 41–55). In Gruppe 13 und 14, der letzten Partie der moralisch-satirischen Lieder, wird Lehre und Kritik nochmals konkretisiert und aktualisiert: Die vorausgegangenen Ermahnungen und Warnungen an die hohe Geistlichkeit verdichten sich in Gruppe 13 zur Romkritik, in der das im ganzen Abschnitt immer wieder anklingende Thema der avaritia nun speziell auf die Kurie und den Papst bezogen wird. In der folgenden Gruppe, überschrieben De cruce signatis, zeigt sich die Not der Christenheit im Verlust des Heiligen Grabes; Aufrufe zum Kreuzzug sind die Antwort. Das Kreuzzugsthema wird aber bereits CB 52 mit einem Jubellied über die Befreiung Jerusalems abgeschlossen; mit den noch folgenden Texten konnte Schumann daher in dieser Gruppe nicht viel anfangen. Sieht man jedoch den übergreifenden Gesichtspunkt der Aktualisierung und Politisierung in dieser ganzen Partie, so fügen sich auch die zwei Jubelgesänge auf die Beendigung des Schismas (CB 53, 53a) hier gut ein. Die Š sogenannte Geisterbeschwörung (CB 53) ist dann als Fluch auf alle Feinde der Christenheit zu verstehen. F a s z i n a t i o n u n d G e f a h r e n d e r L i e b e : jubili, planctus (CB 56–131). Hier setzen nun die Liebeslieder ein. Deren erste Gruppe hat Schumann sehr groß angesetzt (Gruppe 15), offenbar weil zwischendrin weder Zäsuren der Handschrift noch Versus12 einen Abschluß markieren. Binnengliederungen aber 12
CB 64 und 66 sind offenkundig nur punktuell kommentierend bezogen auf die jeweils vorausgehende Sequenz.
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hat er durchaus erkannt. Ich bleibe bei Schumanns Zählung, teile aber entsprechend seinen Beobachtungen in drei Untergruppen (15a, b, c) auf. Gruppe 15a (CB 56–73) enthält – mit einer einzigen Ausnahme – Sequenzen und andere ungleichstrophige Formen, in denen von Liebe und Natur die Rede ist. Die Überschrift Incipiunt jubili paßt also unter formalem wie inhaltlichem Aspekt. Der Neueinsatz dieser Liebes-jubili nach den politisch-geistlichen Texten ist thematisch ein harter Bruch. Gemildert ist er dadurch, daß am Ende der vorausgehenden Gruppe Texte stehen, die man durchaus ebenfalls jubili nennen könnte: CB 52, 53, 53a wegen ihrer freudig festlichen Stimmung, CB 53, 53 a, 54 wegen ihrer Ungleichstrophigkeit. Ist diese Nachbarschaft nur Zufall? Unverkennbar ist jedenfalls, daß innerhalb dieses Liebesliederabschnitts nicht nur nach thematischen, sondern auch nach formalen Gesichtspunkten arrangiert wurde: Nach den ungleichstrophigen jubili enthalten die Gruppen 15b, 15c und 16 (CB 74–96) – mit nur einer Ausnahme: CB 8913 – nur gleichstrophige Lieder, sehr häufig (und z. T. in Nestern beisammenstehend) Lieder mit Refrain (CB 75, 80–86, 88, 94– 96, dazu CB 79 mit refrainähnlichem Kornreim). Dann folgen in Gruppe 17a, b, c und 18 Klagen, zunächst (CB 97–109) vorwiegend in ungleichstrophigen Formen14 als Pendant zu den jubili, dann (CB 110–131) meist in gleichstrophigen Š rhythmischen Liedern,15 wobei Refrainlieder selten sind (nur CB 113, 115, 123, 130).16 Die letzten Klagen (CB 122–131) fallen thematisch aus dem Rahmen ihrer Umgebung, da sie nicht von Liebe handeln; sie dürften ursprünglich zum dritten Hauptteil der Sammlung übergeleitet haben (vgl. unten). L i e b e s l i e d e r a u s d e u t s c h e n Q u e l l e n (CB 132–186). Der Rest des Liebeslieder-Abschnitts, Gruppe 19 bis 23, ist jene Partie, in der die Lieder mit deutschen Strophen konzentriert sind. Sie fügt sich unter formalen Aspekten hier einigermaßen ein: Auch hier handelt es sich überwiegend um rhythmische Strophenlieder (Sequenzen sind nur CB 132 und 141, möglicherweise auch CB 148; 13
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CB 89 ist eine Sequenz mit nur zwei minimal differenzierten Versikeltypen – nicht ausgeschlossen, daß der ordnende Sammler sie als Strophenlied mißverstanden hat. Dazu zwei Gedichte in metrischen Distichen (CB 101, 102). CB 104 ist als ungleichstrophige Einheit zu verstehen, vgl. Hans Spanke, in: Literaturblatt f. germ. u. rom. Philologie 64 (1943), S. 41. CB 105 ist ein Formexperiment, in dem zwei gleichstrophige Töne für verschiedene inhaltliche Funktionen (Beschreibung, Rede) verwendet werden, der zweite Ton kombiniert rhythmische Vagantenzeilen mit metrischer Auctoritas. So bleiben zwischen CB 97 und CB 109 an gleichstrophigen rhythmischen Liedern nur CB 99 (thematischer Anschluß, die für Neumierung freigelassenen Wortzwischenräume lassen auch eine gleichstrophige Sequenz als denkbar erscheinen), CB 103 (Strophenlai, vgl. Spanke a. a. O., insofern der Sequenz benachbart [nach Vollmann Sequenz]) und CB 106. Möglicherweise gehört auch noch CB 110 zu der Gruppe der Sequenzen und Sonderformen, vgl. die Anmerkungen von Schumann (Ausg.) und von Günter Bernt in: Carmina Burana. Die Lieder der Benediktbeurer Handschrift in vollständiger deutscher Übertragung, Darmstadt 1978, S. 517. Nur CB 122 ist eine Sequenz. CB 113 und 115 gehören zu einer Gruppe von vier Liedern mit deutschen Strophen, die vermutlich nicht Bestandteil der ursprünglichen Sammlung waren (vgl. unten).
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unklar ist die Form von CB 149 und 177). Wie bei den unmittelbar vorausgegangenen Strophenliedern bleiben – wenigstens für Gruppe 19 bis 22 – Refrains die Ausnahme.17 Am Ende steht allerdings eine geschlossene Gruppe von Refrainliedern (CB 179–185), die die formale Konsequenz der Anordnung denn doch entschiedener beeinträchtigt als die eine oder andere einzelne Ausnahme. Die ganze Partie dürfte erst nachträglich in den Bauplan der Sammlung eingefügt worden sein. Unter quellenkritischem Aspekt ist eine solche sekundäre Erweiterung der Sammlung nicht unwahrscheinlich.18 Die Lieder dieser Partie sind zweifellos Š überwiegend deutschen Ursprungs. Selbst wenn man die angehängten deutschen Strophen für teilweise sekundär gegenüber den lateinischen Liedern erklärt, stammt doch offenbar der ganze Typus aus einer lateinisch-deutschen gemischtsprachigen Kultursituation. Die wenigen Texte, die nicht Unica sind, haben Parallelüberlieferung nur aus Deutschland oder Skandinavien (CB 132, 142, 146, 178, ebenso die Versus CB 133, 134, 154). Lediglich CB 159 dürfte westlichen Ursprungs sein, beweist aber als Wiederholung von CB 85 Quellenkombination. Im Gegensatz zu dieser Partie zeigt der Rest der Liedersammlung eine Fülle von Texten, die durch Parallelüberlieferung, durch französische Sprachbrocken oder durch Formparallelen19 mit Westeuropa, besonders mit Frankreich verbunden sind. Lieder deutscher Herkunft fehlen da gewiß nicht, aber sie stehen nicht in Blöcken beisammen. Die wenigen verstreuten Lieder mit angehängten deutschen Strophen wird man wohl derselben Quelle oder demselben Quellbereich zuschreiben dürfen wie die Lieder von Gruppe 19 bis 23. Die Sammler konnten einen Kreuzzugsaufruf oder ein Schlemmer- und Spielerlied selbstverständlich an die ihnen thematisch zukommenden Plätze stellen, und auch CB 112–115 mögen sie wegen einiger Klagemotive bei den Liebesklagen eingereiht haben. Bei der großen Menge der Lieder aus jener ›deutschen‹ Quelle aber scheinen die Sammler sich auf eine nur ungefähre interne Ordnung beschränkt zu haben;20 auf eine differenziertere Aufteilung und eine Einfügung in das Konzept der Sammlung haben sie offenbar verzichtet und das Ganze im Block nach den gleichstrophigen Klagen eingeschoben.
Für nachträglichen Einschub der ›deutschen‹ Partie sprechen vor allem Gründe der inhaltlichen Ordnung. Übergeht man nämlich einmal CB 132–186, so zeigen sich Verknüpfungen des Liebesliederteils mit dem ersten und dritten Großabschnitt. Wie sich die Liebes-jubili an politische jubili angeschlossen hatten, so gehen die planctus am Ende in politische und andere Klagen über (CB 122–131) und schlagen Themen an, die am Anfang des dritten Großabschnitts weitergeführt werden: Die Romkritik von CB 131/131a z. B. greift nicht nur Themen von Gruppe 13 wieder auf, sondern leitet auch über zur Rom- und Hofkritik von CB 187 und 189; das Bettellied CB 129 läßt sich mit der Heische des Archipoeta CB 191 und die Klage des gebratenen Schwans CB 130 Š mit den Schlemmer17
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Nur CB 149, 152, 159; variabler Refrain in CB 163, wenn man den Text als Einheit anerkennt. Bischoff (wie Anm. 3), S. 13, rechnet für die Lieder mit deutschen Strophen mit einer einheitlichen Quelle, einem Liederbuch aus Scholarenkreisen. Vgl. besonders Walther Lipphardt, Unbekannte Weisen zu den Carmina Burana, in: Archiv f. Musikwiss. 12 (1955), S. 122–142. Zur Verkettung einer Kleingruppe (CB 179–182) vgl. Sayce (wie Anm. 2), S. 250–252.
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liedern des dritten Teils verbinden. Erst durch den Einschub von CB 132–186 sind diese Klagen thematisch isoliert worden. F a s z i n a t i o n u n d G e f a h r e n v o n We i n u n d S p i e l (CB 187–226). Der dritte Teil der Sammlung wird üblicherweise nach den Trink- und Spielerliedern benannt, gewiß zu Recht. Aber man sollte nicht übersehen, daß die scheinbar schrankenlose Lustverfallenheit vieler Lieder immer wieder durch zur Mäßigung und Vernunft mahnende Versus unterbrochen wird, ja daß nicht selten Darstellung und Preis von Trinken und Spielen selbstironische und satirische Züge tragen. Als moralisch-satirische Sammlung läßt sich der Codex Buranus also auch hier im letzten Teil des Liedercorpus verstehen. Darüber hinaus korrespondiert dieser Teil mit dem Anfang auch noch direkter im Wiederaufgreifen von Hof- und Romkritik (CB 187–190) und Zeit- und Priesterschelte (CB 226), und das sich mehr und mehr vordrängende Thema der Heische (CB 191, 217, 218, 220–225) ist nur die Wendung der avaritia-Kritik ins Persönliche. Die geistlichen Dramen, die sich als letzter Teil des Codex anschließen, führen in eine andere Gattung und in eine andere Gebrauchssphäre, wenn auch die Interessenten dieselben waren. Gliederungsrelevante thematische Verknüpfungen mit den Liederteilen sind nicht zu erkennen. Von hier aus mag es erlaubt sein, noch kurz über den verlorenen Anfang der Handschrift zu spekulieren. Man hat erwogen, daß ein weiterer Großabschnitt mit geistlichen Liedern die Sammlung eröffnet haben könnte. Das ist natürlich möglich, aber die feineren thematischen Verknüpfungen und Strukturen, denen wir nachgegangen sind, lassen nach dieser Richtung zumindest keine offenen Enden erkennen. Die Korrespondenzen der letzten Lieder mit den ersten, die erhalten sind, legen eher die Vermutung nahe, daß die Sammlung abgerundet werden sollte, daß also am Anfang nichts fehlt, was wesentliche Züge unseres Bildes vom thematischen Aufbau der Sammlung in Frage stellen könnte. Unberührt von solchen Aufbauerwägungen bleibt natürlich die Tatsache, daß geistliche Weltsicht immer als Hintergrund und Rahmen der weltlichen Lieder mitzudenken ist.
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Die Beobachtung, daß in den Carmina Burana zwei Sammlungen von lateinischen Liedern ineinandergeschoben worden sind, gibt uns die Möglichkeit, zwei verschiedene Text-Corpora, zwei Repertoires, zu vergleichen und so die mittellateinische Liedtradition historisch Š differenziert in den Blick zu bekommen, ohne in den Weiten einer umfassenden Geschichte der lateinischen Liebesdichtung verlorenzugehen und ohne andererseits in der Problematik zahlloser Einzeltexte steckenzubleiben. Die ursprüngliche wohlgeordnete Sammlung enthält, wann und wie immer sie als Sammlung entstanden sein mag, vorwiegend Lieder des 12. Jahrhunderts, vielfach aus Westeuropa. Die nachträglich eingeschobene Sammlung dagegen ist deutschen Ursprungs und kann erst nach dem Bekanntwerden Walthers von der Vogelweide und Neidharts, also in großer zeitlicher Nähe zur Handschrift selbst, entstanden sein. So dürfen die beiden Textcorpora zugleich als repräsentativ für zwei verschiedene Stadien der mittellateinischen Liedgeschichte gelten. Ich beginne mit der ä l t e r e n S a m m l u n g . Der moralisch-satirische Rahmen legt es nahe, auch nach den moralischen Aspekten des Mittelteils, der Sammlung von Liebesliedern, zu fragen. Das Thema Liebe ist ja in der lateinischen Kleri-
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kerkultur, in der die Kirche mit Nachdruck den Zölibat durchzusetzen versuchte und in der literarisch der breite Strom frauen- und sexualfeindlicher Traditionen dominierte, noch weitaus prekärer als die Versuchungen des Trinkens und Spielens. Die Breite und Freiheit, mit der das Thema in der mittellateinischen Lyrik aufgegriffen worden ist, bleibt vor diesem Hintergrund ein erstaunliches Phänomen, das wohl mit den spezifischen Bedingungen der vorwiegend westeuropäischen Scholarenkultur zusammenhängt. Die Sammler, die selbst wohl unter anderen Lebensbedingungen standen und – ebenso wie die Schreiber des erhaltenen Codex Buranus – eher an einem geistlichen Hof zu suchen sind, haben von dieser Freiheit kaum Abstriche gemacht; nur kleine Indizien einer Distanzhaltung sind wahrzunehmen. Das Gliederungskriterium Sequenzen vs. Strophenlieder zeigt, daß ihr Interesse in hohem Maße den metrisch-musikalischen Formen galt. Und wenn die Beispiele für Liebesfreuden am Anfang, die Liebesklagen am Ende stehen, so kann das auch als Mahnung gemeint sein: mag jeder sehen, wohin es führt, wenn man sich zu weit auf die Liebe einläßt.21 Die wenigen Versus des Liebesliederteils, die nicht nur Š punktuell-philologisch mit mythologischem und naturkundlichem Wissensstoff kommentieren, sondern zum Thema Stellung nehmen, bestätigen diese Haltung der Sammler: Sie handeln davon, daß Schönheit nicht eine Ehre, sondern eine Last ist, unter der ihr Besitzer zuletzt zu leiden hat (CB 104a), daß es notwendig ist maßzuhalten (CB 119a), daß aber der unbesiegbare Amor jeden überwältigt (CB 120a). Non est crimen amor sagt der letzte Versus, der einem Liebeslied zugesellt ist (CB 121a); die Begründung freilich »sonst hätte Gott nicht sogar das Göttliche der Liebe unterworfen« ist wohl eher spielerisch gemeint: der Gedanke einer Analogie von himmlischer und irdischer Liebe findet jedenfalls kein ernsthaftes Echo in der Sammlung. Blicken wir von den Einordnungs- und Relativierungsversuchen der Sammler zurück auf das gesammelte Liedgut selbst. Für die Liederdichter des 12. Jahrhunderts ist Liebe erst recht kein Verbrechen. Liebe ist für sie etwas Natürliches, eine Kraft in der Natur, der auch der Mensch unterworfen ist. Sie ist als solche nichts Böses; aber sie ist als solche auch kein positiver ethischer oder gesellschaftlicher Wert wie vielfach im deutschen Minnesang. Die jubili zeigen noch relativ homogen Natur und Liebesverlangen im Einklang. Bunter wird es in der ersten Gruppe von gleichstrophigen Liedern (CB 74–96): Von harmloser Frühlingstanz-Motivik (CB 81) reicht das Spektrum bis zur raffiniert mythologischen Erzählung von einem Bordellbesuch (CB 76) und zur Beschreibung und Anpreisung verschiedener Liebespraktiken (CB 83, 86, 88). Es finden sich mehrere Pastourellen, ganz dezente und solche, die mit einer letztlich nicht ganz uner21
Ähnliches läßt sich in den Handschriften Michel Beheims feststellen, vgl. Burghart Wachinger, Michel Beheim: Prosabuchquellen – Liedvortrag – Buchüberlieferung, 1979, im vorliegenden Band S. 363–393, hier 371. Was hier sekundäres Ordnungsprinzip ist, findet sich als Produktionsfolge bei Andreas Capellanus und schon bei Ovids ›Ars amatoria‹ – ›Remedia amoris‹ (Hinweis B. Vollmann).
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wünschten Vergewaltigung enden. Die Liebe der clerici wird gegen die der milites ausgespielt (CB 82, 92), die Liebe der Alten gegen die der Jungen (CB 93, 94). Nur zweimal spürt man entschiedene Grenzen: Eine Verteidigung gegen den Vorwurf der Sodomie wertet Homosexualität entrüstet als Verstoß gegen die Venus naturalis (CB 95),22 und eine Priesterlehre wendet sich, in der Š kürzeren Fassung des Codex Buranus besonders deutlich, gegen Hurerei und Konkubinat der Priester (CB 91).23 Als natürliche Kraft und in den Grenzen der Natur ist Liebe auch für die jungen clerici nichts Böses. Wo aber die Gesetze der Natur verletzt werden oder wo mit dem Priesteramt das Übernatürliche des Sakraments seinen Anspruch stellt, kann Liebe zur abscheulichen Sünde werden. Die Gruppe der planctus, der klagenden Liebeslieder, ergänzt das Bild um Schattenseiten der natürlichen Liebe: Klagen über die Qualen der Liebe, über fehlende Gegenliebe, Untreue und Unwürdigkeit der Geliebten, über Trennung, Neider und Verleumder, einmal auch eine Zeitklage Amors über die Verrohung der Sitten in der Liebe und im Sprechen über die Liebe (CB 105). Aber nirgends wird der Liebe ein Sinn beigelegt, der über den eines natürlichen Drangs, einer Leidenschaft hinausginge.24 Am Anfang der planctus-Gruppe stehen einige Klagemonologe und pathetische Erzähllieder nach antiken Liebesgeschichten: die Nöte des Apollonius, der einst widernatürliche Liebe aufgedeckt hatte, und seine schließlichen Freuden (CB 97), und die zerstörenden Liebesverstrickungen der Troja- und Aeneassage (CB 98–102) sind zu mittelalterlichen Liebesexempeln und Mustern pathetischer Darstellungskunst geworden. In ihnen verdichtet sich etwas, was sich auch durch sehr viele andere Liebeslieder zieht: Das Dichten über Liebe lebt zu einem guten Teil aus der beständigen Bezugnahme auf die Antike, auf antike Liebesdichtung, antikes Erzählgut und antike Mythologie, dem Mittelalter vor allem in den Dichtungen Ovids vertraut. Wenn auch die erregende Neuentdeckung des Eros im 22
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Da in der mittellateinischen Dichtung homoerotische Beziehungen auch positiv besungen worden sind, könnte in der Beschränkung auf ein negativ wertendes Lied eine bewußte Grenzziehung der Sammler liegen. Schumann, Carmina Burana (Hilka/Schumann/Bischoff), Kommentarband, S. 45*f., hatte die Priesterlehre (Nachtrag von h2) an dieser Stelle als Fremdkörper empfunden. Als Grenzmarkierung aber scheint sie mir doch in diese Sammlung verschiedener Möglichkeiten des Liebens hineinzupassen. [Dieser Satz ist vielleicht etwas zu apodiktisch formuliert. Marianne Pütz, Hohe Minne in den Carmina Burana, in: ABäG 30 = . . . daz ir dest werder sint . . . Anthonius H. Touber zum 60. Geburtstag (1990), S. 51–60, hat eingewandt, daß es in der Gruppe der jubili und planctus durchaus einzelne Formulierungen gibt, die Gedanken und Motiven des hohen Minnesangs ähnlich sind. Das will ich nicht bestreiten. Wenn man aber die Lieder als ganze betrachtet, dominiert in ihnen doch die natürliche Leidenschaft in anderer Weise als im deutschen Minnesang. Hauptzeugen für Pütz sind die Lieder CB 61 und 107. Für CB 107 verweise ich auf den Kommentar in Carmina Burana (Vollmann), S. 1090. In CB 61 zeigt schon die Formulierung mee legi si dat subvenire, daß ein ganz anderes Verhältnis von Mann und Frau anvisiert ist als im hohen Minnesang.]
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12. Jahrhundert zweifellos von vielen individuellen Erfahrungen getragen war, artikulierbar ist sie nur in einem gewissermaßen zitathaften Sprechen geworden, im Spiel mit der Bildungstradition. Und zugleich hat die neue Thematik von dorther eine zusätzliche Legitimation erhalten. Dabei erwarten einige Dichter bei ihrem Publikum ein erstaunliches Maß von literarischen Kenntnissen, so wenn sie auch auf entlegenere Stoffe anspielen oder mit wörtlichen OvidanklänŠgen raffinierte Effekte erzielen.25 Die ganz unantike Formkunst der rhythmischen gereimten Verse aber und der theologisch-philosophische Bildungshintergrund, der die literarische Bildung umgreift und einschränkt, verleihen diesem Umgang mit der Antike ein hohes Maß von spielerischer Freiheit. Liebe als Naturkraft und Liebe als esoterisches Bildungsthema sind also die wichtigsten Legitimationen einer erstaunlich vielfältigen und offenen Liebesdichtung der clerici, wie sie im älteren Grundbestand des Codex Buranus gesammelt ist. Legitimiert aber wird Liebe immer nur als Lizenz, eine begrenzte Lizenz primär der gebildeten studierenden Jugend, niemals, wie z. T. im volkssprachlichen Minnesang, als ein Sinnkriterium innerweltlichen gesellschaftlichen Daseins. Von ganz anderer Art sind die Liebeslieder der Partien, in denen sich die deutschen Strophen konzentrieren, die L i e d e r d e r j ü n g e r e n , › d e u t s c h e n ‹ Q u e l l e : von CB 135 oder eher schon von CB 132 (dem Neueinsatz nach der Lücke) an bis CB 186, dazu CB 112–115. Es soll hier zunächst nur von den lateinischen Liedern die Rede sein, die deutschen Strophen bedürfen eigener Betrachtung. Der Gegensatz zwischen den Liedern dieser Partie und den ›westeuropäischen‹ Liedern der älteren Sammlung ist selbstverständlich nicht absolut, manches Lied könnte ebensogut hier wie dort eingeordnet sein. Aber das Gesamtbild ist doch deutlich verschieden. Hier dominieren Lieder, die »von Liebe und Frühling, Jugend und Tanz« singen,26 Lieder, die zu einer unproblematischen Unterhaltung vorgetragen oder gar »zu Reigentänzen der clerici gesungen«27 wurden. Häufig werden die consocii zur Mai-, Liebes- und Tanzesfreude aufgefordert. Aber auch wo sich ein Ich über seine Liebe, auch seine Liebesqualen, äußert oder wo ein Mädchen direkt angesprochen wird, bleibt das Lied oft bezogen auf die allgemeine Geselligkeit, Š bleibt in jedem Fall unproblematisch im Rahmen dessen, was jeder in einer geselligen Runde nachempfinden kann. Hier geht es nicht um die erregende Neuentdeckung des Eros, nicht um eine poetische Diskussion über verschiedene Formen der Liebe. Ein begrenztes Inventar von Motiven ist verfügbar und wird anmutig durchgespielt. Wenn von Tod und Ver25
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Vgl. Winfried Offermanns, Die Wirkung Ovids auf die literarische Sprache der lateinischen Liebesdichtung des 11. und 12. Jahrhunderts, Wuppertal/ Kastellaun/ Düsseldorf 1970 (Beihefte zum Mlat. Jb. 4), der allerdings von den Carmina Burana nur einige ältere Stücke einbezieht. Im übrigen ist man noch angewiesen auf Hermann Unger, De Ovidiana in carminibus Buranis quae dicuntur imitatione, Diss. Berlin 1914. Bischoff (wie Anm. 3), S. 7 f. Ebd., S. 13.
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letzung durch Liebe die Rede ist, so klingt das formelhafter und weniger betroffen als in den pathetischen Liedern der anderen Partie. Antikes Erzählgut und antike Mythologie erscheinen seltener und in konventionellerer Beschränkung (Ausnahme: die rätselhafte Clytemnestrastrophe von CB 147). Der Gegensatz von litterati und laici wird nicht diskutiert, sondern vorausgesetzt (CB 138, 162). Zwei Lieder übersteigen den Rahmen der Konventionalität ein wenig, aber in sehr dezenter Weise: In CB 167 II fordert der Sänger ein Mädchen, mit dem er sich früher wegen seines zarten Alters nur geistig verbunden hatte, auf, nun, da es herangewachsen ist, auch die körperliche Vereinigung zuzulassen. CB 178 betont die Freiheit und das Selbstbewußtsein des Mannes in der Liebe, wendet sich gegen devoten Frauendienst und fordert Gegenliebe – bis eine revocatio sich von der dulcedo und elegantia der domina für besiegt erklärt und auf Buße in conclavi hofft. In der nur geistigen Bindung von CB 167 II, vor allem aber in der ganzen Argumentation von CB 178 glaubt man deutschen Minnesang nachklingen zu hören. Sonst aber bleiben die Lieder dieser Partien durchaus im Rahmen der mittellateinischen Tradition; nur wird dieser Rahmen nicht mehr in kühnen Experimenten erst gesucht oder erweitert, sondern er ist vorgegeben und gibt die Sicherheit für bescheidenes Gelingen oder Virtuosität.
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Die Sammler hatten hier keine moralisch bedenkliche Sprengkraft mehr zu fürchten, so wenig moralisch die Lieder, besonders die Pastourellen, auch sein mochten. Ihre Ordnungsbemühungen beschränkten sich im wesentlichen darauf, sprachmischende Lieder und Refrainlieder – ohne große Konsequenz – aufs Ende abzudrängen, die Lieder mit Natureingang zusammenzustellen (von CB 132 bis CB 168 gibt es nur zwei Lieder ohne Naturmotivik, eines davon – CB 155 – ist Nachtrag); ganz an den Anfang rückten sie Lieder, in denen sogar mehr von Natur als von Liebe die Rede ist. Aber die Natur ist hier nicht mehr in gleicher Intensität wie in den älteren Liedern die überwältigende Macht, die den Liebesdrang begründet und rechtfertigt, sondern eher der Anlaß für Tanzgeselligkeit, bei der es dann auch zu Liebesbeziehungen kommt. Es liegt nahe, die hier erreichte Entwicklungsstufe mittellateinischer Liebesdichtung zu vergleichen mit Reduktions- und Formalismustendenzen im deutschen Minnesang derselben Zeit. Aber während für die mittellateinische Liebesliedtradition diese Carmina Burana eine letzte Phase umfangreicherer Produktion zu bezeugen scheinen, lebte der Minnesang noch ein Jahrhundert ungebrochen weiter und wirkte, in anderen Formen und Zusammenhängen, noch darüber hinaus bis zum Ende des Mittelalters.
II. Die deutschen Strophen in der Minnesangtradition
Die deutschen Strophen der Carmina Burana stellen für uns die »früheste schriftliche Sammlung deutscher Liedstrophen« dar.28 Sie repräsentieren eine örtlich 28
Hugo Kuhn, Die Voraussetzungen für die Entstehung der Manesseschen Handschrift und ihre überlieferungsgeschichtliche Bedeutung, in: H. K., Liebe und Gesellschaft, Stuttgart 1980, S. 80–105, Zitat S. 91.
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und zeitlich begrenzte Stufe überliefernder und produktiver Rezeption des Minnesangs, spiegeln als schriftliche Überlieferung wohl einen praktischen Musiziergebrauch, in dem ältere Lieder ebenso wie ganz moderne lebten und neue Lieder oder Strophen aus der Kenntnis der Tradition heraus gedichtet wurden. Insofern scheint mir der Versuch legitim, die deutschen Strophen ungeachtet der genetischen Verschiedenheiten als einheitliches Phänomen zu fassen und in die deutsche Minnesangtradition einzuordnen. Als Minnesangrepertoire einer spezifischen Situation um 1230 betrachtet, ergänzen die deutschen Strophen der Carmina Burana das Bild, das uns die großen Sammlungen von dieser Epoche vermitteln. Wenn man nach den Namen geht, die wir für einige Strophen aus der Parallelüberlieferung erfahren, so war in dieser Situation ein bedeutender Teil der deutschen Minnesangtradition von der Frühzeit bis zu den Zeitgenossen der Sammler präsent. Daß Hartmann und Wolfram fehlen, besagt nicht viel, da diese beiden als Liederdichter auch sonst weniger Echo gefunden zu haben scheinen. Bemerkenswerter ist, daß Friedrich von Hausen und sein Kreis, deren Lieder bei den Zeitgenossen der Š Sammler, bei Otto von Botenlauben, Hiltbolt von Schwangau und Ulrich von Liechtenstein, hörbar nachklingen, hier mit keiner einzigen Strophe vertreten sind. Im übrigen sind die wichtigsten Liedmeister im Blickfeld: Morungen, Reinmar, Walther, Botenlauben, Neidhart, und für den vorhausenschen Minnesang steht Dietmar. Und doch sagen die Namen nicht allzuviel. Von Morungens visionärer Glut, von Reinmars und Walthers programmatischer Reflexion ist nichts eingefangen. Aufgenommen ist von Morungen nur eine der wenigen Äußerungen der Liebesfreude und -zuversicht (CB 150a). Reinmar ist mit peripheren, teilweise sogar von der Forschung für unecht gehaltenen Liedern vertreten (CB 143a, 147a, 166a), und was in zweien dieser Lieder die Folgestrophen dann doch noch an typisch Reinmarschen spannungsreichen Gedankenspielen bringen (MF 177,10ff.; 185,27 ff.), ist durch die Reduktion auf die Anfangsstrophe verlorengegangen. In ähnlicher Weise wird von Walthers Mailied (L. 51,13ff.) die argumentative Verknüpfung von Naturfreude und Liebeswerbung durch die isolierte Zitierung zweier Einzelstrophen zerstört (CB 151a, 169a). Und von Neidharts komplexer Kreuzfahrerbotschaft an die Dorfschöne ist nur ein harmloser Natureingang übriggeblieben (CB 168a). An diesem Punkt muß freilich an eine Unsicherheit erinnert werden. Wir wissen nicht, ob die Reduktion auf eine Strophe wirklich auf praktischen Musiziergebrauch zurückgeht. Ich vermute eher, daß sie erst bei der Verschriftlichung erfolgt ist. Denn die meisten deutschen Strophen, auch solche, die in jener Gebrauchssituation, die ich zu rekonstruieren versuche, erst entstanden sein dürften, sind offensichtlich nur Anfangsstrophen mehrstrophiger Lieder (vgl. besonders die Natureingänge, die nicht als Einzelstrophen vorstellbar sind). Aber auch wenn die Verkürzung der mehrstrophigen Lieder zu Einzelstrophen erst sekundär und nur überlieferungsbedingt sein mag, allein schon die Auswahl von Liedern bekannter Meister spricht dafür, daß auch die hinter der Schriftlichkeit erschließbare Musizierpraxis den thematischen Anspruch des Minnesangs reduziert hatte.
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Die übrigen Strophen bestätigen das Bild. Obwohl die Konzeption der hohen Minne durch Formeln vom senen und dienen, von hoher minne, tugenden und hohem muot präsent ist, fehlt – sicher nicht nur durch die Kürzung auf die Anfangsstrophen – all das, was der Minnesangtradition bis hin zu Neidhart ihr eigentliches Gewicht gibt: die Š Positionsbestimmungen im Suchen nach der rechten Minne, die Zuspitzungen der inneren Konflikte, die Konfrontationen mit religiöser Thematik, kurz: die Auffüllung der höfischen Gebrauchskunst durch »ernsthaftere inhaltliche Rückverbindungen«.29 Versuchen wir noch, die negative Beschreibung durch ein paar positive Beobachtungen zu ergänzen. Unter 46 deutschen Minnelied-Nummern – die sprachmischenden Lieder sind nicht mitgezählt – finden sich zwei Strophen aus Tageliedern und zwei aus pastourellen-ähnlichen Liedern. Das ist rein rechnerisch bedeutend mehr als sonst in der deutschen Minnesangtradition, doch ist bei so kleinen Zahlen Zufall nicht auszuschließen; überdies stehen die großen Liederhandschriften und ihre Vorläufer in dem Verdacht, diese Typen vernachlässigt zu haben: daß Pastourellen bekannt waren, beweist ja u. a. Johannsdorfs Typuskontrafaktur MF 90, 32 ff. Kaum Zufall aber kann es sein, daß unter den 46 Minnelied-Nummern 17 auf die Jahreszeit, meist den Frühling, Bezug nehmen, überwiegend in ausgewachsenen ›Natureingängen‹. Die für unser Bild vom Minnesang zentrale Tradition von Hausen bis Reinmar hatte in ihrer Neigung zur Reflexion den Natureingang bekanntlich fast ganz gemieden. Einzelne Natureingänge gab es im frühen Minnesang und dann bei Walther. Ähnlich hohe Frequenzen wie in den Carmina Burana aber finden sich nur bei Veldeke (12 von 33), also am Rande der deutschen Tradition, und dann erst wieder bei den Zeitgenossen der Sammlung, bei Neidhart und Gottfried von Neifen, die den Jahreszeiteneingang beide, wenn auch mit unterschiedlichem Stilwillen, als fast obligatorisches Gattungselement einsetzen. Die Häufigkeit des Natureingangs in den deutschen Strophen der Carmina Burana wird man darum wohl als zeittypisch verstehen dürfen. Fast noch bezeichnender scheint der starke Akzent auf dem Thema Freude zu sein. Da gibt es zwar auch Strophen, die im Sinne der hohen Minne nur von erhoffter oder von versagter Freude reden oder von der Freude des Minnedienens trotz (noch) versagten Lohnes (CB 136a, 150a, 164a, 165a, 166a, 172a). Aber daneben stehen andere Töne, wie sie in der sonstigen Minnesangtradition bis zu dieser Zeit höchst selten sind: Freude aus Liebesgewißheit (CB 139a, 143a, 147a), uneingeschränkter Frühlingsjubel und Aufforderung zu Freude und Tanz, gerichtet an die Š vrowe (CB 137a, 171a) oder an eine gesellige Allgemeinheit (CB 135a, 138a, 140a, 141a, 144a, 148a, 151a, 161a, 178a, 180a); ja, es kann sich die zuversichtliche Gewißheit artikulieren, daß Frau Venus denen, die ihr gehorchen, Freude macht (CB 170a). Sucht man im übrigen deutschen Minnesang nach Vergleichbarem, so findet man die eine oder andere Parallele im 29
Hugo Kuhn, Determinanten der Minne, ebd. S. 52–59, Zitat S. 55.
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frühen und im noch späteren Minnesang, dominant aber sind solche Motive in den Anfangsstrophen von Neidharts Sommerliedern. Wir wissen nicht, was in den verlorenen Folgestrophen auf diese Jahreszeiteingänge und Freude- und Tanzappelle folgte. Aber die Tatsache, daß CB 168a die Kenntnis eines Neidhartschen Sommerlieds für jenen Kreis bezeugt, sollte doch nicht dazu verleiten, auch zu den übrigen Natureingängen und Tanzaufrufen Folgestrophen vom Anspruch und Spannungsreichtum eines Neidhart-Liedes zu postulieren. Eher könnte ich mir vorstellen, daß inhaltlich anspruchslosere, ›harmlosere‹ Liedtypen dominierten, wie sie als Basis für Neidharts individuelle Prägung seines Typus Sommerlied wohl angesetzt werden müssen.30 Das abweichende Minnesangbild des Codex Buranus kommt also vermutlich nicht nur durch Auswahl aus den auch sonst belegten Themen und Typen zustande, sondern auch durch Ausgreifen auf Liedtraditionen, die von der hochliterarisch-klassizistisch interessierten späteren Sammeltradition verschmäht oder zurückgedrängt worden sind. Nur deshalb konnte man die deutschen Strophen der Carmina Burana mit der Frage nach dem Ursprung des Minnesangs verknüpfen. Manche Strophen scheinen ja wirklich den Stempel einer archaischen Primitivität zu tragen. Ob allerdings auch nur ein einziger Text über die Zeit Dietmars von Eist zurückreicht, ist sehr fraglich. Angemessener ist vielleicht die Vorstellung, daß tiefere Schichten des Anspruchs und des Gebrauchs einbezogen wurden. Manchmal glaubt man z. B. einen ganz unmittelbaren Zusammenhang mit Tanzspielen zu spüren (während ja sonst innerhalb und außerhalb der Carmina Burana die Thematisierung des Tanzens noch keineswegs praktischen Tanzgebrauch bedeuten muß): CB 148a, 149 I, 167a. Aufschlußreich scheint mir vor allem CB 148a. Wegen des Motivs vom Venusschuß wird man diesen Text gewiß nicht dem ganz frühen Minnesang oder gar einer volkstümlichen Vorstufe des Minnesangs zuweisen. Aber es handelt sich doch wohl auch nicht, wie meist angenommen wird, um eine stümperhafte ReiŠmerei auf die Melodie von CB 148 (Lied oder Leich?). Stümperarbeit sieht gewöhnlich anders aus, gerade auch in dieser Sammlung. Die ›Primitivität‹ der dreimaligen Wiederholung von Einzelzeilen scheint mir eher primär zu sein und auf direktere Bindung an den Tanzgebrauch zu deuten. Es dürfte sich um den (bereits zersungenen? vgl. die Reimentstellung) Anfang eines deutschen höfischen Reigenliedes handeln, dessen Melodie im lateinischen CB 148 dann austextiert wurde.
Reduktion in der Rezeption der anspruchsvolleren Minnesangtradition, Einbeziehung von weniger anspruchsvollem Liedgut und zeittypische Tendenzen zu einer gewissen Schematisierung der Liedabläufe und zur Betonung des geselligen Charakters von Liebesdichtung sind nur verschiedene Aspekte einer einzigen Situation des Gebrauchs von Minnesang in einem Kreis von lateinischen Liederdichtern um 1220/30. Welches Interesse hatten diese clerici litterati an deutschem Minnesang? 30
[Vgl. jetzt Franz Josef Worstbrock, Verdeckte Schichten und Typen im deutschen Minnesang um 1210–1230, in: Fragen der Liedinterpretation, hg. von Hedda Ragotzky, Gisela Vollmann-Profe, Gerhard Wolf, Stuttgart 2001, S. 75–90, wieder in: F. J. W., Ausgewählte Schriften, Bd. 1, Stuttgart 2004, S. 87–101.]
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III. Das Verhältnis von Deutsch und Latein
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Die deutschen Strophen der Carmina Burana und die mit ihnen verbundenen lateinischen Lieder zeigen im Rahmen ihrer je eigenen Sprach- und Literaturtraditionen durchaus vergleichbare Züge: Reduktion der Liedkunst einer vorausgegangenen Epoche, die den Eros literarisch neu entdeckt und vielfältig problematisiert hatte, auf eine gefällige Gebrauchskunst mit einem schmaleren Themenspektrum, in dem Frühling und Tanz als Anstoß und Hintergrund von Freude und Leid der Liebe besonders beliebt waren. Und doch bleiben lateinische wie deutsche Lieder ihrer eigenen Tradition verhaftet. Warum wurden sie in dieser höchst eigentümlichen Weise zusammengestellt? Welches Interesse hatten die lateinischen Autoren an den deutschen Liedern? Wie hat man sich das Verhältnis von Latein und Deutsch im Vortragsgebrauch vorzustellen? Hans Spanke31 hat die Verbindung von lateinischen Liedern und deutschen Strophen aus einer musikalischen Praxis zu erklären versucht: »Wir dürfen . . . annehmen, daß die . . . deutschen Zusatzstrophen . . . dazu bestimmt waren, einem Auditorium, das der lateinischen Š Sprache nicht mächtig war, Interesse einzuflößen oder eine aktive Teilnahme zu ermöglichen.« Den Ursprung dieser Praxis sieht Spanke bei den Tanzliedern, die für gemeinsame Reigentänze von Klerikern und Laien bestimmt gewesen seien; von da aus sei der Brauch auf andere Lieder, die »vor breiterem, gemischtem Publikum vorgetragen wurden«, übergegangen. Nach der inhaltlichen Einheit der Lieder hat Spanke nicht gefragt, und auf die ästhetischen Implikationen des Sprachwechsels ist er nicht eingegangen. Einen Vorstoß in diese Richtung hat jüngst Ulrich Müller32 unternommen. Er stellt die deutschen Strophen in den Zusammenhang von sprachmischender Dichtung und sieht in der hier vorliegenden Verbindung von Latein und Deutsch ein »gelehrtes und geistreiches Spiel von zumindest zweisprachigen Literatur- und Musikkennern«, eine Kombination von Kontrafaktur und Barbarolexis. »Man nahm die Form (d. h. die Melodie) eines möglichst bekannten volkssprachlichen Liedes und kontrafazierte diese mit einem neuen lateinischen Text, und zwar so, daß eine Strophe der kontrafazierten Vorlage . . . den inhaltlich sinnvollen Abschluß bildet, entweder im ursprünglichen thematischen Kontext oder in einem neuen thematischen Kontext (also mit parodistischem Effekt)«. Überzeugend scheint mir in diesem Versuch der Gedanke, daß Identität der Form und Gegensätzlichkeit der Sprachen auf ihre ästhetische Relevanz im Vortrag geprüft werden müssen. Für problematisch aber halte ich Müllers Meinung, die Lieder seien in der Strophenfolge der Handschrift so vorgetragen worden, daß die deutsche Strophe zitathaft als Abschluß eines lateinischen Liedes gesungen wurde. Zur Begründung seiner Auffassung beschränkt sich Müller – vor allem bei den hier interessierenden Liebesliedern – im wesentlichen darauf, die Möglichkeit eines inhaltli31 32
Spanke (wie Anm. 2), S. 246f. Müller (wie Anm. 2), Zitate: Mehrsprachigkeit, S. 103.
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chen Zusammenhangs aufzuzeigen. Dazu schlägt er vor, die Lieder in einer »Ersatzprobe« so zu lesen, als seien sie in einer Sprache abgefaßt; der innere Zusammenhang sei dann nicht lockerer als bei vielen anderen Liebesliedern der damaligen Zeit. Die Funktion des Sprachwechsels wird aber so gerade nicht erklärt. Wenn lateinisches Lied und deutsche Strophe in der Reihenfolge der Handschrift zusammenhängend vorgetragen worden wären, dürfte man dann nicht erwarten, daß der Sprachwechsel einen Teil des Vortragseffekts ausmachte, daß, wie bei fast allen anderen Fällen literarisch pointierter Zweisprachigkeit, die Š ich aus dem deutschen Mittelalter kenne, mit den gegensätzlichen kulturellen Implikationen der beiden Sprachen gespielt wird?33
Nun könnten sich bei einer solchen Aufführungsweise für einige wenige Lieder in der Tat reizvolle Liedabläufe ergeben, in denen der Sprachwechsel seinen Sinn hätte: In CB 137/137a geht die Thematik – Frühling und Tanzaufruf – bruchlos von den zwei lateinischen in die deutsche Strophe weiter. Zusätzlich bringt die deutsche Strophe nur die Wendung von der allgemeinen Aufforderung zur Anrede einer einzelnen Tanz- und Liebespartnerin. Diese ist an sich typisch. Der Sprachwechsel könnte aber hier soziale Implikationen dieser Tanz- und Liebessituation spielerisch bewußtmachen: da das Mädchen kein Latein versteht, wird sie quasi realistisch in der Volkssprache angeredet; damit aber wird nachträglich auch akzentuiert, daß das Sänger-Ich, das da lateinisch begonnen hatte, sich normalerweise in einer anderen kulturellen Sphäre bewegt; nur im Liebeswerben läßt es sich notgedrungen zur Volkssprache herab, deren höfische Devotion (vrowe min) durch diesen Kontext ironisch gebrochen zu sein scheint. In CB 164 steigert sich ein Liebeskranker wünschend und phantasierend in eine freche Sexualgrammatik hinein. Die deutsche Strophe CB 164a artikuliert Liebessehnen und -hoffen in zarteren Minnesangtönen. Sollte sie die Kühnheit für ein empfindsameres Publikum abfangen? Oder sollte sie jenen Zuhörern, die wegen mangelhafter Lateinkenntnis vom Anfang nur die allgemeine Thematik mitbekommen hatten, also vielleicht vor allem den Damen, eine dezentere Interpretation nahelegen? In dieser Weise könnte man vielleicht noch für das eine oder andere Lied sinnvolle Abläufe vermuten. Für den größten Teil aber bliebe bei zusammenhängendem Vortrag der Sprachwechsel funktionslos und der inhaltliche Zusammenhang dürftig. Man könnte zwar darauf verweisen, daß in mittelalterlichen Liedern nicht selten die letzte Strophe einen gewissen Bruch bringt, ja manchmal fast wie eine Zugabe wirkt.34 Aber Š die mir bekannten Fälle sind doch nur von 33
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Vgl. Burghart Wachinger, Sprachmischung bei Oswald von Wolkenstein, 1977, im vorliegenden Band S. 259–277, bes. 270–273. Es wäre an das Geleit in romanischer Liedkunst zu erinnern, im Deutschen vor allem an die Heischestrophen bei Neidhart, vielleicht auch an den Rollen- und Perspektivenwechsel der Trutzstrophen in der Neidhartüberlieferung. Im deutschen Minnesang sind solche Brüche meist weniger scharf, aber sie kommen doch auch vor; man denke nur an den sumer von Triere in Hausens Kreuzzugsabschiedslied (MF 47, 9ff.), an die scherzhafte Kußraubstrophe in Reinmars pathetischem Lied Ich wirbe umbe allez (MF
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ferne vergleichbar, könnten allenfalls die Möglichkeit eines solchen Vortragsgebrauchs, kaum die Wahrscheinlichkeit stützen. Nun scheint es mir keineswegs die nächstliegende Annahme zu sein, daß die Schreibpraxis der Handschrift ungebrochen den Vortragsgebrauch spiegelt. Die Aufzeichnungsweise ist vielleicht erklärbar als eine Art Kreuzung zwischen der aus vielen Liederhandschriften bekannten Praxis, Lieder gleichen Tons zusammenzurücken, und einer bloßen Tonangabe, die hier ausnahmsweise an der Stelle einer Subscriptio stünde. Für eine Interpretation der ästhetischen Vorgänge bei einem sinnvollen Vortrag der hier behandelten Lieder scheint mir jedenfalls das Prinzip Kontrafaktur für sich allein die größte Erklärungskraft zu besitzen. Erst in zweiter Linie würde auch ich an ein mehr oder weniger bewußtes Spiel mit dem Sprachgegensatz denken; dieses aber würde ich nicht als syntagmatischen Bruch verstehen, sondern als durchlaufenden konnotativen Bezug, wie er in Kontrafakturen ja auch sonst vorkommt. Der Terminus Kontrafaktur wird in der Forschung verschieden gebraucht. Für den Großteil der in Frage stehenden Carmina kann er wohl nur in seiner allgemeinsten Bedeutung verwendet werden: Übernahme eines Tons, d. h. eines Strophenschemas samt Melodie, wobei bewußte formale Variation durchaus vorkommt. Bei einigen Liedern aber trifft auch die engere Bedeutung zu: formale Nachahmung mit Textbezug zum Vorbild; und für die engste Bedeutung einer formalen Nachahmung, bei der Wort- und Motivmaterial des weltlichen Vorbilds auf eine geistliche Bedeutung hin umgestaltet werden (nach einer spätmittelalterlichen Formulierung contrafact uff einen geistlichen sinn35), gibt es immerhin ein Beispiel in den Carmina Burana. 301
Dieser eine Fall ist ein lateinischer Kreuzzugsaufruf auf den Ton eines Tagelieds Ottos von Botenlauben (CB 48).36 Dessen Refrain stant uˆf, ritter! wird geistlich gewendet ex-
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159,1ff., Hss. A und E) und an die Minnestrophe in Walthers Preislied (L. 56,14 ff.). Die »Vagantenstrophen mit Auctoritas«, auf die Franco Munari bei Müller, Mehrsprachigkeit (wie Anm. 2), S. 104, verweist, sind nur bedingt vergleichbar, weil in ihnen der Formbruch durch Wiederholung innerhalb des Lieds zur formalen Regel erhoben wird. [Vgl. jetzt Nicola Zotz, Die Schlußstrophe im mittelalterlichen deutschen Liebeslied, in: Deutsche Liebeslyrik im 15. und 16. Jahrhundert, hg. von Gert Hübner, Amsterdam/ New York 2005 (Chloe 37), S. 147–168.] In der Pfullinger Liederhandschrift, 178r vgl. WK, S. 643, und Volker Kalisch in: Württ. Blätter für Kirchenmusik 49 (1982), S. 18. Zur Kontrafakturdiskussion s. vor allem Michael Curschmann, Typen inhaltsbezogener formaler Nachbildung eines spätmittelalterlichen Liedes im 15. und 16. Jahrhundert, in: Werk – Typ – Situation (Fs. Hugo Kuhn), hg. von Ingeborg Glier u. a., Stuttgart 1969, S. 305–325. Vgl. auch Gisela Kornrumpf und Burghart Wachinger, Alment. Formentlehnung und Tönegebrauch in der mhd. Spruchdichtung, in: Deutsche Literatur im Mittelalter. Kontakte und Perspektiven. Hugo Kuhn zum Gedenken, hg. von Christoph Cormeau, Stuttgart 1979, S. 356–411 [wieder in: Gisela Kornrumpf, Vom Codex Manesse zur Kolmarer Liederhandschrift, Bd. I, Tübingen 2008 (MTU 133), S. 117–168]. Vgl. Bruce A. Beatie, Carmina Burana 48–48a: A case of »irregular contrafacture«, in: MLN 80 (1965), S. 470–478.
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surgat Deus (in der letzten Strophe dann aufgegriffen: Exsurrexit! et nos assurgere . . . tenemur). Wer das Tagelied kannte – und der Autor rechnete mit solchen Hörern –, mußte es während des ganzen Liedvortrags mitdenken und so das neue Lied als aufrüttelnde Gegenposition zu Schlaf und Minne (Minnesang) empfinden. Würde, wie Müller meint, dann im Anschluß an das lateinische Lied noch die deutsche Tageliedstrophe vorgetragen, so wäre die aufrüttelnde Wirkung durch eine Aufwertung der Minnebindung relativiert und gebrochen. Müllers Parallelen scheinen mir dazu keine wirklichen Entsprechungen zu bieten.37 Mit weniger expliziten Bezügen und mit weltlich-komischer Zielsetzung verläuft das Spiel mit dem Vorbild bei CB 203, dem Spieler- und Trinkerlied in der Eckenliedstrophe. Das beliebte Heldenepos ist durch den Ton von Anfang an präsent. Vor allem die erste Strophe bezieht aus der Folie der Eckenlied-Handlung komische Reize; man beachte unter diesem Aspekt die Stichwörter concurrunt, concalescunt, vielleicht auch trepidant (vgl. Dietrichs berühmt-typische Angstphase), vor allem aber den auf Eckes glänzende Rüstung beziehbaren Satz qui vestitus venerat, nudus reperitur. Die dritte Strophe greift diese Motive wieder auf, evoziert aber nun eher eine biblisch-religiöse Vergleichsfolie (Heulen und Zähneklappen). Nach einem solchen Spiel mit Assoziationen, das beim Liedvortrag fortlaufend anderes mitklingen läßt, schiene mir ein Vortrag der deutschen Strophe CB 203a als Fortsetzung keine Steigerung mehr, falls sie überhaupt vom Hörer so, wie Müller vorschlägt,38 verstanden werden könnte.39
Ein Spiel mit Parallelen des Ausdrucks bei inhaltlichen Kontrasten war bei den Liebesliedern nicht möglich, da Modell und Kontrafaktur Š das gleiche Thema behandeln. Parodie und Polemik, wie wir sie etwa aus Walthers Angriff auf Reinmar kennen, scheint bei den Kontrafakturen der Carmina Burana nicht angestrebt zu sein, hätte wohl auch Pointierungen spezifischer Minnepositionen bedingt, wie sie in dieser Sphäre kaum zu erwarten sind. In vielen Fällen benutzte man einfach den Ton, wie ja im Mittelalter immer wieder die Klerikerkunst auf weltlich-volkssprachliche Melodien zurückgegriffen hat. Die Häufung der Melodieentlehnungen in diesem Komplex zeigt allerdings, daß es hier nicht mehr nur um einzelne, besonders beliebte Melodien ging, sondern um eine ganze Gattung, daß nunmehr der Minnesang als Gesamtphänomen im lateinischen Bereich zur Kenntnis genommen und verwertet wurde. Darin liegt eine Anerkennung für eine nicht mehr übersehbare spezifische Kulturleistung der Laien, zunächst auf musikalisch-formalem Gebiet. Die Anerkennung implizierte nicht selten den Versuch eines artistischen Wetteifers, das Bemühen, die Vorbilder formal zu variieren oder – etwa durch Einführung zusätzlicher Reime (z. B. CB 113, 143, 151, 173) – zu übertrumpfen. Man empfand es offenbar als besonderen Reiz, daß man ungefähr dasselbe wie im Minnesang in denselben musikalischen Formen und mit ähnlichen Topoi auch auf lateinisch dichten konnte und daß dann doch etwas ganz anderes herauskam. Man griff einzelne Motive des deutschen Modell-Liedes auf, selten in fast übersetzender Genauigkeit (CB 152, 37 38 39
Müller, Mehrsprachigkeit (wie Anm. 2), S. 100. Ebd., S. 96 f. [Vgl. jetzt Jens Haustein, Dietrich, Ecke und der Würfelspieler. Zu ›Carmina Burana‹ Nr. 203 und 203a, in: Ja muz ich sunder riuwe sin. Fs. für Karl Stackmann, Göttingen 1990, S. 97–106.]
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Für die Priorität des lateinischen Lieds sprechen sich aus Schumann (wie Anm. 2), S. 135 (wörtliche Anklänge zwischen 153a und 162a) und Sayce (wie Anm. 2), S. 262 (im deutschen Minnesang sonst kaum belegte Bauform [Strophenlai]). Das eine Argument hat wegen der Formelhaftigkeit der Anklänge, das andere wegen der überlieferungsgeschichtlichen Sonderstellung der Carmina Burana keine Beweiskraft. Allerdings läßt sich die entgegengesetzte Meinung ebenfalls nicht beweisen. Für die Erkenntnis der charakteristischen Unterschiede zwischen beiden Sprach- und Denktraditionen ist die Frage der Priorität jedoch letztlich nicht entscheidend.
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Das lateinische Lied hat nicht nur den Ton übernommen, sondern auch fast alle Leitwörter und Motive der deutschen Strophe aufgegriffen: undertan – prostratus (3, 14), totum me dicavi (4, 8); diene – famulatus (3, 4); sinne sliezen – cor cingitur (2, 9f.); gewalt – dominatus (3, 5); suoze – suavi (4, 7), dulcia (4, 9); niezen – gustavi (4, 11); schiezen – pharetratus (3, 2), sauciatus (3, 8), saucius (4, 2); uz dime gebot ich nimmer chume – fidem . . . numquam violavi (4, 5f.).
Dennoch haben beide Texte wenig mehr als den Ton und das Thema Liebe gemeinsam, denn die Motive sind charakteristisch verwandelt und in andere Zusammenhänge gestellt. I
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Tempus transit gelidum, mundus renovatur, verque redit floridum, forma rebus datur. avis modulatur, modulans letatur ........ ........ lucidior et lenior aer iam serenatur; iam florea, iam frondea silva comis densatur. Ludunt super gramina virgines decore, quarum nova carmina dulci sonant ore. annuunt favore volucres canore, favet et odore tellus picta flore. cor igitur et cingitur et tangitur amore, virginibus et avibus strepentibus sonore.
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III Tendit modo retia
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puer pharetratus; cui deorum curia prebet famulatus, cuius dominatus nimium est latus, per hunc triumphatus sum et sauciatus: pugnaveram et fueram in primis reluctatus, sed iterum per puerum sum Veneri prostratus.
IV Unam, huius vulnere
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saucius, amavi, quam sub firmo federe michi copulavi. fidem, quam iuravi, numquam violavi; rei tam suavi totum me dicavi. quam dulcia sunt basia puelle! iam gustavi: nec cinnamum et balsamum esset tam dulce favi!
Weggelassen ist der Gedanke des Dienstes um Minnelohn (des la mich geniezen). Die Metaphorik von Herrschaft, Gewalt und Dienst bezieht sich nicht mehr auf die vrowe, sondern auf Amor und Venus: Sie sind es, die mit der erwachenden Frühlingsnatur den Liebesdrang wecken, gegen den sich der Dichter erst sträubt. Aber nachdem er der Naturkraft unterlegen ist, braucht er nur ein altes Liebesbündnis (fedus, fides) mit einem Mädchen zu erneuern (iterum), das er im vorigen Jahr bereits genossen hat. Die übrige Frauenwelt ist im lateinischen Lied in Gestalt der spielenden und singenden virgines Teil der Natur, die zur Liebe drängt; im deutschen Lied ist sie eine potentielle Gefahr für die Liebe: ›ich Š bleibe dir untertan, auch wenn alle Frauen mich von dir abbringen wollten.‹ Es wäre nötig, mehrere verschiedenartige Beispiele ähnlich ausführlich zu besprechen, um ohne vorschnelle Generalisierungen den charakteristischen Unterschied der ›Klangfarbe‹ zu beschreiben, der Art und Weise, wie in der einen und der anderen Sprache von Liebe geredet und gesungen wird. Ich kann nur noch einige Tendenzen andeuten. Nirgends gibt es in den lateinischen Carmina hohe Minne, selbst dort nicht, wo einmal ausnahmsweise von einem servitium gegenüber der Geliebten die Rede ist. Die hohe Minne als dienendes Werben um eine Frau, von der man nicht weiß, ob sie einen je erhören wird, als ein Werben, in dem dennoch geradezu der Sinn des Lebens gesucht werden kann, diese hohe
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Minne ist eine Vorstellung, die offenbar an die volkssprachliche Laienadelskultur gebunden war. Freilich steht auch von den deutschen Strophen der Carmina Burana nur ein Teil im Banne dieser Konzeption. Als ein umfassenderes Merkmal volkssprachlicher Liebesdichtung, das sie von der lateinischen Welt trennt, möchte ich das Paradox ansehen, daß Liebe zugleich als gesellschaftlich gefährdet und als höchster innerweltlicher und damit auch gesellschaftlicher Wert gilt. Dieses Paradox ist im Konzept des fin amor oder der hohen Minne impliziert, wenn auch die Reduktionsstufe der Carmina Burana keine Entfaltung mehr aufkommen läßt. Man könnte es aber auch bei Neidhart finden und in nicht wenigen Strophen, die vor oder unterhalb der Einflußsphäre des romanisierenden Minnesangs liegen: So etwa in der bekannten, vielleicht relativ alten Strophe CB 175a von der taugen minne, der heimlichen, also gesellschaftsabgewandten Liebe, die doch von der Gesellschaft als guot geschützt werden sollte. Es steht hinter der Tageliedstrophe CB 183a, die es als tugentlich bezeichnet, wenn einer unter dem Schutz eines Freundes die heimliche Liebesnacht wagt, während das lateinische Pendant CB 183 nur problemlos die felix coniunctio preist. Ja, man mag dieses Paradox auch hinter Strophen wie CB 144a oder 172a erahnen, die im Stil des frühen Minnesangs die Spannung zwischen Stolz und Scham, zwischen dem Drang, öffentlich über die Liebe zu reden, und der Notwendigkeit, verschwiegen zu sein, nicht thematisieren, aber in ihrer Sprechweise vorführen. Den lateinischen Liedern der Carmina Burana fehlt dieses Paradox völlig, und ich sehe auch nicht, daß irgendwo sonst in der Tradition lateinischer LieŠbesdichtung seit der Antike die Liebe so sehr zum gesellschaftlichen Sinnkriterium gemacht worden wäre wie vielfach in den volkssprachlichen Literaturen des Mittelalters. Andererseits sind so überragende Erscheinungen der europäischen Liebesdichtung wie Dante und Petrarca nur vor dem Hintergrund dieser spezifisch laikal-volkssprachlichen Liebesproblematik voll zu würdigen. Diese weiten Perspektiven lassen sich, so meine ich, durchaus zu Recht mit unserem bescheidenen Gegenstand verbinden; denn dieser Grundgegensatz schlägt auch noch auf der Reduktionsstufe lateinischer wie volkssprachlicher Liedkunst, die in diesem Teil der Carmina Burana vorliegt, weitgehend durch. Weitgehend, aber nicht mehr voll. Wollte man eine Formel finden, die ausnahmslos alle deutschen Strophen erfaßt, auch die Tanzaufrufe und die Natureingänge (deren Fortsetzung wir freilich nicht kennen), so müßte sie so weit gefaßt sein, daß sie kein distinktives Merkmal der Liebesauffassung gegenüber den lateinischen Liedern mehr enthielte. Die umfassendsten Unterschiede liegen nicht mehr im Inhalt, sondern nur noch in der Sprache selbst. Und ich möchte vermuten, daß den Zeitgenossen diese Unterschiede eher bewußt geworden sind als die Differenzen der in der Dichtersprache mittransportierten Liebeskonzeptionen. Die Dichter werden auf die unvergleichliche Eleganz und Geschmeidigkeit ihrer lateinischen Dichtersprache stolz gewesen sein. Daß sich nach dem zitathaften Sprechen im 12. Jahrhundert mehr und mehr ein poetischer Jargon heraus-
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gebildet hatte, bedeutete für sie gewiß kein Epigonenproblem. Denn das Selbstbewußtsein der Spätlinge beruhte wohl nicht zuletzt auf dem synchronen Gegensatz zur volkssprachlichen Poesie. Und diese war, auch bei und nach Morungen, Reinmar und Walther, noch immer viel spröder, laienhafter als ihr Latein. Als musikalische Kunst und als kontrastierende Sprach- und Stilebene aber haben die lateinischen Dichter den deutschen Minnesang offenbar doch zu schätzen gewußt. So viele Varianten von Liebeskonzeptionen die lateinische und die deutsche Lieddichtung des Mittelalters kannte, es standen sich doch, gemäß den verschiedenen sozialen Bedingungen der beiden Trägerschichten, zunächst zwei Grundmöglichkeiten, von Liebe zu singen, gegenüber: auf der einen Seite wurde Liebe verstanden als eine Lizenz der jungen clerici, gerechtfertigt durch Natur und Bildungstradition; Š auf der anderen Seite war sie das zentrale weltliche Thema der Laienadelskultur, das Thema, bei dem sich auch das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft klären mußte. Eine produktive Begegnung der beiden Traditionen war am ehesten im Rahmen einer inhaltlich anspruchsloseren Gebrauchskunst möglich, wie sie dieser Teil des Codex Buranus überliefert. Die Begegnung zeigt zugleich, daß die beiden Traditionen ihre Geschlossenheit und ihre Bindung an bestimmte Gesellschaftsgruppen zu verlieren begannen. Breitere Verfügbarkeit verschiedener Konzeptionen und Traditionen scheint mir eher ein Zug des Spätmittelalters zu sein. Man könnte daher die Verbindung von lateinischen Liebesliedern mit deutschen Minnesangstrophen in den Carmina Burana als Indiz für die Wende zum Spätmittelalter werten.41
Nachtrag Seit dem ersten Erscheinen dieses Aufsatzes wurde die Forschung zu den Carmina Burana durch die kommentierte Ausgabe von Benedikt Konrad Vollmann auf eine neue Grundlage gestellt.42 Die deutschen Strophen haben auch seither vielfach das Interesse der Forschung gefunden.43 Zu einer grundsätzlichen Re41
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Wesentliche Anregungen zu dieser Arbeit verdanke ich Benedikt Konrad Vollmann und einem gemeinsam mit ihm veranstalteten Seminar. Für klärende Gespräche danke ich ferner Bernhard Bischoff, Michael Curschmann, Walter Haug, Thomas Löhr, Richard Newhauser und den Teilnehmern des Minnesang-Symposions Los Angeles 1981. Carmina Burana (Vollmann). Einzelne Arbeiten habe ich bereits in den Fußnoten nachgetragen; außerdem sind zu nennen: Ulrich Müller, ›Carmina Burana‹ – Carmini Popolari? Zu den mittelalterlichen ›Originalmelodien‹ und den modernen Aufführungsversuchen. Mit zwei Postscripta zu den deutschen Strophen der ›Carmina Burana‹ und zur Melodie der ›Vagantenstrophe‹, in: Fs. für Paul Klopsch, Göppingen 1988 (GAG 492), S. 359–369; Verio Santoro, Plurilinguismo nei ›Carmina Burana‹: L’elemento tedesco, in: Medioevo e Rinascimento IV / n. s. I (1990), S. 103–122; Olive Sayce, Plurilingualism in the Carmina Burana. A study of the linguistic and literary influences on the codex, Göppingen
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vision des Aufsatzes sehe ich keinen Anlaß. Meine zentrale Frage aber, die Frage nach dem Verhältnis von lateinischer und deutscher Liebeslieddichtung, wurde am entschiedensten und förderlichsten weiter verfolgt in zwei Arbeiten von Udo Kühne.44
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1992 (GAG 556), dazu die Rezension von Fidel Rädle in: Zs. f. Dialektologie und Linguistik 63 (1996), S. 310–314; Volker Mertens, Kontrafaktur als intertextuelles Spiel. Aspekte der Adaptation von Troubadour-Melodien im deutschen Minnesang, in: Le Rayonnement des Troubadours, hg. v. Anton Touber, Amsterdam 1998, S. 269–283; Hubert Heinen, German singers, Latin songs: CB 151 and 169, in: New texts, methodologies, and interpretations in medieval German literature, hg. v. Sibylle Jefferis, Göppigen 1999 (GAG 670), S. 1–18; Christa Bertelsmeier-Kierst, Muget ir schouwen, waz dem meien . . . Zur frühen Rezeption von Walthers Liedern, in: Blütezeit. Fs. für L. Peter Johnson, Tübingen 2000, S. 87–99; Johannes Janota, Zum Refrain in den lateinisch-deutschen Liebesliedern des Codex Buranus, in: Vom Mittelalter zur Neuzeit. Fs. für Horst Brunner, Wiesbaden 2000, S. 211–226. Deutsch und Latein als Sprachen der Lyrik in den ›Carmina Burana‹, in: PBB 122 (2000), S. 57–73; ›Liebe‹ als poetologisches Konzept in der mittellateinischen Liebeslyrik, Vortrag 2008, erscheint in den Wolfram-Studien.
Die sogenannten Trutzstrophen zu den Liedern Neidharts Unter der Bezeichnung ›Trutzstrophen‹ pflegt man bekanntlich eine Reihe von Einzelstrophen zusammenzufassen, die sich an einige Lieder Neidharts (meist Winterlieder) angelagert haben und deren Verfasserschaft noch immer ungeklärt ist. Wenn es sich auch nur um etwa ein Dutzend für sich genommen mittelmäßiger Strophen handelt, so glaube ich doch, daß die Frage, wer sie verfaßt hat, erneute Aufmerksamkeit verdient. Sie wird zwar nicht klipp und klar zu beantworten sein, doch lassen sich die Möglichkeiten genauer eingrenzen als bisher. Dabei führt die Diskussion der Verfasserfrage notgedrungen in Probleme der Interpretation und der literarhistorischen Einordnung der Trutzstrophen und damit letztlich auch auf Fragen und Überlegungen zum Verhältnis von Autor, Publikum und Nachwelt an einer der interessantesten Umbruchstellen zwischen der mittelhochdeutschen Klassik und dem späteren Mittelalter.1 Die Trutzstrophen enthalten Antworten auf die Lieder, mit denen zusammen sie überliefert werden, sie sind drohende, spöttische oder scheltende Retourkutschen im gleichen Ton, anknüpfend meist punktuell an eine bestimmte Stelle des betreffenden Lieds. Teils wird Neidhart in der 2. Person angeredet, teils wird in der 3. Person von ihm gesprochen, in beiden Fällen beginnt die Strophe häufig mit Her Nıˆthart. Sprecher der Antwort ist in den meisten, aber nicht in allen Trutzstrophen einer der im Lied dargestellten und verspotteten oder bedrohten Š Dörper. In der Regel besteht die Strophe ausschließlich aus der direkten Antwortrede.2 Nur in zwei Fällen, die ich zumindest als Randerscheinungen des Formen * mittelalterlicher Literatur. Fs. für Siegfried Beyschlag, hg. von Otmar Werner und Bernd Naumann, Göppingen 1970 (GAG 25), S. 99–108. Wieder in: Neidhart, hg. von Horst Brunner, Darmstadt 1986 (Wege der Forschung 556), S. 143–156, danach hier. 1
Die vorliegende Skizze gibt einen Vortrag wieder, den ich im Februar 1970 auf Einladung von Herrn Beyschlag in Erlangen und im März 1970 beim Marburg-Würzburger Kolloquium auf Burg Saaleck gehalten habe. Für Anregung und Kritik danke ich Siegfried Beyschlag, Wolfgang Mohr, den Kolloquiumsteilnehmern und Hans Becker, der das gleiche Thema – voraussichtlich stark abweichend – in seiner Dissertation behandeln wird. [Vgl. jetzt Hans Becker, Die Neidharte. Studien zu Überlieferung, Binnentypisierung und Geschichte der Neidharte der Berliner Handschrift germ. fol. 779 (c), Göppingen 1978 (GAG 255); auf Trutzstrophen geht Becker dort nur noch am Rande ein, z. B. im Zusammenhang mit Fragen der Liederfolge in c.] 2 Trutzstrophen in diesem engeren Sinn sind [in Klammern die Zählung nach SNE; nach dem Gleichheitszeichen die Seiten- und, soweit nötig, die Verszahlen nach Haupt/ Wießner, auf die sich die ältere Literatur bezieht]: Sommerlied 27, VIIIg (I, R 8: c XV) = S. 134; Winterlied 6, Va (I, R 42: R VI, c VI) = S. 149; Winterlied 10, VIa und VIb (I, R 16: R VII, Cb VII, c VI und Cb VIII, c VIII) = S. 157f. und 158, 12ff.; Winterlied
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Typus mitzählen möchte, ist die Antwort durch eine kurze epische Formel eingeführt: sprach jener Ellengoˆz, soˆ sprach Amelrıˆche.3 In seiner bahnbrechenden Neidhart-Ausgabe von 1858 hat Moriz Haupt die Ansicht vertreten, die Trutzstrophen seien von den bäuerlichen Rivalen Neidharts selbst verfaßt: ». . . ich bezweifle nicht, sie sind würklich von bauern, Neidharts beständigen feinden, ausgegangen . . . dass diese strophen verbreitet und allmählich auch in die liederbücher aufgenommen wurden ist nicht zu verwundern. wer bauern nicht zutraute dass sie solche strophen zu dichten vermochten, der verriethe falsche ansicht von der bildung und sprache des volkes in Neidharts zeit und unkenntniss der noch jetzt in den baierischen und österreichischen gebirgen unausgestorbenen wenn auch roher gewordenen volksdichtung . . . auch konnten von den bauern schelter zu hilfe genommen werden . . . ich halte diese bäurischen strophen für einen beweis, nicht dass in Neidharts liedern alles für bare wahrheit zu halten ist, aber dass sie zu gutem theile aus würklichen anlässen hervorgiengen . . .«.4 Die Autorität des großen Philologen Haupt, vielleicht auch eine Vorliebe vieler Germanisten für das Bauerntum, haben dieser Auffassung ein langes Nachleben verschafft,5 obwohl eine solche Deutung der sozialen Situation von Neidharts Dichtung eigentlich schon zu Haupts Zeit überholt war6 und dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Brill und Seemüller endgültig widerlegt worden ist.7 Es steht außer Frage, Š daß die Lieder Neidharts zu seiner Zeit nur am Hofe vorgetragen wurden, daß die wirklichen Bauern der Zeit nichts von der Dörperdichtung wußten und schon gar nicht im Stil der höfischen Dörperdichtung und in Neidharts komplizierten Strophenformen antworten konnten. Das Verhältnis der Lieder Neidharts zur sozialen Realität ist ebenso wie das zum höfischen Minnesang vielfach parodistisch, satirisch gebrochen, und teilweise ist der Streit mit den Dörpern wohl auch symbolisch zu verstehen. Verschiedener Meinung kann man heute wohl nur noch über Art, Ausmaß und Funktion dieser Brechung, dieses indirekten Realitätsbezugs sein.
17, Va (I, R 32: R-Nachtrag I, c VII, z VI) = S. 180; Winterlied 20, IIIa (I, R 47: c V, d V) = S. 184, 1ff.; Winterlied 24, IXa (I, R 2: c XV, s XI) = S. 198; Winterlied 27, VIIb (I, R 6: O IV, c IX) = S. 209, 13 ff.; Winterlied 29, VIIIc und VIIId (I, R 18: c XIII und XIV) = S. 217, 1ff. und 9ff.; Winterlied 34, IXa (I, R 40: d X) = S. 231. 3 Winterlied 11, VIa (I, R 28: d V, c III, 7–12) = S. 159; Winterlied 27, VIIc (I, R 6: O V, c X) = S. 209, 25ff. 4 Haupt in: Haupt/Wießner, S. 213f. (in der Erstauflage S. 134). 5 Bis hin zu Heinrich Wilhelm Bornemann, Neidhart-Probleme, Diss. Hamburg 1937 (!). 6 Vgl. vor allem Rochus von Liliencron, Über Neidharts höfische Dorfpoesie, in: ZfdA 6 (1848), S. 69–117, bes. 99–108. 7 Richard Brill, Die Schule Neidharts. Eine Stiluntersuchung, Berlin 1908 (Palaestra 37), S. 41–43; Joseph Seemüller, Zur Poesie Neidharts, in: Untersuchungen und Quellen zur germanischen und romanischen Philologie, Johann von Kelle dargebracht, Bd. I, Prag 1908 (Prager deutsche Studien 8), S. 325–338.
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Nach dem Ausscheiden der These von der bäuerlichen Verfasserschaft der Trutzstrophen wird man auch die Vorbilder, die diese merkwürdigen Strophen vielleicht verständlicher machen könnten, weniger oder zumindest nicht einseitig im Brauchtum suchen, von dem wir für Neidharts Zeit ohnehin wenig wissen, sondern eher in der mittelalterlichen Literatur. So hat denn schon Brill auf die Verwandtschaft mit den mittellateinischen und mittelhochdeutschen Streitgedichten, den provenzalischen Tenzonen, den literarischen Fehden mittelhochdeutscher Dichter und schließlich dem ›Wartburgkrieg‹ hingewiesen.8 Freilich ist das recht pauschal, denn es handelt sich da um ganz verschiedene Dinge. Ein genauerer Vergleich mit solchen Phänomenen scheint erst möglich zu sein, wenn die Funktion der Trutzstrophen präziser bestimmt ist. Die Frage nach der Funktion der Trutzstrophen ist aber von der nach der Verfasserschaft nicht zu trennen. Wer also waren die Verfasser der Trutzstrophen? Es bleiben noch drei Möglichkeiten: a) Neidhart selbst, b) literarisch interessierte und gewandte Zeitgenossen Neidharts, die wie er am Hofe lebten, c) Nachahmer in späterer Zeit. Alle drei Möglichkeiten sind in der Forschung bereits erwogen worŠden. Die Kriterien, die man versucht hat anzuwenden, sind spärlich und lassen sich z. T. durch Gegenargumente wieder einschränken.
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1. Gegen Neidhart sprechen in einzelnen Fällen unneidhartische Sprachformen oder kleine metrische Unregelmäßigkeiten.9 Jedoch stehen bei Neidhart weder die sprachlichen und metrischen Normen als solche noch der Grad ihrer Verbindlichkeit ganz zweifelsfrei fest. Auch ist zu bedenken, daß es in der mittelhochdeutschen Literatur Fälle gibt, in denen ein Dichter die Rede eines ungebildeten Menschen absichtlich durch Dialektformen oder durch weniger glatte Form zu charakterisieren versucht.10 2. Gegen frühe Entstehung (d. h. gegen Neidhart und seine Zeitgenossen) könnte sprechen, daß die meisten Trutzstrophen weniger breit überliefert sind als die Lieder, zu denen sie gehören, und daß es vor allem die jüngeren Handschriften sind, die Trutzstrophen enthalten.11 Zu beŠdenken ist freilich, daß das auch auf 8 9
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Brill (wie Anm. 7), S. 44. nieht S. 158, 4; houben S. 217, 9; vgl. auch Amelrıˆche (Nominativ) S. 210, 30; dazu die Anmerkungen in Haupt/Wießner. Unregelmäßiger Auftakt durch die Anrede Her Nıˆthart S. 134, 158, 184, 198, 209, 231, vgl. Edmund Wießner, Kommentar zu Neidharts Liedern, Leipzig 1954, S. 69. – Sonstige metrische Unregelmäßigkeiten S. 157f. und 198, vgl. Wießner, ebd. S. 117. Charakterisierung der Dörperrede durch Dialektformen ist fürs Spätmittelalter gesichert, z. B. Sterzinger Spiele nach Aufzeichnungen des Vigil Raber, hg. von Oswald Zingerle, Bd. I, Wien 1886 (Wiener Neudrucke 9), Nr. XI, Vers 88 (vgl. Vers 70) und Nr. XV, Vers 474ff. Problematischer ist die Annahme Carl von Kraus’, daß im höfischen Minnesang gelegentlich Frauenstrophen durch weniger gewandte Form oder Dialektreim charakterisiert seien, zuletzt (mit Hinweis auf die übrigen Stellen) KLD II, S. 523f. Übersicht über die Überlieferung:
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sicher echte Strophen persönlichen oder zeitbedingten Charakters zutrifft.12 Wir wissen, daß manche Sammler Strophen mit persönlichem, polemischem oder sonstwie zeitbedingtem Inhalt unterdrückten.13 Und immerhin enthält auch die frühe und zuverlässige Riedegger Neidharthandschrift schon drei Trutzstrophen. 3. Gegen Neidhart könnte sprechen, daß sich die Trutzstrophen kaum in einen geschlossenen Gedichtablauf integrieren lassen. Aber wieweit wir bei Neidhart – insbesondere in einigen Winterliedern – überhaupt mit Einheit und Geschlossenheit des Liedes rechnen dürfen, ist sehr fraglich. Die Hauptthemen, Natureingang, Minneklage und Dörperszenen, sind oft nur lose verknüpft, und innerhalb des Dörperteils sind plötzliches Umschwenken von Thema und Darstellung, Rückblenden oder Wechsel der als Hauptgegner genannten Dörper nicht selten. Dazu kommen manchmal angehängte persönliche Bittstrophen, den Geleitstrophen der romanischen Lyrik vergleichbar, ja gelegentlich stehen sogar im Liedinnern eingestreute Strophen, deren Thematik eher der Sangspruchdichtung entspricht – Ansätze also zu einer Auflösung der Liedeinheit in einen Zyklus oder in eine Programmfolge von locker verknüpften Einzelstrophen und Strophengruppen, freilich auch kaum mehr als Ansätze.
Sommerlied Winterlied Winterlied Winterlied
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I–VIII: Rc – Trutzstrophe S. 134: c I–VI: Rc – Trutzstrophe S. 149: Rc I–VI: RCbc – Trutzstrophe S. 157f.: RCbc; S. 158,13ff.: Cbc I–III: Rcd – Trutzstrophe S. 159: dc IV, VI, VII: Rd
V: R Winterlied 17 I: RCczA – Trutzstrophe S. 180: Rcz II, III, V: RCcz IV: RCc Winterlied 20 I, III, IV: RACbcd – Trutzstrophe S. 184: cd II: RCbcd V: Rcd Winterlied 24 I–II: RCbcdsA – Trutzstrophe S. 198: cs III–VI: RcdsA VII: RcsA VIII: c IX, X: Rcs Winterlied 27 I, IV, V: RCbOc – Trutzstrophen S. 209: Oc II: RAc III, VI, VII: RCbc Winterlied 29 I–II, IV–VIII: RCc – Trutzstrophen S. 217: c III: Cc Winterlied 34 I–IX: RCd – Trutzstrophe S. 231: d. Zum Beispiel Winterlied 23, XII (I, R 24: c XII, d XII); Winterlied 35, VII (I, R 44: c XIV, C X); Winterlied 36, VI (I, R 46: c VIII). Vgl. Erwin Schneider, Spruchdichtung und Spruchdichter in den Handschriften J und C, in: ZfdPh 66 (1941), S. 16–36, bes. 22.
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4. Gegen Neidhart spricht in vielen Fällen die Anrede her Nıˆthart. Denn Neidhart vermeidet sonst in seinen Liedern diesen Namen und läßt sich nur – und das nur in den bairischen Liedern – den von Riuwental nennen. Aber die Problematik um die Namen Neidharts ist allzu groß, als daß man auf dieses Argument ganz sicher bauen dürfte.14 Bedenklich macht mich nicht so sehr, daß Liliencron und Haupt zwei Sommerlieder gerade deswegen für unecht erklärt haben, weil diese hern Nıˆthart als Autor des reien zitieren;15 die Gefahr des Zirkelschlusses scheint mir nicht gegeben, weil die beiden Lieder auch aus anderen Gründen unecht sein dürften. Wohl aber wäre zu fragen, ob nicht etwa für Trutzstrophen andere Bedingungen gelten, die Neidhart veranlaßt haben könnten, von seiner sonstigen Gewohnheit abzuweichen. 5. Nicht als Argument für spätere Nachahmer lassen sich die wörtlichen und motivlichen Entsprechungen zwischen Trutzstrophe und angegriffenem Lied verwenden.16 Denn solches Aufgreifen gehört zur Technik von Spott und Schelte. Umgekehrt aber spricht für Neidhart oder seine Zeitgenossen, wenn die Trutzstrophe Züge enthält, die nicht aus dem Lied herausgesponnen sein können, die aber eine echte Vertrautheit mit den Hintergründen und Lebensumständen von Neidharts Lieddichtung zu verraten scheinen. Ganz sicher ist dies aber nur bei der Trutzstrophe S.134 zum Sommerlied 27 der Fall: Sie erwähnt mit der Hungersnot der Bauern ein historisches Detail, das den Nachfahren kaum bekannt gewesen sein dürfte und das auch aus dem Wortlaut des angegriffenen Liedes nicht zu erschließen war.17 Aber als einzige Trutzstrophe zu einem Sommerlied, als einzige mit zeitgeschichtlichem HinŠtergrund bleibt diese Strophe ein Sonderfall, der nichts für die übrigen Trutzstrophen beweist. Genug vom Hin und Her der Argumente. Es gibt offenbar kein allgemeingültiges Kriterium. Und es gibt, wie mir scheint, keine pauschale Lösung der Verfasserfrage, keine Lösung, die für alle Trutzstrophen gleich wahrscheinlich wäre. Es bleibt nichts übrig, als in jedem Einzelfall das Für und Wider sorgfältig und unbefangen abzuwägen. Tut man das, so läßt sich, wie ich meine, in den meisten Einzelfällen eine der drei Möglichkeiten der Verfasserschaft mit einiger Bestimmtheit ausschließen, während die Entscheidung zwischen den beiden jeweils übrigen nur durch ein schwer objektivierbares Mehr oder Weniger an Wahr14
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Vgl. zuletzt Theo Schumacher, Riuwental, in: Beiträge zur Namenforschung 11 (1960), S. 91–95; Eckehard Simon, Neidhart von Reuental. Geschichte der Forschung und Bibliographie, Cambridge (M.)/ The Hague 1968, S. 75–77. Vgl. Haupt/Wießner, S. LXXII (Anm. zu L, 25) und S. LXXIV (Anm. zu LII, 28). Vgl. Wießner (wie Anm. 9), S. 69f. – Auch wenn die Parallelen zwischen der Trutzstrophe S. 180 (zu Winterlied 17) und der S. 217, 1ff. (zu Winterlied 29) wirklich beweisen, daß die zweite die erste nachgeahmt hat – vgl. Haupt/Wießner zu beiden Strophen –, könnte der Nachahmer Zeitgenosse oder Nachfahre sein. Vgl. Edmund Wießner, Die Preislieder Neidharts und des Tannhäusers auf Herzog Friedrich II. von Babenberg, in: ZfdA 73 (1936), S. 117–30, bes. 120–124.
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scheinlichkeit getroffen werden kann. Es ist nun aber nicht so, daß immer die gleichen zwei Möglichkeiten in die engere Wahl kämen. Vielmehr ist nach dem Abwägen aller Einzelfälle keine der drei Möglichkeiten gänzlich ausgeschieden, und für jede gibt es Beispiele, bei denen sich die Waage schließlich zu ihren Gunsten neigen dürfte. Wir haben also wohl tatsächlich mit allen drei Möglichkeiten der Verfasserschaft zu rechnen. Ist damit der Versuch, die Trutzstrophen als einen relativ einheitlichen Typus genauer zu verstehen und literarhistorisch einzuordnen, von vornherein zum Scheitern verurteilt? Ich glaube nicht. Vielmehr führt vielleicht gerade die Unsicherheit in der Verfasserfrage auf eine Verständnismöglichkeit. Denn sie bestätigt ja die relative Einheitlichkeit des Typus trotz aller Differenzierung, die eine nähere Untersuchung zeigt. Wenn sowohl der Autor Neidhart selbst wie auch sein zeitgenössisches und späteres Publikum solche relativ ähnlichen Scheltund Spottstrophen gegen Lieder Neidharts verfaßt haben, dann greifen wir in den Trutzstrophen offenbar eine Kunstübung, die Autor, Publikum und Nachahmer verbindet, ein Stück vom Leben der Lieder Neidharts in der literarischen Hofgesellschaft des 13. Jahrhunderts. An einigen Beispielen möchte ich nun versuchen, diese allgemeinen Überlegungen zu konkretisieren und zu überprüfen. Zunächst die Trutzstrophe S.180 zu Winterlied 17. Obwohl diese Strophe in der Riedegger Handschrift erst nachträglich an den Rand geschrieben ist, spricht die Überlieferung insgesamt eher für frühe Entstehung. Die Verwendung des authentischen Rollennamens der von Riuwental statt her Nıˆthart könnte auf Neidhart selbst hinweisen. In Sprache und Inhalt Š finde ich nichts, was seiner Verfasserschaft entgegenstünde. Die komplizierte metrische Form ist vollkommen gemeistert.18 Für sich genommen ist die Strophe etwas matt (nicht matter als manche unbezweifelt echte Strophe), aber sie beginnt am ehesten zu leuchten, wenn man sie als einen von Neidhart verfaßten Anhang zu Winterlied 17 interpretiert – ist das nicht auch ein Argument? Sicherheit ist nicht zu erreichen, aber die Vermutung, daß die Strophe von Neidhart stammt, scheint mir nach all dem nicht zu gewagt.19 Was aber ist dann das Ziel dieser Trutzstrophe? Das Winterlied 17 ist so, wie es in den Ausgaben steht, eines der relativ geschlossenen Winterlieder Neidharts: spannungsreich zwar wie alle, mit Minneklage in Strophe I und II und Dörperthematik in III bis V, mit vorherrschendem Präsens in I bis III und Rückblicken in IV und V; aber doch auch formal zusammengehalten: dem angedeuteten Wintereingang der ersten Zeile (Dise trüeben tage) entspricht der Rückblick auf eine Frühlingssituation in Strophe V (wisemat, anger, bluomen); dem Zweifel am eigenen Gesang, an der eigenen 18
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Genauer: die erschlossene metrische Form ist in den Handschriften nicht stärker entstellt als bei den sicher echten Strophen. Nicht stützen möchte ich mich auf Samuel Singer, Neidhart-Studien, Tübingen 1920, S. 24: Die Identifizierung des keiser Otte mit Otto IV. ist zu unwahrscheinlich, als daß man darauf eine Datierung der Strophe vor 1218 bauen dürfte.
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Kunst, der die ersten Strophen durchzieht, entspricht am Ende die Erinnerung an den ungeniert singenden Dörper, der durch seine wineliedel mehr bei der Angebeteten zu erreichen drohte als Neidhart mit all seiner Kunst. Die Erwähnung von Riuwental in der fünften Strophe wirkt wie eine versteckte Dichtersignatur zum Abschluß. Das Lied scheint nach Strophe V tatsächlich rund und zu Ende zu sein. Der Dichtersänger Neidhart tritt zurück. Die Gesellschaft, die im Lied durch mehrfaches seht zum Mitfühlen aufgerufen worden war und sich besonders an der Beschreibung des eitlen Dörpers delektiert hatte, spendet Beifall. Da tritt – so stelle ich mir das vor – Neidhart noch einmal vor und singt eine sechste Strophe, sozusagen eine Zugabe. Aber jetzt ist er plötzlich nicht mehr der von Riuwental, sondern dessen dörperlicher Gegner jener Durnchart. Durch das Rollenspiel der Trutzstrophe wird nun auch das vorangeŠgangene Lied in die Distanz eines Rollenliedes gerückt. Die neuere Forschung hat Vergleichbares auch sonst schon bei Neidhart festgestellt: Gaier spricht von »Dissoziation des im Liede sprechenden Ich von Neidhart«,20 und Bertau hat an späten Neidhartliedern gezeigt, daß die Diskrepanz zwischen den eigenen Intentionen und den Erwartungen der Gesellschaft, die sich ganz auf die Rolle des Dörperfeindes von Reuental richten, für Neidhart zum Problem wird.21 Die Verselbständigung der Rolle Neidharts, ihre Lösung von der Person des Dichters, wie sie die späten Lieder bezeugen, bleibt hier im spielerisch unproblematischen Ansatz stecken. Zunächst einmal ist die Trutzstrophe einfach ein publikumswirksamer Einfall. Der Rivale, der vorher nur in der Imagination existierte und von dem Neidhart zuletzt nur noch im Präteritum erzählt hatte, ist plötzlich als Rolle gegenwärtig. Er droht zurück unter ausdrücklicher Berufung auf Rechtsgrundsätze, er erklärt wohl nicht nur die Drohung, sondern die ganze klagende Darstellung Neidharts und damit das ganze Lied für tumplıˆchen schal, und er behält das letzte Wort. Eine witzig überraschende Steigerung des Liedes also. Und doch rückt sie die Subjektivität des Lieds, ja die Subjektivität der höfischen Lieddichtung überhaupt, noch einmal in ironische Distanz und relativiert sie als Rolle. Wenigstens ansatzweise kommt es zu einem quasi objektiven Schlagabtausch zwischen Ritter und Bauer und zugleich zwischen rivalisierenden Sängern. Man könnte an objektive Streitgedichte erinnern: Gedichte vom Rangstreit zwischen den Vertretern zweier Stände, wie sie durchs ganze Mittelalter beliebt waren, und Sängerkriege als Gedichte vom Rangstreit zweier Dichter (etwa zur gleichen Zeit entsteht in Mitteldeutschland das Rätselspiel des Wartburgkriegs). Aber man kann nur daran erinnern, um sofort auch den Abstand festzustellen: dort Dialektik als Suche nach verbindlicher Rangordnung, hier höfisches Maskenspiel, das 20
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Ulrich Gaier, Satire. Studien zu Neidhart, Wittenwiler, Brant und zur satirischen Schreibart, Tübingen 1967, S. 20. [Vgl. auch Nachtrag S. 135f.] Karl Bertau, Stil und Klage beim späten Neidhart, in: Der Deutschunterricht 19 (1967), Heft 2, S. 76–97.
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durch Dissonanzen höchstens noch reizvoller wurde – Atmosphäre des Wiener Hofs unter Friedrich dem Streitbaren, eines Hofes, an dem auch der Tannhäuser dichtete und Ulrich von Liechtenstein geschätzt war. Diese Hofgesellschaft nimmt aber nicht nur zuhörend, sondern auch antwortend teil an dem Rollenspiel. Ich kann nur zwei Trutzstrophen kurz besprechen, die ich mir beide von Zeitgenossen am Wiener Hof verfaßt denke. Die erste gehört zu dem Winterlied 24, einer locker gefügten Strophenfolge, in der Neidhart seine Übersiedlung von Bayern an den Wiener Hof erwähnt und begründet. Wie Wolfgang Mohr gezeigt hat,22 stellt er dieses einschneidende Ereignis einmal unverschlüsselt dar (schuldlos habe er die Huld seines Herrn verloren) und einmal verschlüsselt in der üblichen Dörperszenerie (seine dörperlichen Rivalen haben ihn vom Tanz und von der Liebsten weggetrieben). Die Trutzstrophe (S.198) nun nimmt auf beide Erklärungen Bezug: Was den Wechsel des Herrn betrifft, so sei Neidhart wie eine Krähe zum besseren Futterplatz geflogen. Und, auf den Streit mit den Dörpern anspielend: wenn einer dauernd fremden Mädchen nachstelle, obwohl er eine eigene Frau hat, dann werde er wohl zu Recht vertrieben. Wenn der Verfasser dieser Spottstrophe nun sagt, er haˆt uns hie verlaˆzen, so spricht er offenbar als einer aus der alten Heimat, als Bayer; ja, indem er den banalen Inhalt des umstrittenen Beutels ›enthüllt‹, gibt er sich als eingeweihter bayrischer Dörper aus. Selbstverständlich ist das nur eine Rolle. Der Verfasser der Strophe ist weder Dörper noch auch wohl ein Bayer vom Landshuter Hof. Das Bild von Stecken und Saat, mit seiner kleinen Spitze gegen den Landshuter Gönner und seiner kleinen Schmeichelei für die Freigebigkeit Herzog Friedrichs, wird man sich am ehesten am österreichischen Hof entstanden denken. Wenn Neidhart selbst die Strophe verfaßt hat, so treibt er in ihr das Spiel der Verhüllungen durch einen Perspektivenwechsel noch einmal weiter: die komplexe Wirklichkeit seiner Übersiedlung nach Österreich könnte auch noch auf eine dritte Weise poetisch erklärt werden; auch die ›reale Motivierung‹, daß ihn seine Feinde um die Gunst des Landshuter Herzogs gebracht hätten, ist also nur eine angenommene Rolle. Nach Inhalt und Qualität könnte diese Trutzstrophe durchaus von Neidhart stammen. Überlieferung, Namensform und die wohl nicht erst von den Handschriften eingeführten Auftakte scheinen mir jedoch eher für einen Zeitgenossen am österŠreichischen Hof zu sprechen. Dieser verspottet die beiden Erklärungen Neidharts für seine Übersiedlung als vordergründig; in Wirklichkeit habe er nur den freigebigeren Gönner gesucht. Steckt in dem Bild der Krähe vielleicht sogar noch eine besondere Spitze gegen Neidhart als Sänger? Aber indem er Neidhart verspottet, nimmt er doch eine von Neidhart erst geschaffene Rolle an und steigert so letztlich, mitspielend und weiterspielend, den Reiz der Neidhartschen Kunst.
22
Wolfgang Mohr, Die ›vrouwe‹ Walthers von der Vogelweide, in: ZdPh 86 (1967), S. 1–10, bes. 2–4.
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Das zweite Beispiel bezieht sich auf das Winterlied 34, eines der späten Lieder Neidharts. Dort hatte sich Neidhart beklagt, daß ein grober Dörper, ein kneht, seinen Finger in das hærıˆn vingerlıˆn der Minne stecken durfte. Die durchsichtige sexuelle Metapher vom Fingerring aus Haar war für Neidhart ein Bild für die Auflösung der höfischen Welt: Die Minne hat sich einem unwürdigen kneht hingegeben. Damit aber fließen für Neidhart die personifizierte Minne und die zur Symbolfigur erhobene Dorfschöne ineinander. Mit frecher Zuspitzung klagt er: Wenn sie ihr hærıˆn vingerlıˆn doch wenigstens zuerst einem Ritter gegeben hätte, solange es noch neu und schön war, danach wäre es für einen kneht, einen Dörper, immer noch gut genug gewesen. Auf diese Stelle also bezieht sich die Trutzstrophe S.231. Sie setzt ein wie eine Dichterpolemik, wie wir sie aus der mittelhochdeutschen Dichtung, besonders der Sangspruchdichtung, kennen: Her Nithart, eˆ was iuwer sanc gemeine gar: nuˆ welt ir in um die ritter eine haˆn.
Daß diese Zeilen nicht als ernstzunehmende literarhistorische Aussage über Neidharts Entwicklung zu werten sind, hat Wießner mit Recht betont.23 Gemeint ist vielleicht, was wir nur negativ ausdrücken könnten: ausgerechnet der unhöfische Neidhart gibt sich jetzt so betont standesbewußt. Daß die Inszenierung des Unhöfischen bei Neidhart immer auch antidörperlich war, wird dabei unterschlagen. Wird hier Neidhart etwa im Sinne von Walthers niederer Minne mißverstanden? Man darf den Zeilen gewiß nicht zuviel Gewicht geben, sie dienen ja nur als Folie für die Kritik des gegenwärtigen Liedes. Aber daß Neidhart selbst sich auch nur im Scherz so über seine Dichtung geäußert hätte, scheint mir doch ausgeschlossen. Nicht so sicher zu entscheiden ist dagegen, ob der Verfasser Š Zeitgenosse oder Nachfahre war. Aber da die literarische Rolle, in die Neidhart hier gedrängt wird, mit der üblichen Neidhartrolle der späteren Zeit nicht recht zusammenstimmt, da dem Verfasser vielleicht noch – wie schon Neidhart selbst – Walthers Lied vom glesıˆn vingerlıˆn24 gegenwärtig war, möchte ich eher einen Zeitgenossen Neidharts vermuten. Anders als in den meisten Trutzstrophen spricht dieser Verfasser nicht ausdrücklich in der Rolle eines Dörpers aus Neidharts Lied. Immerhin stellt er sich eindeutig auf die Seite der angegriffenen knehte, der Dörper, und wenn er von den tugenthaften knehten spricht, so legt er doch wenigstens nahe, daß er zu ihnen gerechnet werden möchte. Eine zweite ›Rolle‹ ist durch den Gestus literarischer Polemik am Strophenanfang angedeutet. Auch sie bleibt unfixiert und spielerisch. Die Strophe will gar nicht wirklich polemisieren. Wenn sie scheinbar unschuldig naiv sagt, sıˆden unde golt stünden einem Ritter besser an als ein härenes (also wertloses) Ringlein, so ist dies ein scheinheilig-absichtliches Miß23 24
Wießner (wie Anm. 9), S. 214f. Walther von der Vogelweide L. 50,12: und nim dıˆn glesıˆn vingerlıˆn vür einer küneginne golt.
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verständnis, das einen drastischen Reiz des Neidhartliedes noch ein wenig umspielen und auskosten möchte. Die beiden Strophen müssen als Beispiele für solche Trutzstrophen genügen, deren Verfasser ich im Publikum Neidharts vermute: spöttische, spitze, aber doch letztlich nicht ernsthaft polemische Reaktionen aus dem Hofkreis, bald deutlich, bald nur ansatzweise sich einfügend in das von Neidhart begonnene Spiel der Rollen, die höfische Dichterpolemik ummünzend in ein Gesellschaftsspiel. Zum Abschluß noch eine vermutlich später entstandene Trutzstrophe: Im Winterlied 20 beklagt sich Neidhart über den ungebührlichen Griff eines Dörpers an den füdenol der Geliebten. Die Trutzstrophe S.184 kostet das obszöne Motiv noch ein wenig aus: spöttisch tröstet sie Neidhart, daß der Dörper ja auch eine noch intimere Stelle hätte berühren können. In der Rolle eines Freundes – Neidhart hatte wie so oft seine Freunde um Rat gefragt – nimmt der Verfasser spöttischen Abstand, schwenkt aber in den letzten Zeilen in die Haltung des empörten Augenzeugen ein, ja er erzählt ein Detail, von dem Neidhart nichts berichtet hat: jaˆ was sıˆn zıˆt, daz sıˆ die fuˆst soˆ hoˆhe uˆf gein im reit. Dieser Š Satz könnte fast wieder vom Erzähler selbst, d. h. von Neidhart sein. Sowohl die in c wie die in d folgende Strophe, die beide eindeutig von Neidhart gesprochen sind, schließen sich daher so nahtlos an, daß die genaue Grenze der Rolle des spöttischen Trösters nicht mehr festzustellen ist. Ein Zeitgenosse hätte seinen mitspielenden Spott kaum so weit in den Gedichtablauf integriert. Gegen Neidhart aber spricht nicht nur die schmalere Überlieferung und die Anrede her Nıˆthart, sondern auch eine winzige Unstimmigkeit: Während es in einer echten Strophe heißt, das Mädchen hätte dem Frevler seine Strafe verpaßt, wenn sie es rechtzeitig gemerkt hätte (V, 4–6), ist hier von einer tatsächlichen Abwehr- und Strafgebärde die Rede. Der Verfasser ist ohne Zweifel ein späterer Nachahmer, einer derjenigen, die beim Abschreiben und Wiedervortragen die Lieder Neidharts erweitert und verändert haben. Während er das Lied überliefert, nimmt er in einem Teil der sogenannten Trutzstrophe für kurze Zeit ironisch Abstand von der Neidhartrolle, um gleich wieder in sie einzuschwenken. Die besprochenen Beispiele zeigen nicht alle, aber doch die wichtigsten Varianten des Typus Trutzstrophe. Ob dieser Typus von Neidhart selbst erfunden und von einigen geistreichen Köpfen aus seinem Publikum aufgegriffen wurde oder umgekehrt, läßt sich wohl nicht entscheiden. Die Frage ist aber nicht so wichtig, wenn wir die Funktion der Trutzstrophen in der Situation des Liedvortrags sehen: sie zielen auf eine Distanzierung vom Lied in einem Rollenspiel, das von Neidhart eingeführte Rollen (Dörper, Freunde) verselbständigt und gelegentlich auch mit dem Habitus literarischer Polemik oder mit Motiven des Sängerwettstreits operiert, dabei aber den Rahmen des Liedes nicht eigentlich sprengt, sondern die Wirkung des Vortrags noch intensiviert. Den Nachahmern dürfte die Form der Trutzstrophen eine vorgegebene Möglichkeit gewesen sein, Lieder Neidharts zu erweitern und zu umspielen. Diese Möglichkeit scheint es jedoch nur für eine begrenzte Zeit gegeben zu haben.
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Sonst wäre es kaum zu verstehen, daß mit einer einzigen Ausnahme, die auch typologisch einen Sonderfall darstellt,25 Trutzstrophen nur zu echten Liedern erhalten sind. Der punktuelle, spontane, lebendige, aber auch schillernd unverbindliche Charakter dieses Spiels scheint dem späteren Mittelalter nicht mehr angemessen Š gewesen zu sein. Vielleicht hatten sich Vortrag und Publikum der ›Neidharte‹ und Pseudo-Neidharte gewandelt. Jedenfalls hatte sich Neidhart im späteren Mittelalter zur episch-dramatischen Figur verfestigt. Man könnte sich aber denken, daß das Rollenspiel der Trutzstrophen ein wenig dazu beigetragen hat, daß es zu dieser Rollenverfestigung kommen konnte.
Nachtrag Bei diesem Aufsatz, dem ältesten des vorliegenden Bandes, war ich mehrfach in Versuchung, terminologisch zu präzisieren, habe es aber dann doch unterlassen. Während für die im Zentrum stehenden Trutzstrophen die Autorschaftsfrage in angemessener Offenheit diskutiert wird, steht an den Rändern der Argumentation noch manches apodiktische ›echt‹, wo man heute sagen müßte ›altbezeugt und wahrscheinlich vom ursprünglichen Autor Neidhart‹, manches ›spät‹, wo ich heute vielleicht sagen würde ›spät nach der Liederchronologie von Moriz Haupt, die doch nach wie vor bedenkenswert ist‹. Aber solche Relativierungen hätten sich nicht ohne stilistische Ungetüme in den alten Text einfügen lassen. Auch ist die prinzipiell notwendige Unterscheidung zwischen dem Autor und der textinternen Rolle des Riuwentalers zwar angesprochen, aber terminologisch nicht durchgehalten. Gerade bei den Trutzstrophen, die öfter Autor und Rolle zugleich meinen, käme man allerdings in Formulierungsnöte, wenn man da ganz konsequent sein wollte. So mag der Aufsatz in seiner alten Form stehen bleiben. Zum Kern der Überlegungen stehe ich auch heute noch. Mein Versuch, die Trutzstrophen insgesamt aus der Aufführungspraxis zu erklären und den Spielraum für Autorschaftserwägungen generell offen zu halten, im Einzelfall aber einzuengen, ist wohl stärker, als mir seinerzeit bewußt war, angeregt durch Gespräche im Umkreis Hugo Kuhns.26 Unabhängig von meinem Aufsatz hat Karl Bertau für Echtheit zumindest der altüberlieferten Trutzstrophen plädiert.27 Seither wurden bei der Besprechung einzelner Lieder immer wieder auch Trutzstrophen einbezogen. Eine neuere zusammenfassende Untersuchung des Phänomens ist mir jedoch nicht bekannt geworden. Einen teilweise 25
HMS III, S. 293a (SNE II, c 129: VI); vgl. Singer (wie Anm. 19), S. 72.
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Vgl. etwa Hugo Kuhn, Minnesang als Aufführungsform, in: Fs. für Klaus Ziegler, Tübingen 1968, S. 1–12, wieder in: ders., Text und Theorie, Stuttgart 1969, S. 182–190, 364–366. Karl Bertau, Neidharts »Bayrische Lieder« und Wolframs ›Willehalm‹, in: ZfdA 100 (1971), S. 296–324, hier 308–316, wieder in: Neidhart, hg. von Horst Brunner, Darmstadt 1986 (Wege der Forschung 556), S. 157–195, hier 173–183.
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vergleichbaren Fall in der Neidhart-Tradition, bei dem ebenfalls Autorschaftsfragen und Gebrauchssituation auf einander zu beziehen sind, habe ich an anderer Stelle diskutiert.28
28
Burghart Wachinger, Eine bezzerunge Neidharts?, in: »Texte zum Sprechen bringen«. Fs. Paul Sappler, Tübingen 2009, S. 65–80.
Neidhart-Schwänke im Bild Der Liederdichter Neidhart hat sich bekanntlich vorwiegend in zwei Liedtypen inszeniert: in den Sommerliedern als ritterlicher Tanzmeister, der die Dorfmädchen und manchmal auch deren Mütter erotisch fasziniert, und in den Winterliedern als frustrierter Liebender, der sich von den Dörpern, geckenhaft-aggressiven Dorfburschen, bedrängt fühlt. Dieses Neidhart-Bild, das im wesentlichen auf der Riedegger Handschrift beruht, mag nicht ganz vollständig sein, mag nicht alles erfassen, was der historische Autor Neidhart gedichtet hat, aber man darf es nach dem Urteil aller Kenner als den am ehesten authentischen Kern der Überlieferung betrachten. Mit seiner Art zu dichten hatte dieser Ur-Dichter allerdings solchen Erfolg, daß man ihn vielfach nachahmte und variierte, so daß bis heute umstritten ist, was aus der Fülle der Neidhart-Lieder des 13. bis 15. Jahrhunderts dem Meister vom Anfang des 13. Jahrhunderts zuzutrauen ist. Als einigermaßen sicher darf gelten, daß die sogenannten Neidhart-Schwänke, von denen hier die Rede sein soll, nicht zu dem ›echten‹ Kern des Œuvres gehören. Auch diese Schwänke hatten großen Erfolg. Sie wurden in Theaterstücken verarbeitet – Neidhart-Spiele gehören damit zu den frühesten Zeugnissen weltlichen deutschen Theaterspielens –, und es gibt Darstellungen auf Wandbildern in Adelssitzen und Bürgerhäusern. Aus dieser reichen Tradition möchte ich im Folgenden nur weniges herausgreifen. Mein Hauptinteresse richtet sich auf zwei Bilder, eine flüchtige, dilettantische Federzeichnung aus der Zeit um 1365/70 und ein künstlerisch hochstehendes Wandbild aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, und ich frage nach den Texten, die hinter diesen Bildern stehen (II und III).1 In einem Vorauskapitel (I) aber möchte ich an Beispielen aus dem 14. Jahrhundert ein paar gattungstypologische Überlegungen zu den Schwankliedern anstellen.
Einen * ersten Entwurf von Teil III habe ich zum 70. Geburtstag von Paul Sappler vorgetragen. Nun sei der Aufsatz seinem Andenken gewidmet. 1
Angeregt wurde meine Studie durch eine Untersuchung von Stefan Matter, auf die ich mich mehrfach beziehe, der gegenüber ich aber eine andere Deutung der Befunde versuchen möchte: Stefan Matter, Neidhart und die Bienen. Überlegungen zu Text- und Bildtradition des Faßschwankes, in: Literatur und Wandmalerei II. Konventionalität und Konversation. Burgdorfer Colloquium 2001, hg. von Eckart Conrad Lutz, Johanna Thali und Rene´ Wetzel, Tübingen 2005, S. 435–455, dazu Tafel XIII und Abb. 93–100.
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I Wenn ich nach den Texten hinter den Bildern frage, denke ich primär an Lieder, nicht an Spiele. Wie stark und wie vielfältig die Spieltradition war, ist schwer abzuschätzen. Das ›St. Pauler Neidhartspiel‹ aus dem 14. Jahrhundert verarbeitet nur den Veilchenschwank, und ob die gelegentlich bezeugten Neidhardt spil andere Schwankstoffe einbezogen, ist ungewiß. Das ›Große Neidhartspiel‹ aber mit seiner Kombination verschiedener Schwankhandlungen wurde erst ca. 1492/93 aufgezeichnet; es dürfte zwar älter sein, aber niemand weiß, wieviel.2 Jörn Bockmann hat gemäß der Tradition der Forschung 17 Neidhart-Schwänke zusammengestellt.3 Davon sind, wenn man nach den Liedern fragt, der Schwertfeger- und der Säulenschwank, die nur in der Spieltradition vorkommen, abzuziehen. Auszuscheiden ist auch der Schneiderschwank,4 weil Neidhart darin nur als verstorbenes literarisches Vorbild genannt wird. Andererseits wäre der Veilchenschwank doppelt zu zählen, da er in zwei Liedern, die in zwei verschiedenen Strophenformen abgefaßt sind, überliefert ist. So käme man auf 15 Schwanklieder mit 14 verschiedenen Plots. Einer vorläufigen Orientierung mag eine solche Zusammenstellung dienlich sein. Genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß die Grenze gegenüber anderen Liedern der jüngeren Neidhart-Tradition eher willkürlich gezogen ist. Hans Becker setzt denn auch eine weiter gefaßte Gruppe »Erzähllieder dörperlichen Inhalts« an, in der die Schwanklieder nur eine besonders bemerkenswerte Untergruppe darstellen, und zu diesen Schwankliedern rechnet er gegen die Tradition auch SNE II, c 122.5 Es kommt mir hier nicht auf eine genauere Klärung des Begriffs Schwanklied an, sondern ich möchte im Gegenteil betonen, daß es zwischen Schwankliedern und anderen Liedern der Neidhart-Tradition mannigfache Übergangsformen gibt. Im Zusammenhang meiner Fragestellung genügen wenige Stichworte zu einer vorläufigen Charakterisierung der Schwanklieder. Wie die Winterlieder der Riedegger Handschrift sind sie überwiegend in großen Kanzonenstrophen abgefaßt und handeln vom Gegensatz zwischen dem höfischen, aber schwachen Neidhart und den grobianischen Dörpern; im Unterschied zu jenen aber haben sie fast alle Frühjahrseingang. Anders als in den altbezeugten Liedern, die die Konflikte der Dörper untereinander und die Konflikte des Ich mit den Dörpern immer nur in Szenenfetzen aufblitzen lassen, gibt es in den Schwankliedern Ansätze zu mehr 2
Vgl. Eckehard Simon, Die Anfänge des weltlichen deutschen Schauspiels 1370–1530. Untersuchung und Dokumentation, Tübingen 2003 (MTU 124), S. 144–151 und Register s. v. Neidhartspiele. 3 Jörn Bockmann, Translatio Neidhardi. Untersuchungen zur Konstitution der Figurenidentität in der Neidhart-Tradition, Frankfurt a. M. 2001 (Mikrokosmos 61), S. 248f. 4 SNE II, pr 1; verbesserte Ausgabe in meiner Rezension PBB 131 (2009), S. 103–105. 5 Hans Becker, Die Neidharte. Studien zur Überlieferung, Binnentypisierung und Geschichte der Neidharte in der Berliner Handschrift germ. fol. 779 (c), Göppingen 1978 (GAG 255), S. 345–411.
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oder weniger kontinuierlichem Erzählen. Das Weiterspinnen Neidhartscher Muster hat dazu geführt, daß in der Regel auch im Erzählen die Ich-Form beibehalten ist. Die erzähltechnischen Beschränkungen einer Ich-Perspektive haben die Autoren allerdings wenig gekümmert, Übergang in auktoriales Erzählen ist häufig, stört ja auch im Lied, in dem jede Strophe neu ansetzen kann, weniger als in Reimpaaren oder in Prosa. Auch mit der lax gehandhabten Ich-Form hatte man jedoch bei wachsender Distanz zum lyrischen Ausgangscorpus der Neidhart-Lieder offenbar Schwierigkeiten. Im Lauf der Überlieferung dringen mehrfach Er-Formen ein, Zeichen der Distanz der Schriftlichkeit vom lebendigen Liedvortrag, vielleicht auch Ausdruck zunehmender Verfestigung der NeidhartRolle zu einer Schwankfigur. Zwei erst im 15. Jahrhundert bezeugte Lieder sind von vornherein in Er-Form gehalten, die Lieder von den Pfifferlingen und von Neidhart als Braut;6 bezeichnenderweise fehlt beiden auch der ›lyrische‹ Natureingang. Art und Komplexität der Schwankhandlungen sind sehr unterschiedlich. Das möchte ich an drei Schwankliedern illustrieren, vielleicht den drei ältesten. Mit den Listhandlungen der Schwankmären läßt sich am ehesten der Krämer- oder Kraxenschwank vergleichen, der noch vor 1350 entstanden ist.7 Anders als die meisten Schwanklieder setzt dieses Lied mit einem Wintereingang ein und ist in einer Reigenstrophe abgefaßt. Auf die Winterklage folgt eine allgemeine Klage über die Dörper und besonders über Engelmair, und aus dem Wunsch, mehr über ihn singen zu können, entwickelt das Ich einen Plan, der dann, mit Umschlag ins Präteritum, in seiner Ausführung erzählt wird: Neidhart verkleidet sich als Krämer, kommt, während Engelmair abwesend ist, in dessen Haus, entlockt der Frau das strengstens gehütete Geheimnis ihres Mannes, daß er sich nämlich für den Fall eines Streits mit Neidhart ein Wams anfertigen läßt, in das als heimlicher Schutzpanzer Nadeln und Pech eingenäht sind. Engelmair kommt ungestüm nach Hause, wirkt bedrohlich, aber als er erfährt, daß der vermeintliche Krämer aus Wien komme, erkundigt er sich, ob sein Feind Neidhart schon wieder etwas Schändliches über ihn singe. Der verkleidete Neidhart sagt ja, Neidhart singe von einem neuen gepanzerten Wams, das der Engelmair habe. Engelmair ist natürlich entsetzt und läßt sich das Lied vorsingen. Das mir da fuget, das sang ich im, und das ander lies ich stan, sagt der Ich-Erzähler (was dann zu einem mehrfach zitierten Neidhart-Wort geworden ist).8 In einer Fassung des Lieds wird der 6 7
SNE II, s 10 und z 7. SNE II, c 131. Vgl. die Interpretation von Bockmann (wie Anm. 3), S. 292–297. Die
Datierung ins 14. Jahrhundert ist gesichert durch ein Handschriftenfragment, die Entstehung schon vor der Jahrhundertmitte durch ein Zitat, das nur aus diesem Lied stammen kann; vgl. Eckehard Simon, Neidharte und Neidhartianer, in: Neidhart, hg. von Horst Brunner, Darmstadt 1986 (Wege der Forschung 556), S. 196–250, dort 230f. Nicht auf den Krämerschwank bezieht sich ein weiteres Zitat, das Bockmann, S. 245, anführt: der strid van troye meint nicht die troie (Wams) des Engelmair, sondern den Trojanischen Krieg. 8 Vgl. Simon (wie Anm. 7), S. 230f.
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Krämer/Neidhart dafür noch beschenkt, in beiden Fassungen geht er nach dem Abschied schnurstracks zum Fürsten, um ihm ein neues Lied über Engelmair vorzusingen. Samuel Singer hat als Quelle dieses Schwanks ein Märchen vermutet:9 Der Held kommt in die Wohnung eines Riesen (eines Unholds, des Teufels) und erfährt mit der Hilfe von dessen Frau (Großmutter) Geheimnisse, manchmal sogar das Geheimnis von dessen Leben. Das mag richtig sein, Engelmar führt sich ja wirklich wie ein Unhold auf, bis ihn die Neugier packt. Aber es handelt sich nicht um ein Märchen, sondern um einen Schwank mit poetologischer Pointe. Neidhart kommt nicht wie ein Märchenheld gezwungenermaßen, aber vom Glück behütet in die Wohnung seines Hauptfeindes, sondern um neuen Stoff für sein Singen zu finden, und die Listhandlung verschafft ihm, dem physisch Unterlegenen, primär den Lustgewinn, daß er Engelmair durch ein angebliches Neidhart-Lied ärgern kann, und sekundär ein Thema für ein neues Lied, das er textintern dem Fürsten vorträgt und das die Hörer mit dem aktuell vorgetragenen Lied identifizieren können. Anders als der flüssig erzählte Krämerschwank ist der Faßschwank, der schon im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts in der Weingartner Liederhandschrift aufgezeichnet worden ist, kaum eine Erzählung zu nennen.10 Das Lied begrüßt in der ersten Strophe den Mai, fragt dann in der zweiten Strophe fast wie ein altbezeugtes Lied,11 wo denn die jungen Leute bleiben, die bei dem Tanz in Zeiselmauer mitmachen wollen, und beschreibt dann in Strophe III bis VI, immer noch im Präsens, wer da alles kommt, hundert Mädchen und 48 + 3 namentlich aufgeführte gemsinge, aufgeputzte streitlustige Dörper. Erst die letzten drei Strophen fallen ins erzählende Präteritum: Der Ich-Erzähler Neidhart beobachtet, versteckt in einem Faß, wie Engelmar Friederun den Spiegel zerbricht (was in den alten Liedern als Spiegelraub immer nur zitiert, nie dargestellt wird und hier nur in der ältesten Handschrift als Engelmars Tat erscheint, während in den jüngeren Textzeugen Friederuns Spiegel nur irgendwie zu Bruch geht). Der Ich-Erzähler beobachtet also vom Faß aus das Treiben der Dörper, sieht, wie es zum Streit zwischen ihnen kommt und wie Engelmar der linke Fuß abgeschlagen wird; und als einer der Dörper ruft »der Neidhart liegt im Faß«, flieht er schnell. Was in der Nacherzählung immerhin wie eine kontinuierliche Handlungssequenz klingt, ist in den drei Strophen keineswegs so klar:12 9
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Samuel Singer, Neidhart-Studien, Tübingen 1920, S. 73. Vgl. Antti Aarne, Stith Thompson, The types of the folktale, Helsinki 1964 (FFC 184), Nr. 461 und 302. SNE I, B 69–77. Der B-Text in besser durchgearbeiteter Form bei Eberhard Nellmann, Zeizenmuˆre im Nibelungenlied und in der Neidhart-Tradition, in: Fs. für Siegfried Grosse, hg. von Werner Besch u. a., Göppingen 1984 (GAG 423), S. 401–425, hier 417–425. Nach Nellmann dürfte das Lied schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden sein. Vgl. z. B. Winterlied 3 (SNE I, R 27). Ich versuche einen verständlichen und vielleicht ursprungsnahen Text herzustellen auf
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VII (B 76)
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Do lag ich in dem vasse gesmogen nahe bi dem wine. do huop sich ain schimpf, da von ain schedelin geschach. Her Engelmar wart sere betrogen und die genossen sine. oberthalp des maien er Friderun den spiegel brach. Do huop sich ain springen und ain kelzen. i do sach ich zwo nuwe klingen mit vil wähen helzen, von den so wart her Engelmar gericht uf ainen stelzen.
VIII (B 75)
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Wie genuoc ich da gewan, do man mir kom ze staten! häten si mich gewest, ich wäre da langer nicht gespart. Vil gefuoge traib ich von dan. ich sach viere in isen waten, das waren geste, von den da lag manic enger rock zerzart. Engelmares buoße dui blaip stäte. mit dem linken fuoße er wol in ainen löffel träte. es wäre nicht guot, der in der kluoghait überhaben häte.
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Holderswan und Betzeman die wurden sere zerhouwen. darumbe so gäbe ich nicht ain ort, und wurden si alle erslagen. Ich bait nicht mer. do huop her Ber ain schumpfenier vor den vrouwen. ich horte ain13 wort (alrerste do muos ich gar verzagen): 5 Erkenbolt rief oben in der gasse, er sprach: ›so wert mir niemer holt, her Nithart lige im vasse.‹ wie balde ich vloch die törschen gouch, so si harte got gehasse. Da lag ich im Faß, hineingeschmiegt, nahe am Wein. Da begann ein Spaß, aus dem ein kleines Malheur entstand. Herr Engelmar und seine Genossen wurden sehr betrogen.14 Er zerbrach Friederun den Spiegel oberhalb des Frühlingsstraußes. Da begann ein Springen und ein Schreien. Da sah ich zwei neue Klingen in sehr prächtigen Schwertgriffen. Von denen wurde Herr Engelmar auf einen Holzfuß gestellt. Davon hatte ich wirklich genug gekriegt, als man mir zu Hilfe kam.15 Hätten sie gewußt, daß ich da bin, man hätte mich nicht länger leben lassen. Sehr vorsichtig machte ich mich davon.16 Ich sah vier in Eisenpanzern schreiten,17 das waren Gäste; von denen lagen da viele enge Röcke zerfetzt herum. Engelmars Buße
der Basis von B, aber an Stellen, die mir unverständlich sind oder die ich für offensichtlich sekundär halte, auch mit Hilfe der Parallelüberlieferung. Graphie reguliert, metrisches Arrangement und Umstellung der Strophen nach Nellmann (wie Anm. 10). Lesarten: VII, 6 c(fz)] do sah ich von wien erclingen zwoˆ vil wehe helzen B; IX, 4 cfz] dui B, Die Lesart von B bezieht wort auf Bers schumpfenier (B) bzw. schimpfen (cfz). Der Geschehensablauf ist aber plausibler, wenn hier schon Erkenbolts Ruf angekündigt wird, da nur er Neidhart in Angst versetzt. D. h. wohl: Es ging ihnen anders, als sie gedacht hatten. Haben Knechte den Faßwagen aus dem Getümmel gezogen? Vgl. die jüngeren Textfassungen und Abb. 3 und 4. Ist trıˆben hier schon intransitiv gebraucht oder sind die Helfer als Objekt ausgespart? Oder ist waten mit Reim a : aˆ als Plural von waˆt aufzufassen?
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IX
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war von Dauer. Mit seinem linken Fuß könnte er jetzt in einen Löffel steigen. Es wäre schade, wenn ihm jemand dieses Kunststück erspart hätte. Holderschwan und Betzemann wurden übel zugerichtet. Ich gäbe keinen Pfifferling darum, wenn sie alle erschlagen würden. Ich wartete nicht länger. Da fing Herr Bär vor den Frauen Blamables18 an. Ich hörte etwas, da kriegte ich erst richtig Angst: Erkenbolt schrie oben in der Gasse und rief: »Ihr braucht mir nicht mehr gewogen zu sein, wenn nicht Herr Neidhart im Faß liegt.« Wie schnell ich da floh vor den dummen Bastarden, die Gott sehr hassen möge.
Soll man so etwas überhaupt einen Schwank nennen? Wenn man von den Mären oder den Schwanksammlungen des 16. Jahrhunderts herkommt,19 wird man als Schwänke vornehmlich solche Texte bezeichnen, in denen die Handlungsführung, etwa ein listig eingefädelter Streich, Lachen oder Schmunzeln bewirkt, die Komik also auf der syntagmatischen Achse erzeugt wird. Es gibt aber auch einen anderen Typus schwankhaften Erzählens. Die Handlung von ›Meier Betz‹ und ›Metzen Hochzeit‹,20 Bauernhochzeit und Rauferei, ist als solche witzlos, Komik entfalten diese Gedichte vorwiegend paradigmatisch durch die Art der Darstellung. Wenn man die Faß-Episode einen Schwank nennen will, müßte man sie wohl da anschließen. Das Hauptinteresse liegt jedenfalls auf den komisch-burlesken Einzelheiten. Schon die lange, im Präsens gehaltene Aufzählung der Bauern hatte auf ein Vergnügen der Hörer mehr an den Reizen der Namenfülle als am Geschehen gehofft: Eppe und Steppe und Reppe und Leppe, die viere sint gesellen. soˆ kumt Lenk und Schrenk und Wenk und ouch drıˆ junge Krellen.
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In den drei Schlußstrophen, die der Faß-Episode gelten, prägen sich eher Einzelheiten ein, ein zerbrochener Spiegel, zwei prächtige Schwertgriffe, vier gepanzerte Gäste, zerfetzte Kleidungsstücke und vor allem Engelmars Fußverlust. Dieser wird aber nicht erzählt, nur seine Folgen werden im Vorgriff auf viel spätere Zeit witzig anschaulich gemacht: Engelmar kriegt ein Holzbein verpaßt, und dann kann er mit diesem auch noch ein Kunststück ausführen. Die genaueren Umstände der Spiegelgeschichte, des Bauernstreits und der Flucht Neidharts bleiben demgegenüber weitgehend im Dunkeln. Mit solcher Vorliebe für Details bei lockerem Zusammenhang des Ganzen steht das Lied noch stark in der Nachfolge der altbezeugten Winterlieder. Und es zeigt, daß die Grenze zwischen Schwankliedern und anderen Liedern der Neidhart-Tradition keineswegs ganz klar zu ziehen ist.
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In dieser Textfassung bleibt unklar, was Ber vor den Frauen anstellt. Die anderen Textzeugen haben schimpfen, was ›scherzen‹ oder ›spotten‹ bedeuten kann; ich bleibe bei schumpfenier von B, weil ich für möglich halte, daß eine Erinnerung an das Romanwort schumpfentiure ›Niederlage, Unfall‹ vorliegt. Vgl. etwa Hans-Joachim Ziegeler, Schwank2, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 3, 2003, S. 407–410. Der Bauernhochzeitsschwank. Meier Betz und Metzen hochzit, hg. von Edmund Wießner, Tübingen 1956 (ATB 48).
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Als drittes Beispiel darf der Veilchenschwank nicht fehlen. Er wird in zwei Liedern erzählt und ist in allen Spielen und auf den meisten Bildzeugnissen dargestellt.21 Ich halte mich zunächst an das vermutlich ältere der beiden Lieder (A).22 Der Frühjahrs-Natureingang fordert ritter und frawen auf, das erste Veilchen zu suchen, und das Sänger-Ich will (im Präsens) sich selbst auf die Suche machen. Von der zweiten bis vierten Strophe berichtet dann Neidhart als IchErzähler im Präteritum, wie er das erste Veilchen fand und mit seinem Hut bedeckte, um es später der Herzogin zu zeigen; als aber die festliche Hofgesellschaft kam und die Herzogin den Hut aufhob, fand sie nur einen Haufen Kot, den, wie der Erzähler zu wissen glaubt, der Bauer Ungelinke inzwischen hingesetzt hatte. Der Witz dieser ungemein beliebten Geschichte ist bescheiden. Vielleicht hätte man aus einer satirischen Darstellung eines überspannt gezeichneten höfischen Frühjahrskults erzählerische Reize gewinnen können, aber die Geschichte wird nicht aus kritischer Distanz zum Hof erzählt, sondern in der Ich-Perspektive des vom Bauern düpierten höfischen Neidhart. Daß die gekränkte Herzogin ihn vom Hofe verbannt, wie andere Fassungen berichten, ist hier nur in der Klage des Sängers um die schönen Münder, die er verloren hat, impliziert. Mit dieser Klage kommt das Lied, nun wieder im Präsens, zu einem ersten Abschluß. Die keineswegs schwankhafte, sondern witzlos brutale Rache an den Bauern, die spätere Versionen der Veilchenschwanks darstellen, wird in diesem wohl ältesten Lied nicht erzählt, aber in einer fünften, neu ansetzenden Strophe vorausgesetzt. Auf die Klage Neidharts von Strophe IV antwortet in dieser letzten Strophe ein Situationsbild, aus dem man das seither Geschehene erraten muß und das ausklingt in einer Klage von 32 Bauern, die alle ihr linkes Bein verloren haben und das Veilchen verfluchen – ein Schlaglicht nur mit einem Wechsel der Perspektive. Nun hat Michael Curschmann Zweifel geäußert, daß der Veilchenschwank zuerst im Lied dargestellt worden sei. Die Überlieferung beider Lieder setzt erst im frühen 15. Jahrhundert ein, aber Wandbilder von der Geschichte sind schon aus der Zeit um 1330 erhalten, und das ›St. Pauler Neidhartspiel‹ wurde 1367 oder wenig später aufgezeichnet. Curschmann rechnet damit, daß die Textentwicklung um diese Zeit »noch im Fluß war« und »daß der Veilchenschwank zuerst nicht als Lied, sondern als dramatische Inszenierung und über längere Zeit hinweg nur in lockerer Spielpraxis existiert hat«.23 Für eine solche Vermutung 21
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Vgl. Konrad Gusinde, Neidhart mit dem Veilchen, Breslau 1899 (Germanistische Abhandlungen 17); Lutz Röhrich, Erzählungen des späten Mittelalters und ihr Weiterleben in Literatur und Volksdichtung bis zur Gegenwart, Bd. II, Bern/München 1967, S. 353–391, 497–503; Siegfried Neumann, Neidhart mit dem Veilchen, in: Enzyklopädie des Märchens, Bd. 9, 1999, Sp. 1326–1331. SNE II, c 17, zuerst in der Sterzinger Miszellaneen-Handschrift s aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts. Michael Curschmann, Konventionelles aus dem Freiraum zwischen verbaler und visueller Gestaltung, in: Literatur und Wandmalerei II (wie Anm. 1), S. 237–252, hier 248.
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könnte ja auch die auffällige Tatsache sprechen, daß der Veilchenschwank als einziger Schwankstoff in zwei verschiedenen Liedern behandelt wird.24 Aber gerade weil ich geneigt bin, mit unfesten Schwanktraditionen zu rechnen, muß ich betonen, wie präzise Lied A typische Liedmuster realisiert, die bei NeidhartLiedern mit relativ früher Bezeugung öfter zu beobachten sind: Daß im Präteritum erzählte Szenen in einen lyrisch-präsentischen Rahmen eingebettet sind, steht den Liedern der Riedegger Handschrift nahe, wenn auch die Erzählung hier ausführlicher und kontinuierlicher geraten ist als dort üblich. Und die abgesetzte Schlußstrophe, die aus anderer Perspektive spricht, erinnert an die Praxis der Trutzstrophen. Solche Typustreue scheint mir genaue Kenntnis der Machart von Neidhart-Liedern vorauszusetzen, und das heißt: relativ feste Texttraditionen.
II Das Feld zwischen erhaltenen und verlorenen Lied- und Spieltexten und unfesten Spiel-, Tanz- und Erzähltraditionen wird nun erweitert, aber auch beleuchtet durch eine Reihe von Bildzeugnissen. Ich greife aus ihnen nur zwei heraus und beginne mit einer ziemlich roh karikierenden Federzeichnung aus dem Wiener Universitätsmilieu. In einer Handschrift der ›Quaestiones in libros physicorum Aristotelis‹ des Johannes Buridanus war zunächst eine Lücke gelassen worden, vielleicht weil der Schreiber meinte, seine Vorlage sei unvollständig. Später notierte er hic nullus est defectus, hoc scias, lector und füllte den Freiraum mit Zeichnungen aus, rechts oben mit einer Lehrszene, in der Plato auf einer Universitätskanzel die Studenten Socrates, Cicero und Rosarius(?) unterrichtet (Abb. 1), links unten aber quergestellt mit einer Neidhartszene (Abb. 2).25 Die 24
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Das zweite Lied (B) hat eine komplizierte Textgeschichte, die in SNE II, S. 58–69, nur schwer zu überblicken ist. Eine leidlich konsistent erzählende Fassung, die allerdings zwischen Ich- und Erform schwankt, bietet die Sterzinger Handschrift s (die getrennt davon auch Lied A überliefert), vgl. Manfred Zimmermann, Die Sterzinger Miszellaneen-Handschrift. Kommentierte Edition der deutschen Dichtungen, Innsbruck 1980 (Innsbrucker Beitr. zur Kulturwiss. Germanist. Reihe 8), Nr. 24, S. 139–142. Die Handschrift f (Berlin, mgq 764) bietet darüber hinaus – ob primär oder sekundär, will ich nicht entscheiden – als Einleitung zwei Strophen, in denen das Neidhart-Ich berichtet, wie es am Wiener Hof bewirtet und zum Erzählen aufgefordert wurde. Der Druck des ›Neidhart Fuchs‹ (z) schließlich versucht, die Lieder A und B zu integrieren und stellt zu diesem Zweck die Strophenfolge von f um, was zu einem kaum noch interpretierbaren Chaos führt. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 5458, 126r, vgl. Mitteleuropäische Schulen II (ca. 1350–1410), Wien 2002 (Die illuminierten Handschriften und Inkunabeln der Österr. Nationalbibl. 11), Textband, S. 30–33 [Veronika Pirker-Aurenhammer], Tafelband, Abb. 29; Gertrud Blaschitz und Barbara Schedl, Die Ausstattung eines Festsaales im mittelalterlichen Wien, in: Neidhartrezeption in Wort und Bild, hg. von Gertrud Blaschitz, Krems 2000 (Medium aevum quotidianum Sonderbd. 10), S. 84– 111, hier 92f. und Abb. 9.
