228 66 16MB
German Pages 281 [284] Year 1985
Büß • Lehrbuch der Wirtschaftssoziologie
Eugen Büß
Lehrbuch der Wirtschaftssoziologie
w DE
G Walter de Gruyter • Berlin • New York • 1985
Cip-Kurztitelaufnahme
der Deutschen
Bibliothek
Buss, Eugen: Lehrbuch der Wirtschaftssoziologie / Eugen Buss. - Berlin ; New York: de Gruyter, 1985. (De-Gruyter-Lehrbuch) ISBN 3-11-008897-5
© Copyright 1985 by Walter de Gruyter & Co. Berlin 30. Printed in Germany. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Ubersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Satz: Werksatz Marschall, Berlin. — Druck: Karl Gerike, Berlin. — Bindearbeiten: Dieter Mikolai, Berlin
Vorwort
Dieses Lehrbuch bietet eine systematische Darstellung der soziologischen Denkweisen, Problemstellungen und Kategorien, mit denen wirtschaftliches Handeln erklärt werden kann. Es befaßt sich mit den Wirtschaftsformen traditionaler Gesellschaften und moderner Industriegesellschaften; mit Wirtschaftsordnungen kapitalistischer und sozialistischer Prägung. Die Bedingungen und Merkmale verschiedener Wirtschaftsweisen werden einander gegenübergestellt, die Antriebskräfte wirtschaftlicher Entwicklung herausgearbeitet, die Strukturprinzipien der Wirtschaft erläutert, die alternativen Steuerungsformen wirtschaftlichen Handelns erklärt sowie die zentralen Institutionen der sozialen Marktwirtschaft beschrieben. Da die Wirtschaftssoziologie als eine der klassischen Disziplinen der Soziologie bereits über eine längere Tradition verfügt, werden zudem in einem Überblick die wichtigsten Lehrmeinungen, angefangen von Smith über Weber, Marx, Schumpeter u.a. bis hin zu Habermas, Myrdal und Rostow in ihren jeweiligen Kernthesen zusammengefaßt. Darüberhinaus sollen die Besonderheiten wirtschaftssoziologischer Denkweisen anhand der Hauptprobleme des modernen Kapitalismus dargestellt werden. Themen, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, sind beispielsweise die Arbeits- und Wachstumskrise verschiedener westlicher Industriegesellschaften, das Vordringen technokratischer und bürokratischer Strukturen in der Wirtschaft oder auch das Problem wirtschaftlicher Macht. Dabei wird deutlich, daß die Wirtschaft nicht als Gegenstand rationaler Modelle begriffen werden kann, sondern nur als ein Feld, auf dem sich wirtschaftliche und gesellschaftliche Kräfte gegenseitig beeinflussen. Abschließend werden die zentralen Entwicklungstendenzen der modernen ökonomischen Systeme sowie die charakteristischen Merkmale der nach- bzw. postindustriellen Gesellschaften behandelt. Ich danke Frau Christine Berthold für die kompetente und engagierte Herstellung des Manuskripts.
Siegen und Gießen, im Dezember 1984
Eugen Büß
Inhaltsverzeichnis
1. Wirtschaftssoziologie als wissenschaftliche Fachdisziplin 1.1 1.2 1.3
Begriff und Gegenstand der Wirtschaftssoziologie Der systematische Standort der Wirtschaftssoziologie Das Verhältnis von Wirtschaftsmodell und Wirtschaftswirklichkeit
2. Die Geschichte wirtschaftsoziologischer Lehrmeinungen 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 2.10
A d a m Smith Die deutsche historische Schule Karl Marx Max Weber Jürgen H a b e r m a s Peter Laslett Josef Schumpeter J o h n Maynard Keynes G u n n a r Myrdal Walt Rostow
3. Die Wirtschaft als gesellschaftliches System 3.1 3.2 3.3
3.4 3.5
4.3
1 4 12 17 17 25 29 37 46 50 53 59 61 63 71
Denkweisen der Wirtschaftssoziologie Die systemtheoretische Betrachtungsweise der Wirtschaft Die Ausdifferenzierung der Wirtschaft
71 74 75
3.3.1 3.3.2
Der Sinn der Wirtschaft Die Entstehungsmerkmale des modernen Wirtschaftssystems 3.3.3 Die Kennzeichen hochentwickelter M ä r k t e 3.3.4 Geld als Tauschmedium
75
Die relative Autonomie der Wirtschaft Das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft
89 92
4. Die Strukturprinzipien der Wirtschaft 4.1 4.2
1
77 80 82
99
Die handlungstheoretische Betrachtungsweise der Wirtschaft Der Tausch
99 104
4.2.1 4.2.2
104 105
Tausch als Strukturprinzip Formen des Tausches
Der Wettbewerb
111
4.3.1 4.3.2
111 114
Die Merkmale des Wettbewerbs Formen des Wettbewerbs
VIII
Inhalt
4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.4
4.5
Der soziale Kontrollmechanismus des Wettbewerbs Die Ordnungsbedingungen des Wettbewerbs D a s Countervailing-Power-Konzept
Macht
123
4.4.1 Macht als Strukturprinzip 4.4.2 Formen wirtschaftlicher Macht
123 125
Die persuasive Kommunikation
135
4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4
135 136 136
Begriffsklärung Die werbetaktische Kommunikation Die politische und ideologische K o m m u n i k a t i o n D a s Strukturprinzip der kommunikativen Marktöffentlichkeit
5. Steuerungsformen der Wirtschaft 5.1 5.2
5.3 5.4
6.3 6.4
6.5
145 145 146
5.2.1 Formalismus und Substantivismus 5.2.2 Merkmale traditionaler Wirtschaftsteuerung 5.2.3 Exkurs. Beispiel einer traditionalen Wirtschaftsordnung: Der mittelalterliche M a r k t
146 148
Die Marktsteuerung Administrative Steuerung
158 165
156
177
Die G r u n d s t r u k t u r e n des Marktes Die Institutionen des Marktes
177 180
6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4
180 183 186 188
Das Die Die Das
Privateigentum Institutioni des privaten Unternehmertums Berufsfreiheit individualistische Leistungsprinzip
Die Institutionen des Rechtssystems Die politischen Institutionen der sozialen Marktwirtschaft
189 190
6.4.1 6.4.2
190 191
Die Institutioni der Koalitionsfreiheit Die Institution des Sozialstaats
Institutionelle Konflikte der Marktwirtschaft
7. H a u p t p r o b l e m e des modernen Kapitalismus 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5
137
Eine Typologie der Wirtschaftsweisen Die traditionale Wirtschaftssteuerung
6. Die Institutionen der sozialen Marktwirtschaft 6.1 6.2
118 120 122
Die Arbeitskrise Die Wachstumskrise Das Problem der Technostruktur Die privilegierte Position der Wirtschaft in der Gesellschaft D a s Problem wirtschaftlicher Rationalität
193 199 199 210 216 221 225
Inhalt
IX
8. Strukturwandel der Wirtschaft 8.1
8.2 8.3 8.4 8.5
231
Die postindustrielle Gesellschaft
231
8.1.1 Beils Konzept der nachindustriellen Gesellschaft 8.1.2 Touraines Konzept der postindustriellen Gesellschaft
231 238
Der neue ökonomische Individualismus Funktionswandel der Wirtschaft Rationalitätswandel der Wirtschaft Legitimationswandel der Wirtschaft
241 244 249 252
Literaturverzeichnis
257
Personen- und Sachregister
267
1. Wirtschaftssoziologie als wissenschaftliche Fachdisziplin 1.1 Begriff und Gegenstand der Wirtschaftssoziologie Die Wirtschaftssoziologie bezieht sich, ihrem Namen entsprechend, auf die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft. Als wissenschaftliche Disziplin ist sie etwa 200 J a h r e alt. Adam Smith war der erste, der seine Aufmerksamkeit auf die institutionellen und gesellschaftlichen Bedingungen der Wirtschaft richtete. Er hatte die Vision, daß ein sich selbst regulierender Markt — ohne Eingriffe des Staates — alle Menschen reicher und freier macht. Darüber hinaus glaubte er, daß ungehemmter Eigennutz und die Betonung individueller Rechte zugleich die Grundlagen allgemeiner wirtschaftlicher Prosperität bilden. Sicherlich hat sich Smith weniger als Wirtschaftssoziologen, als vielmehr als politischen Ökonomen gesehen. Doch der Gegenstand, mit dem er sich beschäftigte, steht auch im Mittelpunkt des Interesses der modernen Wirtschaftssoziologie. Der Ausgangsgedanke aller wirtschaftssoziologischen Beobachtungen und Überlegungen ist die These, daß die Regeln, nach denen sich die Handlungen in einem Wirtschaftssystem richten, nicht allein ökonomischer Natur, sondern auch gesellschaftlich bedingt sind. Während die klassischen Ansätze der Nationalökonomie ihr Augenmerk nur auf die Binnenverhältnisse der Wirtschaft richten, bezieht der Soziologe auch die „Umwelt" in seine Betrachtung ein. Die soziale Welt besteht aus verschiedenen Bereichen; neben wirtschaftlichen aus politischen, kulturellen, rechtlichen, religiösen und anderen. Alle diese Bereiche können zwar unabhängig voneinander definiert und erklärt werden, aber in der Praxis überschneiden sie sich und beeinflussen sich gegenseitig. Sie wirken zusammen. Daher liegen auch jeder wirtschaftlichen Ordnung nicht nur mehr oder weniger ökonomische Leitlinien zugrunde, sondern sie wird auch von gesellschaftlichen Faktoren beeinflußt, die in die inneren, scheinbar eigenrationalen Vorgänge der Wirtschaft hineinstrahlen. Die wechselseitige Verschränkung ökonomischer und gesellschaftlicher Faktoren in der Wirtschaft ist nicht immer offensichtlich. Zunächst ist nämlich die Grundlage wirtschaftlichen Handelns nichts anderes als ein reines Tauschsystem. Man tauscht ein Produkt gegen ein anderes Produkt, oder man tauscht ein Produkt gegen ein Medium wie Geld. Doch wie sehr ein solcher Tauschvorgang gesellschaftlich geprägt ist, wird deutlich, wenn man einen Blick auf
2
1. Wirtschaftssoziologie als wissenschaftliche Fachdisziplin
die sogenannten „primitiven" Wirtschaftsformen wirft. Dort sind die Tauschakte nie ganz losgelöst von sozialen, religiösen oder kulturellen Bindungen. Jeder ökonomische Tauschvorgang ist zugleich auch Ausdruck bestimmter verwandtschaftlicher oder stammesspezifischer Beziehungen; jede wirtschaftliche Handlung unterliegt zugleich ganz bestimmten religiösen und moralischen Wertsetzungen. Wer reich ist, muß beispielsweise für den Bau eines Hauses mehr zahlen als jemand, der arm ist. Unter diesen Umständen ist der Preis eines Hauses an das Prestige seines künftigen Besitzers gebunden. Die Wirtschaft funktioniert hier gleichsam als „Nebenprodukt" familialer, sozialer oder religiöser Verpflichtungen. Demgegenüber ist die Struktur des Tauschmechanismus in den hochentwickelten Industriegesellschaften auf den ersten Blick „ökonomischer"; wirtschaftliche Entscheidungen werden offensichtlich nur nach Maßgabe von Kriterien getroffen, die aus dem Wirtschaftssystem selbst stammen: beispielsweise Rationalisierung des Tausches nach Nutzengesichtspunkten, strategische Optimierung von Rendite und Wachstum, Kalkulierung des optimalen Zweck-Mittel-Einsatzes. Gesellschaftliche Bezüge scheinen in den Hintergrund zu treten. Doch dieser erste Blick trügt. Auch die hochentwickelten Marktsysteme sind in gesellschaftliche Strukturen eingeschmolzen; die moderne Wirtschaft ist wie ihre Vorgängerinnen ein soziales System, d.h. sie enthält kulturelle Institutionen, die die Bedeutung wirtschaftlichen Handelns festlegen; sie enthält ferner Regeln des Handelns, Regeln der Legitimationsbeschaffung, Funktionen und Werte, die auch gesellschaftlich bestimmt sind.
Definition
Wirtschaftssoziologie als wissenschaftliche Fachdisziplin umfaßt alle jene Beobachtungen, Begriffe, Kategorien, Gesetzmäßigkeiten und Erklärungsmodelle, die sich auf die Zusammenhänge von ökonomischen und sozialen Prozessen beziehen. Dabei muß sich die Wirtschaftssoziologie besonderer Forschungsverfahren und Denkmethoden bedienen, um ein ihren Gegenstand klärendes Theoriensystem zu schaffen. Versucht man, diese Definition aufzuschlüsseln, so läßt sich die Wirtschaftssoziologie verstehen als eine Lehre, die a) wirtschaftliche Erscheinungen auf ihre gesellschaftliche Abhängigkeit hin untersucht; Beispiel: die Wirtschaftssoziologie untersucht, inwieweit die Wachstumskrise vieler Industriegesellschaften nicht nur auf ökonomische Faktoren zurückzuführen ist, sondern auch auf institutionelle Konflikte zwischen Wirtschaftsorganisationen und Wirtschaftsverbänden, auf Macht- und Verteilungskämpfe, auf Veränderungen von bestimmten Wert- u n d Überzeugungssystemen, auf die Entwicklung sozialstaatlicher Ansprüche oder auch auf den Einfluß politischer Interessen.
1.1. Begriff und Gegenstand der Wirtschaftssoziologie
3
b) die Rückwirkungen ökonomischer Prozesse auf gesellschaftliche Strukturen prüft; Beispiel: die Wirtschaftssoziologie untersucht, ob die Eigenrationalität der wirtschaftlichen Entwicklung zu neuen Mobilitätsformen, Lebenschancen, Familienstrukturen, Siedlungsprozessen etc. führt; oder sie analysiert, welche gesellschaftlichen Folgen die Arbeitsteilung in der Wirtschaft hat. c) die sozialen Dimensionen ökonomischer Verhaltensprämissen aufdeckt; Beispiel: die Wirtschaftssoziologie untersucht, ob das Prinzip des Wettbewerbs tatsächlich uneingeschränkt gilt oder ob nicht andere Strukturprinzipien wirtschaftlichen Handelns den Wettbewerb in der Marktwirtschaft überlagern; sie klärt, ob sich die unternehmerischen Entscheidungen in der modernen Volkswirtschaft tatsächlich allein am Renditekalkül orientieren, oder ob nicht vielmehr auch soziale Gesichtspunkte berücksichtigt werden. d) die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen verschiedenen Gesellschaften im Hinblick auf die strukturelle Bedeutung wirtschaftlichen Handelns zu beschreiben versucht; Beispiel: es gilt zu untersuchen, ob auch in den sogenannten primitiven Gesellschaften das uns allen geläufige Motto gilt: „Strikte Rechnung — gute Freundschaft." Das Problem dieser Behauptung ist die Frage, ob in allen Gesellschaften zwischen wirtschaftlichen Angelegenheiten und sozialen Angelegenheiten streng unterschieden wird, oder ob dies eine Besonderheit der hochentwickelten Industriegesellschaften ist. e) schließlich den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichem und ökonomischem Wandel interpretiert; Beispiel: die Wirtschaftssoziologie könnte sich der Frage zuwenden, o b bestimmte ökonomische Bedingungen wie Wettbewerb und Leistungsprinzip auf andere gesellschaftliche Bereiche „abfärben" oder umgekehrt, ob gesellschaftliche Werte und Überzeugungen (zum Beispiel veränderte Wertschätzung der Arbeit) neue ökonomische Strukturen schaffen. Wenn man die Kernprobleme der Wirtschaftssoziologie vor dem Hintergrund dieser Definition ordnet, so erhält man folgende Systematik für ihren Gegenstands bereich: 1. die gesellschaftlichen Normen, Werte und Institutionen, die den Wirtschaftsablauf bestimmen oder zumindest entscheidend beeinflussen; 2. die Bedeutung des internationalen Zivilisationssystems f ü r die Wirtschaftsordnung; 3. die Funktionen von Staat, Verbänden und Öffentlichkeit f ü r die Prozesse in der Wirtschaft; 4. die Auswirkungen ökonomischer Vorgänge auf Schicht- und Berufsstrukturen, Familie, Rechtssystem, Kultur, Religion, Politik, Freizeit etc. sowie
4
1. Wirtschaftssoziologie als wissenschaftliche Fachdisziplin
auf gesellschaftliche Wert- und Überzeugungssysteme; 5. die gesellschaftlichen Steuerungs-, Organisations- und Strukturprinzipien der Wirtschaft; 6. das Verhältnis und die Systembeziehungen zwischen Unternehmen und Haushalten, zwischen Unternehmen und Öffentlichkeit, zwischen Unternehmen und Staat sowie zwischen Wirtschaft und Gesellschaft ganz allgemein; 7. die gesellschaftliche Bedeutung ökonomischer Institutionen wie Markt, Arbeitsteilung, Eigentum etc.; 8. die Darstellung der prinzipiellen Zusammenhänge einer bestimmten Wirtschaftsordnung und einer ihrer entsprechenden Gesellschaftsordnung; 9. der analytische Vergleich zwischen entwickelten und nicht-entwickelten Gesellschaften sowie zwischen Wirtschaftsordnungen unterschiedlicher politischer Systeme; 10. die wechselseitigen Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichem Wandel und gesellschaftlichem Wandel; d. h. die Wirtschaftssoziologie befaßt sich mit ökonomischen Faktoren, die den gesellschaftlichen Wandel beeinflussen; sowie umgekehrt mit gesellschaftlichen Faktoren, die den Strukturwandel der Wirtschaft prägen.
1.2 Der systematische Standort der Wirtschaftssoziologie Der wissenschaftliche Standort der Wirtschaftssoziologie läßt sich anhand folgender Übersicht vergegenwärtigen:
Abb.l Wirtschaftsoziologie als sozialwissenschaftliche Disziplin
1.2. Der systematische S t a n d o r t der Wirtschaftssoziologie
5
Die Wirtschaftssoziologie ist eine spezielle Disziplin der Soziologie. Eine gewisse fachliche Nähe ist aber auch zu den übrigen Sozialwissenschaften 'gegeben. Zahlreiche Faktoren, die die Wirtschaftssoziologie interessieren, liegen auf der Ebene der Sozialstruktur und des individuellen Verhaltens. Um sie miteinander verbinden zu können, bedarf es zumindest teilweise einer Schaltstelle, die psychologischer Natur ist. Die Wirtschaftspsychologie interessiert sich für die Bedingungen von Arbeitsmoral, Arbeitseinstellung, typische Motivationsstrukturen etc. Die Ergebnisse haben Rückwirkungen auf die institutionelle Struktur der Wirtschaft wie beispielsweise auf die Art der Steuerungs- und Entscheidungsverfahren ökonomischer Prozesse. Auch die Psychologie der öffentlichen Meinung bzw. die Psychologie der Public Relations, die der Frage des Ansehens eines Betriebes und seiner Produkte in der Öffentlichkeit nachgehen, enthalten enge Berührungspunkte zur Wirtschaftssoziologie. Hier werden ja ganz unmittelbar Probleme der gesellschaftlichen Unternehmensautorität und damit Probleme der Legimität wirtschaftlicher Handlungsweisen angesprochen. Die Wirtschaftssoziologie beruht darüber hinaus auf dem Studium unterschiedlich entwickelter Wirtschaftsordnungen. Erst wenn man die Regeln des Tauschmechanismus in wenig entwickelten Wirtschaftssystemen untersucht hat, wird man die Besonderheiten der modernen Tauschstrukturen deuten können. Daher sind die Ergebnisse, die die Anthropologie und Ethnologie liefern, zugleich ein wichtiges analytisches Werkzeug zum Verständnis und zur Interpretation hochentwickelter Marktsysteme. Auch die politischen Wissenschaften können der Wirtschaftssoziologie nützliche Dienste leisten. Um die gesellschaftlichen Bedingungen der Wirtschaft interpretieren zu können, ist es wichtig zu erfahren, wie die wirtschaftspolitischen Willensbildungsprozesse organisiert sind und welche Bedeutung sie haben. Welche Kräfte stehen hinter den Gesetzen, die das wirtschaftliche Handeln letztlich beeinflussen? Darüber hinaus haben auch die politischen Probleme des internationalen Zivilisationssystems, d. h. die Bedingungen des konfliktträchtigen Nord-SüdGefälles erheblichen Einfluß auf die ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung jedes Landes. Die zentrale Frage, die in diesem Zusammenhang der amerikanische Wirtschaftssoziologe Immanuel Wallerstein stellt, lautet: Wie kann die sozioökonomische Kooperation zwischen den hochindustrialisierten Staaten (Kernstaaten) und den nicht-industrialisierten Entwicklungsländern (Peripheriestaaten) in dieser Welt gestaltet werden? Ein Problem, dessen Beantwortung vor allem die Wirtschaftssoziologie und die Politikwissenschaften zusammenführt.
6
1. Wirtschaftssoziologie als wissenschaftliche Fachdisziplin
Von den Fächern, die in enger Beziehung zur Wirtschaftssoziologie stehen, k o m m t der Volkswirtschaft eine besondere Bedeutung zu. Die N ä h e zur N a t i o n a l ö k o n o m i e ist insofern gegeben, als sich beide Disziplinen direkt u n d ausschließlich mit der Wirtschaft befassen. W ä h r e n d sich die Volkswirtschaft auf die Analyse jener Entscheidungen beschränkt, wie k n a p p e P r o d u k t i o n s mittel mit Hilfe von Geld f ü r die P r o d u k t i o n verschiedener G ü t e r verwendet werden, u n d wie schließlich diese G ü t e r verteilt werden (Samuelson I, 1980: 17), liegt das Interesse der Wirtschaftssoziologen vor allem auf den gesellschaftlichen Bedingungen und den gesellschaftlichen R ü c k w i r k u n g e n eben dieser Prozesse. A n h a n d eines T h e m a s , das beide Disziplinen beschäftigt, soll die unterschiedliche Betrachtungsweise verdeutlicht werden. Die weltweit steigende Arbeitslosigkeit hat beide Fächer miteinander verk n ü p f t . D o c h die Wirtschaftssoziologie u n d die Volkswirtschaft interessieren sich f ü r jeweils andere Aspekte dieses Problems. Die N a t i o n a l ö k o n o m e n drücken die Bedingungen der Beschäftigungskrise hauptsächlich in F o r m theoretisch-abstrakter Modelle aus, in denen sich die innere Abhängigkeit der Arbeitslosigkeit von rein ökonomischen D a t e n wie etwa N a c h f r a g e , Leistungsbilanz, Geldmenge, Zins, Investitionsneigung, Finanzsituation der öffentlichen H a u s h a l t e etc. darstellen läßt; mit anderen W o r t e n : sowohl die Ursachen der Beschäftigungskrise als auch die Möglichkeiten zu ihrer Beheb u n g werden in einem geschlossenen System rein ö k o n o m i s c h e r Prämissen und Kategorien analysiert. Die G r u n d m e t h o d e ist die von sozialen Einflußgrößen isolierende Abstraktion quantifizierbarer D a t e n , aus deren gegenseitigem Verhältnis die entsprechenden Erkenntnisse gezogen werden. Charakteristisch f ü r diese Vorgehensweise u n d damit zugleich s y m p t o m a t i s c h f ü r die nationalökonomische D e n k a r t sind die zwei gegenwärtig wohl a m meisten diskutierten Modelle zur Erklärung der Beschäftigungskrise. Das angebotsorientierte
Betrachtungsmodell
Die Ausgangsthese dieses Modells ist der G e d a n k e , d a ß die Beschäftigungskrise vor allem daher rührt, d a ß sich die U n t e r n e h m e n wegen der ungenügenden Ertragslage von der Einstellung neuer Mitarbeiter keinen G e w i n n oder zumindest keinen Zusatznutzen mehr versprechen. D a h e r plädieren die Vertreter dieses Modells zunächst f ü r eine durchgreifende Kostenentlastung u n d Ertragsverbesserung bei den U n t e r n e h m e n , um Anreize zu schaffen, wieder in neue Arbeitsplätze zu investieren. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zum Herstellen von G ü t e r n u n d Dienstleistungen sind so weit zu verbessern, bzw. die Angebotssituation eines Unternehmens ist so weit zu kräftigen (daher der N a m e „Angebotspolitik"),
1.2. Der systematische Standort der Wirtschaftssoziologie
7
daß sich die Neueinstellung von Mitarbeitern wieder lohnt. Als Rezepte werden dementsprechend vorgeschlagen: Verbesserung der betrieblichen Ertragsund Gewinnsituation durch Steuerentlastungen, Zins- und Steueranreize zur Stärkung der Investitionsneigung, geringe Lohnsteigerungsraten, dosierte Geldmengenpolitik, Förderung privater Risikobereitschaft, Förderung von Produkt- und Verfahrensinnovationen und eine zurückhaltende, defensive Haushaltspolitik des Staates. Die nationalökonomische Betrachtungsweise verläuft auf einem Feld rein ökonomischer Fixpunkte, zwischen Ertragsverbesserung einerseits, Steuerquote, Zins, Lohnkosten und Geldmenge andererseits. Es handelt sich um ein Denken in einem geschlossenen Input-Output-Modell. Um es noch genauer zu sagen: Einen Prozeß als wirtschaftlichen Vorgang zu sehen, bedeutet, einige volkswirtschaftliche Daten zu ändern bzw. einige neue Größen einzugeben (Input) und schließlich ein bestimmtes Ergebnis (Output) abzuleiten.
Das nachfrageorientierte
Modell
Das nachfrageorientierte Modell geht vom Gedanken aus, daß eine Beschäftigungskrise immer dann entsteht, wenn alle Haushalte in einer Volkswirtschaft nicht so viele Güter und Dienstleistungen nachfragen, d. h. kaufen wollen, wie zu deren Herstellung an Arbeitsplätzen notwendig ist. Wenn also weniger gekauft wird, als alle Beschäftigten herstellen können, werden die Unternehmen die überflüssigen Arbeitnehmer entlassen. Also, so folgern die Theoretiker der nachfrageorientierten Betrachtungsweise, muß wieder mehr bestellt und gekauft werden, damit alle eine Beschäftigung finden. Wenn es die privaten Haushalte nicht von sich aus tun, muß entweder in entsprechendem Umfang der Staat einspringen und öffentliche Güter nachfragen — wie etwa Straßen, Krankenhäuser, Schulen etc. — oder aber die privaten Haushalte müssen über steuerliche Entlastungen angeregt werden, wieder mehr zu kaufen. Im Grunde zielt das nachfrageorientierte Modell darauf, die Absatzlage und die Absatzaussichten bei den Unternehmen so zu verbessern, daß gerade immer Vollbeschäftigung herrscht. Notfalls muß der Staat auch Schulden machen, damit genügend nachgefragt wird.
Resümee: In der Darstellung beider Modelltypen sind bewußt alle Komplikationen fortgelassen worden. Es kommt lediglich darauf an zu verdeutlichen, daß sich die Nationalökonomen vor allem für die rein quantitativ-ökonomischen G r ö ßen und deren Beziehungen untereinander interessieren, dagegen alle gesellschaftlichen Einflußgrößen als Störfaktoren zumeist in die berühmte
8
1. Wirtschaftssoziologie als wissenschaftliche Fachdisziplin
„ceteris-paribus-Klausel" verweisen. Sie ist eine Hilfskonstruktion der Nationalökonomie, die unterstellt, daß, um den Zusammenhang und die Wirkungen der rein ökonomischen Faktoren studieren zu können, die Bedeutung der gesellschaftlichen Faktoren einfach ignoriert werden kann. Der Wirtschaftssoziologe ist aber genau entgegengesetzter Ansicht. Er interessiert sich gerade für diese ceteris-paribus-Klausel, d. h. f ü r alle jene Faktoren, die zur Klärung der Beschäftigungskrise beitragen, ohne im ökonomischen Sinn quantifizierbar zu sein. Dementsprechend könnte die Analyse des Wirtschaftssoziologen zum Ergebnis kommen, daß die nationalökonomischen Erklärungsversuche nicht ausreichen, weil die eigentliche Ursache der ökonomischen Krise vor allem auf gesellschaftliche Einflußfaktoren zurückzuführen ist. Beispielsweise könnte die Krise erstens auf die Folge eines institutionellen Konflikts zurückgeführt werden: nämlich des Konflikts zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden. Diese von unterschiedlichen Interessen bestimmte Auseinandersetzung könnte über stetig steigende Reallöhne und die damit verbundenen vermehrten Rationalisierungs- und Automatisierungsanstrengungen zu wachsenden Beschäftigungslosenzahlen führen. Ökonomische und gesellschaftliche Faktoren wirken unter diesen Umständen zusammen. Oder die Beschäftigungskrise könnte zweitens auch daher rühren, daß dem modernen Markt überhaupt die Institutionen fehlen, um ein politisches Ziel wie Vollbeschäftigung zu erreichen. W o keine entsprechenden Schaltstellen oder institutionellen Vermittlungsinstanzen vorhanden sind, die einen Gemeinschaftswert wie Vollbeschäftigung gegebenenfalls auch zu Lasten bestehender Organisationsrechte oder individueller Ansprüche durchsetzen können, lassen sich die entsprechenden Probleme nicht lösen. Drittens könnte der Wirtschaftssoziologe seinen Blick auf die dem Marktsystem zugrundeliegenden Wert- und Überzeugungssysteme richten. Er wird dann möglicherweise beobachten, daß materielle Wohlfahrt nach wie vor hoch geschätzt ist, inzwischen aber in steigendem Maße immaterielle Wertorientierungen hinzutreten. Wenn aber Konsum und Wachstum relativ gesehen an Wertschätzung verlieren, ist dies auch ökonomisch folgenreich: Mit stagnierenden Konsumbedürfnissen wäre eine auf Wachstum hin orientierte Volkswirtschaft nicht in der Lage, das Beschäftigungsproblem zu lösen. Es könnte aber schließlich auch sein, daß die Beschäftigungskrise daraus resultiert, daß der Wert der Arbeit gesunken ist. Herrschte vor einer Generation noch eine hohe Wertschätzung von Arbeit und Arbeitspflicht, so stehen heute eher individualistische Werte und Ansprüche im Vordergrund. Sie ermöglichen zahlreiche Distanzierungsmöglichkeiten zur Arbeit. Jede
1.2. Der systematische Standort der Wirtschaftssoziologie
9
Distanz zur Arbeit ist aber zugleich auch eine E i n s c h r ä n k u n g von Mobilität und Karrierebewußtsein, von beruflicher Flexibilität u n d Engagement. A u c h diese F a k t o r e n summieren sich letztlich zu einer aus der Sicht eines wachstumsorientierten Marktsystems virulenten Krise (vgl. K a p . 7, Die Arbeitskrise). Diese k n a p p e n Hinweise illustrieren, welche Rolle die Wirtschaftssoziologie bei der Klärung der vermuteten Krise der Arbeitsgesellschaft spielt. Den Wirtschaftssoziologen interessieren nicht die Nachfrage- u n d Angebotsströme, sondern vielmehr die Probleme, die aus gesellschaftlichen Wert- u n d Überzeugungssystemen sowie aus der Funktionsweise der Marktinstitutionen resultieren. Die moderne Industriegesellschaft und ihre Bedingungen sind so komplex, d a ß eine rein ökonomische A n n ä h e r u n g an ihre Probleme einen zwar sehr wichtigen, gleichwohl zu engen Ausschnitt erfaßt. O h n e die Erkenntnisse der Soziologie läßt sich die Entwicklung der Wirtschaft nicht angemessen deuten.
Wirtschaftssoziologie
als spezielle
Soziologie
Die Wirtschaftssoziologie ist eine Teildisziplin innerhalb der Soziologie u n d gehört von ihrem systematischen Platz her zu den speziellen Soziologien. Neben der Wirtschaftssoziologie gibt es eine ganze Reihe weiterer Disziplinen, die sich mit ökonomischen Problemen befassen: beispielsweise die M a r k t s o ziologie, die Betriebssoziologie, die Industriesoziologie etc. Die Frage, o b Abb.2 Wirtschaftssoziologie als spezielle Soziologie
10
1. Wirtschaftssoziologie als wissenschaftliche Fachdisziplin
diese Fachdisziplinen im weitesten Sinn des Wortes zur Wirtschaftssoziologie gehören, d. h. ob die Wirtschaftssoziologie der Oberbegriff zu allen anderen ökonomisch orientierten Spezialsoziologien ist, ist umstritten. V o m inhaltlichen u n d methodischen S t a n d p u n k t scheint es besser zu sein, die Wirtschaftssoziologie u n d ihre Nachbardisziplinen eindeutig zu trennen, wenn a u c h Überschneidungen unvermeidlich sind. D e m g e m ä ß bilden alle Spezialsoziologien der Wirtschaft eigenständige Fachdisziplinen, die sich zwar gegenseitig befruchten, sich dabei aber auf jeweils ganz unterschiedliche thematische Bereiche konzentrieren.
Marktsoziologie Die Marktsoziologie hat noch die engste N a c h b a r s c h a f t zur Wirtschaftssoziologie. D e n n o c h ist ihr Gegenstand d a d u r c h begrenzt, d a ß sie sich allein auf die gesellschaftlichen Probleme eines selbstregulativen Marktsystems beschränkt u n d andere F o r m e n wirtschaftlicher Tauschsysteme außer Betracht läßt. Die Marktsoziologie befaßt sich mit der Frage, nach welchen Prinzipien u n d unter welchen Gesichtspunkten der selbstregulative A u s t a u s c h m e c h a n i s m u s des Marktes funktioniert; ferner, welche typischen H a n d l u n g s m u s t e r u n d Institutionen der M a r k t ausbildet, und schließlich, welche gesellschaftlichen Rückwirkungen die Marktprozesse ausüben.
Betriebssoziologie Die Betriebssoziologie befaßt sich im Gegensatz zur Wirtschaftssoziologie nicht mit der Volkswirtschaft als ganzer, sondern vor allem mit dem einzelnen Betrieb bzw. dem einzelnen U n t e r n e h m e n . Die Betriebssoziologie hat d a h e r allein jenen Ausschnitt des sozialen H a n d e l n s zum G e g e n s t a n d , der zur H e r stellung von G ü t e r n u n d Dienstleistungen in eigens d a f ü r eingerichteten u n d rational organisierten Betrieben gegeben ist u n d insoweit theoretisch abgegrenzt analysierbar ist. Überprononciert formuliert entspricht die Wirtschaftssoziologie vom Gegenstand her eher der Volkswirtschaftslehre, die Betriebssoziologie der Betriebswirtschaftslehre.
Industriesoziologie Die Industriesoziologie ist nicht klar von der Betriebssoziologie zu trennen. A m ehesten läßt sich eine Grenzziehung noch insofern v o r n e h m e n , als die Industriesoziologie die Betriebsprobleme nicht so sehr aus den sozialen Bedingungen des Betriebs heraus untersucht, sondern das U n t e r n e h m e n in erster Linie als Ergebnis allgemeiner Industriestrukturen u n d hochindustrialisierter
1.2. Der systematische Standort der Wirtschaftssoziologie
11
Prozesse begreift. G e f r a g t wird nach den besonderen Auswirkungen industrieller Technik ( A p p a r a t u r e n , technische Verfahrensweisen, Bürokratie, E D V , etc.) auf gesellschaftliche und betriebliche Strukturen.
A
rbeitssoziologie
Die Arbeitssoziologie ist eine Teildisziplin der Arbeitswissenchaften und steht damit in engem interdisziplinären Kontakt zur Arbeitsmedizin, Arbeitsphysiologie u n d Arbeitspsychologie. Wirtschaftssoziologie u n d Arbeitssoziologie überschneiden sich n u r teilweise. Wirtschaftssoziologie ist nämlich insofern Arbeitssoziologie, als sie sich f ü r die allgemeinen gesellschaftlichen Konsequenzen menschlicher Arbeitsformen, f ü r die sozialstrukturellen Bedingungen u n d Folgen der Arbeitsteilung und schließlich auch f ü r die Wechselwirkung von Arbeitswerten und institutionellen R a h m e n b e d i n g u n gen der Wirtschaft interessiert. Andererseits ist die Wirtschaftssoziologie in den Fällen nicht Arbeitssoziologie, in denen die Arbeitssoziologie ihren Blick auf den Z u s a m m e n h a n g innerbetrieblicher Arbeitsproduktivität einerseits und h u m a n e r Arbeitsplatzbedingungen, betrieblicher F ü h r u n g s - und Organisationsformen, Motivationsstrategien andererseits richtet.
Konsumsoziologie Die Konsumsoziologie heißt auch Verbrauchersoziologie u n d befaßt sich mit der Abhängigkeit des Konsumentenverhaltens einzelner oder bestimmter Gesellschaftsschichten vom sozialen Milieu (Hartfiel 1972:352 f.). Untersucht wird beispielsweise, wie K o n s u m s t a n d a r d s und K o n s u m p r ä f e r e n z e n zustande k o m m e n , ferner, wie Rolleneinflüsse das K o n s u m v e r h a l t e n prägen, welche Bedeutung Konsumpioniere ausüben können, und schließlich, in welcher Weise der M a s s e n k o n s u m wieder selbst normenbildend und s t r u k t u r v e r ä n dernd wirkt. Auch die Konsumsoziologie leistet der Wirtschaftssoziologie in gewisser Weise Zubringerdienste. Der jeweilige K o n s u m s t a n d a r d in unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten unterliegt normativen Wertsetzungen, die auf die Beziehungen zwischen den Menschen und vor allem auf die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft zurückwirken.
Berufssoziologie Die Berufssoziologie ist eine von der Wirtschaftssoziologie eindeutig abgrenzbare Spezialdisziplin soziologischer Forschung. D a der Beruf zum zentralen S t a t u s f a k t o r moderner Gesellschaften geworden ist, wird vom Berufssoziologen gefragt,
12
1. Wirtschaftssoziologie als wissenschaftliche Fachdisziplin
(1) welchen Einfluß die Berufe auf die gesellschaftliche Schichtung haben, (2) welches Prestige mit der Ausübung bestimmter Berufe verknüpft ist, (3) welche nicht-monetären Eigenschaften für berufliche Leistungen als äquivalent gelten können, (4) ob mit der Ausübung bestimmter Berufe zugleich bestimmte gesellschaftliche Wertsetzungen und Werthaltungen zusammenhängen (also ob beispielsweise ein Handwerker einen anderen Lebensstil und andere Wertvorstellungen hat oder andere Prioritäten setzt als ein Sachbearbeiter in einem Großunternehmen), (5) wie stark berufliche Anforderungen die Persönlichkeit formen und zur Berufszufriedenheit bzw. zur Berufsunzufriedenheit führen und (6) welche allgemeinen wirtschaftlichen, betrieblichen und gesellschaftlichen Entwicklungen zur Berufsentfremdung bzw. zur Berufserfüllung beitragen (vgl. Hartfiel 1972: 71).
1.3 Das Verhältnis von Wirtschaftsmodell und Wirtschaftswirklichkeit Die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft lassen sich auf zwei analytischen Ebenen untersuchen: 1. die Beschreibung und Analyse der Wirtschaftswirklichkeit, d. h. die faktischen Beziehungen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, und 2. die Erklärung des Ideals, der wünschenswerten Konzeption einer wirtschaftlichen Ordnung. Im ersten Fall lautet die Frage: Wie sind die gesellschaftlichen Bedingungen der Wirtschaft tatsächlich beschaffen? Im anderen Fall fragt der Wirtschaftssoziologe: Wie soll die Wirtschaft beschaffen sein? Was ist die wünschenswerte Konzeption einer guten Wirtschaftsordnung? Der Unterschied in der Fragestellung ist gravierend. Einmal handelt es sich um eine empirische, das andere Mal um eine normative Betrachtungsebene. Zumeist sind wirtschaftssoziologische Untersuchungen empirischer Art; es handelt sich um systematische Analysen der tatsächlichen Probleme und Erscheinungsformen. Um aber die Richtung der sozio-ökonomischen Entwicklung deuten zu können, bedarf es zugleich einer normativen Annäherung, d. h. einer Analyse der Ideen einer wirtschaftlichen Ordnung. Die Frage nach der wünschenswerten Konzeption einer Wirtschaft spielt nicht nur in den Köpfen der Bevölkerung, sondern auch in den Programmen politisch orientierter Gruppen und in den Parteien eine wichtige Rolle. Sie ist deshalb wichtig, weil hinter der Vorstellung einer guten Wirtschaftsordnung ganz prinzipielle weltanschauliche und gesellschaftliche Fragen stehen. Beispielsweise ist es ein großer Unterschied, ob die ökonomische O r d n u n g um die
1.3. D a s V e r h ä l t n i s v o n W i r t s c h a f t s m o d e l l u n d W i r t s c h a f t s w i r k l i c h k e i t
13
Institutionen des Individualismus, des W e t t b e w e r b s u n d der privaten Eigent u m s n u t z u n g h e r u m gebaut wird, oder o b die W i r t s c h a f t auf einer wie i m m e r a u c h zu d e u t e n d e n G e m e i n s c h a f t s i n s t i t u t i o n bzw. G e m e i n s c h a f t s i d e o l o g i e b e r u h t , die ihre B e s t i m m u n g aus Prinzipien der Religion, der K u l t u r , des N a t i o n a l i s m u s oder einer G e m e i n s c h a f t s e t h i k beziehen. Die D i s k u s s i o n u m zentrale gesellschaftliche Werte u n d Institutionen ist zugleich i m m e r auch eine Diskussion ü b e r die reale wirtschaftliche O r d n u n g . Diese D i s k u s s i o n ist beileibe nicht unverbindlich oder praktisch bedeutungslos. Vorstellungen über die wünschenswerte K o n z e p t i o n der W i r t s c h a f t gehen in tagespolitische Auseinandersetzungen ein. D o r t sind sie G e g e n s t a n d ernster Konflikte o d e r aber auch weit verbreiteter Ü b e r e i n s t i m m u n g . In j e d e m Falle werden die Ideen einer guten oder besseren W i r t s c h a f t s o r d n u n g letztlich wieder R ü c k w i r k u n g e n auf den ö k o n o m i s c h e n Alltag u n d auf die realen wirtschaftlichen Beziehungen selbst h a b e n . E n t w e d e r werden neue gesetzliche Bestimmungen erlassen, oder aber die W i r t s c h a f t wird mit neuen A n f o r d e r u n gen, Wertvorstellungen u n d Interessen der Öffentlichkeit k o n f r o n t i e r t . J e d e n falls sind die Ideen einer wünschenswerten W i r t s c h a f t s o r d n u n g — seien sie richtig o d e r falsch — einflußreich, zumeist einflußreicher als m a n glaubt; vielleicht nicht sofort u n d nicht u n m i t t e l b a r , da der P r o z e ß der U m s e t z u n g solcher Ideen lange Zeit b r a u c h t . A b e r f r ü h e r o d e r später sind es i m m e r neue Wertideen, die die wirtschaftliche O r d n u n g v e r ä n d e r n u n d ihre Beziehungen zur Gesellschaft neu gestalten. D a m i t schließt sich der Kreis. A u s den E r f a h r u n g e n ö k o n o m i s c h e r Wirklichkeit f o r m e n sich neue Ideen des W ü n s c h e n s w e r t e n . Sie gehen in F o r m von gesellschaftspolitischen oder moralischen Leitbildern in die öffentliche Diskussion ein u n d werden d o r t in praktische Ziele u n d Interessen u m f o r m u l i e r t . H a b e n diese Ziele im politischen Prozeß schließlich Erfolg, wirken sie in F o r m von Gesetzen, Verhaltensregeln oder gesellschaftlichen N o r m e n wieder auf die Bedingungen wirtschaftlicher Prozesse z u r ü c k . W e n n die W i r t s c h a f t s s o z i o l o gie a u c h zwischen der empirischen u n d n o r m a t i v e n E b e n e in der Analyse unterscheiden m u ß , spielt d o c h in der Praxis der Z u s a m m e n h a n g von Idee u n d Wirklichkeit f ü r die E n t w i c k l u n g der W i r t s c h a f t eine große Rolle.
Zusammenfassung 1. M a n wird w ä h r e n d seines ganzen Lebens mit wirtschaftlichen P r o b l e m e n k o n f r o n t i e r t . D a b e i scheint es sich zumeist u m rein ö k o n o m i s c h e F r a g e n zu handeln. Als Wirtschaftssoziologe m u ß m a n wissen, d a ß diese P r o b l e m e nicht n u r eine ö k o n o m i s c h e , s o n d e r n zumeist a u c h eine tiefgreifende gesellschaftliche Ursache h a b e n . M a n m u ß diese P r o b l e m e bewerten, ihren
14
1. Wirtschaftssoziologie als wissenschaftliche Fachdisziplin
gesellschaftlichen Zusammenhang beurteilen und ihre Folgen abschätzen können. 2. Es gibt zahlreiche Definitionen der Wirtschaftssoziologie. Die wichtigste ist: Wirtschaftssoziologie ist diejenige Betrachtungsweise, die die gesellschaftliche Seite (Voraussetzungen, Erscheinungsformen, Folgen) wirtschaftlicher Prozesse untersucht. Ihre Aufgabe ist es, Wirtschaft und Gesellschaft in ihren wechselseitigen Beziehungen darzustellen. 3. Die Wirtschaftssoziologie weist von ihrem Thema her zahlreiche Überschneidungen mit anderen Sozialwissenschaften auf (Psychologie, Ethnologie, Politologie und Volkswirtschaft). Allerdings unterscheidet sie sich in ihrer Vorgehensweise, in ihren Methoden und ihren Ergebnissen. 4. Innerhalb der Soziologie gibt es eine ganze Reihe von Spezialsoziologien, die sich mit wirtschaftlichen Problemen befassen, zum Beispiel: Berufssoziologie, Betriebssoziologie, Marktsoziologie, Industriesoziologie, Arbeitssoziologie. Auch wenn es zwischen ihnen und der Wirtschaftssoziologie bestimmte Verbindungen gibt, so ist die Wirtschaftssoziologie in erster Linie eine eigenständige makrosoziologische Disziplin, die sich im Gegensatz zu den anderen speziellen Soziologien mit den grundsätzlichen Bedingungen der Wirtschaft als eines gesellschaftlichen Ordnungssystems befaßt. 5. In der Wirtschaftssoziologie kann man zwischen zwei analytischen Ebenen unterscheiden; und zwar zwischen der empirischen und normativen Ebene der Betrachtung. Während die normative Ebene eine Konzeption der wünschenswerten Wirtschaft anzeigt, gibt die empirische Ebene Hinweise auf die faktisch vorhandenen Beziehungen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft.
Fragen zur Wiederholung 1. Erklären Sie die Besonderheiten der Wirtschaftssoziologie im Unterschied zu den anderen Disziplinen der Sozialwissenschaften. 2. W a r u m reicht eine rein ökonomische Annäherungsweise nicht aus, um wirtschaftliche Probleme plausibel zu erklären? 3. Erklären Sie die Wirtschaftssoziologie im Unterschied zu den anderen ökonomischen Spezialsoziologien.
1.3. Das Verhältnis von Wirtschaftsmodell und Wirtschaftswirklichkeit
15
4. Diskutieren Sie die soziologische Bedeutung der Beschäftigungskrise. 5. Entwerfen Sie bestimmte Merkmale einer wünschenswerten Konzeption eines Wirtschaftssystems. Welche gegenwärtigen Elemente des Marktwirtschaftssystems müßten Ihrer Ansicht nach überdacht werden oder korrigiert werden? Versuchen Sie, dabei soziologische und ökonomische Gesichtspunkte zu unterscheiden. 6. Worin unterscheidet sich der Themenbereich der Wirtschaftssoziologie von der Volkswirtschaftslehre?
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen
Die Wirtschaftssoziologie befaßt sich nicht nur mit den zeitgenössischen Zusammenhängen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft; Wirtschaftssoziologie ist zugleich auch Ideengeschichte, eine Geschichte soziologischen Denkens, vor allem aber eine Geschichte der Deutungsversuche des modernen Kapitalismus. Sie wendet sich den Ursachen, Bedingungen und Merkmalen der wirtschaftlichen Entwicklung zu. Andere Fragestellungen treten demgegenüber ganz in den Hintergrund. Insofern ist die klassische Wirtschaftssoziologie hauptsächlich eine Makrosoziologie. Die Theorien beispielsweise von Marx, Weber, Smith, aber auch von Schumpeter oder Habermas über die Anfänge und Besonderheiten der kapitalistischen Entwicklung sind ein gutes Beispiel für unterschiedliche makrosoziologische Hypothesenbildungen bzw. für das breite Spektrum wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen. Hier wird der Versuch unternommen, Daten der historischen Forschung zur Interpretation sozialen Wandels von größtem Ausmaß zu benutzen. Dabei wird in der Regel angenommen, daß die Umformung der Wirtschaft zum Kapitalismus nicht nur ökonomische Folgen hat, sondern mit beträchtlichen Wandlungen der Sozialstruktur, des Kultur- und Wertsystems und der politischen Organisation verbunden ist.
2.1 Adam Smith Adam Smith (1723-1790) ging zwar als Vater der Nationalökonomie in die Geschichte ein, aber die Wirkungen des großen schottischen Moralphilosophen erstreckten sich auch auf alle anderen Bereiche der Sozialwissenschaft. Sein bedeutendstes Werk „Eine Untersuchung über das Wesen und den Ursprung des Wohlstands der Nationen" erschien 1776. Smith entwickelte eine Konzeption, die die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft sowie zwischen Wirtschaft und Staat auf eine völlig neue Grundlage stellte. Zu verstehen ist Adam Smith's Arbeit nur vor dem Hintergrund seiner Epoche, des Merkantilismus. Der Merkantilismus — entstanden im 17. Jahrhundert — war eine Wirtschaftsordnung, in der sich Staat und Wirtschaft gegenseitig umwarben. Einerseits suchte die Wirtschaft vor allem nach politischem und militärischem Schutz in Kolonialländern, auf der anderen Seite glaubte die Regierung, daß die Wirtschaft als Instrument staatlicher Machtpolitik zu fördern sei.
Ig
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer L e h r m e i n u n g e n
G r u n d für das gegenseitige Interesse war die Annahme, daß der Reichtum einer Nation im Besitz von Edelmetallen liege. Um den Reichtum zu steigern, versuchten die großen Handelskompanien, neue Rohstoffquellen zu erschließen, aber die Risiken zur Erschließung und Sicherung der Rohstoffquellen in den Kolonialländern dem Staat anzulasten. Der Einsatz aller Kräfte zu einer umfassenden Rohstoffdeckung und die Hortung von Edelmetallen hatten eine über ihren eigentlichen Zweck hinausgehende Wirkung. Die Handels- und Kolonialgilden versicherten sich zur Deckung ihrer Risiken der politischen und militärischen Bürgschaft des Staates. Dies regte im Gegenzug den Staat zu wirtschaftspolitischen Eingriffen an: beispielsweise zu einem ganzen Bündel von staatlichen Verordnungen, die darauf abzielten, die Steuer- und damit Finanzkraft des Staates zu stärken. Auf diese Weise wuchsen dem Staat neue wichtige Funktionen zu. Die Folge war die Entwicklung eines großen bürokratischen Verwaltungsapparates, der zunehmend eigene machtpolitische Interessen wahrnahm. Der Staat handelte nicht mehr nur im Dienst an der Wirtschaft, sondern begann zugleich, in F o r m von Verordnungen in die Wirtschaft hineinzuregieren. Die Sphäre der Wirtschaft entwickelte sich mehr und mehr zum Gegenstand staatsinterventionistischer Eingriffe. Kennzeichnend für die Epoche des Merkantilismus sind folgende Merkmale: — — — — — — — — — — —
Staatliche Förderung von Export Staatliche Förderung der Rohstoffdeckung Förderung der Finanzkraft des Staates Politische und militärische Bürgschaften für Risiken, die die Handelskompanien in den Kolonialländern eingehen Zunehmender Kolonialismus Entwicklung eines bürokratischen Verwaltungsapparates Zunahme staatlicher Steuereingriffe Entwicklung der Geldwirtschaft Verschmelzung von staatlichen und privaten Interessen Privilegierung von Staatsinteressen Erweiterung staatlicher Kompetenzen und Zuständigkeiten gegenüber der Wirtschaft.
Vor diesem wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Hintergrund entwickelt Smith, ein strenger Gegner des Merkantilismus, seine Theorie. Weder Kapital noch Edelmetalle, wie der Merkantilismus behauptete, bilden die Quelle des Reichtums, sondern allein die Arbeit des Volkes. Die Arbeit eines Volkes ist die Quelle — so Smith — aus der es mit allen notwendigen und angenehmen Dingen des Lebens versorgt wird. Arbeit allein führt zum Wohlstand einer Gesellschaft.
2.1. A d a m Smith
19
Angesichts dieser Grundthese beschäftigt sich Smith mit der Frage, worin sich der Wert einer Ware ausdrückt. Er unterscheidet zum einen den Tauschwert, der aus dem Preis hervorgeht, und zum anderen den Gebrauchs- und Nutzwert, der sich im Verwendungsnutzen bzw. in der Brauchbarkeit einer Ware niederschlägt. Da die Preise der Waren schwanken, ist zunächst unklar, was ihr wahrer, wirklicher Preis ist. Gibt es, so fragt Smith, einen unverrückbaren Maßstab, mit dem der wahre Preis, also der wahre Tauschwert aller Waren gemessen und verglichen werden kann? Weder Tausch- noch Nutzwert erscheinen Smith geeignet. Zum Beispiel haben Diamanten einen hohen Tausch-, aber nur geringen Nutzwert. Umgekehrt hat Wasser einen geringen Tausch-, jedoch hohen Nutzwert. Smith mißt deshalb den Wert einer Ware nach der Arbeit, die in ihr steckt. Er geht von der Vorausetzung aus, daß die Arbeitsmenge, die ein Arbeiter aufbringen kann, auf Dauer konstant bleibt. Mit anderen Worten: Ein Mensch produziert T a g für Tag Waren von gleichem Wert. Zugleich nimmt Smith an, daß bei einem Geschäft immer etwa gleich große Mengen an Arbeit ausgetauscht werden. Was er meint, veranschaulicht er mit einem Beispiel: In grauer Vorzeit sei die Jagd auf einen Biber doppelt so zeitraubend gewesen wie die Jagd auf einen Hirsch. Mithin entsprach die Arbeitsmenge, die für die Jagd auf den Biber aufgewendet wurde, jener Arbeitsmenge, die für das Erlegen von zwei Hirschen notwendig war. Entsprechend diesem Verhältnis (ein Biber — zwei Hirsche) hätten die Jäger getauscht. Wenn wir die verschiedenen Waren und Preise vergleichen, so Smith, rechnen wir in Wirklichkeit aus, wieviel Mühe und Beschwerden erforderlich sind, um sie zu erzeugen. Arbeit allein ist somit der letzte und wirkliche Maßstab, nach dem der Wert aller Waren zu allen Zeiten und Orten gemessen und verglichen werden kann. Im nächsten Schritt seiner Argumentation überlegt sich Smith, wie die Arbeit organisiert sein muß, damit Reichtum und gesellschaftlicher Fortschritt gewährleistet werden können. Er nennt vor allem zwei Bedingungen: (1) Arbeitsteilung (2) freier Markt. Arbeitsteilung und freie Märkte sind die grundlegenden Institutionen wohlhabender Gesellschaften. Die Ergiebigkeit der Arbeit hängt vor allem von der Arbeitsteilung ab, deren Wesen Smith an dem berühmten Beispiel der Stecknadel-Fabrikation und Nagel-Schmiederei veranschaulicht. Ein Arbeiter kann höchstens ein Dutzend Stecknadeln mittelmäßiger Qualität herstellen. Wenn dagegen eine kleine Gruppe von Arbeitern so eingeteilt wird, daß jeder nur einfache, sich stets wiederholende Arbeitsgänge zu vollziehen hat, so
20
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer L e h r m e i n u n g e n
können diese Arbeiter Hunderttausende von Stecknadeln guter Qualität am Tag produzieren. Je mehr die Arbeit spezialisiert ist, umso größer ist schließlich auch die Produktivität. Je mehr die Arbeit geteilt wird, umso mehr nehmen damit Wachstum und Wohlstand zu. Doch es gibt Einschränkungen. Ausmaß und Umfang der Arbeitsteilung hängen Smith zufolge von der Größe des Absatzmarktes ab. Sofern der Markt groß ist, und die Marktbeziehungen keiner Einschränkung unterliegen, kann sich ein stabiles System der Arbeitsteilung entwickeln — die eigentliche Voraussetzung des Reichtums. Die Größe freier Märkte ist die zweite Bedingung für die Prosperität einer Nation. Entsprechend dient der freie Markt nicht nur dem Interesse einzelner Menschen, sondern auch dem sozialen Fortschritt einer ganzen Gesellschaft. Die Institution des freien Marktes knüpft Smith an folgende ökonomische und soziale Bedingungen: 1. Prinzip des freien Tausches 2. Prinzip der vollkommenen Konkurrenz 3. Prinzip des Eigennutzes 4. Prinzip der Invisible Hand (Prinzip der unsichtbaren Hand) Prinzip des freien
Tausches
Smith zufolge gibt es eine Grundneigung der menschlichen Natur zu tauschen. Die „propensity to truck, barter and exchange" ist Folge der Tatsache, daß der Mensch ein Kulturwesen mit dem Bedürfniss zur Kommunikation und wirtschaftlichem Interessenausgleich ist. Das Tauschprinzip ist etwas Natürliches, und genau darauf beruht der Kapitalismus. Insofern ist die Entwicklung des Kapitalismus ein ganz natürlicher Prozeß. Die früher existierenden Gesellschaften haben das Tauschprinzip pervertiert, weil sie entweder nur eine bestimmte Tauschform zugelassen haben oder bestimmte Tauschvorgänge ganz unterbunden haben. Daher ist der Kapitalismus zwar latent immer vorhanden gewesen, nur eben verdeckt. Die Entwicklung eines freien, uneingeschränkten Tausches dient damit zugleich einer Entschlackung historischer Prozesse. Der Kapitalismus als Grundelement menschlichen Verhaltens wird freigelegt. Mit dem Niedergang des Merkantilismus — so Smith — hat das Problem des Fortschritts und des Reichtums aufgehört, überhaupt noch ein Problem zu sein. Prinzip der vollkommenen
Konkurrenz (pure
competilion)
Nur der Markt, der sich selbst reguliert und dem freien Wettbewerb unterliegt, wird in ein Gleichgewicht kommen. Smith baut in seine Theorie die Annahme
2.1. Adam Smith
21
ein, daß kein Unternehmer die Macht hat oder haben sollte, die Preise oder den gesamten Produktionsausstoß eines Industriezweiges zu beeinflussen. Die Machtvariable ist aus seinem Modell ausgeklammert. Der Hersteller von Hosen etwa betreibt seine Produktion ausschließlich um des eigenen Vorteils willen. Aber er kann keine Wucherpreise verlangen. Denn in diesem Falle würde die Kundschaft woanders kaufen. Also muß er Preise machen, die denen der Konkurrenz entsprechen. Marktpreise bilden sich also durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Werden mehr Hosen verlangt als auf dem Markt sind, wird das Publikum sich um die Ware reißen, was den Preis und damit die Profitrate nach oben treibt. Doch die Aussicht auf höhere Gewinne — so vermutet Smith — wird andere Unternehmen veranlassen, in das Hosengeschäft einzusteigen. Dadurch gleichen sich Angebot und Nachfrage wieder aus, der Preis für Hosen sinkt. Zugleich nimmt die Profitrate ab, bis sie schließlich der Gewinnspanne in allen anderen Branchen gleicht (Gesetz vom Ausgleich der Profitraten). Auch umgekehrt funktioniert der Mechanismus. Ist das Angebot an Hosen höher als die Nachfrage, gibt der Preis nach. Die Profitrate sinkt. Die Hersteller drosseln die Produktion und erzeugen andere Dinge, von denen sie sich eine bessere Profitrate versprechen. Auf Dauer kommt also der Marktpreis ins Gleichgewicht. Dieser Gleichgewichtspreis, der sich nur über die Bedingungen eines freien Wettbewerbs entwickelt, enthält die völlig normale Profitrate, die in allen Produkten steckt: jener Satz, nach dem Lohn, Profit und Bodenrente bezahlt werden können. Die ökonomischen Gesetze des freien Wettbewerbs, die den Markt beherrschen, sorgen dafür, daß sich die für Käufer und Verkäufer günstigste Marktkonstellation von alleine einstellt. Die Verfolgung rein rationaler Tauschinteressen führt zugleich zur Harmonie des Marktgeschehens. Dieser sogenannte „Laissez-faire" - Standpunkt (gewähren lassen) wird von Adam Smith zum Ausgangspunkt des klassischen liberalen Wirtschaftsmodells gemacht und bildet zugleich ein Kernelement des Ideals vom „Markt mit vollkommener Konkurrenz". Gleichwohl wußte Smith sehr genau, daß in der Praxis Kartellabsprachen gang und gäbe waren, um Preise und Produktion zu regulieren. Vertreter der gleichen Branche kamen zwar selten zusammen, „aber ihre Unterhaltung endete jedes Mal mit einer Konspiration gegen die Allgemeinheit". Smith hielt diese Abmachungen für illegitim und im Hinblick auf die Prosperität einer Gesellschaft für schädlich.
22
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen
Prinzip des Eigennutzes Smith geht in seinem Modell des freien Wettbewerbs vom Eigennutz des Individuums aus. Er preist den Eigennutz als den Motor allen wirtschaftlichen Handelns, wenn er bemerkte: „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, daß sie ihre Eigeninteressen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe." Die Menschen streben nach Erfolg, aber sie werden in ihrem Eigeninteresse gezwungen, das Interesse der anderen, und damit das Interesse der Gemeinschaft zu fördern. Der Kaufmann, der nach Handelschancen Ausschau hält, der Handwerker, der fleißig arbeitet: sie alle denken nur an sich, dienen aber tatsächlich anderen. Es ist sehr gut, so bemerkt Smith, daß uns die Natur auf diese Weise hintergeht. „Denn dieser Betrug ist es, der den Fleiß und die Geschäftstüchtigkeit der Menschen weckt und in Bewegung hält, und der uns schließlich den allgemeinen Wohlstand bringt", (zitiert in Jonas 1969: 105). Auf dieser Erkenntnis gründet Smith die These, daß die unzähligen, eigennützigen Aktivitäten, die das Wirtschaftsgeschehen in Schwung halten, nicht ins Chaos führen, sondern in eine vom Schöpfer gewollte „natürliche" Ordnung. Erst ein System des privaten Eigennutzes und einer freien Interessenkonstellation, die der Vernunft Gottes entspringt, sorgen für eine prosperierende Gesellschaft. Daher sind die Anerkennung des Eigeninteresses der Menschen und die gesellschaftliche Integration kein Gegensatz. Geeignete Institutionen wie Rechtsund Verkehrssicherheit, Eigentum und die Kontrollinstanzen der Märkte sind stark genug, das Selbstinteresse bzw. die überschießenden egoistischen Ziele der Menschen zu beschränken und auf konstruktive Bahnen festzulegen. Prinzip der Invisible Hand Gesellschaftliche Integration ist kein Ziel, das man sich vornimmt, indem man sich an allgemeine kollektive Werte oder Normen hält, sondern ist ein Ergebnis, das dadurch erreicht wird, daß die in Konflikt miteinander stehenden Handlungsziele vieler einzelnen auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Menschen, die vom Eigennutz und von ihren persönlichen Interessen geleitet werden, stellen fest, daß sie sich, um ihre eigenen Interessen zu befriedigen, mit Ergebnissen abfinden müssen, die zugleich dem Gemeinwohl des Ganzen dienen. In diesem Sinne spricht Smith von der „Invisible Hand". Sie ist nicht Ausdruck einer übergesellschaftlichen, gleichsam metaphysischen Instanz, sondern
2.1. Adam Smith
23
Inbegriff der gesellschaftlichen Selbstregulierung. Der Markt zwingt die Menschen zu keinem bestimmten Verhalten; verweist sie aber auf ihr eigenes Interesse, ein bestimmtes Verhalten anzunehmen. Der Markt läßt insofern den einzelnen in seiner Entscheidung prinzipiell frei, aber er legt gewisse Entscheidungen nahe. Man kann also grundsätzlich zwischen zwei Formen gesellschaftlicher Steuerungsprinzipien unterscheiden: a) die äußere, direkte, formelle Regulierung, sichtbar in den Kontrollinstanzen des Staates, der Polizei oder der Kirche, und b) die eher unsichtbare informelle Regulierung, eine Art indirekter Kontrollmechanismus, der allerdings nicht weniger wirksam arbeitet. Eben weil dieser zweite Kontrollmechanismus indirekt arbeitet, ist das Prinzip der Invisible Hand so schwer zu begreifen. Aber nur sie ermöglicht — so Smith — gesellschaftlichen Fortschritt dadurch, daß gegenläufige Interessen sich wie von selbst ausbalancieren. Immer wieder betont Smith, daß sich niemand, auch nicht die Reichen und Mächtigen, den gesellschaftlichen Konsequenzen seines Verhaltens entziehen könne, da die Invisible Hand auf unerbittliche Weise für einen Ausgleich der Interessen sorgt. Daher fordert er auch nicht die allumfassende Kontrolle durch den Staat, da ja das Problem der Kontrolle dann nur auf eine andere Ebene verschoben würde. Er vertraut darauf, daß entgegenstehende Interessen diese Kontrolle von selbst ausüben und sich letztlich in ihrer Wirkung gegenseitig neutralisieren.
Soziologische Folgerungen Smith ist der erste, der eine Theorie der Gesellschaft als einen sich selbst regulierenden Handlungszusammenhang beschreibt. Anstelle angeordneter formeller Integration seitens staatlicher Instanzen tritt er für indirekte Regelungen ein, die an die Interessen des einzelnen anknüpfen. Eine soziologische Theorie, die die gesellschaftliche Integration aus der selbstregulativen Handlungskoordination der einzelnen Menschen erklärt, ist allerdings an Bedingungen geknüpft. Das Prinzip der Selbstregulation ist nicht unter allen Umständen geeignet, ein geordnetes Ganzes zu entwickeln. Die Erfahrung des Liberalismus zeigt, daß es zu einer erheblichen Machtkonzentration in der Wirtschaft und damit zu einer Aufhebung des freien schöpferischen Interessenausgleichs kommen kann. Aber überall dort, wo das Prinzip der Selbstregulation mit staatlichen Schutzvorschriften gegenüber wettbewerbsbeschränkenden Handlungen verbunden ist, erweist sich diese als leistungsfähiger als viele andere Steuerungsprinzipien der Wirtschaft.
24
2. D i e Geschichte wirtschaftssoziologischer L e h r m e i n u n g e n
Wirtschaftssoziologisch interessant sind weitere Folgerungen, die Smith aus seinem Ansatz zieht, und die selbst heute noch ihre Wirkungen haben. Beide institutionellen Einrichtungen, der Markt und die Arbeitsteilung, können nur dann ihren Zweck erfüllen, wenn die uneingeschränkte Freiheit aller wirtschaftlich handelnden Menschen verwirklicht ist. Nur die Prinzipien des Individualismus und Liberalismus bringen jene Maßstäbe und Institutionen hervor, die den Antrieb zur wirtschaftlichen Entwicklung enthalten. Smith revidierte die Vorstellungen der Merkantilisten, die zur Vermehrung der Wohlfahrt einer Nation die Steigerung staatlicher Kompetenzen und staatlicher Entscheidungsgewalt proklamierten. Er ist vielmehr der Auffassung, daß der Staat lediglich die Aufgabe habe, durch Abbau von Zöllen und Handelsbeschränkungen für möglichst große Märkte zu sorgen. Daneben habe der Staat allenfalls noch die Funktion, die Sicherheit der Verkehrswege und die Garantie des Eigentums zu gewährleisten. Ansonsten solle sich aber der Staat jeglicher Interventionen in den Markt enthalten. Der Markt trete allein in den Dienst rein individueller, rationaler Tauschinteressen. Adam Smith beschäftigt sich demnach vor allem mit dem Problem der Dezentralisierung von Macht. Er glaubt, daß erst eine durchgreifende Kompetenzverlagerung vom Staat auf die Wirtschaft und somit auch auf die einzelnen Individuen ein florierendes Gesellschaftssystem ergebe. Ökonomische Entscheidungen sollten nicht zentral von der Regierung, sondern dezentral von den einzelnen Unternehmen getroffen werden. Zum dominierenden F a k t o r in den Beziehungen zwischen Staat und Wirtschaft wird die These, daß staatliche Herrschaft keine Einschränkung der Marktfreiheit nach sich ziehen dürfe. Im Gegenteil: Gerade eine Ordnung ohne jeden staatlichen Eingriff ermöglicht jenen Marktautomatismus, der nicht nur das individuelle, sondern zugleich auch das Allgemeinwohl sichert. Dies ist die berühmte Doktrin des Laissez-faire. Sie bedeutet nichts anderes als die institutionelle Rückübertragung staatlicher Macht und staatlicher Entscheidungskompetenz auf das soziale und ökonomische Feld der Gesellschaft. In diesem Prozeß liegt die eigentliche Wurzel des Kapitalismus.