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Abb. 1
Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 5458, 126r.
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Abb. 2
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Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 5458, 126r (Detail, etwa Originalgröße).
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Handschrift wird aufgrund der Wasserzeichen auf 1365/70 datiert. In der Neidhartszene fassen drei Dörper und eine Frau einander im Tanz an den Händen, o durch Beischriften sind sie von links nach rechts als Gunprecht, Snabelrush, Slumphilt und Engelmar identifiziert. Von ihnen ist Engelmar als Hauptgegner Neidharts bekannt, die beiden anderen Männernamen sind immerhin in der Neidhart-Tradition belegt, ganz untypisch aber ist der Frauenname: Mädchen und Frauen werden zwar z. B. in Wittenwilers ›Ring‹ mit Spottnamen belegt, nicht aber in den Neidhart-Liedern. Engelmars linker Fuß ist abgeschlagen, das Knie auf eine Holzstelze gestützt, unter der ein Löffel liegt – präzise Reminiszenz an eine Formulierung des Faßschwankliedes. Ob man Engelmars Kettenhemd als nach außen kehrende Anspielung auf den geheimen, eingenähten Panzer im Krämerschwank deuten darf, ist höchst fraglich. Aber daß Engelmar einen kleinen Stab mit lilienähnlicher Pflanzenkrönung trägt, muß wohl als Bezug auf den Veilchenraub verstanden werden; den hatte allerdings in den Liedern ein anderer Bauer, in den jüngeren Spielen ein Knecht Engelmars begangen, er ist also hier auf Engelmar übertragen. Besonders merkwürdig aber sind vier Schriftzeilen, die vor und zwischen den Figuren stehen, von den Beinen bis zu den Köpfen reichend, optisch wie Säulen oder Trennlinien wirkend. Da sie in einem anderen Schrifttyp gehalten sind, vermag ich nicht sicher zu sagen, daß auch sie vom Hauptschreiber und Zeichner stammen; ich nehme es aber an, da sie integrale Bestandteile der Bildkomposition sind. Die vier Zeilen lauten: Crura valde pulchra cum dm ¯¯ cellis (?) vor Gumprecht; Domine deus meus in te speravi vor Schnabelruß; Domine deus eripe me de manu inimici vor Schlumphilt; und vor Engelmar, seinen Pflanzenstab nach unten und oben fortsetzend, Domine deus si feci istud. Die drei letzten Sätze sind wörtliche Psalmzitate;26 der erste mag durch biblische Schönheitsrühmungen angeregt sein,27 ist aber kein Zitat. Parodistische Beziehungen auf die Bildinhalte drängen sich auf. Der Satz von den schönen Unterschenkeln steht bei Gumprecht, der mit Federhut, Umhang, Goller, Dolch und spitzen Schuhen besonders herausgeputzt ist und auffallend stattliche Unterschenkel zeigt. Das legt nahe, daß auch das nicht sicher lesbare Wort ein Bildelement meint. Ich gebe die Lesung cum dimicellis zu erwägen; dimicellus wäre eine nicht belegte Wortbildungsvariante von dimiculus ›gladius, pugio, fechtswert‹.28 ›Schöne Schenkel mit Schwertern‹ würde dann wohl nicht nur auf den herausgeputzten und bewaffneten Gumprecht zielen, sondern auf alle Dörper, und der Blick auf Engelmar zeigt sogleich, was mit den Schenkeln und den Schwertern passieren kann. Das wird auch durch die Zeigegesten betont: Gumprecht weist mit dem Finger seiner freien Hand auf seine Beine, Schnabelruß und Schlumphilt deuten auf 26 27
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Ps. 7,2; 30,16 (dort Plural: inimicorum meorum); 7,4. Vgl. Ct. 5,15 Crura illius columnae marmoreae quae fundatae sunt super bases aureas; Est. 1,11 erat enim pulchra valde. Laurentius Diefenbach, Glossarium Latino-Germanicum mediae et infimae Latinitatis, Frankfurt a. M. 1857, Nachdruck Darmstadt 1968.
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Engelmar. Gefährdet sind also alle Dörperbeine. Vielleicht waren ja, wie Cora Dietl vermutet,29 Stelzentänze, bei denen die Tänzer an abgewinkelte Knie Holzbeine gebunden hatten, beliebte Einlagen in den Neidhart spil. Engelmars Ausruf »wenn ich das getan habe« scheint sich auf die Pflanze in seiner Hand zu beziehen, verspätete Einsicht, daß er nun die Folgen des Veilchenraubs zu tragen hat. Die beiden anderen Psalmzitate aber wird man als ängstliche Hilferufe der Dörper verstehen dürfen, die sich vor Neidharts Rache fürchten.Vielleicht darum die Abwandlung des Psalmtexts zum konkreteren Singular: ›aus der Hand des Feindes‹ statt ›aus der Hand meiner Feinde‹. Wenn diese Deutung stimmt, hat sich der Zeichner sehr frei auf die Neidhart-Tradition bezogen. Die Reigenszene als ganze läßt sich nicht auf einen bestimmten Text beziehen, die Anspielung auf den Veilchenschwank stimmt zu keiner der überlieferten Fassungen genau, und Schlumphilt trägt einen unneidhartschen Namen. Ein besonderer Reiz lag für den Zeichner wohl in dem frivolen Zitatenspiel, das nur im lateinisch-gelehrten Kontext möglich war. Mitten in diesem ganz freien Umgang mit Dörpervorstellungen aber findet sich mit dem Löffel unter Engelmars Holzbein eine höchst genaue Textreminiszenz.
III Etwas ausführlicher möchte ich mich mit einem Wandbild aus dem 15. Jahrhundert befassen. Ich setze aber, um die Klärung einer Detailfrage vorzubereiten, nicht gleich bei ihm ein, sondern bei zwei späteren Ausläufern der ikonographischen Tradition. Im 53. Kapitel von Sebastian Brants ›Narrenschiff‹ geht es um Neid und Haß. Das Narrenthema klingt nur am Anfang kurz an: Vindtschafft vnd nyd macht narren vil. Aber dann wird vor allem die weibliche Personifikation der invidia nach Ovid vorgeführt, gefolgt von einer Serie biblischer und antiker Exempelfiguren. Das Böse und das Närrische werden wie öfter im ›Narrenschiff‹ in eins gesehen; närrisch im heutigen Sinn des Wortes ist am ehesten das Selbstzerstörerische des Neides, das von Brant ins Bild des Ätna, der sich nur selbst verbrennen kann, gefaßt ist. Der Holzschnitt zu diesem Kapitel (Abb. 3) stammt vom Hauptmeister des ›Narrenschiff‹-Drucks von 1494, der heute mit Albrecht Dürer gleichgesetzt wird.30 Aus dem Hauptteil des Kapitels hat Dürer nur den brennenden Ätna aufgegriffen und als Feuer auf einem Berg dargestellt. In der Hauptsache aber illustriert er einen Satz aus dem dreizeiligen Motto des Kapitels: Der nythart der ist noch nit dot.31 Brant hat in diesem Satz offensichtlich 29
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Cora Dietl, Tanz und Teufel in der Neidharttradition: ›Neidhart Fuchs‹ und ›Großes Neidhartspiel‹, in: ZfdPh 125 (2006), S. 390–414. Seit Friedrich Winkler, Dürer und die Illustrationen zum Narrenschiff, Berlin 1951 (Forschungen zur deutschen Kunstgeschichte 36). Vgl. Hellmut Rosenfeld, Sebastian Brant und Albrecht Dürer. Zum Verhältnis von Bild
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nythart als eine Personifikation von Haß und Neid verstanden, wie sie ja auch sonst mehrfach bezeugt ist.32 Vermutlich hat er sich in der Formulierung anregen lassen durch ein Reimpaargedicht Peter Schmiehers aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.33 Dieses beginnt: Eyner fragt mich der mär, Ob der Neythart verstorben wär.
Auf diese Eingangsfrage wird zu Beginn knapp geantwortet: Neidhart, der Kurzweilmacher am Fürstenhof, sei zwar tot, aber jetzt und schon seit dem Paradies sei Neidhart (d. h. Neid und Haß) überall; und nur von diesem Neidhart, nur von der Personifikation handelt dann das Gedicht. Brant dürfte also wohl von der Schwankfigur Neidhart gewußt haben, aber im Kontext lag sie ihm fern. Dürer aber hat primär an sie gedacht. Er illustriert nämlich die Faß-Episode. Wie paßt dieses Bild zu Brants Text? Bei Brant ist der nythart böse und damit närrisch. Im Bild aber trägt nicht Neidhart als Personifikation von Haß und Neid die Narrenkappe, sondern die Dörper, die gegen ihn angehen. Närrisch ist also im Bild, anders als vom Text suggeriert, nicht der Neidige, sondern derjenige, der gegen Neid und Haß so angeht, daß er sich selbst schadet. Daß sich die Dörper letztlich selbst schaden, sieht man daran, daß aus dem Faß, in das sie stechen, Insekten hervorkommen und die Dörper angreifen. Brant, der den Druck zweifellos überwacht hat, hat sich dieses Weiterspinnen seiner Gedanken zumindest gefallen lassen. Was für Insekten das sind, die aus dem Faß hervorkommen, läßt sich in der ›Narrenschiff‹-Illustration nicht erkennen. Dürer hat sich aber offensichtlich anregen lassen von einem Holzschnitt, der in dem kurz zuvor erschienenen ältesten Druck des ›Neidhart Fuchs‹ das Faßlied einleitet (Abb. 4); und dort sind eindeutig Bienen gemeint. Zumindest steht es so in der Überschrift: Hie schenckt Neithart wein vnd ließ pinen vnder die pauren. Diese Überschrift paßt nun allerdings nicht zum folgenden Text, dem Faßlied, und das Bild paßt nur teilweise. Daß die Bauern ins Faß stechen, ist vom Wortlaut angeregt: der Rocknbolcz schray oben in der gassen: ›jr pauren, schlagnt in das holcz, der Neidhart ist im fasse.‹34
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und Text im Narrenschiff, in: Gutenberg-Jahrbuch [47] (1972), S. 328–336, hier 335f.; Dan Lettieri, Some sources and methods for the illustration of Narrenschiff, in: Gutenberg-Jahrbuch 69 (1994), S. 95–105, hier 96 f.; Cordula Peper, zu nutz und heylsamer ler. Das ›Narrenschiff‹ von Sebastian Brant (1494). Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Text und Bild, Leutesdorf 2000, S. 232–234; Matter (wie Anm. 1), S. 449f. Johannes Bolte, Neidhart, eine volkstümliche Personifikation des Neides, in: Zs. des Vereins für Volkskunde 15 (1905), S. 14–27. Hg. von Bolte (wie Anm. 32), S. 21–24. Vgl. Johannes Janota, in: 2VL, Bd. 8, 1992, Sp. 762–769. Zitiert nach der Fassung des Drucks, SNE I, B 69–77: z IX; in der Fassung von B fehlt das Motiv.
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Abb. 3
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Sebastian Brant, Das Narrenschyff, Basel, Johann Bergmann von Olpe, 1494, Anfang von Kapitel 53.
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Abb. 4
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Neithart Fuchs, Augsburg, Johann Schaur, ca. 1491/92 (Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, In scrinio 229o, S. 21).
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Daß sie stechen, während Neidhart noch im Faß steckt, und daß Neidhart offenbar von einem Knecht schnell aus der Gefahrenzone gezogen wird, ist vom Liedtext nicht ganz gedeckt. Immerhin ist in den jüngeren Textzeugen des Lieds von einem hilfreichen Knecht die Rede: Ich waß gar fro, da mir mein knecht gar schiere kam zuo staten.
Daß dabei ein Pferd eingesetzt wurde, könnte der Illustrator sich ausgedacht haben. Möglicherweise war er aber auch angeregt durch ein Neidhart-Spiel: Im ›Großen Neidhart-Spiel‹, das wenig später aufgezeichnet wurde,35 aber wohl auf eine Spieltradition zurückgeht, sagt Neidhart, als die Bauern aufs Faß zulaufen, zu seinem Knecht, er solle die Pferde holen, und berichtet später dem Herzog (mit Anklang ans Schwanklied): Mein knecht kom mir zu staten Mit pfärden do erhueb ich mich36
Versteck im Faß, Bedrohung und Rettung sind also einigermaßen plausibel ins Bild übersetzt. Vom Weinausschenken jedoch, das die Überschrift nennt, ist im Text überhaupt nicht die Rede, und die Bienen, die im Bild und in der Überschrift vorkommen, sind in die Textfassung des ›Neidhart Fuchs‹ offensichtlich erst sekundär hineingeschoben worden, weil Überschrift und Bild sie zu fordern schienen. Statt der alten, nicht sonderlich deutlichen Formulierung Her Engelmar wart sere betrogen und die genossen sine heißt es jetzt Der Engelmar war ser betrogen von den binen meine; aber da die Bienen im übrigen Text nirgends erwähnt werden, bleibt die Stelle völlig unverständlich. Wie also sind im ›Neidhart Fuchs‹ die Insekten ins Bild und die Bienen und das Weinausschenken in die Überschrift geraten? Vor einigen Jahren hat Stefan Matter alle Belege, die Neidhart mit Bienen verknüpfen – und das sind im 16. Jahrhundert nicht wenige –, gesichtet und die These gewagt, die Bienen seien allegorischen Ursprungs und gingen am ehesten auf einen Einfluß des verbreiteten Todsündentraktats ›Etymachia‹ zurück, in dem die Invidia ein Nest von Bienen auf dem Helm trägt; denn der bynn haut das honig in dem mund vnd den angell in dem schwantz, da er mit hecket.37 Matters These setzt voraus, daß man den Liederdichter und Schwankhelden Neidhart als Meister des Neides, der Mißgunst und der Falschheit gesehen hätte. Dazu scheint mir aber die Darstellungsweise der Lieder, Spiele und Bilder nicht zu passen. Da ist Neidhart immer ein
35 36
37
Vgl. Simon (wie Anm. 2). Neidhartspiele, hg. von John Margetts, Graz 1982 (Wiener Neudrucke 7), S. 96, Z. 2516f., vgl. S. 89, Z. 2282–85; Fastnachtspiele aus dem fünfzehnten Jahrhundert [hg. von Adelbert von Keller], Bd. I, Stuttgart 1853 (BLVSt 28), Nachdruck Darmstadt 1965, S. 464, Z. 11f. und S. 457, Z. 17–20. Nigel Harris, The Latin and German ›Etymachia‹. Textual history, edition, commentary, München 1994 (MTU 102), S. 211; hier zitiert nach Matter (wie Anm. 1), S. 444.
Tafel 1
Tafel 2
Tafel 3
Tafel 4
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Sympathieträger, selbst an den wenigen Stellen, an denen sein Name mit dem der Personifikation verknüpft wird.38 In den Spielen sollen nur die hochmütigen und streitsüchtigen Bauern von den Teufeln geholt werden, nicht aber der Ritter Neidhart. Und auch wo aus moralistischer Sicht einmal mit Namensgleichheit von Personifikation und Schwankheld gespielt wird wie bei Peter Schmieher, ist noch ein Bewußtsein der Differenz zu spüren. Matters frühester Beleg ist ein Wandbild, das Eckehard Simon in die Neidhart-Forschung eingeführt hat.39 Dieses Bild möchte ich im Folgenden auch über die Insektenfrage hinaus zu erklären versuchen. Das Bild (Tafel 1) stammt aus der Burg Trautson bei Matrei am Brenner, kam dort erst durch einen Luftangriff in den letzten Kriegstagen zum Vorschein, wurde dann abgelöst und seither restauriert. Heute hängt es in den Museumsräumen von Maria Waldrast bei Matrei.40 Die erhaltenen Fragmente sind 122 cm hoch und 314 cm lang. An der insgesamt ca. 6 m langen Wand befanden sie sich so, daß heute links ein kleineres, rechts ein großes Stück fehlt. Erhalten sind Reste von drei Szenen, die durch nur noch teilweise entzifferbare Spruchbänder erläutert sind. Eine Pause, die noch vor der Ablösung von der Wand angefertigt wurde,41 geht ein wenig über die heutigen Ränder hinaus. Sie ist bei der Deutung der Schrift auf den Schriftbändern mit der gebotenen Vorsicht heranzuziehen: einerseits sind auf ihr noch Buchstaben erkennbar, die heute verblaßt, zerstört oder am Rand abgeschnitten sind, andererseits ist die Möglichkeit von Fehlinterpretationen beim Pausen einzukalkulieren. Nach sorgfältiger Prüfung von Original und Pause kann ich im Folgenden die bisherigen Transkriptionsversuche42 mehrfach verbessern. Datiert wird das Bild um 1440/50. Es ist damit deutlich älter als der ›Neidhart-Fuchs‹-Druck.
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Im Hosenschwank (SNE II, s 7) wird der Ich-Erzähler am Anfang seiner Hofkarriere von einem ungebetenen und nicht benötigten Helfer, der leer ausgeht, als Neithart beschimpft, und dieser Name sei ihm dann geblieben. In der Reimpaar-Nachrede des ›Neidhart Fuchs‹ (SNE II, z 37) werden die Bauern, die Neidhart noch im Grab hassen, als Neitharcz kind bezeichnet, Neidhart selbst aber durchaus gepriesen. Eckehard Simon, The rustic muse: Neidhartschwänke in murals, stonecarvings, and woodcuts, in: Germanic Review 46 (1971), S. 243–256; Matter (wie Anm. 1); vgl. auch Oswald Trapp, Tiroler Burgenbuch, III. Wipptal, Bozen/Innsbruck/Wien 1974, S. 22– 44; Elga Lanc, Neidhart-Schwänke in Bild und Wort aus der Burg Trautson bei Matrei, in: Neidhartrezeption (wie Anm. 25), S. 71–83; Manfred Koller, Untersuchung und Restaurierung von Bildwerken des Neidhartkreises in Wien und Tirol, ebd., S. 278– 293; demselben Band ist auch eine CD-Rom mit den Bildern beigefügt. Ich danke Dr. Gertrud Blaschitz (Krems) für freundliche Vermittlung, dem Eigentümer Dipl.-Ing. Gobert Auersperg (Wien) für die Erlaubnis zur Besichtigung und Prior Oskar Dünser (Maria Waldrast) für Hilfe vor Ort. Abb. des Mittelteils bei Trapp (wie Anm. 39), S. 32; die Pause scheint heute verschollen zu sein. Vgl. Lanc und Koller (wie Anm. 39).
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Auf dem erhaltenen Stück ist links, etwa zur Hälfte erhalten, der Veilchenschwank dargestellt, das beliebteste Thema der ganzen Neidhart-Tradition (Tafel 2). Neidhart hebt gerade vor der Herzogin, zu der er aufblickt, seinen Hut hoch und findet die Bescherung. Vom Spruchband ist noch zu lesen ein · schone¯ · veioll. Seltsamerweise findet sich aber der Hut ein zweites Mal auf Neidharts Kopf, offenbar eine Zusammenziehung zweier zeitlich getrennter Situationen. Daß Neidhart nach der Entdeckung des Kothaufens sich den schmutzigen Hut aufgesetzt hätte, ist schwer vorstellbar. Es ist wohl eher der Moment gemeint, in dem Neidhart den Hut abnimmt, um das Veilchen zu bedecken. Das Bild faßt also das Vorher und Nachher, die beiden zentralen Szenen des Veilchenschwanks, in einer Szene zusammen. In der rechten Gruppe des Wandbilds (Tafel 3) sind zunächst drei Musikanten zu erkennen, ein Alta-Ensemble, wie es für Musik im Freien in der Zeit vielfach belegt ist:43 Tamburin – erhalten ist nur noch eine Schelle –, Pommer und Sackpfeife. Neben ihnen steht ein Mann mit Lanze oder Stab, der eine eigentümliche, mir nicht verständliche Kopfbedeckung trägt. Vermutlich ist es der Vortänzer in einer Tanzszene. Ob es ein höfischer Tanz war oder ein bäurischer, etwa gar der Tanz der Bauern um das geraubte Veilchen,44 ist nicht mehr festzustellen. Etwa zwei Meter der Wandfläche sind hier verloren. Am interessantesten aber ist das Mittelstück (Tafel 4), auf dem auch die Insekten zu sehen sind. Die Szene wurde bislang immer allzu fraglos auf den Faßschwank gedeutet, den einzigen Neidhart-Schwank, in dem ausdrücklich von einem Faß die Rede ist. Das ist zwar richtig, erklärt aber nicht alles. Vielmehr sind in der Bildszene verschiedene Schwänke und Anspielungen zusammengezogen. In der Mitte steht Neidhart, durch die Schrift mit Namen gekennzeichnet. Er steht halb im Faß, auf das ein Dörper einsticht. Damit ist klar die Faß-Episode gemeint. Aber warum ist er nicht tiefer im Faß versteckt wie auf den späteren Holzschnitten? Das Faß enthält offenbar Wein, denn aus demselben Faß zapft einer der Bauern sich seinen Krug voll. Einen Hinweis, wie das zu verstehen ist, gibt das Spruchband, mit dessen Buchstabenresten man bisher nichts anzufangen wußte. Ich entziffere [.ir] welln¯ · hie · trinken · gvten · osterbe...45 Darin steckt zweifellos mit der bairischen Schreibung b für w das Wort osterwein, das in Österreich den aus dem Osten, aus Ungarn, kommenden Wein bezeichnete. Das Spruchband gibt also die Rede eines Bauern wieder, der sich auf den Wein freut. Nun gibt es ein Schwanklied, in dem Neidhart, als Abt verkleidet, die Bauern mit Wein, in den ein twalm, ein Betäubungsmittel, gemischt ist, betrunken macht, um 43
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Patrick Tröster, Das Alta-Ensemble und seine Instrumente von der Spätgotik bis zur Hochrenaissance (1300 bis 1550). Eine musikikonografische Studie, Diss. Tübingen 2001. Vgl. Veilchenschwank B, SNE II, S. 64 und 69. Das Eingeklammerte nur noch auf der Pause erkennbar; am Anfang ist offenbar ein w verloren.
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ihnen dann, während sie schlafen, Tonsuren zu schneiden und sie als Mönche einzukleiden; und als sie erwachend meinen, tatsächlich Mönche zu sein, führt er sie als falscher Abt vor den Herzog. Es ist der Mönch- oder Kuttenschwank. In diesem Lied heißt es: Ich fuo rt mit mir guo ten osterwein so linde, ich sprach: ›nun trinckend an, mein liebe kinde.‹46
Das Wort osterwein ist also geradezu ein Zitat aus dem Kuttenschwank-Lied. Ein Faß wird im Lied zwar nicht erwähnt, aber das konnte man sich leicht dazudenken. So ist das Faß nach oben bezogen ein Requisit des Faßschwanks, nach unten bezogen ein Requisit des Kuttenschwanks. Ehe ich nun die Insektenfrage weiter verfolge, möchte ich die Nebenfiguren ins Auge fassen. Der eine Bauer, der auf das Faß einsticht, trägt ein flaschenoder krugförmiges Gefäß auf dem Kopf, ähnlich dem, in das der untere Bauer Wein abfüllt. Auch das ist ein Neidhart-Motiv. Auf einem Regensburger Tanzbild, das in die Neidhart-Tradition gehört,47 trägt einer der Tänzer ein ähnliches Gefäß. Gemeint ist offenbar ein Tanzkunststück, bei dem es darum geht, beim Tanz ein volles Gefäß auf dem Kopf zu balancieren, ohne etwas zu verschütten. In einem Lied der Neidhart-Tradition, einem Lied, das nicht zu den Schwankliedern gerechnet wird, aber doch eine kleine erzählte Szene enthält, provoziert der Bauer Sigelot Neidhart, indem er ihm erst einen vollen Becher zu trinken anbietet und ihn dann doch zurückzieht; statt dessen setzt er ihn beim Tanz auf den Kopf – ein noch kühneres Kunststück als das mit einem Krug, aber zu Neidharts Freude mißlingt es ihm: seinen pecher er mir pot und zuckt in hin wider. er satzt in nach dem sin auf sein haupt in freuden vin nach dem newen hofesin, auf den zehen slaif er hin. do was das mein bester gewin, das der pecher nider über die augen und den munt in den puo sen stürzet.48
Im Bild tanzt der Bauer nicht, sondern sticht mit der Lanze zu. Aber das Gefäß ist ihm als Attribut gegeben, damit man ihn als den erkennt, der sich vorher beim Tanzkunststück blamiert hat – eine Zusammenziehung zweier zeitlich auseinanderliegender Situationen ähnlich wie bei den zwei Hüten Neidharts links im Veilchenschwank. 46
SNE II, f 17: z VII,4f.
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Nikolaus Henkel, Ein Neidharttanz des 14. Jahrhunderts in einem Regensburger Bürgerhaus, in: Neidhartrezeption (wie Anm. 25), S. 53–70. SNE I, R 37: c VII, s IV, fragmentarisch auch schon in G (vor ›Rosenkranz‹, Krämerschwank und Kuttenschwank), daher spätestens 14. Jahrhundert. Hier nach Burghart Wachinger, Eine bezzerunge Neidharts?, in: »Texte zum Sprechen bringen«. Fs. Paul Sappler, Tübingen 2009, S. 65–80, hier 73.
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Bei den übrigen Figuren, die Neidhart bedrohen, habe ich Schwierigkeiten, spezifische Textreminiszenzen zu entdecken. Auf dem Spruchband ist heute nur pochsbauch ganz deutlich zu lesen. Wenn man aber die Buchstabenreste und die alte Pause kombiniert, ergibt sich (mit Markierung der Faltstellen des Spruchbands) folgender Text: saiß · ich · pochspauch · se · hin · schech · mir · den · kolben · so · rauch. Ich vermute, daß beim ersten Wort entweder ein Schreibfehler des Malers oder ein Deutungsfehler der alten Pause vorliegt und daß an der ersten Faltstelle ein Buchstabe oder ein Nasalstrich fehlt. Konjiziert man haiß für saiß und schmech (= schmeck) für schech, so heißt der Satz: ›So wahr ich Bocksbauch heiße, sollst du mir meinen rauhen Kolben zu schmecken kriegen‹. Nicht zu bezweifeln ist jedenfalls, daß der Grobian seinen Namen und seine Waffe nennt. Bocksbauch ist offenkundig ein Spottname für einen Bauern. In den Neidhartiana kommt dieser Name sonst nicht vor. In den altüberlieferten Neidhart-Liedern dominieren andere Namenstypen, und die in der jüngeren Tradition aufkommenden Spottnamen sind meist anders gebildet. Immerhin gibt es einzelne von Tierelementen abgeleitete Namen.49 Die Waffe aber, mit der der Mann zum Schlag ausholt – sie ist auf den Bildresten nicht mehr erhalten –, war ein Kolben, eine unritterliche Waffe. In den Liedern der Riedegger Handschrift, die am ehesten als echte Neidhart-Lieder gelten, haben die Bauern keine Kolben, weil sie sich ritterlich gebärden, wenn auch auf unhöfische Weise. In später bezeugten Strophen und Liedern der Neidhart-Tradition kommen jedoch Kolben vor.50 Unhöfisch ist auch die Kopfbedeckung des Kolbenschlägers, ein aus Stroh geflochtener Korb. So etwas ist in der engeren Neidhart-Tradition nicht bezeugt, wohl aber in der Zeichnung eines Bauernturniers von Hans Burgkmair d. Ä. aus den 1490er Jahren.51 Die nicht sehr gut bezeugte Tradition parodistischer Bauernturniere scheint zwar im wesentlichen getrennt von der Neidhart-Tradition geblieben zu sein, im Bauernturnier von Wittenwilers ›Ring‹ aber kommen beide doch zusammen: 49
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Zum Namenbestand der Handschrift c Jan-Christian Schwartz, »derst alsoˆ getoufet daz in niemen nennen sol«. Studien zu Vorkommen und Verwendung der Personennamen in den Neidhart-Liedern, Hildesheim/Zürich/ New York 2005. Mehrfach belegt ist Eberzan, sonst nur vereinzelt Hasenruß/Hasenfuß und, wenn die Deutung stimmt, Gipshorn (›Geißhorn‹) und Etzelfeil (›Elsternkehricht‹). Vgl. auch Geierschnabel in: ›Großes Neidhartspiel‹, hg. von Margetts (wie Anm. 36), S. 61 u. 87; Ochsenkropf in: ›Metzen hochzit‹ (wie Anm. 20), v. 93. Vgl. Edmund Wießner, Vollständiges Wörterbuch zu Neidharts Liedern, Leipzig 1954, S. 155. Städelsches Kunstinstitut Frankfurt am Main, Katalog der deutschen Zeichnungen. Alte Meister, Bd. I: Text, bearb. von Edmund Schilling, Bd. II: Tafeln 1–213, bearb. von Edmund Schilling und Kurt Schwarzweller, München 1973, Nr. 73; Wendepunkte deutscher Zeichenkunst. Spätgotik und Renaissance im Städel, bearb. von Stephanie Buck, Frankfurt a. M. 2003, Nr. 18, S. 69–71. Zu negativ konnotierten Strohhelmen von Kriegsknechten auf Passionsdarstellungen vgl. Dietmar Lüdke, Die überlieferten Werke des Meisters der Karlsruher Passion, in: Die Karlsruher Passion [Ausstellungskatalog], Ostfildern-Ruit 1996, S. 27–116, hier 84–86.
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Die helm sam chörbe warent gstricht, Also daz kainr dar inn dersticht.52
Als unhöfisch und grobianisch ist der Kolbenschläger auch durch seine massige Gestalt charakterisiert. Unsicher bin ich mir allerdings bei seinen Beinen. Ist die Strumpfhose an den Knien zerrissen? Oder trägt er vielmehr ritterliche Knieplatten? Sein überdimensionales Schwert, das so lang ist, daß es am Ende durch ein Rädchen gestützt werden muß, paßt wieder genauer zur Neidhart-Tradition. Lange Schwerter der Dörper werden in der Neidhart-Tradition bekanntlich öfter erwähnt, zu der massigen Figur könnte z. B. die folgende Beschreibung passen: als Berwin in seiner dicken troien, dar in er sich so wol versperret hat. er lu´mt recht sam ein hundt an einer lannen, wenn er sein langes swert umb sich und umb sein dicke troien hat gespannen, die im als einer saw der kubel stat.53
Die Dörper sind also durch Reminiszenzen charakterisiert, die teils aus den Neidhartiana, teils aus einem weiteren Umkreis des Bauernspotts stammen. Entscheidend für die Deutung des Bildes ist aber, daß im unteren und mittleren Drittel der Szene zwei verschiedene Schwanklieder zitiert sind. Neidhart, die zentrale Figur des Mittelteils, ist aber keineswegs als Abt verkleidet, wie der Kuttenschwank eigentlich fordern würde, und er steckt nur halb im Faß, ist nicht tiefer drin, wie die Faß-Episode erwarten ließe, offenbar weil er oben im Bild in einer dritten Aktion die Insekten aus der Hand auf die Bauern losläßt. (In den späteren Holzschnitten scheinen sie eher aus dem angestochenen Faß zu kommen.) Das Schriftband gibt dazu eine Rede Neidharts wieder: steche¯ · jn · dein¯ · palc.54 Von daher liegt es nahe, auch für die Insekten im oberen Drittel ein Schwanklied als Vorbild anzunehmen, und man muß nicht lange suchen: Gemeint ist der Bremen- oder Bremsenschwank. Das Bremsenlied55 beschreibt nach Frühjahrseingang und Minneklage erst das Treiben der Dörper im allgemeinen, auch ihren Tanz: auf den zehen siffelns hin nach dem newen hofesin – ein fast wörtliches Zitat aus dem Lied, in dem Sigelot mit einem Becher auf dem Kopf tanzt. Dann entschließt sich der Ich-Erzähler zum Handeln: 52
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Heinrich Wittenwilers Ring, hg. von Edmund Wießner, Leipzig 1931, v. 165f. Vgl. Edmund Wießner, Neidhart und das Bauernturnier in Heinrich Wittenwilers Ring, in: Fs. Max H. Jellinek, Wien/Leipzig 1928, S. 128–208, hier 200. Bei der aufgrund eines alten Fehlzitats so genannten »Erlanger Turnierparodie« handelt es sich um die Zeichnung Burgkmairs. Für freundliche Auskunft danke ich Sigrid Kohlmann, Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg. SNE II, c 45: Str. c VIII; vgl. auch ebd. c 100, Str. VI. Oder sollte eine bislang meines Wissens noch nicht genau erklärte andere Stelle, verstanden oder mißverstanden, gemeint sein: afterreif haˆt sıˆn langez swert mit einem schıˆbelohten knophe (Winterlied 11, VI, 5f. = SNE I, R 28: Str. R VI)? Das erste Wort heute teilweise beschnitten, auf der Pause aber gut zu erkennen. SNE II, c 12. Das Lied ist in c, f und im ›Neidhart Fuchs‹ (z) überliefert, also erst seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts; es dürfte aber um einiges älter sein. Text im Folgenden teilweise vorsichtig gebessert meist nach z. Auch Matter (wie Anm. 1), S. 447, hat den Bremenschwank erwähnt, ist aber der Spur nicht nachgegangen.
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Neidhart-Schwänke im Bild
Ich wil seczen mich gein in, ich han eines herren sin, wie ich ein herre nicht empin. ich wil gein in reiten. Was ob mir gefelt der sig, das ich über sie gestig? ich acht nicht auf ir genig, ich wil mit in streiten.
Was so ritterlich anhebt, schlägt dann allerdings in eine andere Kampfweise um: Meine bremen muß ich zemen, das sie nemen rames56 war und mich rechen unde stechen in die schar.
Für die Ausführung des Plans fällt das Lied ins erzählende Präteritum: Neidhart kommt heimlich zum Tanzfest der Bauern und läßt die Bremsen los, die die Bauern kräftig zerstechen. Als einer vermutet, daß der Urheber der Attacke Neidhart ist, und suchend zur Stube rennt, kann Neidhart noch schnell ein Schaff voller Lauge so plazieren, daß es, als der die Tür öffnet, auf den Verfolger fällt und ihn zum Gespött der anderen Bauern macht, während Neidhart entkommt. Ich vermute nun, daß die Bienen der späteren Tradition mißverstandene oder umgedeutete Bremsen sind. Im Lied sind die Bremsen durch den Reim bremen : zemen gesichert, und daß es ein zweites ähnliches Lied mit Bienen gegeben hätte, ist wenig wahrscheinlich. Die einfachste Erklärung ist, daß das ikonographische Muster auf die Texttradition zurückgewirkt hat. Das Bild aus Burg Trautson dürfte nicht das einzige seiner Art gewesen sein. Nicht jeder, der ein solches Bild sah und darüber reden hörte, hatte die Texte genau im Kopf, und so mag sich jemand bei den Insekten Bienen vorgestellt haben. Möglicherweise hat auch ein nachdenklicher Kopf sich überlegt, daß man Bremsen ja schwer zähmen und zum geballten Angriff versammeln kann, während Bienen ohnehin in einem Korb wohnen und leicht losgelassen werden können. Der früheste Beleg für eine Verbindung Neidharts mit Bienen scheint eine fiktive lateinische Grabschrift auf Neidhart zu sein, das Epitaphium Neithart vochs circa sepulturam suam wienne, das nach Angabe des Herausgebers 1479 in eine heute verschollene Königsberger Handschrift eingetragen wurde. Es nennt neben anderen Schwänken auch apes, quas vase retundit, Bienen, die Neidhart aus einem Gefäß auf die Bauern losgelassen habe.57 Wenn die frühe Datierung stimmt, könnte auch dieser Autor schon vom ikonographischen Muster ausgegangen sein, falls er nicht einfach den ihm geläufigeren Insek56
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Bei dem Wort ram (so nur f), das entweder ›Schmutz‹ oder ›Ziel‹ bedeutet, was beides paßt, waren sich zwei Textzeugen offenbar unsicher: c schreibt rain und der Druck rom. Emil Steffenhagen, Grabschrift auf Neidhart Fuchs, in: Germania 17, NF 5 (1872), S. 40f. Vgl. auch Matter (wie Anm. 1), S. 446f.
Neidhart-Schwänke im Bild
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tennamen gewählt hat. Alle übrigen Belege sind jünger als der Druck des ›Neidhart Fuchs‹ von 1491/92 und dürften direkt oder indirekt auf ihn zurückgehen.
Der Illustrator des Drucks hat für das Lied vom Faßschwank vermutlich ein vorhandenes ikonographisches Muster benutzt. Ob der Textredaktor dasselbe Muster schon kannte oder erst durch seinen Holzschneider kennenlernte, wird man kaum entscheiden können. Jedenfalls sind ihm angesichts des Holzschnitts beim Formulieren der Überschrift andere Neidhart-Schwänke in den Sinn gekommen, und als er merkte, daß der folgende Text von einer anderen Geschichte handelt, hat er die Überschrift nicht mehr geändert, aber wenigstens die Bienen noch schnell an einer ihm unverständlichen Stelle in den Text geschmuggelt. Von da an waren die Bienen bei Neidhart etabliert. In der dritten Auflage des ›Neidhart Fuchs‹ sind die Bienen dann sogar zum einzigen Thema der Illustration zum Faßschwank geworden, und das Faß ist verschwunden. Gestört hat sich an der Diskrepanz zwischen Bild und Überschrift einerseits und Text andererseits offenbar niemand, sei es weil man sich an die anderen Schwänke vage erinnerte, sei es weil man dem Schwankhelden Neidhart weitere Streiche zutraute. Während man beim Herstellen der ›Neidhart-Fuchs‹-Kompilation im Interesse einer schnellen Fertigstellung eines gut verkäuflichen Buchs an dieser wie an anderen Stellen58 recht sorglos mit den Texten umging, macht das Wandbild von Burg Trautson den Eindruck, daß dem Maler oder seinem Auftraggeber die Texte relativ gut präsent waren. Die Kombination verschiedener Schwankhandlungen und weiterer Textanspielungen in einer einzigen Bildszene ist jedenfalls bewußt und auf hohem künstlerischen Niveau vollzogen. Man mag einwenden, daß Neidhart im Kutten- und im Bremsenschwank außerhalb des Fasses stehen, in der Faß-Episode aber weiter im Faß versteckt sein müßte; aber mit der zentralen Halbfigur Neidharts hat der Maler die Aufgabe einer Kombination realistisch unvereinbarer Situationen ästhetisch überzeugend gelöst. Das Bild lädt dazu ein, sich die Geschichten und Liedstellen im Gespräch zu vergegenwärtigen. Anders als die spontane Federzeichnung des 14. Jahrhunderts, von der die Rede war, läßt es die brutalen und grotesken Züge der Neidhart-Tradition nicht hervortreten. Lediglich im Oberkörper des massigen Kolbenschlägers und in dem Gesicht, das neben seinem Kopf hervorlugt, ist Grobianisches angedeutet. Auch der Veilchenschwank ist viel dezenter dargestellt als auf älteren Wandbildern. Die Neidhart-Tradition ist hier zu einer vergnüglichen Spielwelt geworden, mit der man einen festlichen Raum schmücken konnte.
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Vgl. etwa die Verschränkung der beiden Lieder vom Veilchenschwank oben Anm. 24.
Vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade Die ›Sage‹ von Tannhäuser und dem Venusberg, fürs 19. Jahrhundert ein Mythos von großer Faszinationskraft, gehört ihrem Ursprung nach zu einer Reihe von mehr oder weniger fabulösen Erzählungen des Hoch- und Spätmittelalters, die sich an Dichternamen knüpfen.1 So verschiedenartig diese Erzählungen nach Stoffen, Gestaltungsweisen und literarhistorischen Kontexten sind, sie scheinen doch insgesamt ein wachsendes Interesse am Autor als Person hinter den Texten zu bezeugen, ein Interesse, das um diese Zeit ja auch sonst nachzuweisen ist.2 Gewiß wirkt die Verknüpfung von Autor und ›Sage‹ oft recht willkürlich, aber bei näherer Betrachtung werden doch meist Ansatzpunkte sichtbar, an die sich dann bereitliegende literarische Muster anlagern konnten: ein Stück Text (ein paar ›Wigalois‹-Verse für ›Der Welt Lohn‹ von Konrad von Würzburg;3 WaltherStrophen unter dem Namen Heinrichs von Morungen für die ›Moringer‹-Ballade4), ein programmatischer Name (für die chronikalische Ausschmückung von Frauenlobs Begräbnis5), Dichterkataloge (Fürstenlob des ›Wartburgkriegs‹, Sage vom Ursprung des Meistergesangs6), ein Tonname (›Bremberger‹-Ballade7), Propheten- oder GeŠlehrtenruhm (Erzählungen von Vergil8 und Albertus Magnus9). Zeitschrift * für deutsches Altertum und deutsche Literatur 125 (1996), S. 125–141. Günther Schweikle gewidmet. 1
Fürs Deutsche zusammenfassend, im einzelnen vielfach überholt: Fritz Rostock, Mittelhochdeutsche Dichterheldensage, Halle 1925 (Hermaea 15). 2 Alastair J. Minnis, Medieval theory of authorship. Scholastic literary attitudes in the later Middle Ages, London 1984; Burghart Wachinger, Autorschaft und Überlieferung, 1991, im vorliegenden Band S. 1–23. Zu den provenzalischen Vidas der Trobadors vgl. Ulrich Mölk, Trobadorlyrik, Zürich 1982 (Artemis Einführungen 2), S. 110–123. Nur in den weiteren Umkreis des Themas gehören: Erläuterungen zu den Entstehungsumständen einzelner Texte wie die provenzalischen Razos (vgl. Mölk, ebd.) oder eine Wanderanekdote in der Mönch-Überlieferung (vgl. Burghart Wachinger, Der Mönch von Salzburg, Tübingen 1989 [Hermaea NF 57], S. 111); Erzählungen von göttlicher Beglaubigung eines geistlichen Texts (ein Beispiel ebenfalls aus der Mönch-Überlieferung ebd., S. 93f.); schließlich der weite Bereich fiktiver Autorschaft. 3 Wirnt von Grafenberg, Wigalois, hg. von J. M. N. Kapteyn, Bonn 1926, v. 11680–83. 4 Frieder Schanze, ›Moringer‹, in: 2VL, Bd. 6, 1987, Sp. 688–692. [Vgl. jetzt Rüther (wie Anm. 54), S. 18–139.] 5 Karl Stackmann, Frauenlob, in: 2VL, Bd. 2, 1980, Sp. 865–877. 6 Horst Brunner, Die alten Meister, München 1975 (MTU 54), S. 12–31. 7 Paul Sappler, ›Bremberger‹, in: 2VL, Bd. 1, 1978, Sp. 1014–1016. [Vgl. jetzt Rüther (wie Anm. 54), S. 267–320.] 8 Franz Josef Worstbrock, Vergil, in: 2VL, Bd. 10, 1999, Sp. 247–284. 9 Frieder Schanze, ›Albertus Magnus und die Tochter des Königs von Frankreich‹, in: 2 VL, Bd. 1, 1978, Sp. 123f.
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Besonders wichtig aber sind offenbar Rollen gewesen, die in den Texten des jeweiligen Autors schon angelegt waren: die Rolle des Liebhabers (in einigen späten, eher novellistischen Trobador-Vidas,10 aber wohl auch für die ›Bremberger‹-Ballade von Bedeutung), des schwachen ritterlichen Bauernfeinds (Neidhart), des betont laikalen Dichters (Wolfram im Rätselspiel des ›Wartburgkriegs‹11) oder des streitbaren Meisters (Frauenlob-Regenbogen-Streitgedichte12). Gegenüber solchen genuin literarischen Ansatzpunkten hat die ältere Forschung die Wahrscheinlichkeit, daß ein vom literarischen Wissen unabhängiges biographisches Wissen zum Kern einer Sagenbildung wurde, gewiß überschätzt.13 Von allen mittelalterlichen Dichtersagen hat die vom Tannhäuser die Forschung wohl am intensivsten beschäftigt. Die weit verstreuten Zeugnisse sind zusammengetragen,14 wesentliche Elemente der Sagenbildung scheinen mir geklärt zu sein. Ein Gesamtbild, das mich zu überzeugen vermöchte, liegt jedoch nicht vor. Ich greife das Problem noch einmal auf, auch zur Rechtfertigung und Modifikation meiner Darstellungen im Verfasserlexikon.15 Während aber im Verfasserlexikon die Einzeltexte im Zentrum des Interesses standen, geht es mir hier vor allem um die Traditionen, die sich zwischen den Texten abgespielt haben müssen, um das Wissen, das die Texte voraussetzen, eben um ›Sage‹. Freilich möchte ich das, was man kaum besser als ›Sage‹ nennen kann, nicht in einem vagen Ungefähr belassen, sondern so präzis wie möglich an überlieferten Texten festmachen. Ich beginne mit dem historischen Dichter. Unser Bild von dem Lyriker Tannhäuser wird bestimmt von dem, was die Heidelberger Liederhandschrift C unter dem Namen Der Tanhuser überliefert. Man darf sicherlich fragen, ob dieses Bild vollständig ist. Daß es falsch sei, dafür gibt es keine Indizien. Die Texte scheinen leidlich gut überliefert zu sein, und auf die Idee, einzelne Texte dieses Corpus als unecht anzuzweifeln, ist noch niemand verfallen. Š Tatsächlich läßt dieses Corpus ein relativ eigenartiges Autorprofil erkennen. C überliefert mit sechs Leichs, 10
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Mölk (wie Anm. 2). [Vgl. auch Kurt Ruh, Dichterliebe im europäischen Minnesang, in: Deutsche Literatur im Mittelalter. Kontakte und Perspektiven. Hugo Kuhn zum Gedenken, hg. von Christoph Cormeau, Stuttgart 1979, S. 160–183, wieder in: K. R., Kleine Schriften, Bd. I, Berlin/New York 1984, S. 324–343.] Hedda Ragotzky, Studien zur Wolfram-Rezeption. Die Entstehung und Verwandlung der Wolfram-Rolle in der deutschen Literatur des 13. Jahrhunderts, Stuttgart u. a. 1971; Burghart Wachinger, Sängerkrieg, München 1973 (MTU 24), S. 83–89. Wachinger, Sängerkrieg (wie Anm. 11), S. 280–298. Angenommen hat man das vor allem für die Beziehungen Heinrichs von Morungen zum Leipziger Thomaskloster und für einen angeblichen gewaltsamen Tod Reinmars von Brennenberg. Am vollständigsten ist das Material gesammelt bei Philip Stephan Barto, Tannhäuser and the Venusberg, Diss. Univ. of Illinois 1913 = Tannhäuser and the Mountain of Venus. A study in the legend of Germanic paradise, New York 1916. Burghart Wachinger, Der Tannhäuser, ›Tannhäuser und Venus‹, ›Tannhäuser-Ballade‹, in: 2VL, Bd. 9, 1995, Sp. 600–616.
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sechs Minneliedern, drei Sangspruchtönen und einem Kreuzzugs- oder Pilgerlied ein Œuvre von professioneller Vielseitigkeit mit einzelnen originellen Typusvariationen (z. B. Fürstenpreis im Tanzleich). In diesem Corpus operiert der Dichter mit traditionellen lyrischen Rollen, der des Liebenden, der des Tanzmeisters und der des heimatlosen Fahrenden, Rollen, denen er auch neue Nuancen abgewinnt. Der Stil bleibt, gemessen an der Reim- und Sprachartistik anderer professioneller Lyriker des 13. Jahrhunderts, eher schlicht, fast sorglos. Als Schmuck dienen Namen und Fremdwörter, manchmal gehäuft. Und es findet sich eine Neigung zu Katalogen und zum Anzitieren geographischen Wissens und romanhafter oder exotischer Vorstellungen. Nach heutigen Verstehens- und Wertungsmöglichkeiten sind wohl die besten von Tannhäusers Dichtungen diejenigen, in denen er verschiedene Imaginationen so kombiniert und überlagert, daß sich kaum noch eine Ebene der eigentlichen Bedeutung ausmachen läßt. So wenn er in Lied XI in der Rolle des Tanzmeisters für den winterlichen Stubentanz detailliert die Schönheit seiner tanzenden Geliebten beschreibt und die Gesellschaft auffordert, die Schöne beim Tanzen nicht zu bedrängen und zu bestauben, aber man weiß nicht, ob die Geliebte als anwesend vorzustellen ist oder nur als Imagination des Tanzmeisters in eine Szene projiziert wird, die als solche beim Vortrag vor der höfischen Gesellschaft natürlich ebenfalls nur imaginiert ist. Vergleichbar Leich III: In einen Frühjahrs-Tanz-Aufruf an eine Mädchengesellschaft von Neidhartscher Stilisierung ist die Ich-Erzählung von einer Liebesbegegnung in der Frühlingsnatur mit arthurischen Assoziationen eingeschoben; welcher Ebene aber die zuletzt als Geliebte des Sängers gepriesene Künigunt zugehört, bleibt offen, weil die Saite des Fiedlers (der den Sänger beim Vortrag – vor dem imaginierten Neidhartschen Mädchenkreis oder auch vor dem letztlich angesprochenen höfischen Publikum? – begleitet hat) reißt.16 In einem weiteren Sinne mag man auch das, was Wolfgang Mohr17 in seinem schönen Aufsatz zum Kreuzzugs-Pilger-Lied (XIII) als »allegorischen Naturalismus« bezeichnet hat, dieser Kunst einer irritierenden, aber atmosphärestiftenden Überlagerung von Imaginationen zuordnen. Bei der Entstehung der Sage scheinen allerdings diese für uns besonders interessanten Phänomene keine Rolle gespielt zu haben. Gemessen am C-Corpus fällt alles, was sonst noch unter dem Namen des Tannhäusers verstreut überliefert ist, qualitativ deutlich ab. Das muß nicht von vornherein Unechtheit bedeuten, zumal es auch in C schwächere Texte gibt, und für das Bußlied der Jenaer Handschrift möchte ich (ebenso wie für die ›Hofzucht‹) die Echtheitsfrage explizit offenlassen. Das Bußlied hat bei der Frage nach dem Ursprung der Sage eine gewisse Rolle gespielt, ist aber sicher kein 16
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[Etwas differenzierter jetzt in diesem Band S. 86f.] Vergleichbare Phänomene bei Neidhart hat Jan-Dirk Müller aufgezeigt: Ritual, Sprecherfiktion und Erzählung. Literarisierungstendenzen im späteren Minnesang, in: Michael Schilling und Peter Strohschneider (Hgg.), Wechselspiele. Kommunikationsformen und Gattungsinterferenzen mittelhochdeutscher Lyrik, Heidelberg 1996, S. 43–74. Wolfgang Mohr, Tanhusers Kreuzlied, in: DVjs 34 (1960), S. 338–355.
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verläßliches Zeugnis. Ist es echt, so beweist es noch keineswegs, daß eine Wende von der Sinnenfreude der Liebeslieder in C zum religiösen Ernst des Bußlieds der biographische Ansatzpunkt für die Sage war. Ist es unecht, so ist es doch nicht als Zeugnis für die frühe Existenz der Sage verwertbar, weil es viel zu unspezifisch ist.18 Auch das Bild der Großen Heidelberger Liederhandschrift hat man wohl zu Unrecht als Zeugnis für die Existenz der Sage oder der Ballade bereits um 1300 gedeutet.19 Dieses Bild, das den Dichter frontal in der weißen Tracht eines Deutschordensritters zeigt, wirkt in der Tat merkwürdig streng gegenüber der in den Liedern vorherrschenden Sinnenfreude. Gäbe es stützende frühe Zeugnisse, so könnte man einen Zusammenhang ernsthaft erwägen. Daß die beiden ornamentalen Eichen- und Ahornranken, die den Dichter flankieren, eine Andeutung des Stabwunders seien, würde ich allerdings auch dann nicht glauben. Da aber Ballade und Sage sonst nicht vor dem 15. Jahrhundert bezeugt sind, vermute ich eher, daß das Bildmotiv aus Tannhäusers Kreuzzugs-Pilger-Lied (XIII) herausgesponnen wurde in Erinnerung an die Ursprünge des Deutschen Ordens im Heiligen Land. Die früheste einigermaßen datierbare Erwähnung einer Beziehung zwischen Tannhäuser und Venus und damit das früheste sichere Zeugnis der TannhäuserSage findet sich in dem 1430/35 aufgezeichneten Dialog ›Tannhäuser und Frau Welt‹.20 Von da an häufen sich die Anspielungen, und um die Mitte des 15. Jahrhunderts ist die älteste erhaltene Aufzeichnung der Tannhäuser-Ballade zu datieren. Diese ist der zentrale Text für die Analyse der Sage, wahrscheinlich auch ihr Ursprung und Ausgangspunkt. Überliefert ist die Ballade im 15. bis 17. Jahrhundert in vier Hauptfassungen (A bis D).21 Fassung A, nur in der niederdeutschen Erstaufzeichnung um 1450 Š belegt, bietet einen teilweise gestörten Text, zeigt aber in manchen Einzelheiten wohl die älteste Gestalt. Am verbreitetsten ist B, die hochdeutsche Fassung, seit 1515 vielfach gedruckt. Ich referiere zunächst den Inhalt nach B mit den wichtigsten Abweichungen von A: 18
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Ausführliche Diskussion bei Johannes Siebert, Der Dichter Tannhäuser. Leben – Gedichte – Sage, Halle 1934, S. 237–239. Eine stark abweichende Deutung hat Reinhard Bleck versucht: Tannhäusers Aufbruch zum Kreuzzug. Das ›Bußlied‹ der Jenaer Liederhandschrift, in: GRM 74, NF 43 (1993), S. 257–266. Am entschiedensten Walter Koschorreck, Die Bildmotive, in: Walter Koschorreck und Wilfried Werner (Hgg.), Codex Manesse. Die Große Heidelberger Liederhandschrift. Kommentar zum Faksimile des Codex Palatinus Germanicus 848 der Universitätsbibliothek Heidelberg, Kassel 1981, S. 101–127, hier 118f. Vgl. Ingrid Kasten, in: 2VL, Bd. 9, 1995, Sp. 610f. Vgl. 2VL, Bd. 9, 1995, Sp. 611f. Meine Typendifferenzierung läßt die jüngere Volksliedüberlieferung unberücksichtigt und deckt sich u. a. deshalb nicht mit der Unterscheidung von vier Typen bei Moser (wie Anm. 25), S. 19f. Zitate von A und B nach Deutsche Volkslieder. Balladen. 1. Bd., 1. Teil, hg. von John Meier, Berlin/Leipzig 1935 (Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien), S. 145f. (B) und 147f. (A).
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Str. 1: Ankündigung der Erzählung. Str. 2: Danheuser zieht in den Berg zu Venus und anderen schönen Frauen (fehlt A). Str. 3–15: Abschiedsdialog Venus – Danheuser. Venus beruft sich auf einen Eid, den Danheuser ihr geschworen habe, bietet ihm eine ihrer Gespielinnen zur Ehe und sich selbst zum Liebesspiel an und mahnt ihn, sein Leben zu fristen. Danheuser weist alles zurück, nennt sie Teufelin und ruft Maria um Hilfe an. Venus läßt ihn schließlich ziehen. Sie mahnt ihn aber, ihr Lob zu verkünden (A: Danheuser verspricht dies von sich aus) und von dem Greysen Abschied zu nehmen. Str. 16–20: Danheuser zieht nach Rom und beichtet dem Papst. Dieser weist auf einen trockenen Stab: so wenig dieser grünen könne, so wenig werde er Gottes Huld gewinnen (A: der Papst steckt einen Stab in die Erde; wenn dieser Rosen trage, seien ihm die Sünden vergeben). Str. 21–24: Danheuser glaubt, wenn er nur noch ein Jahr zu leben hätte, könnte er auf Gottes Gnade hoffen (fehlt A). Mit einem Anruf an Maria zieht Danheuser fort und wieder in den Berg, wo Venus ihn begrüßt. Str. 25f.: Nach drei Tagen grünt der Stab, der Papst läßt Danheuser suchen, aber der ist wieder im Berg; deshalb muß Papst Urban IV. ewig verloren sein (A: Kein Name des Papstes; Zusatz: Kein Papst soll einen reuigen Sünder krencken). Die jüngere niederdeutsche Fassung C weicht von AB vor allem im Schluß ab: Danhuser zieht wieder in den Berg, erklärt aber Venus gegenüber, er hoffe noch auf Christi Gnade; der Papst ist betrübt, daß er Danhuser nicht mehr finden kann, Gott aber wird Danhusers Begehren erfüllen. In den beiden ebenfalls jüngeren niederländischen Fassungen (D1 und D2) heißt der Held Daniel. Der Abschiedsdialog ist gekürzt. Nach der Abweisung durch den Papst holt Daniel drei Kinder seiner Schwester und führt sie mit in den Berg zu Venus; dort aber will er (dies nur in D2) weder essen noch trinken, und wenn Venus lachen und spielen will, so schweigt er.
Die Ballade ist sicher älter als ihre älteste erhaltene Aufzeichnung; es fragt sich nur, wie viel älter. Man hat immer wieder die Nennung von Papst Urban IV. (1261–1264), die genau zu Tannhäusers Lebenszeit paßt, als Argument dafür angeführt, daß die Ballade schon um 1300 entstanden sein müsse, zu einer Zeit, da man sich noch an den historischen Tannhäuser erinnerte. Mir erscheint dieses Argument nicht stichhaltig. Zunächst ist zu beachten, daß der Name des Papstes nur in einer der vier Fassungen genannt wird, in der Fassung B, die erstmals 1515 bei Jobst Gutknecht in Nürnberg gedruckt wurde. Es ist die Fassung mit den wenigsten Brüchen und Entstellungen, und Š man muß gerade deshalb damit rechnen, daß sie nicht in allen Zügen das Ursprüngliche bewahrt, sondern daß Gutknecht den Text für den Druck hat aufbereiten lassen. Ich möchte die Möglichkeit nicht ausschließen, daß bei dieser Gelegenheit und in diesem Umfeld der Papstname sekundär in den Text geraten ist. Zweifellos wußte man, daß hinter der Balladenfigur ein Dichter stand, den man aus anderen Traditionen kannte, und man konnte jederzeit historisches Wissen einsetzen. Solches gleichsam literaturgeschichtliches Denken ist in Nürnberg zu Beginn des 16. Jahrhunderts besonders gut vorstellbar. Meistersinger und Humanisten waren je auf ihre Weise und aus ihrer Perspektive an Wissen über frühere Dichter interessiert. Und immerhin gab es in Nürnberg um diese Zeit eine Familie Danhauser, aus der u. a. ein Humanist stammte;22 auch das mag zu historischen Fragen angeregt haben. 22
Vgl. Hans Rupprich (Hg.), Der Briefwechsel des Konrad Celtis, München 1934, S. 23 f., Anm. 1.
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Die Verbindung des Namens Urban mit dem Stoff könnte allerdings auch älter sein. In dem mittelfranzösischen Prosaroman ›Le Paradis de la reine Sibylle‹ von Antoine de La Sale, dessen Quelle ich für eine Quelle der Tannhäuser-Ballade halte (davon wird noch die Rede sein), beichtet der Held zunächst in Rom »bei Papst Innocent des Jahres 1352, andere sagen, daß es Papst Urbain dit Grimouault des Jahres 1362 war; und man sagt auch, es sei Papst Urbain de Limozin des Jahres 1377 gewesen«; als ihm dort die Absolution verweigert wurde, wandte er sich an Papst Clement in Avignon.23 Vielleicht war also der Papstname Urban schon mit jener Erzählung verbunden, die der Tannhäuser-Ballade das Handlungsgerüst geliefert hat. Die Fixierung auf den älteren Urban IV. muß dann freilich im Wissen um die Lebenszeit des historischen Tannhäuser erfolgt sein. Das wäre, wie gesagt, in Nürnberg um 1515 besonders gut vorstellbar, ist aber auch früher und andernorts durchaus möglich. Denn der Verfasser der Urballade war in literarischen Mustern bewandert, und ihm konnte historisches Wissen über den Tannhäuser auch dann zugänglich sein, wenn er, wie ich annehme, nicht allzu lange vor dem Einsetzen der Anspielungen auf die Tannhäuser-Sage gedichtet hat, Ende des 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts. Eine Notwendigkeit, die Ballade nur wegen der Korrektheit des Papstnamens weit zurückzudatieren, sehe ich jedenfalls nicht. Um 1300 wäre die Ballade als Texttypus völlig einzigartig, aus dem 15. Jahrhundert aber sind mehrere Balladen überliefert, darunter auch zwei über Dichter des hohen Mittelalters. Die Tannhäuser-Ballade ist nicht nur in verschiedenen Fassungen mit z. T. auch in sich sehr variabler Gestalt überliefert; sie ist auch insofern ein offener Text, als sie an einigen Stellen weiteres Sagenwissen vorauszusetzen scheint. Der Greyse (Str. B 15) ist wohl der getreue Eckart, von dem die Heldenbuch-ŠProsa des 15. Jahrhunderts berichtet, er sei noch vor frau fenus berg vnd sol auch da beleiben biß an den iüngsten tag vnd warnet alle die in den berg gan wöllent.24 In Str. B 9 und 21 könnte angedeutet sein, daß Danheuser, wenn er den Berg verläßt, nur noch eine begrenzte Zeit zu leben hat. Es ist nicht unmöglich, daß ein älterer vollständigerer Text der Ballade solche Motive deutlicher ausgeführt und in einen konsistenten Zusammenhang eingebunden hatte, ein Text, der uns heute verloren ist. Und es ist auch nicht mit Sicherheit auszuschließen, daß ein längerer hochliterarischer Text, von dem die Ballade nur eine Kurzfassung ist, eine Tannhäuser-Erzählung geboten hat, aus der alle Rätsel und offenen Enden der erhaltenen Fassungen widerspruchsfrei erklärbar wären. Aber die Erfahrungen der Heldensagenforschung sollten uns vorsichtig machen. Dort ist das Rekonstruieren von völlig stimmigen Vorstufen zu Recht in Mißkredit geraten.
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Antoine de La Sale, Le Paradis de la reine Sibylle, hg. von Fernand Desonay, Paris 1930, Kapitel 11, S. 32–34; zu den Papstnamen ebd. S. LXX–LXXIV. Joachim Heinzle (Hg.), Heldenbuch, nach dem ältesten Druck in Abbildung, Göppingen 1981 (Litterae 75/1.2), Bd. I, 6vb, Bd. II, S. 240.
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Zwar waren die Lebensbedingungen der Tannhäuser-Ballade sicher nicht ganz die der heldenepischen Tradition: es gab kein altetabliertes, vielsträngig tradiertes Sagenwissen. Aber wie Heldenepen und Mären und wie ein Großteil der spätmittelalterlichen Lieddichtung gehört die Ballade doch in eine Literaturschicht, die der Mündlichkeit nahe stand und Darstellungsweisen mündlicher Literatur auch in der Schriftlichkeit und auch bei der Aufnahme hochliterarischer Motive weiterpflegte. Makellose Kohärenz ist da schon bei der Erstkonzeption nicht unbedingt zu erwarten, und im Laufe der Tradition können leicht Motive aus anderen Kontexten frei assoziiert worden sein, sei es als freie Phantastereien, sei es als Versuche der Erklärung von Unverstandenem. Mit den offenen Enden des Textes und den unlösbaren Fragen einer möglichen Textvorgeschichte wird man also leben müssen. Dennoch darf man versuchen, die Ballade oder die Geschichte, die sie erzählt, als ganze in den Blick zu fassen. Dietz-Rüdiger Moser hat 1977 versucht, die Tannhäuser-Sage aus einer Büßerlegende vom Typus der Chrysostomus-Legende abzuleiten.25 Daran ist überzeugend, daß das alte Aaronstabmotiv, das Motiv vom Stab, der wider alle Erwartung grünt, ähnlich eingesetzt ist wie vergleichbare Zeichen in Büßerlegenden. Die Absolution wird dort vom Papst nicht eigentlich verweigert, sondern der Sünder wird wegen der besonderen Schwere der Sünde auf ein langes Büßerleben verwiesen, dessen Ende ihm erst durch ein Wunder Gottes angezeigt wird. Die Fassung A drückt die Erwartung eines Gotteszeichens noch deutlich aus (Str. 17): Dye pawes had der einen dariken stock, den stack hye yn dye erden: ‘wen hye rode rosen drecht, so synt dy dyn sunde vergeven.’
Wenn Moser aber dann das Umbiegen dieses Motivs in der Ballade bloß negativ als ein Mißverständnis dessen wertet, was die postulierte Vorlage lehren wollte, dann verkennt er die fast novellistische Pointe, die damit gewonnen ist. Das Gotteszeichen kommt zu spät. Hat sich Gott nicht genügend beeilt? Oder hat sich der Tannhäuser durch Ungeduld oder desperatio das Heil verscherzt? Er dachte an ein Jahr Buße, aber für Gott hätten drei Tage genügt. Oder hat doch der Papst Tannhäusers Situation nicht richtig eingeschätzt? Wie lange hatte Tannhäuser noch Zeit? Wird Gott ihn trotz allem noch aus dem Venusberg retten? Daß solche Fragen nicht beantwortet werden – was die Schlüsse der verschiedenen Fassungen versuchen, sind bestenfalls Teilantworten –, daß die Rätselhaftigkeit des Schlusses Phantasie und Nachdenklichkeit anregt, kann man auch als literarische Qualität verstehen.
25
Dietz-Rüdiger Moser, Die Tannhäuser-Legende. Eine Studie über Intentionalität und Rezeption katechetischer Volkserzählungen zum Buß-Sakrament, Berlin/ New York 1977 (Fabula. Suppl.-Serie Reihe B, 4).
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Ein wichtiges Glied in Mosers Argumentation ist Tannhäusers Antwort auf das Angebot der Venus, ihm eine ihrer Gespielinnen zur Ehefrau zu geben (Str. A 5, vgl. B 6): ‘Neyme yck nu eyn ander wyff, dan ick heb yn mynen synne, so moest ick nu ind to allen tyden in der hellen grunt versynken.’
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Moser versteht diese Strophe als Hinweis auf ein gebrochenes Zölibatsgelübde, und dies sei die spezifische Schuld Tannhäusers, die ihn zur Fahrt nach Rom zwinge; denn für Bruch des Zölibats war nach dem Bußrecht der Kirche ausschließlich der Papst zuständig. Mit dieser Interpretation scheint mir der Text, wie er in der Mehrzahl der Fassungen vorliegt, in unzulässiger Weise vereindeutigt und ›aufgefüllt‹. Ein Bezug auf Maria ist hier nicht zu leugnen. Aber es kann mindestens ebenso gut gemeint sein, daß der Tannhäuser, der (nach Str. B 2) als Ritter eher aus curiositas, weil er wunder schawen wollte, in den Venusberg gezogen ist, jetzt, da ihm der Ernst der Lage bewußt wird, seine Hoffnung auf Maria setzt. Moser beruft sich denn auch auf die niederländische Fassung D1, wo in der Tat von einem Gelöbnis die Rede ist: ic heb maria, de moeder gods, ghelovet, liefge, mijnre trouwe, sagt da Her Danel.26 Als Zölibatsgelübde im kirchenrechtlichen Sinn sind wohl auch diese Verse nicht ohne weiteres zu verstehen; und man wird den Text dieser einen Fassung, die erst nach 1525 bezeugt ist und einige deutlich sekundäre Züge aufweist, nicht gegen alle übrigen Fassungen mit dem der Urfassung gleichsetzen dürfen. Moser hat, auch wenn ich seinen Schlüssen nicht zu folgen vermag, zweifellos eine wichtige Dimension der Tannhäuser-Ballade aufgezeigt. Buߊthematik und Marienfrömmigkeit sind in den erhaltenen Texten präsent, und ein genetischer Zusammenhang mit Büßerlegenden ist für das Stabwunder unabweisbar. Ich sehe diese geistliche Dimension aber nicht als bestimmend für die Erzählstruktur an, sondern eher als thematische Akzentuierung eines verbreiteten allgemeineren Erzählmusters, eine Akzentuierung, die man sich nicht unbedingt als einmalige konsequente Umgestaltung vorstellen muß. Die Tannhäuser-Sage folgt, wie man längst gesehen hat,27 dem Schema von der Verbindung eines Sterblichen mit einer jenseitigen Frau, Aufenthalt in deren Reich, öfter einem Berg, Rückkehr zur Menschenwelt und – nur in einigen Varianten – endgültigem Eingang ins Feenreich. Das Schema ist in der spätmittelalterlichen Erzählliteratur weit verbreitet. Welche Variante dieses Schemas auf welchem Wege auf die Entstehung der Tannhäuser-Sage eingewirkt hat, muß offen bleiben. Was man als spezifischere Parallelen mit der schottischen Ballade ›Thomas Rhymer‹ angeführt hat28 – der Held ein Dichter, der den Auftrag erhält, 26 27
28
Hier nach Barto (wie Anm. 14), S. 158, vgl. Moser, S. 23f. Gaston Paris, Legendes du moyen age, Paris 1903, S. 113–145, hier 133ff.; Otto Löhmann, Die Entstehung der Tannhäusersage, in: Fabula 3 (1960), S. 224–253 (mit vollständiger Bibliographie zur Tannhäuser-Sage). Löhmann (wie Anm. 27), S. 239f.
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das Lob der Fee zu verkünden, vgl. Str. B 15 der Tannhäuser-Ballade – , scheint mir wenig Gewicht zu haben. Auffällig sind jedoch die Parallelen zu zwei Erzählungen, die sich an den Sibyllenberg von Norcia in den Bergen Umbriens hefteten.29 Zwar scheinen erst seit der Mitte des 15. Jahrhunderts deutsche Reisende, die wohl schon die Tannhäuser-Ballade kannten, den Sibyllenberg mit dem Venusberg identifiziert zu haben, und die bloße Vorstellung von einem wunderbaren Reich im Berg, wie sie die zahlreichen Zeugnisse belegen, ist für unsere Fragestellung zu unspezifisch.30 Aber schon um 1410 erzählt Andrea de Magnabotti da Barbarino im ›Guerino il Meschino‹ eine der Tannhäuser-Sage ähnliche Episode vom Besuch eines Ritters im Sibyllenberg: auch Guerino bleibt genau ein Jahr (vgl. Str. B 19), auch er zieht anschließend nach Rom, um vom Papst Absolution zu erhalten. Der Tannhäuser-Ballade noch ähnlicher ist eine wenig jüngere Variante, die Antoine de La Sale in seinem ›Paradis de la reine Sibylle‹ erzählt; hier erhalten der Ritter und sein Knappe Geliebte aus dem Gefolge der Sibylle (vgl. Str. B 5), und nach der Beichte des Ritters vor dem Papst, der hier tatsächlich die Absolution nur hinausschiebt, um die wahre Bußgesinnung zu prüfen, erreicht der Knappe durch eine List, daß sie beide auf immer in den Berg zurückkehren.31 Ein Zusammenhang der beiden Romane mit der Tannhäuser-Sage liegt auf der Hand; bei La Sale findet sich sogar, wenngleich anders Š motiviert, das Motiv der verhängnisvoll mißglückten Buße, und es wird, wie gesagt, eine Tradition zitiert, daß der Papst Urban geheißen habe. Es ist chronologisch nicht völlig auszuschließen, daß diese Sibyllenbergerzählungen schon von der Tannhäuser-Sage beeinflußt sind; sehr viel wahrscheinlicher ist jedoch, daß sie oder eher noch ihre Quelle oder eine nah verwandte Fassung die deutsche Tannhäuser-Sage mitgeprägt haben, die ›Sage‹ oder eben die Ballade, die uns als variabler Text überliefert ist. Das Handlungsgerüst, dessen Herkunft wir damit nahegekommen sein dürften, macht freilich noch nicht die ganze Tannhäuser-Sage und noch nicht die ganze Ballade aus. Zu erklären bleibt die Verknüpfung mit dem Namen Tannhäuser und die spezifische literarische Machart der Ballade. Um mich diesen Problemen anzunähern, setze ich noch einmal beim Dichter Tannhäuser an und frage nach der Tannhäuser-Überlieferung und dem Tannhäuser-Bild im Spätmittelalter. Die Spätüberlieferung im engeren Sinn ist schmal; vom Bestand des C-Corpus finden sich, umgearbeitet, sechs Strophen in zwei Tönen auch in jüngeren Handschriften. Der eine Fall bleibt für die Frage nach der Tannhäuser-Sage unergiebig. Das dreistrophige Lied IX, eines der Lieder von den unerfüllbaren Forderungen der Geliebten, erscheint in zwei Handschriften des 15. Jahrhunderts, einmal oberflächlich entstellt, aber auch mit ein paar beachtenswerten, möglicherweise authentischen Lesarten im 29 30
31
Beste Diskussion bei Löhmann (wie Anm. 27), S. 225–233. Vgl. Marjatta Wis, Ursprünge der deutschen Tannhäuserlegende. Zur Geschichte mittelalterlicher Pilgertraditionen, in: Neuphil. Mitt. 61 (1960), S. 8–58. Referat vor allem nach Löhmann (wie Anm. 27), S. 225–229, vgl. auch oben Anm. 23.
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Berliner Ms. germ. fol. 922, einmal grundlegend verändert und auf elf Strophen erweitert in der Kolmarer Liederhandschrift.32 Es ist reizvoll, die Veränderungen zu verfolgen, vor allem die in der Kolmarer Handschrift:33 Durch Weglassen des Refrains ist das Lied dem Formtypus der Meisterlieder angenähert; und während Tannhäusers Minnelied, wie C es überliefert, über die unsinnigen Forderungen der Geliebten eine ironisch-kritische Distanz gegenüber Dame und Minne aufbaut und dennoch den Gestus des Minnedienstes gerade noch einhält, kann sich die meistersingerliche Bearbeitung im Erfinden immer weiterer unsinniger Forderungen der Geliebten nicht genug tun, um am Ende in einer handfesten Aufforderung zu Ehezucht und Verprügelung einer solchen anmaßenden Frau auszuklingen.
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Interessant aber ist der andere Fall, die Umformung von drei Strophen aus Ton XII. Klagen des Fahrenden, daß er immer nur Gast sei, von der Gesellschaft nicht angemessen geschätzt (Stücke aus XII, Str. 1 und 2), und ein Katalog von Flußnamen, der wohl auch auf die Fahrendenthematik zu beziehen ist (swer des gelouben welle niht, der var, unz erz beschouwe, XII, Str. 4), erscheinen in der Berliner Handschrift Ms. germ. qu. 414, die Hans Sachs 1517/18 geschrieben hat, als die beiden Anfangsstrophen eines siebenstrophigen Meisterlieds.34 Im wesentlichen stellt dieses Lied einen Katalog von Fluß- Š und Bergnamen dar, ebenfalls auf die Fahrendenthematik bezogen: die perg vnd wasser lis ich far, wolt mich der wirt behaussen. Zwei Umformulierungen aber sind in unserem Zusammenhang bemerkenswert. Im Flüssekatalog ist eine Stelle in eine IchAussage umgeformt: aus Rome bi der Tiver lit ist geworden ich sucht Rom bi der Tiver starck. Sollte dies ein entfernter Nachklang der Romfahrt der Sage sein? Sicherer bin ich mir an der anderen Stelle: Beim Tannhäuser heißt es in einem wehmütigen Rückblick nach Nürnberg, wo der Dichter bekannt war und es ihm gut ging (XII, Str. 2): Ich tet vil manegez hie bevor, daz mich nu riuwet sere; het ich gewist, daz ich nu weiz, ich hete lihte mere. In kande do min selbes niht, des muoz ich dicke engelten.
Im Meisterlied ist der Bezug auf Nürnberg getilgt, und die entsprechenden Verse lauten: Ich det ein ding, wer es hin für, ich det es nym vurbare; dar vmb mus ich vil lant durch stür vnd fremde stet erfare. vnd das ich nicht an gut pin reich, des mus ich offt engelten.
32 33
RSM 1Tanh/4/1; dort Nachweis der Ausgaben. Vgl. Christoph Petzsch, Tannhäusers Lied IX in C und im cgm 4997. Adynatonkatalog
und Vortragsformen, in: Euphorion 75 (1981), S. 303–324. 34
RSM 1Tanh/1/500, Ausgabe Siebert (wie Anm. 18), S. 227–231.
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Aus der Klage des Tannhäusers, daß er die glücklichen Bedingungen von Nürnberg leichtsinnig und ohne die Härte des Fahrendenlebens zu bedenken aufgegeben habe, ist die Andeutung einer bestimmten Schuld geworden, die der Dichter nun durch sein Fahrendendasein büße. Das insinuiert eine Tannhäuser-Geschichte von Schuld und Buße, die der Ballade nicht im Handlungsgerüst, wohl aber im thematischen Ansatz entspricht. Wenngleich eine solche Sagenversion nirgends wirklich erzählt wird, sind ähnliche Vorstellungen doch auch sonst nachweisbar. Das wird ein Überblick über die weiteren späten Lieder und Gedichte, die mit dem Namen des Tannhäusers verbunden sind, zeigen. Zu prüfen ist bei der Spätüberlieferung auch, ob nicht vielleicht aus dem 15./16. Jahrhundert Texte oder Töne überliefert sind, die auf ›echte‹ Tannhäuser-Texte und -Töne zurückgehen, aber in der frühen Überlieferung fehlen. Bei den Texten halte ich dies für so gut wie ausgeschlossen, die Überarbeitung müßte denn so tiefgreifend gewesen sein, daß vom echten Tannhäuser noch weniger übriggeblieben wäre als von dem eben besprochenen Lied IX in der Kolmarer Handschrift. Dagegen halte ich es nicht für unwahrscheinlich, daß zwei im 15. Jahrhundert unter Tannhäusers Namen überlieferte Töne echt sind oder einen echten Kern haben: Tannhäusers Tagweise,35 nur einmal überliefert, und Tannhäusers Š Hauptton oder Goldener Ton, der zum beliebtesten Tannhäuser-Ton bei den Meistersingern wurde.36 Aber da es gängige Praxis war, berühmten Meistern weitere Töne zuzuschreiben, ist Sicherheit hier nicht zu gewinnen.
Für die Genese der Sage ist zunächst einmal wichtig, daß der Name des Tannhäusers in der Tradition meisterlicher Lieddichtung präsent war. Der Tannhäuser war im 15. Jahrhundert einer der bekannteren Sangesmeister der alten Zeit. Sein Name erscheint in den Dichterkatalogen von Hans Folz und Konrad Nachtigall.37 Man konnte seine (echten oder unechten) Töne benutzen, um neue Meisterlieder zu dichten. Im Gedicht von den zwölf Meistern im Rosengarten wird er sogar mit den alten Meistern zusammengebracht, zwar nicht als einer der zwölf, die den Meistergesang gründeten, aber doch als einer, der mit ein paar anderen ein bißchen zu spät kam, dann aber doch von den zwölfen ehrenvoll aufgenommen wurde.38 Man legte dem Tannhäuser auch genauso wie anderen Sangesmeistern ein ›Endlied‹ in den Mund, ein Lied, das er kurz vor seinem Tod gedichtet haben soll; es ist genau wie bei anderen ein Lied bußfertiger Todesvorbereitung und frommer Bitten um Gnade.39 Aber mitten in diesem Endlied werden in der einen Handschrift völlig unvermittelt zwei Zeilen ersetzt: statt auf das mich nit der helle trach / verschlint dort ymer mere heißt es da (und zwar wohl durch sekundäre Änderung) ach daz fraw venus ie gesprach / ›du edler tanhusere‹.40 Das 35 36 37
38 39 40
RSM 1Tanh/7/1. RSM 1Tanh/6/1–6.
Vgl. Horst Brunner, Dichter ohne Werk, in: Überlieferungsgeschichtliche Editionen und Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters. Fs. Kurt Ruh, Tübingen 1989 (TTG 31), S. 1–31. RSM 1Liebe/1/7. RSM 1Tanh/6/3; vgl. RSM 1Beh/287, 1Frau/4/20–22, 1Frau/33/2, 1Marn/7/573. Zitate nach Siebert (wie Anm. 18), S. 218–221. Die Erwähnung der Venus findet sich
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ganz normale Bild des alten Meisters Tannhäuser konnte also mit Zügen aus dem Tannhäuser-Bild der ›Sage‹ angereichert werden. Zwei Motive kehren in den Liedern und Gedichten, die im 15. Jahrhundert mit Tannhäusers Namen verknüpft werden, mehrfach wieder: die Unruhe des Fahrenden und der Absagedialog. Das erste fehlt der Ballade, kann aber als Fortschreiben der Fahrendenrolle in den echten Dichtungen des Tannhäusers verstanden werden. Die wilden sträß gar manigfalt die bu ich durch ain wunder, heißt es in Tannhäusers Tagweise;41 Steg vnd stroß hon ich gebawen In deinem dinst, das ist mir leyt, sagt der Tannhäuser im Dialog mit Frau Welt;42 von der Š Erweiterung der Fahrendenstrophen aus Ton XII war schon die Rede. Am weitesten ausgeführt ist das Motiv in einem Lied in Tannhäusers Hauptton oder Goldenem Ton, das mit verschiedenem Strophenbestand in der Kolmarer (k) und der Wiltener (w) Meisterliederhandschrift überliefert ist.43 Der in Ich-Form gehaltene Text setzt eine Bußfahrt nach Rom voraus (k 84 / w 38), artikuliert Kritik an der kirchlichen Beichtpraxis (k 6 / w 6; k 75f. / w 30f.) und Hoffnung auf einen direkten Gnadenerweis von Christus (wys du mich selber baß k 26); denn es wart kein missetat so groß, gedenck ich mir, enpfeht der sunder ruwe, annemlich ist er dir (k 17–20 / w 17–20). Eine Wiederhinwendung zu Venus ist im Bereich des Denkbaren, wird aber im Gebet abgewiesen: nu lösa, herr, mich vß der sunden strange; ich kert mich nym an fenus vin, ob ich dich, herr, empfange (k 44–46, fehlt w). All das ließe sich durchaus ins Handlungsgerüst der Ballade einfügen. Aber Rom ist hier nur eine Station in einer langen Folge von exotischen Ländern und Orten, zu denen Dämonen mit den abstrusesten Namen den Dichter geführt haben sollen: Von Ewade mich vß Deruß Merus mich furt hin von Wersede zu Dempor in die stat. da gunde mich Boleta ser besliessen. Machmeus furte mich, der struß, biß hin gein Momordya. Noch sneller was Hanbruß,
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in der älteren der beiden Handschriften, der Kolmarer Liederhandschrift (um 1460), die insgesamt den besseren und eigenartigeren Text bietet. Die beiden Verse bleiben aber im Gesamttext so isoliert, daß ich für diese Stelle doch eher der jüngeren Handschrift Berlin, Ms. germ. qu. 414, Vertrauen schenken möchte. In dem ähnlich gelagerten Fall RSM 1Tanh/6/2 ist der Bezug auf die Sage noch offensichtlicher sekundär in den Text gesetzt worden. RSM 1Tanh/7/1; Zitat nach Barto (wie Anm. 14), S. 226–230, hier Str. 2. Vgl. Anm. 20; Zitat nach Ursula Schmid, Codex Karlsruhe 408, Bern/München 1974, S. 569–573, v. 25f. RSM 1Tanh/6/1; zitiert (mit Großschreibung der Namen) nach dem Paralleldruck bei Margarete Lang, Tannhäuser, Leipzig 1936 (Von deutscher Poeterey 17), S. 171–175; Versuch einer Rekonstruktion bei Siebert (wie Anm. 18), S. 210–215.
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dar an wart ich betort, zwar ich gebien in ee, manche die waz myn pfat, der sinen fur begund mich ser verdriessen [. . .] (k 93–104; w 47–58 stark abweichend)
Mit seiner Häufung fremder und phantastischer Namen ist dieses Lied ein Nachhall echter Tannhäuser-Lieder, wie sie C überliefert. In Lied IX, dem Lied von den unmöglichen Wünschen der Geliebten, von dem schon die Rede war, greift die Phantasie auch ins Exotische aus. Und in Leich V wird als Hintergrund für die einzigartige Schönheit der Geliebten ein Tableau teils bekannter, teils kuriosexotischer Länder- und Städtenamen ausgebreitet, und zu manchen sagt der Dichter, da sei er gewesen (V,4 f.): ze Jerusalem zem Cornetal hin bin ich komen, Nicosia (Hs. Encolie) ist mir wol kunt in Kiperlant. In Armenie (Hs. Normanya) ich was. wie kume ich da genas! für Antioch kam ich ze Türki (Hs. Tu´rgis) sunder danc: – da was der Tatern (Hs. tate) vil, von den ich swigen wil. der Vatas (Hs. Vattan) gar mit siner mute Kriechen twanc.
Nimmt man noch Lied XIII, das Kreuzlied, mit seinen Windnamen und der drastischen Schilderung des Umhergetriebenseins hinzu, so darf man behaupten, daß die Vorstellung von dem rastlosen Weltenwanderer Tannhäuser in den von C überlieferten Texten mehrfach Anknüpfungspunkte findet. Da und dort könnte man sogar versucht sein, in einzelnen Namen oder Formulierungen konkrete Zusammenhänge aufzuspüren. Aber ich denke doch nicht so sehr an punktuellen Einfluß der alten Texte. Eher hat sich aus Fahrendenmotivik und Namenkatalogen in Tannhäuser-Liedern ein Rollenkonzept entwickelt, das zu phantasievollen Ausgestaltungen reizte. Dieses Rollenkonzept ist hier bereits in doppelter Weise sagenhaft überformt, einerseits zu einem Geisterbeschwörer Tannhäuser, andererseits zu dem Büßer, der bei Venus war und in Rom abgewiesen wurde. Wie beide Aspekte verknüpft sein sollen, wird in diesem lose komponierten und schlecht überlieferten Lied nicht deutlich. Denkbar wäre ja eine Sagenversion, in der der Tannhäuser nach seiner Abweisung in Rom, von Dämonen gehetzt, auf Gnade hoffend, durch die Welt irrt. Möglicherweise sind hier aber auch zwei Strophengruppen mit unterschiedlichen Konzepten nur oberflächlich zu einem Lied verbunden worden. Wichtig aber scheint mir, daß hier überhaupt ein sagenhaft überformtes Rollenkonzept nachweisbar ist, das sich eng an authentische Texte des Tannhäusers anschließen läßt. Und dieses Konzept dürfte alt sein, denn es speist sich überwiegend aus Texten, die im Spätmittelalter nicht mehr bekannt waren. Hier scheint mir ein erster Ansatzpunkt für die Tannhäuser-VenusbergSage zu liegen. Wenn der Dichter bereits zu einer von Phantasie und Sagenelementen umspielten Figur geworden war, konnte sein Name leicht mit einer bereits mehr oder weniger fest vorgeformten Erzählung verknüpft werden.
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Das andere Motiv, das im 15. Jahrhundert wiederholt mit dem Namen Tannhäuser verbunden wird, ist der Abschieds- oder Absagedialog. Er prägt ja die Ballade sehr wesentlich: etwa die Hälfte der Strophen ist dem Dialog mit Venus gewidmet, während die erzählenden Partien bis zur Unverständlichkeit kurz geraten sind. Diese auffällige Disproportion ist nur daraus verständlich, daß hier ein traditionelles Muster der mittelhochdeutschen Lieddichtung adaptiert wurde. Schon Walther von der Vogelweide stellte sich ähnlich dar im Dialog mit Frau Welt, die sich als Minnedame gibt, aber mit dem Teufel verbunden ist (L. 100,24ff.). Der Typus war im 15. Jahrhundert bekannt: In der Kolmarer Liederhandschrift wird Konrad von Würzburg ein solcher Dialog in den Mund gelegt: wie der meister der welt vrlaub git.44 Auch Hugo von Montfort hat den Typus in einem Lied aufgegriffen und variiert.45 Der Š Tannhäuser aber erscheint außer in der Ballade sogar noch in zwei weiteren derartigen Dialoggedichten. Das eine, ›Tannhäuser und Frau Welt‹,46 mag Ende des 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts entstanden sein; dadurch daß es in einer Handschrift von 1430/35 aufgezeichnet wurde, stellt es, wie schon erwähnt, zugleich das früheste sichere Zeugnis einer Tannhäuser-Sage dar. Dieses Gedicht steht der Tradition in mehrfacher Hinsicht noch besonders nahe: hinter der Aufzeichnungsform ist eine ursprüngliche strophische Form zu erschließen,47 die Dialogpartnerin ist Frau Welt, und der Absagende ist als Sänger erkennbar (Vnd sol ich dich also verlysen, Du vil getrewer Tannheuser, Vnd deinen sanck also verkysen, Das ist mir ein leydes mer, vv. 159–162). Der Dialog arbeitet denn auch mit den konventionellen Motiven der Weltabsage und könnte zum größten Teil jedem beliebigen Dichter zugeordnet sein. Erst am Ende nennt Frau Welt als letztes Lockargument Venus und Asterot,48 die den Tannhäuser in den Berg lassen wollen und ihm Liebe versprechen. Tannhäuser sagt auch ihnen ab. Daß dabei ein früherer Aufenthalt bei Venus und Asterot vorausgesetzt wird, ist wahrscheinlich, wird aber aus dem Wortlaut nicht ganz deutlich. 44
RSM 1KonrW/7/507.
45
Hugo von Montfort, hg. von Joseph Eduard Wackernell, Innsbruck 1881 (Ältere tirolische Dichter 3), Nr. XXIX. Vgl. Anm. 20 und 42. Die regelmäßige Folge von kreuzgereimten Vierversgruppen ist nur an zwei Stellen gestört: Am Anfang hat der Schreiber, an Reimpaare gewöhnt, Vers 2 und 3 umgestellt, und Vers 109f. ist ein überzähliges, inhaltlich entbehrliches Reimpaar eingeschoben. Daß je drei Vierversgruppen zu einer sangbaren Strophe zusammenzufassen sind, dafür spricht die Verteilung der Reden. Aus drei metrisch gleichen Bausteinen entsteht zwar keine klassische Kanzonenform. Zu vergleichen ist aber etwa das zitierte Lied Hugos von Montfort, in dem je vier kreuzgereimte Vierversgruppen zu einer Strophe zusammengezogen werden (Melodie bei Ewald Jammers, Ausgewählte Melodien des Minnesangs, Tübingen 1963, S. 213f.). Der Name, im Mhd. sonst mehrfach als Teufelsname belegt, ist hier wohl im Anschluß an III Reg. 11,33 (Astharoth dea Sidoniorum) einer weiblichen Dämonin im Gefolge der Venus zugeteilt.
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Der andere Absagedialog, ›Tannhäuser und Venus‹, neun Strophen aus je zwei kreuzgereimten Vierversgruppen, aufgezeichnet 1453,49 ist wie der erste Teil der Ballade als Abschiedsgespräch mit Venus am Ende eines Aufenthalts bei ihr im Berg gestaltet. Der Anlaß dieses Aufenthalts und das weitere Schicksal Tannhäusers nach dem Abschied werden nicht angesprochen. Angedeutet aber werden zusätzliche ›Sagenelemente‹, rudimentäre Ansätze für Erzählbares, die nicht unbedingt auf ausgestaltete und tradierte Erzählungen verweisen müssen, sondern möglicherweise auch ad hoc erfunden sind, um Atmosphäre zu stiften: Unter den Versprechungen der Venus bleibt die Š schwer lesbare Zeile 2, 7 dunkel: so kompt der aderx (oder ader mit Silbensuspension am Ende?) so schier. Ist etwa zu konjizieren so kompt dir Asterot so schier und damit ein Traditionszusammenhang mit ›Tannhäuser und Frau Welt‹ anzunehmen? Noch merkwürdiger ist, wie Venus sich gegen den Vorwurf, sie sei mit mengem boesen gaist behaft verteidigt (Str. 6): Nun bin ich nit von dem twfel hie, min vater was ain küng her Babolen und Dusgandie (Dusgindie?), dennoch het er landes mer, helt, die wil ich dir nun geben [. . .]
Zu Venus, der Göttin der Liebe, will das nicht recht passen. Umso deutlicher wird hier die Nähe der Venusbergvorstellung zu romanhaften Erzählungen von Zwergenköniginnen und anderen entrückten Frauen im Berg. Zwerge gehören denn auch hier wie in ›Tannhäuser und Frau Welt‹ zu den Requisiten des Venusreichs. Man sollte wohl nicht versuchen, das genealogische Verhältnis der drei Tannhäuser-Absagedialoge genauer zu bestimmen; denn das wäre mit allzu vielen Unsicherheiten belastet. Doch auch dann, wenn die Ballade unabhängig von den beiden anderen Dialogen entstanden sein sollte, vermögen diese die Tradition zu verdeutlichen, die auf die Ballade eingewirkt haben muß. Tannhäusers Abschiedsgespräch mit Venus steht in der Tradition der Abschiede eines Dichters von Frau Welt. Es setzt damit sehr wahrscheinlich ein Wissen darum voraus, daß der Tannhäuser ein Dichter ist, was ja auch in Strophe B 15 der Ballade angedeutet zu sein scheint: Mein lob das solt ir preysen Wo ir do in dem landt vmbfart. Mit dem Modell des Dichterabschiedsdialogs ist aber vor allem auch die thematische Akzentuierung gegeben, die Moser von katechetischen Bußerzählungen her erklären wollte: Der Gegensatz zwischen Weltzugewandtheit im Bild der irdischen Minne und Hinwendung zum Jenseits, der in der Frau-Welt49
Der Eintrag in der Handschrift Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, K 74, 46r–47r ist sehr flüchtig, schwer zu lesen und in einer krausen Orthographie. Ich folge dem normalisierenden Abdruck von F[ranz] J[oseph] Mone, Lieder vom Tannhäuser, in: Anz. f. Kunde der teutschen Vorzeit 5 (1836), S. 169f., halte mich aber bei den Namen an die Handschrift. Für Hilfe bei der Bemühung um Entzifferung danke ich Gerhard Stamm, Karlsruhe.
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Tradition von Anfang an gegeben war, ist dadurch, daß Venus an die Stelle von Frau Welt getreten ist, nur um eine Spur verschärft worden zum Gegensatz zwischen Venus und Maria. Ich versuche, die Fäden zusammenzufassen. Die Tannhäuser-Sage, wie sie von der Ballade gestaltet wird, steht in einem Kontext von variierenden Phantasien und Sagenansätzen um die Figur des Dichters Tannhäuser, die aus dem 15. Jahrhundert anderweitig belegt sind. Mit der realen Biographie des Dichters aus dem 13. Jahrhundert scheinen sie alle nichts zu tun zu haben. Wohl aber haben die ausgeprägte Fahrendenrolle und die auffällige Häufung exotischer Namen im Œuvre des Tannhäusers zu sagenhaften Überformungen des Dichterbildes gereizt. Mit diesem als Faszinosum empfundenen Dichterbild wurden dann – in welcher Reihenfolge, möchte ich nicht entscheiden – zwei formal sehr verschiedenartige, thematisch aber konvergierende literarische Muster verknüpft: einerseits eine mehr oder weniger fertige Š Geschichte vom Aufenthalt eines Ritters in einem Liebesreich im Berg und von seinem vergeblichen Versuch, durch Buße ins kirchliche Leben und zu Gott zurückzufinden, eine Geschichte, wie sie uns recht ähnlich aus den Romanen um den Sibyllenberg von Norcia bezeugt ist; und andererseits die von Walther von der Vogelweide ausgehende Tradition des Abschiedsdialogs eines Dichters mit Frau Welt, übertragen auf Venus, die mit der Liebesdame im Berg gleichgesetzt wurde. Ob das zu spät kommende Stabwunder, das im Ansatz dem Muster von Büßerlegenden folgt, aber im neuen Kontext einem Funktionswandel unterlegen ist, in die Liebesreich-Erzählung vor oder nach deren Verknüpfung mit dem Namen des Tannhäusers eingefügt wurde, scheint mir kein zentrales Problem zu sein. Auch die Frage, woher die Vorstellung vom Venusberg als solche kommt und wie alt sie ist,50 dürfte für die Genese der Dichtersage vom Tannhäuser vergleichsweise wenig relevant sein. Bemerkenswert scheint mir zum Schluß noch eines: Die Ballade, die später Ausläufer in Volksliedern gefunden hat, steht schon in ihren früh überlieferten Fassungen mündlichen Dichtungstraditionen nahe und ist wohl früh auch mündlich tradiert worden. Auch das Zusammenwachsen der Hauptelemente der Tannhäusersage ist am ehesten im Raum mündlicher oder der Mündlichkeit nahestehender Dichtungspraktiken und -traditionen vorstellbar. Dennoch wären Begriffe wie Volkslied und Volkssage für den hier ins Auge gefaßten Komplex grundfalsch. Die Elemente, die zur Tannhäuser-›Sage‹ beigetragen haben, stammen im wesentlichen aus der hohen Literatur, und ein Bewußtsein davon, daß der Tannhäuser ein Minnesänger der Ritterzeit oder ein alter Meister war, scheint nie ganz verloren gegangen zu sein. Insofern ist der Weg vom Tannhäuser zur Tannhäuser-Ballade auch ein lehrreiches Exempel für die Nähe zwischen ›hoher‹ und ›niedrigerer‹, artifizieller und schematisch-formelhafter, schriftgestützter und mündlich komponierter und tradierter Literatur und für die Möglichkeiten des Austauschs zwischen ihnen.51 50
51
Sehr verschiedene Herleitungsversuche bei Wis (wie Anm. 30), S. 50–54, und bei Moser (wie Anm. 25), S. 107–114. Eine Erstfassung dieses Versuchs ist entstanden für das Colloquium, das Günther
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Nachtrag Mein Bild vom Weg zur Tannhäuser-Ballade habe ich 2006 nochmals zusammengefaßt.52 Kurz zuvor war Maria Grazia Cammarota auf das Thema eingegangen.53 Sie setzte z. T. andere Akzente, kam aber in den großen Linien zu ähnlichen Auffassungen wie ich. Zu einem erheblich abweichenden Bild aber ist Hanno Rüther gelangt in einer gründlichen Untersuchung, die 2007 erschienen ist.54 Nach ihm ist die Ballade vermutlich zwischen 1330 und 1400 aus der unmittelbaren Kenntnis der Großen Heidelberger Liederhandschrift C konzipiert worden, angeregt durch den Widerspruch zwischen den dort aufgezeichneten Tannhäuser-Texten und dem Bild des Autors als Deutschordensritter. Alle weiteren Dichtungen von Tannhäuser und Venus oder Tannhäuser und Frau Welt seien bereits von der Ballade beeinflußt, ebenso die Erzählung vom Sibyllenberg in Umbrien. Diese Arbeit hat mir die Unsicherheit mancher meiner damaligen Überlegungen deutlich vor Augen geführt. Aus drei Gründen habe ich mich dennoch entschlossen, den Aufsatz in diesem Band noch einmal abdrucken zu lassen: 1. Mein Hinweis auf das Rollenkonzept des Umhergetriebenen, auf das Rüther in seiner Argumentation nicht einzugehen brauchte, sollte unabhängig von der Frage, ob dieses Konzept in der Entstehungsgeschichte der Ballade eine Rolle gespielt hat, nicht untergehen. 2. Rüthers Bild fußt auf Hypothesen, die ich nicht widerlegen kann, aber auch nicht für sehr wahrscheinlich halte: Die Annahme, daß der kostbare Codex Manesse, wo immer er sich im späteren 14. Jahrhundert befand, dem Dichter der Ballade überhaupt zugänglich war, ist kühn, noch kühner aber die Vermutung, daß der Widerspruch zwischen Bild und Text dieses einen Autors in der riesigen Handschrift in einer fast modernen Weise reflektiert worden sei und den Anstoß zum Erfinden einer Geschichte gegeben habe. Nicht unbedenklich finde ich auch
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Schweikle zu Ehren am 14./15. Januar 1994 stattfand. Sie wurde, leicht modifiziert, noch einmal vorgetragen bei einem Colloquium zu Ehren von Hans Fromm an der Universität München und bei einem Gastvortrag an der Universität Köln. Ich danke den Diskutanten bei diesen Gelegenheiten sowie Dietz-Rüdiger Moser für kritische Einwände und Anregungen. Lyrik des späten Mittelalters, S. 733–737. Maria Grazia Cammarota, Tannhäuser dopo Tannhäuser, in: dies. (Hg.), Riscritture del testo medievale: dialogo tra culture e tradizioni, Bergamo 2005, S. 281–316; vgl. auch dies. (Hg.), Tannhäuser. Le liriche del Codice Manesse, Bergamo 2006, S. 66–69; Tannhäuser, Die Gedichte der Manessischen Handschrift. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Einleitung, Edition, Textkommentar von Maria Grazia Cammarota, Übersetzungen von Jürgen Kühnel, Göppingen 2009 (GAG 749), S. 69–75. Hanno Rüther, Der Mythos von den Minnesängern. Die Entstehung der Moringer-, Tannhäuser- und Bremberger-Ballade, Köln u. a. 2007 (pictura et poesis 23), S. 140– 266.
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Rüthers Umgang mit den romanischen Erzählungen vom Sibyllenberg. Einen Einfluß der Ballade auf diese Erzählungen habe auch ich nicht völlig ausgeschlossen; da literarische Entlehnungen aber in überwältigender Mehrheit von der Romania ins Deutsche gehen und nicht umgekehrt, halte ich einen solchen Einfluß von vornherein für nicht sehr wahrscheinlich. Ein Argument für deutschen Einfluß könnte die Tatsache sein, daß Antoine de La Sale von einem deutschen Ritter berichtet, der in den Sibyllenberg gegangen sei; der Name, den er nennt (was Rüther herunterzuspielen versucht), her hans wanbrabourg,55 führt aber nicht auf den Tannhäuser. Für nicht gerechtfertigt halte ich, daß Rüther die Sibyllenberg-Episode im italienischen Prosaroman ›Guerrin Meschino‹ nicht einmal nennt.56 Sie zeigt, daß es schon vor Antoine de La Sale Erzählungen von einem Ritter gab, der in den Sibyllenberg eindringt, dort erotisch verführt werden soll, sich dann aber zur Buße nach Rom aufmacht. Daß die Buße in diesem Fall nicht mißlingt, sondern in ein weiteres gefährliches Unternehmen führt, könnte auch mit der Konzeption des Romans zusammenhängen. 3. Rüther hält meinen Begriff von ›Sage‹ nicht für hinreichend klar.57 Ich möchte ihn hier explizieren, zumal daraus der entscheidende Unterschied zwischen unseren Vorstellungen deutlich wird. Ich habe ›Sage‹ zunächst gebraucht als Sammelbegriff für die Inhalte der verschiedenen Erzählungen und Erzählansätze und -fragmente, die sich an den Namen Tannhäuser geheftet haben. Daß ich versuche, diese Traditionen so weit wie möglich an Texten festzumachen, dürfte deutlich geworden sein. Aber im Gegensatz zu Rüther rechne ich grundsätzlich mit einer unkalkulierbaren Varianz der Texte und, um die Texte herum, mit einem Fluidum von mündlichen ›Informationen‹, unausgegorenen Konzepten, ungenauen Erinnerungen usw., und dafür scheint mir die Bezeichnung ›Sage‹ nicht ganz abwegig. Die Differenz zwischen unseren Positionen ist also vergleichbar den Kontroversen der Heldensagenforschung. So mag mein Aufsatz eine Gegenposition zu der Arbeit von Rüther präsent halten und damit zu weiteren Überlegungen anregen.
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Hans van Braburg oder Branburg? Der Text ist jetzt besser zugänglich: Andrea da Barberino, Il Guerrin Meschino. Edizione critica secondo l’antica vulgata fiorentina a cura di Mauro Cursietti, Roma/ Padova 2005 (Medioevo e umanesimo 109), die Sibyllenberg-Episode dort in Libro quinto, S. 333–379. Als Entstehungszeit des Romans nimmt Cursietti den Anfang des zweiten Jahrzehnts des 15. Jahrhunderts an. S. 253, Anm. 345.
Hohe Minne um 1300 Zu den Liedern Frauenlobs und König Wenzels von Böhmen In den Jahrzehnten nach 1300 entstand in Zürich die Große Heidelberger oder Manessesche Liederhandschrift. Sie vereinigt die gesamte dort erreichbare höfische Liedkunst von der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts bis zur Gegenwart der Sammler in einem gewaltigen, repräsentativen, aber niemals ganz abgeschlossenen Codex. Wäre sie verloren gegangen oder hätten wir eine ähnlich umfassende Sammlung von der Liedkunst des 14. Jahrhunderts, unsere Vorstellungen von der Geschichte der mittelhochdeutschen Lyrik insgesamt und von der Geschichte des Minnesangs im besonderen wären sicher anders. So aber drängt sich uns das Bild auf, daß die Gattung Minnesang um 1320 ihr Ende gefunden habe. Erst im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts wird wieder in größerem Umfang Liebeslieddichtung für uns sichtbar. Sie ist zwar deutlich noch von der Tradition des Minnesangs mitgeprägt, trägt aber insgesamt so stark veränderte Züge, daß ich sie nicht mehr Minnesang nennen möchte.1 Wie es auch um das Weiterleben und die Verwandlung des Minnesangs im 14. Jahrhundert bestellt sein mag, sicher darf man die Jahrzehnte um 1300 als eine Spätphase des Minnesangs bezeichnen, in der blumigen Sprache der frühen Germanisten als Herbst des Minnesangs. Von einem herbstlichen Nachlassen der Produktivität oder einer Minderung der gesellschaftlichen Attraktivität des Minnesangs ist freilich nichts zu spüren. Vertrauen wir uns dem Zeugnis der Manesseschen Handschrift an, so war in den Jahrzehnten um 1300 die Kunst des Dichtens und Singens von der Minne weit verbreitet. Man beherrscht die anspruchsvollen formalen Techniken; man kennt die Topoi, Metaphern und Gedankenschemata des kultivierten herzbewegenden oder tugendbeschwörenden Redens von Frauen und Liebe; man spielt auch mit grobianisch-gegenhöfischen Antithesen, die doch letztlich den adelig-höfischen Charakter dieser Liebesdichtung bestätigen. Nach wie vor gilt als das zentrale und edelste Liebeskonzept die hohe Minne, das dienend aufschauende Werben um die Gunst einer geliebten Dame, ein Werben, dessen Erfolg immer ungewiß in der Zukunft liegt, u. a. weil es fast durchweg gebunden bleibt an die klagende, flehende, preisende, reflekWolfram-Studien * X. Cambridger ›Frauenlob‹-Kolloquium 1986, hg. von Werner Schröder, Berlin 1988, S. 135–150. 1
Horst Brunner, Das deutsche Liebeslied um 1400, in: Gesammelte Vorträge der 600Jahrfeier Oswalds von Wolkenstein Seis am Schlern 1977, hg. von Hans-Dieter Mück und Ulrich Müller, Göppingen 1978 (GAG 206), S. 105–146.
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tierende Ich-Rede. Aber Š dieses Konzept der hohen Minne, das in den Jahrzehnten um 1200 eine Reihe von bedeutenden Dichtern – Reinmar, Morungen, Hartmann, Walther, Neidhart – zu höchst individuellen Ausgestaltungen, Problematisierungen und Gegenkonzepten provoziert hat, ist etwa seit dem zweiten Drittel des 13. Jahrhunderts zum unproblematischen Besitz der Dichtungstradition geworden. Die Kunst liegt seither eher in der neuen Nuance der Ausgestaltung, etwa einer unerwarteten Konkretisierung herkömmlicher Motive,2 oder in der spielerisch schwebenden Kombination verschiedener Konzepte. Auf der anderen Seite hat sich in der Sangspruchdichtung ein höfisches Reden und Singen von Liebe etabliert, das viele Elemente des Konzepts der hohen Minne verarbeitet, das aber, losgelöst von der Rolle des betroffenen Ich, die Spannung des Lebensrisikos vermissen läßt, die einst den Ich-Liedern ihre Intensität gab. Vor dem Hintergrund dieser Tendenzen der Spätzeit gewinnen die wenigen Versuche, das Konzept der hohen Minne neu problematisierend im Ich-Lied zu gestalten, an Bedeutung. Zwei solche Versuche, die Positionen zweier Dichter, die einander literarhistorisch nahezustehen scheinen, möchte ich im Folgenden etwas näher betrachten: die Lieder Wenzels von Böhmen und Heinrich Frauenlobs. Für die literarhistorische Nähe zwischen den Liedern des Berufsmeisters und denen des königlichen Dilettanten sprechen dreierlei Gründe: historisch-biographische, überlieferungsgeschichtliche und stilistische; unter allen drei Aspekten ist als dritter Minnesänger noch Herzog Heinrich von Breslau einzubeziehen. Ich möchte zunächst diese drei Gründe, die dafür sprechen, innerhalb des späten ostdeutschen Minnesangs hier eine engere Gruppe anzusetzen, kurz entfalten, damit dann vor dem Hintergrund der literarhistorischen Nähe die Besonderheit der beiden Versuche, um die es mir geht, deutlicher hervortritt. Frauenlob, der Berufsdichter, erwähnt die beiden Fürsten in seinen Sangsprüchen. Herzog Heinrich von Breslau nennt er zweimal rückblickend nach dessen Tod 1290, einmal allgemein als idealen Fürsten, wobei dezente Andeutungen erkennen lassen, daß vor allem der Fürst als Gönner der Sänger gemeint ist (V, 81), einmal in einem Preisgedicht auf einen anderen Fürsten (V, 14) als einen der Förderer von ritterschaft. Im selben Gedicht V,14 erwähnt Frauenlob auch, ebenfalls rückblickend, die Schwertleite König Wenzels von 1292, und zwar in einer Weise, daß man annehmen muß, Frauenlob sei bei dem Fest zugegen gewesen. Nach Wenzels Tod (1305) hat Frauenlob eine Totenklage auf ihn verfaßt, was wir aus Ottokars Reimchronik (86556 ff.) Š erfahren. Karl Bertau3 hat darüberhinaus vermutet, daß Peter von Aspelt, der zur Zeit von Frauenlobs 2
Ingeborg Glier, Konkretisierung im Minnesang des 13. Jahrhunderts, in: From symbol to mimesis. The generation of Walther von der Vogelweide, hg. von Franz H. Bäuml, Göppingen 1984 (GAG 368), S. 150–168. 3 Karl Heinrich Bertau, Sangverslyrik, Göttingen 1964 (Palaestra 240), S. 192–194; ders., Genialität und Resignation im Werk Heinrich Frauenlobs, in: DVjs 40 (1966), S. 316–327, bes. 319f.
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Tod Erzbischof war und der dem Dichter daher das Grab im Kreuzgang des Mainzer Doms verschafft haben mag, daß dieser Peter von Aspelt Frauenlob schon aus früherer Zeit gekannt und geschätzt habe; in den Jahren 1289 bis 1296 war Peter von Aspelt zuerst Protonotar, dann Kanzler König Wenzels, und Bertau meint, daß Frauenlob seinen Marienleich für den Kreis um König Wenzel und Peter von Aspelt gedichtet habe. Das ist eine ansprechende, wenn auch unverbindliche Vermutung. Frauenlob hat also Herzog Heinrich und König Wenzel gekannt, ist ihnen vermutlich persönlich begegnet. Was in den wenigen Indizien für persönliche Kontakte sichtbar wird, ist freilich nur die übliche Rollenverteilung: der Berufsliterat preist Fürsten als Fürsten und Gönner; daß diese selbst gedichtet haben, ist ihm offenbar unerheblich. Wenn die Beziehungen auf solche preisenden Nennungen beschränkt blieben, müßten sie auch für uns nicht sehr erheblich werden. Denn es könnte ja sehr wohl sein, daß der Minnesang der fürstlichen Dilettanten und die Artistik des Berufsdichters in getrennten Lebensräumen nach je eigenen Traditionen praktiziert wurden. Immerhin wäre auch die literarische Distanz bei historischen Kontakten ein bemerkenswertes Faktum. In unserem Fall aber bleibt es nicht beim getrennten Nebeneinander. Es gibt auch auf der Ebene der Überlieferung Hinweise auf Zusammenhänge.4 In der Manesseschen Handschrift zwar sind die beiden Fürsten und der Meister, dem Aufbauplan entsprechend, weit auseinandergerückt. Sie scheinen auch aus zwei verschiedenen Quellen in C übernommen worden zu sein, und bei Frauenlob fehlen gerade die Lieder, um die es hier geht. Anders ist es jedoch in dem Überlieferungszweig, der die Frauenlob-Lieder bietet: die Möserschen Fragmente m und die Weimarer Liederhandschrift F, die auch im Wortlaut offensichtlich einen Zweig der Tradition repräsentieren, zeigen eine auffällige Nachbarschaft zwischen den Liedern der drei Dichter. In drei verschiedenen Gruppierungen – m 1r−2v, F 65v−69r und F 81v−88r – stehen da beisammen Lieder Frauenlobs, Lied I König Wenzels und/oder Lied II Herzog Heinrichs und je verschiedene anonyme Lieder, in denen sich Frauenlobs Einfluß zeigt. Ich will mich nicht anheischig machen, diese Kontexte, in denen Frauenlobs Lieder in m und F erscheinen, insgesamt für alt zu erklären oder Stück für Stück bestimmten Stufen zuzuweisen. Die Nachbarschaft von Liedern Frauenlobs mit Liedern Heinrichs von Breslau und Wenzels von Böhmen dürfte jedoch weit zurückreichen. Nicht ausschließen möchte ich, Š daß sie sogar eine gemeinsame Entstehungsgeschichte spiegelt, daß sie unmittelbar mit jenen persönlichen Beziehungen zu tun hat, die uns die preisenden Erwähnungen ahnen lassen. Aber auch wenn es nur ein früher Sammler war, der die Verbindung sekundär hergestellt hat, so ist er offenbar 4
Vgl. Gisela Kornrumpf, Konturen der Frauenlob-Überlieferung, in: Wolfram-Studien X. Cambridger ›Frauenlob‹-Kolloquium 1986, hg. von Werner Schröder, Berlin 1988, S. 26–50 [mit Ergänzungen wieder in: Gisela Kornrumpf, Vom Codex Manesse zur Kolmarer Liederhandschrift, Bd. I, Tübingen 2008 (MTU 133), S. 169–197].
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nicht blindlings verfahren, sondern dürfte einem Wissen um biographische und stilistische Nähe gefolgt sein. Damit bin ich beim dritten Aspekt, unter dem ein Vergleich der Lieder der drei Autoren naheliegt: beim Stil. Es handelt sich durchweg um große Lieder im hohen Stil, alle fünfstrophig, fast alle in besonders großen ausladenden Kanzonenstrophen, alle mit prächtiger Rhetorik das Ich und seine widerstreitenden Empfindungen inszenierend, alle vom Pathos der hohen Minne durchdrungen. In der Lyrik der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts scheint dieser Typus sonst kaum vorzukommen. Darüber hinaus gibt es wörtliche Anklänge und Vorlieben für bestimmte Stilmittel, die kaum anders als mit ›Schul‹-Zusammenhängen erklärt werden können. Für Heinrich von Breslau hat Franz Josef Worstbrock5 einige Hinweise gegeben. Bei Wenzel von Böhmen hat schon Carl von Kraus, der mit diesem Stil offensichtlich nicht recht etwas anfangen konnte und den Verdacht äußerte, es mache sich die böhmische Herkunft Wenzels in seinem nicht idiomatischen Deutsch bemerkbar, in einer Fußnote die Frage nach einem möglichen Einfluß Frauenlobs gestellt.6 Eine Liste der Frauenlob-Parallelen zu Wenzels Lied I macht diesen Einfluß evident.7 Wenzel – Frauenlob 1,1 1,4 1,8
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2,1 2,2 2,3 2,4 2,8 3,1–3 3,6 3,8 3,9f. 4,3 4,6.9 4,8 5,2
5
XIV,1,4 mit niuwen, süzen aventiuren XIV, 21,2 von niuwer sender arebeit; vgl. XIV, 26,16; XIV, 33,10 mit miner (=
der Minne) werden arebeit V,101,19 ein we, daz git ein rich gemüte; V, 113,5 so süze ein we uf ein vro gestemphet; XIV,19, 2 ein swinendez fro Dialog mit dem ,Her Mut’: XIV,3–5 VII,39,6 wol, immer wol; vgl. XIV, 4,2 und XIV, 25,5 z. B. III,2,6 der hochsten ger ein erensedel, wünne; III, 15,8 (noch Š süzer) dan der ger ir ende; XIV,29,8f. wunsches ougenweide, heilflut der senften güte durch die Augen ins Herz: passim XIV, 29,7 al miner freuden anevanc XIV, 13,4–9 Liljen, rosen obe den vesten bluten . . . süze grüze sach ich touwen in den wunnebernden ouwen II, 15, 9 der hohen riche helfe bernden selden holz; V,1, 3 trost bernde XIV,4,1 min lebendez heil jagen, klagen in ähnlichem Kontext: VIII, 15 XIV, 14,8 (F1) mit der zarten, süzen, losen III, 13,1 ganzer liebe vrevel; XIII, 46,4 mit ganzer liebe III, 25,4 süzen wechsel schenken; vgl. auch XIV, 24,5 VII,37,18 wip, reine frucht; vgl. XIII, 60,8; XIV,5,2 die reinen, guten, süzen, hochgebornen frucht
Heinrich von Breslau, in: 2VL, Bd. 3, 1981, Sp. 704–706. KLD II, S. 633. 7 Zitate hier und im Folgenden nach KLD und Frauenlob GA. Die Parallelen sind vorzugsweise Frauenlobs Liedern und seinen übrigen Minnedichtungen entnommen; Zusammenhänge scheinen mir dort näherzuliegen als beim Marienleich, auf den Bertau, Genialität (wie Anm. 3), S. 319 verweist. 6
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5,3
XIV, 12, 5.10 zwar ich brach der blumen zarten . . . nicht han ich dem garten
5,5 5,7
leides me getan bilden ›imaginieren‹ vgl. III,2,1 XIV,1,9 lieben liebe
Ich möchte nicht behaupten, alle diese Parallelen seien Entlehnungen Wenzels von Frauenlob. Manches gibt es auch sonst, manches mag auch unabhängig aus ähnlichem Stilwillen geprägt sein. Die Häufung der Anklänge aber beweist m. E. doch, daß Wenzel sich in hohem Maße (und auch erheblich intensiver noch als Heinrich von Breslau) in die Sprach- und Motivwelt der Frauenlobschen Minnedichtung hineingehört hat. Wenn nun die Lieder Frauenlobs, Heinrichs von Breslau und Wenzels von Böhmen durch historische Kontakte der Autoren, durch Nachbarschaft in der Überlieferung und durch stilistische Gemeinsamkeiten so zusammenrücken, ist es umso reizvoller, auch nach den Differenzen zu fragen. Ich möchte mich hier auf wenige Lieder beschränken, die auf je eigene Weise das Konzept der hohen Minne neu pointieren: ein Lied König Wenzels und drei Lieder Meister Frauenlobs.
* Von den drei Liedern König Wenzels, die die Große Heidelberger Liederhandschrift überliefert, ist das erste das anspruchsvollste; es ist auch am weitesten bekannt geworden.8 ˆ z hoher aˆventiure ein süeze werdekeit U haˆt Minne an mir ze liehte braˆht . . .
Ich verzichte auf eine vollständige Wiedergabe des Textes und übersetze:9 1
8
Durch hohe Fügung hat die Minne ein Bild der Süße und des wahren Adels an mir ausgeführt – vor Freude seufze ich, wenn ich’s bedenke –: sie gab mir zur Bewährung in der Liebe, wie ich es mir nur hatte wünschen können, eine Frau, so schön und zärtlich, daß ich mich dessen immer rühmen will, doch so, daß ich ihr nicht zu nahetrete. Sie gab in großer Freude mir ein prächtiges Weh. Das werde ich hinfort tragen müssen, mag andern es zu Herzen gehen oder nicht.
Carl von Kraus, KLD II, S. 634, verweist auf Wizlaw V 2; Dr. Günter Hägele, Handschriftenabteilung der Bayer. Staatsbibliothek München, hat eine lateinische Cantio Magistri alberti münsterbergii in melodia auz hoher aventewer entdeckt, Publikation ist geplant. [Leider noch nicht erschienen. Vgl. aber G. Hägele, ›Augsburger Cantionessammlung‹, in: 2VL, Bd. 11, 2004, Sp. 173–180, bes. 177.] 9 Gegenüber KLD habe ich gelegentlich die Interpunktion geändert. [Die Übersetzung ist teilweise neu gefaßt, vgl. Nachtrag.]
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Mein Wollen drängte mich, die Geliebte wahrzunehmen – wohl mir! Sie, mein gestilltes Dürsten, die Weide meiner Augen und mein ganzes Heil! Als sie mir durch die Augen kam ins Herz, da mußte ich noch dringlicher als ehedem um sie, die Herrliche, Anmutige, werben, allzu lange fast. Das Herz, die Sinne gab ich hin, daß sie ihr dienten, dem Ursprung und dem Anfang aller meiner Freuden. Sie gab mir, daß ich immer froh sein werde, und doch ist es mein Schade.
3
Wie eine Rose, die sich aus der Klause wagt, wenn sie des süßen Taus begehrt, so bot sie ihren roten Mund mir dar, wie Zucker süß. Was je ein Mann auf Erden Lust empfunden hat, war nichts dagegen: Hilfe bringender Trost war mir geschenkt, ach selige Stunde! Kein Geist mag es zuende denken oder sagen, welch eine Lebensseligkeit in ihrer Gunst mir aufging. Die Freude wurde vom Leid verfolgt, das Leid war froh, die Freude klagte.
4
Die Minne braucht mein Rühmen nicht zu schelten, wahrlich nicht. Obgleich ich ganz umfangen hatte den herrlich feinen, süß anmutigen, geliebten Leib, hat doch mein Wille niemals gegen ihre Keuschheit sich erhoben. Nur das: die liebenswerte Frau hat mit vollkommener Liebe sich in mein Herz begeben. Mein Wollen war den Augen und dem Herzen leid, und meinen Leib erzürnte es, daß ich den süßen Austausch mied. Die vollkommene Liebe hat mein Tun beschnitten und auch der Adel ihrer Keuschheit.
5
Wohl ihm und Dank, wer seine Dame auch so liebte wie ich das reine, zarte Geschöpf! Ich brach die Rose nicht und hatte sie doch ganz für mich. In ihrer Obhut stand mein Herz und wird es immer stehen. Ach wenn ich ihre Haltung mir vor Augen führe, so füllt mein Geist sich an mit lauter Freude, daß ich vor lieber Liebe nicht mehr sprechen kann. All meines Hoffens Ziel und Freudentag – nie hat ein Mann so herrlich je gelegen wie ich, als meiner sich die Liebe annahm.
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Im Jahre 1279 wurde in Iglau König Wenzel im Alter von acht Jahren mit der ebenfalls achtjährigen Jutta von Habsburg vermählt. Die Eheschließung wurde durch ein symbolisches Beilager der beiden Kinder besiegelt. Carl von Kraus hat mit Recht die Auffassung zurückgewiesen, Wenzel beziehe sich mit diesem Lied auf seine eigene Hochzeitsnacht.10 Das Mittelalter kannte mannigfaltige Vorstellungen eines keuschen Beilagers in den verschiedensten Kontexten: aus Er10
KLD II, S. 631f., 634.
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zählungen von Sigurd und Tristan, aus ›Amicus und Amelius‹ und aus Wolframs ›Parzival‹, aber auch aus der Institution der Prokuratoren-Eheschließung und aus den frommen Lebensformen der Josephsehe oder der Tobiasnächte. Als Hintergrund von Wenzels Lied aber kommen nur Minnesang und Minnetheorie ernsthaft in Betracht. Im deutschen Minnesang ist das Motiv der enthaltsamen Liebesnacht ziemlich selten: man findet es in einem Wechsel unter dem Namen Dietmars von Eist (MF 40, 19ff.) als vergangenes erstes Zugeständnis der Dame, das sie gleichwohl kompromittieren könnte; in einem Lied Reinmars des Alten (MF 166, 16ff.) als Bitte um eine Probeliebesnacht (obwohl dort nicht ausdrücklich Enthaltsamkeit zugesichert wird); und in einem Lied unter dem Namen Gedruts (KLD 13,1a) als Spott gegen den Minnesänger Wachsmut von Künzich: er küsse das Ringlein seiner weit entfernten Dame tausendmal, aber wenn er bei ihr läge, wage er vor lauter Liebe nicht, sie zu berühren. Mehr als eine ganz allgemeine Vorstellung war für Wenzel aus der deutschen Tradition nicht zu holen. Reicher belegt ist das Motiv in der romanischen Lyrik; dort wird es mehrfach durchgespielt: als Kasus im Jeu-parti, als verführerisches Konzept in der werbenden Argumentation, da und dort wohl auch in theoretischer Idealisierung.11 Am nächsten aber steht dem Pathos des Wenzel-Liedes eine Š Passage bei Andreas Capellanus, so nahe, daß man vielleicht sogar an einen direkten oder indirekten Zusammenhang denken darf (wodurch Wenzel zum frühesten Zeugen einer deutschen Andreas-Capellanus-Rezeption würde12). Ich meine die berühmte Unterscheidung von amor purus und amor mixtus: Et purus quidem amor est, qui omnimoda dilectionis affectione duorum amantium corda coniungit . . . »Die reine Liebe aber ist diejenige, die in Liebesgefühlen aller Art die Herzen zweier Liebenden verbindet. Diese Liebe besteht in der Betrachtung des Geistes und der Zuneigung des Herzens; sie reicht aber bis zum Küssen des Mundes, bis zur Umarmung und bis zur ehrfürchtigen Berührung der nackten Geliebten durch den Liebenden, sie unterläßt jedoch den letzten Trost: denn den auszuführen, ist jenen nicht erlaubt, die rein lieben wollen. Das also ist diejenige Liebe, die jeder, der sich Liebe vorgenommen hat, mit aller Kraft ergreifen soll. Denn diese Liebe erfährt nur ständiges Wachsen ohne Ende, und der Vollzug ihrer Handlungen hat, wie wir wissen, noch niemand gereut, und je mehr einer von ihr empfängt, desto mehr begehrt er zu haben. Diese Liebe wird als so tugendhaft erkannt, daß von ihr alle Tüchtigkeit entspringt, und kein Unrecht kommt aus ihr, und selbst Gott nimmt an ihr kaum Anstoß«.13 11
12
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Ursula Liebertz-Grün, Zur Soziologie des ›amour courtois‹, Heidelberg 1977 (Beihefte zum Euphorion 10), S. 23–27. Vgl. Alfred Karnein, De amore in volkssprachlicher Literatur. Untersuchungen zur Andreas-Capellanus-Rezeption in Mittelalter und Renaissance, Heidelberg 1985 (GRM, Beiheft 4), S. 154–168, 238. Andreae Capellani regii Francorum de amore libri tres, rec. Ernst Trojel, München 2 1972, S. 182f. (= I, 8).
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In der wissenschaftlichen Diskussion über das Wesen der höfischen Liebe hat diese Passage des Andreas Capellanus eine unangemessene Rolle gespielt. Sie ist gewiß keine grundlegende Theorie der höfischen Liebe. Man sollte nicht übersehen, daß die Beschreibung des amor purus bei Andreas eingesetzt wird in der Werbungsargumentation eines adeligen Liebhabers, der alles Interesse hat, seiner adeligen Geliebten die ungefährliche Idealität eines solchen Zusammenseins auszumalen. Wie aufrichtig er seine Theorie glaubt, bleibt ganz offen. Die Dame antwortet dementsprechend skeptisch, ob es denn möglich sei, voluptatis impetum refrenare. Es gelte doch schließlich als monstrosum, wenn einer ins Feuer gelegt wird und nicht verbrennt. Andreas Capellanus kommt an anderer Stelle auf die Unterscheidung von amor purus, der sich des letzten Vollzugs enthält, und amor mixtus, der diese Grenze nicht kennt, zurück; aber dort geht aus dem Kontext klar hervor, daß es sich um eine ganz untergeordnete Differenzierung handelt.14 Bei Wenzel ist von solcher Relativierung nichts zu spüren. Zumindest nicht innerhalb des Gedichts. Werdekeit (im Sinne von ethischem und gesellschaftŠlichem Rang) und süeze (im Sinne auch von sinnlicher Lust) werden in diesem Lied paradigmatisch inszeniert; was erzählt wird – Leid und Lust des Liebesverlangens, Lust der Liebkosungen, Schmerz und Glorie der Enthaltsamkeit um der Fortdauer der vollkommenen Liebe willen –, ist Konkretisierung eines Theorems, das von Minne uˆz aˆventiure am Ich vorbildhaft vollzogen wird. Innerhalb des Textes gilt diese Konzeption ungebrochen. Von Wenzels zweitem Lied her allerdings wird deutlich, daß nur eine von mehreren möglichen minnetheoretischen Konzeptionen fiktiv durchgespielt wird. Dort (KLD 65,11) malt sich der Dichter wünschend die winterlichen Liebesfreuden aus, die besser sind als Rosen: Kuß und süezer umbevanc auch dort, aber im leichter geschürzten Zukunftswunschlied bleibt’s nicht dabei: Mit deutlichem Rückbezug auf unser Lied heißt es: hey müeste ich mich erkoˆsen mit der vil lieben eine, diu aˆventiure wurde laz der ich in sange eˆ mich vermaz. daz müeste si vergeben mir, diu reine.
Wenzels Lied von der enthaltsamen Liebesnacht ist also offensichtlich nur ein Gedankenexperiment. Als solches aber ist es ernst zu nehmen. Es war von jeher eine Möglichkeit im Konzept der hohen Minne, die Ungewißheit künftigen Lohns so zu betonen, daß das werbende Ich die Nichterreichbarkeit geradezu als ein wesentliches Merkmal der absoluten Idealität der Dame herausstellte und für sich akzeptierte. Wenzel schließt an solche Gedanken an, dreht aber die Perspektive um: statt der unverfügbaren Zukunft die als wirklich 14
De amore I, 6 (Trojel, S. 264). Vgl. insgesamt Rüdiger Schnell, Andreas Capellanus. Zur Rezeption des römischen und kanonischen Rechts in De amore, München 1982 (Münstersche Mittelalter-Schriften 46), S. 29 f., 118–126.
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gezeichnete Vergangenheit. Er verkehrt jedoch damit auch den Sinn des Gedankens: indem die Dame in einer konkreten erotischen Szene als hingabebereit gezeichnet wird, verliert sie gerade die absolute Idealität. Erreicht wird die pathetisch gefeierte süeze werdekeit durch Askese im Dienst einer abstrakten Minnekonzeption, die sich von der Dame abgelöst hat.
* In Frauenlobs Gesamtwerk sind die Lieder eher eine Randerscheinung, der Ruhm des Dichters gründet sich auf sein Leich- und Sangspruchœuvre. Von Minne ist dort vielfach die Rede. Dabei setzt der naturphilosophische Spekulationszusammenhang ganz selbstverständlich die Vereinigung der Geschlechter als Zentrum der Minne an. Minne ist eine Naturmacht, teilweise von kosmischen Dimensionen. Ihre Wirkungsweise auf den Menschen, ihr Entstehen aus den Blicken wird beschrieben, hie und da mit alchemistischen Analogien.15 Höfische Tugenden haben im Vorfeld des Werbens durchaus ihren Platz, aber im Zentrum der Minne soll die Natur herrschen. Warnungen vor Š Unvorsichtigkeit gegenüber Verführern sind nötig. Aber wo ganze liebe herrschen soll – derselbe Ausdruck wie bei Wenzel – da heißt es: Frouwe, an dem bette sunder scham soltu bi liebem friunde sin (XIII,45) oder Swa sich nu lieb gein liebe schamt, da hat die minne nicht vol ir amt (XIII,46). Solche Sätze sind ebenso erstaunlich vor dem Hintergrund der verbreiteten Sexualitätsfeindlichkeit der lateinisch-klerikalen Literatur wie unerhört in der volkssprachlich höfischen Tradition.16 Fast könnte man sie als pointierte Gegenthese zu dem Liede Wenzels verstehen. Jedenfalls spricht Frauenlob nicht einer asketischen Idealität der Minne das Wort. Eingeschränkt wird lediglich der Rang dieser natürlich gesehenen Minne, und zwar dort, wo die natürliche Minne durch die religiöse Liebe, wo die Naturspekulation durch die religiöse Spekulation umgriffen wird: dann werden die maget (die Jungfrau) und die frouwe (die Frau, die geboren hat) über das wip (die erotische Partnerin des Mannes) gestellt. Im Lob der maget und frouwe Maria gipfelt das umfassende Frauenlob des Dichters Frauenlob, aber es schließt die Liebe zwischen den Geschlechtern mit ein. Wie kann ein Dichter, der in solchen Zusammenhängen denkt, Lieder der hohen Minne verfassen? Hält man die prinzipielle Unerreichbarkeit der Dame für einen Kerngedanken der hohen Minne, dann scheint im Denken Frauenlobs 15
16
[Die Formulierung bezog sich vor allem auf ältere Vermutungen zum Minneleich, GA III, 9–13. Diese Stelle hat aber wohl andere naturwissenschaftliche Hintergründe, vgl. unten S. 205f. Anm. 23.) [Nach einem Hinweis von Rüdiger Schnell möchte ich dies einschränken auf höfische Lyrik und Didaktik. In Erzählungen wird bei der Darstellung einer Hochzeits- oder außerehelichen Liebesnacht gelegentlich gesagt, daß die Scham gefallen sei, so schon, durchaus mit normativem Anspruch, in Gottfrieds ›Tristan‹ 12376–12391. Vgl. auch Rüdiger Schnell, Sexualität und Emotionalität in der vormodernen Ehe, Köln/Weimar/ Wien 2002, S. 421–470.]