2.2. Die deutsche historische Schule
25
2.2 Die deutsche historische Schule Wenn man sich in der Vergangenheit den Ländern der Dritten Welt zuwandte, war man sich meist einig darin, daß die Entwicklungsländer den gleichen Weg zu gehen hätten, den die westlichen Industrieländer schon gegangen waren. Diese Auffassung lenkt den Blick auf historische Entwicklungstheorien, wie sie etwa von Vertretern der deutschen historischen Schule formuliert worden sind; hier vor allem von Friedrich List, Karl Bücher, Gustav Schmoller, Bruno Hildebrand, Werner Sombart und Wilhelm Roscher. Die historische Schule entstand im 19. Jahrhundert als Gegenreaktion auf das damals vorherrschende klassische Denkmodell von Adam Smith. Sie wird als historische Schule bezeichnet, weil sie die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in einer Abfolge von bestimmten aufeinanderfolgenden historischen Stufen darstellt. Nach Ansicht der Vertreter dieses Ansatzes erfolgt die Entstehung des Kapitalismus in der hochindustrialisierten Gesellschaft in eindeutig voneinander unterscheidbaren Abschnitten, die zumeist notwendigerweise aufeinanderfolgen. Man spricht auch von sogenannten Stadientheorien, denen zufolge die Entwicklung des Kapitalismus gleichsam in Schüben erfolgt, die ganz bestimmten Stadien entsprechen. Die Grundhypothesen der verschiedenen theoretischen Ansätze ähneln sich: Alle Länder müssen bestimmte wirtschaftliche Stufen durchlaufen, um die Schwelle zur Modernen zu überschreiten. Dabei wird von den speziellen Besonderheiten der unterschiedlichen Entwicklungsphasen abgesehen — es werden vielmehr nur die ganz allgemeinen Merkmale der Entwicklung modellhaft herausgearbeitet, die als typisch für eine bestimmte Entwicklungsstufe gelten. Auch wenn die modellhafte Darstellung nicht jedem Einzelfall gerecht wird, so soll sie doch die Grundlinien einer allgemeinen Entwicklung nachzeichnen, die zum Verständnis des Modernisierungsprozesses von Gesellschaften beitragen. Die Vertreter der historischen Schule betonen, daß wirtschaftliche Erscheinungen stets als Ergebnisse des jeweiligen sozialhistorischen Entwicklungsstands einzelner Völker und Nationen zu betrachten seien. Es gibt keine universale Gültigkeit ökonomischer Gesetze, wie beispielsweise die klassische Nationalökonomie behauptete. Vielmehr sind die wirtschaftlichen Vorgänge immer nur das Spiegelbild einer bestimmten gesellschaftlichen Epoche. Die historische Schule ist spezifisch deutsch; zum einen, weil sie hauptsächlich auf den Erfahrungen der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft beruht, zum anderen, weil sie bestimmte Interessen der deutschen Wirtschaft widerspiegelt. Dies kommt vor allem im Stufenmodell von Friedrich List zum Ausdruck.
26
2. D i e Geschichte wirtschaftssoziologischer L e h r m e i n u n g e n
Friedrich List (1789-1846) 1. Primitive Landwirtschaft 2. Verbesserte Landwirtschaft mit aufblühendem Handel und wachsender Industrie 3. Die entfaltete Industrie Die dritte Phase ist List zufolge die wünschenswerteste Epoche. Dennoch kann die Entwicklung einer Gesellschaft bereits in der zweiten Periode steckenbleiben. Dies geschieht vor allem dann, wenn die Prinzipien der Konkurrenz, des Liberalismus und des Freihandels dazu führen, daß industriell überlegene Gesellschaften die weniger entwickelten Länder wirtschaftlich unterwerfen. Ökonomische Machtungleichgewichte bedingen gesellschaftliche Stagnation. Soziologisch sind zwei Aspekte an Lists Modell interessant. Erstens: Wenn die einzelnen Stufen auch scheinbar reine typenhistorische Abläufe darstellen, so sind sie doch flexibel und können sich ineinander verschränken. Sie deuten an, wohin sich allmählich das Zentrum der wirtschaftlichen Aktivitäten einer Gesellschaft verschiebt. List gibt die Richtung des sozio-ökonomischen Wandels an. Dabei hat der Übergang von der agrarischen zur industriellen Gesellschaft nicht nur einen historischen, sondern auch einen normativen Aspekt: Gesellschaften, die auf der ersten Stufe stehenbleiben, sind zur Stagnation verurteilt, da der Prozeß der dynamischen Entwicklung erst auf der zweiten Stufe einsetzt. Zweitens: Soziologisch gravierender sind die Folgerungen, die man aus Lists Modell etwa für das Verhältnis der Industrieländer zu den Entwicklungsländern ziehen kann. Folgt man List, so lassen sich die internationalen Ungleichgewichte (Disparitäten), die sich heute etwa im Nord-Süd-Dialog abzeichnen, grundsätzlich nicht mehr auflösen. Das internationale Machtgefälle, das auf Unterschieden im industriellen Fortschritt beruht, verhindert von vornherein den Eintritt wenig entwickelter Gesellschaften in eine Phase des Wachstums. Der Wirtschaftsliberalismus erzeugt hochbrisante internationale Konflikte, da viele Gesellschaften den Anfangsschub der Entwicklung nicht mehr schaffen, und somit zur dauerhaften Stagnation verurteilt sind. Weitere Stufenmodelle
der historischen
Schule
Gustav Schmoller (1838-1917) 1. Phase: Dorf-Gutswirtschaft 2. Phase: städtische Wirtschaft 3. Phase: territoriale (regionale) Wirtschaft 4. Phase: nationale Wirtschaft 5. Phase: internationale Wirtschaft
2.2. Die deutsche historische Schule
27
Karl Bücher (1847-1930) 1. Phase: wirtschaftlicher Urzustand (individuelle Nahrungssuche) 2. Phase: Wirtschaft der Naturvölker 3. Phase: Hauswirtschaft (Antike bis zum 12. Jahrhundert n. Chr.) 4. Phase: Stadtwirtschaft (Mittelalter bis 16. Jahrhundert) 5. Phase: Volkswirtschaft (ab 16. Jahrhundert) Bruno Hildebrand (1812-1878) 1. Phase: Naturalwirtschaft (Tausch von Gütern gegen Güter) 2. Phase: Geldwirtschaft (Tausch von Gütern gegen Geld) 3. Phase: Kredit Wirtschaft (Tausch von Gütern gegen Kredit) Wilhelm Roscher (1817-1894) 1. Phase: Wachstum 2. Phase: Reife 3. Phase: Niedergang Werner Sombart (1863-1941) 1. Phasen des Vorkapitalismus 2. Phasen des Kapitalismus: — Frühkapitalismus — Hochkapitalismus — Spätkapitalismus Allen Modellen ist gemeinsam, daß sie a) die politisch-organisatorischen sowie sozial-ökonomischen Strukturen zum Ausgangspunkt einer historischen Darstellung des Kapitalismus machen, und b) den evolutionären Charakter der wirtschaftlichen Entwicklung hervorheben. Für Schmoller, Bücher und Hildebrand ist das jeweilige Niveau des Tauschsystems kennzeichnend für den Entwicklungsstand der Wirtschaft. Bei Schmoller und Bücher interessiert vor allem die Reichweite des Tauschsystems. Die Dorf- und Gutswirtschaft sowie die geschlossene Hauswirtschaft sind typisch für wenig entwickelte Gesellschaften, wirtschaftliche Prozesse sind noch eng an familiale und nachbarschaftliche Beziehungen gekoppelt. Je größer die Reichweite des Tauschsystems wird, umso mehr wird die Wirtschaft von traditionellen Sozialstrukturen abgekoppelt. Die ökonomischen Prozesse verselbständigen sich. Der Modernisierungsprozeß setzt ein. Die Wirtschaft entwickelt sich. Hildebrand dagegen befaßt sich mehr mit der Art des Tauschmittels sowie mit der Komplexität der Tauschsphäre. Sie sind alleiniger Maßstab für den Entwicklungsstand einer Gesellschaft. Für den Ökonomen mag Hildebrandts Vorschlag zwar plausibel sein, für den Wirtschaftssoziologen dagegen ist er fragwürdig, da ein bestimmtes Merkmal des ökonomischen Systems als cha-
28
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen
rakteristisch für den Entwicklungsstand einer ganzen Gesellschaft gilt. U m f a s sendes ethnologisches Material macht deutlich, daß auch in nicht-entwickelten traditionellen Gesellschaften bereits bestimmte F o r m e n der Kreditwirtschaft bekannt sind. Roschers Ansatz unterstellt, daß j e d e wirtschaftliche Entwicklung einem Kulminationspunkt zuläuft, hinter dem ein Niedergang einsetzt. Ihm zufolge belegt die Geschichte, daß jede prosperierende wirtschaftliche Entwicklung eines Tages umschlägt. Sein Stufenmodell ist ausschließlich in historischen Dimensionen angelegt. Ungeachtet ö k o n o m i s c h e r Gesetze und ungeachtet aller wirtschaftspolitischen Rezepte verläuft jede gesellschaftliche Entwicklung zunächst evolutionär und dann devolutionär. D i e Wirtschaft erschöpft sich. W a r A d a m Smith noch der Ansicht, daß der Kapitalismus nicht eine von mehreren historisch aufeinanderfolgenden sozialen Erscheinungsformen ist, sondern einfach das, was „natürlich" entstanden ist, geht Werner S o m b a r t von der entgegengesetzten A n n a h m e aus. Anders als die Prämisse von Smith, der Kapitalismus reflektiere die innere Natur des Menschen, behauptet er, der Kapitalismus sei unnatürlich. Erst eine bestimmte gesellschaftliche E n t w i c k lung ermöglicht auch eine kapitalistische Wirtschaftsform. D i e Entwicklung der Wirtschaft ist S o m b a r t zufolge immer das Ergebnis vergänglicher gesellschaftlicher Institutionen. Sie beeinflussen die wirtschaftliche Handlungsweise einer Epoche. Erst die gegenseitige Bezogenheit von Wirtschaft und Gesellschaft kennzeichnet den jeweiligen ö k o n o m i s c h e n Entwicklungsstand. D a h e r fragt sich S o m b a r t , welche Institutionen für den Übergang zur kapitalistischen Phase entscheidend waren. Seine Zentralaussage lautet, d a ß die E n t wicklung des Kapitalismus auf bestimmte Ausdrucksformen eines kapitalistischen Geistes zurückzuführen sind. D e r kapitalistische Geist ist keine zeitlose natürliche G r ö ß e , sondern j e nach Gesellschaftsform in unterschiedlicher Weise ausgeprägt. E r hat eine historische, vergängliche Qualität. Gekennzeichnet wird der kapitalistische Geist und damit die Entwicklung industrieller Wachstumsprozesse vor allem durch drei F a k t o r e n : a) die Urbanisierung b ) die Bildung moderner politischer Institutionen c) den Einfluß religiöser F a k t o r e n . Die beiden letzten Merkmale werden vor allem von M a x W e b e r und J ü r g e n Habermas aufgegriffen und zu grundlegenden Erklärungsmodellen des K a p i talismus verarbeitet.
29
2.3. K a r l M a r x
2.3 Karl Marx Ähnlich wie die deutsche historische Schule geht auch Karl Marx (1818-1884) von einer zwangsläufigen Abfolge verschiedener historischer Stufen der wirtschaftlichen Entwicklung aus. Aber anders als die historische Schule, die nicht in der Lage ist, zwischen den einzelnen Stufen Verbindungsglieder einzubauen, gibt Marx der wirtschaftlichen Entwicklung eine klare Logik. Marx ist ein Sozialwissenschaftler, der eine Theorie entwickelt, die wirtschaftliche, soziale und politische Variablen miteinander verknüpft und in einen bestimmten entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang stellt. Sein Ziel ist es, das Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen. Marx zufolge sind zwei Faktoren für die wirtschaftliche Entwicklung entscheidend; erstens ein sozialer Faktor: der Klassenkampf, und zweitens ein ökonomischer Faktor: die Veränderung in der Zusammensetzung des Kapitals. Beide Faktoren gemeinsam bringen den Übergang von einer Stufe zur nächstfolgenden zustande, und zwar naturnotwendig. Die Entwicklung ist determiniert. Zwar bildet der ökonomische Faktor den Hauptanteil, doch spielt auch der soziale Aspekt, die Spannungen in der Gesellschaftsstruktur, eine wichtige Rolle. Marx unterscheidet drei Hauptstufen (fünf Stufen insgesamt) in der geschichtlichen Abfolge:
1. Urgesellschaft
2. 3. 4. 5.
a) Okkupationswirtschaft b) Jagd- und Sammeltätigkeit c) Ackerbau und Viehzucht
antike Produktionsweise (Sklaverei) Feudalismus Kapitalismus Sozialismus
Die einzelnen Stufen entwickeln sich nicht kontinuierlich und konfliktlos, im Gegenteil: Erst aus den Trümmern einer alten Gesellschaftsverfassung entsteht eine neue. Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaften ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Vereinfacht dargestellt verläuft der historische Prozeß der gesellschaftlichen Entwicklung in folgenden Schritten: Auf jeder Stufe gibt es eine bestimmte Produktionsweise, das heißt bestimmte wirtschaftliche Verhältnisse.
30
2. D i e Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen
Wegen dieser wirtschaftlichen Verhältnisse bilden sich im wesentlichen zwei Klassen heraus, die Armen und die Reichen. Als Angehörige einer Klasse versteht man diejenigen, die von demselben Bewußtsein sowie denselben Interessen in ihrem Handeln geleitet werden. Die Beziehungen zwischen diesen beiden Klassen sind widerspruchsvoll. Es kommt zum Klassenkampf. Der Klassenkampf führt zur Auflösung der alten Klassen. Es bildet sich eine neue höhere historische Stufe der Gesellschaft (Feudalismus, Kapitalismus). Auf dieser neuen Stufe entwickeln sich wieder Verhältnisse, in denen sich zwei Klassen gegenüberstehen. Es kommt erneut zu Widersprüchen und einer spannungsreichen gesellschaftlichen Konstellation. Der Klassenkampf wiederholt sich. Schließlich mündet die Entwicklung auf der letzten Stufe im Sozialismus. Nach Auffassung von Marx sind alle Gesellschaften in der Geschichte vor allem deshalb Klassengesellschaften, weil sich immer nur die äußere Form der wirtschaftlichen Verhältnisse ändert, nicht aber die Tatsache, daß den Arbeitern der „Mehrwert" ihrer Arbeit von den Besitzenden genommen wird. Nur die Form, worin die Mehrarbeit dem Arbeiter abgepreßt wird, unterscheidet die ökonomischen Gesellschaftsformationen, zum Beispiel die Gesellschaft der Sklaverei von der der Lohnarbeit. Gesellschaften sind stets Klassengesellschaften, die an ihren eigenen inneren Widersprüchen zugrundegehen. Und wie der Feudalismus, so Marx, wird auch der Kapitalismus an seinen Widersprüchen zugrundegehen. Marx zufolge hat jede Gesellschaft eine bestimmte wirtschaftliche Ordnung. Er nennt sie „Produktionsweise". Sie besteht aus zwei Merkmalen: erstens den produktiven Kräften und zweitens den gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen. Die Produktivkräfte sind das Arrangement der physischen und technischen Aspekte der wirtschaftlichen Aktivität, das heißt die tatsächlichen Arbeitsbedingungen. Unter Produktionsverhältnissen versteht man die Beziehungen der Menschen untereinander, um wirtschaften zu können. Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse bilden den wirtschaftlichen Unterbau. Darüber erhebt sich der gesamte Komplex politischer, sozialer, rechtlicher, religiöser und kultureller Institutionen. Sie bezeichnet Marx als Überbau. Wirtschaftlicher Unterbau und politisch-rechtlicher Überbau stehen aber nicht in einer losen, unabhängigen Beziehung zueinander. Die wirtschaftliche Produktionsweise bestimmt vielmehr den gesamten sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß einer Gesellschaft. Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind bestimmend für alle kulturellen und rechtlichen Institutionen, ebenso wie für das Moralsystem oder die Gedanken und Ideen der Menschen.
2.3. Karl Marx
31
Abb. 3 Vereinfachtes Schema von Marx'Kapitalismuskonzept
Kapitalkonzentrierung (Gesetz von der abnehmenden Profitrate)
^
1
•
Verelendung
Klassenkampf
I I
Revolution Sozialismus
Die sozialen Beziehungen einer Gesellschaft, die aus den ökonomischen Verhältnissen heraus erwachsen, haben den Charakter einer Klassenstruktur. Die Einteilung der Gesellschaft erfolgt in eine Klasse der Reichen (Bourgeoisie); das sind diejenigen, die über Kapital verfügen, die Betriebe besitzen, den Produktionsprozeß steuern und die Gewinne vereinnahmen; sowie in eine Klasse der Armen (Proletariat); das sind diejenigen, die die eigentliche Arbeit leisten, aber nicht soviel an Lohn oder Vergütung erhalten, wie ihre Arbeit eigentlich wert ist. Mit dieser Annahme kann Marx den Übergang von einer Stufe zur nächsten erklären. Wirtschaftliches Wachstum oder der Übergang zu einer höheren
32
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen
Stufe sind nicht möglich, wenn alle Löhne der Arbeiter und alle Gewinne der Unternehmer konsumiert werden oder allenfalls soviel gespart wird, daß die Maschinen und Werkzeuge, die man zur Herstellung der G ü t e r braucht, gerade erneuert werden können. Diese sogenannte einfache Reproduktion von Gütern ist lediglich eine Wiederholung des Produktionsprozesses auf demselben Niveau. Die Entwicklung stagniert. Anders wird es aber, wenn eine Gesellschaft die einfache Reproduktionsweise verläßt und durch Verbesserung der wirtschaftlichen Struktur die Gewinne der Unternehmen zu steigen beginnen. Marx zufolge sind es sechs Faktoren, die für den Machtzuwachs der Kapitalisten primär verantwortlich sind. Arbeitsteilung Das Prinzip der Arbeitsteilung ermöglicht es den Menschen — hier stimmt Marx mit Smith überein — bei weitem mehr Dinge herzustellen, als für das eigene Überleben notwendig ist. Aber anders als Smith, der in der Arbeitsteilung die Grundlagen des Reichtums einer Gesellschaft vermutet, sieht Marx in ihr vielmehr die Voraussetzung für die Ausbeutung: Reichtum kommt nur wenigen zugute, Armut ist das Los für die meisten. Arbeitsteilung spaltet die Menschen in zwei Klassen.
Die Prämisse des
Mehrwerts
Die Arbeiter verkaufen ihre Arbeitskraft zu einem Preis, der genau dem Wert entspricht, der zum Erhalt ihrer physischen Leistungsfähigkeit notwendig ist. Die Arbeitskraft wird also zu einem Wert verkauft, der dem aller Waren entspricht, die notwendig sind, um den Arbeiter und seine Nachkommen am Leben zu erhalten. Produziert der Arbeiter jedoch mehr als zur Erhaltung seiner selbst und seiner Familie notwendig ist, schafft er einen Mehrwert. Mehrwert ist die Differenz zwischen dem Wert der Ware, die ein Arbeiter erzeugt, und dem Wert seiner Arbeitskraft; mit anderen Worten: es ist der Unterschied zwischen dem Wert der Ware, den der Unternehmer als Erlös erhält, und dem Wert der Ware Arbeitskraft, die er in F o r m von Löhnen bezahlt. Diese Differenz ist die Quelle des Profits, die der Kapitalist erhält, und die es ihm ermöglicht, sich zu bereichern, neues Kapital zu bilden, neue Investitionsgüter zu kaufen und damit schließlich seinen Profit noch weiter zu steigern. Marx bezeichnet dies als „Ausbeutung".
Profit Dem Kapitalisten geht es in erster Linie darum, aus dem Kapital, das er in Maschinen, Rohstoffe und Arbeiter investiert, einen möglichst hohen Profit zu
33
2.3. Karl M a r x
erzielen. Es verfolgt allein das Ziel einer möglichst günstigen Verwertung des Kapitals. Ihn interessiert weniger die Produktion von Waren, um den Bedarf von Menschen zu befriedigen. Die Fähigkeit der Kapitalisten,
Dienstleistungen
der Arbeiter zu kaufen.
Da die Arbeiter nur ihre Arbeitskraft anzubieten haben, für die sie nichts anderes erhalten als ihren Lohn, sind sie abhängig. Der Kapitalist ist imstande, die Arbeitskraft auszubeuten, indem er das T e m p o der Maschinen erhöht, den Arbeitstag verlängert und Frauen und Kinder zur Mitarbeit zwingt; lauter Maßnahmen, die den Profit erhöhen und den Arbeiter schlechter stellen. Staatliche
Rückendeckung
Die Unternehmer können sich durch finanzielle Mittel der staatlichen Rückendeckung versichern, beispielsweise gegen einen möglichen A u f r u h r der Arbeiter. Wirtschaft (Kapitalisten) und Staat spielen sich gegenseitig in die Hände. Der gesellschaftliche Überbau, das heißt Politik und Recht, Kirche und Kultur, ist nur noch ein Reflex ökonomischer Macht. So ist zu erwarten, daß sich Staat, Kirche und Gemeinden in den Dienst der Kapitalisten (Bourgeoisie) stellen und dadurch die unterprivilegierte Stellung der Arbeiter zementiert wird. Kapitalakkumulation Der Konkurrenzdruck zwingt die Kapitalisten, ihre Stellung durch neue Investitionen laufend zu verbessern (Kapitalakkumulation). Neue Maschinen verheißen höhere Gewinne. Höhere Gewinne bedeuten wiederum größeres Kapital. Und größeres Kapital gibt schließlich wiederum größere Macht gegenüber Arbeitern und Staat. Entsprechend verliert die Proletarierklasse immer weiter an Einfluß. Diese sechs charakteristischen Merkmale der kapitalistischen Entwicklung enthalten ein enormes Spannungspotential, das sich immer weiter aufstaut. Es bilden sich die Voraussetzungen für eine Übergangskonstellation zu einer neuen gesellschaftlichen Stufe. Die Rückendeckung des Staates gegenüber der Bourgeoisie, die Rückendeckung des gesellschaftlichen Überbaus gegenüber der wirtschaftlichen Ordnung kann nicht von Dauer sein. Marx glaubt, daß jede Ordnung die Keime ihrer eigenen Zerstörung in sich trägt. Im Schöße jeder Ordnung wächst bereits die neue heran. Praktisch heißt dies, daß sich die Bedingungen, unter denen die Arbeiter leben, laufend verschärfen (These von der Verelendung) und schließlich eine gewaltsame Lösung des Konfliktes provozieren.
34
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer L e h r m e i n u n g e n
Die Probleme der Verelendung resultieren aus der wachsenden Arbeitslosigkeit und aus einem um den Minimallohn fluktuierenden Arbeitsentgelt. Jede Phase der Prosperität veranlaßt die Unternehmen zunächst, ihre Produktion zu intensivieren, in neue Maschinen zu investieren und zu automatisieren. Aber auch in Zeiten der Stagnation zwingen die bestmögliche Verwertung des Kapitals sowie das Bestreben, billiger als die Konkurrenz zu produzieren, die Unternehmen dazu, arbeitssparende Techniken anzuwenden. In beiden Fällen sind die Konsequenzen gleich: Es werden laufend Arbeitskräfte freigesetzt. Die Verelendung steigt. Die wachsende Zahl von Arbeitslosen hat wiederum eine fatale Rückwirkung: wegen des Ausfalls der Nachfrage liegt Produktionskapital brach. Dadurch sinkt natürlich die Profitrate, denn die Produktion geht zurück (Gesetz von der sinkenden Profitrate). Unter diesen Umständen werden weitere Arbeitnehmer entlassen. Der Bodensatz der Arbeitslosen schwillt an. Der Zirkel von steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Profitrate ist nicht mehr zu durchbrechen. Die Folgen sind für Marx klar. Wegen der abnehmenden Profitrate können viele Unternehmen ihren finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Sie gehen bankrott. Nur die größten Unternehmen, die reichsten Kapitalisten überleben. Es setzt eine Kapitalkonzentration ein (Gesetz von der Zentralisierung des Kapitals). Auf der anderen Seite wächst die industrielle Reservearmee, denn es gibt immer weniger Arbeitsplätze. Die Verelendung steigt und mit ihr die Empörung der Arbeiterklasse. Die Spannungen werden unerträglich. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Proletariat und Bourgeoisie vereinigen sich die Arbeiter in einer Revolutionspartei mit dem Ziel, das gesamte kapitalistische System zu zerstören und an seine Stelle ein sozialistisches zu setzen. Das letzte Grundziel der gesamten historischen Entwicklung ist die Aufhebung aller Klassengegensätze in einer sozialistischen Gesellschaft. Man kann aus Marx' Analyse einige wichtige soziologische Schlußfolgerungen ziehen: — Sozialer und ökonomischer Wandel beruhen auf einer komplizierten, widerspruchsvollen Konstellation wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Faktoren. Der Antrieb der Geschichte ist der Klassenkonflikt, das heißt die sich stets wiederholende Auseinandersetzung zwischen zwei Klassen. — Auch der Motor der Industrialisierung und der kapitalistischen Entwicklung ist im Kern ein sozialer Konflikt: das widerspruchsvolle Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital. Die Leistung von Marx liegt darin, die Begriffe „Arbeit" und „Kapital" nicht nur als wirtschaftliche Sachverhalte zu begreifen, sondern als Ausdruck bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse, die die Voraussetzungen des Kapitalismus begründen.
2.3. Karl M a r x
35
— Marx' Theorie ist dynamisch. Im Gegensatz zur historischen Schule gibt Marx die Verbindungsglieder an, die die einzelnen Stufen im historischen Ablauf miteinander verbinden. Marx' Entwicklungstheorie enthält eine klare Logik. Sie besteht darin, daß Krisen, hervorgerufen aus ökonomischen Verhältnissen, zu neuen Gesellschaftsformationen führen. Aus alten Strukturen erwachsen neue, wenn die alten nur widerspruchsvoll genug geworden sind. — Marx' Theorie ist normativ und zugleich teleologisch (das heißt auf ein Ziel oder ein Ende hin gerichtet). Darin unterscheidet Marx sich nicht von den Vertretern der historischen Schule. Doch das normative Element bei Marx hat eine eminent politische und praktische Bedeutung. Marx proklamiert die sozialistische, klassenlose Gesellschaft. — Wirtschaft und Gesellschaft stehen in engem, wechselseitigem, in einem positiv-funktionalen Verhältnis zueinander. Gesellschaftlicher Uberbau und wirtschaftlicher Unterbau spielen sich gegenseitig in die Hände. Die politischen Verhältnisse sichern die wirtschaftliche Ordnung ab, wie die Kapitalisten umgekehrt die politische Ordnung stützen. Beide geben sich gegenseitig Rückendeckung. Das gleiche gilt für das Verhältnis zwischen Wirtschaft und den anderen gesellschaftlichen Bereichen. Auch die Religion stützt die Bourgeoisie: Religiöse Führer würden die Massen mit Ideologien abspeisen, um sie davon zu überzeugen, daß sie entweder nicht unterdrückt seien, oder daß ihr Heil erst im ewigen Leben nach dem Tode liege; mit anderen Worten: man dürfe in dieser Welt gar nicht mehr erwarten. Auch Jesus habe gelitten. Wie die Religion fungiert auch das Militär als Instrument der Bourgeoisie. Es hält die Unzufriedenheit der Arbeiter gewaltsam unter Kontrolle, unterdrückt Aufruhr und verhindert Protest. — Marx' Prognose von der Kapitalkonzentration in der Wirtschaft hat sich zweifellos bewahrheitet. In der westdeutschen Industrie mit ihren etwa 50.000 Unternehmen machen im Schnitt die drei größten Firmen einer Branche etwa 25 % des Umsatzes, in einigen anderen Zweigen sogar bis zu 80 %. In der gesamten Wirtschaft (1,3 Mio. Betriebe) sind die 100 größten Unternehmen mit ca. 25 % am G e s a m t u m f a n g von Produktion und Handel beteiligt. Zweifellos ist mit der Kapitalkonzentration zugleich eine wirtschaftliche Machtkonzentration einhergegangen, die Rückwirkungen auf die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Politik sowie auf die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft haben (vgl. den Abschnitt „Macht" im Kapitel: Strukturprinzipien wirtschaftlichen Handelns). — Nicht bewahrheitet hat sich allerdings Marx' Verelendungsthese. Durch die soziale Gesetzgebung des Staates, durch die Schutzvorschrif-
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen
ten zum Erhalt des Wettbewerbs, Klauseln gegen Trusts, Fusionen und Kartelle sowie durch den Erfolg der Gewerkschaftspolitik ist die prophezeite Verelendung aufgefangen worden. Seit dem J a h r der Reichsgründung (1871) haben sich die Löhne bis heute real verachtfacht, während zugleich die Arbeitszeit von 78 auf durchschnittlich 40 Stunden wöchentlich gesunken ist. Marx beging den Irrtum, das liberale Modell des reinen Konkurrenzkapitalismus (im Sinne von A d a m Smith) als gegeben zu unterstellen, ohne zu berücksichtigen, daß dem Staate im Laufe der Zeit neue Kompetenzen und Zuständigkeiten zuwachsen könnten, deren Funktion es ist, möglichen krisenhaften Entwicklungen mittels Interventionen entgegenzusteuern sowie ausgleichend, verteilend und umverteilend das Konzept eines modernen Wohlfahrtsstaates zu verwirklichen. Marx' These vom Vorrang der Wirtschaft als zentraler F a k t o r der gesellschaftlichen Entwicklung ist auch heute noch aktuell. Seine Behauptung, daß die Gesellschaft in erster Linie von den ökonomischen Verhältnissen geprägt wird, erfahrt beispielsweise heute, allerdings in ganz anderem Gewand, in der Systemtheorie wieder Ausdruck. Auch dort spielt die These der dominierenden Funktion der Wirtschaft in der Gesellschaft eine wichtige Rolle (vgl. das Kapitel: Die Wirtschaft als gesellschaftliches System). Da Marx glaubte, daß der Entwicklungsablauf aller Gesellschaften festgelegt ist, das heißt, daß auf die feudale Phase geschichtsnotwendig die kapitalistische folgt und auf die kapitalistische wiederum ebenso zwangsläufig die sozialistische Stufe, spielt sein Erklärungsmodell bei der Analyse wenig entwickelter Gesellschaften eine große Rolle. Symptomatisch ist hier seine Ansicht, daß das industriell entwickelte Land dem minder entwickelten nur das Bild der eigenen Zukunft zeigt. Für die Politik vieler Länder der Dritten Welt spielen daher Marx' Evolutionstheorie und deren strategische Funktion eine ganz zentrale Rolle. Interessant ist schließlich, daß Marx zufolge nicht Ideen, Normen und Werte die sozialen Verhältnisse in einer Gesellschaft bestimmen; vielmehr ist es umgekehrt: die realen wirtschaftlichen Verhältnisse sind f ü r die Werte und Normen, die sich im Laufe der Zeit entwickeln, verantwortlich. Die ökonomischen Gegebenheiten des Daseins also bilden die Basis für das geistige Bewußtsein, das in Form von Kultur, Religion, Recht, Moral oder Kunst auftritt. Kulturelle Ideen sind immer ein Spiegelbild der wirklichen Verhältnisse. Überspitzt formuliert: Die realen ökonomischen Umweltbedingungen schaffen erst den geistigkulturellen Überbau, der unser Leben prägt; oder wie Marx vermutet: Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.
2.4. Max Weber
37
2.4 Max Weber Der berühmteste Versuch, die Entstehungsgeschichte des modernen Kapitalismus zu deuten, ist Max Weber's Studie „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus". Max Weber (1864-1920) befaßt sich mit der Frage, warum die wirtschaftliche Entwicklung nur in Europa und nicht außerhalb Europas in die Bahn eines modernen industriellen Kapitalismus einlenkte. Ihn beschäftigte das Problem, worin sich die Entwicklung des Kapitalismus von vergleichbaren Entwicklungsrichtungen anderer Kulturformen unterscheidet. Wirtschaftliche Tätigkeiten, die einen kapitalistischen Charakter tragen, hat es Weber zufolge immer und überall gegeben. Gewinn und reiner Erwerbstrieb sind nicht die Besonderheiten des abendländischen Kapitalismus. „ S t r e b e n . . . nach möglichst hohem Geldgewinn hat an sich mit Kapitalismus gar nichts zu schaffen. Das Streben fand und findet sich bei Kellnern, Ärzten, Kutschern, Künstlern, Koketten, bestechlichen Beamten, Soldaten, Räubern, Kreuzfahrern, Spielhöllenbesuchern, Bettlern — man kann sagen: "by all sorts and conditions of men", zu allen Epochen aller Länder der Erde, wo die objektive Möglichkeit dafür irgendwie gegeben war und ist. . . . Schrankenloseste Erwerbsgier ist nicht im mindesten gleich Kapitalismus, noch weniger gleich dessen Geist" (Weber 1922: 4). Die Besonderheiten des abendländischen Kapitalismus sucht Weber vielmehr in einer besonderen F o r m des wirtschaftlichen Rationalismus. Ihn interessieren vor allem die folgenden Fragen: 1) W a r u m hat nur das Abendland eine spezifische ökonomische Rationalität von universal-historischer Tragweite hervorgebracht, nicht aber Asien, wo doch weitaus ältere und differenziertere Kulturen existierten? 2) Warum entstanden gerade und nur im neuzeitlichen Westeuropa eine rationale Wissenschaft und Technik, ein rationaler Industriekapitalismus, eine rationale bürokratische Struktur des Staates? 3) W a r u m entwickelte nur das Abendland folgende f ü r den Kapitalismus charakteristische Merkmale der Rationalität: — gewinnorientiert arbeitendes Unternehmen — die rational-kapitalistische Organisation von freier Arbeit, die unter Effizienzgesichtspunkten organisiert wird — eine an den Chancen des Gütermarktes orientierte rationale Betriebsform — Trennung von Haushalt und Betrieb — rationale Buchführung
38
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen
— Einsatz wissenschaftlicher Erkenntnisse für die Verbesserung von Produktionsanlagen — Institution des formalen Rechts — moderne Staatsverwaltung mit rationaler Beamtenorganisation — berechenbarer Privatrechtsverkehr — kapitalistische Wirtschaftsethik, die eine rationale Lebensführung erfordert. Um diese Fragen zu beantworten, versucht Weber zunächst, die historischen Bedingungen zu identifizieren, unter denen der moderne westliche Typ des rationalen Industriekapitalismus entstehen konnte. Seine These lautet: Erst die Entwicklung der „protestantischen Ethik" hat die sozialen und psychologischen Voraussetzungen geschaffen, die für die abendländische Form des Kapitalismus besonders förderlich waren. Weber vermutet einen Zusammenhang zwischen der Gesinnungsethik der protestantischen Reformationskirchen und jenen Lebensgrundsätzen, die den „Geist" des Kapitalismus ausmachen und seine Entwicklung motivational absichern. Den Ansatzpunkt zur Begründung dieser These findet Weber im Zusammenhang zwischen Konfession und wirtschaftlichem Erfolg. Er machte die Beobachtung, daß die Protestanten unter den Kapitalbesitzern, den Unternehmern und dem hochqualifizierten technischen und kaufmännischen Personal weit überrepräsentiert waren. So entfielen im Land Baden im Jahre 1900 nach Berechnung der Steuerbehörden auf je 1000 evangelische Einwohner 954.900,— Mark Kapital, das der Steuer unterlag. Dagegen verfügten je 1000 Katholiken nur über 589.800,— Mark. Unter Berücksichtigung weiterer ähnlicher Studien aus der Geschichtswissenschaft notiert Weber seine Vermutung: „In diesen Fällen liegt zweifellos das Kausalverhältnis so, daß die anerzogene geistige Eigenart, und zwar hier die durch die religiöse Atmosphäre der Heimat und des Elternhauses bedingte Richtung der Erziehung, die Berufswahl und die weiteren beruflichen Schicksale bestimmt hat" (Weber 1922: 22).
Von dieser Beobachtung ausgehend bestimmt Weber den Inhalt seiner Untersuchung: Die Wirkung von Ideen, insbesondere von religiösen Motiven für die kapitalistische Entwicklung. Weber geht es um den Nachweis, inwieweit bestimmte Ideen des Protestantismus in der Entstehungsgeschichte des Kapitalismus wirksam geworden sind. Er fragt, warum gerade die Protestanten eine besondere Neigung zum wirtschaftlichen Rationalismus ausbildeten. Daher wendet er sich zunächst dem Problem zu, worin der Zusammenhang zwischen den rationalen Handlungsgrundsätzen der alltäglichen Lebenspraxis und der protestantischen Ethik besteht. Und er untersucht, was das rationale Element der protestantischen Ethik im Unterschied zur Glaubenslehre des Katholizismus ausmacht.
2.4. Max Weber
39
Was der katholischen Glaubenslehre des Mittelalters fehlt, ist vor allem eine Berufs- und Wirtschaftsethik. Als Vorbild gilt der Mensch, der den Tag untätig im Gebet — Weber: „in außerweltlicher Askese" — zubringt. Im Sinne dieses Ideals verhält sich die Kirche gegenüber der weltlichen Arbeit neutral. Auf einer ganz anderen Grundlage ist dagegen die Ethik des Protestantismus gegründet. Ihr sind zwei Elemente zu eigen, die dem Katholizismus fehlen: a) die methodische Lebensführung und b) der Berufsethos bzw. die Berufspflicht. Beides ist für die Entwicklung des abendländischen Rationalismus von weitreichender Bedeutung. Berufspflicht und systematische Lebensführung bilden die Grundlagen einer neuen Sozialethik, die den Geist des Kapitalismus prägt. Den Rationalisierungsprozeß leitet Weber wie folgt ab. Die katholische Kirche des Mittelalters betont die Freiheit des Willens. Dem Menschen ist freigestellt, das Gute oder Böse zu wollen. Obgleich der Christ ohne Gottes G n a d e nicht die ewige Seligkeit erlangt, kann er sie sich doch in einem gewissen Maße verdienen, sofern er ein tugendhaftes Leben führt. Fällt er in Sünde, retten ihn die Sakramente, denn Jesus ist bereit zu vergeben. Dies bedeutet, der Mensch hat zumindest einen beschränkten Einfluß auf das, was nach seinem Tode geschieht. Charakteristisch für den Calvinismus ist dagegen das Dogma der Gnadenwahl, das heißt die sogenannte Prädestinationslehre (Lehre von der Vorherbestimmung). Sie leitet — historisch gesehen — den Rationalisierungsprozeß der Religion ein. Der Calvinismus beschreibt G o t t als einen allwissenden und allmächtigen Weltregierer, durch dessen unerforschlichen und geheimen Ratschluß schon seit Ewigkeiten festgelegt ist, wer als auserwählt und wer als verdammt gilt; kein menschliches Verdienst oder Verschulden kann daran etwas ändern. Dies heißt, Gottes G n a d e ist nicht, wie im Katholizismus, von der Summe guter Einzelwerke abhängig. Unter diesen Umständen ist für jeden einzelnen die Frage akut: Bin ich erwählt? Kann ich mir meiner Erwähltheit sicher sein? Die brutale Ungewißheit oder wie Weber es nennt: die „pathetische Unmenschlichkeit" dieser Lehre, haben das Gefühl einer unerhörten inneren Vereinsamung des einzelnen Individuums zur Folge. Jeder lebt ganz allein mit seiner Angst, daß ihm die Heilsmittel möglicherweise versagt werden. Daher wächst das Verlangen nach Gnadengewißheit. Der Calvinismus gibt diesem Verlangen eine Antwort. Er räumt ein, daß es äußere Zeichen für die Erwähltheit gäbe. Als wichtigster Beweis gilt der berufliche Erfolg. Allein die rastlose Berufsarbeit bietet die Chance, selbst Gewißheit zu erlangen. Sie allein ist in der Lage, jeglichen Zweifel auszuräumen. Luther hat als erster den Begriff des Berufes im modernen Sinn des Wortes benutzt. Für ihn sind die Mönche untätige Egoisten, die zum Gemeinwohl nichts beitragen und deshalb auch vor Gott keine G n a d e finden. Zu loben
40
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen
seien dagegen jene Christen, die ihre irdischen Pflichten erfüllen und die Arbeit verrichten, zu der sie der Allmächtige berufen hat. Weber ist der Auffassung, daß die allgemeine moralische Aufwertung des Berufslebens die folgenschwerste Leistung der Reformation gewesen ist: „Die Leistung der Reformation als solche war zunächst nur, daß, im Kontrast gegen die katholische Auffassung, der sittliche Akzent und die religiöse Prämie für die innerweltliche, beruflich geordnete Arbeit mächtig schwoll. Wie der „Berufsgedanke", der dies zum Ausdruck brachte, weiterentwickelt wurde, das hing von der näheren Ausprägung der Frömmigkeit ab, wie sie nunmehr in den einzelnen Reformationskirchen sich entfaltete" (Weber 1922: 74). Auch wenn Luther als erster vom gottgefälligen Beruf spricht, sind doch nicht die für die Entwicklung des modernen Kapitalismus charakteristischen rationalen Elemente des Berufsethos auf seine Lehre zurückzuführen. Für Luther ist der Beruf noch eine „Schickung". Nicht das Ergebnis oder der Erfolg der Arbeit sind von Bedeutung, sondern die Gesinnung, mit der man in Treue seine Pflicht erfüllt. Das Ziel besteht allein darin, Gott zu dienen, indem die Berufsarbeit auf eine gläubige Weise verrichtet wird. So bleibt bei Luther der Berufsbegriff traditionalistisch gebunden. Der Beruf ist das, was der Mensch als göttliche Fügung hinzunehmen, worin er sich „zu schicken" hat (Weber 1922: 77 f.). Ganz anders dagegen die Lehren der Reformationskirchen. Vor allem der Calvinismus ist der Glaube, der die rationale und aktivistische Seite des neuen Berufsethos entwickelt und über Luthers Berufsauffassung deutlich hinausgeht. Für den Calvinismus werden nicht schon Berufserfüllung als solche, sondern erst der individuelle Erfolg sowie das bestmögliche Arbeitsergebnis zum entscheidenden Antrieb der Lebensführung des Menschen. Gefordert wird eine strenge Askese und die bedingungslose Unterordnung des persönlichen Lebensstils unter die Grundsätze rastloser Berufsarbeit. Als sittlich verwerflich gilt Müßiggang, das Ausruhen auf Besitz und die Ablenkung vom Streben nach einem „heiligen Leben". Die protestantische Ethik bildet einen umfangreichen Katalog verbindlicher Alltagsnormen heraus, die die gesamte Lebensführung des einzelnen Menschen durchziehen, beispielsweise: Wer nicht arbeitet, soll nicht essen; Arbeit ist ein Präventiv gegen alle Anfechtungen des „unclean life"; mehr als sechs Stunden Schlaf ist Vergeudung; Zeitvergeudung ist prinzipiell die schwerste aller Sünden; Gott verlangt Mobilität, man muß jeder beruflichen Chance folgen, da nur dann die Möglichkeit besteht, den eigenen Gnadenstand zu überprüfen. Die ethische Praxis der protestantischen Glaubenslehre gestaltet die gesamte Lebensführung der Menschen um. Sie nimmt einen eigentümlichen sachlichen, methodischen und utilitaristischen Charakter an: den eines bedingungslosen Dienstes an den Erfordernissen der Berufsarbeit — und damit zugleich
2.4. Max Weber
4!
(dies ist die moralische Begründung) den eines Dienstes am Ruhme Gottes. Der besondere Akzent dieser Ethik liegt darin, daß die Ergebnisse der Arbeit nicht wie im Katholizismus „technische Mittel" sind, um sich die Seligkeit zu erkaufen, sondern vielmehr um die Angst um die Seligkeit loszuwerden. Damit ist der neuzeitliche Berufsmensch geboren. In dem unentwegten Bemühen, Gnadengewißheit zu erlangen, ordnet er seine ganze Lebensführung der Arbeit unter. Die Systematisierung der Lebensführung, die ja letztlich der Heiligung des eigenen Lebens dient, nimmt schon fast den Charakter eines Geschäftsbetriebes an. Arbeits- und Erwerbsstreben avancieren zum reinen Selbstzweck. Man arbeitet nicht mehr zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse, sondern man arbeitet um der Arbeit willen. Nur so sind Zweifel an der Erwähltheit auszulöschen. Arbeit wird zum zentralen Lebensinteresse, Beruf zur Gesinnung. Der Protestantismus tritt als erste Weltreligion der Armut und dem Desinteresse an materiellen Dingen entgegen. Der Mahnung des Katholizismus, das Dasein demütig und geduldig zu ertragen, sich in das Unvermeidliche von Not, Armut und Krankheit zu fügen und auf die Erlösung zu hoffen, setzt der Calvinismus die Auffassung entgegen, aus jeder Situation rastlos und unermüdlich das beste zu machen. Verbringen die katholischen Mönche ihr Leben noch in weitabgewandter Askese (außerweltlicher Askese), so sind die Calvinisten durch ihre strenge Arbeitsethik gehalten, sich der Welt zuzuwenden und eine diesseits betonte Haltung einzunehmen. Das Berufsleben wird verstanden als konsequente, sittenstrenge Tugendübung, als Bewährung des Gnadenstandes (innerweltliche Askese). Wie und wodurch aber Berufspflicht und methodische Lebensführung nicht nur zu rationalen Handlungsmaßstäben einzelner isolierter Individuen wurden, sondern zu einer allgemeinen, religiös verankerten Anschauungsweise, die von einer großen Bevölkerungsgruppe getragen wurde, begründet Weber mit dem Säkularisierungsprozeß des Protestantismus, oder anders ausgedrückt: mit der Entzauberung der Religion. Weber verfolgt den Entzauberungs- und Rationalisierungsprozeß über mehrere Stufen: a) Rationalisierung der Religion b) aus ihr folgt eine Rationalisierung des Weltbildes (neue diesseits bezogene Betrachtungsweise) c) aus ihr folgt wiederum eine Rationalisierung der Sozial- und Berufsethik (rationale und methodische Arbeits- und Lebensauffassung) d) und aus ihr folgt schließlich die Rationalisierung des wirtschaftlichen Handelns (Rationalisierung des Betriebes, etc.) Hinter der Rationalität in der Wirtschaft steht also eine rationale Arbeits- und Berufsauffassung, die ihrerseits wieder auf einem rationalisierten Weltbild
42
2. D i e G e s c h i c h t e w i r t s c h a f t s s o z i o l o g i s c h e r L e h r m e i n u n g e n
öS
«
S uu S •-PS c 2P H3 c « o 2 g-3 . a -S e S i ! 15 3. p E «3 a< § " • : £i £ > § .2 m
O K
BO N C C Vï T3 4) C S •2.1 « B ûS
O
cd cd BD 00 O 2P o >> « ta s « • e i s3 Ë o c "O W ti ctí p ea — >1 2 - a D.0L.
•ö C C M
o ^ c
2.0 g>-c 3 O c m
c ^ n° aj ™ S i §
M 'S. .a * s * "S M -O
« c 0) o N ^ 2 «
» ^ 13 c o
Dm 3 ^ ed Ü 13 c ' g s .g a
•O a
E
M«
s
•Sá "S c o ixi £ C
"3 s
I 3Jä 4vi> C C
i
" 5 S '¡s
«
I = •5 w S E
M V c "2 u —o T3 Öß 4> Vi VI ~ / 5 C C CA 2 s i á 0) ¿ M c c ri 0 > « M e IM > C/3 T3
2.4. Max Weber
43
beruht. Die ethischen Prinzipien des Protestantismus färben auf den persönlichen Lebensstil des einzelnen Menschen ab und damit zugleich auch auf den alltäglichen Lebensstil breiter Trägergruppen des Kapitalismus. Die Hauptzüge des religiösen und ethischen Rationalisierungsprozesses, die sich im Protestantismus niederschlagen, lassen sich wie folgt zusammenfassen (vgl. Habermas 1981: 235): 1. Die radikale Verwerfung aller magischen Mittel und aller Sakramente; dies bedeutet: Entzauberung und Entmystifizierung der Religion. Folge: allgemeine Tendenz zum Rationalismus. 2. Prinzip des Gnadenpartikularismus, das heißt Aufhebung der Bruderliebe und Aufhebung des Gemeinschaftsgedankens. Jeder einzelne muß sich als autonomes Individuum in rastloser Berufsarbeit vor Gott bewähren und zum Ruhme Gottes wirken. Folge: Tendenz zum Aktivismus und zum Individualismus. 3. Die unerbittliche Vereinsamung des einzelnen Gläubigen aus Angst der Heilsversagung, inmitten einer Gemeinde, die eine sichtbare Identifizierung der Erwählten versagt. Folge: Tendenz zum Isolationismus und Individualismus. 4. Die strenge, prinzipiengeleitete, selbstkontrollierte, ich-autonome Lebensführung, die alle Lebensbereiche durchdringt, um äußere Anzeichen der Heilsvergewisserung zu erfahren. Folge: Tendenz zur Systematisierung des Lebens. 5. Die zunächst lutherisch bestimmte, aber besonders vom Calvinismus aktivierte Berufsidee, derzufolge sich der Gläubige durch die weltliche Erfüllung seiner beruflichen Pflichten als gehorsames Werkzeug Gottes in der Welt zu bewähren hat. Folge: Tendenz zur Aufwertung des Berufes. 6. Die Umformung jüdisch-christlicher Weltablehnung in eine Perspektive der Diesseitigkeit, verbunden mit der Askese rastloser Berufsarbeit, wobei der äußere Erfolg das Zeichen eines individuellen Heilsschicksals darstellt. Folge: Tendenz zum Pragmatismus und zur Diesseitigkeit. 7. Versachlichung interpersoneller Beziehungen, da sich jeder einzelne autonom (ohne Hilfe anderer) vor Gott bewähren muß und sich gegenüber anderen durchsetzen muß; mit der Konsequenz einer Zerstörung der Pietät im zwischenmenschlichen Bereich. Folge: Tendenz zur Aufhebung von Solidarität, Betonung des Individualismus, Vermehrung von Rivalität und Konkurrenzdenken.
44
2. D i e Geschichte wirtschaftssoziologischer L e h r m e i n u n g e n
Letztlich verklärt die Ethik des Protestantismus den reinen Arbeits-, Fach-und Berufsmenschen. Sie tritt für den Erwerb von Besitz ein, verherrlicht den individuellen Erfolg und weckt damit eine utilitaristische Denkweise. Individualismus, Utilitarismus, Pragmatismus, Diesseitigkeit, Rationalismus: das sind im historischen Zusammenhang die neuen Elemente, die sich im Protestantismus zusammenfinden und den Geist des Kapitalismus begründen. Die Prozesse der Rationalisierung sind folgenreich. Die unerhört gesteigerte Arbeitsbesessenheit führt im Laufe der Zeit zu mehr Reichtum. Reichtum widerspricht nicht einer asketischen Lebensführung. Nur Untätigkeit gilt als Indiz eines verfehlten Gnadenstandes. Für G o t t darf der Gläubige arbeiten, um reich zu sein. Sofern der Gebrauch, den der Unternehmer von seinem Reichtum macht, nicht anstößig ist, ist er sogar verpflichtet, seinen Erwerbsinteressen zu folgen. Reichtum entbindet den Gläubigen nicht von der bedingungslosen Vorschrift der rastlosen Berufsarbeit. Gelderwerb und Vermögen sind nämlich, wenn sie in legaler Weise erfolgen, Ausdruck der Tüchtigkeit im Beruf, und diese Tüchtigkeit ist das A und O der neuen Moral. Der ethisch begründete und motivierte Aufruf zur privaten Vermögensbildung weckt neben dem rastlosen Erwerbsstreben eine zweite Eigenschaft, ohne die der moderne abendländische Kapitalismus nicht hätte heranwachsen können: den Sparzwang, der die Akkumulation von Kapital ermöglicht. Es bildet sich der Typ des privat äußerst anspruchslosen Unternehmers, der nichts anderes im Sinn hat, als sein Vermögen als Ausdruck seines Erfolgs-und Gnadenstandes zu vergrößern. Neben Arbeitswillen, Sparzwang und damit einhergehender Kapitalakkumulation sorgt schließlich noch eine dritte, ebenfalls aus der protestantischen Ethik abgeleitete Tugend dafür, daß die wirtschaftliche Entwicklung funktioniert: die von Gott geforderte Aufrichtigkeit und Korrektheit. Ein G r u n d f ü r den wachsenden Reichtum der Reformationskirchen liegt darin, daß man gerne Geschäfte mit ihnen macht. Die puritanischen Unternehmer betreiben keinen „Abenteurer-Kapitalismus". Es sind in der Regel also nicht waghalsige und skrupellose Spekulanten, sondern in harter Lebensschule aufgewachsene, vor allem aber nüchtern und stetig der Sache hingegebene Männer mit strengen bürgerlichen Anschauungen und Grundsätzen sowie untadeligem Lebenswandel (Weber 1922: 53). Der Unternehmer lebt in dem Bewußtsein, daß ihm Gottes Gnade sicher ist, solange er sich geschäftlich korrekt verhält, rastlos arbeitet, allen Anfechtungen widersteht, keinen unnötigen A u f w a n d treibt und den Genuß seiner Macht scheut. Weber entwirft das Idealbild eines Unternehmers, der sich der überkommenen Tradition entzieht. Es ist ein Unternehmertyp mit hohen moralischen Qualitäten, die ihm das Vertrauen seiner Kunden und Arbeiter sichern und ihm helfen, alle Widerstände gegenüber dem eigenen Erfolg zu überwinden. Vor allem verlangen die moralischen Ansprüche eine unendlich viel intensivere Arbeitsleistung, die mit bequemem Lebensgenuß unvereinbar ist. Dieser Idealtyp des Unternehmers hat nichts
2.4. Max Weber
45
von seinem Reichtum außer der subjektiven Empfindung, seine Pflicht getan zu haben. Den Unternehmen zur Seite steht eine Arbeiterschaft, die gleichfalls ein auf religiöser Grundlage asketisches Dasein führt und in der Arbeit einen gottgewollten Lebenszweck sieht. Die Menschen sind fleißig, nüchtern, gewissenhaft und sozial gesehen: gefügig. Sie leben im Glauben, daß die ungleiche Verteilung der Güter auf dieser Welt ein Werk Gottes sei. Der Arbeiter stellt sich als treue Arbeitskraft in den Dienst des patriarchalisch geführten Unternehmens. Doch die eigentliche Entfaltung des kapitalistichen Geistes und der wirtschaftlichen Rationalität findet erst statt, nachdem sich die neue Haltung zu Beruf, Arbeit und praktischer Lebensführung von ihren religiösen Ursprüngen gelöst hat. Erst als der religiös geprägte Berufsethos in eine rein bürgerliche Berufsauffassung umschlägt, setzt die volle Kraft des modernen Industriekapitalismus ein. „Ihre volle ökonomische Wirkung entfalteten . . . jene mächtigen religiösen Bewegungen, deren Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung in erster Linie in ihren asketischen Erziehungswirkungen lagen, regelmäßig erst, nachdem die Akme des rein religiösen Enthusiasmus bereits überstiegen war, der Krampf des Suchens nach dem Gottesreich sich allmählich in nüchterner Berufstugend aufzulösen begann, die religiöse Wurzel langsam abstarb und utilitaristischer Diesseitigkeit Platz machte" (Weber 1922: 197). Als die religiösen Grundlagen der neuen Lebensform absterben, werden Berufspflicht, Disziplin und Arbeitsethos untermauert vom Bürgerstolz. Weber zitiert Benjamin Franklin als Kronzeugen der säkularisierten Moral: Siehst du einen Mann rüstig in seinem Beruf, so soll er vor Königen stehen. Der Stölz des Bürgers gründet sich nicht auf Herkunft und Namen, er gründet sich auf seine Arbeit im Beruf, auf die konstruktive Leistung (zitiert bei Pross 1983: 76). Die ehemals religiös gestützte Moral ist jetzt ins Weltliche, Utilitaristische gewendet: Die Ehrlichkeit ist nützlich, weil sie Kredit bringt, ebenso Pünktlichkeit, der Fleiß, die Mäßigkeit, und deshalb sind sie Tugenden — aber sie sind nicht mehr Tugenden an sich. Die religiöse Ethik des Protestantismus verliert an Bedeutung, da sie als Triebkraft wirtschaftlichen Handelns nicht mehr benötigt wird. Der heutige Kapitalismus ist mittlerweile eine Institution, die den Menschen die Normen ihres wirtschaftlichen Handelns aufzwingt. „Der Puritaner wollte Berufsmensch sein — wir müssen es sein. Denn indem die Askese aus den Mönchzellen heraus in das Berufsleben getragen wurde und die innerweltliche Sittlichkeit zu herrschen begann, halfen sie an ihrem Teile mit daran, jenen mächtigen Kosmos der modernen . . . Wirtschaftsordnung erbauen, der heute den Lebensstil aller einzelnen, die in dies Triebwerk hineingeboren werden, . . . mit überwältigendem Zwange bestimmt und vielleicht bestimmen wird, bis der letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist . . . Indem die Askese die Welt umzubauen und in der Welt sich auszuwirken unternahm, gewannen die äußeren Güter dieser Welt zunehmende und schließlich unentrinnbare Macht über den Menschen, wie niemals zuvor in der
46
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen
Geschichte. Heute ist ihr Geist — ob endgültig, wer weiß es? — aus diesem Gehäuse entwichen. Der siegreiche Kapitalismus jedenfalls bedarf, seit er auf mechanischer Grundlage ruht, dieser Stütze nicht mehr" (Weber 1922:203 f.). Der moderne Kapitalismus ruht nicht mehr auf der religiösen Moral des Protestantismus. Er erzieht sich mittlerweile seine Wirtschaftssubjekte — Unternehmer und Arbeiter — selbst. Und darin liegt sein Erfolg begründet, sowie die Kraft der wirtschaftlichen Rationalität. Für Weber ist die Entwicklung der wirtschaftlichen Rationalität in den hochentwickelten Industriegesellschaften nur die Teilerscheinung einer sehr viel allgemeineren Entwicklung. Er nennt sie Rationalisierung des Abendlandes. Sie strahlt auf viele gesellschaftliche Bereiche ab: Rationalisierung von Wissenschaft, Rationalisierung von Recht, Staat und bürokratischer Organisation. In der Entwicklung des modernen Kapitalismus spielen sich die verschiedenen Rationalisierungsvorgänge gegenseitig in die Hände. Die Institutionalisierung des formalen Rechts hilft der ökonomischen Entwicklung ebenso wie die Bildung einer rationalen Beamtenorganisation oder der Einsatz einer rationalen Wissenschaftsorganisation. Rechtssicherheit, effektive und gerechte Verwaltung sowie eine naturwissenschaftlich orientierte Wissenschaft bilden wirksame Stützpfeiler in der Entwicklung eines modernen Industriekapitalismus. Wenn sich auch Webers Untersuchungen unmittelbar auf die Probleme der Entstehung des Kapitalismus und auf den Nachweis konzentrieren, wie bestimmte Ideen des Protestantismus in der Geschichte des Kapitalismus wirksam geworden sind, geht es aber niemals um eine direkte kausale A b h ä n gigkeit. Hier ist er häufig mißverstanden worden. Er betont wiederholt, daß gar nicht „eine so töricht doktrinäre These verfochten werde, wie etwa die: daß der kapitalistische Geist nur als Ausfluß bestimmter Einflüsse der Reformation habe entstehen können oder wohl gar: daß der Kapitalismus als Wirtschaftssystem ein Erzeugnis der Reformation sei . . . Sondern es soll nur festgestellt werden: ob und wieweit religiöse Einflüsse bei der qualitativen Prägung und quantitativen Expansion jenes „Geistes" über die Welt hin mitbeteiligt gewesen sind und welche konkreten Seiten der auf kapitalistischer Basis ruhenden Kultur auf sie zurückgehen" (Weber 1922: 83).
2.5 Jürgen Habermas Wenn auch die Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen zeigt, daß die Ursachen der industriellen Entwicklung völlig verschieden gedeutet werden können, so gibt es doch auch Übereinstimmungen.
2.5. Jürgen Habermas
47
Marx hatte die Entfaltung des Kapitalismus mit dem Aufstieg des Bürgertums erklärt, das sich gegenüber der adligen Feudalherrschaft mit einer rationalen Wirtschaftsweise zu behaupten suchte. Auch Max Weber glaubte, daß zwischen dem Aufstieg des Bürgertums und der Entstehung des Kapitalismus ein enger Zusammenhang besteht, allerdings nur unter dem Vorzeichen einer strengen calvinistischen Sozialethik. Beide stimmten auch darin überein, daß es eine Reihe weiterer Voraussetzungen für die Industrialisierung gab, so vor allem — — — — — —
ein entwickeltes Geldwirtschaftssystem ein gut eingespielter Kapitalmarkt ein zentrales, funktionsfähiges Steuersystem eine rationale Bürokratie ein gesichertes und hochentwickeltes Rechtssystem ein hohes Niveau der Verkehrs- und. Handelswege.
Mit der Frage nach den Umständen, die den Aufstieg des Bürgertums als Trägerschicht des Kapitalismus ermöglichten, und die die Bedingungen eines rationalen Marktes schufen, befaßt sich Habermas. Er beschäftigt sich zwar nicht direkt mit der Entstehungsgeschichte des Kapitalismus, aber seine Analyse über den Strukturwandel der Öffentlichkeit enthält zahlreiche Hinweise darauf, wo die Kräfte zu suchen sind, die den „Konkurrenzkapitalismus" entscheidend gestärkt haben. Ausgangspunkt seiner Argumentation ist der Gedanke, daß der liberale Konkurrenzkapitalismus Smith'scher Prägung ein ideelles Forum benötigte, auf dem er sich entwickeln konnte. Als ein solches Forum identifiziert Habermas die kritische bürgerliche Öffentlichkeit in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Funktionen dieser bürgerlichen Öffentlichkeit enthielten die politischen und sozialen Kräfte, die imstande waren, die für den Kapitalismus erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Und die Institutionen der bürgerlichen Öffentlichkeit bildeten den Treibsatz, der dem Konkurrenzkapitalismus zumindest seinen ideellen Schub gab. Insofern — dies ist die Ausgangsthese von Habermas — ist das Organisationsprinzip der Öffentlichkeit der eigentliche Geburtshelfer des modernen pluralistischen Staates und des liberalen Modells des Kapitalismus.
Entwicklung der bürgerlichen
Öffentlichkeit
In der Epoche des Merkantilismus tritt an die Stelle der Hauswirtschaft der Markt in seiner frühkapitalistischen Form als Fernhandelsmarkt. Die wirtschaftlichen Bedingungen überschreiten die Schranken des eigenen Haushalts.
48
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen
Der ökonomische Horizont weitet sich. Die Wirtschaft ist erstmals in der Geschichte von allgemeinerem politischen Interesse. Sie nimmt eine privilegierte Stellung ein, da sie als Instrument zum Aufbau nationalstaatlicher Größe dient. Ein weiteres wichtiges Element dieser frühkapitalistischen Phase bildet die Presse in ihren ersten Anfängen. Sie enthält vor allem Nachrichten aus dem internationalen Handelsverkehr. Es ist eine Presse von Kaufleuten für Kaufleute. Beides, Presse und die erheblich gestiegene Bedeutung der Wirtschaft, sind die eigentlichen Auslösungsfaktoren für eine neue politische Entwicklung. Recht bald beginnt die merkantilistische Obrigkeit, die Presse zu benutzen, um ihre Verwaltung effektiver zu gestalten und Amtsinformationen zu veröffentlichen. Vielfach werden die Zeitungen in reine Amtsblätter verwandelt. So werden beispielsweise Notierungen der Fruchtmärkte, Taxen auf Lebensmittel und Verkehrsnachrichten veröffentlicht (Habermas 1971: 37). Die Wirtschaft wird in zunehmendem Maße obrigkeitlich reglementiert. Sie gerät in die Einflußsphäre des Staates. Adressat der Presse und Amtsblätter ist neben den Trägern des Handels- und Finanzkapitalismus die wachsende Gruppe der Verleger, der Manufakturisten, der Händler und Bankiers. Sie bilden eine neue Schicht der Bürgerlichen. Wenn auch in der Phase des Merkantilismus zwischen Obrigkeit und Bürgerlichkeit häufig genug noch Interessengleichheit besteht, liegt doch in dieser frühen Amtspresse eine gewisse Sprengkraft. „Die Obrigkeit löst in dieser von der merkantilistischen Politik in erster Linie betroffenen und beanspruchten Schicht eine Resonanz aus, die das p u b l i c u m , . . . sich als eines Gegenspielers, als des Publikums der nun entstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit bewußt werden läßt" (Habermas 1971: 38). Die bürgerliche Öffentlichkeit wird zunächst noch recht effektiv über das Instrument der Amtsblätter „obrigkeitlich" gesteuert. Aber allmählich regt sich Widerstand. Gegenüber den ständig zunehmenden Eingriffen des Staates in das Wirtschaftsleben und den wachsenden Reglementierungschancen der Verwaltung beginnt sich die bürgerliche Schicht der Kaufleute zur Wehr zu setzen. Sie macht ihre eigenen Vorstellungen von den allgemeinen Regeln des Warenverkehrs gegenüber dem Staat geltend. Es handelt sich um Vorstellungen, die sich am liberalen Modell von Adam Smith orientieren: Die Wirtschaft sei allein als eine Angelegenheit der Privatleute zu betrachten. Damit wird erstmals in der Geschichte die Sphäre der Wirtschaft als Privatsphäre, als eine vom Staat abgegrenzte eigene Interessensphäre wahrgenommen. Eine solche Entwicklung war bis zur Epoche des Merkantilismus weder denkbar noch überhaupt vorstellbar. Erst die zunehmenden Steuerungs- und
2.5. Jürgen Habermas
49
Eingriffsmöglichkeiten des Staates über das Instrument der Presse sowie die stark gestiegene Bedeutung des Handels bildeten die Ansatzpunkte, sich gegenüber dem Staat abzugrenzen. Der Prozeß der Abgrenzung hat Folgen: Es setzt eine Polarisierung von Staat und Gesellschaft, von Staat und Wirtschaft ein. Bürgerliche Schicht und öffentliche Staatsgewalt stehen sich gegenüber. In dem Maße, in dem die staatlichen Reglementierungen zunehmen, versucht sich die Öffentlichkeit von eben diesen staatlichen Eingriffen zu emanzipieren. Die politischen Folgen dieser Entwicklung lassen sich in folgenden Stichworten zusammenfassen: — Auflösung der traditionellen Legitimationsgrundlagen des Staates — das Entstehen eines neuen Weltbildes mit starker Betonung von Individualismus und Privatheit — neue Formen des Willensbildungsprozesses in der Gesellschaft, — ein neues politisches Mandat der bürgerlichen Öffentlichkeit — das tendenzielle Zurückweichen absolutistischer und bürokratischer Merkmale der Gesellschaft — die allmähliche Verwandlung der Fürstensouveränität in Volkssouveränität; das heißt: Gesetze statt Fürstenentscheid, Gerechtigkeit statt Prestige, Wahrheit statt Ansehen gewinnen als beherrschende Merkmale des sozialen Lebens an Bedeutung. Die Auseinandersetzung der bürgerlichen Öffentlichkeit mit dem Staat verläuft zweigleisig: auf politischer und wirtschaftlicher Ebene. Es ist ein Kampf u m mehr Kontrollrechte gegenüber der Obrigkeit, und es ist ein Kampf um mehr Autonomie in der Wirtschaft. Beide Auseinandersetzungen verlaufen erfolgreich. Die bürgerliche Öffentlichkeit erstreitet sich Stück für Stück neue politische Rechte. Aus ihrem Kampf mit der Obrigkeit entstehen zum einen allmählich die demokratischen Einrichtungen wie Parteien, Parlament, die Institution der parlamentarischen Opposition, eine kritische Presse; das sind alles politische Kontrollrechte. Andererseits erkämpft sich die Öffentlichkeit Schutz vor staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft, das heißt eine staatliche Garantie auf die Selbststeuerung des Marktes. Habermas zufolge hat die Geburtsstunde des modernen Marktes in dieser politischen Funktion der Öffentlichkeit gelegen. Aber noch war die dauerhafte Etablierung eines liberalen Marktmodells nicht gesichert. Um ihre politische Kraft zu erhalten, mußte die bürgerliche Öffentlichkeit d a f ü r Sorge tragen, daß sie selbst genug Zulauf hatte, das heißt, d a ß die Zahl der Kaufleute und Manufakturisten stieg. Sie kämpfte für gleiche Chancen und Rechte, sie kämpfte um den Entwurf eines liberalen Rechtsstaatsmodells. Es ging ihr dabei um die Modernisierung des Privatrechts.