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kein Raum für hohe Minne zu sein. Aber ein solches Verständnis wäre zu eng und zu statisch. Versteht man dagegen unter hohem Minnesang das Werben, Klagen, Preisen und Reflektieren eines liebenden Ich, das einseitig, in vielleicht schwach begründeter, aber nie ganz aufgegebener Hoffnung auf Liebeserfüllung, singend der Dame dient, dann fügt sich auch das Konzept der hohen Minne problemlos in den Rahmen von Frauenlobs Minne- und Naturspekulationen ein. Ja es scheint, daß der Rahmen geradezu mit Bedacht so entworfen ist, daß die Tradition der hohen Minne darin einen Platz erhält, daß ihr Ort in übergreifenden Denkzusammenhängen sichtbar wird. Die sieben Minnelieder, die man mit der Göttinger Ausgabe Frauenlob zuschreiben darf, runden das Œuvre eines Sangspruchdichters ab, indem sie Meisterschaft auch in der traditionell höchstgeachteten Liedgattung, im Minnelied, demonstrieren. Und sie füllen den für die hohe Minne frei gehaltenen Ort im Denksystem mit eigenen Texten aus. Wie sie das tun, wie sie Minnesangtraditionen aufgreifen und verwandeln und eben dadurch auch Frauenlobs Spekulation um eine weitere Dimension ergänzen, das möchte ich anzudeuten versuchen, indem ich die Gedankengänge von drei Liedern knapp nachzeichne. Lied 3: Ich muz unter wilen borgen
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Strophe A: Das Motiv des Freudeborgens, deutlicher Anklang an Walther 48,3–8, wird anders als bei Walther dazu benutzt, die gesellschaftliche AußenŠwelt auszugrenzen. Das Leid des von der Minne betroffenen Ich kann nur in der Einsamkeit durchlitten und durchdacht werden. Ursache des Leids ist die frouwe, die nicht grüzen will; sie ist hier noch konkret vorstellbar, gehört der Außenwelt an, aber Kommunikation mit ihr ist nicht möglich. Die Strophen B und C sprechen von der lüste garten: unter der allegorischen Überformung verblaßt nun die konkrete Vorstellung der frouwe. Der Garten ist nur noch die abstrakte Vision ihrer Schönheit: zwei Sonnen für die Augen, Lilien und Rosen für die Wangen, die vesten und das zarte erz für den von Künstlerhand geformten, aber unnahbaren Leib. Und er ist eine ambivalente Vision der realen und der gewünschten Beziehung zu ihr: In Strophe B wird die alte Metapher des Blumenbrechens so eingesetzt, daß man zunächst die übliche sexuelle Bedeutung erwartet (vgl. z. B. im Lied Wenzels ich brach der bluomen niht und het ir doch gewalt), fast schockierend heißt es zwar ich brach der blumen zarten, dann aber wird das Bild überraschend neu gedeutet: die Blume ist nicht die Vereinigung mit der Geliebten, sondern stetez leit mit sender swere, der min mut vur selden lere;17 damit ist die reale Beziehung der unerwiderten hohen Minne indiziert. Strophe C dagegen spielt die Gartenvision in den Wunschtraum hinüber: das Ich sah im Garten süze grüze touwen, also gerade das, was die reale Dame der Strophe A verweigert hatte. 17
Interpunktion nach einem mündlichen Vorschlag von Gisela Kornrumpf.
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Strophe D: In einer anklagend flehenden Anrufung der Minne wird der Gegensatz von realer und gewünschter Beziehung zur Dame auf anderer Ebene weitergeführt: Das Anblicken der Dame hat die kummer tragenden sorgen verursacht; die Dame ist zwar fest ins Herz eingefügt, aber Kommunikation mit ihr ist nicht möglich. Das vertraute Gespräch bleibt Wunsch, würde Realität nur, wenn Minne gerecht wäre. Die Forderung nach recht gerichte bereitet einen Wechsel der Redeweise vor: Strophe E läßt das betroffene Ich nicht mehr hervortreten. Generell wird konstatiert, wie es bei der Minne ist und wie es sein sollte. Solche Redeweise ist vor allem der Spruchdichtung eigen, als Element aber ist sie auch der Tradition des Minnelieds nicht fremd: an den generellen Gesetzen der Liebe und rechten weiblichen Verhaltens kann der Minnesänger seinen besonderen Fall messen. So auch hier. Ungewöhnlich, spezifisch Frauenlobisch ist nur die Art, wie die Argumentation aufgebaut wird: lieb und lust stammen aus dem Zusammenhang naturmythologisch-psychologischer Minnespekulationen Frauenlobs (vgl. III, 21,3; IV,1,5 u. ö.; VII,39,12; VII,40, 12); wie immer sie im einzelnen zu deuten sein mögen, ihre Wirkung ist zunächst das we der Minnebetroffenheit. Dem natürlichen Drang des Begehrens muß aber bei der höfischen Minne, beim Minnedienst nach der alden norme, wie es der Minneleich (III, 28) formuliert, das ethische Verhalten eines aufrichtigen und beständigen Dienens entsprechen. Das Ich des Liedes, so ist zu verstehen, unŠterstellt sich diesem Anspruch der Minne. Damit aber gelten für die Damen – implicite für die frouwe des Liedes – entsprechende Normen: we den frouwen, die aufrichtigen Dienst nicht lohnen;18 sie verstoßen, so verstehe ich die Argumentation, gegen die gesellschaftlich-höfischen Regeln des Zusammenlebens ebenso wie gegen die Gesetze der Naturmacht Minne. Lied 3 ist – ebenso wie Lied 2 und 4 – gemäß der Tradition des Minnesangs von der Vorstellung einer konkreten Dame ausgegangen; die allegorischen und visionären Überformungen und die generalisierenden Minnereflexionen bleiben bei aller Abstraktheit auf diese wohl fiktive, aber doch real vorstellbare Frau bezogen. Bei anderen Liedern Frauenlobs konzentriert sich der Blick so sehr auf das Innere des Ich, daß eine vorstellbare Außenwelt, in der die Dame leben könnte, sich vollends verflüchtigt.
Lied 6: Mir ist ein wip Strophe A: Eine Frau ist durch die Augen ins Herz gedrungen, hat das Ich gefangen gesetzt und wütet mit Bränden.
18
Ein bemerkenswerter Vorschlag zur Heilung der verderbten Zeile XIV, 15,6 bei Gisela Kornrumpf (wie Anm. 4), S. 40. [Vgl. jetzt auch Lyrik des späten Mittelalters, S. 420 und 894.]
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Strophe B: Das Ich beklagt seine Lage, in die es geraten ist, weil es sich nach friundes rat um die Gunst der Dame bemüht hatte. Friundes rat ist sicher keine Instanz der Außenwelt, sondern die Stimme des Herzens: es hat zur Dame geraten, es sagt aber auch die lebenslange Dauer des Schmerzes voraus. Das dem Ich zugeordnete Glück19 ist damit seiner Flügel beraubt. Strophe C: Die Minne wird erfahren als Entfremdung des Ich von sich selbst. Es ist nicht bei sich, das aber, was in ihm ist, wirkt zerstörend. Im Hilferuf an die Minne wünscht sich das Ich Verfügungsgewalt über sich selbst und wohl auch – der Text ist hier kaum richtig überliefert – Macht über das Herz der Geliebten. Strophe D: Im hymnischen Preis der Dame werden Fremdbestimmtheit des Ich und alle Qualen zunächst verdrängt. Gerade der Gedanke an das überwältigende potentielle Heil, das in der frouwe liegt, läßt aber den Wunsch nach Gegenseitigkeit der Liebe wieder aufkommen. Er scheint nur denkbar als Beidseitigkeit des Schmerzes, gerade davor aber schreckt das Ich in einer revocatio zurück: die Dame in ihrer Idealität soll nicht leiden. Strophe E: Das Lied hätte zuende sein können, aber es setzt noch einmal an. In einer abgesetzten Schlußstrophe scheint hier Frauenlob die Stellung seiner Minnelieder im Rahmen seines dem Frauenlob gewidmeten Œuvres zu reflektieren: einst (d. h. in den Zeiten und Gattungen, in denen das Ich nicht selbst betroffen war) hat er von den Frauen daz aller beste ersonnen, Š erdacht und gedichtet. Geht in der Minneklage des Betroffenen der frouwen pris des Frauenlob verloren? Natürlich nicht, das hat die vorhergehende hochgeblümte Strophe gezeigt. Aber solcher Preis aus der Qual des betroffenen Ich heraus kann immer nur kurzer Aufschwung sein, zentrales Thema ist er nicht. Darum schwenkt das Lied zuletzt doch wieder in die generalisierende Redeweise der Spruchdichtung ein, hier aber nicht so sehr wie in Lied 3, um die Regeln der Minne als Argument in der Minnewerbung einzusetzen, sondern um nun, da der Dichter von der Rolle des Betroffenen Abstand gewonnen hat, eine Balance zwischen den Gattungen und ihren je spezifischen Sehweisen zu gewinnen. Sie wird gesucht in einem Motiv, das bezeichnenderweise gerade dem Sangspruchdichter und Minnesänger Walther von der Vogelweide besonders wichtig gewesen war: Im lieplich gruz könnten die objektive gesellschaftsbezogene und die auf das betroffene Ich bezogene Preiswürdigkeit der Frau zusammenfallen.
Lied 7: Was wilt du, selig wip? Das Lied ist im wesentlichen ein Dialog mit der Minne. Dialoge mit oder zwischen Personifikationen sind in Minnereden verbreitet, in Minneliedern außeror19
Die verderbte Zeile XIV,27,11 (F: mein rueke vnd luecke) versuche ich so herzustellen: min ruchend (md. ruchund!) gelücke, vgl. etwa Gottfrieds ›Tristan‹ 19466 wil min gelücke ruochen.
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dentlich selten; einen voll durchgeführten Dialog mit Frau Minne finde ich nur bei Ulrich von Liechtenstein (Lied X). Frauenlob hat unter seinen sieben Liedern einen Dialog zwischen personifizierten Teilen des Ich (Lied 1) und zwei Dialoge mit der Minne (außer diesem Lied noch Lied 5) – ein Indiz dafür, wie wichtig ihm auch im Minnelied das Unterscheiden und rationale Durchdringen der in der Liebe wirksamen Kräfte war. Strophe A: Am Anfang steht ein erschreckter Anruf an die Geliebte selbst, gesprochen in dem Moment, da das Ich ihr Eindringen bemerkt. Da mit der Dame selbst offenbar keine Kommunikation möglich ist, wendet sich das Ich an die Minne, ruft sie sogar paradoxerweise um Hilfe gegen den ummevach der Geliebten an: gemeint ist nicht die reale Umarmung, sondern das innere Umklammertwerden durch das Bild der Dame. Es ist jedoch zu spät, die Geliebte hat sich bereits im Herzen festgesetzt und herrscht dort. Strophe B: Das Ich wird fortschreitend von der Minne über seinen eigenen Zustand aufgeklärt: Es verfügt nicht mehr über sich selbst, weil es gespalten ist; Teile des Ich, herze und mut, haben der Dame geholfen, haben ihr freiwillig alle Macht übertragen. Strophe C: So möchte das Ich nun im Gegenzug ins Herz der Dame kommen, Minne soll dabei helfen. Die Minne weist auf die Schwierigkeiten und Risiken eines solchen Versuchs hin: merkt die Dame den Anschlag zu früh, kann sie das Ich ergreifen, d. h. sie behält Macht über das Ich. Strophe D: Das Ich will um der süzen minne vrucht willen die Gefahr auf sich nehmen. Nun wird zuerst der Weg bedacht – durch die Augen –, dann die Konsequenzen für das Ich: es wird kein vertrautes Gespräch geben, das Ich Š wird nicht mehr über sich selbst verfügen können, es gilt nur ein Sich-Ausliefern auf Leben und Tod. Das Ich ist dazu bereit. Strophe E: Im Aufbruch – nu dar – fragt das Ich, wie es sich verhalten solle, wenn es denn wirklich ins Innere der Geliebten eingedrungen ist. Die Antwort: es solle mit der frouwe wie ein Rasender umspringen.20 Da das Ich auch in der Dame nicht frei ist und Kommunikation im Gespräch ausgeschlossen ist (Strophe D), scheint dies das einzige, was bleibt. Damit aber würde das Ich der Dame gleichen Schmerz zufügen, wie die Dame ihm, und vor dieser Konsequenz scheut es zurück. Ir sterben tete mich erslagen. Schon Reinmar der Alte hatte gesagt: stirbet si, so bin ich toˆt (MF 158, 28). Und schon Friedrich von Hausen hatte den inneren Widerstreit unter dem Eindruck der Liebe im Lied gestaltet (MF 47,9 ff.). Gespaltenheit und Außenbestimmtheit des Ich waren von Anfang an Elemente des Singens von der hohen Minne. Und doch gibt es vor Frauenlob keinen Text deutscher Sprache, der so ausschließlich und radikal die Konsequenzen der ho20
XIV, 35, 2 möchte ich nach Handschriften lesen mit der selben; zu toben mit vgl. Ma-
rienlegenden aus dem Alten Passional, hg. von Hans-Georg Richert, Tübingen 1965 (ATB 64), XIV, 52 der tuvel wolde mit im toben und in werfen her dan.
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hen Minne für das Ich durchdenkt. Ja man mag fragen, ob hier überhaupt noch von hoher Minne die Rede ist. Es fehlt das Motiv des Dienens um Minnelohn, es fehlt der Bezug auf die Gesellschaft, es fehlt hier sogar fast völlig der Gedanke, daß die Dame trotz allem den höchsten Wert, das höchste Glück für das Ich bedeutet. Man könnte sagen, daß hier, zwar noch in der Sprache des hohen Minnesangs, die Wirkung der Naturgewalt Liebesbetroffenheit auf das Ich durchgespielt und durchgedacht wird. Selbst die Asymmetrie des Verhältnisses zwischen Ich und Dame – die Dame herrscht im Herzen des Ich, das Ich aber ist bestenfalls im Herzen der Dame gefangen – selbst diese Asymmetrie muß nicht von der hohen Minne her konzipiert sein. Wenn man es unternimmt, Liebe ausschließlich vom Ich aus im Moment seiner ersten Betroffenheit zu denken, muß solche Asymmetrie entstehen. Erst in der Schlußwendung zeigt sich, daß Frauenlob das Prinzip der hohen Minne meint, die »freie Unterwerfung unter die als Wert absolut gesetzte Subjektivität der Partnerin«.21 Frauenlob hat den alten Gattungsgegensatz zwischen Minnesang und Spruchdichtung, der zu seiner Zeit vielfach überspielt wurde, noch einmal eminent ernst genommen. In der Spruchdichtung spricht er traditionsgemäß objektiv, als Wissender, Lehrender, auch wenn es um Liebe geht; er übersteigt dort die Gattungstradition durch weltumgreifende Spekulation. Der Minnesang dagegen war von Anfang an der Ort, an dem sich das Ich als betroffenes artikulierte und seiner selbst bewußt werden konnte. Diesen Aspekt greift Š Frauenlob auf; und er übersteigt die Gattungstradition hier, ebenfalls spekulierend, durch Konzentration und Konsequenz. In allen drei besprochenen Liedern wird der Blick mit einer ungewöhnlichen Ausschließlichkeit nach innen gerichtet, werden die widerstreitenden Empfindungen des von Minne betroffenen Ich analysiert (am radikalsten vielleicht in Lied 1, das ich nicht besprochen habe, weil ich es im Detail zu wenig verstehe22). Aber die Liebe, wie sie in den Liedern gezeichnet wird, steht keineswegs im Widerspruch zu den Minnespekulationen der Sprüche und des Minneleichs, sie ist nur aus anderer Perspektive gesehen.
* Blicken wir von dieser Ich-Problematik her noch einmal zurück auf Wenzels Lied. König Wenzel, der Dilettant der Dichtkunst, präsentiert sich im Lied als Meister der Liebeskunst. Gewiß, es ist die Minne, die die Vorbildlichkeit dieser Liebe am Ich demonstriert; aber erhöht wird schließlich doch das Ich in seiner werdekeit. Gewiß, es gibt auch bei Wenzel einen inneren Widerstreit: Augen, Herz und Leib begehren gegen den Willen auf. Aber der Wille bleibt Meister. In dieser vorbildlichen Liebe wird das Ich nicht verloren, sondern setzt sich durch. 21
22
Hugo Kuhn, Determinanten der Minne, in: H. K., Liebe und Gesellschaft, hg. von Wolfgang Walliczek, Stuttgart 1970, S. 52–59, hier 58. Vgl. Karl Stackmann, Probleme der Frauenlob-Überlieferung, in: PBB (Tüb.) 98 (1976), S. 203–320, hier 221–223. [Seither Köbele wie Anm. 24.]
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Frauenlob dagegen, der in Kunstdiskussionen in extremem Maße sein meisterliches Kunstbewußtsein artikuliert, spricht in den Minneliedern konsequent in der Haltung der Betroffenheit, der Fremdbestimmtheit und Zerrissenheit des Ich, ja des Ich-Verlustes. Ich suchte mich, da vant ich min da heime nicht (XIV,28). Man müßte wohl schon bis zu den Mystikern gehen, um in der mittelalterlichen Literatur vergleichbare Formulierungen zu finden. Und auch das erinnert an Gedanken der religiösen Mystik der Zeit: nur in der Selbstaufgabe ist Rettung zu erhoffen. Freilich, bis zu einer unio mystica mit der Geliebten dringen Frauenlobs Lieder nicht vor. Rettung oder wenigstens Beruhigung des inneren Widerstreits besteht nur im Akzeptieren des Leids um der Geliebten willen: la mich den kummer eine tragen (XIV,35,9) und ich wil durch min leit ir nimmer sweren wunsches leben (XIV,29, 16 f.). Das Konzept der hohen Minne war nie ein stringent durchkonstruiertes geschlossenes System. Nur so konnte es seine Faszinationskraft über mehr als ein Jahrhundert erhalten. Zu einer Zeit, da diese Kraft nachzulassen begann, haben Frauenlob und unter seinem stilistischen Einfluß Wenzel von Böhmen verschiedene Aspekte und Möglichkeiten dieses Konzepts neu durchprobiert und damit Ich und Liebe neu problematisiert. Die Ergebnisse waren trotz der historischen und stilistischen Nähe grundverschieden: Selbstbewahrung und Selbstwertsteigerung durch Selbstbeherrschung und Askese beim einen, Ich-ŠZerrissenheit, Fremdbestimmtheit und die (kaum angedeutete) Möglichkeit einer Rettung durch Selbstaufgabe, ja durch Verzicht auch noch auf den eigenen Heilswillen beim anderen. Zwei Möglichkeiten der Ich-Erfahrung, wie sie die Zeit um 1300 sonst nur in religiösem Kontext artikulieren konnte, sind hier innerweltlich aus der Tradition der Minnedichtung entwickelt.
Nachtrag Drei der vier hier besprochenen Lieder habe ich mit Übersetzung und Kommentar aufgenommen in meine Anthologie.23 Danach habe ich hier die Übersetzung von Wenzels Lied präzisiert. Das Verständnis der Lieder Frauenlobs wurde in jüngster Zeit erheblich gefördert durch die intensive und perspektivenreiche Untersuchung von Susanne Köbele.24 So wichtig Köbeles Beobachtungen und Interpretationen zu Frauenlobs 23
24
Lyrik des späten Mittelalters, S. 360–363, 416–425 (Texte und Übersetzungen), 816– 818, 894–897 (Kommentar). Susanne Köbele, Frauenlobs Lieder. Parameter einer literarhistorischen Standortbestimmung, Tübingen/Basel 2003 (Bibliotheca Germanica 43). An Rezensionen dieser Arbeit nenne ich: Karl Stackmann, in: Arbitrium 23 (2005), S. 38–43; Annette Volfing, in: PBB 128 (2006), S. 533–536; Gert Hübner, in: ZfdPh 125 (2006), S. 459–464; Michael Stolz, in: ZfdA 137 (2008), S. 401–408. Vgl. auch Gert Hübner, Minnesang im 13. Jahrhundert. Eine Einführung, Tübingen 2008, S. 146–163.
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Denk- und Bildstrukturen generell wie im einzelnen25 sind, für die Frage nach der gattungsgeschichtlichen Position von Frauenlobs Liedern, die ich in dem hier wieder abgedruckten Aufsatz aufgeworfen habe, scheint mir letztlich der Vergleich mit Themen, Kommunikationsstrukturen und Sprachmustern des klassischen Minnesangs, wie ihn jetzt in kritischer Weiterführung der Ansätze von Köbele und mir Annette Gerok-Reiter für Lied 6 unternommen hat,26 fruchtbarer zu sein.
25
26
Für das hier besprochene Lied 3 möchte ich den Hinweis auf Hohelied-Metaphorik hervorheben. Annette Gerok-Reiter, Sprachspiel und Differenz. Zur Textur von Minnesangs Ende in Frauenlobs Lied 6, in: »Texte zum Sprechen bringen«. Fs. Paul Sappler, Tübingen 2009, S. 89–105.
Frauenlobs Cantica canticorum Der Marienleich Meister Heinrichs von Meißen, des vielgerühmten, zu Lebzeiten aber auch angefeindeten Sangversmeisters, der sich selbst programmatisch Frauenlob nannte und bei seinem Tod 1318 von den Frauen überschwenglich beklagt worden sein soll,1 ist noch immer ein rätselhafter Text.2 Er provoziert den Philologen schon durch seine extreme Schwierigkeit, und er befremdet und fasziniert ihn zugleich durch seine imaginative Kraft, seine geradezu ärgerlichen Stilbrüche und seine sprachlich-gedanklichen Kühnheiten. Dank einer lebhafter gewordenen Forschung und dank einem veränderten ästhetischen Bewußtsein stehen wir diesem Text zwar nicht mehr ganz so hilflos gegenüber wie 1913 Ludwig Pfannmüller, der bis heute am meisten zur Einzelerklärung beigesteuert hat, der aber schließlich doch resignierend dem Dichter »Strudelköpfigkeit« und »offenkundig pathologische Züge« nachsagte.3 Doch auch heute noch sind zu viele Einzelheiten nicht befriedigend gedeutet,4 und an Versuche, den Text als ganzen in seiner Besonderheit zu erfassen und in literatur- und geistesgeschichtliche Zusammenhänge zu stellen, haben sich erst wenige herangewagt.5 Zur ersten Verständigung ist es nicht nutzlos, den Marienleich, der wegen seiner Bezüge zum Hohenlied in einigen Handschriften ›Cantica canticorum‹ genannt wird, ganz grob in die Traditionen der Mariendichtung einzuordnen. Š Formal steht die Dichtung in der Nachfolge des mittelhochdeutschen religiösen Leichs, einer repräsentativen lyrischen Großform, die meist von Trinität, Inkarnation und Erlösung handelt und dabei der Rolle Marias eigene Passagen widmet. Frauenlob konzentriert die Thematik auf Maria und ordnet die anderen Literatur, * Artes und Philosophie, hg. von Walter Haug und Burghart Wachinger, Tübingen 1992 (Fortuna vitrea 7), S. 23–43. 1
Karl Stackmann, Frauenlob, in: 2VL, Bd. 2, 1980, Sp. 865–877. Ich zitiere den Marienleich nur nach Versikel und Versen und vernachlässige Kursive und andere editionstechnische Zeichen. 3 Ludwig Pfannmüller, Frauenlobs Marienleich, Straßburg 1913 (Quellen und Forschungen 120), S. 17 und VII. 4 Ein hervorragendes Hilfsmittel ist neuerdings: Wörterbuch zur Göttinger FrauenlobAusgabe, unter Mitarbeit von Jens Haustein redigiert von Karl Stackmann, Göttingen 1990 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philol.-Hist. Kl. III, 186). 5 Karl Heinrich Bertau, Sangverslyrik, Göttingen 1964 (Palaestra 240), S. 189–195; Gerhard M. Schäfer, Untersuchungen zur deutschsprachigen Marienlyrik des 12. und 13. Jahrhunderts, Göppingen 1971 (GAG 48), S. 81–142; Karl Stackmann, Frauenlob, Verführer zu ›einer gränzenlosen Auslegung‹, in: Wolfram-Studien X. Cambridger ›Frauenlob‹-Kolloquium 1986, hg. von Werner Schröder, Berlin 1988, S. 9–25. 2
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Themen ihr zu. Er nähert sich damit einer Tradition von größeren bis großen Preisgedichten auf Maria und die Inkarnation. Als Beispiele nenne ich nur zwei Texte, die Frauenlob so gut wie sicher bekannt waren: die Sequenz ›Ave praeclara maris stella‹ Hermanns des Lahmen und die ›Goldene Schmiede‹ Konrads von Würzburg.6 Doch ist der Traditionsstrom viel breiter. Gemeinsam ist diesen formal durchaus unterschiedlichen Dichtungen, daß sie den Preis Marias mit großem stilistischen Aufwand und hohem Kunstanspruch betreiben (was tatsächliche Niveauunterschiede nicht ausschließt). Der Preis gilt der jungfräulichen Gottesmutter und Himmelskönigin, die von der Trinität von Anbeginn für die Inkarnation auserwählt war, die im Alten Testament vielfach prophezeit und präfiguriert worden ist und auf die auch Naturerscheinungen verweisen. Demgegenüber spielen andere Themen, die für die Marienverehrung und Mariendichtung des Mittelalters, zumal seit dem 13. Jahrhundert, große Bedeutung hatten, gar keine oder nur eine untergeordnete Rolle. So ist vom Erdenleben Marias, von ihrer Kindheit und Verlobung, ihrem Mit-Leiden mit Christus, von Marias Tod und Himmelfahrt, von ihren zahlreichen Wundertaten seither und von ihrer Fürbitte beim Jüngsten Gericht wenig die Rede. Es kommt bei diesem Typus nicht so sehr darauf an, Maria dem einzelnen Gläubigen menschlich nahezubringen und ihre für ihn persönlich wichtige Helferrolle zu betonen. Wenn auch der Bezug zum Menschen und seinen Nöten, zum Ich oder Wir des Dichters und der Hörer, nie völlig fehlt, geht es doch primär um ein konstatierendes Preisen,7 ein ausschmückendes Umkreisen des objektiven Wunders der Inkarnation und der objektiven Herrlichkeit Gottes und Marias. Frauenlob scheint mir diese Tendenz des Typus noch zu radikalisieren, wenn er den Bezug auf die gläubigen Menschen auf nur ganz wenige Verse reduziert: ein einziges Mal die Aufforderung an den Sünder, sich hinter dem trost Marias zu bergen (19,34), ganz sporadisch der preisende Hinweis auf Marias Macht zu helfen, sonst nur Darstellung der Inkarnation vor allem als Geschehen zwischen Gott und Maria, Glorifizierung der Gottesmutter und ein paarmal die Aufforderung, zu sehen, zu bedenken, zu grüßen, Blumen zu streuen, sich über all das zu freuen. Freudiges Anschauen und Rühmen des Wunders der Inkarnation Š und der Herrlichkeit Marias als Weg der Teilhabe am Heil – so etwa müßte man wohl die Haltung des Marienleichs frömmigkeitsgeschichtlich bestimmen. Daß das Anschauen in ein ästhetisierendes interesseloses Wohlgefallen umschlage, wird man wohl nicht unterstellen dürfen; wenn der Text zweimal, wo er auf der Bildebene nur eine kleine Geschichte zu erzählen scheint, hintersinnig zu lusticlicher (d. h. vergnüglicher) Rezeption auffordert (15,8; 19,1), soll die wahre lust 6
Vgl. Hartmut Freytag, Beobachtungen zu Konrads von Würzburg ›Goldener Schmiede‹ und zu Frauenlobs Marienleich, in: Jb. der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 5 (1988/89), S. 181–193. 7 Vgl. die allgemeineren Ausführungen zur »konstatierenden Poesie« von Karl Stackmann, Der Spruchdichter Heinrich von Mügeln. Vorstudien zur Erkenntnis seiner Individualität, Heidelberg 1958 (Probleme der Dichtung 3), S. 76–78.
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ja gerade in der Betrachtung der mit dem Bild gemeinten Heilsgeschichte bestehen. Und doch fällt es wohl nicht nur mir schwer, das artistische Spiel der Sprachformen und Reimklänge, Verrätselungen und Bildkombinationen, das dieser Text bietet, durchgängig unter dem Aspekt einer geistlichen contemplatio und adoratio zu verstehen. Ich will dieses Spannungsverhältnis zwischen Frömmigkeitsausdruck und Kunstanspruch, das ja in der Kunst- und Literaturgeschichte immer wieder auftritt, bei Frauenlobs Marienleich unter vier Aspekten historisch zu konkretisieren versuchen: 1. Bauform und Verhältnis zur Liturgie, 2. Formen der Inszenierung, 3. Hoheliedexegese zwischen Kommentartradition und Liebestheorie und 4. Wissenschaftssprache und Rechtgläubigkeit.
Bauform und Verhältnis zur Liturgie Der erste Doppelversikel des Marienleichs lautet: Ei, ich sach in dem trone ein vrouwen, die was swanger. die trug ein wunderkrone vor miner ougen anger. Sie wolte wesen enbunden, sust gie die allerbeste, zwelf steine ich zu den stunden kos in der krone veste. Siehe, ich sah auf dem Thron eine schwangere Frau, die trug eine Wunderkrone auf meiner Augen Weideland. Sie erwartete die Niederkunft. So schritt die Allerhöchste. Zwölf Steine erkannte ich da im Mauerwerk der Krone. (Apc 12,1f., vgl. auch Apc 21, 19f.)
Das Bauprinzip des Leichs ist das der fortschreitenden Repetition: Die Versikel sind zweigeteilt, Metrik und Melodie der ersten Hälfte (hier der ersten vier Verse) werden in der zweiten Hälfte mit neuem Text wiederholt. Jeder neue Š Versikel aber bringt neue metrische Formen und eine neue Melodie. Eine Besonderheit von Frauenlobs Marienleich ist es, daß die einzelnen Versikel im Lauf des Leichs länger und komplizierter zu werden scheinen,8 als könnten sie die Fülle dessen, was zu sagen ist, kaum noch fassen, als müßte das Lob auch formal noch immer weiter gesteigert werden. Die Melodie des Marienleichs ist uns nicht vollständig und nicht ganz zuverlässig überliefert. Karl Bertau hat aber mit hinreichender Sicherheit festgestellt, daß der Leich einem eigenartigen tonalen 8
Dies gilt allerdings nicht im Sinne einer strengen Regel; vgl. den Versuch einer Präzisierung nach Taktzahlen bei Christoph März, Frauenlobs Marienleich. Untersuchungen zur spätmittelalterlichen Monodie, Erlangen 1987 (Erlanger Studien 69), S. 73–77.
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Baumuster folgt:9 Die einzelnen Versikel stehen der Reihe nach in den acht Kirchentonarten, also Versikel 1 in D authentisch, 2 in D plagal, 3 E authentisch, 4 E plagal usw. Nach dem achten Versikel setzt die Reihe der Tonarten wieder neu ein, nach dem 16. nocheinmal, kann aber dann bis zum 20. und letzten Versikel nur noch zur Hälfte durchschritten werden. Christoph März10 hat gezeigt, daß dieses Prinzip Parallelen in Antiphonen und Responsorien von Reimoffizien hat. Damit scheint ein Traditionszusammenhang mit der mittelalterlichen Liturgie des Stundengebets aufgewiesen zu sein, genauer mit einem jener wuchernden Seitentriebe der Liturgie, denen gegenüber Rom sich schon im Mittelalter reserviert zeigte und die dann durch die Reformen des Tridentinischen Konzils radikal beschnitten wurden. Reimoffizien11 sind poetisch und musikalisch ausgestaltete Antiphonen und Responsorien, die den Psalmengesang und die Lesungen des Stundengebets umrahmen und dabei einen formalen und thematischen Zusammenhang zwischen den einzelnen Stundengebeten eines Tages herzustellen versuchen. Es sind wohl gerade die künstlerischen Ambitionen gewesen, die zur Zurückhaltung der römischen Kirche und schließlich zur Eliminierung aus der Liturgie geführt haben. Man muß aber nur einmal einige der überlieferten Reimoffizien vergleichen, um zu sehen, wie relativ liturgiegeeignet diese Dichtungen doch immerhin sind. Nach Sprache, Umfang und Frömmigkeitshaltung stehen sie manchen liturgisch akzeptierten Hymnen nicht so grundsätzlich fern, zumindest wenn man Frauenlobs Marienleich danebenstellt. Eine liturgische Verwendung von Frauenlobs Dichtung, wie sie Christoph März vermutet, scheint mir schon durch den Umfang und durch die Verwendung der deutschen Sprache ausgeschlossen, noch mehr aber durch den ausgesprochen artistischen Charakter. Wo im Mittelalter volkssprachliche Texte in gottesdienstliche Zusammenhänge bis an die Š Ränder der Liturgie vorgedrungen sind, waren es, wie Johannes Janota gezeigt hat,12 ganz schlichte Lieder. Textgestalt und Gebrauchsfunktion bedingen einander niemals völlig; aber nicht jeder Texttypus läßt sich in einen so strikt begrenzten Gebrauch wie den der Liturgie hineinzwingen. Man kann sich sehr wohl vorstellen, daß Frauenlobs Marienleich in einem kirchlichen Rahmen, etwa in einer Schloßkapelle, aufgeführt worden ist und daß die Kenner dabei Textanklänge und musikalische Zitate aus liturgischen Zusammenhängen erkannt und goutiert haben. Aber den Vollzug einer liturgischen Feier hätte der Kunstcharakter des Werks gesprengt.
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Bertau, GA, S. 224f.; vgl. auch Michael Shields, Zum melodischen Aufbau des Marienleichs, in: Wolfram-Studien X (wie Anm. 5), S. 117–124. März (wie Anm. 8), S. 37–46. Wolfgang Irtenkauf, Reimoffizium, in: MGG, Bd. 11, 1963, Sp. 172–176; Texte: Analecta hymnica, Bd. 5, 13, 17, 18, 24–26, 28, 45a. Johannes Janota, Studien zu Funktion und Typus des deutschen geistlichen Liedes im Mittelalter, München 1968 (MTU 23). [Vgl. auch im vorliegenden Band S. 324–327.]
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Formen der Inszenierung Am Ende des 8. Versikels, als der Gang durch die Tonarten zum erstenmal abgeschlossen ist, liegt die einzige gravierende Zäsur des Textes. Sie betrifft die Inszenierung der Dichtung in zwei verschiedenen Sprecherrollen. Bis zum 8. Versikel spricht ein menschlicher Visionär; er endet damit, daß er Maria auffordert zu sprechen, indem er ihr eine Selbstrühmung in den Mund legt: vil schöne ob allen vrouwen, sprich: der schönen liebe ein muter ich, der heilicheit ein hoffenunge nennet mich.
(8,24 ff.)
Der ganze Rest des Leichs vom 9. Versikel an ist Rede Marias. Der Visionär taucht nicht mehr auf, seine Rolle beschränkte sich offenbar darauf, die Selbstoffenbarung der Gottesmutter in Gang zu setzen. Diese Inszenierung ist in Marienpreisgedichten, soviel ich sehe, neuartig, erst nach Frauenlob wird sie vereinzelt nachgeahmt. Die Selbstrühmung Marias ist offenkundig den Selbstrühmungen der Weisheit in Jesu Sirach 24 und Sprüche Salomonis 8 nachgeahmt, Texten, die in der Liturgie von Marienfesten eine Rolle spielen und die neben dem Hohenlied und der Apokalypse auch die wichtigsten biblischen Quellen Frauenlobs sind.13 Durch diese Inszenierung wird Maria formal, und indem sie Reden der Weisheit auf sich bezieht, wird sie auch inhaltlich mit der göttlichen Weisheit, der sophia Gottes, identifiziert. Der Selbstoffenbarung entspricht eine erhabene, feierliche Redeweise. Sie bestimmt Marias Rede ganz überwiegend. Aber gelegentlich wird sie doch gebrochen durch Wendungen einer eher kolloquialen Kommunikation – ›wenn ichs denn sagen soll‹ (17,8) oder ›ich hoffe, daß das niemand stört‹ (11, 16) –, Š wodurch die heilige Vision immer mal wieder ein wenig ins Vertrautere heruntergeholt wird. Problematischer ist die Ich-Rolle des Anfangs. Der Visionär, der in der Manesseschen Handschrift in einer kleinen Randzeichnung konkretisiert wird, beginnt mit Vorstellungen aus der Apokalypse. Er kann aber nicht mit Johannes gleichgesetzt werden, denn er zitiert Johannes in der 3. Person (6,1). Karl Stackmann meint, der Sprecher sei Repräsentant der Menschheit.14 Ich dagegen glaube, das Ich des Anfangsteils ist das, wofür jeder Hörer das nicht näher charakterisierte Ich eines Textes spontan halten wird: das Ich des Dichters. Freilich stehen Stackmanns und meine Meinung nicht ganz so weit auseinander, wie es zunächst den Anschein hat. Denn dieses Dichter-Ich ist ganz offensichtlich nicht das des poeta, des Gedichtmachers, des artifex. Mit dem übersteigerten künstlerischen Selbstbewußtsein Frauenlobs, der in einer berüchtigten Strophe sich über alle früheren und zeitgenössischen Sänger stellt und ungeniert die Dichterkrone für seinen Gesang fordert (GA V,115), mit diesem Meisterbewußtsein 13
14
Vgl. Kurt Gärtner, Das Hohelied in Frauenlobs Marienleich, in: Wolfram-Studien X (wie Anm. 5), S. 105–116. Stackmann, in: Wolfram-Studien X (wie Anm. 5), S. 23.
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wird man diese Rolle nicht in Verbindung bringen dürfen, zumindest nicht direkt; denn das Machen des Texts wird im ganzen Marienleich mit keiner Silbe thematisiert. Es spricht hier vielmehr das Ich des Dichter-Visionärs, des vates. Diese Rolle ist in der mittelhochdeutschen Literatur selten, aber sie findet sich z. B. schon in der 3. Strophe von Walthers Reichston: Ich sach mit mıˆnen ougen man unde wibe tougen, daz ich gehoˆrte und gesach swaz iemen tet, swaz iemen sprach.
(L. 9, 16ff.)
Und es scheint zu dieser Rolle zu gehören, daß sich das Ich schließlich so weit zurücknimmt, daß es nur noch als Sprachrohr für Menschheitsgedanken fungiert. Aber Frauenlob ist zu sehr Artist, als daß er sein Ich ganz in der Objektbezogenheit aufgehen lassen könnte. Ohne daß sie als solche weiter thematisiert würde, gerät seine Seherrolle ins Flimmern, wird bald individueller und scheint sich bald völlig aufzulösen; spürbar wird das an einem unruhigen Wechsel der Einstellungen zum Gegenstand. Von Maria ist teils in der 3. Person die Rede, teils wird sie angesprochen, und in der Anrede wechseln Duzen und Ihrzen,15 wechseln verschiedene Tonlagen vom Gebetspreis hohen Stils bis zu augenzwinkernder Vertraulichkeit. Besonders deutlich ist das im vierten Doppelversikel; da sind dann plötzlich auch noch andere Stimmen zu vernehmen: Nu lougen nicht durch icht der schicht, daz dich sunderlich der künig in sinen keler furte. dich rurte sin grüzen. wie nu, ver meit, hat ir iuch wol versunnen? wir gunnen der wunnen iu wol, daz ir den win habt getrunken mit der milch so süzen.
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Ich wene wol, iu sol den zol sin munt machen kunt, wa durch die murehüter quamen, iu namen den mandel. waz sucht ir, meit, so spate in disen gazzen? kein lazzen, wir vazzen die liebe. an iuwern wunden durchsunken hat sin drilch den wandel. Nun leugne nicht, um keinen Preis, was geschehen ist: daß dich der König ganz allein in seinen Keller führte. Sein Gruß berührte dich. Nun, gnädiges Fräulein, hattet Ihr das bedacht? Wir gönnen Euch ja die Lust, daß Ihr den Wein samt der süßen Milch getrunken habt.
15
Vgl. Nigel F. Palmer, Duzen und Ihrzen in Frauenlobs Marienleich und in der mhd. Mariendichtung, in: Wolfram-Studien X (wie Anm. 5), S. 87–104.
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Ich glaube doch, sein Mund wird Euch die Abgabe erklären, weshalb die Wächter der Mauer kamen und Euch den Mantel weggenommen haben. ›Was sucht Ihr, Mädchen, so spät hier in den Gassen? Kein Säumen, wir greifen die Geliebte.‹ Durch Eure Wunden hindurch hat seine Dreiheit das Vergängliche durchdrungen.
Es sind verschiedene Stellen des Hohenlieds, die hier zu zwei kleinen Szenen kombiniert werden. Die Richtung, in der der spirituelle Sinn zu suchen ist, ist klar: Es geht um die Liebesvereinigung Gottes mit Maria bei der Inkarnation. Im ersten Halbversikel ist sie als Liebesszene im Weinkeller gestaltet (Ct 1,3; 2,4; 5,1). Im zweiten Halbversikel ist die Gewaltsamkeit von Wächterüberfall und Mantelraub (Ct 5, 7) als Bild für das Verhältnis Gott-Maria am ehesten so zu deuten, daß die Wächter die drei Personen der Trinität sind. Diese rauben Maria den Mantel, um sich mit der Entblößten, ja Verwundeten, zu vereinen. Dabei mag der Mantel die Erbsünde oder die Unwissenheit oder sonstige Mängel ihres Menschseins bezeichnen.16 Doch gibt Frauenlob keine expliziten Hinweise. Von dem feierlichen Visionärsgestus des Anfangs ist in dieser ganzen Passage nichts mehr zu spüren. Im Rechenschaft fordernden Duzen und in der spöttischen Höflichkeitsform wird die heilige Liebesvereinigung wie eine Skandalgeschichte behandelt. Doch dann lenkt der Sprecher ein – er spricht jetzt im Plural für alle Aufpasser oder alle Menschen: Wir gönnen Euch ja das Vergnügen. Im zweiten Halbversikel hört man ein vertröstendes Wort an die Betroffene, Noch-nicht-Verstehende; dann Reden, die am ehesten als Worte der Mauerwächter zu verstehen sind; und schließlich das wissende, deutende Wort des Dichters. Der ganze Versikel ist sicher ein Extremfall unruhiger Inszenierung, er macht aber dadurch besonders deutlich, worum es in den ersten acht Versikeln auch geht: Neben der inhaltlichen Einführung und Entfaltung des Preises sollen wohl auch verschiedene Perspektiven, verschiedene Redeweisen als Möglichkeiten des Umgangs mit dem Unbegreiflichen erprobt werden, bis dann in der Ich-Rede Marias die endgültige Form gefunden ist, eine Form, in der nun Maria selbst verschiedene Perspektiven auf das Wunder der Inkarnation einnimmt.
Hoheliedexegese zwischen Kommentartradition und Liebestheorie Was in Visionsbericht, Anrede und Selbstdarstellung inszeniert wird, ist Maria, auch wenn ihr Name im ganzen Text kein einziges Mal genannt ist. Aber Maria hat viele Seiten, hat eine Geschichte, und ihre Stellung in der Weltordnung und im Heilsplan Gottes wird von der Theologie keineswegs ganz einhellig beurteilt. Das, was hier an Maria gesehen, beschrieben, gepriesen wird, das, wofür Maria 16
In 20,27f., wo der Mantelraub noch einmal erwähnt wird, ist vom angebornen nebel die Rede, hier vom wandel, der unvollkommenen Veränderbarkeit der sublunarischen Welt. In 20,29 werden die Mantelräuber offenbar mit der Trinität gleichgesetzt. Das spricht gegen die Deutung auf die Patriarchen und Propheten bei Schäfer (wie Anm. 5), S. 92.
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hier steht, ist nicht zu trennen von den Bildern, in denen es erscheint, ja es ist nur in der Bildersprache und nicht abstrakt-systematisch zu greifen. Der Marienleich ist im allgemeinsten Sinne allegorisch. Der Flut von Imaginationen auf der Bildebene entspricht aber auf der Sinnebene immer nur die eine heilige Person. Was der Text an dieser Person jeweils speziell ins Auge faßt, ob ihre Schönheit, ihre Jungfräulichkeit, ihre Tugendfülle, ihren Gnadenreichtum, die Präexistenz in Gottes Heilsplan, den Moment der Verkündigung, die Assumptio oder die Himmelsherrschaft, das wird höchstens andeutungsweise expliziert, ist meist nur aus der Bildstruktur selbst zu erraten. Das Bildmaterial stammt aus dem riesigen Fundus von Marienprädikationen und -sinnbildern, der sich von alters her angesammelt hatte. Aber es gibt doch Akzentsetzungen durch Auswahl und Ausbau, und es gibt überraschende Neuerungen. Der größte Teil der Bilder hat biblischen Ursprung. Von den geläufigen alttestamentlichen Präfigurationen sind freilich nur wenige knapp genannt, einige der beliebtesten wie den brennenden Dornbusch, Aarons Stab, Gedeons Fell, Esther, Nabuchodonosors Traum sucht man vergebens. Dafür Š sind einige wenige biblische Texte, allen voran Hoheslied und Apokalypse, reichlich und mit ungewöhnlich genauer Kenntnis des Wortlauts ausgebeutet. Der elfenbeinerne Thron Salomons nach der Beschreibung der alttestamentlichen Geschichtsbücher (III Kg 10,18 ff.; II Par 9,18 ff.), eines der gängigsten Mariensymbole, fehlt. Aber Bett und Sänfte Salomons aus dem 3. Kapitel des Hohenlieds werden präzise zitiert (19,7–9; 13,8–14). Durch diese Textbezogenheit unterscheidet sich Frauenlobs Marienleich von der gesamten Tradition des Marienpreises, von der die Rede war. Frauenlob verfährt freilich nicht wie ein Kommentator, der dem Text entlang geht und seine Deutungen dazwischenschiebt. Er arrangiert das Textmaterial neu, und Deutungen gibt er nur in bildlicher Form. Dafür mag Versikel 10 als Beispiel dienen. Kernstelle des ganzen Versikels sind drei Verse aus dem 8. Kapitel des Hohenlieds, Ct 8, 8 soror nostra parva et ubera non habet. quid faciemus sorori nostrae in die quando adloquenda est? 9 si murus est, aedificemus super eum propugnacula argentea . . . 10 ›ego murus et ubera mea sicut turris . . .‹. Die Stelle wird in den Hoheliedkommentaren sehr verschieden gedeutet. In ekklesiologischen Deutungen etwa wird der Tag des Ansprechens öfters darauf bezogen, daß die noch junge Kirche vor heidnischen Machthabern ihren Glauben bezeugen muß. Unter den mariologischen Hohelied-Deutungen scheint die ›Elucidatio in Cantica Canticorum‹ des Alanus de Insulis am ehesten die Tradition zu repräsentieren, aus der Frauenlob stammt. Auf diesen Kommentar17 hat Schäfer (wie Anm. 5) hingewiesen. Unter mehreren mariologischen Hohelieddeutungen, die ich verglichen habe, ist er zweifellos als Interpretationshilfe für den Marienleich am ehesten geeignet. Daß er geradezu »Quelle« sei (Schä17
Vgl. Marie-The´re`se d’Alverny, Alain de Lille. Textes inedits avec une introduction sur la vie et ses œuvres, Paris 1965 (E´tudes de Philosophie Me´die´vale 52), S. 73–75.
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fer, S. 81), scheint mir jedoch keineswegs erwiesen, und die folgende Interpretation wendet sich gerade gegen die Meinung, die mir letztlich auch hinter Schäfers Bemühungen zu stehen scheint, die Meinung, ein lateinischer theologischer Text lasse sich als Dechiffrierschlüssel zur eindeutigen Fixierung des Sinns hinter den Bildern gebrauchen. Daß es sich ausgerechnet um einen Text des Alanus de Insulis handelt, dessen philosophische Dichtungen für das Frauenlob-Verständnis wichtig sind,18 ist kaum als Argument zu gebrauchen; denn die sehr verschiedenartigen Werke des Alanus scheinen eher in getrennten Bahnen gelebt und gewirkt zu haben.
Alanus schreibt einleitend zu der Stelle: ›Bisher hat Christus von der Jungfrau gemäß ihrem Status nach der Inkarnation gesprochen, jetzt spricht er von ihr gemäß dem Status, den sie vor der Zeit der Inkarnation hatte. Und er wird eingeführt, wie er zu den Engeln spricht über die Aussendung eines Boten zur Š Jungfrau und über die Inkarnation, die in der Jungfrau vollzogen werden soll.‹19 Und dann folgen bei Alanus Glied für Glied die Allegoresen: Maria ist Schwester Christi wegen der gemeinsamen menschlichen Natur oder Schwester Christi und der Engel wegen der gemeinsamen spiritualis gratia; klein wegen ihrer Demut oder weil sie erst 13 Jahre alt war; keine Brüste, weil sie noch nicht zur vollkommenen Gottesliebe gereift war; der Tag des Ansprechens meint die Verkündigung durch den Engel, die Mauer ihren festen Vorsatz, jungfräulich zu bleiben, und das silberne Bollwerk die Einsicht in die göttliche Redekunst, d. h. in das rechte Verständnis der Schriftworte, nach denen sie als Jungfrau Mutter des Sohnes Gottes werden soll. Es ist nicht auszuschließen, daß die eine oder andere dieser Deutungen des Alanus Frauenlob im Sinne lag, als er den 10. Versikel des Marienleichs dichtete. Aber sein Verfahren, sein Umgang mit dem biblischen Wortlaut, ist fundamental verschieden: Ich bin erkennig, nennig, kurc, des höchsten küneges sedelburg. min türne nieman kan gewinnen. min zinnen uz und innen sint mit liljen wiz gepinset. des trones wesen mir hilflich zinset. min gazzen sint geblümet. swer mich nümet, ein balsem den durchgümet. der sunnen glesten ist min kleit, dar in so han ich mich gebriset und gereit. so hat der mane sich geleit zu minen füzen. 18
19
Ct 8, 10*
Ct 1, 2 Apc 12, 1
Rudolf Krayer, Frauenlob und die Natur-Allegorese, Heidelberg 1960; Christoph Huber, Die Aufnahme und Verarbeitung des Alanus ab Insulis in mittelhochdeutschen Dichtungen, München 1988 (MTU 89), S. 136–199. Hucusque locutus est Christus de Virgine secundum statum post incarnationem, nunc loquitur de eadem secundum statum quem habuit ante tempus incarnationis. Et introducitur loquens ad angelos de mittendo nuntio ad Virginem, et de incarnatione celebranda in Virgine. Ait ergo: Soror nostra parvula est [. . .], PL 210, Sp. 106f.
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ich kan büzen swere, des got geist mich rümet. Ct 8, 8* Do er mich vester swester sagete, er jach, ich were so jung betaget: ›wie well wir, daz sie sich gerüste bar brüste zu der lüste, durch die man sie sprechen solde?‹ nu merket, waz min friedel wolde! Ct 1, 5 er warte siner lune, daz mich brunen von senfte der alrunen Ct 7, 13 wart slafern, durch so süzen smac in unser pforten listen,20 durch so rich bejag. Ct 2, 7 die wile und ich des slafes pflag, gein der naturen min behuren Ct 8, 9* muste er vlechten unde ziunen. Ich bin, erkennbar, nennbar, ausgezeichnet, die Residenz des höchsten Königs. Meine Türme kann niemand erobern. Meine Zinnen sind außen und innen mit Lilien weiß gemalt. Des Thrones Herrschaftsgut zollt mir Tribut zur Hilfe. Meine Gassen sind voll Blumen. Wer meinen Namen spricht, der spürt im Munde Balsamduft. Der Sonne Leuchten ist mein Kleid, das habe ich um mich geworfen und geschnürt. Der Mond aber hat sich unter meine Füße gelegt. Ich kann helfen im Leid, darum nennt Gott mich rühmend ›Geist‹.21 Als er mich, kühner noch, ›Schwester‹ nannte, da sagte er, ich sei so jung: ›Wie wollen wir sie sich bereiten lassen, so ohne Brüste, für die Lust, um die man sie ansprechen sollte?‹ So hört, was mein Freund vorhatte. Er wartete auf seine Zeit, da mich, die Dunkle, von der Weichheit der Alraune schläferte, wartete um so süßen Dufts am Rahmen unserer Türe, um so köstlicher Beute willen. Während ich schlief, mußte er mit Zaun und Flechtwerk gegen die Natur mich schmücken.22
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Frauenlob verteilt die Verse aus dem 8. Kapitel des Hohenliedes auf Anfang, Mitte und Ende des Versikels. Er holt die Antwort der jungen Braut des Hohenlieds – ›ich bin eine Mauer, und meine Brüste sind wie Türme‹ – nach vorne 20
21
22
Von den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten, die Stackmann (GA zur Stelle) erwägt, scheint mir die als Genitivkonstruktion am ehesten möglich. Dabei ließe sich auch die besser bezeugte Form leisten in ihrer allgemeineren Bedeutung ›Form‹ einigermaßen verstehen. Ich habe aber gegen Stackmann die nur in Handschrift E überlieferte Form, lıˆsten eingesetzt, weil sie hier besonders gut in die Bildvorstellung des biblischen Textes paßt: die Mandragorawurzeln in portis nostris liegen wohl auf dem Türrahmen oder sind an diesem befestigt. Gegen Stackmann (GA zur Stelle und Wörterbuch wie Anm. 4) fasse ich geist nicht als Apposition zu got auf, sondern als Prädikatsnomen (vgl. DWb., Bd. 8, 1893, Sp. 1447), vor allem weil dann die Folgezeile genauer anschließt. behuren verstehe ich als ›gehiure machen‹; min behuren ›das Mich-WohlgefälligMachen‹. Es geht darum, daß die (zu) junge Braut des Hohenlieds zur Liebe reif gemacht und geschmückt wird. Syntaktisch ist min behuren als Akkusativobjekt von vlechten und ziunen zu verstehen: der Vorgang des Schmückens wird durch Flechten bewerkstelligt, der Schmuck besteht aus Flechtwerk.
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und verknüpft sie mit Erinnerungen an den Tempel des Alten Testaments und die Gottesstadt der Apokalypse zum Bild von Maria als Residenzstadt Gottes. Vorstellungen von Jungfräulichkeit und Reinheit sind mit dem Hinweis auf die Uneinnehmbarkeit der Türme und das Lilienweiß der Zinnen mit ins Bild hineingenommen. Aber das Bild besagt mehr: Maria ist Gottes Wohnung, sie übt Herrschaft aus, und sie bedeutet Lust und Freude für den, der sie verehrt. Und am Schluß des Halbversikels wird Maria als Helferin in die Š Nähe des Trösters, des Heiligen Geistes, gerückt, vielleicht in dem Sinne von Alanus’ Kommentar, daß sie wie die Engel der spiritualis gratia teilhaftig sei. Nimmt man einmal die Status-Kategorien des Alanus zu Hilfe, so ist im ersten Halbversikel ein überzeitliches Bild Marias gezeichnet, ein Bild, das vom Status nach der assumptio, der Himmelfahrt, und von der gegenwärtigen Herrlichkeit und Güte Marias her entworfen ist und alle ihre früheren Status mit einschließt. Erst im zweiten Halbversikel kommt Marias Geschichte zur Sprache, erst hier setzt die Vorstellung beim Status vor der Inkarnation ein. Nun erst wird die Hoheliedstelle, die der ganze Versikel umspielt, erkennbar zitiert. Das Zitat besagt im wörtlichen Sinn des Bibeltextes wie in der Deutung des Alanus, daß die Geliebte noch nicht ganz reif für die Liebe ist. Frauenlob gibt keine Allegorese des Textes, er läßt Maria die rhetorische Frage des Zitats mit einer Erzählung beantworten, in der Anklänge an Stellen aus drei verschiedenen Hohelied-Kapiteln geklittert sind. Die Geliebte ist braun nach Ct 1, 5, sie schläft nach Ct 2,7 und anderen Stellen, und die Mandragora- oder Alraunwurzeln in der Türe verströmen Duft nach Ct 7,13. Alanus hatte die Bräune auf die Schwangerschaft gedeutet, die doch die Schönheit, d. h. Jungfräulichkeit, Marias nicht beeinträchtige; den Schlaf erklärte er als Leben der Kontemplation, das der Jungfrau eher möglich sei als einer Gattin; und die duftenden Mandragoren weisen nach ihm auf die Vervollkommnung von Marias Tugenden hin. Man spürt wohl, wie unangemessen solche detailidentifizierende Allegorese dem Text Frauenlobs wäre. Frauenlob läßt Maria eine Szene erzählen, in der der Liebhaber auf die günstige Gelegenheit wartet, fast wie ein Jäger, läßt sie erzählen vom betörenden Duft der Alraunwurzel, die auch als Liebeszaubermittel galt. Eine hocherotische Szene. Duft und Schlaf erinnern mich an den twalm, den betäubenden Dunst, der bei Frauenlob in einer naturwissenschaftlich fundierten weltlichen Liebestheorie das gegenseitige Erkennen der Liebenden einleitet. Am explizitesten ist die berühmte Stelle aus dem Minneleich, wo sich Frauenlob auf (bislang nicht identifizierte, am ehesten alchemistische) geheime Bücher beruft.23 Dort 23
III, 9–13; dazu zuletzt Thomas Bein, Sus hup sich ganzer liebe vrevel. Studien zu
Frauenlobs Minneleich, Frankfurt a. M. u. a. 1988, S. 179–208; Christoph Huber, Frauenlob zum Minneprozeß, in: Wolfram-Studien X (wie Anm. 5), S. 151–158, bes. 153f. [Vgl. seither Ralf-Henning Steinmetz, Liebe als universales Prinzip bei Frauenlob, Tübingen 1994 (MTU 106), mit Hinweis auf sexualkundliche Pneumatheorien; Bernhard D. Haage, Selvons ›visio‹, in: Medizin in Geschichte, Philologie und Ethnologie.
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wird der minnen kraft durch ein hermaphroditisches Bild dargestellt, das Selvon gesehen haben soll. Diese forme stellt ganze liebe her und verbindet die vier complexen, und zwar auf folgende Weise:
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Swa sie vant bröde sinne, dar warf sie nach gewinne der brödekeit gelichen twalm. Swa danne der twalm erkante sin art, gelich dar sante die forme ir stricken sunder galm. (III,12) Wo sie schwache [d. h. wohl: für Liebe empfängliche] Sinne fand, warf sie ihnen, um sie zu gewinnen, einen der Schwachheit gleichen Dunst zu. Wo dann der Dunst seinesgleichen erkannte, dahin schickte die Erscheinung lautlos ihr Verstricken. (Vgl. auch VI, 11,2 und VIII, 15,6.)
Im Marienleich ist die Erotik gerechtfertigt durch den Bezug auf die Inkarnation. Aber daß Frauenlob es wagt, die Sinnlichkeit des Hohenlieds ungebrochen und ohne ausdrückliche Deutung nachzugestalten, das scheint mir für einen mittelalterlichen Text doch bemerkenswert. Und auch der geistliche Sinn, der sich abzeichnet, wirkt ungewöhnlich, vielleicht nur, weil die allzu geläufigen Schlagworte ausbleiben: Maria wird zur Empfängnis des Gottessohnes bereitet nicht durch Kontemplation oder durch Vervollkommnung ihrer Tugenden, sondern durch eine Szene von der überwältigenden Macht der Liebe. Im Prinzip, in ihrer Wirkungsweise ist es dieselbe Liebe, von der jeder Liebende betroffen wird. Allerdings fehlt dem Schlaf hier die negative Konnotation von brödekeit. Bei dieser Liebe wurde ein Schutzzaun gegen die Natur errichtet. Mit dem Bild des geflochtenen Zauns greift Frauenlob ein letztes Mal auf die Textstelle zurück, die er in diesem Versikel umspielt. Der Zaun steht, so meine ich, für die propugnacula. Wie diese ist er zugleich Schutz und Schmuck für die junge Braut, die sich dadurch als reif für die Liebe, als gehiure, anmutig und Gott wohlgefällig, erweist. Frauenlob hat also eine kleine Versgruppe des Hohenlieds unter Beiziehung weiterer Bibelstellen so zerlegt, daß zwei Bildkomplexe entstanden sind, einer, der Maria sozusagen überzeitlich sehen läßt, und einer für den Status vor der Inkarnation als Geschichte der erotischen Annäherung zwischen Gott und Maria. In diesem Verfahren zeigt sich einerseits souveräner Umgang mit dem Bibeltext und mit mariologischen Kategorien. Da aber beide Bildbereiche nicht explizit gedeutet werden, öffnet sich der prozeßhafte zweite auf weltliche Liebesdichtung hin. Daß dies kein Zufall ist, zeigt Frauenlobs Verfahren im oben besprochenen 4. Doppelversikel, zeigen auch andere Stellen des Marienleichs, wo für die Liebe zwischen Gott und Maria nicht nur Bilder des Hohenlieds gebraucht werden: min amis curtois (11,22), ich Adelheit – min Engelmar (12,37f.) bis hin zu dem schockierenden ›ich schlief bei dreien‹ (11,8). Seinen weltlichen Minneleich, in Fs. Gundolf Keil, hg. von Dominik Groß und Monika Reininger, Würzburg 2003, S. 245–255, der, für mich überzeugender, die Rolle des Pneuma in physiologischen Sehtheorien für relevant hält.]
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dem er Frauenpreis und Minnetheorie auf höfischer und naturspekulativer Basis entwickelt, hat Frauenlob abgeschlossen mit dem Hinweis auf den Ursprung aller Frauenverehrung in Maria (III,33). Im Marienleich will er offenbar zeigen, daß alle weltliche Liebe in der Liebe zwischen Gott und Maria mit aufgehoben ist.
Wissenschaftssprache und Rechtgläubigkeit Das Material, das Frauenlob verarbeitet, ist, wie schon die letzten Beispiele gezeigt haben, keineswegs nur biblischer Herkunft. Eine wichtige Rolle spielen etwa Naturphänomene wie Tiere und Edelsteine, deren Eigenschaften im Mittelalter ja häufig geistlich oder moralisch gedeutet worden sind. Man könnte auch in diesem Bereich zeigen, wie Frauenlob durch Auswahl seltener Phänomene und Eigenschaften und durch eigenwillige sprachliche Gestaltung oder völliges Einsparen der Deutungen eine funkelnde Textoberfläche erzeugt, deren genauer geistlicher Sinn teils dunkel, teils ungewöhnlich ist. Ich möchte stattdessen noch kurz auf einen anderen Bereich eingehen, aus dem Frauenlob schöpft. In den Versikeln 16 bis 18 baut Frauenlob, z. T. in systematischer Folge, Terminologien und Vorstellungen der mittelalterlichen Wissenschaften in seine Selbstrühmung Marias ein. Auf lateinisch hatte es derartiges gelegentlich schon gegeben, wir kennen etwa ein siebenstrophiges Lied des Alanus de Insulis, das so verfährt und dessen Zielsetzung in seinem Refrain zusammengefaßt ist: In hac verbi copula / Stupet omnis regula. ›Gegenüber dieser Copula des Verbums (Verbindung des Wortes) versagt jede wissenschaftliche Regel‹.24 Fürs Deutsche ist Frauenlobs Verfahren völlig neu. Die zweieinhalb ›Wissenschaftsversikel‹ von Frauenlobs Marienleich kann ich nicht ausführlich kommentieren. Vieles ist von der Forschung bereits zufriedenstellend erklärt, vor allem von Pfannmüller und Huber;25 vieles ist nach wie vor dunkel. Um einen Gesamteindruck zu vermitteln, stelle ich an den Anfang den Text und den Versuch einer Übersetzung, in die zwar selbstverständlich viele Einzelentscheidungen der sprachlichen und sachlichen Deutung eingegangen sind, die aber doch versucht, an Präzision der Terminologie nicht über den Text hinauszugehen. Einige Hinweise auf lateinische Terminologien stehen in Klammern. 24
25
Ausgabe: Cantiones et muteti. Lieder und Motetten des Mittelalters, hg. von Guido Maria Dreves, Leipzig 1895 (Analecta hymnica 20), S. 42, Nr. 9; vgl. d’Alverny (wie Anm. 17), S. 37–39. Pfannmüller (wie Anm. 3), S. 109–122; Christoph Huber, Wort sint der dinge zeichen. Untersuchungen zum Sprachdenken der mittelhochdeutschen Spruchdichtung bis Frauenlob, München 1977 (MTU 64), S. 185f; ders. (wie Anm. 18), S. 180–183 (mit weiterer Literatur). Außerdem sind wie immer Stackmanns Anmerkungen in der GA und sein Wörterbuch (wie Anm. 4) heranzuziehen.
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16,1–13 Ich binz der ersten sache kint, ich binz ein understant, in der gewelchet sint die dri und doch mazheftic kunden werden nie. er ist min wesen und ich daz sin, sun guter, er kint und ich muter. er tet, ich leit, in wenne, uf wa, des habens ich gelegenheit. sin art, die mac man von mir sagen und min gestalt in sinen jagen. welch underscheit mac daz geclagen? die menscheit unser eigen immer muz betagen, kein zuschicht noch kein abeschicht er mac getragen, ern si ein got den ich gebar. Ich bin das Kind der ersten Ursache (prima causa), ich bin ein Unterstand (substantia), in dem ihr Wie gezeigt haben (qualitas) die drei und doch nie einem Größenmaß sich fügten (quantitas). Er ist mein Sein und ich das seine, mein lieber Sohn, er Kind und ich Mutter (relatio). Er handelte, ich litt (actio, passio), im Wann, im Wo bin ich die Lage seines Habens (quando, ubi, situs, habitus). Seine Art (genus) kann man von mir sagen und meine Gestalt in seinen Gestalten suchen (species). Was für ein Unterscheiden (differentia) kann dagegen protestieren? Menschsein muß immer als unser Eigentümliches (proprium) zutage treten, er duldet weder Zufallen noch Wegfallen (accidens), außer daß er ein Gott ist, den ich gebar. 16,14–26 Daz wort mir von der höhe quam und ward in mir ein so gebenediter nam: der name hie wart, daz wort was ane werden ie. von disen zwein ein rede wart gevlochten, der min witze tochten. ein meinen truc die rede in ir, daz disputirete ich genuc, als mich der vrone bote sprach. mich wunderte e, wie daz geschach. daz wunder mir der engel brach. wan er bewisete ez in warer sprüche vach: der nider ein grunt, der mitte ein zil, der höhe ein dach nam in mir bernder künste nar. (Grammatica:) Das Wort (verbum) kam zu mir aus der Höhe und wurde in mir ein so hoch gebenedeiter Name (nomen). Der Name ist hier geworden, das Wort war immer ohne Werden. Aus diesen beiden wurde eine Rede (oratio) geflochten, der meine Klugheit zustatten kam. Die Rede trug eine Bedeutung in sich (significatio), die ich genugsam disputierte (Dialectica), als der Bote des Herrn zu mir sprach. Zuerst war ich verwundert, wie es zuging. Der Engel hat das Wunder mir erschlossen, denn er zeigte es auf in einem Netz voll wahrer Sprüche (dicta prophetarum – Rhetorica divina26). Der Grund der Tiefe, das Ziel der Mitte, das Dach der Höhe fand in mir Nahrung fruchtbarer Wissenschaften.
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Vgl. Alanus ab Insulis, Elucidatio in cantica canticorum, zu Ct 8,9: instruamus eam in scientiis divini eloquii, ut credat de se nasci Filium Dei juxta auctoritates divini verbi (PL 210, Sp. 107).
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17,1–15 Ei, waz sich mischet und unmischet und waz sich uz der mische drischet: ob daz mischen nicht verlischet, wie der ursprinc sich da vrischet, und swaz ungemischet blibet, wie daz mischen von im tribet! werden und unwerden brechen mit geburt, ob ich sol sprechen, daz ich der bin ein beginne. swie des geistes worchtlich minne mit der liebe und mit der lüste enget, witet ane unküste: ich binz aller formen forme, abgenommen nach des innern sinnes norme, die durchblümet was und ist und immer muz ane ende sin. O, was sich mischt und was sich entmischt und was aus der Vermischung sich herausschlägt (commixtio)! Wenn das Mischen nicht erlischt, wie sich dann das Entspringen erneuert! Und wie das, was unvermischt bleibt, alles Mischen von sich selbst abweist! Werden und Entwerden (generatio, corruptio) brechen in der Geburt hervor, so daß ich, wenn ich’s denn sagen soll, ein Anfang beider bin.27 Mag des Geistes schaffende Liebe mit Hilfe von Verlangen und Lust ohne Falschheit mindern, mehren; ich bin doch aller Formen Form (forma formarum), geprägt nach dem Vorbild inneren Sinnes, das gepriesen war und ist und immer ewig sein wird. 17, 16–30 Zwar ich binz aller tugent nature und der materjen nachgebure. swaz ich in dem sinne mure, speher bilde ich vil behure. ich binz aller himel mezzen und swaz ir snelle hat besezzen; wie gestecket in die firme sint die sterne, daz ich tirme, die sich werren mit der irre, inguz, wandel, nehe, virre. ich han geechset allen speren beide ir hemmen und ir keren. wite, lenge, tiufe, höhe winkelmezic miner lust sich nicht entflöhe! zal der dinge mit den sachen ligen in der gehügde min. Wahrlich, ich bin aller Kräfte und Tugenden Entstehung und der Materie Nachbarin. Was immer ich in meinem Geist errichte, ich lasse viele Abbilder davon schön werden. (Astronomia:) Ich bin das Ausmessen aller Himmel und all dessen, was ihre Schnelligkeit umfaßt. Wie ins Firmament die Sterne gesteckt sind, das bestimme ich, und wie 27
Gegen Huber (wie Anm. 18), S. 181, dem ich mich sonst anschließe, verstehe ich unmischen und unwerden als Gegenbewegung zum vorangegangenen mischen und werden, wobei ein md. Präfix unt- (= ent-) zugrundeliegen könnte, aber nicht muß. Die aller commixtio und generatio entzogene Welt oberhalb der Mondsphäre wäre dann nur in ungemischet (v. 5) angesprochen.
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sich diese streiten mit dem Herumirren, dem Mitströmen, Umkehren, Nahesein, Fernsein (der Planeten). Ich habe allen Sphären ihre Achse gegeben, das, was sie hemmt und wendet. (Geometria:) Weite, Länge, Tiefe, Höhe – nichts, was winkelmeßbar ist, entziehe sich meinem Liebesverlangen. (Arithmetica:) Zahl und Ursachen der Dinge sind in meinem Gedächtnis bewahrt. 18,1–9 Wie die döne löne schöne schenken uz der armonien, die sich modeln, dries drien, wie die steige, velle schrien, mac man hören in niun kören – den schal nieman mac zerstören –, da min vriedel, der vil süze, schaffet unser beider dinc. (Musica:) Wie die Töne aus ihrer Harmonie schöne Belohnungen schenken, wenn sie sich modulieren, dreimal verdreifachen, wie die Aufstiege, Abstiege rufen, kann man in neun Chören vernehmen – diesen Klang kann niemand verstummen lassen –, wo mein schöner geliebter Freund bereitet, was uns beiden zukommt.
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Die Gliederung der ganzen Passage ist durchsichtig: Am Anfang steht, eingeleitet durch den Begriff der prima causa aus der Metaphysik, ein Abschnitt mit sprachlogischer Terminologie der aristotelischen Tradition, nämlich den zehn Prädikamenten und den fünf Prädikabilien. Dann folgt das Trivium mit Grammatik, Dialektik und Rhetorik. Ein Zwischenstück handelt von Themen der Metaphysik und Kosmologie. Das Quadrivium in der ungewöhnlichen Abfolge Astronomie, Geometrie, Arithmetik, Musik bildet den Abschluß. Man wird gut daran tun, diese mit Wissenschaftssprache operierenden Textstücke zunächst einmal als ornamentales Sprachspiel aufzufassen und wissenschaftlich nicht allzu wörtlich zu nehmen. Die einzelnen Begriffe scheinen ja keineswegs immer im Sinne ihres systematischen Stellenwerts verwendet zu sein. Und doch drängt sich mir etwa zu der sprachlogischen Passage die Frage auf, wie Frauenlob zu einer theologischen Begrifflichkeit steht, die dogmatische Probleme z. T. ebenfalls auf der Basis sprachlogischer Begriffe zu klären versucht hat. Was soll es denn z. B. genau heißen, daß die drei Personen der Trinität in Maria als der Substanz gewelchet sind, Qualitäten gezeigt oder angeŠnommen haben? War Frauenlob in der Lage, die dogmatischen Implikationen solcher Aussagen abzuschätzen, oder hat er etwa gar wissend dogmatisch fragwürdige Positionen vertreten? Besonders problematisch ist im Zusammenhang solcher Fragen das kosmologische Zwischenstück zwischen Trivium und Quadrivium (17,1– 19), um dessen Verständnis sich die Forschung schon intensiv bemüht hat. Es handelt sich um den Versuch, Maria als kosmologische Instanz zu begreifen, wozu u. a. das Bild aus der Apokalypse von der mit der Sonne bekleideten Frau, die den Mond unter ihren Füßen hat, angeregt haben mag. Die Rede ist in diesem Abschnitt vom Prinzip des Werdens und Vergehens durch Mischung und Entmischung, eines Prinzips, das nach mittelalterlicher Auffassung nur in der Welt
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unterhalb des Mondes gilt, nicht aber in den höheren Weltsphären. Christoph Huber hat klargestellt, daß Frauenlob hier das neuplatonische Konzept der Weltseele recht präzise nach der Schule von Chartres aufgreift.28 Insoweit in diesem Konzept die Weltseele mit dem Heiligen Geist identifiziert wurde, ist es schon 1140 vom Konzil zu Sens als ketzerisch verurteilt worden, wohl weil man die Grenze zwischen Gott und Schöpfung für nicht klar genug gezogen hielt.29 Frauenlob greift es anderthalb Jahrhunderte später wieder auf. Ihm kam es darauf an, Maria innerhalb dieses Konzepts möglichst hoch anzusiedeln. Sie ist Anfang und Prinzip des Werdens und Vergehens, steht ganz nahe beim göttlichen sin, in der Schule von Chartres Noys oder providentia; sie ist Form-Model aller Formen, geprägt unmittelbar von Gott, ewig, aber Gott ontologisch nachgeordnet. Insoweit bleibt Frauenlob im Rahmen der mittelalterlichen Orthodoxie. ›Nichts kommt Maria gleich, nichts außer Gott ist größer als sie‹, hatte Anselm von Canterbury gesagt.30 Problematisch aber ist des geistes worchtlich minne (17,10): als kosmisches Liebesgeistprinzip, das das von Maria initiierte Werden und Vergehen in Gang hält, wäre es Maria in diesem Modell untergeordnet. Aber bei der Verbindung von Geist und Liebe kann der Hörer gar nicht anders, als an den Heiligen Geist selbst zu denken, dessen besonderes Attribut die Liebe ist. Und in der Tat scheint sich Frauenlob eher vorzustellen, daß der Heilige Geist als Weltseele durch Maria hindurch ins Werden und Vergehen der Welt-Dinge hineinwirkt. Das aber wäre genau die vom Konzil zu Sens als ketzerisch verurteilte Konzeption, lediglich angereichert durch die Einfügung Marias. Hat Frauenlob gewußt, daß er sich am Rande der Ketzerei bewegte? Seine syntaktische Fügung verrät vielleicht eine gewisse Vorsicht. Aber wenn ich den mit swie eingeleiteten Konzessivsatz 17,10ff. richtig verstehe, baut er eher einem Š dogmatischen Bedenken vor, das nur innerhalb des Rahmens des anima-mundi-Konzepts auftauchen könnte: wenn in dieses Konzept Maria als forma formarum eingefügt wird, ist dies dann nicht eine Beeinträchtigung der Kompetenz des Heiligen Geistes? Daß das Konzept als ganzes problematisch ist, scheint Frauenlob nicht bewußt zu sein. Ex verbis inordinate prolatis incurritur haeresis, lautet ein Satz des Hieronymus, den Thomas von Aquin zweimal zitiert, ›aus unordentlichen Formulierungen entsteht Ketzerei‹.31 Und in den Auseinandersetzungen um die deutsche Mystik wird eindringlich vor den besonderen Gedanken und dunklen Worten von Lehrern wie Meister Eckhart gewarnt, die, selbst wenn sie an sich nicht 28 29 30
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Huber (wie Anm. 18), S. 172–199. Ebd., S. 175. Nihil est aequale Mariae, nihil nisi Deus maius Maria, PL 158, Sp. 956 A, zitiert nach Peter Kern, Trinität, Maria, Inkarnation. Studien zur Thematik der deutschen Dichtung des späteren Mittelalters, Berlin 1971 (Philologische Studien und Quellen 55), S. 85. Zitiert nach Kurt Ruh, Die trinitarische Spekulation in deutscher Mystik und Scholastik, in: ZfdPh 72 (1953), S. 24–53, wieder in: K. R., Kleine Schriften, Bd. II, Berlin/ New York 1984, S. 14–45, hier 15.
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ketzerisch sind, Laien zum Irrglauben verführen können; deutschsprachige geistliche Schriften, heißt es, seien für Laien nur dann zu empfehlen, dummodo stilo dictaminis, id est modo loquendi, a libris doctorum ecclesie non discordent.32 Gewiß, Frauenlob hat weder einen Traktat noch eine Predigt verfaßt, sondern eine Preisdichtung, und im hymnischen Sprechen war von jeher mehr an sprachlichen Wagnissen erlaubt als in diskursiver Rede. Aber es scheint mir doch, als habe die hymnische Sprache des Marienleichs mit ihren exorbitanten Wort-, Bild- und Gedankenornamenten doch auch manchmal etwas kalkuliert Schockierendes, als habe Frauenlob da und dort bewußt Formulierungen gesucht, die als anstößig empfunden werden mußten. Die Grenzen, die Frauenlob verletzt, sind vor allem Grenzen der Konvention, Grenzen der höfischen Dezenz und der als angemessen geltenden Formen religiöser Verehrung. Dem einzigartigen Thema ist nur eine Redeweise angemessen, die irritierend alle Grenzen von Stilkonventionen übersteigt. Aber an einer Stelle scheint Frauenlob noch einen Schritt weiter zu gehen und bewußt auch Grenzen der Rechtgläubigkeit zu verletzen oder provozierend zu überspielen. Ich meine das Ende des 12. Versikels (12,30– 38): ich binz der tron, dem nie entweich die gotheit, sit got in mich sleich. min schar gar clar var: ich got, si got, er got, daz ich vor nieman spar. ich vatermuter, er min mutervater zwar, wan daz ist war. ich wart, ich leit, ich brach den tot, ich warb, als ich do solde. ich fur, ich quam, ich Adelheit, der tugende ein ar. er leit do nicht, min Engelmar. Ich bin der Thron, dem nie entwichen ist die Gottheit, seit Gott in mich trat. Die um mich stehen, schimmern weiß gekleidet: ich Gott, sie Gott, er Gott, das verschweige ich vor niemand.33 Ich Vatermutter, er fürwahr mein Muttervater, denn so ist’s wahr.
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Carl Joh. Jellouschek, Ein mittelalterliches Gutachten über das Lesen der Bibel und sonstiger religiöser Bücher in der Volkssprache, in: Aus der Geisteswelt des Mittelalters. Fs. Martin Grabmann, 2 Bde., Münster 1935, S. 1181–1199, hier 1197; vgl. auch A. Hyma, The ›De libris teutonicalibus‹ by Gerard Zerbolt of Zutphen, Nederlandsch Archief voor Kerkgeschiedenis N. S. 17 (1922), S. 42–70, hier 62f., dazu Volker Honemann, Interpretation und Überlieferung des Traktats De libris teutonicalibus, in: Miscellanea Neerlandica. Fs. Jan Deschamps, Leuven 1987, S. 113–124. [Zu Meister Eckharts locutio emphatica und den Reaktionen auf sie vgl. jetzt Susanne Köbele, ›Ausdruck‹ im Mittelalter? Zur Geschichte eines übersehenen Begriffs. Mit Überlegungen zu einer ›emphatischen Ästhetik‹ der Mystik, in: Das fremde Schöne, hg. von Manuel Braun und Christopher Young, Berlin/New York 2007 (Trends in Medieval Philology 12), S. 61–90; dies., Emphasis, überswanc, underscheit. Zur literarischen Produktivität spätmittelalterlicher Irrtumslisten (Eckhart und Seuse), in: Literarische und religiöse Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit. DFG-Symposion 2006, hg. von Peter Strohschneider, Berlin/ New York 2009, S. 969–1002.] Stackmann (wie Anm. 4) bezieht schar auf die Trinität (S. 305 s. v. schar) und deutet si in si got als Singular des Femininums (S. 84 s. v. er). Bei dieser Auffassung handelt es
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Ich wurde, ich litt, ich brach den Tod, ich handelte gehorsam, ich fuhr dahin, ich kam, ich Adelheit, ein Adler der Tugend, doch er, mein Engelmar, hat dabei nicht gelitten.
Die mystische Vereinigung Gottes mit Maria ist hier bis zur Identifizierung gesteigert. Im Hintergrund stehen wohl die alten Formeln mystischer Liebessprache: ›ich in dir, du in mir‹ – ›ich du, du ich‹.34 Aber im Gegensatz zur Tradition wird Liebe als Identität hier nicht als ersehntes Ziel oder bestenfalls als vorübergehende Grenzerfahrung gestaltet, sondern als andauernde Realität. Im himmlischen Hofstaat sind Gott, Maria und der Umstand der 24 Alten alle eins in Gott. Das mag man noch als Hyperbel hinnehmen. Auf der Erde aber wird die Einheit zwischen Christus und Maria, eine Einheit der gemeinsamen Menschennatur und der gemeinsamen Göttlichkeit in der Liebe, am Ende sogar gegen Christus und damit gegen die Einheit ausgespielt: Christi irdischer Heilsweg wird nicht nur Maria ebenfalls attribuiert, sondern ihr allein zu-, Christus aber abgesprochen. Hier scheint sich das Sprach- und Denkspiel zu überschlagen. Ist das ketzerisch? Es sind jedenfalls nicht verba inordinate prolata, unordentlich vorgebrachte Worte, sondern sehr gezielte Provokationen einer braven Rechtgläubigkeit.
* Frauenlobs Marienleich ist ein Grenzfall geistlicher Dichtung im Mittelalter, ja er ist eine Dichtung, die wohl ganz gezielt Grenzen der Konventionen überspielt oder gar provokativ überschreitet. Dieses Werk weckt in Musik und Wortlaut Erinnerungen an liturgische Formen, ohne sich doch insgesamt in Š einen liturgischen Gebrauch einspannen zu lassen. Es operiert mit verschiedenen Sprecherrollen und Sprechhaltungen, und es experimentiert auch sonst vielfach mit der Sprache. Es kondensiert Bilder aus biblischen und anderen Traditionen, kombiniert sie einerseits bis zur Unverständlichkeit und steigert sie andererseits zu einer neuen, fast aggressiven Sinnlichkeit. Es verletzt konventionelle Frömmigkeitsgefühle und provoziert sichere Rechtgläubigkeit. In all dem sind virtuoses Kalkül, Hingabe an neu sich öffnende Möglichkeiten der Sprache, der Poesie und des Denkens und ergriffenes, beunruhigt staunendes Umkreisen des Unbegreiflichen der Inkarnation für uns nicht zu trennen. Über die konkreten historischen Bedingungen, unter denen diese Dichtung entstehen konnte, wissen wir nichts Sicheres. Daß Frauenlob seinen Leich am Hof König Wenzels von Böhmen gedichtet habe, bleibt eine unbeweisbare Ver-
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sich um eine Gleichsetzung Gott-Maria, die ich eher so interpungieren würde: ich, got: si-got, er-got ›ich und Gott: weiblicher Gott und männlicher Gott‹. Ich bevorzuge aber eine Deutung, nach der das Bild des Thrones noch weiterwirkt, das ich auf Apc 4, 2–4 beziehe; schar meint dann die 24 Alten, die in weißen Gewändern um den Thron Gottes sitzen, si in si got kann dann Singular oder (ad sensum) Plural sein, bezeichnet jedenfalls diesen leuchtenden himmlischen Hofstaat, der also mit in die Göttlichkeit einbezogen ist. Vgl. Friedrich Ohly, Du bist mein, ich bin dein. Du in mir, ich in dir. Ich du, du ich, in: Kritische Bewahrung. Fs. Werner Schröder, Berlin 1974, S. 371–415.
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mutung.35 Aus den generellen historischen Bedingungen, die zusammentrafen – allgemeine Blüte des Marienkults, Begegnung laikal-höfischer und geistlichgelehrter Traditionen, neuplatonische Strömungen, spätmittelalterlicher Stilmanierismus usw. – aus solchen generellen Bedingungen möchte ich zum Schluß nur noch eine hervorheben: die Verwendung der Volkssprache. Es gibt eine Übersetzung des Marienleichs ins Lateinische, die leider nur fragmentarisch überliefert ist.36 Sie zeigt, wie sehr man auch in gelehrten Kreisen dieses Werk als Ereignis empfunden hat. Diese lateinische Übersetzung leistet Erstaunliches im Nachbilden der Verse und Hauptgedankengänge, und sie setzt auch alle Mittel eines dunklen, reich metaphorischen Stils ein. Wie sie mit jenen theologisch prekären Formulierungen, auf die ich hingewiesen habe, umgegangen ist, läßt sich leider nicht feststellen, weil diese Stellen alle in dem Teil des Marienleichs liegen, zu dem die Übersetzung nicht erhalten ist. Aber all das, was ich sonst noch als besondere Eigenart und Qualität von Frauenlobs Dichtung hervorgehoben habe, der unruhige Wechsel von Sprechhaltungen, die neue sinnliche Intensität erotischer Bilder, das Spiel mit dem Skandalösen, all das ist in der lateinischen Fassung eingeebnet in einen unanstößigen Marienpreis. Mir scheint dies symptomatisch für das Verhältnis von Latein und Volkssprache. Auf lateinisch mögen aufs Ganze gesehen bedeutendere, klarere, kühnere Gedanken formuliert worden sein, aber ein Entfalten und denkendes Weitertreiben eines Themas so sehr aus dem Entdecken und Ausloten von Sprachmöglichkeiten heraus, wie wir es im Marienleich finden, scheint mir im Mittelalter eher in der Volkssprache möglich. Nachtrag Im Jahr 2006 hat die amerikanische Latinistin und Mediävistin Barbara Newman den Marienleich durch eine Monographie einem weiteren internationalen und interdisziplinären Publikum nahegebracht.37 Unabhängig davon habe ich den gesamten Marienleich übersetzt und vor allem im Blick auf die Bildersprache kommentiert.38 Dabei habe ich versucht, im Verständnis des schwierigen Textes 35
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Bertau (wie Anm. 5), S. 192–194; Karl Bertau, Genialität und Resignation im Werk Heinrich Frauenlobs, in: DVjs 40 (1966), S. 316–327; Hans-Joachim Behr, Literatur als Machtlegitimation. Studien zur Funktion der deutschsprachigen Dichtung am böhmischen Königshof im 13. Jahrhundert, München 1989 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 9), S. 234–239. GA, S. 284–290. Barbara Newman, Frauenlob’s Song of songs. A medieval German poet and his masterpiece. With the critical text of Karl Stackmann and a musical performance on CD by the Ensemble Sequentia directed by Barbara Thornton and Benjamin Bagby, Pennsylvania 2006; vgl. meine Rezension in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 259 (2008), S. 158–165. Lyrik des späten Mittelalters, 2006, S. 364–395 (Text und Übersetzung), 823–871 (Kommentar).
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ein Stückchen weiterzukommen und die Übersetzung zu verbessern. Da aber solche Bemühungen immer nur tentative Annäherungen bleiben, habe ich beim Wiederabdruck des Aufsatzes auf eine Angleichung verzichtet, in die Übersetzung nur an zwei Stellen präzisierend eingegriffen und die Begründungen auch da nicht angetastet, wo mir, wie bei Anm. 22, inzwischen Bedenken gekommen sind.
Von der Jenaer zur Weimarer Liederhandschrift Zur Corpusüberlieferung von Frauenlobs Spruchdichtung Von Heinrich Frauenlob ist uns keine authentische Œuvre-Sammlung erhalten. Das mag verwundern bei einem Literaten von so ungewöhnlichem Kunstanspruch, einem Dichter, der sich über Walther von der Vogelweide und Reinmar von Zweter gestellt und unter seinen Zeitgenossen die Dichterkrone beansprucht hat.1 Gewiß: Die Lyrik als Vortragskunst hatte es im Mittelalter generell schwerer, in geregelte Überlieferungsbahnen zu geraten, als etwa die Epik. Aber für Reinmar von Zweter und Heinrich von Mügeln sind uns solche authentischen Sammlungen in Abschrift erhalten, und bei Konrad von Würzburg und Hadlaub wird man die Sammlungen der Manesseschen Handschrift auf sehr autornahe Vorlagen zurückführen dürfen. Warum tappen wir bei Frauenlob, der bei Zeitgenossen und Nachfahren so außerordentlich viel Beachtung gefunden hat und bei dem die Überlieferung schon zu seinen Lebzeiten eingesetzt hat, bei der Beurteilung der Überlieferung so im dunkeln? War es wirklich nur die Laune des Zufalls, die etwa die beste Handschrift hat spurlos verlorengehen lassen? Natürlich lassen sich Überlieferungsverluste nicht kalkulieren. Und insofern ist die Frage, warum es von Frauenlob keine authentische Œuvre-Sammlung gibt, falsch gestellt. Als Reizfrage, die eine Problemrichtung andeutet, scheint sie mir dennoch legitim. Und so scheint sie mir sogar beantwortbar: Es dürfte gerade Frauenlobs besonderer Erfolg gewesen sein, der eine authentische Bewahrung seiner Texte gestört hat. In dieser Hinsicht ließe er sich am ehesten mit Neidhart vergleichen. Eine zentrale Schwierigkeit der Frauenlob-Philologie liegt ja nach einer Formulierung Karl Stackmanns darin, daß »nicht genau festzustellen ist, wann und wo sich in unserer Überlieferung die Ablösung der Dichtung in Frauenlobscher Manier vom Dichter Frauenlob vollzieht.«2 Stackmann setzt hier Philologie * als Kulturwissenschaft. Studien zur Literatur und Geschichte des Mittelalters. Fs. für Karl Stackmann zum 65. Geburtstag, hg. von Ludger Grenzmann, Göttingen 1987, S. 193–207. 1
[Die Formulierung bezieht sich auf die ›Selbstrühmung‹ GA V,115. Seither hat Johannes Rettelbach die Strophe als Erfindung eines Gegners gedeutet: Abgefeimte Kunst: Frauenlobs ›Selbstrühmung‹, in: Lied im deutschen Mittelalter. Chiemsee-Colloquium 1991, hg. von Cyril Edwards, Ernst Hellgardt und Norbert H. Ott, Tübingen 1996, S. 177–193. Sollte diese Deutung zutreffen, so bezeugt die Strophe doch, wie sehr man Frauenlobs Anspruch empfunden hat.] 2 Frauenlob GA, S. 167.
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in der Einleitung zur Göttinger Ausgabe noch hinzu »beim Š jetzigen Stand unserer Kenntnisse«, aber wenige Jahre später präzisiert er: »Ich habe aus ihr [der Überlieferung von Frauenlobs Texten] gelernt, daß es keine momentane, durch künftige Forschung noch zu behebende Verlegenheit ist, wenn wir das Echtheitsproblem als nicht restlos aufgeklärt stehen lassen müssen. Es dürfte prinzipiell unlösbar sein, und das bedeutet, wir müssen uns endgültig damit abfinden, daß sich die Texte Frauenlobs nicht mit genügender Sicherheit von denen seiner Schüler und Nachahmer unterscheiden lassen.«3 Stackmann hat diese Erkenntnis in weite gattungs- und bildungsgeschichtliche Perspektiven gestellt und so die Interdependenz von philologischer Überlieferungskritik und Literatur- und Kulturgeschichte demonstriert. Ich möchte im Folgenden den Blick noch einmal einengen auf den von der Göttinger Ausgabe erfaßten Ausschnitt aus der Überlieferung, wie er im wesentlichen durch die Untersuchungen von Thomas4 bestimmt worden ist. Denn ich glaube, daß Stackmanns Erkenntnis von der prinzipiellen Unlösbarkeit eines Restes von Echtheitsproblemen für die verschiedenen Textzeugen in verschiedenem Ausmaß gilt und daß eine überlieferungskritische Differenzierung auch noch innerhalb des Ausschnittes der Göttinger Ausgabe Auswirkungen hat auf unser literarhistorisches Bild von Frauenlob und von der Geschichte der meisterlichen Liedkunst. Dabei beschränke ich mich auf die Sangspruchdichtung und hier im wesentlichen auf die Gegenüberstellung der beiden umfangreichsten Sammlungen, die der Göttinger Ausgabe zugrunde liegen, J und F. J, die Jenaer Liederhandschrift, berühmte prachtvolle Sammlung von Spruchdichtung und einigen Leichs, wohl vor der Mitte des 14. Jahrhunderts in einer mitteldeutschen Schriftsprache auf niederdeutschem Boden geschrieben, enthält in ihrem Frauenlob-Corpus 88 Strophen. Diese gelten, von den Gegenstrophen abgesehen, alle als echt. Die Textqualität ist hervorragend, die Sammlung ist freilich fragmentarisch und in sich geschichtet. Sie ist bei allen Qualitäten offensichtlich nicht die authentische Sammlung des Gesamt-Œuvres, die wir vermissen, schon weil Leichs und Lieder fehlen. Am Anfang des Frauenlob-Corpus sind mehrere Blätter verloren, sicher standen da weitere Strophen im Langen Ton, möglicherweise auch einige Strophen im Würgendrüssel.5 Zum Langen Ton ist an den Rändern eine thematisch geordnete Sammlung von weiteren Strophen nachgetragen (1. Nachtrag = Jn1). Thomas hat erwogen, daß es sich dabei um einen Ersatzeintrag für die verlorenen Blätter handeln könnte.6 Das halte ich 3
Karl Stackmann, Über die wechselseitige Abhängigkeit von Editor und Literarhistoriker, in: ZfdA 112 (1983), S. 37–54, hier 48. 4 Helmuth Thomas, Untersuchungen zur Überlieferung der Spruchdichtung Frauenlobs, Leipzig 1939 (Palaestra 217). 5 Dieser Ton ist neben dem Kurzen Ton, der aber in anderen Überlieferungsbahnen gelebt zu haben scheint, der am frühesten und besten für Frauenlob bezeugte Ton, der in J fehlt. Von den Leichs hätte keiner Platz gefunden. 6 Thomas (wie Anm. 4), S. 4 Anm. 8.
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buchtechnisch für unwahrscheinlich, man hätte gewiß eher Blätter eingefügt. Wohl aber wird man den Bestand dieses Nachtrags Š nicht ohne weiteres mit dem seiner Vorlage gleichsetzen dürfen, denn beim Abschreiben mag man Strophen, die im Grundstock schon standen, übersprungen haben. Für eine eigenständige Texttradition dieses Nachtrags spricht jetzt auch das Soester Fragment A, der älteste Textzeuge überhaupt: es enthält nur Strophen, die auch in Jn1 stehen, die Reihenfolge weicht allerdings in A ab, so daß wir zwar einen Traditionsstrang, kaum aber eine strikt geplante und authentisch erhaltene Autorsammlung greifen können. Ein weiterer kleinerer Nachtrag in J ergänzt drei Strophen des Zarten Tons (Jn2). Doch auch innerhalb des Grundstocks gibt es Spuren von Schichtungen: Am Ende des Grünen Tons steht eine Strophengruppe, die formal durch zusätzlichen Binnenreim in der Schlußzeile abweicht. Es handelt sich um zwei stark geblümte hochspekulative geistliche Strophen, die aufeinander bezogen sind (J 76.77 = VII,1.2), und um drei wohl an Frauenlob gerichtete Strophen, die offenbar Reaktionen auf Frauenlobsche Gedichte, vielleicht direkt auf die beiden vorausgehenden Strophen sind und von kritischer Aggressivität bis zum Freundschaftsangebot reichen (J 78–80 = VII,41–43). Eine der Strophen nennt den Angeredeten, also wohl Frauenlob, kind (VII,42). Mit Bertau7 möchte ich daher vermuten, daß die zwei geistlichen Strophen einer frühesten Schicht Frauenlobscher Dichtung zugehören, einer Zeit, in der er als junger Dichter unter seinen Zeitgenossen Aufsehen erregt hat. Für die Genese der Sammlung heißt das, daß hier wohl aus einer anderen Quelle Strophen einer älteren Schicht angefügt wurden an eine Sammlung von Strophen in der Normalfassung des Grünen Tons. Dafür spricht auch der nochmalige Einsatz mit geistlicher Thematik nach einer in sich leidlich geordneten ersten Strophenfolge, die geistlich begonnen hatte. Trotz solcher Indizien für Quellenkombination werde ich J als Einheit behandeln, da nach meinen Kriterien des Vergleichs J mit allen seinen Schichten relativ einheitlich in Opposition zu F steht. F, die Weimarer Liederhandschrift, ist im Vergleich zu J eine höchst bescheidene Papierhandschrift, aber sie macht äußerlich einen ordentlichen Eindruck. Entstanden ist sie im dritten Viertel des 15. Jahrhunderts in oder bei Nürnberg, also etwa gleichzeitig mit der Kolmarer Handschrift und mit Folzens älteren Meisterliedern. Trotzdem handelt es sich nicht um eine Meisterliederhandschrift des üblichen Typs. Vielmehr ist F offenbar Abschrift einer erheblich älteren Sammlung. Einzelne Spuren weisen auf niederdeutsche Züge der Vorlage.8 Der erste Teil von F, um den allein es mir geht, ist eine ausgesprochene FrauenlobSammlung. Er enthält 294 Spruchstrophen in Tönen Frauenlobs, ferner die drei Leichs und Minnelieder, die wohl Frauenlob zuzuschreiben sind, diese allerdings 7
Karl Heinrich Bertau, Untersuchungen zur geistlichen Dichtung Frauenlobs, Diss. (masch.) Göttingen 1954, S. 97f. 8 Franz Hacker, Untersuchungen zur Weimarer Liederhandschrift F, in: PBB 50 (1927), S. 351–393, hier 390–393.
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in Symbiose mit anderen Liedern, u. a. von König Wenzel von Beheim und Herzog Heinrich von Breslau, Liedern, in denen deutliche Š Frauenlob-Anklänge auszumachen sind. Unter den Spruchstrophen gibt es einerseits nicht wenige, die durch frühe Parallelüberlieferung und innere Gründe als gesichert gelten dürfen, andererseits einige ganz offensichtlich unechte, auch sie allerdings z. T. noch in einem engeren Bezugszusammenhang mit typisch Frauenlobschen Themen und Motiven als die üblichen ›unechten‹ Meisterlieder des 15. Jahrhunderts. Das Gros der von F überlieferten Spruchstrophen aber ist genau von der Art, daß eine einigermaßen sichere Entscheidung der Echtheitsfrage nicht möglich ist. Die Textqualität von F ist zum Teil miserabel. Besonders bei schwierigen Texten zeigt sich, daß der Schreiber nicht in der Lage war, den sprachlichen und kulturellen Abstand zu überwinden, daß er sich die Texte, die möglicherweise schon in seiner unmittelbaren Vorlage entstellt waren, halb sinnlos zurechtgemodelt hat. Doch dürfte die gleichmäßige Abschrift hier einiges überdeckt haben. Fremdkörper sind offensichtlich die Einschübe in Tönen Regenbogens (42r–44v) und Reinmars von Zweter (61rv), aber wohl auch die vom eigentlichen Toncorpus getrennten Würgendrüssel-Strophen (44v–45v). Vermutlich handelt es sich da um Nachträge in der Vorlage, die erst bei der Abschrift integriert worden sind. Diese Einschübe übergehe ich ebenso wie den Schluß ab 101r, der ganz aus dem Frauenlob-Kontext herausführt. Es gibt jedoch Indizien, daß auch die eigentliche Frauenlob-Sammlung nicht völlig einheitlich ist. Für Quellenmischung spricht schon die Tatsache, daß an zwei Stellen Gruppen von Minneliedern auftauchen, wobei drei Lieder in beiden Gruppen erscheinen. Darüber hinaus deuten Störungen der thematischen Anordnung in den Spruchtönen vielleicht darauf hin, daß eine thematisch wohlgeordnete Hauptsammlung aus anderen Quellen ergänzt worden ist. Das möchte ich wenigstens an den beiden umfangreichsten Toncorpora, dem Langen und dem Grünen Ton, zeigen. Die folgende Übersicht ist nach der Abfolge und der Bargliederung von F angelegt. Strophen, die auch anderweitig überliefert sind, erscheinen unterstrichen, wenn eine Parallelüberlieferung noch aus dem 14. Jahrhundert stammt, doppelt unterstrichen. Die Stellung in den Sammlungen der Parallelüberlieferung wird nur dort angedeutet, wo sich daraus Schlüsse auf Traditionsstränge oder Strophenzusammenhänge auf früheren Stufen ergeben könnten.9 L a n g e r To n V, 13.14.15.16.17 V, 56.57.58 V, 59.60.61
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Fürstenpreis auf Waldemar von Brandenburg zit, stat und frie willekür Adams wirde, Mahnung zur ere
[Vgl. auch GA, S. 43f.; RSM 1Frau/2/100–115 und 1Frau/4/100–112.] Für die von der GA nicht erfaßten Texte beziehe ich mich auf die Ausgabe Ettmüllers (Et.): Heinrichs von Meissen des Frauenlobes Leiche, Sprüche, Streitgedichte und Lieder, hg. von Ludwig Ettmüller, Quedlinburg/Leipzig 1843, Neudruck Amsterdam 1966 [jetzt ergänzt durch den Hinweis auf GA-S].
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V, 62.63.64.65
Mahnung, das Unvermeidliche mit rechtem mut zu nehmen 65 – H 16; t 71,3: Mahnung zur maze in Freude und Leid 66 – H 20; t 71,1; t 106,2; u: Memento mori V, 66.67 67 – H 21; t 71,2: Über die rechte Einstellung zum Tod V, 68.69.70.71 Herr und Knecht Gebetsmahnung Marias V, 2 2 – C; H 14; H 119; t 66,1. Maria als vrouwe; eine maget als vrouwe V, 111.112.113 111 – J 31; t 107,1: G Gott sprach zu seiner Mutter ‘vrouwe’ 112 – J 32; t 107,2: 113 – J 33: Eine maget kann vrouwe werden. V, 72.73.74.75.76 Über den rechten Rat für Herren V, 43.42.77.78.79.80.81 Herrenlehre 43 – J 51; A 7: G Über rechtes Herrenlob 42 – J 50: 77.78: Mahnung der Herren, ihre man zu bedenken 79–81: Ruhm der toten Herren als Mahnung für die lebenden; 81 vielleicht ursprünglich selbständige Totenklage V, 49.50.51.52.53.54.55 Vom rechten mut 49 – C 40; t 94,3: mut ohne gut, Mahnung zur milte 50 – t 94,1: gut mit rechtem mut 51 – t 96, 1: H 52 – t 96, 2: gelücke und mut 53: 54 – C 41: ere, gut und mut 55: Herrenmahnung zur ere Mahnung der Herren, ihre man zu bedenken V, 82.83.84.85.36 36 – J 44. Herrenlehre V, 86.87.88.89.90 86: Mahnung der Herren, ihre man zu bedenken 87: Ämter mit weisen Leuten besetzen 88: G Rechtes Verhalten zum gelücke 89 – t 96,3: 90: Von der maze V, 91.92; Et. 6.28.29. (keine Einheit) 30; V, 93.94.95.96 91.92: Von der maze Et. 6 [GA-S V, 218,3]: Moses Gebet als Vorbild Et. 28–30 [GA-S V, 218,4–6]: Mose und Tarbis 93–96: Von der triuwe Einschub in Regenbogens Langem Ton und in Frauenlobs Würgendrüssel Von den Priestern V, 3.4.5.6 3 – t 52,1: G Priestermahnung 4 – t 52,2: 5: Beichtlehre 6: Priestermahnung Recht und Gewalt V, 22.97.98 22 – J 5. G r ü n e r To n VII, 3.5.1
Gott-Natur-Inkarnation 3 – J 66: Gott vor, über und (in der Inkarnation) gegen die Natur
197
198
222
VII, 8.9.10
VII, 11.12.13
VII, 18.17.19
VII, 15.20.21
VII, 22.23.14
VII, 24.25.26 199
Et. 273.274.275 VII,37.35.36
VII, 27.28.29 VII, 30.38.39
VII, 40.7.4
VII, 31.32.33
Von der Jenaer zur Weimarer Liederhandschrift
5: Gottgegebene Macht der Natur, nur der Mensch stört sie. 1 – J 76; C 59; a 32,7; t 216,7; t 226,1: Präexistenz Marias, Inkarnation Conditio humana 8: Tod, Leben, Zeit 9 – J 68: Mensch aus 4 Elementen, 5 Sinnen und 3 Seelenkräften 10: Mensch gelockt von Teufel, Tod und Gott Natur 11 – J 71: Kosmos im Gleichgewicht als Gottes Werk 12: Elemente, Seele, lanc materie 13: Elemente und Komplexionen Sitten- und Weisheitslehre in Sentenzenreihungen 18 – J 74. 17 – J 73. 19 – J 75. Drei Belehrungen 15 – J 70; C Boppo 27; t: Auf der grüne: Frau Ehre über Reichtum und Tugend 20: Ein wiser leie über Tugenden 21: Ein gebannter Geist über ere und milte der Fürsten Ständelehre 22: Drei-Stände-Lehre 23: Würde der Pfaffen 14 – J 69: Ritterlehre Über valsch 24: Macht des valsch 25: Die herrschende Untriuwe zwingt mich zur Verstellung 26: Macht des valsch, Fürstenlehre Bispel über Falschheit von Frauen (unwip und vrouwen) Et. 273–275 [GA-S VII, 208,1–3] – t. Preis des wip in Anaphernreihen 37 – t 218,3. 35 – n; t 218,1. 36 – t 218,2. Fürstenlehre mit Elementen der Zeitklage (keine Einheit) 30: Lohn der Welt? (Ende der Strophe fehlt ohne äußere Lücke) 38: Minnelehre: drei Blicke vor der Minne 39: Minnelehre: Entstehung der Minne (keine Einheit) 40: Minnelehre: Bewahren des Minnefeuers 7 – C 58; C Boppo 28; a 32,6; t 216,6: vogel vellica als Gleichnis für Christus 4 – J 67; C Boppo 29; s; t 226,2: Trinität Adels-Tugend-Lehre 31: Hofkritik 32: Dummheit und Bosheit 33: Lehre für junge Adlige: weise Lehrer, gute Sitten, gute Gesellschaft
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Die Übersicht zeigt, daß die Bareinteilung der erhaltenen Handschrift durch Überschriften relativ mechanisch erfolgt ist und die Absicht des Sammlers offenbar nicht immer richtig wiedergibt.10 Am deutlichsten sichtbar ist das gegen Ende des Grünen Tons: von VII,30 fehlt der Strophenschluß, wohl wegen eines Blattverlusts in einer Vorstufe. Ein Schreiber, sei es der von F oder ein früherer, hat die Lücke nicht bemerkt und die ersten zwei Strophen einer dreistrophigen Minnelehre (VII,38–40) noch zum Dreierbar dazugenommen. So mußte die verbleibende dritte Strophe der Minnelehre wieder zum Bar ergänzt werden; das geschah recht mechanisch durch Einschub zweier weit verbreiteter geistlicher Strophen (VII,7.4). Ebenso ist die Dreiereinheit V, 90–92 durch eine Überschrift zerrissen. Man wird daraus wohl schließen dürfen, daß die in der Themenfolge spürbare Tendenz zur Bargliederung in der Vorstufe nicht äußerlich markiert war. Übrigens sind die thematische Einheit der ›Bare‹ und Š die Grenzen zwischen ihnen nicht überall gleich stark ausgeprägt; das vorhandene Strophenmaterial mag sich nicht ganz glatt in die Bargliederung gefügt haben. So scheint es, daß die Ursammlung von F an der Grenze zwischen zyklischer Anordnung von Einzelstrophen und kleinen Strophengruppen einerseits und fester Bargliederung andererseits gestanden hat. Nimmt man nun die ›Bar‹-übergreifenden Themenzusammenhänge ernst, so zeigen sich deutlich einige Störungen, die offenbar durch sekundäre Einschübe verursacht sind: Von VII,7.4 war schon die Rede; im Langen Ton stehen zwischen drei Strophen von der maze (V, 90–92) und vier Strophen von der triuwe (V, 93–96) vier Strophen ganz anderer Thematik; die Strophen über Maria, vrouwe und maget (V,2.111–113) unterbrechen eine Folge von Herrenlehren; die Fürstenlehre von VII,27 sollte sich wohl ursprünglich an die von VII,26 anschließen, aber das Stichwort valsch hat ein Bar über falsche Frauen attrahiert, dieses wohl einen Frauenpreis als Gegengewicht gefordert. In all diesen Fällen liegt der Verdacht sekundärer Einschübe nahe. Nimmt man die verdächtigen Strophen heraus, so bleibt in diesen beiden Tönen eine thematisch äußerst geschlossene, ziemlich gut komponierte Sammlung, in der kein einziger eindeutig unechter (d. h. von Frauenlobs Manier markant abweichender) Text enthalten ist. Eine Übertragung dieser Beobachtungen auf die übrigen Töne ist nicht ohne weiteres möglich. Tendenzen einer thematischen Anordnung lassen sich schon wegen des geringeren Umfangs der Toncorpora nicht so leicht aufzeigen. Bei fast allen Tönen aber bleiben die sicher unechten Strophen als sekundäre Einschübe geringen Umfangs isolierbar oder fehlen ganz. Die beiden verschiedenen Tonmodelle des Würgendrüssel könnten durchaus schon in jener vermuteten Ursammlung nebeneinander gestanden haben. Erhebliche Schwierigkeiten macht lediglich der Neue Ton. Immerhin passen einige der von Thomas ausgeschie10
Das hat schon Thomas (wie Anm. 4), S. 100–103, beobachtet. Mir scheint aber die Veranschaulichung in den hier gebotenen Übersichten sinnvoll, zumal ich aus dem Befund z. T. andere Schlüsse ziehe.
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denen Strophen durchaus in den Rahmen, der sich für jene Sammlung sonst abzeichnet. Sobald man nur nach »Dichtung in Frauenlobscher Manier« fragt, verlieren Reimargumente an Gewicht. Et. 363 und 368 klingen in diesem Sinne ausgesprochen frauenlobisch, Et. 372 fügt sich thematisch und stilistisch durchaus ins Bild.11 Trotzdem scheinen bei diesem Ton – etwa dem letzten Ton Frauenlobs? – die Verhältnisse anders als bei den übrigen Tönen zu liegen. Die Hypothese einer weitgehend einheitlichen Sammlung wird dadurch jedoch m. E. nicht gefährdet. Natürlich drängt sich die Frage auf, wo jene Sammlung, die uns durch F bezeugt ist, literarhistorisch zu situieren ist. Die Möglichkeit, es handle sich um eine von Frauenlob selbst veranstaltete ›Ausgabe‹ seiner Dichtungen, also doch so etwas wie jene eingangs vermißte authentische Œuvre-Sammlung, läßt sich nicht stützen, ja einige Indizien, von denen unter Chronologie und Tönegebrauch noch die Rede sein wird, sprechen klar dagegen. Wohl aber möchte ich die Hypothese wagen, daß es sich bei jener Vorstufe von F um eine ›Schulsammlung‹ handelt, die noch unter dem Eindruck des Meisters Š nicht allzu lange nach seinem Tod entstanden ist, eine Sammlung, die neben Dichtungen Frauenlobs – ich denke, vor allem aus seinen späteren Jahren – auch Texte seiner Schüler und Jünger, »Dichtung in Frauenlobscher Manier«, aufgenommen hat. Im Gegensatz dazu scheint mir J eher den Blick auf frühere Schaffensperioden Frauenlobs freizugeben, in der es das Problem der »Dichtung in Frauenlobscher Manier« noch nicht, zumindest nicht in diesem Maße, gegeben hat. Diese Hypothese möchte ich unter fünf Aspekten entfalten: 1. datierbare Texte, 2. thematisches Profil und Verhältnis zu den Sänger-Kollegen, 3. Stilistisches, 4. Töne und 5. Barbildung. 1. Die chronologischen Indizien, die dafür sprechen, daß in J eine Sammlung des jungen und mittleren Frauenlob vorliegt, in F dagegen eine Sammlung des späteren Frauenlob und seiner Schüler, in die natürlich auch einzelne frühere Texte Frauenlobs aufgenommen worden sein mögen – die chronologischen Indizien sind nicht allzu zahlreich, aber sie fehlen nicht ganz; zumindest sprechen die wenigen zeitlich fixierbaren Texte eher für als gegen diese Hypothese. Ich habe oben eine in J überlieferte Strophengruppe im Grünen Ton als dem jungen Frauenlob und seinen Sänger-Kollegen zugehörig charakterisiert (VII,1.2.41–43); in F ist von den fünf Strophen nur die erste aufgenommen, eine der auch sonst am breitesten überlieferten Frauenlob-Strophen (VII,1). Nur in J steht der Nachruf auf Konrad von Würzburg, der 1287 gestorben ist (VIII, 26). Ein Zyklus von Fürstenpreis-Strophen in J läßt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit auf etwa 1300/1302 datieren (V, 7–12).12 Sicher jüngere Strophen gibt es in J nicht. 11
12
[Et. 363 = RSM 1Frau/8/100 (3) = GA-S XI, 201 Str. 3; Et. 368 = RSM 1Frau/8/101 (1) = GA-S XI, 208 Str. 1; Et. 372 = RSM 1Frau/8/103a (3) = GA-S XI,209 Str. A3.] Ulrich Müller, Untersuchungen zur politischen Lyrik des deutschen Mittelalters, Göppingen 1974 (GAG 55/56), S. 173–175.
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In F gibt es zwar viele Strophen, die sich auf historische Persönlichkeiten und politische Zeitverhältnisse beziehen, doch bleiben in den meisten Fällen die Datierungen unsicher. Immerhin läßt sich konstatieren, daß von diesen Strophen nur eine einzige relativ sicher vor 1300 entstanden zu sein scheint: V, 81. Wenn die Konjektur Rudolf für tuedolf stimmt, wie ich annehme, ist die Strophe nach König Rudolfs Tod 1291 oder wenig später gedichtet. Sie ist aber in F entaktualisiert durch Einbindung in eine Strophengruppe generell didaktischer Ausrichtung (V,79–81). Die übrigen F-Strophen mit historisch-politischen Bezügen scheinen, wenn auch nicht durchweg mit Sicherheit, nach 1300 entstanden zu sein. XII,9 ist nach Müller13 am ehesten auf 1308 zu datieren, »wenn auch 1292, 1298 und 1314 nicht ganz auszuschließen sind«. Auch bei VIII,12–14 gibt Müller einer Datierung auf 1302 oder später eine leichte Präferenz vor anderen Möglichkeiten.14 Ausdrücklich genannt wird die Jahreszahl 1311 in dem fünfstrophigen Fürstenpreis auf Waldemar von Š Brandenburg (V,13–17). Und die Strophe IX,17 ist mit Sicherheit auf die Zeit nach der zwiespältigen Wahl Ludwigs des Bayern 1314 festzulegen. Diese zuletzt genannte Strophe steht in F inmitten einer Strophenreihe der Geistlichenkritik und der Stellungnahme für den König gegen das Papsttum (IX,11–19). Die Datierungsprobleme, die sich ergeben, wenn man den Zusammenhang ernst nimmt, hat Müller15 scharfsinnig diskutiert: erst nach Frauenlobs Tod 1318 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Ludwig und dem Papst. Ich denke, man muß den überlieferten Kontext durchaus ernst nehmen, freilich nur auf der Ebene der Sammlungskonzeption. Daß die Strophenreihe nicht als genetische Einheit zu verstehen ist, scheinen mir die lockere Fügung und die ungleichmäßige Zweitbezeugung einzelner Strophen in anderen Handschriften zu beweisen. Für den Sammler aber bestand zweifellos ein Zusammenhang: seit 1323, als der Streit zwischen Kaiser Ludwig und dem Papst ausgebrochen war, mußte die an Ludwig gerichtete Strophe IX,17, obwohl sie nur von den Schwierigkeiten mit den (geistlichen?) Fürsten spricht, im Kontext der neuen (strukturell freilich alten) Auseinandersetzung zwischen Kaiser- und Papsttum gesehen werden. Der Sammler dürfte vorhandene Einzelstrophen und Strophengruppen Frauenlobs unter aktuellem Aspekt zusammengestellt haben, möglicherweise hat er die Reihe auch noch durch eigene Strophen ergänzt. Nicht allzu lange nach 1323 könnte man sich die Vorstufe von F entstanden denken. 2. Was die Thematik betrifft, so überwiegen sowohl in J als auch in F Fürstenlehre und dezidiert ständisch bezogene Tugendlehre; der Anteil des Fürstenpreises ist in etwa gleich. Damit stehen beide Sammlungen als weltlich-hoforientiert im Gegensatz zu den Meisterliederhandschriften, in denen die geistliche Thematik stark dominiert (in den Frauenlob-Tönen gilt dies sogar für die weltlichste Meisterliederhandschrift Cpg 392).16 13 14 15 16
Ebd., S. 165. Ebd., S. 170f. Ebd., S. 166–169. Vgl. Frieder Schanze, Meisterliche Liedkunst zwischen Heinrich von Mügeln und Hans Sachs, München 1983/84 (MTU 82.83), I, S. 108–114, II, S. 48–58.
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Verschoben hat sich aber von J zu F die Kunstthematik. J zeigt Frauenlob erstens im Mittelpunkt literarischer Fehden; neben einigen anderen polemischen Strophen überliefert J vor allem große Stücke des wip-vrowe-Streits und des Streits um Frauenlobs Selbstrühmung.17 F dagegen kennt so gut wie keine Polemik (höchstens XIII,4); drei Strophen aus dem wip-vrowe-Komplex, die in F übernommen sind, ausschließlich Strophen Frauenlobs, erscheinen losgelöst vom polemischen Anlaß und getrennt von den Gegner-Strophen, auf die sie sich beziehen, und müssen so eher als allgemeiner Preis von Frauentugenden verstanden werden (V,111–113). An Frauenlob gerichtete Strophen gibt es in F nicht. J zeigt Frauenlob zweitens in angestrengter Auseinandersetzung mit der literarischen Tradition: Hier steht der Nachruf auf Konrad von Würzburg Š (VIII,26), hier findet sich eine temperamentvolle Verteidigung der Möglichkeit von Kunst auch heute noch, trotz einer überwältigend großen Tradition (VI,12), hier wird – in den fehdeauslösenden Strophen V, 106 und 115 – der eigene Anspruch den alten Meistern pointiert entgegengestellt. Die Texte in F sind zwar ebenfalls voll von Anklängen an die klassische Tradition von Minnesang und Spruchdichtung, aber sie reiben sich nicht mehr an ihr. Von der Originalitätsdiskussion gibt es nur noch einen milden Nachklang (XIII,5). Wo in F Kunstthematik berührt wird (VIII, 24; X,11; XIII,1–7.24–26), geht es nicht wie in J um die Sonderrolle Frauenlobs unter den übrigen Sängern, sondern um die generelle Rolle des Sängers in der Gesellschaft, in vier unechten Strophen (Et. 364–367)18 auch einmal um die Künste des Quadriviums; und die Gesellschaft, das Publikum, wird vom Sänger allenfalls unter moralischen Aspekten kritisiert, wie es der Gattungstradition entspricht, nicht wie in der J-Strophe V, 114 nach seinem intellektuellen Fassungsvermögen differenziert. Kunst, so darf man zusammenfassen, ist für den Frauenlob von J das Feld gereizter Polemik und auftrumpfender Profilierungsbemühung, für den Frauenlob von F eine moralische Instanz, die eine kritische Funktion in der Gesellschaft beansprucht. Übrigens geht auf der sonst einigermaßen gerade fortschreitenden Linie von J (+AZ über C und b) zu F die Handschrift C in diesem Punkt in eine andere Richtung: ein Teil der Strophen im Langen Ton ist in C als Sängerkrieg zwischen Frauenlob und Regenbogen arrangiert, und zur Verlängerung dieses Wettbewerbs hat man auch zwei wohl unechte Strophen einbezogen, in denen eine Rätselallegorie und ihre Auflösung als Sängerwettstreit inszeniert sind.19 Das Bild, wie es J bietet, wird also in C zur Legende stilisiert. In F aber erscheint es von innen her verwandelt, beruhigt, verharmlost. Karl Bertau hat für den Wandel von Frauenlobs Schaffen die Formel geprägt: Genialität und Resignation.20 Diese Formel drängt sich auf, wenn man den Weg 17 18 19 20
Burghart Wachinger, Sängerkrieg, München 1973 (MTU 42), S. 182–279. [RSM 1Frau/8/100, vgl. GA-S, XI,201, Str. 4–7.] Wachinger (wie Anm. 17), S. 188f. Karl Bertau, Genialität und Resignation im Werk Heinrich Frauenlobs, in: DVjs 40 (1966), S. 316–327.
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von J zu F verfolgt und in F das Werk des späteren Frauenlob gespiegelt sieht. In einem Punkt aber ist der Frauenlob von F keineswegs resignativ: Erst in F gibt es eine größere Zahl von politischen Texten (VIII,12–14; IX,11–19, teilweise schon in b; XII,7 und 9), überwiegend Kritik an den pfaffenfürsten und Stellungnahmen gegen die weltliche Macht der Kirche und gegen die antikaiserliche Politik des Papstes. Demgegenüber ist in J nur im Rahmen der Hoflehre eine Kritik der Klosterknappen, die sich am Hof breit machen, erhalten (V,33 f.), im Boppe-Corpus von C eine Strophe gegen die Minoriten (VII,34). Aus J und C wüßten wir also gar nicht, daß sich Frauenlob auch zur großen Politik geäußert hat. 3. Daß sich von J zu F auch stilistisch einiges verschoben hat, wird man Š als allgemeinen Eindruck empfinden. Es ist aber schwer, diesen Eindruck zu konkretisieren und zu belegen; denn einerseits bietet schon J verschiedene Stilebenen und Stiltypen nebeneinander, andererseits verhindert der schlechte Erhaltungszustand der F-Texte sichere Urteile. Die relativ gut erhaltenen Texte von F aber scheinen mir glatter und flacher zu sein als die Mehrzahl der J-Texte. Das würde gut passen zu der Nivellierung des Abstands zwischen Frauenlob und seinen Sängerkollegen, wie er sich bei der Thematik gezeigt hat. Dingfest machen kann ich aber nur eine Einzelheit. In der Göttinger Ausgabe gibt es acht Strophen im Grünen und Zarten Ton, die im wesentlichen aus einem anaphorischen Preis des wip bestehen (VII,35–37; VIII, 16.18–21), und ähnlich lange Anaphernreihen zeigt auch der zweite Teil des Minneleichs (III,15 ff.). Keiner dieser Texte ist in J überliefert, und insgesamt, vor allem aber in J, ist Frauenlob eher zurückhaltend mit Anaphern. Ich zweifle auch, ob alle diese Strophen von Frauenlob stammen, das poetische Verfahren ließ sich nach einem gegebenen Modell besonders leicht kopieren. Aber in Frauenlobscher Manier sind sie alle. Von den acht Strophen finden sich nun drei in dem Fragment Z, zwei in b, vier in F, und der Minneleich steht in F und W. Hier zeigt sich, daß F keineswegs im Gegensatz zur gesamten älteren Überlieferung steht.21 Eher könnte jene Vorstufe von F den Abschluß einer Entwicklung bilden, die sich in dem, was einige andere ältere Textzeugen spiegeln, schon anbahnt.22 4. Bei den Tönen ist auf dem Weg von J zu F vor allem ein bedeutender Zuwachs des Töne-Repertoires festzustellen. Allerdings beginnen hier auch schon die Zweifel, ob dies denn alles noch Frauenlobs Eigentum ist. Unangefochten sind in die21
22
Vgl. auch Karl Stackmanns jüngste Bemerkungen zum überlieferungsgeschichtlichen Ort von F: Textkritische Bemerkungen zu dem Kreuzleich-Fragment aus St. Paul, in: ZfdA 113 (1984), S. 250–254, hier 254. Eine Frühdatierung des Minneleichs, wie ich sie in Sängerkrieg (wie Anm. 17), S. 242f., zu begründen versucht habe, muß von diesen Überlegungen nicht unbedingt tangiert werden; denn ein nicht allzu spät datiertes Modell für diese Art des Frauenpreises muß wohl vorausgesetzt werden. Trotzdem halte ich meine Begründung von damals heute nicht mehr für stichhaltig.
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ser Hinsicht, teils wegen relativ früher Bezeugung in anderen Handschriften, teils wegen der offenkundig Frauenlobschen Texte, die es in ihnen gibt, der Würgendrüssel, der Kurze Ton und der Ton von ›Minne und Welt‹. Problematischer sind der Vergessene Ton (X), der Neue Ton (XI) und der Goldene Ton (XII);23 Thomas aber hat sie für echt gehalten, und ich meine, daß in der Tat einige Texte in diesen Tönen sehr frauenlobisch klingen, womit dann auch die Töne selbst für Frauenlob oder wenigstens für seinen nächsten Umkreis gesichert sein dürften.24 Gegenüber den übrigen Tönen zeigen aber diese drei Š Eigenschaften, die die früher belegten Töne nicht kennen: Der Goldene Ton und der Neue Ton sind durch komplizierte Anfangsreime ausgezeichnet, und in allen drei Tönen gibt es Reimbindungen zwischen Auf- und Abgesang, die nicht wie üblich auf die Stollen- und Abgesangsschlüsse beschränkt sind, sondern verstecktere Beziehungen herstellen und dabei die beiden Stollen nicht symmetrisch behandeln. Darf man diese Reimspiele etwa als Altersstil Frauenlobs interpretieren?25 Während das erweiterte Töne-Repertoire, so betrachtet, eher für als gegen die Nähe zum älter gewordenen Frauenlob spricht, scheinen gewisse Umformungen von schon früher bezeugten Tönen eher von Frauenlob wegzuführen: klingende Kadenzen statt stumpfer beim Grünen Ton, zusätzliche Reime beim Würgendrüssel. Als bloße Varianten würden mich solche Abweichungen nicht beunruhigen, Tonvarianten gibt es ja schon innerhalb von J. Aber wenn ältere Strophen, die wir aus J kennen, in F auf das jüngere Tonschema hin umgeformt worden sind, und zwar zum Teil recht unbeholfen, so muß man, wenn man nicht annehmen will, Frauenlob sei schon senil gewesen, die Bearbeitung anderen zuschreiben. Da die Veränderungen in eine Richtung gehen, die schon auf die im Meistergesang üblichen Tonformen weist,26 wird man sie als relativ junge Schicht ansehen. 5. Barbildung. Die Vorstufe von F hat, wie gesagt, noch keine ganz feste Bargliederung gehabt; sie brachte auch Einzelstrophen und Strophenpaare in lokkeren zyklischen Strophenverbänden unter. Thomas hat diese Beobachtung einseitig betont und gefolgert: »Da man der in F überkommenen Sammlung eine durchgehende Neigung zur Barbildung demnach nicht zuschreiben kann, braucht 23 24
25
26
Vgl. die Vorbemerkungen in der GA, S. 960, 972 und 985f. Gisela Kornrumpf weist mich auf folgendes hin: »Für Frauenlob als Autor des Neuen Tons sprechen auch die Strophen auf Erich von Dänemark. Es handelt sich zweifellos um Erich VI. (1286–1319), der auch 1311 beim Rostocker Ritterfest anwesend war (erst 1396 wurde wieder ein Erich König von Dänemark). Wenn übrigens XI,2 mit Er (und nicht mit irgendeinem -er-Reim) begonnen hat, bilden beide Strophenspitzen zusammen Ich + Er, eine Frauenlobische Namens-etymologisatio.« [Zu Frauenlobs Tönen vgl. jetzt Horst Brunner, Die Spruchtöne Frauenlobs. Bemerkungen zur Form und zur formgeschichtlichen Stellung, in: Studien zu Frauenlob und Heinrich von Mügeln. Fs. Karl Stackmann, Freiburg Schweiz 2002 (Scrinium Friburgense 15), S. 61–79.] Vgl. Thomas (wie Anm. 4), S. 93 und 200.
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man, wenigstens für die Zeit, in der sie veranstaltet wurde, nicht mit Einschub von unechten Strophen zur Barauffüllung zu rechnen.«27 Daß es andererseits eine große Zahl von regelrechten Baren gibt, teils solchen, die von vornherein als Einheit gedichtet sind, teils aber auch sekundär zusammengestellten, hat Thomas nicht übersehen. Auf welcher Stufe er sich die sekundären Barbildungen vorgestellt hat, wird mir nicht ganz deutlich. Ich sehe jedenfalls keinen Grund, hierfür eine eigene spätere Stufe anzusetzen. Auch wenn sich in jener Schulsammlung das Barprinzip noch nicht völlig durchgesetzt hatte, so war es doch schon kräftig am Werk, wesentlich stärker als in J, wo es erst Ansätze gibt. In vielen Fällen sind in F offensichtlich ältere Einzelstrophen sekundär durch Zusammenstellung oder Zudichtung zu Baren erweitert worden. Oft ist die Einzelstrophe durch frühere Überlieferung von den Ergänzungen unterschieden, vgl. oben V, 82–85.36; V,22.97.98; VII,3.5.1; VII,8.9.10; VII,11.12.13; VII, 15.20.21; VII, 22.23.14; VII, 37.35.36. In anderen Fällen könnte man aufgrund des Inhalts eine solche Ergänzung vermuten, z. B. VII,79–81. Die Prinzipien der Barergänzung und der freien Zusammenstellung Š von thematisch verwandten Strophen zu lockeren Gruppen haben gewiß eine Zeitlang miteinander konkurriert. An manchen Stellen glaubt man in F noch die Dynamik des gattungsgeschichtlich bedeutsamen Wandels der Formprinzipien zu sehen. So könnte man sich die Gruppe V, 49–55 etwa folgendermaßen entstanden denken: Zunächst gab es ein lose aufeinander bezogenes Strophenpaar V,49.54 = C 40.41; dieses wurde zu einem Dreierbar über gut und mut ergänzt V, 49.50.54. Außerdem gab es einige Strophen über das rechte Verhalten, den rechten mut, gegenüber dem Glück, aus denen verschiedene Sammler verschiedene Bare zusammenstellen konnten V, 51–53.88.89 (vgl. t). Ein solches Bar wurde durch das Stichwort mut mit dem Bar über gut und mut assoziiert und vielleicht versehentlich in dieses hineingeschoben. Die so entstandene Sechsergruppe wurde dann noch zum Siebenerbar ergänzt, freilich einem thematisch recht locker gefügten Bar. Mögen die Vorgänge im einzelnen anders gewesen sein, das Nebeneinander von Barprinzip und anderen Formen der Strophenagglomeration scheint mir in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, in der sich das Barprinzip erst durchsetzt, höchst plausibel. Das Ergänzungsmaterial hat Thomas im allgemeinen als echt angesehen (S. 102), nicht ohne im einzelnen dann doch Zweifel erkennen zu lassen. Wir müßten heute sagen, es ist in »Frauenlobscher Manier«. Im allgemeinen möchte ich solche Ergänzungsarbeit eher den Schülern zutrauen, zumal sich kaum Strophen darunter befinden, bei denen man durch den Schleier der Überlieferung noch die Spuren der Löwenklaue sieht. Aber es läßt sich nicht ausschließen, daß der ältere Frauenlob sich selbst noch an der Durchführung des Barprinzips beteiligt oder seine Schüler dazu angeregt hat. Die hier vorgeführten Beobachtungen müßten erweitert und verfeinert werden. Der Befund aber, daß die Sammlung der Jenaer Liederhandschrift und der (vom 27
Ebd., S. 101.
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offensichtlich unechten Gut gereinigte) Bestand der Weimarer Liederhandschrift ein je eigenes Bild von Frauenlobs Spruchdichtung zeigen, scheint mir schon jetzt einigermaßen gesichert. Ich habe versucht, diesen Befund so zu deuten, daß beiden Bildern ein hohes Maß von Authentizität zukommt, nicht im Sinne einer autorisierten Werkausgabe, aber als relativ getreuen Spiegelungen zweier Phasen eines Prozesses, der Frauenlobs gesamte Schaffenszeit, und das heißt auch eine Epoche grundlegender gattungsgeschichtlicher Wandlungen, umfaßt. Fragt man nach der individuellen Leistung Frauenlobs, so wird durch meine Deutung der überragende Zeugniswert von J wieder einmal bestätigt, eben weil J vorwiegend eine Phase dokumentiert, in der Frauenlob seine Individualität gegenüber der Gattungstradition und den Zunftgenossen betont hat; die Unsicherheiten in der Echtheitsfrage bleiben dann bei J auf ein oder zwei Strophen beschränkt, bei denen man zweifeln mag, ob sie von einem anderen an Frauenlob oder von ihm an einen anderen gerichtet sind. Der Zeugniswert von F aber wird bei dieser Deutung erheblich geschwächt, weil hier der Abstand zwischen Frauenlob und anderen durch gegenseitige Annäherung geschwunden Š zu sein scheint. Karl Stackmanns Wort, daß ein Rest des Echtheitsproblems prinzipiell unlösbar bleibe, würde ich also bei J eher als eine kleine reservatio mentalis verstehen, wie sie in jedem philologischen Urteil enthalten sein sollte, bei F aber als historische Wesensaussage. Fragt man jedoch nach der Geschichte der Gattung, so erhält F seinen eigenen Rang als besonders aufschlußreiches Dokument für die immer noch relativ dunkle Zeit des 14. Jahrhunderts: ein Zeugnis für Dichtungsinteressen und Dichtungsaktivitäten im Zeichen einer Frauenlob-Nachfolge, die doch manches von Frauenlobs anfänglicher Exzentrizität zurückgenommen hat, insofern vergleichbar der Frauenlob-Nachfolge auf dem Gebiet des Leichs;28 ein Beispiel für die verschiedenen Wege, die von der älteren Sangspruchdichtung zum Meisterlied des 15. Jahrhunderts führen, in Barbildung und Tönegebrauch schon relativ weit fortgeschritten, im thematischen Profil aber eher rückwärtsgewandt; sozialgeschichtlich anzusiedeln am ehesten, ebenso wie J, an einem der mittel- oder norddeutschen weltlichen Fürstenhöfe.
Nachtrag Die Beobachtungen und Hypothesen dieses Aufsatzes wurden ergänzt und in einen weiter gefaßten überlieferungsgeschichtlichen Rahmen gestellt von Gisela Kornrumpf, Konturen der Frauenlob-Überlieferung, in: Wolfram-Studien X. Cambridger ›Frauenlob‹-Kolloquium 1986, hg. von Werner Schröder, Berlin 1988, S. 26–50, mit Ergänzungen wieder in: dies., Vom Codex Manesse zur Kolmarer Liederhandschrift. Aspekte der Überlieferung, Formtraditionen, Texte, Bd. I, Tübingen 2008, S. 169–197. 28
Karl Heinrich Bertau, Sangverslyrik, Göttingen 1964 (Palaestra 240), S. 201–212.
Sangspruchdichtung und frühe Meisterliedkunst in der Literaturgeschichte Pünktlich zu Horst Brunners Emeritierung hat Johannes Rettelbach den Tönekatalog unseres ›Repertoriums der Sangsprüche und Meisterlieder‹ so weit fertiggestellt, daß er in den nächsten Monaten erscheinen kann.1 Damit kommt ein Unternehmen zum Abschluß, das Horst Brunner vor Jahrzehnten initiiert und für das er mich damals gewonnen hat. Ich nehme das zum Anlaß, noch einmal nachzudenken über die Geschichte der im ›Repertorium‹ gesammelten Texte, genauer: über die Hauptprobleme der internen Gattungsgeschichte und über ihr Verhältnis zu einer allgemeinen Literatur- und Bildungsgeschichte. Ich beschränke mich dabei auf den älteren, den vorreformatorischen Abschnitt der Gattungsgeschichte. Unser Repertorium beruht zwar auf literaturgeschichtlichen Überlegungen, aber es mußte sie forcieren. Wir haben ein Merkmal, das zu den geschichtlichen Entstehungsbedingungen der Texte gehört und einen Zusammenhang zwischen ihnen konstituiert, nämlich den Tönegebrauch, zum Kriterium der Aufnahme oder Nichtaufnahme gemacht. Das läßt sich im Kernbereich gut begründen. An den Rändern aber, in der Frühzeit, in der das Töneprinzip noch nicht so fixiert war, oder später, wenn etwa Töne ausstrahlten (Lohengrinepos) oder Töne von außen her einbezogen wurden (Herzog-Ernst-Ton), blieb das Kriterium problematisch. Andere literaturgeschichtliche Gesichtspunkte wie Autorschaft, Thematik, Überlieferungszusammenhänge konnten für die Abgrenzung des Materials nur subsidiär herangezogen werden; sie wurden dann nach Möglichkeit wenigstens sekundär bei der Anordnung berücksichtigt. Das vielleicht allerwichtigste literaturgeschichtliche Kriterium aber, die Chronologie der Texte, mußten wir, abgesehen von der Zweiteilung in älteren und jüngeren Teil, völlig vernachlässigen, Š weil die Datierungsprobleme vielfach unlösbar sind und weil das Repertorium eben keine geschichtliche Darstellung, sondern ein praktikables Findbuch werden sollte. Als solches will es jedoch bei möglichst vielen literaturgeschichtlichen Fragestellungen eine Hilfe bieten und damit einer Gesamtliteraturgeschichte dienen. Sangspruchdichtung. * Gattungskonstitution und Gattungsinterferenzen im europäischen Kontext. Internationales Symposium Würzburg, 15.–18. Februar 2006, hg. von Dorothea Klein zusammen mit Trude Ehlert und Elisabeth Schmid, Tübingen 2007, S. 17– 31. 1
RSM [Nach erneuten Schwierigkeiten ist der abschließende Tönekatalog (Bd. 2/1 und 2/2) im Jahr 2009 erschienen].
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Eine Gesamtliteraturgeschichte gibt es bekanntlich bestenfalls als Idee, als Integral allen Nachdenkens über die Geschichtlichkeit von Literatur, des Nachdenkens über die geschichtlichen Bedingungen von und die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen Texten und des Nachdenkens über die geschichtlichen Voraussetzungen und Implikationen unseres Nachdenkens über sie. Selbst die Verfasser von umfangreichen Literaturgeschichtsdarstellungen müssen, da sie ja ihren Lesern die Texte auch noch als solche vorzustellen haben, aus der Gesamtheit der überlieferten Texte und aus der Fülle der Aspekte von deren Geschichtlichkeit2 auswählen. Um so mehr muß sich ein kurzer Beitrag beschränken. Ich möchte mich im Folgenden in der Weise konzentrieren, daß ich 1. vor allem diejenigen Aspekte und Probleme aufgreife, die in einigen jüngeren Arbeiten3 diskutiert werden, und daß ich 2. vor allem zwei Œuvres ins Auge fasse und von ihnen aus Perspektiven auf die Gattungs- und die allgemeinere Literaturgeschichte zu gewinnen versuche. Meine Auswahl der beiden Œuvres ist – gegen die gleichmachende Registriertechnik des Repertoriums – primär bestimmt von einer literarischen Wertung. Wir sollten uns ja den Blick für den literarischen Rang der Texte von all den gängigen überlieferungs-, mentalitäts- und kulturgeschichtlichen Fragestellungen, so berechtigt sie sind, nicht verdunkeln lassen. Daß die großen Autoren und Texte unser Geschichtsbild selbst dann mitbestimmen, wenn sie keinen Erfolg hatten oder nur mit den für uns weniger interessanten Texten weiterwirkten, ist legitim, schon weil nur das Bedeutende im Horizont der Gegenwart eine Chance auf Mitsprache hat. In der Gattungsgeschichte zwischen Walther von der Vogelweide und Hans Sachs gibt es nun – darauf wird man sich heute, da die klassizistischen Maßstäbe früherer Generationen aufgegeben sind, wohl leicht einigen können – zwei Dichter, die alle übrigen überragen: Heinrich Frauenlob und Heinrich von Mügeln. Bei ihnen ist Š der Konflikt zwischen literarischer und literarhistorischer Wertung nicht allzu groß. Wenn auch ihre konzeptionellen Besonderheiten, die uns zu faszinieren vermögen, relativ wenig Echo gefunden haben, sind sie doch sonst nicht ohne Wirkung geblieben, Frauenlob wurde sogar von seiner Stilwirkung überwuchert. Überdies stehen beide nach dem Konsens aller Kenner an einer Epochenschwelle etwa in der Mitte des hier betrachteten Zeitraums. Heinrich von Mügeln, mit dem Höhepunkt seiner Schaffenszeit etwa sechzig Jahre nach Frauenlobs Höhepunkt anzusetzen, nennt Frauenlob nie. Er kanzelt nur einmal Frauenlobs 2
Vgl. den Katalog von sinnvollen Fragen, den Johannes Janota in seinem Beitrag zu diesem Band ausgebreitet hat [J. J., Und jetzt? Forschungsaufgaben auf dem Gebiet der Sangspruchdichtung und des Meistergesangs nach Abschluß des ›Repertoriums der Sangsprüche und Meisterlieder‹ in: Sangspruchdichtung. Gattungskonstitution und Gattungsinterferenzen im europäischen Kontext, hg. von Dorothea Klein zusammen mit Trude Ehlert und Elisabeth Schmid, Tübingen 2007, S. 3–16]. 3 Meine Hauptgesprächspartner sind Arbeiten, die nach dem Abschluß der Textkataloge des Repertoriums (1991) erschienen sind. Vollständigkeit strebe ich jedoch nicht an.
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weniger bedeutenden Rivalen Regenbogen wegen einer Formulierung ab (3), und im Marienpreis des ›Tum‹ stellt er sich, Frauenlobs Marienleich (GA I) überspringend, in die Tradition der ›Goldenen Schmiede‹ Konrads von Würzburg (118). Daß er Frauenlobs Dichtungen sehr wohl kannte, ist jedoch kaum zu bezweifeln, ja man hat den Eindruck, daß er sich an dem großen Vorgänger ein Stück weit abarbeitete. Die Differenzen zwischen seinem Werk und dem Frauenlobs dürften also durchaus gewollt sein, sind artistische Alternativen, nach deren literaturgeschichtlicher Relevanz zu fragen ist.
Ich gehe also von einem Vergleich zwischen den Œuvres dieser beiden Meister aus und frage, wo dabei Allgemeineres in den Blick gerät, Entwicklungslinien der speziellen Gattungsgeschichte und Zusammenhänge mit der allgemeinen Literatur- und Bildungsgeschichte des deutschen Spätmittelalters. Drei Fragen von besonderer gattungsgeschichtlicher Relevanz möchte ich an die beiden Œuvres stellen: 1. Barbildung, 2. Sprachartistik und Meistertum und 3. Wissensverarbeitung und Diskurszusammenhänge. Eine vierte, wohl ebenso wichtige Frage, die nach Autorschaft und Autorschaftsbewußtsein (bezogen auf Texte und auf Töne), sei für diesmal zurückgestellt.
1. Barbildung Einer der Einschnitte, die zwischen Frauenlob und Mügeln liegen, ist die Durchsetzung der grundsätzlichen Mehrstrophigkeit des Meisterlieds. Frieder Schanze hat sie sogar zum Hauptkriterium einer Epochengrenze erklärt,4 Helmut Tervooren ist da zurückhaltender.5 Mir Š scheint die Zäsur jedenfalls deutlich genug. Bei Frauenlob stehen, zumindest in der zuverlässigeren Jenaer Handschrift, die meisten Sangspruchstrophen thematisch für sich. Bei Mügeln aber sind alle Strophen in Lieder oder Zyklen eingebunden bis hin zum 72strophigen Marienpreis des ›Tum‹ (110–181); und Mügelns Hofton ist schon formal durch Kornreime auf dreistrophige Lieder oder Strophengruppen hin angelegt. Nach allem, was wir wissen, hat jedoch nicht Mügeln das Barprinzip erfunden oder durchgesetzt, eher hat er die allgemeine Entwicklung zur grundsätzlichen Drei- oder Mehrstrophigkeit, die sich im wesentlichen wohl in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts vollzog, aufgegriffen und artistisch zu Zyklen und Großgedichten gesteigert. Das neue Barprinzip wirkte sich auch auf die Überlieferung älterer Strophen aus, allerdings mit Verzögerungen, wie Michael Baldzuhn gezeigt hat.6 Daß auch das Frauenlob-Corpus der Weimarer Handschrift F in den Sog des Barprinzips geraten ist und daß wir da nicht sicher entscheiden können, ob und wieweit viel4
Frieder Schanze, Meisterliche Liedkunst zwischen Heinrich von Mügeln und Hans Sachs, 2 Bde., München 1983 (MTU 82.83), S. 2–4. 5 Helmut Tervooren, Sangspruchdichtung, Stuttgart/ Weimar 1995 (Sammlung Metzler 293), S. 73–89. 6 Michael Baldzuhn, Vom Sangspruch zum Meisterlied. Untersuchungen zu einem literarischen Traditionszusammenhang auf der Grundlage der Kolmarer Liederhandschrift, Tübingen 2002 (MTU 120).
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leicht schon der späte Frauenlob an den Barbildungen beteiligt war, habe ich früher zu zeigen versucht.7 Die Gründe dafür, daß nunmehr drei-, allenfalls fünfstrophige Meisterlieder als Norm galten, sind uns unbekannt. Verschiebungen im literarischen Gattungssystem dürften aber eine wichtige Rolle dabei gespielt haben, anders ausgedrückt, eine Konkurrenz der literarischen Typen. Von der einen Seite mag der wachsende Erfolg der Reimpaarreden, die, der Schriftlichkeit näherstehend, ähnliche Themen behandelten, zu größerer Ausführlichkeit eingeladen haben.8 Daß man aber gerade drei oder fünf Strophen bevorzugte, ist sicher eine Anlehnung ans Minnelied, für das diese Strophenzahlen seit langem fast kanonisch waren. Wenn man an Kurt Ruhs Überlegungen zur Gattungsgeschichte der Sangspruchdichtung denkt,9 wäre dies ein zweiter Schritt der Š Anlehnung an die lyrische Leitgattung nach der ersten bei Walther, in der die Mehrtönigkeit eingeführt wurde. Ganz wurden die alten Differenzen im Tönegebrauch auch diesmal nicht aufgehoben; denn nach wie vor erhielten Minne- und Liebeslieder in der Regel ihren eigenen Ton, Meisterliedertöne aber konnten mehrfach verwendet werden. Immerhin wurde der Abstand zwischen Minnelied und Sangspruch/Meisterlied noch einmal verringert. Es scheint mir kein Zufall zu sein, daß dies ausgerechnet in einer Zeit geschah, in der das Minnelied erheblich an Bedeutung verlor und das schlichtere, dem Musikgebrauch nähere Liebeslied neuen Typs sich weitgehend durchsetzte. Wenn eine Zuspitzung erlaubt ist: Die Barbildung zeigt, daß das Meisterlied jetzt jene Spitzenstellung im Prestige der lyrischen Gattungen beanspruchte, die bisher das Minnelied innegehabt hatte. Besonderer Erwägungen bedürfen noch die vielstrophigen Meisterlieder Mügelns und später vor allem Beheims. Auch hier wird man mit Verschiebungen im lyrischen Gattungssystem rechnen müssen. Für den vielstrophigen Marienpreis hat Stackmann an eine Ablösung der Großform Leich gedacht, nicht ohne auch auf ältere lange Marienlieder hinzuweisen.10 Doch es gibt vielstrophige Meisterlieder auch zu anderen Themen, so die katalogartigen Bibelabbreviationen von Mügeln und Beheim. Da sollte man neben der Suche nach Modellen in der Sangversdichtung auch das Verhältnis von Vortrag und Schriftlichkeit bedenken. 7
Burghart Wachinger, Von der Jenaer zur Weimarer Liederhandschrift, 1987, im vorliegenden Band S. 217–230. 8 So Horst Brunner, Tradition und Innovation im Bereich der Liedtypen um 1400. Beschreibung und Versuch der Erklärung, in: Textsorten und literarische Gattungen. Dokumentation des Germanistentages in Hamburg vom 1. bis 4. April 1979, hg. vom Vorstand der deutschen Hochschulgermanisten, Berlin 1983, S. 392–413, dort S. 400– 403. 9 Kurt Ruh, Mittelhochdeutsche Spruchdichtung als gattungsgeschichtliches Problem, in: DVjs 42 (1968), S. 309–324; wieder in: K. R.: Kleine Schriften, Bd. 1, hg. von Volker Mertens, Berlin/ New York 1984, S. 86–102. 10 Karl Stackmann, Der Spruchdichter Heinrich von Mügeln. Vorstudien zur Erkenntnis seiner Individualität, Heidelberg 1958 (Probleme der Dichtung 3), S. 29–32. Vgl. auch Baldzuhn (wie Anm. 6), S. 67.
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Mügeln nennt seinen ›Tum‹ buch (176, 1) und schrift (158, 1), und in anderen vielstrophigen Dichtungen spricht er den leser an (104,11; 303, 2). Das muß Gesangsvortrag nicht unbedingt ausschließen, allerdings vielleicht eher nur Vortrag von Teilen (denn die Vorstellung, daß die 72 Strophen des ›Tum‹ hintereinander weg auf dieselbe Melodie gesungen worden seien, fällt mir schwer, schwerer auch als die Vorstellung, das ganze ›Eckenlied‹ sei gesungen worden). Zumindest aber zeigen die Bezeichnungen buch, schrift, leser, daß hier schon beim Abfassen der Texte deren schriftliche Existenzform ins Auge gefaßt war. Ich vermute, daß man das verallgemeinern darf, daß überall, wo in der Gattungstradition vielstrophige Lieder oder längere Strophenketten anzutreffen sind, Schriftlichkeit eine wichtige Rolle gespielt hat. In der älteren Überlieferung dürften größere thematisch konŠvergierende Ensembles öfter erst von Sammlern arrangiert worden sein. Doch könnte man sich z. B. bei Reinmar von Zweter denken, daß er manche Strophen schon im Blick auf das Buch gedichtet hat, zur Abrundung der großen, thematisch geordneten Sammlung seiner Strophen, die hinter der Handschrift D erkennbar ist. Ob und wieweit auch Bare im Normalmaß von drei oder fünf Strophen schon primär für schriftliche Verbreitung verfaßt worden sind, wissen wir nicht.11 In einem Fall wäre eine solche Zielsetzung immerhin eine der möglichen Erklärungen für einen seltsamen Textbefund. Der Fall ist in seiner Komplexität zugleich, ja noch mehr, ein Beispiel für den zweiten Aspekt meines Versuchs, zu dem ich jetzt komme:
2. Sprachartistik und Meistertum Es handelt sich bei dem Beispiel, das ich meine, um eine Strophengruppe Frauenlobs im Langen Ton, überliefert in der Jenaer Liederhandschrift, in der sonst bei Frauenlob Einzelstrophen vorherrschen, eine Kette von sechs stark geblümten Herrenpreisstrophen, die Karl Stackmann, Sabine Obermaier und Gert Hübner schon ausführlich diskutiert haben,12 sechs Lobstrophen auf sechs verschiedene norddeutsche Herren, über deren historische Beziehungen zueinander man – bislang wenigstens – nichts weiß (GA V, 7–11): Erzbischof Giselbert von Bre11
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Vgl. auch schrıˆben für ›dichten‹ Wilder Alexander KLD 1, VI, 1, 6; Der Junge Meißner, Sangsprüche, Minnelieder, Meisterlieder, hg. von Günter Peperkorn, München 1982 (MTU 79), I,25,16; Wizlav, HMS III, S. 84, XIII, 3. Karl Stackmann, Redebluomen. Zu einigen Fürstenpreis-Strophen Frauenlobs und zum Problem des geblümten Stils, in: Verbum et signum. Fs. Friedrich Ohly, hg. von Hans Fromm u. a., München 1975, Bd. 2, S. 329–346; wieder in: K. St., Mittelalterliche Texte als Aufgabe. Kleine Schriften 1, Göttingen 1997, S. 298–317; Sabine Obermaier, Von Nachtigallen und Handwerkern. ›Dichtung über Dichtung‹ in Minnesang und Sangspruchdichtung, Tübingen 1995 (Hermaea NF 75), S. 244–249; Gert Hübner, Lobblumen. Studien zur Genese und Funktion der ›Geblümten Rede‹, Tübingen/Basel 2000 (Bibliotheca Germanica 41), S. 263–272.
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men (1273–1306), Graf Otto III. von Ravensberg (1259–1306), Graf Gerhard II. von Hoya (1290–1311), Fürst Wizlaw III. von Rügen (urk. 1283–1325), Herzog Heinrich von Mecklenburg, wohl Heinrich II. (1295–1329) und vermutlich Otto II. von Oldenburg-Delmenhorst (1270–1304). Von diesen sechs inhaltlich völlig selbständigen Lobstrophen sind mindestens die ersten fünf durch den Beginn der fünften Strophe explizit zur Serie gezwungen: Vier riche lob, die wellen daz vünfte mit in hin. Spontan würde man zu der Deutung Gustav Roethes neigen, einzelne Strophen, entstanden und vorgetragen zu verschiedenen Gelegenheiten, seien nachträglich zur Kette vereinigt worŠden, etwa für eine Sammlung von Frauenlobs Gedichten.13 Nun hat Karl Stackmann nachgewiesen, daß Frauenlob in allen sechs Strophen die Bildlichkeit zweier Lobtexte Hermann Damens und Konrads von Würzburg aufnimmt und frei moduliert. Das spricht für Entstehung aller Strophen in einem Zug. Eine Situation, in der genau diese fünf oder sechs Herren alle beisammen waren und sinnvoll gemeinsam gelobt werden konnten, ist natürlich nicht völlig auszuschließen. Aber man würde dann doch einen Bezug auf diese Situation erwarten, auch, worauf schon Roethe hingewiesen hat, mehr Rücksichtnahme auf die »Etiquette«; denn die Standesunterschiede waren nicht zu übersehen. Das Problem des Zusammenhangs zwischen diesen Lobstrophen läßt sich am ehesten lösen, wenn man Überlegungen Gert Hübners aufgreift. Er zeigt an den Lobdichtungen des 13. Jahrhunderts, daß das große Aufgebot von vor allem metaphorischer Sprachartistik zu einer starken Selbstbezüglichkeit führt, daß die Kunst des Preisens, die dem Wert des Gepriesenen entsprechen soll, selbst zum Thema der Dichtung wird. In unserem Bar kann man feststellen, daß diese Tendenz von Strophe zu Strophe deutlicher hervortritt, bis in der fünften Strophe in einem Dialog des Dichters mit Herz und Sinnen fast nur noch von der Kunst richtigen Rühmens die Rede ist. Hübner hat die prinzipiellen Implikationen solcher Selbstbezüglichkeit im 9. Kapitel seines Lobblumen-Buchs eingehend diskutiert.14 Er hat das Phänomen, daß sich Texte ein Stück weit aus ihren primären Zweckbestimmungen wie Fürstenpreis oder Gebet lösen und die eigene Kunst thematisieren, Entpragmatisierung genannt und den neuzeitlichen Vorstellungen von Autonomie der Kunst entgegengesetzt. Ich halte diese Überlegungen für sehr wichtig, wenn man die Rolle der Kunst- und Meisterschaftsdiskussion in der spätmittelalterlichen Literatur verstehen will. Ob dabei das Stichwort Entpragmatisierung ganz glücklich gewählt ist, mag dahingestellt sein; oft handelt es sich wohl eher um eine Umpragmatisierung, was Hübner auch gelegentlich andeutet. 13 14
Die Gedichte Reinmars von Zweter, hg. von Gustav Roethe, Leipzig 1887, S. 313. Hübner (wie Anm. 12), S. 391–441. Einen Vorstoß in diese Richtung machte schon Christoph Huber, Herrscherlob und literarische Autoreferenz, in: Literarische Interessenbildung im Mittelalter. DFG-Symposion 1991, hg. von Joachim Heinzle, Stuttgart/ Weimar 1993, S. 452–473.
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Um es an unserem Beispiel zu konkretisieren: Die vom Autor gewollte Reihung der fünf oder sechs Lobstrophen zu einem Bar dient der Kunstdemonstration. Den Gebrauch kann man sich schriftlich vorstellen, z. B. als Kunstprobe für einen sechsten Fürsten, von dem sich Frauenlob einen Auftrag erhoffte, oder als Lehrstück für Sangesschüler, die Š lernen wollen, wie man Lobstrophen macht. Man kann sich aber auch denken, daß das Bar gesungen wurde, freilich kaum vor den Gepriesenen, wohl aber vor einem Kreis von Kunstkennern, die die Sprachartistik mit ihren Traditionsbezügen und die Kunst der Variation des Lobstrophenschemas zu schätzen vermochten, seien es Sangesschüler, seien es Interessierte aus der Hofgesellschaft. Solche Umpragmatisierung des Fürstenlobs zu einem Kunststück für Kenner würde gut zu anderen Beobachtungen passen, die man in der späteren Sangspruchdichtung und besonders im Umkreis Frauenlobs machen kann: zu Thematisierungen der Epigonenproblematik, Stilreflexionen, Meisterschaftsvergleichen und Künstlerpolemiken, wie sie um diese Zeit gehäuft auftreten. Schlüsse von Textbefunden auf gesellschaftliche Gebrauchssituationen müssen natürlich immer hypothetisch bleiben, können bestenfalls Plausibilität beanspruchen. Daß die Selbstbezüglichkeit artistischer Dichtung in Kunstgeselligkeiten oder Dichtergesellschaften einen Lebensort hatte, ist mir immerhin höchst wahrscheinlich. Sicher wird man sich solche Kreise von Kunstkennern zu Frauenlobs Zeit noch nicht institutionalisiert denken; wird ihnen keinesfalls Regeln wie die der späteren Meistersingergesellschaften unterstellen. Die Generierung von Gesellschaftlichem aus dem Interesse an Artistik wäre dann zumindest ein Analogon, wenn nicht sogar eine Vorstufe der späteren Meistersingergesellschaften. Diese haben allerdings weniger die Sprachartistik als den Tönegebrauch in den Vordergrund gerückt. Nun wäre über Sprachartistik in Sangspruch und Meisterlied und in der spätmittelhochdeutschen Literatur allgemein nach den Arbeiten von Christoph Huber, Michael Stolz, Gert Hübner und Susanne Köbele noch viel mehr zu sagen.15 Ich kann hier nur wenige grobe Linien andeuten. Wenn man nach dem Plädoyer von Gert Hübner den Terminus blümen präzisiert und nicht mehr von ›geblümtem Stil‹, sondern nur noch von ›geblümtem Lob‹ spricht, muß man, um alle Phänomene und Funktionen einer zur Schau gestellten Sprachkunst zu erfassen, entschieden über das Blümen im strengen Sinn hinausblicken. Rätsel und syntaktische Vexierspiele etwa können der gehobenen UnŠterhaltung dienen. Gesuchte Dunkelheit kann aber auch gravitätisch auftreten, kann z. B. traditionelle 15
Huber (wie Anm. 14); vgl. auch ders., gepartiret und geschrenket. Überlegungen zu Frauenlobs Bildsprache anhand des Minneleichs, in: Studien zu Frauenlob und Heinrich von Mügeln. Fs. Karl Stackmann zum 80. Geb., hg. von Jens Haustein und RalfHenning Steinmetz, Freiburg (Schweiz) 2002 (Scrinium Friburgense 15), S. 31–50; Michael Stolz, ›Tum‹-Studien. Zur dichterischen Gestaltung im Marienpreis Heinrichs von Mügeln, Tübingen/Basel 1996 (Bibliotheca Germanica 36); Hübner (wie Anm. 12); Susanne Köbele, Frauenlobs Lieder. Parameter einer literarischen Standortbestimmung, Tübingen/Basel 2003 (Bibliotheca Germanica 43).
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Hoflehren oder gnomische Weisheiten kostbar verhüllt darbieten als, wie Frauenlob einmal sagt, Lockspeise für den sinnes valken der Klugen, der Kunstkenner (GA V,114). Metaphern können Ornamente des Lobs sein, können aber auch, im Lob wie in der Didaxe, Ebenen des Denkens (z. B. weltlich-geistlich) aufeinander hin transparent machen oder, öfter in Verbindung mit Hyperbeln und Paradoxien, die Unauslotbarkeit eines Themas demonstrieren, wenn etwa von der Trinität oder der Inkarnation die Rede ist oder von den Wundern der Liebe. All das gehört zur Sprachartistik der Meister. Wenn man unsere Gattung im weiteren Kontext der literarischen Entwicklung zu sehen versucht, muß man an diesem Punkt allerdings darauf hinweisen, daß diese meisterliche Sprachkunst deutlich unterschieden ist vom Sprachgestus der zeitgenössischen mystischen Texte, wie ja auch mystische Theologie und Frömmigkeit der Gattung fremd geblieben sind. Die Metaphern, Hyperbeln und Paradoxien der Mystiker, die zum Vergleich einladen könnten, entbehren der für die Meister typischen, mehr oder weniger deutlichen Selbstbezüglichkeit.16 Meister Eckhart ist eben kein Meister im Sinne des literarischen Meistertums, und die in der Volkssprache dichtenden Sangesmeister hatten kein akademisches oder kirchliches Lehramt. Die Traditionen der meisterlichen Sprachartistik sind nicht begrenzt auf die Gattung Sangspruch-Meisterlied, sondern treten in mehreren Gattungen hervor, so öfter in Minnereden oder in bestimmten Partien epischer Dichtungen. Innerhalb der Geschichte unserer Gattung spielen sie immerhin eine besonders bedeutende Rolle, und doch prägen sie die Gattung nicht insgesamt. Gründe für die erheblichen Unterschiede im stilistischen Aufwand wird man suchen dürfen einmal im Können und im Anspruch der jeweiligen Verfasser, zum andern in der Thematik der Texte – Lob wird, wie gesagt, gern geblümt –, und drittens könnte die verschiedene literarische Kompetenz der jeweiligen Adressaten eine Rolle gespielt haben: dem spehen scharf, dem slechten weich nach der witze stiure, um noch einmal Frauenlob zu zitieren (GA V,114). Man hat versucht, das Phänomen der meisterlichen Sprachkunst des Spätmittelalters mit außerliterarischen Tendenzen der Zeit in Beziehung zu setzen. Frühere Verweise auf den philosophischen Nominalismus sind in ihrer Pauschalität sicher abwegig.17 Der neuere Versuch von Š Michael Stolz, Mügelns Genitivmetaphern mit den Erfurter Sprachtheoretikern des 14. Jahrhunderts, den Modisten, zu verknüpfen,18 scheint mir allzu punktuell angesetzt, zumal Stolz andererseits die Differenzen zwischen Mügeln und dem älteren Frauenlob, der die Modisten noch nicht gekannt haben kann, eher nivelliert. Hoffnungen setze ich auf den Ansatz der intensiven Interpretationen von Susanne Köbele. Da ihr Buch 16
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Das gilt auch für den künstlichsten mystischen Text, den ich kenne, das ›Granum sinapis‹. Dazu Köbele (wie Anm. 15), S. 11. Stolz (wie Anm. 15), S. 401–437. Daß Heinrich von Mügeln seine Bildung in Erfurt erworben hat, ist allerdings auch mir wahrscheinlich.
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primär von Frauenlobs Liedern und von seinem »Mittelpunkt-Thema Liebe« (S. 255) handelt, sind die literarhistorischen und ideengeschichtlichen Bögen, die es spannt, nicht einfach auf die Sangspruchdichtung mit ihren überwiegend ganz anderen Themen zu übertragen. Hilfreich als Orientierung scheint mir aber einmal das Gesamtbild, das Köbele vom Verhältnis Frauenlob-Mügeln zeichnet: Mügeln reagiert wie fast die gesamte Tradition auf Frauenlobs Kühnheiten durch Rückzug auf sicherere Positionen, nur reagiert er als einziger auf sehr hohem intellektuellem und sprachstilistischem Niveau. Und hilfreich scheint mir insbesondere Köbeles pointierte Gegenüberstellung der metaphernreichen Sprachkunst beider Dichter: Frauenlob dichtet im Spannungsfeld geistlich-weltlich »ebenenverflechtend«, Mügeln »ebenenunterscheidend«.19 Es liegt nahe auszusprechen, was Frau Köbele vermutlich bewußt vermieden hat, weil sie vorschnelle Etikettierungen fürchtet: Frauenlobs »ebenenverflechtende« Sprachkunst hängt zusammen mit seinem neuplatonisch-chartresisch beeinflußten Denken, die »ebenenunterscheidende« Sprachkunst Mügelns aber mit dessen aristotelisch-scholastischem Hintergrund. Damit aber bin ich schon bei meinem dritten Punkt:
3. Wissensverarbeitung und Diskurszusammenhänge Worauf ich mit dieser Fragestellung ziele, läßt sich aus einer Gegenüberstellung meiner beiden Kronzeugen Frauenlob und Mügeln gerade in ihren individuellsten Leistungen entwickeln: Frauenlob hat bei seinem »Mittelpunkt-Thema Liebe« den höfischen Liebesdiskurs aufgegriffen und weitergeführt, teilweise in deutlichem Rückbezug auf Walther von der Vogelweide. Aber er stellt das, was er der alten norme nennt und was bis dahin ein Thema der laikalen Adelsgesellschaft war, in weitere Diskurszusammenhänge. Angeregt von naturphilosophischen Liebesspekulationen aus neuplatonischer Tradition, greift er aus auf Naturwissenschaft und Mariologie, »ebenenverflechŠtend«; und so verwandelt er den höfischen Liebesdiskurs beim Versuch, ihn neu zu fundieren. Heinrich von Mügeln dagegen vertritt einen »moderneren Autorentyp«,20 wie er ins 14. und 15. Jahrhundert paßt: Er schreibt lateinisch und deutsch, Prosa und Verse. In seinen sangbaren Dichtungen stehen andere Themen im Mittelpunkt als bei Frauenlob: Geistliches in weniger anfechtbarer Fassung, Moral und Wissenschaft. Die Wissensbereiche, auf die er ausgreift, sind andere, im Spätmittelalter aktuellere: Exempla aus biblischer und nunmehr auch aus antiker Tradition, Fa19 20
Köbele (wie Anm. 15), S. 246. Johannes Janota, Orientierung durch volkssprachliche Schriftlichkeit (1280/90–1380/ 90), Tübingen 2004 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit, hg. von Joachim Heinzle, Bd. III/1), S. 188.
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beln in bislang in der Gattung nicht gekannter Fülle, Wissenskataloge und – worauf ich mich jetzt konzentrieren will – scholastisch geprägte Naturwissenschaft und Naturphilosophie. Mügeln wagt es sogar, »ebenenunterscheidend«, sich ein Stück weit einzulassen auf den scholastischen Stil argumentierenden Umgehens mit den Konflikten zwischen christlichem Schöpfungsglauben und naturphilosophischer Kosmoslehre aus aristotelischer Tradition. Erst bei den Themen Inkarnation, Passion, Eucharistie überwiegt ein preisend-meditierend metaphorischer Stil, der auf seine Weise nicht minder gelehrt ist. Das hat zuletzt Dietlind Gade eindrucksvoll herausgearbeitet.21 Wenn man die beiden Dichter so mit ihren je ganz besonderen Leistungen konfrontiert, kommen weniger zentrale, weniger hervorstechende Elemente ihres Œuvres zu kurz, Elemente, die für die Kontinuität der Gattung und der Diskurse möglicherweise wichtiger geworden sind als die besonderen Züge, die kaum Nachfolge fanden. Dafür wird etwas anderes sichtbar, worauf es mir hier ankommt: Das Besondere ist möglich geworden im Schnittpunkt verschiedener Diskurse und Denktraditionen. Diachron stehen beide Dichter in Diskurstraditionen, die in der Gattung seit langem gepflegt worden waren; beide haben sich da, wo sie uns herausragend scheinen, auf spezifische Themen konzentriert, Frauenlob auf die (nicht mehr nur höfische) Liebe, Mügeln im ersten Spruchbuch auf die Frage nach Dichtung und Meisterschaft im Spannungsfeld von Gelehrtenwissen und Glauben. Beide aber haben bei diesen ihren Zentralthemen die gattungsinternen Diskurstraditionen synchron angereichert durch Ausgriffe auf externe Wissens- und Diskursbereiche. Die Konsequenzen solcher Beobachtungen und ÜberleŠgungen für unser Bild von der Literaturgeschichte kann ich zum Schluß nur noch mit wenigen Strichen skizzieren. Der höfische Liebesdiskurs, der die deutsche Literatur über hundert Jahre lang wesentlich mitgeprägt hat, verlor in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts insgesamt so erheblich an Bedeutung, daß man zumindest hinsichtlich der Neuproduktion von einem literaturgeschichtlichen Bruch sprechen kann. Ich erinnere nur an das Auslaufen der beiden höfischen Hauptgattungen Versroman und Minnesang. Über den Bruch hinweg hat der höfische Liebesdiskurs allerdings nicht nur in Abschriften, sondern in verwandelter Form auch in neuen Texten noch lange weitergewirkt. Die Minnereden sind nur die wichtigsten Träger dieser Tradition. Wie die Veränderungen genau aussehen und was sie über die neuen Interessen und Bedingungen verraten, scheint mir aber noch immer unzureichend erkannt und auf den Begriff gebracht zu sein. Hier kann die Geschichte unserer Gattung etwas beitragen. Wie wir seit der Arbeit von Margreth Egidi22 deutlicher 21
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Dietlind Gade, Wissen – Glaube – Dichtung. Kosmologie und Astronomie in der meisterlichen Lieddichtung des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts, Tübingen 2005 (MTU 130), S. 183–315. Margreth Egidi, Höfische Liebe: Entwürfe der Sangspruchdichtung. Literarische Verfahrensweisen von Reinmar von Zweter bis Frauenlob, Heidelberg 2002 (GRM-Beiheft 17).
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sehen, hatte auch die Sangspruchdichtung einen spezifischen Beitrag zum höfischen Liebesdiskurs geleistet mit drei Haupttypen von Strophen: Ermahnungen der Frau zu rechtem Verhalten in Minnedingen, Beschreibungen der Wirkweise der Minne und generellem Preis der Frau. Alle drei Typen werden in Frauenlobs Sangspruchdichtung aufgegriffen und im Zusammenhang seiner gesamten Minnereflexion differenziert und gesteigert. Von hier aus könnte und sollte man nun weiterfragen nach dem Fortwirken dieses gattungsspezifischen Diskurssegments in der Zeit nach Frauenlob, der Zeit, in der der höfische Diskurs insgesamt zurückgedrängt wurde. Heinrich von Mügeln hat, wie Karl Stackmann gezeigt hat,23 an den Rändern seines Œuvres sich durchaus vielfältig und z. T. eigenwillig zum Thema Liebe geäußert; von den drei Hauptthemen der spezifischen Gattungstradition aber finden bei ihm nur die Mahnungen eine gewisse Weiterführung, vereindeutigt zu Warnungen vor den Gefahren der Liebe. Für die Beschreibungen der Wirkungsweise der Minne habe ich weder bei ihm noch (in einer vorläufigen Umschau) sonst in der nach-frauenlobschen Gattungstradition Entsprechungen geŠfunden, für diesen Aspekt scheint man kein Verständnis oder kein Interesse mehr gehabt zu haben.24 Das generelle Lob der Frau aber wird ein fester Typus im frühen Meisterlied, so schon bei Mügelns etwas jüngerem Zeitgenossen Suchensinn. Bei ihm klingt das Lob freilich etwas biederer, erotische Elemente fehlen weitgehend, und weil die Barform Raum dafür läßt, wird der Preis gern inszeniert mit modischen Versatzstücken wie Bitte um Belehrung oder Spaziergang, die aus der Reimpaardichtung entlehnt sind. Bei aller Wandlung sind aber die gedanklichen und stilistischen Traditionszusammenhänge mit den Preisstrophen der Sangspruchdichtung unverkennbar, und manche Strophen ahmen offensichtlich speziell Frauenlob nach. Warum gerade dieser Typus des generellen Frauenpreises den Diskurseinbruch relativ gut überstanden hat, die anderen Typen aber nicht, wüßte ich noch nicht zu sagen. Aber ich habe die Hoffnung, daß man von solchen Beobachtungen aus die Unterschiede zwischen hochmittelalterlichem und spätmittelalterlichem Liebesdiskurs klarer sehen und besser verstehen könnte. Etwas anders stellt sich der Wissensdiskurs dar, in dem Mügeln sich durch sein erstes Spruchbuch hervorgetan hat: Das Ausgreifen auf externes Wissen begleitet die Gattung durch ihre ganze Geschichte. Dabei zeigt die Abfolge der Quellbereiche, was an Wissen faszinierte und was auf dem jeweiligen Niveau verfügbar war, Wissenssplitter und summierende Kataloge aus der gelehrten Welt; seit der zunehmenden Präsenz von volkssprachlichem Wissensschrifttum 23
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Karl Stackmann, Minne als Thema der Sangspruch- und Lieddichtung Heinrichs von Mügeln, in: bickelwort und wildiu mære. Fs. Eberhard Nellmann, hg. von Dorothee Lindemann u. a., Göppingen 1995 (GAG 618), S. 324–339; wieder in: K. St., Frauenlob, Heinrich von Mügeln und ihre Nachfolger, hg. von Jens Haustein, Göttingen 2002, S. 143–157. Vgl. auch Michael Baldzuhn, Minne in den Sangspruchtönen Regenbogens, in: Sangspruchdichtung (wie Anm. 2), S. 187–242.
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im 14./15. Jahrhundert kommen gelegentlich auch Prosaversifikationen vor.25 Neben solcher schlichten Rezeption gibt es aber auch einen poetologischen Diskurs über Möglichkeit und Anspruch eines volkssprachlichen literarischen Meistertums zwischen Gelehrtenwissen und Glauben. Er reicht in der Gattungsgeschichte mindestens vom Rätselspiel des ›Wartburgkriegs‹ bis zu Hans Folz. Der Faszination durch besonders hohes Wissen, vor allem Astronomie und Kosmologie, oder durch spezielle theologische Denkprobleme stellt sich immer wieder die Mahnung zu laikaler oder generell menschlicher Bescheidung des Wissenwollens und Denkens entgegen, der »fromme Agnostizismus«, von dem Karl Stackmann schon vor Jahren gesprochen hat.26 Eine so selbstbewußte Haltung laikaler Bescheidung, wie sie der Wolfram des ›Wartburgkriegs‹ in der NasionSzene zeigt, wenn er astronomische Fragen strikt als ihm unanŠgemessen zurückweist und den prüfenden Gelehrtenteufel mit dem Kreuzeszeichen vertreibt, eine solche Haltung hatte selbst innerhalb der ›Wartburgkrieg‹-Tradition keinen Bestand. Heinrich von Mügeln nimmt eindeutig eine Gegenposition ein. Er beansprucht für sich und für jeden, der Meister sein und für Fürsten dichten will, kosmologisch-naturphilosophische Kompetenz und Argumentationsvermögen auch bei Konflikten mit biblischen Formulierungen. Erst bei den Themen der engeren christlichen Heilsgeschichte wechselt er das Register, um das rational nicht Faßbare vor Augen zu führen. Fritz Zorn schließlich, ein gewiß mit weniger Kompetenz ausgestatteter Nürnberger Meistersinger des späten 15. Jahrhunderts, möchte selbst spitzfindige Fragen der Trinitätstheologie und der Zwei-NaturenLehre argumentierend angehen, wobei er sich vermutlich auf bislang nicht identifizierte volkssprachliche Quellen stützt. Er wird von Hans Folz dafür gescholten, Das sich die rohen pauren So tiff mit der drifallde Bekumern dag und nacht.27 Stationen einer Diskursgeschichte? Gewiß. Aber anders als beim Liebesdiskurs gibt es hier keinen Umbruch, und auch eine Entwicklung vermag ich nicht zu entdecken. Sichtbar sind zunächst die Unterschiede der Positionen und der literarischen und intellektuellen Niveaus. Das dürfte auch daran liegen, daß dieser volkssprachliche Diskurs von vornherein auf die unendlich viel reichere lateinische Wissenskultur und auf deren eigenen Wissensdiskurs bezogen war. Zwischen monastischen und scholastischen Gelehrten gab es ja seit langem Diskussionen um die Legitimität menschlichen Wissens und Wissenwollens, später mischten sich auch die Humanisten mit ein. Auch die untergeordnete Frage, wieviel die Laien wissen sollen und dürfen, war lateinisch vorbedacht und vor25
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Vgl. zuletzt Dietlind Gade, Hoch in dem lufft wirt uns erzoegt ir wunder. Eine versifizierte ›Lucidarius‹-Passage in Regenbogens Langem Ton, in: PBB 123 (2001), S. 230– 252. Stackmann (wie Anm. 10), S. 144ff. Die Meisterlieder des Hans Folz, hg. von August L. Mayer, Berlin 1908 (DTM XII), 93,198ff. Vgl. auch Gade (wie Anm. 21), S. 157–179. [Ausführlich zu diesem Streit jetzt Johannes Janota, Fides et ratio. Die Trinitätsspekulationen in den Meisterliedern des Hans Folz, in: Wolfram-Studien 20 (2008), S. 351–386, bes. 365–378.]
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besprochen. Was zu dieser Frage auf deutsch gesagt wird – in Sangspruchdichtung und frühem Meisterlied wegen des Meisterschaftsanspruchs wohl mehr als in anderen Gattungen –, ist immer auch Reaktion auf Vorstellungen der litterati, bemerkenswert vor allem, weil sich hier die betroffenen Laien selbst äußern. Wie hier für den Liebesdiskurs und den Wissensdiskurs nur angedeutet, könnte man auch andere wichtige Themen der Gattungsgeschichte auf breitere Diskursgeschichten beziehen. Im Gespräch mit einigen neueren Arbeiten habe ich versucht, mich einer Literaturgeschichte der Sangspruchdichtung und der frühen Meisterliedkunst zu nähern, einer Sicht auf die Gattungsgeschichte in weiteren literar- und kulturhistorischen Kontexten. Dazu habe ich drei Š Aspekte herausgegriffen, die mir für die Gattung wichtig schienen: Barbildung, Sprachartistik und Diskurszusammenhänge. Unter allen drei Aspekten scheinen mir die gattungsinternen Entwicklungen besser verständlich, wenn man die allgemeineren Bedingungen und Prozesse der deutschen Literatur des Spätmittelalters mitbedenkt: Ausbau der volkssprachlichen Schriftkultur mit einem sich verändernden und ausdifferenzierenden Gattungssystem; in diesem Kontext Bedeutung eines laikalen literarischen Meistertums, das sich in Sprachartistik zur Schau stellt, das seinen Anspruch aus unabgesicherter Position heraus mit Wissen zu fundieren sucht und das mit seinen spezifischen Einstellungen zu den literarischen Diskursen der Zeit beiträgt. In den Œuvres der beiden Meister, die ich hier wertend hervorgehoben habe, wird sehr viel von den gattungsspezifischen wie von den allgemeineren Zusammenhängen und Prozessen sichtbar; präziser beschreibbar werden ihr historisches Profil und ihre individuelle Leistung aber nur, wenn man auch die Texte all der kleineren Meister und Möchtegern-Meister, die unser ›Repertorium‹ zu erschließen versucht, mit in den Blick nimmt.
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Die Welt, die Minne und das Ich Drei spätmittelalterliche Lieder Das späte Mittelalter hätte den Gedanken einer Entzauberung der Welt, wie er von Max Weber konzipiert wurde, vermutlich weder begrifflich noch bildlich fassen können. Es verfügte jedoch über ein Bild für die bezaubernde Kraft der Welt, für ihre faszinierende, aber sub specie aeternitatis gefährliche Wirkung auf den Menschen: ich meine die Personifikation der Welt als einer Frau, deren Vorderseite wunderschön, verlockend und prächtig, deren Rücken aber eitrig und von Würmern, Kröten und Schlangen zerfressen ist. Auf diese Vorstellung spielt bekanntlich erstmals Walther von der Vogelweide in seinem Abschiedsdialog mit Frau Welt (L. 100,24ff.) an, und in mehreren Erzählungen – am berühmtesten Konrads von Würzburg ›Der Welt Lohn‹1 – ist sie in Handlung umgesetzt. Die Belege für die doppelseitige Frau Welt scheinen aufs deutsche Spätmittelalter beschränkt zu sein, doch hat diese Vorstellung eine lange, im einzelnen nicht geklärte Vorgeschichte und ist mit anderen Doppelwesen wie Fortuna und Luxuria verwandt und von anderen Weltpersonifikationen nicht immer säuberlich zu trennen.2 Daß die Frau Welt in der deutschen Literatur des Spätmittelalters solchen Erfolg hatte, weit mehr Erfolg als ihr älteres männliches Pendant, der Fürst dieser Š Welt, wie er etwa am Straßburger Münster dargestellt ist, liegt sicher nicht nur an dem Zufall, daß das Wort welt im Deutschen weiblichen Geschlechts ist. Eine weibliche Personifikation ließ sich mit ganz anderen Konnotationen besetzen. Auf die Welt als Frau konnte man das ganze Arsenal frauen- und sexualitätsfeindlicher Topik anwenden, das seit Jahrhunderten tradiert worden Entzauberung * der Welt. Deutsche Literatur 1200–1500, hg. von James F. Poag und Thomas C. Fox, Tübingen 1989, S. 107–118. 1
Edward Schröder (Hg.), Kleinere Dichtungen Konrads von Würzburg I, 3. Aufl., Berlin 1959, S. 1–11. 2 Gisela Thiel, Das Frau Welt-Motiv in der Literatur des Mittelalters, Diss. Saarbrükken 1957; Wolfgang Stammler, Frau Welt. Eine mittelalterliche Allegorie, Freiburg (Schweiz) 1959; Marianne Skowronek, Fortuna und Frau Welt. Zwei allegorische Doppelgängerinnen des Mittelalters, Diss. Berlin 1964; Hermann Goetz, Die Herkunft der ›Frau Welt‹, in: Antiquitates Indogermanicae. Gedenkschrift für Hermann Güntert, Innsbruck 1974, S. 145f.; August Closs, Weltlohn. Das Thema: Frau Welt und Fürst der Welt, in: ZfdPh 105 (1986), S. 77–82; Ingrid Bennewitz-Behr, Fro welt ir sint gar hüpsch und schoen . . . Die ›Frau Welt‹-Lieder der Handschriften mgf 779 und cpg 329, in: Jb. der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 4 (1986/1987), S. 117–136.
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war. Und durch die neue Minnedichtung standen jetzt auch die literarischen Mittel bereit, die verführerische Seite auszumalen. Frau Welt fasziniert wie eine Minnedame; wer ihr dient, erhofft Lohn von ihr, ihr Lohn aber ist der Tod. Weltzugewandtheit soll als verderblicher Eros gezeichnet werden, und in Frau Welt wird zugleich die Liebe denunziert. Im Minnesang, auf den ich mich hier beschränken möchte, waren Vokabular und Topik einer breiten Skala von Liebesempfindungen ausgebildet worden. Durch die Aufladung mit Reflexionen und durch Ansätze zur Ethisierung – und sei es auch oft nur zur besseren Begründung der Klage und der Werbung – hatte sich das Minnelied, vor allem der vornehmste Typus, das Ich-Lied hohen Stils, zu einer hochdifferenzierten Ausdrucksform einer nicht-religiösen Innerlichkeit entwickelt. Auch wenn man, wie ich, nicht zu allegorischen Interpretationen des Minnesangs neigt, wenn man also nicht etwa annimmt, daß die Dame des Minnelieds den Hof oder die Welt bedeute, wird man doch zugeben, daß in dem intensiven Durchspielen von Liebesrollen fast so etwas wie eine Liebeserklärung an die Welt steckt oder, weniger metaphorisch gesagt, eine implizite Aufwertung einer diesseitigen Orientierung in der Welt. Das Bild der Frau Welt kann als Antwort auf solche Tendenzen verstanden werden. Minnesang und Weltabsage schließen sich vom Ansatz her aus. Die Dame des Minnelieds ist für das Ich der höchste, der lebensbestimmende Wert, aber ein weltimmanenter Wert. Frau Welt dagegen ist nur zu dem Zweck als Minnedame stilisiert, daß Minne und Welt vom Tod und von Gott her als Unwert, als trügerisch, gefährlich und böse entlarvt werden können. Nun gehört es aber gerade zum Reiz des Minnesangs, daß immer wieder auch Grenzen und Gegenpositionen in die Diskussion einbezogen werden. Andere Minnekonzepte werden erwogen und an den eigenen Forderungen an die wahre Liebe gemessen. Außenansichten werden zitiert, um die Darstellung der eigenen Liebeserfahrung davon abzusetzen. Selbst der Tod gehört in diese intensivierende Topik des Minnesangs: als lebensbestimmende Macht gilt die Liebe bis zum Tod, im Lied, in der Phantasie, vielleicht sogar über den Tod hinaus.3 Allerdings ist der Tod dann als Grenze des irdischen Lebens verstanden, nicht als Durchgang zum ewigen Leben oder zur ewigen Verdammnis. Für den Minnesang als innerweltliche Š Wertediskussion, wie man ihn aufgrund solcher und anderer Anreicherungen fast nennen darf, liegt die eigentlich kritische Grenze dort, wo religiöse, wo ewige Werte ins Spiel kommen. Das geschieht etwa in den Kreuzzugs-Minneliedern, aber auch bei der Begegnung mit dem Konzept der trügerischen und vergänglichen Welt. Die Lösung kann im Mittelalter dann letztlich nur in einer Entscheidung für Gott liegen. Aber einige der besten Dichter haben Gedankenspiele bis an die Grenze oder über die Grenze hinweg gewagt, die dieser simplen Alternative differenziertere Denk- und Empfindungsmöglichkeiten abgewonnen haben, sei es, daß sie wie Hartmann (MF 218,5 ff.) noch in der 3
Heinrich von Morungen MF 125,10ff., 129,36ff., 139,15 ff., 147,4ff.
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Absage an die weltliche Liebe die minnesangimmanente Diskussion weiterführten und so deren Rang noch einmal bestätigten, sei es, daß sie wie Morungen vom Boden des weltlichen Minnesangs aus die Intensivierung bis zu dem Punkt trieben, wo die Grenze angesprochen werden mußte und die letzte Entscheidung nur noch durch rhetorische Kunst offen gehalten werden konnte: Weˆ waz rede ich? jaˆ ist mıˆn geloube bœse und ist wider got. wan bite ich in des, daz er mich hinnen lœse? (MF 139, 11ff.) Die drei Lieder, die ich im Folgenden besprechen möchte, sind nahe an dieser Grenze zwischen Hinwendung zu und Absage an Welt und Liebe angesiedelt. Sie sind nicht Glieder einer Traditionskette, die sich als eigener Liedtypus bestimmen ließe wie etwa das Tagelied. Aber sie setzen sich alle drei unter den Bedingungen des Ich-Lieds damit auseinander, daß die Welt und die Liebe eine positiv erscheinende faszinierende Seite hat und daß das Wissen um die Rückseite doch nicht einfach verdrängt werden kann.
Konrad von Würzburg, Lied 6 Unter den Liedern Konrads von Würzburg fällt dieses Lied zunächst nicht als Sonderfall auf. Vokabular und Motive des Natureingangs finden sich fast wörtlich in mehreren Liedern Konrads wieder (vgl. 5. 10. 13. 17. 21. 27). Aber während Konrad sonst – vielleicht aufgrund eines feinen Gespürs dafür, was ihm als Berufsdichter zukommt – nicht von der Liebesbetroffenheit des Ich zu sprechen pflegt,4 sondern vom Natureingang in allgemeine Minneaussagen hinüberwechselt, in den Preis der reinen guoten wıˆp und in Mahnungen zu stæter minne, Š dient ihm hier der Natureingang dazu, die typische Rolle des Minnesängers aufzubauen: Der jahreszeitliche Zustand der Natur, dem die Stimmung der Gesellschaft entspricht, bildet den Hintergrund, vor dem sich ein isoliertes Ich artikuliert. In diesem Fall herrschen zwar Klage und Leid auf beiden Seiten, bei der Gesellschaft ebenso wie beim Ich, aber sie haben verschiedene Ursachen. Konrad benutzt nun allerdings diese Rolle des Minnesänger-Ich für ein anderes Thema.5 Das Publikum mußte freilich genau hinhören, denn das Vokabular bleibt bis zum Ende das des Minnesangs. Aber nicht die ungenaˆde der frouwe treibt das Ich in truˆren, sondern ihre hulde. Der Schönheitspreis, der im Rosenvergleich liegt, wird in eine Vergänglichkeitsaussage gewendet, wodurch die Klage des Ich letztlich doch wieder der allgemeinen Herbstklage angenähert wird. Aber erst die dritte Strophe macht endgültig klar, daß die frouwe niemand anderes sein kann als Frau Welt: ir loˆn ist jaˆmers vol – so wörtlich auch in Konrads Erzählung ›Der 4
Vgl. Thomas Cramer, Minnesang in der Stadt. Überlegungen zur Lyrik Konrads von Würzburg, in: Gert Kaiser (Hg.), Literatur – Publikum – historischer Kontext, Bern u. a. 1977, S. 91–108, hier 93. 5 Das hat zuerst Cramer (wie Anm. 4), S. 99–101, gesehen, der jedoch nicht so weit geht, die frouwe des Liedes mit Frau Welt gleichzusetzen.
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Welt Lohn‹. Im Gegensatz zu dieser Erzählung endet das Lied jedoch nicht mit einer Absage an die Welt. Das Ich-Lied schildert nicht den Umschlag von Faszination zu erschreckender Erkenntnis, sondern eine statische Situation. Auch wenn es für den Hörer erst langsam deutlich wird, das Ich weiß vom Anfang des Liedes an auch um die Rückseite der Welt, aber es vermag seinem Wissen nicht zu folgen. Noch ist die frouwe liep, ihre minne nicht nur süeze, sondern sogar werde. Konrad setzt also gegen seine sonstige Gewohnheit hier die Rolle des betroffenen Minnesängers ein, weil sie am ehesten geeignet war, eine solche Gespaltenheit der Einstellung zu artikulieren. Die Zielsetzung aber ist der des Minnesangs gerade entgegengesetzt. Der Minnesänger mag die Unvernunft seiner Liebe ansprechen, aber nur, um ihren Rang zu demonstrieren. Konrad von Würzburg inszeniert die Gespaltenheit der Einstellung zur Welt, um ihre Unvernunft darzutun. Aber er vermeidet die direkte Didaxe. Er führt seinen Hörern ein anmutiges Rätsel vor und überläßt es ihnen, nach dem Erraten über ihr eigenes Verhältnis zur Welt nachzudenken.
Walther von der Vogelweide L. 66,21ff.
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Um das Verständnis von Walthers sogenanntem ›Alterston‹ haben sich schon Generationen von Philologen bemüht. Konsens ist keineswegs erreicht, doch scheint mir der Spielraum für ernsthaft diskutable Interpretationen wenigstens enger geŠworden zu sein.6 Ich glaube mich innerhalb dieses Spielraums zu bewegen, möchte aber hier meine Einzelentscheidungen nicht ausführlich begründen. Die wichtigste Rechtfertigung liegt ohnehin im Zusammenhang, wie ich ihn verstehe und hier entwickeln möchte. Zu meinen Prämissen nur so viel: Mit der Mehrzahl der neueren Forscher glaube ich, daß die fünf Strophen als liedhafte Einheit zu verstehen sind und daß sich bei der Strophenfolge von BC der beste Sinn ergibt.
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Ich nenne nur diejenigen neueren Arbeiten, die mir besonders wichtig geworden sind: Wolfgang Mohr, Altersdichtung Walthers von der Vogelweide, in: Sprachkunst 2 (1971), S. 329–356; Harold Bernard Willson, Ir reinen wıˆp, ir werden man, in: Medium Aevum 49 (1980), S. 184–193; Hugo Kuhn, Minnelieder Walthers von der Vogelweide, Tübingen 1982, S. 94–98; Timothy McFarland, Walther’s bilde: On the synthesis of minnesang and spruchdichtung in ›Ir reinen wip, ir werden man‹ (L. 66,21 ff.), in: Oxford German Studies 13 (1982), S. 183–205; S. L. Clark, ein schœnez bilde. Walther von der Vogelweide and the idea of image, in: Franz H. Bäuml (Hg.), From symbol to mimesis, Göppingen 1984 (GAG 368), S. 69–91; Johann Drumbl, Fremde Texte, Milano 1984, S. 166–173; Christoph Cormeau, Minne und Alter. Beobachtungen zur pragmatischen Einbettung des Altersmotivs bei Walther von der Vogelweide, in: Ernstpeter Ruhe und Rudolf Behrens (Hgg.), Mittelalterbilder aus neuer Perspektive, München 1985, S. 147–165; Gerhard Hahn, Walther von der Vogelweide, München/Zürich 1986, S. 133–138.
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In den ersten beiden Strophen inszeniert sich das Ich im Auftritt vor der ›guten‹ Gesellschaft als alternder Minnesänger. Selbstbewußt beansprucht er Anerkennung (eˆre und minneclıˆchen gruoz, hulde) für seinen Sang, für sein früheres Singen während eines langen Künstlerlebens ebenso wie für das gegenwärtige Lied. Von minne, d. h. von der höfischen Liebe, wie Walther sie verstanden hat, kann der alte Mann nicht mehr wie früher auch zur eigenen Freude singen, daher ist sein Singen jetzt reines Geschenk für die Gesellschaft. In dieser Selbstlosigkeit könnte bereits eine erste Rechtfertigung für den Anspruch auf noch höhere Anerkennung als bisher liegen. Doch die zweite Strophe holt zur Begründung weiter aus: Das Minnesingen dieses Ich war schon immer ein werben umbe werdekeit gewesen, ein ständiges intensives Bemühen um Würde des Sängers, des Sanges und der Gesellschaft; und diesen Sinn seiner arebeit will der Sänger auch im Alter nicht aufgeben. Er sichert ihm Anerkennung auch noch bei Hinfälligkeit, Anerkennung freilich nur durch die wahrhaft gute Gesellschaft, durch die werden. Die Aufnahme des Sängers und seines Liedes wird damit zum Kriterium einer Beurteilung des Publikums, der Gesellschaft, gemacht. Nur wer den Dienst an der werdekeit zu schätzen weiß, ist selbst werde. Das Ende der zweiten Strophe bringt dann eine neue inhaltliche Bestimmung: die höchste Form des werben umbe werdekeit ist dem ende rehte tuon, eben das, was in besonderem Maße einem alten Manne zukommt. Damit werden andere Formen wie der frühere Minnesang nicht ausgeschlossen, zunächst mindestens nicht, aber es wird ein neuer, höherer Anspruch auf Anerkennung begründet. Der Gedanke an den Tod führt nun in der dritten Strophe zu einem Neuansatz mit deutlichem Wechsel der Tonlage. Angeredet ist die welt. Sie trägt Züge der bekannten Personifikation, ohne daß sie scharf ausgezogen wären. Nach dem Begriffsinhalt changiert welt hier zwischen ›mundus‹ im geistlichen Sinn und ›Gesellschaft‹. Was in den Anfangsstrophen als Singen von minne und Dienst an der werdekeit so selbstbewußt als Verdienst beansprucht worden war, erscheint jetzt angesichts des Todes anders: ein mutiger Einsatz der ganzen Person zwar, aber doch auch ein höchst gefährlicher, letztlich törichter und vergeblicher Einsatz, bei dem das Heil der Seele aufs Spiel gesetzt worden ist. Frau Welt aber, der dieser Minnedienst galt, kennt keinen Dank. Insoweit mit welt auch das Publikum gemeint ist, scheint dieses jetzt ausschließlich aus den neidisch-undankbaren nideren der zweiten Strophe zu bestehen – sie mögen beim Weltende das Schicksal des mundus teilen. Von den werden aber ist hier nicht mehr die Rede. Was aber soll bei solchen Perspektiven aus dem Ich werden, das sich für die falsche Sache beim falschen Publikum eingesetzt hat? In der vierten Strophe erscheint das Ich gespalten in Seele und Leib. Ich verstehe das nicht so, daß die Strophe formal als Dialog aufzufassen sei, wie man gemeint hat. Aber das Ich prüft nun seine Situation unter verschiedenen Perspektiven: Das Leben eines Minnesängers wird im erneuten Rückblick keineswegs ganz abgewertet, ich haˆn zer welte manigen lıˆp gemachet froˆ. Im Blick auf den bevorstehenden Weg der
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Seele war dies jedoch ungenügend, ja falsch. Gemessen an der wahren, der geistlichen Liebe, war die Liebe, der dieses Leben gewidmet war, ein lüge, nicht durch und durch das, als was sie erscheint. Sie war auch unbeständig: lıˆp, laˆ die minne, diu dich laˆt. Man kann diesen Satz auf das Thema des Minnesangs beziehen, dann ist er eine geistliche Fortsetzung der weltlichen Minnekritik in Walthers Minneliedern, einer Kritik, die ja gerade auf Gegenseitigkeit und staete zielte. Im Kontext des Liedes wird man aber auch an das Singen als Minnedienst an Frau Welt denken und damit an die Kritik am undankbaren und un-werden Publikum; dann korrespondieren die Sätze nuˆ bin ich alt und haˆst mit mir dıˆn gumpelspil in Strophe III und lıˆp, laˆ die minne diu dich laˆt in Strophe IV. Da Lebensform und Inhalt des Singens in diesem Lied ständig ineinander übergehen, brauchen wir uns nicht für eine von beiden Deutungen zu entscheiden. Die beiden ersten Strophen hatten Gesellschaftsdienst und Minnesang als werben umbe werdekeit charakterisiert und für ein Verhalten – ich spezifiziere: für ein Singen – das dem ende rehte tuot, die höchste Anerkennung durch die wahrhaft werden gefordert. Die beiden nächsten Strophen haben nun entschieden vom Lebensende her neue Wertungen gesetzt, Weltdienst und Minnesang kritisiert und ihnen die wahre Liebe – ich spezifiziere: den wahren Minnesang – entgegengestellt. Wenn dieses Verständnis der vier Strophen stimmt, dann erwartet man, daß in der Schlußstrophe die beiden Aspekte miteinander vermittelt werden. Ich bin überzeugt, daß dies der Fall ist. Man hat viel gerätselt, was mit dem schœnen bilde gemeint sei, das das Ich sich erwählt hatte, mit dem es geŠredet hatte, in dem es sich jetzt, nachdem es seine Schönheit verloren hat, gefangen fühlt und mit dem es wieder froh vereinigt werden möchte. Viele Vorschläge wurden gemacht: eine verstorbene Geliebte, die Seele, das Herz, der Leib, das Fleisch, der Teufel, die Welt, die Gesellschaft, die Bilder der Welt, die der Dichter benutzt hat. Relativ breite Anerkennung hat die Auffassung gefunden, es sei der Leib gemeint. Das sprechende Ich würde dann, wie schon am Ende der vierten Strophe, die Position der Seele einnehmen, und die Strophe zielte auf die Wiedervereinigung von Leib und Seele am Jüngsten Tag. Das Lied, das so eminent gesellschaftsbezogen begonnen hatte, würde sich bei dieser Deutung am Ende ganz dem Jenseits und dem individuellen Heil zuwenden. Das kann ich nicht glauben. Ich wage einen weiteren Vorschlag, der im Grunde nur Ansätze, die sich da und dort in der Literatur finden,7 im Rahmen des bisher entwickelten Verständnisses ein wenig zuspitzend weiterführt: Das bilde, so meine ich, muß doch wohl das sein, wovon im ganzen Lied die Rede war: Welt und Minne oder Gesellschaftsdienst und Minnesang. Dies hatte das Ich erkorn, dies war schön und sprechend, bedeutungsvoll; aber angesichts des Todes ist es nicht nur häßlich geworden, sondern hält den Sänger auch gefangen. Wenn das Ich nun bittet, von 7
Siehe besonders Cormeau und Hahn (wie Anm. 6). Vgl. aber auch schon Rudolf Hildebrand, Zu Walther von der Vogelweide. 4. Das bilde 67,32, in: ZfdA 38 (1894), S. 10–14.
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diesem bilde freigelassen zu werden, um ihm wieder froˆ begegnen zu können, dann, meine ich, heißt das: entlaßt mich aus der alten Rolle des Minnesängers, damit ich wie einst zu eurer und meiner Freude singen kann als Sänger der wahren Minne für die wahrhaft werden. Walthers ›Alterston‹ diskutiert also Minne und Minnesang als Dienst an der Welt im Spannungsfeld von falscher und wahrer, irdischer und geistlicher Liebe und von falscher und wahrer werdekeit. Wenn man das Ende des Liedes kennt, sieht man, daß das Konzept eines geistlichen Minnesangs von Anfang an vorbereitet ist. Beim ersten Hören kann das aber kaum erkannt werden. Betont wird in den ersten beiden Strophen vielmehr die fast zeremonielle Verbundenheit zwischen dem höfischen Sänger und dem höfischen Publikum unter dem kritischen Anspruch der werdekeit, auch noch über die Altersdistanz hinweg. Erst die Absage an Welt und Minne macht klar, daß Altersdistanz und kritischer Anspruch der werdekeit religiös gemeint sind. Walther braucht die negativ besetzte Welt, um den Unterschied zwischen altem und neuem Minnesang unerbittlich klar zu machen. Aber weil schon der alte irdische Minnesang kritisch gemeint war, kann er das Muster abgeben für die neue Rolle des Ich nach der geistlichen Wende. Nach der Negation des Irdischen kann das Ich den kritischen Dienst an der Welt, an dem Publikum der wahrhaft werden, neu aufnehmen. Das letzte Ziel ist nicht Weltflucht, sondern religiös begründetes gesellschaftliches Handeln.
Oswald von Wolkenstein Kl. 18 Dieses berühmteste Lied Oswalds von Wolkenstein ist 1416/17 entstanden, knapp zweihundert Jahre nach Walthers ›Alterston‹. Wegen seiner ungewöhnlichen Fülle an Lebensdetails wurde es immer wieder vor allem für die Rekonstruktion von Oswalds Biographie ausgebeutet. Seit das Verhältnis von biographischer Realität und Dichtung bei Oswald von Wolkenstein differenzierter diskutiert wird, ist auch die Frage nach Einheit und Intention dieses Liedes dringlicher geworden. Man hat es als Lebensballade, als Liebeslied, als religiöses Lied und als Minnediskussion gedeutet.8 Da jede dieser Interpretationen sich auf Elemente des 8
Ich nenne wieder nur eine Auswahl der neuesten Literatur: Ulrich Müller, »Dichtung« und »Wahrheit« in den Liedern Oswalds von Wolkenstein, Göppingen 1968 (GAG 1), S. 10–54; Walter Röll, Der vierzigjährige Dichter, in: ZfdPh 94 (1975), S. 377–394; Stephen L. Wailes, Oswald von Wolkenstein and the Alterslied, in: Germanic Review 50 (1975), S. 5–18; Francesco Delbono, Oswald von Wolkenstein: Zur italienischen Rezeption und zu Biographie und Werk, in: Hans-Dieter Mück und Ulrich Müller (Hgg.), Gesammelte Vorträge der 600-Jahrfeier Oswalds von Wolkenstein Seis am Schlern 1977, Göppingen 1978 (GAG 206), S. 393–410; Ulrich Müller, »Dichtung« und »Wirklichkeit« bei Oswald von Wolkenstein. Aufgezeigt im Vergleich mit Altersliedern von Walther von der Vogelweide und Hans Sachs, in: Literaturwiss. Jb. NF 19 (1978), S. 133–156; Martin W. Wierschin, Oswalds von Wolkenstein ›Es fügt sich‹, in: Monatshefte 74 (1982), S. 433–450; Dagmar Hirschberg/ Hedda Ragotzky, Zum Ver-
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Textes berufen kann, kommt es wohl darauf an, die Relationen der Themen genauer zu bestimmen. Ich glaube, daß der Hintergrund der Welt-Minne-Thematik, den ich skizziert habe, dabei hilfreich sein kann, auch wenn hier keinerlei Konnex mit der Vorstellung der Frau Welt erkennbar ist. Das Lied fängt an wie ein chronologisch geordneter autobiographischer Bericht, ist aber eher eine Lebenssumme, erstellt in einer Krisensituation des Ich. Isolierte Elemente des bisherigen Lebens werden unter thematischen Gesichtspunkten korrespondierend zusammengefügt und auf die Lebensentscheidungen bezogen, die die letzte Strophe artikuliert. Die beiden Hauptthemen sind Welterfahrung in Strophe I bis III und Minneerfahrung in Strophe IV bis VI. Durch ihre überwiegend reihende Darstellung korrespondieren besonders Strophe I/II und Strophe V/VI, Vielfalt der äußeren Lebenssituationen hier, Intensität des inneren Erlebens dort. Zwischen beiden Strophengruppen stehen zwei Strophen mit etwas breiter entfalteten Situationsschilderungen. In Strophe III wird die exotische Auszeichnung durch die Königin von Aragon zwar – wie könnte es Š anders sein? – mit einer gewissen minniglichen Courtoisie erzählt, und die Präsentation des Ausgezeichneten vor der Hofgesellschaft ist als komisch-unterhaltsame Szene gestaltet. Doch ist das Ganze kaum von der Rolle eines Minnenarren her zu verstehen.9 Darstellungsweise und Kontext sprechen vielmehr dafür, daß hier ein Höhepunkt der Welterfahrung des Ich zur Sprache kommt, ein Auftritt des ehemaligen renner, koch und marstaller in allerhöchsten Kreisen. Ein solcher Aufstieg zu vertraut heiterem Umgang mit Königen war freilich, mit Hugo Kuhn10 zu reden, nicht im Interaktionsmodell von Macht und Herrschaft denkbar, sondern nur im Interaktionsmodell von Meisterschaft und Künstlertum. Ich lese also Strophe III als Schilderung eines glänzenden, aber (weil der Künstler leicht dem Narren nahesteht) ambivalenten Auftrittserfolges. Wenn man auf diese (Künstler-)Aufstiegsthematik achtet, wird auch eine Bewegung innerhalb der ersten drei Strophen erkennbar: Weltneugier, die sich – Zeichen der neuen Zeit – sowohl auf die geographisch konkret erfahrbare Welt richtet als auch auf ein Kennenlernen aller Schichten und Stände, Weltneugier also führt zunächst in Not und Armut; aber dieses Ich lernt es, wie einst der Künstler Tristan, sich in der Welt durch die Vielfalt seiner Fähigkeiten (u. a. Sprachen und Musik) zu behaupten und gelangt sogar zu glänzendem Erfolg. Es mußte dazu allerdings Rollen spielen, die ihm abverlangten, dieser Welt zu gefallen, und sei es durch komisch-närrische Selbstinszenierungen. Die Schlußstrophe greift diesen Motivstrang auf und führt ihn noch ein Stück weiter: hältnis von Minnethematik und biographischer Realität bei Oswald von Wolkenstein: Ain anefangk (Kl. 1) und Es fugt sich (Kl. 18), in: Jb. der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 3 (1984/1985), S. 79–114; Francesco Delbono, Oswald von Wolkenstein, Lied Kl. 18: ›Werbelied‹ per Margareta e moraleggiante addio al celibato, in: Filologia Germanica (Istituto Universitario Orientale, Napoli) 28/29 (1985/86), S. 101–117. 9 Hirschberg/Ragotzky (wie Anm. 8), S. 103–106. 10 Hugo Kuhn, Determinanten der Minne, in: H. K., Liebe und Gesellschaft, Stuttgart 1980, S. 52–59, 182–186.
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In urtail, rat vil weiser hat geschätzet mich, dem ich gevallen han mit schallen liederlich.
Die Künstlerfähigkeiten haben, so sagt es der Text, sogar zu einer Anerkennung in ernsthaften Weltangelegenheiten geführt – man mag an Oswalds Ernennung zum Rat König Sigmunds denken –, aber diese Anerkennung beruht auf fragwürdigen Voraussetzungen (schallen liederlich) und ist letztlich auch nur ein unvernünftiges Einstimmen in das Lied der Welt (der werlt hellen). Wie verhält sich nun zu diesem Motivstrang das Thema Liebe? Die minn taucht schon in Strophe II einmal als Triebkraft des Strebens in ferne Länder auf. Im Gegensatz zur jüngsten Interpretation des Liedes durch Dagmar Hirschberg und Hedda Ragotzky,11 der ich im übrigen viel verdanke, glaube ich jedoch nicht, daß man die Liebe als thematisches Zentrum der ersten Strophen verstehen darf. Die Weltneugier stand am Anfang, und in Strophe II steht minn syntaktisch parallel zu Ruprecht, Sigmund; d. h. es gab mehrere Triebkräfte für das Streben nach Welterfahrung. Ins Zentrum rückt die Liebesthematik erst in Strophe IV bis VI. Dabei ist Strophe IV die schwierigste Partie des ganzen LieŠdes. Sie setzt zunächst gegen den glänzenden und fragwürdigen Erfolg in der großen Welt von Perpignan den Versuch der Weltabkehr und deutet damit auf die geistliche Thematik der Schlußstrophe voraus. Aber dieser erste Versuch ist mißglückt, ein schlechtes Vorzeichen für die jetzt anstehenden Entscheidungen. Andacht hat bei der damaligen conversio in eine quasi geistliche Lebensform zwar nicht gefehlt; aber sie war nicht die einzige Motivation, wohl auch nicht die wichtigste. Es war eine conversio im irdischen Minnedienst. Darum wurde der Wechsel der Lebensform zur Fortsetzung des Ausprobierens verschiedener Lebensrollen und mußte in die Weltverfallenheit zurückführen. Auch im geistlichen Gewand setzt sich das Ich in der Welt erfolgreich durch, diesmal mit seiner (dichterischen?) Fähigkeit, seine Worte zu setzen, bei den Frauen. Der Text ist nicht völlig eindeutig, aber der Gegensatz zu Inhalt und Pathos der Folgestrophen legt nahe, daß nicht Erfolge bei der einen Geliebten, sondern eher flüchtige Liebeserfolge gemeint sind. Der Versuch einer Abkehr vom tummen leben führte also weder zu einem geistlich vernünftigen Leben noch zu einer vernünftigen Dauerbindung mit der Geliebten. Das Thema Liebe ist damit von vornherein nach zwei Seiten abgegrenzt: die minn ist irdische, weltliche Liebe, nicht ein Weg, sich von der Welt abzuwenden oder auch nur vernünftig im Sinne der Weltklugheit zu werden; die das Ich bestimmende minn ist aber auch nicht bloße Liebelei, die sich mit der Verführung zu rascher Lust begnügen könnte. Diese minn wird nun in Strophe V und VI mit traditioneller Topik breit als not entfaltet, wobei das bisher vorherrschende epische Präteritum mehr und mehr vom Präsens verdrängt wird. Erstmals im Liedverlauf wird ausführlich von inneren Erfahrungen gesprochen. Bei aller Drastik des Beschreibens der Symptome eines tobens und wütens vor Liebe bleibt doch das Pathos des hohen Stils hier gewahrt, nirgends erfolgt das in den 11
Siehe Anm. 8.
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vorherigen Strophen so charakteristische Umkippen ins Komische. Einmal noch darf ein bißchen stolze Welterfahrung hervorblitzen, als von den vierhundert wunderschönen Frauen ze Nio die Rede ist; aber die Weltfülle dient jetzt nur noch dem Preis der einen Geliebten, deren größte Gnade es war, daß sie dem Ich den Abschiedssegen für seine Wege in die Welt gegeben hat. Die letzte Strophe faßt das Verhältnis von Welterfahrung und Liebeserfahrung so zusammen: so kann ich der vergessen nimmer ewikleich, die mir hat geben mut auff disem ertereich. in aller werlt kund ich nicht finden iren gleich.
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Die Liebe ist nicht von Anfang an Zentrum des Weltlebens, der Weltneugier, der Not und der Erfolge; aber im Lauf des Lebens, im Lauf des Liedes hat sie sich dazu entwickelt. Obwohl sie selbst Qual und Unruhe bedeutet, hilft sie als beständiger Bezugspunkt, die wechselnde Fülle der Welt auch innerlich zu bestehen, gibt sie mut. Der Welt und der Liebe setzt nun die letzte Strophe nicht eine, sondern zwei Alternativen entgegen: Ehe als weltlich vernünftiges Verhalten und gute Werke als geistlich vernünftige Vorbereitung auf den Tod. Für die Ehe (für die sich Oswald von Wolkenstein in der Realität bald darauf entschieden hat) werden von vornherein nur negativ akzentuierte literarische Motive aufgeboten. Und die Möglichkeit einer geistlichen Wendung ist im wesentlichen nur durch Gehorsam und Vorsorge gegen Höllenstrafen bestimmt; eine positive Füllung, vergleichbar der wahren Liebe bei Walther, fehlt. Das heißt nicht, daß diese Alternativen nicht dennoch ernstzunehmen wären. Ihre gesellschaftliche und religiöse Geltung konnte ja zu Oswalds Zeit gar nicht ernsthaft in Frage gestellt werden. Aber sie haben keine positive emotionale Kraft, bieten kein Konzept, das den spezifischen Fähigkeiten dieses Ich neuen Raum schaffen würde. Gewiß, Welterfahrung und weltliche Liebe bleiben diesen vernünftigen Alternativen gegenüber nur toben, wüten, tichten, singen mangerlai. Aber sie bieten trotz Not und Unvernunft so viel an Lebensintensität und Kunstspielraum, daß sich das Ich am Ende des Liedes noch nicht von ihnen hat lösen können.
Synkrisis Ich versuche abschließend, Kontinuität und historische Differenz zwischen den besprochenen Liedern abzuschätzen. Das Ich, das Oswald von Wolkenstein vorführt, ist der Welt und der Liebe gegenüber grundsätzlich in einer ähnlichen Situation wie das Ich in dem Liedchen Konrads von Würzburg gegenüber seiner frouwe, der Welt. Trotz besserer Einsicht vermag es die bestehende Bindung nicht aufzugeben. Das Ich des Walther-Liedes dagegen hat den Schnitt vollzogen und kann sich deshalb in einem dialektischen Gegenzug auf neuer Basis wieder der Welt zuwenden, jetzt mit dem wahren Minnesang. Dieser Unterschied scheint mir weniger historisch als poetologisch begründet: An der Grenze zwi-
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schen zwei Wertorientierungen sind grundsätzlich verschiedene Sprech- und Argumentationsmuster möglich. Einerseits läßt schon Morungen das Ich trotz besserer Einsicht der Minne verhaftet bleiben (jaˆ ist mıˆn geloube bœse und ist wider got); und andererseits vertritt auch Oswald in späteren Liedern das Konzept der wahren göttlichen Liebe als kritisches Gegenbild zur irdischen Liebe (vor allem Kl. 1); und sein wenig älterer Zeitgenosse Hugo von Montfort12 kennt wie Walther den Schritt von der Weltkritik zu einem frommen Leben in der Welt. An solchen Differenzen sollte man also nicht einen Epochenunterschied festzumachen versuchen. Wenigstens teilweise durch die historischen Situationen mitbedingt sind sicher die eklatanten Unterschiede der Künstlerrollen und des Verhältnisses zwischen Sänger und Gesellschaft. Oswald scheint hier in einer offeneren, vom Text weniger stark definierten Situation zu stehen als Walther, der den Sängerantritt vor einer Hofgesellschaft zu einem Strukturelement des Liedes macht. Doch es würde breitere Ausführungen erfordern, wollte man da bei Walther und Oswald jeweils das Individuelle und das Zeittypische zu sondern versuchen. Der historisch bedeutsamste Unterschied aber liegt zweifellos darin, daß sich die Entscheidungssituation zwischen verschiedenen Wertorientierungen für Oswald gegenüber der Tradition, in der er steht, verschoben hat. Das liegt zum einen daran, daß mehr Faktoren ins Spiel gebracht werden. Weltdienst und Minnedienst können nicht mehr wie bei Walther, Konrad und in einem großen Teil der älteren Tradition fast in eins gesehen werden. Liebe ist nicht mehr im gleichen Maße zentrales Thema der Literatur. Und die Welt ist mit einer solchen Fülle von konkret Erfahrenem präsent, bietet so vielfältige eigene Möglichkeiten der Icherfahrung, daß sie mit der Liebe als lebensbestimmender Macht nur noch fast gewaltsam zu vermitteln ist. Man spürt es dem Gedicht an, wie schwer es geworden ist, Welt und Liebe als je in sich problematische Orientierung für das Ich aufeinander zu beziehen. Oswald versucht es, indem er die Liebesnot als zentrierende Kraft, die erst eigentlich Innerlichkeit, Personalität ermöglicht, der Vielheit der Situationen und Ichrollen, in die die Welterfahrung geführt hat, zuund überordnet. Als dritte innerweltliche Möglichkeit aber wird, wie abschätzig auch immer, die Ehe eingeführt, das neue Thema des 15. Jahrhunderts. Der Fülle dieser irdischen Orientierungsmöglichkeiten gegenüber hat Gott in diesem Text schon quantitativ einen schweren Stand, auch wenn ihm das Gewicht des Endes zufällt. Aber mehr als das. Die wichtigste Grenze im Spiel der Optionen, die Grenze, an der die Entscheidungssituation des Liedes angesiedelt wird, verläuft nicht mehr, wie in der ganzen Tradition, für die ich Konrad von Würzburg und Walther von der Vogelweide herangezogen habe, zwischen Welt und Gott, sondern zwischen Unvernunft und Vernunft, zwischen närrischer Lebens- und Liebesintensität eines besonderen Ich und Integration in allgemein akzeptierte ›vernünftige‹ Lebensformen. Damit ist die andere Grenze nicht aufgehoben, aber 12
Karl Bartsch (Hg.), Hugo von Montfort, Tübingen 1879, Nr. XXIX.
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doch hinausgeschoben. Oswald wird in späteren Liedern den Konflikt zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen irdischer Liebe und Todesangst oder Gottesliebe viel schärfer im Sinne der Weltabsage artikulieren. Hier aber sind zwar die ›Rückseiten‹ von Welt und Liebe, ihre Bedrohlichkeiten und Nichtigkeiten, mit ins Bewußtsein gerückt; aber das Hauptthema ist die neuartige Icherfahrung in der diesseitigen Spannung zwischen der konkretisierten, aber nach wie vor faszinierenden, ›bezaubernden‹ Welt und einer unvernünftigen, aber nicht einfach wertlosen Liebe.
Nachtrag Die hier besprochenen Lieder Konrads von Würzburg und Oswalds von Wolkenstein habe ich mit Übersetzung und Kommentar in meine Anthologie13 aufgenommen. Übersehen habe ich dort zwei neuere Aufsätze zu Konrads Lyrik von Werner Hoffmann und Gert Hübner.14 Während Hoffmann meine Auffassung von Lied 6 bestätigt, versucht Hübner, das Lied nicht auf Frau Welt, sondern konkreter auf eine anfangs entgegenkommende, dann aber »in einem Sommer« (hiure) abweisende und unstæte Dame zu beziehen. Widerlegen läßt sich diese Deutung nicht. Sie scheint mir aber mit der vorausgesetzten Liebesgeschichte mehr Hilfsannahmen nötig zu haben als meine Auffassung. Das Lied baut wie im Versmaß so auch im Wortlaut Erwartungen auf, die es dann bricht. Zu Walthers viel umworbenem ›Alterston‹ sind mir seither sechs neue Interpretationen bekannt geworden.15 Der Rang und die Schwierigkeiten dieses Textes werden das Gespräch über ihn nicht so bald abreißen lassen. Dabei mag auch mein hier wieder abgedrucktes Votum Aufmerksamkeit verdienen. Ich würde es nach Lektüre der genannten Interpretationen heute nicht mehr so apodiktisch formulieren, halte aber im Kern an ihm fest. Die Kohärenz des Liedes hängt sehr 13
14
15
Lyrik des späten Mittelalters, S. 268–271, 564–573 (Texte und Übersetzungen), 767f., 995–1002 (Kommentar). Werner Hoffmann, Minnesang in der Stadt, in: Mediaevistik 2 (1989), S. 185–202, zu Lied 6 S. 192f.; Gert Hübner, Versuch über Konrad von Würzburg als Minnelyriker, in: Artibus. Kulturwissenschaft und deutsche Philologie des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Fs. für Dieter Wuttke, Wiesbaden 1994, S. 63–94, zu Lied 6 S. 74–77. Fritz Peter Knapp, Ein schoenez bilde. Ethik und Ästhetik in Walthers ›Alterston‹, in: Poetica 25 (1993), S. 70–80; Jan-Dirk Müller, Walther von der Vogelweide: Ir reinen wıˆp, ir werden man, in: ZfdA 124 (1995), S. 1–25; Albrecht Hausmann, Reinmar der Alte als Autor, Tübingen/Basel 1999 (Bibliotheca Germanica 40), S. 328f. [nur zur bilde-Strophe]; Volker Mertens, Alter als Rolle. Zur Verzeitlichung des Körpers im Minnesang, in: PBB 128 (2006), S. 409–430, bes. 418–428; Horst Brunner, Vermächtnis und Abschied: Walthers Lied Ir reiniu wıˆb, ir werden man (L. 66,21/ C. Nr. 43), in: ders., Annäherungen. Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Berlin 2008, S. 113–125; Manfred Kern, Weltflucht. Poesie und Poetik der Vergänglichkeit in der weltlichen Dichtung des 12. bis 15. Jahrhunderts, Berlin/ New York 2009, S. 105–115, 124–132 u. ö.
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stark davon ab, wie das schœne bilde in der nach BC letzten Strophe zu verstehen ist. Albrecht Hausmann versucht, die Strophe minnetheoretisch-psychologisch zu verstehen: Das Ich, im Du gefangen, erkenne dieses als Projektion, strebe Distanz an, um sich neu überwinden lassen zu können. Dieses Verständnis setzt jedoch ein Kappen aller geistlichen Bezüge des Tons voraus. Weithin akzeptiert ist die Deutung, daß das bilde den Leib meine, aus dem sich das Ich (die Seele) befreien müsse, um im Jenseits wieder mit ihm vereinigt zu werden. Horst Brunner hat sie am entschiedensten wieder vertreten. Die Bedenken gegen diese Auffassung hat Jan-Dirk Müller16 dargelegt. Ergänzend mag man noch anführen, daß das Ich in der Rolle der Seele kaum sagen könnte, es habe den Leib erwählt (erkorn); die Seele wird dem Leib von Gott zugeteilt. Volker Mertens denkt an eine Liebesgefangenschaft im Herzen der Minnedame, die nach dem Tod im Jenseits in ein freiwilliges Wohnen im Herzen verwandelt werden soll. Ich habe Mühe, die Strophe so zu lesen, und sehe keine Kohärenz mehr zu den vorausgehenden Strophen. Fritz Peter Knapp möchte zurückkehren zu der Deutung durch Wolfgang Mohr: Das bilde sei »alles das, was dem Menschen in diesem leiblichen Leben an Duft und Glanz und im lebendigen Gespräch mit den Mitlebenden begegnet ist«.17 Dieses Verständnis bezieht Knapp auf die Welt als creatura und imago Dei, die sich als todverfallen zeigt, wenn sie absolut gesetzt wird. Das überzeugt mich als Denk- und Glaubensrahmen, nur meine ich, daß der Kontext der fünf Strophen eine Konkretisierung des Weltverhältnisses im Tun des Sängers nahelegt. Jan-Dirk Müller deutet das bilde vielschichtig als »die vrouwe als Erscheinung des Inbegriffs höfischer Vollkommenheit« und als der Frau Welt ähnliche »idolisierte Verführerin«, aber auch als »Gegenstand poetischer Rede«, die in Gefahr ist sich »an die bloße sinnliche Erscheinung« zu verlieren.18 Ähnlich sieht es Kern: Das bilde als vrouwe sei die »zentrale Imagination des Sanges und insofern eine Metonymie des Werks«19 Damit sind alle Aspekte genannt, die auch ich zu sehen glaube. Nur meine ich im Unterschied zu den meisten genannten Interpreten, daß zwischen dem Gefangensein im bilde und dem freien Wiederhineingehen nicht der reale Tod und die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits liegen muß. Wenn es (auch) um die »poetische Rede« geht oder, wie der Anfang des Liedes nahelegt, um das rechte Singen für die Gesellschaft, dann kann das neue, freie Singen und Lieben durchaus auch auf Erden gedacht sein. Auch das Singen von Tod und wahrer Minne ist ja noch immer ein werben umbe werdekeit beim höfischen Publikum. Meine Formulierung »geistlicher Minnesang« läßt vielleicht zu einseitig an Kontrafakturen denken. Ein Singen aus einer neuen Einstellung zur Welt heraus nach einem Durchgang durch das Bewußtsein ihrer Vergänglichkeit muß aber gemeint sein. 16 17 18 19
Wie Wie Wie Wie
Anm. 15, S. 13–15. Anm. 6, S. 354. Anm. 15, S. 14–17. Anm. 15, S. 108.
Sprachmischung bei Oswald von Wolkenstein I Unter den Liedern Oswalds von Wolkenstein finden sich zwei, die systematisch aus mehreren verschiedenen Sprachen zusammenmontiert sind. Das eine (Kl. 69), in allen drei Haupthandschriften überliefert, beginnt (hier nach der Hs. A, 31rv): Do frayg amorß, adiuva me! ma loat, mein orß nay moy serce rent mit gedankh, fraw, pur ä ty.
Dieses Lied ist in allen drei Handschriften durch eine glossierende Exposicio erläutert; in A wird in dieser auch in kleinerer Schrift über den Zeilen angegeben, um welche Sprache es sich jeweils handelt: franczoß
latinisch
Do frayg amorß: Ach wars mein lieb – Adiuva me: Hilff mir zwar – ungrisch
flemmisch
windisch
Ma loat: Mein pherd – Min orß: Mein ross – Na moy serce: Darczu mein hercz – tewczsch
welsch
Rent mit gedankh – Fraw pur ä ty: Fraw newr zu dir
Das andere mehrsprachige Lied dagegen (Kl. 119) ist einzig in A (15rv) überliefert und hat anstelle einer gelehrten Exposicio nur eine nicht überall wörtliche poetische Übersetzung im gleichen Ton; diese war vielleicht, gemäß der Folge in der Handschrift, beim Vortrag strophenweise einzuschieben. Während bei Kl. 69 die Mißverständnisse der Forschung beschränkt geblieben sind, ist Kl. 119 aufgrund der weniger kontrollierbaren Überlieferung und der fehlenden Sprachangaben in den Ausgaben teilweise nicht richtig wiedergegeben und in der einzigen gedruckten Untersuchung, die sich ausführlicher mit dem Lied befaßt,1 in z. T. amüsanter Weise falsch gedeutet worden. Die grundlegende Analyse durch WerZeitschrift * für deutsches Altertum und deutsche Literatur 106 (1977) [Heft 3 = Fs. Wolfgang Mohr], S. 277–296. 1
Guntram Plangg, Romanisches in der Dichtung Oswalds von Wolkenstein, in: Fs. Alwin Kuhn, Innsbruck 1963, S. 51–66, hier 59–66. Plangg hat vor allem vieles als romanisch zu deuten versucht, was Marold (wie Anm. 2) als slovenisch erkannt hat. Doch auch in den romanischen Partien unterlaufen ihm Fehlgriffe: gramer sici ty der Handschrift deutet er z. B. als prov. grand’ mair sia tu ›seist du auch meine Großmutter‹, während Marold es in Übereinstimmung mit Oswalds eigener Paraphrase als franz. grand merci a` tu erklärt.
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Sprachmischung bei Oswald von Wolkenstein
ner Marold2 aber ist weithin unbekannt geblieben. Ich lege daher dieses Lied zunächst in revidierter Fassung vor und erläutere es knapp.
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Für kritische Hinweise zu den romanischen und slovenischen Teilen möchte ich Jens Lüdtke3 und Ludolf Müller herzlich danken. [Peter Koch danke ich für den Hinweis auf den Aufsatz von Heinrich Kuen4 und für ein erläuterndes Gespräch. Der folgende Abschnitt ist gegenüber dem Erstdruck in mehreren Punkten ohne Kennzeichnung verbessert, erhebt aber nach wie vor nicht den Anspruch einer eigenständigen Klärung der sprachhistorischen Details.] IA Bog de primi! 〈windisch IB Bis willenkum〈en〉! was dustu da? deutsch was tustu da? gramersi[ci] ty welsch an sorg vernumen sine cura. lateinisch dank ich dir ja. 3 Ich fraw mich zwar, deutsch 3 Ich fraw mich zwar, quod video te. lateinisch das ich dich sich. cum bon amor welsch mit lieb〈e〉 gar jassem toge. windisch dein so bin ich. 5 Dut mi sperancz welsch 5 Mein geding gancz na te strvoio, windisch der stat zu dir, wann du bist glancz deutsch wann du bist glancz cum gaudeo. lateinisch mit frewden zir. 7 Opera mea lateinisch 7 Zwar meine werkh ich dir halt deutsch ich dir doch halt na dobri si slusba windisch mit dinsten stark baß calt. welsch/windisch? vil manigvalt. II A
2
Kacu mores mich machen mat, chage sum preß? hoc me mirat. 3 Bedenk dein gnad et pietas! negam maluat nemen dilaß! 5 Ki ti cummand, en jaßem dyal, wo ichs bekant, ab omni mal.
windisch deutsch welsch lateinisch deutsch lateinisch welsch windisch welsch windisch deutsch lateinisch
II B
Wie magstu recht mat machen mich, dein gefangen knecht? des wundert mich. 3 Bedenck dein genad mit guttikait! in kainem phad thu mir nit lait! 5 Was du verpant, das thet ich gern, wo ich〈s〉 bekant, an ubel kern.
Werner Marold, Kommentar zu den Liedern Oswalds von Wolkenstein, Diss. (masch.) Göttingen 1927; benutzt habe ich das Exemplar des Instituts für deutsche Sprache und Literatur der Deutschen Akademie der Wissenschaften Berlin. [Seither bearbeitet und hg. von Alan Robertshaw, Innsbruck 1995 (Innsbrucker Beitr. zur Kulturwiss. Germanist. Reihe 52), dort S. 277–281.] 3 [Angeregt durch unser Gespräch hat Jens Lüdtke die Benennungen der romanischen Sprachen bei Oswald untersucht: Oswald von Wolkenstein und die romanischen Sprachen, in: Logos semantikos. Fs. Eugenio Coseriu, Bd. 1, Berlin/ New York/ Madrid 1981, S. 303–312.] 4 [Heinrich Kuen, Rätoromanisches bei Oswald von Wolkenstein, in: Ladinia 3 (1979), S. 101–124.]
Sprachmischung bei Oswald von Wolkenstein
7 Hoc debes me genissen lan, troge moy G, cum bonwann an.
lateinisch deutsch windisch welsch
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7 Des lo mich, fraw, genissen zwar auff wol getrawn zu gutem jar.
III A
Io te prosso, windisch III B Dein gnad ich bit dein genad all da deutsch an argen list ge si grando welsch mit guttem sit[en], et optima. lateinisch wann dye groß ist: 3 Halt mich nit swer, deutsch 3 Halt mich nicht swer, hoc rogo te, lateinisch gedenck an mich, quo po〈s〉 penser welsch als ich an gever na te, troge. windisch gedenck an dich. 5 Flor well en piank, welsch 5 Plum schon und plank, pomag menne, windisch hilff mir auß pein, das ich dir dank deutsch damit ich dank cum fidele. lateinisch der trewe dein. 7 Non facis hoc, lateinisch 7 Tustus nit pald, so bin ich tod, deutsch so bin ich tod, sellennem t-lok windisch aus grünem wald sit tutel rot. welsch〉 var ich in not. I A, 4 avnor I B, 2 vsname¯ III A, 4 po pe¯sar WortII B, 8 getrewn¯ zu gutn¯ – zwischenraum unsicher, III B, 2 guttn a aus o oder e korrigiert Der Text ist hier aufgrund von Fotokopien der Handschrift nach folgenden Prinzipien eingerichtet: Abkürzungen sind aufgelöst, auch in den fremdsprachlichen Partien, wo sie gelegentlich schwer zu lesen, aber m. E. immer eindeutig sind. Worttrennung und -zusammenschreibung sind geregelt, nur Zusammenziehungen wie tustus = tust du’s oder jaßem = jaz sem wurden belassen. Im deutschen Text ist die u/v-Schreibung geregelt. Alle anderen Eingriffe sind nachgewiesen; [] = überliefert, aber zu tilgen, 〈 〉 = nicht überliefert, aber zu ergänzen. Selbstverständlich habe ich nur dort eingegriffen, wo ich einen Überlieferungsfehler vermute und ihn heilen zu können glaube, nicht aber bei Lautsubstitution bzw. abweichender Schreibkonvention und bei Sprachfehlern, die auf Oswalds Konto gehen könnten. Auch an Stellen, wo ich eine Überlieferungsstörung vermute, aber nicht sicher fixieren kann, habe ich nicht eingegriffen. In der Handschrift sind die Strophen fortlaufend geschrieben, wobei immer auf eine gemischtsprachige Strophe ihre deutsche Paraphrase folgt. Reimpunkte sind nicht ganz regelmäßig gesetzt. Ich habe, um Paralleldruck zu ermöglichen, die Verszeilen in der Zäsur gebrochen, aber nach der Anordnung von Klein gezählt. Kleine Irregularitäten der Versgestaltung werden unten kommentiert. Die Sprachbezeichnungen habe ich ergänzt. Dabei steht windisch entsprechend Oswalds Sprachgebrauch in Kl. 69 für slovenisch. Für romanische Partien habe ich einheitlich welsch gebraucht, obwohl in der Exposicio zu Kl. 69 zwischen franczoß und welsch unterschieden wird. Aber erstens wird nur so die fast vollständige Regelmäßigkeit der Sprachenfolge sichtbar, zweitens können die Sprachformen nicht immer auf eine bestimmte romanische Sprache festgelegt werden; so stehen in III A, 5a flor und piank in nächster Nachbarschaft. Lüdtke nimmt an, daß es sich überwiegend um einen oberitalienischen Dialekt handelt; die eindeutig französischen Stücke (z. B. IA, 2a) könnten dann damit erklärt werden, daß Französisch in der Variante des Franco-Veneto auch in Oberitalien Literatur- und Bildungssprache war. Kuen hält noch mehr Sprachformen für rätoromanisch als Marold und Lüdtke.
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I, 1a: p = pri ist eindeutig zu lesen. Marold: Wind. bog te sprimi = ›Grüß dich Gott!‹ – 2a: Marold: »sici ty wohl mit Doppelschreibung aus siti (c/t), oder ci ist Fehler aus a`. Franz. grand merc¸i a` tu (für toi)«. Kuen S. 113f.: a` ti könnte altost- und nordfranzösisch, aber auch lombardisch oder grödnisch sein. Daß im Vers eine Silbe überschüssig ist, spricht allerdings eher für Marolds erste Annahme einer Doppelschreibung. – 4a: avnor (oder aynor?) ist zweifellos Schreibfehler für amor (Lüdtke). – 4b: Marold: jaz sem tvoje ›ich bin deins‹. – 5a: Kuen S. 108 und 116: Dem Reim zuliebe verkürztes grödnisches duta mi speranza. – 5b: Marold: na te ›auf, zu dir‹. Zu strvoio erwägt Marold mehrere Erklärungen; Müller stellt es zu strojiti: ›Alle meine Hoffnung baue ich auf dich‹. – 6b: Ungenaues Latein, statt cum gaudio. – 7: Die Zäsur ist um eine Silbe verschoben. – 8: Die Zäsur ist um zwei Silben verschoben, Reimpunkt nach slusba. Marold hält 8a und b für windisch: na ›in‹; dober ›gut, stark‹ (dobri Pl.!); si ?; sluzvba ›Dienst‹; ba`sv ›gerade, just‹; kaˆjti ›viel‹. »Daß der Tiroler das j vor t [in kaˆjti] für ein l hören konnte, liegt auf der Hand«. Müller: si ist possessives Reflexivum: ›in meinen guten Diensten‹. Wenn auch 8b windisch wäre, wäre die Sprachenfolge gestört, zu erwarten ist in der letzten Halbzeile Welsch. Soll der Reimpunkt zugleich den Sprachenwechsel andeuten? Die Erklärung Planggs5 (baß calt = prov. bas chaut ›tief gefallen‹ mit Anspielung auf caut ›es liegt am Herzen‹) führt zu weit von Oswalds Paraphrase ab. Kuens Konjektur (S. 120) baß e alt erzeugt eine metrisch überschüssige Silbe, die wegen der irregulären Zäsur wohl eher durch Kürzung in der ersten Halbzeile hereinzubringen wäre. So bleibt Marolds Deutung als windisch erwägenswert. v II, 1a: Marold: kakoˆ ›wie‹; mores ›du kannst‹. – 2a: Marold: »Welsch? che io sono preso? Gröd. k’ı´e soŋ.« Kuen S. 115: chage für franz. cage ›Gefängnis‹. »Zu erwarten wäre [en] chage ›im Gefängnis (bin ich gefangen)‹.« – 3b: Die et-Abkürzung ist undeutlich, aber sicher genug. – 4a: Marold: »Welsch (franz.?) ne jam(ais) mal fait; gröd. melfa´t (Adj.) ›verpfuscht‹.« Kuen S. 117: negam verlesen aus negum ›kein‹ (provenzalisch, bündnerisch, nordlombardisch, padovanisch); malfat im Dolomitenladinischen auch als Substantiv ›Missetat‹. – 4b: Wind. Marold: ne` men’ ›nicht mir‹; dilaß zu de´lati ›tun‹. ˙ cumand; »Also: ›nie Böses nicht mir tue‹.« – 5a: Welsch. Marold: »Vgl. rätorom. que tü gröd. ke (ki) ti kuma´nt = was auch dein Befehl.« – Deutsche Paraphrase: verbinden ›verpflichten‹ hier mit ungewöhnlichem Akkusativ der Sache: ›wozu du mich verpflichtet hast‹; oder zu verbannen? – 5b: Wind. Marold: »on ›das da, gerade das‹, dejal Partizip zu dejati ›tun‹ (vgl. zu II, 4b delati, kroat. djelati).« Müller: jaßem vgl. zu I, 4b, hier Hilfs– verbum, also: ›ich habe getan‹. – 6b: Romanisiertes Latein: mal statt malo. – 7a: des = debes. – 8a: Wind. Marold: troge = drag (Kl. 69, 35) ›teuer, lieb‹? mo´j ›mein‹, g = G, d. h. ˙ aus dem deutschen Grete. Schütz (zitiert bei Kuen, S. 119) hält troge für ein Lehnwort trewe, Treue. – 8b: Welsch. Marold: grödnisch kum bonaman ›Neujahr‹. Kuen S. 122: Lautsubstitution für cum bon bon an ›mit einem sehr guten Jahr‹. v III, 1a: Marold: iaˆ (altslov. für jaz) ›ich‹. te ›dich‹ slaw. Form? proschu (serb.), procu (wend.), pro´sim (slov.) ›ich bitte‹. »Oder Welsch io te presso (ital.) ›ich bitte dich inständig‹?« – 2a: Marold: it. che ›daß‹; sia ›sei‹; grande ›groß‹. »Zu der Endung -o vgl. romauntsch granda. Kuen S. 116: mittelfranz. qu’est si grande ›denn sie ist so groß‹ »mit einer dem Reim zuliebe abgewandelten Endung«. – 4a: Marold ist unsicher, nimmt aber dann für das erste Wort Latein (quo ›wie weit‹), für das zweite Welsch an (it. propensare ›bedenken‹). Ich hatte in der ersten Fassung dieses Aufsatzes eine rein lateinische Deutung des ganzen Halbverses versucht. Das war sicher falsch, nicht nur, weil an dieser Stelle Welsch zu erwarten ist. Nach Kuen, S. 118, entspricht q o = quo einem ko ›wie‹, das, aus lat. quomodo entstanden, »nur in den bündnerischen und dolomitenladinischen Mundarten« vorkomme, nach Koch allerdings auch in südlicheren italienischen Dialekten be5
Plangg (wie Anm. 1), S. 63.
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legt ist. Beim zweiten Wort glaubt Kuen – m. E. möglich, aber nicht zwingend – vor dem zweiten p einen Wortzwischenraum zu sehen. Er konjiziert quo pos penser ›wie ich denken kann‹. Ohne Annahme eines Schreibversehens bleibt das Schriftbild unverständlich. Ich habe mich oben im Text dieser Deutung angeschlossen, ohne restlos überzeugt zu sein. 4b: Zu na te vgl. I, 5b, zu troge II 8a. – 5a: Marold: it. fiore bell(o) e bianco; romauntsch flur, bella, blauncha; friaulisch flor, bel, blanc. Kuen S. 119: »Das i von piank [. . .] läßt vermuten, daß der Halbvers von Oswald ›lampertisch‹ gemeint war. Aber in flor statt lombard. fior schlägt doch wieder das heimische *flowr durch.« well für bell: Einfluß bairischer Graphie? – 5b: Marold: vgl. sloven. pomagati ›helfen‹, mene ›mir‹. – 6b: Marold: »Welsch (Lat.?); ls. tu fidele ›du Treue‹? Oder cun fidelte(d), romauntsch ›mit Treue‹. Glatter wäre allerdings vielleicht (wenn auch nicht ganz zur Übersetzung stimmend) diese Stelle zur folg. Zeile zu ziehen: cum fidele non facis hoc ›wenn du dies nicht getreu tust‹.« Welsch ist wohl wegen der Sprachenordnung auszuschließen. Ohne Annahme eines Lateinfehlers wird man kaum auskommen; cum fidele = cum fide/fidelitate? – 8a: Marold: vgl. sloven. zele`n ›grün‹ (Endung von Dativ, Lokativ und Instrumentalis), loˆg = Wald. Müller: t’ = tu ›hier‹, also: ›hier im grünen Wald‹. – 8b: Marold: »Vgl. afrz. sui total rot (Part. Perf. von rompre neben rompu); romauntsch totel(a).« Das t in sit wäre dann als Annäherung an das folgende Wort zu erklären. Kuen, S. 122, bringt keine überzeugende Erklärung.
II Sprachmischung ist bei Oswald nicht auf die beiden Lieder Kl. 69 und 119 beschränkt. In kleinerem Umfang findet sich Fremdsprachliches auch in anderen Liedern. Die Forschung hat diesem Phänomen bisher vor allem aus sprachwissenschaftlichem Interesse oder aus dem Bemühen um genaueres Textverständnis heraus Aufmerksamkeit geschenkt. Auch der Zusammenhang mit Oswalds Reisen und mit seiner Behauptung, er habe unterwegs zehn Sprachen gesprochen (Kl. 18,21–23), wurde selbstverständlich gesehen. Die poetisch-kommunikative Funktion der Sprachmischung aber wurde nur selten und dann meist nur am Rande reflektiert. Als einziger ist Hans Moser etwas ausführlicher auf sie eingegangen.6 Die von ihm aufgezeigten Funktionen lassen sich zusammenfassen als 1. manieristischer Schmuck, 2. Nachahmung gehörter Rede als Mittel realistischer Darstellung und 3. Vergegenwärtigung der Laute als Mittel der Komik und der Satire. Die beiden letzten Funktionen rückt Š Moser dann in Zusammenhang mit jener Seite von Oswalds Sprachkunst, um die es ihm in seiner Arbeit geht, nämlich Oswalds »Klangphantasie«. Moser hat in seinem knappen Überblick die wichtigsten Funktionen zweifellos schon angesprochen; doch
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Hans Moser, Durch Barbarei, Arabia. Zur Klangphantasie Oswalds von Wolkenstein, in: Johannes Erben und Eugen Thurnher (Hgg.), Germanistische Studien, Innsbruck 1969 (Innsbrucker Beitr. zur Kulturwiss. 15), S. 75–92 [wieder in: Oswald von Wolkenstein, hg. von Ulrich Müller, Darmstadt 1980 (Wege der Forschung 526), S. 186– 193].
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scheint mir, daß die Phänomene der Sprachmischung bei Oswald im einzelnen noch genauer und im ganzen noch umfassender und in weiteren Zusammenhängen interpretiert werden können. Wenn Oswalds Intentionen und Verfahrensweisen richtig eingeschätzt werden sollen, lassen sich Ausblicke auf die mittelalterlichen Traditionen poetischer Sprachmischung nicht umgehen. Bei diesen handelt es sich zwar ganz überwiegend um die Kombination von Latein und Volkssprache, während Oswald meist verschiedene Volkssprachen verbindet. Aber auch über die Feststellung dieses wichtigen Unterschieds hinaus ist der Vergleich mit jenen Traditionen aufschlußreich. Leider fehlt es allerdings auch für sie an Untersuchungen, die den Aspekt der Funktion hinreichend berücksichtigen. Die Sammlungen von Hoffmann und Henrici7 sind in ihren Fragestellungen zu undifferenziert, einige neuere Arbeiten8 beschränken sich auf kleine Textcorpora. Am anregendsten scheinen mir einige Untersuchungen aus Nachbargebieten, so die Arbeit von Hess9 zur Zweisprachigkeit in der Satire des 16. Jahrhunderts und die Arbeiten von Zumthor10 zur Sprachmischung in mittelalterlichen Texten der Romania. Der anregende Charakter dieser benachbarten Arbeiten liegt freilich nicht zuletzt darin, daß die dort behandelten Texte und Traditionen in mancher Hinsicht von der sprachmischenden Dichtung des deutschen Mittelalters verschieden sind. Für die Arbeit von Hess liegt das auf der Hand: Trotz vielfältiger Kontinuitäten haben sich durch Humanismus und Reformation nicht nur die Themen und Ziele satirischer Dichtung Š verändert, sondern es ist auch die Auseinandersetzung zwischen Latein und Volkssprache in ein neues Stadium getreten, und das hatte selbstverständlich Rückwirkungen auf Technik und Stellenwert zweisprachiger Dichtung. Aber auch die sehr viel näher verwandte mittelalterliche Mischpoesie der romanischen Länder kann nicht völlig parallelisiert werden. Denn erstens ist in der Romania der Abstand zwischen Latein und Volkssprache geringer, Zum7
A[ugust] H[einrich] Hoffmann von Fallersleben, In dulci iubilo, Hannover 21861, als Anhang zu: ders., Geschichte des deutschen Kirchenliedes, Hannover 31861; Emil Henrici, Sprachmischung in älterer Dichtung Deutschlands, Berlin 1913; ders., Barbarolexis. Sprachmischung in älteren Schriften Deutschlands, Berlin 1914. 8 Bruce Allan Beatie, Macaronic poetry in the Carmina Burana, in: Vivarium 5 (1967) S. 16–24; Kurt Gärtner, Zechparodien auf den Invitatoriumspsalm (Psalm 94), in: Wolfgang Harms und L. Peter Johnson (Hgg.), Deutsche Literatur des späten Mittelalters. Hamburger Colloquium 1973, Berlin 1975, S. 164–186. 9 Günther Hess, Deutsch-lateinische Narrenzunft, München 1971 (MTU 41). 10 Paul Zumthor, Un proble`me d’esthe´tique me´die´vale: l’utilisation poe´tique du bilinguisme, in: Moyen Age 66 (1960) S. 301–336, 561–594; eine Zusammenfassung in: Paul Zumthor, Langue et techniques poe´tiques a l’e´poque romane, Paris 1963 (Bibl. franc¸. et romane C IV), S. 82–111. Auf die Romania beschränkt sich auch Wolf-Dieter Lange, Stilmanier und Parodie. Zum Wandel der mehrsprachigen Dichtung des Mittelalters, in: Fs. Karl Langosch, Darmstadt 1973, S. 398–416. Die Mischdichtung Englands (keineswegs nur die geistliche, wie der Titel suggeriert) untersucht William O. Wehrle, The macaronic hymn tradition in medieval English literature, The Catholic Univ. of America Diss., Washington D. C. 1933.
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thor spricht sogar davon, daß es sich mehr um verschiedene »registres« als um verschiedene »syste`mes« handle,11 was man von der Kombination von Latein und Deutsch gewiß nicht sagen könnte. Zweitens haben sich in der Romania einige Typen von zwei- und mehrsprachiger Dichtung entwickelt, die in Deutschland nicht Fuß gefaßt haben. Hier wäre vor allem auf die simultane Mehrsprachigkeit der französischen mehrstimmigen Motettenkunst zu verweisen. Nur ein Einzelfall dürfte die Verwendung eines deutschen Reimpaars in der Motette ›Homo miserabilis‹ sein, Werk eines (vielleicht deutschen) Meisters der französischen Ars antiqua des 13. Jahrhunderts,12 deren Tenor lautet Brumans est mors, Brumas ist tod, owe der not. Sonst scheint die Ausstrahlung dieser Art von Sprachenmontage zumindest sehr beschränkt geblieben zu sein. Der Mönch von Salzburg und Oswald von Wolkenstein jedenfalls kennen zwar die Möglichkeit, verschiedenen Stimmen verschiedene Texte zu geben, nutzen sie aber nur für Dialogrollen der gleichen Sprache. Und die spätere scherzhafte Sprach- und Musikmontage der Quodlibets hat sicher keinen direkten Zusammenhang mehr mit der frühen Motettenkunst.13 Unabhängig von Fragen des Einflusses kann jedoch die Sonderform der Motette auch dem Germanisten den Blick schärfen für nicht-realistische und nicht-satirische Möglichkeiten der künstlerischen Montage verschiedener Sprachen im Mittelalter. Des öfteren hat Fremdsprachliches bei Oswald mimetische Funktion: es dient der (teil-)realistischen Darstellung einer Person oder Situation. Kürzere Reden können in der Fremdsprache zitiert werden, so Kl. 18,36 der entscheidende Satz der Königin von Aragon, der das Festbinden eines Š Rings im Bart begleitet: non maiplus disligaides. Die direkte Wiedergabe der Rede betont (wie die Darstellung im Ganzen) den exotischen Charakter der Szene; der Inhalt des Satzes ist demgegenüber weniger wichtig. Hierher gehört auch das viegga waniadat der prügelnden ›Ungarn‹ in Kl. 102, 65: als realistisches Detail trägt es zur Geschlossenheit der fiktiven Erzählung bei. Selbst wenn man das Lied mit Müller14 11
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Zumthor, Moyen Age 66 (wie Anm. 10), S. 301; im deutschen Raum wäre damit allenfalls eine Kombination von Hochdeutsch und Niederdeutsch zu vergleichen – selbstverständlich nur hinsichtlich der geringeren Distanz, nicht aber hinsichtlich der Funktionen. Günther Birkner, Zur Motette über ›Brumans est mors‹, in: Archiv für Musikwiss. 10 (1953), S. 71–80; Heinrich Besseler, Franco von Köln, in: MGG, Bd. 4, 1955, Sp. 688– 698, hier 696f. Vgl. Kurt Gudewill, Quodlibet, in: MGG, Bd. 10, 1962, Sp. 1822–1832; die Tradition setzt in Deutschland ein mit drei Sätzen des um 1480 geschriebenen Glogauer Liederbuchs (hg. von Heribert Ringmann und Joseph Klapper, Bd. I, Kassel/Basel 1954, Nr. 66–68), in denen jeweils der Diskant aus dem italienischen Chanson Dunstables ›O rosa bella‹, der Tenor aus musikalisch-textlichen Zitaten aus verschiedenen deutschen Liedern und der Contratenor aus einer freien, wohl instrumental besetzten Stimme besteht. Ulrich Müller, »Dichtung« und »Wahrheit« in den Liedern Oswalds von Wolkenstein. Die autobiographischen Lieder von den Reisen, Göppingen 1968 (GAG 1), S. 67.
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geradezu als »Schwank-Fassung der 1. Gefangenschaft Oswalds« und das Wort Ungern als bloßes Schimpfwort für die Partei der Hausmannin deutete (eine m. E. etwas zu direkt biographische Allegorese), so würden die Grobiane durch den fremdsprachlichen Brocken doch wenigstens im Sinn einer Fiktion zu ›wirklichen‹ Ungarn. Solche kurzen Zitate direkter Reden in der Fremdsprache haben in historischer und fiktiver Erzählliteratur ihre feste Tradition. Häufig verdichtet sich in einem solchen Zitat eine umfassendere Situation, man denke nur an das »Eli, Eli« im biblischen Passionsbericht oder an die Erzählung von den Straßburger Eiden. Auch der mittelhochdeutschen Literatur ist die Erscheinung nicht fremd; ich nenne nur ein Beispiel bei Ulrich von Liechtenstein, weil dort derselbe slovenische Willkommensgruß zitiert wird, mit dem Kl. 119 beginnt: Der Herzog von Kärnten, der dort, wo es auf den Inhalt seiner Worte ankommt, deutsch redend dargestellt ist, begrüßt das als Frau Venus verkleidete Ich in Kärnten mit den Worten: Buge waz primi, gralva Venus ›Gott euch empfange, königliche Venus‹. Verwandt mit dieser Art realistischer Fremdspracheneinmischung ist die Charakterisierung einer (fiktiven) Person durch ihre Sprache. Schatz15 hat für eine ganze Reihe von Stellen bei Oswald charakterisierende Dialekteinfärbung vermutet, insbesondere für die Reden der um Liebe werbenden Bauern in Kl. 79 und 82. Nun wissen wir von der gesprochenen Mundart der Zeit im Grunde außerordentlich wenig. Bei der Variabilität der in den Oswaldhandschriften vertretenen oberdeutschen Schreibkonventionen darf nicht jede graphische Variante, die zufällig zu ›passen‹ scheint, als absichtliche Nachahmung grobmundartlicher Lautung gedeutet werden. Und auch auf der Ebene der Wortbildung und Lexik erlaubt sich Oswald in vielerlei Kontexten die verschiedenartigsten Normabweichungen, ohne daß gleich an mimetische Absichten gedacht werden dürfte. Bei der Beurteilung der Beobachtungen von Schatz scheint mir daher Skepsis geboten. Für überzeugend halte ich seine Hinweise nur bei einem einzigen Lied, bei Kl. 82. Dort allerdings häufen sich die graphisch-lautŠlichen und lexikalischen Normabweichungen in auffälliger Weise in den Reden des bäurischen Mannes, während die Reden des Mädchens, das ihn abblitzen läßt, frei davon zu sein scheinen.16 Da die Männerrolle auch inhaltlich als ungeschlacht dargestellt wird, ist hier an einer Charakterisierung durch ein niedriges sprachliches Register nicht zu zweifeln. Möglicherweise reicht diese sogar bis ins Formale: Schatz hat darauf hingewiesen, daß in den Männerreden auffallend viele zwei- und 15
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Josef Schatz, Sprache und Wortschatz der Gedichte Oswalds von Wolkenstein, Wien/ Leipzig 1930 (Akad. d. Wiss. Wien, Phil.-hist. Kl., Denkschriften 69,2), S. 5. Schatz glaubt auch in den Reden des Mädchens einzelne Dialektismen zu erkennen und deutet sie als Spott. Mir schiene Häufung von Mundartelementen bei beiden Rollen eher ein Argument gegen sprachliche Charakterisierung, da dann zwischen der Sprache der Rollen und der Sprache des Autors bzw. der Überlieferung nicht sicher zu unterscheiden ist. Doch halte ich die Belege, die Schatz aus den Mädchenreden anführt, nicht für überzeugend.
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mehrsilbige Senkungen vorkommen, während die Mädchenreden regelmäßig alternieren. Allerdings beschränken sich die rhythmischen Unregelmäßigkeiten jeweils auf den ersten Stollen der drei Strophen, so daß auch andere Gründe denkbar sind. Im Dialog dieses Liedes stehen sich also zwei verschiedene ›Register‹ als Rollencharakterisierungen gegenüber; die Repeticio aber, die man sich dem abwesenden hübschen knaben aus Kastelruth oder auch dem Dichtersänger selbst in den Mund gelegt denken mag, bietet ein drittes Sprachstil-Register: klangspielerische Häufung von Adjektiven der Freude, Adjektiven ohne genau definierbare Bedeutung und Jauchzwörtern; Wortgeklingel zum Ausdruck freudiger Liebesgewißheit. Die Charakterisierung einer Person durch Stilniveau und landschaftliche Besonderheit ihrer Sprache ist in der mittelalterlichen Dichtung nicht ohne Parallelen. Frühestes Beispiel für die Nutzung landschaftlicher Sprachgegensätze ist vielleicht der altsächsische Gruß des Kaisers im ältesten lateinisch-deutschen Mischgedicht ›De Heinrico‹.17 Was Carl von Kraus18 als absichtliche Kunstlosigkeit in Frauenstrophen des Minnesangs zusammengestellt hat, wird man heute vielleicht skeptisch beurteilen. Und ob bei Neidhart und in der Neidhart-Tradition die – unleugbar vorhandenen – Sprachniveauunterschiede wirklich zur Charakterisierung von Sprecherrollen benutzt sind,19 möchte ich vorerst noch bezweifeln. Wohl aber dient bei Neidhart der Hinweis auf die affektiert vornehme Sprechweise des Flämelns zur Charakterisierung eines Dörpers. In direkter Rede vorgeführt wird das Flämeln dann im ›Helmbrecht‹, wo ein Herumwerfen mit Brocken verschiedener Prestige-Sprachen die AnŠmaßung des jungen Helmbrecht zeigt.20 Konsequente sprachliche Niveaukontrastierung zweier Rollen im Verlauf eines längeren Dialogs wie bei Kl. 82 kenne ich in Deutschland allerdings erst aus dem Spätmittelalter (z. B. im Spruchgedicht ›Salomon und Markolf‹,21 dort ohne Einbeziehung von Mundartgegensätzen). In der provenzalischen Dichtung aber ist Vergleichbares bei ähnlicher Thematik schon früh bezeugt, so in einem berühmten Lied des Raimbaut de Vaqueiras,22 in dem ein in feinstem Provenzalisch werbender Sänger von einer (wohlhabenden?) Genueserin eine Abfuhr in grober Genueser Mundart erfährt (wobei der Sprachgegensatz wohl zugleich die Dame als ungebildet und von niedrigem Stand und den Wer17
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Willy Sanders, Imperator ore iucundo saxonizans. Die altsächsischen Begrüßungsworte des Kaisers Otto in ›De Heinrico‹, in: ZfdA 98 (1969), S. 13–28; vgl. auch unten S. 273. Carl von Kraus, Walther von der Vogelweide. Untersuchungen, Berlin/Leipzig 1935, S. 441–443. So Ulrich Gaier, Satire, Tübingen 1967, S. 17f. Zum Flämeln unter sprachgeschichtlichem Aspekt Edmund Wießner, Höfisches Rittertum, in: Friedrich Maurer und Fritz Stroh (Hgg.), Deutsche Wortgeschichte, Bd. I, Berlin 1959, S. 149–203, 157–167. Walter Hartmann (Hg.), Salomon und Markolf. Das Spruchgedicht, Halle 1934. Joseph Linskill (Hg.), The poems of the troubadour Raimbaut de Vaqueiras, The Hague 1964, Nr. III.
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benden als armen Schlucker mit vornehmem Getue entlarven soll). Ob Lieder dieses Typus Oswald bekannt sein konnten, wäre zu prüfen. Sicherer feststellbar als der Kontrast zwischen oberdeutscher Literatursprache und oberdeutscher Bauernmundart ist die Einmischung niederdeutsch-niederländischer Elemente ins Oberdeutsche: Dieses ›Flämeln‹ zeigt sich bei Oswald am deutlichsten in den beiden vollständigen pseudo-flämischen Liedern Kl. 90 (Fassung von Handschrift A) und Kl. 96. Deren Mischsprache ist zwar nicht Sprachmischung in dem hier gemeinten Sinn kontrastierender Montage. Ob Einheitlichkeit des fremden Idioms angestrebt, aber mangels genauerer Kenntnis nicht erreicht ist oder ob von vornherein nur eine nicht vollständige Einfärbung beabsichtigt war, wird sich kaum entscheiden lassen. Die Übergänge sind jedenfalls gleitend. Immerhin ist diese sprachliche Verfremdung in ihrer Wirkung auf das Publikum mit der Sprachmischung vergleichbar. Mimetische Absichten sind bei dem Liebeslied Kl. 96, einem Liebesdialog, nicht zu erkennen; bei Kl. 90 erscheinen sie in raffinierter Brechung: der Wunschtraum des älter werdenden Mannes nach seiner früheren Rolle als jugendlicher Pilger, der gerade unter dem Schutz der Pilgerkutte Erfolg bei den Frauen hatte, evoziert die Sprache eines flämischen Pilgers; da Oswald in der Zeit seiner eigenen Pilgerreise nach Jerusalem gewiß nicht gerade flämisch gesprochen hat, wird hier besonders deutlich, daß das Ich des Liedes eine angenommene Rolle ist, eine Rolle freilich, die zum biographischen Ich Oswalds hin offen ist (vgl. Kl. 18,54–62). Abgesehen von diesen beiden Liedern bleibt das Flämeln bei Oswald punktuell, und es ist fraglich, ob es zur Personencharakterisierung verwendet wird. Wenn z. B. in Kl. 64 ein vereinzelter mitteldeutsch-niederdeutscher Reim gerade in Š der (sonst durchaus oberdeutschen) Frauenstrophe vorkommt, könnte man an Vergleichbares bei Morungen (MF 131, 7) erinnern (von Carl von Kraus als kunstlose dialektgebundene Sprache der Frau interpretiert). Sicherheit wird hier aber ebensowenig zu erreichen sein wie bei Kl. 49, 9, wo das niederdeutsche upp wohl dem Wächter (oder dem den Wächter zitierenden Mädchen?) in den Mund gelegt ist. Dagegen ist der niederdeutsche Reim in Kl. 91, 62 ganz sicher nur poetische Lizenz. Die pseudoflämische Einfärbung des Schlusses von Kl. 42 schließlich hat Wolfgang Mohr so gedeutet: »Das Lied gehört offenbar zu den poetischen ›Ansichtskartengrüßen‹, die der Weitgereiste aus der Fremde geschickt hat, oder es fingiert zum mindesten den Gruß ›aus der Fremde‹.«23 Damit aber sind wir bereits bei einem weiteren Typ schildernder Sprachmischung, bei der Verwendung sprachlichen »Lokalkolorits«24 auch außerhalb der direkten Wiedergabe von Reden. Auch diese Technik ist in der deutschen Liedgeschichte nicht ganz ohne Vorbilder: Tannhäuser und Marner kennen sie 23
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Wolfgang Mohr, Die Natur im mittelalterlichen Liede, in: Fs. Werner Kohlschmidt, Bern 1969, S. 45–63, hier 49 f. Der Ausdruck stammt von Wolfgang Mohr, Tannhusers Kreuzlied, in: DVjs 34 (1960), S. 338–355, hier 350, und wurde von Ulrich Müller (wie Anm. 14), S. 115 und 210, auf Oswald übertragen.
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schon.25 Oswald verwendet sie häufiger und mit größerer Intensität: In Kl. 103 deuten italienische Brocken die lombardische Umgebung an, eine niederdeutsche Phrase die Sprache eines Jülichers, der sich mit Oswald im kaiserlichen Quartier aufhielt:26 dabei sind aber, wenn ich das Gedicht recht verstehe, die Sprecher nicht direkt nachgeahmt, sondern das Niederdeutsche erscheint in der Anrede an den Jülicher, das Italienische im Munde des Jülichers und in der Rede des Dichters. Ähnlich wird in Kl. 86 die sprachliche Atmosphäre am Heidelberger Hof durch eine französische Beteuerung und durch Häufung der Diminutiva auf -chin angedeutet, ohne daß direkte Rede erscheint. Den Höhepunkt der Verwendung sprachlichen Lokalkolorits stellt Kl. 17 dar.27 In der zweiten und dritten Strophe dieses Lieds erreicht die Sprachmischung ein Ausmaß, das mit Kl. 69 und 119 durchaus vergleichbar ist; zumindest der nicht see-erfahrene Teil des Publikums dürfte in ähnlicher Weise wie bei jenen Liedern zunächst verwirrt worden sein, bis eine Erläuterung die Sprachrätsel auflöste. Im übrigen aber ist die Funktion Š der Sprachmischung in Kl. 17 anders, weil ganz deutlich die Sprachsituation auf einem Mittelmeerschiff nachgeahmt wird, während Kl. 69 und 119 offenbar keine konkrete Situation anvisieren. Daß allerdings dann die Windnamen in der abstrakten Ordnung der Windrose vorkommen, zeigt, wie nahe sich Darstellung des Lokalkolorits und »Bildungsmontage«28 stehen. Und daß das ganze Kauderwelsch und die ganze Belehrung des morners ausgerechnet der zurückbleibenden Geliebten in den Mund gelegt werden, macht deutlich, wie weit von einer durchgehend realistischen Darstellungsweise das Lied entfernt ist. Nur einzelne Bruchstücke der Realität werden zusammenmontiert, und dazu gehören auch sprachliche Bruchstücke; der Rahmen aber ist anders bestimmt – ob auch hier (wie bei Tannhäuser) allegorisch im Sinne der Seefahrt als Lebensreise29 oder mehr im Sinne eines fast beliebigen ›Aufhängers‹, der das Sprachspiel um des Sprachspiels willen ermöglicht, das möchte ich dahingestellt sein lassen. Sprachmischung im Dienste ›realistischer‹ Schilderung von Personen und Situationen ist im Mittelalter nicht ohne Vorbilder, doch scheint Oswald diese Technik ungewöhnlich oft und ungewöhnlich intensiv anzuwenden. Unter einem allgemeineren Aspekt aber ist sein Verfahren doch typisch mittelalterlich: Die teilrealistische Darstellungsweise, der dies Verfahren zugeordnet werden kann, 25
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Vgl. Mohr (wie Anm. 23); Philipp Strauch (Hg.), Der Marner, Straßburg/London 1876, Strophe XI, 2. Vgl. Norbert Mayr, Die Reiselieder und Reisen Oswalds von Wolkenstein, Innsbruck 1961 (Schlern-Schriften 215), S. 107–110. Zur Erklärung dieses Liedes s. Emil Öhmann, Zum sprachlichen Einfluß Italiens auf Deutschland II, in: Neuphil. Mitt. 41 (1940), S. 145–156; Mayr (wie Anm. 26), S. 52– 57; Walter Röll, Zur Lingua franca, in: ZfrPh 83 (1967), S. 306–313; ders., Oswald von Wolkenstein und Graf Peter von Arberg, in: ZfdA 97 (1968), S. 219–234; Müller (wie Anm. 14), S. 114–118; Hans-Peter Treichler, Studien zu den Tageliedern Oswalds von Wolkenstein, Diss. Zürich 1968, S. 75 f.; Moser (wie Anm. 6), S. 77f. Mohr (wie Anm. 23), S. 350. Vgl. Müller (wie Anm. 14), S. 116.