50
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen
Die Entwicklung des modernen Privatrechts in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durchbricht die Schranken, die die Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise noch behinderten. Erst jetzt wurde das Eigentum dem freien Tauschverkehr überlassen, die Vererbung dem freien Willen der einzelnen Eigentümer anheimgestellt, die Festsetzung des Lohnes dem freien Vertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern unterworfen. Erst 1813 wurde die freie Lohnarbeit in England in allen Gewerbezweigen eingeführt. Und erst 1814 wurde das Elisabethanische Gesetz, das für Lehrlinge eine 7jährige Ausbildungszeit vorsah, aufgehoben (Habermas 1971: 98). Mit der großen Kodifikation des bürgerlichen Rechts wurde ein Normsystem entwickelt, das die private Sphäre des Marktes vor staatlichen Auflagen sicherte. Es garantierte die für die Entwicklung des Kapitalismus zentralen Institutionen des privaten Eigentums, der Vertragsfreiheit, der Gewerbefreiheit und der freien Vererbung. Damit setzte die bürgerliche Öffentlichkeit nicht nur das Modell eines liberalen Marktes gegenüber dem Staat durch, sondern sie schuf zugleich auch die für die Funktionsfahigkeit des Marktes zentralen rechtlichen Rahmeninstitutionen. Die bürgerliche Öffentlichkeit avancierte zum eigentlichen Organisationsprinzip des bürgerlichen Rechtsstaats und seiner Wirtschaftsordnung. Sie war die Wurzel jener Kräfte, die die Grundlagen des freien Marktes schufen. Sie hat all jene Institutionen erfochten, die auch heute noch für die Wirtschaftsordnung so voraussetzungsvoll sind: Verbandsfreiheit, Pluralismus, Kontrollrechte gegenüber dem Staat, selbstregulative Marktprinzipien. Insofern war die Entwicklung des Kapitalismus nicht nur ein Indikator für die Wirksamkeit und Kraft der bürgerlichen Öffentlichkeit, sondern zugleich ihr sichtbar gewordener Ausdruck.
2.6 Peter Laslett Einen unkonventionellen Erklärungsversuch zur Entstehung des Kapitalismus liefert Peter Laslett. Er geht von der Annahme aus, daß ein bestimmter Zusammenhang zwischen Familienstruktur und Industrialisierung besteht. Erst die besondere Ausgestaltung des Familien-, Haushalts- und Eheprinzips im vorindustriellen Zeitalter — so seine These — ermöglichte und förderte die Industrialisierung der Neuzeit. Laslett zufolge bestand im vorindustriellen Zeitalter die Regel, daß mit jeder Heirat ein neuer Haushalt entsteht. Haushalte ohne Heirat gab es nicht. Erst über die Heirat war es möglich, einen selbständigen Haushalt zu bilden. Eine zweite Regel besagte, daß ein Haushalt gewöhnlich nicht mehr als ein Ehepaar
2.6. Peter Laslett
51
enthalten sollte. Erwachsenen Kindern war es demzufolge versagt, zu heiraten und anschließend im Haushalt der Eltern weiterzuleben. Ferner durften Ehen nur unter den zwei Bedingungen geschlossen werden, daß erstens auf Dauer genügend finanzielle Mittel und berufliche Fähigkeiten vorhanden waren, um eine Ehe zu führen; und daß zweitens eine „Stelle" frei war, das heißt entweder ein Stück Ackerland mit einem Haus oder ein Handwerkerhaus mit gesicherter Absatz- oder Dienstleistungsgarantie am Ort. Diese Regeln schränkten die Heiratschancen drastisch ein. Wenn überhaupt, konnten beide Geschlechter erst spät heiraten und ihre Selbständigkeit erlangen. Es gab nur begrenzt Stellen bzw. die Stellen waren nicht beliebig vermehrbar. Folglich mußten die Kinder, selbst wenn sie erwachsen waren, bei ihrer Herkunftsfamilie bleiben. Dabei befanden sie sich in einer ganz eigentümlichen Situation: — Selbst als Erwachsene wurden sie noch als Jugendliche angesehen, die in der Ausbildung standen. — Sie waren völlig abhängig vom Vorstand des Haushalts; das heißt, sie waren dem Vorstand des Haushalts, in dem sie wohnten, persönlich zugeordnet. — Gewöhnlich wurden die Kinder, auch noch als Erwachsene, in hohem Maße wirtschaftlich ausgenutzt, weil der Haushaltsvorstand das Recht und die Macht dazu besaß. — Dennoch mußte Geld gespart werden, um schließlich ein Haus erwerben zu können. Erst ein Haus lieferte die Grundlage für eine Heirat. Normalerweise war eine Heirat unter diesen Umständen erst zwischen 25 und 30 möglich, für sehr viele allerdings auch nie. — Sexualität vor der Ehe war ein Tabu. Die Gesellschaft des vorindustriellen Zeitalters verbot eine uneheliche Zeugung. — Ehe, Selbständigkeit und die Gründung eines Haushaltes wurden sehr hoch bewertet. Sie waren die unerläßlichen Voraussetzungen für den Erwerb von gesellschaftlichem Status, Ansehen und Prestige. — Nur der Haushaltsvorstand besaß alle Freiheiten eines Vollbürgers. Angesichts dieser Umstände kann vermutet werden, daß die jungen Leute in erster Linie den Wunsch hatten, den langen demütigenden Prozeß bis zur Heirat abzukürzen und möglichst schnell selbständig zu werden. Fast jeder wollte das Los des Lehrlings, der volle sieben Jahre — oft waren es mehr — in voller Abhängigkeit und ohne Bezahlung dienen mußte, vermeiden, sofern er es einrichten konnte. Jeder versuchte, den nachteiligen Auswirkungen der wirtschaftlichen und sozialen Ordnung, in der er lebte, zu entgehen. Allein die langsam einsetzende Industrialisierung galt als Ausweg aus der als äußerst unbefriedigend empfundenen Situation. Nur sie bot die Möglichkeit, den als ungebührlich empfundenen Aufschub der Ehe und die Phase langer
52
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen
Unmündigkeit zu verkürzen. Nur von ihr durfte man hoffen, möglichst schnell einen anerkannten gesellschaftlichen Status zu erhalten und zum Vollbürger zu werden. Jeder, der konnte, wird versucht haben, über neu in der Industrie geschaffene Stellen seine Lage zu verbessern. Es dürfte auf der Hand liegen, daß der kapitalistische Markt dem jungen M a n n und der jungen Frau, die gemeinsam einen Haushalt gründen wollten, mehr versprach als die rein örtliche Produktion oder Landwirtschaft. Erst der überregionale Markt, der die örtlichen Grenzen der Produktion und des Verbrauchs von Gütern überwand, setzte die traditionellen Einschränkungen der Haushaltsgründung sowie der Ehe außer Kraft. Und gerade deshalb galt er als attraktiv und m u ß auf die heranwachsende Generation eine so dauerhafte Anziehungskraft ausgeübt haben. Hierin lag Laslett zufolge eine der möglichen Ursachen für die rapide Entwicklung der Industrialisierung. Im Grunde handelte es sich um einen R ü c k k o p p lungsprozeß. Da der Markt noch am ehesten neue Stellen bot, drängten viele dorthin, um schließlich einen Haushalt gründen zu können. Und eben weil so viele auf den überregionalen Markt drängten, erfuhr er eine bisher nicht dagewesene Rückendeckung und allgemeine Wertschätzung, zumindest bei der jungen Generation. Diese Wertschätzung war es schließlich, die den sozialen Druck zur Ausweitung der kapitalistischen Entwicklung ausübte. Zwar ist die Wachstumskapazität der Wirtschaft nie so groß gewesen, um allen jungen Leuten eine selbständige Haushaltsgründung zu ermöglichen, doch die traditionelle Familienstruktur entfaltete genug Schubkraft, die Industrialisierung immer wieder neu zu beleben. Insofern kann der Aufstieg des Kapitalismus nicht ohne die Wirkungen der vorindustriellen Familienstruktur erklärt werden. Überspitzt formuliert resultierte die Kraft der industriellen Entwicklung aus einem rein familialen Dilemma: nämlich aus dem Mangel an institutionalisierten Wegen, zu freien Vollbürgern zu werden. Dennoch erklärt Laslett's Theorie weniger die Antriebskräfte des Kapitalismus als zunächst nur die Bedeutung der Industrialisierung als Lösungsweg einer subjektiv empfundenen Ausweglosigkeit. Aber gerade in der Summe solcher individueller Prozesse liegen wichtige Impulse für die Stärkung einer allgemeinen Entwicklung. Laslett's Erklärungsmodell ist nicht zu verallgemeinern. Er selbst schränkt seine These ein. Die Annahme, daß die Hinauszögerung der Heirat in der traditionellen patriarchalischen Ordnung ein Grund dafür war, daß sich die jungen Leute vorindustriellen, handwerklichen und später industriellen Tätigkeiten zuwandten, heißt noch nicht zugleich, d a ß auch alle jungen Leute dies taten. Zudem gab es eine Reihe anderer Elemente, beispielsweise technologischer, organisatorischer oder ideeller Art, die den Strukturwandel zum Kapi-
2.7. Josef Schumpeter
53
talismus entscheidend mitgeprägt haben. Doch neben diesen Einflüssen — so Laslett — ist das Prinzip „ein Haushalt — eine Ehe" ein wichtiger Keim, der zu einer beschleunigten Entwicklung des Kapitalismus beigetragen hat.
2.7 Josef Schumpeter Josef Schumpeter (1883-1950) — einer der bedeutendsten Sozialwissenschaftler der letzten 100 Jahre — stand den Stufentheorien der historischen Schule kritisch gegenüber. Er lehnte Verallgemeinerungen historischer Art ab. In seinem Hauptwerk „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung" befaßte er sich deshalb mit den speziellen Bedingungen des Kapitalismus. In dieser Arbeit hat Schumpeter eine Thematik zum Abschluß gebracht, die in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit von einer Reihe von Wissenschaftlern aufgegriffen worden war. Vor allem Vilfredo Pareto und der sowjetische Ö k o n o m Nikolai Kondratieff hatten die Existenz „langer Wellen" in der Wirtschaft, die die üblichen Konjunkturzyklen von kurzer Dauer überlagern und die eine Länge von jeweils 50 bis 60 J a h r e n aufweisen, theoretisch und empirisch zu untermauern versucht. Schumpeter gab diesen langen Konjunkturwellen den Namen „Kondratieff-Zyklen". Er legt dar, daß das kapitalistische Wirtschaftssystem aus seiner eigenen Logik heraus Wirtschaftszyklen von 50- bis 60jähriger Dauer erzeuge. Ein großer technischer Innovationsstoß habe jeweils einen ganzen Schwärm von Anschlußinnovationen zur Folge und führe damit zu einem allgemeinen Wirtschaftsaufschwung, der aber mit zunehmender Realisierung der Investitionen langsam wieder verebbe. Sobald die Effekte der Innovationen ausgeschöpft sind, setzt in zyklischer Abfolge eine Rezession ein. Somit kommt es nach jeder Neuerung zu einem konjunkturellen Sprung. Ein neuer Aufschwung ist erst wieder mit einem neuen großen Innovationsstoß, meist auf einem gänzlich anderen Gebiet, zu erwarten. Die Zeit zwischen den beiden Höhe- bzw. Tiefpunkten beträgt eben 50 bis 60 Jahre. Seit dem Beginn der industriellen Revolution sind vier solcher Kondratieff-Zyklen zu unterscheiden: Der erste Innovationsstoß erfolgte durch die Dampfmaschine, der zweite durch die Eisenbahn, der dritte durch die chemische Industrie und die Elektrizität; beim vierten (Automobil; Radio) sind die Konturen weniger klar, die Meinungen gespalten. Schumpeters Theorie ist in erster Linie eine Entwicklungstheorie, allerdings eine von zyklischer Art. Er leugnet die Möglichkeit eines kontinuierlichen Wachstums. Wachstum ist weder gleichmäßig noch kontinuierlich. Es treten
54
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen
immer wieder Gegenbewegungen und Rückschläge verschiedenster Art auf, die die Entwicklung hemmen; oder es treten Zusammenbrüche des volkswirtschaftlichen Wertsystems auf, die die langfristigen Wachstumsprozesse stören. Schumpeters Analyse setzt bei den Vorstellungen an, die sich die klassische Nationalökonomie vom Wettbewerb gemacht hat. Seiner Ansicht nach gibt es kein Marktgleichgewicht, bei dem in einem Zustand der vollkommenen Konkurrenz stets die gleichen Waren in der gleichen Menge zum gleichen Preis verkauft werden. Für ihn ist dieses Bild der Wirtschaft mehr vom Wunschdenken als von Tatsachen geprägt. Der Wettbewerb besteht vor allem aus einem ständigen Prozeß der schöpferischen Zerstörung, bei dem neue und qualitativ bessere Produktionsverfahren und Güter die alten Produktionsverfahren und Güter verdrängen. Die Geschichte des Kapitalismus ist eine Geschichte schöpferischer Zerstörung. So zerstört die Fabrik den Handwerksbetrieb, das Auto die Pferdekutsche, das elektrische Licht die Petroleumlampe. Und der Prozeß, der dieser schöpferischen Zerstörung zugrundeliegt, ist das eigentliche Merkmal der kapitalistischen Entwicklung. Daher spielt die Untersuchung der technischen und kommerziellen, der betrieblichen und organisatorischen Neuerungen (Innovationen) in Schumpeters Denken die Hauptrolle, als er den Entwicklungsursachen des Kapitalismus nachspürt. Schumpeters Kapitalismustheorie ist im wesentlichen eine Art individueller Produktionstheorie, denn schöpferische Innovationen, die alte Strukturen zerstören, sind nichts anderes als neue, sinnreiche Kombinationen von Produktionsfaktoren. Sein Konzept ist ein Konzept der technischen und organisatorischen Veränderung der Wirtschaft. Mit dem Begriff Innovationen meint Schumpeter jede denkbare Veränderung, etwa — die Erfindung und Entwicklung neuer Produkte und Technologien (heute z. B. Mikroelektronik) — die Erfindung neuer Produktionstechniken (Fließband; ComputerSchriftsatz) — Erschließung neuer Absatz- oder Beschaffungsmärkte — Änderungen in der Ablauf- bzw. Aufbauorganisation eines Betriebes. Innovationen sind also nicht nur bahnbrechende Neuerungen, sondern jede Idee, jede Erfindung, jede Änderung, die auf dem Markt durchgesetzt wird. Über das Innovationsverhalten von Unternehmen macht Schumpeter folgende Aussagen: 1. Innovationen ereignen sich autonom. Das heißt, Innovationen werden nicht durchgeführt, weil die Konsumenten ihren Geschmack oder ihre Bedürfnisse verändert haben. Die Eisenbahn wurde nicht deshalb gebaut, weil die Menschen nicht mehr mit der Kutsche fahren wollten. Innovatio-
2.7. Josef Schumpeter
55
nen finden vielmehr statt, weil es schöpferische und dynamische Unternehmer gibt. Die Durchsetzung von Innovationen ist die eigentliche Aufgabe des phantasievollen Einzelunternehmers. 2. Innovationen sind mit dem Entstehen und Vergehen von Firmen verknüpft; die meisten Unternehmen werden mit einer Idee und zu einem bestimmten Zweck gegründet. Sie verlieren ihre Lebenskraft, wenn diese Idee unzeitgemäß geworden ist. 3. Innovationen sind stets mit dem Aufstieg neuer Unternehmerpersönlichkeiten verbunden; allerdings verläuft mit dem Prozeß des Aufstiegs zugleich ein Prozeß des Sinkens, des Niederkonkurrierens alter etablierter Unternehmen (Prozeß der schöpferischen Zerstörung). 4. Es gibt zwei Antriebsmotive für Innovationen: ein gesellschaftliches und ein ökonomisches. Erstens der Wille zum Aufstieg in die Kapitalistenklasse und zweitens der Extragewinn, der dadurch entsteht, daß ein Unternehmer durch eine Innovation neue Produkte erstellt — oder alte Produkte durch neue, bessere Verfahren billiger herstellen kann als die Konkurrenten, sie aber zu deren Preis verkauft. Charakteristisch für Innovationen ist, daß sie nicht im gleichen Rhythmus auftreten. Sie ereignen sich vielmehr stoß-, ruck- oder schubweise und ergießen sich dann über die Wirtschaft. Die größte Schwierigkeit — so Schumpeter — besteht darin, eine Innovation gegen die Marktmacht der etablierten Konzerne durchzusetzen. Sobald sie sich aber durchgesetzt hat, kommt es zu einer Welle von Anschlußinnovationen. Praktisch sieht dies so aus: Ein Unternehmer, derein neues Produkt herstellen will, beispielsweise einen Computer, braucht zunächst neue Maschinen, Werkzeuge oder gar ein Fabrikgebäude. Also profitieren zunächst die Firmen, die die Werkzeuge und Maschinen herstellen. Von diesem Sektor strahlen nun die Wirkungen des Innovationsschubs (Computer) nach und nach auf die gesamte Wirtschaft aus. Dies geschieht dadurch, daß auch andere Unternehmen auf den Innovationszug aufspringen und Investitionsgüter brauchen, um ihrerseits Computer zu bauen. Die Nachfrage nach Werkzeugen und Arbeitskräften wächst, so daß die Löhne steigen und damit die Nachfrage nach anderen Gütern zunimmt. Kommt es darüberhinaus zur Gründung einer Fabrik in einem wirtschaftlich strukturschwachen Gebiet, werden Straßen gebaut, Viehweiden werden in Bauland verwandelt etc. Wegen des Zuzugs von Arbeitern eröffnen neue Geschäfte. Davon profitieren wiederum viele andere Unternehmer: die Bäcker ebenso wie die Gastwirte. Die gesamte Wirtschaft erlebt durch die Innovationen einen Boom. Schließlich kommt das Ende des Aufschwungs. Wegen des Überangebots sinken allmählich die Preise. Die Gewinne gehen zurück, mit der Folge, daß
56
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen
der Anreiz für weitere Folgeinnovationen verloren geht. Es setzen ein Rückschlag, eine Rezession und im ungünstigsten Fall eine Depression ein, bei der alle alten Unternehmen in Schwierigkeiten geraten, die sich nicht rechtzeitig dem technischen Fortschritt angepaßt haben. Sie fallen dem Prozeß der schöpferischen Zerstörung zum Opfer (vgl. Kösters 1983: 117). Die zentrale These Schumpeters lautet also: Wirtschaftliches Wachstum bzw. die Entwicklung des Kapitalismus sind nur durch unternehmerische Innovationsstöße zu erklären. Allein neue Erfindungen und Produktionsmöglichkeiten lassen ökonomische Prosperität zu. Das unternehmerische Innovationspotential ist damit das eigentliche Entwicklungspotential einer Gesellschaft. Weder Verbesserungen der wirtschaftlichen Nachfrage- noch Verbesserungen der Angebotssituation eines Unternehmens, weder staatliche Wirtschaftsnoch Konjunktur- oder Fiskalpolitik — normalerweise die klassischen Rezepte der Nationalökonomie — können einen neuen Boom herbeiführen. Einzig im unternehmerischen Innovationspotential liegen die Quellen einer neuen Prosperität. Nur unternehmerische Innovationen bringen Profite, und nur Profite veranlassen wiederum neue Innovationen; also umgekehrt: ohne innovative Entwicklung gibt es keine Profite, und ohne unternehmerische Profite keine Entwicklung des Kapitalismus, sondern Abschwung und Niedergang. Schumpeter ist gegenüber allen Theorien skeptisch, die allgemeine äußere Faktoren des Wachstums für ausschlaggebend halten; er widerspricht auch jenen Annahmen, die eine Depression auf Kriege, Mißernten oder andere exogene Faktoren zurückführen. Vielmehr sind alle Zyklen des Auf- und Abschwungs allein aus der inneren Mechanik des Kapitalismus zu erklären. Dieselben Kräfte, die den Aufschwung betreiben, sorgen auch für den Abschwung. Kraft seines eigenen Funktionierens bringt der Kapitalismus Hochkonjunktur oder Depressionen hervor. Schumpeters Interesse zielt auf die besondere Stellung des Unternehmers und seine konstitutive Bedeutung für die Wirtschaft. Damit deutet er zugleich auf ein wichtiges Merkmal benachteiligter oder wenig entwickelter Gesellschaften hin. Das Fehlen von Unternehmen ist ein Indiz für fehlendes Entwicklungspotential. Ohne innovative Unternehmer ist in Ländern der Dritten Welt keine wirtschaftliche Entwicklung möglich. Für den Wirtschaftssoziologen ist diese These interessant. Sie bedeutet, daß allein die Funktion eines innovativen Einzelunternehmers bzw. einer innovativen Unternehmerelite die Entwicklung moderner Industriesysteme ermöglicht. Nicht Institutionen wie das Prinzip der Invisible Hand (Adam Smith), nicht die Umstände der Sozialstruktur (Marx), nicht historische Gesetzmäßigkeiten (historische Schule), sondern allein das innovative Potential einer Minderheit bildet die Grundlage industrieller Entwicklung.
2.7. Josef Schumpeter
57
Der schöpferische Unternehmer ist mithin der Motor, der den technischen Fortschritt in Gang hält und den allgemeinen Wohlstand vermehrt. Zugleich treibt jedoch dieser Typ die weniger innovative Konkurrenz an den Rand der Existenz. Darin liegt die eigentliche Gefahr für den Kapitalismus. Anders als Marx glaubt Schumpeter, daß die Ursache für die Bedrohung des Kapitalismus nicht in dessen Scheitern liegt, sondern gerade in dessen großem Erfolg. In Abgrenzung von Vertretern des Marxismus, aber auch des klassischen Liberalismus zeigt Schumpeter, daß der Erfolg des Kapitalismus, bedingt durch die Innovationsschübe, zugleich den Untergang von ehedem erfolgreichen, inzwischen aber nicht mehr so anpassungsfähigen Unternehmen induziert. Auf Dauer haben nur die überlegenen Unternehmer Erfolg. Sie avancieren zu marktbeherrschenden Großunternehmen, deren bürokratische Organisationsform die innovative Unternehmerpersönlichkeit entwertet. Der Kapitalist, der innovative Einzelunternehmer wird überflüssig. Er findet keinen Raum mehr. In den Großkonzernen mit ihren bürokratischen Strukturen sind nicht mehr spontane Kreativität, kämpferische Initiativen oder persönlicher Erfindungsreichtum gefragt. Alle Entscheidungen und Prozesse werden einer langfristigen Planung unterworfen. An die Stelle von Kreativität und Phantasie treten Statistiken über Beschaffenheit von Märkten, Verbrauchertests, Marktanalysen. Der Führende wird zu einem Büroarbeiter. In dem Maße, in dem die Unternehmerpersönlichkeit zugunsten des bürokratischen Planers abdankt, zerfällt auch die gesellschaftliche Klasse, deren Träger er ist. Der Kapitalismus wird von innen ausgehöhlt. Schumpeter hält diese Entwicklung für einen natürlichen Prozeß. Er glaubt, daß der wirtschaftliche Wohlstand nicht den vielen kleinen Anbietern zu verdanken ist, die sich im Preis gegenseitig unterbieten, sondern in erster Linie den Großunternehmen und Konzernen. Nur deren finanzielle Kraft ermöglicht und beschleunigt den technischen Fortschritt sowie die Entwicklung rationeller Verfahren, wie sie für die Herstellung preiswerter Massenware erforderlich sind. Kleine Anbieter und Unternehmer haben gar nicht mehr das Kapital, aufwendige Forschungsarbeiten für Innovationen zu leisten. Sie ziehen im Prozeß der schöpferischen Zerstörung zwangsläufig den kürzeren. Innovationen, die ohne die langfristige und technische Planung überhaupt nicht mehr in Gang kämen, führen zwar zum Niedergang unrentabel arbeitender Kleinunternehmen, steigern aber zugleich über die Herstellung preiswerter Massen wäre den allgemeinen Lebensstandard. Tatsächlich sind seit 1900, seit der Prozeß der „Vertrustung" zunimmt, alle Güter nicht nur besser, sondern auch billiger und für die breiten Bevölkerungsschichten erreichbar geworden, wie beispielsweise das Auto. Wenn aber der Wohlstand durch langfristig planende Großkonzerne erzielt worden ist, also nicht mehr durch innovative Einzelpersönlichkeiten, besteht
58
2. D i e Geschichte wirtschaftssoziologischer L e h r m e i n u n g e n
— zumindest theoretisch — die Möglichkeit, daß ein System staatlicher Planung einen noch höheren Lebensstandard erzeugt. Dies ist, so glaubt Schumpeter, ein Indiz dafür, daß der Kapitalismus auf dem Weg zum Sozialismus sei. Denn die Planwirtschaft ist letztlich nur „ein Schritt über die Großunternehmung hinaus". Einem System staatlicher Planung gelingt es möglicherweise sogar besser, die Durchsetzung von Innovationen zu steuern. Insofern sind es nicht so sehr ökonomische, sondern vor allem gesellschaftliche Gründe, die Schumpeter veranlassen, den Niedergang des Kapitalismus zu vermuten. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung hat sich Uber die Entwicklung bürokratischer Strukturen ihrer eigenen Quelle beraubt: der innovativen Unternehmerpersönlichkeit. Zusammengefaßt lautet die Argumentationskette wie folgt: — Die Entwicklung der Wirtschaft erfolgt in Sprüngen durch innovative Schübe. Sie kennzeichnen die langfristigen Auf- und Abschwünge ökonomischer Prosperität und ökonomischer Konjunkturzyklen. — Als M o t o r der Innovationen fungieren die innovativen Unternehmerpersönlichkeiten. — Nur innovative Unternehmer haben Erfolg. Sie sind zugleich die Antriebskräfte des Kapitalismus. — Andere, weniger innovative Unternehmer gehen in einem Prozeß der schöpferischen Zerstörung unter. — Im Gegenzug entwickeln sich die innovativsten, das heißt die erfolgreichsten Unternehmen wegen ihrer Kapitalkraft zu Großkonzernen. Sie liefern die billige Massenware und bilden damit die Grundlage eines allgemeinen Wohlstands. — Gleichzeitig entwickeln die Konzerne ein ausgefeiltes System bürokratischer Strukturen. In ihnen erstickt der innovative Einzelgänger. Darin liegt ein Dilemma. — Also werden Innovationen von den Großunternehmen immer mehr durch Planung gesteuert. Langfristige Planung ersetzt, was früher die Einzelinitiativen innovativer Unternehmer ausmachte. — Unter diesen Umständen verliert die innovative, phantasievolle und risikofreudige Unternehmerpersönlichkeit zwangsläufig ihre Funktion; ihre Klasse und damit die wichtigste Schicht des Kapitalismus gehen zugrunde. — Die Planung der Großunternehmen ist nichts anderes als ein System zentraler Planung. — Insofern ist staatliche Planung nur ein Schritt über die Großunternehmung hinaus. Sie ist, weil sie alle Kräfte noch besser koordinieren kann, dem freien Konkurrenzkapitalismus und den Großkonzernen überlegen. Planwirtschaft ist also nur eine Variante des Kapitalismus. Beide gleichen sich an (Konvergenzthese).
2.8. J o h n Maynard Keynes
59
2.8 John Maynard Keynes Nur wenige Werke haben die Wirtschafts- und Sozialwissenschaft in diesem Jahrhundert so grundlegend verändert wie „General Theory of Employment, Interest and Money" von J o h n Maynard Keynes (1883-1946). Unter dem Eindruck der anhaltenden Arbeitslosigkeit in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte Keynes eine Theorie, welche die Ansicht der Klassiker von der naturgesetzlichen Harmonie des Marktes verwarf und dem Staat eine neue dominierende Rolle in der Entwicklung der Wirtschaft zuwies. Keynes war vor allem Nationalökonom. Aber sein Werk hat auch eine wirtschaftssoziologische Dimension. In „vorkeynes'scher Zeit" dominierte die These der Klassiker (Smith, Say, Pigou), wonach sich das wirtschaftliche Geschehen automatisch durch selbstregulierende Mechanismen in ein stabiles Gleichgewicht bringe. Abweichungen von diesem Gleichgewicht seien grundsätzlich nur vorübergehender Art und bedürfen daher keines direkten Eingriffs der Regierung. Der Staat gilt vielmehr nur als passiver Wächter der „natürlichen" Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Die Ansicht, die natürliche Funktionsweise des Marktes, wie sie Smith vorschwebte, würde nicht nur alle technischen und ökonomischen Probleme lösen, sondern als Nebenprodukt auch noch die „gute" und „gerechte" Gesellschaft ermöglichen, erwies sich als trügerisch. Es war die große Leistung von Keynes, für die wirtschaftlichen Krisen eine theoretische Erklärung zu finden. Ihm zufolge kann der Markt nur funktionieren, wenn er aktiv vom Staat gesteuert wird, wenn also die reine Marktsteuerung durch ein Mischsystem von Markt- und administrativer Steuerung ersetzt wird. Keynes maß der administrativen Steuerung der Wirtschaftsordnung seitens des Staates ein entscheidendes Gewicht bei. Nur der Staat könne auf Dauer die Prosperität der wirtschaftlichen Entwicklung garantieren. Keynes' Arbeit enthält zwei bedeutende Elemente. Zunächst hat er — ähnlich wie Schumpeter — die Theorie der klassischen Tradition, die aus Millionen individueller Einzelentscheidungen die Bedingungen eines Gleichgewichts ableitete, revidiert. Er hat die wirtschaftlichen Vorgänge als Bewegungen von großen Gruppen, von aufaddierten Einzelgrößen (Aggregate wie Gesamtnachfrage, Verbrauch, Ersparnis und Investition) in ein zusammenhängendes System gebracht. Das heutige Denken in wirtschaftlichen Gesamtgrößen ist Ausfluß der Keynes'schen Lehre. Zweitens steht der Name Keynes für die Revidierung weiterer bis dahin als unumstößlich geltender theoretischer Einsichten. Er wies nach, d a ß Unterbeschäftigung — unfreiwillige Arbeitslosigkeit größeren Umfangs — zu ernsten
60
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen
Gleichgewichtsstörungen führen kann. Vollbeschäftigung ist, wie Keynes zeigte, kein naturgewollter Zustand, sondern ein Spezialfall. Unter Umständen sind lange Perioden der Arbeitslosigkeit und Depression zu erwarten. Anders als die Klassiker vermuteten, gibt es nicht gleichsam automatische Anpassungsmechanismen der Märkte, die die Beschäftigungskrise von sich aus beseitigen. Daß nicht alle, die arbeiten möchten, einen Arbeitsplatz finden können, erklärt Keynes damit, daß die Löhne nach unten praktisch starr sind. Darüberhinaus kann auch ein sehr niedriger Zins unter bestimmten Umständen —etwa bei pessimistischen Unternehmererwartungen — die Investitionen nicht anregen. Daher müsse der Staat als Investor an die Stelle der privaten Unternehmen treten und die „Nachfrage-Lücke" schließen. Keynes' bahnbrechende Idee war die These, daß die notwendige Ausweitung der Gesamtnachfrage, die über eine Erhöhung der Produktion zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit führt, nur durch Staatseingriffe bzw. durch einen Staatsinterventionismus zu bewerkstelligen sei. Denn das Beschäftigungsniveau, so bemerkt Keynes, hängt immer vom Gesamtprodukt der Wirtschaft ab; und dieses wiederum ist durch die kaufkräftige Nachfrage bestimmt. Liegt aber die Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern unter jenem Niveau, das genau jener Produktionsmenge entspricht, die Vollbeschäftigung garantiert, so kann nur eine staatliche Stimulation der Nachfrage eine Beschäftigungskrise verhindern. Im Kern läuft die Keynes'sche These auf den Einsatz staatlicher Verschuldung (deficit spending) zur Konjunkturbelebung hinaus. Es kann aber auch durch Maßnahmen staatlicher Finanzpolitik (Veränderung von Steuersätzen, Subventionen) zu einer Anregung des Verbrauchs kommen. Die Zuständigkeit und Kompetenz der öffentlichen Hand werden damit deutlich erweitert. Die Klassiker und Neoklassiker berücksichtigten noch nicht die gesellschaftlichen Aspekte wirtschaftlicher Handlungen. Sie führten ökonomisches Verhalten auf reine Marktgesetze zurück. Demgegenüber bezog Keynes eine andere Position. Er wies auf die gesellschaftlichen Implikationen wirtschaftlicher Prozesse hin. Beispielsweise stehen hinter der Konsumneigung, die entscheidend für die Beschäftigungslage ist, persönliche Werthaltungen, Freizeitstile, Zukunftserwartungen; Merkmale, die gesellschaftlich bestimmt sind. Die soziologische Bedeutung des Keynes'schen Konzeptes liegt aber auf einer anderen Ebene. Sein Modell geht weit über die Einführung einer staatlichen Stabilitäts- und Wachstumspolitik hinaus. Es führte zu einer Transformation in der wissenschaftlichen Denkweise. Nicht länger ist die Ausübung wirtschaftlicher Rationalität auf die Regeln von Naturgesetzen beschränkt, sondern sie bedarf der Eingriffe des Staates. Wirtschaftliche Stabilität und
2.9. G u n n a r Myrdal
61
wirtschaftliche Rationalität verlangen sogar Staatsinterventionen. Der Staat wird zum aktiven Hüter der wirtschaftlichen Ordnung, die administrative Steuerung notwendigerweise legitim. Keynes hat den Glauben an die Steuerbarkeit der Wirtschaft wiedererweckt. Die Ordnung des Naturgesetzes war lange Zeit ein Hemmnis für die Ausbreitung politischer Autorität. Indem Keynes die Schwächen der „natürlichen Marktordnung" schonungslos aufdeckte, schuf er zugleich einen neuen Freiraum für staatliche, sozialstaatliche und wirtschaftspolitische Eingriffe. Keynes entmystifizierte die Marktordnung. Er befreite sie von dem Attribut einer göttlichen, naturgesetzlichen Ordnung, wie sie dem Liberalismus anhaftete, und wies ihren selbstregulativen Kräften deutliche Schranken zu. Im Gegenzug legitimierte er — darin war er ein Nachfolger der Merkantilisten — die neue Stellung des Staates in der Gesellschaft. Keynes' Modell hat eine Verlagerung der gesellschaftlichen Kräfte zur Folge. Es ersetzt teilweise das Prinzip der informellen Selbstregulation durch das Prinzip der zentralisierten formellen Kontrolle. Keynes plädiert f ü r eine Zentralisierung gesellschaftlicher Kräfte, indem er die Mängel eines rein dezentralsierten Marktkonzeptes aufspürt. Sein Modell repräsentiert einen historischen Grenzstein. Die Legitimationsgrundlagen wirtschaftlicher Prozesse werden umgekehrt. Von ihrer untergeordneten Rolle als passiver Wächter avanciert der Staat langsam zur führenden, regulierenden, ausgleichenden und umverteilenden Kontrollinstanz, um den Eigenkrisen des Marktes entgegenzusteuern. Der Staat erhält ein neues politisches Mandat. Ihm kommt eine privilegierte Stellung in der Gesellschaft zu.
2.9 Gunnar Myrdal Für den schwedischen Wissenschaftler Gunnar Myrdal spielt der Nationalismus als Motor der Industrialisierung eine ausschlaggebende Rolle. Myrdal hält ihn vor allem beim wirtschaftlichen Aufbau der Entwicklungsländer — ganz im Gegensatz zur europäischen Industrialisierung — für einen notwendigen Faktor. Ihm zufolge verschlechtert sich immer mehr das gegenwärtige Verhältnis zwischen den wenigen reichen, hochentwickelten Industriegesellschaften und der großen überwältigen Mehrheit armer, unterentwickelter Länder. Ursache für die wachsende Kluft zwischen den armen und reichen Ländern ist die „zirkuläre und kumulative Wirkung" der Industrialisierung: In den unterentwickelten Ländern bieten die hygienischen und gesundheitlichen Verhältnisse, schlechte Ernährung, geringe Pro-
62
2. D i e Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen
duktivität, mangelnde Effektivität der Arbeitsverfahren und die bestehende Armut nur wenig oder gar keinen Anreiz zu neuen Investitionen. Wird aber nicht investiert, gibt es auch keine Entwicklung. Die Armut wächst. Die Folge ist ein circulus vitiosus (Teufelskreis), aus dem sich die unterentwickelten Länder selbst nicht befreien können (zirkuläre Wirkung). Auch der freie Weltmarkt und die normalen Kapitalbewegungen reichen nicht aus, diese Nachteile der Entwicklungsländer auszugleichen. Im Gegenteil: Das Kapital tendiert dazu, dorthin zu fließen, wo bereits ein hohes M a ß an Industrialisierung besteht, wo also die entsprechenden Arbeitsbedingungen sowie technischen und sozialen Voraussetzungen schon gegeben sind. Dadurch wird die dort bereits bestehende Industrialisierung kumulativ weiter gestärkt. Die Lücke zwischen Industrie- und Entwicklungsländern steigt (kumulative Wirkung). Die Situation der Entwicklungsländer als der Nachzüglergesellschaften, als der „zu-spät-gekommenen" scheint wesentlich schwieriger zu sein als die der europäischen Nationen und der USA vor der industriellen Revolution. Die Industrialisierung und Modernisierung der Entwicklungsländer trifft auf völlig andere soziale Bedingungen als sie im Europa des 18. Jahrhunderts herrschten. Daher ist es alles in allem äußerst unwahrscheinlich, daß die wirtschaftliche Entwicklung ohne staatliche Förderungsmaßnahmen einen ähnlichen Verlauf nehmen könnte wie in den heutigen hochindustrialisierten Gesellschaften. Myrdal glaubt, daß allein durch den Nationalismus als eine übergreifende Gemeinschaftsidee die Voraussetzungen geschaffen werden können, den circulus vitiosus der Armut zu durchbrechen. Er empfiehlt staatliche zentralgesteuerte Maßnahmen, die auf eine planvolle und zielbewußte Umgestaltung der Sozialstruktur und der Glaubensvorstellungen zielen. Ohne neue Wertorientierung, ohne neue Berufsethik und ohne ein neues Erziehungs- und Sozialsystem sind alle Versuche zur Industrialisierung von Entwicklungsländern zum Scheitern verurteilt. D a ß insbesondere säkulare Glaubensformen wie der Nationalismus einen unmittelbaren Einfluß auf die Wirtschaftsentwicklung ausüben, glaubt auch Kingsley Davis: „Der Nationalismus ist eine Bedingung sine qua non der Industrialisierung, weil er die Menschen mit einer machtvollen, leicht zu erwerbenden, säkularen Motivation versieht, die mühselige Herbeiführung von Veränderungen auf sich zu nehmen. Die Stärke oder das Prestige der Nation wird ihnen zum obersten Ziel, die Industrialisierung zum wichtigsten Mittel . . . Der Nationalstaat . . . kann die vielfältigen Erfordernisse einer komplexen Industriestruktur durchaus erfüllen: Er zieht unmittelbar Loyalität eines jeden Staatsbürgers auf sich, indem er die Bevölkerung zu einer
2.10. Walt Rostow
63
einzigen Gemeinschaft zusammenschließt; er kontrolliert den Personen-, Güter- und Nachrichtenverkehr über seine Grenzen; er reguliert das wirtschaftliche und soziale Leben bis in das Detail. Je größer die Hindernisse für die Industrialisierung sind, umso stärker muß der Nationalismus sein, wenn er sie überwinden will" (Davis 1955: 294). Der Nationalismus kann zwar schon als Motor industrieller Entwicklung wirken. Entscheidender aber ist die politische Stabilität sowie die Macht der bestehenden sozialen und politische Elite. In den Entwicklungsländern sind heute, wie schon früher in Rußland und Japan, staatliche autoritäre M a ß n a h men notwendig, sollen die Voraussetzungen zur Industrialisierung geschaffen oder verbessert werden. Talcott Parsons denkt sogar an die Errichtung einer „Erziehungsdiktatur". Erst die planvolle und gesteuerte Umorientierung von traditionellen Glaubensvorstellungen zu modernen säkularisierten, das heißt rationalen Wertorientierungen schafft in diesen Ländern die Vorbedingung für die Industrialisierung. Ohne Umwertung überlieferter Anschauungen und ohne neue rationale Orientierungen ist wirtschaftliche Entwicklung nicht möglich.
2.10 Walt Rostow Rostow hat versucht, den Prozeß des wirtschaftlichen Wachstums von der traditionellen zur modernen Industriegesellschaft in seiner Gesamtheit zu beschreiben. Er unterscheidet fünf Stadien der Entwicklung: 1. Ausgangspunkt: die traditionelle Gesellschaft Ihre Kennzeichen sind eine sehr eng begrenzte Produktionsstruktur und ein überwiegender Anteil der Landwirtschaft an der gesamten Wirtschaft. 2. Anlaufperiode In dieser Periode entstehen die Voraussetzungen für die industrielle Expansion, das heißt die Vorbedingungen des eigentlichen industriellen Aufbruchs. Indikatoren: — Landwirtschaft nimmt an Bedeutung ab — Gewerbe und Außenhandel nehmen an Bedeutung zu — Investitionen steigen auf über 5 % des Sozialproduktes — Kapital fließt in den Produktionsprozeß.
64
2. D i e Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen
3. Periode des industriellen Aufbruchs und der industriellen Revolution (Phase des Take-off into Self-Sustained Growth) Diese Phase ist durch einen kräftigen industriellen Entwicklungsstoß gekennzeichnet, der von politischen, sozialen und technischen Umwälzungen begleitet sein kann. Die „Take-off-Phase" wird als die Periode einer Gesellschaft definiert, in der erstmals moderne Sektoren (Schlüsselsektoren) auftreten, die nach allen Seiten so starke Anstoß- und Ausbreitungseffekte abgeben, daß sich daraus wieder neue Schlüsselindustrien entfalten können, sofern die alten an Bedeutung verlieren (Timmermann 1982: 31). Es handelt sich bei dieser Periode um den eigentlichen schmerzlichen Prozeß des Übergangs von der Agrar- zur Industriegesellschaft. Er ist in der Regel mit großen gesellschaftspolitischen Schwierigkeiten verbunden: fehlende Bereitschaft, neue technische Entwicklungen zu akzeptieren, Widerstand gegen neue Verfahren und Methoden, Widerstand gegen die damit verbundenen Entwicklungen im sozialen Bereich. Indikatoren: — ansteigende Investitionsquote auf über 10 % — Vorauseilen einiger Führungssektoren in der Wirtschaft, die die Entwicklung in den anderen Bereichen und Branchen anregen — Entstehung eines politischen und institutionellen Rahmens für ein beschleunigtes Wachstum, z. B. Berufs- und Gewerbefreiheit, freier Marktzugang, rechtsverbindliche Abgaben- und Steuerordnung — neue Finanzierungsquellen für die Kapitalvermehrung — neue unternehmerische Eliten — die Landwirtschaft m u ß über ihren Selbstverbrauch hinaus einen marktfähigen Überschuß erzeugen — es muß einen Absatzmarkt für landwirtschaftliche und gewerbliche Produkte geben — eine etablierte Berufs- und Arbeitsethik Das Stadium des Take-off stellt nach Rostow die entscheidende Entwicklungsphase in der Industrialisierung dar. Diese Phase des Durchbruchs betrug in den westeuropäischen Ländern nur wenige Jahrzehnte. Rostow schätzt die Länge dieser Periode auf ca. 20 bis 30 Jahre. Er datiert den Take-off für England auf den Zeitraum von 1783-1802, für Frankreich auf 1830-1860 und für Deutschland auf 1850-1873. Folgende Entwicklungen sind beim Übergang von der traditionellen zur industriellen Gesellschaft von Interesse (Timmermann 1982: 62): — der zeitliche Vorlauf Großbritanniens vor den anderen Ländern — die technisch gesehen gemeinsame New Comer-Situation von Schweden, Japan, Rußland, Italien, Kanada und Australien — die späte Modernisierung großer Länder wie Argentinien, Brasilien, Indien und China, die trotz ihres Ressourcen-Reichtums aufgrund
2.10. Walt Rostow
65
Abb.5 Datierung der „Take-off" -Phase für 2 0 Länder
1780
1800
1820
1840
1860
1880
1900
1920
1940
1960
1980
Quelle: Rostow 1978: 51; vgl. auch Timmermann 1942: 61
politischer und sozialer Instabilitäten die vorhandenen Möglichkeiten zur Entwicklung nicht rechtzeitig nutzen konnten die Tatsache, daß die Schlüsselsektoren, die den wirtschaftlichen Wachstumsprozeß in den verschiedenen Ländern getragen haben, nicht immer dieselben waren. Textilwirtschaft, Eisenbahnen und
66
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer L e h r m e i n u n g e n
Schwerindustrie waren beispielsweise eher charakteristisch für kleine Länder und frühe Modernisierung, dagegen nicht für große Länder und späte Modernisierung. 4. Aufstieg zur wirtschaftlichen Reife (Phase des „Drive to Technological Maturity") Die rapide ökonomische Expansion geht in eine Periode gemäßigten, aber stetigen Wachstums über. Rostow schätzt die Länge dieser Periode auf ca. 60 Jahre. Indikatoren: — moderne Technologien in der Produktion — effiziente Nutzung aller ökonomischen Ressourcen — die Arbeiterschaft verbessert ihre soziale Lage und verliert ihren revolutionären Charakter — Unternehmen werden zu bürokratischen Organisationen — die Industrialisierung wird von der Bevölkerung zunehmend als problematisch eingeschätzt. 5. Zeitalter des Massenkonsums (Phase des „High Mass-Consumption") Diese Periode ist das letzte Entwicklungsstadium. Es bildet sich eine Gesellschaft, in der vor allem dauerhafte Güter und Dienstleistungen konsumiert werden. Rostow will jene Entwicklungslinie des Kapitalismus darstellen, die sich von dem marxistischen Schema deutlich abhebt. Während Marx dem Kapitalismus keine Zukunft gibt, glaubt Rostow, daß sich der Kapitalismus trotz greifbarer Legitimationsprobleme während der vierten Phase langfristig durchsetzen wird und schließlich in einem Zeitalter des Massenkonsums mündet. Obwohl Rostow die Marx'sche Klassentheorie als einseitig und als wenig geeignet ansieht, entspricht auch sein Ergebnis, soweit es sich auf die Erklärung der Take-off Phase bezieht, der Marx'schen Analyse. Auch für Rostow ist letztlich der Aufstieg des Bürgertums in einer bestimmten Entwicklungsphase der Gesellschaft ausschlaggebend f ü r den Beginn der industriellen Revolution in England. Zur Erklärung der Industrialisierung in allen anderen europäischen Ländern reicht Rostow die Vorbildfunktion aus, die England diesen Staaten gegenüber gehabt hat. Seiner Ansicht nach stehen aufgrund ihres ausgeprägten Nationalismus alle europäischen Länder in Konkurrenz zueinander. Kein Land will zurückstehen gegenüber der Entwicklung in einem anderen. Der Nationalismus in Verbindung mit ökonomischem und politischem Rivalitätsdenken sorgt dafür, daß die Industrialisierung von England auf die anderen europäischen Länder übergreift. Eine weitere Erklärung zur Entstehung des Kapitalismus ist seiner Ansicht nach nicht notwendig.
2.10. Walt Rostow
67
Rostow's Stadientheorie ist nicht nur von historischer Bedeutung. Sie ist auch heute noch aktuell. Rostow zufolge müssen auch die gegenwärtigen Entwicklungsländer alle von ihm definierten Phasen durchlaufen, um schließlich zu Industriegesellschaften zu werden. Ein Sprung von der traditionsgeleiteten Agrargesellschaft hinweg in das Reifestadium oder gar in das Zeitalter des Massenkonsums ist jedenfalls — gleichgültig wieviel Entwicklungshilfe dem betreffenden Land gewährt wird — nicht möglich. Die großen Probleme der Entwicklungsländer sind in erster Linie Anpassungsschwierigkeiten an eine neue Form der Entwicklung. Der Industrialisierungsprozeß ist, wie Rostow betont, ohne große soziale und politische Umwälzungen nicht möglich. Der Abbau alter und der Aufbau neuer Denk- und Verhaltensweisen sowie neuer Wertorientierungen und Normen erfordern eine sehr viel längere Zeit als die Errichtung eines Stahlwerks. Also wiederholen sich auch in den Entwicklungsländern alle Probleme, denen die europäischen Gesellschaften im Zuge ihrer Industrialisierung im vorigen Jahrhundert ausgesetzt waren, und die sie lösen mußten. Denn die meisten der heutigen Entwicklungsländer boten bis ca. 1960 kein wesentlich anderes Bild als der mitteleuropäische Raum bis ca. 1850. Insoweit ist die Stadientheorie von Rostow ein Erklärungsversuch zu den vielschichtigen Entwicklungs- und Wachstumsproblemen ökonomischer, sozialer und politischer Art, denen die traditionsgeleiteten Agrargesellschaften auf ihrem Weg zur Industrialisierung ausgesetzt sind. Ob aber das Rostow'sche Modell sich ganz allgemein für die Erklärung der Modernisierung von Gesellschaften eignet, ist äußerst fraglich. Zu unterschiedlich und vielfältig sind die politischen und institutionellen Ausgangsbedingungen sowie die sozialen und ökonomischen Voraussetzungen der einzelnen Länder, als daß sie einem einheitlichen Entwicklungsziel folgten.
Zusammenfassung 1. Die Ursachen und Bedingungen, die Antriebskräfte und Einflußfaktoren der modernen kapitalistischen Entwicklung werden unterschiedlich gedeutet. Welche Erklärung zutrifft, ist umstritten. Es ist zu vermuten, daß jedes Modell einen bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit erfaßt. Alle Erklärungen zusammengenommen bilden die Mosaiksteine in einer umfassenden Interpretation des Kapitalismus. 2. Adam Smith ist ein Vertreter des klassischen Liberalismus. Er sieht die eigentlichen Antriebskräfte des Kapitalismus in den Prinzipien der Arbeitsteilung und des freien Marktes. Die Verfolgung der eigenen Interessen dient zugleich der allgemeinen Prosperität (Doktrin des laissezfaire).
68
2. Die Geschichte wirtschaftssoziologischer Lehrmeinungen
3. Im Gegensatz zu Adam Smith verneinen die Vertreter der historischen deutschen Schule (List, Schmoller, Bücher, Hildebrand, Roscher, Sombart) die universelle Gültigkeit ökonomischer Gesetze. Jede wirtschaftliche Entwicklung ist das Ergebnis historisch vergänglicher politischer und gesellschaftlicher Institutionen. 4. Auch Karl Marx kann als Repräsentant einer historisch orientierten Forschung bezeichnet werden. Ihm zufolge ist die Entwicklung des Kapitalismus Ausdruck eskalierender Klassengegensätze. Marx entwickelt eine Theorie, in der er wirtschaftliche, soziale und politische Variablen in einen entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang stellt. 5. Im Gegensatz zu Marx glaubt Max Weber, daß nicht die bestehenden Produktionsverhältnisse einer Gesellschaft sowie die daraus resultierenden Spannungen in der Sozialstruktur die nachhaltigste Wirkung auf die kapitalistische Entwicklung ausgeübt haben, sondern bestimmte Veränderungen des gesellschaftlichen Wertsystems. Er beschreibt den Einfluß der protestantischen Ethik auf die Antriebskräfte des Kapitalismus. 6. Habermas versucht, die politischen Bedingungen des modernen Kapitalismus darzustellen. Er glaubt, daß wichtige Impulse für die Entwicklung der modernen Industriegesellschaft von einer politischen Kraft ausgehen, die er als „bürgerliche Öffentlichkeit" bezeichnet. Die bürgerliche Öffentlichkeit schuf den institutionellen Rahmen, der die Voraussetzung für die Entfaltung eines freien Wirtschaftslebens bildete. 7. Peter Laslett stellt dagegen eine mikrosoziologische These auf. Die besondere Erscheinungsform der vorindustriellen Familienstruktur begünstigte seiner Ansicht nach den industriellen Entwicklungsschub. 8. Dieser Auffassung stellt Schumpeter die These gegenüber, daß allein das innovative Potential einer kleinen Unternehmerelite den Motor der wirtschaftlichen Entwicklung bildet. 9. Keynes arbeitet die Bedeutung des Staates für eine prosperierende Entwicklung moderner Wirtschaftssysteme heraus. Er setzt dem liberalen Modell der klassischen Theorie von A d a m Smith die Auffassung gegenüber, daß erst das Zusammenspiel von Marktkräften und staatlicher Steuerung jene Krisen beseitigt, die sich in einer allein dem freien Spiel der Kräfte ausgelieferten Wirtschaft entfalten würden. Erst der ausgleichende Interventionismus des Staates erlaubt eine stetige und stabile kapitalistische Entwicklung. 10. Myrdal, der sich mit dem Problem unterentwickelter Gesellschaften befaßt, vertritt die Ansicht, daß sich der Prozeß der Industrialisierung in
2.10. Walt Rostow
69
Ländern der Dritten Welt nur vor dem Hintergrund eines neuen Nationalismus entfalten kann. Nationalismus, autoritäre Maßnahmen einer politischen Elite und Erziehungsdikatur sind auch Parsons zufolge die Voraussetzungen rascher Modernisierung. 11. Rostow entwickelt ein Stufenmodell wirtschaftlicher Entwicklung. Die Periode des industriellen Aufbruchs wird — wie schon Schumpeter vermutet — vor allem von neuen unternehmerischen Eliten, einem kräftigen Innovationsstoß und entsprechenden institutionellen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geprägt.
Fragen zur Wiederholung 1. Erklären Sie das Prinzip der „Invisible Hand". 2. Worin unterscheiden sich die Ansätze von Marx und Rostow, soweit sie den Übergang zum industriellen Aufbruch beschreiben? 3. Welche der theoretischen Erklärungen zur Entstehung des Kapitalismus sind „individualistisch" gefärbt, das heißt suchen die entscheidenden Kräfte im Verhalten einzelner Menschen? 4. Welche der Ansätze gehen dagegen von der Wirkung sozialer Strukturen aus? 5. In welchem grundsätzlichen Punkt unterscheiden sich die Erklärungen von Marx und Weber? 6. Erläutern Sie Begriff und Funktion der „bürgerlichen Öffentlichkeit". 7. Welche der unterschiedlichen Lehrmeinungen stellen besonders die Bedeutung des Staates für die wirtschaftliche Entwicklung heraus? 8. Was versteht man unter der Konvergenzthese? 9. Worin liegen die Probleme der industriellen Entwicklung in Ländern der Dritten Welt? 10. Gibt es Ihrer Ansicht nach universelle Entwicklungsgesetze der Wirtschaft, die zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften Gültigkeit haben?
3. Die Wirtschaft als gesellschaftliches System
3.1 Denkweisen der Wirtschaftssoziologie
Die Wirtschaftssoziologie als Erkenntniswissenschaft beruht auf verschiedenen Denkmodellen. Sie haben die Aufgabe, die Beziehungen in der Wirtschaft und die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft zu erklären. Ein Denkmodell ist eine perspektivisch begrenzte, theoretische Annäherungsweise an einen bestimmten Untersuchungsgegenstand. Wirtschaftssoziologische Denkmodelle umfassen theoretische Aussagen und Kategorien zur Erklärung der gesellschaftlichen Bedingungen wirtschaftlichen Handelns. Grundsätzlich kann man die Wirtschaft unter zwei Gesichtspunkten sehen: (1) als selbständiges, relativ isoliertes Teilgebiet in der Gesellschaft (2) als integriertes Teilgebiet in der Gesellschaft. Am deutlichsten erkennbar wird die Wirtschaft in ihren Merkmalen und Funktionen, wenn man sie als ein relativ isoliertes System betrachtet — ohne Beachtung der gesellschaftlichen Verflechtungen. Abb.6 Wirtschaft,Gesellschaft und Staat als relativ selbständige Teilgebiete
72
3. Die Wirtschaft als gesellschaftliches S y s t e m
Man interessiert sich hier für alle Merkmale, in denen sich Wirtschaft und Gesellschaft deutlich unterscheiden. Im Mittelpunkt stehen die Beziehungen zwischen den Unternehmen und ihren direkten Interaktionspartnern im Markt sowie die Beziehungen zwischen Unternehmen und Konsumenten. Dabei wendet man seine Aufmerksamkeit beispielsweise auf die rationalen Methoden der Wirtschaftsführung, auf die Prozesse der Arbeitsteilung und Spezialisierung, auf die Rationalisierung industrieller Arbeitsvorgänge, auf die Professionalisierung der Marktbeziehungen, auf die rationalen Kriterien ökonomischer Entscheidungsverfahren oder auf die Herausbildung typischer Rollen in der Wirtschaft. Gesellschaftliche Einflüsse werden in diesem Modell weitgehend vernachlässigt. Staat und Gesellschaft erscheinen als abgekoppelte, separate Größen. Das Bild verschiebt sich aber, wenn man die Wirtschaft als integriertes Teilgebiet einer Gesellschaft betrachtet.
Abb.7 Wirtschaft als integriertes Teilgebiet der Gesellschaft
Aus diesem Blickwinkel interessieren weniger die typischen Funktionen der Wirtschaft als vielmehr jene Institutionen, die die Verbindung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft herstellen. Es gibt zahlreiche solcher Verbindungskanäle zwischen Wirtschaft und Gesellschaft; beispielsweise die Massenmedien, Parteien, Verbände und die öffentliche Meinung. Sie alle bilden Vermittlungsorgane im Zusammenwirken von Wirtschaft und Gesellschaft.
3.1. D e n k w e i s e n d e r W i r t s c h a f t s s o z i o l o g i e
73
Analytisch läßt sich der Zusammenhang zwischen Wirtschaft, Staat und Gesellschaft in einem Kreislaufmodell darstellen. a) Staatliche Entscheidungen in Form von Arbeits- oder Sozialgesetzen, in Form von Steueranreizen oder Subventionen fließen in Richtung Wirtschaft. b) Sie wird durch die Maßnahmen des Staates berührt und ändert möglicherweise daraufhin ihre Entscheidungsprämissen. c) Die Reaktionen und Handlungen der Wirtschaft wiederum beeinflussen die Entwicklung der Gesellschaft: Strukturschwache Gebiete veröden; Konsum- und Freizeitstile verändern sich, an die Mobilität der Bevölkerung werden höhere Ansprüche gestellt, die Familienstrukturen ändern sich, die industriellen Arbeitsverhältnisse führen möglicherweise zu Bindungsverlusten in der privaten Lebenswelt, Werte und Interessen unterliegen einem Wandel. d) Die Gesellschaft ihrerseits übt wieder Einfluß auf den Staat aus: Sie fordert beispielsweise neue Arbeitsschutzgesetze, bessere Arbeitsbedingungen, die Berücksichtigung der Chancengleichheit, Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit oder den Erhalt einer lebenswerten Umwelt. Je nach dem Gewicht und der Bedeutung der gesellschaftlichen Interessenströmungen greift der Staat dann wieder in das wirtschaftliche Geschehen ein. Der Kreislauf beginnt von vorne. Allerdings ist dieser Kreislaufprozeß der Einflußnahme wechselseitig. Gesellschaftliche Forderungen werden auch von der Wirtschaft notiert, ö k o n o m i sche Erfordernisse greift wiederum der Staat auf, und staatliche Maßnahmen wirken auf die Gesellschaft zurück. Wirtschaft und Gesellschaft erscheinen hier nicht als getrennte, isolierte Bereiche, sondern durchdringen sich gegenseitig. In diesem Denkmodell wird hervorgehoben, daß ökonomische Verhaltensweisen mehr oder minder von gesellschaftlichen Einflüssen geprägt werden. Viele wichtige Impulse entstehen nicht nur in den Denktrusts großer Unternehmen, in den Köpfen der Funktionäre von Wirtschaftsverbänden oder durch die Innovationsstrategien ganzer Branchen, sondern auch durch die Interessen der Öffentlichkeit, durch die Wertorientierungen und Bedürfnisse des einzelnen Staatsbürgers. Außerökonomische, gesellschaftliche Institutionen regieren auf vielfältige Weise in die Binnensphäre der Wirtschaft hinein. Hier wird ein System von Einflußkanälen sichtbar, die bei einem einzelnen Individuum
74
3. D i e Wirtschaft als gesellschaftliches System
beginnen können, in den Massenkommunikationsmitteln, Interessenorganisationen oder Verbänden zu immer größeren Einheiten zusammenlaufen und endlich eines Tages in den Handlungs- und Entscheidungskriterien eines Unternehmens einmünden. Durch die Verbindungs- und Einflußkanäle fließt die Energie und der Druck gesellschaftlicher Werte, Normen und Interesssen, die die Wirtschaft in ihren Funktionen und Merkmalen immer wieder verändern. Um die Wirtschaft als Teilsystem der Gesellschaft zu verstehen, reicht es also nicht, sich auf ihre systembedingten, rein rationalen Merkmale zu beschränken, sondern man m u ß immer zugleich auch die gesellschaftlichen Bezüge ihrer Probleme in Rechnung stellen. Beide Betrachtungsweisen vermitteln wichtige, aber jeweils ganz unterschiedliche Erkenntnisse über die gesellschaftlichen Bedingungen der Wirtschaft. Im folgenden sollen auf dieser Grundlage zwei der wichtigsten theoretischen Modelle der Wirtschaftssoziologie erläutert werden; in diesem Kapitel der systemtheoretische Ansatz, im nächsten der handlungstheoretische (vgl. Kapitel 4: Die Strukturprinzipien der Wirtschaft).
3.2 Die systemtheoretische Betrachtungsweise der Wirtschaft In der modernen Soziologie ist die Systemtheorie einer der wichtigsten Denkansätze. Ähnlich wie die klassischen Modelle der Nationalökonomie, die ihr Augenmerk nur auf die Innenverhältnisse der Wirtschaft richten, wendet auch sie sich den rationalen und funktionalen Merkmalen der Wirtschaft zu. Ihre Perspektive ist vor allem darauf gerichtet zu erklären, (1) warum und wie sich das System der Wirtschaft aus einem sinneinheitlichen Gesellschaftsganzen abgekoppelt hat und ständige Problemlösungsverfahren entwickelt, die so nur schaft, nicht aber zugleich auch im Rechtssytem, in der politischen System etc. Geltung haben,
ursprünglich völlig eigenin der WirtFamilie, im
(2) worauf die zunehmende Rationalität von Handlungsmaßstäben, d.h. die Verbindlichkeit von Rationalitätskriterien in der Wirtschaft zurückzuführen ist, (3) worin die Eigenarten und Besonderheiten wirtschaftlicher Beziehungen bestehen, (4) wie sich die Ausdifferenzierung der Wirtschaft auf bestimmte Funktionen vollzieht,
3.3. D i e Ausdifferenzierung der Wirtschaft in der Gesellschaft
75
(5) unter welchen Bedingungen der Strukturwandel der Wirtschaft verläuft; d.h. worin sich nicht-entwickelte, sogenannte primitive Wirtschaftsordnungen und hochentwickelte ökonomische Systeme unterscheiden. Die Systemtheorie ist also auch Kernstück einer Entwicklungstheorie. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, die historische Entwicklung der Wirtschaft zu einem immer höheren Komplexitäts- oder Modernitätsgrad nachzuzeichnen. Während die volkswirtschaftliche Betrachtungsweise die Unternehmen als dimensionslose Punkte im Netz kommerzieller Beziehungen auffaßt — ohne Vergangenheit und ohne Zukunft —, ist die Systemtheorie insoweit Entwicklungstheorie, als sie unterstellt, daß sich die Prozesse in der Wirtschaft mit einer nicht mehr umkehrbaren Eigendynamik immer weiter verselbständigen; und zwar im Hinblick auf ein Mehr an Funktionalität, ein Mehr an Professionalität, ein Mehr an Spezialisierung und vor allem ein Mehr an Rationalität. Die systemtheoretische Betrachtungsweise der Wirtschaft läßt sich in drei Kernthesen zusammenfassen: 1. Die These von der strukturellen bzw. funktionellen Differenzierung der Wirtschaft. 2. Die These von der relativen Autonomie der Wirtschaft. 3. Die These von der funktionalen Kompatibilität der Wirtschaft mit den anderen gesellschaftlichen Teilbereichen wie Familie, Staat, Recht, Kultur etc.
3.3 Die Ausdifferenzierung der Wirtschaft in der Gesellschaft 3.3.1 Der Sinn der Wirtschaft Der Name der Systemtheorie kommt daher, daß sie die Gesellschaft gedanklich als ein Verbund zahlreicher, voneinander relativ unabhängiger Teilsysteme betrachtet, die voneinander getrennt bzw. abgegrenzt sind. Wenn man auch die Wirtschaft als einen solchen relativ selbständigen Teilbereich der Gesellschaft versteht, liegt dieser Betrachtungsweise eine wichtige Bedingung zugrunde: die funktionale Differenzierung der Gesellschaft, d. h. die Trennung eines großen zusammenhängenden Sozialsystems in einzelne Funktionssysteme wie Wirtschaft, Recht, Familie, Religion, Kultur. Jedes dieser Teilsysteme ist für sich genommen von ganz besonderer Gestalt, dadurch daß es auf bestimmte Aufgaben, Funktionen und Zuständigkeiten festgelegt wird — und eben nur auf diese und keine anderen. Im Grunde handelt es sich also um eine Art Arbeitsteilung der gesellschaftlichen Systeme untereinander. Die Gesellschaft gleicht einem Industriebetrieb, dessen Mitarbeiter durch
76
3. Die Wirtschaft als gesellschaftliches S y s t e m
geschickte Arbeitsteilung Produkte herstellen, die ein einzelner nicht bewerkstelligen könnte. So schafft die Wirtschaft materielle Wohlfahrt, die Wissenschaft Wahrheit, die Familie befriedigt emotionale Bedürfnisse — und zwar auf eine Weise, wie es nicht möglich wäre, wenn alle Teilbereiche untrennbar miteinander verknüpft wären und sich nicht jeweils auf eine ganz spezielle Aufgabe konzentrieren könnten. Wie aber bilden sich Grenzen gesellschaftlicher Systeme? Was sind die Aufgaben der Wirtschaft und was nicht? Welche Probleme, Problemlösungsverfahren und Handlungen sind der Wirtschaft, welche dagegen dem Recht, der Familie oder der Wissenschaft zuzuordnen? Die Systemtheorie beantwortet diese Frage mit dem Kriterium der „Sinngrenze". Jedes gesellschaftliche System unterliegt einem bestimmten Sinn, gemäß dem es gesellschaftliche Anforderungen aufnimmt oder abwehrt, Probleme aufgreift oder zurückweist, Handlungen strukturiert und differenziert, Normen bildet, Rollen prägt und Funktionen spezialisiert. Der Sinn des ökonomischen Systems ist, wie Weber es formuliert: die Deckung der eigenen ideellen und materiellen Interessen; oder Luhmann zufolge: die Sicherstellung von materiellen Bedürfnissen und die Möglichkeit der gleichzeitigen Vertagung dieser Bedürfnisse. Typisch ökonomisch ist also, die Entscheidung über die Befriedigung von Bedürfnissen zu vertagen, die Befriedigung trotzdem gegenwärtig schon sicherzustellen und die damit gewonnene Dispositionszeit zu nutzen. Dies geschieht in aller Regel mit Geld. Geld und das Sparen von Geld dienen dazu, die Befriedigung von Bedürfnissen sicherzustellen und gleichzeitig zu vertagen (Luhmann 1974: 206). Dies ist die generelle Sinngrenze, nach der das ökonomische System alle Anforderungen, die auf es zukommen, auswählt und alle ihre Handlungsnormen und Zwecke ausrichtet. Was nicht der Sicherstellung und gleichzeitigen Vertagung von Bedürfnissen dient, weist das ökonomische System zurück. Zumutungen, die über diese Sinngrenzen hinausgehen, werden blockiert. Die gesamte Problemlösungskapazität der Wirtschaft ist einem einzigen Ziel verpflichtet: die materiellen Bedürfnisse aller Menschen zeitlich dauerhaft sicherzustellen und die Möglichkeiten zur Sicherstellung im historischen Zeitablauf ständig zu verbessern. So wie die Wirtschaft auf diesen Sinn festgelegt ist, haben die anderen Sozialsysteme entsprechend andere allgemeine Sinngrenzen, beispielsweise die Politik: Bindung von Gewalt; die Wissenschaft: die Suche nach Wahrheit; das Recht: die allgemeine Verbindlichkeit von Entscheidungen; die Familie: die Liebe. Sinngrenze heißt also, daß gesellschaftliche Funktionen und Prozesse nicht sinnübergreifend sind, sondern immer einem ganz bestimmten sozialen System zuzuordnen sind. Wer ökonomische Funktionen erfüllt, erfüllt nicht
3.3. Die Ausdifferenzierung der Wirtschaft in der Gesellschaft
77
zugleich auch politische Funktionen. Reichtum vermittelt noch nicht zugleich politische Macht. Erfolg in der Wirtschaft heißt noch nicht Erfolg in der Liebe. Geld bedeutet noch nicht Wahrheit. Materielles Vermögen beinhaltet noch nicht zugleich religiöse Erleuchtung (Luhmann 1974: 208). Durch Sinngrenzen werden die sozialen Teilsysteme getrennt. Die Gesellschaft ist nach Funktionen spezialisiert. Kernthese der Systemtheorie ist die Annahme, daß sich die Wirtschaft im historischen Ablauf innerhalb ihrer gesellschaftlichen Umwelt immer mehr verselbständigt, dabei eigene Zwecke und Normen ausbildet, eigene Funktionen herausarbeitet und eigene spezielle Rollen schafft; kurz: die Wirtschaft differenziert sich aus. Oder, wie Parsons es formuliert: „Wirtschaft fassen wir als funktionales Subsystem einer Gesellschaft auf, das im Hinblick auf die Produktion und Allokation leicht disponibler Ressourcen innerhalb der Gesellschaft ausdifferenziert ist. Wirtschaft vollzieht sich . . . als Kombination der Produktionsfaktoren Boden, Arbeit, Kapital und Organisation, um die zwei primären Kategorien von Output, nämlich Güter und Dienstleistungen, zu produzieren. Die ökonomischen Kategorien beziehen sich . . . auf bestimmte Formen ihrer Steuerung (control): im Fall von Gütern im wesentlichen durch Eigentumsrechte, im Fall von Leistungen durch die Art von Herrschaft oder Macht über die Leistenden, die mit dem Arbeitgeberstatus verbunden ist" (Parsons 1976: 288 f.).
3.3.2 Die Entstehungsmerkmale des modernen Wirtschaftssystems Am einfachsten läßt sich die Grundthese der Ausdifferenzierung der Wirtschaft erklären, wenn man sich zunächst das Bild einer nicht-entwickelten, primitiven Wirtschaftsordnung vor Augen führt. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Funktionen sind hier nicht getrennt. Wirtschaft und Gesellschaft sind noch eins. Gesellschaftliche Funktionen werden im Rahmen wirtschaftlicher Funktionen mit erfüllt. Die Wirtschaft tritt als ein eigener Bereich noch nicht in das Bewußtsein der Menschen. Wirtschaftliche Tätigkeiten werden immer im Rahmen gesellschaftlicher Bindungen und Verpflichtungen geleistet. Eine Gruppe von Männern soll beispielsweise zusammen ein Haus bauen. Die meisten von ihnen sind untereinander verwandt, und der Hausbesitzer stützt sich auf diese Verwandtschaftsbeziehungen, um sich Arbeitskräfte zu verschaffen. Andererseits bezahlt er die Arbeit und verstärkt damit wiederum die Verwandtschaftsbeziehungen. Weil die Transaktion sowohl soziale als auch ökonomische Elemente zugleich enthält, wird nicht notwendig versucht, eine exakte Gleichung zwischen geleistetem Arbeitsquantum und Lohnhöhe herzustellen (Firth 1967: 17 f.). Art des Helfens, Gegenleistung und Status sind untrennbar miteinander verknüpft.
78
3. Die Wirtschaft als gesellschaftliches System
Wirtschaftliche Tätigkeiten in nicht-entwickelten Gesellschaften werden von zwei Merkmalen geprägt: a) der Daseinsvorsorge und b) dem wechselseitigen Aushelfen in sozialen Beziehungen. Beide Prinzipien, die des Ansammeins von Gütern zwecks Daseinsvorsorge und die des Helfens, stehen aber im Hinblick auf eine wirtschaftliche Entwicklung im Widerspruch zueinander. Sie blockieren sich gegenseitig (Luhmann 1974: 208). ö k o n o m i s c h e Kapitalien können nicht gebildet werden. Das Helfensprinzip besteht nämlich darin, daß wirtschaftliche Überschüsse in Form von Geschenken, Festen, Nothilfen, religiösen Ritualen und Opferungen ausgegeben und im Sinne des Bedarfsausgleichs verteilt werden. Dieser institutionalisierte Abgabezwang von Überschüssen verhindert, daß sich überhaupt jemals so etwas wie ökonomischer Reichtum bildet, der die Grundlage für neue Tauschaktionen, für Investitionen und damit auch f ü r eine florierende entwickelnde Wirtschaft wäre. Jeglicher Überschuß wird umgehend gesellschaftlich oder religiös verwertet, aber — und das ist in diesem Zusammenhang entscheidend — mit dem Ziel, die Daseinsvorsorge sicherzustellen: Durch Opferungen, Feste und Rituale sollen die Götter gnädig gestimmt werden. Und durch Geschenke schafft man sich Freunde, die bei eigener Not helfen können. Kredite, Geschenke und Leistungen sind also keine wirtschaftlichen Größen, sondern soziale Größen. Man schafft sich durch sie dauerhafte Bindungen. Erst wo wirtschaftliche Überschüsse nicht mehr in Nothilfen, Geschenken und Opferungen ausgegeben werden, sondern dazu dienen, die eigene materielle Versorgung durch Tausch zu verbessern, bildet sich erstmals in der Geschichte einer Gesellschaft die Sinngrenze der Wirtschaft, wird die Schwelle zur Differenzierung von Wirtschaft und Gesellschaft überschritten. Wenn wirtschaftliche Güter um ihrer selbst willen getauscht werden, bilden sich Märkte. Märkte sind historisch zunächst nichts anderes als eine neue Form der Uberschußverteilung. Sie treten neben die traditionellen Formen der Überschußverwertung durch Geschenke, Opferungen oder Nothilfen. In dem Maße, in dem Produkte als Güter sui generis gedacht, geteilt, getauscht und gehortet werden, tritt Wirtschaft als konstitutives eigenständiges Element in die O r d n u n g einer Gesellschaft ein. Wirtschaftliche Tätigkeiten sind nicht mehr vollständig in das Netz sozialer Verpflichtungen eingebunden. Ausgangspunkt der Differenzierung von Wirtschaft und Gesellschaft und damit zugleich Entstehungsbedingung moderner Märkte ist folglich eine veränderte, eher materielle Form der Zukunftssicherung. Die funktionale Differenzierung kann man als einen historischen Prozeß betrachten, in dessen Verlauf gesellschaftliche Funktions- und Sinnzusammenhänge getrennt und entflochten werden. Dies wird an einem weiteren Beispiel deutlich. In vergangenen Jahrhunderten bildeten Familie, Hauswirtschaft und Religion überwiegend eine Einheit. Wirtschaftliche Aufgaben
3.3. D i e Ausdifferenzierung der Wirtschaft in der Gesellschaft
79
waren in den Zusammenhang des Familienhaushalts eingeschmolzen. Darüberhinaus diente eine bestimmte Art und Weise des Wirtschaftens zugleich auch den Prinzipien einer religiösen Ethik. Dies hat sich nach Auffassung der Systemtheorie im Zuge der sozialen Ausdifferenzierung geändert. Heute sind die Menschen in ganz bestimmte spezialisierte Rollen gedrängt, die selbständige Teilsysteme bilden. Wirtschaftliche Tätigkeiten sind weitgehend aus der Familie ausgelagert. Man geht heute zur Arbeit. Betrieb und Familie sind getrennt. In Familien werden nur noch rein familiale Funktionen wie Erziehung oder die Befriedigung emotionaler Bedürfnisse ausgeübt. Kultische oder religiöse Funktionen sind heute weitgehend auf die Kirche beschränkt. In der Wirtschaft konzentriert man sich allein auf ökonomische Funktionen der Güter- und Dienstbereitstellung zur Befriedigung materieller Bedürfnisse. Oder anders ausgedrückt: Niemand erwartet mehr von einer Familie die wirtschaftliche Selbstversorgung, und niemand wird die moderne Wirtschaft für einen Mangel an emotionalen Tugenden belangen. Auch religiöse und kulturelle Motive sind aus dem wirtschaftlichen Handeln entfernt. Die früheren Mischverhältnisse sind beseitigt. Noch klarer läßt sich der Differenzierungsprozeß der Wirtschaft anhand der Rollendifferenzierung verdeutlichen. Einfache, nicht entwickelte Gesellschaften beruhen auf einer personalen Rollenkombination, d. h. auch sie kennen verschiedene Rollen, aber sie sind untereinander untrennbar verknüpft. Im Gegensatz zur modernen Gesellschaft ist die primitive Gesellschaft so klein und überschaubar, daß sich dieselben Personen in ihrer Eigenschaftals Nachbar, als Verwandter, als Krieger oder als Jäger immer wieder begegnen. Dies hat zur Folge, daß die Erwartungen an eine Person aus einem Rollenzusammenhang auf andere Rollen übertragen werden. Aus dem Verhalten in der einen Rolle werden Rückschlüsse auf das Verhalten in anderen Rollen gezogen. Wer als Nachbar nicht hilft, versagt auch als Krieger. Wer sich als Tänzer Fehltritte leistet, ist auch ein schlechter Jäger. Wer wirtschaftlich nicht auf eigenen Füßen steht, wird auch politisch keinen Einfluß gewinnen. In einer solchen Ordnung können Personen und Rollen nicht eindeutig getrennt werden. In hochentwickelten Gesellschaftssystemen findet dagegen eine Parzellierung der Personen in verschiedene Rollen statt, die nicht miteinander verknüpft sind. Wenn jemand ein schlechter Autofahrer ist, zieht man noch nicht zugleich Rückschlüsse auf seine Fähigkeiten als Vorarbeiter. Wer in der Ehe scheitert, muß nicht zugleich auch im Beruf scheitern. Ob jemand arm oder reicht ist, von welcher Herkunft er ist, in welche Familie er hineinheiratet, zu welchen Göttern er betet, in welchen Kreisen er verkehrt, all dies ist nicht von strukturtragender Bedeutung für die Wirtschaft. Das Wirtschaftssystem „erträgt" es, daß beliebige Beziehungen des Arbeiters, Angestellten etc. als persönlicher Hintergrund vorhanden sind und auch wechseln können. Sie wirken nicht hinüber auf die Wirtschaft als solche. Was die Personen in ihrer
80
3. D i e W i r t s c h a f t als g e s e l l s c h a f t l i c h e s S y s t e m
Rolle außerhalb der Wirtschaft tun oder lassen, ist demnach völlig losgelöst von dem, was sie in ihrer rein ökonomischen Rolle tun, welchen Erwartungen und welchen Einschätzungen sie dort unterliegen. Moralische Handlungskriterien, die in gesellschaftlichen Bereichen eine große Bedeutung haben, sind in der Wirtschaft irrelevant. Sie werden ignoriert oder ausgeschaltet. Die Konsequenz ist eindeutig: Trennung von Wirtschaft und Familie, Trennung von Wirtschaft und Religion, und man könnte auch hinzufügen: Trennung von Wirtschaft und Politik oder Trennung von Wirtschaft und Wissenschaft. Funktionale Differenzierung bedeutet die Trennung ursächlich zusammenhängender oder sich überlagernder gesellschaftlicher Bereiche. Die These von der funktionalen Differenzierung der Wirtschaft beruht auf einem zweistufigen Schema. Einer undifferenzierten Wirtschaftsordnung folgt ein funktional ausdifferenzierter Status, einem „diffusen", d. h. funktional und rollenmäßig vermischten Sozialsystem, folgt ein inhaltlich hochspezialisiertes Sozialsystem. Die Wirtschaft streift im Zuge der Ausdifferenzierung alle sachfremden Bezüge ab und beschränkt sich nur noch auf die Lösung rein ökonomischer Aufgabenstellungen. Die Wirtschaft wird gleichsam auf exklusive Zuständigkeiten festgelegt. Ihr Horizont ist eng begrenzt auf jene Handlungskriterien und Werte, die nur der rationellen Erfüllung ihrer Funktionen dienen. Die Wirtschaft hat sich auf nur noch ein Thema zu konzentrieren; sie wird gewissermaßen, wie es die Systemtheorie bezeichnet, „thematisch rein".
3.3.3 Die Kennzeichen hochentwickelter Märkte Neben der Funktionsspezialisierung gibt es weitere Merkmale, die die Entwicklung des modernen Marktes kennzeichnen: 1. Legale Negierbarkeit von Personen 2. Legale Negierbarkeit von Sachen 3. Neutralisierung gesellschaftlicher Beziehungen 4. Affektiv neutraler Kommunikationsstil 5. Einrichtung von Austauschbarkeiten 6. Objektive Vergleichsmöglichkeiten 7. Unendlichkeit der Vergleichsmöglichkeiten 8. Rationale Entscheidungslogiken 9. Spezielle Rekrutierungsmechanismen 10. Geld als Tauschmedium Märkte beruhen auf der legalen Negierbarkeit von Personen und Sachen (Luhmann 1974: 209). Negierbarkeit heißt, d a ß man unter den Bedingungen des Marktes Beziehungen zum Verkäufer oder zum Tauschpart-
3.3. D i e Ausdifferenzierung der Wirtschaft in der Gesellschaft
81
ner nach Belieben wählen oder auch zurückweisen kann, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Auch bedeutet Negierbarkeit, daß ein Besitzer seine Sachen wechseln kann, wie umgekehrt die Sache ihren Besitzer wechseln kann. Güter, Dinge, Produkte, Leistungen sind unter den Bedingungen des modernen Marktes in der Regel nicht mehr kulturell überhöht; sie sind nicht mehr persönlich gebunden an bestimmte Besitzer. Der Markt verlangt eine sachliche Einstellung zu Produkten; er verhindert Beziehungen, die ein besonderes Verhältnis von Personen und Sachen ausdrücken. Ebenso setzt der Markt unpersönliche Beziehungen voraus. Man kauft, wo es vergleichsweise am preiswertesten ist. Die Interaktionen auf dem Markt basieren generell nicht auf moralischem Engagement, religiösen Verpflichtungen, sozialen Bindungen, sondern auf den Bedingungen des unpersönlichen Vergleichs von Leistungen und Tauschwerten. „Der Markt erübrigt", wie Luhmann betont, „moralische, die Person bewertende Kontrollen und damit auch ein moralisches Engagement" (Luhmann 1974: 210). Dies ist allerdings nur theoretisch der Fall; es geschieht allenfalls im Grenzfall eines völlig ausdifferenzierten, rein ökonomischen Systems. In der empirischen Wirklichkeit kauft man seinen Bedarf nicht nur nach objektiven Gesichtspunkten des Preis-Leistungsverhältnisses, sondern man geht durchaus noch zu „seinem" Stammkaufmann an der Ecke. Soziale Bindungen spielen in der Praxis noch eine Rolle. Was aber die Systemtheorie erklärt, ist eine Entwicklung, die im historischen Verlauf zu einem vergleichsweise ständigen „Mehr" an Rationalität führt, ohne daß dies auch schon in jedem einzelnen Fall praktiziert wird. Der moderne Markt neutralisiert gesellschaftliche Beziehungen; er abstrahiert von sozialen Bindungen. Ein Ei kostet für alle dasselbe. Der eigene Status entscheidet nicht über den Preis. Gesellschaftliche und soziale Bezüge werden bei den Tauschvorgängen vernachlässigt. Der moderne Markt verdrängt auch Gefühlsbekundungen wie Liebe, Affekte, Solidarität aus dem wirtschaftlichen Alltag. Emotionalität wird aus den binnenökonomischen Beziehungen entfernt. Wenn jemand am Arbeitsplatz sein Bedürfnis nach Wärme oder Intimität bekunden würde, fände man es komisch oder töricht. Es wird einfach als sinn- bzw. systemfremd empfunden. Die Wirtschaft erfordert ferner einen exklusiven Interaktions- und Kommunikationsstil, der nicht auf andere Gesellschaftsbereiche übertragbar ist, noch von anderen Systemen der Gesellschaft zu beziehen ist. Der Stil des Miteinanderumgehens ist affektiv neutral, er orientiert sich allein an rationalen Kriterien. Charakteristisch für Märkte ist weiterhin die Einrichtung von Austauschbarkeiten. Um Leistungen und Waren austauschbar zu machen, müssen Ver-
82
3. Die Wirtschaft als gesellschaftliches S y s t e m
gleichsmöglichkeiten unendlicher Art vorhanden sein. Märkte bedürfen objektiver Maßstäbe von Gleichheit und Ungleichheit, die in dieser Weise in anderen Sozialsystemen nicht vorhanden sind; in der Regel: Geld. Marktbeziehungen werden allein nach formalen rechenhaften Maßstäben gestaltet. Insoweit ermöglicht der Markt — und dies ist charakteristisch — soziale Beziehungen, getroffen allein nach Maßgabe eines objektiven Vergleichs. Die Ausdifferenzierung der Wirtschaft wird auch an der Ausbildung eines eigenen besonderen Rekrutierungsmechanismus sichtbar. Der Zugang zu einem Beruf, d. h. der Eintritt in die Wirtschaft, ist nicht mehr an askriptive (zugeschriebene) Merkmale wie Herkunft, Geschlecht, Rasse oder Konfession gebunden, sondern in erster Linie an erworbene Kriterien der persönlichen Eignung, der Leistung oder der Beherrschung bestimmter methodischer Verfahren. Im Gegensatz zu undifferenzierten einfachen Wirtschaftsordnungen spielen in den modernen Märkten vor allem erwerbbare individualistische Tugenden der Leistungsbereitschaft, des Wissens, des Karrieregeistes, des Pflichtgefühls als Rekrutierungsvoraussetzungen eine wichtige Rolle. Für den Zugang zur Wirtschaft und für den beruflichen Erfolg verliert der soziale Herkunftsstatus an Bedeutung. Zum Top-Manager eines großen Industrieunternehmens kann auch der Lehrling aufsteigen. Im Zuge der Ausdifferenzierung bildet die Wirtschaft neue Formen einer sachorientierten, zweck-mittel-bestimmten strategischen Rationalität heraus. Entscheidungen werden nur noch nach Maßgabe der Gewinn-VerlustRechnung, der Marktstellung, nach Maßgabe der Renditeoptimierung, nach Maßgabe des Preis-Leistungsverhältnisses oder nach anderen Rationalitätskriterien getroffen. Frühere patriarchalische Verhältnisse werden zugunsten rationaler Organisationsformen beseitigt, die ein effizientes Entscheidungsprocedere ermöglichen. In dieser Hinsicht sind die Leistungen der funktionalen Differenzierung in der Wirtschaft enorm. Dadurch, daß sie alles Außerrationale aus dem Bereich der Wirtschaft verbannt, und dadurch, daß sie die Wirtschaft von allen Rücksichtnahmen auf private und gesellschaftliche Elemente entlastet, ermöglicht sie die Konzentration aller Kräfte auf nur ein Ziel: auf die Rationalisierung und damit zugleich auch auf die ungeheure organisatorische und industrielle Leistungsfähigkeit der Wirtschaft. (Vgl. auch den Abschnitt über die Steuerungsformen der Wirtschaft, hier insbesondere den Abschnitt über die Marktsteuerung).
3.3.4 Geld als Tauschmedium Kennzeichnend für die Ausdifferenzierung und Arbeitsteilung der modernen Wirtschaft ist schließlich die Entwicklung des Geldmechanismus. Mit Hilfe
3.3. D i e Ausdifferenzierung der Wirtschaft in der Gesellschaft
83
des Geldes bilden sich in der Wirtschaft und Gesellschaft besondere Rationalitätskriterien und Handlungsmaßstäbe. Geld ist ein quantifizierbares Medium, das man a) b) c) d)
für die Bezahlung für den Tausch als Wertmesser als Wertspeicher oder Liquiditätsreserve (beispielsweise Gold oder Grundbesitz, dessen Verwandlung in Geld jederzeit möglich ist) verwenden kann. Geld kann definiert werden als die Fähigkeit von Wirtschaftssubjektiven, sich ökonomisch wertvolle Ressourcen mittels vertraglicher Vereinbarung durch einen Tauschprozeß zu verschaffen. Bei den meisten Transaktionen erscheinen Dinge, die einen Ge- oder Verbrauchswert haben, auf der einen Seite der Tauschbeziehung; ihnen steht auf der anderen Seite eine verpflichtende monetäre Gegenleistung gegenüber. Die Verwendbarkeit von Geld beruht auf der allgemein verbreiteten Erwartung, daß ein verbindlicher Anspruch auf den Tausch von Waren gegen Geld besteht. Wer Geld als Zahlungsmittel akzeptiert, erwirbt die Erwartung, sich bestimmte ökonomisch wertvolle Güter und Leistungen jederzeit und an jedem beliebigen Ort einer Wirtschaftsgemeinschaft verschaffen zu können. Andererseits begründet der Besitz von Geld im Gegenzug die Verpflichtung anderer, diese Erwartung zu erfüllen und einen entsprechenden Gegenwert bereitzustellen. Geld ist also soziologisch gesehen keine Ware, sondern eine spezielle Form der Institutionalisierung von Erwartungen und Verpflichtungen (Parsons 1976: 203). Die bindenden sozialen Beziehungen, die Geld begründet, haben immer eine kommunikative Seite. Man spricht daher vom Geld auch als einem „Kommunikationsmedium". Tätigt jemand eine Geldausgabe, motiviert und verpflichtet er einen anderen zu einem entsprechenden Verhalten. Geld kann unter diesen Umständen verstanden werden 1. alseine Kommunikationschance und 2. als ein Kommunikationsmedium, das soziale Beziehungen stiftet und zwischen den verschiedenen in der Gesellschaft umlaufenden Erwartungen und Bedürfnissen vermittelt. Man unterscheidet verschiedene Arten von Geld: — Allzweckgeld (general purpose money). Es dient generell zur Bezahlung, als Wertmesser, zur Akkumulation und zum Tausch. — Geld für bestimmte Zwecke (special purpose money). Es kann nur für einen bestimmten Zweck, z. B. als Brautgeld verwendet werden.
84
3. Die Wirtschaft als gesellschaftliches System
— Geld für beschränkte Zwecke (limited purpose money). Es kann nur für bestimmte Produkte und Dienstleistungen verwendet werden, beispielsweise die Kreditkarten einer bestimmten Organisation oder Zigaretten als Schwarzwährung. Geld läßt sich nicht nur nach dem Zweck, sondern auch nach seiner Art unterscheiden: — Naturalgeld — Bargeld — Kreditgeld Naturalgeld wie Muscheln, Schmuck, Zigaretten beschränken den R a u m möglicher Tauschbeziehungen auf eine relativ kleine Sphäre. O b es zum Tausch und damit zu einer ökonomischen Beziehung kommt, hängt erstens von der Akzeptanz des Zahlungsmittels und zweitens von seiner Verfügbarkeit ab. Die Reichweite denkbarer Marktbeziehungen ist beim Naturgeld vergleichsweise gering. Die Einführung von Bargeld hat die Markt- und Tauschspähre erheblich erweitert. Sofern Geld allgemein akzeptiertes Zahlungsmittel ist, ist jedes Mitglied der Wirtschaftsgemeinschaft potentieller Tauschadressat. Gleichwohl gibt es auch bei Bargeld eine Beschränkung der Marktsphäre. Ob es zur Tauschbeziehung kommt, hängt von der Verfügbarkeit an Barmitteln ab. Fehlt das Geld, kommt es nicht zum Tausch. Anders verhält es sich beim Kreditgeld. Die Erfindung des Kreditgeldes markiert den eigentlichen Beginn der modernen Industriegesellschaft. Erst durch Kreditgeld ist eine praktisch unbeschränkte Expansion von Tauschbeziehungen möglich geworden. Ob ein Wirtschaftssubjekt eine Tauschbeziehung eingeht, hängt nicht länger von seinem Besitz an Bargeld ab. Er kann kommerzielle Transaktionen vornehmen, ohne bereits im eigentlichen Sinn über den Gegenwert zu verfügen. Der Tausch wird auf eine neue abstrakte Ebene gehoben: Man tauscht ein Gut gegen die Verpflichtung, den Gegenwert eines Tages einzulösen. Mit dem Kreditgeld wird die Zukunft in die Gegenwart verlagert: Man tauscht eine Leistung heute gegen eine Gegenleistung in der Zukunft. Und damit wird zugleich die Sphäre möglicher Tauschbeziehungen erweitert. Hat jemand „Kredit", kann er unbeschränkt Tauschbeziehungen eingehen. Er kann selbst, ohne im Besitz von Geld zu sein, über Art und Ausmaß seiner Tauscherwartungen und Tauschbeziehungen entscheiden. Damit hat sich zugleich die Grundlage von Tauschbeziehungen selbst geändert: War es zunächst der Besitz von Naturalien, dann der von Bargeld, der die Grenzen des Tausches festlegte, so sind es heute in der modernen Kreditwirtschaft allenfalls noch Reputation und sozialer Status, die mögliche Grenzen markieren.
3.3. Die Ausdifferenzierung der Wirtschaft in der Gesellschaft
85
Die gesellschaftlichen Funktionen und Aspekte des Geldes 1. Geld als universelles Tauschmittel Geld fungiert in sozialer Hinsicht als reales Tauschmittel. Was die eine Partei an Wert empfängt, gibt entsprechend die Gegenpartei auf. 2. Geld als Wertmaßstab Als Wertmaßstab liefert Geld eindeutige und intersubjektive Kriterien für eine Bewertung von Waren und Dienstleistungen, von Produkten und P r o d u k tionsfaktoren. Als beliebig unterteilbares S t a n d a r d m a ß schafft Geld eine Unendlichkeit von Vergleichsmöglichkeiten, die sich selbst in minuziösen Differenzen ausdrücken lassen. Geld ist ein hochsensibler Wertmesser und Vergleichsmaßstab. 3. Die Neutralisierungsfunktion des Geldes Geld verlöre seine Funktion, wenn seine Geltung von individuellen Motiven, von Rasse, Geschlecht, Status oder Herkunft der Tauschpartner abhinge. Insoweit ist Geld ein neutrales Tauschmedium. Es ermöglicht Indifferenz und Gleichgültigkeit gegenüber den Partnern einer Tauschbeziehung. Und es ermöglicht ebenso Indifferenz gegenüber Zeitpunkten und sachlichen Inhalten einer Tauschbeziehung. Geld neutralisiert gesellschaftliche Beziehungen; es ist nicht an soziale Merkmale und soziale Grenzen gebunden. Bindungen, die auf dem Tauschmedium des Geldes beruhen, werden aus ihrer sozialen Einbettung gelöst. 4. Die Rationalisierungsfunktion des Geldes Durch Geld gehen die individuellen und subjektiven Bezüge des Tausches verloren. Man braucht sich nicht mehr, wie noch beim Naturaltausch, über die jeweilige besondere Bedeutung der Tauschgegenstände Einvernehmen zu verschaffen. Mit Hilfe des Geldes kann vom Einzelfall oder von der Besonderheit eines Tauschvorganges abstrahiert werden. Geld rationalisiert, standardisiert und vereinfacht damit die Tauschbeziehungen. Folglich wird die Rationalität des modernen Marktes in erster Linie durch das Geld geprägt. „Bei Verwendung des Geldes tritt an die Stelle des Direkttausches Ware gegen Ware bzw. Ware gegen Leistung die Vermittlung der Leistungsströme durch ein Medium, das als Tauschmittel und Wertmaßstab dient. Hierdurch wird eine fast unbegrenzte Ausdehnung und Rationalisierung der Tauschvorgänge ermöglicht" (Fürstenberg 1970: 41). 5. Die kulturelle Funktion des Geldes Als rationalisiertes und neutrales Medium ist der Charakter des Geldes universalistisch (das heißt, Geld ist nicht an soziale Merkmale von Personen und
86
3. D i e Wirtschaft als gesellschaftliches S y s t e m
Gesellschaften gebunden). Geld überwindet lokale Märkte und Grenzen. In dieser Eigenschaft ist es ein generalisiertes Medium. Je generalisierter Geld ist (wie etwa der Dollar, der in fast allen Ländern der Welt akzeptiert wird), um so weniger ist es an die kulturellen Horizonte einer Gesellschaft gebunden. Der Besitz von Dollar ermöglicht es, mit Menschen fast aller Länder, Rassen und Sprachen in eine kommerzielle und damit auch soziale Verbindung zu treten. Unter diesen Umständen ist Geld ein interkulturelles Tauschmedium. Es ermöglicht Beziehungen zwischen Menschen verschieden entwickelter Gesellschaften, die durch die Summe dieser Beziehungen in ihrer kulturellen Identität berührt werden können. Durch Geld werden kulturelle Akkulturationsvorgänge begründet, und durch Geld werden bestehende Akkulturationseffekte verstärkt. Unter Akkulturation versteht man „Kulturanpassung", das heißt den Erwerb von Elementen einer fremden Kultur bis hin zur völligen gegenseitigen Angleichung unterschiedlicher Kulturen. Geldtransaktionen sind in der Regel deshalb mit kulturellen Einflußnahmen verbunden, da die Möglichkeit besteht, über den Tausch von Produkten und Leistungen soziale Verhaltensweisen zu prägen. Charakteristisch ist die weltweite Diffusion (Ausbreitung) von westlichen Unterhaltungsmitteln, Getränken, Kleidung etc., die nicht nur als Verbrauchs- oder Gebrauchsgüter angesehen werden, sondern als Symbol einer bestimmten Lebnsweise; und in dieser Eigenschaft werden sie zugleich zu einem Mittel kultureller Identitätsbildung. 6. Geld erweitert den individuellen Erwartungshorizont Der Besitz von Geld offeriert eine nahezu unendliche Zahl unterschiedlicher Tauschmöglichkeiten; mit anderen Worten: Geld steigert die Erwartungen, sich beliebige Leistungen und Güter verfügbar zu machen. Entscheidend ist, daß der Besitz von Geld Chancen oder gar die Macht verleiht, „to get things done", ohne daß man im selben Moment besondere Verpflichtungen einzugehen hat; beispielsweise eine bestimmte Kaufentscheidung, Zeitpunkt, Ort oder Preis fixieren m u ß (vgl. Parsons 1976: 233). Die besondere Kombination von Chance, Macht, Erweiterung des persönlichen Erwartungshorizontes und schließlich der Freiheit gegenüber Verpflichtungen macht Geld zu einem so wichtigen und grundlegenden Mechanismus. 7. Geld steigert die Komplexität der Gesellschaft Mit der Entwicklung und Verfeinerung des Geldwesens nehmen zugleich die Tausch- und Kommunikationsmöglichkeiten f ü r jeden Menschen sprunghaft zu. Das allgemeine gesellschaftliche Kommunikationsnetz expandiert, es werden immer neue Kommunikationschancen begründet. Je mehr die Kommunikations- und Tauschchancen wachsen, um so größer werden gleichzeitig das Auswahl- bzw. Selektionsproblem im Hinblick auf die
3.3. D i e Ausdifferenzierung der Wirtschaft in der Gesellschaft
87
Verwendung des Geldes. Es gibt verschiedene Alternativen. Erhöht sich die Zahl möglicher Tauschadressaten, nehmen also auch die Entscheidungsalternativen zu. Es wird immer schwieriger, die Tauschbeziehungen allein nach einem optimalen Preis-Leistungsverhältnis zu steuern. Der Z e i t a u f w a n d , die richtige Entscheidung zu treffen, wächst. Sofern aber Selektions- und Entscheidungsprobleme steigen, wächst die allgemeine Komplexität der Gesellschaft. 8. Geld steigert das Stabilitätsrisiko der modernen Gesellschaft Nahezu alle Aktivitäten werden nicht mehr direkt und unmittelbar, sondern nur noch über das Medium Geld in Bedürfnisbefriedigungen transformiert. D a d u r c h sind sie einem größeren Risiko im Falle von Störungen des Geldmechanismus unterworfen. Die Stabilität gesellschaftlicher Beziehungen ist durch das Geld sensibler geworden, denn sie hängt immer mehr von der Funktionsfähigkeit des komplexen internationalen Geldsystems ab. Eine hohe Inflationsrate beispielsweise entwertet nicht nur die Ersparnisse, sie verhindert d a r ü b e r hinaus die Umsetzung von Geld in Bedürfnisbefriedigung und Zukunftsicherung, verhindert soziale Beziehungen und untergräbt die Stabilität des Netzes gegenseitiger Erwartungen und Verpflichtungen. 9. Geld erweitert die gesellschaftliche Zeitperspektive Geld differenziert die Zeit, es differenziert Vergangenheit, Gegenwart und Z u k u n f t in beliebige Abschnitte. D u r c h die verschiedenen Verfahren der Kreditbildung werden Möglichkeiten geschaffen, Z u k u n f t s h o r i z o n t e und Zukunftserleben in die Gegenwart zu verlagern, d. h. künftige d e n k b a r e Bedürfnisbefriedigungen bereits heute vorwegzunehmen. Kredit ist die Fähigkeit, zukünftige soziale Tauschbeziehungen in die Gegenwart zu übertragen. Umgekehrt schafft Geld auch die Chance, die Vergangenheit in die Gegenwart zu holen. Indem m a n Zeit „kapitalisiert", d. h. in früheren Zeiten Kapital bildet, schafft m a n sich zugleich eine Art Dispositionsfond f ü r die Gegenwart. Verzichtbereitschaft in der Vergangenheit erlaubt vermehrte Tauschbeziehungen heute und morgen. Die Zeit läßt sich nach Belieben, d. h. nach individuellem Lebensstil, individuellen Lebensplänen oder individuellen Lebensprioritäten, mit Hilfe des Geldes differenzieren. Geld ermöglicht eine zeitlich hochsensible P l a n u n g der eigenen Bedürfnisse. 10. Die Sicherungsfunktion des Geldes Geld erweitert den Z u k u n f t s h o r i z o n t , indem es systematisch Vorsorge f ü r die Z u k u n f t erlaubt. Mit Naturalien läßt sich nur begrenzt f ü r die Z u k u n f t Vorsorgen, dagegen läßt sich mit Geld f ü r j e d e r m a n n die Z u k u n f t sichern.
88
3. Die Wirtschaft als gesellschaftliches System
Waren es früher in erster Linie die Verheißungen der Religion, die den Menschen Sicherheit für die Zukunft verbürgten, so ist heute an ihre Stelle das Geld getreten. Statt Religion avanciert Geld zum eigentlichen Sicherungsmittel der Zukunft und damit auch zum zentralen Sicherungsmittel der modernen Gesellschaft (vgl. Luhmann 1974: 214). Darin liegt aber zugleich eine Gefahr. Die vielschichtigen P r o b l e m e der individuellen Lebensvorsorge sind an das Risiko eines dauerhaften und funktionsfähigen Geldmechanismus gebunden. Die Zukunft wird nicht mehr durch immaterielle Mittel, wie sie die Religion bot, gesichert, sondern ausschließlich durch vergängliche materielle Mittel. Ein Mangel an Geld ist heute zugleich Ausdruck von Zukunftsängsten. Und mangelndes Vertrauen in die Geldwertstabilität enthält immer zugleich den Keim einer beunruhigenden Zukunftsunsicherheit — es wirkt destabilisierend. 11. Geld sensibilisiert für die Zukunft Indem Geld zum sozialen Sicherungsmittel für die Zukunft wird, fördert es zugleich die Aufmerksamkeit für noch nicht Geschehenes, steigert es das Interesse für neue mögliche Entwicklungen. Beispiel: Die Börse, an der das Geld als Sicherungsmittel der Zukunft angelegt wird, reagiert allein schon auf prognostizierte Zukunftsentwicklungen; der Anleger bezieht in der Regel alle denkbaren künftigen wirtschafts- und sozialpolitischen Strömungen in seine Anlageentscheidungen ein. E r verfolgt wie eine K o m p a ß n a d e l alle Ereignisse, die Rückwirkungen auf die Zukunft haben, um sein Sicherungsmittel vor Verfall zu bewahren. 12. Die Umverteilungsfunktion des Geldes W e r eine Geldausgabe tätigt, entscheidet sich unter verschiedenen Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung für eine ganz bestimmte. E r realisiert eine Möglichkeit. W e r dagegen Geld empfängt, empfängt zugleich eine Reihe offener Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung. Unter diesen Umständen ist Geld ein Mittel der Umverteilung von offenen und realisierten Möglichkeiten der Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse. Geld sorgt für einen Ausgleich unterschiedlich anfallender Bedürfnisse in der Bevölkerung. 13. Die Sozialisierungsfunktion des Geldes Geld übt Lernzwänge aus. Soziales und wirtschaftliches Handeln wird im großen Umfang von der Möglichkeit bestimmt, Geld zu erhalten oder sich Geld zu verschaffen. J e d e r wirtschaftliche Erfolg ist das gelungene Ergebnis, in Tauschprozessen Geld zu erhalten. Hat man dagegen Mißerfolg, wird man zu Umdispositionen gezwungen. Fehlende Liquidität, fehlender Gewinn, fehlendes E i n k o m m e n zwingen zu veränderten Entscheidungs- und Verhaltensmaßstäben. D a s wirtschaftliche Verhalten wird durch Geld beeinflußt.
3.4. Die relative A u t o n o m i e der Wirtschaft
89
Insoweit sind Geld oder ein Mangel an Geld Vorbedingung wirtschaftlicher Lernfähigkeiten. 14. Die Machtfunktion des Geldes Geld in seiner Form als Wertspeicher wird im weitesten Sinne zum Symbol wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Macht. Es ist Ausdruck eines wirtschaftlichen Potentials, sich nach Belieben auch politisch wertvolle Ressourcen durch einen Tauschprozeß zu verschaffen. Mit Hilfe von Geld lassen sich politische Kampagnen finanzieren, die auf Einfluß und Macht zielen. Oder Geld wird eingesetzt, um politische Entscheidungen zu beeinflussen. Hinweise hierzu liefern die Probleme der Parteienfinanzierung. 15. Die Statusfunktion des Geldes Schließlich ist an den Besitz von Vermögen gesellschaftliches Prestige geknüpft. Geld schafft sozialen Status. Zwar bilden Einkommen, Besitz und Vermögen nur begrenzte Indikatoren für die jeweilige Stellung des einzelnen in der Gesellschaft — andere Indikatoren sind beispielsweise Herkunft, Bildung, Beruf, Wohnlage — doch sie spielen vor allem in der modernen Industriegesellschaft eine ganz entscheidende Rolle.
3.4 Die relative Autonomie der Wirtschaft Neben der These von der Ausdifferenzierung spielt in der Systemtheorie der Begriff der „relativen Autonomie der Wirtschaft" eine wichtige Rolle. Er besagt, daß sich die Wirtschaft gegen direkte externe soziale Kontrollen, gegen mögliche Übergriffe oder Interventionen anderer gesellschaftlicher Systeme legitimerweise abschirmt; das heißt gegen Verhaltensregeln und Rollen, die in anderen gesellschaftlichen Bereichen üblich sind, die aber eben für den Rationalitätsfortschritt in der Wirtschaft nicht geeignet sind und ihre Funktionen nur beeinträchtigen würden. So ist es unter dem Gesichtspunkt der Systemtheorie legitim, daß sich die Wirtschaft dagegen wehrt, emotionale Beziehungen am Arbeitsplatz zu dulden. Ebenso ist es für die Wirtschaft legitim, Gesichtspunkte der Solidarität oder Nächstenliebe — charakteristische Merkmale des Systems Religion — zu vernachlässigen. Damit die Wirtschaft f u n k tioniert, muß sie sich gegen alle Zumutungen zur Wehr setzen, die die Fortentwicklung ihrer Rationalität und Leistungsfähigkeit beeinträchtigen würden. Dies bedeutet aber nicht, daß die Wirtschaft als unabhängig anzusehen ist. Relative Autonomie der Wirtschaft ist nicht mit Autarkie zu verwechseln. Das System der Wirtschaft bleibt immer darauf angewiesen, daß auch die anderen
90
3. D i e Wirtschaft als gesellschaftliches S y s t e m
gesellschaftlichen Bereiche funktionieren: daß der Frieden gesichert ist (Funktion des politischen Systems), daß der Erkenntnisfortschritt gewährleistet ist (Funktion des Wissenschaftssystems), daß ethische Prinzipien gewahrt werden (Funktion des Religionssystems) etc. Im Zuge der Arbeitsteilung in der Gesellschaft leisten alle Systeme ihren Beitrag. Alle Bereiche sind aufeinander angewiesen. Relative Autonomie der Wirtschaft bedeutet vielmehr, daß sich die Wirtschaft einerseits auf bestimmte gesellschaftliche Funktionen spezialisiert und darin autonom ist; a u t o n o m in dem Sinne, daß sie sich in ihre eigenen Aufgaben nicht hineinregieren läßt, also selbst entscheiden kann, nach welchen Verfahren und Methoden sie handelt. Auf der anderen Seite ist die Wirtschaft natürlich auf die Funktionserfüllung der übrigen gesellschaftlichen Teilbereiche angewiesen, und zwar um so mehr, je hochspezialisierter sie ist. Unter dem Gesichtspunkt der relativen Autonomie der Wirtschaft werden vor allem jene Regeln und Normen untersucht, die die Trennung der Wirtschaft von den anderen Teilsystemen kennzeichnen. Beispiele sind „die Norm der Unbestechlichkeit von Beamten und Politikern, buchungstechnische und rechtliche Trennbarkeit von Geschäfts- und Privatvermögen, Prioritäten im Verhältnis von Berufs- und Familienleben, Liebesheirat (statt wirtschaftlicher Heirat) oder Verhaltensgrundsätze wie: In Geldsachen hört die Freundschaft a u f (Luhmann 1974: 211). Warum eigentlich, könnte man fragen, hört in Geldsachen die Freundschaft auf? Doch nur dann, wenn man bestrebt ist, private und wirtschaftliche Dinge grundsätzlich auseinanderzuhalten. Tut man dies, ist dies ein Anzeichen dafür, daß die Wirtschaft tatsächlich „relativ a u t o n o m " ist. Sie schirmt sich gegen Übergriffe des Privatlebens wie gegen Freundschaftsbeziehungen ab. Sie sorgt dafür, daß moralische, ethische oder ästhetische Gesichtspunkte weitgehend außer Betracht bleiben bzw. im historischen Zusammenhang immer weniger berücksichtigt werden (vgl. auch Kapitel 8). Solche Trennregeln sind nur möglich, wenn die Wirtschaft von Rücksichtnahmen auf andere gesellschaftliche Systeme entlastet wird; ihr m u ß zugestanden werden, in gewisser Weise gleichgültig gegenüber den Anforderungen, Zumutungen und Verhaltensregeln anderer gesellschaftlicher Bereiche zu sein. Die relative Autonomie der Wirtschaft läßt sich nach drei Gesichtspunkten unterscheiden: 1. Die zeitliche Dimension Unter dem Gesichtspunkt der Zeit hängt die relative Autonomie der Wirtschaft davon ab, ob die anderen Gesellschaftssysteme der Wirtschaft Zeit lassen, auf bestimmte Anforderungen und Ansprüche zu reagieren. Die
3.4. Die relative Autonomie der Wirtschaft
91
Möglichkeit, Ansprüche zeitlich zu vertagen, das heißt sich die Zeit zu nehmen, gegebenenfalls Prozesse der Informationsverarbeitung zwischenzuschalten, sind Ausdruck einer relativen Autonomie der Wirtschaft. 2. Die sachliche Dimension Hier drückt sich die relative Autonomie der Wirtschaft vor allem darin aus, daß das Wirtschaftssystem als Ganzes in seiner Legitimation noch nicht gefährdet ist, wenn in konkreten Einzelfällen die Interaktionspartner der Wirtschaft enttäuscht werden, z. B. Funktionsstörungen wie etwa Arbeitslosigkeit auftreten. Die Wirtschaft m u ß in einer Gesellschaft einen Grundstock allgemeiner Legitimation genießen, die nicht auf fallweiser Zusage beruht, die nicht bei jedem Mißerfolg des Systems zurückgezogen wird. Die Autonomiebedingung meint also, daß zwischen den Funktionsstörungen des Marktes und der allgemeinen Wertschätzung der Wirtschaftsordnung Schwellen eingebaut sind, die eine direkte Weitergabe der Enttäuschung auf die Legitimation der Wirtschaft verhindern. Die allgemeine Wirtschaftsordnung ist relativ enttäuschungsfest. Sie ist gegenüber Störungen wie steigender Arbeitslosigkeit, Inflation, Wachstumsdefiziten, Umweltstörungen abgesichert. 3. Die soziale Dimension Relative Autonomie unter sozialen Gesichtspunkten meint, daß die Wirtschaft einer Vielzahl von Umweltsystemen gegenübersteht, die selbst untereinander konkurrieren und damit nicht eine geschlossene einheitliche Interessenfront gegenüber der Wirtschaft aufbauen. Beispielsweise dürfen politisches System, Kirche und Öffentlichkeit nicht gemeinsam Front gegen bestimmte Verhaltensweisen und Funktionen der Wirtschaft machen, sofern die Bedingung relativer Autonomie erfüllt ist. Weder dürfen sie als gemeinsam fungierende Akteure auftreten noch aus der Sicht der Wirtschaft eine geschlossene Umweltmacht präsentieren. Vielmehr muß die Wirtschaft damit rechnen können, daß sie mit konkurrierenden Interessen, Stellungnahmen und Anforderungn konfrontiert wird. Sie m u ß mehreren relativ gleichgewichtigen und sich in ihrer Wirkung gegenseitig kompensierenden Umweltforderungen von Verbänden, Parteien, Interessengruppen ausgesetzt sehen. Relativ a u t o n o m ist die Wirtschaft, wenn es nicht nur einen, sondern eine Vielzahl gleich berühmter Professoren gibt, die unterschiedliche Gutachten erstellen; ferner, wenn eine Mehrzahl von Verbänden und Organisationen unterschiedliche Interessen formuliert und rivalisierende Positionen bezieht. Unter diesen Umständen kann die Wirtschaft, wenn eine Organisation zu deutlich ihre eigenen Interessen anmeldet, mit der Rückendeckung anderer Organisationen, die andere Interessen vertreten, rechnen. Sofern das
92
3. Die Wirtschaft als gesellschaftliches System
Wirtschaftssystem diese Art Rückendeckung erhält, kann man von der relativen Autonomie der Wirtschaft sprechen. Der Druck der Umwelt ist geschwächt. Die Wirtschaft gewinnt also ihre relative Autonomie vor allem dadurch, daß sie für ihren eigenen Funktionsbereich von konkurrierenden Zuständigkeitsansprüchen und Forderungen anderer Teilsysteme freigestellt wird. Auf dieser Grundlage entwickeln sich die charakteristischen rationalen Verhaltensweisen in der Wirtschaft. „Handlungen, die sonst weitläufige, gesamtgesellschaftliche Rücksichten nehmen müssen, können so auf rein wirtschaftliche Funktionen spezialisiert werden: Man kann hochspezialisiert arbeiten und sich dafür ausbilden lassen, kann Erbgut veräußern, um Vermögen gewinnbringend anzulegen, kann Menschen nach Maßgabe des Ertrags ihrer Arbeitskraft einstellen und entlassen usw." (Luhmann 1974: 211). Erst die relative Autonomie gewährleistet den Rationalitätsgewinn der Wirtschaft.
3.5 Das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft In der Systemtheorie bezeichnet man das stabile Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft als Kompatibilitätsbedingung. Kompatibilität heißt Vereinbarkeit; und wenn die Systemtheorie ihr Augenmerk auf die Vereinbarkeit der gesellschaftlichen Systeme untereinander richtet, so hat sie vor allem das Problem im Auge, wie die Abstimmung hochspezialisierter Teilsysteme, das heißt konkret: die Abstimmung wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher Prozesse untereinander, bewerkstelligt wird. Also beispielsweise, wie verhindert werden kann, daß Wirtschaft, Recht oder Medizin sich so weit in der Sprache, in der Art der Problemlösungen, in den Handlungs- und Denkweisen verselbständigen, daß eine Verständigung untereinander nicht mehr möglich ist. Wenn selbst Fachleute, Experten und Spezialisten bestimmte wirtschaftliche Vorgänge nicht mehr durchschauen, geschweige der Bürger, d a n n ist die „Kompatibilität der Wirtschaft" gefährdet. „Inkompatibel" ist beispielsweise die Wirtschaft, wenn sie die Umgangssprache zu Gunsten einer ökonomischen Fachsprache auflöst. Wenn Sprache, Code, Abkürzungen und Anwendungsverfahren der Datenverarbeitung nur noch Eingeweihten ein Begriff ist, oder wenn der Bürger Rechnungen bekommt, die er nicht mehr entziffern kann, wenn Kreditverträge, Gehaltsbescheinigungen und Produktionsverfahren nur noch f ü r Fachleute durchschaubar sind, stellt sich die Frage, ob zu Gunsten der Rationalisierung der Wirtschaft alle Verständigungsbrücken zu den anderen Systemen bzw. zum Staatsbürger abgebrochen werden dürfen. Dies ist das Thema der Kompatibilität. Unter ihrem Gesichtspunkt interessieren den Wirtschaftssoziologen jene
3.5. D a s Verhältnis v o n Wirtschaft und Gesellschaft
93
Prozesse, die die Möglichkeit des Nebeneinander-Existierens von Wirtschaft und anderen hochspezialisierten Teilsystemen gewährleistet. Zu diesem Zweck muß man zunächst die sogenannte „kommunikative Selbstgenügsamkeit" der Wirtschaft durchbrechen, das heißt die Entwicklungjener besonderen Kommunikationsmuster verhindern, die für den Außenstehenden nicht mehr verständlich sind. Man muß die systembedingten Verständigungsschwellen überwinden. Darüber hinaus darf sich die Wirtschaft weder durch ihre Aufgaben noch durch ihre Handlungsmuster störend auf die anderen gesellschaftlichen Teilbereiche auswirken, noch dürfen umgekehrt die anderen Systeme die Wirtschaft mit einengenden Forderungen konfrontieren. Aber in dieser Abstimmung liegt ein sehr großes Problem. Problematisch ist nicht nur die Abstimmung von Funktionen. Die Kompatibilität bezieht sich auch auf die Koordination notwendiger zeitlicher Ansprüche, die jedes System erfordert, will man nicht seine Funktionsfähigkeit gefährden. Wenn beispielsweise zu Gunsten des Berufes die Familie zu kurz kommt, ist letztlich die Familie als solche gefährdet. Die Zeitbudgets, die die Systeme in Anspruch nehmen, müssen ausgewogen sein. Die Menschen müssen zeitlich noch imstande sein, alle Bereiche wie Religion, Familie, Politik und Wirtschaft zu „bedienen". Geschieht dies nicht, ist die Integration der Gesellschaft gestört. Die Kompatibilitätsbedingung besteht darin, daß die einzelnen gesellschaftlichen Bereiche um der Integration und der gemeinsamen Stabilität wegen ihre Funktionen und zeitlichen Ansprüche faktisch koordinieren müssen. Gelingt die Abstimmung nicht, kann eine erhöhte Störanfälligkeit der gesamten Sozialstruktur die Folge sein. Es entstehen grundlegende gesellschaftliche Konflikte, die große Probleme aufwerfen können und häufig kaum lösbar erscheinen. Konfliktbeispiele in der modernen Industriegesellschaft Kompatibilität von Wirtschaft und Gesellschaft)
(im Falle mangelnder
1. Renditeorientierung (System Wirtschaft) versus ökologische Erfordernisse (System Umwelt) Die Funktion der Wirtschaft und die Funktionen der Lebenswelt sind heute in der modernen Industriegesellschaft nicht mehr vollständig aufeinander abgestimmt. Zu Gunsten der Funktionen der Wirtschaft wie Bereitstellung von Arbeitsplätzen werden die Funktionen der Umwelt beeinträchtig. Die Umwelt nimmt Schaden. Mögliche Folge: ökologische Krise. 2. Mobilitäts- und Leistungserfordernis der Wirtschaft versus Bindungen an Heimat und Familie
94
3. D i e Wirtschaft als gesellschaftliches S y s t e m
Funktionsnotwendigkeiten von Wirtschaft und Familie sind vielfach nicht kompatibel. Berufliche Anforderungen nach Leistung können nicht mehr mit familialen Ansprüchen nach Geborgenheit, Gesprächen, Zeit für die Kinder etc. in Einklang gebracht werden. Mögliche Folge: Familien- oder Ehekrise. Die Rückwirkungen mangelnder Kompatibilität sind aber auch umgekehrt denkbar: Sofern die Familie nicht mehr den Ort emotionaler Stabilität bildet, die für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des einzelnen so voraussetzungsvoll ist, kann auch eine Motivationskrise die Folge sein. 3. Individualprinzip versus Solidaritätsprinzip Das Individualprinzip der Wirtschaft, das heißt die Konkurrenz mit anderen um Erfolg, Position und Stellung, steht unversöhnlich dem Solidaritäts- bzw. Helfensprinzip der abendländischen Religions- und Kulturentwicklung gegenüber. Die Gleichgültigkeit vieler Menschen gegenüber den Nöten anderer, die Vereinsamung alter Menschen oder der Menschen in Großstädten könnten auch Ausdruck der mangelnden Abstimmung zwischen rigorosem Individualismus und Solidarität sein. Mögliche Folge: Kulturkrise, Rationalitätskrise. 4. Wachstum versus Sozialstaatsprinzip Das Erfordernis der Wirtschaft, im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu sein, kollidiert mit dem Sozialstaatsprinzip, das den Unternehmen soziale Leistungen und Kosten auferlegt, die dem Schutz und der Sicherheit der Bevölkerung dienen. Steigen aufgrund der Anforderungen des Wohlfahrtsstaates die Lohnnebenkosten über das internationale Konkurrenzniveau, kann die Wirtschaft in ihren Funktionen beeinträchtigt sein. Steigende Kosten und Belastungen haben Rückwirkungen auf die Wachstums- und Arbeitsbedingungen einer Industriegesellschaft (vgl. Kapitel 7). Auch in diesem Punkt ist die Kompatibilität zwischen ökonomischen und gesellschaftlichen Erfordernissen häufig gestört. Mögliche Folge: Steuerungskrise.
Angesichts der Probleme der modernen Gesellschaft erscheint es kaum möglich, die Kompatibilitätsbedingungen der Systemtheorie einzulösen, zumindest soweit das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft angesprochen ist. Im Gegenteil: J e mehr sich die Wirtschaft weiter ausdifferenziert und in ihren Funktionen spezialisiert, um so größer werden offenbar auch die Konflikte. Dennoch spricht einiges dafür, daß allmählich eine gegenläufige Entwicklung einsetzt, die imstande ist, mögliche Krisen aufzufangen (vgl. Kapitel 8, Strukturwandel der Wirtschaft).
3.5. Das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft
95
Abb.8 Beispiele für Konfliktfelder,die aus der Inkompatibilität ( Unvereinbarkeit) von Wirtschaft und Gesellschaft resultieren
Zusammenfassung 1. Man unterscheidet zwischen zwei Betrachtungsweisen der Wirtschaft; erstens dem systemtheoretischen Ansatz, demzufolge Wirtschaft und Gesellschaft relativ selbständige Teilgebiete bilden, und zweitens dem handlungstheoretischen Ansatz, der die Wirtschaft als integriertes Teilgebiet in der Gesellschaft untersucht. 2. Studiert man die Wirtschaft als gesellschaftliches System, muß man sich mit den Rationalitätsformen in der Wirtschaft, der Differenzierung von Wirtschaft und Gesellschaft, dem Umgangsstil in der Wirtschaft und schließlich den speziellen ökonomischen Funktionen beschäftigen. 3. Kernthese der Systemtheorie ist die Annahme, daß sich die moderne Wirtschaft im historischen Verlauf immer mehr verselbständigt, eigene Zwecke, Normen und Rollen ausbildet und eigene spezielle Funktionen schafft, die so nur in der Wirtschaft, nicht aber zugleich in der Gesellschaft vorkommen. 4. Die nicht-entwickelte Wirtschaft ist im Gegensatz zur modernen Wirtschaft undifferenziert. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Funktionen sind hier nicht getrennt. Wirtschaftliche Tätigkeiten sind immer zugleich auch Ausdruck gesellschaftlicher Bindungen und Verpflichtungen.
96
3. Die Wirtschaft als gesellschaftliches System
5. Kennzeichen moderner Märkte sind die „Neutralisierung" gesellschaftlicher Beziehungen, rationale Entscheidungslogiken, die legale Negierbarkeit von Personen und Sachen, ein affektiv neutraler Kommunikationsstil, spezielle Rekrutierungsmechanismen und Geld als universelles Tauschmedium. 6. Geld besitzt zahlreiche soziale Funktionen. Die wichtigsten sind, d a ß Geld nicht an soziale Merkmale und Grenzen gebunden ist, daß es ferner Tauschvorgänge rationalisiert, daß über Geld im Zuge des internationalen Tauschhandels kulturelle Einflüsse ausgeübt werden, daß Geld die Komplexität und das Stabilitätsrisiko moderner Gesellschaften erhöht, daß es anstelle der Religion zum zentralen Sicherungsmittel der Menschen geworden ist und schließlich vielfältige Sozialisierungsfunktionen ausübt. 7. Die Wirtschaft der hochentwickelten Industriegesellschaften ist relativ autonom. Dies bedeutet, daß sich die Wirtschaft auf bestimmte Funktionen spezialisiert hat und sich in ihre Aufgaben nicht von anderen Sozialsystemen hineinregieren läßt. 8. Aus der Zunahme der Differenzierung von Wirtschaft und Gesellschaft erwachsen Verständigungs- bzw. Kompatibilitätsprobleme. Die Abstimmung zwischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Funktionen wird schwieriger. Daraus resultieren eine Reihe von Konfliktfeldern, die sich auf das Verhältnis von ökonomischen Funktionsnotwendigkeiten einerseits, Sozialstaatsansprüchen, familialen und kulturellen Orientierungen sowie Umweltbedingungen andererseits beziehen.
Fragen zur Wiederholung 1. Was sind die beiden zentralen Denkweisen der Wirtschaftssoziologie? 2. An welchem Entwicklungspunkt setzt der Ausdifferenzierungsprozeß der Wirtschaft ein? 3. Worin unterscheiden sich entwickelte und nicht-entwickelte Wirtschaftssysteme? 4. Erläutern Sie folgende Kernbegriffe der Differenzierungstheorie: Funktionsspezialisierung, Rollendifferenzierung, relative Autonomie der Wirtschaft. 5. Was ist der „Sinn" der Wirtschaft?
3.5. Das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft
97
6. Wie läßt sich die im historischen Zusammenhang ungeheure Leistungssteigerung der Wirtschaft erklären? 7. Diskutieren Sie die soziologische Bedeutung des Sprichworts „Strikte Rechnung — gute Freundschaft". 8. Was sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten gesellschaftlichen Funktionen des Geldes? 9. Wodurch entstehen Konflikte im Verhältnis zwischen Wirtschaft und Gesellschaft? 10. Nennen Sie einige Krisenherde der modernen Gesellschaft und erläutern Sie die Ursachen „systemtheoretisch".
4. Die Strukturprinzipien der Wirtschaft
4.1 Die handlungstheoretische Betrachtungsweise der Wirtschaft
Die Systemtheorie ist, wie sich gezeigt hat, gut geeignet, die Besonderheiten der Wirtschaft gegenüber den anderen Bereichen der Gesellschaft herauszuarbeiten. Aber sie eignet sich weniger gut, die gemeinsamen Elemente von Wirtschaft und Gesellschaft zu analysieren oder verschiedene Wirtschaftssysteme miteinander zu vergleichen. Viele Funktionen in dezentral organisierten Marktsystemen und zentralistisch geleiteten Verwaltungssystemen gleichen sich. Rationalitätsprinzipien beispielsweise gibt es in Ost und West. Weder das sowjetische noch irgendein anderes kommunistisches System kommen ohne bestimmte Merkmale des Marktes aus. Sie alle nutzen die Mechanismen des Marktes, Arbeitskräfte zu rekrutieren oder die KonsumgüterVerteilung vorzunehmen. Umgekehrt setzen auch alle marktwirtschaftlich organisierten Systeme den Staat ein, um die Wirtschaft in bestimmten Grenzen zu steuern. Es gibt weitere auf den ersten Blick banale Ähnlichkeiten: alle ökonomischen Systeme verwenden Geld und Preise, alle ökonomischen Systeme zahlen für die Bereitstellung von Arbeitskraft Löhne. Ob ein Deutscher, Russe oder Chinese zur Arbeit geht, die Unterschiede in der Alltagspraxis sind auf den ersten Blick nicht allzu gravierend. Daimler Benz, die Deutsche Bundespost, ein chinesisches Stahlwerk oder eine sowjetische Kolchose: sie alle sind bürokratische Organisationen mit einer klaren Kompetenzverteilung, hierarchischem Aufbau und eindeutigen Autoritätsstrukturen. Welche Art Bürokratie eine Gesellschaft durchzieht, ist letztlich f ü r den Beschäftigten nicht sonderlich belangvoll (Lindblom 1980: 35). Wie soll angesichts dieser Umstände eine soziologische Analyse der Wirtschaft ansetzen, die die Aufgabe hat, die charakteristischen Steuerungsprinzipien der Wirtschaft zu ermitteln; oder die die Aufgabe hat, verschiedene Wirtschaftssysteme zu unterscheiden und zu klassifizieren? Wie lassen sich die Generalklauseln von Marktwirtschaft, Planwirtschaft, Zentralwirtschaft, Verbandswirtschaft oder Marktsozialismus sinnvoll aufschlüsseln? Was steckt hinter diesen Begriffen? Eine Antwort bietet die Handlungstheorie. Sie lenkt das Interesse auf die elementaren Mechanismen sozialer Kontrolle, die in allen gesellschaftlichen Systemen und keinesfalls nur in der Wirtschaft angewendet werden. Dabei spielen vor allem zwei Wege der Analyse eine wichtige Rolle:
100
4. D i e S t r u k t u r p r i n z i p i e n d e r W i r t s c h a f t
1. Die Frage nach den konkreten Handlungsorientierungen und Leitlinien der Menschen im wirtschaftlichen Alltag, und 2. Die Frage nach dem Kontrollmechanismus in der Wirtschaft, d. h. die Frage, auf welche Art und Weise die Handlungen der Menschen in der Wirtschaft gesteuert werden. Beide Fragen gehören eng zusammen. Sie müssen daher gemeinsam beantwortet werden. Max Weber definiert den handlungstheoretischen Ansatz der Wirtschaft wie folgt: „Wirtschaftlich orientiert soll ein Handeln insoweit heißen, als es seinem gemeinten Sinn nach an der Fürsorge für einen Begehr nach Nutzleistungen orientiert ist" (Max Weber 1972: 31). Diese Definition enthält die wichtigsten Probleme, die den Wirtschaftssoziologen unter handlungstheoretischem Gesichtspunkt interessieren: (1) Nach welchen Normen, Werten, Zielen und Interessen orientierten sich die Handlungen in der Wirtschaft? (2) Wodurch wird die Wirtschaft aufrecht erhalten? Wodurch wird Wirtschaft integriert? (3) Worin unterscheiden sich die ökonomischen Handlungsnormen von den gesellschaftlichen Handlungsnormen? (4) Welche Strukturprinzipien steuern das wirtschaftliche Handeln? Von welchen Strukturprinzipien wird die wirtschaftliche Ordnung eines Gesellschaftssytems bestimmt? (5) Wie läßt sich der Strukturwandel der Wirtschaft erklären? (6) Wie unterscheiden sich die Strukturprinzipien der Wirtschaft in Ost und West, in hochentwickelten und nicht-entwickelten Gesellschaften? Im Gegensatz zur systemtheoretischen Perspektive geht die handlungstheoretische Betrachtungsweise nicht von einer Gesellschaft relativ unabhängiger Einzelsysteme aus, die alle ein besonderes Eigenleben führen, sondern von einer Gesellschaft, in der das Handeln des einzelnen von bestimmten Regeln, Werten, Normen oder Institutionen geleitet und gesteuert wird. Statt Systemnotwendigkeiten regeln gesellschaftliche Normzusammenhänge, statt Funktionsbedingungen steuern soziale Kontrollmechanismen die Entwicklung der Wirtschaft. Der eigentliche Unterschied in der Betrachtungsweise liegt vor allem darin, daß aus der handlungstheoretischen Perspektive die Wirtschaft nicht aus ihrer sozialen Einbettung herausgelöst wird, also nicht als isoliertes
4.1. Die handlungstheoretische Betrachtungsweise der Wirtschaft
101
ökonomisches System betrachtet wird, sondern als integrierter Teilbereich der gesamten Gesellschaft. Wirtschaftliche Prozsse sind hier immer zugleich auch gesellschaftliche Prozesse. Dies ist zunächst nicht ganz einleuchtend. Wie sollen beispielsweise Regeln der Produktion und des Vertriebs, Prozesse der Automatisierung, Zielvorgaben des Marketing, Maßnahmen der Konjunktur- und Haushaltspolitik oder die Bedingungen des Geld- und Steuersystems unter gesellschaftlichem Aspekt gedeutet werden? Es sind doch offenbar wirtschaftliche Probleme, die hier eine Rolle spielen. Dieser Einwand stimmt, trifft allerdings nur auf der untersten Abstraktionsebene zu. Auf einer höheren Abstraktionsebene können wir alle ökonomischen Regeln und Normen, Maßstäbe und Leitlinien des Handelns in einigen wenigen Struktur- oder Steuerungsprinzipien zusammenfassen. Es sind:
1. 2. 3. 4.
Tausch Wettbewerb Macht/Autorität persuasive Kommunikation
Ob allerdings Tausch, Autorität, Wettbewerb und persuasive Kommunikation alle denkbaren Handlungsformen der Wirtschaft abdecken, ist noch unerforscht. Aber es sind offenbar die wichtigsten Strukturprinzipien, mit denen eine Wirtschaft gedeutet und verschiedene Wirtschaftsordnungen miteinander verglichen werden können. Unter Struktur- oder Steuerungsprinzipien versteht man autonome, souveräne, Normen- und Regelungssysteme, allgemeine Prinzipien sozialen Handelns. Sie bilden die elementaren Mechanismen sozialer Steuerung der Wirtschaft. Tausch, Wettbewerb, Macht und persuasive Kommunikation sind also ihrem Wesen nach nicht typisch ökonomisch, sondern allgemeine Grundformen gesellschaftlicher Steuerung. Sie durchziehen alle Lebensbereiche. Die Wirtschaft erscheint als Handlungsfeld, auf dem ganz normale soziale Mechanismen zusammenlaufen. Gegenüber der Systemtheorie verlagert sich hier die Betrachtungsweise. Die Untersuchung der Wirtschaft wird nicht mehr aus einer Problemvorzeichnung vorgenommen, die auf Trennlinien wie marktgerecht und marktfeindlich oder systemspezifisch und systemfremd gerichtet ist. Vielmehr wird das wirtschaftliche Handeln von vornherein als Beziehungszusammenhang allgemeiner gesellschaftlicher Prinzipien gedeutet, für die die Grenzen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft fallen.
102
o. 1 eB ¿t •«S-» «3
-0 K2 ->O
Kl
Einseitiger
K2
Wettbewerb
Eine dritte Sonderform des Wettbewerbs ist der einseitige Wettbewerb. Wenn beispielsweise zwei Unternehmen an ein und demselben Forschungsprojekt arbeiten, aber nur eines der Unternehmen von dem Vorhaben des anderen
4. Die Strukturprinzipien der Wirtschaft
118
Kenntnis hat, handelt es sich um eine einseitige Konkurrenzbeziehung. Erst wenn auch das zweite Unternehmen von der Rivalität erfährt und damit möglicherweise seine Anstrengungen wegen der angestrebten Priorität forciert, wird das Beziehungsverhältnis zur Konkurrenz im eigentlichen Definitionssinne. Abb.14 Einseitiger Wettbewerb
A° Der einseitige Wettbewerb wird zu einem gegenseitigen Wettbewerb, wenn auch K2 vom Konkurrenzverhältnis erfährt und seine Anstrengungen wegen der erstrebten Priorität forciert. K
1
*K2
4.3.3 Der soziale Kontrollmechanismus des Wettbewerbs Der soziale Druck, der eine Wettbewerbsordnung durchsetzt, ist in der Regel unpersönlich und anonym. Der Kontrollmechanismus des Wettbewerbs ist sachorientiert. Er äußert sich in einer Beschneidung des Sacherfolgs. Insoweit handelt es sich beim Wettbewerb um einen Mechanismus der objektiven Erfolgskontrolle. Der Erfolg ist keine abstrakte Größe, sondern eine in den Bilanzen sichtbare Zahl. Sie drückt sich in Marktanteilen aus, in Wachstums- und Umsatzgrößen, in der Rendite, in der Innovationsrate, in Rationalisierungsfortschritten oder auch im persönlichen Erfolg, in der persönlichen Karriere. Die Erfolgsdifferenz zwischen den Konkurrenten ist Ausdruck für die Wirkung des Wettbewerbs; das Ausmaß der Differenz Indiz für die realen Leistungsunterschiede zwischen den Konkurrenten. Die objektive Erfolgskontrolle als Inbegriff des kompetitiven (wettbewerbstypischen) Steuerungsverfahrens enthält zwei Komponenten. Geht es lediglich um einen bestimmten meßbaren Marktanteil, handelt es sich um einen „Anteilswettbewerb". Ausdruck der objektiven Erfolgskontrolle ist hier der Erfolg bzw. Mißerfolg im Erreichen eines ganz bestimmten Marktanteils. Ob andere möglicherweise besser abschneiden, ist sekundär. Hier interessiert allein das angestrebte Sachergebnis.