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ist vor allem im Spätmittelalter sehr weit verbreitet. Die Überdeutlichkeit in der Darstellung von Details verfolgt nicht selten parodistische, satirische oder burleske Ziele. Auch bei Oswald schwingt in den angeführten Fällen sprachlicher Imitation fast immer ein Ton von komischer Übertreibung oder parodistischer Distanzierung mit. Überblickt man, soweit das nach dem gegenwärtigen Forschungsstand möglich ist, die Traditionen sprachmischender Dichtung im deutschen Mittelalter – die Prosa und das Drama sollen hier beiseite bleiben –, so ist realistisch nachahmende Zielsetzung eher eine Randerscheinung. Rein quantitativ dürfte das sporadische Integrieren fremdsprachlicher, meist lateinischer Wörter und Phrasen als gelehrter Aufputz von Stil und Inhalt an der Spitze stehen. Oswald ist dieses Verfahren nicht fremd. Abgesehen von einigen wenigen für ihn typischen Themen (Länderkataloge, Windnamen und musikalische Fachterminologie) ist er jedoch im Vergleich mit anderen Autoren seiner Zeit sehr zurückhaltend. Es kommt wohl auch einmal ohne inhaltliche Motivierung der Fremdsprache ein lateinisches Wort als Reim- oder Schmuckwort vor: animal und dies im Tagelied (Kl. 20, 60. 85), unitas und altissimus im geistlichen Lied (Kl. Š 13, 1; 29, 13). Und wenn sich in einem Schönheitspreis die Fremdwörter häufen (creatur, figur, mensur, krumliert, form, simulieren, regnieren, pulchrieren in Kl. 120), dürfte das durchaus stilistische Absicht sein,30 Sprachmischung ist es freilich kaum zu nennen. In der Regel sind eindeutig fremdsprachliche Partien inhaltlich motiviert als Zitate (in der Passionsdarstellung Kl. 111,155) oder als Anklänge (an den klösterlichen Gebetsritus im Tischsegen Kl. 14 und 15).31 Auch parodistische Zitate kommen vor: In Kl. 104, einem noch nicht vollständig erklärbaren Lied über persönlich-politische Querelen, ist das Bibelzitat Noli me tangere gewiß gewählt, weil ein geistlicher Herr (Üli = Bischof Ulrich von Brixen) gemeint ist.32 Schwer zu deuten sind die wenigen lateinischen Brocken am Ende von Kl. 54, einem Genrebild von bäurischer Ausgelassenheit bei Wein und niederer Liebe. Wenn die fraue, vom gäggel mit Hainz in ihrem Liebeshunger noch nicht gestillt, ruft ›so kom, Jäckline, trauter socie, ler mich das ABC und tü mir doch nicht we‹, so ist der Anklang ans Latein wohl zu verstehen als formale Entsprechung zur Metapher von der Minneschule. Das folgende ite, venite, das das Lied abschließt, bringt dann sprachlich eine weitere Verselbständigung des Schul- und Klerikerlatein, inhaltlich eine groteske Steigerung des raschen Liebhaberwechsels. Vielleicht aber klingen darüber hinaus noch spezifische Gebrauchszusam30 31
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Vgl. Moser (wie Anm. 6), S. 76f. Vgl. Franz Viktor Spechtler, Beiträge zum deutschen geistlichen Lied des Mittelalters II: Oswald von Wolkenstein, in: Egon Kühebacher (Hg.), Oswald von Wolkenstein. Beiträge der philologisch-musikwiss. Tagung in Neustift bei Brixen 1973, Innsbruck 1974, S. 272–284, hier 279–283. Vgl. Ulrich Müller, Oswald von Wolkenstein. Die ›Heimatlieder‹ über die Tiroler Streitereien (Kl. 81, Kl. 104, Kl. 116), in: ZfdPh 87 (1968), Sonderheft, S. 222–234.
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menhänge dieser Worte an: das Ende der Messe und der Anfang des Invitatoriumspsalms, der am Anfang der Matutin steht. Die Kette der Liebesakte wäre dann parodistisch auf die Kette der gottesdienstlichen Akte bezogen – Andeutung einer satirischen Distanzierung von dem Schluß der Genreszene, in die sich der Erzähler am Anfang noch im ›wir‹ mit eingeschlossen hatte. Die im Spätmittelalter verbreiteten zweisprachigen Parodien auf den Invitatoriumspsalm33 lassen mir diesen Gedanken nicht ganz abwegig erscheinen. In jedem Fall scheint mir das Lied Kl. 54 am Schluß in eine Atmosphäre zu führen, die dem einen Hauptstrang systematisch zweisprachiger Lieddichtung nahe steht: Mindestens seit den Carmina Burana gibt es nämlich eine deutliche Präferenz der weltlichen zweisprachigen Dichtung für Pastourellen, niedere Liebe und Zechthematik.34 Das läßt sich vielleicht von daher verstehen, daß die Volkssprache Š im Vergleich mit der Heiligkeit und literarischen Glätte des Latein auch sonst häufig Drastik und Emotionalität bedeutete, was sich an vielen Beispielen zeigen ließe von der lateinischen Erzählung Ekkehards IV., wie der von Notker geprügelte Teufel in Hundsgestalt schließlich verschwindet und barbarice clamans Au we! Mir we! vociferavit,35 bis zu den Tischreden Luthers.36 Der systematische Wechsel zwischen den Sprachen bot sich daher vor allem für ›niedere‹ Themen und zur Erzielung komischer oder satirischer Effekte an. Je nach Technik der Mischung und je nach Inhalt der Dichtungen konnte die Drastik moduliert werden: in den Pastourellen der Carmina Burana ist sie gedämpft durch eine gewisse Affinität zu jenen ernsten Liebesliedern, in denen ein volkssprachlicher Refrain mehr den ›cri du cœur‹37 ausdrückt; in den parodistisch-obszönen Liedern des Spätmittelalters und in den Zechliedern dagegen wuchern Satire und grobianische Burleske. Trotz solcher Ausdifferenzierungen scheint mir ein gemeinsamer ›Ton‹ bei den Mischliedern der Liebes- und Trink-Thematik unverkennbar, und es ist mit einer zweifellos vorwiegend von Studenten und Scholaren getragenen Kontinuität der literarischen Tradition zu rechnen. Oswald dürfte Beispiele dieser Tradition gekannt haben. Der Schluß von Kl. 54 scheint mir geradezu so etwas wie ein Zitat dieser Tradition, dieses ›Tones‹ zu sein. Für Oswalds Zurückhaltung gegenüber allem Gelehrten ist es freilich bezeichnend, daß er nicht einfach ein ganzes Gedicht in dieser Scholarenmanier versucht hat.
33 34
35
36
37
Vgl. Gärtner (wie Anm. 8). Vgl. Beatie (wie Anm. 8). Auch das Fragment ›Kleriker und Nonne‹ aus den ›Cambridger Liedern‹ scheint in diesen Themenkreis zu gehören. Ekkehardi IV. casus S. Galli, in: MGH SS II, S. 98; von Max Wehrli, Formen mittelalterlicher Erzählung, Zürich/Freiburg i. Br. 1969, S. 14 in den Zusammenhang der Lehre von den drei heiligen Sprachen gestellt. Vgl. Birgit Stolt, Die Sprachmischung in Luthers Tischreden, Stockholm 1964 (Acta Univ. Stockholmiensis, Stockholmer Germanistische Forschungen 4), S. 175 und 241– 243; vgl. Hess (wie Anm. 9), S. 187f. Zumthor, Moyen Age 66 (wie Anm. 10), S. 1.
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Von dem anderen Hauptstrang lateinisch-deutscher Mischpoesie im Mittelalter findet sich bei Oswald keine Spur. Dennoch sei er kurz beleuchtet, weil an ihm die prinzipiellen Möglichkeiten mittelalterlicher Mischdichtung nochmals deutlicher werden. Es handelt sich um die lateinisch-deutschen geistlichen Lieder. Die größte Gruppe unter ihnen bilden die Glossenlieder. In ihnen wird ein vorgegebener lateinischer Text, sehr häufig das ›Ave Maria‹ oder ein anderer bekannter Text der Marienverehrung, Stück für Stück zitiert und dann deutsch paraphrasiert und meditativ-preisend erweitert und umspielt. Daneben gibt es frei montierte geistliche Lieder wie das berühmte ›In dulci iubilo‹, die ohne Anlehnung an einen vorgegebenen Text regelmäßig zwischen Latein und Deutsch wechseln. Die Übergänge zwischen beiden Typen sind fließend. Eine besonders kunstvolle Montage, die dem Glossenlied nahesteht, ist etwa ein Lied Heinrich Laufenbergs, in dem jede Strophe mit Š dem Anfangsvers eines anderen lateinischen Hymnus beginnt.38 Es ist auffällig, daß unter den Glossenliedern der Marienpreis, unter den ohne Textanlehnung montierten Mischliedern die Weihnachtsthematik deutlich überwiegt. Offenbar war die poetische Sprachmischung diesen Frömmigkeitsbereichen angemessener als etwa dem Paternoster, den Sakramenten oder der Passion, vermutlich weil ihr leicht etwas Literarisch-Verspieltes anhaftete. Dennoch wird man den Liedern eine ernsthafte Frömmigkeit, ja der Form der Sprachmischung selbst einen geistlichen Sinn nicht völlig absprechen dürfen. Bei den Glossenliedern ist die Analogie zur wissenschaftlicherbaulichen Glossierungs- und Kommentierungspraxis unverkennbar. Da fast immer sehr bekannte und keineswegs besonders schwierige lateinische Texte zum Ausgangspunkt gewählt sind, zielt die Verwendung der Volkssprache offenbar weniger auf Erläuterung als auf emotionale und meditative Aneignung des starren offiziellen lateinischen Textes. Die Lieder vom Typus ›In dulci iubilo‹ aber haben zwar vermutlich die gemischtsprachige Gebets- und Andachtspraxis in Nonnengebetbüchern als Hintergrund, die ebenfalls aus der Spannung von liturgischer Relevanz des Latein und emotionaler Durchdringung durch die Volkssprache zu verstehen ist.39 In ihrer Gestaltungsweise aber ist von dieser spezifischen Spannung nicht viel zu merken. So möchte ich die Vermutung wagen, daß bei ihnen die Sprachmischung eher in Analogie zu einer anderen gemischtsprachigen Praxis, dem Alternatim-Gesang von Klerus und Gemeinde oder Schola an hohen Festen, zu verstehen ist: Die Sprachmischung würde dann die gemeinsame Festesfreude von Pfaffen und Laien symbolisieren. Mindestens in einem Fall möchte ich die Annahme, daß die Verschiedenheit der Sprachen nicht kontrastiv, sondern additiv für verschiedene als sprechend oder angesprochen gedachte Menschengruppen steht, mit Bestimmtheit aussprechen, und zwar bei dem einzigen systematisch vielsprachigen Gedicht, das mir neben den beiden Liedern 38
WK Nr. 777.
39
Vgl. Johannes Janota, Studien zu Funktion und Typus des deutschen geistlichen Liedes im Mittelalter, München 1968 (MTU 23), S. 123, Anm. 575.
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Oswalds (Kl. 69 und 119) aus dem deutschen Mittelalter bekannt ist: Das erste der um 1400 entstandenen Marienlieder des Bruder Hans40 ist ein Glossenlied auf das ›Ave Maria‹, dessen preisende Erweiterungen in strenger Regelmäßigkeit versweise zwischen Deutsch, Französisch, Englisch und Latein wechseln; diese Form soll offenbar symbolisieren, daß das Lob Mariens von allen Völkern gesungen wird. Solche ›symbolische‹ Sprachmischung scheint auch außerhalb der geistlichen Dichtung eine mittelalterliche Möglichkeit zu sein. Wieweit die Mehrsprachigkeit der Motetten so gedeutet werden kann, mögen Musikologen und Romanisten prüfen. Aus dem deutschen Sprachraum könnte man auf eine Klage über Schisma und Kaiserlosigkeit verweisen, in der der Sprachwechsel nicht nur Stilmittel der Schelte ist, sondern mit der Thematik zusammenhängt: die geistliche und die weltliche Spitze ist in Unordnung: Gens sine capite mac keinen raˆt geschaffen. Imperium vacat capite, soˆ haˆnt kein houpt die pfaffen.41
Ein weiteres Beispiel ist eine Schelte der knauserigen hohen Geistlichkeit in den Carmina Burana; dort mag die Sprachmischung das Hinausrufen der Schande ins ganze Land zu Pfaffen und Laien ›bedeuten‹, wenn auch die realen Adressaten Geistliche waren und ein Laie das Lied nicht hätte verstehen können. Audientes audiant: diu schande uert uber daz lant.42
Und nach einem mündlichen Deutungsvorschlag von Walter Haug wäre auch das älteste sprachmischende Gedicht Deutschlands so zu verstehen: In ›De Heinrico‹ könnte die Mischung von zwei verschiedenen deutschen Stammessprachen mit dem universalen Latein das Einbinden der partikularen Interessen in das universale Reich symbolisieren.
III Nach diesem Rundblick über Sprachmischung und Spracheinfärbung in der mittelalterlichen Lieddichtung und bei Oswald zurück zu den beiden vielsprachigen Liedern Kl. 69 und 119. Beide sind an Margarete von Schwangau gerichtet, die 1417 Oswalds Ehefrau wird: Kl. 69 spricht im Text Margaritha und Griet, in der Exposicio Gret ausdrücklich an. In Kl. 119 findet sich lediglich ein nicht ganz sicher lesbares g in einer windischen Zeile (II,8), die deutsche Paraphrase sagt nur frau; aber für das g gibt es wohl keine bessere Deutung als Gret. Da beide Lieder Sehnsuchtsklagen und Bitten um Erhörung des Liebeswerbens sind, datiert man sie allgemein auf die Zeit vor der Eheschließung, also auf 1416/17. 40 41 42
Michael S. Batts (Hg.), Bruder Hansens Marienlieder, Tübingen 1963 (ATB 58). Hoffmann (wie Anm. 7), Nr. 7. CB Nr. 218.
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Wir wissen zwar nicht, wie das primäre Publikum und die primäre Vortragssituation ausgesehen haben. Aber der Rezeptionsvorgang ist durch die Struktur der Lieder weitgehend festgelegt. Beim erstmaligen Š Vortrag müssen beide Lieder wenigstens teilweise als unverständliches Kauderwelsch gewirkt haben. Vom Inhalt dürften die meisten Zuhörer bestenfalls eine vage Vorstellung gewonnen haben, bei Kl. 69 durch so bekannte Ausdrücke wie amors und adiuva me vielleicht noch etwas leichter als bei Kl. 119. Das Prinzip der Sprachmischung aber dürfte schon nach wenigen Versen erkannt worden sein. Und selbst wenn jemand im Publikum alle benutzten Sprachen verstanden hätte – damals wie heute gewiß eine Ausnahme –, wäre seine Aufmerksamkeit doch vom Inhalt weg auf die Sprachform gelenkt worden. Erst in einem zweiten Durchgang, bei einer Erklärung nach Art der Exposicio von Kl. 69 oder beim Vortrag der deutschen Paraphrase im Fall von Kl. 119, konnte auch der Inhalt voll rezipiert werden, aber er wurde, da er sich als ganz konventionell erwies, zweifellos nur registriert; das Interesse galt vielmehr der Überprüfung, ob das Sprachenkunststück auch wirklich ›stimmt‹. Auf einer dritten Stufe des Verstehens hätte man feststellen können, daß die Technik der Sprachenmontage gewisse fast ornamentale Regelmäßigkeiten aufweist:43 In Kl. 69 kommen in jeder der sechs sechszeiligen Halbstrophen alle sieben Sprachen vor, und jede beginnt mit einer anderen der sechs Fremdsprachen. In Kl. 119 ist die Sprachenfolge noch strenger geregelt: Unter der Voraussetzung, daß alle romanischen Stücke als einer Sprache zugehörig betrachtet werden,44 läßt sich feststellen, daß alle drei Strophen die gleiche Sprachenfolge haben, wobei in jeder musikalischen Einheit alle vier Sprachen vorkommen, und zwar in jeweils verschiedener Anordnung, innerhalb der zweiten Strophenhälfte in genau spiegelbildlicher Folge. Zwei Ausnahmen von der geregelten Sprachenfolge (I,8 und III,4) sind möglicherweise nicht dem Autor, sondern der Überlieferung oder unserer mangelhaften Deutung des Überlieferten anzulasten. Einen ähnlichen gestuften Rezeptionsprozeß scheint auch das stark fremdsprachlich durchsetzte Lied Kl. 17 zu fordern.45 Des weiteren läßt sich die verbreitete spätmittelalterliche Tendenz zur artistischen Verdunklung der sprachlichen Oberfläche des Textes bei häufig sehr konventionellem Inhalt vergleichen. Von den Traditionen des geblümten Stils zeigt sich Oswald nur am Rande berührt. Charakteristischer für ihn sind z. B. Schlagreimhäufungen in Verbindung mit syntaktischen und flexivischen Verkürzungen. Durch solche Mittel wird z. B. in Kl. 93 und 94 eine Verdichtung des sprachlichen Materials erreicht, die diese Lieder im einzelnen stellenweise praktisch unverständlich macht – und zwar gewiß nicht nur für uns. Der Inhalt im allgemeinen aber – konventionelle Liebesthematik – und die Formalabsicht sind ohne weiteres rezipierbar. Und Š die partiellen Dunkelheiten sind – im Gegensatz zu denen moderner Lyrik – zwei43 44 45
Festgestellt von Marold (wie Anm. 2). Vgl. oben S. 261. Vgl. oben S. 269.
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fellos prinzipiell aufhellbar, auch wenn noch niemand eine befriedigende Erklärung des auch hier zu postulierenden »rationalen syntaktischen Verband[s]«46 gelungen ist. Auf das Spiel mit der vom abstrakten Merkzweck her bestimmten, in sich sinnlosen Sprachoberfläche in Oswalds Kalendergedichten möchte ich nur hinweisen.47 Doch noch einmal zurück zu unseren beiden mehrsprachigen Liedern. Im Gegensatz zur überwiegenden Zahl der mittelalterlichen Mischdichtungen ist die Sprachenmontage hier nicht ›vertikal‹ auf eine Spannung Latein−Volkssprache hin angelegt, sondern ›horizontal‹ auf das Nebeneinander vieler Sprachen. Vereinzelt hatte es Dreisprachigkeit auch schon im hohen Mittelalter gegeben,48 aber eine prinzipielle Gleichbehandlung mehrerer Volkssprachen und des Latein scheint doch erst in der gewandelten politischen und kulturellen Welt des Spätmittelalters möglich geworden zu sein.49 Das oben erwähnte Marienlied des Bruder Hans um 1400 ist das früheste mir bekannte Beispiel für die Montage von vier Sprachen, drei Nationalsprachen und Latein. Oswald geht also mit ebenfalls vier Sprachen in Kl. 119 und mit sieben in Kl. 69 besonders weit. Für ihn ist die Vielheit der Sprachen und Völker Erfahrung seiner Südtiroler Heimat und seiner Reisen, aber auch allerjüngster Eindruck vom Konstanzer Konzil, auf dem die Universalität der Kirche nur noch über die Institution der nationes angestrebt werden konnte. Vor diesem Hintergrund verdient der Refrain von Kl. 69 Aufmerksamkeit, in dem die Vielsprachigkeit sogar thematisiert wird: Teutsch, welchisch mach! franzoisch wach! ungrischen lach! brot windisch bach! flemming so krach! latein die sibend sprach.
Marold vermutet als Quelle dieses Katalogs ein Priamel, das dann eine deutlichere Pointierung des Schlusses gehabt haben müßte.50 Sollte etwa Š der Schluß gelautet haben latein die hailig sprach? Dann hätte Oswald sogar bewußt die Sonderstellung des Latein eliminiert. Oder war es – wenn man denn eine Quelle 46 47
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Mohr (wie Anm. 23), S. 47 zu den Schlagreimen von Kl. 42. Vgl. Wolfgang Kersken, Genner beschnaid. Die Kalendergedichte und der Neumondkalender des Oswald von Wolkenstein, Göppingen 1975 (GAG 161), S. 85–94. Carmina Burana, Nr. 195, 13a; 204. Es dürfte mit der besonderen Sprachensituation in England zusammenhängen, daß die ältesten Gedichte mit drei gleichberechtigten Sprachen von dort zu stammen scheinen. Wehrle (wie Anm. 10) führt mehrere Beispiele seit dem 14. Jahrhundert an, darunter auch Liebesgedichte (z. B. S. 54 und S. 119–121). Marold (wie Anm. 2), S. 320 [Druckausgabe S. 189] vergleicht das Priamel von dem idealen Mädchen, »dessen einzelne Körperteile aus verschiedenen Ländern sein müssen«. Als Schluß würde er »eher eine Wendung erwarten etwa des Inhalts ›so bist du ein tüchtiger Kerl‹«.
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annehmen möchte – ein Katalog über die Verwendbarkeit verschiedener Sprachen für verschiedene Aufgaben, wie wir ihn vielleicht als Zwischenglied zwischen dem Talmud51 und dem viel zitierten und oft variierten, zuerst Kaiser Karl V. zugeschriebenen Dictum52 annehmen dürfen, jenem Dictum, das dann Grillparzer so umformuliert:53 »Zum Singen ist die italienische Sprache. Etwas zu sagen, die deutsche. Darzustellen die griechische; zu reden die lateinische; zu schwatzen die französische, für Verliebte die spanische und für Grobiane die englische«. Wie auch immer eine Tradition hinter dem Katalog von Oswalds Refrain ausgesehen haben mag, Oswald ging es gewiß nicht um die Reflexion spezifischer »Sprachzugriffe« der Einzelsprachen und vermutlich auch nicht um irgendeinen Nationalitätenspott, der die Sprachen nur als Vehikel benutzt. Vielmehr dürfte es ihm darum gegangen sein, im Spiel der Sprachmischung, das der Refrain noch besonders thematisiert, sich selbst als welt- und spracherfahrenen Tausendsassa zu präsentieren. Denn die Mehrsprachigkeit der beiden Lieder ist offenbar weder mimetisch noch parodistisch-satirisch gemeint. Und ein symbolischer Bezug zwischen Sprachform und Kommunikationsabsicht läßt sich weder hinsichtlich der Thematik Liebeswerben noch hinsichtlich der Adressatin und eines intendierten Publikums plausibel machen, sondern nur im Sinne einer Selbststilisierung des sprechenden Ich: nicht die Idee eines kollektiven Wir verschiedener Stände (wie bei ›In dulci iubilo‹) oder verschiedener Völker (wie bei Bruder Hans) wird hier durch die MehrŠsprachigkeit angedeutet, sondern das individuelle Ich äußert sich als eine Summe von verschiedenen Sprachrollen, wie 51
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Nach dem Talmud gibt es – Varianten stehen in Klammern – »vier Sprachen, welche würdig sind, daß sich ihrer die Welt bedient, die griechische eignet sich zum Gesang, die römische zum Kriege (bisweilen auch: zur juristischen Darlegung), die syrische zur Elegie und Trauerklage (dafür steht anderwärts: zum Schreiben oder zum Handel), die hebräische zur Rede«. Zitiert nach Arno Borst, Der Turmbau von Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen und Völker, 4 in 6 Bdn., Stuttgart 1957–1963, hier I, S. 191. Die älteste Fassung der Anekdote findet sich 1601 bei Girolamo Fabrizi d’Aquapendente: Alius vero, qui Germanus erat, retulit, eundem Carolum Quintum dicere aliquando solitum esse; Si loqui cum Deo oporteret, se Hispanice locuturum, quod lingua Hispanorum gravitatem maiestatemque prae se ferat: si cum amicis Italice, quod Italorum dialectos familiaris sit: si cui blandiendum esset, Gallice; quod illorum lingua nihil blandius: si cui minandum aut asperius loquendum. Germanice; quod tota eorum lingua minax, aspera sit, ac vehemens. Zitiert nach Harald Weinrich, Anekdotisches zur spanischen Sprachgeschichte im Siglo de Oro; der Verfasser hat mir diese Arbeit, auf die Borst (wie Anm. 51), III/1, S. 1142, Anm. 144 verweist, freundlicherweise im Manuskript zur Verfügung gestellt [gedruckt in: Italic and Romance. Linguistic studies in honor of Ernst Pulgram, ed. by Herbert J. Izzo, Amsterdam 1980 (Amsterdam studies in the theory and history of linguistic science 18), S. 264–272]. Zur Tradition vgl. die bei Borst, IV, S. 1970, Anm. 270 verzeichneten Stellen; ferner Arno Borst, Wie sprach Kaiser Karl mit seinem Pferd?, in: Die Zeit 25. 11. 1966, S. 58. August Sauer (Hg.), Grillparzers Werke, 2. Abt. 8. Bd., Wien/Leipzig 1916, S. 148 (Tagebuch 1824, Nr. 1349); den Hinweis auf diese Stelle und damit auf die ganze Tradition verdanke ich stud. phil. Sabine Haussmann.
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es sich in dem wenig früher entstandenen Lied Kl. 18 als eine Summe von Lebensrollen geäußert hat. Ich bin mir dessen bewußt, daß damit den beiden inhaltlich bescheidenen Liedern mehr Sinn aufgebürdet ist, als dem Autor bewußt geworden sein dürfte. Aber die Untersuchung vermag, wie mir scheint, mit unserem heutigen Instrumentarium und aus der Distanz unserer heutigen Position heraus (die uns mehr überblicken läßt, als den Zeitgenossen bewußt werden konnte), auch an diesen Sprachspielereien jene Züge sichtbar zu machen, die in anderen Liedern eine uns vielleicht unmittelbarer ansprechende Gestalt gewonnen haben. Hier wie dort geben sie uns Zeugnis von Oswalds historischer Position und von seiner individuellen ›Ausformung‹ dieser Situation.
Herz prich rich sich Zur lyrischen Sprache Oswalds von Wolkenstein Das Lied Kl. 93, Gegenstand und Anlaß der folgenden Überlegungen, gehört gewiß nicht zu den bedeutendsten Dichtungen Oswalds von Wolkenstein, wohl aber zu seinen schwierigsten. Extrem schwierige Texte aber haben ihren eigenen Reiz, zumindest sind sie für den Philologen eine Herausforderung an seine Verständnismöglichkeiten. Ich möchte versuchen, für einige der Schwierigkeiten dieses Liedes Lösungsvorschläge anzubieten, und daran anknüpfend die Frage nach dem historischen Ort einer derart unzugänglichen Poesie stellen.
I In Oswalds Liedern gibt es viele schwierige Stellen, aber so weitgehend unverständlich wie dieses sind doch nur wenige Lieder. Worin liegt die besondere Schwierigkeit? Ich sehe sie in dem Zusammenwirken dreier Faktoren: der extremen Reimartistik, der dunklen Metaphorik und der syntaktischen Ambivalenz von Wortverbindungen. Die Technik der Schlagreime, hier verbunden mit Reimklanghäufung, hat im Minnesang und in der Liebeslieddichtung des Spätmittelalters1 Tradition. Sie allein aber zwingt noch nicht zur Dunkelheit. Man vergleiche Konrad von Würzburg, Lied 26: truˆt bruˆt, sich mich an! man haˆt raˆt daˆ swaˆ duˆ nuˆ bist. ... süeze, büeze truren, suˆren smerzen! herzen reine, cleine mache!
Konrad von Würzburg, der andere Texte durchaus mit schweren Sinnfiguren floriert, verzichtet hier unter den Extremforderungen einer Form, in der jede Silbe reimt, zum Teil völlig auf uneigentliches Sprechen, zum Teil beschränkt er sich auf ganz geläufige Metaphern. Die Wortfolge ist im ersten Zitat so natürlich, daß der Text geradezu eine gefällige Glätte erhält; im zweiten sind nur die Jahrbuch * der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 3 (1984/1985), S. 3–23. 1
Die Spruchdichtungstradition, der es mehr auf direkte Inhaltsvermittlung ankam, war gegenüber Schlagreimen sehr zurückhaltend. Erst nach Oswald wagt sich Michel Beheim mit seiner slecht guldin weise und seiner hohen guldin weise entschieden auf dieses Gebiet vor.
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üblichsten poetischen Lizenzen genutzt: Weglassen von und, Verzicht auf einen Artikel, Nachstellung des Verbs. Schwieriger ist ein Schlagreimlied Heinrichs von Mügeln (384–386): Des strebet, gebet lobes kleit: breit seit der frouwen wirdikeit. ir stür recht sam des louwen lut frut tut versorgen mannes mut ... Din güte blüte minne ticht. flicht nicht din gir in tumme schicht. wib, blünder salden hochstes zil, hil still din herze argen will . . .
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Hier zeigen sich Schwierigkeiten, die auch Oswalds Lied bietet, nur sind sie hier noch relativ leicht lösbar. Die syntaktischen Beziehungen sind nicht immer ganz sicher zu bestimmen: Ist blüte Subjekt oder Objekt? Genauer: ist blüte Subjekt, von dem güte als Genitiv abhängt, oder Subjekt parallel zu güte? Oder ist es Objekt parallel zu minne oder, wie Stackmann (Ausgabe, zur Stelle) vermutlich zurecht annimmt, Objekt, von dem minne als Genitiv abhängt? Aber wie immer man sich entscheidet, der Sinn des Satzes wird davon kaum tangiert: Die güte der Frau bewirkt minne – diese Aussage ist preisend verblümt. Schwierig ist auch die Metaphorik; aber sie konnte von den Zeitgenossen und kann, nachdem wir Š durch die Schule Stackmanns2 gegangen sind, von uns mindestens so weit entschlüsselt werden, daß wiederum die Aussage kaum fraglich ist. Wer aus dem ›Physiologus‹ die lebenspendenden Eigenschaften des Löwengebrülls kennt, versteht, was über die stür (die leitende Hilfe) der Frau gesagt wird; und in dem Vers flicht nicht din gir in tumme schicht ist zwar die Bildebene entweder gebrochen (wenn man schicht etwa im bergmännisch-geologischen Sinn versteht) oder verschwommen und blaß (wenn man schicht als ›Reihe‹, ›Art und Weise‹ oder auch ›Geschichte‹ auffaßt), aber die Sinnebene ist völlig eindeutig. Innerhalb von Oswalds Œuvre läßt sich Ähnliches beobachten. Es gibt Schlagreimverse, die hören sich fast so glatt und leicht an wie die Konrads von Würzburg, nur eben in Oswalds zu derberer Verspieltheit neigender Tonart (Kl. 42): Die schwammen stupfen, lupfen auß der erde herde. würmli türmli wachen, 2
Karl Stackmann, Der Spruchdichter Heinrich von Mügeln. Vorstudien zur Erkenntnis seiner Individualität, Heidelberg 1958 (Probleme der Dichtung 3). Diese Arbeit stehe hier als forschungsgeschichtlicher Markstein stellvertretend für eine Reihe sehr förderlicher Untersuchungen von Stackmann und anderen zum ›Geblümten Stil‹. [Gert Hübner, Lobblumen. Studien zur Genese und Funktion der ›Geblümten Rede‹, Tübingen/Basel 2000 (Bibliotheca Germanica 41), plädiert dafür, den Begriff ›Geblümter Stil‹ aufzugeben und nur noch mit funktionalem Bezug von geblümtem Lob zu sprechen. Beim Wiederabdruck des alten Aufsatzes habe ich die alte Terminologie nicht verändern wollen.]
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machen neuen slauch. gauch, lock uns auch durch die haide!
Hier stolpern wir allenfalls über die eine oder andere Vokabel (türmli wohl ›schwindelig, schlaftrunken‹ = mhd. türmel; slauch von ›Schlauch‹ über ›Schlemmer‹ hier zu ›Schlemmerei‹ geworden). Aber Syntax und Sinn des Ganzen sind klar. Ganz anders unser Lied. Es steigert die Schwierigkeiten, die das Mügeln-Lied aufweist. Erstens kombiniert es die Schlagreimtechnik mit einer Metaphorik, die nicht ohne weiteres durchsichtig ist, zum Teil ganz ausgefallen zu sein scheint. Und zweitens reduziert es die syntaktischen Ordnungssignale wie Pronomina, Artikel und Hilfsverben bis nahe an den Nullpunkt. Da unter den Bedingungen des Reimschemas auch der Wortstellung Ungewöhnliches zugemutet wird, weiß man oft nicht, ob man ein Verbum, ein Substantiv, ein Adjektiv oder ein Adverb vor sich hat. Das Š Problem der Homophone wird damit fast unüberwindlich. Dafür nur zwei Beispiele aus der zweiten Strophe: Was könnte wild mild und quat mat alles heißen? Bei wild mild lassen sich vom Kontext her verbale Deutungen ausschließen. Es bleiben aber noch mindestens sechs grammatische Möglichkeiten: Adjektiv + Substantiv: ›wilde Mildheit‹ (ich bleibe absichtlich zunächst bei den gleichen Wurzelsilben) Substantiv + nachgestelltes Adjektiv: ›mildes Wild‹ oder ›milde Wildheit‹ Substantiv + Substantiv: ›Wildheit und Mildheit‹ Adjektiv + Adjektiv: ›wild und mild‹ Adverb + Adverb: ›auf wilde und milde Weise‹ Adverb + Adjektiv: ›auf wilde Weise mild‹.
Zu den grammatischen Unsicherheiten kommen noch semantische: ist mild (in welcher Funktion auch immer) als ›sanft‹ oder als ›freigebig‹ zu verstehen? Beide Bedeutungsrichtungen lassen sich bei Oswald nachweisen. Von der Wurzel wild sind bei Oswald nur Bedeutungen belegt, die den Gegensatz von ›zahm‹ oder ›sanft‹ implizieren, wozu ich auch das gejagte Wild zähle. Aber ist damit ausgeschlossen, daß wild auch einmal im Sinn von ›fremdartig, seltsam‹ gebraucht werden kann wie im älteren Mittelhochdeutschen so häufig? Noch schlimmer steht es bei quat mat. Hier lassen sich auch verbale Deutungen vom Kontext her nicht ausschließen: quat ›böse, Bosheit‹ oder quat als Präteritum von queden ›sagen‹? (Allerdings ist nur die erste Möglichkeit bei Oswald belegt, und das Präteritum quat ist um diese Zeit generell schon fast ausgestorben.) Und mat kann, wenn man es vom nhd. matt ›müde, ermattet‹ her versteht, Adjektiv, Adverb, Substantiv oder Verbum (›ermatte‹) sein. Darüberhinaus aber wäre auch eine Deutung von den Wurzeln matt ›besiegt im Schachspiel‹, Made oder Mahd möglich, wobei wiederum der Hinweis, daß diese weiteren Wurzeln bei Oswald nicht belegt sind, zwar für die Ableitung von matt ›müde, ermattet‹ spricht, ohne die anderen Möglichkeiten sicher auszuschließen. Kombiniert man alle Varianten für diese zwei Wörter, so käme man auf mindestens zwanzig verschiedene
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Übersetzungen. Das wichtigste philologische Kontrollorgan aber, der Kontext, scheint in diesem Fall nicht weiter zu helfen. Werner Marold3 hat die acht Wörter von wild bis mat so übersetzt: Š »›Furchtbar‹ freigebig ist eine böse Mahd über mein Herz gekommen.« Dirk Otten4 dagegen übersetzt: »Eine fremdartige Sanftmut hat mein Herz erfaßt; das Böse ist matt.« Liebe als Zerstörung des Herzens oder Liebe als Domestizierung und Erziehung? Beide Deutungen und noch eine Reihe von weiteren möglichen Erklärungen können bislang nicht widerlegt werden. Wie ein Haufen ungeordneter Puzzlesteine liegen die Wörter dieses Texts vor uns. Wenn der Philologe nicht mehr weiter weiß, holt er nach, was er eigentlich zuerst hätte tun sollen: er prüft die Überlieferung und die Form. Ein Blick in die Handschriften zeigt, daß wir es eigentlich mit zwei Arten von Text zu tun haben. Nur für Strophe II und III ist uns ein Lesetext überliefert, wie ihn der Philologe gewohnt ist. Für Strophe I aber, die [in den ersten Auflagen von] Kleins Ausgabe so chaotisch wirkte, bieten die Handschriften zwei verschiedene Sänger-Gebrauchstexte: Unter den Noten für Tenor und Discantus steht je ein unvollständiger Text; beide Stimmen singen teilweise parallel, teilweise aber ergänzen sie sich im sogenannten Hoquetus, im abgehackten Wechsel einzelner Noten, wobei sich eine sinnvolle Aussage erst aus der Abfolge der Stimmen ergibt. Nur in der kombinierten Realisierung der beiden je unvollständigen Sängertexte baut sich für den Hörer ein Gesamttext auf. Man muß also, wenn man sich den Sinn klar machen will, für Strophe I einen kontinuierlichen Lesetext konstruieren, wie er für Strophe II und III überliefert ist. Und man muß umgekehrt, wenn man das Stück aufführen will, den überlieferten Lesetext von Strophe II und III auflösen in zwei einander ergänzende je unvollständige Singetexte, wie es Ivana Pelnar5 getan hat. Zu dem, was ein Hörer bei einer Aufführung der zweistimmigen Komposition vernehmen und aufnehmen konnte, stehen Singetext und Lesetext in einem gebrochenen Verhältnis. Die Handschriften scheinen darauf Š zu deuten, daß es – anders als in der Edition Pelnars – neben Parallelität und sich ergänzender Abfolge von beiden Stimmen am Anfang und Schluß der Strophe auch Verschiebungen gegeben hat, so daß beide Stimmen, wenn auch nur für kurze Momente, gleichzeitig Verschiedenes sangen. Das, was man hört, ist also nochmals um eine Stufe komplizierter, als was man liest. Aber auch wenn man davon absieht: Ein 3
[Werner Marold, Kommentar zu den Liedern Oswalds von Wolkenstein, bearbeitet und hg. von Alan Robertshaw, Innsbruck 1995, S. 234 (seinerzeit hatte mir Walter Röll eine Kopie aus der maschinenschriftlichen Fassung von 1926 zur Verfügung gestellt).] 4 Dirk Otten, Oswald von Wolkensteins Lied ›Herz, prich‹, in: Neophilologus 55 (1971), S. 400–416, dort 415. 5 Ivana Pelnar: Die mehrstimmigen Lieder Oswalds von Wolkenstein. Edition, Tutzing 1981 (Münchner Editionen zur Musikgeschichte 2), S. 60–63. Vgl. auch dies., Die mehrstimmigen Lieder Oswalds von Wolkenstein. Textband. Tutzing 1982 (Münchner Veröffentlichungen zur Musikgeschichte 32), S. 70–71.
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Hörer, der den Text nicht lesend überblicken kann, hat – und hatte gewiß auch damals – noch weit mehr Schwierigkeiten, den genauen Sinn des Textes zu verstehen, als ein Lesender. Was ein Hörer versteht – und ein damaliger Hörer wohl spontaner als wir ungefähr richtig verstand –, sind Leit- und Reizwörter der Liebesklage. Aus dem Mit- und Gegeneinander der Stimmen kann man noch vor allem rationalen Verstehen eine Spannung zwischen diesen Wörtern heraushören, die einem im kontinuierlichen Lesetext entgeht. Da spricht die eine Stimme das gequälte Herz an: prich; die andre Stimme setzt die Möglichkeit des Zornes dagegen: rich; dann singen beide gemeinsam das zum Nachdenken auffordernde sich. Mag man diesen Streit der Empfindungen noch syntaktisch nachvollziehen können, so wirken andere Wortspannungen, wie sie vor allem der Hoquetus betont, jenseits, ja zum Teil gegen jede syntaktische ratio: smerz – scherz, mein – dein, wort – mort, wild – mild, mat – snell, not – rot, trost – wund, süß – büß, diese Wortpaare vermitteln als Elemente des Gehörten so etwas wie eine Sinnatmosphäre, eine sprachlich-emotionale Spannung, auch wenn man (oder gerade weil man) die genaue Aussage der Wörter und Sätze nicht versteht. Solche frei schwebenden Sinn- und Klangbeziehungen zwischen einzelnen Wörtern im Wechsel und Simultanvortrag der Stimmen sind aber zu Oswalds Zeit nur möglich, weil für den Sänger wie für den Hörer die selbstverständliche Gewißheit bestand, daß der Text letztlich eine syntaktisch rationale Aussage haben werde, auch wenn sie im Moment nicht durchschaubar war. Diese Aussage muß für Strophe II und III offensichtlich aus dem überlieferten Lesetext erschlossen werden, der genau zu diesem Zweck in der gewohnten Eindimensionalität der Form aufgezeichnet ist. Für Strophe I ist eine entsprechende Form zu rekonstruieren oder zu konstruieren. Es ist bezeichnend, daß die Schreiber der Handschriften A und B – c kann als melodielose Handschrift hier vernachlässigt werden – die Texte von Strophe II und III fehlerlos aufgezeichnet haben, während sie bei Š Strophe I offensichtlich Schwierigkeiten hatten und einige Fehler machten. Für Zeile 4 hat Erika Timm6 erkannt, daß der gemeinte lineare Lesetext lauten muß naturleich lieb in ymmer ach. Dabei verstehe ich immer ach als kühne Nominalisierung einer festen Wortverbindung (vgl. Kl. 88,21 des mardaio ai mi und immer ach) und übersetze: ›bringt naturgebundene Liebe in immerwährendes Ach‹. In Zeile 5 lassen sich die Schriftzüge von A mit Ivana Pelnar so deuten, daß das von Timm und anderen vermißte Reimwort auf ach und rach wirklich überliefert ist: nach rach ich grimmiklichen schrei. Der Formvergleich führt uns aber auch darauf, daß an einer Stelle der Text gegen alle bisherigen Ausgaben zu bessern ist: Die beiden letzten Verse jeder Strophe enden auf Kornreime, sind also mit den anderen Strophen durch Reim gebunden: bedenken – verrenken – schrenken und, so wenigstens in [den frü6
Erika Timm, Die Überlieferung der Lieder Oswalds von Wolkenstein, Lübeck/Hamburg 1972 (Germanische Studien 242), S. 114, Anm. 286.
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heren Auflagen von] Kleins Ausgabe, gesell – snell – gesell. Der identische Reim gesell : gesell in einem so kunstvollen Gedicht ist aber Oswald kaum zuzutrauen. Ein Blick in die Handschriften bestätigt den Verdacht. Es zeigt sich nämlich, daß in der dritten Strophe gefell zu lesen ist: in B ist der fragliche Buchstabe so nah ans folgende e gerückt, daß man ihn als langes s oder als f lesen kann, in A aber ist der Querstrich des f eindeutig zu erkennen. Mit der Lesung gefell ist nun aber nicht nur das Reimschema in Ordnung gebracht, es ist uns auch ein Schlüssel zum Verständnis einer größeren Partie des Liedes gegeben: ze gevelle blaˆsen oder daz gevelle blaˆsen meint nämlich das Hornsignal, das auf einer Jagd gegeben wird, wenn das gehetzte Tier umstellt ist und nun erlegt werden soll. So heißt es in Gottfrieds ›Tristan‹ (v. 2770–2772): Nu waren ouch die iegere komen mit michelem geschelle hürnende zuo gevelle.
Und im ›Rolandslied‹ wird der Kampf mit einer Jagd verglichen (v. 4103–4106): haiden di gesellen pliesen ze geuelle sam si tier iageten. di scar si umbe habeten. 10
In unserem Lied handelt es sich offensichtlich um die Vorstellung einer allegorischen Liebesjagd. Auch von diesem Ansatz aus sind die Schlußverse noch immer nicht leicht zu verstehen. Es muß aber wohl von der Klage des Liebenden die Rede sein, der noch nie Jagd-, d. h. Liebeserfolg gehabt hat. Das Wort schrenken meint als Wort der Liebessprache wohl die Umarmung oder den Liebesakt wie häufiger bei Oswald und anderswo. Wahrscheinlich aber ist es zugleich ein Jagdterminus. Das Lexikon von Dalby7 bietet keine passende Bedeutung. Aber Wernfried Hofmeister hat mich brieflich auf eine Stelle im Deutschen Wörterbuch aufmerksam gemacht: »bei jägern läufe schränken, dem getöteten wilde kreuzweise falten«.8 Leider ist dort kein Beleg nachgewiesen, aber die Bedeutung paßt hier so glänzend, daß ich nicht daran zweifle, daß dies hier gemeint ist: das schrenken der Läufe als Element des Jagderfolgs entspricht dem schrenken der Glieder beim Erfolg der Liebeswerbung. Der Schluß unseres Liedes bedeutet demnach: ›Da man mir (noch) nie zum Erfolg geblasen hat.‹ Hellhörig geworden, sehen wir uns nach weiterer Jagdmetaphorik um. Natürlich sind die Hunde von III,3 allegorische Jagdhunde, das hatten schon Türler9 und Marold10 gesehen. Ottens11 Überlegung, es sei vielleicht angespielt auf die Hunde, die dem armen Lazarus seine Beulen und Wunden lecken, ist nicht plau7
David Dalby, Lexicon of the Mediaeval German Hunt, Berlin 1965. DWb., Bd. 9, 1899, Sp. 1640. 9 Wilhelm Türler, Stilistische Studien zu Oswald von Wolkenstein, Diss. Bern 1919, Teildruck Heidelberg 1920, S. 112. 10 Marold (wie Anm. 3), S. 234. 11 Otten (wie Anm. 4), S. 407. 8
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sibel; in einem Liebesgedicht wäre eine derartige Bibelreferenz völlig singulär. Die hunde trœsten heißt in der Jagdsprache ›die Hunde antreiben, ermuntern‹, in der Liebesjagd dieses Lieds wird man freilich den trost der Liebesdichtung mithören: ›dein roter Mund tröste und ermuntere meine Hunde, die (vom Jagen nach der Liebe) wund sind.‹ Und weil die Hunde erfolglos gejagt haben und verwundet sind, haben sie das Wild noch nicht kläffend verfolgt und umstellt, ist ›ihre Stimme‹ für den nachfolgenden Jäger ›nicht in erfreulicher Weise‹ vor ihm her ›gelaufen‹. Daß an den Stimmen der Hunde die jeweilige Situation der Jagd abgeschätzt wird, ist auch aus Hadamars von Laber ›Jagd‹ bekannt. Die Jagd ist nicht der einzige Bildspender in Š diesem Lied. Sicher aber scheint mir, daß von II, 5 an die Vorstellung einer Liebesjagd präsent ist. Gelück ist zweifellos ein Hundename, eine Canifikation, das zeigt ein Anklang an die einzige andere Minnejagd, die Oswald gedichtet hat, Kl. 52: hin rück, heng nach, Gelück. Und da es in jenem Parallellied (wie auch sonst in der Minnejagdtradition) auch Laster- und Unheilshunde wie Rüg, Meld, Wenk gibt, zögere ich nicht, auch in Quat einen Hundenamen zu sehen. Quat, mat heißt dann ›Bös, sei matt‹ oder ›Bosheit, kusch‹. Sollte auch schon unhail ein Hundename sein und sail eine Hundeleine, wie sie auch in jener anderen Minnejagd erwähnt ist? Hier bin ich unsicher, weil hier offenbar noch ganz andere Bildbereiche hereinspielen (darauf komme ich zurück). Wohl aber liegt es jetzt auf der Hand, daß auch jene vieldeutige Wortverbindung wild mild in Sinne der Jagdmetaphorik zu deuten ist: ›Ein zartes Wild hat mein Herz ergriffen‹, wobei wohl eher wild das Subjekt und herz das Objekt ist als umgekehrt. Das soeben als Parallele zitierte Jagdlied Kl. 52 hat mit unserem Lied auch über die Jagdthematik hinaus Gemeinsamkeiten: Es ist ebenfalls ein mehrstimmiger Satz, bei dem die beiden Hauptstimmen verschiedene Texte singen, die sich zu einem Gesamtklangbild ergänzen. Zu Tenor und Discantus kommt hier als dritte Stimme ein Contratenor, der sich stellenweise mit dem Tenor in Hoquetusform ablöst, was wahrscheinlich mit dem heuch – hoch – hauch des Hundegebells realisiert wurde. Hinter beiden Liedern steht selbstverständlich die Tradition der Jagdallegorie, wie wir sie deutsch vor allem mit dem Namen Hadamars verknüpfen. Mir scheint aber, daß daneben die französische chace und vor allem die italienische caccia eingewirkt haben könnten. Weder Kl. 52 noch Kl. 93 sind zwar im kompositionstechnischen Sinn als caccia ›Kanon‹ zu bezeichnen. Aber in den caccia-Kompositionen des Trecento jagten sich nicht nur die Stimmen, sondern es war auch mehrfach von fiktiven und allegorischen Jagden die Rede (daneben gab es Markt- und Hafenszenen). Und sie waren so angelegt, daß die Kanonform sich zu Hoquetus-Partien mit lebhaften Zurufen steigerte. Für Oswald könnte sich daher die Hoquetustechnik auch unabhängig von der Kanonform der caccia mit Jagdthematik assoziiert haben. (Die einzige wirkliche caccia-chace, die Oswald neu textiert hat, zeigt allerdings in ihrer Hoquetustechnik das Stimmengewirr einer Wirtshausrunde: Her wiert uns dürstet alse sere, Kl. 70.)12 Während nun Kl. 52 eine lebhafte Jagdszene bietet, die 12
[Für Kl. 70 ist bislang kein romanisches Vorbild nachgewiesen, wohl aber für den
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bis zu dem Punkt geführt wird, da das wild müd ist, ohne daß außer durch die HundeŠnamen auf den allegorischen Zweitsinn Bezug genommen würde, ist unser Lied Kl. 93 eine Liebesklage, deren Rollen – Ich und Du im Präsens – von vornherein die Darstellung eines Jagd- oder Liebeserfolgs am Ende ausschließen; die Jagd dient, nur in der zweiten Hälfte des Liedes, als schmückende, intensivierende, verdeutlichende Metaphorik, die nicht zu einer geschlossenen Szene zusammenwachsen kann, weil das eigentlich Gemeinte immer dominiert. Der Anfang des Liedes ist demgegenüber arm an Metaphern, und die wenigen, die es gibt, sind fast schon lexikalisiert: herz, hort, mort. Die Schwierigkeiten dieser Partie liegen eher in der Syntax, sie scheinen mir durch die Überlegungen zu Form und Überlieferung im wesentlichen gelöst. Schwierigkeiten eigener Art aber bieten die beiden Verse, in denen der Übergang zu dichterer Metaphorik erfolgt: unhail das sail ich schreiben tün an wage schild. Die Syntax ist hier klar. Der genaue Sinn ist dennoch dunkel, weil wir die Bildlichkeit nicht verstehen. Daß sich, wenn wir bessere Sachkenntnisse hätten, alle Elemente (ähnlich wie nachher bei der Jagd) als Bestandteile eines einzigen Bildspenderbereichs erwiesen, ist nicht gänzlich auszuschließen; es ist mir aber nicht wahrscheinlich. Eher sieht es so aus, als seien verschiedene Bildspenderbereiche kombiniert, ein Verfahren, das wir aus dem Geblümten Stil kennen. Relativ deutlich ist die Wappenmetaphorik: ›ich male auf den Schild‹, durch den Genitiv wage wird wohl die Bildempfängerseite angedeutet: Die Liebeswerbung als Lebenswagnis, das ritterlich zu bestehen ist. Wie aber ist unhail das sail zu verstehen? Von der anschließenden Jagdmetaphorik her könnte man das Leitseil der Hunde assoziieren; wenn unhail als Hundename aufzufassen wäre, stünde sail, das ja kaum etwas anderes als Apposition sein kann, metonymisch für den Hund selbst. Oder sollte man an das berühmteste brackenseil der mhd. Literatur und damit an die Liebesgeschichte Schionatulanders im ›Jüngeren Titurel‹ denken? Solche Bildungsanspielung schiene mir freilich für Oswald nicht typisch. Aber es kämen ja auch andere Bildbereiche in Frage. Die Liebesfessel würde zwar als schmerzhaft, kaum aber als unhail bezeichnet werden können. Unhail muß wohl die Glück- und Erfolglosigkeit des Werbens meinen. In diesem Sinn ist z. B. mehrfach in Hadamars ›Jagd‹ von unheil die Rede, zweimal sogar in Verbindung mit Bildern, die hier nicht ganz fern liegen:13 Ich gib auch nieman schulde dann mir und dem unheile. Swaz ich darumbe dulde daz ist billıˆch, wann mit einem seile
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thematisch ähnlichen Kanon Kl. 72, in dem der Hoquetus für die Engführung von Zurufen genutzt wird. Vgl. auch Burghart Wachinger, Textgattungen und Musikgattungen beim Mönch von Salzburg und bei Oswald von Wolkenstein, in: PBB 132 (2010), im Druck.] Hadamar’s von Laber Jagd, hg. von Johann Andreas Schmeller, Stuttgart 1850 (BLV 20), Str. 366 und 402.
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solt man mich, ungelückes boten, henken, der sack ze waˆpenkleide zæme mir, darinne wol ein gæhes trenken.
und Bıˆ einem sporn koume ich an dem satel hange, unheil mich bıˆ dem zoume begriffen haˆt, und heltet mich ze lange.
Beide Stellen helfen nicht unmittelbar, denn unheil wird nicht wie bei Oswald selbst als seil bezeichnet. Aber mögliche Bildbereiche sind damit doch in etwa abgesteckt. Das, was der Liebende als Wappen wählt, ist das Risiko der Glücklosigkeit seines Werbens, dargestellt, wie immer man sich das konkret als gemaltes Emblem vorstellen mag, als Fessel, Fangseil oder Henkerstrick. Zum Abschluß der ersten Stufe meiner Überlegungen gebe ich eine verbesserte Lesefassung des Lieds [in leicht verdeutlichender Graphie] und versuche eine Übersetzung, [die die erschlossenen Aussagen fixiert, damit freilich auch dem Text planer macht, als er ist]: I
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Herz, prich! rich! sich: smerz scherz hie dringt, ser zwingt und pringt natürlich lieb in immer ach. nach rach ich grimmiklichen schrei. ei frei, gesell, wenn kenn dein treu bedencken. Hort mein, dein ain wort mort mir gail. unhail, das sail, ich schreiben tuen an wage schild. wild mild mein herz begriffen hat. Quat, mat! nu snell, Glück, rück mir lieb verrencken!
III Tod,
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laid, maid, schaid not! rot dein mund tröst wund die hund, der stimm mir nie wolt louffen sueß. bueß mueß mir freuden werden an. wan man gefell nie lie plasen auff schrenken.
I
Herz, brich! Nein, räche dich! Sieh: Schmerz verdrängt hier das Scherzen, unterdrückt es sehr und bringt naturgebundene Liebe in immerwährendes Ach. Um Rache rufe ich voller Zorn. O befreie mich, Geliebte, falls deine Treue der Zuwendung fähig ist.
II
Mein Schatz, ein einziges Wort von dir ertötet mir die Freude. Die Fessel Unheil male ich den Wappenschild meines Wagnisses. Ein zartes Wild hat mein Herz ergriffen. Bosheit, kusch! Nun vorwärts, Glück, hol mir die ersehnte Umarmung!
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III Tod, Leid und Not wende von mir ab, Mädchen! Dein roter Mund ermuntere die
wunden Hunde, die noch nie mit erfolgverheißendem Gebell vor mir hergelaufen sind. Heilung möge mir, dem Freudlosen, werden. Denn noch nie hat man mir zum Erlegen des Wilds geblasen, zum Verschränken der Glieder.
II
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Wenn man ein Kreuzworträtsel ausgefüllt, ein Puzzle gelegt hat, beschleicht einen oft ein schales Gefühl; denn das Ergebnis besagt ja wenig, reizvoll war nur der Prozeß des Entschlüsselns und Zusammenbauens. Ein ähnliches Gefühl droht nach unserer mühsamen Analyse von Oswalds Lied Kl. 93. Nach wie vor kann es nicht zu den bedeutendsten Liedern Oswalds gezählt werden. Gewiß, die Integration einer Jagdallegorie in eine subjektive Liebesklage ist wohl ein neuer Einfall Oswalds, obgleich Ansätze in dieser Richtung schon bei Burkhard von Hohenfels zu finden sind. Aber die Aussage dieses Textes bleibt doch konventionell. Ich versuche, den Gedanken, der ganze Entzifferungsaufwand sei an ein unwürdiges Objekt verschwendet, dadurch zu überwinden, daß ich das Lied und meine Überlegungen zu ihm einbringe in eine umfassendere Fragestellung, in die Frage nach dem historischen Ort von Oswalds SprachbehandŠlung und lyrischer Formkunst. Zu diesem Versuch wurde ich provoziert durch einige Bemerkungen, die Dieter Kühn14 über Kl. 93 geschrieben hat. Kühn bespricht das Lied im Zusammenhang anderer mehrstimmiger und z. T. auch mehrtextiger Stücke Oswalds, deren sinnlich-akustische Wirkung »ein spezifisches Sprachbewußtsein« voraussetze. Nach einem Übersetzungsversuch von Kl. 93 schreibt er dann: »Oswald hat für diesen Liedtext das übliche Material eines Liebeslieds seiner Zeit benutzt: Formeln für die Abhängigkeit des Mannes von der umworbenen Frau, sie allein kann ihn erlösen. Vom Sprachstand her könnte es ein recht frühes Lied sein. Auch in der Behandlung des Sprachmaterials? Oswald hat das tradierte Formelmaterial gleichsam eingekocht; mit diesem Sprachextrakt arbeitet er, und zwar in harten Fügungen; ein Chiffrentext, Kompressionstext. [. . .] was in den Stimmenauszügen hart gefügt erscheint, wird in der Bauform dieses Hoquetus auf eine noch viel erstaunlichere Weise koordiniert – Oswald dichtet (auch) hier als polyphoner Komponist. Was in unserer Zeit zuweilen als Forderung proklamiert, in Pseudo-Musikformen realisiert wird, das hat Oswald hier eingelöst, vor fünfeinhalb Jahrhunderten! [. . .] Im Wechselspiel von Musik und Sprache wird deutlich, welchen Materialcharakter Sprache für Oswald haben konnte. Hier vor allem wirkt er avantgardistisch, auch heute noch!« Es ist klar, woher Kühn seine Beschreibungssprache genommen hat, woher zugleich sein Interesse an dieser Seite von Oswalds Dichtung stammt. »Chiffrentext, Kompressionstext, Klangmaterial, Materialcharakter der Sprache, avantgar14
Dieter Kühn, Ich Wolkenstein. Eine Biographie, Frankfurt a. M. 1977, S. 223–225.
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distisch« – so redet man über moderne Lyrik. Ich möchte meinen, daß Kühn hier etwas artikuliert, was auch andere schon empfunden haben. Unter den mancherlei Quellen, denen sich der erstaunliche Oswald-Boom der letzten zwei Jahrzehnte verdankt, ist gewiß nicht die geringste, daß seine Art der Sprachbehandlung, wie Klangspiele und Sprachmontagen in Mehrtextigkeit und Mehrsprachigkeit, uns anspricht, weil wir uns an moderne Lyrik gewöhnt haben, weil wir als Zeitgenossen der Moderne und Postmoderne nach nichtklassischen Modellen in der Tradition Ausschau halten. Ich meine allerdings, es wäre an der Zeit, daß wir Philologen diese Sprachfaszination, die von Oswald Š ausgeht, reflektieren und mit unserem Instrumentarium das Problem analysieren, das Kühn mit seinen emphatischen Metaphern anvisiert hat: Was ist das »spezifische Sprachbewußtsein«, das hinter Oswalds Dichtung steht? Gerade wenn man auch die moderne Lyrik im Blick hat, in der die Sprache oft zum eigentlichen Thema der Dichtung wird, sollte man allerdings schon bei der Formulierung der Frage sich klar machen, daß bei Oswald von Wolkenstein, der, verglichen mit seinen systematischer gebildeten Zeitgenossen, so auffallend wenig über seine Kunst und seine Sprache redet, Sprachbewußtsein nicht Sprachreflexion heißen kann. Es kann nur um die ganz in der Praxis des Dichtens implizierte Sprachhaltung Oswalds gehen. Was ist ihr spezifischer historischer Ort? Was sind die Ähnlichkeiten, was die Unterschiede zur heutigen Situation lyrischer Sprache und zur Situation in anderen Epochen? Das Feld ist riesig und noch erstaunlich wenig betreten. Ich kann hier keinen Versuch unternehmen, es auch nur vorläufig systematisch zu vermessen. Ich möchte nur an drei Stichwörter Kühns frei assoziierend anknüpfen, um wenigstens ein paar Themen aus diesem Problemfeld ins Bewußtsein zu rücken. »Materialcharakter der Sprache« – das ist nun freilich ein Wort, das schwer zu einer begrifflichen Schärfe zu bringen ist. Man ist geneigt, Paul Celan zu zitieren:15 »Und daneben gibt es eben, an jeder lyrischen Straßenecke, das Herumexperimentieren mit dem sogenannten Wortmaterial.« Sucht man eine präzisere Vorstellung, so bietet sich der Zusammenhang der konkreten Poesie an. Wo dort von der Sprache als Material die Rede ist, meint man meist eine Verselbständigung der Laut- oder Klangseite, z. T. auch der Schriftform, eine Isolierung von der Bedeutungsseite, die freilich in der Regel nur eine scheinbare und vorübergehende ist, weil durch Arrangements, die einseitig von den Wortkörpern her bestimmt zu sein scheinen, gerade ungewöhnliche und überraschende Bedeutungskonfigurationen erreicht werden. Als Programm mit hochentwickelter sprach- und kulturkritischer Reflexion im Hintergrund (wie bei den ernsteren Vertretern dieser Richtung) steht diese Sprachhaltung derjenigen Oswalds natürlich denkbar fern. Und auch wenn man einzelne Techniken vergleicht, sieht man 15
Paul Celan, Gesammelte Werke in fünf Bänden, Bd. 3, Gedichte III, Prosa, Reden, Frankfurt a. M. 1983, S. 177. Dazu vgl. Silvio Vietta, Sprache und Sprachreflexion in der modernen Lyrik, Bad Homburg v. d. H./ Berlin/Zürich 1970 (Literatur und Reflexion 3), S. 98.
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zunächst nur die Unterschiede. HeißenŠbüttels syntaktisch unverbundene Wortreihen z. B. sind dezidiert antigrammatisch und gegen Sprachkonventionen gerichtet. Das aber, was ich vorhin als Hörtext von Kl. 93 beschrieben habe, ist eher ungrammatisch, und selbst diese Freiheit eines vorrationalen Aufnehmens von Wortbeziehungen ist nur möglich, weil eine feste Sprachkonvention einen Verstehensrahmen bietet und das Vorhandensein einer geordneten Syntax prinzipiell vorausgesetzt ist, mag sich diese auch bei näherem Zusehen als höchst elliptisch erweisen.16 Als echt asyntaktisch könnte man bei Oswald allenfalls die Cisioiani Kl. 28 und 67 ansehen, Kalendermerkgedichte, die für jeden Tag des Jahres ein Wort setzen, wobei die wichtigsten Heiligennamen nach ihrer Stellung im Kalender eingeordnet sind.17 Aber in den Cisioiani Oswalds und anderer ist eine asyntaktische Wortreihe lediglich die von der Gebrauchsfunktion vorgegebene Ausgangsform, die, schon damit man sich’s besser merken kann, durch partiell sinnhaltige, im Ganzen unsinnige syntaktische Verknüpfungen überspielt wird. Und doch: dieser Texttyp läßt sich nicht nur vom Zweck her verstehen, und daß Oswald als einziger deutscher Autor sich gleich dreimal18 an ihm versucht hat, wird kaum nur in einem besonderen Sachinteresse, kaum nur in dem Anstoß, den die Neuerung des Neumondkalenders gab, begründet sein. In der syntaktischen Verknüpfung des Unzusammenhängenden und in der Umdeutung der Lautform eines Namens zu einem anderen Wort19 steckt immer, und ganz besonders bei Oswald, eine Menge Sprachwitz, der die streng gebundene Zweckform zum ästhetischen Gebilde, zur Unsinnspoesie macht. Nach Voraussetzungen und Zielrichtung ist das kaum zu vergleichen mit Montagen von zweckgebundenen Phrasen in modernen Gedichten: im Cisioianus wird die Zweckhaftigkeit nicht wie in der modernen Lyrik desavouiert, sie wird erfüllt und gibt nur so 16
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[Annette Gerok-Reiter brieflich: »Wirken nicht auch Heißenbüttels Sprachspiele nur deshalb, weil ›eine feste Sprachkonvention einen Verstehensrahmen bietet und das Vorhandensein einer geordneten Syntax prinzipiell vorausgesetzt ist‹, gegen die verstoßen wird? Nicht im Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein einer festen Sprachkonvention liegt meines Erachtens die Differenz zur Moderne, sondern in der Programmatik der Sprachreflexion, aus der heraus die Moderne ihre ›antigrammatischen‹ Konstruktionen heraustreibt.]« Vgl. Wolfgang Kersken, Genner beschnaid. Die Kalendergedichte und der Neumondkalender des Oswald von Wolkenstein, Göppingen 1975 (GAG 161); Arne Holtorf, Cisioianus, in: 2VL, Bd. 1, 1978, Sp. 1285–1289; Heribert A. Hilgers, Versuch über deutsche Cisiojani, in: Poesie und Gebrauchsliteratur im deutschen Mittelalter. Würzburger Colloquium 1978, hg. von Volker Honemann u. a., Tübingen 1979, S. 127–163; Walter Röll, Oswald von Wolkenstein, Darmstadt 1981 (Erträge der Forschung 160), S. 115–118 (mit weiteren Literaturhinweisen). [Außer den beiden genannten Texten ist noch eine auf Blatt 13rv der Handschrift A größtenteils getilgte abweichende Vorfassung von Kl. 28 zu nennen, die in der Ausgabe von Klein nicht genannt ist.] Z. B. Kl. 28, 6–7: Hanns macht Val Constantini. Die Breid, Maria Blasen da, wo Valerius zum Adjektiv val verkürzt ist und Blasius zur Tätigkeit von Brigida und Maria (für Mariae Lichtmeß) wird.
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die Grundlage für eine zweite Š Schicht des Textes als freies Sprachspiel. Und doch werden hier wie dort verschiedene Ebenen der Sprache mit Kalkül so gegeneinander versetzt, daß der Text aus einer bloßen Zweckhaftigkeit von Sprache ausschert. »Materialcharakter der Sprache« bei Oswald von Wolkenstein – jeder Fall seines Spielens mit der Klangseite der Sprache, mit den Wortkörpern bedürfte einer eigenen präzisen Beschreibung, ehe er mit Phänomenen der modernen Lyrik – vielleicht – sinnvoll verglichen werden könnte; denn fast jeder Fall ist verschieden: Dichtungen in einem anderen Dialekt (Kl. 90 und Kl. 96) und Sprachmischungen verschiedenster Art und Funktion,20 Lall- und Spielwörter aus Kinderversen21 oder in nur halb bedeutungsvollen Wortneubildungen,22 Tierstimmenimitationen (Kl. 50 und Kl. 52, 40), Wortkaskaden in Kataloggedichten (z. B. Kl. 39), Mehrtextigkeit in mannigfachen Varianten23 und unermüdliche Lust am Reimen. Fast jedes dieser Sprachphänomene hat im Mittelalter seine Tradition. Aber ich kenne keinen zweiten mittelalterlichen Autor, der eine solche Fülle verschiedenartiger Sprachspieltraditionen in seinem Werk vereinigt und sie so individuell variiert und zuspitzt. Gibt es eine historische Erklärung für dieses besondere Interesse Oswalds an der Sprache als Klangmaterial? Eine Erklärung wohl nicht, wohl aber lassen sich Voraussetzungen benennen: Oswald hat ungewöhnlich viele und sehr verschiedenartige Sprachtraditionen kennen gelernt, wenn auch z. T. nur oberflächlich. Das erlaubte ihm zugleich eine gewisse Distanz zu jeder der Traditionen, sie alle wurden für Oswald in höherem Maße zum bloßen Spielmaterial als für jeden, der engere Traditionen vielleicht gründŠlicher kennen lernte, aber auch mehr in ihnen befangen blieb. Übrigens tritt die Lust am Spiel mit der Lautseite der Sprache am deutlichsten in solchen Liedern auf, die inhaltlich eher einer bestimmten Konvention folgen, die Oswald nicht in seiner stärksten Betroffenheit zeigen. So könnten auch in unserem Lied Kl. 93 formale Verkünstelung und inhaltliche Konventionalität einander bedingen. Darf man so weit gehen, zu sagen, Klangspiele und Sprachartistik seien Mittel, solchen Traditionen, deren Inhaltskonventionen nicht mehr tragen, noch andersartige Reize abzugewinnen oder gar sich im Sprachspiel von ihnen zu distanzieren? 20
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Vgl. Burghart Wachinger, Sprachmischung bei Oswald von Wolkenstein, 1977, im vorliegenden Band S. 259–277. Conrad H. Lester, Zur literarischen Bedeutung Oswalds von Wolkenstein, Wien 1949, S. 29–33. [Lesters Deutung der Schlußverse von Kl. 21 als Kinderverse ist nicht haltbar; die Stelle im sogenannten Kinderspielkatalog in Fischarts ›Geschichtsklitterung‹, die er für ein unabhängiges Zeugnis solcher Verse hält, geht vielmehr über den Druck des ›Neidhart Fuchs‹ auf Oswald von Wolkenstein Kl. 21 zurück.] Vgl. etwa Kl. 53,14, dazu Frank G. Banta, Dimensions and Reflections. An Analysis of Oswald von Wolkenstein’s ›Frölich, zärtlich‹, in: JEGPh. 66 (1967), S. 59–75; deutsche Übersetzung in: Oswald von Wolkenstein, hg. von Ulrich Müller, Darmstadt 1980 (Wege der Forschung 526), S. 57–78. Vgl. vor allem Siegfried Beyschlag, Zu den mehrstimmigen Liedern Oswalds von Wolkenstein. Fuga und Duett, in: Literatur und Geistesgeschichte. Festgabe für HeinzOtto Burger, hg. von Reinhold Grimm und Conrad Wiedemann, Berlin/Bielefeld/München 1968, S. 50–69, wieder in: Müller (wie Anm. 22), S. 79–106.
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»Chiffrentext«, das zweite Stichwort Kühns, das ich aufgreifen möchte, könnte man in einem allgemeinsprachlichen Sinn verstehen, und in diesem Sinn scheint es zunächst nicht unpassend: unser Lied wirkt zuerst unverständlich, es kann dann aber weitgehend entschlüsselt, dechiffriert werden. Aber wenn man diesen Alltagssinn von ›Chiffre‹ zu präzisieren versucht, läßt er sich kaum mehr auf Oswalds Lied anwenden: hier gibt es keinen Geheimcode, der eine Verständigung ermöglichen soll, ohne daß unerwünschte Mithörer den Sinn der Worte verstehen, keine Geheimsprache zwischen Liebenden zur Wahrung der Intimität, keine esoterische Gruppensprache der Eingeweihten. Der Kreis der Hörer dürfte zwar relativ geschlossen gewesen sein, insofern mögen für manche Themen bloße Andeutungen genügt haben. Aber der Text ist nicht so angelegt, daß Fernerstehende ausgeschlossen bleiben sollen. Nicht einmal bis zur Spielform des Rätsels ist die Chiffrierung getrieben. Der Germanist Kühn dürfte bei dem Wort »Chiffrentext« freilich auch Diskussionen über moderne Lyrik im Ohr gehabt haben. In der Literaturwissenschaft werden Wort und Begriff ›Chiffre‹ nicht ganz einhellig verwendet, teil fast synonym mit, teil in Opposition zu ›absolute Metapher‹.24 Eine Definition, die mindestens einen Einstieg in die Problematik erlaubt, bietet das Metzler-Literaturlexikon:25 »Stilfigur Š der modernen Lyrik, seltener des Romans: einfache, meist bildhaft-sinnfällige Wörter oder Wortverbindungen, die ihren selbstverständlichen Bedeutungsgehalt verloren haben und ihren Sinn aus der Funktion in einem vom Dichter selbst gesetzten vieldeutigen System von Zeichen und Assoziationen erhalten.« In diesem Sinn dürfte es Chiffren bei Oswald und im ganzen Mittelalter überhaupt nicht geben. Denn die Zeichensysteme sind auch bei den eigenwilligsten Dichtern des Mittelalters nicht »selbst gesetzt«, sondern von Traditionen vorgegeben. Sie sind auch nicht in so prinzipiellem Sinn »vieldeutig« wie in der Moderne; d. h. die Zeichen, Bilder, Metaphern verweisen, anders als die ›absoluten Metaphern‹ der Moderne, noch auf das eigentlich Gemeinte. Das gilt auch für jene Sprach- und Stiltraditionen, in denen die Metaphorik so gesteigert und verdichtet wird, daß sie sich von einer nachvollziehbaren Bildlichkeit löst, den trobar clus der Trobadors z. B., die Kenningkunst der Skalden, den Concettismus der Spätrenaissance und des Barock und den Geblümten Stil des deutschen Spätmittelalters, für den das vorhin zitierte Lied Heinrichs von Mügeln als Beispiel stehen mag. Im Geblümten Stil ist die Funk24
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Vgl. z. B. Reinhold Grimm, Gottfried Benn. Die farbliche Chiffre in der Dichtung, 2. Aufl. Nürnberg 1962 (Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwiss. 1); Edgar Marsch, Die lyrische Chiffre, in: Sprachkunst 1 (1970), S. 207–240. Zum Folgenden vgl. ferner Harald Weinrich, Linguistische Bemerkungen zur modernen Lyrik, in: Akzente 15 (1968), S. 29–47; Gerhard Neumann, Die ›absolute‹ Metapher, in: Poetica 3 (1970), S. 188–225. Metzler-Literatur-Lexikon, hg. von Günther und Irmgard Schweikle, Stuttgart 1984, S. 76. [Vgl. jetzt Otto Lorenz, Chiffre, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. I, Berlin/ New York 1997, S. 299–301.]
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tion des Bilderreichtums niemals individuell, sondern dient kollektiven Funktionen, vor allem dem Preis: dem Preis der Trinität, Marias, der Minne, eines Fürsten.26 Und auch die Herkunft der Bilder ist in der Regel nicht individuell. Selbst bei ganz überraschenden Metaphern muß man damit rechnen, daß sie letztlich nur die Verkürzung einer alten, allenfalls einer etwas entlegenen allegorischen Tradition sind. Und doch gibt es in dieser eminent traditionsbezogenen Artistik für den Sprachmeister die Möglichkeit, durch individuelle Bildkombinatorik und Katachresen die Unauslotbarkeit und die Paradoxien des Themas immer wieder neu empfinden zu lassen. Bei aller Verschiedenheit der Voraussetzungen können sich dabei Phänomene ergeben, die jenen nicht unähnlich sind, die in der modernen Lyrik als absolute Metaphern oder Chiffren bezeichnet werden.27 Oswald allerdings war kein Blümer, ihm fehlt der terminologische Bezug auf Rhetoriktraditionen und das Element meisterlicher Kunstreflexion, das für diese Tradition typisch zu sein scheint. Er stand auch den Kunstzirkeln der Berufsdichter und ihres Publikums distanziert gegenüber. Und er ist nicht einmal übermäßig reich an Metaphorik. Das schließt aber nicht aus, daß er sich gelegentlich von den Sprachmöglichkeiten der Blümer hat anregen lassen. Die Jagdbildlichkeit unseres Lieds stammt aus einer Tradition, in der auch das Blümen zuhause war, aber sie ist doch im Š Ganzen nicht im Sinne der Blümer geprägt. Ein Satz jedoch wie Unhail das sail ich schreiben tün an wage schild ist in seiner Mischung nicht zusammenpassender Bildsphären geradezu typisch für die artistische Verschlüsselungstechnik der Blümer. Hier hat Oswald offenbar von dieser Tradition gelernt. An keiner Stelle unseres Lieds aber kann der Eindruck entstehen, als gebe es hinter der Metaphorik kein eigentlich Gemeintes mehr, [besser: als entzöge sich das Gemeinte, das nur Erahnte, der Bestimmbarkeit durch Sprache]. Eher ist das eigentlich Gemeinte hier so hochgradig konventionell, daß es deswegen relativ belanglos ist. Das Lied Kl. 93 zeigt aber nur eine von Oswalds Möglichkeiten. Wenn man sich sonst in Oswalds Metaphorik umsieht, scheinen andere Züge auffälliger. Die Bildlichkeit stammt zu einem nicht geringen Teil aus Konventionen, denen die Blümer fernstehen (z. B. Sexualmetaphorik und Sprichwortbildlichkeit). Und die individuelle Leistung Oswalds besteht häufig eher 26 27
[Vgl. jetzt vor allem Hübner (wie Anm. 2).] [Annette Gerok-Reiter sieht die Differenz zur Moderne noch weniger scharf; anknüpfend an die Chiffren-Definition des Metzler-Literaturlexikons schreibt sie: ». . . würde ich behaupten, dass Chiffren in moderner Dichtung ihren ›selbstverständlichen Bedeutungsgehalt‹ nie ganz ›verloren haben‹, er wird jedoch in den Hintergrund gedrängt, stellt nur noch eine fakultative Ebene dar, mit der die ›Selbst-Setzung‹ der modernen Autoren spielt. Das Abdrängen der selbstverständlichen Bedeutungen in einen lediglich fakultativen Bereich ist sicherlich bei mittelalterlichen Autoren in dieser Schärfe nicht anzutreffen, schon gar nicht als intentionales Vorhaben, und doch bleibt der Unterschied, insofern auch die moderne Chiffrensprache Traditionsanbindung an die gängigen semantischen Schichten braucht und selbst in der Ablösung noch nutzt, vielleicht doch nur (sieht man Autoren wie Frauenlob oder Oswald) graduell.«]
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darin, einer konventionellen Metapher durch Wörtlichnehmen oder witzige Drehung eine die Konventionen sprengende Drastik zu geben: Bekannt ist die Liebesfessel, die von Oswald als Gefangenschaft im Erbschaftsstreit mit seiner ehemaligen Geliebten wörtlich erlitten werden muß (Kl. 1). Bekannt ist auch, wie die Schilderung des Vogelfangens mit Fallen im Bergwald fast ohne Markierung hinübergleitet in die Metaphorik des Vogelfangens und Vögelns mit der Geliebten (Kl. 83).28 Aber auch die komische Zuspitzung religiöser Metaphern gehört hierher: Oswald läßt den Sünder nicht im Meer oder Sumpf der Sünden versinken, sondern in eine Badewanne plumpsen: wie bistu gar erphlumsen so in deiner sünden wanne (Kl. 2,3 f.); die Komik steht dabei jedoch im Dienst eines appellativen Ernstes, der umso stärker treffen will. Auch für solche Sprachwirkungen ließen sich wohl in der modernen Lyrik Parallelen finden, freilich in anderen Bereichen als jenen, für die man das Stichwort Chiffre geprägt hat. Das letzte Stichwort Kühns, das ich aufgreifen möchte, lautet »Wechselspiel von Musik und Sprache«. »Hier vor allem wirkt er avantgardistisch, auch heute noch!« hat Kühn behauptet. Wenn in der Moderne experimentell-avantgardistisch Grenzüberschreitungen zwischen den Künsten gesucht werden, wenn sich, wie es Adorno formuliert hat, zwischen den Einzelkünsten »ihre Demarkationslinien verfransen«,29 so geŠschieht das einmal sehr viel grundsätzlicher als bei Oswald, indem man auch Verquickungen von zeitgebundenen Künsten – Sprache und Musik – mit raumgebundenen, bildenden Künsten sucht. Vor allem aber richten sich die Grenzüberschreitungen der Avantgarden der Moderne kritisch gegen die seit Jahrhunderten etablierte saubere Trennung der Künste. Für Oswald war die Situation gerade umgekehrt. Eine Trennung von lyrischer Sprache und Musik war zu seiner Zeit zwar im italienischen Sonett längst vollzogen; bei den Deutschen aber war und blieb noch für längere Zeit lyrische Dichtung selbstverständlich in der Regel ans Singen gebunden. Der Anreiz, neue Formen des Verhältnisses von Text und Musik zu suchen, kam aus der romanischen Mehrstimmigkeit, die Oswald als einer der ersten fürs Deutsche entdeckt hat. Für einen kurzen historischen Moment, ehe sich dann neue feste Praktiken herausgebildet hatten, ergab sich bei der Rezeption eine gewisse Labilität des WortTon-Verhältnisses. Es mag sein – mir als Laien kommt es wenigstens so vor –, daß die romanische Mehrstimmigkeit in manchen Typen die Spannung zwischen Textform und musikalischer Form durch Melismen, Zäsurierungen und Verschiebungen so weit getrieben hatte, daß die Textform nur noch dem geschulten Kenner durchschaubar war – einer der Schritte auf dem Wege der Spezialisierung der Künste. Für Oswald, der die romanischen Texte vielleicht nur teilweise kann28
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Christoph Petzsch, Die Bergwaldpastourelle Oswalds von Wolkenstein, in: ZfdPh 87 (1968) Sonderheft, S. 195–222. Wieder in: Müller (wie Anm. 22), S. 107–142; Norbert Mayr, Das Vogelfängerlied Oswalds von Wolkenstein, in: Der Schlern 56 (1982), S. 35–40. Theodor W. Adorno, Die Kunst und die Künste, in: Gesammelte Schriften, Bd 10.1, Frankfurt a. M. 1977, S. 432.
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te oder nur halb verstand, der jedenfalls mit dieser Kunsttradition gewiß nicht in einer systematisch-professionellen Ausbildung vertraut geworden ist,30 ergab sich damit die Provokation eines zum Singen bestimmten Musikstücks ohne eine für den Nachahmer verbindliche Textform. Er hat diese Situation als Chance genutzt und fast experimentell verschiedene Formen durchgespielt, wie zur gegebenen Musikform eine Textform geschaffen werden kann, im Fall von Landinis ›Questa fanciulla‹ sogar mit zwei metrisch verschiedenen Texten zur selben Musik.31 Die ungewohnte Offenheit der Š Situation, die Freiheit des Wort-TonVerhältnisses, die sich für Oswald dort ergab, wo er vorgegebene Liedsätze austextierte, hat in fast allen Fällen zu Strophenformen geführt, die von den Konventionen deutscher Strophenbautradition relativ weit ab führten. In einigen extremen Fällen hat sich Oswald der musikalischen Struktur so weit überlassen, daß die Textform kaum noch eigene Konturen hat, daß Verse ungleicher Länge in freier Folge gereiht werden, wie es sich gerade ergibt, ein in deutscher Dichtung bis dahin unbekannter Typus (z. B. Kl. 54).32 Bei Kl. 93 aber ist gerade das Gegenteil der Fall. Gewiß hat auch hier die Musik die Textform mitgeprägt, der Hoquetus hat zweifellos die Bevorzugung von einsilbigen Wörtern und Schlagreimen provoziert. Aber in diesem Fall hat Oswald beim Austextieren eines vorhandenen Liedsatzes – ich zweifle nicht, daß auch für diesen Satz ein romanisches Vorbild vorauszusetzen ist – auf die Freiheit der Formwahl mit einer extremen Selbstbindung durch eine schwierige textmetrische Form reagiert. Und erst beides zusammen, musikalischer Anreiz durch den Hoquetus und textmetrische Fessel von Reimen und Silbenzahlen, hat zu jener Kondensierung des Sprachmaterials geführt, die Kühn »Kompressionstext« genannt hat, einer Kondensierung, die selbst für Oswald, der große Wortdichte liebt, ungewöhnlich ist. Die historische Situation aber wird gerade durch das Nebeneinander der locker zerfließenden und der streng geregelten und komprimierten Formen bezeichnet: eine Freiheit des Experimentierens mit Text- und Strophenformen und ihrer Beziehung zur Musik, wie sie auf lange Zeit weder vorher noch nachher möglich war. Avantgardistisch? Oder eher jenen Sängern und Textern vergleichbar, die heute auf der Grenze zwischen E- und U-Musik Text und Musik neu verbinden? Ich zögere im einen wie im anderen Fall, den Bogen des Vergleichs zu schlagen. Das Stichwort ›Musik und Sprache‹ impliziert eben auch die Modalitäten der Aufführung und damit alle Probleme des Kulturbetriebs. Und da sind die Si30
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Erika Timm, Ein Beitrag zur Frage: Wo und in welchem Umfang hat Oswald von Wolkenstein das Komponieren gelernt?, in: Oswald von Wolkenstein. Beiträge der philologisch-musikwissenschaftlichen Tagung in Neustift bei Brixen 1973, hg. von Egon Kühebacher, Innsbruck 1974 (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwiss. Germ. Reihe 1), S. 308–331. [Zum Folgenden jetzt ausführlicher Wachinger (wie Anm. 12).] Theodor Göllner, Landinis ›Questa fanciulla‹ bei Oswald von Wolkenstein, in: Die Musikforschung 17 (1964), S. 393–398, wieder in: Müller (wie Anm. 22), S. 48–56. [Auch schon in den ›Tenores‹ des Mönchs von Salzburg, vgl. Christoph März, Die weltlichen Lieder des Mönchs von Salzburg, Tübingen 1999 (MTU 114), S. 14–19.]
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tuationen, Verfahren und Ergebnisse damals und heute allzu verschieden. Und doch: Es ist wohl keine Frage, daß wir von der Offenheit und Vielfalt der heutigen Musik-, Literatur- und Liederszene her leichter Zugang auch zu dieser Seite von Oswalds Werk finden als frühere Generationen. Aus einer eminent traditionsgebundenen Zeit grüßt er herüber als ein Mann, der ungeniert, aber mit Können und Anspruch die Freiheit seiner kurzen historischen Stunde genutzt hat.33
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Paul Hoffmann danke ich für Hinweise und klärende Gespräche [und Annette GerokReiter für kritische Ermunterung zum Wiederabdruck].
Blick durch die braw Maria als Geliebte bei Oswald von Wolkenstein Wach auff, mein hort! es leucht dort her von Orient der liechte tag. blick durch die braw, vernim den glanz, wie gar vein blaw des himels kranz sich mengt durch graw von rechter schanz. ich fürcht ain kurzlich tagen.
Die zitierte Strophe eröffnet ein Tagelied Oswalds von Wolkenstein (Kl. 101), das auf den ersten Blick, abgesehen von der formalen Raffinesse der Kornreime, nicht besonders auffällig ist. Immerhin, es fehlt die seit Wolfram fast zur Regel gewordene Wächterfigur, die oft die Spannung zwischen der Innensicht der heimlich Liebenden und der Außensicht einer anders wertenden, für die Liebe bedrohlichen Gesellschaft auszutragen hat.1 Es fehlt aber auch diese Spannung selbst. Die Liebesnacht, die hier zuende geht, ist intim, muß aber nicht heimlich sein; der Abschied könnte auch durch andere Umstände, etwa eine unaufschiebbare Reise, erzwungen sein. Der Mann ist hier als erster erwacht und spricht als erster – ein in der Gattungstradition recht seltenes Arrangement.2 Er hat den Blick nach draußen gewendet. Genauer: Hinausblickend fordert er die noch schlafende Geliebte auf, mit ihm hinauszuschauen, und indem er sie auffordert, wendet er den Blick zurück auf sie und sieht ihre braw, ihre Wimpern. Die Wimpern des noch geschlossenen oder halb geschlossenen Auges sind die Grenze zwischen dem Blick des Mannes auf die Frau und dem Blick der Frau nach außen, auf den Mann und mit dem Mann zusammen auf die Natur. Blick durch die braw – in dieser Formel ist eine erotische Situation mit großer Präzision und mit großer Zartheit erfaßt. Oswald von Wolkenstein hat diese Formel nicht erfunden, aber er hat offenbar gespürt, was sie leistet. Die Formel kommt in der ganzen mittelhochdeutschen Literatur nur dreimal vor, zweimal bei Oswald, einmal beim Mönch von SalzFragen * der Liedinterpretation, hg. von Hedda Ragotzky, Gisela Vollmann-Profe, Gerhard Wolf, Stuttgart 2001, S. 103–117. 1
Vgl. Christoph Cormeau, Zur Stellung des Tagelieds im Minnesang, in: Fs. für Walter Haug und Burghart Wachinger, 2 Bde., hg. von Johannes Janota u. a., Tübingen 1992, Bd. II, S. 695–708. 2 [Vgl. jetzt Sabine Obermaier, Wer wacht? Wer schläft? ›Gendertrouble‹ im Tagelied des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Deutsche Liebeslyrik im 15. und 16. Jahrhundert, hg. von Gert Hübner, Amsterdam/ New York 2005 (Chloe 37), S. 119–145.]
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burg; dazu kommt noch ein variierender Anklang bei Eberhard von Cersne, der Lieder des Mönchs gekannt zu haben scheint.3 Es kann daher kaum einem Zweifel unterliegen: Der Erfinder der Formel ist der Mönch von Salzburg. Beim Mönch erscheint die Formel blick durch die braw im ›Taghorn‹ (W 2), einem von fünf Stücken am Anfang seiner weltlichen Lieder, fünf Stücken, die überwiegend zweistimmig sind und verschiedene Varianten von Begegnungen und Gesprächen im Umkreis der Tageliedtradition durchspielen. Gar leis in senfter weis wach, libste fra, plick durch dy pra vnd scha, wy tunkel gra so gar fein pla ist zwischen dem gestirn. nu wach, mein mynnikliche dirn, in liber süzz vnd grüzz dein aigenz hercz bey mir, seind ich enpir der stymm von dir, daz mir gar still dein rainer will wünsch liben guten tag, den mir he¨ut sag tugentlichen, mynniklichen dein güt mit mangem liben plik, so daz mein hercz in fre¨uden schrik zu trost der libsten zuversicht, der mir dein weiblich güt verjicht, bis das geschicht, daz mir wünsch guten tag dein mund.
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Das ›Taghorn‹ des Mönchs, dessen erste Strophe ich hier zitiert habe, ist ein Wecklied an die Geliebte, aber es ist kein Tagelied, auch wenn es bislang fast durchweg als solches verstanden wurde. Es ist weder vom Anbrechen des Tages die Rede4 noch vom Schmerz des Abschieds. Am Ende steht zwar die Bitte um urlaub, aber auch die Aufforderung, mit freuden weiterzuschlafen. Man könnte sich ein nächtliches Ständchen vorstellen, einige Indizien sprechen jedoch eher für einen nur gedachten, nur gewünschten Besuch bei der Geliebten: Der Liebende entbehrt ihre Stimme und hofft auf einen Zeitpunkt, da ihr Mund ihm guten Tag sagt. Das Motiv vom Herzenstausch, das sich durchs ganze Lied zieht, akzentuiert eher die Verbundenheit über das Getrenntsein hinweg. Das wunderlich geschell Š (2,6) mag bei einem Lied, das auch gut zu blasen ist,5 auch an die Aufführungssituation denken lassen; textimmanent aber, innerhalb der imaginierten Situation, scheint damit gerade das Erstaunliche von nur gedachten, phantasierten Tönen angesprochen zu sein. Jedenfalls ist die Körperlichkeit des Erwachens zu Beginn von Strophe 2 nicht von einem Mann angesprochen, der neben der Geliebten liegt, sondern von einem, der sich zu ihr hindenkt; hindenkt, wenn man dem Text der Mondsee-Wiener Liederhandschrift folgt, aus einer Situation beunruhigenden, schlaflos machenden Entbehrens heraus: Er sieht im 3
Elisabeth Hages-Weißflog, Die Lieder Eberhards von Cersne. Edition und Kommentar, Tübingen 1998 (Hermaea NF 84), Lied XVI,2,7 Slach uff lieb, dyne bra, vgl. ebd., S. 223. 4 Vgl. tunkel gra gegenüber Oswalds glanz. 5 Vgl. die Überschrift.
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Geist die brüstlin wolgestalt, dy dem armen tun dy nacht gewalt.6 Die Wendung blick durch die braw ist also hier, wo sie erstmals vorkommt, nicht wie in Oswalds Tagelied Kl. 101 aus direkter körperlicher Nähe gesprochen, sondern aus einem Sich-Hindenken zur Geliebten, freilich zu einer durchaus erotischkörperlich erträumten Geliebten. Das ›Taghorn‹ des Mönchs von Salzburg hat auch durch seine Situation eines nur erträumten Weckens auf Oswald von Wolkenstein gewirkt. Lied Kl. 53 übernimmt zwar nicht die Formel blick durch die braw, wohl aber einige Reime und Motive des ›Taghorns‹, baut sie allerdings üppig aus: Frölich, zärtlich, lieplich und klärlich, lustlich, stille, leise, in senfter, süsser, keuscher, sainer weise wach, du minnikliches, schönes weib, reck, streck, breis dein zarten, stolzen leib! Sleuss auf dein vil liechte öglin klar! taugenlich nim war, wie sich verschart der sterne gart inn der schönen, haittren, klaren sunne glanz, wol auff zu dem tanz! machen ainen schönen kranz von schawnen, prawnen, plawen, grawen, gel, rot, weiss, viol plümlin spranz.
Auch dieses Lied wird meist als Tagelied verstanden; die geschlossene Situation des Abschieds nach der Liebesnacht würde sich dann auflösen in eine beliebige Folge ganz unterschiedlicher Situationen: Tanz, KranzbinŠden, einsame Nacht, Sehnsucht nach Liebesvereinigung. Mit Frank G. Banta7 meine ich jedoch, daß die Vielfalt der Motive doch durch eine vorausgesetzte einheitliche Situation zusammengehalten wird. Diese wird allerdings erst spät in Strophe II angedeutet, nachdem der Strom der Vorstellungen und Sprachklänge schon fast autonome Kraft gewonnen zu haben scheint. Das Lied ist »Wachtraum der Phantasie«,8 ist der Monolog eines Einsamen, der sich nur vorstellt, er könne seine Geliebte wecken, sie zum Tanz auffordern, mit ihr einen Blumenkranz binden. Tatsächlich aber wird er durch seine Gedanken an ihren Mund und durch seine sich immer weiter vorwagenden Wunschphantasien tausent mal erweckt, freuntlichen er6
Der Vers ist in dieser Fassung um einen Takt zu lang; inhaltlich aber scheint mir diese Fassung die einzige ganz sinnvolle. Eine metrisch korrekte Ausgangsfassung könnte etwa gelautet haben: die tunt die nacht dem armen gwalt. Zu den Lesarten und zur Diskussion der Stelle s. Manfred Zimmermann, Die Sterzinger Miszellaneen-Handschrift, Innsbruck 1980 (Innsbrucker Beitr. zur Kulturwiss., Germanist. Reihe 8), S. 250f.; Christoph März, Die weltlichen Lieder des Mönchs von Salzburg (MTU 114), Tübingen 1999, S. 372f. 7 Frank G. Banta, Dimensionen und Reflexionen: Eine Analyse des Gedichtes ›Frölich, zärtlich‹ von Oswald von Wolkenstein, in: Oswald von Wolkenstein, hg. von Ulrich Müller, Darmstadt 1980 (Wege der Forschung 526) [zuerst englisch 1967], S. 57–78. 8 Ebd., S. 73.
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schreckt auss slauffes träm. Insofern gehört dieses Lied in die Nähe des ›Taghorns‹ des Mönchs von Salzburg und in die Nähe von Oswalds vielbehandeltem nächtlichen Sehnsuchtslied an die geliebte Gret, der Tagelied-Umkehr Kl. 33: Ain tunckle farb von occident mich senlichen erschrecket. Diese Lieder stehen in der Tradition des monologischen Werbe- und Sehnsuchtslieds. Die hineinzitierten Tagelied- und Weckmotive konkretisieren aber die vorgestellte Sprechsituation als die eines nächtlich Einsamen, und sie erlauben – zumal in der Vorstellung der auf ihrem Lager sanft geweckten Geliebten – eine deutlichere Artikulation sexuellen Begehrens, als sie im monologischen Sehnsuchtslied sonst möglich war. Ein erträumtes Aufwecken der geliebten Frau findet sich nun noch in zwei weiteren Liedern Oswalds von Wolkenstein. Beide sind an Maria gerichtet. Das eine, Kl. 40, beginnt so: Erwach an schrick, vil schönes weib, der nie geleicht kain ierdisch leib mit aller hendlin visament, des freu dich loblich heuer. Blick durch des maien obedach und tröst mich, lieb, für ungemach; wenn man den hohen tag erkennt, so kom mir, frau, zu steuer, Das ich des wachters nicht engellt und von im bleib still unvermellt, dorumb ob ich zu lang geblennt wurd in verslauffner scheuer Bei ainer, der ich nacht und tag günstlich, mit gütem herzen, pflag und die mich zölich nach ir zennt durch sorgklich aubenteuer. Auff, jung und alt! ir macht eu kün und gailt eu gen des maien grün, der sich erglennz lustlich ze blüeen uber alle farbe ge¨rwe. Poliert eu klärlich, weib und man, das wir den maien nicht verlän, mit dem wir sollen hoh erstän gar wunniklich an he¨rwe.
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Bis vor kurzem galt dieses Lied als weltliches Tagelied. Max Schiendorfer9 hat aber gezeigt, daß Tagesanbruch, Wächter und Wind auf den Tag des Jüngsten Gerichts verweisen, auf das schidlich streuen. Die Maimotive aber sind in der Tradition des geistlichen Mai zu sehen: Der höchste Baum, der sich grünend erneuert hat und bei dem der Dichter die Geliebte bald zu sehen hofft, ist das Kreuz. Der Aufruf des Refrains an jung und alt, sich für den Mai zu polieren, ist 9
Max Schiendorfer, Ain schidlichs streuen. Heilsgeschichte und Jenseitsspekulation in Oswalds verkanntem Tagelied Kl 40, in: Jb. der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 9 (1996/97), S. 179–196.
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eine Aufforderung, sich für den Anbruch des Jüngsten Tags von Sünden zu reinigen. Schiendorfer meinte nun allerdings, eine »vordergründig-weltliche Lesart« des Liedes sei nicht »bedingungslos zu verwerfen.«10 Mir scheint solches Offenhalten nicht möglich. Zwar gibt es einige wenige Lieder, bei denen schwer zu entscheiden ist, ob sie geistlich oder weltlich zu verstehen sind. Vielleicht haben bei ihnen textexterne Umstände, die wir nicht kennen, z. B. die Aufführungssituation, den Sinn für die Zeitgenossen vereindeutigt. Daß diese Lieder, mögen sie auch mit der Doppeldeutigkeit der Sprache spielen, letztlich nur einen Sinn meinen, davon bin ich überzeugt.11 Jedenfalls fehlen in ihnen alle Züge, die nur in einer Richtung Š gedeutet werden können, nur marianisch oder nur irdischerotisch. Das Lied Kl. 40 aber ist von anderer Art. So weltlich auch sein Bildund Motivarsenal ist, eine weltliche Deutung geht bei ihm nicht auf. Das Lied übernimmt aus der seit dem 13. Jahrhundert etablierten Tradition des geistlichen Tagelieds12 den Wächter, der aus dem Sündenschlaf wecken will. Daß dieser in Strophe I, wo noch die Angst vor den Sündenfolgen überwiegt, als bedrohlich, in Strophe III, wo Preis und Hoffnung dominieren, als fürsorglich 10 11
12
Ebd., S. 195. Zu Oswald Kl. 12 vgl. Walter Röll, Oswald von Wolkenstein, Darmstadt 1981 (Erträge der Forschung 160), S. 76–78. Harders ›Goldener Reihen‹ war nach dem Text der besseren Überlieferungen ursprünglich ziemlich sicher auf Maria zu beziehen; in gekürzter Fassung wurde er aber auch als weltliches Liebeslied aufgezeichnet, die Kolmarer Liederhandschrift hielt andererseits eine Vereindeutigung durch Zufügung des Namens Maria für angebracht, vgl. Frieder Schanze, Meisterliche Liedkunst zwischen Heinrich von Mügeln und Hans Sachs, Bd. I, München 1983 (MTU 82), S. 266f., und RSM 1Hardr/2/1. Bei Frauenlob betont Susanne Köbele die Nähe von geistlicher und weltlicher Liebessprache: Umbesetzungen. Zur Liebessprache in Liedern Frauenlobs, in: Geistliches (wie Anm. 17), S. 213–235. Beim einzelnen Text aber ist bei Frauenlob nie zweifelhaft, wie er gemeint ist. Immerhin weist Köbele darauf hin, daß Strophen eines Frauenlobschen Minneliedes auch zwischen Marienstrophen überliefert sind. Theodor Kochs, Das deutsche geistliche Tagelied, Münster/W. 1928 (Forschungen und Funde 1982); Gerhard Hahn, Es ruft ein wachter faste oder ›Verachtet mir die Meister nicht!‹. Beobachtungen zum geistlichen Tagelied des Hans Sachs, in: Fs. für Walter Haug und Burghart Wachinger (wie Anm. 1), Bd. II, S. 793–801; Uwe Ruberg, Gattungsgeschichtliche Probleme des ›geistlichen Tagelieds‹ – Dominanz der Wächterund Weckmotivik bis zu Hans Sachs, in: Traditionen der Lyrik. Fs. Hans-Henrik Krummacher, Tübingen 1997, S. 15–29; Martina Probst, Nu wache uˆf, sünder træge. Geistliche Tagelieder des 13. bis 16. Jahrhunderts. Analysen und Begriffsbestimmung, Frankfurt a. M. 1999 (Regensburger Beitr. zur dt. Sprach- u. Literaturwiss. B 71); Marianne Derron und Andre´ Schnyder, Das geistliche Tagelied des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Eine Bilanz und ein Projekt, in: Jb. der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 12 (2000), S. 203–216; Andre´ Schnyder, Das ›Hohenfurter Liederbuch‹ und seine geistlichen Tagelieder, in: Deutsche Literatur des Mittelalters in Böhmen und über Böhmen, hg. von Dominique Fliegler und Va´clav Bok, Wien 2001, S. 383–403; ders., Das geistliche Tagelied des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Textsammlung, Kommentar und Umrisse einer Gattungsgeschichte, Tübingen/Basel 2004 (Bibliotheca Germanica 45).
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gesehen wird, läßt sich als Analogie zur doppelseitigen Wächterrolle des weltlichen Tagelieds verstehen. Das Neue und Besondere an diesem geistlichen Tagelied ist jedoch die Rolle der geliebten Frau, genauer: die Präsenz von zwei Frauen. Die Angeredete, gleich zu Beginn und dann wieder in Strophe II und III, ist offenbar Maria. In der zweiten Hälfte von Strophe I aber ist noch von einer anderen Frau die Rede, einer, bei der das Ich zu lange geblennt liegt, verblendet in verslauffner scheuer (womit die niedrige Sphäre der ins Dörperliche transponierten Tagelieder anklingt), von einer Frau, die das Ich zu sich lockt durch sorgklich aubenteuer, zu einer gefährlichen Begegnung. Diese andere Frau dürfte Frau Welt sein. Denkbar wäre bei Oswald von Wolkenstein allerdings auch, daß es sich wie bei Kl. 18 um eine konkrete Geliebte handelt, von der das Ich sich abwenden möchte, weil sie einem (weltlich und geistlich) ›richtigen‹ Leben im Wege steht, abwenden möchte und doch noch nicht ganz kann – wenn unsere biographischen Schlüsse richtig sind, also die Hausmannin. Doch wer auch immer diese falsche Geliebte sein mag, Maria soll gegen sie zu Hilfe kommen. Problematisch bleibt freilich der Weckruf des Anfangs: Erwach an schrick, vil schönes weib. Er ist ja offensichtlich nicht vom Wächter gesprochen, sondern vom Ich, einem Ich, das sich von dem Sündenlager bei der falschen Geliebten zu erheben versucht. Von welchem Schlaf aber soll Maria erwachen? Ist sie als schlafend gedacht, weil ihre Hilfe ausbleibt? Erwach an schrick klingt nicht wie der intensivierte Schrei eines, der schon seit langem vergeblich gerufen hat. Es ist eher das zärtliche Sprechen zur Geliebten, wie wir es von den weltlichen Weckliedern kennen. Auch hier sehnt sich einer aus der Trennung heraus zur Geliebten hin, und diese ist Š nach dem Muster der besprochenen Lieder schlafend gedacht. Selbst die Aufforderung zu blicken fehlt nicht, nur soll Maria statt durch die braw hier durch des maien obedach blicken. Das frische Laub des Liebesmonats Mai ist die Grenze zwischen dem Blick vom falschen Liebeslager hinauf zur schlafenden Geliebten Maria und dem erbarmenden Blick Marias herab auf den Sünder. Das Liebessehnen hinauf zur heiligen Jungfrau wird im weiteren Verlauf des Lieds zunächst in minnesängerischer Zurückhaltung angedeutet – Dein steter diener ewiklich so wil ich sein, du minniklich –, gewinnt aber gegen Ende doch leise erotische Obertöne: Hilf, schatz, das ich dein schön gestallt kurzlich se¨h in des maien wald. Das andere an Maria gerichtete Wecklied Oswalds ist Kl. 34, und in diesem Lied finden wir gleich zu Beginn der ersten Strophe nocheinmal die Formel blick durch die braw, von der ich ausgegangen bin: Es leucht durch graw die vein lasur durchsichtiklich gesprenget; Blick durch die braw, rain creatur, mit aller zier gemenget. Breislicher jan, dem niemand kan nach meim verstan blasnieren neur ain füssel, An tadels mail ist si so gail, wurd mir zu tail von ir ain freuntlich grüssel,
Blick durch die braw
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So we¨r mein swe¨r mit ringer wag volkomenlich gescheiden, von der man er, lob singen mag ob allen schönen maiden.
Daß es sich bei diesem Text um ein Marienlied handelt, ist nie bezweifelt worden. Gegen Ende der zweiten Strophe wird es ja ganz eindeutig gesagt: die uns gebar ain sun keuschlich zu freuden. Am Anfang aber gibt sich auch dieses Lied als Wecklied an eine Geliebte. Ein besonders aufmerksamer Hörer konnte schon in der 5. Zeile der ersten Strophe auf Maria schließen: breislicher jan. Jaˆn ist ein landwirtschaftliches Wort mit variierenden Anwendungsweisen. Es kann die Reihe Gras oder Getreide bedeuten, die ein vorwärts arbeitender Mäher vor sich sieht oder bereits abgeschnitten hat, auch einen zu bearbeitenden Streifen eines Weinbergs oder eine Reihe abgehauenen Gebüschs. Fast immer, übrigens auch in den wenigen Fällen metaphorischer Verwendung, scheint Arbeit konnotiert zu schein. Als preisende Metapher für eine irdische Geliebte ist das Wort daher kaum denkbar. Bei Maria aber lassen sich mehrere traditionelle Epitheta assoziieren: Garbe, Acker, Weinberg. Freilich nur assoziieren. Wort und Begriff jaˆn selbst sind für Maria ungebräuchlich, und so mag ein weniger aufmerksamer Hörer noch eine Weile unsicher gewesen sein, ob von einer irdischen Geliebten oder von Maria die Rede ist. Kl. 34 ist also ein Marienlied mit Tagesanbruchs- und Weckmotiven. Der Tag meint hier nicht wie in Kl. 40 den Tag des Gerichts. Sieglinde Hartmann, die diesem Lied eine ausführliche Studie gewidmet hat, erinnert an die Tradition von Maria als Tagesanbruch oder Morgenröte vor der Sonne Christus.13 Ich glaube nicht, daß diese Bildtradition hier gemeint ist. Es geht hier nicht um ein Bild für Marias heilsgeschichtliche Position, sondern um die Unterordnung der Natur, die im Tagesanbruch besonders herrlich erscheint, unter Maria. In Strophe II heißt es, daß bei Tagesanbruch die ganze Natur Maria dient, in Strophe III, daß alle Schätze und Kräfte der Natur nicht an Maria heranreichen. Auf diese Natur soll Maria blicken, von ihr soll sie sich verherrlichen lassen. Mit der Aufforderung blick durch die braw aber blickt das Ich auf die Wimpern Marias, auf ihr Auge, das noch im Schlaf geschlossen ist oder sich erst langsam öffnet. Wieder stellt sich die Frage: Was für ein Schlaf Marias ist das? Die Fortsetzung der Strophe, in der Maria zur Minnedame wird, der Hintergrund der Wecklieder, vor allem aber der Schluß des Liedes, wo die Bitte um den Beistand Marias in der Todesstunde mit der Vorstellung eines Kusses verbunden wird – wenn sich mein houpt wirt sencken gen deinem veinen mündlin rot, so tü mich, lieb, bedencken! –, all das läßt keinen Zweifel zu: Auch dieses Ich träumt sich zärtlich liebend an das Lager seiner Geliebten. 13
Sieglinde Hartmann, Zur Einheit des Marienliedes Kl. 34. Eine Stilstudie mit Übersetzung und Kommentar, in: Jb. der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 3 (1984/85), S. 25–43, hier 38f.
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Die Geliebte aber, die in beiden Liedern durchaus körperlich mit erotischen Implikationen ›geschaut‹ wird, ist die virgo immaculata. Das scheint mir kühn, nach den Maßstäben zeitgenössischer Mariologie sogar anstößig. Gewiß, der Körper Marias wird nicht so deutlich als Ziel des Begehrens gezeichnet wie der der weltlichen Geliebten im ›Taghorn‹ des Mönchs oder in Oswalds Lied Kl. 53. Aber mit der Imagination der Schlafenden, mit braw, füssel, schön gestallt und vor allem mit dem veinen mündlin rot wird doch auch erotische Attraktivität von Marias Körper signalisiert. Man hat die erotischen Züge in der spätmittelalterlichen Marienverehrung und Mariendichtung oft allzu pauschal als zeittypisch angesehen. An Oswalds Lied Kl. 34 sei »Mitte des 15. Jahrhunderts nichts sonderlich Befremdliches oder Gewagtes«, meint Uwe Ruberg,14 und Hartmann15 zitiert als Autorität Johan Huizinga:16 »Das ganze Leben war so von Religion durchtränkt, daß der Abstand zwischen dem Irdischen und dem Heiligen Š jeden Augenblick verlorenzugehen drohte.« Ich meine, man muß genauer hinsehen. Im 12. Kapitel seines immer noch lesenswerten Buchs breitet Huizinga eine Fülle von Beispielen aus für die gegenseitige Durchdringung von weltlicher und geistlicher Sphäre im 15. Jahrhundert. Da finden sich alltägliche und zu ihrer Zeit unangefochtene Fälle neben gewagten Experimenten und Auswüchsen, die schon von Zeitgenossen kritisiert wurden, und Huizinga deutet im Rahmen seines farbigen Zeitpanoramas die Stellung seiner Beispiele in den Spannungen ihrer Zeit durchaus an. Der spezifische historische Ort einzelner Phänomene, seien es Texte oder Bilder, ihre spezifische Leistung, ihr Wagnis und ihr Gelingen oder Mißlingen, all das wird nur sichtbar, wenn man diese Spannungen ernst nimmt und die Phänomene theologisch-frömmigkeitsgeschichtlich und literarhistorisch-ästhetisch genauer in ihnen zu situieren versucht. Ich möchte für die beiden hier diskutierten Marienlieder Oswalds von Wolkenstein eine solche Verortung versuchen, indem ich die Lieder zunächst in die Verfahren der spätmittelalterlichen geistlichen Kontrafaktur einordne und dann auf die Traditionen geistlicher Liebessprache beziehe.17 Das Stichwort Kontrafaktur wird in verschiedenen wissenschaftlichen Diskussionszusammenhängen nicht einheitlich gebraucht. Zwischen den Form- und Melodieübernahmen aus romanischer Liedkunst in ›Minnesangs Frühling‹ und den geistlichen Umdichtungen weltlicher Lieder im 16. Jahrhundert gibt es ein ganzes Spektrum von formal und funktional unterschiedlichen Phänomenen, die 14 15 16
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Ruberg (wie Anm. 12), S. 24. Hartmann (wie Anm. 13), S. 43. Johann Huizinga, Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, hg. von Kurt Kösters, Stuttgart 1987 [zuerst niederländisch 1919], S. 182. Einige der folgenden Überlegungen berühren sich mit meiner Einleitung zu: Geistliches in weltlicher und Weltliches in geistlicher Literatur des Mittelalters, hg. von Christoph Huber, Burghart Wachinger und Hans-Joachim Ziegeler, Tübingen 2000, S. 1–15.
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mit dem Kontrafakturbegriff in Verbindung gebracht worden sind.18 Ich versuche hier keine Neuvermessung des gesamten Terrains, sondern greife nur einzelne einigermaßen prägnante Typen heraus, um Oswalds Lieder in Relation zu ihnen zu charakterisieren. Kontrafakturen sind die beiden Marienlieder, um die es mir geht, zunächst in dem weitesten und blassesten Sinn des Worts insofern, als Form und Melodie jeweils von einem anderen Lied übernommen sind. Jedes von ihnen singt sich, wie die Oswald-Handschriften sagen, in der weyse oder in der meloŠdey eines andern Lieds. Und wie in der Lyrik des 14. und 15. Jahrhunderts, soweit sie nicht dem Tönegebrauch des Meistergesangs verpflichtet war, üblich, wie auch bei Oswald von Wolkenstein mehrfach sonst, ist das Ausgangslied, das formale Vorbild des geistlichen Liedes, weltlich. Im einen Fall ist es die schon erwähnte Tagelied-Umkehrung an die geliebte Gret (Kl. 33), im andern ein trotziges Frühlingslied um Hauenstein (Kl. 116).19 Sehr viel ist aber mit dieser Einordnung in den weiten Kontrafakturbegriff noch nicht gewonnen; denn die geistlichen Neudichtungen weisen keine textlichen Anklänge an die weltlichen Primärgedichte auf, die den Ton geliefert haben. Keine Kontrafakturen sind die beiden Lieder also in dem relativ strengen und präzisen Sinn des Worts, wie er aus Beispielen der Pfullinger Liederhandschrift entwickelt wurde. Es hat ein man sin wip verloren etc Contrafact uff einen geistlichen sinn: Es hat ein mönsch gotts huld verlorn20 – Umdichtungen also eines weltlichen Liedes in ein geistliches mit mehr oder weniger engen Reminiszenzen an den Wortlaut des Musters. Man hat diesen Typus von Kontrafaktur erklären wollen als Versuch, beliebte weltliche Lieder zu verdrängen. Bei solcher Absicht wären allerdings die Textreminiszenzen, die ja das Vorbild noch präsent halten, nicht verständlich. Auch die Deutung als Allegoresen greift nicht recht; dafür sind die Reminiszenzen nicht genau genug. Mir scheint dieser Typus am ehesten verständlich, wenn man an die Grundbedingungen religiösen Sprechens erinnert. Geistliche Sprache kann im Verhältnis zur Alltagssprache immer nur entweder negierend-übertrumpfend sein (un-endlich, über-irdisch) oder meta18
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Ich nenne nur wenige, mir hier besonders wichtige Titel: Luise Berthold, Beiträge zur hochdeutschen geistlichen Kontrafaktur vor 1500, Diss. Marburg, Auszug gedr. 1920; Walter Lipphardt, Über die Begriffe: Kontrafakt, Parodie, Travestie, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 12 (1967), S. 104–111; Michael Curschmann, Typen inhaltsbezogener formaler Nachbildung eines spätmittelalterlichen Liedes im 15. und 16. Jahrhundert. Hans Heselloher: ›von üppiglichen dingen‹, in: Werk – Typ – Situation, hg. von Ingeborg Glier u. a., Stuttgart 1969, S. 305–325; Uwe Ruberg, contrafact uff einen geistlichen sinn – Liedkontrafaktur als Deutungsweg zum Spiritualsinn?, in: Geistliche Denkformen in der Literatur des Mittelalters, hg. von Klaus Grubmüller u. a., München 1984 (MMS 51), S. 69–82. Vgl. die Subskriptionen unter Kl. 36 und – nur in Handschrift A, wo das Hauensteinlied nur zwei Blätter vorher steht – unter Kl. 40. Volker Kalisch, Die sogenannte Pfullinger Liederhandschrift, in: Württembergische Blätter für Kirchenmusik 49 (1982), S. 3–19, 51–57, hier 18.
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phorisch (Vater, Licht). Wer von Gott als Vater, von Christus als Licht oder Brot der Welt, als Weg oder Heiler spricht, der muß erst einmal eine Vorstellung davon haben, was Vater, Licht, Brot, Weg und Heilen für den irdischen Menschen bedeuten. Geistliche Sprache braucht immer die weltliche, um sich von ihr abzusetzen und sich über sie zu erheben. Diese Grundbedingung läßt sich historisch spezifizieren. In der Sphäre der spätmittelalterlichen geistlichen Frauengemeinschaften, der die Pfullinger Liederhandschrift und generell ein Großteil der spätmittelalterlichen Kontrafakturen entstammen, geht es darum, daß auch ›wir hier im Kloster‹ den Mai oder die Weinlese feiern, daß auch ›wir‹ ein Lied vom liebsten bulen singen können, nur eben viel schöner und sinnvoller als ›die da draußen‹. Es ist die gleiche Denkstruktur der geistlichen Selbstvergewisserung in Analogie zu und Absetzung von den anderen, nach der außerhalb der Liedtradition etwa Heinrich Seuse den Mai begangen hat oder ›Ritter‹ wurde; die gleiche Š Denkstruktur auch, nach der Heinrich Laufenberg einer Dame namens Margarete ein Marienpreisgedicht zugesandt hat mit dem durch 51 Strophen laufenden Akrostichon Frow Margaret, nim hie von mir Ein vasnaht kuechli send ich dir,21 ein Mariengedicht also als ein besseres, weil geistliches, Fastnachtsgebäck. Nur daß sich Seuse und Laufenberg kontrafazierend auf weltliches Brauchtum und allgemeine Vorstellungen beziehen, die Liedkontrafakturen dieses Typs aber auf bestimmte weltliche Lieder. In solcher geistlich kontrafazierenden Bezugnahme auf Weltliches steckt selbstverständlich immer auch ein Element sprachlich-literarischen Spiels, und durch die Wahl der Bezugspunkte oder durch allzuweit ausgeführte Parallelisierung können solche Kontrafakturen etwas Verspielt-Künstliches erhalten, das dem Anspruch des geistlichen Themas zu entgleiten droht. Zumindest in unseren nachreformatorischen bzw. nachbarocken Augen wirkt ein geistliches Fastnachtsküchlein oder ein Lied von der geistlichen Reise ins Bad, wie es in der Pfullinger Handschrift sich findet, fast komisch. Auch manche Zeitgenossen mögen solche Varianten einer im Prinzip anerkannten und ernstgenommenen Praxis skeptisch beurteilt haben. Sie bleiben auch auf relativ wenige Fälle, z. T. auf eine oberrheinische Mode des 15. Jahrhunderts beschränkt.22 Wirklich anstößig aber hätte dieses Verfahren des Kontrafazierens nur werden können, wenn die geistliche Aussage, auf die es zielte, als solche bedenklich geworden wäre. Dafür aber kenne ich kein Beispiel. Zwischen den Kontrafakturen als geistlichen Umdichtungen weltlicher Lieder und den kontrafazierenden Bezugnahmen auf weltliche Vorstellungen stehen schließlich noch die Gattungskontrafakturen. Hier ist das Abstoßbrett für den geistlichen Aufschwung nicht ein bestimmter einzelner Text, sondern eine etablierte und erkennbare Gattung mit ihrem spezifischen Vorrat an geprägten Vor21
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Heinrich Laufenberg, Johannes Kreutzer und die Pfullinger Liederhandschrift stammen aus diesem Raum.
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stellungen und sprachlichen Wendungen. Zu diesem Typus gehört z. B., wie Gerhard Hahn23 gezeigt hat, Luthers Liebeslied an die Kirche: Sie ist mir lieb die werde magd und kan jr nicht vergessen. Lob ehr und zucht von jr man sagt, sie hat mein hertz besessen.
Gattungskontrafakturen sind auch die geistlichen Tagelieder, die aus der Tageliedsituation freilich in der Regel nur den Weckruf des Wächters übernahmen, mit dem sie auf biblische Weckrufe und Wach-Befehle anspielen konnten, während sie die Liebesthematik kaum je aufgriffen.24 Gattungskontrafakturen sind schließlich auch die beiden Marienlieder Oswalds, um die es mir hier geht. Nur beziehen sie sich – und das ist ihre literarische Raffinesse – nicht auf eine im Bewußtsein der Hörer fest etablierte Gattung, sondern auf einen Typus, den ich bislang nur zweimal nachweisen kann und der dadurch, daß er Tageliedmotive im monologischen Sehnsuchtslied spiegelt, seinerseits etwas Schillerndes hat. Und von diesem Typus stoßen sie sich nicht klar übertrumpfend oder umdeutend ab, sondern lassen einfach Motive aus ihm in die neue Thematik hinüberfließen, ohne sich gegen deren Implikationen zu verwahren. Damit werden auf der Bildebene disparate Motive kombiniert. Auf der Bedeutungsebene aber öffnet das literarische Spiel mit Traditionen einen Freiraum, in dem sich auch Ungesichertes, ja mariologisch Bedenkliches hervorwagen kann. Solche erotische Rede von und zu Maria, wie Oswald sie hier wagt, hat, soviel ich sehe, in der deutschen Dichtung der Zeit kaum ihresgleichen. Dabei war die Verknüpfung von geistlicher Thematik und erotischer Bildlichkeit keineswegs ganz ungebräuchlich. Es ist wohl nur eine geringfügige Verkürzung, wenn ich sage, daß erotische Bildlichkeit und erotischer Überschwang im geistlichen Kontext vor allem aus der glutvoll sinnlichen Sprache des Hohenlieds gespeist sind. Das Hohelied wurde im Mittelalter bekanntlich auf dreifache Weise allegorisch gedeutet: die Braut als Kirche, die Braut als Maria und die Braut als Seele des einzelnen Gläubigen. Bei allen drei Deutungen ist der liebende Freund oder Bräutigam Gott oder Christus. Die wichtigsten Varianten religiöser Erotik lassen sich nun aus der zweiten und der dritten Deutungsweise ableiten und, wenigstens im Ansatz, legitimieren. Geht man von der Deutung der Braut als Maria aus, so kann man das Liebesspiel zwischen Gott und Maria thematisieren, das heilsgeschichtlich zur Inkarnation führt. Gottes Liebeswerben um Maria ist in der spätmittelalterlichen Dichtung kein ganz seltenes Motiv,25 die erotischen Valenzen 23
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Gerhard Hahn, Evangelium als literarische Anweisung. Zu Luthers Stellung in der Geschichte des deutschen kirchlichen Liedes, München 1981 (MTU 73), S. 162–173. Durch seine Allegorese der Liebesbindung ist das geistliche Tagelied des Hans Sachs, das Hahn (wie Anm. 12) analysiert hat, ein Sonderfall. Die meisten Beispiele, die Gustav Roethe, Die Gedichte Reinmars von Zweter, Leipzig 1887, S. 238, Anm. 298, für Marienminne anführt, gehören hierher. Vgl. ferner RSM 1 Beh/300, 1FriSo/3/10, 1Hardr/1/1, 1Hardr/3/8, 1Lesch/3/1, 1Marn/7/102, 1Musk/1/37, 1 Musk/1/42, 1Regb/2/8.
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des Motivs arbeitet in extremer Weise Heinrich Frauenlob in seinem Marienleich heraus. So gewagt dort die poetische Ausgestaltung passagenweise ist, sie ist doch nur ein wohlkalkuliertes Oberflächenphänomen, das Irritation und Staunen über Gottes Wunderwege erzeugen soll. Im Š Grundansatz war diese Liebessprache durch die Hoheliedexegese legitimiert. Setzt man andererseits die Braut des Hohenlieds mit der Seele gleich, so kann man die Liebesbeziehung zwischen Gott und dem Menschen erotisch aufladen. Von daher läßt sich der breite Strom insbrünstiger Gottes- und Jesusliebe verstehen, der sich in Texten und religiöser Praxis bis hin zum Seelenbräutigam des Pietismus ergießt. Die kühne Schilderung der Liebesvereinigung der nackten Seele mit Gott bei Mechthild von Magdeburg ist nur ein besonders herausragendes Beispiel.26 Für die Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen dem einzelnen Gläubigen und Maria war jedoch ein Rekurs auf das Hohelied und seine Exegese nicht möglich. Eine Erotisierung dieses Verhältnisses mußte sich eigentlich verbieten, da ja Maria die jungfräuliche Braut und Mutter Gottes war. Nun wäre es freilich naiv, wenn man erotische Triebkräfte hinter der üppig wuchernden Marienverehrung des Spätmittelalters völlig leugnen wollte. Aber in der Sprache blieb mit der Bildlichkeit des Hohenlieds auch das Moment des Begehrens, die Sehnsucht nach Vollzug der Liebesvereinigung, weitgehend abgeblockt. Möglich war eine Evokation erotischer Vorstellungen für die Beziehung zwischen dem Gläubigen und Maria dann, wenn ein deutlicher allegorischer Umbruch folgte wie in zwei Strophen Reinmars von Zweter, die immer wieder als Belege für Marienminne herangezogen werden:27 19
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Ez ist vil manegem minner ob ieman sıˆner vrouwen wand er wil eine ir einer Nu grıˆfen alle Cristen zuo unt dienen mıˆner vrouwen, mit mıˆnem guoten willen
leit, dienet uˆf genædikeit: dienen umb ir hulde unt umb ir gruoz. dienen spaˆte, dienen vruo, si tuot in allen aller sorgen buoz. [. . .]
Swer gerne minniclıˆchen lige unt in den selben vröuden doch den sünden an gesige, den wıˆse ich an ein bette, daˆ er vil maneger vröude nietet sich: Lege sich uˆf sıˆniu baren knie unt ruofe tugentlıˆch zuo der magt, diu sünde nie begie, spreche anders niht wan: ›vrouwe, durch dıˆne groˆze güete erhœre mich!‹ Wie künde er baz geligen unt geminnen? [. . .]
Möglich war auch die Benutzung der Sprache der hohen Minne, in der – ursprünglich aus Gründen höfischer Dezenz im Liebeswerben – freizügiges eroti26
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Mechthild von Magdeburg, ›Das fließende Licht der Gottheit‹, Bd. I, hg. von Hans Neumann, besorgt von Gisela Vollmann-Profe, München 1990 (MTU 100), I, 44, S. 27–32; dazu zuletzt Walter Haug, Gotteserfahrung und Du-Begegnung. Korrespondenzen in der Geschichte der Mystik und der Liebeslyrik, in: Geistliches (wie Anm. 16), S. 195– 212 [wieder in: W. H., Die Wahrheit der Fiktion, Tübingen 2003, S. 464–479]. Roethe (wie Anm. 25), Nr. 19 und 20.
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sches Sprechen weitgehend eliminiert war. Im verehrenden Minnedienst durfte man wohl auch die heilige Jungfrau lieben. Als literarisches Spiel, in dem zunächst offengehalten wurde, wer gemeint ist, wurde diese Möglichkeit gelegentlich im Meisterlied des 14. und 15. Jahrhunderts genutzt, so vor allem in Harders ›Goldenem Reihen‹.28 Eine dritte Möglichkeit kenne ich nur aus einer Strophe in Bruder Hansens Marienliedern, die insgesamt viele Register des Preisens durchspielen. Hier erhält Maria Attribute von Venus; sie entzündet wie Venus durch ihren Liebesschuß Lust und Qual zugleich, was selbstverständlich geistlich verstanden werden soll: Avoy daz lustliich schiessen Mit irre minnen strale Brengt liepliich verdriessen, Vroliichen rou und lusteliiche quale, Und es unzunt den geyst an allent halben, – Sus can die werte suesze Zu eynen mael beyd wonden unde salben.29
Bei aller Ungewöhnlichkeit eines solchen Liebespreises für Maria wird auch hier die Distanz gewahrt, ja in den Attributen der Macht sogar betont. Bei der Verwendung erotischen Vokabulars und erotischer Vorstellungen für Maria wurden, das zeigt diese Umschau, differenzierte Regeln beachtet. Daß generell alles Grobe, alles allzu eindeutig Sexuelle gemieden wurde, war ohnehin selbstverständlich. Aber auch in der Verwendung irdischer Liebessprache und in der Andeutung einer zarteren erotischen Sinnlichkeit wurde abgestuft verfahren. Das zeigt doch wohl, daß man die mariologischen Risiken solchen Sprechens wohl gespürt hat. Vor dem Hintergrund des längst unangefochtenen Wissens um Marias makellose Jungfräulichkeit wagten manche Dichter wohl ein wenig zu spielen und sich die menschliche Himmelskönigin durch Konnotationen irdischer Liebe ein wenig näher zu rücken. Wenn es dabei um Gottes Liebe zu Maria Š ging, erlaubte die epische Distanz ein wenig mehr an Deutlichkeit, konnte das Näherrücken auch durch eine gespielte Anzüglichkeit des Tons geschehen. Ging es aber um das Verhältnis des einzelnen Gläubigen und gar des lyrischen Ichs zu Maria, so waren die Grenzen enger gezogen, vielleicht gerade weil man spürte, wieviel sublimierte Erotik in inniger Marienverehrung stecken 28
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Vgl. Anm. 11. Ferner Christoph Petzsch, Weltliches im marianischen Lied, in: GRM 58 NF 27 (1977), S. 369–375, und RSM 1Schonsb/2/1. Franz Josef Worstbrock macht mich auf ein frühes lateinisches Beispiel aufmerksam: Die in einer Handschrift des 13. Jahrhunderts überlieferte Sequenz O quam formosa, Quam decens, quam diligo (Analecta hymnica 20, Nr. 200) gibt sich als Liebesgedicht an meum Glycerium, was der Deckname der literarischen Geliebten Walthers von Chatillon und anderer war, um erst ganz am Ende zu verdeutlichen, daß sie sich an die mater Dei richtet; vgl. Die Lieder Walters von Chatillon in der Handschrift 351 von St. Omer, hg. von Konrad Strecker, Berlin/Zürich 21964, Nr. 17, und Carmina Burana, Nr. 60,8a und 226,10. Bruder Hansens Marienlieder, hg. von Michael S. Batts, Tübingen 1963 (ATB 58), vv. 2309–15; die unnötige Konjektur des Herausgebers ist hier rückgängig gemacht.
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konnte. Oswald von Wolkenstein hat sich in seinen beiden Weckliedern weiter vorgewagt als andere, hat die sonst eingehaltenen Grenzen überschritten oder zumindest umspielt, indem sein Ich sich im Blick auf die geschlossenen Wimpern an Marias Lager hinträumte und auf einen Kuß auf Marias rotes Mündlein in der Todesstunde hoffte – zarte Träume gewiß, aber von einer unverkennbaren Körperlichkeit. Ob Oswald im literarischen Spiel mit Gattungsreminiszenzen die Grenzen des Statthaften in artistischer Frivolität bewußt verletzen wollte oder ob er, wie ich eher vermute, als theologisch ungelehrter Dichter sich nur von seinen Assoziationen treiben ließ, damit aber einem latent-unterbewußten Zug zeitgenössischer Marienverehrung Gestalt verliehen hat, brauchen wir nicht zu entscheiden. Und als Historiker brauchen wir auch nicht über die Zulässigkeit einer solchen Form der Marienverehrung zu urteilen. Mir jedenfalls liegt es fern, die Rolle des Hieronymus zu spielen, der sich in Thomas Manns Erzählung ›Gladius Dei‹ über ein erotisch provozierendes Marienbild entrüstet. Wohl aber scheint es mir wichtig, daß wir nicht alle Varianten von Liebessprache und Liebesvorstellungen in Mariendichtung und Marienverehrung in den einen Topf des im Spätmittelalter angeblich Üblichen werfen, sondern daß wir die Grenzen sehen, die eine Zeit im allgemeinen beachtet hat und die dann doch ein einzelner Dichter umspielen und überschreiten konnte. 30
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Für Hinweise und klärende Gespräche danke ich Anna Mühlherr, für praktische Hilfe Kerstin Ullrich.
Gattungsprobleme beim geistlichen Lied des 14. und 15. Jahrhunderts Am Ende seiner meisterhaften Untersuchungen zur Verwendungsweise deutscher geistlicher Lieder im Mittelalter hat Johannes Janota ein Koordinatensystem zur Ordnung der vielfältigen überlieferten Liedtypen entworfen.1 Die Vertikale dieses Systems bezieht sich auf das Hauptanliegen der Arbeit, die Frage nach den Gebrauchsfunktionen deutscher geistlicher Lieder im Spannungsfeld zwischen Liturgie und privater Frömmigkeit. An der Grundeinsicht Janotas wird man festhalten dürfen: In den Kernbereich der Liturgie von Messe und Stundengebet ist die deutsche Sprache vor der Reformation nicht vorgedrungen.2 Deutsche Lieder sind in gottesdienstlichem Gebrauch nur bezeugt 1. als Gemeindegesang von meist nur einzelnen kurzen Strophen im Umkreis der Predigt, bei Prozessionen und Wallfahrten und 2. als Chorgesang der Schola cantorum bei paraliturgischen Erweiterungen der Kernliturgie wie Kindelwiegenfeier und Visitatio sepulchri, auch als deutsche Interpolationen von lateinischen Sequenzen, die ja ihrerseits nur als schmückende Zugaben zur Kernliturgie verstanden wurden. Der allergrößte Teil der überlieferten geistlichen Lieder aber ist völlig unabhängig von Liturgie und allgemeinem Gottesdienst nur der privaten Frömmigkeit zuzurechnen. Über den praktischen Gebrauch wissen wir bei diesen Liedern so gut wie nichts. Man kann an gemeinschaftliches Singen denken in freien Andachten oder frommer Geselligkeit. Bei anderen Liedern liegt Gesangsvortrag durch einen Einzelnen näher, wobei mal eher die Andacht, mal eher die Kunst wichtig gewesen sein mag. Auch mit bloßem Vorlesen, Lesen und stillem Beten ist zu rechnen, und selbstverständlich kann jedes Lied hier so und dort anders verwendet worden sein. Die horizontale Ausdifferenzierung des Schemas bezieht sich auf die Frage nach den Schichten und Personengruppen, die die verschiedenen Liedtypen trugen, eine Frage, die Janota gegen Ende seiner Untersuchung in den Vordergrund gerückt hatte. Hier sehe ich gewisse Probleme: Eine Skala von Gemeinde nach Forschungen * zur deutschen Literatur des Spätmittelalters. Fs. für Johannes Janota, hg. von Horst Brunner und Werner Williams-Krapp, Tübingen 2003, S. 93–107. 1
Johannes Janota, Studien zu Funktion und Typus des deutschen geistlichen Liedes im Mittelalter, München 1968 (MTU 23), S. 271. 2 Die neuerdings von Max Schiendorfer geltend gemachte Ausnahme eines deutschen Chorgebets in einem Wiener Frauenkloster bestätigt nur die Regel. [Der Hinweis bezog sich auf Manuskriptversionen von 2000 und 2002; kritisch zu Janotas Position jetzt Schiendorfer in der Druckversion: GGdM, Bd. 5, 2005, S. 27–61. Dagegen s. meinen Nachtrag unten S. 324–327.]