119
4.3. Der Wettbewerb
Geht es dagegen eher um die allgemeine Marktbedeutung, dann spielen nicht das Ergebnis, sondern allein die relative Position oder der erreichte Rang eine Rolle. Diese Wettbewerbsform kann man „Distanzwettbewerb" nennen. Es geht hier nicht mehr nur um das Erreichen eines bestimmten Marktanteils, sondern um einen wirtschaftlichen oder technischen Vorsprung vor den Konkurrenten. Das primäre Ziel ist die Distanzierung der Konkurrenten, erst sekundär wird ein bestimmter Sacherfolg angestrebt; das heißt, man nimmt gegebenenfalls auch kurzfristige Verluste in Kauf, nur um eine bestimmte Marktposition zu erlangen. Im Distanzwettbewerb steht allein die Rangdifferenz im Vordergrund. Je nachdem, ob es sich um einen Anteils- oder Distanzwettbewerb handelt, ist das antagonistische Spannungs- und Rivalitätsverhältnis zwischen den Konkurrenten entweder persönlich oder neutral gefärbt. Im Anteilswettbewerb sind eher pragmatische, instrumentell orientierte Beziehungen tonangebend. Das Verhältnis zwischen den Konkurrenten erscheint relativ neutral. Umgekehrt ist im Distanzwettbewerb die Atmosphäre zwischen den Konkurrenten weniger kühl — die persönliche Rivalität um Rang und Marktstellung dominiert. Das Leistungsergebnis tritt demgegenüber zurück. Daher tendiert der Distanzwettbewerb in der Praxis leicht zu einem Verdrängungswettbewerb, in dem es allein um eine marktbeherrschende Position geht. Es wächst das Risiko, daß Wettbewerb in Macht umschlägt. Der Steuerungs- und Kontrollmechanismus des Wettbewerbs enthält eine weitere Besonderheit. Aus dem erreichten Erfolg resultiert in der Regel ein Prestigezuwachs; Prestige bei der interessierten Öffentlichkeit, die quasi zur Zuschauerin der jeweiligen Wettbewerbsleistungen avanciert. Erfolg in der Sache und Erfolg im Rang kommen der öffentlichen Unternehmensautorität zugute.
Abb. 15 Kontrollmechanismus des Wettbewerbs Leistungsrang
1
Rang
I
Prestige
£
120
4. Die Strukturprinzipien der Wirtschaft
Die Graphik verdeutlicht, daß der Differenz des Ranges in der Regel eine Differenz des Prestiges entspricht: in Form einer wohlwollenden öffentlichen Meinung. Mit der Ausweitung eines Leistungswettbewerbs zu einem Prestigewettbewerb sind viele Nuancen verbunden. Hin und wieder dominiert der reine Geltungstrieb. Der Slogan „keeping up with the Joneses" (Parsons 1972: 144) kennzeichnet eine derartige Geltungskonkurrenz im Konsumsektor, wo es darum geht, den eigenen Konsumstandard ständig dem der Nachbarn anzupassen.
4.3.4 Die Ordnungsbedingungen des Wettbewerbs Wettbewerb ist an eine bestimmte Ordnungsbedingung geknüpft, soll er nicht in die Sozialform des Kampfes, der Macht oder der Kooperation übergleiten. Um Wettbewerb zu gewährleisten, muß die annähernde Homogenität bzw. Gleichheit der Konkurrenten vorausgesetzt werden (Prinzip der approximativen Egalität). Das Postulat der approximativen Egalität kann man an vier Merkmale knüpfen: a) b) c) d)
individuelle oder organisatorische Leistungsqualifikation Ausstattung an Ressourcen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung rechtliche und politische Rahmenbedingungen.
Abb. 16 Ordnungsbedingung des Wettbewerbs
Intervallmittelmaß
Denkbarer Spielraum (Spannbreite) der approximativen Egalität.Wird die Spannbreite an Unterschieden zwischen den Konkurrenten zu groß,sinkt die Wettbewerbsintensität.
4.3. Der Wettbewerb
121
Approximative Egalität bedeutet nicht, daß alle Ausgangsbedingungen für die betreffenden Konkurrenten identisch sind, sondern nur, daß die spezifischen Start- und Handlungsbedingungen sowie die äußeren politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen f ü r alle annähernd gleich sind. Die Unterschiede zwischen den Konkurrenten im Hinblick auf Leistungsqualifikation, Ressourcenausstattung, Informationsmöglichkeiten und politische Rahmenbedingungen dürfen ein bestimmtes M a ß nicht überschreiten. Wettbewerb herrscht nur unter der Bedingung einer maßvollen Leistungsdifferenz. Durch starke Unterschiede in der Leistungsqualifikation wird die approximative Egalität aufgehoben. Ist die Differenz zu groß, entziehen sich einige Konkurrenten dem Kontrollmechanismus des Wettbewerbs durch Überlegenheit oder Macht; andere können wegen ihrer Unterlegenheit nicht mehr mithalten und fallen aus dem Markt heraus. Daher besteht bei zu großer Differenz zwischen den Konkurrenten die permanente Gefahr der Selbstauflösung des Wettbewerbs. Wettbewerb transformiert dann in Macht. Aber ebenso ist es f ü r die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs nachträglich, wenn im Hinblick auf die vier Merkmale der approximativen Egalität nahezu identische Verhältnisse unter den Konkurrenten herrschen. Da wird jeder innovative Schritt des einen unmittelbar und direkt von den anderen wieder kompensiert. Dieser Grenzfall wird auch „isopolistische Lähmung des Wettbewerbs" genannt. Vollständige Leistungsgleichheit und sonstige nahezu identische Bedingungen führen zur Aufhebung des Wettbewerbs, weil keine Chancen bestehen, die Konkurrenten jemals zu überflügeln. Die Aussichtslosigkeit eines Vorsprungs lähmt alle Aktivitäten. Allerdings ist die vollständige isopolistische Lähmung nur ein theoretischer Spezialfall, da es in der Praxis eine absolute Gleichheit unter den Konkurrenten kaum gibt. Der effiziente Wettbewerb schwankt insoweit zwischen zwei Extremen: zwischen dem Umschlagen in eine monopolartige marktbeherrschende Situation und eine Situation der lähmenden Gleichheit, wo die Gefahr von Absprachen den Wettbewerb auszuhöhlen droht. Um Wettbewerb zu ermöglichen, m u ß die Ungleichheit zwischen einem Minimum und M a x i m u m an Leistungsunterschieden liegen. Die Eigendynamik des Wettbewerbs ist also stets mit der Gefahr einer permanenten Selbstauflösung verbunden. Dies ist auch der Grund, warum es so schwer ist, Wettbewerb als Strukturprinzip wirtschaftlichen Handelns zu schützen. Die unzähligen Verordnungen und Gesetze gegen Wettbewerbsbeschränkungen signalisieren häufige Übertretungen und verdeutlichen darüber hinaus, wie schwer es ist, die latente Instabilität des Wettbewerbs durch rechtliche Maßnahmen aufzufangen.
122
4. D i e Strukturprinzipien der Wirtschaft
4.3.5 Das Countervailing-Power-Konzept Einen Ansatz zur Förderung des Wettbewerbs stellt das von Galbraith entworfene Konzept der „gegengewichtigen Marktmacht" (sogenanntes Gleichgewichtsprinzip) dar. Ansatz des Galbraith'schen Konzeptes ist der Gedanke, daß die in der Wirtschaft vorhandene Macht nicht zu beseitigen, sondern nur zu neutralisieren ist. Machtbeseitigung — so Galbraith — ist nicht durchsetzbar. Die Wirtschaft entspricht nicht dem idealen Modell des freien Wettbewerbs, da monopolistische oder oligopolistische Marktformen dominieren. Die wirtschaftliche Wirklichkeit wird in erster Linie von Konzernen bestimmt. So sind in den USA 200 bis 300 Riesenunternehmen für die Hälfte aller wirtschaftlichen Aktivitäten verantwortlich. Dies ist aber nicht schädlich, weil 1. monopolähnliche Großkonzerne wegen ihrer Kapitalkraft für raschen technischen Fortschritt bürgen und 2. weil die Macht der Großunternehmen durch „gegengewichtige Marktmacht" in Schach gehalten bzw. in Schranken verwiesen wird; beispielsweise setzen Gewerkschaften oder große Wohlfahrtsverbände dem Spielraum unternehmerischer Macht Grenzen. Galbraith zufolge gibt es keine unbeschränkte ökonomische Macht. Es bilden sich sowohl in der Wirtschaft wie auch in der Gesellschaft immer Gegengewichte. Gegenüber wirtschaftlicher Macht existieren als Ausgleich entweder die staatliche Macht oder die Macht gesellschaftlicher Gruppierungen, die ihre Interessen durchzusetzen verstehen. Das Gegengewichtsprinzip beruht also auf dem Gedanken des selbstregulativen Ausgleichs wirtschaftlicher Machtverhältnisse (countervailing power). Da aber Macht kaum hinreichend genug meßbar, sondern nur abschätzbar ist, führt das Gegengewichtsprinzip von seiner Konzeption her nur zu annähernd gleichen Machtpositionen. Aber dies reicht aus, um schädliche Machtungleichgewichte zu verhindern (Aberle 1980: 34). Im Falle vertikaler Machtungleichgewichte bildet sich ein annäherndes Gleichgewicht zwischen einem Angebots- bzw. Nachfragemonopol und vielen kleinen Marktteilnehmern auf der Marktgegenseite. Bei horizontalen Machtungleichgewichten bilden Teiloligopole oder Teilmonopole den Ausgangspunkt für entsprechend ähnlich strukturierte Gegengewichtsbildungen; das heißt, es stehen mehrere Teilmonopole einander gegenüber. Die wesentlichen Einwände gegen das Prinzip der gegengewichtigen Marktmacht lauten (Aberle 1980: 35): — Das Gegengewichtsprinzip führt in der Mehrzahl der Fälle zu Marktkonstellationen ähnlich dem zweiseitigen Monopol. Die Gefahr von
4.4. Macht
123
Einigungen zu Lasten Dritter, wie sie im Fall der Tarifparteien bei den Verhandlungen anzutreffen sind, ist beträchtlich. — Es besteht die Tendenz zur Machtspirale. — Das Gegengewicht kann nur in bestimmten Marktstrukturen zu einer Angleichung der Wettbewerbsbedingungen führen.
4.4 Macht 4.4.1 Macht als Strukturprinzip Macht bedeutet die Chance, „innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht" (Weber 1976: 28). Oder Arndt zufolge: „ ö k o n o m i s c h ist Macht stets dann gegeben, wenn sich jemand wirtschaftliche Vorteile auf Kosten Dritter verschaffen kann, die entweder zu schwach sind, um sich dagegen zu wehren, oder davon überhaupt nichts ahnen" (Arndt 1974: 128). Die Geschichte der Wirtschaft ist immerzugleich eine Geschichte wirtschaftlicher Macht. Wirtschaftsordnungen ohne Marktstrukturen sind in den modernen Industriestaaten nicht denkbar. Macht bedeutet aber nicht immer zugleich Mißbrauch von Macht. Macht ist zunächst nur die reale Chance der Durchsetzung des eigenen Willens; vielfach wird Macht nicht nur zum Nachteil anderer, sondern auch im Interesse anderer durchgesetzt. Allerdings enthält das Problem von Machtbeziehungen immer auch den Aspekt ihres möglichen Mißbrauchs. Durch Macht werden viele Beziehungen innerhalb der Wirtschaft und zwischen Wirtschaft und Gesellschaft gestaltet. Als Strukturprinzip ist sie ebenso bedeutend wie Tausch oder Wettbewerb. Wirtschaftsordnungen, in denen das Strukturprinzip der Macht vor allem dominiert, sind Plan- bzw. Zentralwirtschaftssysteme. Aber auch in Marktwirtschaftsordnungen gibt es ein breites Spektrum von Machtbeziehungen. Machtverhältnisse sind Ausdruck grundlegender gesellschaftlicher Beziehungen, durch die die Mitgliedschaft und Handlungsspielräume einzelner Personen und Gruppen in formalen Organisationen wie Unternehmen, Verbänden, Behörden gekennzeichnet werden können. Beispielsweise unterliegen Mitarbeiter in Unternehmen in aller Regel einer bestimmten Macht-, Autoritätsoder Kompetenzhierarchie. An die hierarchische Ordnung ist die Befugnis von
124
4. Die Strukturprinzipien der Wirtschaft
Vorgesetzten geknüpft, Verhalten zu kontrollieren und eigene Entscheidungen durchzusetzen. Dem Steuerbeamten wird beispielsweise seine Kompetenz von den Vorgesetzten in der Steuerverwaltung verliehen. Die Befugnisse der Vorgesetzten resultieren aus Verordnungen und Gesetzen einer legislativen Körperschaft (Parlament). Notfalls kann die Steuerverwaltung auch die Autorität der Gerichte bemühen, deren Macht wiederum auf der Unterstützung durch Gerichtsvollzieher und Polizei beruht (Lindblom 1980: 46). Durch Macht läßt sich also das Verhalten von Menschen direkt und unmittelbar steuern, gegebenenfalls durch Androhung entsprechender Sanktionen im Verweigerungsfall. Daher ist Macht ein Mechanismus sozialer Kontrolle. In dieser Eigenschaft ist er zugleich ein gesellschaftliches Strukturprinzip. Macht als Methode der sozialen Verhaltenssteuerung ist deshalb so wirksam, weil sie im Gegensatz zum Wettbewerb oder Tausch außerordentlich einfach und schnell funktioniert. Zumeist reichen knappe Anweisungen, um Wirtschaftssubjekte zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen. Im Bedarfsfall ist der Einsatz von Macht also „billig" und effizient; der Aufwand für die anderen Steuerungsmethoden wirtschaftlichen Verhaltens wirkt abschrekkend. Wirtschaftssubjekte üben aber nicht nur Macht aus, sie unterliegen selbst vielfältigen Machteinflüssen. Die Machtkanäle verlaufen nicht einseitig. Zumindest in hochentwickelten westlichen Industriestaaten gibt es einen Machtpluralismus in der wirtschaftlichen Ordnung: ein System von countervailing powers, ein System gleichgewichtiger, sich in ihren Wirkungen ausbalancierender Machteinheiten. Folgenden Machteinflüssen unterliegt die Wirtschaft: — dem Staat Beispielsweise können durch M a ß n a h m e n der Fiskal-, Konjunkturoder Sozialpolitik die Prämissen wirtschaftlichen Handelns gegen den Willen der Wirtschaftssubjekte verändert werden. — den Verbraucherschutz- bzw. Interessenverbänden Beispielsweise üben Umweltschutzorganisationen und Verbrauchervereinigungen, politische Parteien und Aktionsgruppen Druck aus, um bestimmte Änderungen im Handlungskodex der Unternehmen durchzusetzuen. — der Öffentlichkeit und den Massenmedien Auch die Öffentlichkeit kann durch dauerhafte Dialoge mit den Unternehmen Einfluß nehmen und gezielten Druck ausüben: zur Wahrneh-
4.4. Macht
125
mung sozialer Funktionen, Berücksichtigung der Chancengleichheit, Einstellung von Unterprivilegierten, Humanisierung von Arbeitsplätzen etc.
4.4.2 Formen wirtschaftlicher Macht Wirtschaft und Unternehmen agieren in verschiedenen Machtsphären. Sofern es die wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen, Verfassung, Gesetze, Verordnungen oder Infrastruktur zulassen, wird Macht in unterschiedlichen Bereichen ausgeübt.
Machtsphären
in der
Wirtschaft
1. Personelle Macht (Verhältnis von Vorgesetzten und Untergebenen) 2. Verfügungsmacht (Verhältnis von Managern und Aktionären) 3. Verbandsmacht (Verhältnis von Unternehmen und Gewerkschaften oder das Verhältnis von Wirtschaftsverbänden und Staat) 4. Politische Macht (Verhältnis von Unternehmen und staatlicher Legislative bzw. staatlicher Exekutive) 5. Kommunale Macht (Verhältnis von Unternehmen und Kommune) 6. Soziale Macht (Verhältnis von Unternehmen und gesellschaftlichen Bereichen wie Sport, Kultur, Massenmedien) 7. Marktmacht (Verhältnis von Unternehmen zu konkurrierenden Unternehmen) 8. Konzernmacht (Verhältnis abhängiger Unternehmen untereinander) 9. Nachfragemacht (Verhältnis von Unternehmen und Zulieferbetrieben) 10. Angebotsmacht (Verhältnis von Unternehmen und Kunden).
Personelle Macht oder
Amtsmacht
Hierbei handelt es sich um Macht aufgrund der hierarchischen Führungspositionen in einem Unternehmen, aufgrund von Eigentumsverhältnissen oder aufgrund von Kompetenz und Wissen. Die Beziehungen zwischen den Mitarbeitern eines Unternehmens oder einer Wirtschaftsorganisation sind in der Regel hierarchisch strukturiert. Jeder hat einen Vorgesetzten, dessen Anweisungen verbindlich sind. Sobald in einem Unternehmen unterschiedliche Funktionen, Tätigkeiten und Aufgaben koordiniert und zu einer gemeinsamen Unternehmensleistung zusammengefaßt werden, wird eine hierarchische Kompetenz- und Verantwortungsstruktur gebildet. Macht, die aus dem hierarchischen Gliederungsprinzip eines Unternehmens resultiert, ist in erster Linie „Funktions- oder Verantwortungsmacht".
126
4. D i e Strukturprinzipien der Wirtschaft
Aber die Kanäle der personellen Macht verlaufen nicht nur von oben nach unten. Sofern in einem Unternehmen Expertenstäbe mit hochgradig spezialisiertem Know-how tätig sind, können sie ihre Macht nicht nur aufgrund ihrer organisatorischen Stellung gegenüber Untergebenen ausüben, sondern auch gegenüber dem Führungsmanagement. Da die leitenden Manager eines Unternehmens häufig nicht mehr über die Sachkompetenz in allen technischen und kaufmännischen Einzelfragen verfügen, sind sie auf die Informationen und das Wissen der entsprechenden Expertenstäbe angewiesen. Personelle Macht ist damit häufig nicht nur Amts- oder Eigentumsmacht, sondern auch Ausdruck einer Informations- bzw. Wissensmacht. Verfügungsmacht Die Manager haben, wie Helge Pross belegt (Pross 1965), ihren Einfluß und ihre Macht gegenüber den Aktionären stetig verfestigt. Bis zum Beginn dieses Jahrhunderts liegt die Unternehmensmacht zumeist in der Hand weniger Personen, denen das gesamte Betriebskapital gehört. Eigentum bedingt zugleich Macht. Mit der Verbreitung der modernen Aktiengesellschaft verteilt sich das Eigentum dagegen auf eine Vielzahl meist anonymer Kleinaktionäre, deren Interessen allenfalls von den Banken vertreten werden. Dem Aktionär als dem Eigentümer fehlt heute in der Regel jede Sachkenntnis, um auf die Unternehmensführung überhaupt noch Einfluß nehmen zu können. Die eigentlichen Kontroll- und Machtbefugnisse geraten in immer stärkerem Maße in die Hände angestellter Manager, deren Eigentumsrechte praktisch gleich null sind (Smelser 1972: 86). Kapital und Management, Verwertung und Verfügung von Besitzrechten fallen heute oft auseinander. Die Geschäftsführung findet vor allem in den großen Unternehmen unabhängig von Eigentumstiteln statt. Eigentum bedingt in den Aktiengesellschaften keine Macht mehr. Im Gegenteil: Macht und Einflußmöglichkeiten privater Kapitalbesitzer, das heißt derjenigen, die über Eigentum verfügen, sind drastisch reduziert; im Gegenzug steigt die Verfügungsmacht der Manager. Die eigentlichen Kontrolleure werden zu den Kontrollierten, die Kontrollierten zu den Kontrolleuren. Die Managerwählen sich selbst und kontrollieren die, von denen sie eigentlich kontrolliert werden sollen (vgl. Arndt 1974: 23). Verfügungsmacht rangiert heute der Tendenz nach vor Besitzmacht. Verbandsmacht
(Macht des
Lobbyismus)
Wirtschaftssubjekte üben nicht nur direkt, sondern auch indirekt über ihre Mitgliedschaft in Verbänden Macht aus. Besonderen Einfluß haben sie durch die legitime Mitwirkung der Verbände bei der Gesetzgebung. Die Mitwirkung
4.4. Macht
127
der Verbände, in der Verfassung durch die Koalitionsfreiheit des Artikels 9 geschützt, ist für die politische Willensbildung sogar konstitutiv. Die Verbände bilden Einflußkanäle, welche die einzelnen Wirtschaftssubjekte mit dem Staat verbinden. Sie werden aktiv, sobald sie sich in ihren Rechten und Interessen berührt sehen. Macht üben die Verbände immer dann aus, wenn ihre Interessen durch das Parlament direkt in die staatliche Willensbildung einmünden, beispielsweise bei der Durchsetzung von Arbeitsschutzgesetzen, Sozialgesetzen, Steuergesetzen etc. Prekär werden ihr Einfluß und ihre Macht allerdings überall dort, wo sie beispielsweise bestimmte staatliche Maßnahmen zu ihren Gunsten gegen den eigentlichen Willen der legislativen Organe provozieren; Beispiel: Protektionsmaßnahmen gegen ausländische Konkurrenz. Da jede Regierung in demokratischen Staaten auf die zentralen wirtschaftlichen Kernfragen wie Arbeitslosigkeit, Wachstum und Inflation nur sehr begrenzt Einfluß nehmen kann, andererseits ihre Wiederwahl vom Erfolg auf diesem Gebiet abhängig ist, haben die Wirtschaftsverbände einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Politik eines Landes. Verbandsmacht wird nicht nur im Außenverhältnis wirksam, sondern auch im Innenverhältnis der Mitglieder untereinander. Neben der äußeren Verbandsmacht gibt es eine innere Verbandsmacht. Gerade in großen Wirtschaftsverbänden dominiert häufig eine Minderheit, die es verstanden hat, ihre Machtposition so zu zementieren, daß es kaum mehr möglich ist, gegen ihren Willen etwas durchzusetzen. Durch Besetzung von Schlüsselpositionen ist es verhältnismäßig leicht, einmal errungene Macht auf Dauer zu etablieren. Die Gefahr der inneren Verbandsmacht besteht darin, daß die veröffentlichte Verbandsmeinung nicht mehr die Auffassung der Mehrheit ihrer Mitglieder repräsentiert, sondern allenfalls die Meinung einiger weniger Funktionäre. Die wichtigsten Wirtschaftsverbände der Bundesrepublik sind: — der BDA (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) vertritt vor allem die Interessen der Unternehmer gegenüber den Gewerkschaften — der BDI (Bundesvereinigung der Deutschen Industrie) Als Spitzenverband von 39 nach Branchen gegliederten Mitgliedsverbänden vertritt der BDI die wirtschaftspolitischen Interessen der Unternehmen in In- und Ausland. — der DIHT (Deutscher Industrie- und Handelstag) Als Spitzenverband der Industrie- und Handelskammern vertritt der DIHT die Interessen der Wirtschaft gegenüber den Organen des Staates (vor allem auf außenhandelspolitischem Sektor).
128
4. D i e Strukturprinzipien der Wirtschaft
— der DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund als Dachverband branchenorientierter Einzelgewerkschaften) Der DGB vertritt die Interessen von ca. 7 Millionen Mitgliedern. Die Gewerkschaften besitzen vor allem in den westlichen Industriestaaten wirtschaftliche und politische Macht, während sie in sozialistischen Ländern zumeist ohne großen Einfluß sind. Die wirtschaftliche Macht der Gewerkschaften beruht 1. 2. 3. 4.
auf ihrer Funktion als Sozialpartner auf ihrem politischen Einfluß in der Legislative und Exekutive auf gewerkschaftseigenen Wirtschaftsunternehmen auf der Institution der Mitbestimmung und insoweit auf der Übernahme von Kontrollfunktionen (vgl. Arndt 1974: 108).
Politische
Macht
Der Einfluß der Regierung auf die Wirtschaft ist heute in den westlichen Industriegesellschaften hoch. Die klassische Laissez-faire-Epoche, die sich dadurch auszeichnete, daß der Staat sich aller Einmischungen und Eingriffe in die Wirtschaftsordnung enthielt, gehört der Vergangenheit an. Heute regiert der Staat durch einen ganzen Katalog von Maßnahmen in die Wirtschaft hinein: Subventionen, Steuergesetzgebung, Zollverordnung, Abgaben, Umweltauflagen, Konjunkturprogramme, Sozialgesetzgebung, Förderungsund Forschungsprogramme etc. Seine Aktivitäten erstrecken sich zudem auf viele Gebiete: Unternehmer-Arbeitnehmer-Beziehungen durch Mitbestimmungsgesetze, Ruhestandsregelung, Arbeitszeitverordnung, Sozialversicherung. Im Grenzfall steuert die Politik den gesamten wirtschaftlichen Produktionsprozeß wie in sozialistischen Wirtschaftsordnungen. Inwieweit umgekehrt die Wirtschaft nicht als Verband, sondern durch den Einfluß einer ökonomischen Führungselite Macht auf die politischen Organe eines Staates ausübt, ist empirisch weitgehend unerforscht. Das Problem hat vor allem den amerikanischen Soziologen C. W. Mills beschäftigt. Mills ist der Ansicht, daß die Schalthebel der Macht in den USA in den Händen einer kleinen Gruppe von Wirtschaftsmanagern und Militärs liegt (Mills 1962). Die eigentliche Macht gewann die Wirtschaftselite vor allem in der Zeit zwischen 1866 und 1919. Sie bestimmte durch den „ K a u f von Gesetzen und Abgeordneten das gesamte politische Geschehen in der damaligen Zeit (Mills 1962: 300 ff.). Inzwischen — so Mills — besetzen die Manager und Militärs alle wichtigen Schlüsselpositionen im Staat. Gemeinsam mit der politischen Führungsriege bilden sie eine Machtelite. Eine Machtelite, die zwischen den Bereichen der Politik, des Militärs und der Wirtschaft zirkuliert, sich durch gemeinsame Herkunft, gemeinsame Interessen, gemeinsame Überzeugungen auszeichnet und auch in jeweils neuen Positionen die gleichen Einstellungen beibehält.
4.4.
Macht
129
Die Machtelite ist eine kleine überschaubare Führungsgruppe, da die Wirtschaft in den USA im wesentlichen von 200 bis 300 Großunternehmen beherrscht wird, die eng miteinander verflochten sind. Ihre führenden Vertreter haben durch persönliche Beziehungen Zutritt zu politischen Gremien; häufig genug nehmen die Spitzenmanager selbst wichtige Regierungsämter ein. Unter diesen Umständen ist es leicht, wirtschaftliche Macht direkt in politische Macht umzusetzen; beispielsweise durch Unterstützung politischer Kampagnen, Spenden an Parteien und Politiker, Beratung und Mitwirkung bei Gesetzen. Um Art und Ausmaß einer solchen Machtverflechtung von Wirtschaft und Politik zu kennzeichnen, notiert Mills: Was gut ist für General Motors, ist auch gut für die Vereinigten Staaten und umgekehrt (Mills 1962: 318).
Kommunale
Macht
Ein besonderes Problem wirtschaftlicher Macht ist der Unternehmenseinfluß auf die Gemeindepolitik; vor allem überall dort, wo die Industrie einer Region aus einem einzigen Unternehmen oder einem einzigen Industriezweig besteht. Eine Stadt, die ihre Existenz im wesentlichen der Gewerbesteuer und den Arbeitsplätzen eines einzigen Großunternehmens verdankt, beispielsweise wie Ludwigshafen der BASF, Wolfsburg VW, wird kaum gegen den Widerstand des Unternehmens Politik machen können. Die jeweiligen Unternehmensinteressen können — inwieweit, ist ungeklärt — einen beherrschenden Einfluß auf die kommunalen Entscheidungsprozesse ausüben. Ob sie es tatsächlich tun, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Vielfach erlegen sich die Unternehmen unter dem Druck einer sensiblen öffentlichen Meinung ein bestimmtes M a ß an Selbstbeschränkung auf. Beispiele möglicher kommunaler Machtausübung: — Standortwahl Die Unternehmen können vielfach die Bedingungen der Ansiedlung selbst formulieren. Je nach Unternehmensgröße werden Zugeständnisse bei Grundstückspreisen, Erschließungskosten, Infrastrukturmaßnahmen, partiellem Verzicht auf Gewerbesteuer, durch verbilligtes Bauland für Führungskräfte, bezuschußte Mieten f ü r Unternehmensangehörige, Investitionszuschüsse, verbilligte Energieversorgung etc. geleistet. — Umweltvorschriften Viele Gemeinden verzichten auf eine Verschärfung von Umweltvorschriften bzw. erteilen sogar Sondergenehmigungen, die eine Überschreitung der von ihnen selbst in den Verordnungen verfügten Höchstgrenzwerte erlauben, sofern die Unternehmen mit Abwanderung drohen.
130
4. Die Strukturprinzipien der Wirtschaft
— administrative Maßnahmen der Gemeinde In der Vergangenheit haben Unternehmen erfolgreich Widerstand gegen Pläne zur Gewerbesteuererhöhung geleistet.
Gesellschaftliche
Macht
Inwieweit die Wirtschaft gesellschaftliche Macht ausübt, ist ebenfalls ungeklärt. Beispiele, die belegen, in welcher Weise die Wirtschaft in gesellschaftliche Bereiche hineinregiert, sind die jüngsten Entwicklungen im Spitzensport. Jede Sportart, die auf breite Publizität und öffentliches Interesse stößt, wird konsequent zum Vehikel der Selbstdarstellung von Produkten und Dienstleistungen genutzt. Indem Unternehmen Kapital in bestimmte Sportarten investieren, steuern sie zugleich deren Entwicklung. In letzter Konsequenz wird der Sportler zum Angestellten eines Unternehmens, der Sport als solcher zum Gegenstand wirtschaftlicher Interessen. Ein anderes Beispiel ist die gesellschaftliche Macht, die ein Presse- oder Medienunternehmen ausüben kann, sofern es eine marktbeherrschende Stellung einnimmt. Die Vielfalt des Pressewesens, die als Garant der Meinungsfreiheit und des Meinungspluralismus im Sinne des Artikels 5 des Grundgesetzes fungiert, wird durch die Pressekonzentration ausgehöhlt. In den vergangenen 20 Jahren haben in der Bundesrepublik beachtliche Konzentrationsprozesse stattgefunden. Sofern eine auflagenstarke Zeitung in einem begrenzten lokalen Markt einen redaktionellen Verhaltensspielraum besitzt, der weder von konkurrierenden Zeitungen kontrolliert noch mit entsprechenden Gegenpositionen kompensiert werden kann, handelt es sich nicht nur um eine wirtschaftliche Machtstellung, sondern auch — und darin liegt die gesellschaftliche Macht — um eine im Vergleich zu den Mitbewerbern überragende Meinungs- und Informationsposition. Oder umgekehrt formuliert: Die gesellschaftliche Macht eines marktbeherrschenden Medienunternehmens äußert sich darin, daß der f ü r demokratische Gesellschaften konstitutive Meinungspluralismus als solcher gefährdet ist. Die Marktzutrittschance und damit Meinungszutrittschance konkurrierender Unternehmen ist besonders dadurch erschwert, daß die Existenz einer Zeitung zu einem wesentlichen Teil an das Anzeigengeschäft gekoppelt ist. Leser- und damit Meinungs- sowie Anzeigenmarkt stehen in gegenseitiger Wechselbeziehung zueinander. Die Auflagenhöhe bestimmt das Anzeigenaufkommen, und das Anzeigenaufkommen bestimmt wiederum die finanzielle Stärke eines Unternehmens, die sich im redaktionellen, meinungsbildenden Teil einer Zeitung niederschlägt. Daher sind wirtschaftliche und gesellschaftliche Macht eines Presseunternehmens untrennbar miteinander verbunden.
4.4. Macht
131
Marktmacht Marktmacht äußert sich in der Möglichkeit von Unternehmen, durch individuelle Handlungen gegen den Willen möglicher Konkurrenten die für sie bedeutsamen Marktdaten zu beeinflussen. Immer wenn die konstitutiven Aktionsparameter eines Unternehmens ohne Rücksicht auf Konkurrenten steuerbar sind, liegt Marktmacht vor. Marktmacht erweitert die planbaren Verhaltens- und Entscheidungsspielräume eines Unternehmens. Sie sind Ausdruck eines nicht funktionierenden, unvollkommenen Wettbewerbs. Marktmacht entsteht durch: a) rechtliche Monopolstellungen (beispielsweise staatliche Monopolbetriebe wie die Post), Marktzugangsbeschränkungen durch Kontingentierungen, Gebietsschutz eines Unternehmens durch Zollschranken. Als Monopolist hat ein Unternehmen die Macht, die Aktionsparameter seines Handelns selbst zu bestimmen. b) natürliche Monopolstellungen (z. B. alleinige Ressourcenverfügbarkeit) c) Unternehmensstellung aufgrund von Innovationen und Leistungsvorsprüngen d) Unternehmenszusammenschlüsse (Fusionen, Konzerne) e) Kooperation und Koordination von Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen (von Verhaltensabsprachen bis hin zu organisierten Syndikatskartellen).
Konzernmacht Machtsphären der Wirtschaft bilden sich auch durch Kapitalverflechtungen heraus. Durch Beteiligung wird es möglich, einen beherrschenden Einfluß auf andere Unternehmen auszuüben (Beherrschungsverträge). Die vielfältigen Konstruktionen möglicher Beteiligungsformen lassen sich als Konzernmacht bezeichnen. Bei einem Konzern handelt es sich um die Zusammenfassung rechtlich selbständiger Unternehmen zu einer wirtschaftlichen Einheit. Die Konzernbildung erfolgt überwiegend durch Anteilserwerb anderer Unternehmen. Die finanzielle Verflechtung spricht für die Vermutung eines direkten Machtverhältnisses zwischen beherrschenden und abhängigen Unternehmen. Grundlage für die Abhängigkeitsbeziehung ist auch hier, daß der Wille des beherrschenden Unternehmens durchgesetzt werden kann. Maßgeblich ist in der Regel der Umfang der Beteiligung.
132
4. Die Strukturprinzipien der Wirtschaft
Man unterscheidet zwischen zwei Konzernarten: a) Unterordnungskonzerne In Unterordnungskonzernen gibt es eine direkte Abhängigkeit zwischen Konzernmitgliedern und Konzernspitze. b) Vertragskonzerne Beim Vertragskonzern handelt es sich meist um eine rein kapitalmäßige Verflechtung zwischen verschiedenen Unternehmen, ohne daß die abhängigen Unternehmen der Leitungsbefugnis beherrschender Unternehmen unterliegen. Eine Sonderform der Konzerne sind die sogenannten multinationalen Konzerne. Multinationale Konzerne sind dadurch gekennzeichnet, daß sich ihr Produktionspotential bzw. ihre Leistungserstellung auf mehr als einen Staat erstrecken. Die Leitung der multinationalen Unternehmen sowie ihrer einzelnen Länderorganisationen erfolgt durch einheitliche Führung der Konzernspitze, die die strategische Politik aller Teilpotentiale festlegt. Zwischen den verschiedenen Teilen eines multinationalen Unternehmens bestehen grenzüberschreitende Aktivitäten (Ressourcen, technisches Wissen) sowie grenzüberschreitende Transferbeziehungen (Zahlungen). Die Macht multinationaler Unternehmen erstreckt sich auf folgende Felder: 1. Multinationale Unternehmen sind in der Lage, Marktverdrängungsstrategien in bestimmten Ländern durchzuführen. Konzerninterne Kompensationsmöglichkeiten erlauben partielle Verluste in einigen Ländern und damit Marktanteilserfolge auf Kosten kleinerer Unternehmen. 2. Auch die große Ressourcenverfügbarkeit dieser Unternehmen beinhaltet ein gewisses Potential wirtschaftlicher Macht in den jeweiligen Domizilländern. Häufig erfolgt die arbeitsbedeutsame Ansiedlung in einigen Ländern mit der Verleihung monopolartiger Rechte (Marktzugangsbeschränkungen für Wettbewerber). 3. Multinationale Unternehmen sind ferner in der Lage, die Politik einer Volkswirtschaft zu beeinflussen, a) indem sie Produktionsstätten aus Hochlohnländern in Niedriglohnländer verlagern (Folge: Arbeitslosigkeit), b) indem sie Einfluß auf die Fiskalpolitik eines Landes nehmen (Verlagerung von Gewinnen in Länder mit niedriger Besteuerung) und c) indem sie die Informations- und Wissensmacht ihrer Expertenstäbe für gesetzliche Ausnahmeregelungen und allgemeine Gesetzesmodifikationen zu ihren Gunsten einsetzen.
133
4.4. Macht
Die makrostrukturellen Folgewirkungen von Konzernbildungen bestehen darin, daß mittelständisch strukturierte Wirtschaftsbereiche in Märkte von Großunternehmen umgeformt werden. Sie bilden wiederum Anstöße zu weiteren Fusionen. Die Konzentration in der Wirtschaft nimmt zu. Konzentrationsprozesse in der Wirtschaft bedingen zugleich die Konzentration wirtschaftlicher Macht. Sie beruht — — — — —
auf der Preis- und Beschäftigungsautonomie auf finanziellen und materiellen Ressourcen auf geistigen Ressourcen (Wissen von Expertenstäben) auf der technischen Organisation auf Möglichkeiten der Beeinflussung von Medien und öffentlicher Meinung.
Der Konzentrationsgrad der deutschen Wirtschaft hat ein wettbewerbspolitisch bedenkliches Maß erreicht. Er wird statistisch gemessen durch die sogenannten Konzentrationskoeffizienten. Die Koeffizienten geben an, welche Anteile am Umsatz oder an der Zahl der Beschäftigten auf die jeweils drei oder sechs größten Unternehmen in einem Industriezweig entfallen. Nach den Konzentrationsberechnungen lag 1975 im Durchschnitt der Anteil der drei (sechs) größten Unternehmen am Umsatz der einzelnen Industriegruppen bereits bei 25,3 % (34,5 %). Doch der Konzentrationsgrad zwischen den einzelnen Industriebranchen streut stark (Aberle 1980: 113).
Angebots- und
Nachfragemacht
Angebots- und Nachfragemacht ist immer dann gegeben, wenn die Chance zwischen mindestens zwei Wirtschaftssubjekten ungleich verteilt sind. Vom Begriff her bedeuten Angebots- bzw. Nachfragemacht, daß ein positiver Machtsaldo zu Gunsten der Anbieter (Nachfrager) vorhanden ist. Ein Unternehmen übt Macht aus, wenn es so stark ist, daß es bestimmte Aktionsparameter des Handelns anderer bestimmen kann, also den Lieferanten Preise, Qualitäten, Produktdifferenzierung, Produktionsverfahren, Investitionen vorschreiben kann. Schwächere Wirtschaftseinheiten werden zu Umwertungen gezwungen. Sie stehen vor der Wahl, sich zu unterwerfen oder einen Machtkampf zu riskieren, bei dem sie — wie sie befürchten — unterlegen sind (Arndt 1974: 135 f.). Daimler Benz beschäftigt beispielsweise mehr als 30.000 Zulieferbetriebe, die teilweise vom Konzern so abhängig sind wie dessen eigene Abteilungen. Auch durch Strukturveränderungen im Handel (insbesondere durch Einkaufszusammenschlüsse) hat sich das Problem der Nachfragemacht verschärft.
134
4. Die Strukturprinzipien der Wirtschaft
Aber es zeichnen sich auch gegenläufige Tendenzen ab. Das Verhältnis zwischen Unternehmern und Verbrauchern ist durch „gegengewichtige Marktmacht" gekennzeichnet. Als Gegenmacht stehen den Unternehmern hocheffektive Verbrauchervereinigungen gegenüber, die durchaus imstande sind, bei Verletzung der eigenen Interessen einen entsprechenden Widerstand zu organisieren (beispielsweise Boykottaufrufe). Neben Einzelunternehmen üben vor allem Kartelle Angebots- und Nachfragemacht aus. Man unterscheidet zwischen Angebots- und Nachfragekartellen. Kartelle sind institutionalisierte Zusammenschlüsse von Marktteilnehmern. Die Mitglieder behalten aber ihre volle rechtliche und wirtschaftliche Selbständigkeit, soweit bestimmte Handlungsparameter nicht durch die vertragliche Kartellvereinbarung der individuellen Gestaltung entzogen sind. Im Kartellvertrag ist der Gegenstand der Verhaltensabstimmung definiert: Preise, Mengen, Quoten, Konditionen, Rabatte, Werbemaßnahmen, Rationalisierungsvorhaben, Forschungsaktivitäten, Marktaufteilungen. Kartelle üben Macht aus, indem sie über ein bestimmtes Marktpotential aufgrund von Absprachen verfügen. In der Bundesrepublik sind bestimmte Formen von Kartellen zugelassen: die sogenannten Bagatellkartelle. Als Bagatellkartelle bezeichnet man die genehmigten Fusionen einer Reihe kleinerer, meist mittelständischer Unternehmen auf entsprechenden Antrag beim Kartellamt. Sie fungieren als Gegenmacht gegenüber dem marktbeherrschenden Einfluß von Großunternehmen oder multinationalen Konzernen. Man unterscheidet ferner zwischen nationalen und internationalen Kartellen. Nationale Kartelle agieren innerhalb der Grenzen einer Wirtschaftsgemeinschaft. Beispiel: Submissionskartell der Bauunternehmen. Submissionskartelle sind bundesweit operierende Ausschreibungskartelle, die dadurch Angebotsmacht ausüben, daß sie Absprachen Uber Bauangebotsofferten mit Angabe eines Niedrigstangebotes und höheren Scheinangaben der übrigen Ausschreibungsteilnehmer treffen. Das bekannteste Beispiel eines internationalen Kartells ist der Zusammenschluß einer Reihe von ölländern in der OPEC, die gemeinsam über Liefermengen und Lieferpreise entscheiden. Zweifellos hat die O P E C bereits mehrfach nachhaltigen wirtschaftlichen Einfluß auf die Industriestaaten ausgeübt. Durch den ölboykott 1974 haben sich viele wirtschafts- und sozialpolitische Rahmendaten gegen den Willen der Abnehmerländer geändert. Die Arbeitslosigkeit erhöhte sich, die Inflationsrate stieg, die Zahlungsbilanz verschlechterte sich, der Wohlfahrtsstaat wurde zumindest in einigen Grundelementen erschüttert.
4.5. Die persuasive K o m m u n i k a t i o n
135
Eine Sonderform von wirtschaftlicher Macht bilden die sogenannten QuasiKartelle. Als Quasi-Kartelle bezeichnet man die personelle Verflechtung von Unternehmen in den Aufsichtsräten. Besonders die Großbanken besitzen eine dominierende Stellung in vielen Aufsichtsräten von Großunternehmen. Aus diesem Grunde laufen in den Banken wichtige Informationen aus vielen Unternehmen zusammen. Großbanken werden zu Schaltzentralen wirtschaftlicher Macht. Ihre Informationen und ihr Wissen ermöglichen es ihnen, einen gezielten Einfluß in den Unternehmen auszuüben. Wirtschaftliche Macht aufgrund eines Informationsvorsprungs bezeichnet man auch als InsiderMacht.
4.5 Die persuasive Kommunikation 4.5.1 Begriffsklärung Unter persuasiver Kommunikation versteht man im wörtlichen Sinn „überredendes" oder „überzeugendes" Kommunizieren. Unternehmen, Verbände, wirtschaftliche Organisationen und Konsumenten stehen unter einem permanenten Sperrfeuer von Analysen, Mitteilungen, Botschaften, Reden, Gesprächen, formellen und informellen Dialogen, Symbolen, kurz: von Informationen aller Art. Der wirtschaftlich tätige Mensch ist vielen kommunikativen Kanälen ausgesetzt. Seine Wahrnehmungen müssen gewollt oder ungewollt auf eine Flut von informativen Reizen reagieren. Wenn mit Hilfe kommunikativer Techniken versucht wird, eine Art Bewußtseinssteuerung oder Bewußtseinseinwirkung vorzunehmen, kann damit wirtschaftliches Handeln kontrolliert werden. Sofern also jemand aufgrund von Appellen, suggestiven Propagandakampagnen, Informationen, überzeugenden Argumenten, kurz: aufgrund von persuasiver Kommunikation in seinen wirtschaftlichen Entscheidungen beeinflußt wird, liegt ein Mechanismus sozialer Steuerung vor. Und eben darum ist persuasive Kommunikation ein wirtschaftliches Strukturprinzip. Die Werbebotschaft, die den Verbraucher zu einem Kauf aktiviert, ist soziologisch nichts anderes als eine besondere F o r m der persuasiven Kommunikation: Der Verbraucher wird zu einer kommerziellen Transaktion „überredet". Also liegt ein Mechanismus sozialer Steuerung vor. Damit unterscheidet sich persuasive Kommunikation durch die Art ihres Steuerungs- und Kontrollmechanismus deutlich von Wettbewerb, Tausch oder Macht. Die Verhaltenssteuerung der Wirtschaftssubjekte erfolgt hier nicht durch Erfolgsanreize, durch die Androhung von Sanktionen oder
136
4. Die Strukturprinzipien der Wirtschaft
Tauschinteressen, sondern allein durch kommunikative Prozesse. Vermutlich spielt die persuasive Kommunikation noch nicht die gleiche Rolle wie die übrigen Strukturprinzipien wirtschaftlichen Handelns, doch scheint ihr Stellenwert in den hochentwickelten Industriegesellschaften deutlich zuzunehmen. Das Strukturprinzip der persuasiven Kommunikation äußert sich in verschiedenen Formen der einseitigen Beeinflussung und des gegenseitigen Überzeugens. Es lassen sich drei Arten der persuasiven Kommunikation unterscheiden: a) die werbetaktische Kommunikation b) die politische und ideologische Kommunikation c) das Strukturprinzip der kommunikativen Marktöffentlichkeit.
4.5.2 Die werbetaktische Kommunikation Die bekannteste Strategie der Überredung ist die der Werbung. M a n wirbt für sich und seine Ansichten. Man wirbt für Ideen. M a n wirbt f ü r Programme von Parteien und weltanschaulichen Gruppierungen, und man wirbt auch für Produkte und Dienstleistungen. Werbung wird heute zumeist unter Verwendung großer Mittel und Ressourcen veranstaltet. Um zum Ziel zu kommen, wird ein breites Spektrum reklametechnischer Taktiken sowie ein ausgefeiltes Instrumentarium unterschiedlicher Medien eingesetzt. Dabei geht es darum, die Adressaten zu „mediatisieren", das heißt mit suggestiven Informationen zuzudecken. Die zumeist sozialpsychologisch geschickt inszenierten und reklametechnisch professionell arrangierten Kommunikationsformen dienen der Herstellung bestimmter Klischees, um das Verbraucherverhalten zu beeinflussen. Werbung als ein Prinzip der persuasiven Kommunikation gleicht einer Art demonstrativen Appells an die spontane Akklamationsbereitschaft des Verbrauchers. In der Mobilisierung kurzfristiger Kaufentscheidungen liegt die Wirkung dieser Form der überredenden Kommunikation.
4.5.3 Die politische und ideologische Kommunikation Die politisch-ideologische Kommunikation ist eine zentral gesteuerte, zumeist staatliche Form der massiven politischen Überredung, der gezielten Propaganda oder der alles durchdringenden ideologischen Indoktrination. Dieser Typus der persuasiven Kommunikation ist vor allem ein Instrument administrativer Systeme (zum Beispiel der Planwirtschaftssysteme oder faschistischen Systeme). Lindblom nennt eine Wirtschaftsordnung, die auf Überredung als wichtigste Form der sozialen Steuerung beruht, „präzeptorale Systeme".
4.5. Die persuasive K o m m u n i k a t i o n
137
Ein präzeptorales System ist ein System sozialer Steuerung und Kontrolle mittels höchst einseitiger Meinungsbeeinflussung seitens einer Herrschaftselite, die sich auf eine höhere Vernunft, tiefere Einsicht, richtige Idee oder verbindliche Ideologie beruft. Persuasive Kommunikation als präzeptorales System deckt eine Vielfalt von Kommunikationsprozessen ab: Vor allem Indoktrination, Schulung, Propaganda, Beratung, Erziehung und Gedankenkontrolle sind die Methoden, die eingesetzt werden, um erwünschte Reaktionen hervorzurufen. Sie zielen im Grenzfall auf eine Transformation der Persönlichkeit, der Schaffung eines „neuen Menschen", wie er vor allem in kommunistischen und faschistischen Systemen angestrebt wird. Zweck und Ziel der persuasiven Kommunikation ist es, die Menschen zu veranlassen, die Autorität anderer von sich aus anzuerkennen, ohne daß dazu die Androhung von Sanktionen erforderlich wäre. Im Nationalsozialismus wurde die Indoktrination als Mittel sozialer Steuerung eingesetzt, „um das Bewußtsein der Menschen in Beschlag zu nehmen, so daß diese freiwillig' das tun würden, was durch härtere Maßnahmen dann nicht mehr erzwungen zu werden brauchte. Der Nationalsozialismus versuchte, alle alternativen Quellen der Überredung zu unterdrücken, um dann durch Radio-Propaganda und pomphaftes Gepränge den Geist der Untertanen zu prägen" (Lindblom 1980:99). In dieser Erscheinungsform wird persuasive Kommunikation neben dem Prinzip der Macht fast schon zum konstitutiven Merkmal, zum Definitionselement eines ganzen Systems. Sie erscheint als eine Methode der Verhaltenssteuerung, durch die pluralistische Bindungen beseitigt werden und die Menschen im Hinblick auf neue Gemeinschaftsideen mobilisiert werden. Daher wird ein politisches System, in dem dieser Typus der persuasiven Kommunikation vorherrscht, auch als Mobilisierungssystem bezeichnet — im Unterschied zu autoritären und marktorientierten Gesellschaften, deren Energie sich in erster Linie auf die Verfolgung individueller Interessen konzentriert. Doch auch in demokratischen Wirtschaftsordnungen spielt der politische Typ der persuasiven Kommunikation eine wichtige Rolle. Appelle an Staatsbürger und Unternehmer, wie sie von Wirtschaftspolitikern, Verbands- und Medienvertretern unter verschiedenen Umständen immer wieder geäußert werden, zielen auf dieselbe Wirkung: auf die Einflußnahme in ökonomische Handlungsparameter (Beispiel: Maßhalteappelle, Appelle zur Schaffung von Arbeitsplätzen).
4.5.4 Das Strukturprinzip der kommunikativen Marktöffentlichkeit Die dritte und für die hochentwickelten Wirtschaftssysteme wichtigste Form der persuasiven Kommunikation ist die kommunikative Marktöffentlichkeit oder einfach Marktöffentlichkeit (vgl. Büß 1983).
138
4. Die Strukturprinzipien der Wirtschaft
In den modernen westlichen Volkswirtschaften unterliegt das wirtschaftliche Handeln nicht nur ökonomischen Marktdaten, sondern zunehmend einem neuartigen Steuerungsprinzip. Seine Ursache und Wirkung gründen auf dem Einfluß öffentlicher Interessen im wirtschaftlichen Handeln. Wenn persuasive Kommunikation nicht auf manipulative Überredung zielt und auch nicht auf einem Feldzug moderner Reklametechnik beruht, sondern auf einer kritischen Auseinandersetzung zwischen öffentlichen Interessen und wirtschaftlichen Handlungsnotwendigkeiten, dann kann man von Marktöffentlichkeit sprechen. Die Marktöffentlichkeit ist eine Form der persuasiven Kommunikation, durch die versucht wird, die Fronten wirtschaftlicher Rationalität zu durchbrechen und ein gesteigertes Verständnis für die sozialen Implikationen wirtschaftlicher Prozesse zu erzeugen. Die kommunikative Marktöffentlichkeit ist ihrem Wesen nach verständigungsorientiert, partizipativ, pluralistisch, demokratisch. Sie ist ein Mechanismus sozialer Steuerung, sofern die Unternehmen und sonstigen Wirtschaftssubjekte öffentliche Interessen in ihren Entscheidungen von sich aus berücksichtigen. Während unter den Bedingungen des Wettbewerbs kommerzielle Gesichtspunkte wie Faktormobilität, Renditeoptimierung, Wachstum, Innovation etc. die Handlungen der Wirtschaft bestimmen, geht die Marktöffentlichkeit über die ökonomischen Grenzen des Marktes hinaus. Sie entwickelt einen Dialogprozeß zwischen Unternehmen und Publikum. Symptomatisch für die Wirkung der Marktöffentlichkeit sind jene Situationen, in denen sich die Unternehmen nicht mehr nur auf die Lösung rein ökonomischer Probleme beschränken, sondern unter dem Druck der öffentlichen Meinung ihre Aufmerksamkeit auch auf die gesellschaftlichen Konsequenzen ihres Verhaltens richten. Heute wird einfach erwartet — und in diesem Erwartungsdruck liegt soziologisch gesehen der Steuerungs- und Kontrollmechanismus der Marktöffentlichkeit — daß die Unternehmen etwa angesichts der Umweltprobleme auch Fragen der privaten Lebenswelt in ihre ökonomischen Dispositionen einbeziehen. Oder daß sie Fragen der Mitbestimmung, des Führungsstils, der Humanisierung von Arbeitsplätzen, der Chancengleichheit, des Erhalts von Arbeitsplätzen in ihren Entscheidungsverfahren berücksichtigen, selbst wenn dies den wirtschaftlichen Erfordernissen widersprechen sollte. Gleichgültigkeit der Wirtschaft gegenüber öffentlichen Problemen wird zunehmend als unberechtigt angesehen. Wirtschaftliches Handeln gerät dort in Legitimationsnöte, wo es öffentliche, kommunale und soziale Belange ignoriert. Darin liegt die Kraft der neuen Marktöffentlichkeit. Das Attribut „öffentlich" bedeutet also, daß das wirtschaftliche Handeln zumindest teilweise einem Strukturprinzip unterliegt, das die strikte Selbstbindung eines Unternehmens an wirtschaftliche Daten aufhebt und im Gegenzug die wirtschaftlichen Handlungskriterien einer sensibilisierten öffentlichen Meinung
4.5. Die persuasive K o m m u n i k a t i o n
139
unterstellt. Über die Marktöffentlichkeit regiert die Gesellschaft in die kommerzielle Binnensphäre der Wirtschaft hinein. Die Marktöffentlichkeit macht die gesellschaftlichen Prozesse für die Wirtschaft zum Thema. Dem Strukturprinzip der Marktöffentlichkeit liegt gedanklich ein Kreislaufmodell zugrunde. Die Wirtschaft übt Einfluß auf die Gesellschaft aus, ihre Technologien verändern die Umwelt, verändern Konsum- und Freizeitgewohnheiten, verändern schließlich die Wertprioritäten der Menschen. Die Gesellschaft wiederum, unmittelbar betroffen, reagiert. Sie formuliert neue Forderungen, erhebt Ansprüche und meldet Interessen auf bessere Arbeitsund Umweltbedingungen an. Daraufhin entwickeln sich in der Wirtschaft wiederum veränderte Handlungsparameter, veränderte Prioritäten. Je besser dieser Kreislauf funktioniert, umso nachhaltiger ist die Wirkung der Marktöffentlichkeit. Die Kraft der Marktöffentlichkeit ist letztlich die Kraft der öffentlichen Meinung, die sich auf die Entfaltung öffentlicher Tugenden in den hochentwickelten Marktbeziehungen richtet. Je stärker der Druck der Marktöffentlichkeit über die verschiedenen Formen der Massenmedien wächst, umso spürbarer wird ihre Bedeutung im wirtschaftlichen Alltag. Die Marktöffentlichkeit avanciert damit neben Wettbewerb, Tausch und Macht zum vierten konstitutiven Strukturprinzip wirtschaftlichen Handelns.
Entwicklungsbedingungen
der
Marktöffentlichkeit
Die Geltung der Marktöffentlichkeit hängt eng mit den Funktionen des Wettbewerbs zusammen. Wettbewerb wird verstanden als endlose Kette einzelner nacheinander auftretender Verkaufschancen. In dieser Eigenschaft des Wettbewerbs liegt ein repressives Element. Es drückt sich darin aus, daß jedes Unternehmen ständig mit Konkurrenzübergriffen rechnen muß; das heißt, daß es sich kontinuierlich gegenüber scharfen Konkurrenzwiderständen immer wieder neu behaupten muß. Angesichts dieses Umstands hat der Wettbewerb eine wichtige praktische Konsequenz: Die Unternehmen werden alle sich bietenden Möglichkeiten nutzen, um nicht ständig den Unwägbarkeiten eines scharfen Wettbewerbsdrucks ausgesetzt zu sein. Sie werden bemüht sein, den Druck der Konkurrenz zu unterlaufen bzw. sich vor den ungewissen Auswirkungen der Wettbewerbsordnung zu schützen. Zudem werden vor allem in komplexen Märkten schon aus Gründen der Planungssicherheit (Vorlaufzeit neuer Produkte, Vorlaufzeiten neuer Investitionen) die Unternehmen bemüht sein, sich vor überraschenden Maßnahmen der Konkurrenz abzuschirmen. Die Unternehmen sind vielfach an einem Punkt angelangt, an dem nicht die Sicherstellung oder gar Verschärfung von Rivalitätsverhältnissen Kernstück
140
4. Die Strukturprinzipien der Wirtschaft
ihrer Bemühungen sind, sondern die Stabilisierung ihrer eigenen Marktposition. Sie sind zunächst aus rein kommerziellen Gründen interessiert, sich eine Marktsonderstellung zu schaffen, die sie gegenüber Konkurrenzaktivitäten relativ immun macht. Dies können sie dadurch erreichen, daß sie versuchen, dauerhafte, feste, direkte und enge Beziehungen zu einem eigenen Kundenstamm zu entwickeln. Je stärker und verläßlicher die gegenseitige Bezogenheit von Unternehmen zu einem mit ihnen korrespondierenden Verbrauchersegment ist, umso eher ist es einem Unternehmen möglich, den Wettbewerb zu unterlaufen. Im Grenzfall werden die Rivalitätsverhältnisse sogar gegenstandslos. Auch die Kunden haben ein Interesse, bestimmte Vertrauensbindungen zu einem Unternehmen einzugehen, da es ihnen häufig gar nicht mehr möglich ist, angesichts der Komplexität moderner Märkte vor jeder Kaufentscheidung ein zeitlich aufwendiges Auswahlverfahren durchzuführen. Die Interessen beider Seiten ermöglichen es den Unternehmen, mit ihren Kunden einen exklusiven Kodex von Beziehungen aufzunehmen. In letzter Konsequenz zielen die Unternehmen auf geregelte Interaktionen, die durch ihre Exklusivität eine Art „firmenspezifische Klientel" schaffen sollen, die gegenüber Konkurrenzangeboten relativ resistent sind. Faktisch bedeutet diese Situation aber, daß die Unternehmen, die Schutz vor Wettbewerb über eine kommerziell fundierte dauerhafte Verbraucher- bzw. Publikumsbindung anstreben, im Gegenzug mit dem sozialen Umfeld und den öffentlichen Interessen eben „ihres" Publikums konfrontiert werden. Dies ist der Ausgangspunkt für die Entwicklung der Marktöffentlichkeit als eines gesellschaftlichen Strukturprinzips. Die Kunden treten aus ihrer Anonymität heraus. Sie werden zu Staatsbürgern. Sind die Verbraucher im Modell des Wettbewerbs eine anonyme, rational agierende, rein abstrakte Nachfrageeinheit, so werden sie jetzt zu einer sozialen Größe, durch die eine ganze Reihe gesellschaftlicher Faktoren f ü r die Unternehmen maßgebliche Bedeutung erhalten. Das Unternehmen kann auf seine Klientel nicht mehr wie auf atomisierte Individuen reagieren, sondern nur noch wie auf Vertreter von Positionen, denen bestimmte Rechte, Interessen und Werte eigen sind; Wertmaßstäbe, die eine gesteigerte Empfindlichkeit im Hinblick auf die moralischen, biologischen oder humanen Wirkungen unternehmerischen Handelns signalisieren. Wollen die Unternehmen ihr Handeln aus kommerziellen Gründen auf langfristiger Publikumsbindung und auf dauerhaften Marktbeziehungen gründen, müssen sie lernen, ein neues Repertoire sozialer und nicht nur ökonomischer Beziehungen zu bedienen. Diese neuartigen Beziehungen sind Ausdruck und Inhalt der kommunikativen Marktöffentlichkeit.
4.5. Die persuasive K o m m u n i k a t i o n
141
Sie beruhen auf einer Art überökonomischen Vertrauensverhältnisses — Vertrauen des Kunden nicht nur in die Qualität der rationalen Unternehmensentscheidungen und nicht nur in die Qualität von Produkten und Dienstleistungen, sondern auch in eine Art von sozialem Wohlverhalten des Unternehmens. Die Marktöffentlichkeit ist Ausdruck des anhaltenden Bemühens vieler Unternehmen, diese doppelte Glaubwürdigkeit zu schaffen und zu bewahren. Damit erhält der Markt unter den Bedingungen der Marktöffentlichkeit eine andere Erscheinungsform: Statt abstrakter, rationaler und anonymer Beziehungen wie im Wettbewerbsmodell entwickeln sich kontrollierbare, interpersonelle Bindungen zwischen Unternehmen und Öffentlichkeit. Das Strukturprinzip der Marktöffentlichkeit manifestiert sich im Umschlag einer rationalen Wirtschaftsordnung in dauerhafte, verläßliche UnternehmensKundenbeziehungen. Es scheint, als werde bereits in Teilbereichen der modernen westlichen Wirtschaft das als konstitutiv verstandene Konkurrenzprinzip von der Wirkung der Marktöffentlichkeit überlagert. In vielen Fällen ist der reine Wettbewerb unvereinbar geworden mit den Interessen der Unternehmen. Deshalb ist die Stabilität der Marktwirtschaft aber noch nicht gefährdet. Im Gegenteil: Wo Wettbewerb in Marktöffentlichkeit umschlägt, ist dies lediglich ein Ausdruck der Selbststeuerungsfähigkeit hochentwickelter Wirtschaftssysteme (vgl. Kapitel 8).
Zusammenfassung 1. Unter handlungstheoretischer Perspektive begreift man die Wirtschaft als einen Zusammenhang gesellschaftlicher Kontrollmechanismen, ö k o n o m i sche Vorgänge werden als Ausdruck sozialer Strukturprinzipien gedeutet. 2. Man kann zwischen vier Strukturprinzipien wirtschaftlichen Handelns unterscheiden: Tausch, Wettbewerb, Macht und persuasive Kommunikation. Je nach der Art ihres Zusammenspiels und ihrer Geltungssphäre lassen sich Wirtschaftsordnungen beschreiben. 3. Der Tausch als wichtigstes Strukturprinzip wirtschaftlichen Handelns läßt sich Polanyi zufolge in drei Formen einteilen: reziprozitärer Tausch, redistributiver Tausch und Markttausch. Beim reziprozitären Tausch fehlt das ökonomische Kalkül, der Tausch ist an Moral und soziale Verpflichtungen gebunden. Der redistributive Tausch kennzeichnet eine Art der Umvertei-
142
4. Die Strukturprinzipien der Wirtschaft
lung gesellschaftlichen Reichtums, und der Markttausch schließlich ist eine rationalisierte Form wirtschaftlicher Transaktionen, die allein an KostenNutzen-Kriterien ausgerichtet werden. 4. Auch Wettbewerb ist ein gesellschaftliches Strukturprinzip, das wirtschaftliches Handeln steuert. Jeder einzelne steht unter dem Druck des Erfolgs anderer. Wesentliches Antriebselement des Wettbewerbs ist das fortgesetzte Bemühen, sich gegenüber den Konkurrenten zu behaupten. Von besonderer Bedeutung sind die a) Anpassungs-, b) Entwicklungs-, c) Auslese- und d) Sozialisierungsfunktionen des Wettbewerbs. Sie prägen das Bild einer leistungs- und individualistisch orientierten Gesellschaft.
5. Das countervailing-power-Konzept besagt, daß sich in hauptsächlich vom Wettbewerb gesteuerten Wirtschaftssystemen einseitige wirtschaftliche Macht auf Dauer nicht behaupten kann. Jede wirtschaftliche Macht provoziert die Entwicklung einer gegengewichtigen Marktmacht, die einen Ausgleich der Interessen herbeiführt. 6. Wirtschaftliche Macht ist ein Strukturprinzip, das zumindest in rudimentären Ansätzen in jeder Wirtschaftsordnung eine Rolle spielt. Auch in der Marktwirtschaft wird wirtschaftliches Verhalten durch die Ausübung von Macht gesteuert. Wichtige Machtfaktoren in der Wirtschaft sind die personelle Macht, die Verbandsmacht, die politische und kommunale Macht sowie die Marktmacht. 7. In der Wirtschaft wird nicht nur Macht ausgeübt, die Wirtschaftssubjekte unterliegen auch selbst vielfältigen Machteinflüssen; beispielsweise der Macht des politischen Systems, der gesellschaftlichen Interessenverbände und der Öffentlichkeit. 8. Wirtschaftliches Handeln kann schließlich auch durch Kommunikation gesteuert werden. Unterliegt eine ökonomische Entscheidung primär suggestiven Werbeappellen oder kritischen Argumenten, Appellen oder gezielten Informationen, kann man von der Geltung der persuasiven Kommunikation sprechen. 9. Das Strukturprinzip der kommunikativen Marktöffentlichkeit ist ein Mechanismus sozialer Steuerung, da der Druck der öffentlichen Meinung die Unternehmen zu veranlassen vermag, gesellschaftliche Interessen in ihren Dispositionen zu berücksichtigen.
4.5. D i e persuasive K o m m u n i k a t i o n
143
Fragen zur Wiederholung 1. Was sind Strukturprinzipien wirtschaftlichen Handelns? Wie lassen sie sich theoretisch ableiten? 2. Warum ist Tausch eine Methode, wirtschaftliches Verhalten zu steuern? 3. Was versteht man unter „balancierter Reziprozität"? 4. Erklären Sie die verschiedenen Formen des Wettbewerbs. 5. An welche Bedingungen ist die Geltung von Wettbewerb gebunden? 6. Was versteht man unter dem Postulat der „approximativen Egalität"? 7. Stimmen Sie den Annahmen des countervailing-power-Konzeptes zu? Was spricht dafür, was dagegen? 8. Erläutern Sie die wichtigsten Machtsphären der Wirtschaft. Finden Sie Beispiele f ü r die Formen der Verbandsmacht, der politischen Macht und der sozialen Macht der Wirtschaft. 9. Beschreiben Sie die Wirkungsweise der persuasiven Kommunikation. Warum ist persuasive Kommunikation ein Strukturprinzip wirtschaftlichen Handelns? 10. Stellen Sie die Entstehungsbedingungen der kommunikativen M a r k t ö f fentlichkeit dar.