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Gemeinschaft, wie sie Janota vorschlägt, scheint mir kaum auszureichen, da sich Gruppen wie Schola cantorum, Frauenkonvent oder Bruderschaft, Hofgesellschaft mit professionellem Sängervortrag und kunstbeflissene Meistersingergesellschaft nach so unterschiedlichen Prinzipien als Gruppen konstituieren, daß sie sich nicht mehr auf einer Linie aufreihen lassen. Ganz abgesehen davon, daß wir die überlieferten Lieder selten mit Sicherheit einer Trägergruppe zuordnen können. Gleichwohl ist das Schema nützlich als Merkformel für die Ergebnisse Janotas. Unbefriedigend bleibt es nur, wenn man es als literaturwissenschaftliches Gattungssystem für die Fülle der überlieferten geistlichen Lieder mißversteht. Zu den Formen und Niveaus der Texte, den Inhalten und Sprechweisen, die doch in eine Gattungsbeschreibung eingehen müssen, finden sich bei Janota zahlreiche erhellende Beobachtungen. Wirklich wichtig war diese Seite für ihn jedoch nur, soweit sie sich mit seinen Fragen nach dem Gebrauch korrelieren ließ. Solche Korrelationen lassen sich durchaus teils beobachten, teils vermuten. Aber »Funktion und Gestalt fordern und binden sich nirgends ausschließlich.«3 Wie eine Gattungsgliederung für die volkssprachlichen geistlichen Lieder von den Texten selbst her anzugehen ist, von ihren Themen, Frömmigkeitshaltungen, Formen und Kunstansprüchen, diese Frage ist auch in der seitherigen Forschung offen geblieben. Heute, mehr als drei Jahrzehnte nach Janotas Untersuchungen, mag es an der Zeit sein, dieser Frage wenigstens einige vorläufige Überlegungen zu widmen. Der Begriff Gattung kann vom Ordnung suchenden und Ordnung stiftenden Literarhistoriker je nach Interesse auf verschiedenen Ebenen angesetzt werden.4 Aus der Vogelperspektive mag man etwa auch alle Varianten geistlicher Lieddichtung einer einzigen Großgattung ›geistliches Lied‹ subsumieren. Mein Interesse richtet sich auf möglichst prägnante Typen, auf komplexe Muster, die in längerer Tradition gepflegt wurden oder zumindest in einer historischen Situation die Produktion einer Mehrzahl von Liedern geprägt zu haben scheinen.5 Dieses Š Interesse schließt den Versuch einer umfassenden ›Landvermessung‹ von oben 3
Hugo Kuhn, Zur Typologie mündlicher Sprachdenkmäler, in: H. K., Text und Theorie, Stuttgart 1969, S. 10–27, 351–354, hier 22 (zuerst 1960). 4 Vgl. Klaus W. Hempfer, Gattung, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 1, Berlin/ New York 1997, S. 651–655. 5 Diese Präzisierung meines Ziels hat sich mir ergeben in einer brieflichen Diskussion mit Andre´ Schnyder über die Frage, ob das geistliche Tagelied als Gattung anzusehen sei. Mir scheinen die Texte seiner verdienstvollen Sammlung (Das geistliche Tagelied des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Textsammlung, Kommentar und Umrisse einer Gattungsgeschichte, Tübingen/Basel 2004 [Bibliotheca Germanica 45]), eher immer wieder neu ansetzende, oft nur punktuelle Bezugnahmen auf die prägnante Gattung Tagelied und auf biblische Wach- und Weckmotive zu sein, nicht ein geschlossener Typus mit eigener Tradition. Die Berechtigung, sie zu sammeln und unter einheitlichen Gesichtspunkten zu untersuchen, möchte ich freilich nicht in Frage stellen.
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her erst einmal aus. Das Ansetzen bei einzelnen Überschriften, die sich als Gattungsbezeichnungen geben, führt nicht weit.6 So möchte ich versuchen, dort, wo sich Gattungsgruppen und Gattungsoppositionen konkret beobachten lassen, die relevanten Merkmale zu beschreiben und nach ihrer Reichweite über den Einzelfall hinaus zu fragen. Ein paar solcher Merkmale, die in bestimmten Fällen zu einer Gattungsdifferenzierung beigetragen haben, in anderen aber vielleicht auch irrelevant gewesen sein mögen, will ich vorweg aufzählen: Es gibt Lieder mit – konstitutivem oder auch nur beiläufigem – Bezug zu einem Fest des Kirchenjahrs (vorzugsweise Weihnachten, Passion und Ostern) oder zu einer Tageszeit (Morgen, Abend, auch Tischgebet), und es gibt Lieder ganz ohne solchen Bezug. Man kann grundsätzlich zwischen Wir-Frömmigkeit und Ich-Frömmigkeit unterscheiden, beide können sich allerdings auch in ein und demselben Lied begegnen, und Ich-Reden können so hochgradig paradigmatisch sein, daß man sie eher einer Wir-Frömmigkeit zurechnen möchte. Unterschiedliche religiöse Sprachhandlungen – Preis, Bitte, Ermahnung, auch Selbstermahnung, Erzählen und Nachvollzug eines Stücks Heilsgeschichte usw. – können ganz verschiedene Texttypen generieren. In vielen Fällen gibt es Beziehungen zu Prätexten, und dann wird man auf die Art solcher Beziehungen achten müssen: Übersetzung, Paraphrase, Glossierung, Zitat, Kontrafaktur. Unterschiede der sprachlichen, gedanklichen und formalen Niveaus sind Indizien für die Gebrauchssphäre der Lieder und das Kunstbewußtsein ihrer Autoren. Dabei sind Aufbau- und Gedankenschemata (wie die Sieben Schmerzen Marias oder Sündenkataloge), literarische Inszenierungsmuster (wie Dialog, allegorische Szene, Rätsel) und rhetorischformale Mittel (wie gehäufte Metaphorik, Anapher, Reimkünste) zu beachten. Von hoher Bedeutung sind schließlich Strophenbaumuster und Tönegebrauch als Indizien literarisch-musikalischer Traditionsbindung. Alle diese Merkmale und vermutlich noch einige mehr sind historisch wirksam gewesen, aber ihre gattungskonstituierende Signifikanz scheint mir, wie gesagt, keineswegs konstant zu sein. Von Gattungstypen möchte ich bei diesem Versuch erst dann reden, wenn ein Ensemble von verschiedenartigen Merkmalen eine ganze Gruppe von Liedern im Unterschied zu anderen charakterisiert, wobei solche Typengruppen sehr verschieden umfangreich und sehr verschieden stabil sein können. Wie bei allen Gattungsgliederungsversuchen wird es auch hier öfter keine ganz scharfen Grenzen geben, werden immer wieder Grenz- und Zwischenformen auftreten, die in dem einen oder anderen Merkmal vom Haupttypus abweichen und sich zu einem anderen Typus stellen. Aber auch solche Fälle lassen sich präziser beschreiben, wenn man sie auf mehrfach belegte und möglichst vielseitig-plastisch erfaßte Haupttypen beziehen kann.
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Formulierungen wie ein guot gebet, ein Ave Maria, ein winacht liet, ein tagewise benennen nur einen besonders ins Auge fallenden Aspekt; es gibt aber Gebetslieder, Weihnachtslieder, geistliche Tagelieder usw. ganz unterschiedlicher Art.
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Der günstigste Weg zur Bestimmung von Gattungstypen, zu Gruppen von Liedern, die jeweils einem ähnlichen Muster folgen, scheint mir die Analyse von überschaubaren Liedercorpora zu sein, Corpora, die in der Überlieferung selbst zu finden sind, sei es daß in einer Sammlung bestimmte Typen bevorzugt, andere an den Rand gedrängt oder ganz ausgeblendet sind, sei es daß ein Autor verschiedene deutlich getrennte Typen nebeneinander pflegt, sei es daß ein Sammler eine Anordnung nach Typen versucht. Ich möchte hier diesen Weg ein Stück weit gehen, indem ich einige überlieferte Liedercorpora, insbesondere das ›Hohenfurter Liederbuch‹, die ›Pfullinger Liederhandschrift‹ und den Komplex um den Mönch von Salzburg, auf die in ihnen vertretenen Liedtypen hin befrage und von ihnen aus Traditionslinien aufzuzeigen versuche. Das ›Hohenfurter Liederbuch‹,7 entstanden um die Mitte des 15. Jahrhunderts, besteht aus drei Teilen von geistlichen Liedern mit Melodien, überwiegend von ein und demselben Verfasser, der sich »der arme Sünder« nennt. Der dritte Teil ist gemischt und enthält auch einiges Fremdgut; er soll hier unberücksichtigt bleiben. Die Lieder der beiden ersten Teile aber, die alle von dem »armen Sünder« stammen, sind gattungstypologisch klar gegeneinander abgesetzt. Der erste Teil besteht aus drei Liederzyklen, in denen zweimal die Weihnachtsgeschichte und einmal die Passionsgeschichte erzählend-meditierend Š nachvollzogen wird. Von den Weihnachtszyklen besteht der eine aus 247 Zweizeiler-, der andere aus 126 Vierzeilerstrophen, der Passionszyklus umfaßt 1028 Zweizeilerstrophen. Diese langen Strophenfolgen sind gegliedert in Abschnitte von 13 bis 65 Strophen. Genannt werden diese Zyklen rueff, und sie sind ausdrücklich für die kirchfertter bestimmt. Diejenigen unter den Wallfahrern, die da künten lesen, sollten solche püchel mit jn füren vnd den andern vorsingen oder lesen und am Ende eines Abschnitts das volck vermanen, zw sprechen ainen pater noster derselben mainung.8 Zwei der Zyklen haben außerdem kurze Refrains, die wohl vom Volk mitgesungen werden konnten. Ob diese Rufe des ›Hohenfurter Liederbuchs‹ tatsächlich in Gebrauch gekommen sind, ist fraglich; dafür wären sie vielleicht doch zu lang und zu literarisch gewesen. Aber der Typus des vielstrophigen Rufs ist später in einfacherer Form auch sonst bezeugt9 und wird hier wohl bereits vorausgesetzt und in spezifischer Weise extensiv ausgebaut. Gemäß der paraliturgischen Zweckbestimmung ist dieser erste Teil ausschließlich von Wir-Frömmigkeit bestimmt. 7
Ein deutsches geistliches Liederbuch mit Melodien aus dem XV. Jahrhundert nach einer Handschrift des Stiftes Hohenfurt, hg. von Wilhelm Bäumker, Leipzig 1895, Nachdruck 1970; vgl. auch meinen Artikel ›Hohenfurter Liederbuch‹ in: 2VL, Bd. 4, 1983, Sp. 94–99, dazu Nachtrag in Bd. 11, 2004, Sp. 690; Andre´ Schnyder, Das ›Hohenfurter Liederbuch‹ und seine geistlichen Tagelieder, in: Deutsche Literatur des Mittelalters in Böhmen und über Böhmen, hg. von Dominique Fliegler und Va´clav Bok, Wien 2001, S. 383–403. 8 24v, Bäumker (wie Anm. 7), S. 16. 9 Vgl. Eva Fredrich, Der Ruf, eine Gattung des geistlichen Volksliedes, Berlin 1936 (Germanische Studien 174). Zum Wallfahrtslied insgesamt siehe Janota (wie Anm. 1), S. 237–244.
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Ganz anders der zweite Teil. Er inszeniert den persönlichen Glaubensweg des armen Sünders mit Ermahnt- und Gewecktwerden, Bekehrung, Hoffnung, Dank, Rückfall, Klage, Reue usw., teils in Ich-Rede, teils in Dialogen des Sünders mit einem Mahner, mit der Welt oder mit Maria, auch in einem Dialog zwischen Sünde und Vernunft im Innern des Sünders, erst zuletzt dann in der Hinwendung des Bekehrten zu anderen Sündern, die er einlädt, denselben Weg zu gehen. So paradigmatisch der hier inszenierte Weg auch ist, die Darstellung von Stationen einer bewegten Innerlichkeit zielt doch, ganz anders als die Rufe des ersten Teils, auf einen individuellen Glaubensvollzug. Überschrieben ist dieser Teil ethlich geistlich lieder, doch in weltlichen weysen.10 Es handelt sich also um das, was man Kontrafakturen zu nennen pflegt, und offensichtlich haben diese Kontrafakturen hier den Status einer eigenen Gattung, die in Opposition steht zum Gattungstypus Ruf. Die weltlichen Vorbilder sind uns großenteils nicht bekannt. Doch gehe ich wohl nicht fehl in der Annahme, daß es sich nur zum Teil um Kontrafakturen in einem engeren Sinn handelt, Lieder also, die mit der Melodie auch Textelemente des weltlichen Vorbilds aufgreifen und geistlich wenden; in anderen Fällen scheinen spezifische Bezugnahmen auf das Vorbild zu fehlen. Mit dem Stichwort Kontrafaktur habe ich nun einen viel benutzten Ausdruck gebraucht, einen Ausdruck, der je nach Kontext für eine Denkform oder für ein musikalisch-poetisches Verfahren der Tonentlehnung gebraucht wird, dies oft in sehr extensiver Verwendung, in jüngerer Zeit aber auch noch allgemeiner für ein Verfahren, das die Ausdrucksmittel eines bekannten Vorbilds nutzt, um eine ganz andere Botschaft zu vermitteln.11 Wenn man erwägt, den Begriff Kontrafaktur im Sinne geistlicher Umdichtungen weltlicher Lieder auch über das ›Hohenfurter Liederbuch‹ hinaus als Gattungsbegriff zu etablieren, empfiehlt es sich, von der Liedersammlung auszugehen, in der erstmals solche Lieder als contrafact bezeichnet sind, von der ›Pfullinger Liederhandschrift‹.12 Dies ist eine kleine Sammlung von 16 geistlichen Liedern,13 aufgezeichnet ohne Melodien um 1478/80. Die Sammlung bildet den Anhang zu Traktaten des oberrheinischen Predigers 10 11
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64v/65r, Bäumker (wie Anm. 7), S. 38. Zusammenfassend Theodor Verweyen/ Gunther Witting, Kontrafaktur, in: Reallexikon (wie Anm. 4), Bd. 2, 2000, S. 337–340. Für die folgenden Überlegungen wichtig Janota (wie Anm. 1), S. 239f.; Uwe Ruberg, contrafact uff einen geistlichen sinn -Liedkontrafaktur als Deutungsweg zum Spiritualsinn?, in: Geistliche Denkformen in der Literatur des Mittelalters, hg. von Klaus Grabmüller u. a., München 1984 (MMS 51), S. 69–82. Ich zitiere nach Volker Kalisch, Die sogenannte Pfullinger Liederhandschrift, Württembergische Blätter für Kirchenmusik 49 (1982), S. 3–19, 51–57; jedoch setze ich die Verse ab, füge moderne Interpunktion ein und weise stärkere Eingriffe nach. Vgl. auch Michael Curschmann/Gisela Kornrumpf, ›Pfullinger Liederhandschrift‹, in: 2VL, Bd. 7, 1989, Sp. 584–587. Bei Kalisch (wie Anm. 12) und in der Handschrift nur 15 Nummern, Nr. 11 besteht jedoch aus zwei formal ähnlichen, aber nicht gleichen, thematisch verschiedenen Liedern.
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Johannes Kreutzer, und die Lieder sind wohl großenteils in einem Dominikanerinnenkloster seines Einflußbereichs oder für ein solches Kloster entstanden. Die Traktate Kreutzers sind vielfach allegorisch strukturiert, sie heißen z. B. ›Der geistliche Mai‹ oder ›Das geistliche Fastnachtsküchlein‹. Man könnte ihnen durchaus das Etikett ›Kontrafaktur als Denkform‹ geben: Eine weltliche Situation, ein weltlicher Gegenstand wird geistlich aus- und umgedeutet. Genau diese Denkform bestimmt nun auch einen Großteil der Lieder in der kleinen Sammlung am Ende der Handschrift, nur daß die weltlichen Bezugspunkte hier Lieder und Liedinhalte sind. Die besonders ausführliche Überschrift zum letzten Lied lautet: Es hat ein man sin wip verloren etc. Contrafact uff einen geistlichen sinn. Das bedeutet, daß das folgende Lied Es hat ein mönsch gotts huld verlorn ein Gegenstück mit geistlicher Zielrichtung ist zu dem genannten weltlichen Lied. Ein Gegenstück, weil es Form und Melodie übernommen hat, aber auch weil es einzelne Textelemente des Vorbilds aufgreift und geistlich wendet. In diesem Fall kennen wir das weltliche Vorbild, ein Schwanklied, das so beginnt:14 Es hat ein bawr sein fraw verlorn, er kunt sie nimmer finden. Er klopfet an den pfarrhof an: ›habt ir mein frewlein drinnen? Habt ir mein frewlein eingetan, so last sie wider herausser gan! last aus, last aus! ich darf ir selber im haus.‹
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Daraus ist in der Umdichtung geworden: Es hat ein mönsch gotts huld verlorn, dz schuo ff sin große su`nde. Er gieng zuo eim priester ußerkorn, er tets doch im verku`nden. Der priester sprach: ›Nu volg du mir vnd loß die su’ nd, das rot ich dir! Trib uß, trib uß! Jhesus besiczt din huß.‹
In solchem Aufgreifen und Anklingenlassen liegt freilich auch ein Rückbezug auf das weltliche Vorbild, meist nicht wie hier im Sinne einer Parodie zu einem genau erinnerten Text, aber doch im Sinne einer Umkehrung eines Lied- und Denktypus. In geistlichen Fastnachtliedern, Mailiedern, Badliedern, Buhlliedern, Zechliedern besagt solcher Rückbezug etwa: Auch wir hier im Kloster haben Fastnachts-, Mai-, Bade-, Liebes- und Zechfreuden, nur von anderer und höherer Art als die da draußen. Dieser thematische Rückbezug scheint mir neben der Form- und Melodieübernahme zu einem Kontrafakturbegriff im prägnantesten Sinn zu gehören. In der ›Pfullinger Liederhandschrift‹ könnte man diesem Lied14
Nach Kalisch (wie Anm. 12), S. 56; nachgewiesen von Luise Berthold, Beiträge zur hochdeutschen geistlichen Kontrafaktur vor 1500, Diss. Marburg 1918, Auszug gedruckt o. O. o. J. [1920], S. 12.
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typus außer den drei mit contrafactum überschriebenen Liedern noch wenigstens die Lieder 1, 2, 7, 11 und 12 zuordnen, insgesamt also die Hälfte der 16 Lieder. Die Grenzen sind freilich fließend. Vier weitere Lieder (4, 5, 11a, 14) scheinen immerhin Spuren des Motiv- und Formelguts der weltlichen Liedkultur zu enthalten. Da wir wiederum die weltlichen Vorlagen nicht überall kennen, vermögen wir nicht ganz sicher zu beurteilen, ob nicht vielleicht doch auch Elemente eines thematischen Rückbezugs auf sie enthalten sind. Andererseits ist damit zu rechnen, daß die Denkbewegung des Rückbezugs nicht immer wirklich ausgeprägt ist. Werfen wir von hier einen Blick zurück auf den zweiten Teil des ›Hohenfurter Liederbuchs‹. Auch dort gibt es Lieder mit deutlichem Rückbezug aufs weltliche Vorbild und solche ohne erkennbaren Rückbezug. Aber die Überschrift hält als Prinzip für alle fest: ethlich geistlich lieder, doch in weltlichen weysen. Eine praktische Notwendigkeit, die Herkunft der Melodien so zu bezeichnen, bestand gewiß nicht. Es ging dem Schreiber/Redaktor/Autor vielmehr wohl darum, für diesen zweiten Teil der Sammlung einen Horizont des Weltlichen anzudeuten, vor dem die einzelnen Lieder das Thema der conversio eines Sünders aus der Welt in ein geistliches Leben inszenieren. Trotz mancher Unterschiede zwischen beiden Sammlungen – eher literarische Inszenierung von Ich-Frömmigkeit im ›Hohenfurter Liederbuch‹, eher gemeinsame Einübung und Vergewisserung nach getroffener Glaubens- und Lebensentscheidung in der ›Pfullinger Liederhandschrift‹ – trotz solcher Unterschiede könnte man von diesen beiden Quellen aus zu einem prägnanten Gattungsbegriff Kontrafaktur kommen, der fürs 15. Jahrhundert sinnvoll und praktikabel wäre: Kontrafakturen in diesem speziellen Sinn sind dann geistliche Lieder in geläufigen weltlichen Weisen, die den Horizont der nicht eigentlich artifiziellen weltlichen Liedkultur, aus denen die Weisen stammen, zumindest tendenziell, oft aber auch explizit präsent halten und sich damit in den Zusammenhang der Weltabkehr, der conversio, stellen. Neben diesem spezifischen Kontrafakturbegriff wird man freilich einen weiteren Begriff gelten lassen müssen, mit dem jede Art der geistlichen Umdichtung weltlicher Lieder erfaßt wird. Davon wird noch die Rede sein. Von den Liedern der ›Pfullinger Liederhandschrift‹ fallen nun zumindest einige nicht unter diesen Gattungsbegriff. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn in jeder kulturellen Situation ist Verschiedenartiges nebeneinander präsent, und die Sammlung spiegelt eher das Vorhandene, als daß sie wie das ›Hohenfurter Liederbuch‹ ein Programm entwürfe. Nr. 9 und 10 sind zwei Lieder, in denen aszetisches Gedankengut dominiert und mystische Tradition nachwirkt. In beiden geht es nicht mehr darum, sich von der Welt draußen vor den Klostermauern abzusetzen; hier ist das Ziel, nun auch noch sich selbst, dem eigenen Willen, abzusterben. ›Ein bodenloses Zunichtewerden sollen wir an uns haben‹, so heißt es in der Schlußstrophe von Lied 9:
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Ein grundeloß vernichten daz sond wir an vns han Vnd sond niemand berichten Vnd one murmel ston. Ach kinder, lerent sterben Vnd eignen willen lon, So mögen ir erwerben Cristum, der heilgen kron.15 101
Ein Horizont von Weltleben wird da gar nicht mehr sichtbar. Vielleicht ist es darum kein Zufall, daß gerade für diese beiden Lieder keine weltlichen Vorbilder erkennbar sind. Bei Nr. 9 zeigt das auch die Tonangabe: Im thon mir wöllet lehrnen sterben und aignen wille laun. Nicht ein weltliches Lied hat die Melodie geliefert, sondern ein anderes aszetisches Lied,16 dessen Anfang in der Schlußstrophe zitiert wird. Blickt man sich weiter um, so sind diese beiden Lieder einer aszetischen, der Mystik nahestehenden Spiritualität keine Einzelfälle. Ruth Meyer hat 51 Lyrica zusammengestellt, die sie der deutschen Mystik zurechnet.17 Damit hat sie eine ältere Liste Kurt Ruhs mit 24 mystisch-spekulativen lyrischen Texten18 teils durch Neufunde, teils durch Einbeziehung nicht-spekulativer aszetischer Texte, die doch die mystische Tradition erkennen lassen, erheblich erweitert. Man wird zweifellos nicht alle Texte dieser Liste als einer Gattung in dem hier gemeinten Sinn zugehörig ansehen wollen. Bei einigen ist der liedhafte Charakter nicht sicher, und zumindest die Sequenz ›Granum sinapis‹ gehört nach ihrer Form wie nach ihrem sprachlich-literarischen und theologischen Niveau einer anderen Schicht an. Die überwiegend vereinzelte und schlechte Überlieferung macht eine Beurteilung schwierig. Gewiß aber darf man wenigstens dort, wo sich Gruppen von Liedern mystisch-aszetischer Thematik finden, von einem Bewußtsein eines Gattungsmusters ausgehen: bei Nr. 9 und 10 der ›Pfullinger Liederhandschrift‹ (samt dem Vorbild für Nr. 9), bei den ›Tauler-Cantilenen‹19 und bei den dreizehn mystischen Liedern im ersten Teil der von Ruth Meyer entdeckten ›St. Katharinentaler Liedersammlung‹.20
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174v, Kalisch (wie Anm. 12), S. 14; Z. 1 grundloß vernüten Hs. Abgedruckt von Eleonore Benary, Liedformen der deutschen Mystik im 14. und 15. Jahrhundert, Diss. Greifswald 1936, S. 88 f. Ruth Meyer, Maister Eghart sprichet von wesen bloss. Beobachtungen zur Lyrik der deutschen Mystik, in: ZfdPh 113 (1994), Sonderheft, S. 63–82. Zu ergänzen wäre als Nr. 52 Ich vrowe mich grozer minne, siehe Kurt Ruh, Mystische Reimverse, einem Begarden in den Mund gelegt, in: K. R., Kleine Schriften, Bd. II, Berlin/ New York 1984, S. 318–326 (zuerst 1982). Kurt Ruh, Mystische Spekulation in Reimversen des 14. Jahrhunderts, in: K. R., Kleine Schriften II (wie Anm. 17), S. 184–211 (zuerst 1973). Kurt Ruh, Tauler-Cantilenen, in: 2VL, Bd. 9, 1995, Sp. 657–662. Frauenfeld, Thurgauische Kantonsbibliothek, cod. Y 74, S. 117a–154a (1. Drittel des 15. Jahrhunderts), Teil A mit insgesamt 19 Liedern, davon 13 mit mystischen Themen, S. 117a–144a; vgl. Ruth Meyer, Die ›St. Katharinentaler Liedersammlung‹. Zu Gehalt und Funktion einer bislang unbeachteten Sammlung geistlicher Lieder des 15. Jahrhunderts, in: Lied im deutschen Mittelalter, hg. von Cyril Edwards u. a., Tübingen 1996, S. 295–307; Gisela Kornrumpf, ›St. Katharinentaler Liedersammlung‹, in: 2VL, Bd. 11, 2004, Sp. 832–834.
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Ein anderes Lied der ›Pfullinger Liederhandschrift‹, das von meinem prägnanten Kontrafakturbegriff ausgeschlossen wird, ist Nr. 8. Die Š Überschrift Ein Lied von dem Nu´wen Jor könnte allenfalls die Kontrafaktur eines weltlichen Neujahrsgrußes erwarten lassen. Aber im Text findet sich dafür keine Bestätigung. Vielmehr ist hier offenbar ein direkter Bezug auf das Kirchenjahr gewollt. Das Lied richtet sich anaphorisch an den bereits verherrlichten Jesus und schließt mit einer Strophe an Jesus, das kindli kleine, das uns in der Engel Land führen möge. Das dürfte auf den 1. Januar, den Tag der Beschneidung (und damit der Namengebung) Jesu zielen.21 Seiner Machart nach aber ist das Lied zu dem Typus der preisenden Grüße zu stellen, überwiegend, aber nicht ausschließlich, Mariengrüßen, wie sie auf Deutsch vor allem Heinrich Laufenberg gedichtet hat, zum Teil als Übertragungen von pia dictamina des Konrad von Haimburg.22 Bei Laufenberg und Konrad von Haimburg sind diese Grüße in Anlehnung an den Rosenkranz und in freier Analogie zur Zahl der Psalmen oft sehr vielstrophig, doch es gibt auch kürzere Grußdichtungen dieses Typs. In solchen Grüßen sind Strophenanapher und Häufung preisender Metaphern fast obligatorisch, und die finden sich auch hier. Ich zitiere nur die dritte und vierte der sechs Strophen des Pfullinger Lieds: III
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IV
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Jhesus, der engel fröide, der hymmel ougenweide, der megde tugent kleide, der reinen herczen lon. Der selen ganczes leben, ein trub der Ciperreben, min hercz sol an dir kleben, du bist der eren kron. Jhesus, du edler frye, min wunden arczenye, ein harpff der jerarchie, der engel lob gesang, Du aller Sternen glaste, du reiner selen raste, du aller richeit caste, du ewigs liechtes tranck.23
Man spürt schon an dem kurzen Zitat das Streben nach formaler Eleganz, das solchen Grüßen durchweg eigen ist, das aber etwa in Kontrafakturen des beschriebenen Typus sehr viel seltener anzutreffen ist. Š Auch die mehrfach reimende Schweifreimstrophe ist fast typisch für die Grüße der Tradition Konrad von Haimburg – Heinrich Laufenberg.24 21 22
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Für diesen Hinweis danke ich Gisela Kornrumpf. Vgl. Burghart Wachinger, Notizen zu den Liedern Heinrich Laufenbergs, 1979, im vorliegenden Band S. 329–361, hier 341–346. 173v, Kalisch (wie Anm. 12), S. 13; Lesarten: III, 3 tugentz, IV, 5 glast, IV, 6 rast. Lateinischen Ursprungs dürfte zwar auch die einfachere Schweifreimstrophe sein, wie
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Ich bin von zwei Liedersammlungen ausgegangen und habe von ihren Liedtypen aus Linien zu ziehen versucht. Stellt man andere Sammlungen in den Mittelpunkt, so stößt man auf weitere Lieder dieser Typen, manchmal sammlungs- oder autorspezifisch nuanciert; und man stößt auf weitere Typen, die zu verfolgen sich lohnte. In der verbrannten Straßburger Laufenberg-Handschrift, die größtenteils, aber nicht ausschließlich Laufenbergs Lieder enthielt, finden sich neben den erwähnten Grüßen auch zahlreiche Kontrafakturen im hier entwickelten Sinn. Es gibt dort aber auch weitere Typen, die im Spätmittelalter breit belegt sind, im ›Hohenfurter Liederbuch‹ und in der ›Pfullinger Liederhandschrift‹ jedoch ausgeblendet waren: Glossenlieder etwa, in denen ein authentischer Text wie das ›Ave Maria‹ stückweise zitiert und meditierend umspielt wird, oder formgetreue, also sangbare Hymnen- und Sequenzübertragungen, Adaptationen, deren Gebrauch außerhalb der Liturgie ganz unsicher bleibt. Und andererseits gibt es bei Laufenberg einen Liedtypus, der ausschließlich von ihm gepflegt wurde, preisende Weihnachts- und Neujahrslieder mit Got-Anapher und mit einer eigentümlichen metrischen Technik, einer höchst variablen Kombinatorik immer gleicher Bausteine.25 Solche individuelle Gattungskreation könnte man mit Hugo Kuhn einen »Werkstatt-Typ« nennen.26 In all diesen Fällen handelt es sich um dezidiert geistliche Sammlungen. Das Bild ändert sich, wenn man sich der Kunstlyrik zuwendet. Eine der langlebigsten Gattungen der deutschen Literaturgeschichte ist die Tradition von Sangspruchdichtung und Meistergesang. Sie ist bestimmt durch ein Kunstbewußtsein, das sich, zumindest seit dem 14. Jahrhundert, vor allem auf eine bestimmte Art des Gebrauchs von Tönen stützte, Tönen in meist recht anspruchsvollen Strophenformen, die mit dem Namen ihrer Erfinder verbunden blieben. ›In Frauenlobs Langem Ton‹ ist hier eine typische Tonangabe. In diesen Tönen konnten grundsätzlich geistliche und weltliche Lieder gedichtet werden, wenn es auch Schwerpunktsetzungen in der einen oder der anderen Richtung Š gab. Die meisterliche Tradition war nicht völlig von anderen Literaturbestrebungen abgesondert. Gelegentlich wurden Töne und Lieder anderen Ursprungs adoptiert. Und die Tradition hat auch auf andere Bereiche ausgestrahlt; zum Beispiel sind einfachere geistliche Meisterlieder in anders geprägte geistliche Liedersammlungen eingedrungen, so etwa in die ›St. Katharinentaler Liedersammlung‹. Die Grenzen sind also durchlässig, ja sie können da und dort verschwimmen. Die Kontinuität und Konsistenz der Gattung aber wird dadurch nicht in Frage gestellt; denn sie beruht außer auf dem spezifischen Prinzip des Tönege-
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sie etwa in Nr. 12 vorliegt; aber diese schlichtere Form, später geläufig als die Form von ›Innsbruck ich muß dich lassen‹, war um die Zeit der ›Pfullinger Liederhandschrift‹ offenbar nicht mehr so mit lateinischer Formeleganz konnotiert wie die mehrfach reimende Schweifreimstrophe. Wachinger, Notizen (wie Anm. 22), hier S. 347–351 des vorliegenden Bandes. Hugo Kuhn, Gattungsprobleme der mittelhochdeutschen Literatur, in: H. K., Dichtung und Welt im Mittelalter, Stuttgart 1959, S. 41–61, 251–254, hier 48 (zuerst 1956).
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brauchs auf eigenen Meisterliedersammlungen, in denen die Lieder in Meistertönen tradiert wurden, geistliche und weltliche friedlich nebeneinander. Daß in den geistlichen Liedern solcher Sammlungen Züge spezifisch monastischer oder mystischer Frömmigkeit fehlen, ist nicht überraschend. Auch das Corpus der Lieder des Mönchs von Salzburg und seines Umkreises ist großenteils von einem hohen Kunstanspruch geprägt, und auch hier finden sich geistliche und weltliche Lieder nebeneinander, wenngleich die geistlichen Lieder aufs Ganze gesehen breiter überliefert sind. Einen bemerkenswerten Versuch einer Gattungsgliederung hat nun um die Mitte des 15. Jahrhunderts das Register der Handschrift A versucht.27 In einem ersten Teil sind da Mariensequenzen ohne besonderen Festbezug zusammengestellt, überwiegend formal anspruchsvolle, z. T. sogar virtuose Stücke, und zwar sowohl Übertragungen lateinischer Sequenzen wie auch freie Dichtungen in Form und Melodie einer lateinischen Sequenz wie auch als besonderes Prunkstück eine formal von keinem lateinischen Vorbild abhängige große Sequenz, das ›Guldein Abc‹. Der zweite Teil bietet, nach dem Kirchenjahr geordnet, Übertragungen von Hymnen und Sequenzen, wobei das Register gern auf den liturgischen Ort hinweist, damit aber doch nur den Gebrauch der lateinischen Vorbilder meinen kann.28 Der Rest des Inhalts der Handschrift, durchweg Strophenlieder, ist in einem dritten Teil des Registers zusammengestellt. Er ist so überschrieben: Etleiche kostparleichew hübsche lied, so der bemelt herr gemacht hat, mit vil ffiguren vnd subtiliteten, paide Geistleich vnd werltlich.29 Damit Š werden unter einem dezidierten Autorschafts- und Kunstanspruch deutsche Strophenlieder, die sich nicht auf lateinische Traditionen oder liturgischen Gebrauch rückbeziehen lassen, als Gruppe zusammengefaßt, wobei die Unterscheidung von geistlich und weltlich erst sekundär zur Geltung kommt. Sieht man sich allerdings das Mönch-Corpus insgesamt an, so zeigt sich, daß der Unterschied zwischen den weltlichen und den geistlichen Liedern dieser ›nicht-lateinischen‹ Gruppe auch formal deutlich markiert ist.30 Nur die geistlichen Lieder sind in großen Kanzonenstrophen abgefaßt. Sie erinnern damit an den Formtypus der Meisterlieder, auch die mehrfache Verwendung desselben Tons für verschiedene Lieder entspricht meisterlichem Gebrauch, und tatsächlich sind vorzugsweise diese Lieder auch in die meister27
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Zum Folgenden vgl. Burghart Wachinger, Der Mönch von Salzburg. Zur Überlieferung geistlicher Lieder im späten Mittelalter, Tübingen 1989 (Hermaea NF 57), S. 81–88, 126–130. Eingeordnet in diesen Teil sind allerdings auch zwei schlichtere deutsche Lieder, die paraliturgisch verwendet werden konnten: ›Joseph lieber neve mein‹ zur Kindelwiegenfeier und das Passionslied ›Eia der grossen liebe‹ zur Prozession in der Finstermette. Die geistlichen Lieder des Mönchs von Salzburg, hg. von Franz Viktor Spechtler, Berlin/ New York 1972 (Quellen und Forschungen NF 51 [175]), S. 42. Zu den Formen der weltlichen Lieder vgl. Die weltlichen Lieder des Mönchs von Salzburg. Texte und Melodien, hg. von Christoph März, Tübingen 1999 (MTU 114), S. 11–40.
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liche Tradition aufgenommen worden. Gisela Kornrumpf hat jedoch entdeckt, daß mehrere von ihnen ursprünglich aus einer anderen Kunstpraxis zu kommen scheinen, auch wenn wohl schon der Mönch von Salzburg selbst sich dann dem Tönegebrauch der Meisterlieddichter angenähert hat. Zwei Töne stimmen mit Minneliedern des 13. Jahrhunderts überein und sind offenbar direkt oder indirekt von ihnen übernommen. Und das Passionslied G 23 dürfte die Kontrafaktur eines kunstvollen Tagelieds sein.31 Dieses Lied, das ich herausgreifen möchte, behandelt Christi Passion nach den sieben Tagzeiten des Chorgebets (daher wird der Ton in der Kolmarer Meisterliederhandschrift, die das Lied aufgenommen hat, dez munchs korwyse genannt). Die Parallelisierung von Passion und Tagzeiten ist in spätmittelalterlichen Texten nichts Ungewöhnliches und auch in Meisterliedern belegt.32 In zwei Punkten aber ist das Lied auffällig: Am Ende wird in ganz unmeisterlicher Weise eine Art Tornada oder Envoi nach dem Muster der Trobador- und Trouve`relyrik angehängt, metrisch-musikalisch eine Wiederholung des Abgesangs der letzten Strophe, inhaltlich eine Widmung des Lieds, hier eine Widmung an Gott. Ist man dadurch hellhörig geworden, so fällt einem zweitens auf, daß die erste Strophe, noch vor jedem Bezug auf die kanonischen Tagzeiten, sehr ausführlich den Tagesanbruch schildert, ganz ähnlich wie in einem Tagelied: Die nacht wirt schir des himels gast, des tages glast wil ir gewaltig sein. er chumbt mit grossem überlast, sein schein zutrent das firmament pis man in prehen siecht. Er leucht dort her, der Lucifer, gar seldenbär mit seinem chlaren schein. fleuch, vinstre nacht, dir wirt ze swär die morgenröt, die dich benött, das schaiden dir geschicht.
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Sogar das Tagelied-Stichwort schaiden fällt also, nur ist es hier bezogen auf das Scheiden der Nacht, und es fällt bald darauf nochmals in der Bitte, daß Gott mich nicht von im schaid. Das sind in der Tat starke Indizien dafür, daß G 23 Kontrafaktur zu einem verlorenen weltlichen Tagelied ist, einem formal sehr anspruchsvollen Lied, das romanischen Formgebrauch kannte. Wir sind damit in einer gänzlich anderen Sphäre als bei den zuvor besprochenen geistlichen Liedersammlungen wieder auf das Phänomen der geistlichen Kontrafaktur gestoßen. Die Praxis geistlicher Kontrafakturen zu weltlichen Minneliedern ist nun tatsächlich in der Kunstlyrik des 13. und 14. Jahrhunderts nicht ganz selten zu belegen, wenn man mit einigem Spürsinn auf die Suche geht. Ich erinnere nur an das ›Palästinalied‹ Walthers von der Vogelweide, das man als Kontrafaktur von Jaufre Rudels Lied vom amor de lonh verstehen kann, oder an die geistliche 31
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Mündliche und briefliche Hinweise von Gisela Kornrumpf, vgl. Wachinger, Der Mönch (wie Anm. 27), S. 129. Vgl. Nigel F. Palmer, Tagzeitengedichte, in: 2VL, Bd. 9, 1995, Sp. 577–588; ergänzend Gisela Kornrumpf, ebd. Bd. 11, 2004, Sp. 1476–1488.
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Umdichtung von Steinmars Lied von der dirne, die nach krute gat. Während für das Minnelied ein je neuer Ton erwartet wurde, war es offenbar unanstößig, den Ton eines Minneliedes für ein geistliches Lied wiederzuverwenden.33 Noch bei Oswald von Wolkenstein steht in Handschrift B zweimal ein weltliches Liebeslied als Tonmuster an erster Stelle vor einem oder mehreren geistlichen Liedern.34 Immer wieder findet man in solchen Fällen auch wörtliche und motivliche Entsprechungen zum weltlichen Vorbild, ganz ähnlich wie bei den Kontrafakturen der Sammlungen, von denen ich ausgegangen bin. Kontrafakturen in einem weiteren Sinn wird man solche Lieder gewiß nennen dürfen. Aber es scheint mir sinnvoll, aus dieser weit verbreiteten Praxis, die nach Frömmigkeitshaltung, FormŠtypus und Kunstanspruch sehr verschiedenartige Lieder hervorgebracht hat, den spezifischen Typus von Kontrafaktur, wie er in der ›Pfullinger Liederhandschrift‹ und – individualisiert – im ›Hohenfurter Liederbuch‹ greifbar wird, als traditionsbildendes Muster hervorzuheben, jenen Typus, der aus einer conversio-Haltung heraus sich vor allem auf das populäre weltliche Lied mittleren und geringeren Kunstanspruchs zurückbezieht und dabei oft noch hinter dem Formniveau des Vorbilds zurückbleibt. Nur Kontrafakturen dieses Typs treten in der Überlieferung in Gruppen auf, präsentieren sich also auch aus ihren Lebensund Gebrauchszusammenhängen heraus als eigener Typ. Was ich hier entwickelt habe, kann nicht mehr sein als ein erster Versuch. Immer wieder habe ich mich bei der Arbeit gefragt, ob solches Bemühen um Sortierung von Gattungen nicht in ein fruchtloses Schubkastendenken führt. Ich habe mich damit getröstet, daß wir ohne Ordnungsversuche weniger sehen und daß einigermaßen materialadäquate Schubladen besser sind als flüchtige Etikettierungen. Vor allem aber habe ich mich bemüht, im Kontrastieren der Typen deren Lebenszusammenhang mitzudenken. Wenn man meinen Weg für gangbar hält und auf ihm fortschreitet, wird man wohl einen großen Teil der überlieferten Massen von geistlichen Liedern etwas plastischer sehen können. Daß sich alle überlieferten Lieder einem fest umrissenen Gattungstypus zuordnen lassen, glaube ich allerdings nicht. Weder die Kunst noch die Frömmigkeit hält sich immer an Regeln. So wüßte ich für zwei Lieder des 15. Jahrhunderts nicht recht, zu welchen ähnlichen Liedern ich sie stellen könnte. Es sind zwei Weihnachtslieder, die im 19. Jahrhundert im Zuge von Kirchenlied-Reformbemühungen wieder entdeckt und belebt wurden und noch heute bekannt sind: ›Es kommt ein Schiff geladen‹ und ›In einem Kripplein lag ein Kind‹. Das erste ist übrigens erstmals in der ›St. Katharinentaler Liedersammlung‹, das zweite bei Laufenberg und in 33
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Zu den Problemen des Tönegebrauchs vgl. Gisela Kornrumpf / Burghart Wachinger, Alment. Formentlehnung und Tönegebrauch in der mittelhochdeutschen Spruchdichtung, in: Deutsche Literatur im Mittelalter. Kontakte und Perspektiven. Hugo Kuhn zum Gedenken, hg. von Christoph Cormeau, Stuttgart 1979, S. 356–411 [wieder in: Gisela Kornrumpf, Vom Codex Manesse zur Kolmarer Liederhandschrift, Bd. I, Tübingen 2008 (MTU 133), S. 117–168]. Kl. 33–36, 37–38.
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der ›Pfullinger Liederhandschrift‹ überliefert. Vielleicht hängt ja die besondere Lebenskraft dieser Lieder sogar damit zusammen, daß sie sich nicht nach irgendwelchen zeitbedingten Gattungsregeln gerichtet haben.
Nachtrag zu Anmerkung 2 Max Schiendorfer hat meine Formulierung kritisiert, daß die deutsche Sprache in den Kernbereich der Liturgie von Messe und Stundengebet nicht vorgedrungen sei und der Wiener Codex 3079 eine Ausnahme darstelle, welche die Regel bestätige. Er beruft sich dabei u. a. auf die Kritik, die an Janotas Liturgiebegriff geäußert worden ist.35 Sein Fazit lautet: »Offensichtlich gab es schon Generationen vor Luthers Auftreten bemerkenswerte, von höchsten weltlichen Repräsentanten protegierte Anläufe, die Volkssprache zumindest im Stundengebet der offiziellen lateinischen Liturgiesprache gleichzustellen. Und da nun der Nachweis dieser Möglichkeit grundsätzlich erbracht ist, sollten eher umgekehrt alle bislang als rein ›private Andachtsbücher‹ eingestuften deutschen Stundengebetstexte nochmals sorgfältig auf allfällige Gegenindizien hin geprüft werden.«36 Mit diesen Formulierungen scheint mir Schiendorfer die wichtigen Ergebnisse seiner bewundernswert gründlichen Untersuchung in einer Weise zu verallgemeinern, die mich nicht überzeugt; und da es sich um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung für das Verständnis der deutschsprachigen geistlichen Lieder des Mittelalters handelt, möchte ich meine heutige Sicht kurz darlegen. Janotas hochreflektierter Versuch einer mittelaltergemäßen Liturgiedefinition37 hat überhaupt erst den Blick dafür frei gemacht, daß volkssprachliches geistliches Liedgut nach seiner Nähe oder Ferne zur Liturgie differenziert werden kann und muß. Weder regionale Unterschiede noch liturgieähnliche (paraliturgische) Riten hat Janota übersehen, wie man ihm zu Unrecht vorgeworfen hat. Man mag vielleicht die Grenzen dessen, was man als liturgisch gelten läßt, anders ziehen als er, etwa indem man auch libri ordinarii als liturgische Bücher einstuft.38 Aber dann kommt man nicht darum herum, innerhalb der Liturgie einen unumstößlichen festen Kern anzusetzen und von variablen Teilen zu unterscheiden. In der Messe wurde, soweit wir heute wissen, zumindest dieser Kern ausschließlich lateinisch zelebriert. Deutsche Übersetzungen des Missale dienten lediglich dazu, den Laien das liturgische Geschehen verständlich zu machen.39 Deutsche 35
36 37 38
39
Schiendorfer 2005 (wie Anm. 2), S. 59, unter Berufung auf Lipphardt und Harnoncourt (vgl. unten Anm. 40 und 38). Schiendorfer 2005 (wie Anm. 2), S. 60. Janota (wie Anm. 1), S. 5–32. So Philipp Harnoncourt, Gesamtkirchliche und teilkirchliche Liturgie, Freiburg i. Br./ Basel/ Wien 1974, S. 299, Anm. 14. Vgl. Angelus A. Häußling, ›Missale‹ (deutsch), in: 2VL, Bd. 6, 1987, Sp. 607–612, dazu Nachtrag 2VL, Bd. 11, 2004, Sp. 1006.
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Lieder sind, wie Janota nachgewiesen hat, am ehesten im Umkreis der Predigt belegt, die ja aus dem liturgischen Vollzug heraustritt. Was die Medinger Orationalien, die Lipphardt gegen Janota anführt, an deutschem Liedgut zur Messe bezeugen, ist lediglich ein Meditations- und Gebetsangebot für die der Messe folgenden Nonnen. Die gelegentlich vorkommenden Aufforderungen zum Singen sind offensichtlich metaphorisch zu verstehen: Gemeint ist ein inneres Singen des Herzens, so z. B. in der ersten Weihnachtsmesse bei der Elevation der Hostie: so valle vp dine kny vnde anbede dat leue kindeken mit andacht dines herten, singhe vp dem seyden-spele diner sele vnd sprik: Ghelouet sistu ihesu crist dat du hute boren bist . . .40 Auch beim Chorgebet ist davon auszugehen, daß die Chorherren und die Ordensgemeinschaften ihr verordnetes officium in aller Regel auf lateinisch gebetet und gesungen haben. Zu Provenienz und Gebrauch der bislang bekannt gewordenen deutschsprachigen Breviere sind zweifellos noch genauere Untersuchungen notwendig. Aber für die Mehrzahl möchte ich an dem Urteil von Angelus Häußling festhalten, daß solche Handschriften »teils der Vorbereitung und Sinnerschließung der Liturgie für die zum Chorgebet Verpflichteten, teils der Einführung und dem privaten Gebet von Laien, insbesondere gebildeten und ständisch herausgehobenen Personen« dienten.41 Die Handschriften aus dem Umkreis der Grafen von Stolberg z. B. unterscheiden deutlich zwischen dem lateinischen Vorbild, dem offiziellen Chorgebet der Kirche von Stolberg, und denen, für die die Übersetzung bestimmt ist, innige menschenn den dach die latinische sprache vnuorstentlich ist.42 Fromme Laien mögen ihre deutschsprachigen Gebetsübungen sehr wohl möglichst eng ans klösterliche Stundengebet angelehnt haben, und vielleicht haben sich hochgestellte Persönlichkeiten dazu auch einen Priester engagiert. Aber solche Veranstaltungen blieben dann doch nur analogisch bezogen auf das verordnete officium. Insofern halte ich die drei von Schiendorfer diskutierten Handschriften, die auf ein klösterliches Chorgebet in deutscher Sprache zu deuten scheinen, doch für Sonderfälle, höchst interessante Sonderfälle allerdings. Die beiden von Erasmus Werbener, wohl einem Berufsschreiber, geschriebenen Codices (Wien, ÖNB, cod. 3079, und München, UB, 2o cod. ms. 152) setzen das Chorgebet einer Frauengemeinschaft voraus, denn sie weisen der singerin bzw. der chantrin (Kantorin) besondere liturgische Aufgaben zu. Daß Versuche, ein volkssprachliches officium zu etablieren, am ehesten von Frauenkonventen ausgehen oder auf Frauenkonvente zielen konnten, ist bildungsgeschichtlich 40
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Walther Lipphardt, Die liturgische Funktion deutscher Kirchenlieder in den Klöstern niedersächsischer Zisterzienserinnen des Mittelalters, in: Zs. f. kath. Theologie 94 (1972), S. 158–198, hier 177. Vgl. ders., ›Medinger Gebetbücher‹ (›Medinger Lieder und Gebete‹), in: 2VL, Bd. 6, 1987, Sp. 275–280, dazu Nachtrag und Korrektur 2VL, Bd. 11, 2004, Sp. 982. Angelus Häußling, Brevier, in: 2VL, Bd. 11, 2004, Sp. 287–297, Zitat Sp. 294. Häußling, ebd., Sp. 296, Nr. 15.
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nicht überraschend. Ganz offensichtlich haben sich solche Versuche nicht breit durchsetzen können. Als Versuche, als Vorstöße sind sie gleichwohl bemerkenswert. Die konkreten Bedingungen, unter denen sie möglich waren, hat Schiendorfer mit kriminalistischem Scharfsinn aufzudecken versucht. Daß er mehrfach über Vermutungen und Plausibilitäten nicht hinausgekommen ist, darf bei der dürftigen Indizienlage nicht verwundern, sollte aber bei der Beurteilung seines Gesamtbilds im Auge behalten werden. Ausgehend von einer Stelle, die Schiendorfer zitiert, die ich aber spezifischer als er zu deuten versuche, möchte ich im Folgenden zeigen, daß einige Züge seines Gesamtbilds vielleicht anders gezeichnet werden könnten. Für die Wiener Handschirft 3079 hat Schiendorfer durch eine Analyse des liturgischen Repertoires wahrscheinlich gemacht, daß sie für die Wiener Magdalenerinnen bestimmt war, und er geht ausführlich auf die Schwierigkeiten ein, deren Ordenszugehörigkeit zwischen Zisterzienserinnen und Augustinerinnen zu bestimmen. Wechsel der Ordensregel und der Zuordnung zu Ordensseelsorgern scheint es in der Geschichte der Magdalenerinnen oder Reuerinnen mehrfach gegeben zu haben. Gegründet wurde der Orden im 13. Jahrhundert für ehemalige Prostituierte und gefallene Mädchen. Und obwohl er vielerorts bald schon auch zur Versorgung ehrbarer Töchter gedient hat, muß es beim Wiener Konvent noch um die Mitte des 15. Jahrhunderts ein Bewußtsein von dieser urspünglichen, vielleicht auch weiterlebenden Zweckbestimmung gegeben haben. Das geht aus einer Stelle hervor, auf die Schiendorfer hingewiesen hat.43 In der ›Tafel der christlichen Weisheit‹44 werden in einem Kapitel Anregungen für fromme Stiftungen verschiedenster Art gegeben, darunter Item stifft zu zwelff gemainen tochtern,45 daz sie verslossen got dienen und pußen und den psalter offenlich tewtsch lesen, als zu Wienne ist.46 Schiendorfer schließt daraus auf eine allgemeine Wiener Besonderheit des deutschsprachigen Chorgebets, ich schließe vielmehr auf eine Besonderheit nur der Wiener Magdalenerinnen; denn nur sie können in der Notiz gemeint sein. In den lateinischen Statuten des Ordens wird für das Chorgebet ganz selbstverständlich Latein als Sprache vorausgesetzt,47 und eine deutschsprachige Ergänzungsordnung, die aus einer Visitation des Wiener Magdalenerinnenklosters von 1434 hervorgegangen ist,48 äußert sich nicht näher zum Chorgebet. Immerhin ist in den Statuten festgelegt, daß nur die jungen Schwe43 44
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48
Schiendorfer 2005 (wie Anm. 2), S. 48, Anm. 10. Vgl. Dagmar Gottschall, in: 2VL, Bd. 9, 1995, Sp. 574–576; älteste datierte Handschrift 1458. D. h. Prostituierten. Egino Weidenhiller, Untersuchungen zur deutschsprachigen katechetischen Literatur des späten Mittelalters, München 1965 (MTU 10), S. 97. Constitutiones sororum sanctae Mariae Magdalenae, in: Raimundi Duellii [. . .] Miscellaneorum quae ex codicibus mss. collegit liber I, Wien/Graz 1723, S. 181–198. Charta reformationis monasterii S. M. Magdalenae ante Portam Scotensem, ebd., S. 199– 215.
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stern das tägliche Chorgebet lernen mußten; wer mit 24 Jahren den Psalter noch nicht konnte, brauchte ihn nicht mehr zu lernen.49 Ein deutsches Chorgebet der Wiener Magdalenerinnen könnte in analoger Weise auf begrenzte Möglichkeiten der jeweiligen Nonnen Rücksicht genommen haben, vielleicht auch auf Wunsch eines lokalen Stifters eingeführt worden sein. Jedenfalls hat es für die Wiener Magdalenerinnen schon vor 1477, dem Entstehungsjahr des cod. 3079, die besondere Lizenz eines deutschen Chorgebets gegeben. Ob dann die im cod. 3079 eingetragene Devise Kaiser Friedrichs III. wirklich, wie Schiendorfer meint, als Stiftungsnotiz zu verstehen ist, ob also Friedrich aktiv ein deutsches Chorgebet gefördert hat, wie Schiendorfer annimmt, oder ob im Zuge der Umwandlung des Stifts die bei Werbener bestellte Brevierhandschrift gerade nicht mehr Verwendung finden konnte und in der kaiserlichen Biblkothek landete, möchte ich gerne offen lassen. Aber ich wage die generalisierende Vermutung, daß Stiftungen und Konvente, die nicht eindeutig einem etablierten Orden zugehörten, am ehesten das Einfallstor für ein praktiziertes deutschsprachiges Chorgebet, wie es bislang erst in ganz wenigen Handschriften und Zeugnissen belegt ist, gebildet haben dürften.
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Andre´ Simon, L’Ordre des Pe´nitentes de Ste Marie-Madeleine en Allemagne, Fribourg 1918, S. 39; Constitutiones (wie Anm. 47), S. 194.
Notizen zu den Liedern Heinrich Laufenbergs Zu den wenigen Texten des Mittelalters, die noch heute einer größeren Zahl von Nichtfachleuten bekannt sind, gehören mehrere Lieder Heinrich Laufenbergs: WK 706 In einem krippfly lag ein kind, WK 707 Ach lieber herre ihesu crist, WK 710 Ich weiß ein lieplich engelspil und WK 715 Ich wölt dz ich do heime wer.1 Daß von den ca. 100 Liedern Laufenbergs gerade diese vier im 19. und 20. Jahrhundert rezipiert wurden, ist nicht ganz zufällig. Drei von ihnen (WK 707, 710, 715) gehören zu den vier Laufenberg-Liedern, die Philipp Wackernagel mit Text und Melodie in sein programmatisches ›Kleines Gesangbuch‹ von 1864, mit dem er seine Position in den Bemühungen um eine Reform des evangelischen Kirchengesangs verdeutlichen wollte, aufgenommen hat; und vom vierten (WK 706 zur gleichen Melodie wie WK 707) haben frühe Volksliedsammlungen wenigstens die erste Strophe mit Melodie abgedruckt. Š Auf diese Ansätze des 19. Jahrhunderts aber haben evangelische Liedpflege und Singbewegung, die den Liedern schließlich zu weiter Verbreitung verholfen haben, zurückgegriffen – gewiß nicht ohne eigenes Urteil: wenige Lieder Laufenbergs waren so wie diese für eine Wiederbelebung geeignet. In ihnen fehlt nicht nur die bei Laufenberg Medium * aevum deutsch. Beiträge zur deutschen Literatur des hohen und späten Mittelalters. Fs. für Kurt Ruh zum 65. Geburtstag, hg. von Dietrich Huschenbett, Klaus Matzel, Georg Steer, Norbert Wagner, Tübingen 1979, S. 349–385. 1
Als Beispiele für die Verbreitung seien nur folgende Gesang- und Liederbücher genannt: Gesangbuch für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (im Gebrauch 1928–1957): WK 710 und 715; Evangelisches Kirchengesangbuch (im Gebrauch seit 1957): WK 715; Das Quempas-Heft, hg. von Wilhelm Thomas und Konrad Ameln (seit 1930), und Das Quempas-Buch, hg. von Konrad Ameln u. a. (seit 1962; Gesamtauflage aller Quempas-Ausgaben 1978 über 3 Millionen): WK 706; Gesellige Zeit, hg. von Walther Lipphardt (seit 1933, letzte Auflage 1976, Gesamtauflage mehrere hunderttausend): WK 707 in einem Satz von Walter Hensel; Lob Gott getrost mit Singen. Ein Liederbuch für evangelische Frauen, hg. von der Evangelischen Reichsfrauenhilfe, 450. Tausend Potsdam o. J. (ca. 1935): WK 707, 710, 715; Singbuch, hg. von Gottfried Wolters, Wolfenbüttel/Zürich o. J. (ars musica. Ein Musikwerk für höhere Schulen Bd. 1): WK 706 und 715; Musik im Leben. Schulwerk für Musikerziehung, begr. von Josef Heer u. a., Bd. I, Ausgabe für Bayern, bearb. von Hermann Schiegl, Frankfurt a. M. /Berlin/München 1973: WK 715 in einem dreistimmigen Satz von Wolfgang Fortner (1956). Selbstverständlich läßt sich der Bekanntheitsgrad eines einzelnen Liedes aus der Verbreitung der Liedersammlungen kaum ablesen, da diese manche Lieder aus Gesichtspunkten der Liedpflege aufgenommen haben, die dann doch nicht so häufig gesungen werden. Doch kenne ich wenigstens WK 706 und 707 aus eigenem, ›vorwissenschaftlichem‹ Singgebrauch; WK 715 war mir schon früher aus Lyrikanthologien bekannt.
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stark dominierende, für die meist protestantischen Rezipienten aber nicht akzeptable Marienthematik – kleine Reste hatte schon Wackernagel durch Kürzungen eliminiert –, vor allem zeichnen sich diese Lieder aus durch schlichte, aber eindrucksvolle Melodien, durch Einfachheit der Sprache und Form und durch einen Ton ernster, naiv wirkender Innigkeit, Qualitäten, denen man sich auch heute, nachdem die Rezeption selbst schon wieder historisch geworden ist, kaum entziehen kann. Die übrigen z. T. sehr andersartigen Lieder dieses Autors aber sind nicht nur der Allgemeinheit unbekannt, sondern größtenteils auch von den Fachleuten wenig beachtet.2 Außer den knappen Darstellungen in den Handbüchern, unter denen der sorgfältige Artikel von Ludwig Denecke in der 1. Auflage des Verfasserlexikons hervorzuheben ist, gibt es nur zwei Arbeiten, die das gesamte Liederœuvre Laufenbergs untersuchen, die Dissertationen von Müller und Boll,3 die, so verdienstvoll sie sind, bei dem heutigen Stand der Spätmittelalterforschung nicht mehr zu genügen vermögen. Eine genauere Beurteilung der historischen Stellung Laufenbergs – auch seiner wenigen wohlbekannten Lieder – wird jedoch erst möglich sein, wenn das Gesamtwerk überschaubar und in seinen biographischen, literatur- und musikgeschichtlichen Zusammenhängen, in seinem Verhältnis zur Liturgie und in seiner Stellung zu spätmittelalterlichen Frömmigkeitsrichtungen erfaßt ist. Dazu sind freilich noch umfangreiche philologische Vorarbeiten nötig. Eine neue Grundlegung ist von einer Untersuchung und Neuausgabe der Lieder durch Franz-Josef Bartmann zu erwarten.4 Als Ergänzung zu seiner Arbeit vor Š allem in formgeschichtlicher und gattungstypologischer Richtung möchte ich hier einige Beobachtungen mitteilen, die ich bei der Vorbereitung des Laufenberg-Artikels für die 2. Auflage des Verfasserlexikons5 und im Zusammenhang mit allgemeineren Untersuchungen zur spätmittelalterlichen Lieddichtung gemacht habe. Meine Notizen betreffen einzelne Aspekte der Überlieferung (I) und einige bislang nicht beachtete Liedertypen (II); das erwünschte 2
Dies gilt in noch höherem Maß auch für das übrige Werk Laufenbergs. Hier wurde jedoch kürzlich ein entscheidender Fortschritt erzielt durch Heinz H. Menge, Das ›Regimen‹ Heinrich Laufenbergs. Textologische Untersuchung und Edition, Göppingen 1976 (GAG 184). 3 Ed. Richard Müller, Heinrich Loufenberg, eine litterar-historische Untersuchung, Diss. Straßburg, Berlin 1888; Lidwina Boll, Heinrich Loufenberg, ein Lieddichter des 15. Jahrhunderts, Diss. Köln, Düsseldorf 1934. 4 Ich danke Herrn Bartmann für bereitwillige Auskunft über Konzeption und Stand seiner Arbeit. Die Schwerpunkte seiner Untersuchung (Biographie, Rekonstruktion der Straßburger Handschrift, Bildersprache) berühre ich nur in meinem ersten Abschnitt – mit seiner freundlichen Einwilligung und in der Überzeugung, daß ich hier ohnehin nur Vorläufiges bieten kann. Die Tatsache, daß wir beide unabhängig voneinander zu ähnlichen Auffassungen vom Aufbau der Straßburger Handschrift gelangt sind, mag eine Bestätigung der Ergebnisse sein. [Die Arbeit ist nicht erschienen. Es bleibt zu hoffen, daß Max Schiendorfer seine vorbereitenden Studien (s. Anm. 6) in eine Neuausgabe münden läßt.] 5 2 [ VL, Bd. 5, 1985, Sp. 614–625.]
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Gesamtbild kann von diesem Beobachtungsmaterial aus zwar anvisiert, aber noch nicht ausgeführt werden.6
I 1. Zum Aufbau der Straßburger Handschrift Eine zentrale Schwierigkeit bei jeder Beschäftigung mit Laufenberg liegt in der Tatsache, daß mehrere Handschriften mit Texten dieses Autors im Jahre 1870 in Straßburg verbrannt sind, darunter die Liederhandschrift B 121 4o, die für die meisten Lieder die einzige Überlieferung war. Die Liedertexte sind uns zwar durch die Ausgabe Wackernagels größtenteils erhalten; doch über viele Fragen, die uns heute über Wackernagel hinaus interessieren, könnte nur die Handschrift selbst Auskunft geben. Inhalt und Aufbau der Handschrift hat Müller7 zu rekonstruieren versucht. Außer der gedruckten Ausgabe Wackernagels (WK) konnte er noch dessen handschriftliche Druckvorlage (WM)8 und die älteren Nachrichten von Maßmann9 benutzen. Müllers Rekonstruktion ist zwar im wesentlichen richtig, doch sind ihm einige Flüchtigkeitsfehler unterlaufen, und er hat nicht alle Nachrichten ausgeschöpft, die sich aus Wackernagels Manuskript gewinnen lassen. 6
[Mit Nachdruck möchte ich hinweisen auf vier seither erschienene Aufsätze von Max Schiendorfer: Der Wächter und die Müllerin »verkeˆrt«, »geistlich«. Fußnoten zur Liedkontrafaktur bei Heinrich Laufenberg, in: Contemplata aliis tradere, hg. von Claudia Brinker u. a., Bern usw. 1995, S. 273–316; Ein vündelıˆn zu Heinrich Laufenbergs Liedercodex (olim Straßburg B 121) und zu seinem Wecklied Stand vf vnd sih Ihesum vil rein, in: ZfdPh 119 (2000), S. 421–426; Johanniterbibliothek Straßburg, Cod. B 121. Die verlorene Liederhandschrift Heinrich Laufenbergs, in: Entstehung und Typen mittelalterlicher Lyrikhandschriften, hg. von Anton Schwob und Andra´s Vizkelety, Bern usw. 2001, S. 223–241; Probleme der Text-Noten-Zuordnung bei Heinrich Laufenberg. Musikphilologische Überlegungen eines Germanisten, in: Iegelicher sang sein eigen ticht. Germanistische und musikwissenschaftliche Beiträge zum deutschen Lied im Spätmittelalter, hg. von Christoph März, Lorenz Welker und Nicola Zotz (in Vorbereitung). Diese Arbeiten ergänzen nicht nur das hier gezeichnete Bild durch Hinweise auf andere Typen, sondern präzisieren und modifizieren auch meine Überlegungen zur Überlieferung.] 7 Müller (wie Anm. 3), S. 9–22; im wesentlichen auf Müller beruht Martin Vogeleis, Quellen und Bausteine zu einer Geschichte der Musik und des Theaters im Elsaß 500–1800, Straßburg 1911, S. 91–97, der zuerst, wenn auch noch ungenau, auf die Verwerfung der Jahreszahlen aufmerksam gemacht hat. 8 Straßburg, Bibliothe`que Nationale et Universitaire, Ms. 2371. Auf den Aufbewahrungsort wurde ich hingewiesen durch Walter Röll, Vom Hof zur Singschule, Heidelberg 1976, S. 18f. 9 H[ans] F[erdinand] Maßmann, Anz. f. Kunde d. dt. Mittelalters 1 (1832), S. 39–48; J. J. Banga, ebd. 2 (1833), S. 269–271, gibt keine Blattangaben.
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Ich gebe zunächst eine auf die folgenden Argumentationen bezogene Auswahl von Korrekturen und Ergänzungen zu Müller in der Folge der Handschrift: 36a: Keine der drei Grundlagen Müllers nennt eine Jahreszahl; 1422 ist also Š zu streichen. Die abgekürzte Bemerkung hat WM so transkribiert: A d adid" und als aliud addendum oder adiectum aufzulösen versucht; ich vermute Aliud ad idem ›ein anderes Lied im selben Ton‹. – 39a: Beide Lieder 39b (WK und WM), in WM und offenbar auch in der Hs. in umgekehrter Folge. – 82b und 84a: Überschrift Aliud Heinrici (WM). – 89b: Maßmann gibt keine Blattzahl an; Klammer samt Inhalt ist zu streichen. – 92a: nach Maßmann 93a (nicht 93b). – 95b: Die beiden Lieder in WM und wohl auch in der Hs. in umgekehrter Folge. – 107a: Druckfehler; WK und WM haben 104a. – 111b: Überschrift Aliud Heinricus (WK, WM), – 118a: Die beiden Lieder in WM und wohl auch in der Hs. in umgekehrter Folge. – 122b: Überschrift: Dz guot jor Anno 1420 (WK, WM). – 124b (WK 786): Das undeutliche Wort lautet in der Transkription von WM bart oder Cart mit einem abschließenden kleinen Schnörkel, der wohl Suspension des Wortrestes bedeutet.10 – 133b: Die Blattzahl ist in WM zweimal genannt und beidemale aus 136b korrigiert. – 159b: vielmehr 159a; »Lateinisch« (WM). – 252a: a fehlt WK und WM; ein Fragezeichen in WM zeigt, daß sich Wackernagel unsicher war. – Einige Fälle, in denen aus WM hervorgeht, ob die Handschrift das abgekürzte Verfasserzeichen h enthalten hat oder nicht (o = Wackernagels Zeichen für ›ohne Namen‹), sind im Folgenden stillschweigend berücksichtigt. Eine vollständige Auswertung von WM ist von Bartmann zu erwarten [vielmehr von Schiendorfer zu erhoffen]. Es bestehen Widersprüche zwischen den Blattangaben Wackernagels und Maßmanns. Geringe Bedeutung haben die Unterschiede bei den Buchstaben: Die Handschrift war – zumindest teilweise – zweispaltig geschrieben. Wackernagel scheint konsequent die rectoSeite mit a, die verso-Seite mit b zu bezeichnen, während Maßmann vermutlich inkonsequent teils ebenso verfährt, teils die Spalten mit a b c d benennt. Bei den Blattzahlen dürften die Unterschiede zum Teil auf Versehen des einen oder des anderen zurückzuführen sein, vielleicht auch darauf, daß der eine die Blattzahl des Liedanfangs, der andere die der Datierung angibt. Aber es gibt gewisse Regularitäten der Abweichungen, die kaum mit solchen Zufälligkeiten erklärt werden können, sondern in der Handschrift selbst begründet sein dürften. Während im Anfangsteil die identischen Blattzahlangaben überwiegen, nennt Maßmann von Blatt 79 bis Blatt 129 neunmal eine um 1, viermal eine um 2 höhere Blattzahl (nur je einmal ist die Differenz 0 bzw. 8). Von Blatt 138 an liegt Maßmann dreimal (ohne Ausnahme) um 3 höher, von Blatt 146 an viermal (ebenfalls ohne Ausnahme) um 13. Offenbar haben in den späteren Partien der Handschrift zwei oder mehrere Zählungen konkurriert, wie wir dies aus anderen Handschriften kennen. Die Bruchstelle zwischen der Differenz 1 und der Differenz 3 lag vermutlich bei Blatt 133: diese Blattzahl gibt WM zweimal an, und beidemale ist sie aus 136 korrigiert; offenbar hat Wackernagel einen Moment lang überlegt, ob er der anderen Zählung folgen soll. An der nächsten Bruchstelle gibt Maßmann zwei Blattzahlen an »149b, 159b«; gewiß Š sind hier nicht, wie Müller erwägt, zwei verschiedene Gedichte auf die heilige Anna gemeint, sondern es spiegelt sich darin ein Sprung einer der Zählungen. Nun könnte es sich bei diesen Zählungsdifferenzen um reine Zählfehler von neuzeitlichen Bibliothekaren handeln. Aber ein Vergleich mit den Datumsangaben der Handschrift legt nahe, daß den Zählungssprüngen auch Nahtstellen der Handschrift entsprochen haben.
Daß die Handschrift teilweise chronologisch geordnet war, ist bekannt; aber den offensichtlichen Abweichungen von der Chronologie wurde nie nachgegangen. Nach den notwendigen Korrekturen, auf die oben hingewiesen wurde, ergeben sich folgende Datierungsreihen11: 10 11
Banga (wie Anm. 9) liest: »mart (martini 1448?)«. Doch zeigt Banga viele Lesefehler. Nicht berücksichtigt ist die Zahl 28 auf Blatt 124b, da sie kaum als Jahreszahl zu
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16b–53a: 78b: 103b–124a: 138b–160a: 239a–250b: 251a–260b:
1421. 1429. 1418 1413. 1436. 1458 1442.
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1422. 1422. 1422. 1423. 1423. 1424. 1424. 1425. 1427. 1428. 1429. 1430. eiusdem anni. 1434 1415. 1419. 1420. Anno 21mo 1437. 1437. 1438. 1439. 1439. 1439. 1439. 1440 1443. 1443. 1445
Bei den zwei vereinzelten Jahreszahlen dürfte es sich um Nachträge handeln: WK 754 von 1418 hat auf Blatt 78b nicht ganz Platz gefunden, der Rest wurde auf eine freie Stelle auf Blatt 88b eingetragen; der Schreiber verweist auf die Fortsetzung mit den Worten quaere post sequentiam Aue preclara.12 WK 768 ›Supra cantica canticorum‹ von 1458 ist das einzige Gedicht der Handschrift, das nachweislich nach Heinrichs Klostereintritt 1445 entstanden ist; der umfangreiche Text füllte 12 Blätter, vielleicht handelt es sich hier um einen in sich geschlossenen Senio, der nachträglich hinter dem Prosateil eingefügt worden war. Sieht man von diesen zwei vereinzelten Nachträgen ab, so bleibt nur eine einzige Verwerfung der chronologischen Ordnung: die Lieder der Jahre 1413– 1421 sind zwischen die von 1421–1434 und die von 1436–1445 gestellt. Es ist auffällig, daß die Bruchstellen der Blattzählungen und die Bruchstellen der Datierungen ungefähr korrespondieren. Da nicht alle Lieder datiert waren und da Maßmann nicht für alle Lieder Blattzahlen angibt, reichen diese Beobachtungen nicht aus, um Lagengrenzen und ursprüngliche Anordnung genau zu rekonstruieren. Aber Š daß die Handschrift ursprünglich chronologisch geordnet war und erst sekundär durch Lagenumstellungen und Nachträge durcheinandergeraten ist, dürfen wir doch mit Zuversicht annehmen. Offenbar hat Laufenberg seine Lieder und Gedichte jeweils bald nach der Abfassung in eine Handschrift eingetragen und mit Datum versehen. Möglicherweise war die Straßburger Handschrift mit dieser ersten Reinschrift identisch; mindestens aber war sie wohl eine unmittelbare Abschrift aus ihr, angefertigt durch Laufenberg selbst oder in seinem nächsten Umkreis. Heinrich hat in seine Liederhandschrift nicht nur eigene Gedichte aufgenommen. Einige Texte stammen mit Sicherheit von anderen Dichtern, wenn auch in der Handschrift selbst kein anderer Verfassername genannt war und nur einmal explizit gesagt wird alterius editoris. Als Laufenbergs Eigentum dürfen gelten: 1. alle im Text signierten Lieder, 2. alle in der Handschrift mit heinricus oder h gekennzeichneten Lieder und 3. mit großer Wahrscheinlichkeit alle datierten Lie-
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deuten sein wird. Sollte es sich doch um eine Datumsangabe handeln, so wäre das Lied wie andere ein Nachtrag. [Teilweise abweichende Vermutungen zu den Zählungsdifferenzen zwischen Maßmann und Wackernagel und zur Umordnung der Handschrift bei Schiendorfer 1995 (wie Anm. 6), S. 280, Anm. 22; eine weitere Umstellung im Anfangsteil der Handschrift weist Schiendorfer 2000 nach.] Daß dieses Lied gerade in dieser Partie der Handschrift nachgetragen wurde, hängt wohl damit zusammen, daß es eine Sequenzübertragung ist, vgl. unten.
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der. Sicher ›unecht‹, d. h. aus fremden Quellen übernommen sind Lieder, die anderweitig früher oder unter anderem Namen überliefert sind. Dazwischen bleibt eine Zone der Unsicherheit. Auch Texte, auf die keines der positiven Echtheitskriterien zutrifft, können von Laufenberg stammen, insbesondere wenn sie spezifisch Laufenbergschen Typen zugehören. Verdächtig sind dagegen manche Lieder der in dieser Zeit gängigsten Typen: die eine oder andere Hymnenübertragung, vor allem aber Kontrafakturen und Lieder einer schlichten gefühlsbetonten Frömmigkeit (darunter auch das im 19./20. Jahrhundert rezipierte WK 710). Bei ihnen kommt es jedoch nicht so sehr auf die Entscheidung im Einzelfall an. Literarhistorisch wichtig ist vielmehr die Tatsache, daß Laufenberg mit einem Teil seiner Lieder (auch mit für ihn gesicherten Liedern) in die Zone jener anonymen Liedkultur reicht, die von Mystiknachklängen und Devotio moderna, Weltabsage, Jesusminne und Weihnachtsfrömmigkeit geprägt ist und die wohl vor allem in Nonnengemeinschaften zuhause war. Nach dem heutigen Stand unseres Wissens sind folgende Lieder nicht von Laufenberg: 48a: 50a: 74b: 75b: 85b: 89b: 90b: 93a:
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Mönch von Salzburg G 33 Heinrich von Mügeln 329–333 Gegrüßet siest ane we13 Regina celi terre et maris14 Mönch von Salzburg G 1 (Guldein Abc) Iam en trena15 Man siht löber16 Mönch von Salzburg G 28 (Mundi renovatio)
Dieses Lied könnte nach seinem Typus (Glossengedicht über das ›Ave Maria‹ in 9 Strophen aus je vier Vagantenzeilen) sehr wohl zu den Laufenbergschen Mariengrüßen gehören. Wackernagel sondert es ohne Angabe von Gründen von den Liedern Laufenbergs ab. Peter Appelhans, Untersuchungen zur spätmittelalterlichen Mariendichtung, Heidelberg 1970, S. 44–46 schreibt es aufgrund von zwei Subscriptiones Claus Bentz zu. Die beiden Aufzeichnungen mit diesem Namen – in der ›Kolmarer Liederhandschrift‹ Cgm 4997, 1v–2v, und in der Beschreibung der Inschrift eines verlorenen Gemäldes der Colmarer Meistersinger, die dem Cgm 4997 vorgebunden ist – sind jedoch spät und nur als ein Überlieferungszweig zu werten; das zeigt nicht nur ihre Herkunft aus dem Umkreis Jörg Wickrams (dazu: Christoph Petzsch, Die Kolmarer Liederhandschrift, München 1978, S. 170f. und 190f.); auch die gleichartige Aufzeichnung, mindestens ein gemeinsamer Fehler (Strophe II: Gegrüßet statt Maria) und vor allem die angehängten Verse beweisen die nahe Verwandtschaft. Der Name Claus Bentz dürfte nur auf die Aufzeichnung und allenfalls auf die Verfasserschaft jener Schlußverse zu beziehen sein. Damit ist Laufenbergs Verfasserschaft wieder offen. Da aber in der Straßburger Handschrift B 121 die übliche Verfassersigle fehlt (wie WM ausdrücklich vermerkt) und da das Lied schon 1428 anderweitig überliefert ist, dürfte es eher eines der Vorbilder gewesen sein, die Laufenberg zu eigener Produktion angeregt haben. [Vgl. jetzt auch 2VL, Bd. 2, 1980, Sp. 1136f.] Vgl. Gisela Kornrumpf, Eine Melodie zu Marners Ton XIV in Clm 5539, in: ZfdA 107 (1978), S. 228, Anm. 21. Vgl. Röll (wie Anm. 8), S. 63–85. Vgl. ebd.
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93a: Salue mater alterius editoris 117b: Lesch (?) WK 58717 118b: Mönch von Salzburg G 10
Nun fällt es auf, daß z. T. in denselben Partien, in denen sich dieses Fremdgut konzentriert, auch der Großteil von Heinrichs eigenen strengeren Übertragungen versammelt ist: 41b: 76a: 78a: 78b: 84a: 88a: 92a: 94a: 95b: 95b: 96a: 104a: 109a: 118a: 123b: 143a: 17
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Corde natus (WK 761), ohne Namen. Mittit ad virginem (WK 760), h. Congaudent angelorum chori (WK 762), h. Agnoscat omne seculum (WK 754), h 1418, Strophe 8 und 9 Bl. 88b. Sicut pratum picturatur (WK 711), Aliud Heinrici.18 Ave preclara (WK 763), h. Salve mater salvatoris (WK 758), h. Mundi renovatio (WK 574 Anm.); daß die Hs. Heinrichs Namenszeichen enthalten hat, scheint mir nach WM wahrscheinlich, aber nicht ganz sicher. Letabundus exultet (WK 765), h. Veni redemptor gentium (WK 755), h. A solis ortus cardine (WK 756), h. Ave salve gaude vale (WK 727), Heinricus.19 Ave virgo nobilis (WK 797), ohne Namen.20 Ave maris stella (WK 757), ohne Namen. Ab hac familia (WK 790 Anm., ab Zeile 15), ohne Namen.21 Iesu via veritatis (WK 714), h.22
Das Lied ist in der Straßburger Handschrift und in der geistlichen Sammelhandschrift Stuttgart, cod. theol. et phil. 8o 19 anonym überliefert, in der Kolmarer Liederhandschrift unter der Überschrift Meynster cunrads guldin reyel und in der Dresdener Meisterliederhandschrift M 13 unter der Überschrift Leschen kurczer ray. (Daß die beiden Meisterliederhandschriften den Refrain weglassen, erklärt sich wohl daraus, daß der Formtypus im Meistergesang der zweiten Jahrhunderthälfte unüblich geworden war, vgl. Horst Brunner, Die alten Meister, München 1975 [MTU 54], S. 165ff.) Wenn auch die Tonbezeichnungen der Dresdner Handschrift recht unzuverlässig sind, scheint mir doch Leschs Verfasserschaft am ehesten diskutabel (vgl. Gisela Kornrumpf, in: ZfdA 106 [1977], S. 134, Anm. 52 zum hohen Anteil der Weihnachtsthematik und S. 157 zum Formenreichtum bei Lesch); doch gibt es weder für Formtypus noch für Frömmigkeitsstil überzeugende Parallelen bei Lesch. Laufenbergs Autorschaft ist überlieferungsgeschichtlich unwahrscheinlich, stilistisch steht ihm das Lied nicht fern. [Vgl. jetzt RSM 1Lesch/10/1 mit einer weiteren Handschrift und Gisela Kornrumpf, Vom Codex Manesse zur Kolmarer Liederhandschrift, Bd. I, Tübingen 2008 (MTU 133), S. 244.] Bisher nicht als Übertragung erkannt; die Vorlage steht Analecta hymnica, Bd. 40, 1902, S. 104f. Die Vorlage ist das ›Crinale B.M.V.‹ des Kartäusers Konrad von Haimburg (Analecta hymnica, Bd. 3, 1888, S. 22–25), vgl. Ernst Löfstedt, Ein mittelostfälisches Gebetbuch, ˚ rsskrift NF I, 30,5), S. 26f., Anm. 3. Lund 1935 (Lunds Universitets A Bisher nicht als Übertragung erkannt; die Vorlage, der ›Anulus B.M.V.‹, stammt ebenfalls von Konrad von Haimburg, s. Analecta hymnica, Bd. 3, 1888, S. 26 f. Vgl. unten S. 353. Es handelt sich, wie bisher nicht erkannt wurde, um eine Übertragung einzelner Strophen des ›Psalterium de nomine Iesu‹, vgl. F[ranz] J[osef] Mone, Lateinische Hymnen des Mittelalters, Bd. 1, Freiburg i. Br. 1853, S. 343–354.
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Notizen zu den Liedern Heinrich Laufenbergs
Kombiniert man beide Listen, so ergeben sich teilweise geschlossene Blattfolgen: 74b–76a, 78a–78b, 84a–94a, 95b–96a, 104a–111a, 117b–121a. Man wird dies so interpretieren dürfen, daß neben chronologischen auch gattungstypologische Gesichtspunkte für die Anordnung der Lieder in der Handschrift maßgebend waren. Die eigenen Übertragungen aus dem Lateinischen standen für Heinrich, der sich in anderen Gedichten durchaus literarisch selbstbewußt zeigt, offenbar etwa auf einer Stufe mit dem Sammeln von Übertragungen und Dichtungen anderer. 357
Das Einfließen typologischer Kriterien läßt sich in kleinerem Umfang auch sonst in der Handschrift beobachten; so stehen mehrfach die schlichten ›volkstümlichen‹ Lieder mit Kontrafakturen und einfachen Refrainliedern in kleinen Gruppen beisammen: Blatt 35b– 39b, 50b–54a, 124b–129b. Es ist auch nur natürlich, daß die Produktion und der Eintrag in die Handschrift in Schüben erfolgte, wobei sich dann Ähnliches wie von selbst zusammenfügte.
Die fast geschlossene Folge von Fremdgut und Übertragungen reicht nun gerade über die Nahtstelle einer chronologischen Verwerfung. Möglicherweise hat also das Bemühen, Lieder eines Typus zusammenzustellen, zu den sekundären Umordnungen der Handschrift geführt. Als Nahtstelle käme wohl am ehesten Blatt 78/ 79 in Frage; was vorausging, waren die Lieder von 1421 bis 1434, was folgte, die Lieder von 1413 (oder früher) bis 1421. WK 754 von 1418 ist, wie gesagt, offensichtlich Nachtrag, vermutlich also lagen schon 1418 die Aufzeichnungen von Fremdgut und eigenen Übertragungen etwa ab Blatt 79 vor. Wenn diese Überlegungen nicht völlig in die Irre gehen, so scheint es legitim, die Partie etwa von 79a an bis zum ältesten datierten Gedicht WK 772, das auf Blatt 96b beginnt, als einen Bestand anzusehen, der, wenn nicht vor 1413, so doch relativ früh in Laufenbergs Schaffenszeit anzusetzen ist. Diese Partie von insgesamt 16 (bzw. mit WK 754: 17) Texten zeigt nun aber ein Gepräge, das innerhalb des Typus ›Übertragung und Fremdgut‹ noch näher bestimmt werden kann. Von fünf sicher fremden Texten weisen vier in den Umkreis des Mönchs von Salzburg, der fünfte ist die Übertragung einer Sequenz, von der sich auch im Mönch-Corpus zwei Übertragungen finden. Von den eigenen Dichtungen Heinrichs in dieser Partie sind sieben (bzw. acht) Hymnen- und Sequenzübertragungen des Typus, wie er beim Mönch belegt ist, davon stehen vier als Übertragungen derselben Texte in Konkurrenz zum Mönch. Schließlich findet sich in dieser Partie noch ein selbständiges abecedarisches Gedicht Heinrichs, das wohl nicht zu Unrecht als Nachahmung des ›Guldein Abc‹ des Mönchs von Salzburg gilt; es steht Blatt 83a nur zwei Blätter vor dem Vorbild. Alles in allem gibt diese Partie offensichtlich Zeugnis von einer frühen schöpferischen Rezeption einer Tradition von geistlicher Lieddichtung und Hymnenübertragung, die für uns mit dem Namen des Mönchs von Salzburg verknüpft ist. In später entstandenen Partien der Handschrift fehlen diese Typen nicht völlig, treten aber stark zurück.
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2. Die Melodienüberlieferung23
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Wie viele Melodien die Straßburger Handschrift enthalten hat, wissen wir nicht. Maßmann24 macht lediglich bei 5 Liedern die Bemerkung »mit Noten« (WK 704. v v 708. 715. 789 und ›Man siht lober tober‹); aber er scheint in diesem Punkt höchst nachlässig zu sein, denn selbst bei Liedern, die er in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Liedern erwähnt und für die Melodieaufzeichnungen gesichert sind, fehlt die Bemerkung. Die Melodie der ›Salve-Regina‹-Paraphrase WK 764 hat Wolf25 herausgegeben; Liliencron26 hat später gezeigt, daß es sich um die Melodie des ›Salve Regina‹ selbst handelt. Die meisten bekannt gewordenen Melodien der Straßburger Handschrift aber scheinen auf zwei Abschriften Wakkernagels zurückzugehen. Eine ältere Abschrift ist fürs Jahr 1840 bezeugt, nach ihr hat Arnold die Melodien zu WK 706–710, 715, 717 bearbeitet und teils in Wackernagels programmatisch populärem ›Kleinen Gesangbuch‹, teils in der Einleitung zu seiner eigenen Ausgabe des ›Lochamer-Liederbuchs‹ veröffentlicht.27 Eine zweite Abschrift Wackernagels aus dem Jahr 1861 war die Quelle der Publikation von zehn (teilweise schon durch Arnold bekannten) Melodien in Böhmes ›Altdeutschem Liederbuch‹.28 Aus Böhmes Nachlaß29 hat Š dann Alfred
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[Zur Melodieüberlieferung vgl. jetzt Lorenz Welker, Heinrich Laufenberg in Zofingen. Musik in der mittelalterlichen Schweiz, in: Schweizer Jb. f. Musikwissenschaft NF 11 (1991), S. 67–78; Schiendorfer 2001 (wie Anm. 6), S. 227–235.] Vgl. Anm. 9. Ferdinand Wolf, Über die Lais, Sequenzen und Leiche, Heidelberg 1841, S. 491f. und Notenbeilage IX. Rochus von Liliencron, Heinrichs von Laufenberg Marienleich, in: Monatsschrift f. Gottesdienst u. kirchl. Kunst 1 (1896/97), S. 265–270. Eine weitere ›Salve-Regina‹Paraphrase mit derselben Melodie druckt aus einer Zwickauer Handschrift Paul Runge, Der Marienleich Heinrich Laufenbergs ›Wilkom lobes werde‹, in: Fs. Rochus von Liliencron, Leipzig 1910, S. 228–240; die Zuschreibung an Laufenberg ist jedoch höchst unsicher. Philipp Wackernagel, Kleines Gesangbuch geistlicher Lieder für Kirche, Schule und Haus, Stuttgart 1860, enthält die Lieder WK 707, 708, 710, 715 mit Melodien; zur Abschrift und zu Arnolds Mitwirkung ebd. S. 219, Anm. 17; auf die gleiche Abschrift dürfte zurückgehen Friedrich Wilhelm Arnold, Das Locheimer Liederbuch nebst der Ars organisandi von Conrad Paumann, Leipzig 1867 (Jahrbücher für Musikalische Wissenschaft hg. von F. Chrysander 2), S. 1–234, hier S. 36f. die Lieder WK 706 (melodiegleich mit WK 707), 708, 709, 710, 715, 717. Die Abschrift dürfte also 6 Melodien umfaßt haben, die alle in die jüngere Abschrift noch einmal aufgenommen wurden. Franz M. Böhme, Altdeutsches Liederbuch, Leipzig 1877 (Neudruck Hildesheim/Wiesbaden 1966), enthält die Melodien zu WK 704–706, 708–710, 715, 717, 787, 789. Die zugrundeliegende Abschrift Wackernagels ist S. 771 unter Nr. 33 erwähnt; von den 15 Liedern dieser Abschrift hat Böhme aber nur 10 aufgenommen, vermutlich weil nur sie in sein Gattungskonzept des älteren ›Volkslieds‹ paßten. Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Böhme-Nachlaß, Sammlung älterer Volkslieder Bd. Ia und Ib. Für freundliche Auskünfte danke ich den Herren Dr. Burgemeister und Dr. Steude.
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Notizen zu den Liedern Heinrich Laufenbergs
Quellmalz mehrere Melodien, darunter zwei nicht publizierte, für das Deutsche Volksliedarchiv abgeschrieben;30 seine Abschrift bildete die Grundlage der Untersuchung und Melodieedition von Joseph Müller-Blattau.31 Schließlich hat jüngst Walter Röll die Melodie von ›Iam en trena‹ ediert nach einer Abschrift von »Prof. Schmidt in Straßburg Juli 1861«, die sich in Wackernagels Abschriftensammlung WM befindet.32 In dieser Manuskriptensammlung ist nun aber auch Wackernagels eigene Melodieabschrift vom 7. Juni 1861 erhalten, die die Grundlage der Melodieeditionen Böhmes und (indirekt) Müller-Blattaus war.33 Sie verdient schon insofern Beachtung, als sie der Handschrift selbst am nächsten steht und so die Kontrolle der bisherigen teilweise unzulänglichen Melodieeditionen wenigstens bis zu einem gewissen Punkt ermöglicht. Vor allem aber enthält sie noch drei bisher unbekannte Melodien zu Liedern Laufenbergs. Ich gebe daher Wackernagels Abschrift in einem vollständigen Faksimile wieder (s. Anhang 1). Dabei behalte ich die Seitenfolge von WM bei; doch sei darauf aufmerksam gemacht, daß diese nicht ursprünglich ist: auf Blatt 120r ist oben das Ende der Melodie von WK 770, die auf Blatt 120v begonnen hat. Für eine der neuen Melodien, die für die Typenuntersuchungen von Teil II eine gewisse Rolle spielt, möchte ich auch eine Umsetzung in Violinschlüssel wagen (s. Anhang 2). Die Textunterlegung scheint hier relativ problemlos, wenn man die ersten vier Töne als Intonation auffaßt, wie sie in mittelalterlichen Liederhandschriften des öfteren vorkommt.34 Ob b oder h anzusetzen ist, mögen Kenner entscheiden. Auch die Transkription der übrigen Melodien und eine eingehendere Analyse muß ich Berufeneren überlassen. Der Bestand an erhaltenen Melodien der Handschrift hat sich damit von 14 auf 17 erhöht. Die Frage ist, ob damit alle oder doch die meisten Melodien der Handschrift erhalten sind oder ob es sich um eine einseiŠtige, möglicherweise tendenziöse Auswahl handelt. Arnold, Böhme und Quellmalz waren primär am ›Volkslied‹ (und allenfalls ›Gesellschaftslied‹) interessiert, ganz besondere Be30
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Ma 1204–1215. Für Überlassung einer Kopie und freundliche Auskünfte danke ich Rolf Wilhelm Brednich. Das Manuskript von Quellmalz enthält alle von Böhme edierten Melodien und zwei weitere, nämlich zu WK 721 und 777. Joseph Müller-Blattau, Heinrich Laufenberg, ein oberrheinischer Dichtermusiker des späten Mittelalters, in: Elsaß-Lothringisches Jahrbuch 17 (1938), S. 143–163. Wie Anm. 8. Die Identität mit Böhmes Vorlage ergibt sich u. a. aus der Datumsangabe 7. Juni 1861 auf Blatt 120r. Die von Röll (wie Anm. 8), S. 19, Anm. 34 angesprochene Unklarheit hat sich erledigt, da die Abschrift tatsächlich 15 Melodien enthält. Offenbar war Wakkernagel im Juni 1861 in Straßburg und hat sich dann im Juli noch die von ihm nicht aufgenommene Melodie von ›Iam en trena‹ durch Schmidt abschreiben lassen. In der Tat scheinen die beiden Melodieabschriften von verschiedenen Händen zu stammen. [Eine abweichende Textunterlegung jetzt in GGdM Nr. 278. Mir scheint die Lösung mit einem Eingangsmelisma oder »musikalischen Vorhang« nach wie vor überzeugender, vgl. Christoph März, Die weltlichen Lieder des Mönchs von Salzburg, Tübingen 1999 (MTU 114), S. 18.]
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deutung hatten für sie die Kontrafakturen weltlicher Lieder. Wackernagel war gegenüber solchen zeittypischen Interessen zweifellos aufgeschlossen. Sein eigenes Streben aber war – zumindest im ›Kleinen Gesangbuch‹ – primär auf eine Erneuerung des zeitgenössischen evangelischen Kirchenlieds durch Rückgriff auf alte Quellen gerichtet.35 Der Verdacht, daß dieses Interesse sich, wenn schon nicht auf die Textausgabe, die kompendiöse Ziele hatte, so doch auf die Auswahl der Melodieabschriften ausgewirkt hat, liegt nahe, zumal unter den 17 Liedern mit Melodie deutlich die einfacheren überwiegen, die den Rezeptionsinteressen entgegenkamen. Andererseits: es hätte noch einige weitere Lieder gegeben, die den vermutbaren Interessen Wackernagels (und Böhmes, für den er mit abschrieb) mindestens ebenso entsprochen hätten wie diejenigen, deren Melodien er abgeschrieben hat. Und es ist auffällig, daß er sich wenigstens nachträglich noch eine Abschrift des weltlichen ›Iam en trena‹ erbeten hat und daß er sich ein einziges Mal notiert hat »unter Noten von vier Linien«, und zwar ausgerechnet bei WK 764, dessen Melodie bereits durch Wolf veröffentlicht war. Hatte er damit vielleicht doch alle Melodien der Handschrift erfaßt? Eine sichere Entscheidung scheint mir nicht möglich, doch neige ich zu der Annahme, daß die Handschrift nicht sehr viel mehr Melodien enthalten hat. Bei den Bearbeitungen lateinischer Hymnen und Sequenzen, die sich formal einigermaßen ans Vorbild anschließen, war eine Melodieaufzeichnung unnötig, weil die Melodien bekannt waren; und bei einer größeren Zahl von ›Grüßen und Anrufungen‹, insbesondere jenen, die mit Reimpaaren abschließen, dürfte es sich um pia dictamina handeln, die gar nicht für den Gesang gedacht waren. Bei anderen Liedern aber, insbesondere jenen, deren ungleichmäßige metrische Gestalt erst durch eine Melodie voll verständlich würde, vermissen wir die Melodieaufzeichnungen sehr.36 Doch vielleicht ist die ›Schuld‹ Š nicht Wackernagel zuzuschreiben, sondern bereits dem Schreiber der Handschrift (möglicherweise also dem Dichter selbst). Das Übergewicht der schlichteren Liedtypen in der Melodieüberlieferung hätte dann andere Gründe. Sollte Laufenberg vorzugsweise solche Lieder mit Melodien versehen haben, die für den Gebrauch in einer (religiösen) Gemeinschaft geeignet waren? Die Lieder ›Iam en trena‹/ ›Man siht lov ber‹ wären dann freilich auch in dieser Hinsicht (ebenso wie als einzige weltliche Lieder der Handschrift) eine Ausnahme.
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Über Wackernagels kirchenpolitische Stellung vgl. Theodor Schulze, Philipp Wackernagel nach seinem Leben und Wirken für das deutsche Volk und die deutsche Kirche. Ein Lebensbild, Leipzig 1879. Sehr problematisch ist gerade bei Laufenberg der Versuch, Melodien aufgrund von metrischen Identitäten zu erschließen. Denn es kommt bei ihm vor, daß die Melodie trotz übereinstimmendem Strophenbau und trotz Anklängen im Wortlaut verschieden ist (WK 777 gegenüber WK 705–707). Und andererseits zeigt die Tropierungstechnik (s. unten), daß die metrischen Formen auch bei gleicher Melodie außerordentlich weit differieren können.
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II
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Eine Einteilung der Lieder Laufenbergs hat schon Müller37 versucht. Er unterscheidet: 1. Übersetzungen lateinischer Kirchenhymnen, 2. Umdichtungen von Volksliedern, 3. Neujahrslieder und Weihnachtslieder, 4. Marienlieder (4a Mariengrüße nebst Glossenliedern, 4b Marien-ABC, 4c sonstige Marienlieder), 5. Lieder vermischten Inhalts. Diese Einteilung trifft zwar teilweise Richtiges, im Ganzen ist sie unbefriedigend: Marienlieder und Weihnachtslieder finden sich auch unter den Übertragungen aus dem Lateinischen und unter den Umdichtungen weltlicher Lieder; und die Gruppe der 16 »Lieder vermischten Inhalts« ist ganz inhomogen, während doch einzelne Lieder dieser Gruppe mit einzelnen Liedern anderer Gruppen unverkennbare Ähnlichkeiten aufweisen. Letztlich freilich muß wohl jede Gliederung dieses Liedercorpus unbefriedigend bleiben. Denn für eine Unterscheidung der Typen können und müssen Merkmale beachtet werden, die auf ganz verschiedenen Ebenen liegen: Merkmale formaler Art (Sequenz und Strophenlied jeweils mit verschiedenen Versikel- bzw. StrophenBautypen; Strophenzahl; Bindung der Strophen durch Kornreime, Refrains, Anaphern, Akrosticha oder glossierte Texte; Grad der Künstlichkeit des Sprechens), Merkmale des Verhältnisses zu Texten und Melodien außerhalb des Liedercorpus (Übertragung, Tropierung und Glossierung, Montage und Zitat, einzeltextbezogene Kontrafaktur, bloße Tonübernahme und ›Typuskontrafaktur‹), Merkmale des Inhalts, der ›Inszenierung‹ und der Frömmigkeitshaltung (Gott, Christus, Maria, andere Heilige; Lehre, Mahnung, Bitte, Sündenklage, attribuierender Preis, meditierende Erzählung, eschatologische oder mystische Sehnsucht; Wir- oder IchFrömmigkeit), Merkmale der Gebrauchsintention und des literarischen BeŠwußtseins (Bezug auf die Kirchenjahreszeit, Adressaten, Verbalisierung des Dichtens oder Vortragens, Widmungen und Selbstnennungen des Autors) – um nur die für Laufenberg wichtigsten Aspekte zu nennen. Zwar treten nicht selten Merkmale verschiedener Ebenen gebündelt auf, aber diese Bündelung gilt nie für das gesamte Œuvre. Wollte man das gesamte Liedercorpus systematisch nach Typen ordnen, so müßte man entweder mit einem mehrdimensionalen Koordinatensystem operieren, in dem jedes Lied nach Vorhandensein und Intensität aller seiner Merkmale lokalisiert werden könnte – was leider nicht möglich ist – oder es müßten für die verschiedenen Merkmalreihen verschiedene Typologien geschrieben werden, wobei das Zusammenwirken der Merkmale im konkreten Gedicht zu kurz käme. Ich verzichte lieber auf Systematik und teile ohne Anspruch auf vollständige Vermessung des Liederœuvres meine Beobachtungen zu drei Typen oder Typenkomplexen mit. Ganz unberücksichtigt bleibt Müllers Gruppe der Umdichtungen weltlicher Volkslieder, die erweitert,38 neu definiert und ent37 38
Müller (wie Anm. 3), S. 59. Hingewiesen sei darauf, daß die Strophenform von WK 793 identisch ist u. a. mit den Liedern Nr. 53 und 82 im Liederbuch der Clara Hätzlerin, hg. von Carl Haltaus und
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sprechend binnenstrukturiert werden müßte als ›Lieder, die sich an verschiedenen Typen des weltlichen und des volkstümlichen geistlichen Lieds orientieren‹. Dieser Gruppe, die teilweise in jene anonyme geistliche Liedkultur, von der die Rede war, hineinreicht, wären u. a. alle die wohlbekannten Laufenberg-Lieder zuzuordnen. Hier aber sollen – im Kontrapunkt zu verbreiteten Vorlieben – behandelt werden 1. Grüße und Anrufungen, 2. ein bestimmter Typus von Weihnachts- und Neujahrsliedern und 3. Übertragungen und verschiedenartige Bearbeitungen lateinischer Gesänge, insgesamt etwa die Hälfte der in der Straßburger Handschrift enthaltenen Lieder (zieht man das Fremdgut ab und berücksichtigt man auch die Liedumfänge, so dürften es mehr als zwei Drittel sein). Es sind gerade jene Typen, bei denen sich Ansätze einer literarischen Artistik finden. Soweit im Folgenden metrische Schemata angegeben sind, bedeuten die Zahlen Hebungen (auch bei lateinischen Texten!); regelmäßiger oder überwiegend vorhandener Auftakt wird nicht bezeichnet, regelmäßige oder überwieŠgende Auftaktlosigkeit wird durch eine kleine hochgestellte Null (o3) markiert. Meine Zählungen beruhen auf WK. Stichproben haben ergeben, daß zwischen WM und WK nicht allzuviele metrisch relevante Abweichungen bestehen. Wie getreu allerdings die Abschriften von WM die Silben- und Verszahlen der Handschrift wiedergeben, entzieht sich unserer Nachprüfung. In dieser Situation und bei dem weitgehenden Fehlen von Melodien ist jede metrische Analyse mit großen Unsicherheiten behaftet. Für eine Differenzierung der Typen aber scheint mir die Grundlage solide genug, insbesondere dort, wo Merkmale des Strophenbaus und andere Merkmale korrelieren. [Einige metrische Schemata sind gegenüber dem Erstdruck stillschweigend verbessert.]
1. Grüße und Anrufungen Eine umfangreiche Gruppe von Texten gehört zum Typus der Mariengrußdichtungen im weiteren Sinn39 oder in die Nachbarschaft dieses Typus. Fast alle richten sich an Maria, nur je einer an St. Anna (WK 729) und an St. Dorothea (WK 731). Es überwiegt die Anredeform, insbesondere der attribuierende Preis verbunden mit Bitten um Gnade.
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Hanns Fischer, Berlin/New York 1966. Es handelt sich um eine Variante des Strophentypus, den Michael Curschmann, Texte und Melodien zur Wirkungsgeschichte eines spätmittelalterlichen Liedes, Bern 1970 (Altdeutsche Übungstexte 20), S. 123, besprochen hat; nur ist der Abgesang im formal identischen Refrain wiederholt. WK 790 hat mit anderen Kadenzen denselben Strophentypus mit gedoppeltem Abgesang plus Refrain. In WK 791 entsprechen Abgesang und Refrain metrisch dem Lied Hätzlerin Nr. 77. Selbstverständlich soll damit nicht mehr als Typusverwandtschaft behauptet werden. Nach Appelhans (wie Anm. 13), S. 69–71, wären unter diesem Begriff zu subsumieren A. eigentliche Mariengrüße, B. Rosenkränze und Psalter, C. Glossenlieder. Aus nicht explizierten Gründen behandelt Appelhans nur einen Teil der Mariengrußdichtungen Laufenbergs.
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Sehr häufig sind die Strophen- bzw. Versikelanfänge gebunden: Strophenanaphern, Akrosticha und Abecedarien finden sich häufig und sind fast ausschließlich auf diesen Typus beschränkt. Nur der unten behandelte Typus von Weihnachts- und Neujahrsliedern kennt ebenfalls Strophenanapher, dieser jedoch ausschließlich mit dem Wort Got, das wiederum in den Grüßen und Anrufungen nicht anaphorisch verwendet wird.40 Eine andere Möglichkeit, die Strophen- oder Versikelanfänge formal zu binden, nutzen die Glossengedichte, die ebenfalls auf diesen Typus beschränkt sind (wenn auch die Grenze zu den Tropierungen im engeren Sinn, die die melismenreiche Melodie eines lateinischen Gesangs durch eine Übersetzung und Glossierung des lateinischen Originaltextes deutsch austextieren, vorläufig für uns noch nicht sicher erkennbar ist).41 Die glossierten Texte sind lateinische oder deutsche Fassungen des ›Ave Maria‹ (7mal), des ›Salve regina‹ (3mal) und des ›Ave regina celorum‹ (1mal). Ganz ohne Bindung der Strophenanfänge sind von den Š im übrigen typuskonformen Texten nur zwei; beide sind dafür nach inhaltlichen Aufbauschemata organisiert: WK 797, die Übertragung des ›Anulus B.M.V.‹ Konrads von Haimburg, zählt 21 Edelsteine zum Lob Marias auf; WK 728 ist ein Lob Marias nach den Schöpfungstagen, das freilich auch erzählende Elemente enthält. In der Gruppe der Grüße und Anrufungen artikuliert sich auch am ehesten so etwas wie das literarische Selbstbewußtsein Laufenbergs. Namensnennung im Text oder im Akrostichon kommt fast ausschließlich hier vor (WK 712, 730, 732, 741, 744, 769, 774, 775, sonst nur in WK 768, dem späten umfangreichen Gedicht über das Hohe Lied); einmal ist die Namensnennung ausdrücklich verschwiegen (WK 738). Auch Unfähigkeitsbeteuerungen, Dedikationen der Dichtung und andere Thematisierungen des Dichtens oder Vortragens (mehrfach lesen!) finden sich, wenn auch nur in knappen Formulierungen, in vielen Gedichten dieser Gruppe, außerhalb der Grüße aber nur in dem formal sehr nahe stehenden ›Symbolum Athanasii‹ (WK 766) und – nach anderem Muster – in WK 746 und 790. Formal zerfallen die Grüße und Anrufungen in zwei Gruppen: Sequenzen oder sequenzähnliche Formen und gleichstrophige Gedichte. Gemeinsam ist beiden Gruppen eine Vorliebe für Schweifreime bzw. paarige Kornreime, oft nach längeren Reimkaskaden (Typus aaaab ccccb). Die genaue Grenze zwischen beiden Gruppen ist nicht mit Sicherheit festzustellen, da auch metrisch gleichstrophige Gebilde musikalisch Sequenzform haben können und da umgekehrt bei Laufenbergs freiem Umgang mit Tönen damit zu rechnen ist, daß verschiedene Strophen eines musikalisch gleichstrophigen Liedes metrisch sehr verschieden realisiert werden können. Leider ist uns zu keinem der Grüße und Anrufungen die 40
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Nur WK 785 gehört nach Strophenbau und Got-Anapher zu den Weihnachts- und Neujahrsliedern, obwohl es inhaltlich ein Mariengruß ist. Eine solche Tropierung ist WK 764, das hier nicht mitgerechnet wird; aber könnte nicht WK 773, das ich zu den Glossenliedern zähle, möglicherweise auch eine Tropierung sein?
Notizen zu den Liedern Heinrich Laufenbergs
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Melodie erhalten. Aufgrund der Textmetrik neige ich dazu, folgende Gedichte als Sequenzen oder sequenzähnliche Gebilde aufzufassen: WK 730, 734, 744, 747, 771, 773. Wirklich durchschaubar ist mir die Form allerdings nur bei den beiden ersten: WK 730, ein Glossengedicht mit deutschen Lemmata über das ›Ave Maria‹, hat 7 Versikel zu je 8 Zeilen; dabei haben die Anfangszeilen, die den glossierten Text zitieren, teilweise Prosarhythmus und schwanken zwischen 7 und 15 Silben (= Hebungszahl N), im übrigen gibt es vier sehr ähnliche Versikelschemata: Versikel 1: Na 4a 4a 4a 4a 4a 4a 3K– Versikel 2–4: Na 3a 3a 3a 3a 3a 3a 3K– Versikel 5: Na 3a 3a 3a 3a 3a 3a 3K Versikel 6–7: 4a 4a 4a 4a 4a 4a 4a 4K Die Kornreime binden je zwei, zuletzt drei aufeinanderfolgende Versikel, verknüpfen also z. T. metrisch verschiedene Versikel. – WK 734, ein Marien-ABC, das seit Wackernagel als Nachahmung des ›Guldein ABC‹ des Mönchs von Salzburg und wie dieses als Sequenz gedeutet wird, ließe sich auch als gleichstrophiges Lied deuten, wenn man jeweils die ersten 14 oder 15 Silben als eine Einheit auffaßt, die durch innere Reime beliebig gegliedert werden kann; dennoch scheint mir der Bautypus der Strophen bzw. Versikel eher auf die Sequenztradition zu weisen, zumindest aber ist diese Form nur als gesungen oder sangbar verständlich, während bei den gleichstrophigen Grüßen und Anrufungen sonst gerade fraglich ist, ob Gesangsvortrag intendiert ist. Die andere Gruppe von Grüßen und Anrufungen ist durchweg vielstrophig (zwischen 11 und 58 Strophen), die Strophen bestehen fast ausschließlich aus (meist weiblichen) Dreiund (meist männlichen) Vierhebern, die in der Regel rhythmisch recht glatt gebaut sind. Während beim Sequenztypus kürzere und längere Verse unregelmäßig gemischt zu sein scheinen und der metrische Aufbau – zumindest für uns – schwer durchschaubar ist, herrscht hier ein sehr rationales Formideal der Gleichmäßigkeit. Mehrere Strophenbautypen zeichnen sich ab. Der häufigste Typus ist der Fünfzeiler mit Kornreim, der in drei Varianten auftritt: I
4a 4a 4a 4a 3K– 4a 4a 4b 4b 3K– 4a 4a 4a 4a 4K Durch den Kornreim werden in der Regel je zwei Strophen gebunden. Diese Form haben 14 Grüße (WK 727–729, 731–733, 737, 738, 741, 772, 774, 775, 797 und ein von WK nicht abgedrucktes Gedicht auf Bl. 55a42), dagegen nur ein Lied eines anderen Typus (WK 783).43 Den Ton dürfte Laufenberg von Konrad von Haimburg entlehnt haben. II III
Dessen ›Anulus B.M.V.‹, die Vorlage von WK 797, entspricht genau der Variante II, und sein ›Crinale B.M.V.‹ zeigt die verwandte Form 4a– 4a– 4a– 4a– 4K, die Laufenberg bei der Übertragung (WK 727) in die ›deutschere‹ Variante I umgegossen hat. Beide Übertragungen stehen in der Handschrift mit einem dritten Mariengruß gleichen Tons (WK 772) als Gruppe beisammen und gehören zu den frühesten Gedichten Laufenbergs: WK 772 ist auf 1413, WK 727 auf 1415 datiert. Da das nicht übersetzte Gedicht WK 772 42 43
Vgl. Müller (wie Anm. 3), S. 16. [Ein nur dreistrophiger geistlicher Abschiedsgruß an Klosterfrauen (vos sponse rein . . . dis lemlins); Maria wird nur in der dritten Person genannt. Auffällig ist die Häufung französischer Fremdwörter, vielleicht Anspielung auf die Sprachsituation bei den Adressatinnen.]
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das noch etwas ältere ist, scheint Laufenberg zunächst den Ton und Typus nachgeahmt, dann erst zwei genauere Übertragungen versucht zu haben.44 366
Als Reduktionsform dieses Tons ließe sich ein Dreizeiler mit Kornreim bzw. Sechszeiler mit Schweifreim auffassen, der in zwei Mariengedichten auftritt: WK 735: 4a 4a 3b– WK 713: 4a 4a 4b
4a 4a 3b– 4a 4a 4b
(In beiden kommen vereinzelt und unregelmäßig auch weibliche Vierheber vor.) Aber eine direkte Herleitung der Form aus lateinischen Vorbildern liegt hier näher. Allein Konrad von Haimburg benutzt nicht weniger als sieben Varianten dieser Form. Vor allem aber wäre das grußähnliche ›Psalterium de nomine Iesu‹ zu nennen, das Laufenberg – freilich erst spät – auszugsweise übertragen hat (WK 714). Zur Tonfamilie gehört schließlich noch WK 725, ein Marienlied zur Weihnacht mit der Form 4a 4a 4a 4a 4a 4a 3K– (der Kornreim bindet hier alle Strophen). Aus den Mariengrußdichtungen fällt dieses Gedicht allerdings insofern heraus, als es teilweise erzählenden Charakter hat und nur 8 der 24 Strophen durch die Anapher hinaht gebunden sind. Drei Gedichte Laufenbergs, zwei Mariengrüße (WK 769, 770) und die Paraphrase des ›Symbolum Athanasii‹ (WK 766, immerhin auch eine Art Glossengedicht) haben Strophenformen aus drei Vagantenzeilen (4a 3b– 4a 3b– 4a 3b–). WK 770 weist die formale Besonderheit auf, daß Strophe 1 und 2 aus je vier, die übrigen 10 Strophen aus je drei Langzeilen bestehen; das könnte für Sequenzform sprechen, könnte aber auch bei musikferner Gebrauchsintention eine Lizenz im Sprech- und Lesevers sein.45 Der Typus der Vagantenzeilenstrophe stammt aus der lateinischen Tradition. Wieder könnte man auf Konrad von Haimburg verweisen, bei dem sich 21 Gedichte in Strophen aus Vagantenzeilen (mit und ohne Auftakt) finden, darunter allerdings nur einmal eine Strophe aus drei Vagantenzeilen wie bei Laufenberg. Aber der Typus ist allgemein verbreitet und auch volkssprachlich längst geläufig. Der von Laufenberg abgeschriebene Mariengruß WK 443 ist z. B. auch in einer Vagantenzeilenstrophe abgefaßt.
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Der Typus der pia dictamina der Kartäuser und insbesondere Konrads von Haimburg dürfte über die Tonübernahme und Übertragung hinaus auf Laufenbergs Grüße eingewirkt haben: auch Konrad und seine Nachahmer haben eine große Vorliebe für Glossengedichte, Akrosticha und Strophenanaphern (nicht allerdings für Abecedarien). Den vielen Grüßen an andere Heilige als Maria bei den Kartäusern entsprechen bei Laufenberg wenigstens die zwei Gedichte an St. Anna und St. Dorothea. Erwähnt sei noch, daß das auf Blatt 159b der Straßburger Handschrift eingetragene, leider nicht erhaltene lateinische Gedicht ›De sancto mauritio et sociis ejus‹ identisch gewesen sein könnte mit dem unter der gleichen Überschrift überlieferten Gedicht Konrads von Haimburg (Analecta hymnica, Bd. 3, 1888, S. 71f.). Vgl. ferner unten S. 352. Ähnlich Appelhans (wie Anm. 13), S. 96, unter Berufung auf Hugo Kuhn, Leich, in: 2 Reallexikon d. dt. Literaturgeschichte, Bd. 2, 1965, S. 41.
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Schließlich sei noch auf drei Mariengrußdichtungen in reinen Vierheberstrophen hingewiesen: WK 712 mit 14 Strophen der Form 4a 4a 4a 4a, WK 776 mit 17 Strophen aus je 12 Reimpaarversen, WK 798 mit 12 Strophen aus je 10 Reimpaarversen. Von hier ist nur noch ein Schritt zu zwei kleinen Marienabecedarien in 25 bzw. 23 Reimpaarversen (WK 736 und WK 734 Anm.), Keimoder Reduktionsformen der anspruchsvolleren Abecedarien. Mindestens die beiden zuletzt genannten kleineren Abecedarien sind als Sprech- oder Leseversdichtungen aufzufassen, möglicherweise aber ein großer Teil der Grüße und Anrufungen, nämlich alle Gedichte des gleichstrophigen Typus. Wichtigstes Indiz sind die Reimpaarabschnitte, die 7 der 14 Gedichte in dem Fünfzeilerton angehängt sind. In WK 741 ist es nur ein einziges Verspaar, das einfach das Akrostichon mit der Widmung an Maria wiedergibt, in WK 775 sind es vier lateinische Reimverse mit einer Widmung an einen frater; bei WK 732, 737, 738, 772 und dem Gedicht auf Blatt 55a aber handelt es sich um eigene Abschnitte zwischen 8 und 60 Reimpaarversen, die die Thematik des Gedichts weiterführen und abschließen. Man kann sich schwer vorstellen, daß an einen Wechsel von Gesang und abschließendem Sprechvortrag gedacht gewesen sei, vielmehr dürfte auch bei den Strophen der Gedanke an Musik bereits ferngelegen haben. Wenn Dreves die »pia dictamina« der Kartäuser und insbesondere Konrads von Haimburg als »der Privatandacht dienende Reimgebete und Leselieder« bezeichnete,46 so dürfte für die Laufenbergsche Adaptation des Typus Ähnliches gelten. In einigen wenigen Fällen mag man aus Akrosticha und angehängten Reimpaarversen eine noch genauere Vorstellung vom privaten Charakter dieser Gedichte gewinnen: So sehr die lateinische Widmung von WK 775 literarischen Konventionen folgt, man wird annehmen dürfen, daß zumindest eine Funktion des Gedichtes darin bestand, dem frater in schriftlicher Form überreicht oder zugesandt zu werden als geistlicher Freundschaftsgruß. WK 737 und 738 wurden offenbar vom Seelsorger Laufenberg einer geistlichen Freundin Margaret übersandt: WK 738, nach der Stellung in der Handschrift 1423/24 entstanden, trägt im Akrostichon die Widmung Margaret min gesel, und die 12 abschließenden Reimpaarverse wünschen dem zart liepsten gesell den Segen Jesu, dz dir dis ior zergange in liep on undervange . . . Dz wünsch ich gar der zühte din, wie ich denn genemmet bin. Während hier der Dichter als Liebhaber-Ich auftritt und darum betont den Namen verschweigt, versteckt er sich Š in dem jüngeren Gruß von 1429 noch weiter: In WK 737 ergeben die Anfangsbuchstaben der Strophen den Vers: Frow Margaret, nim hie von mir ein vasnahtkvechli send ich dir,
46
Analecta hymnica, Bd. 3, 1888, S. 5.
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womit – ähnlich wie wenig später in der gleichen Gegend von Johannes Kreutzer – ein Fastnachtsbrauch geistlich gewendet wird. Das geistliche Fastnachtsküchli ist offenbar hier das Gedicht selbst, das als geistlicher Liebesgruß fungiert: die 14 Reimpaarverse des Abschlusses beginnen mit den Wörtern eines weiteren Widmungsspruchs: Ach liebi frow, got sy mit dir. Daz selb daz wünsch ouch allzit mir.
Diese Liebesgrußfunktion ist hier aber nur in der Verschlüsselung des Akrostichons verbalisiert. Der Text als solcher dagegen ist rein geistlich, er gibt sich in den Abschlußversen sogar deutlich als von einer Frau gebetet aus: allzit so gib den segen din mir armen snöden sünderin.
Der Liebesgruß besteht also darin, daß Laufenberg als Seelsorger einer geistlichen Freundin statt eines Fastnachtsküchlis ein pium dictamen schickt, das so abgefaßt ist, daß sie als Frau es beten kann. Die Verwendung von Mariengrußdichtungen47 als geistlich-literarische Grußbillets an nahestehende Personen ist gewiß nur ein Sonderfall, der nicht verallgemeinert werden darf. Wohl aber scheint es mir bezeichnend für die Einschätzung des Typus durch Laufenberg, daß solche Verwendung überhaupt möglich ist. Die Grüße und Anrufungen waren offenbar in erster Linie weder zum kollektiven Gesang oder Gebet, noch zum Vortrag vor einer wie auch immer gearteten Gesellschaft bestimmt, sondern waren primär fromme literarische Übungen des Einzelnen, für den Lesegebrauch von Einzelnen bestimmt.
2. Weihnachts- und Neujahrslieder
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Weihnachtsmotive und Hinweise auf den Jahresbeginn finden sich in sehr vielen Liedern und Gedichten Laufenbergs: mit Ausnahme der Hymnenübertragungen gibt es wohl keinen Gedichttypus bei ihm, für den sich nicht mehrere Beispiele aufführen ließen. Dabei gelten Weihnachten und Neujahr – wie vielfach im Spätmittelalter48 – als e i n ZeitŠpunkt, so daß Laufenberg in einem Lied (WK 746) beide als gegenwärtig erwähnen kann: Dz het verkunt der engel munt ze diser e stund, ir suss gesang hinaht erclang . . . Got, nun sing ich ze lobe dir ze disem jor vnd diser naht . . . diß nu´we jor so tuo mir wor . . . Angesichts der Häufigkeit von Weihnachts- und Neujahrsmotiven wäre es wahrscheinlich nicht ganz verfehlt, wenn man sagte, daß für Laufenberg das 47
48
[Grußadressen, die nicht Maria anreden, nur in WK 753 (vgl. unten) und WK 783 (vgl. Anm. 44).] Vgl. Arne Holtorf, Neujahrswünsche im Liebesliede des ausgehenden Mittelalters, Göppingen 1973 (GAG 20), S. 56–75.
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Dichten nicht zuletzt eine fromme Übung oder ein frommes Brauchtum zur Weihnachtszeit war. Vielleicht ist auch die keineswegs ganz geläufige Praxis, Gedichte in der Handschrift zu datieren, mit einer solchen Auffassung zu verbinden: Diese Praxis bedeutet ja sicher nicht, daß das eigene Leben und das eigene Werk als immanenter Entwicklungsprozeß verstanden werden. Dagegen spricht schon die Tatsache, daß gerade der Haupttypus der Neujahrslieder durch mehr als zwei Jahrzehnte nur variiert und durchgespielt wird, aber nicht einer Entwicklung unterworfen ist. Vielmehr bedeutet der Zeitbezug wohl, daß das Dichten ausgeht von der konkret erfahrbaren irdischen Zeit mit dem natürlichen und kirchlichen Jahreskreislauf und der Abfolge der Jahre im Einzelleben wie in der Geschichte, und daß es versucht, sich gerade von diesem Ansatz aus in das heilsgeschichtliche Ereignis der Inkarnation zu versenken und zur überzeitlichen und endzeitlichen Sehnsucht und Hoffnung zu erheben. Von den vielen Gedichten und Liedern mit Weihnachts- und Neujahrsmotiven soll hier nur ein sehr prägnanter Typus besprochen werden, der zum größten Teil zu einer einzigen Tonfamilie gehört. Als Erkennungsmarke dieses Typus kann die Strophen- (und z. T. Stollen-)Anapher Got dienen; nur in einem einzigen Fall (WK 752) fehlt diese Anapher, doch beginnt wenigstens das ganze Lied mit Got. Überwiegend handelt es sich um dreistrophige Lieder, gelegentlich allerdings mit dem Ansatz einer Auflösung des Strophenprinzips durch fehlende oder überschüssige Strophenteile. Nur WK 726, das auch als mehr erzählendes Lied aus dem Rahmen fällt, hat 12 Strophen. Thematisch umkreisen die Lieder überwiegend das Wunder der Inkarnation, oft mit formelhaftem Bezug auf Neujahr. Die preisende Du-Anrede, die in den Grüßen dominiert, ist hier immer wieder durch ein mehr konstatierendes Preisen in der 3. Person ergänzt, ein eigentliches Erzählen des Weihnachtsgeschehens aber ist die Ausnahme. Thematik und Sprechweise erinnern mehrfach an zeitgenössische Meisterlieder über die Inkarnation, unmeisterlich aber sind gelegentliche Züge einer Jesus-Minne und Anreden an die edly sel. Einen Sonderfall des geistlichen Liebesgrußes gibt es auch bei diesem Typus (WK 753), aber er richtet sich an die zarten fröwlin heer im allgemeinen und ist – Š anders als die individuell adressierten, zur Einzellektüre bestimmten Mariengrüße für Frau Margaret – durchaus als ein vor einer religiösen Frauengemeinschaft vorgesungenes Lied vorstellbar, eine Typuskontrafaktur zum Neujahrsliebeslied. Mit welcher Konsequenz Laufenberg in diesen Weihnachts- und Neujahrsliedern einen nur ihm eigenen Liedtypus konstituiert und variiert, zeigt sich vor allem an der metrischen Form. Man hat bislang noch nicht bemerkt, daß zehn Lieder dieses Typs (WK 742, 743, 745, 746, 749–753, 785) sicher, ein elftes (WK 726) vielleicht zu einer einzigen Tonfamilie gehören; nur zwei Lieder mit Got-Anapher und Weihnachtsthematik weichen formal ganz ab (WK 701, 784). Die metrische Verwandschaft ist freilich nur schwer zu erkennen, sie muß etwas ausführlicher demonstriert werden.
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In dieser Tonfamilie werden im wesentlichen zwei metrische Bausteine immer wieder neu zusammengefügt. Aber sowohl die Binnenstruktur der Bausteine wie die Formen ihrer Kombination zur Strophe und zum Lied zeigen eine Variationsbreite, wie ich sie in der deutschen Lieddichtung des Mittelalters sonst nirgends kenne. Der erste Baustein tritt in folgenden Haupttypen auf: 3 4 3 (= 21) A1: 4 4 3 3 4 3 (= 21) A2: 4 4 o3 3 4 3 (= 20) A3: 4 4 2 3 4 3 (= 18) A4: 4 4 Die letzte Variante (A4) ließe sich vielleicht auch als eigener Baustein deuten. Denn während A1 bis A3 innerhalb eines Liedes für einander eintreten können, wird A4 nur in wenigen Liedern, dort aber ausschließlich verwendet. A4 hat aber in diesen Liedern die gleiche Funktion wie sonst A1 bis A3, d. h. es ist der kürzere Baustein, mit dem die Strophe immer beginnt (darum auch Träger der Got-Anapher) und der dann in verschiedener Weise mit B-Bausteinen kombiniert werden kann. Da die Verkürzung gerade an der auch sonst labilen Stelle erfolgt ist, halte ich einen nahen Zusammenhang der Formen für sicher. Der zweite Baustein erscheint in folgenden Haupttypen:
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2 2 2 4 3 B1: 4 2 2 4 2 2 2 4 3 B2: 4 2 2 3 2 2 2 4 3 B3: 4 2 3 2 2 2 2 4 3 B4: 4 2 4 o3 2 2 2 4 3 B5: 4 2 4 3 2 2 2 4 3 B6: 4 2 2 5 4 2 2 4 B7: 4 2 2 4 Der abschließende Dreiheber ist häufig auch dieser Baustein in seiner Mitte.
(= 25) (= 24) (= 24) (= 26) (= 26) (= 26) (= 24) auftaktlos. Die größte Variabilität zeigt
Mit den angeführten Haupttypen der beiden Bausteine ist aber deren außergewöhnliche Variabilität noch keineswegs vollständig erfaßt. Die Reimordnung kann von Strophe zu Strophe und von Stollen zu Stollen verschieden sein. Vierheber können in Zweiheber zerlegt werden; bleiben dann einzelne Zweiheber reimlos, so können sie als Anfang einer längeren Zeile erscheinen. (Wackernagel deutet z. B. den Anfang von WK 751 so: 4a 2a 5a 3a 4x 3a; erst der Vergleich mit den Folgestrophen und mit anderen Liedern dieser Tonfamilie legt die Deutung 4a 2a 2x 3a 3a 4x 3a = A1 nahe.) Weitere Variationen bringt die Einführung weiblicher Reime, wobei die überschüssigen Silben z. T. durch Auftaktlosigkeit wieder hereingebracht werden. Beide Bausteine waren wohl in irgendeiner Weise durch die Melodie zweigeteilt. Die Zäsur, die ich nach der variabelsten Stelle des Schemas angesetzt habe, wird mehrfach durch Reimfolge, syntaktische Gliederung und gelegentlich durch Großbuchstaben der Ausgabe (die vielleicht auf Initialen der Handschrift zurückgehen) bestätigt; doch gibt es beim Element A auch Fälle, in denen diese Kriterien eher für ein Ansetzen der Zäsur um eine Zeile weiter hinten sprechen würden (vgl. besonders WK 752, 753).
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Die beiden Elemente werden nach drei Bauplänen zu Strophen zusammengefügt: AB, AAB und – als Refrainform – ABB. Es fällt auf, daß mehrfach eine Strophe (meist die zweite) kürzer ist als die übrigen, weil ihr ein Element (bei WK 750 ein halbes Element von B7) fehlt. Man wird diese Unregelmäßigkeit nicht ohne weiteres der Überlieferung (einschließlich Wackernagel) zuschreiben dürfen, sondern muß vielleicht mit einem Einfluß der Sequenz- und Leichtechnik rechnen, in der ja die Bausteine ebenfalls viel freier verfügbar waren als im Strophenlied. Am grundsätzlich strophischen Charakter dieser Lieder aber wird man dennoch festhalten dürfen. In der folgenden Zusammenstellung der Lieder dieser Tonfamilie gebe ich jeweils nur für eine Strophe ein vollständiges metrisches Schema. Die anderen Strophen weichen in der Regel mindestens durch die Reimordnung, oft aber auch durch andere Auflösungen der Vierheber von der Beispielstrophe ab. Da die Zusammenstellung zugleich das erstaunliche Konstantbleiben des Typus über mehr als zwanzig Jahre demonstrieren kann, ordne ich die Lieder chronologisch und reihe die wenigen überwiegend typuskonformen Lieder, die nicht zu der Tonfamilie gehören, mit ein (gekennzeichnet durch *Sternchen). *WK 701 (1420): Preis der Trinität zu Weihnachten und Neujahr. 3 Strophen. WK 745 (1421): Preis der Inkarnation zum Jahresanfang (Erwählung Mariens, Verkün-
digung, Geburt, drei Könige); Bitte um Schutz und um Hilfe zur ewigen Seligkeit. 3 Strophen mit an Maria gerichtetem Refrain (dieser in WK als eigene Strophe gezählt). Schema von Strophe II (in WK 3 und 4): 3a 2a 2b 3b 4x 3a A1 : 4a 2c 2d 2d 2d 2e 2e 2e 2e 2x o3e B1 : 4c o 4C o2C 2x– o4C (Refrain) B7 : 4A 2A 2B– 2B– 2B– Strophe I hat A3 B6 plus Refrain, Strophe III besteht nur aus A3 plus Refrain. WK 749 (1423): Bitte an die Trinität um Hilfe beim Loben; Preis Mariens und der
Inkarnation zu Weihnachten und Neujahr. 3 Strophen und ein Schlußelement [Geleit?].49 Schema von Strophe I: 4a 2a 3a 4b 3b A3 : 4a 2c 2c o3c 3c 2d 2x 3d A2 : 4c 2e 2x 3e 2e 2f 2f 2f 2g 2x o3g B3 : 4e Strophe II: A1 B7 (nur ein Stollen!); Strophe III: A3 A3 B4; Schlußelement: A1 + 2c 2c 2c 2d o3x o3d (Variante des zweiten Teils von B7?). WK 750 (1424): Preis der Inkarnation (Geburt, drei Könige) zum neuen Jahr; Aufforderung an die Seele, das Kind zu suchen. 3 Strophen. Schema von Strophe I: 4x 3a 3a 2a 2b 3b B1 : 4a 2c 2c 4d 2d 2d 2e 2e 4e B7 : 4c Strophe II hat B7 nur zur Hälfte (4b 2b 2b 4b). Strophe III: A1 B2 (B2 teilweise mit weiblichen Reimen). WK 751 (1424): Preis der Trinität und Marias zu Weihnachten und Neujahr. 3 Strophen.
Schema von A1 : A1 : B6 : 49
Strophe I: 4a 2a 2x 4a 2a 2x 4b 2b 2b
3a 3a 5b
3a 3a 2c
4x 4a 2c
3a 3a 2d
2e
2e
o
3d
[Vgl. die Schlußabschnitte in den Passionsliedern der Mönchs von Salzburg G 23 und Oswalds von Wolkenstein Kl. 111.]
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Strophe II: A1 B1 (nur ein Stollen!). Strophe III: A1 A3 B1.