5. Steuerungsformen der Wirtschaft
5.1 Eine Typologie der Wirtschaftsweisen Wirtschaftssysteme kann man unterscheiden: — nach der Art ihrer zentralen Steuerungsmechanismen. Jede Wirtschaftsordnung enthält ein ihr spezifisches Ensemble von konstitutiven Struktur- und Steuerungsprinzipien. — nach der Art der ihr zugrundeliegenden Legitimation. Hier stehen die Vorstellungen und Anschauungen im Mittelpunkt, die bestimmte Wirtschaftsweisen rechtfertigen. Es wird nach den grundlegenden Wertorientierungen gefragt, die das Bild einer effizienten, guten, gerechten oder vernünftigen Wirtschaftsordnung prägen. — nach dem Grad der Differenzierung. Wirtschaftssysteme unterscheiden sich danach, inwieweit sie auf rein ökonomische Funktionen und Rollen spezialisiert sind oder in gesellschaftliche Funktionszusammenhänge eingebunden sind. Der Grad der Differenzierung gibt das Entwicklungsniveau einer Wirtschaft an. — nach Art und Bedeutung der ihr zugrundeliegenden Institutionen und Werte; beispielsweise nach der Bedeutung von Eigentum und Vertragsfreiheit. Je nachdem, welches Merkmal man einer Analyse zugrundelegt, kommt man zu einem entsprechenden Klassifizierungsschema wirtschaftlicher Ordnungen. Faßt man die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zusammen, lassen sich folgende grundlegenden Typen wirtschaftlicher Steuerung bilden: a) die traditionelle Steuerung der Wirtschaft b) die Marktsteuerung c) die administrative Steuerung der Wirtschaft. Ihnen entsprechen die folgenden drei Wirtschaftsordnungen: a) die traditionelle Wirtschaftsordnung b) die Marktordnung c) die administrative Wirtschaftsordnung
5. Steuerungsformen der Wirtschaft
146
Die drei Typen der Wirtschaftssteuerung sind Idealtypen, das heißt gedankliche Konstrukte, die es in dieser reinen Form in Wirklichkeit nicht gibt. Wirtschaftsordnungen sind in der Regel Mischsysteme, in denen Elemente aller Steuerungsformen miteinander verbunden sind. Die Wirtschaftsordnungen in der Bundesrepublik, USA, Frankreich, England, Schweden, Schweiz oder Österreich sind mehr oder weniger marktorientiert, zugleich aber auch immer mit administrativen Elementen durchsetzt. Die traditionelle Steuerung der Wirtschaft ist gekennzeichnet durch eine Lenkung ökonomischer Verhaltensweisen aufgrund traditioneller Institutionen wie Religion, Familie und Kultur. Die Wirtschaft wird gesteuert durch gesellschaftliche Normen. Zentrales Steuerungsmerkmal sind soziale, kulturelle und religiöse Bindungen. Das Modell der Marktsteuerung ist im wesentlichen gekennzeichnet durch ein von gesellschaftlichen und kulturellen Institutionen gelöstes, nach eigenen Gesetzmäßigkeiten funktionierendes System von Märkten. Die Wirtschaft wird im Gegensatz zur Traditionalsteuerung nicht von sozialen Normen, sondern von ganz besonderen strategischen Rationalitätskriterien gesteuert, die aus dem Binnensystem der Wirtschaft selbst stammen. Zentrales Steuerungsmerkmal ist die Eigenrationalität der Märkte. Die administrative Steuerung ist gekennzeichnet durch eine zentrale Lenkung der Wirtschaftspläne seitens staatlicher Instanzen. Zentrale Steuerungsmerkmale sind politische Interessen oder ideologische Wertsetzungen.
5.2 Die traditionelle Wirtschaftssteuerung 5.2.1 Formalismus und Substantivismus In der Analyse traditioneller Wirtschaftsordnungen unterscheidet man zwischen zwei kontroversen theoretischen Ansätzen, dem formalistischen und dem substantivistischen Ansatz. Inhalt der Kontroverse ist die Frage, ob das analytische Instrumentarium, das für die Untersuchung der modernen kapitalistischen Wirtschaft entwickelt worden ist, auch für die Untersuchung nichtindustrieller Wirtschaftsordnungen anwendbar ist. a)
Formalismus
Die Formalisten (wichtige Vertreter: Herskovits, Firth, Nash, Burling, Le Clair) definieren die Wirtschaft als rationalen Einsatz geeigneter Mittel zur Gewährleistung maximaler Bedürfnisbefriedigung, bzw. als Allokation von knappen Gütern für alternative Zwecke.
5.2 Die traditionelle Wirtschaftssteuerung
147
Der formalistische Ansatz geht von der Unendlichkeit der Bedürfnisse und einer definitorischen Knappheit der Mittel aus. Sind die Ressourcen nicht knapp, handelt es sich auch nicht um wirtschaftliche Ressourcen. Den F o r m a listen zufolge hat das ökonomische System drei grundlegende Aspekte: 1. die Art der Zusammensetzung des Sozialprodukts: Welche Güter und Dienstleistungen werden in welcher Menge produziert? 2. die Art der Beziehung zwischen den Produktionsfaktoren: Wie ist das Verhältnis von Arbeit, Boden und Kapital? 3. die Art der Distribution der Produkte: Wie wird das Gesamtprodukt an Gütern und Dienstleistungen zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft verteilt? Angesichts dieser Merkmale sprechen die Formalisten von einem Kontinuum zwischen als nicht-entwickelt bezeichneten Wirtschaftsordnungen und industriellen Marktsystemen. An dem einen Ende des Kontinuums stehen kleine Gesellschaften, die am dichtesten an der Subsistenzebene leben, nur eine geringe Ausbeutung natürlicher Ressourcen kennen, wenig technologisches Potential besitzen, eine geringe Arbeitsteilung aufweisen, deren Komplexität und Differenzierungsgrad gering ist, deren Kontakthäufigkeit mit der Außenwelt ebenfalls gering ist und die keine Standardaustauschmedien kennen. Am anderen Ende des Kontinuums stehen große Bevölkerungsaggregate mit hoher Technologie, hohem Differenzierungs- und Spezialisierungsgrad sowie einer großen Menge an Güterproduktion. Die dazwischenliegenden Gesellschaften werden als „intermediate" bezeichnet und in einer dritten Gruppe zusammengefaßt. Der Unterschied zwischen westlichen Industriegesellschaften und den als „primitv" bezeichneten Wirtschaftsordnungen ist quantitativer, nicht qualitativer Art. Die Organisation der Produktion, Art und Reichweite der Tauschmechanismen, Techniken zur Kontrolle und Distribution der Ressourcen sowie der Rahmen moralischer Vorstellungen von einer vernünftigen Wirtschaftsordnung besitzen eine große Variationsbreite und sind zugleich Kennzeichen der unterschiedlichen Wirtschaftssysteme, hochentwickelter ebenso wie nicht-entwickelter Wirtschaftsordnungen. b)
Substantivismus
Die beiden wichtigsten Vertreter des Substantivismus sind Carl Polanyi und dessen Schüler George Dalton. Sie knüpfen an Bronislaw Malinowski und Marcel Mauss an.
148
5. Steuerungsformen der Wirtschaft
Die Substantivisten verstehen Wirtschaft als Organisationsprinzip einer Gesellschaft zur ständigen Bereitstellung von Gütern, die materielle und soziale Bedürfnisse befriedigen. Ihnen zufolge ist es unmöglich, die Kategorien der modernen Volkswirtschaft auf wenig entwickelte Gesellschaftstypen anzuwenden; der Unterschied zwischen nicht-industrieller und industrieller Wirtschaftsordnung ist im Gegensatz zum formalistischen Ansatz qualitativer, nicht quantitativer Art (Dalton 1974: 210). Weder die Organisation noch die Legitimation noch der Zweck ökonomischer Verfahren sind dieselben: Das Vorhandensein von Institutionen wie Arbeitsteilung, Geld und Märkten stellt noch kein Beweis für die Ähnlichkeit unterschiedlicher Wirtschaftsformen dar. Sie sind allenfalls Instrumente, die zu verschiedenen Zwecken eingesetzt werden können. Die Kontroverse zwischen beiden theoretischen Ansätzen ist unbegründet. Zur Kennzeichnung der traditionellen Wirtschaftsordnung spielen beide Betrachtungsweisen eine wichtige Rolle.
5.2.2 Merkmale traditioneller Wirtschaftssteuerung Differenzierung Die traditionelle Wirtschaft ist generell undifferenziert. Sie ist undifferenziert im Hinblick auf die wirtschaftliche Organisation, auf die Technik, auf die Institutionen, auf das Tauschsystem und auf die ökonomisch bedingte Schichtstruktur. Wirtschaftliche Prozesse sind in die gesellschaftlichen Institutionen eingebettet, ökonomische Aktivitäten und technische Verfahren sind fest in kulturellen Traditionen verankert. Es besteht kein Bedarf f ü r spezielle ökonomische Verfahrens- oder Denkweisen. Religion, Kultur, Verwandtschaft und Moral steuern die wirtschaftlichen Aktivitäten. Was jemand produziert, und wie jemand produziert, wird allein durch traditionelle Anschauungen und Solidaritätsverpflichtungen bestimmt. Die Verletzung dieser Verpflichtungen wird mit Entzug reziprozitärer Beziehungen, das heißt durch gesellschaftliche Distanzierung oder Verlust von Anerkennung geahndet. Wirtschaft und Gesellschaft bilden ein konsistentes und homogenes System mit direkter sozialer Kontrolle. Man kann sagen, daß die Wirtschaft wesentlich von religiösen Normen beherrscht wird, die bestimmte wechselseitige Tauscherwartungen auf Dauer definieren. „Wirtschaftliches Verhalten und damit Markt- und Tauschprozesse sind . . . in allen Einzelvollzügen von anderen Daseinsbereichen abhängig" (Heinemann 1976: 52). Das Merkmal der Undifferenziertheit läßt sich an zentralen Institutionen traditioneller Wirtschaftsordnungen verdeutlichen.
5.2 Die traditionelle Wirtschaftssteuerung
149
a) Arbeitsteilung Generell ist die Arbeitsteilung äußerst gering. Doch auch in undifferenzierten Gesellschaften gibt es ein Mindestmaß an Arbeitsteilung. Als universell darf die Arbeitsteilung nach Geschlechtern gelten, ebenso die altersmäßige Arbeitsteilung. Beide ergeben sich aus biologischen Notwendigkeiten. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß die biologisch bedingte Arbeitsteilung durch kulturelle Elemente überdeckt und verändert wird. So kann auch in traditionellen Gesellschaften je nach Art der Kultur zwischen männlichen und weiblichen Tätigkeiten unterschieden werden, die nicht mit biologischen Gegebenheiten erklärt werden können. Dazu können in traditionalen Wirtschaftsordnungen kommen: Arbeitsteilung nach Clan-Zugehörigkeit, erblicher Position, Kaste, Zunft, Gilde, Rasse etc. b) Kapital Kapital spielt in traditionellen Wirtschaftsordnungen eine sehr viel geringere Rolle als in marktgesteuerten Wirtschaftsordnungen. Menschen, Boden, Werkzeuge, Saatgut, Tiere und Schmuckgegenstände stellen die hauptsächlichen Kapitalarten dar. Geldkapital ist äußerst selten. Kapital wird auch nicht zur Befriedigung materieller Bedürfnisse eingesetzt, sondern auch, um soziale Beziehungen zu stützen. Insoweit haben materieller Wohlstand und Vermögensbesitz gesellschaftliche Funktionen. Der Besitz von Kapital ist immer an soziale Verpflichtungen gebunden. Weit verbreitet ist die Institution von Festen, bei denen Überschüsse verteilt werden. Wer das Fest ausrichtet, erwirbt Prestige entsprechend den verschenkten Vermögenswerten. Gleichzeitig entsteht für die Teilnehmer von Festen die Verpflichtung, ihrerseits solche Veranstaltungen auszurichten. Diese Art der Überschußverteilung von Kapital ist eine weit verbreitete Institution, die die Aufgabe hat, wirtschaftliche Ungleichgewichte durch Kapitalakkumulation in den Händen einzelner zu verhindern. Dazu gehören auch erzwungene Leihgaben an Verwandte und Nachbarn sowie finanzielle Pflichten, die mit politischen und religiösen Ämtern verbunden sind (Nash 1966: 35). Die Funktion des Kapitals ist undifferenziert. Kapital und Arbeit sind nicht getrennt. Produzent und Produktionsmittel sind unauflösbar miteinander verbunden. c) Boden Es gibt kein Privateigentum an Boden, sondern lediglich Formen von Gemeineigentum; bzw. es herrschen einfach abgestufte Nutzungsrechte verschiedener Art vor. Daher kann die gebräuchliche Unterscheidung von Gemeineigentum und Privateigentum nur unzutreffend die Eigentumsverhältnisse in traditionellen Wirtschaftsordnungen beschreiben. Das Eigentum umfaßt sehr verschiedene Rechte und Pflichten und beschränkt sich keineswegs auf die
150
5. Steuerungsformen der Wirtschaft
Differenzierung von absolutem Privateigentum und dem Eigentum einer Gemeinde. Malinowski konnte bei den Bewohnern der Trobriand-Inseln bis zu vier verschiedene Eigentümer für ein und dasselbe Stück Land feststellen, deren jeweilige Nutzungs- und Eigentumsrechte sich aus unterschiedlichen Aufgaben und Positionen in der Gemeinschaft ableiteten. Zu den „Besitzern" gehörten Häuptling, Priester, Familienoberhaupt und Pächter. d) Eigentum Auch das Eigentum an persönlichem H a b und Gut ist nicht unbeschränkt. Zwar wird zumeist ein Eigentumsrecht anerkannt, seine Verletzung geahndet; aber der Kreis der Gegenstände, über den der einzelne unbeschränkt verfügen kann (oft über seinen Tod hinaus als Grabbeilagen), ist je nach Gesellschaft sehr begrenzt. Ebenso ist zwar das Recht auf die Nutzung individuell geleisteter Arbeit anerkannt, aber die individuelle Verfügungsgewalt wird nirgends als unumschränkte Sachherrschaft verstanden. Überall hat man soziale Bindungen zu beachten. Vor allem Nahrungsmittel unterliegen verschiedenen Formen von Verteilungsgeboten. Die Eigentumsordnung wird in den meisten traditionalen Gesellschaften auf einen magischen Ahnen- oder Götterkult gegründet. Schott schreibt dazu: „Bei vielen ethnischen Gruppen werden alle Erträge der Felder, des Waldes, der Flüsse und Seen als Gaben der Ahnengeister angesehen, denen das Land eigentlich „gehört", und denen die Dorfvorsteher und Häuptlinge Opfer und Gebete darbringen müssen. Allein die Ahnengeister können dem Boden Fruchtbarkeit verleihen, der einzelne kann seine Nutzungsrechte und sein Eigentum nur als Glied eines auch die Toten umfassenden Verwandtschaftsverbandes ausüben" (Schott 1966: 1085). Der Eigentumsbegriff ist in der Regel transzendental geprägt, er wird in einen die praktische Erfahrung überschreitenden kulturellen, religiösen oder magischen Zusammenhang gestellt. e) Arbeit Trennung von Arbeit und Freizeit ist in traditionalen Wirtschaftsordnungen unbekannt. Die Art der Arbeit und der Arbeitsrhythmus sind eng mit jahreszeitlichen und zeremoniellen Zyklen verbunden. Die Bedeutung der kooperativen Arbeit schwankt. In der Regel gibt es über die Kernfamilie hinausgehende Produktionseinheiten, in denen Kooperation notwendig ist. Die kooperative Arbeit wird zumeist in Naturalien bezahlt und begründet eine Verpflichtung zur Gegenleistung in Form von Mithilfe bei anfallenden größeren Arbeiten.
5.2 Die traditionelle Wirtschaftssteuerung
151
f) Distribution Unter Distribution versteht man den Anteil des Sozialproduktes, den ein Individuum erhält. Die Distribution in traditionalen W i r t s c h a f t s o r d n u n g e n erfolgt nach einem dreifachen Zweck: — R e p r o d u k t i o n der P r o d u k t i o n (z. B. Saatgut) — gesellschaftliche Tätigkeiten (Zeremonien, Geschenktausch) — K o n s u m p t i o n (Verbrauch) Die Distribution erfolgt nach dem Grundsatz, d a ß zunächst das Subsistenzm i n i m u m aller Mitglieder der Gesellschaft garantiert wird. D e r d a n n n o c h verbleibende Überschuß wird nach unterschiedlichen Kriterien verteilt. Ansprüche auf P r o d u k t e haben in der Reihenfolge zunächst (1) der P r o d u z e n t als Hersteller von Waren und Dienstleistungen (2) Personen, die in einer nicht-produktiven Beziehung zum P r o d u z e n t e n stehen (Familien- und Verwandtschaftsangehörige) (3) die Gemeinschaft.
Legitimation Die traditionale W i r t s c h a f t s o r d n u n g ist hauptsächlich religiös oder moralisch legitimiert. Religion, magische Vorstellungen oder moralische Bezüge bilden die vorherrschenden institutionellen Handlungsorientierungen in traditionellen Wirtschaften. Sie sind zugleich auch deren eigentliche Legitimationsgrundlage. Die Religion legitimiert wirtschaftliche H a n d l u n g e n , indem sie die ökonomische O r d n u n g in einen geheiligten Bezugsrahmen stellt. Wirtschaftliche Handlungsweisen werden mystifiziert. Die Menschen leben in der Anschauung, d a ß ihre Welt und damit auch ihre ö k o n o m i s c h e n Beziehungen d u r c h M ä c h t e jenseits ihrer Vorstellungskraft bestimmt sind. Die letztendliche Legitimation k o m m t „von oben". Die religiöse Absegnung der politischen Autorität (Königstum von Gottes G n a d e n ) stützt zudem noch dieses Legitimationsmuster.
Rationalität Die traditionale Wirtschaft ist praktisch-rational orientiert. Praktische Rationalität beruht im Gegensatz zur Zweck-Mittel-Rationalität auf einer d u r c h Tradition überlieferten praktischen Vernunft. Ihre A n w e n d u n g zeigt sich a m klarsten d a r a n , d a ß die Herstellung von G ü t e r n an soziale Beziehungen gebunden ist, die P r o d u k t i o n s v e r f a h r e n und Herstellmengen n o r m a t i v geregelt sind, die Tauschrelationen kulturell festgelegt sind, die tauschbaren M e n gen öffentlichen Regelungen unterliegen sowie die freie Verfügungsgewalt des
152
5. Steuerungsformen der Wirtschaft
einzelnen über Sachen weitgehend ausgeschlossen ist. Das Prinzip der praktischen Rationalität bedeutet, daß wirtschaftliches Handeln an gemeinsame bewährte kulturelle Normen gebunden sowie auf den Erhalt der bestehenden Ordnung gerichtet ist. Die praktische Rationalität dient damit ausdrücklich nicht individuellen Interessen. Praktische Rationalität ist stets verbunden mit bindenden Pflichten, die die Nutzung der Arbeit einem gemeinsamen Ziel oder Wert unterordnet. Das Netzwerk sozialer Bindungen und Loyalitäten sowie die Öffentlichkeit wirtschaftlicher Aktivitäten verhindern eine auf Zweck-MittelRationalität beruhende und individualistisch-orientierte Interessenverfolgung, wie sie f ü r die moderne Wirtschaft charakteristisch ist. Die praktische Rationalität wird in erster Linie von Institutionen der Gemeinschaft geprägt, die andere Sanktionsgrundlagen besitzt als die Institutionen der modernen Märkte.
Traditionalität Die traditionale Wirtschaftsordnung ist auf Bestandsicherung und nicht auf Änderung hin orientiert. Die Kraft traditioneller Normen und Regeln sowie die Geltung der bestehenden Institutionen engen alle Änderungsprozesse ein. Unter solchen restriktiven Voraussetzungen haben technische Innovationen und organisatorische Verbesserungen nur sehr begrenzte Spielräume. Charakteristisch für eine auf Stagnation gerichtete Wirtschaftssteuerung sind erstens traditionsgesicherte Stabilität, zweitens durch verwandtschaftliche Loyalitäten gefestigte und erstarrte soziale Beziehungen sowie drittens der Mangel an Alternativen.
Primat der
Verwandtschaft
Die traditionale Wirtschaftsordnung beruht auf Verwandtschafts- oder wie man sie auch bezeichnen könnte: horizontalen Bindungen. Alle wirtschaftlichen, aber zugleich auch politischen, kulturellen, militärischen und religiösen Erfordernisse sind in ein verwandtschaftliches System eingebunden und entsprechenden Loyalitäten unterstellt. Unter einem verwandtschaftlichen System in traditionalen Gesellschaften versteht man verschiedene Typen eines erweiterten Familienverbandes, in dem entweder mehrere Generationen miteinander leben und wirtschaften, oder in dem mehrere Brüder und Vettern mit ihren Frauen und Kindern einen größeren Verband bilden. Kennzeichnend f ü r das verwandtschaftliche System sind die fehlende Trennung von Produktions- und Konsumsphäre sowie die Vermischung wirtschaftlicher Funktionen mit sozialen Elementen.
5.2 Die traditionelle Wirtschaftssteuerung
Reziprozitärer
153
Tausch
In der traditionalen Wirtschaft dominiert das reziprozitäre Tauschprinzip. Im Gegensatz zum Marktsystem sind die Tauschbeziehungen nicht aus moralischen, verwandtschaftlichen oder solidarischen Beziehungen herausgelöst. Der Tausch erfolgt nicht nach individuellem Kalkül, vielmehr beruht er auf den Regeln der sozialen Reziprozität. Wer sich zum Beispiel nicht an der Aufbringung des Brautpreises für einen Verwandten beteiligt, wird in eigenen Notsituationen, bei der eigenen Heirat oder der seines Sohnes, nicht unterstützt (Heinemann 1976: 52). Die Reziprozitätsnormen sind eng verbunden mit moralischen Bewertungen, die je nach Situation und sozialer Stellung des Tauschpartners variieren können. Im Bereich der Hausgemeinschaft sind Leistungen und Gegenleistungen nur unvollständig fixiert. Das Reziprozitätsverhältnis ist nicht immer ganz ausgeglichen. Gegenüber Unterstützung, Geschenken und Gastfreundschaft werden vielfach nur Dank, Freundschaft und die Bereitschaft erwartet, später gegebenenfalls auch auf Hilfe rechnen zu können. In der Tauschsphäre der Verwandtschaft, Dorfgemeinschaft und des Stammes muß dagegen die Bilanz des Gebens und Nehmens ausgeglichen sein. Hier herrscht das Prinzip der stets ausgewogenen balancierten Reziprozität.
Tauschmedium Die traditionale Wirtschaft beruht auf einem einfachen Tauschmedium. Dort, wo die Arbeitsteilung gering ist und Märkte nicht existieren, liegt auch nicht das Erfordernis eines abstrakten Zahlungsmittels vor. In der Zirkulationssphäre eines Stammes — oder einer Hauswirtschaft — bedarf es lediglich eines einfachen Tauschmediums, das Geld sein kann, aber auch Geldersatz wie Schmuck oder Naturalien.
Die Handlungsorientierungen
in der traditionalen
Wirtschaftsordnung
Parsons zufolge lassen sich die Merkmale eines sozialen Systems bzw. die Prinzipien des sozialen Handelns in einem Modell kultureller Orientierungsalternativen darstellen. Dieses Modell geht davon aus, daß sich die grundlegenden Merkmale aller sozialen Systeme, also auch der verschiedenen Wirtschaftsordnungen in einem Feld zweier gegensätzlicher Orientierungsmuster (pattern variables) ausdrücken lassen. Die pattern variables sind ein theoretisches Raster, in dem jede gesellschaftliche Beziehung nach fünf grundsätzlichen Orientierungsalternativen charakterisiert werden kann. Insofern dienen die pattern variables der Typisierung eines sozialen Systems. Sie stilisieren gewissermaßen das besondere Profil einer wirtschaftlichen Ordnung.
154
5. Steuerungsformen der Wirtschaft
In der Praxis lassen sich allerdings die Handlungen und Beziehungsformen einer Wirtschaft nicht immer eindeutig den verschiedenen pattern variables zuordnen. Vielfach gibt es auch Mischformen, in denen die beiden gegensätzlichen Aspekte eines Strukturpaares in ein- und derselben Handlung zum Ausdruck kommen. Doch zur allgemeinen Kennzeichnung der verschiedenen Steuerungsformen der Wirtschaft eignen sie sich gut. Als pattern variables bezeichnet man:
1. Affektivität — affektive Neutralität Wirtschaftliche Beziehungen sind entweder affektiv oder affektiv neutral orientiert. Die Wahl zwischen diesen beiden Alternativen kennzeichnet eine gesellschaftliche Situation, in der man versucht, in einer sozialen Beziehung unmittelbar eine Belohnung zu erhalten (affektiv), oder in der man sich bereit erklärt, die Belohnung zu vertagen (affektiv neutral). Entweder ist das wirtschaftliche Handeln primär an Personen- oder Gemeinschaftsbeziehungen gebunden oder aber an Funktionsbeziehungen wie in bürokratischen Organisationen; das heißt entweder überwiegen personenbezogene oder organisationsbezogene Rollen. Traditionale Wirtschaftsordnungen beruhen primär auf Affektivität, da reziprozitäre, personengebundene Tauschbeziehungen überwiegen.
2. Spezifität — Diffusität Soziale Beziehungen sind entweder spezifisch oder diffus orientiert. Die Alternative Spezifität oder Diffusität kennzeichnet eine soziale Beziehung, die entweder auf einem einzigen, klar abgrenzbaren Interesse (spezifisch) oder auf mehreren miteinander vermischten Interessen (diffus) beruht. Diffus ist eine Rolle beispielsweise immer dann, wenn ihr nicht eine eindeutige Funktion zugrundeliegt, sondern die Bereitschaft enthält, vorübergehend auch nicht im einzelnen vorher festgelegte Aufgaben zu übernehmen. Spezifisch ist dagegen eine Rolle immer dann, wenn man rollenfremde Zumutungen legitimerweise zurückweisen darf. Traditionale Wirtschaftsordnungen sind primär diffus orientiert, da wirtschaftliches Handeln in soziale Institutionen eingebettet ist. Kennzeichnend ist beispielsweise die Multifunktionalität des Verwandtschaftssystems, in der ökonomische und außerökonomische Aufgaben zusammenfallen, und in der wirtschaftliche Interessen mit Belangen der Familie oder der Gemeinschaft vermischt werden.
5.2 Die traditionelle Wirtschaftssteuerung
155
3. Universalismus — Partikularismus Die dritte Orientierungsalternative fragt danach, ob gesellschaftliche O r d n u n gen primär universalistisch oder partikularistisch orientiert sind. Der Universalismus kennzeichnet soziale Beziehungen, die nach Regeln und Kriterien behandelt werden, die auf alle in derselben Weise anwendbar sind, ohne Rücksicht auf besondere Eigenschaften wie Konfession, Status, Geschlecht etc. Beispiel: Rolle des Staatsbürgers. Vor dem Gesetz sind alle gleich. Daher ist die moderne Rechtsordnung universalistisch geprägt. Ein anderes Beispiel ist die moderne Berufsrolle. Nicht Konfession oder Herkunft sind f ü r die Ausübung eines Berufes maßgeblich, sondern Regeln, die für alle in der gleichen Weise gelten: erwerbbares Wissen und fachliche Fähigkeiten. Der Partikularismus kennzeichnet dagegen soziale Beziehungen, in denen man jemand als Mitglied eines besonderen Status behandelt, bzw. zu dem m a n in einer bestimmten Beziehung steht. Beispiel: Rolle der Mutter, Rolle des Freundes, Rolle des Vereinsmitglieds. Universalistische Beziehungen gelten daher in der Regel als austauschbar, partikularistische nicht. In seiner Berufsrolle ist jeder ersetzbar, in seiner Familienrolle als Vater oder Mutter oder Kind nicht. Die traditionale Wirtschaftsordnung ist primär partikularistisch orientiert, da ökonomische Beziehungen in der Regel Rücksicht nehmen auf die besondere Stellung des jeweiligen Interaktionspartners. Der individuelle Status spielt in der Ausgestaltung wirtschaftlicher Beziehungen eine wichtige Rolle.
4. Anerkennung durch traditionelle Zuschreibung einer Rolle (ascription) — Leistungsverhalten (achievement) Dieses Strukturprinzip kennzeichnet folgende Verhaltensalternative: Zeichnet sich ein soziales System primär dadurch aus, daß man Personen danach behandelt, wer oder was sie sind (ascription); oder beurteilt m a n sie nach ihrer Leistung (achievement)? Entweder beruht die Wertschätzung eines Menschen auf Herkunft bzw. traditionell zugeschriebenen Rollen oder aber auf einer f ü r alle in der gleichen Weise erwerbbaren Stellung durch Leistung. Die traditionale Wirtschaftsordnung beruht primär auf Anerkennung durch traditionale Zuschreibung. In einer solchen Gesellschaft werden die wirtschaftlichen Rollen in typischer Weise eher nach Maßgabe des überlieferten Status einer Person als nach ihrer Sachkompetenz verteilt.
156
5. Steuerungsformen der Wirtschaft
5. Kollektivorientierung — Selbstorientierung Bei der fünften und letzten Handlungsalternative lautet die Frage: Berücksichtigt man in sozialen Beziehungen vor allem die eigenen Interessen (Selbstorientierung) oder die der Gesamtheit (Kollektivorientierung)? Ist wirtschaftliches Handeln individualistisch orientiert oder an übergeordnete Gemeinschaftsnormen gebunden? Die traditionale Wirtschaftsordnung ist primär kollektivorientiert. Die Wirtschaftsweise des einzelnen ist immer zugleich den Belangen und Interessen der Gemeinschaft verpflichtet.
Resümee: Legt man das Schema von Parsons zur Kennzeichnung wirtschaftlicher Beziehungen zugrunde, erscheint die traditionale Wirtschaftsordnung vorwiegend affektiv, diffus und partikularistisch ausgerichtet. Sie beruht eher auf ascription und ist ausdrücklich der Kollektivorientierung verpflichtet.
5.2.3 Exkurs: Beispiel einer traditionalen Wirtschaftsordnung: Der mittelalterliche Markt Der mittelalterliche Markt ist ein in sich geschlossener Regionalmarkt: Angebote und Nachfrage sind konstant, Produkte homogen, Produktionsverfahren normiert, das Wachstum der Bevölkerung gering, der Verbrauch an rein traditionellen Maßstäben orientiert. Agrar- und Handwerksverfassungen ähneln sich. Innungen und Zünfte prägen das Bild einer korporativ orientierten Wirtschaftsordnung. Ihrem Kern nach ist die gesamte Zunftethik der Gleichrangigkeit von Zunftmitgliedern und der Gleichartigkeit von Wirtschaftsweisen verpflichtet. Zentrales Steuerungsprinzip ist unter diesen Umständen ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Reziprozitäts- und Solidaritätsprinzip, das durch Sitte und Moral gestützt wird. Es begründet allseitige Bindungsverpflichtungen, die auf ständischen Konventionen und einer besonderen Form des freien personalen Treue-Kontraktes beruhen. Das Institut des Treue-Kontraktes ist ein weit verbreitetes Grundmuster des mittelalterlichen Marktes. Es bestimmt nicht nur das Verhältnis zwischen Lehnsherren und Vasallen, zwischen Produzenten und Verbrauchern, sondern auch zwischen den Produzenten selbst. Der Treue-Kontrakt und die aus ihm resultierenden Solidaritätsverpflichtungen unterbinden jegliche Art von Konkurrenz, von technischen Innovationen ebenso wie die Entwicklung indi-
5.2 Die traditionelle Wirtschaftssteuerung
157
vidueller Interessen. Symptomatisch für die Ausschaltung jeglicher Konkurrenzgedanken ist das strikte Gebot, daß ein Zunftmitglied die gesamte Zunft an eventuell entdeckten billigeren Werkstoffen und Rohstoffquellen beteiligen muß. Darüberhinaus wird durch strikte Standardisierung von Leistungen, Herstellverfahren und Produkten verhindert, daß überhaupt jemand eine gewisse wirtschaftliche Überlegenheit entfalten kann. Fernei sorgen Verbote von Verfahrens-, Organisations- und Produktionsänderungen dafür, daß Spielräume technischer Innovationen so gut wie ausgeschlossen sind. Schließlich ist die Zahl der Meisterplätze über einen innungsinternen numerus clausus auf die Weise begrenzt, daß jedem Meisterplatz eine dem eigenen Lebensbedarf angemessene, fest vorgegebene Kundenzahl entspricht. Dieser Verteilmodus verhindert, daß man in Gefahr gerät, „dem Kollegen ins Handwerk zu pfuschen", wie es im damaligen Sprachgebrauch heißt. Nicht der einzelne Handwerker, der einzelne Betrieb oder individuelle Interessen, sondern die Zunft als ganzes stehen im Mittelpunkt wirtschaftlicher Funktionen. Persönliche Ansprüche treten gegenüber genossenschaftlichen Verpflichtungen zurück. Statt persönlicher Privilegien formen berufsständische Korporationsprivilegien, statt Wettbewerb eine durch Reziprozität und Solidarität geprägte Zunftethik die Struktur der traditionalen mittelalterlichen Hauswirtschaft. Aber nicht nur das konkurrenzfreie Sozialverhältnis zwischen den Produzenten, auch die besondere Art der Beziehungen zwischen Produzenten und Verbrauchern sind durch Sitte und Moral abgestützt. Jedes Zunftmitglied und jeder Innungsgenosse betrachten ihren Kundenkreis wie ein wohlerworbenes moralisches Recht, gleichsam als ihre Domäne. Der Versuch anderer Zunftmitglieder, ihnen Kunden wegzukonkurrieren, wird als ernster Verstoß gegen Sitte und religiöse Moral angesehen, selbst und vor allem dann, wenn dies durch überlegene Leistung geschehen sollte. Die Beziehungen zwischen Produzent und Verbraucher erfolgen nach strengen sozialen Reziprozitätsregeln, die mit moralischen Bewertungen verbunden sind. Sie begründen eine beiderseitige Bindungsverpflichtung zwischen Produzent und Verbraucher, die durch eine Art heiliges Treueverhältnis auf Dauer besiegelt ist. Auch die feudale Ordnung des Agrarwesens zeichnet sich durch traditionale Ordnungselemente aus. Die Größe der Landparzellen ist allgemein so bemessen, daß sie den bäuerlichen Betrieben gerade die Produktion für den erforderlichen Bedarf garantiert. Rivalität ist ausgeschlossen. „Das Gut ist eine lokale, relativ selbstversorgerische landwirtschaftliche Einheit. Welche Vielfalt von Funktionen dem Gut zukamen, und inwieweit infolgedessen die wirtschaftlichen Tätigkeiten in gesellschaftliche Institutionen eingebettet waren, zeigt sich exemplarisch in der Stellung des Lehnsherrn, der gleichzeitig Gutsherr, politischer Führer, Militärkommandeur, Gerichtsautorität und wirtschaftlicher Organisator war" (Parsons 1972: 54). Diese Hinweise machen deutlich, daß
158
5. Steuerungsformen der Wirtschaft
die traditionale Wirtschaftsordnung des Mittelalters im wesentlichen undifferenziert ist. ökonomische Handlungskriterien sind noch gleichsam organisch in sozialen und kulturellen Institutionen untergebracht, wirtschaftliches und gesellschaftliches Handeln sind eine geschlossene Einheit — ökonomischer und gesellschaftlicher Horizont weitgehend deckungsgleich (vgl. auch Kap. 3).
5.3 Die Marktsteuerung Der Typus der Marktsteuerung ist nicht mit der Wirtschaftsordnung in den hochentwickelten westlichen Industriegesellschaften gleichzusetzen, auch wenn einige ihrer Elemente von konstitutiver Bedeutung sind. Marktsteuerung heißt nicht zugleich Marktwirtschaft. Marktsteuerung ist vielmehr ein Idealtyp, ein theoretisches Konstrukt, das in reiner Form nirgends in der empirischen Wirklichkeit auftritt. Am nächsten kommt der reinen Marktsteuerung noch die liberale Wirtschaftsepoche des 18. und 19. Jahrhunderts. Der klassische Liberalismus ist das Zeitalter, in dem die Doktrin des „Ordre Naturel" zur alles beherrschenden These wird. Ihr zufolge sind die Grundlage des ökonomischen Systems die private Autonomie des Individuums und die Nutzung freier Interessenkonstellationen (vgl. den Abschnitt Uber Adam Smith im Kapitel 2). Richtungweisend ist nicht mehr der homo traditionalis, f ü r den die Wirtschaft bestenfalls aus moralischen, sozialen und religiösen Anschauungen besteht, sondern der h o m o rationalis, dessen Vorstellungen auf strategisch-rationalen Tauschinteressen beruhen. Zur Verwirklichung individueller Tauschinteressen darf die Marktfreiheit keinerlei Einschränkungen unterliegen; im Gegenteil: Nur eine Ordnung des Laissez-faire, die auf vollkommener Anbieter- und Nachfrager-Souveränität beruht, ermöglicht jenen Marktautomatismus, der den Gleichgewichtszustand der Wirtschaft ermöglicht. Die Wirtschaft wird zum Treffpunkt von Unternehmungen, die, obgleich sie nur ihre eigenen Ziele verfolgen, gleichzeitig die volle Harmonie aller Tauschinteressen ermöglichen. Ein Markt ist ein klar umgrenztes Sozialsystem, in dem institutionalisierte Erwartungen über die Bereitschaft zum Tausch von Waren gegen Geld und umgekehrt bestehen, wobei sich dieser Tausch unter einer Reihe von Regeln und Pflichten vollzieht. „Allgemein werden Märkte in dem Maße ausgeprägter, wie der Zugang zu ihnen nicht partikularistisch, insbesondere askriptiv beschränkt ist. Die Institutionen von Vertrag und Eigentum sowie der monetäre Mechanismus selbst bilden die Grundlagen des Marktes als System; die Basis des „Arbeitsmarktes" ist die Institution des Arbeitsvertrages (occupational employment)" (Parsons 1976: 203 f.).
5.3 Die Marktsteuerung
159
Die Marktsteuerung ist gekennzeichnet durch eine dezentrale ex-postKoordination wirtschaftlicher Entscheidungen. Sie ist eine Form des Wirtschaftslebens, in der die Entscheidungen Uber Gütererzeugung und Güterverbrauch, Leistungserstellung und Leistungsverbrauch dem „freien Spiel der Kräfte" überlassen bleiben. Es findet keine zentrale Steuerung statt; jeder am Austauschprozeß des Marktes Beteiligte trifft seine Entscheidung erst nach Vorliegen bestimmter Daten und Informationen (ex-post). In der Regel hat der Preis diese Informationsfunktion. Er reguliert Angebot und Nachfrage nach Leistungen, er steuert die Dringlichkeit sozialer Bedürfnisse.
Differenzierung Die auf der Marktsteuerung beruhende Wirtschaftsordnung ist im Gegensatz zur traditionalen Wirtschaftsordnung hochgradig differenziert. Die Entwicklung des Marktes kann als Differenzierungsprozeß beschrieben werden, in dem die Wirtschaft auf bestimmte, ihre eigene hochspezialisierte Rollen und Funktionen eingeschworen wird. Dort, wo die Wirtschaft durch den Mechanismus der Marktsteuerung gelenkt wird, bilden sich spezielle ökonomische Denk- und Kulturmuster, Problemlösungsverfahren und Techniken der Aufgabenbewältigung (vgl. Kapitel 3, Wirtschaft als gesellschaftliches System). Die Differenzierung zeigt sich am deutlichsten in der Ausgliederung der Arbeit aus anderen sozialen Gruppenbildungen. Bilden Familienhaushalte und Betriebe in der traditionalen Wirtschaftsordnung noch eine Einheit, so sind sie unter den Bedingungen der Marktsteuerung getrennt. Folgende Prozesse sind Ausdruck der Herauslösung der Wirtschaft aus dem Umfeld der Familie: — Die Berufsausbildung innerhalb der Familie nimmt ab. — Es entwickeln sich Kräfte gegen die Einmischung familialer Protektion bei der Rekrutierung von Arbeitskräften. Familiäre und verwandtschaftliche Bindungen spielen bei der Besetzung von gehobenen Positionen (Manager) kaum noch eine Rolle. — Die Arbeitsteilung ist fortgeschritten. Deutlich wird dies an der Entwicklung eines Systems hochspezialisierter Berufsrollen, wie sie in kleinen Familieneinheiten nicht möglich sind. — Der Status der Frauen ändert sich. Durch die Trennung von Haushalt und Betrieb nimmt die gesellschaftliche Unterordnung der Frauen unter die Männer der Tendenz nach ab. — Die individuelle Mobilität innerhalb der Berufshierarchie nimmt zu. Es findet eine Differenzierung zwischen der funktionalen Position des Arbeitnehmers und seiner Herkunft statt. Status der Herkunftsfamilie und erworbener Status können auseinanderfallen. Beispiel: Die Tochter eines Arbeiters, die Lehrerin wird.
160
5. Steuerungsformen der Wirtschaft
Unter den Bedingungen der Marktsteuerung ist die Tauschsphäre des Marktes begrenzt: Man kann nicht politischen Einfluß, Liebe oder Solidarität gegen Produkte und Dienstleistungen tauschen wie etwa in der traditionalen Ordnung. Ein Überschreiten der Tauschsphäre des Marktes wird mißbilligt oder sogar gesetzlich geahndet. Beispiel: Korruption bzw. Bestechung. Es ist nicht zulässig, eine steuerliche Sonderbehandlung gegen Geld zu tauschen; ebenso ist es nicht möglich, politisches Ansehen oder Karriere gegen Bezahlung einzutauschen. Die Marktsteuerung ist auf einen klar abgegrenzten Bereich tauschbarer Leistungen beschränkt. Dies ist die Leistung der Differenzierung.
Legitimation Wirtschaftliche Aktivitäten werden nicht länger durch religiöse oder kulturelle Weltbilder legitimiert, sondern durch technische und strategische Erfolgskriterien. Gewinn, materielle Sicherheit und individueller Erfolg, in der traditionalen Wirtschaftsordnung noch durch nichts zu rechtfertigen, werden zur eigentlichen Legitimationsgrundlage. Unter den Bedingungen der Marktsteuerung sind Wirtschaft und Gesellschaft, Wirtschaft und Staat getrennt. Jeder öffentliche Eingriff in die Wirtschaft wird als Störung des Marktgleichgewichts gewertet. Staat und Wirtschaft bilden relativ autonome, voneinander differenzierte Sphären, in denen Aufgaben und Funktionen gewissermaßen durch Ressortteilung getrennt sind. Der Staat hat sich im System der Marktsteuerung den Rationalitätsansprüchen und Funktionserfordernissen der Wirtschaft zu unterwerfen. Er ist in seinen Zuständigkeiten stark zurückgedrängt: Seine Aufgabe besteht allein noch darin, den gesetzlichen Rahmen bereitzustellen, innerhalb dessen die Wirtschaftsprozesse der eigenen Regelung und den eigenen Erfolgskriterien überlassen werden. Die anerkannte und allgemein verbürgte Enthaltsamkeit des Staates macht eine Besonderheit der Marktsteuerung deutlich: Sie kennzeichnet die Autonomie einer souveränen, von allen politischen und sozialen Eingriffen verschonten Privatwirtschaft, in der die Verfolgung individualistischer Interessen mit freien Transaktionsmöglichkeiten einhergeht. Damit wird die Wirtschaft von allen externen, das heißt außerökonomischen bzw. gesellschaftlichen Legitimationsgrundlagen freigesetzt. Die mythologische Interpretation traditionaler ökonomischer Handlungen wird transformiert in eine instrumenteile Denkweise. Wertschätzung erfährt die Wirtschaft allein durch die materiellen Leistungen, die sie erbringt. Nicht länger intervenieren soziale Bindungen, religiöse und kulturelle Weltbilder oder gesellschaftliche Normen in die Wirtschaft; die Wirtschaft formt sich vielmehr zu einem rein mechanischen, unpersönlichen, unparteiischen und eigenrationa-
5.3 Die Marktsteuerung
161
len System. Ihre Legitimation resultiert allein aus dem rationalen Erfolg, den der M a r k t selbst bestimmt. O b die Wirtschaft zugleich kulturelle oder soziale Interessen bedient, ist unerheblich. N u r die effiziente F u n k t i o n s e r f ü l l u n g spielt noch eine Rolle. Befreit von den Fesseln traditionsgeleiteter Legitimationsansprüche k ö n n e n sich neue Produktionsweisen, neue Verbrauchsformen, neue P r o d u k t e und rationale Marktbeziehungen ungehindert entfalten. Die rasche Entwicklung des m o d e r n e n Industriesystems ist nur vor dem Hintergrund der rationalen Legitimationsgrundlage der M a r k t s t e u e r u n g zu verstehen. Strategische
Rationalität
Die M a r k t s t e u e r u n g beruht auf der Entwicklung einer individualistisch orientierten Zweck-Mittel-Rationalität, oder — wie m a n sie auch bezeichnen k ö n n t e — formalen oder strategischen Rationalität. Die M a r k t s t e u e r u n g legt die wirtschaftlichen Verhaltensweisen auf eine im historischen Ablauf völlig neuartige Rationalität fest, die sich in ihrer Wirkungsweise und in ihrem Ausdruck von allen anderen Gesellschaftsbereichen unterscheidet. Zweck-Mittel-Rationalität bedeutet, d a ß die Bindung einer ökonomischen H a n d l u n g an soziale Kollektive nicht existiert. Wirtschaftliches Handeln erfolgt allein aus dem Nutzenkalkül einer individuellen Interessenlage. Dieses Rationalitätstheorem ist an ein bestimmtes Menschenbild gebunden. Als wirtschaftenden Menschen stellt man sich einen „ h o m o oeconomicus" (der wirtschaftende Mensch) vor, dessen Entscheidungskriterien von folgenden M e r k m a l e n bestimmt werden (Burghardt 1974: 33): — Der h o m o oeconomicus besitzt alle f ü r eine Entscheidung notwendigen Informationen, so d a ß er aufgrund einheitlicher P r ä f e r e n z f u n k t i o n e n aus dem Komplex der v o r h a n d e n e n Alternativen die jeweils günstigste auszuwählen und allein schon deswegen „richtig" zu entscheiden vermag. — Die Rationalität der Ziele wird als gegeben vorausgesetzt. — Die Rationalitätskriterien (z. B. Kosten-Nutzen-Verhältnis) sind operational, das heißt meßbar. Unter diesen Bedingungen ist die substantielle Basis der M a r k t s t e u e r u n g ein Rationalitätskonzept, das auf zwei Varianten beruht (Gaefgen 1969: 102): a) Verwende gegebene Mittel so, d a ß d a m i t der höchste Ertrag erzielt werden kann. b) Erreiche einen gegebenen Zweck mit dem geringsten A u f w a n d .
162
5. Steuerungsformen der Wirtschaft
Die strategische Rationalität der Marktsteuerung ist demnach weder eine psychologische Antriebsquelle für die Durchsetzung vitaler Eigeninteressen noch Ausdruck einer subjektiven Veranlagung, sondern das Ergebnis eines sozialen Lernprozesses. Sie kann als institutionalisiertes gesellschaftliches Wertmuster betrachtet werden, das sich als Handlungspostulat an alle Wirtschaftssubjekte richtet. Wer gegen ihr Prinzip verstößt (beispielsweise wer sein Vermögen verspielt, keine Gewinne macht, sich über das Ohr hauen läßt, sich unter Wert verkauft), muß mit negativen sozialen Sanktionen rechnen, etwa mit Spott oder Positionsverlust. Die strategische Rationalität des homo oeconomicus stimmt allerdings mit der Wirklichkeit nicht überein. Kein Mensch handelt immer streng rational. Alle machen Fehler, alle beziehen mehr oder weniger irrationale Gesichtspunktein ihre Entscheidungen ein. Das Merkmal der strategischen Rationalität ist vielmehr eine Arbeitshypothese, eine modellhafte Überzeichnung einer Handlungsweise, die für die Marktsteuerung als charakteristisch gilt. Wirksam wird die strategische Rationalität vor allem dort, wo die Gesellschaft selbst rationale Züge annimmt. Max Weber nennt folgende acht Bedingungen für die Erzielung eines Höchstmaßes an formaler Rationalität (Max Weber 1976:94): — — — — — — — —
Gütermarktfreiheit Unternehmungsfreiheit (Unternehmerautonomie) freie Arbeit, Arbeitsmarktfreiheit wirtschaftliche Vertragsfreiheit mechanisch-rationale Technik formal-rationale Verwaltung, formal-rationales Recht Trennung von Betrieb und Haushalt formal-rationale Ordnung des Geldwesens.
Innovation
und
Wachstum
Im Gegensatz zur traditionellen Wirtschaftsordnung ist die Marktsteuerung auf Fortschritt und Wachstum hin orientiert. Erst Innovationen, technische und organisatorische Neuerungen bieten vor dem Hintergrund des Wettbewerbs den legitimierenden Erfolgsausweis. Ist in der traditionellen Ordnung noch jede Änderung wirtschaftlicher Handlungsweisen untersagt, so ist sie in der Marktordnung geradezu geboten. Alternativreichtum, Machbarkeit, Gestaltbarkeit sind im Rahmen der Marktordnung kulturelle Selbstverständlichkeiten. Die Wirtschaft erscheint als ein Potential von Möglichkeiten. Beispiele f ü r Änderungs- und Innovationsformen sind: — Variationen der Produktionsweisen (Herstellverfahren) — Variation der Produkt- und Dienstleistungen (Produktdifferenzierung)
5.3 Die Marktsteuerung
163
— Variation der Organisation (Aufbau- und Ablauforganisation) — Variation des Konsumstils (Veränderungen von Gebrauchsgewohnheiten) — Variationen der Entwicklungsimpulse (Forschungsschwerpunkte) — Variationen der Arbeit (Arbeitszeit, Arbeitsstil, Arbeitsorganisation) — Variationen der Wirtschaftsnormen (Rationalitätsmaßstäbe).
Strukturprinzipien
der
Marktsteuerung
Die Marktsteuerung beruht primär auf dem Prinzip des Wettbewerbs (Anbieterseite) und des Tausches (Nachfragerseite). Der Wettbewerb wirkt wie ein gigantisches selbstregulatives Koordinationssystem, ein Regelkreis, der ohne zentrale Planung den Einsatz aller zur Verfügung stehenden Leistungskräfte zu optimieren sucht, ohne einem einzigen Marktteilnehmer Gewalt anzutun. Märkte sind daher nicht-autoritär organisierte, dezentrale Systeme der Verhaltenssteuerung. Der Wettbewerb organisiert auf der Anbieterseite die Marktbeziehungen auf der Grundlage eines finanziellen Sanktionsmechanismus: positive finanzielle Sanktionen wie Gewinn, Bilanzerfolg, Verdienstchancen und negative finanzielle Sanktionen wie Mißerfolg, Verlust, Gefahr des Konkurses steuern das jeweilige Verhalten der Marktpartner. Auf der Nachfragerseite dominiert dagegen der Markttausch. Er ist ein System, auf dessen Feld Anbieter und Nachfrager in neutralisierten, unpersönlichen Beziehungen zueinander treten, und zwar — — — —
auf der Basis von Nutzen-Kosten-Kalkülen aufgrund von individuellen Interessen und Bedürfnissen aufgrund von durch persönliche Ziele geprägten Vorstellungen aufgrund von allgemeinen Normen des Verbrauchs.
Beide Strukturprinzipien, der Wettbewerb und Markttausch, setzen volle Anbieter- und Nachfragersouveränität voraus. Dies bedeutet — freier Austausch von Personen und Sachen — freie Wählbarkeit von Personen und Sachen — freie Zurückweisung von Personen und Sachen. Der Markt ist unter Konkurrenzbedingungen die Summe unendlicher rationaler Entscheidungsakte, ohne Unternehmens- oder Sachbindungen zuzulassen. Wettbewerb neutralisiert alle Bindungsbemühungen, um die formal gleichen Teilnahmechancen aller konkurrierenden Unternehmen zu gewährleisten. Jede Kaufentscheidung des Verbrauchers ist insoweit stets das erneute
164
5. Steuerungsformen der Wirtschaft
Auswahlergebnis aus zur freien Disposition stehenden Alternativen. Der Verbraucher fungiert im System der Marktsteuerung als autonome, unbestechliche Schiedsinstanz (vgl. Kapitel 4, Der Wettbewerb). Das Modell des Wettbewerbs rechnet demnach mit der strikten Trennung von Anbieter- und Nachfragerseite, von Unternehmern und Verbrauchern. Beide sind völlig unabhängig. Die Souveränität ist uneingeschränkt. Dem Verbraucher wird zugemutet, daß er in einem optimalen Preis-Leistungsverhältnis den alleinigen Maßstab für seine Kaufentscheidung findet. Im Gegensatz zur traditionalen Wirtschaftsordnung können die Beziehungen zum M a r k t p a r t ner frei gewählt und zurückgewiesen werden, ohne soziale Sanktionen befürchten zu müssen. Im Gegenteil: Die rationale Wahl der Beziehung ist sogar geboten. Man kann ein Geschäft ablehnen, ohne sein Gesicht zu verlieren. Die Marktsteuerung schafft Distanz zu Sachen und Personen.
Die Handlungsorientierungen
der Marktsteuerung
(pattern
variables)*
1. Die Marktsteuerung unterliegt einer affektiv-neutralen Handlungsorientierung, da organisationsbezogene Rollen überwiegen. Emotionale und soziale Bindungen spielen bei der Wahl wirtschaftlicher Beziehungen zumeist keine Rolle. 2. Im Gegensatz zur traditionalen Wirtschaftsordnung beruht die Marktsteuerung nicht auf einem diffusen, sondern auf einem spezifischen, zielorientierten Verhalten. Die Marktbeziehungen sind auf rationale sachliche Interessenabwägungen gegründet. Die funktional spezifischen Rollen, die für die Marktsteuerung charakteristisch sind, sind nur auf solche Rechte und Verpflichtungen beschränkt, die in einer Art Vertrag ausdrücklich festgestellt und geklärt sind. „Fremdaufgaben" werden nicht übernommen. Die Ansprüche auf Erfüllung sachfremder Aufgaben können legitimerweise zurückgewiesen werden. 3. Die Marktsteuerung ist universalistisch und nicht partikularistisch orientiert. Die ökonomischen Beziehungen werden nach Kriterien gestaltet, die keine Rücksicht auf besondere Eigenschaften des Marktpartners wie Konfession, Status etc. nehmen. 4. Anerkennung und Statuszuweisung erfolgen nicht aufgrund traditioneller Normen, sondern aufgrund von Leistungen. Der jeweilige individuelle Leistungsstandard entscheidet über die Wertschätzung eines Wirtschaftssubjekts, nicht dagegen Herkunft und traditionell zugeschriebene Rollen. * Z u r inhaltlichen Darstellung der pattern variables siehe den entsprechenden Abschnitt unter 2.2 (Merkmale traditionaler Wirtschaftssteuerung).
5.4 Administrative Steuerung
165
5. Die Marktsteuerung beruht auf „Selbstorientierung". Charakteristisches Kennzeichen hierfür ist die Betonung von Individualinteressen und nicht der Interessen der Gesamtheit (Kollektivorientierung). Resümee: Die Marktsteuerung unterscheidet sich in allen fünf Strukturvariablen von der traditionalen Steuerung der Wirtschaft. Die Handlungen sind affektiv-neutral orientiert, sie sind spezifisch und universalistisch geprägt, die Wertschätzung beruht auf achievement, und es werden vor allem die Individualinteressen betont. Tauschmedium Die Marktsteuerung ist an die Entwicklung eines abstrakten Tauschmediums gebunden, da ständig verfeinerte rationale Vergleichsmöglichkeiten gefordert werden. Das Tauschmedium, das dies leistet, sind das Geld sowie vor allem der hochspezialisierte Apparat der Kreditwirtschaft (vgl. Kapitel 3, Geld als Tauschmedium).
5.4 Administrative Steuerung Unter administrativer Steuerung versteht man die Lösung wirtschaftlicher Aufgaben mittels bürokratischer oder staatlicher Autorität. Die Koordination wirtschaftlicher Prozesse erfolgt zentral. Der Typus einer rein administrativen Steuerung wirtschaftlicher Vorgänge ist in der Praxis kaum anzutreffen. In der Regel findet eine Art Funktionsteilung zwischen der Regierung statt, die bestimmte Bedingungen wirtschaftlichen Handelns hoheitlich regelt, und den an den wirtschaftlichen Prozessen beteiligten Gruppen, die gewisse Aufgaben selbstregulativ im Sinne der Marktsteuerung lösen. Das M a ß der Funktionsteilung ist unterschiedlich. Es variiert je nach politischer Ordnung. Beschränken sich die Eingriffe des Staates auf bestimmte Rahmenbedingungen, kann man von Marktwirtschaft sprechen; steuert der Staat dagegen alle Wirtschaftspläne, kann man von Planwirtschaft sprechen.
Legitimation Die administrative Steuerung der Wirtschaft wird durch öffentliche, politische und ideologische Interessen legitimiert. Sie wird beispielsweise legitimiert
166
5. Steuerungsformen der Wirtschaft
durch das Bild eines gerechten Wohlfahrtsstaates oder durch das Bild einer sozialistischen Gesellschaftsordnung. Verständlich wird die Legitimation der administrativen Steuerung vor dem historischen Hintergrund des liberalen Marktmodells. Im Zeitalter des Liberalismus waren administrative Eingriffe des Staates nicht gerechtfertigt. Dem Staat war Enthaltsamkeit verordnet. Doch im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts — während weniger Jahrzehnte der spätliberalen Epoche — wurde deutlich, daß die Idee einer selbstregulativen Marktsteuerung eine krasse Utopie bedeutete. Das von Adam Smith prognostizierte Gemeinwohl erwies sich als Fiktion. Vor allen staatlichen Eingriffen geschützt, von allen öffentlichen Regulierungen verschont, enthüllte die Marktsteuerung ihren selbstzerstörerischen Charakter. Die zunehmende Konzentration in der Wirtschaft, die Aufteilung der Märkte auf dem Wege über Preis- und Produktionsabsprachen, die Verbreitung oligopolistischer Marktstellungen und die sich zuspitzende Armut weiter Bevölkerungskreise führten zu nie gekannten, immensen sozial- und wirtschaftspolitischen Problemen. Man erkannte, daß kompensatorische Maßnahmen des Staates notwendig wurden, um den gefährlichen, selbstdestruktiven Kräften des Marktes entgegenzuwirken und einen Ausgleich zwischen wirtschaftlichen und sozialen Interessen zu ermöglichen. Die Ungerechtigkeiten, die die Marktsteuerung hinterließ, begründeten den verbreiteten Ruf nach staatlicher Regulierung der Wirtschaft. Erst das allgemeine Mißtrauen, das sich in der Bevölkerung gegenüber einem allein den Marktkräften überlassenen Wirtschaftssystem bildete, verhalf dem Staatsinterventionismus zu allgemeiner Billigung und damit der administrativen Steuerung zur eigentlichen Legitimation. Dem Staat wurden neue Kompetenzen zugemutet, neue Funktionen zugewiesen, die unter der Formel „sozialstaatlicher Verantwortung" eine neue Phase im Verhältnis von Staat und Gesellschaft markierten. Erst die Vorstellung sozialstaatlicher Eingriffe prägte das Bild einer guten und gerechten Wirtschaftsordnung. Nach dem Mehrheitsbild der Bevölkerung konnte die Wirtschaft nur funktionieren, wenn der Staat regulierend, ordnend und umverteilend eingriff. Die Koordination von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erfordernissen zielt auf eine Ordnung, in der das wirtschaftliche Handeln seine Legitimation nicht mehr nur aus den Leistungen des Marktes oder den rationalen Interessen des Individuums bezieht, sondern aus den übergeordneten Interessen des Gemeinwohls und der sozialen Gerechtigkeit. Die Legitimationsgrundlage der Marktsteuerung, derzufolge sich das Allgemeinwohl aus der Summe partikularer Einzelinteressen ergibt, wird in der administrativen Wirtschaftsordnung umgekehrt: Die Einzelinteressen müssen den Allgemeininteressen nachstehen.
5.4 Administrative Steuerung
167
Die Umkehr der Legitimationsgrundlage hat vor allem die sozialistischen Denkmuster und ihre Politik beeinflußt. Die Zentralverwaltungssysteme sozialistischer Prägung finden im Bild einer wie auch immer verstandenen gerechten Gesellschaft noch heute ihre Rechtfertigungsgrundlage. Aber auch in den kapitalistischen Wirtschaftssystemen spielt die veränderte Legitimation eine wichtige Rolle. Sie ist der Antrieb für einen sozialstaatlichen Interventionismus, hinter dem ebenfalls das Bild einer gerechten sozialen Ordnung steht.
Resümee: Die administrative Steuerung findet erstens ihre Legitimation in der Einbindung und Wahrung öffentlicher oder sozialer Interessen in den Wirtschaftsablauf. Sie findet ihre Legitimation zweitens im Bestreben, die Konflikte zwischen den am Wirtschaftsablauf beteiligten Gruppen zu minimieren (Interessenausgleich), und schließlich in der Wahrung der bestehenden M a r k t o r d nung gegenüber den ihr eigenen Selbstauflösungstendenzen.
Strukturprinzipien Im Gegensatz zur traditionalen- und Marktsteuerung tritt bei der administrativen Steuerung primär das Strukturprinzip der Macht bzw. hoheitlichen Autorität in den Vordergrund. Ferner spielen die persuasive Kommunikation und der redistributive Tausch eine Rolle. M a n kann unterscheiden zwischen a) einer direkten administrativen Lenkung der Wirtschaft und b) einer indirekten Lenkung der Wirtschaft. Die direkt autoritäre Lenkung wird durch staatliche Leitung der Produktion gekennzeichnet. Die Produktion kann sich auf öffentliche Dienstleistungen beziehen, wie zum Beispiel nationale Verteidigung, Bildungs- und Ausbildungswesen, sozialen Wohnungsbau, Fürsorgeeinrichtungen etc. D a ß dies produktive Leistungen sind, zeigt sich an der Bereitschaft der Bürger, d a f ü r Steuern zu zahlen. Die direkte administrative Steuerung kann sich aber auch auf die gesamte industrielle und landwirtschaftliche Güterproduktion beziehen. Hier werden alle wirtschaftlichen Leistungen zentral geplant und koordiniert. Charakteristisch f ü r diese Art der Steuerung sind erstens die sozialistischen Wirtschaftsordnungen und zweitens der Typus der staatskapitalistischen Ordnung, wie sie zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland bestand. Der Staatskapitalismus hat eine Reihe weiterer Etiketten erhalten: Befehlswirtschaft, totalitäre Staatswirtschaft, Neo-Merkantilismus, bürokratischer Kollektivismus. Sie alle bezeichnen ein System staatlich gelenkter Planwirtschaft.
168
5. Steuerungsformen der Wirtschaft
Hier üben die Industrieunternehmen ihre Aktivitäten gewissermaßen als nachgeordnete Regierungsstellen aus. Handwerkskammern werden zu behördlichen Instituten umgewandelt. Die Wirtschaftsprozesse haben sich weitreichenden regierungsamtlichen Generalplänen zu beugen (Pollock 1975:112 f.). Dies hat unter anderem Folgen für das Eigentumsverständnis. Äußert sich unter den Bedingungen der Marktsteuerung der Rechtstitel des Eigentums vorwiegend in freier Verfügbarkeit und freien Transaktionsmöglichkeiten, wird der Anspruch auf souveräne Verwertung im Staatskapitalismus, das heißt in einer administrativen Wirtschaftsordnung, erheblichen Einschränkungen unterworfen. Das Eigentum an Produktionsmitteln wird den Direktiven und Planungen einer Mehrjahresplan-Bürokratie untergeordnet. In der nationalsozialistischen Epoche bestimmte die sogenannte „Nationale Wirtschaftskammer" Umfang und Richtung der Produktionsprozesse. Die Produktion hat sich — anders als bei der Marktsteuerung — nicht nur an rationalen Erfolgsaussichten, sondern auch an politischen Erfordernissen zu orientieren. Der Staat kombiniert die Rolle des Lenkers der Wirtschaft mit der Rolle des öffentlichen Sach- und Interessenwalters. Die direkte Lenkung der Wirtschaft schränkt die Unabhängigkeit aller Wirtschaftssubjekte ein. ökonomische Kompetenzen werden zentralisiert. Ein Netz autoritativer Führungsstrukturen ersetzt den Markt als Feld des Tausches zwischen gleichen souveränen Partnern. Wirtschaftliches Handeln ist in letzter Konsequenz nicht mehr das Ergebnis individuellen Kalküls, sondern staats- und gesellschaftsbezogener Bestimmung. Daher spielt die direkte administrative Lenkung auch in den westlichen Wirtschaftssystemen eine gewisse Rolle. Ausdruck dieser Steuerungsform sind beispielsweise Genehmigungsverfahren, Subventionen, Protektionen, Durchführungsbestimmungen in der Herstellung von Produkten, Gesetz zur Mitbestimmung, Verbot von Unternehmenszusammenschlüssen etc. Ferner fällt hierunter die gesamte staatliche Wirtschafts-, Sozial-, Agrar- und Finanzpolitik. Unter indirekten Lenkungsmaßnahmen des Staates versteht man beispielsweise die Festsetzung von Höchst- und Mindestpreisen, An- und Verkäufe landwirtschaftlicher Produkte zur Stabilisierung der Agrarpreise oder sonstige Maßnahmen, die die Wirtschaft beeinflussen. Dazu gehört die Praxis der Wirtschaftslenkung durch staatlichen Einkauf von Endprodukten (zum Beispiel bei der Beschaffung von Waffen). Die Beschaffungsämter üben vielfach eine detaillierte Kontrolle über die Lieferfirmen aus. Ihr Einfluß erstreckt sich von der Überwachung der Produktionsplanung bis hin zur Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen. Neben Macht und Autorität kann auch die politische Form der persuasiven Kommunikation als administratives Steuerverfahren eine Rolle spielen. In
169
5.4 Administrative Steuerung
einem „präzeptoralen System" (vgl. Kapitel 4), das heißt in einem System der zentral gesteuerten politischen Indoktrination, kommt der Methode einer alles umfassenden und alles „durchdringenden" Erziehung eine besondere Bedeutung zu. Sie dient dem Ziel, die Abhängigkeit der Wirtschaft von bürokratischen Kontrollen abzubauen sowie im Gegenzug freiwillige Initiativen anzuregen, um so Energien freizusetzen, die eine autoritäre Koordination der Wirtschaft nicht entfalten kann. Lindblom verweist darauf, daß es Anzeichen d a f ü r gibt, daß sich in China durch Einsatz zahlreicher Formen der Bewußtseinssteuerung ein präzeptorales System als Sondertyp der administrativen Steuerung entwickelte (Lindblom 1980: 433 ff.). Der von M a o so genannte „Große Sprung nach vorn" in den Jahren 1958 bis 1960 war ein massiver Versuch, durch den gebündelten Einsatz „erzogener Energie" größere Fortschritte zu erreichen, als durch eine in herkömmlicher Weise koordinierte zentrale Planung hätte erzielt werden können. Ob aber Versuche Erfolg haben, beispielsweise die allgemeine Arbeitsmoral oder das Innovationspotential einer Gesellschaft durch Appelle, Erziehung oder positive Vorbilder zu heben, ist ungewiß. Jede Kampagne, die keine dauerhaften Anreize bietet, verliert rasch wieder an Schwung. Der Produktivitätsrückstand der Staatshandelsländer gegenüber den Industrienationen spricht für sich.
Handlungsorientierungen
(pattern
variables)
1. Grundsätzlich gilt, daß die sozialen Beziehungen unter den Bedingungen der administrativen Steuerung der Wirtschaft affektiv-neutral sind. Sie sind nicht emotionalen Bindungen unterworfen. Ähnlich wie im System der Marktwirtschaft dominieren organisationsbezogene Rollen. 2. Anders aber als im Rahmen der Marktsteuerung sind die sozialen Beziehungen der administrativen Steuerung nicht nur funktional-spezifisch. Sie sind allerdings auf der anderen Seite auch nicht wie in traditionalen Wirtschaftsordnungen diffus. Vielmehr spielen sowohl spezifische als auch diffuse Elemente im wirtschaftlichen Handeln eine Rolle. Wirtschaftliche Beziehungen können verschiedene, eng miteinander zusammenhängende gesellschafts- und sozialpolitische Interessen berühren (diffus) — sie können aber auch nach rein wirtschaftlichen Interessenabwägungen erfolgen (spezifisch). Der Tendenz nach überwiegt wohl der diffuse Charakter. 3. Die Beziehungen der traditionalen Steuerung sind ihrem Wesen nach universalistisch orientiert, das heißt, es findet in der Regel keine Bevorzugung bestimmter Gruppen oder Organisationen aufgrund ihres Status, ihrer Bedeutung statt. Alle Unternehmen werden gleich behandelt. Die Gesetze und Steuerungsmaßnahmen berühren alle in der gleichen Weise.