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WK 785 (ohne Jahr, zwischen 1425 und 1427): Mariengruß zu Weihnachten. 3 Strophen. Schema von Strophe I: 2a 2a 3a 3a 2b 2b 3a A1 : 4a A1 : 4c 2c 2c 3c 3c 2d 2d 3c 2e 2e 2e 4e 2f 2f 2f 2g 2g o3f B1 : 2e WK 752 (1427): Erzählung von den heiligen drei Königen. Keine Strophenanapher, aber Liedanfang Got. 3 Strophen. Schema von Strophe I: 4x 3a 4b 3b A4 : 4a 2c 4d 2d 2e– 2e– 2e– 2f 2f o3f B1 : 4c Strophe II und III haben nur männliche Reime. WK 746 (1428): Preis der Inkarnation zum Jahresanfang; Aufforderung an die Seele zum Aufbruch nach Bethlehem; Bitte um Gnade. 3 Strophen. Schema von Strophe I: 2b 2b 3a 4b 3b A4 : 4a 2d 2d 3c 4b 3b A4 : 4c 2e 2e 2f 2f 2f 4g 2g 4h o3h B1 : 2e Strophe II hat nur einen Stollen.
*WK 726 (1429): Erzählung des Weihnachtsgeschehens von der Verkündigung bis zur Flucht nach Ägypten. 12 Strophen. Zur Form s. unten. *WK 784 (ohne Jahr, zwischen 1430 und 1434): Preis Gottes und Mariens, besonders wegen der Inkarnation. 3 Strophen. WK 742 (1439): Preis der Trinität zu Weihnachten. 3 Strophen. Schema von Strophe II:
2a 2a 3a 3a 2a 2b 3b A1: 4a 2a 2a 2c– lc– o3d 2d 2d 2d 4K o3K B1: 2a Str. I: A3 statt A1, jedoch mit drei Dreihebern nach der Zäsur (falls nicht Wackernagel mit der Annahme einer Lücke recht hat); in B1 die d-Reime weiblich. WK 753 (ohne Jahr, zwischen zwei Liedern von 1439): Geistlicher Liebesgruß an die zarten fröwlin zum neuen Jahr. 3 Strophen. Schema von Strophe I: 2a 2a 3a 3a 4b 3b A1: 4a 2c 2c 2c 4c 2d 2d 2d 2e 2e o3e B1: 2c Strophe II und III haben in B1 einige weibliche Reime. WK 743 (1445): Bitte um Führung zur Krippe und ins Himmelreich unter Berufung auf
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die Inkarnation, Preis Mariens und der Trinität; Neujahr zunächst konkret, dann metaphorisch für die Ewigkeit. 3 Strophen. Schema von Strophe I: 2b 2b 3a 3c 2d 2d 3c A1 : 4a B1 : 4e 2e 2f 2f 2f 2g 2g 2g 2h 2h o3K Wackernagel nimmt in Str. I und III zu Unrecht Zeilenverlust an. Str. II und III weichen von Str. I (außer durch Reimordnung und Versglieder) dadurch ab, daß die g-Reime weiblich sind.
Verständlich wird die ungewöhnliche metrische Variabilität bei gleichbleibenden Grundmustern der Elemente wohl nur, wenn man annimmt, daß jeder Baustein wesentlich durch eine (vermutlich präexistente) Melodie bestimmt war, die jeweils verschieden austextiert werden konnte. Zu keinem der zehn Lieder ist eine Melodie erhalten, und es ist fraglich, ob in der Straßburger Handschrift Melodien standen. Eine Kombination der beiden Elemente in anderen mittelalterlichen Tönen nachzuweisen, ist mir bislang nicht gelungen (die Suche ist freilich
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durch die Variabilität der Form sehr erschwert). Für wahrscheinlich halte ich jedoch, daß die Melodie des Elementes B uns in der neuentdeckten Melodie von WK 726 erhalten ist. Dieses Lied stellt sich mit Got-Anapher, Weihnachtsthematik und Bitte um ein glückhaft ior zu der hier behandelten Gruppe, durch Strophenzahl (12) und mehr erzählende Haltung steht es am Rand des Typus. Das metrische Schema lautet für Strophe I: 2a–
2x
3a– 2b– o3b–
2c
2c
2d
2d
2d
3K–,
2c
2c
2d
2d
2d
3K–.
für alle übrigen Strophen 2a–
2x
3a– 2b– 2b–
Wenn auch keine Variante von B dieser Form genau entspricht, steht doch einer Identifizierung nichts ernsthaft im Wege. Der Aufbau der Melodie von WK 726 zeigt, daß melodisch entsprechende Teile verschiedene Silbenzahlen haben können (am deutlichsten: β 4, β′ 6, β″ 5 Silben). Eine solche Melodie bot geradezu ideale Voraussetzungen für die vielfältige metrische Variabilität, die diese Tonfamilie bei Laufenberg zeigt. So ließe sich z. B. die Variante B1 dadurch erreichen, daß man vor der Zäsur statt α β γ δ α β′ einsetzt α′ β γ δ′ α′ β, was eine nicht weniger überzeugende Melodiefassung ergibt. Sollten wir gerade dem Umstand, daß WK 726 am Rande des Typus steht und sich dem ›naiveren‹ Ton der ›volkstümlicheren‹ Lieder nähert, die Erhaltung der Melodie wenigstens eines Elements dieser Tonfamilie zu verdanken haben?
3. Übertragung – Tropierung – Montage Als »Übersetzungen lateinischer Kirchenhymnen« führt Müller die Lieder WK 754–765 an; demgegenüber sind Differenzierungen und Ergänzungen nötig. Als einigermaßen wörtliche Übertragungen lateinischer Hymnen und Sequenzen können nur die Lieder WK 754–758, 760–763 und 765 sowie der Anfang einer Übertragung von ›Mundi renovatio‹ (WK 574 Anm.) gelten.50 Daß dieser Typus weitgehend auf eine wohl früh zu datierende Partie der Handschrift konzentriert ist, wurde bereits erwähnt. Inhaltlich herrscht die Marien- und Weihnachtsthematik, die im ganzen Liedercorpus breiten Raum einnimmt, bei diesem Typus fast ausschließlich. Die intendierte Gebrauchsfunktion wird am ehesten durch den Kontrast deutlich: es handelt sich weder um eine Schularbeit, die zum Verständnis der lateinischen Texte hinführen soll (wie etwa die ›Millstätter Interli50
[Vgl. jetzt auch Günther Bärnthaler, Übersetzen im deutschen Spätmittelalter. Der Mönch von Salzburg, Heinrich Laufenberg und Oswald von Wolkenstein als Übersetzer lateinischer Hymnen und Sequenzen, Göppingen 1983 (GAG 371). Daß Bärnthaler z. T. andere Lieder nennt, liegt daran, daß er einerseits hinsichtlich der Wörtlichkeit strenger urteilt als ich, andererseits einige Cantiones und pia dictamina einbezieht. Zu WK 762 vgl. auch Peter Ochsenbein, Notker Balbulus deutsch, in: Verborum amor. Fs. Stefan Sonderegger, Berlin/ New York 1992, S. 214–237.]
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nearversion der Psalmen und Hymnen‹ oder die ›Auslegung der Hymnen‹), noch handelt es sich um einen Versuch, systematisch Hymnen für ein deutsches Stundengebet einer geistlichen Gemeinschaft bereitzustellen (wie bei den Hymnenübertragungen in der Wiener Handschrift 3079).51 Vielmehr verdeutscht Laufenberg ähnlich wie der Mönch von Salzburg einzelne besonders verbreitete Hymnen und Sequenzen in einer Form, daß sie auf die originale Melodie gesungen werden können und (in der Regel) ohne die lateinische Vorlage verständlich sind; aber er zielt damit zweifellos nicht auf eine deutsche Liturgie, sondern auf meditative Aneignung und freieren Gebrauch in privaten Frömmigkeitsübungen.52 Das wird vor allem durch die Stellung der relativ genauen Hymnen- und Sequenzübertragungen im Gesamtwerk deutlich. Sie stehen von Anfang an neben (eigenen und fremden) freien Dichtungen in der Volkssprache, und aus dem Kerntypus heraus wächst eine Reihe von anderen Rezeptionstypen: Einerseits hat Laufenberg auch andere Texte aus dem Lateinischen übertragen; von den Bearbeitungen der pia dictamina Konrads von Haimburg war schon die Rede, anzufügen wäre die Umsetzung des – nur in einem allgemeineren Sinn ›hymnischen‹ – Anfangs des Johannesevangeliums in deutsche Liedform (WK 767). Andererseits hat Laufenberg auch andere Formen der Rezeption liturgischer oder liturgienaher lateinischer Gesänge entwickelt: WK 759 ist wohl die Übertragung einer lateinischen Weihnachtscantio, aus volkssprachlicher Liedtradition aber scheint der zugefügte Refrain zu stammen. – In WK 782 ist die Sequenz ›Verbum bonum‹ nur teilweise übertragen: die Versanfänge sind deutsch, die Syntax vereinfacht, aber die Reimwörter sind aus dem lateinischen Original beibehalten; als Publikum könnte eine Schicht anvisiert sein, der die Sequenz als liturgischer Gesang im Ohr lag und die auch ein wenig Latein verstand, nicht aber das anspruchsvolle Latein der Sequenz; doch die Bearbeitungstechnik blieb, soviel ich sehe, singuläres Experiment. – In anderer Weise mischt WK 778 Latein und Deutsch: der Hymnus ›Ave maris stella‹ wird durch lateinische und deutsche Einschübe zum Glossengedicht umgeformt – Übergang der Hymnenrezeption zu den Glossengedichten unter den Mariengrüßen. Bemerkenswert ist, daß auch von hier aus eine Linie zu Konrad von Haimburg führt: die lateinischen Einschübe zeigen Anklänge an ein Glossengedicht über ›Ave maris stella‹ von Konrad von Haimburg.53 Ob Laufenberg ein lateinisches Glossengedicht aus der Konrad-Tradition übernommen und nur deutsch erweitert hat oder ob er direkt auf Konrad zurückgriff und dessen Motivmaterial frei lateinisch und deutsch montierte, ist nicht zu entscheiden; Zufall können die Anklänge aber kaum sein. 51
52
53
Johannes Janota/ Burghart Wachinger, Hymnare und Hymnenerklärungen in deutscher Sprache, in: 2VL, Bd. 4, 1983, Sp. 338–346. [Vgl. jetzt Max Schiendorfer in: GGdM, Bd. 5, S. 27–61.] Zu dieser Problematik grundlegend: Johannes Janota, Studien zu Funktionen und Typus des deutschen geistlichen Liedes im Mittelalter, München 1968 (MTU 23). [Vgl. auch im vorliegenden Band S. 324–327.] Analecta hymnica, Bd. 3, 1888, S. 40–43.
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Die Technik des Glossengedichts, die lateinisch wie volkssprachlich verbreitet war, steht in einer gewissen Analogie zum interpolierenden Tropus der geistlichliturgischen Musik; direkte Zusammenhänge scheinen jedoch nicht zu bestehen, zumindest nicht bei Laufenberg. Wohl aber gibt es bei ihm zwei Dichtungen, die nur vor dem Hintergrund des lateinischen Tropus zu verstehen sind, allerdings der zweiten Technik des Tropus, des syllabischen Austextierens vorgegebener Melismen.54 Von den beiden Texten, zu denen ich nichts Analoges in der deutschen geistlichen Lieddichtung kenne, ist bislang nur der eine als solcher bekannt: es ist die Tropierung des ›Salve regina‹ WK 764. Aber auch der in der Anmerkung zu WK 790 abgedruckte Text ist zweifellos ein volkssprachlicher Tropus. Von der Überschrift konnte Wackernagel nur lesen Recordare offer . . . sub eisdem notis. Hinter offer . . . steckt zweifellos nicht offerentiae, wie Wakkernagel vermutet, sondern eine Form von offertorium; denn die Zeilen 1, 3, 5/6, 10–12 des deutschen Textes enthalten eine recht genaue Paraphrase des Offertoriums Recordare, virgo mater, in conspectu dei, ut loquaris pro nobis bona et ut Š avertat indignationem suam a nobis.55 Der deutsche Text ist bis Zeile 14 als Austextierung der Melismen dieses Verses zu verstehen (sub eisdem notis). Von Zeile 15 an folgt eine Übertragung eines verbreiteten lateinischen Tropus zu diesem Offertoriumsgesang, des Tropus ›Ab hac familia‹ (Tropus hier im Sinne einer musikalisch-textlichen Erweiterung in Form eines Anhangs).56 Beide Tropierungen gehören in Laufenbergs Frühzeit und stehen in Zusammenhang mit der Hymnen- und Sequenzrezeption. Das ›Rezeptionsprogramm‹ der MönchTradition ist also hier auf Antiphon und Tropus erweitert, aber es bleibt bei der Rezeption einzelner Stücke, die nicht ins Zentrum der Liturgie gehören. In zwei Liedern aus späterer Zeit experimentiert Laufenberg mit anderen Formen von Hymnen und Liturgie: er montiert Zitate in einen vorwiegend deutschen Text ein: In WK 777 beginnt jede Strophe mit einem anderen Hymnen-Incipit der Advents- und Weihnachtszeit. Besonders bemerkenswert aber scheint mir das Verfahren von WK 779: in ein deutsches Marienlob in Sequenzform werden systematisch Formulierungen aus der Votivmesse de Sancta Maria in Sabbato eingebaut. Zwar sind mir zeitgenössische Meßordnungen ohne unverhältnismäßigen Aufwand nicht zugänglich. Doch läßt sich das Prinzip auch bei einem Vergleich mit dem bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil gültigen ›Liber usualis‹ hinreichend sicher erkennen:57 Versikel 1–3 zitiert, paraphrasiert und umspielt den Introitus ›Salve sancta parens‹ (nach dem ›Carmen paschale‹ des 54 55
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Bruno Stäblein, Tropus, in: MGG, Bd. 13, 1966, Sp. 797–826, hier Sp. 799. Hier nach: Liber usualis missae et officii . . . a Solesmensibus monachis, Parisiis/Tornaci/Romae/Neoeboraci 1964, S. 1637. Zu den ›Recordare‹-Tropen vgl. Stäblein (wie Anm. 54), Sp. 810. Für freundliche Wegweisung danke ich Benedikt K. Vollmann. Analecta hymnica, Bd. 49, 1906, S. 321. Liber usualis (wie Anm. 55), S. 1272 bzw. 1263–1268 und 1637. [Zu den deutschen Übertragungen dieser Messe s. Gisela Kornrumpf, ›Marienmesse Salve sancta parens‹, in: 2VL, Bd. 11, 2004, Sp. 970–976.]
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Sedulius), Versikel 4 könnte zu einem Introitus-Tropus oder zu einem Hymnus gehören; es folgt das ›Kyrie‹ (5), das ›Gloria‹ (6 und 7), die Oratio ›Concede nos‹ (8), die alttestamentliche Lectio ›Ab initio‹ (9), das Graduale ›Benedicta‹ (10), ein Gesang ›Alleluia Virga Jesse floruit‹ (11, im ›Liber usualis‹ als Ersatz des Graduale während der Osterzeit geführt), die Sequenz ›Verbum bonum‹ (12), die neutestamentliche Lectio ›Beatus venter‹ (13), das Offertorium ›Recordare virgo‹ (14), schließlich, nur noch angedeutet, in Versikel 15 ›Sanctus‹, ›Agnus dei‹ und die Communio ›Beata viscera‹. Vielleicht wird nirgends so deutlich, wie weit das Laufenbergsche Liedercorpus von liturgischem Gebrauch entfernt ist, wie bei dieser Sequenz, die die Liturgie konsequent zitiert, meditiert und artistisch umspielt, die sie damit aber gerade nicht vollzieht.
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III Aus dem Liedercorpus Heinrich Laufenbergs habe ich hier nur drei Typen herausgegriffen, die zusammen jene Seite des Werks zeigen, die bei allem religiösen Ernst auch dem formalen Spiel und dem literarischen Selbstbewußtsein zugewandt ist. Das Bild wäre zu ergänzen durch die sehr viel weniger klar in Typen gegliederte Gruppe der »Lieder, die sich an verschiedenen Typen des weltlichen und des volkstümlichen geistlichen Lieds orientieren«; diese Lieder bevorzugen schlichtere Formen – auch die andersartigen literarischen Spielmöglichkeiten, die der Typus Kontrafaktur mit Textbezug bietet, werden von Laufenberg nur sehr zurückhaltend genutzt – und in ihnen kommt jene gefühlsdurchwärmte Frömmigkeitshaltung, die in den hier behandelten Typen immer wieder von einer objektiveren Haltung des Preisens und Konstatierens aufgefangen und im formalen Spiel aufgehoben wird, deutlicher zum Durchbruch. Alle verschiedenen Typen sind nun bei Laufenberg im wesentlichen von Anfang an nebeneinander vorhanden. Der seltene Glücksfall einer chronologisch geordneten Handschrift verhilft hier im wesentlichen nur zu der ernüchternden Erkenntnis, daß sich Laufenbergs Dichtung im Lauf von dreißig Jahren nur in untergeordneten Merkmalen gewandelt hat. Als Anzeichen einer ›Entwicklung‹ bemerkenswert scheint mir bei den hier behandelten Typen vorerst lediglich, daß die Lieder mit kühner, experimentell wirkender Sprach- und Zitatmontage (WK 777, 779, 782) erst spät, zwischen 1438 und 1443, anzusetzen sind. Das Nebeneinander der verschiedenen Typen erklärt sich zu einem Teil daraus, daß sie aus verschiedenen Quellbereichen stammen oder auf verschiedene Texttypen sich beziehen. Greifbar sind als Orientierungspunkte lateinische Hymnen und Sequenzen, lateinische pia dictamina insbesondere von Konrad von Haimburg und volkssprachliche Lieder verschiedener Art. In und hinter den Bezugstexten werden auch teilweise deren Gebrauchssituationen sichtbar: Liturgie für Hymnus und Sequenz, pia exercitia individueller Art hinter den pia dic-
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tamina, literarisches und außerliterarisches Neujahrsbrauchtum hinter dem Weihnachts-Neujahrslied-Typus; am wenigsten greifbar bleibt der Gebrauch der übrigen volkssprachlichen Bezugstexte. Das Zusammenkommen der verschiedenen Typen bei einem Autor könnte damit zusammenhängen, daß dieser verschiedenen Gebrauchsfunktionen gerecht zu werden versuchte. Aber keinesfalls können die Gebrauchsfunktionen der verschiedenen Bezugstexte unverändert den Š entsprechenden Liedern Laufenbergs zugeordnet werden; das war bei der Hymnen- und Liturgierezeption am deutlichsten zu sehen, gilt aber z. B. auch für jede geistliche Kontrafaktur zu einem weltlichen Lied. Greifbar wird uns als Gebrauchssituation der Lieder Laufenbergs zunächst die Handschrift selbst, in der alle verschiedenartigen Lieder vereinigt sind als Teile eines geschriebenen Œuvres in einer dem Autor nahestehenden Handschrift privaten Charakters. Es ist nicht auszuschließen, daß manche Lieder diesen privaten schriftliterarischen Bereich des Autors (und vermutlich einiger weniger Freunde) nie verlassen haben; die Spärlichkeit der Streuüberlieferung könnte dafür sprechen. Dennoch werden die Lieder und Gedichte in der Regel nicht primär für die Aufzeichnung in einer Autorhandschrift geschaffen worden sein. Ein Teil der Grüße und Anrufungen diente offenbar als schriftlicher Freundschaftsgruß zur individuellen religiös-ästhetischen Erbauung. Nicht auszuschließen ist bei einem Teil der schlichteren Lieder, daß sie in religiösen Gemeinschaften auch gemeinsam gesungen wurden. Für die meisten Lieder aber wird man den gesungenen Vortrag voraussetzen müssen. Wie weit nun die verschiedenen Liedtypen, die sich uns gezeigt haben, durch Rücksicht auf verschiedene Vortragssituationen oder auf verschiedene Zielgruppen und deren Erwartungen, Kenntnisse und Bedürfnisse mitgeprägt sind, entzieht sich unserer Kenntnis. Eine Eins-zu-eins-Entsprechung zwischen Liedgestalt und Gebrauchsfunktion dürfte es hier wie sonst nicht gegeben haben. Vielleicht aber gelingt es künftiger Forschung zur Biographie Laufenbergs und zur literarischen, religiösen und sozialen Situation seiner Zeit, den einen oder anderen Zusammenhang noch aufzudecken.
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Anhang 1
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Melodieabschrift Philipp Wackernagels aus der verbrannten Straßburger Handschrift B 121 4o (WM): Bibliothe`que Nationale et Universitaire Strasbourg, Ms. 2371 (mit freundlicher Genehmigung) WM 120r
Zeile 1: Schluß von WK 777 (vgl. 120v) Zu Zeile 2: Blatt 158: Ein Adler hoh han ich gehort (= WK 767 [GGdM Nr. 179: Melodie folgt mit einigen Varianten WK 777]). Zu Zeile 3: Blatt 35 b: Woluf in andaht (= WK 721 [GGdM noch nicht erschienen]). Vor den Linien zwei Fragezeichen, rechts das Datum: 17. Jui (?) 1861. Zu Zeile 5: Blatt 37 b: Es stot ein Lind (= WK 789 [GGdM Nr. 212]). Bei der angekreuzten Note: undeutlich. Zu Zeile 7: Blatt 43 b. 5 Linien. Gott geb vns allen (= WK 726 [GGdM Nr. 278], vgl. Übertragungsversuch S. 361); bei der angekreuzten Note: verrutscht. Unterer Blattrand: Schlüssel zweifelhaft. WM 120v
Zu Zeile 1: Blatt 127 a. Ich weiß ein lieplich engelspil (= WK 710 [GGdM Nr. 373]); rechts: Fehlt wohl 1 Note? Zu Zeile 3: Blatt 128 b. Es taget minnencliche (= WK 709 [GGdM Nr. 213]); links: 5 Linien. Zu Zeile 5: Blatt 129 a. Ach döhterlin (= WK 708 [GGdM Nr. 2]). Zu Zeile 8: Blatt 156 b. Puer natus ist vns gar schon (= WK 777 [GGdM noch nicht erschienen]; Schluß 120r; links: 5 Linien. WM 121r
Zu Zeile 1: Blatt 46 b. Ein lerer ruft .. (= WK 717 [GGdM Nr. 190]). Zu Zeile 4: Blatt 50 b. Es sass ein edly maget schon .. (= WK 705 [GGdM Nr. 211]). Zu Zeile 6: Blatt 51 b. In einem krippflin lag ein kind. (= WK 706 [GGdM Nr. 413: gleiche Melodie wie WK 705 / GGdM Nr. 211]). WM 121v
Zu Zeile 1: Blatt 52 b. Ich wölt dz ich do heime wer (= WK 715 [GGdM Nr. 381]); unter den Korrekturen .bis.; links: 5 Linien. Zu Zeile 3: Blatt 53 a. Es ist ein ingendig jor (= WK 724 [GGdM Nr. 207]). Zu Zeile 5: Blatt 53 b. Sich het gebildet in min hertz (= WK 787 [GGdM noch nicht erschienen]). Zu Zeile 7: Blatt 54 a. Ich weiß ein stoltze maget vin (= WK 704 [GGdM Nr. 374]); links ein unlesbares Wort.
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Michel Beheim Prosabuchquellen – Liedvortrag – Buchüberlieferung Mein Diskussionsbeitrag zu diesem Colloquium befaßt sich mit den Meisterliedern des Hofdichters Michel Beheim. Sie haben mein Interesse erregt als gattungsgeschichtlicher Sonder- und Schlüsselfall in der Zeit des Übergangs von der mittelhochdeutschen Sangspruchdichtung zum Meistergesang. Ihre gattungsgeschichtlichen Besonderheiten sind mir unter zwei allgemeineren Perspektiven der mittelalterlichen Literaturgeschichte verständlich geworden: Sie scheinen mir bemerkenswert für die Frage nach dem Verhältnis von Liedvortrag und Handschriftentradition, einem Teilaspekt der allgemeineren Problematik von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der Literatur des Mittelalters. Und sie fügen sich ein in Überlegungen zum Verhältnis von Vers und Prosa in der mittelalterlichen Literatur. Die beiden Perspektiven sind hier nicht unabhängig voneinander diskutierbar. Unter beiden aber scheinen mir Beheims Lieder zugleich zum Beispielfall für das Tagungsthema »Poesie und Gebrauchsliteratur« zu werden. Nun sind freilich die Begriffspaare Vers− Prosa, Mündlichkeit − Schriftlichkeit und Poesie − Gebrauchsliteratur weder in sich völlig eindeutig, noch lassen sie sich in einfachen und konstanten Relationen einander zuordnen. Vers ist nicht gleich Vers und Prosa nicht gleich Prosa, es gibt jeweils eine breite Skala von Varianten der formalen Techniken und der implizierten Kunstansprüche und Gegenstands- oder Publikumsbezüge. Mündlichkeit und Schriftlichkeit können auf die verschiedensten Weisen verschränkt werden, Gesangsvortrag ist vom Sprechvortrag zu unterscheiden, der (gesungene oder gesprochene) Vortrag schriftlich konzipierter Literatur von genuin mündlichen Traditionen usw. Im Großen und Ganzen ist es zwar vermutlich so, daß das Zunehmen des Anteils der Prosa an der Literatur im Spätmittelalter u. a. zusammenhängt mit einer Tendenz zur Verschriftlichung der Kultur und mit einem Š wachsenden Verlangen der Rezipienten nach unmittelbarer Sachbezogenheit, Sachrichtigkeit, Informationsträchtigkeit – und das kann auch heißen: Brauchbarkeit – der Literatur.1 Aber da Inhalte, ForPoesie * und Gebrauchsliteratur im deutschen Mittelalter. Würzburger Colloquium 1978, hg. von Volker Honemann, Kurt Ruh, Bernhard Schnell und Werner Wegstein, Tübingen 1979, S. 37–74. 1
Zu diesen und weiteren Aspekten vgl. Werner Besch, Vers oder Prosa? Zur Kritik am Reimvers im Spätmittelalter, in: Fs. für Hans Eggers, Tübingen 1972, S. 744–766. Wie anders als in der oft isoliert betrachteten Romantradition sich das Verhältnis von Vers und Prosa darstellen kann, dafür hat mir eine Bemerkung von Kurt Ruh die Augen
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men und Funktionen immer nur in sehr beschränkten Konventionen einander zugeordnet werden, stellen sich in jeder Gattung, in jeder Situation die Verhältnisse wieder anders dar. Am problematischsten aber ist das Begriffspaar Poesie und Gebrauchsliteratur. Sind damit Unterschiede von Textsorten oder Gattungen gemeint, die sich an den Texten selbst, an ihren Formen und Inhalten, an der Art ihrer Gegenstandsverarbeitung festmachen lassen oder im Bewußtsein der Zeitgenossen, an ihrem Gebrauch von Texten aufgezeigt werden können? Oder sind damit Aspekte unserer Betrachtung gemeint, die Betonung einerseits der relativen Autonomie eines Textes und andererseits seiner relativen Determiniertheit durch Zweckbestimmungen und Gebrauchsinteressen? Oder ist gar »die ebenso unabweisbare wie unerfüllbare Aufgabe der Wertung«2 angesprochen? Ich will keine Entscheidung forcieren und mich nicht in Definitionen verlieren. Ich möchte vielmehr die drei Begriffspaare Mündlichkeit− Schriftlichkeit, Vers − Prosa und Poesie − Gebrauchsliteratur als Chiffren für Problemfelder verwenden, wobei das letzte Paar dazu dienen mag, die Frage nach den historischen Sinnhorizonten des im Rahmen der ersten beiden Begriffspaare beschreibbaren Befundes wachzuhalten.
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Michel Beheim,3 der in den vierziger bis sechziger Jahren des 15. Jahrhunderts gedichtet hat, steht zeitlich im Grenzbereich Š zwischen der an Höfen geübten Sangspruchdichtung des 13./14. und dem institutionalisierten stadtbürgerlichen Meistergesang des späteren 15. bis 17. Jahrhunderts. Soziologisch gehört er als Hofsänger noch eindeutig zu den älteren Meistern; als gernder man ist er der letzte bekannte Vertreter von deren Haupttypus, wenn auch, soweit die Quellenlage eine Beurteilung erlaubt, teilweise schon unter anderen Bedingungen.4 Sohn eines Webers zu Sülzbach bei Weinsberg und selbst zunächst Weber, wurde er von seinem erpherrn Konrad von Weinsberg erzagen, aufpracht und rustig gemacht und so erst instand gesetzt, als fürtreter an Fürstenhöfen seine Lieder vorzutragen.5 Für den jungen Mann, der schon Weib und Kinder zu ernähren geöffnet: Mystische Spekulation in Reimversen des 14. Jahrhunderts, in: Beiträge zur weltlichen und geistlichen Lyrik des 13. bis 15. Jahrhunderts, Würzburger Colloquium 1970, hg. von Kurt Ruh und Werner Schröder, Berlin 1973, S. 205–230, hier 226. 2 Hugo Kuhn, Versuch über das 15. Jahrhundert in der deutschen Literatur, in: H. K., Entwürfe zu einer Literatursystematik des Spätmittelalters, Tübingen 1980, S. 77–101, hier 97. 3 Über den Forschungsstand informiert Ulrich Müller, Beheim, Michel, in: 2VL, Bd. 1, 1978, Sp. 672–680. [Vgl. auch Nachtrag S. 391–393.] 4 Zum Folgenden vgl. Ulrich Müller, Untersuchungen zur politischen Lyrik des deutschen Mittelalters, Göppingen 1974 (GAG 55/56), S. 311–324. 5 Wendungen aus 24,31 und der Überschrift zu 416. Zitate ohne nähere Angaben beziehen sich auf Liednummern (und evtl. Verse) von: Die Gedichte des Michel Beheim, hg.
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hatte (358), bedeutete der Beruf des gernden offenbar einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufstieg. Die Unsicherheiten des Berufsdichterlebens hat er durchaus zu spüren bekommen, aber die Bindungen an Gönner und Höfe scheinen bei ihm doch etwas dauerhafter gewesen zu sein als bei den Fahrenden des 13. Jahrhunderts: Er spricht von fursten dinst (z. B. 24,36), nennt sich knecht seiner jeweiligen Gönner (z. B. 24, 39), einmal auch geordent man (416 Überschrift in B), aber nicht gast wie die älteren gernden. Um ›Exklusivverträge‹ dürfte es sich dabei allerdings nicht gehandelt haben; auch während solcher Dienstverhältnisse werden Beziehungen zu anderen Gönnern greifbar. Umgekehrt konnte er wohl vom Dienstherrn gelegentlich auch zu anderen Aufgaben herangezogen werden.6 Besonders lange war er am Hof Kaiser Friedrichs III. in Wien. Seine Hoffnung, hier für immer bleiben zu können, erfüllte sich Š freilich nicht: durch eine ordenung des Kaisers wurden ihm kast und solt aufgekündigt (93), die er für gewiss gehalten hatte (24, 50). Den Titel unsers allergenadigsten herrn dez römschen kaissers tewtscher poet und dichter, den er zuerst in der Überschrift zu seinem in der Wiener Zeit verfaßten ›Buch von der Stadt Triest‹ (453) gebraucht, hat er allerdings noch beibehalten, als er bereits in knechtes miet bei dem keineswegs kaiserlich gesonnenen Wittelsbacher Pfalzgrafen Friedrich dem Siegreichen in Heidelberg war.7 Wenn Beheim auch – zumindest in seinen späteren Jahren – einen anderen Status am Hof gehabt zu haben scheint als die gernde diet des 13. Jahrhunderts, stellt er sich doch nicht nur innerliterarisch in die Tradition der Sangspruchdichter, sondern gerade auch als Hofsänger und gernder man (425); und noch seine letzte Chronik schließt er mit einem Sprichwort, das schon in der Spruchdichtung des 13. Jahrhunderts zitiert und diskutiert worden war:8 der fürst mich hett in knechtes miet, ich ass sin brot vnd sang sin liet; ob ich zu einem andern kum, ich ticht im auch, tut er mir drum.9 von Hans Gille und Ingeborg Spriewald, 4 Bde., Berlin 1968–1972 (DTM 60. 64. 65/1. 65/2). 6 Christoph Petzsch, Michel Beheims ›Buch von den Wienern‹. Zum Gesangsvortrag eines spätmittelalterlichen chronikalischen Gedichtes, in: Anzeiger der philosophischhistorischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 109 (1972) So. 12 = Mitteilungen der Kommission für Musikforschung 23, Wien 1973, S. 266– 315, hier 281 und Anm. 50. 7 Überschrift zu 125–147 (›Buch von der Liebhabung Gottes‹); Nördlinger Urkunde von 1468, zitiert bei Ingeborg Spriewald, Grundzüge des Werkes von Michel Beheim. Ein Beitrag zur Problematik der Reimdichtung im 15. Jahrhundert, in: Wissenschaftliche Zs. der Universität Halle 10 (1961), S. 947–950, hier 947, Anm. 10. Vgl. auch 102,61– 63 und Überschrift in E zu Nr. 69. Zur Nuancierung im Gebrauch dieses Titels vgl. Dagmar Kratochwill, Die Autographe des Michel Beheim, in: Litterae ignotae, hg. von Ulrich Müller, Göppingen 1979 (Litterae 50), S. 109–134, hier 115–117. 8 Der Tugendhafte Schreiber, HMS II, S. 153 Str. 2. 9 Letzte Strophe der ›Pfälzischen Reimchronik‹, hg. von Conrad Hofmann, München
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Auch thematisch setzt Beheim die Gattungstradition der Sangspruchdichtung fort: geistliche und moralische Lieder überwiegen, daneben gibt es Politisches, Kosmologisches, Kunstreflexion und Kunstpolemik. Aber das Meisterlied wird bei ihm zur Hohlform, in die auch gattungsfremde Inhalte gegossen werden können, zum umfassenden Inszenierungstyp.10 Das Minnelied mit Natureingang und Š Sehnsuchtsklage des Ich, der Haupttyp der Minnesangtradition, den auch Heinrich von Mügeln noch durch größere Tönevielfalt von seiner Spruchdichtung getrennt hält, ist bei Beheim – wie vereinzelt schon bei Muskatblut – in die Meistertöne einbezogen. Vor allem aber setzt sich ein erzählerisches Element durch. Beheim erzählt nicht nur seine Fabeln und Bispel sehr viel behaglicher als Mügeln oder irgend ein anderer Spruchdichter vor ihm; er erzählt auch in großem Umfang biblische Geschichte und viel Selbsterlebtes und Zeitgeschichtliches. Den Schritt von der höfischen Sangspruchdichtung zur Hofchronistik hatte schon vor ihm einmal Heinrich von Mügeln getan. Aber dieser hatte die Gattung verlassen und sie nur in dem Formexperiment der lateinischen Ungarnchronik als einen Formtypus neben anderen montierend und zitierend verarbeitet.11 Beheim holt das chronistische Erzählen in die Meisterlieddichtung hinein und schafft vielstrophige Erzähllieder. Selbst die drei großen Chroniken, die er erst in seinen späteren Jahren verfaßt hat, sind noch auf Gesangsvortrag als wenigstens eine Möglichkeit der Realisierung angelegt.12 Diese Offenheit für neue Themen scheint mir nun für die Geschichte der Gattung im 15. Jahrhundert typisch zu sein. Zwar bleiben viele Neuerungen Beheims auf ihn beschränkt; die Wendung zur Großform der Chronik, die vor dem Hintergrund seiner dauerhafteren Position am Hof zu sehen ist, und die autobiographischen Tendenzen, die möglicherweise gefördert sind durch das Beispiel Oswalds von Wolkenstein, bleiben gattungsgeschichtlich nur eine Episode. Aber daß überhaupt in Meistertönen erzählt wird, entspricht einer langfristigen Entwicklung der Gattung. Im Lauf des 15. Jahrhunderts treten in zunehmendem Maß erzählende Meisterlieder auf, Bearbeitungen biblischer Stoffe, Legenden, längere Exempel, auch weltlich-novellistische Lieder, und vom 16. Jahrhundert an gehören dann Fabeln, Schwänke, Novellen, Historien und biblische Geschichten zum Kern des Meistersingerrepertoires. Die direkten Verbindungen zwischen Beheim und dem institutionalisierten stadtbürgerlichen Meistergesang sind spärlich. Von seinen Liedern erscheint nur ein einziges in einer Meisterliederhandschrift: Nr. 284 in Berlin, Ms. germ. qu. 414, der Hans-Sachs-Handschrift von 1517/18. Von seinen Tönen haben eine gewisse Verbreitung nur die Hofweise und die Verkerte Weise gefunden.13 Mei-
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1863 (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte Bd. 3), S. 258. Kuhn (wie Anm. 2), S. 85. Vgl. zuletzt Karl Stackmann, Heinrich von Mügeln, in: 2VL, Bd. 3, 1981, Sp. 815–827, hier 818f. Vgl. Petzsch (wie Anm. 6). [Vgl. jetzt RSM Bd. II/1, S. 15–18.]
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stersingergesellschaften annähernd von der Art, wie wir sie seit dem Ende des 15. Jahrhunderts nachweisen können, dürfte es zur Zeit von Beheims Berufsdichterlaufbahn in einigen Städten, insbesondere in Nürnberg, schon gegeben haben; daß Beheim bei seinen gelegentlichen Auftritten in Städten von sich aus Kontakt zu ihnen gesucht hätte, ist bei seinem Selbstverständnis unwahrscheinlich. Allenfalls könnte er in seiner Frühzeit als Weber oder während seiner Ausbildung zum fürtreter einer Sängergruppierung angehört haben, die freilich nicht unbedingt dem Typus der späteren Singschulen entsprochen haben muß. Jedenfalls kannte er jene meist anonym überlieferte Meisterliedtradition, die die Töne alter Meister pflegte und die sich auf den institutionalisierten Meistergesang hin entwickelte. Er fühlte sich den Ansprüchen jener Richtung durchaus gewachsen: ich tar wal kumen für die merker (425, 43). Er dichtet sogar mit Nr. 63 wy ain singer den andern vordert und Nr. 64 ein antwurt so ain singer den andern vordert zwei Lieder des Typus fürwurf, eines Kenntypus jener Tradition.14 Wenn auch die fürwurf-Lieder eine Sängerwettstreitsituation nicht unmittelbar als Institution bezeugen, so setzen sie doch zitierend und stilisierend die reale Möglichkeit von Sängerwettkämpfen voraus, und es kann nicht Zufall sein, daß die nächste in der Realität nachweisbare Parallele das Singen ums Kleinod im Meistergesang ist. Aufs Ganze gesehen aber hat sich Beheim gegenüber jenen Zügen in der Meisterlieddichtung seiner Zeit, die auf den Meistergesang zuführen, eher distanziert verhalten und sich dezidiert an die Tradition der namentlich bekannten töneerfindenden Meister angeschlossen, der Berufsdichter, die von hahen fürsten, herren flaisch, wein und das prat heten (425, 60f.). Obwohl Beheim so als Nachzügler der gernden eher abseits von der Entwicklung zum Meistergesang steht, scheint er mir doch eine gattungsgeschichtliche Schlüsselposition einzunehmen. Denn sein Werk zeigt Züge, die darauf deuten, daß er sich aus seiner Tradition heraus mit einer neuen kulturellen Situation auseinandergesetzt hat, einer Situation, in die auch andere Meister gestellt waren, auf die sie jedoch anders reagierten. Man könnte diese Situation geradezu so beschreiben, daß das Verhältnis von Poesie und Gebrauchsliteratur oder die Funktion von Poesie (hier: meisterlicher Dicht- und Vortragskunst) als Gebrauchsliteratur sich neu und anders als Problem stellte als im 13. Jahrhundert. Um diese Situation ins Blickfeld zu rücken, möchte ich hier einige philologische Beobachtungen mitteilen, die teils neu, teils noch nicht in diese Zusammenhänge eingeordnet worden sind; sie betreffen den Umfang der Lieder und ihre Anordnung in der Überlieferung (II.) und die Quellen eines großen Teils der Lieder (III.).
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Vgl. Burghart Wachinger, Sängerkrieg. Untersuchungen zur Spruchdichtung des 13. Jahrhunderts, München 1973 (MTU 42), S. 316–319 und die dort angeführte Literatur.
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Aus der langen Diskussion über die Frage der liedhaften Einheit mehrerer Strophen in der älteren Spruchdichtung haben wir gelernt, die Frage differenzierter zu stellen und, so schwierig die richtige Deutung im Einzelfall sein mag, wenigstens begrifflich zu unterscheiden zwischen Produktionszusammenhängen, Vortragsfolgen und Überlieferungsarrangements und auf allen drei Ebenen mit verschiedenen Arten und Graden der Strophenbindung zu rechnen.15 In der Sangspruchdichtung des 12./13. Jahrhunderts gibt es zwar vereinzelt die volle liedhafte Einheit mehrerer Strophen, wie sie im Minnesang vorherrscht, d. h. daß eine überschaubare Zahl von Strophen inhaltlich eine Einheit bildet und in einem eigenen, nur für diese Strophenfolge erfundenen Ton abgefaßt ist, daß also mehrere Strophen als Einheit konzipiert, vorgetragen und überliefert sind. In der Regel aber ist die Bindung der Einzelstrophen Š lockerer als im Minnesang, in den Handschriften sind meist relativ viele Strophen eines Tons versammelt, oft zu viele und zu verschiedenartige, als daß sie insgesamt als Einheit der dichterischen Produktion oder als Vortragseinheit aufgefaßt werden könnten. Viele Töne scheinen geradezu von Anfang an als offene Strophenfolge angelegt zu sein, so daß noch beliebig viele weitere Strophen (eventuell auch Strophengruppen) dazugedichtet werden konnten.16 Wo sich in den Handschriften innerhalb eines solchen umfangreichen Tons einzelne Strophen zu einer Gruppe zusammenschließen, ist es meist schwer oder unmöglich zu entscheiden, ob es sich um Einheiten handelt, die erst von den Sammlern hergestellt sind, oder ob sich Entstehungszusammenhänge oder Vortragsfolgen erhalten haben. Seit dem 14. Jahrhundert setzt sich in der Tradition der meisterlichen Sangspruchdichtung eine klarere Regelung durch, die, wie es scheint, für Produktion, Vortrag und Überlieferung in gleicher Weise gilt: Die Einheit auf allen drei Ebenen ist von nun an das mehrstrophige Meisterlied oder, wie die Meistersänger sagen, das Bar. Der Mindestumfang eines Bars beträgt drei Strophen, dies ist zugleich die häufigste Strophenzahl; beliebt sind aber auch fünf oder sieben Strophen, höhere Strophenzahlen sind selten. Die Bare als Sinneinheiten waren zugleich Vortragseinheiten und sind in der Überlieferung meist durch eigene Überschriften voneinander abgegrenzt. In einem Ton aber können beliebig viele Meisterlieder oder Bare gedichtet werden. Diese Regelung bleibt dann mit geringfügigen Modifikationen bis in den nachreformatorischen Meistergesang bestehen. Sie gilt im Prinzip auch für Michel Beheim. 15
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Die Diskussion ist breit dokumentiert in: Hugo Moser (Hg.), Mittelhochdeutsche Spruchdichtung, Darmstadt 1972 (Wege der Forschung 154). Vgl. Gisela Kornrumpf/Burghart Wachinger, Alment. Formentlehnung und Tönegebrauch in der mittelhochdeutschen Spruchdichtung, in: Deutsche Literatur im Mittelalter. Kontakte und Perspektiven. Hugo Kuhn zum Gedenken, hg. von Christoph Cormeau, Stuttgart 1979, S. 356–411 [wieder in: Gisela Kornrumpf, Vom Codex Manesse zur Kolmarer Liederhandschrift, Bd. I, Tübingen 2008 (MTU 133), S. 117–168].
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Die Auffassung der Produktions- und Überlieferungseinheit Meisterlied als Vortragseinheit wird in den relativ wenigen Š Fällen problematisch und diskutierenswert, wo entweder einzelne Meisterlieder einen Umfang haben, der kaum noch den Vortrag zuläßt, oder wo sich mehrere Meisterlieder zum Zyklus zusammenschließen. Beides kommt in der Geschichte der Gattung gelegentlich, bei Beheim aber auffallend häufig vor, und darum scheint mir sein Werk aufschlußreich für das Verhältnis von Liedvortrag und Produktion fürs Buch bzw. Buchüberlieferung. Beheims Lieder sind vor allem durch drei große Sammelhandschriften (A, B, C) überliefert,17 die teils von ihm selbst geschrieben, teils in seiner nächsten Umgebung entstanden sind und die in Bestand und Reihenfolge nur verhältnismäßig wenig voneinander abweichen. In diesen Handschriften sind die Lieder nach Tönen geordnet. Dabei ist jeweils zum ersten Lied die Melodie notiert, jedes weitere Lied ist durch eine neue Überschrift abgegrenzt. Die Anordnung nach Tönen liegt in der Meistertradition nahe und ist uns auch sonst von Sammelhandschriften (Jenaer und Kolmarer Liederhandschrift) wie von Autorhandschriften (Kölner Muskatblut-Handschrift, weitgehend auch die Göttinger Mügeln-Handschrift) bekannt. Ungewöhnlich ist die Sorgfalt, mit der Beheim die Lieder innerhalb der Töne so arrangiert, daß der Ton als ganzer als eine Art von literarischer Einheit mit eigenem planvollem Aufbau erscheint. Die diesbezüglichen Angaben Gilles18 lassen sich noch präzisieren: Die meisten Töne beginnen mit prologartigen Liedern, entweder mit Anrufungen des Heiligen Geistes um Beistand beim Dichten oder mit Thematisierungen des Dichtens unter persönlich-sozialem Aspekt. Abgesehen von diesen Prolog-Liedern beginnen und enden fast alle Töne mit geistlichen Liedern, und zwar ist dieser geistliche Rahmen fast durchweg heilsgeschichtlich bestimmt. Am Anfang stehen Darstellungen der Präexistenz Gottes, der Schöpfungsgeschichte, des Höllensturzes der abtrünnigen Engel Š oder die Inkarnation, einmal ein Katalog der Bücher des Alten Testaments. Am Ende des Tonkorpus steht der Gedanke an den Tod, den Antichrist, den Jüngsten Tag oder die Himmlischen Freuden. Innerhalb dieses Rahmens sind die Tonkorpora verschieden streng gebaut. Mindestens zwei Töne aber sind mit außerordentlicher Sorgfalt thematisch durchstrukturiert, die Slegweise und die Hofweise (diese am konsequentesten in der Handschrift B):
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Die Angaben zu den Handschriften stützen sich auf die Einleitung der Ausgabe (wie Anm. 5) und die Korrekturen von Dagmar Kratochwill (wie Anm. 7). Die älteste Schicht der Osterweise in A, gleich alt oder älter als die Hs. B, ist offensichtlich fragmentarisch und darum hier nicht berücksichtigt. Ausgabe (wie Anm. 5), Bd. I, S. XLIV–LVII, vgl. auch Hans Gille, Die handschriftliche Überlieferung der Gedichte Michel Beheims, in: PBB (Halle) 79 (1957), S. 234– 301, bes. 250–259.
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Hofweise (nach der Ordnung der Handschrift B) 300 301 302–306 307–326
327–328 330–351
353 352 355 47
Trinität und Inkarnation Ordnung und Einfluß der Gestirne Geistliche Lieder, das letzte davon ist Ausführung einer von König Lasslau aufgegebenen Kunstprobe Hoflehren 307 Vom rechten Reden 308–310. 311 Lehren für König Lasslau, das letzte ein Exempel 312–325 Exempel, unterbrochen durch zwei Lieder (321. 322) über die Verachtung der Kunst durch die Fürsten (im Anschluß an Exempel verwandter Thematik) 326 Gegen die Spieler, Auftragsarbeit für Herzog Albrecht von Österreich Autobiographisch-Zeitgeschichtliches Hofieren (Liebe, hüpschait) 330. 331. 333. 332 Minneexempel (Minneallegorien) 334–337. 340. 338. 341 Minnelieder mit Naturdarstellung: Minnebeteuerung 342. 343. 347 Minnelieder mit Naturdarstellung: Abschied, Klage über Untreue, Absage 349–351 Minnesklaven und Minnenarren 339 Minnelied mit Mai-Natureingang (als Folie für das folgende Lied noch einmal positiv) Vergänglichkeit der Welt (mit Mai-Natureingang) Einfluß der Gestirne und Prophezeiung auf den Fall von Konstantinopel Antichrist
Slegweise 358 359 360–364 365 366–386 387–388 389–415
416–420 421 422–423
Prolog: Vom Dichten Schöpfung Marias heilsgeschichtliche Rolle in Zusammenfassungen (Präexistenz Marias, Präfigurationen und Natursinnbilder für Maria, Eva – Ave) Geburt Marias Evangelien von der Verkündigung bis zur Auferstehung Christi heilsgeschichtliche Rolle in Zusammenfassungen (Prophezeiungen, Inkarnation) Christliche Lebenslehre: 389–391 Sakramente: Beichte, Abendmahl, Ehe 392–407 straff und ler oder lob für verschiedene Lebensalter-Stände, beginnend mit dem Ehestand 408–414 straff für verschiedene soziale Stände 415 Kein Sünder soll verzagen Themen des gernden: Herrenlob, Artes, Gesang Lob des Evangelisten und apokalyptischen Visionärs Johannes Der Jüngste Tag
Bei diesen beiden Tönen glaubt man nur an wenigen Stellen Nachlässigkeiten zu spüren (so könnte in der Hofweise der Teil Hoflehren etwas straffer organisiert sein), oder man
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meint Notlösungen bei widerspenstigem Material zu entdecken (so sind in der Slegweise einige typische, aber unter sich und vom Rest des Tons sehr verschiedene Lieder eines gernden meisters irgendwo eingeschoben, wo sie am wenigsten stören). Im ganzen aber ist die Konsequenz erstaunlich, und die Anordnung ist geradezu eine Sinndeutung der Texte durch Zuweisung eines Stellenwerts. So wird das Thema Minne, das im übrigen Werk Beheims fast keine Rolle spielt, ausgerechnet in der Hofweise ausführlicher behandelt, wobei die Überschriften nicht von Minne oder Liebe, sondern von hüpschait sprechen. Minne ist also in erster Linie Bestandteil des Hoflebens. In sich ist das Thema Liebe im Rahmen des Hoftons durch die Abfolge vom Positiven zum Negativen in seiner Bedeutung eingeschränkt, und es wird durch den doppelten Rahmen noch weiter relativiert: außen ein heilsgeschichtlicher Rahmen von Inkarnation und Antichrist, darin noch ein kosmologisch-astrologischer Rahmen, Š dann erst dürfen sich die Aspekte des Hoflebens entfalten, in dessen Mitte autobiographische Erfahrung von Geographie und Geschichte steht. Wenn im Eingangslied der Hofweise (300) die Inkarnation als Minnekasus behandelt ist (ein Mädchen kann sich zwischen drei Werbern nicht entscheiden und heiratet sie alle drei: Maria und die Trinität), so korrespondiert dieses heiter erfolgreiche göttliche Hofieren19 des geistlichen Rahmens mit dem letztlich zur Enttäuschung oder Narrheit führenden weltlichen Hofieren des Innenteils.
Als Parallele und vielleicht sogar Vorbild für Beheims sorgfältige Anordnung seiner Lieder in umfassenden Sammlungen käme am ehesten die Göttinger Handschrift Heinrichs von Mügeln in Betracht; doch ist dort die Sinneinheit des Buchs meist nicht mit dem Ton identisch, aus den Liedern und Strophen eines Tons werden mehrere Bücher gebildet.20 Daß alle Texte eines vielbenutzten Tons zur Sinneinheit eines einzigen ›Büchleins‹ zusammengefügt werden, scheint sonst nur – noch vor der Stufe der prinzipiellen Mehrstrophigkeit – bei Reinmar von Zweter in der Sammlung der Handschrift D vorzukommen.21 Die sorgfältigen Arrangements solcher Autorsammlungen sind selbstverständlich weder als Entstehungseinheiten noch als Vortragseinheiten zu verstehen und dienen auch kaum primär zur leichteren Auffindbarkeit einzelner Lieder für den Vortrag. Vielmehr wollen sie das Œuvre eines meisterlichen Sängers und Dichters in einer Buchausgabe als Ganzes bewahren und darstellen. Ihre Ordnung (und die in ihr implizierte zusätzliche Sinngebung) erschließt sich nicht im Vortrag, sondern nur beim Lesen.
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Ein Element des Spielerischen möchte ich diesem Lied zubilligen trotz dem berechtigten Hinweis von Christoph Petzsch, daß es sich auch hier um lere handelt: Text-FormKorrespondenzen im mittelalterlichen Strophenlied. Zur Hofweise Michel Beheims, in: DVjs 41 (1967), S. 27–60, hier 29f. Karl Stackmann, Der Spruchdichter Heinrich von Mügeln, Heidelberg 1958 (Probleme der Dichtung 3), S. 71–75. [Näher erörtert hat Stackmann die Bucheinteilung in seinen Philologischen Untersuchungen zur Ausgabe der kleineren Dichtungen Heinrichs von Mügeln, Göttingen 2004 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philol.-Hist. Kl. III, 265), S. 123–139.] Kaum aufrecht erhalten läßt sich aber das negative Urteil von Gustav Roethe, Die Gedichte Reinmars von Zweter, Leipzig 1887, S. 112–114, Anm. 154. Roethe (wie Anm. 20), S. 96–114.
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Neben diesen sekundären Ordnungen des vorhandenen Liedmaterials in den Gesamthandschriften gibt es bei Beheim aber auch Liederzyklen, die von vornherein als größere Einheit konzipiert sind, aber Š nicht alle Lieder eines Tones umfassen. Die Geschichte der Zyklenbildung in der Meisterliedtradition, die noch ungeschrieben ist, scheint ihren Anfang bei Heinrich von Mügeln zu nehmen (Zyklus von Einzelstrophen: die Fabeln von Buch IV; Zyklus von dreistrophigen Liedern: Buch X). Eine längere Tradition entwickelt sich erst im nachreformatorischen Meistergesang. Dort gibt es nach Rettelbach22 zwei Arten von Zyklen: »Die eine Art, die in der Länge kaum einmal über zwölf Lieder hinausgeht, war zum Hintereinander-Absingen bei den Singschulen gedacht. Inhaltlich gehören die Lieder solcher Zyklen untrennbar zusammen, ein Lied verweist auf das folgende. Anders als diese ›geschlossenen‹ sind die ›offenen‹ Zyklen organisiert. Sie geben eine stoffliche Totalität in überschaubarer Anordnung so, daß der einzelne Sänger jederzeit eines der Lieder herausnehmen und gesondert vortragen kann, was weiter voraussetzt, daß jedes einzelne Lied eine Einheit für sich bildet. Beispiele dafür sind etwa Valentin Voigts ›1. Buch Mosis‹, Benedict von Watts ›Sonntagsepisteln‹, Hans Deisingers ›Jesus Sirach‹ – alles ›offene‹ Zyklen mit geistlicher Thematik, mit seinem weltlichen Thema (Ovids Metamorphosen) steht Metzger, soweit ich sehe, allein, zugleich geht er mit seinem Schlußlied, das man sich schwerlich vorgetragen, sondern nur still gelesen vorstellen kann, weiter als andere Zyklendichter.« Dieselbe Problematik des Verhältnisses von Liederzyklus und Vortragseinheit stellt sich schon bei Beheim, dessen Werk einen ersten, noch vereinzelten Höhepunkt in der Geschichte meisterlicher Liederzyklen darstellt. Sein geschlossenster Zyklus, das ›Buch von der Liebhabung Gottes‹ (125–147) hat stark schriftliterarischen Charakter. Er ist nur außerhalb der Gesamthandschriften überliefert in einer eigenen Handschrift G mit eigenem Register, ist also auch ganz konkret als Buch präsentiert. Nach einer Einleitung folgen 22 Abschnitte, die bezeichnenderweise capitel genannt sind. Dennoch ist am Anfang die Melodie aufgezeichnet, und Beheim bittet im Prolog um Hilfe des Heiligen Geistes beim Š tichten und singen. Aber konnte man dieses Werk überhaupt vortragen? Es hintereinander abzusingen, war kaum möglich, für die 521 Strophen hätte man bei zügigem Tempo etwa vier Stunden gebraucht. Andererseits sind die einzelnen capitel nicht so in sich geschlossen, daß man Einzelnes hätte auswählen können; am Anfang wird oft auf das vorige capitel verwiesen. Inszenierbar war dieser Text nur in einer Vortragsserie, vielleicht in einer freien, aber letztlich doch recht seltsamen Analogie zu einem Predigtzyklus. Solche Vorträge mögen in der Tat vorgekommen sein, aber viel näher lag den Rezipienten am Heidel22
Johannes Rettelbach, Rezension von Kugler, in: ZfdPh 97 (1978), S. 465–468, hier 466. Vgl. Hartmut Kugler, Handwerk und Meistergesang. Ambrosius Metzgers Metamorphosen-Dichtung und die Nürnberger Singschule im frühen 17. Jahrhundert, Göttingen 1977 (Palaestra 265), S. 62–64 und 75–78.
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berger Hof zweifellos die private Lektüre des Buchs. Und ich halte für wahrscheinlich, daß auch Beheim selbst bei diesem Alterswerk die Relikte der Sangbarkeit lediglich als Indices der Gattungstradition, als Hinweis auf Herkunft und Mitte seiner Kunst eingesetzt hat, ohne konkret an einen Vortrag zu denken. Anders die übrigen Zyklen Beheims. Sie nehmen entschiedener Rücksicht auf die Bedürfnisse des Vortrags am Hof. Es sind eher ›offene‹ Zyklen, die lediglich in Einleitungs- oder Schluß-›Liedern‹ zum Schriftwerk für private Lektüre tendieren. Das ›Büchlein von den sieben Todsünden‹ (164–202) ist in den Gesamthandschriften teils gar nicht, teils nur durch eine Subscriptio als puchlin bezeichnet; die Sonderausgabe D aber gibt ihm eine regelrechte Buchüberschrift und fügt ein Schlußlied dazu, das sich auch im Text als besliessung über dis büchlein (202,89) vorstellt und die Gesamtanlage des Zyklus begründet. Während man sich diesen Epilog schwer gesungen vorstellen kann, sind die einzelnen Lieder durchaus geeignet als Einzelvortragsstücke (gelegentlich beziehen sich zwei als Paar aufeinander). Ähnliches gilt für die Lieder des Zyklus über die Irrtümer der Juden (203–234?/237?, ebenfalls in der Sonderausgabe D); Grenzen und Aufbau dieses Zyklus sind allerdings weniger klar erkennbar, da zwei verschiedene Prosastücke versifiziert wurden und sich am Ende noch thematisch Verwandtes angelagert hat (vgl. auch die Überschriften zu 203 und 227). Einige weitere Zyklen sind weder durch Überschriften oder Sonderüberlieferung als Büchlein hervorgehoben noch durch Anfangs- oder Schlußlieder markiert, so die Ständelehren in der Slegweise (392? − 415) und fast alle Š Evangelienzyklen. Lediglich in der Kurzen Weise ist das erste Lied des ganzen Tons zugleich Prologlied zu den Evangelienliedern (29. 31–48; Nr. 30 von der schephung ist der Gesamtordnung des Tonkorpus zuliebe zwischen Prolog und den Zyklus selbst eingeschoben). Die Frage nach dem Verhältnis von schriftlicher Konzeption, schriftlicher Überlieferung und Liedvortrag stellt sich auch bei den vielstrophigen Liedern. Wohl kein anderer von den Spruchdichtern und Meistersängern hat so viele Lieder ungewöhnlich großen Umfangs verfaßt wie Beheim. Innerhalb seines Werks sind diese allerdings nicht gleichmäßig gestreut. Ich gebe zunächst einen Überblick nach Tönen: Zahl der Strophen:
3–9
10–20
21–30
31–40
41–50
Gesamtbestand (452 Lieder) Hohe guldin Weise (2 Lieder) Kurze Weise (40 Lieder) Trummetenweise (33 Lieder) Sleht guldin Weise (10 Lieder) Slegweise (67 Lieder) Lange Weise (28 Lieder) Gekrönte Weise (5 Lieder) Zugweise (28 Lieder) Hofweise (58 Lieder) Verkerte Weise (102 Lieder) Osterweise (79 Lieder)
323 2 38 31 7 63 25 3 23 44 65 20
77 − 2 2 3 2 2 1 4 7 31 25
23 − − − − 2 − 1 1 4 3 12
12 − − − − − 1 − − 2 2 7
6 − − − − − − − − − 1 5
51
über 50 11 − − − − − − − − 1 − 10
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So auffallend die ungleiche Verteilung der vielstrophigen Lieder auf die Töne ist, so schwierig ist eine adäquate Beurteilung dieses Befunds. Gewiß hat neben mancherlei Zufällen die Gestalt der jeweiligen Prosavorlagen bestimmt, ob ein größerer Zusammenhang eher zu einem Zyklus oder zu einem vielstrophigen Lied verarbeitet wurde (wobei dann freilich wieder die Wahl der Vorlagen bzw. die Wahl des Tones zu begründen wäre). Vielleicht hat Beheim auch ein Gefühl für den je besonderen ›Charakter‹ eines Tones gehabt. So schien ihm offenbar die kleine, eher zierliche Form der Kurzen Weise für lange Lieder ungeeignet: von den 40 Liedern dieses Tons sind 19 dreistrophig, 16 fünfstrophig, 3 siebenstrophig, und die beiden einzigen längeren sind jeweils in ein fünf- bzw. siebenstrophiges Bar peyspil und ein ebensolanges Bar auslegung gegliedert (52a/b, 53a/b). Da Beheims Wendung zur Chronistik in die Spätzeit fällt, liegt die Vermutung nahe, daß auch die Tendenz zum vielstrophigen Lied sich im Lauf der Jahre bei ihm verstärkt hat. Dafür sprechen in der Tat einige Indizien: Die wenigen Lieder, die durch Überschriften oder Inhalt für Beheims früheste Periode, die Anfänge vor dem Berufswechsel und die Zeit bei Konrad von Weinsberg, gesichert werden, sind nur drei- oder fünfstrophig und sind in Tönen abgefaßt, die insgesamt kürzere Lieder bevorzugen: 61 und 62 (Kurze Weise), 358, 416 (Slegweise), 425 (Lange Weise). Dagegen ist die Osterweise, der Ton mit den meisten vielstrophigen Liedern, von Beheim noch bis in seine letzten Schaffensjahre benutzt worden. Ja, da gerade bei der Osterweise die Handschriften in ihren Beständen am meisten variieren, läßt sich hier die Entwicklung noch genauer verfolgen: Zahl der Strophen:
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Hs. Hs. Hs. Hs. Hs.
B: 17 Lieder A: 42 Lieder C: 42 Lieder E: 26 Lieder G: 23 Lieder
3–9
10–20
21–30
31–40
41–50
über 50
4 17 16 5 1
6 8 9 6 13
4 9 9 5 2
1 2 2 1 5
1 1 1 3 2
1 5 5 6 −
Auszugehen ist vom Bestand der Handschrift B, der um 1461 vorgelegen hat. Bereits hier ist die Tendenz zu vielstrophigen Liedern in der Osterweise deutlicher ausgeprägt als in den übrigen Tönen, aber die extremen Längen sind doch noch selten. Derselbe Bestand findet sich dann mit Erweiterungen in den beiden anderen Gesamthandschriften A und C.23 Von diesen ist A zwar schon vor B begonnen, aber gerade der größte Teil der Osterweise ist erst in Beheims Schreibweise II und III nachgetragen, die er erst in Österreich angenommen hat und in den sechziger Jahren gebraucht zu haben scheint. C gehört derselben Altersschicht zu. Daß Beheim bei den Erweiterungen in A und C auf Lieder zurückgegriffen hat, die älter sind als die Sammlung B, ist für einzelne Fälle nicht ganz auszuschließen; für die Mehrzahl ist es unwahrscheinlich, da ja auch B schon offensichtlich Vollständigkeit des damaligen Bestands anstrebte. Die datierbaren Lieder des Mehrbestands sind jedenfalls alle erst in den sechziger Jahren entstanden. Bei der Erweiterung des Bestands von B werden in A und C jeweils etwa gleich viele Lieder normalen Umfangs (3–9 Strophen) wie vielstrophige Lieder zugefügt – von der Gesamt23
Daß Nr. 116 in AC fehlt, kann hier ebenso vernachlässigt werden wie die kleineren Bestandsunterschiede zwischen A und C.
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strophenzahl her gesehen eine bedeutende Verschiebung zugunsten der Vielstrophigkeit. Auffällig ist insbesondere die Vermehrung der extrem langen Lieder: A und C zusammen bieten fünf neue Lieder von mehr als 50 Strophen. Die Handschrift E ist etwas jünger als die Eintragungen der Osterweise in A und C, aber noch vor einem festen Dienstverhältnis Beheims am Pfälzer Hof entstanden. Da sie sich in der Pfälzer Bibliothek erhalten hat, könnte man vermuten, daß Beheim sie geradezu als Muster seiner Kunst bei seinen Bemühungen um ein Dienstverhältnis dem Pfalzgrafen vorgelegt hat. E bietet eine auf A fußende Auswahl nur von geistlichen Liedern in der Osterweise. Acht Lieder sind gegenüber den übrigen Handschriften neu; und alle diese Zusatzlieder, theologische Traktate und Evangelientexte mit Glossen, sind sehr lang (17, 25, 45, 49, 55, 55, 75, 113 Strophen). Nimmt man die Handschriften A, C und E zusammen, so hat sich der Bestand an extrem langen Liedern in den sechziger Jahren gegenüber B von eins auf zehn erhöht. Daß die wiederum etwas jüngere Handschrift G ein leicht abweichendes Bild der Osterweise zeigt und insbesondere keine extrem langen Lieder mehr bringt, hängt mit Inhalt und Vorlage zusammen: sie bietet nur das sonst nicht überlieferte ›Buch von der Liebhabung Gottes‹, das schon von der Prosavorlage her in Kapitel mittleren Umfangs eingeteilt war. Immerhin ist auch hier der Durchschnitt der Liedlängen erheblich höher als in B.
Insgesamt wird man also sagen dürfen, daß die Tendenz zur Vielstrophigkeit bei Beheim im Lauf der Jahre deutlich zugenommen hat. Und man wird nicht fehlgehen, wenn man diese Tendenz in Verbindung bringt mit der durch festere Dienstverhältnisse erst ermöglichten Muße für größere Opera. Fraglich dagegen ist, ob mit dem Anwachsen der Liedlängen auch eine Entfernung von der Vortragskunst verbunden war. Ich meine zwar, daß sich Beheim im Lauf der Jahre mehr und mehr an der Buchliteratur orientiert hat, aber zumindest die Möglichkeit des Vortrags hat er sich bis zuletzt offen gehalten, ja er hat sie offenbar als das Normale vorausgesetzt: Auch sehr lange Dichtungen nennt er erstaunlich konsequent lied oder liedlein (z. B. 104, 944; 108, 530), oder er spricht mit Bezug auf sie von singen (z. B. 328,1065ff.). Nur ein einziges vielstrophiges Einzellied wird als buch und büchlein bezeichnet, das ›Büchlein von der Kindheit unseres Herrn‹ (Nr. 82, 71 Strophen); aber hier ist der Titel (wie vermutlich schon in der Prosavorlage) polemisch bezogen auf ein anderes ›Büchlein von der Kindheit‹, das viele Wunderdinge erzählt, aber als nicht authentisch abgelehnt wird (82,441 ff.). Gelegentlich glaubt man in den Texten noch die Situation des Vortrags zu spüren. Am Ende der Versifikation einer Predigt über den Nutzen der Universität Wien (Nr. 96, 31 Strophen) heißt es: Dises geticht sing ich und dien da mit der hahen schul zu Wien, wenn ich Michel Peheme mein klain kunst dar auss zeuche. [. . .] ir hern, dis schenk ich euche.
Es ist kein Grund zu sehen, weshalb die hier implizierte Vortragssituation nicht real stattgefunden haben soll (wobei gleichzeitige Überreichung einer Abschrift des Liedes gut vorstellbar ist).
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Für ein immerhin 26 Strophen langes Lied (309) hat uns Beheim die Inszenierung des Vortrags in den Überschriften geschildert.24 Es handelt sich um eine politisch-religiöse Invektive gegen die Hussiten, von der er in der prekären Situation des kirchentreuen habsburgischen Königs am Prager Hof zuerst nur die Hälfte als verschlüsselte Erzählung vorgetragen hat: Dis ist ain peispel, macht ich meinem hern kung Laslau ze Prag in Peham und sagt van den keczern. wann ich nit affenlich vor in tarst singen, dar umb macht ich es in peispel weis und si musten es denoch hörn. Das Exempel erzählt, wie ein junger König, einziger Sohn eines alten Königs, ein abtrünniges Reich wiedergewinnt; während er zur Berichterstattung zu seinem Vater ins andere Reich zurückgereist ist, erhebt sich gegen den Statthalter des jungen Königs ein Aufruhr. Am Schluß dieser ersten Liedhälfte wird König Ladislaus gefragt, wie denn er als König und einziger Sohn eines Königs und als Herr über mehrere Reiche mit den Aufrührern verfahren würde. Es werden also Analogien zwischen der Bildebene des peispels und der Situation des Adressaten bewußt gemacht, Analogien, die vom Publikum zwar noch um einige weitere ergänzt werden konnten (Jugend des Königs, gefährliche Selbständigkeitsbestrebungen seiner Länder), die aber wegen der offensichtlichen Unterschiede (z. B. war Ladislaus’ Vater längst tot) nicht wohl Vorwegnahmen der Allegorese sein konnten. So wurde das Publikum irritiert und zum Nachdenken angeregt, wurden Hintergründe der politischen Situation evoziert, ohne ausgesprochen zu sein. An dieser Stelle unterbrach sich nun der Sänger: als ich dises geticht dem kung gesungen het, da sprach er, ich solts im auss legen, was es peteüt. Da sprach ich: »Wann mir eur genad sagt, wie ir solch halten welt die also ungeharsam wern, so welt ich es auss legen.« da sprach er, er welt in ungenedig sein. da sang ich die auss legung also. – In der Allegorese werden nun alle Elemente des peyspels heilsgeschichtlich gedeutet. Der junge König ist Christus, der die abtrünnige Welt wiedergewonnen hat und dann ins Reich seines Vaters gegangen ist, von wo er zum Gericht wiederkommen wird; der Statthalter ist der Papst usw. Für König Ladislaus ist in dieser Deutung keine Rolle mehr explizit vorgesehen, und die aktuelle Hussitenproblematik ist lediglich in allgemeinere Formulierungen impliziert: die Aufrührer sind all keczer, Juden, haiden, Türken und Tatarn zwar und dar zu all Š die gar, die Rom nit sein gehorsam (309b, 115–118). Aber die Irritation durch die anders gerichteten Analogien der ersten Liedhälfte und die (einem verbreiteten Erzählmotiv folgende) Inszenierung der Festlegung des Königs auf sein vielleicht nicht ganz bedachtes Wort machen die aktuelle Schärfe deutlich auch ohne genauere Explikation. Das ganze Lied ist so sehr auf die eine spezifische Vortragssituation hin konzipiert, daß die Aufzeichnung in den Sammelhandschriften zur Dokumentation einer ganz bestimmten Aufführung geriet. In dieser speziellen Ausrichtung auf eine bestimmte Situation ist das Lied repräsentativ nur für eine kleine Zahl von Liedern. Aber es zeigt doch, wie souverän Beheim mit den Möglichkeiten des Vortrags umgehen konnte.
So sehr Beheim am Prinzip des Gesangsvortrags festgehalten hat, mit seinen vielstrophigen Liedern hat er doch offensichtlich den für Meisterlieder sonst üblichen Vortragsrahmen gesprengt, auch wenn sich vereinzelt durchaus Parallelen in der Meistertradition finden. Vergleichsweise unproblematisch war die neuartige Länge bei erzählenden Liedern, denn hier konnte der Sänger hinüberwechseln in die dem Publikum vertraute Situation des gesungenen Epenvortrags. Das längste Erzähllied Beheims (abgesehen von den Chroniken), der Bericht von 24
Die folgende Interpretation versucht, ohne den komplizierten Rückgriff auf letztlich auch nicht ganz aufgehende Parallelen zur Situation von Ladislaus’ Vater auszukommen, den Müller (wie Anm. 4), S. 254f. versucht hat.
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dem grausamen Woiwoden Drakul (99), ließ sich mit seinen 107 Strophen in etwa achtzig Minuten vortragen. Es war damit noch kürzer als die Heldenepen im Dresdner Heldenbuch, für die Kaspar von der Rhön ausdrücklich bezeugt, er habe sie so gekürzt, daß man auf einem sitzen Anfang und Ende hören könne.25 Aber auch innerhalb der Gattungstradition waren Beheims lange Erzähllieder zu seiner Zeit nicht mehr ganz singulär: schon vor ihm ist die Veronika-Legende in Regenbogens Briefweise (60 Strophen)26 und wohl auch das Kurzepos ›Lorengel‹ entstanden. Ein thematischer Überblick über Beheims Lieder von mehr als dreißig Strophen Länge zeigt allerdings, daß weniger als ein Drittel von ihnen erzählenden Charakter hat: Chronikalisch-Autobiographisches: Nr. 99 (107 Str.) Drakul Nr. 104 (95 Str.) Türkenschlacht bei Warna Nr. 328 (77 Str.) Türkenzug 1456 Nr. 327 (35 Str.) Beheims Meerfahrt Biblische und legendarische Erzählung: Nr. 82 (71 Str.) Kindheit Jesu Nr. 71 (47 Str.) Schöpfung und Fall der Engel Nr. 449 (37 Str.) St. Patricks Fegefeuer Nr. 355 (35 Str.) Antichrist Evangelium mit Glosse: Nr. 124 a und b (113 Str.) Nr. 111 (61 Str.) Nr. 117 a und b (55 Str.) Nr. 121 a und b (45 Str.) Traktatartiges: Nr. 118 (75 Str.) Quästio zur Heilsgeschichte Nr. 79 (55 Str.) Prädestination Nr. 123 (55 Str.) Namen Jesu Nr. 108 (53 Str.) Prophezeiung Nr. 120 (49 Str.) Quästio zur Heilsgeschichte Nr. 76 (31 Str.) Erlösung durch Christus Nr. 96 (31 Str.) Universität Wien Ferner die Nummern 132, 134, 139, 141, 143, 144 und 146 aus dem ›Buch von der Liebhabung Gottes‹ Lobgebet: Nr. 161 (49 Str.) Gotteslob Nr. 162 (35 Str.) Marienlob Kataloggedicht: Nr. 148 (31 Str.) Bücher des Alten Testaments
Nichterzählende Großgedichte hat es in der meisterlichen Tradition vor und nach Beheim nur vereinzelt gegeben.27 Lediglich Heinrich Š von Mügeln hat mehrere 25
26 27
Der Helden Buch in der Ursprache, hg. von Friedrich Heinrich von der Hagen und Alois Primisser, Teil I, Berlin 1820, letzter Faszikel S. 54 (Ende des ›Wolfdietrich‹, der von 700 auf 333 Strophen gekürzt wurde). RSM 1Regb/1/535. Der ›Hort von der Astronomie‹ (66 Strophen in Klingsors Schwarzem Ton [RSM
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verfaßt. Beheim stellt nach Zahl und Umfang der vielstrophigen Meisterlieder alles Frühere und Spätere in den Schatten. Da alle Evangelienglossierungen und ein großer Teil der traktatartigen Lieder in der Handschrift B noch fehlen, also in Beheims spätere Zeit gehören, könnte man hier wie bei dem noch späteren ›Buch von der Liebhabung Gottes‹ daran denken, daß die strophische Form nur noch Relikt oder Index war. Dennoch möchte ich eine Inszenierung im Vortrag bei diesen Liedern noch weniger ausschließen als bei dem ›Buch von der Liebhabung Gottes‹. Bis auf das Kataloggedicht 14828 schließen sich alle diese vielstrophigen Lieder sehr eng an Prosavorlagen an, und in den meisten Fällen ist es eine Prosa der überschaubar gegliederten Lehre und Erbauung oder der rationalen theologischen Argumentation. Das heißt, daß der Hörer beim Vortrag eines solchen Liedes nicht so leicht die Orientierung verlor. Dagegen ist Beheim, gemessen am Umfang seines Gesamtwerks, auffällig zurückhaltend gegenüber dem einzigen Typus des nichterzählenden vielstrophigen Meisterlieds, der eine einigermaßen feste Tradition in der Gattungsgeschichte hatte, gegenüber dem Lobgedicht hohen Stils, das meist an Maria gerichtet ist. Zumindest der unbestrittene Höhepunkt dieses Typus, der 72strophige ›Tum‹ Heinrichs von Mügeln, stellt von Strophe zu Strophe so hohe Anforderungen an die Aufmerksamkeit und hat als ganzes einen so komplizierten und z. T. absichtlich verschleierten Aufbau, daß bei einem Vortrag in toto wohl selbst mittelalterliche Ohren überfordert gewesen wären. Mügeln hat denn auch seinen ›Tum‹ als diß buch, ja sogar als dise schrift bezeichnet;29 offenbar hat er nicht primär an einen Vortrag des Ganzen gedacht. Daß Beheim sich diesem Typus gegenüber zurückhaltend zeigt, dürfte auch andere Gründe haben: die weniger zentrale Stellung Marias in seiner Frömmigkeit oder die Schwierigkeiten, die der minder geschulte ehemalige Handwerker mit der Künstlichkeit des hymnischen Stils hatte (darum auch bei seinen Š beiden einzigen großen Lobgedichten Anlehnung an hochstilisierte Prosa). Aber es mag ihn auch ein Bewußtsein davon geleitet haben, daß im Vortrag gerade bei langen Liedern entweder erzählerische Kontinuität oder rationale Überschaubarkeit unerläßlich waren, wenn man die Aufmerksamkeit wachhalten wollte. Überlegungen dieser Art können selbstverständlich weder im Einzelfall noch im Ganzen beweisen, wie Beheims Lieder rezipiert werden sollten oder tatsächlich rezipiert wurden. Sie können lediglich mögliche Zusammenhänge zwischen einigen Besonderheiten seines überlieferten Werks und seiner Situation als vortragender Hofdichter andeuten. Die Vorliebe für Zyklen und Großgedichte ist gewiß zu beurteilen als eine Orientierung an der Buchliteratur, und wenn Beheim 1
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Wartb/2/502]) und ›Sibyllen Weissagung‹ (bis zu 19 Strophen in Marners Kurzem Ton [RSM 1Marn/6/101]) haben doch wenigstens einen erzählenden Rahmen. Eine verknappende Nachahmung von Mügelns Katalog der Bücher des Alten Testaments. Über mögliche Vortragssituationen solcher Kataloglieder wage ich nicht zu spekulieren. Strophe 176 und 158. Zum Aufbau des ›Tum‹ vgl. Stackmann (wie Anm. 20), S. 71–75.
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ihr in seinen späteren Jahren mehr und mehr nachgegeben hat, so dürfte sie ihn schließlich hie und da aus seinem Metier als Vortragskünstler hinausgeführt haben. Aber im Ansatz ist sie eher zu verstehen als ein Versuch, größere Inhaltskomplexe, wie sie die Buchliteratur darstellen konnte, in die Inszenierungsform des höfischen Meisterlieds hineinzunehmen. In diesem Zusammenhang sind auch Beheims Versifizierungen zu sehen.
III Als Ingeborg Spriewald 1961 das Werk Michel Beheims unter Aspekten, die unseren Fragestellungen nahekommen, zu charakterisieren versuchte, hob sie den »Prosastil« seiner Lieder hervor. »Beheims gedanklich-sprachliche Eigenart – unlyrisch, sachlich nüchtern – verwies ihn, ungeachtet seiner musikalischen Begabung, im Grunde auf eine Sprachform, die ihm als Dichter zu seiner Zeit nicht geläufig sein konnte und die der Töne nicht bedurft hätte: die Prosa«. Spriewald ging, ohne dies zu explizieren, davon aus, daß eine Opposition von Prosa, nüchtern, realistisch, gelesen einerseits und Vers, poetisch, lyrisch, vorgetragen andererseits eigentlich das Normale sei. Da nun Beheim Nüchternheit und Ansätze zu Realismus in der sangbaren Versform bot, Š nannte sie seine Lieder (wie einen Großteil der deutschsprachigen Reimdichtung des 15. Jahrhunderts) geradezu »verhinderte Prosa«.30 Im Jahr 1970 hat dann Georg Steer31 entdeckt, daß mehrere geistliche Lieder Beheims nichts anderes sind als Versifizierungen von relativ verbreiteten deutschen Prosatexten des Mittelalters. Dieser Feststellung kam größere Bedeutung zu als der längst bekannten Tatsache, daß Beheims ›Drakula‹-Lied (99) sich weithin eng an einen Prosabericht anlehnt; denn ein Ausschreiben von Quellen war bei einem historischen Text eher zu erwarten als bei geistlichen Liedern, die zum Zentrum der Spruchdichtungs-Meistergesangs-Tradition gehören. Seit Steer sind noch für weitere Lieder Beheims Prosavorlagen nachgewiesen worden, und Thomas Hohmann hat bereits erste Hinweise zur Technik der Verarbeitung wie zum Quellbereich gegeben.32 Ich lasse zunächst einen Überblick folgen, in dem alles bislang Bekannte, vermehrt um einige Nachweise von Gisela Kornrumpf und um ein paar eigene Entdeckungen, zusammengestellt ist.33 30
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Spriewald (wie Anm. 7), S. 948f. [In ihrer späteren Beheim-Studie (wie Anm. 43), hat Spriewald S. 43 diesen Ausdruck zu »verwandelte Prosa« korrigiert.] Georg Steer, Germanistische Scholastikforschung. Ein Bericht, in: Freiburger Zs. für Theologie und Philosophie 45 (1970), S. 204–226, hier 220, Anm. 104. Thomas Hohmann, Deutsche Texte aus der ›Wiener Schule‹ als Quelle für Michel Beheims religiöse Gedichte, in: ZfdA 107 (1978), S. 319–330. [Nachträge in eckigen Klammern. Einige unbestimmtere Quellenhinweise sind jetzt in die Liste eingearbeitet, weil sie vielleicht helfen können, Beheims unmittelbare Vorlage zu identifizieren.]
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[›ein anders von den schephten‹: Historienbibel IIIa, s. Eine deutsche Schulbibel des 15. Jahrhunderts. Historia scholastica des Petrus Comestor in deutschem Auszug mit lateinischem Paralleltext, hg. von Hans Vollmer, Teil I, Berlin 1925 (Materialien zur Bibelgeschichte u. religiösen Volkskunde II.1), S. 2 Z. 13 bis S. 19 Z. 16. Ausgelassen sind zwei Passagen: 7,28 – 8,3 (alternative Erklärungen) und 14, 6 – 16,19 (weitere Ausführungen zum Paradies und Diskussion des Eßverbots). Zugefügt ist eine kurze Darstellung von Lucifers Empörung und Sturz. Die Passage 11,17 – 12, 4 (Fruchtbarkeitsgebot und siebter Tag) ist ans Ende gerückt. In den Historienbibeln IIIb folgt die Schöpfungsgeschichte anderen Quellen. Grundlegend für die Historienbibeln Gisela Kornrumpf, Die österreichischen Historienbibeln IIIa und IIIb, in: Deutsche Bibelübersetzungen des Mittelalters, hg. von Heimo Reinitzer, Bern 1991 (Vestigia Bibliae 9/10, 1987/1988), S. 350–374.] ›mer ains von der gepurt Christi‹: Die Neue Ee, eine neutestamentliche Historienbibel, hg. von Hans Vollmer, Berlin 1929 (Materialien zur Bibelgeschichte und religiösen Volkskunde IV), Kap. XVII, S. 33–35. Der Inhalt entspricht von Strophe zwei an genau, vereinzelt sind auch Formulierungen sehr ähnlich. Der ›Neuen Ee‹ steht Beheim jedenfalls näher als ihrer (indirekten) Quelle Bruder Philipps des Karthäusers Marienleben, hg. von Heinrich Rückert, Quedlinburg und Leipzig 1853 (Bibliothek der gesamten deutschen National-Litteratur 34), v. 1966–2187. ›sacrament corpus Cristi‹: Otto von Passau, Die vierundzwanzig Alten, Der 11. Alte III–IV. Von mir benutzt nach: Die vierundzweintzig Alten . . . durch den Ehrwürdigen Herrn Otho von Passaw vor 182 Jahren auß 104 Lehrern zusamen getragen . . . Dillingen, Sebaldus Mayer 1568 (Universitätsbibliothek Tübingen, Cb 352), f. 54r–57v. ›von der lieb kosung Sand Augustin‹ (nicht in Hs. B): Schriften Johanns von Neumarkt, unter Mitwirkung Konrad Burdachs hg. von Joseph Klapper, 1. Teil: Buch der Liebkosung, Übersetzung des pseudoaugustinischen Liber soliloquiorum animae ad deum, Berlin 1930 (Vom Mittelalter zur Reformation VI, 1), Kapitel I, IIIa, IIIb, IV, V, IX, XI.
Kurze Weise: 49 Salve regina: Die lateinische Antiphon ist sehr oft übersetzt worden; die unmittelbare Vorlage Beheims ist nicht bekannt. Osterweise: 69 ›vom heiligen geist und sein genaden die er dem menschen peweist‹ (mit Tonweihe!): Schriften Johanns von Neumarkt, hg. von Joseph Klapper, 4. Teil: Gebete des Hofkanzlers und des Prager Kulturkreises, Berlin 1935 (Vom Mittelalter zur Reformation VI, 4), S. 85–91 (Dreifaltigkeitsgebet des Petrus Damiani, 3. Teil). [Auch bei Joseph Klapper, Johann von Neumarkt, Bischof und Hofkanzler, Leipzig 1964 (Erfurter theologische Studien 17), S. 83–89.] 71–82 Erschaffung der guten und bösen Engel, Erschaffung des Menschen, Erlösung, Inkarnation, Anzeichen der Erwählung und der Verdammnis, Kindheit Jesu (78–82 nicht in Hs. B): Deutsche Predigten des Nikolaus-von-Dinkelsbühl-Redaktors. Nachgewiesen von Hohmann (wie Anm. 32), S. 326f. 84 ›ain pit zu unser lieben frawen‹ (nicht in Hs. B): ein Prosagebet ähnlich den zwei Fassungen eines Mariengebets in: Schriften Johanns von Neumarkt IV (wie oben Nr. 69), S. 335–350.
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›von unser lieben frawen wirdicait und trifft auff die crafft der edelen gestain‹ (nicht in Hs. B): Edelstein-Mariengebet des Johann von Indersdorf im Gebetbuch für Elisabeth Ebran, vgl. Franz Xaver Haimerl, Mittelalterliche Frömmigkeit im Spiegel der Gebetbuchliteratur Süddeutschlands, München 1952 (Münchener theologische Studien I, 4), S. 154 und Anm. 953; Bernhard Haage, Der Traktat ›Von dreierlei Wesen der Menschen‹, Diss. Heidelberg 1968, S. 533; Gisela Kornrumpf/Paul Gerhard Völker, Die deutschen mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek München, Wiesbaden 1968, S. 254 (zu 8o cod. ms. 266, f. 82v); Andra´s Vizkelety, Beschreibendes Verzeichnis der altdeutschen Handschriften in ungarischen Bibliotheken, Bd. 1, Wiesbaden 1969, S. 62 (zu Budapest, cod. germ. 25, Nr. 9). Mir nachgewiesen von Gisela Kornrumpf. ›ain gruss und ain lob der juncfrawen Maria‹ (nicht in Hs. B): eine deutsche Fassung von ›Ave ancilla trinitatis‹. Mir nachgewiesen von Gisela Kornrumpf. [Vgl. jetzt auch Burghart Wachinger, ›Goldenes Ave Maria‹, in: Š 2VL, Bd. 3, 1981, Sp. 80–84.] ›von der hahen Schul zu Wien‹ (nicht in Hs. B): Nikolaus-von-DinkelsbühlRedaktor. Nachgewiesen von Hohmann (wie Anm. 32), S. 326f. ›von ainem wutrich der hies Trakle waida von der Walachei‹ (nur in Hs. C): ›Drakula‹-Vorstufe. Nachgewiesen von Gregor C. Conduratu, Michael Beheims Gedicht über den Woiwoden Wlad II. Drakul, Diss. Leipzig, Bukarest 1903, S. 16–22; vgl. Hans Gille, Die historischen und politischen Gedichte Michel Beheims, Berlin 1910 (Palaestra 96), S. 71–80, sowie zuletzt Dieter Harmening, ›Drakula‹, in: 2VL, Bd. 2, 1979, Sp. 221–223. ›Ain brophenci von Sant Hilgart‹, ›aber ein prophenci‹: Prophezeiungen und Visionen und anderes in Eberhart Windeckes Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Zeitalters Kaiser Sigmunds, hg. von Wilhelm Altmann, Berlin 1893, S. 351–360. Nachgewiesen von Thomas Hohmann, Deutsche Texte unter dem Namen ›Heinrich von Langenstein‹, in: Würzburger Prosastudien II. Kurt Ruh zum 60. Geburtstag, hg. von Peter Kesting, München 1975 (Medium Aevum 31), S. 219–236, hier 232, Anm. 66. Weitere Überlieferung (z. T. zusammen mit den Vorlagen von Nr. 110 und 116) siehe Kornrumpf/ Völker (wie oben Nr. 86), S. 57f. und 348 (zu 2o cod. ms. 684, f. 87r– 94v). [Vgl. jetzt auch Ernst Voltmer, Prophetie und Reform der Kirche am Ende des Mittelalters oder Wie der Dichter Michel Beheim an die ›Weissagung auf das Jahr 1401‹ (alias Visio seu prophetia fratris Johannis) geraten ist, in: »Das Wichtigste ist der Mensch«. Fs. Klaus Gerteis, hg. von Angela Giebmeyer und Helga Schnabel-Schüle, Mainz 2000, S. 75–112, bes. 110–113. Eine Gegenüberstellung von Prosavorlage und Lied 108 bei McDonald (wie Anm. 43), S. 413f.] Prophezeiung des Gamaleon: Alexander Reifferscheid (Hg.), Neun Texte zur Geschichte der religiösen Aufklärung in Deutschland während des 14. und 15. Jahrhunderts. Festschrift der Universität Greifswald, Greifswald 1905, S. 47–50 (nach Cgm 267, f. 249v–251r); weitere Überlieferung siehe Kornrumpf/Völker (wie oben Nr. 86), S. 59 (zu 2o cod. ms. 684, f. 100r–102v). Mir nachgewiesen durch Gisela Kornrumpf. [Vgl. jetzt auch Christine Stöllinger-Löser in: 2VL, Bd. 11, 2004, Sp. 806.] ›glos ubar daz ewengilg zu der krist mess‹ (nur in Hs. A, Nachtrag der Schriftstufe II): Nikolaus-von-Dinkelsbühl-Redaktor. Nachgewiesen von Hohmann (wie Anm. 32), S. 327.
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›von propheceyen‹ (Prophezeiung auf Kaiser Friedrich, nur in Hs. B): Friedrich Lauchert, Materialien zur Geschichte der Kaiserprophetie im Mittelalter, in: Historisches Jahrbuch 19 (1898), S. 844–872, hier 846–851; vgl. Kornrumpf/Völker (wie oben Nr. 86), S. 58 und 348 (zu 2o cod. ms. 684, 96v–97r) und Eckehard Simon, Eine neuaufgefundene Sammelhandschrift mit Rosenplüt-Dichtungen aus dem 15. Jahrhundert, in: ZfdA 102 (1973), S. 115–133, hier 129 Nr. 82. Mir nachgewiesen von Š Gisela Kornrumpf. Evangelien mit Glossen, Quästionen, Vom Namen Jesu (nur in Hs. E): Nikolaus-von-Dinkelsbühl-Redaktor. Nachgewiesen von Hohmann (wie Anm. 32), S. 327. ›Buch von der Liebhabung Gottes‹ (nur Hs. G): Thomas Peuntner, Büchlein von der Liebhabung Gottes, 2. Fassung. Nachgewiesen von Steer (wie Anm. 31); vgl. auch Hohmann (wie Anm. 32), S. 323f.
Verkerte Weise: 151–159 Schwachheit des Menschen, Größe und Güte Gottes, Schutzengel: Schriften Johanns von Neumarkt I (wie oben Nr. 15–21), Buch der Liebkosung, Kap. II b (ab S. 20), VI, VII, VIII, X, XIII, XXVI, XXVII, XXVIII. 160–162 Lob der Eucharistie, Gotteslob, Marienlob: Heinrich Seuse, Deutsche Schriften, hg. von Karl Bihlmeyer, Stuttgart 1907, S. 303–314, 262–268 (›Büchlein der Ewigen Weisheit‹, Kap. XXIII Schluß, XXIV und XVI). [Die Vorlage für Nr. 160 erscheint auch unter den Gebeten des »Prager Kulturkreises«, s. Schriften Johanns von Neumarkt IV (wie oben zu Nr. 69), S. 352– 355, und Klapper (wie ebd.), S. 143 (Hinweis von Christoph Gerhardt). Eine Gegenüberstellung von Prosavorlage und Lied bei McDonald (wie Anm. 43), S. 411–413.] Nr. 160 lehnt sich relativ frei an das Vorbild an, Nr. 161 ist am Anfang um meisterliche Gesangsthematik (Wolfram und Clingesore!) erweitert. 164–202 ›puchlin von den tod sunden‹ (mit eigenem Abschluß auch gesondert in Hs. D): Heinrich von Langenstein, Erchantnuzz der sund, hg. von P. Rainer Rudolf, Berlin 1969 (Texte des späten Mittelalters 22), Zweiter Teil. Nachgewiesen von Hohmann (wie Anm. 32), S. 320–323. [Zur Verarbeitung der Zitate der Vorlage s. Karl Stackmann, Salomoˆnes leˆre. Spruchweisheiten des Alten Testaments in der Sangspruchdichtung, in: Metamorphosen der Bibel, hg. von Ralf Plate und Andrea Rapp, Bern 2004 (Vestigia Bibliae 24/25, 2002/2003), S. 47–75, dort 67–70.] 203–234 Zyklus über die Irrtümer der Juden, 1. Teil (203–226): Irmhart Öser, Übersetzung der Epistel des Rabbi Samuel, vgl. Monika Marsmann, Die Epistel des Rabbi Samuel. Untersuchung und Edition, Diss. München 1971. 2. Teil (227–234): Anonymer Traktat ›Von der Juden irrsal und von irem ungelawben‹ in Wien, cod. 2846, f. 119r–127v, von Alfred Bergeler, ZfdA 80 (1944), S. 177–184 Heinrich von Mügeln zugeschrieben, jedoch ohne stichhaltige Gründe; vgl. Karl Stackmann, Heinrich von Mügeln, in: 2VL, Bd. 3, 1981, Sp. 815–827. Beide Quellen mir nachgewiesen durch Karl Heinz Keller, danach mitgeteilt von Müller (wie Anm. 3). [Dazu jetzt ausführlich Manuela Niesner, Die ›Contra-Judaeos-Lieder‹ des Michel Beheim, in: PBB 126 (2004), S. 398–424. Der anonyme Traktat, der dem 2. Teil zugrundeliegt, stammt vom Österreichischen Bibelübersetzer, der sich seinerseits auf den Passauer Anonymus stützt.] [235–236] [›von keczere und zaber‹ und ›von geilern und sterczern‹: Beide Lieder versifizieren ebenfalls Übersetzungen des Österreichischen Bibelübersetzers aus dem Werk des Passauer Anonymus. Das hat schon Niesner (wie oben zu
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203–234), S. 399f. mit Gründen vermutet. Bestätigt wurde es jetzt durch eine neue Handschrift mit Texten des Österreichischen Bibelübersetzers, die Gisela Kornrumpf entdeckt und auf die sie mich hingewiesen hat: Teil II eines Sammelbands, früher Bibliothek der Grafen von Wilczek auf Burg Kreuzenstein (Niederösterreich), jetzt Princeton University, Firestone Library, Cotsen 40765, Bl. 71–176, darin 94rb–95va die Vorlage der beiden Lieder; vgl. auch Gisela Kornrumpf, 2VL, Bd. 11, 2004, Sp. 1107f. Nr. 5–9.] [Johannes G. Mayer, Friedrich Lenhardt und Gundolf Keil weisen in 2VL, Bd. 9, 1995, Sp. 687, darauf hin, daß Beheims Lied 246 von den vir cumplexen sehr genau parallel läuft mit einigen Kapiteln der ›Ordnung der Gesundheit‹; vgl. Christa Hagenmeyer, Die ›Ordnung der Gesundheit‹ für Rudolf von Hohenberg. Untersuchungen zur diätetischen Fachprosa des Spätmittelalters mit kritischer Textausgabe, Diss. Heidelberg 1972, S. 290f. Die Übereinstimmungen beschränken sich aber auf den Inhalt, im Wortlaut gehen beide Texte auseinander. Sehr nahe steht Beheims Formulierungen dagegen die Temperamentenlehre im Münchener Cgm 729, 47r–49r.]
Trummetenweise: 263 ›von der wirdikait Maria‹: Otto von Passau (wie oben Nr. 13–14), Der 12. Alte I, f. 67v–68v (nur ungefähr). Gekrönte Weise: 285 ›sacrament corpus Cristi‹: Otto von Passau (wie oben Nr. 13–14), Der 11. Alte V, f. 57v–58v. [286] [›ain exempel von zwain juncfrawen‹: Das Lied weist selbst auf die ›Gesta Romanorum‹ als Quelle hin. Da Beheim sonst seine unmittelbaren Vorlagen nie nennt, könnte das dafür sprechen, daß die Quellenangabe schon in der Vorlage stand (vgl. unten zu den Evangelienversifizierungen). Immerhin läßt sich jetzt aus den vielfältigen ›Gesta-Romanorum‹-Traditionen der Strang, aus dem die Vorlage geschöpft hat, eingrenzen: Es handelt sich um die Einhorn-, nicht um die Elefant-Fassung, vgl. die synoptischen Abdrucke bei Brigitte Weiske, Gesta Romanorum, 2. Bd.: Texte, Verzeichnisse, Tübingen 1992 (Fortuna vitrea 4), S. 106–117. Eine nähere Verwandtschaft mit einem der Textzeugen ist nicht erkennbar. Nicht wenige der zahlreichen kleinen Abweichungen und Erweiterungen Beheims dürften auf die extremen Reimanforderungen des Tons zurückzuführen sein. Auch mag sich Beheim bei einer Exempelerzählung freier gefühlt haben als bei einem diskursiven Text.] Slecht guldin Weise: 293 ›sacrament corpus Cristi‹: Otto von Passau (wie oben Nr. 13–14), Der 11. Alte IX, f. 66v–67v (relativ frei). [294] [›von ainem kung ain exempel auff die hailgen drivaltikait‹: Auch die Erzählung von den drei Ringen samt ihrer Deutung stammt aus den ›Gesta Romanorum‹. Im Unterschied zu Nr. 286 wird keine Quelle genannt, und eine genauere Eingrenzung der Vorlage ist nicht möglich. Auch hier dürften die formalen Anforderungen des Tons viele Freiheiten begünstigt haben.] Hohe guldin Weise: 299 Prophezeiungen auf Maria: vgl. Otto von Passau (wie oben Nr. 13–14), Der 12. Alte I, f. 69rv (nur die Namenkette stimmt überein; ob hier der extreme Formzwang – jede Silbe gereimt! – Beheim zu Abweichungen veranlaßt hat oder ob er eine mit Otto von Passau verwandte Quelle benutzt hat, bleibe dahingestellt).
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›sacrament corpus Cristi‹: Otto von Passau (wie oben Nr. 13–14), Der 11. Alte VII, f. 60v–62v. [›van den zwain und sibenczig namen Marian‹: Gisela Kornrumpf weist in 2 VL, Bd. 11, 2004, Sp. 1703, nach, daß Beheim hier dem ›Diva-Katalog‹ der 72 Namen Marias folgt. Da er die Namen lateinisch beläßt und nur teilweise auch übersetzt, könnte die Vorlage eine lateinische Fassung, vielleicht mit deutschen Glossen, gewesen sein.] ›wie ein kung regiren sol‹: Fürstenspiegel für Wilhelm von Österreich, überliefert in einer Fürstenspiegelkompilation, vgl. Gerd Brinkhus, Eine bayerische Fürstenspiegelkompilation des 15. Jahrhunderts, München 1978 (MTU 66), S. 82–85 (I,1–6). ›Der Antikrist‹: sogenannter ›Antichrist-Bildertext‹. Nachgewiesen von Steer (wie Anm. 31); Ausgaben siehe Georg Steer, ›Antichrist (Endkrist)-Bildertext‹, in: 2VL, Bd. 1, 1978, Sp. 400f.
Slegweise: 389. 391. 394 ›sacrament von der peicht‹,› sacrament der e‹, ›der witwen regel‹: Marquard von Lindau, Das Buch der zehn Gebote, von mir benutzt nach dem Druck Straßburg, Johann Grüninger 1516 (Universitätsbibliothek Tübingen, Gi. 145. R, ohne Titelblatt, Seitentitel: Die X Gebot),34 dort f. 25vb–26rb (im Abschnitt Das IIII Gebot), f. 37rb–37va und f. 40rb–40va (im Abschnitt Das VI Gebott); in der Ausgabe von Vinzenz Hasak, Ein Epheukranz oder Erklärung der zehn Gebote Gottes nach den Originalausgaben vom Jahre 1483 und 1516, Š Augsburg 1889, S. 47 f., 72f., 79f. Der Abschnitt mit der Vorlage für Nr. 389 auch gedruckt bei Vinzenz Hasak, Der christliche Glaube des deutschen Volkes beim Schlusse des Mittelalters, Regensburg 1868, S. 73 f. [Marquard von Lindau, O. F. M., Das Buch der zehn Gebote (Venedig 1483), hg. von Jacobus Willem van Maren, Amsterdam 1984 (Quellen und Forschungen zur Erbauungsliteratur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 7), S. 50f., 86f. und 93f.] [423] [›die funffczen zaichen‹: Christoph Gerhardt und Nigel F. Palmer, .xv. signa ante iudicium. Studien und Texte zur Überlieferungsgeschichte eines eschatologischen Themas, Preprint des Katalogteils, Oxford/Trier 1986, S. 6 und 38, geben als Quelle die deutsche Plenarüberlieferung an: Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, cod. bibl. 4o 22, 4r–6r; Ein plenari nach ordnung der heyligen cristenlichen kirchen, Augsburg: Georg Zainer 1473, Bl. Vv-VIIv und weitere Drucke und Handschriften. Die Übereinstimmungen im Wortlaut sind allerdings begrenzt, und die Schlußpartie des Liedes weicht zumindest von den beiden hier zitierten Textzeugen, die ich eingesehen habe, ganz ab.] Lange Weise: 439–440 ›von gacz leichnam‹: Otto von Passau (wie oben Nr. 13–14), Der 11. Alte I–II, f. 52r–54r. [441] [›Von den viguren Marian, der himel kungin‹: Zu Bezügen zum ›Speculum humanae salvationis‹ s. den Hinweis von Gisela Kornrumpf in: 2VL, Bd. 9, 1995, Sp. 63.] 34
[Vgl. jetzt das Faksimile: Marquard von Lindau, Die zehe Gebot (Straßburg 1516 und 1520), hg. von Jacobus Willem van Maren, Amsterdam 1980 (Quellen und Forschungen zur Erbauungsliteratur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 14).]
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›von Sant Patricy fegfeur‹: ›Tractatus de Purgatorio S. Patricii‹, vgl. Nigel F. Palmer, ›Fegfeuer des hl. Patricius‹, in: 2VL, Bd. 2, 1979, Sp. 715–717. Wahrscheinlich hat Beheim eine deutsche Übersetzung benützt. Zu Prosavorlagen der ›Pfälzischen Reimchronik‹ vgl. Kratochwill (wie Anm. 7), S. 116.
In diesem Zusammenhang sind auch Beheims Bibelversifikationen zu nennen. Da zwischen den Varianten der verschiedenen vorlutherischen Bibelübersetzungen und dem Variationsspielraum, den man dem Versifikator zubilligen muß, kaum sicher zu unterscheiden ist, wird Beheims unmittelbare Vorlage nur schwer zu ermitteln sein. Am ehesten wird es sich um ein deutschsprachiges Evangelistar gehandelt haben; denn mit Ausnahme einer Bearbeitung der Schöpfungsgeschichte handelt es sich durchweg um Evangelientexte, die sich auch als Perikopen nachweisen lassen. Folgende Lieder Beheims lehnen sich genau an den biblischen Wortlaut an [vgl. auch Nachtrag S. 391–393]: Zugweise: 11
Abstammung Jesu (Mt 1,1–16).
Kurze Weise: 31–48 Auswahl von Evangelienperikopen von Advent bis Aschermittwoch (Verkündigung, Geburt, Kindheit, Wunder und Lehren Jesu). Dazu Nr. 29 Proömium, vgl. oben zur Zyklenbildung. Osterweise: 111, 117, 121, 122, 124 Evangelien der Weihnachtszeit mit ausführlicher Glosse nach dem Nikolaus-von-Dinkelsbühl-Redaktor, vgl. oben. Trummetenweise: 251 Schöpfungsgeschichte (Gn 1, 1–2,2). 252–260 Auswahl von Evangelienperikopen von Weihnachten bis Palmsonntag. Slecht guldin Weise: 291 v. 32–180 Verkündigung (Lc 1, 28–38). Hofweise: 305
Jesus und die Samariterin (Io 4,5–41).
Slegweise: 366–386, 422, 424 Auswahl von Evangelien von Advent bis zum Sonntag nach Ostern. Vorher ein Lied über die Geburt Marias (365). Umstellungen: 375 nicht am liturgischen, sondern am biographischen Platz; 422 (vom Jüngsten Gericht) ans Ende des Tonkorpus gerückt. (424 steht in den Handschriften richtig eingeordnet.) Lange Weise: 427–433 und 450 Auswahl von Evangelien zur vorösterlichen Fastenzeit. 450 (vom Jüngsten Gericht) ans Ende des Tonkorpus gerückt. Möglicherweise hat Beheim für die verschiedenen Evangelienzyklen verschiedene Quellen benutzt. Für Abfassung zu verschiedenen Zeiten spricht, daß fast nur im Zyklus der Slegweise die Evangelisten bei der Quellenangabe durch Epitheta oder Anrufungen als Heilige in den Akt der Andacht einbezogen werden: der gut Sanctus Matheus; der ewangelist Jahannes, gotes Schreiber; ich bit den herren Sanctum Matheum, das er mir helff berichten dis hailig ewengilgium, hilff herr, so wil ich tichten, wie du den tegst auss legst. Demgegenüber wirken die Quellenangaben z. B. im Zyklus der Trummetenweise
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sachlicher: Johannes schreibt uns; Lucas schreibt in den achten (d. h. im 8. Kapitel). Auffällig ist, wie in der Trummetenweise Matthäus zitiert wird: Matheus puch die sagen (254 = Mt 2,1–12); waz Matheus schreibe im andern tail (258 = Mt 11,2–10); Matheus, der vil here, peschreibt uns in dem andern tail vil war seinr under schaid und lere (259 = Mt 21,1–9); vielleicht liegt hier für den Kenner der Schlüssel zum Auffinden von Beheims unmittelbarer Quelle? 67
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Das Facit: geht man nach dem Umfang (Seitenzahl der Ausgabe), so ist bereits mehr als die Hälfte von Beheims Liederœuvre (ohne die Chroniken) als Prosaversifizierung nachgewiesen. Bei geduldiger Suche wird man gewiß noch weitere Prosavorlagen finden. Aufgrund von Stil, Thematik und Gedankenführung der Lieder vermute ich, daß der Anteil der Prosaversifizierungen bei etwa achtzig Prozent liegt. Nicht »verhinderte Prosa« ist Beheims Werk, sondern verwandelte Prosa. Dieser Befund bedarf der intensiven Interpretation unter mancherlei Aspekten. Hier können nur wenige vorläufige Andeutungen gemacht werden. Die Technik der Versifikation ist nicht die einer freien, bloß am Stoffgerüst interessierten Quellenbenutzung. Vielmehr bewahrt Beheim in der Regel35 Wortlaut und Syntax ziemlich getreu und verändert und ergänzt nur so viel, wie er zur Erfüllung der Strophenform unbedingt braucht.36 Da ein freierer Umgang mit der Vorlage gewiß eher leichter gewesen wäre, darf man hinter der Vorlagentreue vielleicht ein Streben nach Bewahrung des authentischen Textes vermuten. Dieses ist jedoch sach- und nicht autorbezogen; denn Beheim weist nie auf seine Vorlage hin und signiert gerade auch die Prosaversifizierungen mit seinem eigenen Namen, während er die Quellenberufungen der Vorlagen oft getreu übernimmt. Daß er in den Bibelversifikationen stets die Evangelisten nennt, ist keine Ausnahme, da er offenbar nicht aus einem vollständigen Text der Evangelien geschöpft hat. Mehrfach wird der Buchprosatext dem Liedvortrag angepaßt: da ist von singen die Rede, die Hörer werden aufgefordert horcht. Wenn zurückverwiesen wird, heißt es nicht mehr obgeschriben, sondern als ich pesungen han. Manchmal wird die objektive Sprache der Vorlage für die Kommunikation zwischen Vortragendem und Publikum umgeformt: statt man heißt es wir. Spezifische ›Inszenierungsformen‹ der Vorlage, die für den Vortrag ungeeignet waren, z. B. das Jünger-Meister-Gespräch im ›Buch der zehn Gebote‹ Marquards von Lindau, erscheinen im Lied nicht mehr. Verweise auf Stellen außerhalb des Š für die Versifizierung gewählten Abschnitts werden getilgt.37
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Stärkere Abweichungen kommen natürlich vor; aber man müßte jeweils erst prüfen, ob diese nicht auf eine andere Fassung der Prosavorlage zurückgehen könnten. [Diese auf wenigen Stichproben basierende Einschätzung möchte ich heute nicht mehr aufrecht erhalten. Der Spielraum zwischen enger Anlehnung und freier Bearbeitung ist wohl beträchtlich.] Siehe z. B. Hohmann (wie Anm. 32), S. 329; vgl. jedoch oben zu Beziehungen zwischen verschiedenen Liedern innerhalb eines Zyklus.
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Beheims Prosaversifizierungen sind innerhalb seiner Gattungstradition eine Ausnahmeerscheinung. Lediglich Bibelversifikationen kommen seit dem 15. Jahrhundert vereinzelt vor, sie sind aber kaum je so textgetreu wie bei Beheim. Als festen Typ gibt es die Bibelversifikation außer bei Beheim nur im nachreformatorischen Meistergesang, wo die Lutherbibel zur verbindlichen Grundlage der reinen Lehre geworden war und beim Liedvortrag von den Merkern hinterm Vorhang zur Kontrolle mitgelesen wurde. Beheims Tendenz zum genauen Bibelwortlaut steht in einer anderen kulturellen Umgebung. Man mag sie durchaus im Rahmen der religiösen Laienbewegungen im Vorfeld der Reformation sehen, wenn man diesen Begriff nicht einschränkt auf reformerisch-revolutionäre Tendenzen, denen Beheim fernstand. Für ihn bestand zweifellos kein Konflikt zwischen Bibeltext und kirchlicher Lehrtradition. Er wollte keine Laientheologie, aber er und seine Gönner wollten eine Vermittlung biblischen und theologischen Wissens an die Laien gerade in einer Zeit religiöser Unruhe und kirchengefährdender Bewegungen. Beheims Bibel war die der Evangelienlesungen, die Überschriften weisen nicht selten auf den liturgischen Ort, z. B. das ewengilg zu der ersten kristmes (252). Die Einleitungsfloskeln mit der Quellenangabe (insbesondere ihre emotionalisierte Form in der Slegweise) und die Schlußworte, die manchmal den Rest der Strophe füllen müssen (z. B. 258 also vil ist der wart, dy hie peschriben sein . . . der ewig got tu uns sein hilffe schein . . .; 259 dy wort haben ain end. ir ist nit mer. nun sprechen alle amen, daz uns got sein genad well tun) stehen dabei eher in Analogie zur Predigt als zur rein liturgischen Lesung innerhalb des Meßkanons.38 Man könnte sich vorstellen, daß Beheims Bibellieder gedacht waren zur wiederholenden Unterweisung und Meditation im volkssprachlichen Liedvortrag (sei es bei Tisch, sei es in einem ›Konzert‹, sei es in einer Abendandacht) jeweils am selben Tag, an dem der gleiche Text morgens in der Š Messe auf lateinisch gelesen worden war. So scheint auch die Anordnung der Evangelientexte in den Handschriften der Ordnung der Lesungen im Kirchenjahr zu folgen (welcher der im einzelnen variierenden Ordnungen, wäre freilich noch zu ermitteln).39 Gelegentlich allerdings weicht Beheim von der liturgischen Ordnung ab: In der Slegweise ist das Evangelium zum Weißen Sonntag, dem Sonntag nach Ostern, weiter nach vorn gerückt, gewiß um zu vermeiden, daß die Geschichte von der Versuchung Jesu erst nach der Auferstehung erzählt wird. Diese Abweichung vom Kirchenjahr ist offenbar bestimmt von der Rücksicht auf die zweite Rezeptionsmöglichkeit, auf die stille Lektüre, bei der die einzelnen Perikopenlieder dann als büchleinartiger Zyklus vom Leben Jesu eine Einheit bilden konnten. Die Evangelien vom Jüngsten Gericht aber werden sogar ganz von den Zyklen der Evangelienlieder abgetrennt und jeweils ans Ende des Tonbüchleins gestellt, um dessen heilsgeschichtlichen Rahmen – ebenfalls nur für einen Leser – anzudeuten. 38 39
Für klärende Gespräche danke ich Benedikt K. Vollmann. Vgl. etwa die Liste bei Paul Pietsch, Evangely und Epistel Teutsch. Die gedruckten hochdeutschen Perikopenbücher (Plenarien) 1475–1523, Göttingen 1927, S. 64–82.
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Noch weniger als den Bibelversifikationen läßt sich den Beheimschen Bearbeitungen von geistlicher Lehr- und Erbauungsliteratur in der Gattungstradition etwas Vergleichbares zur Seite stellen. Sieht man ab von vereinzelten Vaterunserparaphrasen (z. B. bei Reinmar von Zweter 13), denen typologisch bei Beheim etwa die ›Salve-Regina‹-Paraphrase Nr. 49 entspräche, so sind für Meisterlieder deutsche Prosaquellen, soviel ich sehe, bislang überhaupt nur vereinzelt nachgewiesen.40 Nirgends aber findet sich eine so getreue Umsetzung einer längeren Vorlage wie bei Beheim. Lehrreich ist vor allem ein Vergleich zwischen den Techniken von Beheim und Folz bei der Benutzung von Marquards von Lindau ›Buch der zehn Gebote‹: Während Beheim den gewählten Abschnitt fast wörtlich wiedergibt, hält sich Folz nur an das Gerüst und kürzt Š und erweitert im einzelnen durchaus frei.41 Was die Auswahl der Vorlagen betrifft, so sind noch ausgreifende Untersuchungen nötig. Ein gewisser Schwerpunkt liegt, wie Hohmann (Anm. 32) mit Recht betont, bei Texten der ›Wiener Schule‹; zu den von ihm genannten Texten fügt sich jetzt noch der Fürstenspiegel (308). Aber auch andere geistliche Lehrund Erbauungsliteratur findet sich unter den Vorlagen; meist sind es ziemlich breit überlieferte Werke. Religiöse Esoterik und Mystisches im engeren Sinn fehlt, die neuen Möglichkeiten inbrünstiger religiöser Prosa aber sind mit den Seuse-Gebeten und den Stücken von Johann von Neumarkt vertreten. Soweit Beheim nicht größere Schriften als ganze zu Zyklen verarbeitet hat, sind, wie es scheint, solche Kapitel ausgewählt, die der mehr allgemeinen Lehr- und Mahnhaltung der Gattungstradition, in der Beheim steht, entgegenkommen: aus dem Fürstenspiegel etwa die grundlegende religiöse Einleitung, aber nicht mehr die Abschnitte über Heeresorganisation und Kriegskunst; aus dem ›Buch der zehn Gebote‹ einzelne didaktische Abschnitte, die sich gut in die Lehrthematik der Slegweise fügten, nichts aber z. B. von den regelmäßigen Abschnitten über die besonders hohen religiös-ethischen Anforderungen, die die Gottesfreunde an sich stellen. Wie weit in diesem Auswahlprozeß das kulturelle Klima des jeweiligen Hofes und die thematischen Traditionen der meisterlichen Lieddichtung konvergieren, wäre erst noch zu prüfen.
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Vor Beheim etwa der ›Lucidarius‹ in einem Lied in Regenbogens Langem Ton, vgl. Eva und Hansjürgen Kiepe (Hgg.), Gedichte 1300–1500, München 1972 (Epochen der deutschen Lyrik 2, dtv Wissenschaftliche Reihe 4016), S. 198 [s. jetzt RSM 1Regb/4/ 601 u. 608]. Quellen, die nur den Stoff geliefert haben, sind hier natürlich nicht gemeint. Die Meisterlieder des Hans Folz, hg. von August L. Mayer, Berlin 1908 (DTM 12), Nr. 8 entspricht Vinzenz Hasak, Der christliche Glaube des deutschen Volkes beim Schlusse des Mittelalters, Regensburg 1868, S. 69–71. Nachgewiesen von Werner Hofmann, Stilgeschichtliche Studien zu den Meisterliedern des Hans Folz, Berlin 1933 (Germanische Studien 132), S. 110. Vgl. auch Christoph Petzsch, Studien zum Meistergesang des Hans Folz, in: DVjs 36 (1962), S. 190–247, hier 199–208.
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Wenn Beheim überwiegend verbreitetes Schrifttum verarbeitet hat, zum Teil sogar Texte, die eine Generation früher für den Wiener Hof, an dem er lebte, verfaßt bzw. übersetzt worden waren, so bedeutet dies, daß seine Gönner sehr wohl wußten, daß seine Lieder größtenteils Prosaversifizierungen waren; ja vermutlich haben sie ihm zum Teil geradezu die Vorlagen zur Verfügung gestellt und ihm den Auftrag zur Bearbeitung gegeben. Das Interesse Š der Gönner (wie der Autorstolz Beheims) gründete sich also nicht auf eine Neuheit der Inhalte oder Gedankenführungen, sondern auf die Fähigkeit der Umsetzung authentischer Aussagen in die Kunstform des sangbaren Liedes. Daß das Publikum beim Vortrag stets mit dem originalen Prosawortlaut verglichen und seinen Kunstgenuß gerade aus dem Spiel von Identität und Veränderung gewonnen hätte, wird man allerdings höchstens bei kürzeren Texten annehmen dürfen, die auch dem Wortlaut nach genau bekannt waren, beim ›Salve Regina‹ etwa und vielleicht bei dem einen oder anderen Evangelientext. In der Regel aber wird das Interesse der Gönner weniger raffiniert gewesen sein. Man schätzte es offenbar, wenn den Texten, die man als Prosa lesen konnte, durch Vers und Musik neuer höfischrepräsentativer Glanz und neue, auf andere Weise ›zu Herzen gehende‹ Intensität verliehen wurde; und vielleicht hoffte man, im neuen Medium des Liedvortrags auch jene Mitglieder der Hofgesellschaft für die Inhalte dieser religiösen Literatur zu gewinnen, die zur Lektüre weniger fähig oder weniger geneigt waren. Was aber bedeutete die Wendung zur Prosaversifizierung für einen Meisterlieddichter wie Beheim? Was bedeutet sie in der Gattungsgeschichte? Die Sangspruchdichter des 13. Jahrhunderts waren meister in dem Sinn, daß sie sich in vielem an der lateinischen Schriftkultur der Clerici litterati orientierten, der Marner nahm sogar aktiv an ihr teil. Die meisten Spruchdichter dürften eine gewisse Schulbildung genossen haben, aber gemessen an dem, was sich in der lateinischen Literatur des 13. Jahrhunderts abspielte, war das, was man gemeinhin die Gelehrsamkeit der mittelhochdeutschen Spruchdichter nennt, höchst bescheiden. Diese meister betrachteten es auch nicht als ihre Aufgabe, Schriftliteratur direkt zu vermitteln. Ihr Publikum waren Adelskreise, die z. T. bereits ähnlichen Kontakt mit der lateinischen Sprache und Literatur gefunden hatten, z. T. wohl auch nicht selbst lesen und schreiben konnten, die sich aber in jedem Fall bewußt und selbstbewußt als Laien fühlten. Die Sangspruchdichtung war Teil der volkssprachlichen Literatur der Laienoberschicht. Als Medium der Diskussion um eine weltlich-geistliche Wertorientierung des Laienadels und als Mittel der höfischen Unterhaltung Š und Repräsentation diente diese Literatur der Entwicklung und Stabilisierung eines kollektiven Selbstbewußtseins, gelegentlich vielleicht auch dessen Kritik. Der Sangspruchdichter aber hatte in diesem Kontext die Rolle dessen zu spielen, der im Rahmen höfischer Repräsentation an den Konsens über grundlegende Werte und Normen mahnend und lehrend erinnerte, ohne eigentlich zu explizieren:
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Es vraget maniger, waz ich kunne. ich spreche, ich bin ein lerer aller guo ten dinge unde bin ein ratgebe aller tugent. ich hazze schande. We dem, der mir eren vergunne.42
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Im 15. Jahrhundert aber hatten sich die kulturellen Interessen dieses Laienadels insbesondere an den großen Höfen außerordentlich ausgedehnt und ausdifferenziert. Die höfische Unterhaltung und Repräsentation wurde zu einem Teil jetzt von artistisch hoch anspruchsvoller mehrstimmiger Instrumental- und Vokalmusik bestritten, vor allem am Prager Hof hat man französische Mehrstimmigkeit intensiv gepflegt. Die Wert- und Normorientierung aber wurde in engerer Anlehnung an geistlich-wissenschaftliche Schriftliteratur gesucht, die ein Mehr an Differenzierung und Systematisierung bot. Gerade die Habsburger waren für ein geistlich-wissenschaftliches Prosaschrifttum deutscher Sprache aufgeschlossen, und die Bedrohung des religiös-politischen Grundkonsenses durch ›Ketzer‹-Bewegungen machte dessen Explikation für alle Angehörigen des Hofes notwendig. Ein Sangspruchdichter wie Beheim, der mit seiner veraltenden Kunst des lehrend-mahnenden Liedes von kleineren, kulturell noch nicht so fortgeschrittenen Höfen an die großen Zentren Prag und Wien kam, mußte sich, um überleben zu können, anpassen. Und für einige Zeit wenigstens scheint er mit seinem Verfahren, das dem Prosaschrifttum durch Versform und Vortrag zu neuer intensiverer Wirkung verhalf und das dem höfischen Vortrag durch Anschluß an die Verbindlichkeit und Differenziertheit geistlicher Gebrauchsprosa neues inhaltliches Gewicht gab – für einige Zeit scheint Beheim mit dieser Balance Erfolg gehabt zu haben. Aber auf längere Sicht war die Š meisterliche Vortragskunst nicht mehr an den Höfen zu halten. Beheim selbst hat in seinen Liedersammlungen auch auf die Rezeptionsweise der privaten Lektüre Rücksicht genommen, ja er scheint in späteren Jahren gelegentlich primär für die Lektüre, fürs Buch produziert zu haben, ohne die Möglichkeit des Vortrags ganz aufzugeben. Und die Liedtradition, aus der er kam, zog sich zurück in Schichten, für die das Lied noch das Medium der religiösen, geistigen, moralischen und unterhaltenden kollektiven Selbstfindung sein konnte, das es einst für den Laienadel gewesen war: nur in der stadtbürgerlichen Schicht unterhalb der an den Universitäten ausgebildeten Akademiker, bei den Handwerkern und Meistersängern konnte die Liedtradition, die von Walther, Reinmar und Frauenlob ausgegangen war, im 16. Jahrhundert noch eine derart gewichtige soziale Funktion übernehmen.
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Der Meißner der Jenaer Liederhandschrift, hg. von Georg Objartel, Berlin 1977 (Philologische Studien und Quellen 85), S. 215 (XV, 4).
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IV Alle Texte, von denen die Rede war, sind Gebrauchsliteratur in dem Sinn, daß sie auf Vortrags- oder Lektüregebrauch zielen; sie unterscheiden sich durch die Art des Gebrauchs, der intendiert ist, auf den sie aber nie ganz festgelegt sind. Fast alle Texte sind auch in dem Sinn Gebrauchsliteratur, daß sie die Hörer und Leser nicht nur unterhalten möchten, sondern relativ direkt belehren und ermahnen, daß sie, direkter als z. B. der Minnesang oder der Artusroman, der Gesellschaft wie dem Einzelnen Lebensorientierungen geben wollen; das gilt – zumindest im Kontext der Buchüberlieferung – sogar für Beheims Liebeslieder. Poesie im Sinne der Zeit waren innerhalb dieser Gebrauchsliteratur am ehesten Versdichtungen; Beheims Anspruch als teutscher poet und tichter gründet sich zweifellos primär auf seine Vers- und Tonkunst. Nimmt man den Begriff Poesie aber im Sinn eines besonderen Rangs der ästhetischen Qualitäten eines Sprachgebildes, eines Rangs, der nicht an das Formkriterium Vers gebunden ist, so wird man der Prosa Heinrich Seuses und Johanns von Neumarkt einen höheren ›poetischen‹ Rang zubilligen müssen als den ›prosaischen Versen‹ Beheims. Faßt man schließlich Poesie auf als spezifischen Modus der Auseinandersetzung mit der Welt mit Mitteln sprachŠlicher Gestaltung, als einen gegenüber Theologie und Wissenschaft selbständigen Weg zum Verstehen und Bestehen der Welt, so wird man den Hauptteil von Beheims Werk, in dem geistliche und wissenschaftliche Denkformen und Sprachgestaltungen nicht umgeschmolzen, sondern nur durch Auswahl und Versifikation für ein anderes Medium, eine andere Gebrauchssphäre adaptiert sind, nicht Poesie nennen dürfen. Dennoch hat sich Beheim mit seiner historischen Situation intensiver, fast möchte ich sagen: schöpferischer auseinandergesetzt als mancher andere, der den Konventionen spezifisch ›poetischer‹ Weltsicht verhaftet blieb. Nachtrag Die Erforschung von Michel Beheims Biographie und Werk hat seither lebhafte Fortschritte gemacht.43 Ich beschränke meinen Aktualisierungsversuch auf die 43
Besonders wichtig für die in meinen Abschnitten I und II angesprochenen Fragen sind die Untersuchungen von Schanze, Scholz und Spriewald: Frieder Schanze, Meisterliche Liedkunst zwischen Heinrich von Mügeln und Hans Sachs, 2 Bde., München 1984 (MTU 82.83), bes. Bd. I, S. 182–246; Manfred Günter Scholz, Zum Verhältnis von Mäzen, Autor und Publikum im 14. und 15. Jahrhundert. ›Wilhelm von Österreich‹ – ›Rappoltsteiner Parzival‹ – Michel Beheim, Darmstadt 1987, S. 112–180; Ingeborg Spriewald, Literatur zwischen Hören und Lesen. Wandel von Funktion und Rezeption im späten Mittelalter. Fallstudien zu Beheim, Folz und Sachs, Berlin/Weimar 1990, S. 9–55, 195–205. Vgl. aber auch William C. McDonald, »Whose bread I eat«: The song-poetry of Michel Beheim, Göppingen 1981 (GAG 318); Friederike Niemeyer, Ich, Michel Pehn. Zum Kunst- und Rollenverständnis des meisterlichen Berufdichters Michel Beheim, Frankfurt a. M. 2001 (Mikrokosmos 59).
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Nachweise von Prosaversifizierungen in Abschnitt III (s. oben) und trage hier noch einige Beobachtungen zu den Bibelversifikationen nach. Johannes Fournier44 hat die Bibelversifizierungen Beheims gesichtet und auf den Unterschied zwischen Liedern, die nur Evangelientexte umsetzen, und anderen, die auch predigtartige Glossen anfügen, hingewiesen. Als dritter Typ wären noch Lieder zu nennen, die sich trotz genereller Nähe zum biblischen Wortlaut Auslassungen und Zusätze erlauben, was durch Zwischenquellen oder durch eine andere Gestaltungsabsicht bedingt sein kann. So ist die Verkündigungsszene von Beheim mehrfach bibelnah formuliert worden: 117a folgt einer glossierten Perikope, in diesem Fall dem Text des Nikolaus-von-Dinkelsbühl-Redaktors, und 366 versifiziert eine unglossierte Perikope. Dagegen bettet Lied 291 die Verkündigung in einen heilsgeschichtlichen Rahmen ein, der auch die Szene selbst affiziert, und Lied 31 läßt eine Reihe von Einzelheiten des Evangelientextes aus, ist eher eine recht genaue Nacherzählung zu nennen, obwohl gerade dieses Lied am Anfang einer ganzen Serie von strengen Perikopenversifizierungen steht.45 Wenn man so differenziert, sind aus der oben gegebenen Liste folgende Lieder als strenge Versifizierungen von unglossierten Bibeltexten anzusehen: 11, 32–48, 252–260, 305, 366–386, 422,46 427–430, 450. Frieder Schanze47 hat nachgewiesen, daß diese unglossierten Perikopenlieder in Beheims frühere Schaffenszeit vor 1457 gehören. Die glossierten Lieder 111, 117, 121, 122 und 124 dagegen, die dem Nikolaus-von-Dinkelsbühl-Redaktor folgen, sind erst in den 1460er Jahren entstanden. Bei den unglossierten Bibelversifikationen handelt es sich durchwegs um Evangelienperikopen de tempore von Advent bis zum Weißen Sonntag. Keine einzige der Perikopen ist zweimal bearbeitet. Epistelperikopen fehlen. Das läßt auf tonübergreifende Zusammenhänge schließen. Wenn man eine einheitliche Quelle annimmt, käme wohl am ehesten ein deutsches Evangelistar in Frage. Die Unterschiede in der Quellennennung, auf die ich seinerzeit hingewiesen habe, wären dann anders bedingt, z. B. durch verschiedene Entstehungszeit innerhalb der über Jahre sich hinziehenden Frühphase. Die Auswahl der von Beheim bearbeiteten Texte ist allerdings zu klein, und die Hinweise auf ihren liturgischen Ort im Kirchenjahr sind zu selten, als daß man dieses Evangelistar, wenn es denn eines und nur ein einziges war, einer bestimmten Diözese oder einem Orden zuordnen könnte.48 44
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Die gute Nachricht in wechselnden Formen. Vers und Prosa im ›St. Pauler Evangelienreimwerk‹, im Evangelienbuch für Matthias Beheim und in Michel Beheims Liedern, in: Metamorphosen der Bibel, zus. mit Michael Embach und Michael Trauth hg. von Ralf Plate und Andrea Rapp, Bern 2004 (Vestigia Bibliae 24/25, 2002/2003), S. 189– 207. Das Lied gehört also eher zu der die Perikopenserie vorbereitenden Gruppe 29–31: Proömium, Schöpfung und Fall der Engel, Englischer Gruß. 424, eine mit legendarischen Zügen angereicherte Erzählung von der Geburt und der Kindheit Jesu, ist aus der Liste der Bibelversifikationen zu streichen. Schanze (wie Anm. 43), Bd. I, S. 206–233. Vgl. etwa die Aufstellungen und Hinweise von Paul Pietsch (wie Anm. 39), S. 64–80;
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Über den Wortlaut ist mir eine Eingrenzung der Vorlage oder der Vorlagen Beheims bislang nur in wenigen Fälllen ansatzweise gelungen. Ähnliche Formulierungen, wie sie immer wieder vorkommen, können sich bei den viel gebrauchten und viel zitierten Evangelientexten immer auch durch Zufall ergeben haben, andererseits sind Varianten auch zwischen nachweislich genetisch verwandten Perikopenbüchern oft erstaunlich groß bis hin zum Austausch einzelner Perikopen mit anderen Traditionen. Nach Stichproben bin ich mir z. B. relativ sicher, daß Beheims Lied 255 und Nr. 40 des Bremer Evangelistars (Br)49 irgendwie verwandt sein müssen. Aber in der bei beiden folgenden Perikope Br 41 / B(eheim) 256 sind die Unterschiede im Wortlaut so groß, daß ein Zusammenhang fast sicher auszuschließen ist, und in einigen anderen Fällen (z. B. Br 7 / B 32; Br 19 / B 254; Br 20 / B 268; Br 25 / B 39) können Ähnlichkeiten eine Verwandtschaft nahelegen, aber nicht beweisen. Recht deutlich sind Beziehungen zur Gruppe der gedruckten hochdeutschen Plenare, zu der auch einige Handschriften gehören (s. oben zu Lied 423). Man vergleiche Pietsch,50 S. 131–135 / B 259; Pietsch, S. 148–152 / B 369; Pietsch, S. 162–166 / B 430; Pietsch, S. 167– 169 / B 429; Pietsch, S. 188 f. / B 45; ferner das Evangelium von den Vorzeichen des Jüngsten Gerichts (Luc. 21,25–33) / B 422.51 Vermutlich lassen sich bei systematischer Suche die Beziehungen zu dieser Tradition noch vermehren. Aber die Weihnachtsgeschichte in Beheim 252 und 34 scheint mit Pietsch, S. 143–145, nichts zu tun zu haben. Beim derzeitigen Stand der Erforschung der deutschen Perikopenüberlieferung erlauben solche sporadischen Beobachtungen nicht, eine einheitliche Quelle für Beheims Perikopenbearbeitungen anzusetzen oder auszuschließen. Wohl aber machen sie ganz unwahrscheinlich, daß Beheim auch auf lateinische Überlieferungen zurückgegriffen hat.