170
5. Steuerungsformen der Wirtschaft
4. Schließlich zeichnet sich die administrative Steuerung durch „Anerkennung von Leistungsverhalten" aus (achievement). Die Mitglieder des Wirtschaftssystems werden in der Regel nicht danach behandelt, wer oder was sie sind, sondern ausschließlich nach ihrer Leistung. 5. Letztlich sind die sozialen Beziehungen unter den Bedingungen der administrativen Steuerung nicht selbstorientiert, sondern kollektiv-orientiert; die Wirtschaftssubjekte orientieren sich in ihren Entscheidungen nicht am privaten Nutzenkalkül, sondern an einem wie immer auch verstandenen Gemeinwohl. Resümee: Die administrative Steuerung enthält in ihren Beziehungsformen Elemente der traditionalen und der Marktsteuerung. Sie ähnelt der Marktsteuerung in den Merkmalen der affektiven Neutralität, der universalistischen Orientierungen und des Leistungsverhaltens — sie stimmt dagegen mit der traditionalen Steuerungsform in den Aspekten der funktionalen Diffusität (allerdings nur der Tendenz nach) und der Kollektivorientierung überein. Differen zierung Die administrative Wirtschaftsordnung ist der Tendenz nach ausdifferenziert und zugleich entdifferenziert. Ausdifferenziert in dem Sinne, daß auch die administrative Steuerung hochspezialisierte Funktionen und Rollen sowohl in der Planungssphäre als auch in der eigentlichen Produktionssphäre von Gütern und Dienstleistungen ermöglicht. Entdifferenziert in dem Sinne, daß die Steuerung der Wirtschaft nicht ausschließlich nach rationalen Kriterien (Kosten-Nutzen-Kalkülen) erfolgt, sondern daß in die wirtschaftlichen Entscheidungen gesellschaftliche Erfordernisse und öffentliche Interessen hineinregieren (zum Beispiel Umweltschutz, Mutterschutz, Minderheitenschutz, Arbeitsschutz, Subventionen für die Landwirtschaft, protektionistische Maßnahmen zum Schutz einer Industrie). Entdifferenziert aber auch in dem Sinne, daß politische Normen, gesellschaftliche Werte oder ideologische Bindungen direkt die Erstellung von Wirtschaftsplänen bestimmen und beeinflussen können.
Rationalität Im Gegensatz zur Marktsteuerung beruht die administrative Wirtschaftssteuerung nicht auf einer individualistisch orientierten Zweck-MittelRationalität, sondern vorwiegend auf einer am Kollektivwohl orientierten „kommunikativen" Rationalität. Die kommunikative Rationalität kann verstanden werden als eine Rationaltät, die
5.4 Administrative Steuerung
171
— auf Verständigung gegenüber allen am Wirtschaftsleben beteiligten Gruppen gerichtet ist, also nicht das betonte Eigeninteresse im Auge hat, und — die verknüpft ist mit einem gemeinsamen Aushandeln von Gegensätzen. Das Ziel der kommunikativen Rationalität sind die soziale Integration aller gesellschaftlichen Gruppen und die Nutzung aller gesellschaftlichen Konsenschancen. In diesem Sinne ist die administrative Steuerung kommunikativrational geprägt, da die planerischen und gesetzlichen Eingriffe in die Wirtschaft nicht nach dem Nutzen einzelner Gruppen oder einzelner Individuen erfolgen, sondern in der Regel immer auf Interessenausgleich und Integration gerichtet sind. Zusammenfassung 1. Man kann die unendliche Vielfalt der Wirtschaftsweisen in drei Grundtypen zusammenfassen: a) die traditionale Steuerung der Wirtschaft, b) die Marktsteuerung, c) die administrative Steuerung der Wirtschaft. In der Realität sind Wirtschaftsordnungen Mischformen, in denen Elemente aller Steuerungsformen miteinander verbunden sind. 2. In der traditionalen Wirtschaftsordnung sind die wirtschaftlichen Akvititäten fest in kultureller Tradition verankert. Hier steuern Religion, Kultur, Verwandtschaft und soziale Bindungen alle wirtschaftlichen Aktivitäten. Die Arbeitsteilung ist gering, Kapital spielt kaum eine Rolle, Privateigentum im modernen Sinn des Begriffes gibt es nicht, Trennung von Arbeit und Freizeit ist unbekannt, und die Verteilung der erwirtschafteten Produkte erfolgt nach strengen sozialen Regeln. Die traditionale Wirtschaftssteuerung ist hauptsächlich moralisch oder religiös legitimiert; als vorherrschendes Handlungsmuster dient eine praktische Rationalität, die von einem System vorwiegend verwandtschaftlicher Beziehungen geprägt wird. Als Strukturprinzip wirtschaftlichen Handelns dominiert die reziprozitäre Tauschform, die in ein Netz sozialer Verpflichtungen eingebunden ist. 3. Zur Kennzeichnung unterschiedlicher Wirtschaftsweisen läßt sich besonders gut das Modell der pattern variables (Strukturvariablen) heranziehen. Bei den pattern variables handelt es sich um theoretische Handlungsalternativen, die unterschiedliche Formen des Wirtschaftens kennzeichnen und systematisieren können. Ihnen zufolge ist die traditionale Steuerung vorwiegend affektiv, diffus und partikularistisch orientiert. Sie beruht auf „ascription" und einer Kollektivorientierung. Dagegen sind die Handlungsorientierungen der Marktsteuerung affektiv neutral, spezifisch und universalistisch; sie basieren auf „achievement" und einer Selbstorientierung. Das administrative System enthält Elemente beider Orientierungsalternativen.
172
5. Steuerungsformen der Wirtschaft
Abb. 17: Zusammenfassende Übersicht über Besonderheiten und Merkmale der verschiedenen Wirtschaftsweisen
Merkmale
Steuerungsformen der Wirtschaft traditionale Steuerung
1. Legitimation
Religion, Verwandtschaft
2. vorherrschende Tauschform
reziprozitärer Tausch
3. Tauschsphäre
geringe lokale Tauschweite
4. Tauschmedium
einfaches Geldsystem, Naturalien
5. vorherrschendes Strukturprinzip
Tausch
6. Handlungsmuster (pattern variables)
affektiv diffus partikularistisch ascription kollektiv-orientiert
7. vorherrschender Eigentumsbegriff
transzendentaler Eigentumsbegriff
8. vorherrschende soziale Verhaltenssteuerung
traditionsgeleitete, an gesellschaftlichen Normen orientierte Steuerung
9. Koordination der Wirtschaftspläne
dezentrale, traditionsgeleitete ex-ante Koordination
10. Grad der Differenzierung
undifferenziert (multifunktionale Institutionen, ökonomische Aufgaben sind eingebettet in soziale Institutionen)
11. Art der Rationalität
praktische Rationalität
5.4 Administrative Steuerung
173
Abb. 17: Zusammenfassende Übersicht über Besonderheiten und Merkmale der verschiedenen Wirtschaftsweisen
Steuerungsformen der Wirtschaft Marktsteuerung
administrative Steuerung
Leistungsstandard und rational meßbarer Erfolg Markttausch
Bild einer gerechten, sozialen Gesellschaft
unbegrenzte Tauschweite
Tauschsphäre durch politische Interessen begrenzt (z.B. Protektionismus)
komplexes, abstraktes Geldund Kreditsystem Wettbewerb
relativ differenziertes Geldsystem, aber weniger komplex als in der Marktordnung Macht
affektiv neutral spezifisch universalistisch achievement selbstorientiert
affektiv neutral diffus/spezifisch universalistisch achievement kollektiv-orientiert
privates Eigentum
Sozialpflichtigkeit des Eigentums bzw. öffentliches Gemeineigentum
selbstregulative, nicht-autoritäre Marktsteuerung
autoritäre Steuerung
dezentrale, rationale ex-post Koordination
zentrale, ex-ante Koordination
ausdifferenziert (hochspezialisierte Rollen)
ausdifferenziert und entdifferenziert (spezialisierte Rollen und Institutionen, aber ökonomische Prozesse sind eingelagert in gesellschaftliche Erfordernisse
strategische Rationalität
kommunikative Rationalität
redistributiver Tausch
174
5. Steuerungsformen der Wirtschaft
4. Der mittelalterliche Markt ist ein Beispiel einer traditionalen Wirtschaftssteuerung. Kennzeichnend sind das Fehlen von Wettbewerb, Individualismus, Innovation und Differenzierung. Es handelt sich um eine genossenschaftlich-korporativ orientierte Wirtschaftsweise, der strikte Solidaritätsverpflichtungen, ständische Konventionen und die besondere Form eines personalen Treue-Kontraktes zugrundeliegen. 5. Die Marktsteuerung ist dagegen gekennzeichnet durch einen hochgradig ausdifferenzierten Markt, in dem die konsequente Nutzung des Eigeninteresses, die Autonomie des Individuums und die uneingeschränkte Orientierung an strategisch-rationalen Maßstäben zum alles beherrschenden Prinzip werden. Wirtschaftliche Aktivitäten werden nicht durch kulturelle Weltbilder oder moralische Leitlinien legitimiert, sondern allein durch technische Erfolgskriterien. 6. Unter administrativer Steuerung versteht man die Lenkung wirtschaftlicher Prozesse durch eine bürokratische oder staatliche Autorität. Diese Form der wirtschaftlichen Steuerung wird legitimiert durch das Bild eines gerechten Wohlfahrtsstaates bzw. durch die Idee oder Ideologie einer wie auch immer verstandenen vernünftigen Ordnung. Gekennzeichnet ist die administrative Steuerung vor allem durch eine kommunikative Rationalität, die auf die Einbeziehung öffentlicher und sozialer Interessen in das wirtschaftliche Handeln gerichtet ist.
Fragen zur Wiederholung 1. Was sind die charakteristischen Merkmale, in denen sich die drei Steuerungsformen der Wirtschaft ganz besonders unterscheiden? 2. Erläutern Sie den Unterschied zwischen dem formalistischen und substantivistischen Ansatz. 3. Was sind die pattern variables? Beschreiben Sie die einzelnen Merkmalpaare, und benutzen Sie sie zur Kennzeichnung unterschiedlicher Wirtschaftsweisen. 4. Gibt es auch in den Wirtschaftsordnungen der modernen westlichen Industrieländer Ihrer Einschätzung nach Elemente der traditionalen Wirtschaftssteuerung? 5. An welchen Erscheinungsformen des mittelalterlichen Marktes lassen sich die Elemente der traditionalen Wirtschaftssteuerung belegen?
5.4 Administrative Steuerung
175
6. Was würde es bedeuten, wenn sich in den Wirtschaftsordnungen der hochentwickelten Industriegesellschaften die Marktsteuerung gegenüber der administrativen Steuerung stärker durchsetzen würde? Was wären die gesellschaftlichen Konsequenzen? 7. Welche Folgen hat Ihrer Ansicht nach die Trennung von Familie bzw. Haushalt und Betrieb gehabt? 8. Beschreiben Sie den „homo oeconomicus". 9. Was ist Ihrer Ansicht nach die wichtigste Legitimationsgrundlage der sozialen Marktwirtschaft? 10. Welche Funktionen übt die administrative Steuerung aus?
6. Die Institutionen der sozialen Marktwirtschaft
6.1 Die Grundstrukturen des Marktes
Die Struktur der Marktwirtschaft ist ein relativ stabiles, bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterliegendes Gefüge von wirtschaftlichen Beziehungen. Sie kann gekennzeichnet werden a) durch die Strukturprinzipien wirtschaftlichen Handelns (vgl. Kapitel 4) und b) durch die Institutionen der Marktwirtschaft. Institutionen und Strukturprinzipien bilden zusammen die Merkmale einer wirtschaftlichen Ordnung. Während die Institutionen die Voraussetzungen für die Geltung und das Wirksamwerden einer Ordnung schaffen — die Institutionen sind daher die „Zustandsordnung" einer Wirtschaft —, kennzeichnen die Strukturprinzipien, in welcher Weise die Zustandsordnung ausgefüllt wird; die Strukturprinzipien bilden demnach die „Handlungsordnung" der Wirtschaft. Die Institutionen sind der Rahmen, der die Vorbedingungen und den Spielraum ökonomischen Handelns bestimmt. Dagegen werden in der Handlungsordnung die Leitlinien und Orientierungen sichtbar, die die wirtschaftlichen Beziehungen in jedem Einzelfall steuern. Institutionen lassen sich unter zwei Gesichtspunkten untersuchen: a) Welche Institutionen hat das System der Marktwirtschaft hervorgebracht? b) Wie beeinflussen die Institutionen, aus deren Regeln und Verpflichtungen sich das Verhalten der Wirtschaftssubjekte ergibt, die Prozesse in der Marktwirtschaft? Als Institutionalisierung der Wirtschaft kann man jenen Prozeß begreifen, in dessen Verlauf die Verfahrens- und Handlungsweisen der Marktwirtschaft Stabilität und Wertschätzung erhalten. Institutionen lassen sich auf zweifache Art verstehen: a) Institutionen als Entscheidungssysteme, mit deren Hilfe über die Verwendung der einer Marktwirtschaft zur Verfügung stehenden Mittel und Ressourcen entschieden wird. Institution in diesem Sinn ist beispielsweise das Verhandlungssystem der Tarifparteien.
178
6. Die Institutionen der sozialen Marktwirtschaft
b) Institutionen als Regeln und Normen, die die Grundlage des wirtschaftlichen Lebens bestimmen. Institutionen der Marktwirtschaft in diesem Sinne sind beispielsweise das Privateigentum und die Vertragsfreiheit. Die grundlegenden Institutionen der sozialen Marktwirtschaft lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Die Institutionen des Marktes — das Privateigentum — die Gewerbefreiheit (die Institution des privaten Unternehmertums) — die Berufsfreiheit — das individualistische Leistungsprinzip 2. Die Institutionen des Rechtssystems — das universalistische Rechtssystem — die Vertragsfreiheit 3. Die politischen Institutionen — die Institution der Koalitionsfreiheit (Tarifautonomie) — die Institution des Sozialstaats Unter dem Blickwinkel ihrer Institutionen ist die Marktwirtschaft ein Mischsystem. Weder unterliegt sie allein den Institutionen der Marktsteuerung noch ausschließlich den Institutionen der administrativen Steuerung. Elemente beider Steuerungsformen fallen in der Marktwirtschaft zusammen. Genau genommen handelt es sich bei ihr um den Typus einer „administrativ gesteuerten sozialen Marktwirtschaft". In diesem Begriff sind zwei unterschiedliche institutionelle Komplexe miteinander verknüpft: Institutionen, die vom Staat gestaltet und geschützt werden sowie Institutionen des Marktes. Die moderne Marktwirtschaft ist eine private und zugleich öffentliche Wirtschaft. Sie ist privat, weil Produktion und Konsum über die Institutionen des Marktes gesteuert werden. Aus mehreren Gründen ist sie aber auch öffentlich: — Es werden öffentliche Güter und Dienstleitungen produziert (Post, Bahn), für die es praktisch keine Konkurrenz gibt. Märkte als effiziente Informations-, Produktions- und Koordinationssysteme sind ebenso mit privatem wie mit öffentlichem Eigentum zu vereinbaren. — Der Staat greift wegen der verbindlichen Geltung des Sozialstaatsprinzips über Besteuerungen und Steuervergünstigungen in die Marktprozesse ein. — Der Staat hat aufgrund des sogenannten Stabilitätsgesetzes (Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom Juli 1967) die Globalsteuerung der Wirtschaft zu gewährleisten.
6.1 Die G r u n d s t r u k t u r e n des Marktes
179
— Im Markt herrscht nicht nur Konsumentensouveränität (die Produktion richtet sich nach den Konsumentenpräferenzen), sondern auch öffentliche Planersouveränität (die Produktion richtet sich nach Planerpräferenzen im Markt). In bestimmten Teilmärkten steuert die Regierung die Produktion, entweder indem sie allein als Nachfrager auftritt (Rüstungsgüter), oder indem sie alle Produkte zu einem bestimmten Garantiepreis aufkauft (Agrarmarkt). — Durch politischen Druck kann die Berücksichtigung öffentlicher Interessen in der Wirtschaft durchgesetzt werden. Die Wirtschaft der westlichen Industriegesellschaften ist eine „integrierte Marktwirtschaft". Sie ist eine Ordnungsform, in der private und öffentliche Interessen koordiniert werden. Private und gleichzeitig öffentliche Organisation wirtschaftlicher Angelegenheiten stehen aber nicht im Widerspruch zueinander. Im Gegenteil: je höher entwickelt eine Marktwirtschaft ist, umso mehr ist sie auf ein verläßliches und funktionsfähiges politisches System angewiesen. Die Stabilität der Wirtschaft hängt von der Stabilität der Staatsorgane ab. Dies zeigen die Erfahrungen des klassischen Liberalismus ebenso wie die Beispiele industrieller Schwellenländer in Asien, Afrika und Südamerika, in denen das Fehlen eines stabilen politischen Umfelds immer wieder zu dauerhaften wirtschaftlichen Krisen führt. Wie sehr wirtschaftliche und politische Vorgänge miteinander verbunden sind, wird an ganz alltäglichen ökonomischen Entscheidungen deutlich. Banken verleihen beispielswiese Kapital, das ihnen nicht gehört. Sie binden sich daher durch Verträge. Keine Bank stellt Kredite zur Verfügung, die politischen Risiken unterworfen sind, beispielsweise dem Vertragsrisiko wegen zu hoher Staatsverschuldung; dem Risiko permanenter Konjunkturkrisen wegen fehlender staatlicher Globalsteuerung; dem Risiko politischer Instabilität einer ganzen Region oder dem Risiko inflationärer Geldentwertung. Instabilität des Regierungssystems ist in höchstem Maße schädlich für die Wirtschaft. Zu Zeiten politischer Krisen wird nicht investiert, internationales Kapital wird abgezogen: Die Richtungen, in die sich beispielsweise die internationalen Dollarströme als Anlagewährung wenden, sind immer zugleich Wegmarkierungen zu politischen stabilen Regionen. N u r wo der Staat der Wirtschaft politische Rückendeckung gibt, ist die wirtschaftliche Entwicklung auf Dauer gesichert (vgl. Parsons 1972: 101 f.). Tendenziell kommt es heute zu vermehrten staatlichen Eingriffen in das wirtschaftliche Leben und damit zu einer zunehmenden „Administrierung" wirtschaftlicher Beziehungen. Diese Entwicklung hat zwei Gründe:
180
6. Die Institutionen der sozialen Marktwirtschaft
— Eine wachsende Ausgabentätigkeit des Staates, die einhergeht mit einem wachsenden Anteil des Staates an der Erwirtschaftung des Bruttosozialprodukts. Kennzeichen der Ausweitung der öffentlichen Wirtschaft ist die sogenannte Staatswirtschaftsquote. Sie bezeichnet den Umfang der vom Staat direkt oder indirekt beeinflußten Produktion von Gütern und Dienstleistungen. — Ein zunehmendes Interesse des Staates am Wirtschaftswachstum, weil er nur so den wachsenden Verpflichtungen des Sozialstaats und den öffentlichen Interessen der Gesamtgesellschaft auf Dauer Rechnung tragen kann. Die Grenzen staatlicher Interventionen sind nicht eindeutig festgelegt. Sie verschieben sich laufend. Zeitweise nimmt der administrative Charakter der Marktwirtschaft zu, zeitweise wird er zurückgedrängt, und es dominieren wieder die Institutionen der Marktsteuerung. Wohin sich das Pendel neigt, hängt von der politischen Willensbildung und dem öffentlichen Druck ab.
6.2 Die Institutionen des Marktes 6.2.1 Das Privateigentum Die staatlich geschützte Eigentumsgarantie bezieht sich nicht nur auf wirtschaftliche Produktionsfaktoren wie Geld, Boden und Produktionsmittel, sondern umfaßt neben allen „Vermögenswerten" Sachen auch Vermögenswerte schuldrechtliche Ansprüche. Unter die Eigentumsgarantie fallen demnach alle durch eigenverantwortliche Leistungen erworbenen Ansprüche und öffentlichen Berechtigungen. Eigentum verbürgt soziale Macht, aber es handelt sich um eine Macht, die sich nur auf materielle und immaterielle Güter erstreckt, nicht dagegen auf Personen. Soziale Macht über Personen ist durch die Institution des Eigentums nicht gedeckt. Im Selbstverständnis der heutigen Wirtschaftsordnung bedeutet Privateigentum die Einheit mehrerer Rechte: a) Recht des Eigentümers auf Nutzung einer Sache b) Recht des Eigentümers auf Verfügung einer Sache (Vererbung, Schenkung) c) Recht des Eigentümers auf Reingewinn, der mit seinem Eigentum von ihm selbst oder von anderen erzielt worden ist.
6.2 D i e Institutionen des Marktes
181
Eigentum ist als eine wirtschaftliche Institution zu bezeichnen, da Eigentümerinitiativen in Form von Gewinnen prämiert werden. Weil Gewinne zu erwarten sind, ist der Eigentümer von Produktionsmitteln bereit, produktive Neuerungen durchzusetzen. Private Eigentumsinteressen sind daher die Richtschnur wirtschaftlicher Aktivitäten. Das Privateigentum ist ursprünglich eine kapitalistische Institution. In der frühen liberalen Wirtschaftstheorie ist Eigentum weder durch staatlich-obrigkeitliche noch durch traditionelle oder religiöse Vorschriften beschränkt. Es erscheint als bloßes Instrument des wirtschaftlichen Fortschritts. Grundlage dieser Deutung ist die These, das von allen Bindungen gelöste Privateigentum setze ein für die kapitalistische Ordnung wichtiges Handlungsmotiv, den Eigennutz, frei (vgl. Kapitel 2, Adam Smith). Eben weil es privates Eigentum gäbe, „würden die Menschen lernen, nach ihrem persönlichen Vorteil, dem Erwerb und der Vergrößerung von Besitz mit friedlichen Mitteln zu streben.... Denn der durch Eigentum entbundene Eigennutz motiviere die Menschen zu regelmäßiger Arbeit und erziehe sie zu planvollem, zweckgerichtetem Handeln. Dadurch würde die Entfaltung menschlicher Erfindungsgabe begünstigt, würden Kunst und Wissenschaft zur Blüte gebracht, die gewerblichen und kaufmännischen Techniken verbessert, kurz: der durch die Institutionalisierung des privaten Eigentums entfesselte Egoismus trage maßgeblich zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und damit zu allgemeinem Wohlstand bei" (Pross 1973: 43 f.). Diese frühliberale Form des Eigentums hat sich nicht durchgesetzt. Ihr fehlen die sozialen Schranken, die verhindern, daß sich das Kräfteverhältnis in der Wirtschaft einseitig zu Gunsten weniger mächtiger Großunternehmen verlagert. Eigentum in privat uneingeschränkter Form führt zu sozialen Disproportionalitäten, Ungleichheiten und Ungleichgewichten, die die gesellschaftliche Stabilität gefährden. An diesen mit dem Eigentum verknüpften sozialen Problemen hat sich in der Vergangenheit der ideologische Streit zwischen Kapitalismus und Sozialismus entzündet. In der Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik ist der Versuch unternommen worden, die Institution des privaten Eigentums zu erhalten, zugleich aber ihre für die wirtschaftliche Stabilität negativen Folgeerscheinungen auszuschalten. Im modernen Eigentumsbegriff sind private und öffentliche Elemente vereinigt. Die Institution des Eigentums ist heute eine Mischinstitution. Wie läßt sich der Doppelcharakter des Eigentums erklären? Eigentum bedeutet immer ein Mehr an Rechten, ein Mehr an Macht und Chancen gegenüber dem Eigentumslosen. Eigentum ist mit Privilegierungen verbunden. In einem demokratischen Staat müssen aber Privilegierungen aus zwei Gründen gerechtfertigt werden: a) weil die Legitimität des Privateigentums durch Ideologien und Praxis sozialistischer Länder in Frage gestellt wird, und b) weil in
6. Die Institutionen der sozialen Marktwirtschaft
182
demokratischen Ländern Privilegierungen nur zulässig sind, wenn sie Leistungen ermöglichen, die der Gesellschaft insgesamt zugutekommen. Dies ist der Ausgangspunkt für die soziale und öffentliche Bindung von privatem Eigentum. Die Trennungslinie zwischen der privaten Verfügungsmacht über Eigentum und den Schranken der Sozialbindung ist nicht leicht zu ziehen. Da Eigentum Inbegriff der Dispositionsfreiheit des einzelnen ist, sind seine private Verfügung und Verwertung zunächst Voraussetzung für die für die Marktsteuerung konstitutive Anbieter- und Nachfragersouveränität. Andererseits müssen die Grundlagen der wirtschaftlichen Freiheit und Chancengleichheit aller geschützt werden. Das Eigentum muß auch Gemeinschaftsbedürfnissen und öffentlichen Interessen Rechnung tragen. Daher werden in der sozialen Marktwirtschaft der freien Verfügung des Eigentums Grenzen gezogen. Die Verfassung leistet dies, indem sie den Verpflichtungscharakter des Eigentums ausdrücklich verankert. Gemäß § 14 des Grundgesetzes „verpflichtet" Eigentum. Darin liegt eine klare Absage an einen freien schrankenlosen Individualismus. Die Einschränkung privater Verfügungsrechte über das Eigentum erfolgt durch a) b) c) d) e) f)
die Anerkennung von Gewerkschaften die Legalisierung von Tarifverträgen die Einführung des Arbeitsrechts den Ausbau der Sozialpolitik Gewinnbesteuerung erweiterte Mitbestimmung (durch Mitbestimmung wird beispielsweise den Interessen der Beschäftigten bei Beschlüssen der Unternehmensleitung größere Geltung eingeräumt.)
Die soziale Bindung des Eigentums in der Wirtschaft besteht darin, daß sein Gebrauch und seine Verwertung der Allgemeinheit zugute kommen sollen. Dem Eigentum werden um so mehr Grenzen gezogen, je mehr seine Nutzung in der öffentlichen Sphäre stattfindet. Der Eigentümer ist verpflichtet, auf die Allgemeinheit Rücksicht zu nehmen. Daher ist die soziale Bindung des Eigentums die Gelenkstelle zwischen Marktsteuerung und administrativer Steuerung der Wirtschaft. Sie ist die Nahtstelle, die den Übergang zum sozialen Wohlfahrtsstaat bzw. zur sozialen Marktwirtschaft markiert. Bedenken, eine zu weitgehende Beschränkung der privaten Verfügungsrechte über Eigentum bzw. der Ausbau von Mitbestimmung und staatlichen Eingriffen können zur Gefährdung der Marktwirtschaft führen, sind unbegründet. Belege dafür liefern die Publikumsgesellschaften, die der Kontrolle von Angestellten ohne nennenswerte Eigentumsrechte unterstehen. Sie demonstrieren, daß anstelle des reinen Privateigentums eher fachliche Entscheidungskompe-
6.2 Die Institutionen des Marktes
183
tenzen wirtschaftliche Fortschritte verbürgen. Wirtschaftliche Stabilität ist nicht an das Privateigentum gebunden, sondern an einen Eigentumsbegriff, in dem verschiedene gegenläufige Interessen zusammenlaufen.
6.2.2
Die Institution des privaten Unternehmertums
Neben der Garantie der Eigentumsfreiheit setzt die soziale Marktwirtschaft als institutionelle Rahmenbedingung die Gewerbefreiheit voraus. Sie w u r d e durch die G e w e r b e o r d n u n g des Norddeutschen Bundes von 1869, die später auf das gesamte Deutsche Reich ausgedehnt wurde, zum Gesetz erhoben (Stein 1968: 162). Mittlerweile hat die Gewerbefreiheit den R a n g eines G r u n d rechts erhalten. Die Institution der Gewerbefreiheit zeichnet sich durch zwei Merkmale aus: a) freien Z u g a n g zum M a r k t und b) die Rolle des privaten Unternehmers (das freie Unternehmertum). Nach traditioneller Auffassung ist es A u f g a b e des Unternehmers, f ü r die Erzeugung und Verbreitung neuer Produkte, neuer Produktionsverfahren und neuer Produktqualitäten zu sorgen. U n t e r n e h m e r wäre d e m n a c h jeder, der selbstverantwortliche Innovationen tätigt u n d als Pionier wirtschaftlichen Fortschritts wirkt (vgl. Kapitel 2, Josef Schumpeter). D a s traditionelle Bild des Unternehmers ist aber nicht n u r mit der Gewerbefreiheit, sondern auch mit dem Privateigentum verbunden. Der U n t e r n e h m e r besitzt Produktionsmittel, er ist Eigentümer von G e b ä u d e n , Maschinen u n d Kapital. Beide Begriffsmerkmale — der U n t e r n e h m e r als Neuerer u n d der U n t e r n e h m e r als Eigentümer von Produktionsmitteln — sind inzwischen problematisch geworden. Die moderne wirtschaftliche Entwicklung geht in der Regel nicht mehr auf das erfinderische Genie eines einzelnen zurück, sondern auf die Arbeit vieler Beteiligter. Träger wirtschaftlicher Leistungen ist „ein vielköpfiges Heer von Theoretikern und Praktikern, innerhalb und außerhalb der Firmen: von Forschern, Technikern, Finanzfachleuten, Experten der Organisation. N i e m a n d bezeichnet sie als U n t e r n e h m e r , u n d doch sind sie gleichsam Teilhaber an der von Schumpeter beschriebenen U n t e r n e h m e r f u n k tion. Diese F u n k t i o n , so wie Schumpeter sie sah, hat sich gespalten. Viele, die Unternehmensleiter sind, u n d noch häufiger solche, die es nicht sind, nehmen sie wahr" (Pross 1973:51 f.). U n d umgekehrt gibt es in den U n t e r n e h m e n heute viele Personen in leitenden Stellungen, die alles andere als Neuerer sind. Sie sind Unternehmer, aber verwalten n u r den status quo. Ebenso ist der moderne Unternehmer nicht mehr länger Eigentümer des Kapitals. In den obersten Rängen der großen Publikumsgesellschaften agieren Manager, denen das Aktienkapital nicht gehört. Sie fungieren als Stellvertre-
184
6. Die Institutionen der sozialen Marktwirtschaft
ter der Eigentümer. Mit den Aktionären als den eigentlichen Eigentümern konfrontiert, können sie trotzdem Entscheidungen treffen, als gehöre ihnen das Kapital. Der einzelne Aktionär, der Kapitalbesitzer selbst, ist weitgehend machtlos, außer wenn er als Bank- oder Großaktionär Einfluß nehmen kann. Die Institutionen der Gewerbefreiheit und des privaten Eigentums haben ein neues Unternehmerbild geprägt. Maßgebliches Kriterium in der Rolle des modernen Unternehmers ist die Entscheidungsautonomie des Unternehmensleiters. Unternehmer sind diejenigen Personen, die Beschlüsse formulieren und durchsetzen können, gleichgültig ob sie Angestellte oder Eigentümer sind, innovativ tätig oder bloße Verwalter von Vorhandenem sind. Die historische Entwickung der Unternehmerrolle läßt sich an drei Typen nachzeichnen (vgl. Chandler 1974: 35 ff.): 1. „Personal Enterprise". Die Entscheidungen werden von Einzelpersonen getroffen. Diesem Typ entspricht auch das klassische Unternehmerbild vom Eigentümer und Neuerer. Er tritt heute vor allem in hochinnovativen Kleinunternehmen auf (Beispiel: Software-Dienstleistungsunternehmen, Branchen der Gen-Technologie sowie der Mikroelektronik). 2. „Enterprenurial Enterprise". Die Kapitaleigner entscheiden über die langfristige Geschäftspolitik, die angestellten Manager leiten die Tagesgeschäfte. Dieser Typ herrscht vor allem in mittelständischen Kapitalgesellschaften vor, in denen nach wie vor eine enge Beziehung zwischen zumeist nur wenigen Teilhabern und Geschäftsführern besteht. 3. „Managerial Enterprise". Bei diesem Unternehmenstyp, der vor allem die modernen Publikumsgesellschaften kennzeichnet, haben sich die Manager von der Kontrolle des Kapitals (der Eigentümer) gelöst. Hier haben sich relativ neue formalisierte Beratungs- und Entscheidungsstrukturen gebildet, die an die Stelle individueller Eigentümerbeschlüsse Gruppenstrukturen des Entscheidens setzen. Solche Entscheidungen sind zumeist Kompromisse zwischen divergierenden Spezialistenteams und Fachleuten auf der einen Seite sowie Gruppeninteressen und öffentlichen Belangen auf der anderen Seite. Vor allem öffentliche Forderungen scheinen mehr und mehr in die innerbetrieblichen Entscheidungsstrukturen hineinzuspielen. Die Entscheidungsprämissen großer Unternehmen werden nicht länger allein von bloß wirtschaftlichen Bedingungen wie beispielsweise dem effizienten Einsatz von Kapital und Organisation bestimmt, sondern auch von der Geltung öffentlicher Interessen im betrieblichen Alltag (vgl. Kapitel 4, Die kommunikative Marktöffentlichkeit). An die Stelle traditioneller, auf nur betriebliche Belange ausgerichteter Entscheidungsverfahren treten heute mehr und mehr partizipa-
6.2 Die Institutionen des Marktes
185
tive, öffentlichkeitsorientierte Entscheidungsmuster. Das ehedem private Unternehmertum erhält zusehends einen öffentlichen Charakter. Wirtschaftliche Entscheidungen fallen in Form von Interessenkompromissen, die über die Schranken der privaten Unternehmen hinausgehen. In dem Maße aber, in dem sich das Aushandeln der Kompromisse in den Verkehrskreis der Öffentlichkeit verschiebt, büßen die Unternehmen zugleich ihre aus dem Eigentum abgeleitete uneingeschränkte Verwertungs- und Verfügungsbefugnis ein, verlieren auch die Manager ihre traditionelle Entscheidungsautonomie. Die formalen innerbetrieblichen Entscheidungsstrukturen werden heute vielfach durch informelle außerbetriebliche Einflüsse überlagert. Die klassische Abgrenzung zwischen Wirtschaft und Gesellschaft löst sich auf. Sichtbarer Ausdruck des Strukturwandels der privaten Unternehmen sind Änderungen im Organisationsaufbau. I n d e n Organisationsplänen amerikanischer Unternehmen tauchen Funktionen auf wie Vice President oder Director of Urban Affairs, Environmental Affairs, Minority Relations, Community Relations. Oder man findet Stabsabteilungen für Sozial- und Umweltpolitik, Informationszentren, Komitees und Ausschüsse, die auf die Einbeziehung öffentlicher Interessen in die unternehmerischen Entscheidungsverfahren spezialisiert sind. Diese Stäbe, zumeist angesiedelt auf der obersten hierarchischen Ebene eines Unternehmens, haben die Aufgabe, den Druck gesellschaftlicher Interessen mit betrieblichen Erfordernissen zu koordinieren. Sie befassen sich mit jenen öffentlichen Themen, die für die grundsätzlichen Planungs- und Entscheidungsprogramme eines Unternehmens eine Rolle spielen könnten. Dabei werden gesellschaftliche Entwicklungstrends analysiert, soziale, politische und kulturelle Daten aufbereitet, zu Programmen verdichtet und in ihrer Bedeutung für die unternehmenspolitische Zielsetzung interpretiert. Ein weiteres Merkmal der veränderten quasi-öffentlichen Entscheidungsstrukturen der Unternehmen sind die sogenannten sozialen Erfolgs- und Bestandsrechnungen (die Social Balance Sheets oder Social Income Statements). Sie bilden den äußeren Rahmen für die Erhebung und systematische Erfassung von Daten über die gesellschaftlichen Auswirkungen der regelmäßigen Unternehmenstätigkeit. Die Daten werden in einer „Sozialbilanz" zusammengestellt, die anders als die klassische finanzwirtschaftliche Bilanz als Konto von Forderungen und Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft aufgefaßt wird. Die Sozialbilanz enthält die sozialen und öffentlichen Leistungen wie auch die sozialen und öffentlichen Kosten, die ein Unternehmen verursacht. Im einzelnen werden die sozialen Nutzen wie beispielsweise Verbesserung der Umwelt, neugeschaffene Arbeitsplätze, Einstellung Benachteiligter, Humanisierung von Arbeitsplätzen, Förderung von Wissenschaft und Kunst den sozialen Kosten gegenübergestellt wie beanspruchten Staatsleistungen, beanspruchten kommunalen Diensten, Umweltschädigungen, Entlassungen etc.
186
6. Die Institutionen der sozialen Marktwirtschaft
Im Konzept der Sozialbilanz oder der Sozialberichterstattung wird die gesellschaftliche und öffentliche Dimension unternehmerischer Entscheidungsmuster ausdrücklich festgeschrieben. Die Sozialbilanz ist Ausdruck einer bestimmten gesellschaftlichen Kapazität eines Unternehmens; sie ist Ausdruck eingegangener gesellschaftlicher Verpflichtungen. W ä h r e n d die Finanzbilanz in erster Linie das ökonomisch-technische Bild eines Unternehmens abbildet, symbolisiert die Sozialbilanz das enge Wechselverhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft: In ihr spiegeln sich öffentliche Interessen u n d Werte wider, die in die unternehmerischen Entscheidungsprozesse eingegangen sind (vgl. Büß 1983: 83 ff.). Nicht nur die Rolle des Unternehmers, auch seine Aufgaben sind damit im Wandel begriffen. Die wichtigste Veränderung betrifft jedoch nicht die eigentlichen wirtschaftlichen Funktionen. Die Logik des Gewinnprinzips, das heißt die Prämierung des Eigentums, ist nach wie vor das zentrale Handlungsmotiv in der Wirtschaft; aber eben nicht mehr uneingeschränkt. W o die Mechanismen der Konkurrenz nicht mehr ausreichen, die in die Gesellschaft hineinreichenden Konsequenzen wirtschaftlichen Handelns aufzufangen, wird im Gegenzug den Unternehmen die Zuständigkeit für außerökonomische Funktionen zugemutet. Statt von einer Nur-Zuständigkeit für bloß wirtschaftliche Aufgaben könnte man heute von einer Mehr-Zuständigkeit der Unternehmung f ü r wirtschaftliche und gesellschaftliche Funktionen sprechen. Das f ü r die Marktsteuerung typische Merkmal der Souveränität des Eigentümers, das in der Institution der Gewerbefreiheit mitschwingt, unterliegt einem Wandel. Enthielt der traditionelle Begriff der Produzentensouveränität noch eine Art Blankovollmacht für die Ausübung wirtschaftlicher Aufgaben und damit zugleich eine Freistellung von gesellschaftlichen Funktionen, formt der neue Souveränitätsbegriff die Rolle des Unternehmens um: Ihm wird jetzt auch eine Art Generalzuständigkeit für die Übernahme gesellschaftlicher Aufgaben zugemutet. Einer Studie von George Steiner zufolge beschäftigen sich die Manager amerikanischer Großunternehmen bereits zu einem Viertel bis zur Hälfte ihrer Arbeitszeit mit der Umwelt, das heißt mit gesellschaftlichen und öffentlichen Problemen. Verglichen mit dem historischen Typus des privaten Unternehmers ist das moderne Unternehmen privat und öffentlich zugleich: Darin liegt die Doppelnatur der neuen Unternehmerrolle.
6.2.3 Die Berufsfreiheit Was die Gewerbefreiheit für die Unternehmer ist, ist die Institution der Berufsfreiheit für die Arbeitnehmer. Gewerbefreiheit und Berufsfreiheit sind komplementäre Institutionen der sozialen Marktwirtschaft. Sie betonen die
6.2 Die Institutionen des Marktes
187
für die dezentrale Koordinierung wirtschaftlicher Prozesse so voraussetzungsvolle Entscheidungsautonomie und Souveränität des Individuums. Der Schwerpunkt der Berufsfreiheit liegt auf dem grundgesetzlich verankerten Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Recht auf Berufsfreiheit bedeutet aber nicht zugleich auch Recht auf Berufsausübung. Die Institution der Berufsfreiheit ist in einem negatorischen (abwehrenden) Sinn zu verstehen: Niemand kann gegen seinen Willen zu einer Tätigkeit gezwungen werden. Die Berufsfreiheit ist eine Institution der entwickelten Gesellschaft. In traditionellen nicht-entwickelten Wirtschaftsordnungen gibt es keine Berufsrollen. Wirtschaftliche Tätigkeiten sind noch nicht spezialisiert, sie sind organisch in den allgemeinen gesellschaftlichen Zusammenhang eingebunden. Ein umfangreiches System von Berufsrollen kann nur dort institutionalisiert werden, wo sich wirtschaftliche Tätigkeiten verselbständigen und aus dem sozialen Zusammenhang herausgelagert werden (vgl. Kapitel 3). Die Entwicklung von Berufsrollen ist an drei Voraussetzungen gebunden: a) Differenzierung von Haushalten und Betrieben b) Arbeitsteilung c) Professionalisierung von Tätigkeiten. Arbeit nennt man jede zielgerichtete menschliche Tätigkeit zum Zwecke der Wahrung und Verbesserung des materiellen Lebensstandards oder des sozialen Status. Unter Beruf versteht man dagegen eine dauerhaft ausgeübte, spezialisierte und institutionalisierte Tätigkeit. Wirtschaftliche Tätigkeiten werden allerdings erst zum Beruf, wenn sie in eigens für die eingerichteten betrieblichen Stätten vollbracht werden. Berufsrollen entwickeln sich durch die Herauslösung der Arbeit aus dem familialen Haushalt. Ebenso sind Berufe an die Differenzierung von Arbeitsprozessen sowie an ein System der Arbeitsspezialisierung und Arbeitsteilung gebunden. Die folgenreichste Arbeitsteilung in der Geschichte war die Trennung von geistiger und körperlicher Tätigkeit, von, wie man es heute in den USA nennt: white collar workers und blue collar workers. Sie war zugleich das entscheidende Kriterium für die Differenzierung sozialer Schichten. Auch heute sind Art des Berufes, Qualifikation im Beruf und Einkommen die wichtigsten Merkmale des gesellschaftlichen Status und damit der Zuordnung des Einzelnen zu einer sozialen Schicht. Unter Verberuflichung bzw. Professionalisierung versteht man die Herausbildung berufstypischer Qualifikationsanforderungen, berufsspezieller Methoden und Verfahren sowie die Entwicklung berufsspezifischer Verhaltenswei-
6. Die Institutionen der sozialen Marktwirtschaft
188
sen und Wertstandards, beispielsweise eines Berufsethos. D i e Verberuflichung der Arbeit umfaßt alle Stufen der Berufshierarchie, alle Tätigkeitsfunktionen, selbst die der ehemaligen Besitzfunktionen ( G r u n d , B o d e n und Kapital). Auch Besitz ist heute in B e r u f transformiert worden, erkennbar an den F u n k t i o n e n der Geschäftsführung, des Managements oder der Verwaltung. D i e Berufsfreiheit ist damit eine wichtige Institution der sozialen Marktwirtschaft, da der Prozeß der Verberuflichung neuer Funktionen erst die Voraussetzung technischen Fortschritts und wirtschaftlichen W a c h s t u m s bildet.
6 . 2 . 4 D a s individualistische Leistungsprinzip Eine weitere Institution des Marktes ist das Leistungsprinzip. Die Bedeutung der Leistung in der Wirtschaft beruht auf ihrer F u n k t i o n im Wettbewerb. Hier unterliegt sie einer fortgesetzten Bewertung. Wirtschaftliche Leistung ist die Grundlage von Erfolg und Mißerfolg; ihr Ergebnis ist Ausdruck einer objektivierten Rangordnung zwischen Menschen und Unternehmen. D i e Entwicklung des Leistungsprinzips und die damit verbundene Betonung individuellen Erfolgs haben die Bedeutung traditioneller Rollen, also beispielsweise die Bedeutung von Herkunft, Geschlecht, Alter untergraben. Obwohl es auch in der modernen Wirtschaft nach wie vor hartnäckige Diskriminierungen in der Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppierungen ( G a s t a r b e i ter), zu Religion, zum Geschlecht ( F r a u e n ) gibt, scheint die Wertschätzung des Leistungsprinzips einen beständigen D r u c k auf eine soziale Bewertung nach Erfolgskriterien auszuüben (Parsons 1972: 140). Wenn nicht zugewiesene Herkunftsbedingungen, sondern allein Leistungsmerkmale für die Besetzung von Positionen maßgeblich sind, hat dies doppelte Konsequenzen: —
Die Leistungsfähigkeit und Rationalisierung der Wirtschaft kann stetig gesteigert werden, da alle F u n k t i o n e n ausschließlich nach dem Gesichtspunkt der rationellen und effizienten Erfüllung und nicht nach dem Gesichtspunkt eines durch Beziehungen oder G e b u r t erworbenen Anrechts besetzt werden.
—
D a s Leistungsprinzip wird zu einer Umdeutung der Grundlage sozialen Ansehens. Wenn Positionen, R a n g und Prestige nicht nach H e r k o m men, Geschlecht oder Alter verliehen, sondern vorwiegend aufgrund individueller Fähigkeiten, Qualifikationen, Leistungen und der Bereitschaft zur Ü b e r n a h m e von Verantwortung erworben werden, hat dies Rückwirkungen auf die gesellschaftliche Schichtung. Sozialer Status korrespondiert mit individueller Leistung. Prestige ist erwerbbar und unterliegt nicht mehr traditioneller Zuweisung.
6.3 Die Institutionen des Rechtssystems
189
Das Leistungsprinzip gilt allerdings nicht uneingeschränkt. In der sozialen Marktwirtschaft sind ausgleichende Institutionen vorhanden, die jene schützen, die dem Leistungsdruck nicht standhalten können. Dies sind die Institutionen des Sozialstaats und des sozialgebundenen Eigentums.
6.3 Die Institutionen des Rechtssystems Die Institution eines universalistischen Rechtssystems ist wichtige G r u n d b e dingung jeder hochentwickelten Marktwirtschaft. Die Aufgabe des universalistischen Rechtssystems besteht darin, für jedermann ohne Ansehen der Person Vertragssicherheit zu garantieren, ferner bindende Entscheidungen durch Parlamente oder Gerichte zu treffen, nach denen sich wirtschaftliche H a n d lungen auf Dauer orientieren können, und schließlich Rahmenbedingungen der Wirtschaft zu formulieren, die keine Privilegierungen oder Diskriminierungen irgendwelcher Gruppen erlauben. Dazu gehören zum Beispiel Gesetze gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Aktienrecht, Kartellrecht, Abbau von Protektionismus und Subventionen. Erst dauerhafte Rechtssicherheit und ein angemessener Vollzug von Gesetzen durch Verwaltungsorgane schaffen die Grundlage und notwendigen Freiräume für eine stabile Entwicklung der Marktwirtschaft. Wirtschaftliches Handeln bedarf der langfristigen H a n d lungs- und Orientierungssicherheit. Zum Rechtssystem gehört auch die Institution der Vertragsfreiheit. Unter wirtschaftlicher Vertragsfreiheit versteht man die Chance, beliebige F o r m e n und Inhalte des Tausches durch übereinstimmende Willenserklärung zweier autonomer Rechtssubjekte festzulegen. Die Vertragsfreiheit ist eng an die Institution des Eigentums gebunden. Eigentum garantiert die Befugnis zur Verwertung, Nutzung und Verfügung einer Sache. Aus dieser freien Verfügungsbefugnis läßt sich die Institution der Vertragsfreiheit direkt ableiten. Sofern man über Eigentum verfügen kann, schließt dies auch das Recht ein, mit anderen Wirtschaftssubjekten schuldrechtliche Verträge abzuschließen. Der Markt verlangt Tauschbeziehungen, die nach Belieben gewählt oder zurückgewiesen werden können. Darin liegt das besondere Gewicht der Vertragsfreiheit. Sie ist wie das Rechtssystem universalistisch. Sie ist an keine sozialen Bedingungen geknüpft, weder an Konfessionen, Herkunft noch an den Status der Vertragspartner. Verträge werden allein nach Maßgabe wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit geschlossen; von gesellschaftlichen Bedingungen und sozialen Bezügen wird in der Regel abstrahiert. Unter diesen Umständen schafft erst die Vertragsfreiheit die Voraussetzung für die Rationalisierung wirtschaftlicher Prozesse.
190
6. Die Institutionen der sozialen Marktwirtschaft
6.4 Die politischen Institutionen der sozialen Marktwirtschaft 6.4.1. Die Institution der Koalitionsfreiheit Während Eigentumsgarantie, Gewerbe- und Berufsfreiheit ursprünglich dem Schutz des einzelnen dienten und erst in neuerer Zeit zu Grundrechten aller sozialen Schichten ausgeweitet wurden, ist die Koalitionsfreiheit auf umgekehrtem Wege entstanden. Sie war zuerst eine Forderung der Arbeitnehmer als Gruppe und ist später auch auf die Arbeitgeber ausgedehnt worden. Die Gewerkschaften entstanden als Reaktion auf die soziale Übermacht der Arbeitgeber. Die Rechtsbeziehungen innerhalb des Betriebes, das heißt die Arbeitsverhältnisse waren zunächst in den Händen des Arbeitgebers gebündelt; die einzelen Arbeitnehmer standen den Unternehmern isoliert und insoweit ohne jeden Einfluß gegenüber. Der Arbeitgeber verfügte dagegen über die Kollektivmacht des Unternehmens. Es war von größter Wichtigkeit für das heute bestehende annähernde Machtgleichgewicht zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, daß sich die Arbeitnehmer nie ernstlich gegen die Verhältnisse von innen her wandten, sondern sich zunächst darauf beschränkten, von außen her auf die „Einzelarbeitsverhältnisse" einzuwirken. Sie versuchten nicht, innerhalb des Betriebes ihre als desolat empfundene Situation zu verbessern, sondern schlössen sich außerhalb der Betriebe zu Gewerkschaften zusammen. Strukturell ist die Entstehung von Gewerkschaften in der Lücke zwischen Haushalt und Arbeitsplatz verwurzelt, die durch die Ausbreitung des Berufes entstanden ist (vgl. Parsons 1972: 139). Die ersten Ansätze zur Gründung einer eigenen Interessenvertretung der Arbeitnehmer wurden im Keim erstickt. Der Kampf herrschender Kreise des Bürgertums gegen Versuche der Arbeitnehmer, durch Zusammenschlüsse ihr Belange wirksam zu vertreten, reicht bis weit vor die industrielle Revolution zurück. So untersagte schon die Reichspolizeiordnung von 1530 den Gesellenverbänden jede Einflußnahme auf die Arbeitsverhältnisse (Stein 1968: 168). Die Reichszunftordnung von 1731 verbot jede Koalition und stellte Arbeitskämpfe unter Strafe. Erst 1861 hob das Königreich Sachsen als erster deutscher Staat das Koalitionsverbot auf. Aber auch danach wurden noch Koalitionsabreden ausdrücklich Anerkennung und Rechtsschutz untersagt. Dennoch setzten allmählich die Gewerkschaften den Abschluß von Tarifverträgen durch und erzwangen ihre Einhaltung auch ohne Rechtsschutz. So entwickelte sich außerhalb des Rechts im freien Raum der Sozialpartner das im wesentlichen noch heute bestehende Tarifvertragssystem als zentrale Institution der sozialen Markt-
6.4 D i e p o l i t i s c h e n I n s t i t u t i o n e n d e r sozialen M a r k t w i r t s c h a f t
191
Wirtschaft — als ein selbstregulatives System der dezentralen Konflikt- und Interessenregulierung. Die Koalitionsfreiheit garantiert den Vereinigungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer das Recht zur Wahrnehmung ihrer Interessen. Eine wirksame Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder setzt voraus, daß der Verband a) frei gebildet ist, b) unabhängig ist und c) auf überbetrieblicher Grundlage organisiert ist. Die Funktionen der Wirtschaftsverbände sind durch die geschichtliche Entwicklung festgelegt. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Aushandlung der Arbeitsbedingungen und ihrer Festlegung in der Form von Tarifverträgen. Die Konfliktaustragung selbst ist heute stark formalisiert und an gesetzliche Grundlagen gebunden. Ihr Rahmen ist im Tarifvertragsgesetz festgelegt. Die Auseinandersetzung zwischen den Tarifparteien um Einflußnahme und wirtschaftliche Macht, um Mitbestimmung und Vermögensverteilung verläuft also nicht in rechtlich ungeschützter Sphäre, sondern schließt immer die Verpflichtung des Staates ein, den Regeln der Auseinandersetzung den Schutz von Gesetzen und Gerichten zu geben. Der zentrale Konflikt zwischen den Wirtschaftsverbänden ist daher kanalisiert. Er ist verbindlichen Regeln unterworfen. Er ist institutionalisiert. Tarifverhandlungen bilden ein Entscheidungssystem, mit dessen Hilfe über bestimmte Ressourcen der Marktwirtschaft letztlich einvernehmlich verfügt wird. In dieser Eigenschaft sind Tarifverhandlungen und die ihr zugrundeliegende Koalitionsfreiheit eine der wichtigsten Institutionen der sozialen Marktwirtschaft. In ihnen werden die für die Entwicklung der Wirtschaft entscheidenden Rahmendaten vereinbart, wie — — — — — — —
Steigerung des Reallohns und damit des Lebensstandards Länge der Arbeitszeit Humanisierung der Arbeitsplätze Sicherung der Arbeitsplätze Vermögensverteilung Ausbau von Alterssicherungen und Unfallschutz Mitbestimmung.
6.4.2 Die Institution des Sozialstaats Die soziale Marktwirtschaft und das für sie konstitutive Strukturprinzip des Wettbewerbs sind an die relative Gleichstellung und Chancengleichheit aller Wirtschaftssubjekte gebunden. Der Begriff des Sozialstaatsprinzips ist als Antithese zum liberalen Staatsprinzip zu verstehen. Der liberale Rechtsstaat zeichnete sich vor allem dadurch aus, daß er sich aller Eingriffe in die Wirt-
192
6. D i e I n s t i t u t i o n e n d e r sozialen M a r k t w i r t s c h a f t
schaft enthielt; er ignorierte die sozialen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse. Dies hatte zur Folge, daß die formale Gleichheit und Freiheit aller zum Recht des Stärkeren wurden. D e r soziale Rechtsstaat wird dagegen vom Prinzip beherrscht, daß der Staat gehalten sei, ausgleichend, schützend, umverteilend in die Wirtschaft einzugreifen. Die Wertidee staatlich garantierter sozialer Sicherheit und Chancengleichheit ist zu einer grundlegenden Institution der sozialen Marktwirtschaft geworden. Sie hat die Legitimation des Staatshandelns auf eine neue Grundlage gestellt. D e m Staat wird zugestanden, in die selbstregulativen Prozesse der Wirtschaft zu intervenieren, um die allgemeine Daseinsvorsorge sicherzustellen, Machtungleichgewichte zu verhindern und die Interessen aller Wirtschaftssubjekte auf sozialen Schutz zu wahren. E r leistet dies, indem er beispielsweise Steuern und A b g a b e n erhebt, Konjunkturförderungsprogramme auflegt, Mitbestimmungsgesetze erläßt, Subventionen gewährt und das viel zitierte soziale Netz knüpft. D a s R e c h t und die Verpflichtung des Staates zum legitimen Eingriff in die Wirtschaft sind Ausdruck des Sozialstaatsprinzips als einer Institution der sozialen Marktwirtschaft. M a n kann zwischen fünf Aufgaben des Sozialstaats unterscheiden: 1. 2. 3. 4. 5.
der Verpflichtung zur Hilfeleistung in sozialen Notlagen Bedarfsdeckung der Bevölkerung Funktionsfahigkeit der Wirtschaft Unterordnung des Gewinnprinzips unter bestimmte öffentliche Interessen Sozialleistungen des Staates.
G r u n d m a x i m e der Institution des Sozialstaats ist das sogenannte Subsidaritätsprinzip. Es geht auf die katholische Sozial- und Gesellschaftslehre zurück und bedeutet, „daß die jeweils kleinere soziale Einheit (soziale G r u p p e ) helfend und fürsorgend tätig werde: also zum Beispiel die Familie, dann die Verwandtschaft, gegebenenfalls die Nachbarschaft, dann die k o m m u n a l e n und kirchlich-caritativen Einrichtungen, schließlich die staatlichen Organisationen . . . D e r Subsidiarismus verweist aus Prinzip darauf, daß nicht alle Hilfe und Fürsorge vom Staat kommen kann, sondern die einzelnen wie die Familie auch hier weiter ihre Eigenverantwortung h a b e n " (Schäfers 1979: 203). Subsidiarität meint also, daß soziale Gruppen zunächst in die Lage versetzt werden sollen, sich selbst zu helfen. Nur wenn die Hilfe zur Selbsthilfe versagt, tritt die nächsthöhere soziale Einheit in F u n k t i o n , bis schließlich der S t a a t mittels Umverteilungsmaßnahmen den gehandicapten und benachteiligten Menschen hilft. Grundsätzlich rangiert die selbstregulative Problemlösung vor dem administrativ gesteuerten Eingriff. Die Frage, welche F a k t o r e n die Entwicklung des Sozialstaats als Institution beeinflußt haben, ist umstritten. J e n s Alber weist auf drei M e r k m a l e hin (Alber 1982: 143 ff.). Autoritäre Regime tendieren eher zur Ausbildung ihrer
6.5 I n s t i t u t i o n e l l e K o n f l i k t e d e r M a r k t w i r t s c h a f t
193
Systeme als Pflichtversorgung, als parlamentarische Demokratien dies tun. Während in Deutschland die Arbeitslosenversicherung obligatorisch ist, ist sie in anderen Staaten wie Frankreich oder Schweden mehr oder weniger freiwillig. Die zweite Einflußgröße ist die Konfessionsstruktur der Länder, wobei vermutet wird, daß Länder mit katholischer Majorität entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip stärker zur Subventionierung freiwilliger Programme tendieren. Drittens dürften die Stärke der Gewerkschaftsbewegung sowie der Einfluß sozialistischer Parteien für Art und Schnelligkeit in der Entwicklung des Sozialstaats eine wichtige Rolle spielen. Sie neigen eher zur Legitimierung von Staatseingriffen als liberale und konservative Parteien.
6.5 Institutionelle Konflikte der Marktwirtschaft Da die administrativ gesteuerte soziale Marktwirtschaft ein Mischsystem ist, in dem öffentliche und private Belange koordiniert werden, sind Spannungsfelder nahezu zwangsläufig eingebaut. Das System der Marktwirtschaft balanciert zwischen den Gesetzen der Marktsteuerung und den Erfordernissen von Staat und Gesellschaft. Daraus ergeben sich institutionelle Konflikte, Konflikte beispielsweise zwischen den Institutionen von Staat und Wirtschaft, Wirtschaft und Umwelt, Wirtschaft und Familie. Die Konflikte beruhen auf Gegensätzen zwischen Wertorientierungen in und außerhalb der Wirtschaft. Sie beruhen schließlich auch auf den unterschiedlichen Rationalitätsmaßstäben, denen das Handeln in Wirtschaft und Gesellschaft folgt. Daher sind die Konflikte, die sich an den Institutionen der Marktwirtschaft entzünden, nicht Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Interessengruppen, sondern Auseinandersetzungen zwischen widersprüchlichen Handlungs- und Entscheidungskriterien, zwischen verschiedenen Werten und deren Trägergruppen. Die administrativ gesteuerte soziale Marktwirtschaft zeichnet sich im einzelnen durch folgende charakteristische Spannungsfelder aus: 1. Rendite — Ökologie Die Marktsteuerung ist eng mit den Kriterien der Rentabilität des Kapitaleinsatzes verbunden. Die Kapitalrentabilität ist das entscheidende Kriterium für die Selbststeuerung des Marktes. Ihr stehen aber die Forderungen der Ökologie gegenüber. Der Staat hat die Aufgabe, zwischen Kapitalrentabilität einerseits und lebenswerter Umwelt andererseits zu vermitteln. Die bloße Ausrichtung wirtschaftlichen Handelns an den Kriterien der Kapitalrentabilität führt zur Vernichtung der Umwelt, wie umgekehrt die bloße Ausrichtung wirtschaftlichen Handelns an Umweltbelangen zu ernsten Funktionsstörungen des ökonomischen Systems führen würde.
194
6. Die Institutionen der sozialen Marktwirtschaft
2. Individualismus — öffentliche Interessen Die Marktsteuerung setzt die Betonung des Individualismus sowie die vollkommene Produzenten- und Nachfragersouveränität voraus. Ihr aber stehen öffentliche Interessen entgegen, die in die Wirtschaft hineinstrahlen und zur Einschränkung privater Unternehmensautonomie führen. In diesem Spannungsfeld muß eine B a l a n c e zwischen Individualismus und öffentlichen Werten wie beispielsweise Minderheitenschutz, Schutz sozial Schwacher, Chancengleichheit gefunden werden. 3. Soziale Sicherheit — Leistungsprinzip Drittens stehen sich Sozialstaatsprinzip und Leistungsprinzip in der modernen Marktwirtschaft gegenüber. Zwischen beiden Wertorientierungen muß ständig vermittelt werden, soll hier nicht ein dauerhafter Krisenherd entstehen. Ein Zuviel an Sozialleistungen schwächt die Geltung des Leistungsprinzips wie umgekehrt der uneingeschränkte V o r r a n g der Leistung soziale Ungleichheit und soziale Konflikte provoziert. 4. A u t o n o m e Entscheidungsverfahren — partizipative Entscheidungsverfahren Auch die Entscheidungsverfahren der Wirtschaft unterliegen gegensätzlichen Orientierungen. Sie sind ein ständiger Herd der Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden gesellschaftlichen Gruppierungen. W ä h r e n d unter Marktbedingungen die Entscheidungen relativ a u t o n o m allein unter M a ß g a b e wirtschaftlicher Kriterien getroffen werden, wächst im Zuge der Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft das Mitspracheverlangen breiter gesellschaftlicher Gruppierungen. M a n kann diesen Spannungsherd auch als Institutionalisierung eines Gruppenkonflikts bezeichnen. E r umfaßt das gesamte Feld der T a r i f a u t o n o m i e , des Arbeits- und Sozialrechts, der Mitbestimmung, Betriebsverfassung und Unternehmensverfassung. D e r Konflikt rührt an die Grenze der Eigentumsautonomie. 5. Wettbewerb — Sozialstaatsprinzip Weiter kollidiert das Strukturprinzip des Wettbewerbs mit dem Sozialstaatsprinzip. Auch hier stehen zwei Institutionen in spannungsreicher Konstellation zueinander. Einerseits müssen dem reinen Konkurrenzprinzip Grenzen gezogen werden, damit den wirtschaftlich Unterlegenen dauerhafter Schutz und dauerhafte Sicherung geboten werden können. Andererseits müssen auch den Eingriffen des Staates Grenzen gezogen werden, damit der Wettbewerb als Grundregulativ der Marktsteuerung die für die Entwicklung der Wirtschaft notwendigen Innovationen und Strukturveränderungen gewährleistet. 6. Sozialstaat — Leistungsprinzip D i e Institution des Sozialstaats ist Ausdruck einer der T e n d e n z nach egalitären Einkommensverteilung, egalitärer als in früheren Phasen des
6.5 I n s t i t u t i o n e l l e K o n f l i k t e d e r M a r k t w i r t s c h a f t
195
Kapitalismus oder in den unterentwickelten Gesellschaften der Gegenwart. Insofern steht sie im Widerspruch zur Institution des Leistungsprinzips. Während das Leistungsprinzip gerade extreme Tendenzen einer ungleichen Einkommensverteilung beinhaltet, wirkt das Sozialstaatsprinzip in die andere Richtung. In der sozialen Marktwirtschaft gibt es daher das grundlegende Problem, „welches im Abwägen der egalitären Komponente der modernen Werte gegenüber den Komponenten des Leistungskomplexes besteht, die innerhalb der gesellschaftlichen Gemeinschaft hierarchische Statusunterschiede hervorbringen" (Parsons 1972: 142). Die Aufgabe des Sozialstaats als gesellschaftlicher Institution ist es, eine angemessene Balance zwischen Eingriffen in die Wirtschaft und einer an der bloßen Leistung orientierten selbstregulativen Marktsteuerung zu finden. 7. Kommunikative Rationalität — strategische Rationalität In der sozialen Marktwirtschaft stehen sich zwei Handlungsorientierungen gegenüber, die als strategische und kommunikative Rationalität bezeichnet worden sind (Habermas 1981). Bedeutet die strategische Rationalität den versachlichten, rein funktionalen Umgang in der Welt zwischenmenschlicher Beziehungen, so mißt die kommunikative Rationalität der Verständigung zwischen den am Wirtschaftsleben beteiligten und von ihr betroffenen Gruppen vorrangige Bedeutung zu. Während im ersten Fall Beziehungen nur unter Zweck-, Mittel- und Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten beurteilt werden, spielt im zweiten Fall der Kompromiß zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Interessen die Hauptrolle. Mehr als je zuvor geraten heute wirtschaftliche Entscheidungen in das Spannungsfeld dieser beiden gegensätzlichen Rationalitätstypen. Wachsende Arbeitskonflikte und Arbeitsunzufriedenheit sind Anzeichen eines Spannungsfeldes, das sich aus der Unvereinbarkeit von strategischer Marktrationalität einerseits und den kulturellen Ansprüchen einer kommunikativ orientierten Lebensweltrationalität andererseits ergibt. Beispielsweise stehen dem technologischen Druck, Arbeitsplätze zu automatisieren bzw. nach rein produktionstechnischen Gesichtspunkten zu organisieren, Erwartungen gegenüber, in die Arbeitssphäre persönliche Bezüge der privaten Lebenswelt einzubauen. Arbeit soll soziale Kontakte stiften, Sicherheit verbürgen und einer wie immer verstandenen Selbstverwirklichung Rechnung tragen. In der Arbeitssphäre prallen heute die unterschiedlichen Ansprüche von Markt und Gesellschaft besonders deutlich aufeinander (vgl. Kapitel 7, Das Problem wirtschaftlicher Rationalität).
196
6. Die Institutionen der sozialen Marktwirtschaft
Zusammenfassung Zu den Grundstrukturen der Marktwirtschaft gehören neben den Strukturprinzipien wirtschaftlichen Handelns auch gesellschaftliche Institutionen. Unter Institutionen versteht man stabile, anerkannte, sich wiederholende Verhaltensmuster, die die Bedingungen sozialen Handelns definieren. Untersucht man die soziale Marktwirtschaft, lassen sich drei Typen von Institutionen unterscheiden: wirtschaftliche, rechtliche und politische. Sie wirken auf verschiedene Weise zusammen. Daher ist die Marktwirtschaft als mehrfaches Mischsystem zu bezeichnen: Private und öffentliche Interessen, wirtschaftliche und soziale Ziele, strategisch-rationale und außerökonomische Entscheidungskriterien, individualistische und kollektive Handlungsbezüge, administrative und selbstregulative Steuerungselemente laufen in ihm zusammen. Sie ergeben eine vielschichtige Ordnungsform, in der die traditionellen Abgrenzungskriterien zwischen Wirtschaft und Gesellschaft hinfällig werden. Symptomatisch wird diese Entwicklung erkennbar an den Institutionen des Eigentums, der Koalitionsfreiheit, des privaten Unternehmertums und der Institution des Sozialstaats. Es sind nicht „reine" Institutionen, sondern durch jede von ihnen verläuft die Grenze zwischen privater Autonomie und Souveränität des Individuums einerseits sowie sozialer Bindung, Partizipation, Interessenausgleich und sozialem Schutz andererseits. Daher sind die Krisen und Konflikte, die die soziale Marktwirtschaft immer wieder erzeugt, auch Ausdruck dieser Doppelnatur ihrer Institutionen: nämlich der Schwierigkeit, immer wieder eine für alle am wirtschaftlichen Leben beteiligten gesellschaftlichen Gruppierungen zufriedenstellende Balance zwischen den gegensätzlichen Wertströmungen zu finden.
Fragen zur Wiederholung 1. Erläutern Sie den Begriff der Institution. 2. Worin liegen die Marktwirtschaft?
Besonderheiten
der
Institutionen
der
sozialen
3. Warum ist die stabile wirtschaftliche Entwicklung in einer Gesellschaft auf die „Rückendeckung" stabiler politischer Institutionen und staatlicher Organe angewiesen? 4. Erklären Sie den Strukturwandel des „freien Unternehmertums".
6.5 Institutionelle Konflikte der Marktwirtschaft
197
5. Unter welchen Umständen ist der Besitz von Privateigentum in einer sozialen Marktwirtschaft legitim? 6. Was ist eine Sozialbilanz? 7. Unter welchen Umständen kann man vom Öffentlichkeitscharakter der privaten Unternehmung sprechen? 8. Wie wird in der Marktwirtschaft über die Verteilung wichtiger Ressourcen entschieden? 9. Worin unterscheiden sich liberaler und sozialer Rechtsstaat in ihrer Wirkung auf die wirtschaftliche Ordnung? 10. Wie entstehen institutionelle Konflikte zwischen Wirtschaft und Gesellschaft? Geben Sie Beispiele.