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Das Bremer Evangelistar, unter Mitarbeit von Marion Bockelmann und Andreas Kerstan eingeleitet und hg. von Jochen Splett, Berlin/ New York 1996 (Quellen und Forschungen 234, NF 110), S. XXV-XLVI; Nigel F. Palmer, Bibelübersetzung und Heilsgeschichte. Studien zur Freiburger Perikopenhandschrift von 1462 und zu den deutschsprachigen Lektionaren des 15. Jahrhunderts, Berlin/New York 2007 (Wolfgang Stammler Gastprofessur für Germanische Philologie, Vorträge 9), S. 31–36, 173– 201; Carsten Kottmann, Das buch der ewangelii und epistel. Untersuchungen zur Überlieferung und Gebrauchsfunktion südwestdeutscher Perikopenhandschriften, Münster u. a. 2009 (Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit 14). Wie Anm. 48. Wie Anm. 39. Zu diesem Lied habe ich mehrere Textzeugen der Plenartradition verglichen: München, Cgm 815, 1r–2r; Stuttgart, cod. bibl. 4o 22, 3v–4r; Plenar, Augsburg, Zainer 1473, Bl. V-VI; und, Beheims Text am ähnlichsten, Spiegel menschlicher behaltnis, Basel: Bernhard Richel 1476, S. 169.
Liebe und Literatur im spätmittelalterlichen Schwaben und Franken Die Augsburger Sammelhandschrift der Clara Hätzlerin Im Jahr 1435 wurde die Augsburger Baderstochter Agnes Bernauer auf Befehl des bayerischen Herzogs durch mehrmaliges Untertauchen in der Donau ertränkt, weil Herzog Albrecht, der Sohn des regierenden Herzogs, sie nicht nur geliebt, sondern heimlich geheiratet hatte, und weil sie nicht bereit war, diese Ehe abzuleugnen. Noch im Lauf des 15. Jahrhunderts ist über den Fall eine Volksballade entstanden. Sie blieb aber bis ins 18. Jahrhundert unterhalb jener Literaturschicht, die man der Aufzeichnung für wert erachtete. Wie lebendig diese unterste literarische Schicht war, zeigt nicht nur die lange Lebensdauer der Ballade, sondern auch die Tatsache, daß es noch im 17. Jahrhundert in Bayern verboten war, sie zu singen, offenbar weil man das Lied als Kritik am Haus Wittelsbach verstanden hat.1 Als Carl Orff 1944/45, in der Stunde der Erneuerung eines bayerischen Sonderbewußtseins, daran ging, die Geschichte der Bernauerin in altbairischer Sprache fürs Musiktheater zu bearbeiten, benutzte er als Zeit- und Lokalkolorit eine Reihe von Kleindichtungen aus Augsburger Handschriften des 15. Jahrhunderts. In der Stube des alten Bernauer läßt Orff die Badegäste allerlei derbe oder zotige Sprüche singen: Es baden am Montag die Trunknen, Am Aftermontag die Reichen . . .
Oder:
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Ein Haupt vom Böhmerland, zwo weiche Ärmlin von Brabant, ein Brust von Polland her, von Kernten zwo Tittlin ragend als ein Speer . . .
Zartere Töne schlägt dann der Vierzeiler an, den die Bernauerin in der Nacht vor ihrer Gefangennahme singt und durch angstvolle Gebete unterbricht: Deutsche * Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 56 (1982), S. 386–406. 1
Vgl. Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien, hg. vom Deutschen Volksliedarchiv, Bd. 3, hg. von John Meier, Berlin 1954, S. 204.
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Hab ich Lieb, so hab ich Not . . .
Umso unzarter ist dann wieder die Schimpfwörterflut, die die Hexen während der Hinrichtung gegen die Bernauerin herauszischen (sie geht zurück auf zwei nach dem Alphabet angeordnete Scheltkataloge gegen eine Frau): Abgrittne, abgfeimte, bübische Böswichtin. Z’rissne, durchtriebne, grundlos, hurisch, inbrünstinge Kotz.2
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Orff hat fast alle diese Sprüche aus dem sogenannten ›Liederbuch der Clara Hätzlerin‹ bezogen, einer Sammelhandschrift, die keineswegs nur Lieder enthält, geschrieben 1470/71 von der Augsburger Berufsschreiberin Clara Hätzlerin für den Augsburger Bürger Jörg Roggenburg.3 Nur eines der von Orff benutzten Stücke findet sich dort nicht; es steht aber in drei anderen Augsburger Sammelhandschriften, im Cgm 270 von 1464, im Cgm 379, der u. a. das ›Augsburger Liederbuch‹ von 1454 enthält und im cod. b IV 3 der Stiftsbibliothek St. Peter, Salzburg, vom Ende des 15. Jahrhunderts.4 Innerhalb von Sammelhandschriften dieses Typs bilden Kleinstdichtungen wie die zitierten, Sprüche, Witze, Futilitates und Rätsel, so etwas wie eine unterste des Papiers für wert befundene Literaturschicht. Das darf freilich nicht soziologisch verstanden werden, als stammten sie aus den Unterschichten der Gesell2
Zitiert nach: Carl Orff, Bairisches Welttheater: Die Bernauerin, Astutuli, Comoedia de Christi resurrectione, Wiesbaden 1957, S. 9, 11, 46 f., 51ff. 3 Liederbuch der Clara Hätzlerin, hg. von Carl Haltaus, Quedlinburg/Leipzig 1840 (Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur 8); Neudruck mit einem Nachwort von Hanns Fischer, Berlin 1966. Vgl. Ingeborg Glier, Hätzlerin, Klara, in: 2VL, Bd. 3, 1981, Sp. 547–549. 4 Orff (wie Anm. 2), S. 11 (»Ein Ei, ein Mundvoll . . .«), vgl. Cgm 270, 203v, Cgm 379, 95r, St. Peter b IV 3, 95r. Die beiden Münchener Handschriften sind zuletzt – mit Hinweisen auf die ältere Literatur – beschrieben von Karin Schneider, Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München, Cgm 201–350, Wiesbaden 1970, S. 189–208, und Cgm 351–500, Wiesbaden 1973, S. 96–115; vgl. auch Michael Curschmann, ›Augsburger Liederbuch‹, in: 2VL, Bd. 1, 1978, Sp. 521–523. Zur Salzburger Handschrift siehe Gerold Hayer, Die deutschen Handschriften des Mittelalters der Erzabtei St. Peter zu Salzburg. Unter Mitarbeit von Dagmar Kratochwill, Annemarie Mühlböck und Peter Wind, Wien 1982 (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Phil-hist. Kl., Denkschriften 154 = Veröffentlichungen der Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters III, 1), S. 212–220. Orffs unmittelbare Quellen waren die Ausgabe von Haltaus und Schmellers Bayerisches Wörterbuch, vgl. Carl Orff, Bairisches Welttheater, Tutzing 1980 (Carl Orff und sein Werk 6), S. 17 f. Carl Orff kann mein Dank für liebenswürdige Auskunft nicht mehr erreichen.
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schaft wie vielleicht die Volksballade von der Bernauerin; schon die Anordnung nach dem Alphabet zeigt in einem Fall die schriftliterarische Herkunft. Zur untersten Schicht gehören sie lediglich ihrem geringen literarischen (und moralischen) Anspruch nach, als bunt gemischte Pointentexte für flüchtige Unterhaltung, mehr zufällig eingestreut und nur gelegentlich zu kleinen Gruppen zusammengestellt. Im Liederbuch der Hätzlerin zeigt sich das auch äußerlich; dieser Kleinkram steht größtenteils auf den ersten Blättern vor und kurz nach dem Register, also außerhalb der eigentlichen Sammlung. Den Hauptinhalt der drei genannten Sammelhandschriften bilden Reimpaargedichte kleineren und mittleren Umfangs, Mären, Minnereden und andere Reimpaarsprüche. Der Cgm 379 und die Handschrift der Hätzlerin enthalten außerdem mehr oder weniger geschlossene Sammlungen von Liedern ohne Melodieaufzeichnung. Prosa fehlt nicht ganz, tritt aber völlig zurück, noch seltener ist Lateinisches. Es handelt sich um einen im Spätmittelalter beliebten Handschriftentypus. Buchgeschichtlich bemerkenswert ist die Tatsache, daß solche Sammlungen vielfach miteinander verwandt sind. So hat der Cgm 270 neunzehn Stücke mit dem Cgm 379 gemeinsam und zwar in gleicher, wenn auch durch Einschübe unterbrochener Reihenfolge. Noch enger sind die Beziehungen zwischen dem Cgm 379 und der Handschrift Salzburg, St. Peter b IV 3. Die Parallelen lassen hinter den erhaltenen Handschriften einen Sammel- und Abschreibbetrieb sichtbar werden, der in jener Zeit gewiß schon Züge einer gewerbsmäßigen Buchproduktion trug, vielleicht schon Handschriften oder einzelne Faszikel auf Vorrat zum Verkauf herstellte. Andererseits hatte der Auftraggeber oder, wenn man zum Eigengebrauch abschrieb, der Schreiber durchaus die Möglichkeit, aus seiner Vorlage nach eigenem Geschmack auszuwählen und sie aus anderen Quellen zu ergänzen. So beginnt der Cgm 270, der für den ostschwäbischen Landbesitzer, Burgpfleger und Augsburger Bürger Wilhelm von Zeil angelegt wurde, geradezu programmatisch mit zwei Wilhelms-Texten, der gereimten Liebeserzählung ›Wilhalm von Orlens‹ (Kurzfassung nach dem Roman des Rudolf von Ems) und der Prosalegende des Heiligen Wilhelm von Aquitanien: eine Art literarischer Besitzereintrag, der höfische und religiöse Dimensionen des eigenen Namens und damit der eigenen Rolle andeutet.5 Mit der Bevorzugung von kleineren Reimpaargedichten und Liedern6 – im Gegensatz etwa zu Sammlungen von Sachprosa oder geistlicher Erbauungsliteratur, im Gegensatz auch zu jeder Art literarischer Großform – wurde nun durchaus eine bestimmte laikale Kulturtradition rezipiert: Form und ›kürzerer Atem‹ mögen noch von der alten Inszenierungsweise des Vortrags geprägt sein, 5
Arend Mihm, Überlieferung und Verbreitung der Märendichtung im Spätmittelalter, Heidelberg 1967 (Germ. Bibl., 3. Reihe), S. 111f. 6 [Zur Augsburger Liedüberlieferung vgl. jetzt den umfassenden Überblick von Johannes Rettelbach, Lied und Liederbuch im spätmittelalterlichen Augsburg, in: Literarisches Leben in Augsburg während des 15. Jahrhunderts, hg. von Johannes Janota und Werner Williams-Krapp, Tübingen 1995, S. 281–307.]
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auch wenn für die Sammler zweifellos bereits schriftliche Rezeption dominierte.7 Aber so sehr der Formtypus den Denkstil prägte, so sehr in der traditionellen Form auch traditionelle Inhalte transportiert wurden, als ganze scheinen die meisten Sammlungen dieses Typs keine spezifische Thematik zu besitzen: Schwänke stehen neben Minnereden und moralischen oder geistlichen Reimpaarsprüchen, Derbes neben Höfischem, Spielerisches neben Politischem und Medizinischem, Frauenpreis neben Weiberschelte. Gewiß akzentuiert jede Sammlung etwas anderes, aber ein thematisches Sammelprogramm ist kaum zu entdecken. Das stellt die Gebrauchsfunktion, die Nützlichkeit all dieser Texte keineswegs in Frage; gerade in ihrer Verschiedenartigkeit boten sie einen Vorrat von Denkmodellen, Beispielen, Formulierungsangeboten und entlastender Komik für die verschiedensten Lebenslagen. Um so mehr aber verdient es Beachtung, wenn in diesem literarischen Umkreis dann doch einmal ein konsequentes thematisches Sammelprogramm zu erkennen ist. Das scheint mir in der Sammlung der Hätzlerin der Fall zu sein, freilich nicht in der erhaltenen Handschrift selbst, sondern in einer rekonstruierbaren Vorstufe.
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Es ist seit langem bekannt, daß ein großer Teil der Texte, die die HätzlerinHandschrift H enthält, auch von zwei jüngeren Handschriften überliefert wird, den Handschriften B und E.8 126 Reimpaargedichte und Lieder erscheinen, von einer unbedeutenden Umstellung abgesehen, in allen drei Handschriften in derselben Folge. Nur wird in H an manchen Stellen die kontinuierliche Folge durch zusätzliche Texte unterbrochen. Seit kurzem läßt sich das in der DissertaŠtion von Hans-Dieter Mück gut überblicken.9 Über das Verwandtschaftsverhältnis der drei Handschriften hat es verschiedene Meinungen gegeben. Die Argumentation 7
Vgl. Hugo Kuhn, Versuch über das 15. Jahrhundert in der deutschen Literatur, in: H. K., Entwürfe zu einer Literatursystematik des Spätmittelalters, Tübingen 1980, S. 77–101, hier S. 87: »Ist das noch eine Inszenierungsform?« Ich meine, man kann die Frage in dem hier formulierten Sinn bejahen. Von der Frage nach den Inszenierungsmöglichkeiten aus läßt sich auch am einfachsten der Abstand von den vorher erwähnten Kleinstformen fassen: anders als Reimpaarreden sind Vier- und Achtzeiler nicht so sehr für eigentlichen Vortrag als für spontaneren mündlichen Gebrauch geeignet. 8 B = Die verschollene Handschrift Ludwig Bechsteins, geschrieben 1512, vgl. zuletzt Hans-Dieter Mück, Untersuchungen zur Überlieferung und Rezeption spätmittelalterlicher Lieder und Spruchgedichte im 15. und 16. Jahrhundert: Die »Streuüberlieferung« von Liedern und Reimpaarrede Oswalds von Wolkenstein, Bd. 1 Untersuchungen, Göppingen 1980 (GAG 263), S. 74–99 [jetzt in Halle wiedergefunden, künftig in Leipzig, s. Nachtrag S. 415]; E = Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 488 (2r–257r), geschrieben 1530 von Martin Ebenreutter in Würzburg, vgl. zuletzt Mück, S. 113–140. 9 Mück (wie Anm. 8), S. 88–108. Den Nummern der Ausgabe von Haltaus, die die Folge der zwei »Abteilungen« gegenüber der Handschrift vertauscht hat, entsprechen folgende Nummern von B und E:
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wird dadurch erschwert, daß die Handschrift B seit 1885 verschollen ist und die von Haltaus mitgeteilten Lesarten unzuverlässig sind. Für E aber glaube ich immerhin ausschließen zu können, daß es direkt oder indirekt aus H abstammt: es enthält bessere Lesarten, die nicht als sekundäre Verbesserungen zu verstehen sind.10 Daher kann E zur Rekonstruktion der Vorlage von H herangezogen werden. Am wahrscheinlichsten ist nach wie vor Geuthers Stemma,11 nach dem B und E über eine gemeinsame Vorstufe b auf eine Sammlung X zurückgehen, von der andererseits, wohl über eine Zwischenstufe y, auch H abstammt. Mit ihm stimmt im wesentlichen auch das Entwicklungsschema von Mück12 überein. [Untersuchungen an der wiedergefundenen Handschrift B (s. Nachtrag S. 415) liefern jetzt Argumente dafür, daß E direkt aus B kopiert wurde.] Die Vorstufe X läßt sich zeitlich eingrenzen durch ein allen drei Handschriften gemeinsames Neujahrsgedicht auf 1447 einerseits und die Entstehungszeit der Hätzlerin-Handschrift 1470/71 andererseits. Da die Hätzlerin die Sammlung X ziemlich sicher nicht selbst erweitert hat (mit Ausnahme vielleicht jener Kleinstdichtungen im Registerteil), sondern eine bereits erweiterte Sammlung nur kopiert hat, wird man, um für eine oder mehrere Erweiterungen Zeit zu lassen, X eher in der ersten Hälfte dieses Zeitraums ansiedeln.13 Die Sammlung X hat mindestens die 126 Texte des gemeinsamen Bestandes umfaßt. Ob der MehrbeŠstand von H eine Erweiterung darstellt oder ob B und E eine noch umfangreichere Vorstufe gekürzt haben, läßt sich nicht a priori entscheiden. Für einzelne Texte des Mehrbestands von H konnte Mück jüngere Entstehungszeiten wahrscheinlich machen. Aber selbst wenn alle seine zeitlichen Ansätze richtig sein sollten, wären damit nur einzelne Texte als Zusätze in H erwiesen. Wir Haltaus II,
I,
10
11 12 13
1– 19– 22– 42– 56–
18 21 40 49 60
1– 14 14a– 16
= BE
21 3 40 48 53
I
54– 67 68– 70
G
4– 1– 22– 41– 49–
Minnereden
Tagelieder
44– 87 71–114 G Liebeslieder 91–109 115–126 So z. B. Haltaus/Fischer (wie Anm. 3), II, 63 Zeilenfolge 17, 18, 16, wie vom Reimschema gefordert (Korn); II, 64 Z. 11 zartt (: Gart) E; II, 66 nach Z. 3 die vom Strophenschema geforderte zusätzliche Zeile das ist nit wild; II, 87 vor der letzten Zeile die vom Strophenschema geforderte zusätzliche Zeile mein hertz freud sich in liebenn schein. Bis auf die erste, die möglicherweise nur übersehen ist, werden alle diese Lesarten von Haltaus auch ausdrücklich für B bezeugt. Karl Geuther, Studien zum Liederbuch der Klara Hätzlerin, Halle 1899, S. 23. Mück (wie Anm. 8), S. 108. Die sehr präzisen Datierungen Mücks übernehme ich bewußt nicht, da sie mir nicht beweisbar scheinen. So könnte der Neujahrsgruß auf 1448 durchaus in X gestanden haben und in BE nur versehentlich ausgelassen worden sein.
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werden nicht ausschließen können, daß B und E das eine oder andere Stück von X ausgelassen haben. Insgesamt aber haben sie die Sammlung X besser bewahrt als H. Das wird evident, wenn man ihren Bestand inhaltlich und stilistisch analysiert: Die 126 Texte des gemeinsamen Bestands, die B und E als geschlossenes Corpus bieten, sind eine mit ungewöhnlicher Konsequenz angelegte Sammlung von Texten zum Thema Liebe. Der Mehrbestand von H bringt zwar einige weitere Texte dieses Typus, darüber hinaus aber auch ganz andersartiges Material. Daß H eine programmatische Sammlung unprogrammatisch erweitert hat, ist plausibler, als daß B und E eine fast schon programmatische Sammlung mit dem Bestand von H programmatisch gekürzt hätten. Daher gehe ich davon aus, daß der gemeinsame Bestand der drei Handschriften im wesentlichen dem Bestand ihrer gemeinsamen Quelle X entspricht. Diese Quelle von ca. 126 Texten war ein Minnebuch von ungewöhnlichen Dimensionen und ungewöhnlicher Konsequenz. Es lohnt sich, diese Sammlung etwas genauer zu betrachten. Denn die Liebe höfischer Tradition, die in all den anderen Sammlungen immer nur in einzelnen Texten als ein Element unter anderen präsent ist, ohne daß ihr Stellenwert expliziert würde, ist hier so sehr zum Programm erhoben, daß sich die Frage, was diese Liebesauffassung dem 15. Jahrhundert bedeutet hat, hier anders und dringlicher stellt als sonst.
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Das alte Minnebuch war dreigeteilt. Der erste, umfangreichste Teil der erschließbaren Sammlung umfaßt 53 Texte, nahezu ausschließlich Minnereden in Reimpaarversen. Großformen sind ausgeschlossen, aus der ›Minneburg‹ ist nur ein Abschnitt von 242 Versen ausgewählt (II,25); der längste Text (II,14) umfaßt 606 Verse, die beiden kürzesten 36 Verse (II,31.32; II,26 mit 18 Versen ist auch sonst eine Ausnahme). Fast alle Texte sind anonym; von den wenigen, deren Verfasser uns aus anderer Überlieferung bekannt sind, zeigt keiner den Namen in der Überschrift und nur zwei haben die Verfassersignatur im Text bewahrt (II,28.43). Ihrem Inhalt nach handeln fast alle Texte von der Minne höfischer Tradition. Ehre, Treue, Tugend sind in dieser Tradition die Grundlage der Liebe, die Erotik ist zur sittlichen Kunst mit eigenem, kaum noch problematisiertem Wertekanon geworden. Nur selten und mehr am Rande wird erotische Faszination oder sexuelles Verlangen überhaupt etwas deutlicher artikuliert (etwa II,5, 254–285, und II,27), selbst Schönheitspreis kommt kaum vor. Liebe um Geld und Liebe unterhalb des Standes werden, wenn überhaupt erwähnt, dezidiert abgewiesen (II,18.56). Der Ton der Klage, der Sehnsucht und des TrennungsŠschmerzes überwiegt zwar den Ton der liebesgewissen Freude bei weitem, dennoch ist diese Liebesauffassung im Grunde optimistisch: Liebe fördert die Tugend, und Tugend fördert die Liebe; bei richtigem Verhalten wird sich schließlich alles zum Guten wenden. Gefahr droht allenfalls von den claffern, aber auch von ihnen nur vorübergehend (II,59).
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Nur sieben Texte sind keine Minnereden im heute üblichen Sinn.14 Die meisten von ihnen fügen sich aber wenigstens mit einzelnen Zügen in den Zusammenhang: o
v
II, 12 Die Teichner-Rede Das die welt alles ding zu dem pösten verstat kann fast als Einleitung zu II,13 Wie die welt ains yeglichen spottet gelten: ein und dasselbe Thema
wird zuerst allgemein, dann unter dem Aspekt der Minne abgehandelt. II, 22 Was allerley pletter bedeüten bietet in Prosa das Material für eine Minnerede. II, 23 Der hertz spruch, das ›Herzmäre‹ Konrads von Würzburg, ist hier ein Exempel der lautterlichen Minne vergangener Zeiten. II, 26 Ain rättnuß, mit 18 Versen das mit Abstand kürzeste Gedicht dieses Teils der Sammlung, ist eingekleidet in einen Dialog zwischen einem gesell und einer frawen. Die Lösungen des zweiteiligen Rätsels dürften mit Liebe zu tun haben (6–13 ein Kind?, 15–17 die Ehe?). II, 42 Ain aubentewrliche rede vnd vellt von ainem zu dem andern, eine quodlibetartige Unsinnsrede, die mehrfach Minnedichtung ›zitiert‹ und im Stil einer Minnerede endet. II, 43 Was v¨bels ainem yeglichem vß Spil chomm von Peter Suchenwirt geht wenige Verse lang auf die Gefahren des Würfelspiels für die Frauen ein, bleibt aber im Ganzen am entschiedensten Ausnahme. II, 60 Ain krieg von dem Mayen vnd von dem Augst Mon: Der belauschte Rangstreit selbst nimmt nur gelegentlich auf schöne Frauen und Minne Bezug, doch werden am Ende die rainen frawen um die Entscheidung angerufen. Auffälligerweise stehen mehrere der gattungsfremden Stücke (II, 22.23.42.43.60) ganz in der Nähe von Stellen, an denen die fortlaufende Parallelität der drei Handschriften durch Mehrbestand bei der Hätzlerin oder durch eine kleine Umstellung unterbrochen ist. Das könnte darauf deuten, daß die erschlossene Vorstufe eine Handschrift war, in der eine noch strenger konzipierte Sammlung bereits in einem etwas weniger strengen Sinn erweitert war, etwa durch eingelegte Blätter und Lagen. Ähnliche Vermutungen haben sich mir im Liederteil aufgedrängt; mehr als vorsichtige Hypothesen sind hier freilich nicht am Platz.
Aber auch wenn man die wenigen Grenzfälle und Ausnahmen mitrechnet, bietet die Sammlung ein ungewöhnlich geschlossenes Bild. Selbstverständlich gibt es Unterschiede in Qualität und Stil. Doch so wenig wie niedere Minne finde ich bewußt niederen Stil (außer allenfalls in der Scherzrede II,42). Und auf der anderen Seite fehlen weitgehend gelehrter Aufputz und die betont anspruchsvollen und schwierigen Varianten des geblümten Stils (am ehesten II,25, der ›Minneburg‹-Ausschnitt). Die Einkleidungsmittel sind konventionell: SpazierŠgang, Traum, belauschtes Gespräch, Allegorie (meist nur in einfacheren Formen), Lehre, Klage, Brief, Neujahrsgruß. Die ›Konzeption‹ der Sammlung, ihr »holdes Bescheiden« auf schönes Reden von der edlen Minne, zeigt sich vor allem in der Auswahl. Aber auch die Anordnung läßt teilweise eine gestaltende Hand erkennen. Im ersten Drittel der Sammlung gibt es z. B. eine geschlossene Reihe von korrespondierenden Paaren: 14
Vgl. Tilo Brandis, Mittelhochdeutsche, mittelniederdeutsche und mittelniederländische Minnereden, München 1968 (MTU 25); Ingeborg Glier, Artes amandi. Untersuchung zu Geschichte, Überlieferung und Typologie der deutschen Minnereden, München 1971 (MTU 34).
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402 II, 4.5 II, 6.7 II, 8.9 II, 10.11 II, 12.13 II, 14.15 II, 16.17
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Von ainem swären travmb ainer frawen – Von ainem lieplichen travmb ains gesellen Zwei Dialoge zwischen Liebhaber und Dame Zwei belauschte Streitgespräche zwischen Frauen Zwei Liebesbeteuerungen, zuerst von einer Frau und dann von einem Mann Das die welt alles ding zuo dem pösten verstavt – Wie die welt ains yeglichen spottet Zwei Allegorien: Von dem Schloß ymmer – Von der [Ordensregel] Harre Von plömlen delectar – Von manigerlay plümlen
Später verliert sich dieses paarige Ordnungsprinzip. Aber gelegentlich finden sich doch Ansätze zu thematischer Gruppenbildung: fünf Texte zur Farben-, Blumen- und Blätterallegorese (II,17. 19–22), drei über meiden und schaiden (II,30–32) und sieben (in H acht) Neujahrsgrüße auf die Jahre 1441 bis 1447 (bzw. 1448; II,34–41). Mit geradezu programmatischer Absicht aber scheinen mir die beiden ersten Minnereden an den Anfang der ganzen Sammlung gestellt zu sein.15 Das erste Gedicht (II,1) ist ein allgemeines Lob der Frau und eine Ermahnung, den Frauen nichts Böses nachzusagen. Das Besondere daran ist, daß es nicht nur innerhalb der Normen und Topoi der Minnetradition spricht, sondern den Bezug auf geistliche Normen und Traditionen sucht. Es beginnt mit der Erinnerung an die Frau als Krone der Schöpfung (Was gott ze fräden ye erdacht Das hatt er wunneclich volpracht An rainen säligen weiben), und es verheißt Christi und Marien Gnade und Hilfe nur dem, der die Frauen ehrt. Äußerungen dieser Art gibt es u. a. auch in der meisterlichen Sangspruchdichtung; aber im Gegensatz zu der dort vorherrŠschenden abstrakten Allgemeinheit der Frauenverehrung wird hier klar, daß es sich um Liebe einschließlich der Liebeserhörung handelt. Es wird sogar die Geschichte von Christus und der Ehebrecherin beigezogen: Christi Mahnung das sy es nymmer tätt wird korrekt, aber nur beiläufig zitiert, die Sünde der Juden aber wird nicht in ihrer Selbstgerechtigkeit gesehen, sondern darin, daß sie als claffer einer Frau Böses nachgesagt haben. 15
Ich setze dabei voraus, daß H in diesem Fall die alte Ordnung bewahrt hat. Die in BE vorangestellten Reden II, 19–21 mit den Farbendeutungen fügen sich thematisch besser an die Stelle, wo sie in H stehen (II, 17 und 22 haben ähnlichen Inhalt). Das könnte für sekundäre Umordnung in H sprechen. Aber ich glaube eher, daß II, 19–21 ein Nachtrag sind, der in H richtig, in BE am Rand eingeordnet ist. In der verschollenen Hs. B stehen diese drei Reden nämlich am Ende des 1. Teils der Handschrift nach der ›Mörin‹ Hermanns von Sachsenheim; der 2. Teil beginnt dann mit eigener Blattzählung mit II, 1. [Nicht die Blatt-, sondern die alte Lagenzählung setzt auf Bl. 138r bei II, 1 neu ein, vgl. Pfeil (wie Anm. 48), S. 225.] Möglicherweise kam den Sammlern nach vorläufigem Abschluß ein Faszikel in die Hände, der dieselbe Gedichtfolge enthielt wie Cgm 5919, 234v–256r: II, 19. 20. 21. 16. 17. 18. 1. Wenn die letzten vier Gedichte bereits aus anderen Quellen vorlagen, konnte man auch durch die Zusammensetzung der neuen Quelle dazu gebracht werden II, 19–21 entweder in der Nähe von II, 16–18 oder in der Nähe von II, 1 einzuschieben. Ein Programm-Sinn ist jedenfalls einer Anfangsposition von II, 19–21 nicht abzugewinnen.
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Das Gedicht ist weit verbreitet. Daß es sich als Anfangsgedicht einer Minneredensammlung eignet, hat aber außer unserem Sammler nur der des Heidelberger Cod. Pal. Germ. 393 erkannt. Ebenfalls weit verbreitet ist das zweite Gedicht. Unser Sammler scheint die beiden Texte aus verschiedenen Traditionen genommen und mit Bedacht nebeneinander an den Anfang gestellt zu haben. Denn das zweite Gedicht diskutiert mit anderen Mitteln das gleiche Problem, das im ersten angeklungen ist: das Verhältnis zwischen geistlicher Lebensnorm und o Minne-Tugend-Lehre: Das pulschafft nit sünd sey, ain hübsche peicht. Der Dichter belauscht die Beichte einer Frau. Als sie fertig ist, fragt der Priester: fraw tugenthafft, Pflegt ir kainer puo lschafft? Sy sprach: traun Herr, ia ich! Wie solt ich dauon peichten mich? Ich hab nye sünd damit beiagt!
Darauf entspinnt sich eine Disputation, in der die Frau den Priester überzeugt, o das pulschaft nur Gutes wirkt, indem sie zu guten, insbesondere auch ritterlichen Taten anspornt. Nachdem sich der Priester hat überzeugen lassen, geht das Gespräch weiter, nun aber über Fragen des richtigen Verhaltens in der Liebe, über das richtige Maß von Entgegenkommen und Forderung, von Vorsicht und Vertrauen. Das heißt: man spricht nur noch über die immanenten Verhaltensnormen, nachdem die Anerkennung durch die geistliche Norm und zugleich die Ausgrenzung aus ihr geglückt zu sein scheint – und sei es auch nur augenzwinkernd im literarischen Spiel. In diesem anerkannten und ausgegrenzten Spiel-Raum bewegt sich dann das ganze Minnebuch.
* Als zweiter Teil unseres erschlossenen Minnebuchs folgen 17 Tagelieder. In H schließen sich noch 11 weitere Tagelieder an, von denen manche noch gut ins Konzept passen würden; doch halte ich sie eher für eine sekundäre Erweiterung, angeregt durch den ungewöhnlichen Sammelgedanken.16 Siebzehn Tagelieder und Tageliedvariationen – eine solche Sammlung ist einmalig in der deutschen Liedüberlieferung. Wohl gab es einzelne Autoren, die eine gewisse Vorliebe für das Tagelied hatten oder bei denen das Tagelied sogar zur fast ausschließlichen Liedgattung wurde, aber ein besonderes Sammelobjekt war diese Gattung sonst nicht. Gerade im mittleren und späteren 15. Jahrhundert waren Tagelieder nicht einmal besonders verbreitet; mehrere Liebesliedersammlungen dieser Zeit enthalten kein einziges,17 die übrigen nur eins oder einige 16
17
Keinesfalls möchte ich dem alten Minnebuch zutrauen I, 21 (Ain tagweis von lewsen) und I, 26 (geistliches Wecklied Peters von Arberg). Berliner (niederrheinische) Liederhandschrift Ms. germ. fol. 922, Liedersammlung des Jakob Käbitz (Cgm 811), Fichards Liederbuch. Das Liederbuch Hartmann Schedels (Cgm 810) enthält nur eine Textmarke Wach auf Keterlin.
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wenige. Welches besondere Interesse der Sammler gerade an dieser Gattung gehabt haben mag, ist kaum zu erraten. Zumindest aber fügt sich die spezifische Ausprägung der Gattung, die hier vorliegt, gut ins Konzept der Sammlung. Das erste Lied (I,1), sicher mit Bedacht an den Anfang gerückt, ist ein fast klassisches Tagelied von hohem formalen Anspruch. Es zeigt den kompliziertesten Strophenbau der ganzen Sammlung: eine umfangreiche Kanzone mit vielen Schlagreimen und mit Reimbindungen zwischen den Strophenteilen.18 Die Diktion ist gewandt, aber weitgehend frei von ›meisterlichen‹ Ambitionen wie gesuchten Bildern und Blümung. Mit drei Kanzonenstrophen, drei Rollen und Konzentration auf Wächterruf mit Naturschilderung, Klage und Abschied entspricht das Lied noch weitgehend dem Grundtypus des Tagelieds im 13. Jahrhundert. Von einem gewissen formalen Anspruch, aber im Typus des Strophenbaus nicht ganz vergleichbar sind noch zwei oder drei weitere Lieder (I,3.8, mit Einschränkungen auch I,4).19 Den Hauptbestand der Sammlung aber bilden Lieder eines anspruchloseren Typus; sie sind charakterisiert durch besonders formelhafte Diktion, einfacheren, öfters nichtkanzonenförmigen Strophenbau und höhere Strophenzahl. Zweimal ist die Morolf- oder Lindenschmidtstrophe vertreten (I,6.9), dreimal die verbreitete neunzeilige Strophe, die später nach dem berühmten Lied von Dole benannt wird (I,11.14.14a),20 einmal eine Strophe aus Langzeilenpaaren mit Schlußwaise (I,15), lauter Formen, die offenbar nicht als individuelle Leistungen gewertet werden wollen, sondern in mündlichen Traditionen, ganz besonders für erzählende Lieder, bereitlagen. In dieser Gruppe wird die Konzentration auf die Schilderung der einen Situation Š von Weckruf bis Abschied nur zweimal eingehalten (I, 12.14). Meist aber wird das Grundschema erweitert und verändert. Einerseits ist die Grenze zum Sehnsuchtslied ganz fließend geworden. Die Abschiedsklage kann Motive des Sehnsuchtslieds enthalten (I, 14a), die Tageliedszene wird vom Liebhaber selbst erzählt (I,2), oder Tageliedmotivik wird nur zur Inszenierung der Sehnsuchtsklage benutzt (I,5.7.10). Andererseits macht sich ein neuer, fast balladenhafter Erzählton breit (besonders 18
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Jeweils 31 Zeilen der Ausgabe bilden eine Strophe. Die Reimbindungen zwischen den Strophenteilen sind 7 : 11 : 18 : 22 : 31 (in der 1. Strophe wäre in Zeile 18 statt verste H, versta E, verstoer B (nach Haltaus) wohl zu konjizieren erwach ›erwecke‹. [Die Konjektur ist nicht zu halten, da erwachen nicht in dieser Bedeutung belegt ist. Ein Reim auf -ach wäre zwar zu erwarten, aber bewach oder verwach passen semantisch nicht. So halte ich es nicht für ausgeschlossen, daß die semantisch passende Lesart von B verstör im Schlagreim auf hör ursprünglich ist. Der Text erlaubt sich auch sonst manche Freiheiten gegenüber dem artifiziellen Schema.] Die vor allem in der 3. Strophe entstellte Form von I, 8 ist wohl so zu deuten: 3a 4b 4c 3c 4b 4a 2K 3d– 3e 5d– 3e 4f 4f 3g– 4h 4h 3g– 5g–. [Schema von I,3: 4a 4a 5b– 4c 4c 5b– 4d 3e– 4d 3e– 4f 4f 4f 5g– 4h 4h 2h 5g–. Schema von I,4: 4a 3b– 4a 4a 3b– 4c 3d– 4c 4c 3d– 3e– 4f 3e– 4f.] Zur Verbreitung dieses Tones vgl. Michael Curschmann, Texte und Melodien zur Wirkungsgeschichte eines spätmittelalterlichen Liedes (Hans Heselloher: ›Von üppiglichen dingen‹), Bern 1970 (Altdeutsche Übungstexte 20), S. 123f.
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I, 6.9.11.15.16). Die strenge Beschränktheit des Haupttypus wurde beim Tagelied von Anfang an von Varianten umspielt; aber hier ist die Variationsfülle noch breiter und droht das Zentrum zu überwuchern. In Vorstellungsweisen und Ethos sind beide Typen von Tageliedern dieser Sammlung in hohem Maße noch vom alten Typus bestimmt;21 und die wörtliche oder fast wörtliche Übereinstimmung von Einzelformulierungen zeigt,22 wenn nicht sogar Kenntnis von bestimmten alten Texten, so doch mindestens die Kontinuität der Gattungstradition. Trotzdem hat sich mehr geändert als der Stil. Da ist zunächst eine kaum merkliche, aber doch aufschlußreiche Verschiebung der Rollen. In jenem anspruchsvollen und besonders konservativen Anfangsstück nennt der Wächter die Frau ganz gegen den früheren Usus maget und diern. Auch in den übrigen Liedern ist maget und fräwelein häufiger als fraw. In den Tageliedern des 13. Jahrhunderts dagegen heißt die Frau, soviel ich sehe, ausschließlich wıˆp oder vrouwe, nie maget; diern steht nur im dörperlichen Tagelied Steinmars. So selten die Gattung eine Konkretisierung der Verhältnisse und der dem Paar drohenden Gefahr zuläßt, scheint mir doch, daß im 13. Jahrhundert eher eine Ehebruchssituation, im 15. Jahrhundert dagegen meist eine voreheliche Liebesbeziehung vorausgesetzt war – gewiß eine Entschärfung möglicher Konflikte zwischen Liebe und geistlichen und gesellschaftlichen Normen. Die Rolle des Mannes andererseits wird teils durch Icherzählung oder Sehnsuchtsklage subjektiviert, teils entschiedener als im 13. Jahrhundert in die Distanz der Fiktionalität gerückt, die entweder archaisiert (held), oder den Balladenton anschlägt (knab, gesell).23 Geändert hat sich wohl auch der Stellenwert des Tagelieds. Im 13. Jahrhundert waren die Tageliedvariationen noch klar erkennbare Abweichungen gegenüber einem durchaus dominanten Grundtyp und waren mit diesem beziehbar auf eine differenzierte Minnediskussion, die nahezu die gesamte volkssprachliŠche Dichtung durchzog; und in dieser Diskussion hatte die Tageliedliebe ebenso ihren klar umrissenen Platz wie die hohe Minne Reinmars, die Mädchen-Traumliebe Walthers, die Eheminne der Artusromane und die Lancelot- oder Tristanminne. Im 15. Jahrhundert aber waren die Grenzen der minnetheoretischen Positionen gerade durch die jahrhundertelangen Variationsspiele unscharf geworden, alles war in die eine höfische Minnetradition eingemündet, die ihrerseits nur noch eine Sondertradition in der viel breiter gewordenen volkssprachlichen Literatur bildete. Das betroffene Fragen nach dem höchsten irdischen Wert war damit zur 21
22
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Vgl. Horst Dieter Schlosser, Untersuchungen zum sog. lyrischen Teil des Liederbuches der Klara Hätzlerin, Diss. Hamburg 1965, S. 71 ff. Die Ausnahmen bei Schlosser gehören nicht zum Bestand von X, außer I, 13 (zu diesem vgl. unten). Schlosser (wie Anm. 21), S. 71, 77, 79–83; vgl. ferner I, 9 Anfang und Zeile 18 mit Günther von dem Vorste V. In Tageliedern des 13. Jahrhunderts wird gesell strikt auf die Liebesbeziehung bezogen (ir gesell), in der Sammlung wie im 15. Jahrhundert allgemein dagegen auch absolut gebraucht (ein gesell).
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Pflege einer besonderen sittlich-ästhetischen Tradition geworden. Was Minneauffassung und Ethos betrifft, waren jetzt die Grenzen vom Tagelied zur Minnerede (Teil I der Sammlung) wie zum subjektiven Liebeslied (Teil III) leicht übersteigbar.24 Die klare Trennung der drei Teile ist nur noch eine Scheidung der Formen und Darstellungsweisen derselben Sache. Das Programmatische der Sammlung liegt weniger in der gelungenen Binnengliederung als in der sauberen Aussonderung der einen Tradition der edlen Minne aus dem gesamten vielseitigen Literaturvorrat. Bezeichnenderweise sind einige Tageliedvariationen, die im 15. Jahrhundert sehr nahelagen, nicht in die Sammlung aufgenommen worden. Es fehlt vor allem das geistliche Wächterlied, das als Typ im 15. Jahrhundert wohl breiter belegt ist als das weltliche Tagelied.25 Es fehlen Tageliedparodien26 und novellistische Pointierung des Erzählens.27 Vor allem aber fehlt die Transposition der Tageliedsituation in niederes soziales Milieu, wie sie nach Steinmar, dem Mönch von Salzburg und Oswald von Wolkenstein im grobianisch-dörperlichen wie im bukolisch-bäuerlichen Sinn nahelag. Es gibt ein einziges Lied, in dem ein Mädchen niederen Standes vorkommt: I, 13. Ein poetisches Ich reitet aus, begegnet einem stoltzen diernlin raine und wirbt um ihre Liebe. Sie schlägt die Bitte ab und geht nach Hause. Der Liebhaber wartet die Nacht über unter freiem Himmel darauf, daß sie am Morgen wiederkäme, um Gras zu holen. Das ungeduldige Warten auf den Morgen ist die Umkehrung des typischen Tagelied-Erschreckens über den zu früh anbrechenden Tag. Tatsächlich kommt das Mädchen am Morgen in einem weissen hembdlin vein, der Liebhaber umarmt sie und bittet um einen Kranz aus habmichlieb und o wolgemut. Sie aber bietet ihm stattdessen einen Kranz aus triu und unvergessen an; wenn er den willig trage, würden auch die von ihm gewünschten Š Blumen blühen, denn nur mit stätt sei sie zu gewinnen. Wenn er ihr aber treu diene, werde sie seine Wünsche erfüllen – vnd wärs den claffern laid. Jetzt aber müsse sie gehen, sonst merke es ihre Mutter. Selbstverständlich geht der Liebhaber, das poetische Ich, auf diese Bedingungen ein, wiewol es ihm pringt schmertzen, und er wünscht der graserin, seinem höchsten hail, zum Schluß Gottes Segen. Das Lied enthält nicht nur eine Tageliedumkehrung, sondern es ist zugleich eine Anti-Pastourelle. Die Begegnung des Reiters mit der Graserin evoziert den Typus der flüchtigen, von ethischen Implikationen nicht belasteten Liebesbegeg24
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Das gilt auch umgekehrt: im Minneredenteil finden sich erinnerte Tageliedsituationen (II, 30, 13–37; II, 31, 20–25) und Anklänge ans ›einsame Tagelied‹ (II, 5; II, 27). [Vgl. jetzt Andre´ Schnyder, Das geistliche Tagelied des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Textsammlung, Kommentar und Umrisse einer Gattungsgeschichte, Tübingen/Basel 2004 (Bibliotheca Germanica 45).] Z. B. Ain tagweis von lewsen I, 21 im Sondergut von H. Z. B. Das Königsteiner Liederbuch. Ms. germ. qu. 719 Berlin, hg. von Paul Sappler, München 1970 (MTU 29), Nr. 5: Der verspätet in Frauenkleidern heimkehrende Liebhaber erregt das Liebesbegehren des Vaters. Im Ansatz schon Ulrich von Liechtenstein XL: Der Liebhaber wird einen Tag lang versteckt.
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nung mit dem nicht standesgemäßen einfachen Mädchen; dieser Typus, diese Liebesauffassung, wird entschieden abgelehnt. Das Lied ist übrigens das einzige nicht anonyme Stück des Tagelied-Teils, ja vermutlich der einzige Text der ganzen Sammlung, dem der Sammler in einer Überschrift den Autornamen mitgegeben hat: Die Handschrift E bietet die Überschrift Ehennheym, die zweifellos aus der Vorstufe, der ursprünglichen Sammlung, stammt. Diese Sonderbehandlung könnte auf eine gewisse Nähe zwischen Autor und Sammler schließen lassen. Dazu würde passen, daß das Lied Kornreim aufweist, ein formales Merkmal, das im dritten Teil der Sammlung auf eine Autorengruppe im Umkreis des Sammlers deuten dürfte. Der Name Ehenheim weist den Autor mit einiger Wahrscheinlichkeit als Glied der landadeligen Familie Ehenheim aus, die in der Gegend von Dinkelsbühl, Rothenburg ob der Tauber und Kitzingen ansässig war und um 1440 durch Heirat des Ritters Georg von Ehenheim († 1464) mit einer Schenk von Geyern auch in die Gegend von Weißenburg-Gunzenhausen kam.28 Die Reime stehen dieser Zuordnung zumindest nicht im Wege. Unabhängig von der Frage nach der Nähe von Autor und Sammler darf das Lied Ehenheims mit seiner Ablehnung einer ethisch indifferenten, allzu leicht erringbaren Sinnenliebe als typisch für die ganze Sammlung gelten. In den Tageliedern dieser Sammlung geht es nicht um die Intensivierung des LiebeserŠlebens im Augenblick der Gefährdung und Trennung und schon gar nicht um die Möglichkeit, überhaupt Liebeserfüllung im Lied zu gestalten; sondern es geht um die Überwindung der Trennung und die Legitimation der in ihrer Ehre gefährdeten Liebe durch die gesellschaftlich anerkannte Tugend der Treue. Ehenheims Lied impliziert nun allerdings noch eine weitere soziale Problematik: es ist gerade das einfache Mädchen, das den Ritter zur Minnetugend oder Tugendminne erzieht. Das ist gewiß nicht als Programm einer stände-versöhnenden Liebe zu verstehen, die etwa auch eine Liaison wie die zwischen einem Herzog und einer Baderstochter ernsthaft zu rechtfertigen versuchte. Eher ist es 28
Vgl. Johann Gottfried Biedermann, Geschlechtsregister Der Reichsfrey unmittelbaren Ritterschaft Landes zu Franken Löblichen Orts an der Altmühl, Bayreuth 1748, Tab. CLXX–XII; Familien-Chronik des Ritters Michel von Ehenheim, hg. von Christian Meyer, Würzburg 1891; Otto Puchner, Zur Geschichte der Schenk von Geyern und ihres Territoriums, in: Archiv der Freiherrn Schenk von Geyern auf Schloß Syburg, bearb. von Karl Hannakam und Ludwig Veit, in: Bayer. Archivinventare 11 (1958), S. 1–15, bes. 7–9; für liebenswürdig gründliche Auskünfte danke ich Herrn Stadtarchivdirektor Dr. Blendinger, Augsburg. Die Familie Ehenheim war übrigens mehrfach mit den Herren von Grumbach verschwägert, deren Name in der Handschrift Martin Ebenreutters (E) genannt wird: 332r Ich Beuilchs Gott Als / Wilhelm Vonn Grumbach als Devise unter einem jüngeren Liebeslied im 2. Teil der Handschrift (261r–394v), der nicht aus unserer Sammlung X stammt (vgl. Geuther [wie Anm. 11], S. 8). Das könnte immerhin auf eine ähnliche Trägerschicht für derartige Texte noch ca. 80 Jahre nach der Sammlung X deuten. Vgl. auch die Widmung der Handschrift E an den Bischof Melchior Zobel von Würzburg (260r).
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eine im artistischen Gattungsspiel mehr nebenbei entstandene Utopie eines Freiraums der edlen Minne, eine Idylle des Minne-Tugendadels. Die anderen Lieder des Tageliedteils sind teils in ihrem Sprachgebrauch ständisch indifferent (gesell, knab, maget), meist aber weisen formelhafte Rollenbezeichnungen (ritter, fräwelein), Szenerie (Burg) oder Personal (Wächter als Diener, Zofe) traditionsgemäß auf adliges Milieu. Daraus auf den Stand der Autoren zu schließen, ist selbstverständlich unstatthaft. Wohl aber wird man sagen dürfen, daß ihr Standesbewußtsein eine Affinität zu höfisch-adligen Traditionen hatte, ohne daß eine Problematisierung dieser Traditionen erkennbar wäre. Nur um die Nuance eines spielerischen Antippens der Ständethematik unterscheidet sich das Lied des Ritters Ehenheim von den übrigen Tageliedern.
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Der dritte Teil der Sammlung enthält 56 Liebeslieder. Von diesen bieten die ersten 38 Nummern nach Formtypus und Motivik ein erstaunlich geschlossenes Bild: Liebeslieder in Ich-Form, alle in der Rolle des Mannes gedichtet. Es überwiegen Liebes- und Treuebekundungen an das Du der fraw, des fräweleins oder der maid, z. T. in Form von Neujahrswünschen;29 daneben sind vor allem Sehnsuchtsklagen vertreten. Natureingänge, in ausgeführterer Form oft ein Indiz für sinnliche Erotik,30 fehlen fast völlig, nur zwei Lieder zeigen sie in formelhaft reduzierter Gestalt als Hoffnung auf den Mai (I,44.67). Einmal wird eine laus membrorum gewagt, aber sie wird äußerst zurückhaltend durchgeführt (I,59). Ein paarmal werden die claffer genannt (I,44.45.47.80) oder eine Gefahr von der neidischen und klatschsüchtigen Welt angedeutet (I,57.63). Aber überwiegend scheint die Liebesbindung als gesellschaftlich nicht problematisch genommen zu werden. Trennung scheint nur ein vorübergehendes Hindernis zu sein, Abweisung durch die Geliebte bleibt die Ausnahme. Antithetische Variationen zur Liebestreue, Klagen über die Untreue der Geliebten, Absagen an die Geliebte oder gar Absagen an die Liebe zugunsten von Essen und Trinken, wie sie in der Schlußpartie vorkommen, fehlen in den ersten 38 Š Liedern völlig. Der Sprachstil, das Vokabular, der Motivschatz stehen in der Tradition, die mit den Liebesliedern des Mönchs von Salzburg31 einsetzt und zu den Hofweisen32 am Ende des Jahrhunderts führt, nur ist alles – zumindest im Vergleich zum Mönch – noch formelhafter. Fast alle Lieder sind dreistrophig, fast alle binden die Strophen irgendwie formal aneinander: über die Hälfte durch Kornreim (der höchste Pro29 30
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I, 51. 56. 64. 68. 69. 76, vgl. auch I, 70 über jar. Wolfgang Mohr, Die Natur im mittelalterlichen Liede, in: Geschichte, Deutung, Kritik, Festschr. Werner Kohlschmidt, Bern 1969, S. 45–63, bes. 48. [Vgl. jetzt im vorliegenden Band S. 67–95.] Horst Brunner, Das deutsche Liebeslied um 1400, in: Gesammelte Vorträge der 600Jahrfeier Oswalds von Wolkenstein Seis am Schlern 1977, hg. von Hans-Dieter Mück und Ulrich Müller, Göppingen 1978 (GAG 206), S. 105–146. Christoph Petzsch, Hofweisen, in: DVjs 33 (1959), S. 414–445.
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zentsatz von Kornreimen unter allen Liedersammlungen des 15. Jahrhunderts),33 neun Lieder durch Refrain,34 zwei durch Akrosticha35 und fünf durch Anapher, Glossierung oder ähnliche Wortbezüge.36 Nur 6 von diesen 38 Liedern sind auch anderweitig überliefert: eines stammt vom Mönch von Salzburg (I,45 = W 45), eines von Oswald von Wolkenstein (I, 79 = Kl. 88), vier stehen auch im ›Augsburger Liederbuch‹ des Cgm 379, das denselben Liedtypus kennt, aber weit weniger konsequent sammelt (I,53.58.77. 78). So beliebt der Typus um die Jahrhundertmitte gewesen zu sein scheint, eine derartige Fülle von auch formal ähnlich gebauten Liedern ist ungewöhnlich. Ich vermute, daß es sich um die Produkte eines engbegrenzten Kreises von literarisch gewandten Dilettanten handelt, die dem Sammler nahegestanden haben dürften. Zweifellos waren sie fürs Singen und Musizieren bestimmt; das Singen und Musizieren aber dürfte bei solcher thematischer Geschlossenheit nicht nur musikalischer Selbstzweck gewesen sein, sondern wenigstens gelegentlich konkret im Dienste des Hofierens gestanden haben, der musikalisch-literarischen Aufwartung, die zwischen ernsthafter Werbung und galanter Geste, jahreszeitlichem Brauchtum (etwa an Neujahr)37 und Verschönerung von Festen (etwa Verlobungen und Hochzeiten) mancherlei Nuancen gekannt haben dürfte. Aus dem übrigen Minnebuch wären am ehesten die Neujahrswünsche des Minneredenteils zu vergleichen.38 So führt die ganze Liedergruppe die Minnekonzeption der beiden Š ersten, mehr explizierend-fiktionalen Teile der Sammlung X konsequent in eine Gebrauchskunst aus gleichem Geist, vielleicht geradezu in ein Minnebrauchtum hinein fort. Einen Hinweis auf die soziale Schicht, in der diese Lieder entstanden, gibt ein Name, der im Akrostichon eines Liedes versteckt ist, zweifellos der Name eines Liebhabers und Dichters: Mertein Imhov. Das kurze Lied sei als Beispiel für den ganzen Typus vollständig zitiert:39 33
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I, 45. 47. 49. 50. 51. 54. 55. 59. 60. 62. 63 (entstellt, vgl. oben Anm. 9). 68. 69. 70. 72. 73. 74. 75. 76. 80, möglicherweise auch in dem entstellt überlieferten Lied I, 81. Der Refrain ist in I, 71 ausgeschrieben, sonst nicht als solcher markiert, steht aber in der Regel an der üblichen Stelle nach der ersten Strophe: I, 46. 48. 53. 57. 65. 73 (9–12). 78. Am Ende des ganzen Liedes steht er I, 69, möglicherweise auch I, 81. I, 51 Iohannes (bislang nicht bemerkt); I, 74 Mertein Imhov (entdeckt von Hanns Fischer, Nachwort zum Neudruck der Ausgabe). I, 47 Ainig-Will-Ich-Beleiben-Dein; I, 48 Allein-On-Allen-Zweifel-Dein; I, 50 Gesegen dich got; I, 60 Dein allain (vgl. Z. 13 und 24); I, 80 Erwelte-Ger-Traut. Vgl. Arne Holtorf, Neujahrswünsche im Liebesliede des ausgehenden Mittelalters. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des mittelalterlichen Neujahrsbrauchtums in Deutschland, Göppingen 1973 (GAG 20). Die in jenem Zyklus (II, 34–41) fast wie eine Signatur verwendete Aufforderung Halt vest findet sich auch in II, 32 und in dem Lied I, 50; da die Formel aber auch sonst vorkommt, sollte man außerhalb des Neujahrszyklus nicht auf Verfassereinheit schließen. Nach Haltaus (wie Anm. 3) I, 74 mit Verbesserung zweier Druckfehler und Hervorhebung des Akrostichons.
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Merck, liebstes lieb, ich bin der dein, Empfach mein dienst, nymm die für guo t, Recht tuo an mir, du liebste mein, Tugentlicher hordt, nach deinem muo t; Ewig dienst hast du von mir. Ja, wie du wilt, in triuen gar Nach deiner güt bin ich berait, v In lieb hast du mein hertz on far, Mit triuen auch in stättikait Hab ich mich gantz ergeben dir. O mynnecliche trösterin, Vnd aller tugent eren krantz, Was du gepewtst nach deinem synn, Geschehen sol mit triuen gantz Williclich nach deiner gir.
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Ohne Zweifel gehörte der Dichter zu der weitverbreiteten Sippe der Imhoffs, die aus Lauingen an der Donau stammte und im 15. Jahrhundert von Norditalien bis Norddeutschland, vor allem aber in den süddeutschen Städten verbreitet war und die in Ulm und Nürnberg zum Patriziat, in Augsburg zu den Mehrern der Gesellschaft (der Schicht unmittelbar unter dem Patriziat) gehörte.40 Der Name Martin scheint in der Familie Imhoff im 15. Jahrhundert nicht üblich gewesen zu sein. Um so größer ist meine Gewißheit, daß der einzige Martin Imhoff, den ich nachweisen kann, mit unserem Dichter identisch ist. Dieser ist – Š in derselben Schreibung Mertein – mehrfach in Oberfranken, besonders in Kulmbach, bezeugt. Sein Vater Johann Imhoff d. Ä. stammte wohl aus Nürnberg, stand als »Schreiber« in den Diensten der Burggrafen von Nürnberg und späteren Markgrafen von Brandenburg. Mertein muß nach 1408 geboren sein und ist erstmals 1436 mit Rechten an einem Haus in Kulmbach bezeugt. 1451 wird er nach dem Tod seines Vaters mit dessen Gütern belehnt. 1456 verkaufen er und Els, seine Hausfrau, ein geerbtes Flurstück an einen Kulmbacher Bürger; im gleichen Jahr erteilt ihm Markgraf Johann Schürfrechte für Gold und Silber in Goldkronach (Fichtelgebirge). 1458 erwirbt er für 600 Gulden die Nutzungsrechte an Hungenreuth, einem Eigenhof des Markgrafen Albrecht in der Nähe von Bayreuth, gleichzeitig ist er als Hausbesitzer in Kulmbach nachweisbar.41 Mag dieser Mer40
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Vgl. Adolf Layer, Die Imhof aus Lauingen im späten Mittelalter, in: Blätter des Bayerischen Landesvereins für Familienkunde 12 (1973–1975), S. 25–33; Christoph Frhr. von Imhoff, Die Imhoff – Handelsherren und Kunstliebhaber, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 62 (1975), S. 1–42; Raimund Eirich, Die Imhoff in den schwäbischen Städten im ausgehenden Mittelalter (o. J. [1976]). Herrn Dr. Freiherrn von Imhoff sowie den Damen und Herren in folgenden Archiven habe ich für freundliche Hilfe zu danken: Stadtarchiv Augsburg, Imhoff-Archiv im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, Staatsarchiv Nürnberg (besonders Dr. Machilek), Staatsarchiv Bamberg (besonders Dr. Wunschel), Stadtarchiv Ansbach. Wilhelm Lederer, Bürgerbuch der Stadt Kulmbach 1250–1769, Kulmbach 1967, S. 114; Wilhelm G. Neukam, Ein Gewerkbuch von Goldkronach aus den Jahren 1481/83, in:
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tein Imhoff auch vielleicht nicht ganz den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rang der Nürnberger und Augsburger Imhoffs gehabt haben, er muß doch sehr wohlhabend gewesen sein und gehörte in einer Stadt wie Kulmbach zweifellos zur obersten Schicht der Gesellschaft. Der einzige andere verwertbare Name der Sammlung, der des fränkischen Ritters Ehenheim, würde nicht schlecht dazu passen. Im Landadel und in der Oberschicht kleinerer Städte Frankens denke ich mir unser Minnebuch entstanden. Die Vorstellungen von der Liebe höfischer Tradition als moralisch positivem Freiraum der Emotionalität sind im 15. Jahrhundert überall präsent. Das Programmatische der Sammlung liegt in der Exklusivität, mit der Texte dieser Liebesauffassung gesammelt wurden. Der Sprung vom Literaturprogramm zum Lebensprogramm, also etwa von der thematischen Exklusivität der Sammlung zu einer angestrebten Exklusivität der gesellschaftlichen Lebensformen einer bestimmten Schicht, läßt sich methodisch nicht absichern. Aber als Vermutung möchte ich doch aussprechen, daß beides zusammenhängt, daß gerade in einer Schicht, die ihre Sonderstellung nicht völlig selbstverständlich besaß, wie im Landadel und in der städtischen Oberschicht, am ehesten das Bedürfnis entstehen konnte, eine Liebesdichtung, die sich auf altadlige Traditionen berufen durfte, mit besonderer Korrektheit zu pflegen. Das Wenige, was wir über die MinneKulturlandschaft des 15. Jahrhunderts wissen, scheint dem zumindest nicht zu widersprechen. An den großen Höfen war man entweder überhaupt an anderer Literatur interessiert, oder wenn man sich eine spezielle Minneredensammlung anfertigen ließ (wie die Heidelberger Pfalzgrafen den Š großen Cod. Pal. Germ. 313),42 so brauchte man gegenüber Abweichungen ins Derbe und Obszöne nicht so ängstlich zu sein; denn solche Freizügigkeiten konnten vielleicht geradezu die privilegierte Position verdeutlichen. Die allgemeine Literatursituation des 15. Jahrhunderts kurz vor und kurz nach der Erfindung des Buchdrucks war freilich in keiner Schicht einem exklusiven Sammeln günstig. Zu vieles war verfügbar, und zu wenig hatte man noch gelernt, gezielt auszuwählen und zu arrangieren. So hat auch unser Sammler sein Programm nicht bis in alle Einzelheiten durchgehalten. Schon im Minneredenteil war ihm das eine oder andere gattungsfremde Stück dazwischen geraten. Stärker weicht der Schluß des dritten Teils ab. Das 39. und das 40. Lied (I,82.83), die beide formal noch ganz dem Typus der vorangegangenen Lieder entsprechen und wohl aus dem gleichen Autorenkreis stammen, sind ein ironisches Liebeslied auf die widerwärtig Adelhait (womit ein bekannter Schwank von der bösen Frau zitiert wird) und eine Absage an die untreue Geliebte. Die weiteren Lieder der alten Sammlung, die wohl aus anderen Quellen stammen, möglicherweise auch
42
Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 44 (1953), S. 25–57, hier 29; Staatsarchiv Nürnberg, Ansbacher Gemeinbücher Bd. 4, 7r und 17r–18r; Staatsarchiv Bamberg, StB 6003, 138v und 146v; ebd. C 3, Nr. 2, S. 63; Brief von Dr. Wunschel, Staatsarchiv Bamberg, vom 16.4.1981. Vgl. Glier (wie Anm. 14), S. 365f.
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Nachträge auf sehr früher Stufe darstellen, bieten die übliche spätmittelalterliche Mischung an edler und leichtfertiger Liebesdichtung. Und doch bleiben selbst diese letzten Lieder noch auf die Thematik des Minnebuchs bezogen.
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Wie exklusiv, wie geradezu künstlich ausgliedernd der Sammler verfahren ist, das wird so recht erst deutlich, wenn man die Erweiterungen der Sammlung in der Handschrift der Hätzlerin sieht. Hier sind alle Türen aufgemacht, und die ganze Fülle der spätmittelalterlichen Reimliteratur kleineren Umfangs hat sich eingenistet: vom religiösen Meisterlied bis zur Tagweis von Läusen, vom politischen Lied über grobianische Gedichte bis zur Kostenaufstellung für einen Dreipersonenhaushalt in Prosa (dieser freilich nicht als spontane Wirtschaftsnotiz, sondern in Überlieferungs- und Sinngemeinschaft mit einem Hausratsgedicht als ›Literatur‹ übers Heiraten). Dazu sind, wohl erst auf allerletzter Stufe als Gelegenheitsnachtrag, jene Kleinverse gekommen, die Orff für ein Augsburger Badstubenmilieu geeignet schienen. Das Ergebnis der Erweiterungen, die in mehreren Schüben dazugekommen sein mögen: die Sammlung der Hätzlerin unterscheidet sich von den übrigen Augsburger Sammelhandschriften nur noch durch einen höheren Anteil von Texten mit Liebesthematik. Man ist versucht zu sagen: Das patrizisch-adlige Programm ist eingegangen in das Hausbuch eines literarisch interessierten Bürgers der Mittelschicht. Doch eine solche soziologische Deutung ist nicht unproblematisch. Jörg Roggenburg, der Auftraggeber der Hätzlerin, war zwar gewiß kein Patrizier und gehörte nicht wie die Augsburger Imhoffs zu den Mehrern der Gesellschaft. Seine Namensgenossen waren Schmiede und Büchsenmeister, er selbst aber dürfte der obersten Gruppe der Mittelschicht oder der untersten der Oberschicht zuzurechnen sein: Er führte ein Wappen und zahlte die ansehnliche Vermögenssteuer von Š 8 Gulden jährlich.43 Und er stand sogar mit Lukas Fugger in Geschäftsverbindung, vielleicht als Gesellschafter für ein bestimmtes Unternehmen. Das zeigt ein Brief, auf den mich mein Mitarbeiter Frieder Schanze aufmerksam gemacht hat, überliefert unter allerlei archivalischen Notizen des Augsburger Webers und Literaturliebhabers Simprecht Kröll in der Handschrift Pal. IV 228 der Biblioteca Vaticana Rom (46r–47r). Anfang: Dem ersamen vnd weisen Lucaßen Fugger oder Jörgen Rockenpurger zü Augspurg soll der brieff/ pracht Hanß Moloch vff vnser frawen tag 1471. Mein wil43
Hanns Fischer (wie Anm. 3), S. 371 und 409, sowie Auskunft von Stadtarchivdirektor Dr. Blendinger, Augsburg, vom 19.11.1975. Zur Einordnung in die ›untere Oberschicht‹ vgl. die Darstellung der Vermögensschichtung in Augsburg bei Rolf Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche in Augsburg im Spätmittelalter. Ein Beitrag zur Strukturanalyse der oberdeutschen Reichsstadt, Augsburg 1971 (Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg 19), S. 44–48. Dagegen ›eigentliche Mittelschicht‹ Friedrich Blendinger, Versuch einer Bestimmung der Mittelschicht in der Reichsstadt Augsburg vom Ende des 14. bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts, in: Städtische Mittelschichten, hg. von Erich Maschke und Jürgen Sydow, Stuttgart 1972, S. 32–78. Beide Zuordnungen beruhen auf derselben Basis, der Augsburger Zuschlagsteuer von 1475.
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ligen dienst zü aller zeit lieber brüder vnd auch schweger wissent das ich woll gen Potzen bin kommen am afftermontag nach datum/ got sey gelobt also will ich mein fleiß don das gelt von den schuldnernn ein zü bringen in maussen als jr mir den vff gemerckt handt . . . Es folgen verschiedene geschäftliche Nachrichten über erwartete Waren, über Preise usw. Schluß: sunst wayß ich nix besonderß yet zü schotten (?) den schreib bey dem nesten mer was ich auß richt da mit seit gott befolchen Mattheus Fugger/ Clauß Stadelmayer/ Jacob Gögl Pauli Rampfer/ Lienhart Vnwitter/ Lienhart Onzytter/ Jörg Fallamayer/ Peter Zobelin Hans Rumpfhart/ Hans Emler/ Caspar Braunsperger/ Niclaß Keibß/ Erhard Öblautz.44
Ob Jörg Roggenburg – vielleicht mit der Mentalität eines Aufsteigers? – den höfischen Kern der Sammlung herausgespürt hat oder ob es ihm gerade auf die Vielfalt der Themen ankam, wissen wir nicht. Er bekam jedenfalls kein programmatisches Minnebuch mehr in die Hand. Und man wird den Verlust an thematischer Geschlossenheit mit dem (keineswegs besonders tiefen) sozialen Abstieg der Sammlung nicht ohne Einschränkung parallelisieren dürfen. Vielleicht sollte man eher den Gegensatz zwischen der fränkischen »Provinz« und dem bunteren Literaturbetrieb der großen und lebendigen Handelsstadt Augsburg betonen. Mag die Exklusivität als Sammel- und Lebensprogramm eine schichtenoder landschaftsspezifische Möglichkeit sein, die Verfügbarkeit einer Fülle der verschiedenartigsten Literatur und die Planlosigkeit des Sammelns ist über die Schicht des Jörg Roggenburg und über Augsburg hinaus typisch für die Literatursituation des 15. Jahrhunderts. Etwa zur selben Zeit, als die Hätzlerin die Handschrift mit den vielen Liebesgedichten abschrieb, etablierte sich in Augsburg neben der handschriftlichen Buchproduktion, die noch ein paar Jahrzehnte weiterlebte, ein Druck- und Verlagswesen auch für volkssprachliche Literatur. Nur ganz wenige Texte von der Art, wie sie die besprochenen Augsburger Sammelhandschriften vereinigten, haben den Sprung ins neue Medium geschafft, diese wenigen meist später und, soviel ich sehe, nicht zuerst in Augsburg. Die Augsburger Drucker der 70er und 80er Jahre bevorzugten Prosa.45 Das Thema Liebe aber fehlte in ihren Verlagsprogrammen keineswegs. Prosaromane und Novellen verschiedenen Ursprungs handelten davon, und dabei wurden Beispiele, die, warnend und faszinierend 44
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Nach freundlicher Auskunft des Fürstl. und gräfl. Fuggerschen Familien- und Stiftungs-Archivs Dillingen (M. Gräfin Preysing) handelt es sich um Lukas Fugger den Alten, seit 1462 Fugger vom Reh, geb. 9.8.1439, gest. 1494 (nach 1512?) und seinen Bruder Matthäus Fugger (vom Reh), geb. 24.4.1442, 1489 bereits tot (ertrunken im Comersee). Die Funktion der Namensliste am Ende des Briefes ist mir nicht klar. Die Namen sind weder im Stadtarchiv Augsburg noch im Fuggerarchiv Dillingen nachweisbar. Was Jörg Roggenburg(er) betrifft, so wird man aus der Anrede schweger nicht auf verwandtschaftliche Beziehungen zum Haus Fugger schließen dürfen. [Diese vorsichtige Skepsis läßt sich nicht mehr halten. Neue Forschungen haben gezeigt, daß Jörg Roggenburg schon durch seine Mutter der patrizischen Oberschicht verbunden und seit 1464 mit Felizitas Fugger, Tochter des Andreas Fugger und Schwester des Lukas Fugger, verheiratet war. Vgl. Sheila Edmunds, Clara’s patron: The identity of Jörg Roggenburg, in: PBB 119 (1997), S. 261–267; Knor (wie Anm. 50), S. 57–67.] Vgl. Inge Leipold, Untersuchungen zum Funktionstyp ›Frühe deutschsprachige Druckprosa‹. Das Verlagsprogramm des Augsburger Druckers Anton Sorg, in: DVjs 48 (1974), S. 264–290; dies., Das Verlagsprogramm des Augsburger Druckers Johann
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zugleich, von lebenzerstörender Liebesleidenschaft erzählten (Guiscardo und Sigismonda, Tristrant und Isalde, Eurialus und Lucretia), ebenso rezipiert wie Geschichten von standhafter Treue in Widrigkeiten und Trennung (Apollonius, Wilhelm von Österreich, Pontus und Sidonia). Das Ehebüchlein des Bamberger Kanonikers Albrecht von Eyb (Nürnberg 1472, seit 1473 vier Augsburger Inkunabeln) ordnete in novellistischen Beispielen Liebe und Ehe einander zu. Im Jahre 1482 erschien, mit Holzschnitten geschmückt, bei Anton Sorg in Augsburg o das buch Ouidy von der liebe zu erwerben auch die liebe zu erschmehen Als doctor hartlieb von latein zeteütsch gepracht hat durch bete und geschäffte eines fürsten von österreych (1484 in 2. Auflage).46 Das Buch Ovidii war in Wirklichkeit der mittellateinische Traktat des Andreas Capellanus und bedeutete für das 15. Jahrhundert eine Rezeption hochmittelalterlicher Minnediskussion auf ganz anderen Wegen und in ganz anderem Geiste als in den üblichen Minnereden und Liebesliedern höfischer Tradition. Ein großer Teil dieses Traktats wird von ausführlichen Musterdialogen eingenommen, die zeigen, wie ein Mann um die Liebe einer Frau werben kann, rhetorisch und argumentativ genau differenziert nach dem jeweiligen Standesverhältnis, z. B. Wie ain gefreyter, gräfter oder gefürster man ain burgerin bitten sol, und doch nur Explikation der einen Kultur höfischen Minnewerbens, abgegrenzt gegen bäurisch-tierische Triebliebe und eheliche Pflichtliebe. Aber trotz der größeren Nähe zu den hochmittelalterlichen romanischen Ursprüngen der höfischen Liebe vermittelte dieser Traktat durch die systematischere, gelehrtere Art der Behandlung eine Außenperspektive, die ihn von der volkssprachlichen Tradition von Minnedichtung, von der hier die Rede war, deutlich unterscheidet. Daß der letzte Teil aus Š antiken und klerikalen Traditionen zusammenstellt, was gegen Frauen und gegen die Liebe zu sagen ist, bestätigt diese Außenperspektive nur noch. Dem Augsburger Drucker mag gerade die distanzierte Systematik Erfolg versprochen haben. Der Übersetzer Johannes Hartlieb freilich, der um die Zeit des Augsburger Drucks schon tot war, hatte sich mit Rücksicht auf höfische Konventionen zunächst gesträubt, auch den frauenfeindlichen Schlußteil zu übertragen. Aber die Gesellschaft am Wiener Hof, für die er 1440 die Übertragung anfertigte, wollte auch über dieses Thema vollständig und systematisch informiert werden. Das entsprach der literarischen Situation am Wiener Hof im Umkreis des jungen Herzog Albrecht VI. nach der geistlich geprägten Epoche des Wiener Übersetzerkreises und kurz vor dem Auftreten des Enea Silvio Piccolomini.
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Bämler. Zum Funktionstyp ›Frühe deutschsprachige Druckprosa‹, in: Bibliotheksforum Bayern 4 (1976), S. 236–252. [Vgl. jetzt auch Hans-Jörg Künast, Die Augsburger Frühdrucker und ihre Textauswahl, in: Literarisches Leben (wie Anm. 6), S. 47–57; JanDirk Müller, Augsburger Drucke von Prosaromanen im 15. und 16. Jahrhundert, in: Augsburger Buchdruck und Verlagswesen von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg. von Helmut Gier und Johannes Janota im Auftrag der Stadt Augsburg, Wiesbaden 1997, S. 337–352.] De Amore deutsch. Der Tractatus des Andreas Capellanus in der Übersetzung Johann Hartliebs, hg. von Alfred Karnein, München 1970 (MTU 28).
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Derselbe Johannes Hartlieb hat übrigens später Kontakte zum bayerischen Herzogshof in München geknüpft; berufliche und nicht ganz geklärte verwandtschaftliche Beziehungen zum Haus Wittelsbach haben sein weiteres Leben stark bestimmt. Eine ansprechende Vermutung besagt, daß seine Frau Sibylla, über die er mit dem Herzogshaus verschwägert wurde, eine Tochter Herzog Albrechts von Bayern war, gezeugt in der Ehe mit Agnes Bernauer.47
Nachtrag Die verschollene Handschrift B wurde in der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle unter der Signatur 14 A 39 wiederentdeckt. Nach Rückübertragung an die Familie Apel als den rechtmäßigen Eigentümer wurde sie 2004 von der Universitätsbibliothek Leipzig erworben (künftig Ms. 1709). Bis 2014 bleibt das Nießbrauchrecht jedoch bei der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt.48 Eine Edition wird vorbereitet.49 Im Zusammenhang mit diesem Projekt steht auch eine neue Untersuchung zur Sammlung der Clara Hätzlerin von Inta Knor,50 auf die sich einige der oben nachgetragenen Korrekturen und Präzisierungen stützen. Eine Reihe von Liedern aus der Sammlung der Clara Hätzlerin (und überwiegend aus ihrer hier rekonstruierten Vorstufe) interpretiert Gert Hübner als Beispiele für sein Konzept des »mittleren Systems« deutscher Liebeslied-Dichtung.51 47
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Klaus Grubmüller, Hartlieb, Johannes, in: 2VL, Bd. 3, 1981, Sp. 480–496; vgl. Karl Drescher, Johann Hartlieb, in: Euphorion 25 (1924), S. 225–241, 354–370, 569–590, bes. 234–241, 589. Vgl. Christoph Mackert, Wieder aufgefunden, in: ZfdA 133 (2004), S. 486–488; Brigitte Pfeil, Katalog der deutschen und niederländischen Handschriften des Mittelalters in der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle (Saale), Halle (Saale) 2007, S. XV und 224–230. Susanne Homeyer, Inta Knor, Hans-Joachim Solms, Überlegungen zur Neuedition des sogenannten Liederbuches der Clara Hätzlerin nach den Handschriften Prag, X A 12, der Bechsteinschen Handschrift (Halle, 14 A 39) und Berlin, Mgf 488, in: Deutsche Liebeslyrik im 15. und 16. Jahrhundert, hg. von Gert Hübner, Amsterdam/New York 2005 (Chloe 37), S. 65–81; dies., Vorlagenreflexe und Edition. Zur Vorlage-KopieBeziehung der Handschriftengruppe um das sogenannte Liederbuch der Clara Hätzlerin, in: Edition und Sprachgeschichte, hg. von Michael Stolz in Verbindung mit Robert Schöller und Gabriel Viehhauser, Tübingen 2007, S. 141–153. Inta Knor, Das Liederbuch der Clara Hätzlerin als Dokument urbaner Kultur im ausgehenden 15. Jahrhundert, Halle (Saale) 2008 (Schriften zum Bibliotheks- und Büchereiwesen in Sachsen-Anhalt 90). Gert Hübner, Die Rhetorik der Liebesklage im 15. Jahrhundert. Überlegungen zu Liebeskonzeption und poetischer Technik im ›mittleren System‹, in: Deutsche Liebeslyrik im 15. und 16. Jahrhundert, hg. von Gert Hübner, Amsterdam/ New York 2005 (Chloe 37), S. 83–117.
Abgekürzt zitierte Textausgaben und Handbücher Carmina Burana (Hilka/Schumann/Bischoff): Carmina Burana, kritisch hg. von Alfons Hilka und Otto Schumann, Bd. I, 1: Die moralisch-satirischen Dichtungen, Heidelberg 1930; Bd. I, 2 Die Liebeslieder, hg. von Otto Schumann, Heidelberg 1941; Bd. I,3: Die geistlichen Dramen, Nachträge, hg. von Otto Schumann und Bernhard Bischoff, Heidelberg 1970; Bd. II: Kommentar 1. Einleitung (Die Handschrift der Carmina Burana). Die moralisch-satirischen Dichtungen, 2. Aufl. Heidelberg 1961. Carmina Burana (Vollmann): Carmina Burana. Texte und Übersetzungen, mit den Miniaturen aus der Handschrift und einem Aufsatz von Peter und Dorothee Diemer hg. von Benedikt Konrad Vollmann, Frankfurt a. M. 1987 (Bibliothek des Mittelalters 13). CB: Carmen Buranum (einzelne Lieder der Carmina Burana mit Liednummern, die in beiden Ausgaben übereinstimmen). DWb.: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Leipzig 1854–1960, Quellenverzeichnis 1971, Nachdruck 1984. Frauenlob GA: Frauenlob (Heinrich von Meissen), Leichs, Sangsprüche, Lieder, auf Grund der Vorarbeiten von Helmuth Thomas hg. von Karl Stackmann und Karl Bertau, 2 Bde., Göttingen 1981 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse III, 119.120). GA s. Frauenlob GA-S: Sangsprüche in Tönen Frauenlobs. Supplement zur Göttinger FrauenlobAusgabe, unter Mitarbeit von Thomas Riebe und Christoph Fasbender hg. von Jens Haustein und Karl Stackmann, 2 Bde., Göttingen 2000 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-Historische Klasse III, 232). GGdM: Geistliche Gesänge des deutschen Mittelalters. Melodien und Texte handschriftlicher Überlieferung bis um 1530, hg. von Max Lütolf, Bd. 1–3 und 6 in Verbindung mit Mechthild Sobiela-Caanitz, Cristina Hospenthal und Max Schiendorfer, Bd. 5 in Verbindung mit Bernhard Hangartner und Max Schiendorfer, Kassel usw. 2003 ff. (Das deutsche Kirchenlied, Abt. II). Haupt/Wießner: Neidharts Lieder, hg. von Moriz Haupt, 2. Aufl. neu bearbeitet von Edmund Wießner, Leipzig 1923, Neudruck [mit Beigaben], hg. von Ingrid Bennewitz-Behr, Ulrich Müller und Franz Viktor Spechtler, Stuttgart 1986 [vgl. unten Neidhart].
418
Abgekürzt zitierte Textausgaben und Handbücher
Heinrich von Mügeln: Die kleineren Dichtungen Heinrichs von Mügeln, hg. von Karl Stackmann. Erste Abteilung: Die Spruchsammlung des Göttinger Cod. Philos. 21, 3 Teilbde., Berlin 1959 (DTM 50–52) [zitiert nach der durchlaufenden Strophenzählung]; Zweite Abteilung, mit Beiträgen von Michael Stolz, Berlin 2003 (DTM 84). HMS: Minnesinger. Deutsche Liederdichter des zwölften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts, hg. von Friedrich Heinrich von der Hagen, 4 Teile, Leipzig 1838, Nachdruck Aalen 1963. Kl. s. Oswald von Wolkenstein KLD: Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts, hg. von Carl von Kraus, 2. Aufl., durchgesehen von Gisela Kornrumpf, 2 Bde., Tübingen 1978. Konrad von Würzburg: Kleinere Dichtungen Konrads von Würzburg, hg. von Edward Schröder, Bd. III: Die Klage der Kunst, Leiche, Lieder und Sprüche, 2. Aufl. mit einem Nachwort von Ludwig Wolff, Berlin 1959. L. s. Walther von der Vogelweide Lyrik des späten Mittelalters: Deutsche Lyrik des späten Mittelalters, hg. von Burghart Wachinger, Frankfurt a. M. 2006 (Bibliothek des Mittelalters 22). MF: Des Minnesangs Frühling, unter Benutzung der Ausgaben von Karl Lachmann und Moriz Haupt, Friedrich Vogt und Carl von Kraus bearbeitet von Hugo Moser und Helmut Tervooren, I: Texte, 38., erneut revidierte Aufl., Stuttgart 1988 [zitiert nach der alten Zählung]. Mönch von Salzburg G: Die geistlichen Lieder des Mönchs von Salzburg, hg. von Franz Viktor Spechtler, Berlin / New York 1972 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker 175, NF 51). Mönch von Salzburg W: Die weltlichen Lieder des Mönchs von Salzburg. Texte und Melodien, hg. von Christoph März, Tübingen 1999 (MTU 114). Neidhart: Die Lieder Neidharts, hg. von Edmund Wießner, fortgeführt von Hanns Fischer, 5., verbesserte Aufl. hg. von Paul Sappler. Mit einem Melodienanhang von Helmut Lomnitzer, Tübingen 1999 (ATB 44) [zitiert als Sommerlied/Winterlied, dazu in Klammern die Zählung von SNE (s. d.); in besonderen Fällen wird auch Haupt/Wießner (s. d.) angeführt]. Oswald von Wolkenstein Kl.: Die Lieder Oswalds von Wolkenstein, unter Mitwirkung von Walter Weiß und Notburga Wolf hg. von Karl Kurt Klein, Musikanhang von Walter Salmen, 3., neubearbeitete und erweiterte Aufl. von Hans Moser, Norbert Richard Wolf und Notburga Wolf, Tübingen 1987 (ATB 55) [die inneren Reime werden beim Zitieren durch Abstände markiert]. PL: Patrologiae cursus completus, hg. von Jacques-Paul Migne. Series Latina, Paris 1844–1864. RSM: Repertorium der Sangsprüche und Meisterlieder des 12. bis 18. Jahrhunderts, hg. von Horst Brunner und Burghart Wachinger unter Mitarbeit von Eva Klesatschke, Dieter Merzbacher, Johannes Rettelbach, Frieder Schanze, Leitung der Datenverarbeitung Paul Sappler, 17 Bde., Tübingen 1986–2009.
Abgekürzt zitierte Textausgaben und Handbücher
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SM-Sch.: Die Schweizer Minnesänger, nach der Ausgabe von Karl Bartsch neu
bearbeitet und hg. von Max Schiendorfer, Bd. I: Texte, Tübingen 1990. SNE: Neidhart-Lieder. Texte und Melodien sämtlicher Handschriften und Druk-
ke, hg. von Ulrich Müller, Ingrid Bennewitz, Franz Viktor Spechtler unter Mitarbeit von Annemarie Eder, Ute Evers, Elke Huber, Sirikit Podroschko, Margarete Springeth, Ruth Weichselbaumer, Eva-Maria Weinhäupl†, 3 Bde., Berlin / New York 2007 (Salzburger Neidhart-Edition [SNE]) [zitiert nach Bandzahl und Liednummer in der Leithandschrift, dann nach Doppelpunkt die konkret gemeinte Strophe; vgl. auch oben Neidhart]. Tannhäuser: Johannes Siebert, Der Dichter Tannhäuser. Leben – Gedichte – Sage, Halle 1934. 2 VL: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter hg. von Kurt Ruh (Bd. 1–8) und Burghart Wachinger (Bd. 9–14) zusammen mit Gundolf Keil, Kurt Ruh (Bd. 9–14), Werner Schröder, Burghart Wachinger (Bd. 1–8), Franz Josef Worstbrock, Berlin /New York 1978–2008. Walther von der Vogelweide L.: Walther von der Vogelweide, Leich, Lieder, Sangsprüche, 14., völlig neu bearbeitete Aufl. der Ausgabe Karl Lachmanns mit Beiträgen von Thomas Bein und Horst Brunner hg. von Christoph Cormeau, Berlin / New York 1996 [zitiert nach der alten Zählung]. WK: Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts, hg. von Philipp Wackernagel, Bd. II, Leipzig 1867, Nachdruck Hildesheim 1964.
Siglen für Handschriften und Drucke Die Siglen richten sich in jedem Aufsatz nach dem für den jeweiligen Gegenstand eingeführten Gebrauch. Dieser aber kann wechseln. Zur Vermeidung von Unklarheiten folgt hier eine Liste sämtlicher vorkommender Siglen. A:
Heidelberg, UB, Cpg 312 (Beheim A) Heidelberg, UB, Cpg 357 (Liederhs. A) München, SB, Cgm 715 (Mönch von Salzburg A) Soest, Stadtarchiv, Fragm. 157 (Frauenlob A) Wien, ÖNB, Cod. 2777 (Oswald von Wolkenstein A) B: Innsbruck, UB, ohne Sign. (Oswald von Wolkenstein B) Köln, Hist. Arch., *88 (Tristan B) München, SB, Cgm 291 (Beheim B) Stuttgart, LB, HB XIII 1 (Weingartner Liederhs.) b: Breslau (Wrocław), UB, Akc. 1955/193 C: Heidelberg, UB, Cpg 334 (Beheim C) H eidelberg, UB, Cpg 848 (Codex Manesse) c: Berlin, SBBPK, Mgf 779 Cb: München, SB, Cgm 5249/26 D: Heidelberg, UB, Cpg 350 (Liederhs. D, Reinmar von Zweter) Heidelberg, UB, Cpg 382 (Beheim D) d: Heidelberg, UB, Cpg 696 E: Berlin, SBBPK, Mgf 488 (Ebenreutters Hs.) Heidelberg, UB, Cpg 351 (Beheim E) München, UB, 2o Cod. ms. 731 (Hausbuch des Michael de Leone, Würzburger Liederhs.) F: Weimar, HAAB, Q 564 (Weimarer Liederhs.) f: Berlin, SBBPK, Mgq 764 G: Freiburg i. Br., UB, Hs. 520 (Neidhart G) Heidelberg, UB, Cpg 375 (Beheim G) H: Heidelberg, UB, Cpg 360 (Tristan H) Prag, Knihovna na´rodnı´ho muzea, X A 12 (Hätzlerin-Sammlung) J: Jena, UB, Ms. El. f. 101 (Jenaer Liederhs.) k: München, SB, Cgm 4997 (Kolmarer Liederhs.) M: München, SB, Cgm 51 (Tristan M) m: Berlin, SBBPK, Mgq 795 (Mösersche Fragmente) N: Berlin, SBBPK, Mgq 284 (Tristan N)
Siglen für Handchriften und Drucke
O: P: R: s: t: w: Z: z:
Frankfurt a. M., UB, Ms. germ. oct. 18 (Neidhart O) Köln, Hist. Archiv, *87 (Tristan O) Berlin, SBBPK, Mgf 640 (Tristan P) Berlin, SBBPK, Mgf 1062 (Riedegger Hs., Neidhart) Brüssel, Kgl. Bibl., Ms. 14697 (Tristan R) Sterzing (Vipiteno), Stadtarchiv, ohne Sign. München, SB, Cgm 4997 München, SB, Cgm 5198 (Wiltener Meisterliederhs.) Marburg, Staatsarchiv, Best. 147 Hr 1, 2 Sammelsigle für die Drucke des ›Neidhart Fuchs‹
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Register Personennamen und Texte A solis ortus cardine 335 Aaron 202 Ab hac familia 335 353 Abaelard und Heloise 27 Ach lieber herre ihesu crist 329 Adam 220 Adam von Fulda 50 Adelheit 206 Aeneas 108 Agnoscat omne seculum 335 Alanus de Insulis – ›Anticlaudianus‹ 7 – Cantio 207 – ›Elucidatio in Cant. Cant.‹ 202 205 208 Albertus Magnus 4 ›Albertus Magnus und die Tochter des Königs von Frankreich‹ 161 Albertus von Münsterberg 183 Albrecht, ›Jüngerer Titurel‹ 1 6 286 Albrecht III., Hzg. von Bayern-München 395 415 Albrecht VI., Hzg. von Österreich 17 414 Albrecht von Eyb 414 Albrecht von Johannsdorf – MF 90,32 ff. 31 70 112 – MF 93,12 31 Albrecht, Markgraf von Brandenburg 410 ›Amicus und Amelius‹ 185 Amor 120 Andrea da Barberino, ›Il Guerrin Meschino‹ 169 178 Andreas Capellanus 107 185 414 Anna, Hl. 341 344 Anselm von Canterbury 211 ›Antichrist-Bildertext‹ 384 Antoine de La Sale, ›Le Paradis de la reine Sibylle‹ 166 169 178
Apollonius 108 414 Archipoeta 105 Arnt von Aich 39 51 Asterot 174 ›Auslegung der Hymnen‹ 352 Ave ancilla trinitatis 381 Ave Maria 272 273 313 320 334 342 343 Ave maris stella 335 352 Ave praeclara maris stella 196 335 Ave regina celorum 342 Ave salve gaude vale 335 Ave virgo nobilis 335 Bebel, Heinrich 45 Beheim, Michel 15−16 18 19 20 48 107 279 363−393 – 29–48 373 – 63–64 367 – 82 375 – 96 375 – 99 377 – 125–147 372 – 148 234 378 – 164–202 373 – 203–236 382 – 203–237 373 – 284 366 – 287 171 – 300 307 371 – 300–355 370 – 308 388 – 309 376 – 358–423 370 – 392–415 373 Bentz, Claus 334 Bernauer, Agnes 395 415 ›Bernauerin‹ (Ballade) 395 397 Bernhaubt gen. Schwenter, Jacob 16 Berthold von Regensburg 15
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Register: Personennamen und Texte
Berwin 157 Blasius, Hl. 290 Bligger von Steinach 13 Boccaccio, Giovanni, ›Decamerone‹ 42 Bocksbauch 156 Boppe 222 227 Brant, Sebastian, ›Narrenschiff‹ 52 148−149 ›Bremberger‹ 13 161 ›Bremer Evangelistar‹ 393 Brigitta, Hl. 290 Brumans est mors 265 Burgkmair, Hans, d. Ä. 156 Burkhard von Hohenfels 288 – XI 69 80−83 86 ›Carmina Burana‹ 39 44 97−123 271 – CB 1–13 102−103 – CB 12 102 – CB 14–40 103 – CB 41–55 103 – CB 48–48a 116 – CB 56–131 103−104 – CB 60,8a 309 – CB 61 108 – CB 74–96 107−108 – CB 80 74 – CB 97 108 – CB 98–102 108 – CB 107 108 – CB 112–115 109 – CB 132–186 104−106 109−110 – CB 136a 100 – CB 137 93 – CB 137–137a 115 – CB 138 93 – CB 138a 100 – CB 142a 100 – CB 143 93 – CB 143a 111 – CB 144 93 – CB 144a 121 – CB 145 93 – CB 147 110 – CB 147a 111 – CB 148 93 – CB 148–148a 113
– CB 149 I 113 – CB 150 93 – CB 151 80 99 – CB 151a 111 – CB 152 93 – CB 153–153a 118−120 – CB 161 93 – CB 162a 118 – CB 164–164a 115 – CB 165 99 – CB 166a 111 – CB 167–167a 100 113 – CB 167 II 110 – CB 168–168a 99 111 113 – CB 169 80 99 – CB 169a 111 – CB 170a 100 – CB 172a 121 – CB 174a 121 – CB 178 110 – CB 180–180a 100 – CB 183–183a 121 – CB 187–226 106 – CB 195,13a 275 – CB 203 99 – CB 203–203a 117 – CB 204 275 – CB 218 273 – CB 226,10 309 – CB 228 75 Celan, Paul 289 Celtis, Konrad – ›Amores‹ 39 44−45 – Oden 45 ›Chrysostomus‹ 167 Cicero 144 Clement, Papst 166 Clytemnestra 110 Congaudent angelorum chori 335 Corde natus 335 Damen, Hermann 236 Danhauser 165 Dante Alighieri 42 45 121 – ›De vulgari eloquentia‹ 42 – ›Vita nuova‹ 47 ›De Heinrico‹ 267
Register: Personennamen und Texte
Deisinger, Hans 372 Dietmar von Aist 111 113 – MF 34,3ff. 71 – MF 39,18 ff. 71 – MF 40,19 ff. 185 ›Distinctiones monasticae et morales‹ 102 ›Doctrina de compondre dictats‹ 67 Dorothea, Hl. 341 344 ›Drakula‹ 377 379 381 Dürer, Albrecht 148−149 Dunstable, John, O rosa bella 265 Ebenreutter, Martin 398 407 Eberhard von Cersne 15 19 49 53 – XVI, 2 298 Ebran, Elisabeth 381 Eckart, Der getreue 166 ›Eckenlied‹ 99 117 235 Eckhart, Meister 238 Ehenheim 407−408 411 Eia der grossen liebe 321 Eike von Repgow, ›Sachsenspiegel‹ 10−11 Eilhart von Oberge 3 5 – ›Tristrant‹ 2 Ekkehard IV. von St. Gallen 271 Eleonore von Österreich, ›Pontus und Sidonia‹ 414 Endilhart von Adelburg 36 Engelmar, Engelmair 139−148 152 206 ›Epitaphium Neidhart vochs‹ 158 Erich VI. von Dänemark 228 Es hat ein bawr sein fraw verlorn 316 Es hat ein man sin wip verloren 305 Es hat ein mönsch gotts huld verlorn 305 316 Es kommt ein Schiff geladen 323 Esther 202 ›Etymachia‹ 152 Etzelfeil 156 ›Eurialus und Lucretia‹ 414 Eva 370 Fabrizi d’Aquapendente, Girolamo 276 ›Fegfeuer des hl. Patricius‹ 385 Feyerabendt, Sigmund 3 Fischart, Johann 291
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Fleck, Konrad 3 Folz, Hans 15 16 219 – Lied 8 388 – Lied 93 242 – Lied 94 171 Frauenlob, Heinrich 18 32 40 69 161 162 180−194 217−230 232−243 293 301 390 – I (Marienleich) 181 195−215 233 308 – III (Minneleich) 189 206 227 – IV, 1 189 – V,2 223 – V,7–11 235 – V,7–12 224 – V,13–17 225 – V,14 180 – V,22 229 – V,26–27 223 – V,33–34 227 – V,36 229 – V,49–55 229 – V,79–81 225 – V,81 180 – V,82–85 229 – V,88–89 229 – V,90–92 223 – V,93–96 223 – V,97–98 229 – V,106 226 – V,111–113 223 226 – V,114 226 238 – V,115 217 226 – VI, 12 226 – VII, 1 229 – VII, 1–2 219 224 – VII, 3 229 – VII, 4 223 – VII, 5 229 – VII, 7 223 – VII, 8–10 229 – VII, 11–13 229 – VII, 14 229 – VII, 15 229 – VII, 20–21 229 – VII, 22–23 229
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Register: Personennamen und Texte
– VII,35–37 227 229 – VII,38–40 223 – VII,39f. 189 – VII,41–43 219 224 – VII,79–81 229 – VIII,12–14 225 227 – VIII,16 227 – VIII,18–21 227 – VIII,24 226 – VIII,26 224 226 – IX, 11–19 225 227 – X 228 – X,11 226 – XI 228 – XI, 2 228 – XII 228 – XII,7 227 – XII,9 225 227 – XIII,1–7 226 – XIII,4 226 – XIII,5 226 – XIII,24–26 226 – XIII,45f. 187 – XIV, Lied 1 191 192 – XIV, Lied 3 188−189 194 – XIV, Lied 5 191 – XIV, Lied 6 189−190 194 – XIV, Lied 7 190−192 – RSM 1Frau/2/100–115 220−221 – RSM 1Frau/4/20–22 171 – RSM 1Frau/4/100–112 221−223 – RSM 1Frau/8/100 (3) 224 – RSM 1Frau/8/100 (4–7) 226 – RSM 1Frau/8/101 (1) 224 – RSM 1Frau/8/103a (3) 224 – RSM 1Frau/33/2 171 Freidank 4 Friedrich II., Ks. 34 41 Friedrich III., Ks. 327 365 Friedrich, Ks. (in Prophetie) 382 Friedrich I. der Siegreiche, Pfalzgraf bei Rhein 365 375 Friedrich von Hausen 76 – MF 43,10 ff. 76 – MF 47,9ff. 191 – MF 159,1ff. 115
Friedrich von Sonnenburg, RSM 1FriSo/3/10 307 ›Fürstenspiegel Wiewol all menschen‹ 384 Fugger, Andreas 413 Fugger, Felizitas 413 Fugger, Lukas 412 Fugger, Matthäus 413 Gamaleon 381 Gedeon 202 Gedrut 185 Gegrüßet siest ane we 334 Geierschnabel 156 Gens sine capite 273 Georg von Ehenheim 407 Gerhard II. von Hoya 236 ›Gesta Romanorum‹ 383 Gipshorn 156 Giselbert, Ebf. von Bremen 236 Gliers, Der von 13 Göli 21 Goethe, Johann Wolfgang – ›Ganymed‹ 73 – ›Mailied‹ 73 Gottfried von Neifen 82 112 – XIII und XIV 83 – XXXIX 28 Gottfried von Straßburg 13 – ›Tristan‹ 2−3 5 –– 2770–72 284 –– 12376–91 187 –– 19466 190 ›Granum sinapis‹ 238 318 Grillparzer, Franz 276 ›Großes Neidhartspiel‹ 138 152 156 Grumbach, Herren von 407 Günther von dem Vorste 405 Guido von Arezzo 8 ›Guiscardo und Sigismonda‹ 414 Gumprecht 147 Gutknecht, Jobst 165 Hadamar von Laber 285 286 Hadlaub, Johannes 34−35 37 217 – Lied 30 35 Hätzlerin, Clara 50 396 413 ›Hätzlerin-Sammlung‹ 395−415
Register: Personennamen und Texte
– I,1 404 – I,8 404 – I,13 406−408 – I,53 340 – I,74 409 – I,77 340 – I,82 340 – II, 1 402 403 – II, 2 403 Hager, Georg 19 Hans, Bruder 273 275 309 Harder – RSM 1Hardr/1/1 (Goldener Schilling) 307 – RSM 1Hardr/2/1 (Goldener Reihen) 301 309 – RSM 1Hardr/3/8 307 Hartlieb, Johannes 414−415 Hartlieb, Sibylla 415 Hartmann von Aue 5 14 76 180 – MF 205,1 76 – MF 216,1ff. 76 – MF 217,14ff. 76 – MF 218,5ff. 31 246 Hasenruß, Hasenfuß 156 Hausmannin 266 Heinrich II. von Mecklenburg 236 Heinrich der Teichner 15 Heinrich Raspe 34 Heinrich von Breslau 180−183 220 – II 181 Heinrich von Freiberg, ›Tristan‹ 3 Heinrich von Langenstein 382 Heinrich von Melk, ›Von des todes gehugde‹ 58 Heinrich von Morungen 76 111 122 161 162 180 255 – MF 125,10ff. 246 – MF 125,19ff. 61 – MF 129,36ff. 246 – MF 131,7 268 – MF 133,20ff. 29 – MF 136,23f. 31 – MF 137,10ff. 29 – MF 139,11f. 31 – MF 139,11ff. 247
427
– MF 139,15 246 – MF 139,23ff. 86 – MF 140,32 76 – MF 143,22ff. 31 – MF 145,31 57 – MF 147,4ff. 246 Heinrich von Mügeln 14 18 48 61−64 67 217 232−243 366 371 372 377 – 1–17 240 – 71–109 (Bibelbücher) 234 378 – 104,11 235 – 110–181 (Tum) 233 235 378 – 158,1 235 – 176,1 235 – 303,2 235 – 329–333 334 – 378–383 62 – 384–386 280 292 – 384–407 63−64 Heinrich von Veldeke 112 ›Heinrico, De‹ 267 Heißenbüttel, Helmut 290 ›Heldenbuch‹ 166 Hermann der Lahme 196 s. auch Ave praeclara Hermann von Sachsenheim, ›Mörin‹ 402 ›Herzog Ernst‹ 231 Hieronymus 211 Hiltbolt von Schwangau 111 ›Historienbibel IIIa‹ 380 ›Hohenfurter Liederbuch‹ 314−315 317−320 323 Homo miserabilis 265 Hug von Werbenwag – I 34 65 – IV 93 – V 69 Hugo Ripelin von Straßburg 4 Hugo von Montfort 17 19 49 52 53 – XXIX 174 255 Iam en trena 44 334 338 339 Ich vrowe mich grozer minne 318 Ich weiß ein lieplich engelspil 329 Ich wölt dz ich do heime wer 329 Iesu via veritatis 335 Imhoff, Familie 410 412
428
Register: Personennamen und Texte
Imhov, Mertein 50 409−411 In dulci iubilo 272 In einem krippfly lag ein kind 323 329 Innocent, Papst 166 Innsbruck ich muß dich lassen 319 Jaufre Rudel 322 Johann von Indersdorf 381 Johann von Neumarkt 380 382 388 391 Johann, Markgraf von Brandenburg 410 Johanna von Burgund-Artois 8 Johannes (im Akrostichon) 409 Johannes Buridanus 144 Johannes Evangelist 199 Joseph lieber neve mein 321 Junger Meißner I,25,16 235 Jutta von Habsburg 184 Käbitz, Jakob 403 Karl V., Ks. 276 Kaspar von der Rhön 377 Keller, Gottfried 35 ›Kleriker und Nonne‹ 271 ›Königsteiner Liederbuch‹, Lied 5 406 Konrad IV., Kg. 34 Konrad von Altstetten 37 Konrad von Haimburg 319 335 342 343−345 352 354 Konrad von Heimesfurt 5 Konrad von Megenberg – ›Buch der Natur‹ 1 – ›Deutsche Sphaera‹ 3 Konrad von Weinsberg 364 374 Konrad von Würzburg 7 13 14 63 94 217 224 226 236 – ›Der Welt Lohn‹ 161 245 248 – ›Goldene Schmiede‹ 196 233 – ›Herzmäre‹ 401 – Lied/Spruchton 6 247−248 256 – Lied/Spruchton 7 83−84 – Lied/Spruchton 26 279 – Lied/Spruchton 31 69 – RSM 1KonrW/7/507 174 Konrad, Pfaffe, ›Rolandslied‹ 4103–4106 284 Kreutzer, Johannes 306 316 346 Kristan von Hamle 36 Kröll, Simprecht 412
Kürenberg, Der von 31 – MF 8,33ff. 63 – MF 10,17 ff. 37 Ladislaus V. Postumus 16 370 376 Laetabundus exultet 335 Lancelot 27 Landini, Francesco 295 Lauber, Diebold 4 Laufenberg, Heinrich 20 306 319−320 329−361 – WK 706 323 329 – WK 707 329 – WK 710 329 – WK 715 329 – WK 726 347 350 351 – WK 730 343 – WK 734 343 – WK 737 345 – WK 738 345 – WK 759 352 – WK 762 351 – WK 764 337 339 353 – WK 777 272 353 354 – WK 778 352 – WK 779 353 354 – WK 782 352 354 – WK 790 Anm. 353 – WK 793 340 Lesch, Albrecht – RSM 1Lesch/3/1 307 – RSM 1Lesch/10/1 335 Liebe von Giengen, RSM 1Liebe/1/7 171 ›Lied von Dole‹ 404 ›Lochamer-Liederbuch‹, Lied 1 58 ›Lohengrin‹ 6 231 ›Lorengel‹ 377 ›Lucidarius‹ 388 Ludwig der Bayer, Ks. 225 Lullus, Raimundus 8 Luther, Martin 271 – Sie ist mir lieb die werde magd 307 Man siht lovber tovber 44 334 337 339 Mangolt, Burk 17 Mann, Thomas, ›Gladius Dei‹ 310 Margaret, geistl. Freundin Laufenbergs 306 345 347
Register: Personennamen und Texte
Margarete von Schwangau 273 Maria 168 176 195−215 221 290 293 300−310 313 315 340 341 346 349 350 353 370 371 383 Marner 389 – XI,2 268 – RSM 1Marn/6/101 (Sibyllen Weissagung) 377 – RSM 1Marn/7/102 307 – RSM 1Marn/7/573 171 Marquard von Lindau 384 386 388 Mauritius, Hl. 344 Mechthild von Magdeburg 308 ›Meier Betz‹ 142 Meißner 390 ›Metzen Hochzeit‹ 142 156 Metzger, Ambrosius 372 Michael de Leone 7 ›Millstätter Interlinearversion der Psalmen und Hymnen‹ 352 ›Minneburg‹ 400 Mittit ad virginem 335 Mönch von Salzburg 18−19 49 52 53 57 64 161 265 321−322 336 352 406 408 – G 1 (Guldein Abc) 321 334 336 343 – G 10 335 – G 22 321 – G 23 322 349 – G 24 321 – G 28 334 – G 33 334 – W 1 52 – W 2 298−299 304 – W 5 52 – W 6 52 – W 7 52 – W 19 52 – W 45 409 ›Moringer‹ 13 161 Moses 221 Mundi renovatio 69 335 Muskatblut 18 19 48 – 7 (RSM 1Musk/1/37) 307 – 12 (RSM 1Musk/1/42) 307 – 48 (RSM 1Musk/3/1) 69 Nabuchodonosor 202
429
Nachtigall, Konrad 171 Neidhart 13 20−21 32 46 69 76−77 82 86 93 99 106 111 112−113 115 121 125−136 137−159 162 163 180 217 267 – SL 1 76 – SL 2 77 – SL 3 76 93 – SL 5 86 – SL 9 76 – SL 11 111 – SL 27 129 –– VIIIg 125 – WL 3 140 – WL 6 Va 125 – WL 10 VIab 125 – WL 11 157 –– VIa 126 – WL 17 129 130−131 –– Va 125 – WL 20 134 –– IIIa 125 – WL 23 XII 128 – WL 24 132 –– IXa 125 – WL 27 VIIbc 125 – WL 28 VI 21 47 – WL 29 129 –– VIIIcd 125 – WL 30 IXc 47 –– I 21 – WL 34 133−134 –– IXa 125 – WL 35 VI 128 – WL 36 VI 128 – SNE I, B 69–77 140−142 149−152 – SNE I, R 37 155 157 – SNE II, c 12 157−158 – SNE II, c 17 143−144 – SNE II, c 45 157 – SNE II, c 100 157 – SNE II, c 122 138 – SNE II, c 129 135 – SNE II, c 131 139−140 – SNE II, f 17 155 – SNE II, pr 1 138 – SNE II, s 7 153
430
Register: Personennamen und Texte
– SNE II, s 10 139 – SNE II, z 7 139 Neidhart (Personifikation) 149 ›Neidhart Fuchs‹ 21 92 144 149−153 157 159 291 ›Neue Ee‹ 380 ›Nibelungenlied‹ 13 Niklas von Wyle – ›Eurialus und Lucretia‹ 414 – ›Guiscardo und Sigismonda‹ 414 Nikolaus von Dinkelsbühl 4 Nikolaus-von-Dinkelsbühl-Redaktor 380 381−382 385 392 Notker I. von St. Gallen 271 O quam formosa, quam decens, quam diligo 309 Ochsenkropf 156 Öglin, Erhart 39 Öser, Irmhart 382 Österreichischer Bibelübersetzer 382 Opitz, Martin 39 44 ›Ordnung der Gesundheit‹ 383 Orff, Carl 395 412 Oswald von Wolkenstein 17 19 20 49 51 69 87−95 254−256 259−277 279−296 366 406 – Kl. 1 255 294 –– 21 55 –– 37 f. 57 – Kl. 2 3f. 294 – Kl. 12 301 – Kl. 13 1 270 – Kl. 14 270 – Kl. 15 270 – Kl. 17 269 274 – Kl. 18 251−254 277 302 –– 21–23 263 –– 36 265 –– 54–62 268 – Kl. 20 71 –– 60 270 –– 86 270 – Kl. 21 21 87 92 93 94 291 – Kl. 28 290 – Kl. 29 13 270 – Kl. 33 300 305
– Kl. 33–36 323 – Kl. 34 302−304 – Kl. 36 305 – Kl. 37 87 92 94 – Kl. 37–38 323 – Kl. 39 291 – Kl. 40 300−302 303 – Kl. 42 87−91 94 268 275 280 – Kl. 47 87 – Kl. 49 9 268 – Kl. 50 69 291 – Kl. 51 51 54−57 – Kl. 52 285−286 291 – Kl. 53 87 299−300 304 –– 14 291 – Kl. 54 270 271 295 – Kl. 64 268 – Kl. 67 290 – Kl. 69 259 261 269 273−277 – Kl. 70 285 – Kl. 72 285 – Kl. 75 87 92 94 – Kl. 76 21 – Kl. 79 266 – Kl. 82 266 267 – Kl. 83 294 – Kl. 86 269 – Kl. 88 409 –– 21 283 – Kl. 90 268 291 – Kl. 91 62 268 – Kl. 93 274 279−288 290 291 293 295 – Kl. 94 274 – Kl. 96 268 291 – Kl. 100 87 – Kl. 101 71 297 – Kl. 102 65 265 – Kl. 103 269 – Kl. 104 270 – Kl. 106 87 – Kl. 111 349 –– 155 270 – Kl. 116 305 – Kl. 119 259−263 269 273 277 – Kl. 120 270
Register: Personennamen und Texte
–– 6 91 Otto II. von Oldenburg-Delmenhorst 236 Otto III. von Ravensberg 236 Otto von Botenlauben 111 – XIII 116 Otto von Passau 380 383−384 Otto, Ks. 267 Ottokar von Steiermark 180 Ovid 107 108 109 148 372 414 Passauer Anonymus 382 ›Passional‹ 191 Peter von Arberg 403 Peter von Aspelt 181 Petrarca, Francesco 42 45 121 – ›Canzoniere‹ 42 Petrus Damiani 380 Peuntner, Thomas 4 382 Philipp der Kartäuser 380 ›Physiologus‹ 280 Piccolomini, Enea Silvio 414 Platon 144 ›Prosa-Tristrant‹ 3 ›Psalterium de nomine Iesu‹ 335 Püterich, Jakob, von Reichertshausen 4 Raimbaut de Vaqueiras 267 Recordare virgo mater 353 354 Regenbogen 162 220 221 233 – RSM 1Regb/1/535 (Veronika) 377 – RSM 1Regb/2/8 307 – RSM 1Regb/4/601 u. 608 388 Regina coeli terrae et maris 334 Reinmar der Alte 29 46 76 82 111 117 122 180 405 – MF 156,10ff. 61 – MF 158,1ff. 30 – MF 158,28 191 – MF 158,31 59 – MF 159,10ff. 115 – MF 165,1ff. 76 – MF 165,28ff. 79 – MF 166,16ff. 185 – MF 167,31ff. 76 – MF 169,9ff. 76 – MF 177,10ff. 111 – MF 183,33ff. 76 – MF 185,27ff. 111
431
– MF 196,23ff. 76 Reinmar von Brennenberg 162 Reinmar von Zweter 13 17 19 20 47 217 220 235 371 390 – 19–20 308 – 31 33 Richel, Bernhard 393 Rockenbolz 149 Roggenburg, Jörg 396 412−413 Rosarius 144 Rosenplüt, Hans 15 Rudolf von Ems 3 9 11 397 Rudolf, Kg. 225 Sachs, Hans 15 19 170 232 307 366 Salomon 202 ›Salomon und Markolf‹ 267 Salve mater salvatoris 335 Salve regina 337 342 353 380 389 Salve sancta parens 353 Samuel, Rabbi 382 Schedel, Hartmann 403 Schenk von Geyern 407 Schlumphilt 147 148 Schmieher, Peter 149 153 Schnabelruß 147 Schöffer, Peter 39 Schonsbekel, RSM 1Schonsb/2/1 309 Schulmeister von Esslingen I,3 32 Sedulius, ›Carmen paschale‹ 354 Seuse, Heinrich 306 382 388 391 Sibylle 169 ›Sibyllen Weissagung‹ 377 Sicut pratum picturatur 335 Sigelot 155 157 Sigurd 185 Sokrates 144 Sorg, Anton 414 ›Speculum humanae salvationis‹ 384 ›Spiegel menschlicher behaltnis‹ 393 ›St. Pauler Neidhartspiel‹ 138 143 Stadegge, Der von 36 Stamheim, Der von 21 Steinmar 323 405 406 Stolberg, Grafen von 325 Stricker 15 – ›Pfaffe Amis‹ 21
432
Register: Personennamen und Texte
Suchensinn 241 Suchenwirt, Peter 401 ›Summa recreatorum‹ 102 ›Symbolum Athanasii‹ 344 ›Tafel der christlichen Weisheit‹ 326 Tannhäuser 13 50 132 161−178 268 – I 69 – II-V 93 – III 70 86−87 163 – V 173 – IX 169 173 – XI 163 – XII 170 – XIII 163 164 173 269 – RSM 1Tanh/1/500 170 – RSM 1Tanh/5/1 (Bußlied) 163 – RSM 1Tanh/6/1 172 – RSM 1Tanh/6/1–6 171 – RSM 1Tanh/6/3 171 – RSM 1Tanh/7/1 171 172 – ›Hofzucht‹ 163 ›Tannhäuser und Frau Welt‹ 164 172 174 175 ›Tannhäuser und Venus‹ 175 ›Tannhäuser-Ballade‹ 161−178 Tarbis 221 ›Tauler-Cantilenen‹ 318 Teichner, Heinrich der 401 Terenz 7 Teschler, Heinrich 13 61 Thomas le Mye´sier 8 ›Thomas Rhymer‹ 168 Thomas von Aquin 4 211 Thomas von Britannien 3 Thomasin von Zerklære 9−10 Thüring von Ringoltingen 3 ›Tractatus de Purgatorio S. Patricii‹ 385 Tristan 27 185 ›Tristrant‹ 414 Tritonius, Petrus 45 Tugendhafte Schreiber, Der, RSM 1 Tugdh/1/1 365 Ulrich von dem Türlin, ›Arabel‹ 5 Ulrich von Liechtenstein 20 111 132 – ›Frauendienst‹ 47−48 56 85 –– Str. 592 266
– Lied XL 406 – Lied XXIX 84−86 – Lied X 191 Ulrich von Türheim – ›Rennewart‹ 6 7 – ›Tristan‹ 3 5 Ulrich von Zatzikhoven 37 Ulrich, Bf. von Brixen 270 Urbain de Limozin, Papst 166 Urbain dit Grimoualt, Papst 166 Urban IV., Papst 165 Valerius, Hl. 290 Veni redemptor gentium 335 Venus 112 113 120 164−165 168 172 174 174−176 266 Verbum bonum 352 Vergil 7 161 Veronika, Hl. 377 Virga Jesse floruit 354 Voigt, Valentin 372 Wach auf Keterlin 403 Wachsmut von Künzich 185 Waldemar von Brandenburg 225 Walter von Chatillon 17 309 Walther von der Vogelweide 29 31 46 69 82 99 106 111 117 122 180 190 217 232 234 239 390 – L. 9,16 ff. 200 – L. 14,38ff. 322 – L. 39,1ff. 69 – L. 39,11ff. 70 – L. 48,3–8 188 – L. 50,13 65 – L. 51,13ff. 77−80 82 111 – L. 56,14ff. 115 – L. 66,21ff. 248−251 255−257 – L. 69,1ff. 25−26 – L. 72,31ff. 161 – L. 74,20ff. 405 – L. 83,1ff. 79 – L. 100,24ff. 174 245 ›Wartburgkrieg‹ 12 127 – ›Fürstenlob‹ 161 – ›Hort von der Astronomie‹ 377 – ›Rätselspiel‹ 131 162 242 Watt, Benedikt von 19 372
Register: Personennamen und Texte
Wenzel von Böhmen 180−194 213 220 Werbener, Erasmus 325 Wernher der Gärtner, ›Helmbrecht‹ 267 Wickram, Jörg 334 Wilder Alexander VI,1,6 235 ›Wilhalm von Orlens‹ 397 Wilhelm von Aquitanien, Hl. 397 Wilhelm von Grumbach 407 ›Wilhelm von Österreich‹ 414 Wilhelm von Zeil 397 Windecke, Eberhart 381 Wirnt von Grafenberg, ›Wigalois‹ 161 Wittelsbach, Haus 395 415 Wittenwiler, Heinrich 147 – ›Ring‹ 165f. 156 –– 1344ff. 52
433
Wizlav – V,2 183 – XIII, 3 235 Wizlaw III. von Rügen 236 Wolfram von Eschenbach 5−6 7 11 14 162 297 – Lied II 71 – Lied IV 31 – ›Parzival‹ 185 –– 114,5–19; 337,5 65 Zainer, Günther 393 Zerbolt, Gerard, von Zutphen 212 Zobel, Melchior, Bf. von Würzburg 407 Zorn, Fritz 242 ›Zwölf Meister im Rosengarten‹ 171
Handschriften Augsburg, UB, Cod. II.1.2o10 (Augsburger Cantiones) 183 Augsburger Liederbuch s. München, SB, Cgm 379 Bamberg, SB, Msc. Lit. 142 8 Bechsteins Handschrift s. Leipzig, UB, Ms. 1709 Berlin, SBBPK – Mgf 488 (Ebenreutters Hs., E) 398−400 402 407 – Mgf 640 (›Tristan‹ P) 5 – Mgf 779 (Neidhart c) 86 125−126 127−128 157 – Mgf 922 49 170 403 – Mgf 1062 (Riedegger Hs., R) 20 86 125−128 137 138 144 156 – Mgq 284 (›Tristan‹ N) 2 – Mgq 414 170 171 366 – Mgq 719 50 406 – Mgq 764 (Neidhart f) 144 157 – Mgq 795 (Mösersche Fragmente, m) 181 – Ms. theol. lat. fol. 342 7 – Ms. theol. lat. qu. 199 8 – Mus. ms. 40613 (Lochamer-Liederbuch) 50 51 Breslau, UB, Akc 1955/193 (Frauenlob b) 226 227 Brüssel, K. Bibl., Ms. 14697 (›Tristan‹ R) 3 Budapest, Orsza´gos Sze´che´nyi Könyvta´r, Cod. Germ. 92 11 Cambridge, Univ. Libr., Gg.5.35 (Carmina Cantabrigiensia) 271 Carmina Burana s. München, SB, Clm 4660/4660a und Register der Personen und Texte Diessenhofener Liederblatt (Zürich, Privatbesitz) 49 Dresden, LB – Mscr. M 8a 19 – Mscr. M 11 19 – Mscr. M 13 335 – Mscr. M 192 19
– Mscr. M 201 (Dresdener Heldenbuch) 377 Dresdener Heldenbuch s. Dresden, LB, Mscr. M 201 Ebenreutters Handschrift s. Berlin, SBBPK, Mgf 488 Fichards Liederbuch (verbrannt) s. Frankfurt a. M., Stadtarchiv, ehem. Familienarchiv Fichard, 165 Ms. 69 Frankfurt a. M., UB, Ms. germ. oct. 18 (Neidhart O) 125 127 Frankfurt a. M., Stadtarchiv, ehem. Familienarchiv Fichard 165 Ms. 69 (Fichards Liederbuch, verbrannt) 403 Frauenfeld, Kantonsbibl., Cod. Y 74 (St. Katharinentaler Liedersammlung) 318 320 323 Freiburg i. Br., UB, Hs. 520 (Neidhart G) 155 Glogauer Liederbuch s. Krakau, Bibl. Jag., Berol. Mus. ms. 40098 Göttingen, SB/UB – 4o Cod. Ms. philos. 21 14 64 67 72 95 369 371 – Cod. Ms. philol. 194 19 Gotha, UB/FB, Memb. I 120 10 Haag, Koninkl. Bibl., 128 E 2 (Haager Liederhs.) 49 Halle, UB/LB, Cod. 14 A 39 398−400 402 415 Hätzlerin-Sammlung s. Prag, Knihovna na´rodnı´ho muzea, X A 12 und Register der Personen und Texte Hausbuch des Michael de Leone s. München, UB, 2o Cod. ms. 731 Heidelberg, UB – Cpg 312 (Beheim A) 16 369−371 374−375 381 – Cpg 313 411 – Cpg 329 (Hugo von Montfort) 17 – Cpg 334 (Beheim C) 16 369−371 374−375 – Cpg 350 (D) 17 235 371 – Cpg 351 (Beheim E) 374−375
Register: Handschriften
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Cpg 357 (Liederhs. A) 31 46 79 127 Cpg 360 (›Tristan‹ H) 2 Cpg 364 6 Cpg 375 (Beheim G) 372 374 Cpg 382 (Beheim D) 373 382 Cpg 383 6 Cpg 389 10 Cpg 392 225 Cpg 393 403 Cpg 404 6 Cpg 696 (Neidhart d) 125 127 Cpg 848 (Codex Manesse, C) 8 11−12 13 25 27−37 46 86 127 162−164 170 173 177 179 181 217 226 Hohenfurt (Vysˇsˇ´ı Brod), Cod. 8 b (Hohenfurter Liederbuch) 314−315 317−320 323 Innsbruck, UB, ohne Sign. (Oswald von Wolkenstein B) 17 51 90 323 Jena, UB/LB, Ms. El. f. 101 (Jenaer Liederhs., J) 46 163 217−230 369 Karlsruhe, LB – Karlsruhe 74 175 – Karlsruhe 408 172 – St. Peter perg. 92 8 St. Katharinentaler Liedersammlung s. Frauenfeld, Kantonsbibl., Cod. Y 74 Kolmarer Liederhandschrift s. München, SB, Cgm 4997 Köln, Hist. Archiv – W *8 (Muskatblut) 369 – W *87 (›Tristan‹ O) 3 – W *88 (›Tristan‹ B) 2 Königsteiner Liederbuch s. Berlin, SBBPK, Mgq 719 Krakau, Bibl. Jag., Berol. Mus. ms. 40098 (Glogauer Liederbuch) 265 Leipzig, UB, Ms. 1709 398−400 402 415 Lochamer-Liederbuch s. Berlin, SBBPK, Mus. ms. 40613 Marburg, Staatsarchiv, Best. 147 Hr 1, 2 (Frauenlob Z) 226 227 München, SB – Cgm 19 6 14 – Cgm 51 (›Tristan‹ M) 2
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Cgm 51 (Tristan M) 3 Cgm 63 9 11 Cgm 193, III 10 Cgm 270 396−397 Cgm 291 (Beheim B) 16 369−371 374−375 378 – Cgm 379 396−397 409 – Cgm 715 (Mönch von Salzburg A) 321 – Cgm 729 383 – Cgm 810 403 – Cgm 811 403 – Cgm 4997 (Kolmarer Hs., k, t) 7 170−172 174 229 334 335 369 – Cgm 5198 (Wiltener Hs., w) 172 – Cgm 5249/26 (Cb) 125 127 – Cgm 5919 402 – Cgm 6353 16 – Cgm 8345 9 – Clm 4660/4660a (Codex Buranus) 46 98−110 – Clm 14398 7 München, UB – 2o Cod. ms. 152 325 – 2o Cod. ms. 731 (Hausbuch des Michael de Leone, Liederhs. E) 7 46 204 Nürnberg, GNM, Graph. Slg., Hz 1104– 1105 Kapsel 1607 10 Pfullinger Liederhandschrift s. Stuttgart, LB, Cod. theol. et phil. 4o 190 Prag, Knihovna na´rodnı´ho muzea, X A 12 (Hätzlerin-Hs., H) 396−400 402 Princeton University, Firestone Library, Cotsen 40765 383 Rom, Bibl. Vat., Cod. Pal. IV 228 412 Rostock, UB, Mss. philol. 100/2 (Rostocker Liederbuch) 44 50 Salzburg, Stiftsbibl. St. Peter, Cod. b IV 3 396−397 Schedels Liederbuch s. München, SB, Cgm 810 Soest, Wiss. Stadtbibl., Fragm. 157 (Frauenlob A) 219 226 St. Gallen, Stiftsbibl., Cod. 857 13 Sterzing (Vipiteno), Stadtarchiv, o. S. (Sterzinger Miszellaneen-Hs., s) 52 53 125 127 143 144
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Register: Handschriften
Straßburg, Bibl. Nat., Ms. 2371 331 Straßburg, ehem. Johanniterbibl., B 121 4o (verbrannt) 20 320 331−336 344 Stuttgart, LB – HB XIII 1 (Weingartner Liederhs., B) 11 46 140−141 – Cod. bibl. 4o 22 384 – Cod. theol. et phil. 4o 190 (Pfullinger Liederhs.) 116 305−306 315−320 323 324 – Cod. theol. et phil. 8o 19 335 Weimar, HAAB – Q 564 (Weimarer Liederhs., F) 18 181 217−230 233
– Q 566 16 Wien, ÖNB – Cod. 2705 15 – Cod. 2777 (Oswald von Wolkenstein A) 17 51 87 290 305 – Cod. 3013 15 – Cod. 3079 324−327 352 – Cod. 5458 144−148 – Cod. Ser. n. 2643 7 Wiltener Meisterliederhandschrift s. München, SB, Cgm 5198 Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 334 Gudianus latinus 8
Stichworte Abecedarium 342 345 Absage 31 65 174−176 247 251 370 408 411 Akrostichon 5 50 306 342 345−346 409 409 Allegorie, Allegorese 152 203 205 269 284 285 288 307 308 316 376 402 s. auch Metaphorik Alte, Alter 76 108 248−251 Anapher 227 319 342 347 409 Antike 42 44 45 108 110 148 239 Artes 370 s. auch Wissenschaft Astrologie 370 s. auch Kosmologisches Augsburg 397 412−414 Autobiographisches 20 47 252 366 370 371 377 Autographe 15−16 Autorbilder 7−13 35 Autornennung 2−7 342 Autorsammlungen 6 11 14−21 46−49 217 219 355 Autorschaft 1−23 126−130 135−136 217−218 220 333−336 389 s. auch Tonautorschaft Barbildung, Strophenzahl 220−223 228−229 233−235 368−369 373−378 404 s. auch Ton Bauernturnier 156 Bibelbücher 234 369 377 Bibelversifizierung 377 385−386 387 392−393 Bibelzitate und -anklänge 147−148 199−207 270 352 Biblische Erzählung 366 377 Bilder 137−159 164 s. auch Autorbilder Bildung s. Artes, Wissenschaft Buchdruck 2 19 413−414 – Einzelne Drucke 3 21 39 92 144 148 149 159 165 384 384 Buchproduktion 159 397−398
Chorgebet s. Liturgie, Tagzeiten Chronikalisch-Zeitgeschichtliches 366 377 s. auch Politisches Cisioianus 290−291 Dialog 31 32 51 52 174−176 182 190−191 236 267 315 402 Dichterkatalog 161 171 Dichterleben 20 Dichterlegende 13 161−178 Didaktik, Lehre, Mahnung 102 221−223 225 370 Drucke s. Buchdruck Einzelblattüberlieferung 49 Endlied 171 Enthaltsame Liebesnacht 184−186 Erotik 75 87−95 400 – in geistlicher Dichtung 304 307−310 Erträumtes Wecken 298−304 Erzählen s. Biblische Erzählung, Ich-Erzählung, Schwank Frau Welt 164 174 245−247 302 Fürstenpreis, Herrenlob 163 180−181 220 224 235 370 Geblümter Stil s. Sprachstil Geistliches Lied (allgemein) 311−327 329−361 Geistliches Tagelied 301 307 312 Glossenlied, Glossierung 272 320 334 342 352 409 Grüße und Anrufungen 319−320 339 341−346 s. auch Liebesgruß Heische 105 106 Herrenlob s. Fürstenpreis Hofkritik 105 222 Homoerotik 108 Hymnen- und Sequenzübertragungen 335−336 351−352 Ich-Erzählung 34 86 139 Ich-Lied der hohen Minne 29−31 58−60 76 179−194 Katalog 170 241 291
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Register: Stichworte
– Bibelbücher 234 369 377 – Fluß- und Bergnamen 170 – Länder 270 – Namen Marias 384 – Scheltwörter 396 – Sprachen 276 – Sünden 313 s. auch Dichterkatalog, Namen Kleinstformen 395−397 Komik 142 263 270 294 s. auch Schwank Kontrafaktur 99−100 114 116−118 304−307 315−317 322−323 336 Kornreime 104 233 283 342−344 408 Kosmologisches 222 240 242 366 371 s. auch Astrologie, Wissenschaft Kunstthematik 131 193 217 226 236−237 366 370 Latein – Volkssprache 97 114 264 270−273 351−354 s. auch Sprachmischung Lateinische Dichtung 30 44−45 74−75 Leich 162−163 197−198 234 s. auch Sequenz Lesetext s. Vortrag Lexikalisches – afterreif 157 – behiuren 204 – beligen 77 – blüemen 67 – dimicellus 147 – entspriezen 90 – gevelle 284 – giezen 91 – gosche 91 – goume 90 – immer ach 283 – jaˆn 303 – jeten 90 – klifen 91 – lıˆste 204 – mat 281 – natuˆre 73 – osterwıˆn 154 – ram 158 – ruochen 190
– scheiden 79 – schiht 280 – schrenken 284 – schrıˆben 235 – schumpfenier 142 – sluˆch 281 – toben 191 – trœsten 285 – trıˆben 141 – türmli 281 – unmischen 209 – unwerden 209 – verbannen 262 – verbinden 262 – vorrede 67 – wild 281 – zame 90 Liebe in Sangsprüchen und Meisterliedern 62 241 370 Liebesdiskurs, Liebestheorie 25−38 40 58 60−66 97 103−106 106−115 118−123 179−194 205−207 222 239−241 245−257 411 Liebesexempel 108 370 401 Liebesgruß 43 49−52 – Geistlich 345−346 350 Liebeslied jüngeren Typs 53−54 57−58 234 408−412 Liturgie 197−198 311 324−327 353−354 387 locus amoenus 70−72 86 Märchen 140 Magdalenerinnen 326−327 Mariendichtung 195−197 300−310 s. auch Namenregister: Maria Mehrstimmigkeit 50−52 282−283 294 Meistergesang 366−367 387 Meisterlieder des 14./15. Jahrhunderts 219 231−243 320 347 366 Melodien 46 197 337−339 350−351 353 Metaphorik 34 37 56 188 194 202 214 238−239 284−287 292−294 303 306 319 Metrik s. Kornreime, Strophenbau Minne s. Ich-Lied, Liebe Minnereden 28 43 240 400−403
Register: Stichworte
Minnetheorie s. Liebesdiskurs Musik 154 265 294−296 s. auch Mehrstimmigkeit, Melodien, Refrain, Strophenbau, Vortrag Mystik 193 211 238 317−318 Namen 140 142 147 153 156 173 384 Natur 67−95 107−108 110 112−113 120 143 187−189 207 222 303 370 Neujahr 399 402 409 s. auch Liebesgruß, Weihnachts- und Neujahrslieder Ordnung von Textsammlungen 6 101−106 220−224 332−336 369−371 400−409 s. auch Autorsammlungen Pastourelle 28 70 86 107 112 Perikopen s. Bibelversifizierung Personifikation 133 148 149 153 190 249 s. auch Frau Welt Politisches 103 225 227 366 s. auch Chronikalisch-Zeitgeschichtliches, Hofkritik Prosa s. Versifizierung Refrain 100 104 105 117 170 271 275 314 335 336 349 352 409 Reigen s. Tanz Romanische Lyrik 41−43 58 75 s. auch Sonett Romkritik 105 Ruf 314 Sangspruchdichtung 33 180 189 190 192 217−230 231−243 320 364−366 Schönheitspreis 147 163 173 188 247 270 400 Schwank 137−159 316 411 Sequenz 104 107 318 321 342−343 353 Sonett 42 294 Sprachmischung 44 114 259−277 291 343 352−354
439
Sprachstil 121 163 182−183 202 211−213 227 235−239 279−296 s. auch Anapher, Metaphorik, Zitat Strophenbau 99−100 174 228 319 341 343−345 347−351 404 s. auch Kornreime, Refrain, Ton Strophenzahl s. Barbildung Tagelied 28 31 71−72 112 116 297−298 322 403−408 s. auch Erträumtes Wecken, Geistliches Tagelied Tagzeiten 322 Tanz, Reigen 49 80−82 85−95 107 109 110 113−114 140 147 148 154 155 157 163 Ton, Tönegebrauch 62 234 237 322 s. auch Barbildung Tonautorschaft 12 46 171 227 Trinker- und Spielerlieder 106 117 271 316 Versifizierung 242 379−391 s. auch Bibelversifizierung Vortrag vs. Lesetext 39−52 111 114−117 131 134−136 234 282−283 294 344−346 363−393 Weihnachts- und Neujahrslieder 320 346−351 Welt als Faszinosum 245−257 s. auch Frau Welt Wiener Schule 388 414 Wissenschaft, Wissensdiskurs 207−211 239−243 s. auch Artes, Kosmologisches Zeitgeschichte s. Chronikalisch-Zeitgeschichtliches, Politisches Zeitklage 102 108 222 Zitat, Anspielung, Anklang 139 353−354 s. auch Bibelzitate und -anklänge Zyklen 42 233 369 372−373