7. Hauptprobleme des modernen Kapitalismus 7.1 Die Arbeitskrise Mangel an Arbeit hat es überall und zu allen Zeiten gegeben. Welthistorisch gesehen ist Unterbeschäftigung der Normalzustand, Vollbeschäftigung der äußerst seltene Ausnahmefall. Arbeitskrisen sind demnach im geschichtlichen Zusammenhang der Regelfall. Eigentlich hat erst der Zweite Weltkrieg überall die Arbeitslosigkeit beseitigt. In der Nachkriegszeit gelang es zum ersten Mal in der Geschichte, für annähernd drei Jahrzehnte Vollbeschäftigung mit milder Inflation zu kombinieren, bevor das Problem der knapp werdenden Arbeit auch die moderne Industriegesellschaft wieder einholte. Seit Ende der 70er Jahre ist die Arbeitskrise virulent. Die Arbeitslosenrate liegt seitdem im OECD-Durchschnitt kontinuierlich bei ca. 10%, auch wenn es regionale u n d nationale Unterschiede gibt. Geht, wie schon ihren historischen Vorgängern, auch der modernen Industriegesellschaft der Vorrat an Arbeit aus? Befindet sich die traditionelle Arbeitsgesellschaft, die Max Weber beschrieben hat, im Umbruch? Arbeit in ihrer institutionalisierten Form scheint tatsächlich in den hochentwickelten westlichen Wirtschaftssystemen knapp zu werden. Für die Verknappung der Arbeit in der Bundesrepublik sprechen folgende Entwicklungstrends: 1. Verkürzung der Lebensarbeitszeit
während der letzten 150 Jahre.
Die Geschichte der Arbeit während der letzten 150 J a h r e ist eine Geschichte der fortgesetzten Arbeitszeitverkürzung. Betrug die Arbeitszeit zwischen 1820 und 1860 noch ca. 14 bis 16 Stunden täglich, so wurde von 1860 bis 1914 die weitaus deutlichste Arbeitszeitreduzierung der deutschen Geschichte durchgesetzt: von ca. 80 Stunden in der Woche auf durchschnittlich 55 Stunden. 1918 wurde von den Gewerkschaften zum ersten Mal der 8-Stunden-Tag durchgesetzt. Die Wochenarbeitszeit reduzierte sich damit auf 48 Stunden, der Urlaub betrug bei den Arbeitern im Schnitt 3 bis 6 Tage, bei den Angestellten 12 bis 18 Tage im Jahr. Bis 1954/55 betrug trotz gelegentlicher Schwankungen die Arbeitszeit ca. 48,5 Stunden in der Woche. Seit 1955 wurde die Arbeitszeit jährlich durchschnittlich um 1 % reduziert, das heißt von 1955 bis 1980 um ca. 25 %. 1978 war allgemein schließlich die 40-Stunden-Woche eingeführt. Die bezahlten Urlaubswochen stiegen von 1950 bis 1980 von 2 auf durchschnittlich 5 Wochen an.
200
7. Hauptprobleme des modernen Kapitalismus
Abb. 18 Durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit in Deutschland von 1800 - 1978 Stunden 1001 90 80
65
66 55
50
48
50
50
46 41,5
48,5 4M
42,6 42 3 1,3 40,2
101800 1840 1860 1890 1914 1920 1924 1929 1932 1940 1953 1960 1965 1970 1978 Jahr Quelle: eigene Berechnungen aus unterschiedlichen Quellen
Noch deutlicher wird die Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit, wenn man die durchschnittliche effektive Arbeitszeit betrachtet. Die effektive Wochenarbeitszeit unter Berücksichtigung von Überstunden einerseits, Krankheit, Urlaub, Ausfallzeit andererseits betrug im J a h r 1980 für einen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik ca. 1685 Stunden, dies bedeutet etwa ca. 32,4 Stunden in der Woche. Verkürzte Wochenarbeitszeit, verlängerter Urlaub, früheres Pensionsalter, verlängerte Ausbildungsphase in der Jugend: all dies zusammengenommen hat die eigentliche Lebensarbeitszeit des Menschen in den letzten 150 Jahren um ca. zwei Drittel verringert. Die Kernlebensarbeitszeit beträgt heute im Durchschnitt nur noch ca. 35 % von der unserer Vorfahren. Der Vorrat an institutionalisierter Arbeit hat sich verknappt. Gegenwärtig entfallen bereits auf eine Arbeitsstunde ca. 4 Freistunden. Aus der Arbeitsgesellschaft ist zumindest quantitativ bereits eine Freizeitgesellschaft geworden.
7.1 Die Arbeitskrise
201
Abb. 19: Jahresarbeitzeit in der BRD Komponenten der Jahresarbeitszeit je Arbeitnehmer in der Gesamtwirtschaft
Ausfallstunden 1
Effektive Effektive JahresarWochenararbeitszeit beitszeit in Stunden
97,0 120,1
151,3 149,5
2.017,4 1.928,7
38,8 37,1
41,5 41,1 41,0 40,9 40,7
156,3 136,2 127,1 127,0 115,2
174,4 173,4 168,9 179,8 175,5
1.879,9 1.857,9 1.827,6 1.800,2 1.771,6
36,2 35,7 35,1 34,6 34,1
24,3 24,7 25,2 25,9 26,7
40,3 40,3 40,2 40,2 40,2
99,2 103,7 95,6 93,2 92,9
178,6 175,7 175,9 182,0 186,7
1.731,5 1.766,5 1.738,0 1.714,0 1.695,8
33,3 34,0 33,4 33,0 32,6
27,3
40,1
83,2
187,2
1.685,3
32,4
Jahr
Potentielle Jahresarbeitstage
Tarifliche Vorgaben MehrarJahresur- Wochenar- beitsstunden laubstage beitsstd.
1960-64 1965-69
271,0 258,1
16,7 19,5
44,0 42,3
1970 1971 1972 1973 1974
250,1 252,1 250,2 249,5 248,5
21,2 21,8 22,3 23,0 23,7
1975 1976 1977 1978 1979
248,8 253,1 251,2 250,2 249,5
1980
250,3
1
Durch Krankheit, Kurzarbeit, Schlechtwetter, Arbeitskampf und Teilzeit.
Quelle: Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung der BRD, Ausgabe 1983, Hrsg.: Institut der deutschen Wirtschaft.
2.
Arbeitslosigkeit
Für die Verknappung der Arbeit spricht zweitens die Entwicklung der Arbeitslosenrate im Laufe der letzten Jahre. M a n unterscheidet heute zwischen drei F o r m e n der Arbeitslosigkeit: a) friktionelle Arbeitslosigkeit: Sie wird durch I n f o r m a t i o n s m ä n g e l u n d Mobilitätshindernisse auf dem Arbeitsmarkt verursacht. b) konjunkturelle Arbeitslosigkeit: Sie wird durch unzureichende gesamtwirtschaftliche Güter- u n d Dienstleistungsnachfrage verursacht. c) strukturelle Arbeitslosigkeit: Sie wird durch strukturellen und technischen Wandel erzeugt, beispielsweise dadurch, daß die N a c h f r a g e nach bestimmten Spezialisten nicht befriedigt werden kann, weil es keine entsprechend ausgebildeten Arbeitskräfte gibt.
202
7. Hauptprobleme des modernen Kapitalismus
Abb.20 Zahl der Arbeitslosen 1960 - 1982 (1000)
1960
1965
1970
1980
1982
Quelle: SOWI 13(1984),H.l, S. 2
Steigende oder auf hohem Niveau stagnierende Arbeitslosigkeit ist ein weiteres Indiz für die Verknappung der Arbeit in den modernen Industriegesellschaften. Trotz ständig abnehmender Arbeitszeit sinkt parallel, historisch gesehen, auch der gesellschaftliche Vorrat an Arbeit.
3. Unechte
Arbeitslosigkeit
Nicht nur die echte, auch die unechte oder freiwillige Arbeitslosigkeit deuten auf einen Mangel an Arbeit. Dazu gehört jene stille Reserve von Menschen, die sich nicht arbeitslos melden, obwohl sie Arbeit suchen. Die geschätzte Zahl beträgt etwa ein Drittel der tatsächlich gemeldeten Arbeitslosen. Ferner gehören dazu Ehefrauen, Studenten und Frühpensionäre, die bewußt die Phase Nichtbeschäftigung verlängern; beispielsweise durch längere Ausbildungszeiten, vorzeitige Pensionierung, erweiterten Mutterschaftsurlaub. Schließlich sind alle jene Menschen von unechter Arbeitslosigkeit betroffen, die vom Staat oder vom Unternehmen aus sozialen Gründen beschäftigt
203
7.1 Die Arbeitskrise
werden, obwohl ihre Arbeit nicht benötigt wird. Aber auch subventionierte Arbeitsplätze gehören in diese Rubrik. Es gibt große Mengen an Butter u n d Stahl, die produziert, aber nicht benötigt werden.
4. Demographische
Merkmale
Auch demographische Merkmale sprechen f ü r die A n n a h m e , d a ß Arbeit k n a p p ist und k n a p p bleibt. Bis E n d e der 80er J a h r e werden etwa 0,7 Millionen Deutsche zusätzlich um Arbeit nachsuchen. Die geburtenstarken J a h r g ä n g e werden die Nachfrage nach Arbeit bei voraussichtlich k o n s t a n t e m Angebot der Arbeitsplätze weiter verschärfen. A u c h der Ausländeranteil von gegenwärtig 2,5 Millionen wird nicht sinken.
5.
Produktivität
Zwar n a h m die Steigerungsrate der Produktivität in den letzten 10 J a h r e n zumeist ständig ab, aber sie betrug immer noch durchschnittlich 2 bis 3 % in den J a h r e n von 1980 bis 1983. Mit anderen Worten: Es werden laufend weitere Arbeitsplätze freigesetzt. Sollte das Bruttosozialprodukt stagnieren, hieße dies, daß nach jeweils drei J a h r e n eine weitere Million Menschen ohne Arbeit ist. Im J a h r e 1980 dienten bereits 75 % der Industrieinvestitionen der R a t i o n a lisierung, n u r 25 % dem weiteren Ausbau der v o r h a n d e n e n Anlagen. Weitere Produktivitätssteigerungen durch Rationalisierung werden d a f ü r sorgen, d a ß Arbeit auch in Z u k u n f t k n a p p bleibt. D a r a n k ö n n e n auch jährliche Wachstumsraten von ca. 3 bis 4 % nichts ändern. Die N a c h f r a g e nach Arbeit bleibt in der Regel größer als das Angebot. Von konjunkturellen u n d saisonalen Schwankungen abgesehen, wird der Vorrat an Arbeit im historischen Z u s a m m e n h a n g weiter sinken. D e r quantitative Bedeutungsverlust der menschlichen Arbeitsphase f ü h r t zu ganz neuen sozialen Sinnsetzungen und Prioritäten. Z w a r ist der Beruf noch der entscheidende F a k t o r f ü r die dominierenden Orientierungsmuster moderner Gesellschaften, aber es stellt sich die Frage, was an die Stelle des Berufes tritt, wenn Arbeit zur Mangelware wird. W o h e r wird der m o d e r n e Mensch seinen Status beziehen, wenn Arbeit als die eigentliche K e r n s p h ä r e seines Lebens immer m e h r reduziert wird? Aus der V e r k n a p p u n g der Arbeit resultieren schließlich neuartige Identitätsfragen. Wie läßt sich die soziale Identität des Menschen bestimmen, wenn sie nicht mehr über die Arbeit zu beschreiben ist? Wie lassen sich Lebenschancen u n d Sinnsetzungen definieren, wenn Arbeit u n d Beruf als Schlüsselfaktoren menschlichen Lebens immer mehr ausfallen? Sofern Arbeit an Bedeutung a b n i m m t , verliert sie auch als ein das Leben strukturierendes u n d ihm Sicher-
7. Hauptprobleme des modernen Kapitalismus
204
heit und Halt gebendes Element an Bedeutung. Wer heute beispielsweise früh in den Ruhestand geht, ist sich oft selbst nicht darüber im klaren, daß ein wichtiges Moment der eigenen Identität verloren gehen kann. Gesellschaftliche schaft
Ursachen der Arbeitskrise
in der modernen
Industriegesell-
Der Preis der Arbeit (das heißt die Lohnhöhe) beruht nicht auf dem klassischen Marktprinzip von Angebot und Nachfrage - wenn das so wäre, müßte ja bei Arbeitslosigkeit, das heißt bei einem Überangebot an Arbeitskräften, der Lohn sinken. Es läßt sich aber beobachten, daß in aller Regel der Lohn nicht sinkt. Der Lohn ist unelastisch, von höchster Rigidität. Wenn aber der Preis eines Gutes nicht sinkt — so die Gesetze der Nationalökonomie — wird ein Markt nicht geräumt, handle es sich um Kühlschränke oder Arbeitslose. Der Preis der Arbeit in der modernen Industriegesellschaft beruht demnach nicht auf ökonomischen, sondern auf drei gesellschaftlichen Faktoren: 1. auf dem in die Arbeitsgesellschaft konstitutiv eingebauten sozialpolitischen Konflikt zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern 2. auf der Entwicklung des modernen Wohlfahrtsstaates, das heißt auf der Entwicklung von Staatsbürgerrechten 3. auf dem Strukturprinzip der kommunikativen Marktöffentlichkeit, das heißt auf der Geltung öffentlicher Interessen. Der Preis der Arbeit ist zunächst das Ergebnis gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen, auch wenn in den Tarifverhandlungen ökonomische Rahmendaten eine Rolle spielen. Die Tarifauseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften bilden den Motor der Reallohnentwicklung. Der politische Erfolg in diesem Konflikt bestimmt den Preis der Arbeit. Beherrscht wird die Auseinandersetzung zwischen den Tarifparteien hauptsächlich von drei Faktoren: — Steigerung des Reallohns. Unter Androhung von Streiks und Aussperrung geht es hier um einen Macht- und Verteilungskonflikt zwischen zwei gesellschaftlichen Interessenorganisationen. Der Erfolg in der Auseinandersetzung, äußerlich sichtbar in der Lohnsteigerungsrate, ist ein Indiz für die politische Durchsetzungsfähigkeit der jeweiligen Dialogkontrahenten. — Reduzierung der Arbeitszeit. Auch der Kampf um die Reduzierung der Arbeitszeit ist eine politische Auseinandersetzung, die auf den Arbeitspreis durchschlägt.
7.1 Die Arbeitskrise
205
— Humanisierung der Arbeitsplätze. Hier werden sozialpolitische Ansprüche vorgetragen, die aus der Entwicklung des modernen Sozialstaates resultieren. Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsplätze sind ebenfalls Kosten, die sich im Arbeitspreis ausdrücken. Die Tarifauseinandersetzungen sorgten in der Vergangenheit für stetig steigende Reallöhne und fortgesetzte Verkürzung der Arbeitszeit. Die innere Logik der Gewerkschaftspolitik ist im Prinzip der Kampf um die Beseitigung der Arbeit, das heißt, der Kampf um die Beseitigung der Arbeitsgesellschaft (Dahrendorf 1983: 26). Ebenso sind die Reallöhne, die wir heute kennen, das Ergebnis einer langen und folgenreichen Entwicklung des Wohlfahrtstaates. Die Ausgestaltung individueller Staatsbürgerrechte findet ihren Niederschlag in den sogenannten Lohnnebenkosten. Darunter versteht man jene Kosten, mit denen die individuellen Staatsbürgerrechte finanziert werden: Alterssicherung, Sicherheit am Arbeitsplatz, Krankenversicherung, Unfallschutz, Arbeitslosenversicherung, Mutterschutz etc. Der Staatsbürger als Individuum hat heute anders als zur Frühzeit der Industrialisierung ein Anrecht auf umfassende soziale Versorgung. Er ist nicht mehr auf die Solidarität eines Familien- oder Gemeinschaftsverbandes angewiesen. Die Individualisierung sozialer Ansprüche hat ihren Preis. Es ist der Preis, der die Arbeit teurer macht und die Höhe des Reallohns mitbestimmt. Schließlich beruht der Preis der Arbeit auf der Wirksamkeit der Marktöffentlichkeit (vgl. Kapitel 4). Den Unternehmen werden eine ganze Reihe neuer öffentlicher Funktionen zugemutet. Die Forderungen der Öffentlichkeit an die Wirtschaft nehmen zu: Verbesserung des Umweltschutzes, medizinische Fürsorge, Intensivierung beruflicher Ausbildung, bevorzugte Einstellung von Benachteiligten, Chancengleichheit, Beteiligung an öffentlichen Infrastrukturmaßnahmen, Mitbestimmung etc. Auch die Berücksichtigung öffentlicher Interessen im unternehmerischen Handlungsfeld verteuern die Arbeit. Alle drei Faktoren, der politische Konflikt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die Entwicklung individueller Staatsbürgerrechte mit neuen und gestiegenen Ansprüchen an den Sozialstaat sowie die Geltung öffentlicher Interessen in der Wirtschaft sind die treibenden Kräfte, die die eigentliche Höhe des Reallohns bestimmen und damit zugleich die gesellschaftlichen Bedingungen der Arbeitskrise markieren.
Die steigende Realbelastung von Arbeitsplätzen hat zwei Konsequenzen: erstens die Entwicklung des technischen Fortschritts. Technischer Fortschritt aber bedeutet Rationalisierung, Mechanisierung und Automatisierung - und damit den Verlust von Arbeitsplätzen in der Industrie. Zweitens: die nicht-
206
7. H a u p t p r o b l e m e des modernen Kapitalismus
rationalisierbaren Arbeiten im personalintensiven Dienstleistungssektor werden der Tendenz nach unbezahlbar. Das Ergebnis ist dasselbe: Die Arbeit verknappt sich. Technischer Fortschritt und technische Rationalisierung werden in der Wirtschaft vorangetrieben, weil sie billiger sind; sie sind nicht an sich billiger, sondern im Vergleich zur menschlichen Arbeit, sofern der Zinsaufwand für das Kapital (beispielsweise Roboter, Automaten) niedriger ist als der für die nicht-automatisierte Herstellung derselben Gütermenge benötigte Lohnaufwand. Die sogenannte technologische Arbeitslosigkeit ist genau genommen die Arbeitslosigkeit aufgrund des Preisvorteils der Technik gegenüber der menschlichen Arbeit. Die Arbeit geht der Industriegesellschaft unter diesen Umständen aus, weil und insoweit die Technik preiswerter als menschliche Arbeit ist (vgl. Dahrendorf 1983: 29). Die Rationalisierung unterliegt in jeder modernen exportorientierten Industriegesellschaft einem doppelten Dilemma. Rationalisiert man, wird die Arbeit knapp; rationalisiert man nicht, wird die Arbeit auch knapp. Jedes steigende Lohnniveau macht einen neuen Rationalisierungsschub attraktiv, da der Preisvorteil der Technik gegenüber der Arbeit steigt. Mit jeder neuen Reallohnsteigerung, das heißt mit jeder Lohnrunde, wird zugleich eine neue Rationalisierungsrunde eingeleitet. Immer mehr Unternehmen geraten über die Schwelle, wo die Substitution menschlicher Arbeit durch Technik lohnend erscheint. Zwar steigen andererseits durch die Rationalisierung die Produktivität und damit auch die Konkurrenzfähigkeit; beides Faktoren, die neue Arbeitsplätze schaffen. Per saldo überwiegt jedoch der Verlust an Arbeit. Aber auch eine geringe Rationalisierung aufgrund eines relativ niedrigen Lohnniveaus schafft nicht mehr Arbeit im industriellen Sektor. Mangelnde Rationalisierung und Automatisierung verhindern die Entwicklung des technischen Fortschritts und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Zumindest in hochentwickelten exportabhängigen Staaten wie der Bundesrepublik bedeutet mangelnder technischer Fortschritt ebenfalls einen Verlust an Arbeit. Und darin liegt das doppelte Dilemma der Rationalisierung: Ob man rationalisiert oder nicht, in beiden Fällen verknappt sich die industrielle Arbeit in einer Gesellschaft, die in ein System internationaler Arbeitsteilung eingebunden ist. Aber auch in dem Bereich der Wirtschaft, der nicht ohne weiteres der Rationalisierung unterliegt, wird die Arbeit bei steigendem Reallohn knapp. Sie wird knapp, weil sie letzten Endes unbezahlbar wird. Ganz augenscheinlich ist dies im Dienstleistungssektor und hier vor allem im öffentlichen und halböffentlichen Bereich der Fall: Lehrer werden trotz Lehrermangels nicht eingestellt, Hochschulabteilungen werden zusammengestrichen, Resozialisierungsmaßnahmen zurückgestellt, Sozialarbeit gekürzt, Gefängnisse sind überbelegt,
7.1 Die Arbeitskrise
207
Fürsorgemaßnahmen werden begrenzt, Bahnstrecken stillgelegt, Gerichtsverfahren werden um Jahre verschoben. Indem Arbeit aus Kostengründen knapp wird, sind zunächst vor allem die personalintensiven öffentlichen Sektoren betroffen. Viele öffentliche Leistungen werden nicht mehr vollbracht, da sie dem Staat zu teuer geworden sind. Es setzt - wie Galbraith es formuliert - ein Prozeß der öffentlichen Verarmung ein (Galbraith 1982). Während die Arbeit im sekundären industriellen Sektor der Wirtschaft wegen des Preisvorteils der Technik gegenüber dem Menschen knapp wird, ist dieses Kriterium im personalintensiven Dienstleistungssektor weniger wichtig. Zwar kann auch im Bereich der Dienstleistungssphäre in begrenztem Umfang rationalisiert werden, aber dort ist ein anderer Gesichtspunkt für die Verknappung der Arbeit entscheidend. Ein wesentliches Merkmal der Dienstleistung besteht darin, daß die Arbeit unmittelbar an Personen gebunden ist. Tätigkeiten wie die des Lernens, Lehrens, Heilens, Vermitteins, Beratens, Leitens, Kontrollierens, Planens unterscheiden sich von der industriellen Arbeit dadurch, daß sie personalintensiv sind und sich dem technischen Produktivitätsfortschritt in gewissen Grenzen entziehen. Sozialfürsorge und Altenhilfe sind nicht automatisierbar. Verantwortung und Kompetenz lassen sich nicht an quantitativen Produktionskriterien messen. Trotzdem orientiert sich die Lohnhöhe des kaum automatisierbaren Dienstleistungsbereiches innerhalb einer gewissen Spannbreite an der Reallohnhöhe der produktiven und technisch fortgeschrittenen Wirtschaftszweige. Die Reallohnhöhe der produktivsten Branchen strahlt auf die weniger produktiven und nur begrenzt automatisierbaren Dienstleistungssektoren ab. Was aber in der Industrie durch technischen Fortschritt bzw. durch die Steigerung der Produktivität noch aufgefangen werden kann, ist im Dienstleistungssektor kaum möglich. Die Arbeit eines Lehrers oder Sozialarbeiters ist nicht nach Belieben quantitativ erhöhbar. Die Konsequenz ist, das die Kosten des Arbeitsplatzes so steigen, daß die nicht automatisierbare Arbeit schließlich unbezahlbar wird. Sie bleibt einfach liegen. Arbeit, die nötig wäre, kann nicht bezahlt werden. Aus anderen Gründen als im industriellen Sektor ist das Ergebnis dasselbe: Die Arbeit verknappt sich. Der modernen Industriegesellschaft geht - historisch gesehen - die Arbeit aus; doch mit einer Einschränkung: Der Gesellschaft geht nicht schlechterdings die Arbeit aus, sondern nur die bezahlbare Arbeit. Nicht Arbeit an sich wird knapp, sondern nur die formale, statistisch erfaßte, institutionalisierte Beschäftigung. Es ist nach wie vor genug zu tun. Wir befinden uns in der eigentümlichen Situation, daß vieles, was notwendig oder wünschenswert wäre, nicht mehr getan wird, weil es zu teuer ist. Andererseits steigt die Arbeitslosenzahl. Es begegnet uns der evidente Widerspruch, daß institutionalisierte Arbeit knapp wird, auf der anderen Seite aber eine wachsende Menge von Arbeit entsteht, die aus Kostengründen unerledigt liegen bleibt. Der
208
7. Hauptprobleme des modernen Kapitalismus
Vorrat an noch bezahlbarer Arbeit sinkt ständig, der Berg der wünschenswerten, aber nicht mehr geleisteten Arbeit wächst. Dieses Mißverhältnis kann man das Arbeitsparadoxon der modernen Industriegesellschaft nennen.
Abb.21 Vereinfachte schematische Darstellung der Arbeitskrise
Realbelastung des Arbeitsplatzes
Vorrat an institutionalisierter Arbeit sinkt
i
Arbeitskrise
So gravierend das Ordnungsparadoxon ist, die Auflösung dieser Unvereinbarkeit läßt sich nicht erzwingen. Letztlich ist die klassische Arbeitsgesellschaft von ihrer Struktur her eine auf allmähliche Veränderung zielende Gesellschaft. Gegenstand der Veränderung ist die Arbeit selbst. Vorstellen ließe sich eine Entwicklung, in der neue ökonomische Freiräume jenseits der etablierten Arbeitssituationen kreiert werden (Dahrendorf 1983: 31 ff.). Als Modell denkbar wäre eine kombinierte Arbeitsstruktur, mit der sich die bisherige Arbeitswelt aufgliedert in a) einen zwar dominierenden, aber allmählich schrumpfenden Bereich der institutionalisierten Arbeitswirtschaft; b) daneben einen allmählich steigenden Sektor der informellen Subsistenzwirtschaft und c) einen ebenfalls wachsenden Sektor der nicht institutionalisierten Schattenwirtschaft.
7.1 Die Arbeitskrise
209
Beide Sphären der informellen und nicht institutionalisierten Wirtschaft würden gegenüber der formellen und institutionalisierten Arbeitssphäre an Gewicht gewinnen. Gleichwohl ist die Entwicklung einer informellen Arbeitswelt nur denkbar unter der Voraussetzung, daß die etablierte formelle Arbeitssphäre sich als stabil erweist. Die nicht institutionalisierte Arbeitssphäre kann sich nur im Windschatten der traditionellen Arbeitswelt entfalten, weil sie die Grundlagen der wirtschaftlichen Prosperität bildet. Die Schattenwirtschaft ist eine Tätigkeit für Entschädigungen, die weit unter den anerkannten Reallohnsätzen liegen. Der Geldlohn der Schwarzarbeit ist zwar niedrig; oft wird er ergänzt oder ersetzt durch eine soziale Entschädigung, durch Gegenleistungen in F o r m von Nachbarschaftshilfen oder Naturalien. Je mehr der Bereich der institutionalisierten Arbeit schrumpft, umso mehr wächst der Bereich der informellen Schwarzarbeit. Die Schattenwirtschaft bildet insoweit eine Art Auffangbecken für die Arbeitsgesellschaft. Sie sorgt dafür, daß Arbeit in der Gesellschaft bleibt. Die Schattenwirtschaft wächst in der Welt schneller als die institutionalisierte Arbeit. Nicht nur in industriellen Schwellenländern und kommunistischen Staaten hat sie bereits epidemische Ausmaße angenommen, auch in hochindustrialisierten Ländern wie Kanada, USA oder Italien beläuft sich die offiziell nicht erfaßte Produktion bereits auf ca. 20 bis 25 %. Ermittelt wird der Anteil der Schattenwirtschaft über Indikatoren wie den Vergleich des realen Energieverbrauchs einer Region mit dem Wert, der nach offiziellen Produktionszahlen zu erwarten ist. Neben der Schattenwirtschaft bildet sich ein weiterer Typus neuer informeller ökonomischer Arbeitsformen, zumeist gekennzeichnet mit den Begriffen Subsistenzwirtschaft oder Alternativökonomie. Auch sie sind ein Hinweis auf das Erstarken nicht institutionalisierter Arbeitsformen in der modernen Gesellschaft. Indem die institutionalisierte Arbeit knapp wird, wächst im Gegenzug der Bereich der Alternativökonomie, die sich heute in F o r m von Klein- und Kleinstunternehmen vermehrt etabliert. Nachbarschaftsgruppen und kleine soziale Netze bilden eine Art Parallelwirtschaft, die vielfach die Aufgaben der öffentlichen H a n d und der Kleinindustrie ergänzen. Aufgaben im öffentlichen, halböffentlichen und sozialen Dienstleistungsbereich, im Gesundheitsund Ernährungswesen, im biologischen Landbau und im Handwerk, in der Sozialfürsorge, Alten- und Jugendhilfe bilden die Stichworte für konkrete Pläne. Es sind Initiativen, die die Arbeit der Industriegesellschaft auf eine neue Plattform stellen, und — was entscheidend ist — deren Entschädigung weit unter den normalen Reallohnsätzen liegt. Die Entwicklung der Schatten- und Alternativökonomie, ihre produktiven Elemente und ihre allmähliche Verbreitung eröffnen möglicherweise einen Ausweg aus der Arbeitskrise. Durch die Hintertür nicht-institutionalisierter
210
7. Hauptprobleme des modernen Kapitalismus
Arbeitsformen kehrt die Arbeit in die moderne Gesellschaft zurück. Zwar geht im historischen Zusammenhang die Arbeit der Arbeitsgesellschaft aus, aber das ganze Spektrum der informellen, autonomen, selbstbestimmten Tätigkeit ist nicht betroffen. Arbeit ist nach wie vor ein Schlüsselfaktor der modernen Gesellschaft. N u r wird ein Teil der Arbeit zusehends in eine neue Sphäre verlagert: aus dem Bereich formeller Institutionen in den Bereich der Autonomie und Selbstbestimmung.
7.2 Die Wachstumskrise Die Probleme, die mit der Wachstumskrise zusammenhängen, berühren mehrere Fragen. Woran liegt es, daß trotz der Erfolge marktwirtschaftlicher Institutionen der politische Interventionismus in F o r m von Handelsschranken und Zöllen, Subventionen und Steuervorteilen immer wieder angewandt wird? Woran liegt es ferner, daß Wettbewerb als wachstumsförderndes Strukturprinzip politisch so schwer durchsetzbar ist? W o r a n liegt es, daß im Verlauf der Nachkriegsepoche das Sozialprodukt in Deutschland und J a p a n so viel schneller gewachsen ist als das von Großbritannien und den USA? W o r a n liegt es schließlich, daß im Verlauf der Weltgeschichte die Stafette des wirtschaftlichen Vorreiters immer wieder weitergegeben wurde: von Oberitalien an die Niederlande, dann an Großbritannien, an die USA und jetzt schließlich an Japan? Warum versiegen offenbar geradezu zwangsläufig immer wieder die Quellen des Wachstums (vgl. von Weizsäcker 1983)? Auf alle diese Fragen antwortet der amerikanische Soziologe Olson mit einer einheitlichen Theorie (Olson 1982). Er stellt die Struktur des Handelns von Interessenverbänden, Kartellen und Gewerkschaften in das Zentrum seiner Überlegungen. In ihnen sieht er die entscheidenden Barrieren für wirtschaftliches Wachstum. Geht man noch einen Schritt weiter, kann man die Bedingungen der Wachstumskrise generell auf vertragliche oder stillschweigende Übereinkünfte aller Art zwischen den am Wirtschaftsleben beteiligten Wirtschaftssubjekten zurückführen. Die These beruht auf der Annahme, daß der Wettbewerb mehr als jedes andere ökonomische Strukturprinzip für ein Höchstmaß an Leistung, Effizienz, Innovationskraft und damit zugleich auch an Wachstum sorgt. Wettbewerb ist der Motor wirtschaftlicher Prosperität. Dennoch ist in allen hochentwickelten Gesellschaften zu beobachten, daß Wettbewerb politisch sehr schwer durchsetzbar ist. Stück für Stück werden in allen modernen Industriegesellschaften Handelsschranken erhöht, Handelsbeschränkungen zementiert, Kartelle errichtet und in Tarifverträgen Besitzrechte festgeschrieben. Es breitet sich eine Welle von handelshemmenden Absprachen unterschiedlichster Art
7.2 D i e Wachstumskrise
211
aus, die gegen die innovative Kraft des Wettbewerbs verstoßen. Wie läßt sich dies erklären? Wettbewerb kann verstanden werden als eine endlose Kette von Konkurrenzhandlungen um einzelne nacheinander auftretende Verkaufschancen. In dieser Eigenschaft enthält der Wettbewerb nicht nur innovative, sondern auch repressive Elemente. Sie drücken sich darin aus, daß die Unternehmen sich immer wieder gezwungen sehen, sich gegenüber scharfem Konkurrenzdruck zu behaupten (vgl. Kapitel 4). Angesichts dieses Umstands enthält das Wettbewerbsprinzip ein folgenreiches Element: Die Unternehmen werden langfristig alle sich bietenden Möglichkeiten nutzen, um nicht ständig den Unwägbarkeiten und den unsicheren Konsequenzen eines fortgesetzten scharfen Wettbewerbs ausgesetzt zu sein. Sie werden bemüht sein, relativ unberührt von ernsten Rivalitätsbeziehungen agieren und disponieren zu können, ohne immer zugleich die vermuteten und befürchteten Reaktionen der Mitbewerber in das eigene Handlungskalkül einbeziehen zu müssen. Es erscheint naheliegend, unter bestimmten Umständen anzunehmen, daß jeder, der kann, versuchen wird, sich vor den ungewissen Auswirkungen und dem scharfen Druck einer reinen Konkurrenzordnung zu schützen. So segensreich Wettbewerb volkswirtschaftlich wirkt, und so reich er den überdurchschnittlich innovativen Unternehmer belohnt, so störend ist er für den etablierten, vielleicht nicht mehr so anpassungswilligen und anpassungsfähigen Unternehmer. Letztere sind in der Mehrheit. Sie versuchen nach Kräften, sich gegen die Unbill des Wettbewerbs und seinen Druck zu wehren, wo sie ihm selbst ausgesetzt sind - so sehr sie auch überall dort als Konsumenten vom Wettbewerb profitieren, wo sie seinen Druck nicht mehr selbst spüren (von Weizsäcker 1983). Wettbewerb scheint demzufolge ein eigentümlich ambivalentes Strukturprinzip zu sein: Er ist für den Markt als ganzen richtungsweisend, ohne deshalb zugleich von jedem Einzelunternehmen auf Dauer gewollt zu werden. Diese Eigentümlichkeit des Wettbewerbs kann man die Intermutation des Wettbewerbs nennen. Intermutation des Wettbewerbs heißt, Wettbewerb als Leitprinzip der Wirtschaftsordung anzuerkennen und doch alle individuellen Anstrengungen zu unternehmen, um sich über Absprachen und Interessenkoordination, über Verträge, Zölle, Subventionen und Protektion gegen die Unwägbarkeiten des scharfen Konkurrenzdrucks zu wehren. Dabei ist besonders zu beobachten, daß ein einzelnes Unternehmen auch dann an der Wettbewerbsordnung festhält, wenn es sich selbst vor ihren Auswirkungen geschützt hat. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang der Umstand, daß ein Unternehmen zwei gleichgelagerte Fälle einmal als der selbst Betroffene und einmal gewissermaßen als Repräsentant der öffentlichen M a r k t o r d n u n g unterschied-
212
7. Hauptprobleme des modernen Kapitalismus
lieh beurteilt — ein Phänomen, das zugleich die Wettbewerbsordnung als solche zu stützen und zu stabilisieren scheint. Wir haben es in allen hochentwickelten Volkswirtschaften der westlichen Welt mit einer zwiespältigen Erscheinung zu tun: Auf der einen Seite der Primat des Wettbewerbs als konstitutives Prinzip der Sozialstruktur, auf der anderen Seite Wettbewerbsumgehungen massiver Art, selbst mit Unterstützung staatlicher Instanzen; auf der einen Seite Wachstumsansprüche, auf der anderen Seite wachstumshemmende Schutzzölle; auf der einen Seite der Anspruch auf Leistungssteigerungen, auf der anderen Seite leistungshemmende Subventionen; einerseits das Erfordernis von Innovationen, andererseits Schutzmaßnahmen veralteter Industrien und Marktstrukturen. Dies ist das Wachstumsdilemma der modernen Volkswirtschaft. Dieses Dilemma ist normal. Es tritt gesetzmäßig auf. Die Selbstverpflichtung des einzelnen Unternehmens zu fortgesetzten Wettbewerbsanstrengungen ist eine Fiktion. Sie läßt sich nicht einlösen. Bestehende Konkurrenzbeziehungen haben immer die Tendenz, sich von selbst über Verträge und Interessenorganisationen in konkurrenzfreie bzw. konkurrenzmindernde Marktbeziehungen umzubilden. Offenbar treten auf einer bestimmten Entwicklungsstufe der Wirtschaft die Partikularinteressen der einzelnen Unternehmen gegenüber Kooperationsinteressen mit anderen zurück. Fortgesetzter Wettbewerbsdruck führt zu einem Interesse an konkurrenzfreien Marktbeziehungen. Die Entwicklung konkurrenzumgehender und damit wachstumshemmender Marktbeziehungen verläuft über mehrere Stufen: 1. Unter Konkurrenzbedingungen unterliegt jedes Unternehmen dem Druck, sich durch Innovationen sowie durch Produkt-, Qualitäts- und Leistungsverbesserungen gegenüber der Konkurrenz durchzusetzen. Jeder Wettbewerbsvorteil des einen ruft negative Effekte für den anderen hervor. Es herrscht ein ständiger Konflikt um knappe Kundenpotentiale. Jedermann muß gewärtig sein, Marktanteile zu verlieren. Niemand kann in Sicherheit die Früchte seiner Anstrengungen genießen. Es herrscht ein Zustand, der nie frei von äußerem Druck ist. 2. Dieser von Konkurrenzdruck gekennzeichnete Markt fügt folglich jedem Unternehmen nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile zu. Jeder muß einen erheblichen Teil seiner Kräfte, Energie und Kosten darauf verwenden, sich gegen Übergriffe anderer zu schützen. 3. Um dem Druck zu entgehen, sind viele Wirtschaftssubjekte daran interessiert, eine gegenseitige Einschränkung der ursprünglichen Wettbewerbsfreiheit in dem Umfang zuzustimmen, in dem auch jeder andere bereit ist, auf gewisse Handlungs- und Dispositionsspielräume zu verzichten (Bei-
7.2 Die Wachstumskrise
213
spiel: Kartellbildung). Es scheint im Interesse der meisten Beteiligten zu liegen, zu diesem Zwecke implizite, wenn nicht sogar explizite Absprachen über bestimmte Aktionsparameter wirtschaftlichen Handelns herbeizuführen. Viele sind bereit, sich in Organisationen, Verbänden und Verträgen Bindungen zu unterwerfen oder anderen Wirtschaftssubjekten Bindungen aufzuerlegen, um sich vor überraschenden und teuren Konkurrenzübergriffen zu sichern. Man kann in diesem Zusammenhang von einer Entwaffnung oder Entkonkurrierung der Marktbeziehungen sprechen. 4. Solche Versuche zur Ausschaltung oder zum Unterlaufen des Wettbewerbs sind das Ergebnis großer Koordinationsanstrengungen. Zumeist handelt es sich nicht einmal so sehr um rechtswidrige Maßnahmen zur Beschränkung des Wettbewerbs gemäß dem G W B (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen), sondern vor allem um ein umfangreiches System von Interessenkoordination und quasi-vertraglichen Bindungen: beispielsweise Tarifverträgen, Kartellen, Fusionen, Arbeitskreisen, Symposien, Konsultationsgeflechten, Selbstbeschränkungsabkommen, protektionistischen M a ß n a h men des Staates oder auch etablierten, festgefügten Hetsteller-Kunden Beziehungen, die sich allmählich aus Konkurrenzverhältnissen gelöst haben (vgl. Kapitel 4). Alle zusammengenommen ergeben sie ein riesiges, gigantisches Netz von Absprachen und vertragsähnlichen Bindungen, die die Wirtschaft im Laufe der Zeit überziehen und den Primat des Wettbewerbs zurückdrängen. Die Summe der koordinierten Interessen und vertraglichen Marktbeziehungen bilden die Wurzel für wachstumshemmende Strukturen moderner Industriegesellschaften. In dem Maße, in dem der Leistungsdruck des Wettbewerbs schwächer wird, nimmt zugleicht der Innovationsdruck ab. Dem Wachstum versiegen die Quellen. 5. Obwohl das unausgesprochene Entwaffnungsabkommen für sich allein genommen noch nicht die wechselseitige Anerkennung von Positionen im Markt beinhaltet, entsteht auf lange Sicht doch eine Art Gewohnheitssystem, das die Handlungen, Strategien und Ziele der Beteiligten in gewissem Sinne festlegt. Damit verfestigen sich die wachstumshemmenden Strukturen. Sie werden institutionalisiert. 6. Wenn sich die Unternehmen zu gegenseitiger Enthaltsamkeit oder gar Zusammenarbeit verständigen und die allgemein als repressiv empfundene Wettbewerbsfreiheit zum Vorteil aller Beteiligten beschränken, dann haben diejenigen, die sich diesen Beschränkungen unterwerfen, ein Recht darauf, daß auch die anderen es tun. Individualrechte münden in ein allgemeines Verpflichtungssystem ein. Die Verpflichtung wird zum einklagbaren Vertrag. Wettbewerb wird partiell durch Vertragsethik ersetzt.
214
7. H a u p t p r o b l e m e des modernen Kapitalismus
Die Folgen liegen auf der Hand: Das wirtschaftliche Wachstum schwächt sich weiter ab; die Innovations- und Technologieentwicklung verlangsamen sich. Es wächst die Tendenz zu wirtschaftlichem Ritualismus: geringem Risikogeist, weniger Unternehmungsgeist, Erstarrung der Industriestrukturen. Am Arbeitsmarkt bilden sich durch Interessenkoordination ermittelte politische Preise, die, da sie im internationalen Vergleich nicht mehr konkurrenzfähig sind, den Protektionismus fördern. Der Druck auf den Staat, weitere Subventions- und und Protektionsmaßnahmen zu erlassen, nimmt dadurch zu. Im Grenzfall vermögen Interessenkoordination und Vertragsethik den ursprünglichen Konkurrenzcharakter der Marktbeziehungen soweit zu überlagern, daß wettbewerbsbedingtes Wachstum fast völlig erlischt. Die Volkswirtschaft veraltet trotz stabiler sozialer Institutionen. Wenn Wachstumsschwächen letztlich auf soziale und ökonomische Faktoren zurückzuführen sind, fragt es sich, unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen die Bildung von Interessenverbänden, Kartellen oder einer entsprechenden Vertragsethik besonders begünstigt ist. Absprachen zur Umgehung des Wettbewerbs sind solange instabil, wie lange es für die beteiligten Mitglieder lohnend ist, gegen vereinbarte Spielregeln zu verstoßen. Auch die Mitglieder von Interessenverbänden sind in der Regel interessiert, daß der Verband als solcher effizient arbeitet, aber am liebsten möchten sie als „free rider", als Schwarzfahrer, von den Leistungen der Vereinigung profitieren, ohne sich an den Kosten zu beteiligen. Jeder möchte möglichst geringe eigene Opfer aufbringen. Hieraus ergibt sich die große Schwierigkeit, leistungsfähige Vereinigungen und wettbewerbsunterlaufende Abmachungen zu organisieren. Dies erfordert Olson zufolge Zeit und ein vergleichsweise stabiles soziales Umfeld. In jungen Gesellschaften, die sich im Aufbruch befinden, wird es deshalb keine Kartelle, Protektionismus und verfestigte Verbandsstrukturen geben — stattdessen offene Märkte und große Spielräume für unternehmerische Initiativen, Risiko und Pioniergeist. Beispiele sind die Bundesrepublik Deutschland und Japan im Jahre 1950. Interessengruppen, Verbände, Gewerkschaften standen am Anfang. Der Krieg, der Flüchtlingsstrom und die erzwungene politische Umwälzung haben zu einer enormen regionalen beruflichen Mobilität geführt, so daß sich die Beziehungen in Markt und Gesellschaft erst wieder neu entwickeln mußten. Es gab keinen Grundstock erstarrter kommerzieller Beziehungen, die die Innovationsimpulse hätten einschränken können. Das Klima, in dem vertragliche Abmachungen und die Entstehung von Vereinigungen, Verbänden und Interessenorganisationen zum Unterlaufen des Wettbewerbs gedeihen, verlangt relativ alte, eingefahrene stabile Gesellschaften mit etablierten Wirtschaftsordnungen. Es handelt sich um Wirtschaftsord-
7.2 Die Wachstumskrise
215
nungen, in denen Zeit bestand, sich einzurichten, Interessen zu koordinieren und Absprachen zu tätigen. Es sind Ordnungen, in denen aus der Vergangenheit ein dichtes Netz ökonomischer und sozialer Bindungen ererbt worden ist, in denen der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung Kontrollmechanismen zugewachsen sind, um die sogenannten free rider gegebenenfalls sanktionieren zu können. Beispiele sind etwa Großbritannien, aber auch der Osten der Vereinigten Staaten. Daneben gibt es auch historische Beispiele: das alte China, Indien, Oberitalien, Niederlande oder das mittelalterliche Zünftesystem (vgl. Kap. 5: Der mittelalterliche Markt). Solange nicht Erschütterungen von innen oder außen diese „alten" Gesellschaften in offene Gesellschaften des Wettbewerbs verwandeln, sind sie aus sich heraus stabil. Das Netz institutionalierter Absprachen und Interessen verhindert uneingeschränkten Wettbewerb, die wirtschaftliche Entwicklung beginnt zu stagnieren. Unter diesen Umständen ist verbreitete Wachstumsschwäche in alten, etablierten und eingefahrenen Wirtschaftsordnungen normal; sie korrespondiert mit der allmählichen Festschreibung von Kooperationsinteressen und Ansprüchen, die nur sehr schwer revidierbar sind. Eingefahrene Strukturen sind nicht mehr so anpassungsfähig, ökonomische Wechselfälle können immer schwieriger aufgefangen werden. Olson behauptet, daß im internationalen Vergleich der westlichen Industrieländer die Wachstumsraten des realen Volkseinkommens pro Kopf der Tendenz nach umso niedriger liegen, je älter die politisch-gesellschaftlichen Verfassungen der Länder sind. Dies erklärt auch die Unterschiede in den Wachstumsraten der Schweiz, der USA und Großbritannien einerseits, sowie der Bundesrepublik und Japan andererseits, wo er den Beginn der heutigen Verfassungen auf die Nachkriegszeit ansetzt, während die anderen Länder mit den niedrigen Wachstumsraten stabile gesellschaftliche Zustände seit mehr als 100 Jahren kennen. Welthistorisch gesehen ist ökonomische Stagnation sogar der Regelfall, Wachtstum die äußerst seltene, zumeist auf wenige Jahrzehnte beschränkte Ausnahme. Überall wo es nicht gelingt, den Leistungsdruck des Wettbewerbs institutionell abzusichern, erlöschen die wachstumsauslösenden innovativen Kräfte. Sie werden vom Verbands- und Vertragscharakter moderner Wirtschaftsordnungen überlagert. Die Quellen des Wachstums versiegen, weil sich über die Rivalitätsbeziehungen zwischen den Unternehmen konkurrenzumgehende Marktbeziehungen dauerhaft institutionalisiert haben. Letztlich sind es die Bedingungen des Wettbewerbs selbst, die über einen Prozeß der Interessenkoordination die ihnen eigenen Wachstumskräfte aushöhlen.
216
7. Hauptprobleme des modernen Kapitalismus
7.3 Das Problem der Technostruktur
John Kenneth Galbraith (geb. 1908) befaßt sich mit der Frage, ob angesichts der modernen Marktstrukturen die westliche Wirtschaft noch als Marktwirtschaft zu bezeichnen ist. Ihm zufolge sind die Mechanismen der Marktsteuerung nur noch von untergeordneter Bedeutung. Der Markt wird im wesentlichen von Großunternehmen beherrscht, die mehr Einfluß haben, als ihnen gemeinhin konzediert wird. Es sind wenige hundert Großkonzerne, die die Märkte in den westlichen Industriegesellschaften beherrschen. Galbraith sieht die Gründe in einer mehrfachen Wechselwirkung zwischen Wirtschaft und Gesellschaft. Er geht von der Annahme aus, daß gesellschaftliche Werte und Leitbilder zu massiven technologischen Veränderungen in der Wirtschaft führen; der technische Fortschritt beeinflußt wiederum die Strukturen des Marktes, und die Strukturen des Marktes strahlen schließlich auf die bestehenden Wertvorstellungen zurück. Galbraith sieht im Wirtschaftswachstum den eigentlichen Kristallisierungspunkt, um den sich das Denken in der modernen Wohlfahrtsgesellschaft dreht. Das bestehende Weltbild wird nicht vom Menschen und seinen Bedürfnissen, sondern von der Ausweitung der Produktion beherrscht. Fast alle sozialen Gruppen stimmen überein, daß Wachstum erstrebenswert sei; Wachstum vor allem als fortschreitende Erhöhung des materiellen Lebensstandards. In der modernen Industriegesellschaft läuft die Produktion auf Hochtouren, damit Arbeitsplätze gesichert, Einkommen und Konsumstandard stetig gesteigert und neue Produkte nachgefragt werden. Produziert wird nicht, weil neue Waren benötigt werden oder die Versorgung gefährdet wäre. Im Gegensatz zu den administrativen Wirtschaftssystemen des Sozialismus ist nicht mangelhafte Versorgung das Hauptproblem, sondern die Wachstumsund Arbeitskrise. Dort herrschen Versorgungs-, hier Arbeitsprobleme. In dem Maße, in dem eine Gesellschaft durch fortgesetztes Wachstum wohlhabender wird, kommt dem technologischen Fortschritt eine besondere Bedeutung zu. Erst der technologische Fortschritt bildet die Grundlage für die stete Ausweitung der Massenproduktion; und erst Rationalisierung, Mechanisierung und Automatisierung garantieren weitere Steigerungsraten des Wachstums. Wenn aber der technische Fortschritt zur Sicherung des Wachstums notwendig ist, wächst den Großunternehmen per se eine besondere Rolle zu. Denn nur sie erfüllen die hierfür erforderlichen Voraussetzungen. Sie haben das Kapital, um die Entwicklung und Forschung finanzieren zu können. Nur sie haben auch die hochqualifizierten Führungskräfte, weil sie sie besser ausbilden und bezahlen können, und nur sie sind imstande, jene Massengüter zu produzieren, die die eigentlichen Grundlagen des Wohlstands bilden.
7.3 Das Problem der Technostruktur
217
Mit der zunehmenden Bedeutung von Großunternehmen verändern sich zugleich die Marktstrukturen. Dies liegt an den Bedingungen des technischen Fortschritts: — Es werden immer mehr Spezialisten für immer kleinere Anwendungsbereiche benötigt. Die Differenzierung von Produktion und Arbeitsbereichen setzt sich fort. — Kapitaleinsatz und Zeitaufwand für Forschung und Entwicklung steigen. Die Vorlaufzeit zur Einführung eines neuen Produkts vergrößert sich ständig. Das Kapital wird auf lange Sicht gebunden. — Die Koordination von Spezialisten hat eine komplexe Verwaltungsorganisation zur Folge. Steigende Kapitalbindung und wachsende Vorlaufzeiten bedeuten steigende Risiken. Da unter Wettbewerbsbedingungen die Unternehmen keinen Einfluß auf Preise und abgesetzte Mengen haben, sind die Großunternehmen bemüht, den unberechenbaren Charakter des Marktes unter Kontrolle zu bringen. Sie versuchen, soweit wie möglich die Absatz- und Kostenrisiken des Marktes auszuschalten. Steigenden Risiken kann allerdings nur auf zweifache Weise begegnet werden. Erstens durch Eingriffe des Staates in die Wirtschaft, indem der Staat eine Absatzgarantie gewährt, erhebliche Kosten für Forschung und Entwicklung übernimmt, technisches Wissen zur Verfügung stellt und schließlich die Gesamtnachfrage einer Volkswirtschaft reguliert. Neben der Politik des Staates können die Marktrisiken zweitens nur noch durch eine exakte, umfassende und systematische Unternehmensplanung begrenzt werden. Die heutige Technologie hat einen Stand erreicht, der die Unternehmen zu langfristiger Planung zwingt. Der enorme Kapitaleinsatz kann nicht länger den „Gezeiten der Nachfrage" überlassen werden, sondern muß der systematischen Planung unterworfen werden. Beschließt beispielsweise ein Großunternehmen, einen neuen Autotyp zu entwickeln, der in zehn Jahren auf den Markt kommen soll, werden Expertenteams schon heute alle Details planen: Marktchancen, Kundenpotentiale, Zielgruppen, Ausstattungsdetails, Werbung, Verkaufsstrategien etc. Ebenso muß heute schon sichergestellt werden, daß Arbeitskräfte, Maschinen, Werkzeuge, Roboterund Materialien zu angemessenen Bedingungen zur Verfügung stehen. Zu all diesem sind die Großunternehmen in der Lage. Zugleich können sie die Preise für die Produkte der Zulieferbetriebe planen, ihre eigenen Preise kalkulieren, wie es den Usancen und wie es dem Wohlergehen der gesamten Branche
7. Hauptprobleme des modernen Kapitalismus
218
entspricht. Gegebenenfalls werden weitere Absprachen zwischen den wichtigsten Herstellern über gemeinsame Interessen dafür sorgen, daß die Unternehmen die wichtigsten Marktrisiken im Griff behalten. Planung bedeutet Vorhersehbarkeit und Steuerbarkeit sämtlicher künftiger Markt- und Umweltvariablen sowie die Sicherstellung eines kontinuierlichen Wachstums. Die Großunternehmen haben sich zu reinen Planungssystemen umgestaltet. Statt Konkurrenz — so Galbraith — bestimmt Planung das Unternehmensverhalten. Innovation, Investition, Lieferbedingungen, Auftragssicherungen und das Management des privaten Verbrauchs werden nicht von aktuellen Rivalitätsbeziehungen, sondern von systematischer Planung geprägt. Die klassische Vorstellung freier Marktkonkurrenz ist hinfällig. Sie muß Galbraith zufolge durch ein Konzept allgemeiner Unternehmensplanung revidiert werden, in die die Markt- und Produktdaten als feste Größen eingehen und nicht mehr dem risikovollen Wechselspiel freier Konkurrenzverhältnisse unterliegen. Wenn auch mittlerweile in der modernen Wirtschaft das Planungssystem der Großunternehmen dominiert, so hat es doch nicht vollständig die Marktsteuerung verdrängt. Im Schatten des Planungssystems steht nach wie vor das traditionelle Marktsystem, das sich namentlich aus Klein- und Mittelbetrieben des Dienstleistungssektors zusammensetzt. Beispiel: Installationsbetriebe, Reparaturbetriebe, Ärzte, Rechtsanwälte, Psychiater. Die Wirtschaftsordnung ist zweigeteilt: Abb.22 Das hochindustrialisierte Wirtschaftssystem im Modell von Galbraith Westliche Industriegesellschaft
i
Planungssystem der Technostruktur (Großunternehmen, ausgereifte Betriebe)
, Marktsystem der Einzelunternehmen (Mittel- und Kleinbetriebe, Dienstleistungsbranchen)
Mit der Transformation des Marktsystems in ein Planungssystem verändern sich zugleich die Machtstrukturen. Prägten früher die zahlreichen innovativen, gegeneinander konkurrierenden Unternehmerpersönlichkeiten des Marktsystems das Bild der Wirtschaft, so sind es heute vorwiegend die planenden Expertenstäbe der Großunternehmen. Sie sind es, die die eigentlichen ökonomischen Entscheidungen treffen. Diese Spezialisten und Experten nennt Galbraith „Technostruktur".
7.3 Das Problem der Technostruktur
219
Zur Technostruktur gehören nicht nur Planungsstäbe wie Administration und Controller, sondern auch Fachleute wie Techniker, Wissenschaftler, Ingenieure, der Vertrieb, die professionellen Marketing- und PR-Leute, Abteilungsleiter, kurz: die gesamte Führungsgarnitur vom leitenden Manager bis zum Vorarbeiter. Nicht die wenigen Spitzenmanager, sondern die in Teams zusammengefaßten Experten der unteren und höheren Ebenen sind die richtungsweisende Intelligenz — das Gehirn eines Unternehmens. Den Planungsstäben der Technostroktur steht das Marktsystem der Kleinund Mittelunternehmen gegenüber. Zwar plant auch ein Kleinunternehmen, aber seiner Planung fehlen die wissenschaftliche Gründlichkeit, das spezialisierte Expertenteam und das entsprechende Know-how. Z u m anderen kann ein Kleinunternehmen keinen Einfluß auf den Preis seiner Produkte nehmen; es übt keine Macht aus. Ein weiterer Unterschied zwischen traditionellen Unternehmen des Marktsystems und dem Planungssystem der Technostruktur läßt sich am Entscheidungsverhalten ablesen. Die hierarchischen Machtstrukturen in traditionellen Unternehmen haben sich mit der Bildung der Technostruktur in ein „konzentrisches Machtverhältnis" in den Großunternehmen gewandelt. Die zentrale Entscheidungsbefugnis liegt nicht mehr beim Top-Management, sondern bei der Technostruktur. Entscheidungen der Technostruktur sind Gruppenentscheidungen, in denen hochgradig spezialisiertes wissenschaftliches, technisches und betriebswirtschaftliches Wissen zusammengefaßt und in einen allgemeinen Planungsrahmen eingebunden wird. Diese Art der Entscheidungsfindung macht es beispielsweise dem Aufsichtsrat in der Regel unmöglich, Gegenentscheidungen zu treffen. Die wirtschaftliche Macht liegt bei der Technostruktur. Das spezialisierte Wissen der Technokraten drängt auch den Einfluß der Aktionäre zurück. Wirtschaftliche Macht hat sich vom Produktionsfaktor Kapital auf den Produktionsfaktor Arbeit verlagert. Nicht mehr die Kapitalgeber bestimmen die Geschicke eines Unternehmens, sondern die Spezialisten und Experten, die die Planung betreiben. Sie sind die eigentlichen Akteure der modernen Wirtschaft, in ihnen bündelt sich die Macht. Es gibt weitere Unterschiede zwischen der Technostruktur und dem traditionellen Unternehmer einer durch Wettbewerb gekennzeichneten Ordnung. Während der Einzelunternehmer sich vor allem um den größtmöglichen Gewinn (Verzinsung des eingesetzten Kapitals) sorgt, ist die Technostruktur ihrem Wesen nach vor allem Arbeit und Organisation. Die Techniker, Planer und Verkäufer beziehen festes Gehalt. Sie interessieren sich weniger für den Gewinn als vielmehr für die Erhaltung ihrer eigenen Position sowie für Mitgestaltung und Einflußnahme auf die grundlegenden Unternehmensziele. Wenn
220
7. Hauptprobleme des modernen Kapitalismus
aber der Technostruktur der Anreiz fehlt, Gewinne zu machen, muß es ein anderes Motiv geben, das dazu führt, daß die Großunternehmen florieren. Dies liegt Galbraith zufolge am Selbsterhaltungs- bzw. Machttrieb der Technostruktur. Hier wird das inhärente Machtstreben zum Selbstzweck. Statt auf hohe Gewinne sind die Führungsstäbe auf Wachstumsraten aus, denn Wachstum bedeutet, daß neue Arbeitskräfte benötigt werden. Nimmt die Zahl der Beschäftigten zu, steigt auch die Verantwortung; die Aufstiegschancen verbessern sich, damit einher geht ein Zuwachs an Macht. Da das Wachstum aber nur gewährleistet ist, wenn der Staat entsprechende Rückendeckung gibt, verlangt die Technostruktur eine aktive, auf den Ausgleich von Konjunkturzyklen zielende Wirtschafts- und Finanzpolitik. Dem Staat wird zugemutet, unberechenbaren Einflüssen der wirtschaftlichen Entwicklung gegenzusteuern und damit das Wirkungsfeld der Technostruktur von externen Störvariablen freizuhalten. Umgekehrt hat aber auch der Staat ein Interesse an wirtschaftlichem Wachstum, weil er nur dadurch seine politischen Funktionen erfüllen kann. Unter diesen Umständen spielen sich Wirtschaft und Staat gegenseitig in die Hände. Die Interessen von Staat und Technostruktur sind weitgehend deckungsgleich. Obgleich Staat, Wirtschaft und Gesellschaft ein gemeinsames Interesse an weiteren Steigerungsraten des Wachstums haben, sind die Grundstrukturen des modernen Kapitalismus in höchstem Maße labil. Die Probleme liegen in der inneren Logik des Planungssystems: — Das Planungssystem produziert aus dem ihm eigenen Erfolgszwang heraus mehr Waren als nötig. — Wegen fehlenden Konkurrenzdrucks kommt es zu einem Überschuß an Investitionen. — Die Unelastizität der Preise hat zur Folge, daß ein Nachfragerückgang mit voller Wucht die Beschäftigung trifft. — Das Planungssystem ist gegenüber den Gewerkschaften großzügiger als das Marktsystem der Klein- und mittelständischen Unternehmen. Aus diesem G r u n d e ergeben sich depressive Rückwirkungen auf das Marktsystem, da die Kleinunternehmen Lohnsteigerungen und sonstige reale Kostenerhöhungen nur sehr viel schwieriger als die Großunternehmen verkraften können. Mit der Ausbreitung des Planungssystems in der modernen Gesellschaft geht die Bedeutung der Marktwirtschaft verloren. Die Technostruktur übt die eigentlichen Steuerungsfunktionen aus. Aus dieser These zieht Galbraith einen umstrittenen Schluß: Wenn schon die eigentlichen Wachstumsimpulse
7.4 D i e privilegierte Position der Wirtschaft in der Gesellschaft
221
der modernen Industriegesellschaft nicht mehr aus Wettbewerb, Pioniergeist, Risiko und Kapital resultieren, sondern aus dem Planungswesen der Technostruktur, so ist die Konstellation nicht grundsätzlich anders als in den sozialistischen Wirtschaftsordnungen. Der formellen Ordnung nach besitzen im sozialistischen Osten die Partei u n d im kapitalistischen Westen die Aktionäre die Macht über die Großunternehmen. In Wirklichkeit kämpfen aber in beiden Lagern die Spezialisten u n d Technokraten darum, ihre Herrschaft in den Betrieben zu festigen. Und da beide Technostrukturen aus unterschiedlichen Motiven auf Planung schwören, ist eine deutliche Annäherung nicht zu verkennen. Galbraith folgt mit dieser These von einer allmählichen Konvergenz zwischen kapitalistischer und sozialistischer Wirtschaftsordnung den Annahmen Schumpeters, der bereits vorher eine ähnliche Prognose gestellt hat (vgl. Kap. 2, Josef Schumpeter).
7.4 Die privilegierte Position der Wirtschaft in der Gesellschaft Der Amerikaner Charles Lindblom beschäftigt sich mit den Risiken des modernen Marktes (Lindblom 1980). Ihn interessieren die engen und widerspruchsvollen Beziehungen zwischen Privatwirtschaft und Demokratie, insbesondere das Problem wirtschaftlicher Macht im politischen System. Er fragt, wie sich die Qualität und Substanz demokratisch orientierter Marktwirtschaftssysteme verbessern lassen, ohne zugleich die Grundlagen einer leistungsfähigen industriellen Produktion zu schwächen. Lindblom sieht die Probleme des modernen Kapitalismus in den politischen Konsequenzen des Marktsystems: Demokratie- und Partizipationsdefizite, unkontrollierbare Machtgebilde, soziale Ineffizienzen, Verlagerung zentraler demokratischer Willensbildungsprozesse auf wenige beherrschende G r o ß u n ternehmen, allgemeine Legitimationsprobleme. Zwar ist er von der Leistungsfähigkeit der Märkte überzeugt — er weist eindrucksvoll nach, wie überlegen das Marktsystem gegenüber einem rein administrativen System in der Steuerung, in der Genauigkeit und der Vielfalt der Entwicklungsmöglichkeiten ist — andererseits glaubt er aber, daß sich die Märkte in gewissen Grenzen demokratischen Kontrollen entziehen und eigene unkontrollierbare Machtgebilde kreieren. Der demokratische Anspruch moderner Märkte — so die These Lindbloms — wird nicht eingelöst; darin liegt das Hauptproblem des modernen Kapitalismus. Die Analyse Lindbloms setzt mit der Gegenüberstellung der beiden heute dominierenden Steuerungsformen wirtschaftlicher Prozesse ein. Modell 1 ist der administrative Typ. Er geht von der Allwissenheit einer Elite aus, die
222
7. Hauptprobleme des modernen Kapitalismus
wirtschaftliches Handeln plant. Man kann die Entscheidungsmethodik dieses Modells als rationale Synopse bezeichnen. Beispiel: Planwirtschaften k o m m u nistischer Herkunft. Der kommunistische Systemtyp beruht auf der Annahme, daß es dem menschlichen Verstand möglich sein muß, eine den Bedürfnissen der Menschen gerechte Gesellschaftsordnung zu entwerfen, und daß zweitens eine aufgeklärte Elite befähigt sein muß, diese O r d n u n g planmäßig aufzubauen. Die alternative Version, das System der Marktwirtschaft (Modell 2), leugnet diese Möglichkeit und setzt stattdessen auf selbstregulative soziale Interaktionen, in denen immer nur vorteilhafte Lösungen für eng begrenzt definierte Probleme angestrebt werden. Der Kerngedanke des zweiten Modells besagt, daß zwischen intellektueller Kapazität einer Elite und gesellschaftlicher Komplexität immer eine Lücke klafft. Deshalb sei es besser, den Marktkräften die Entscheidung zu überlassen, in welchem Verhältnis was produziert wird. Beide Modelle haben ihre Schwächen und sind, so meint Lindblom, nicht sonderlich menschenfreundlich. Das administrative System ist relativ schwerfallig: aufgrund von Entscheidungsproblemen (bedingt durch fehlende Informationen: was produziert werden soll, hängt davon ab, was sonst noch produziert wird); aufgrund von politischen Problemen (wegen Ressourcenknappheit entstehen Entscheidungsprobleme: Produktion von Butter oder Kanonen?); aufgrund fehlender Erfolgsindikatoren (Beispiel: Gewicht statt Gewinn, was zur Folge hat, daß der Erfolg eines Unternehmens in Kilogramm statt in Geld gemessen wird); aufgrund fehlender Anreizsysteme, (Folge: mangelnde Produkt- und Dienstleistungsqualitäten). Dazu k o m m e n soziale Probleme wie Einschränkung der Freiheit, Verstöße gegen die Menschenwürde etc. Aber auch das Modell 2, die privatwirtschaftlich-strategisch organisierte Lösung von Wirtschaftsproblemen enthält eine Reihe von Schwächen. Neben der Tatsache, daß trotz des Wohlstands immer mehr Menschen von der Sozialhilfe leben, spielen folgende Aspekte eine Rolle: Der Wettbewerb wird ständig unterlaufen; daraus resultieren Anpassungsverluste technologischer Art; soziale Kosten werden nicht erfaßt (Umweltverschmutzung); Marktanreize funktionieren häufig nicht (Arbeitslose trotz unerledigter Aufgaben); die Marktsteuerung beruht auf individuellen Präferenzen, was zur Folge hat, daß die Produktion unwichtiger Güter oftmals Vorrang hat vor der Bereitstellung wichtiger Güter wie medizinischer Versorgung, innerer Sicherheit, öffentlicher Dienstleistungen, Rechtssicherheit, Ausbildung usw. Beide Modelle haben allerdings ein gemeinsames Problem: Ihre Institutionen haben sich so entwickelt, daß Elitenherrschaft, Bürokratie und die Hintansetzung des Glücks des einzelnen gegenüber den Privilegien einiger weniger zu charakteristischen Zügen geworden sind. In beiden Systemen herrscht Lindblom zufolge eine unzureichende demokratische Kontrolle der Wirtschaft.
7.4 D i e privilegierte Position der Wirtschaft in der Gesellschaft
223
Das Problem in den westlichen Industriestaaten liegt darin, daß sich die Unternehmen der öffentlichen Kontrolle entziehen. Dies geschieht auf zweifache Art. Erstens sind Unternehmen nicht anders als Parteien auf Überredung des Marktpublikums zielende Organisationen. Werbung, Manipulation und Überredung kennzeichnen in der Politik wie in der Wirtschaft die Entwicklung hochindustrialisierter Märkte. Reklametechnisch geschickt arrangierte und in Szene gesetzte Public Relation-Strategien verhindern den kritischen Dialog. Lindblom glaubt, daß die Prozesse der Kontrolle im Markt allenfalls zirkulär verlaufen (Lindblom 1980: 319). In Wirklichkeit werden die eigentlichen Kontrolleure wie Öffentlichkeit und Konsumenten von den massivenWerbekampagnen der Wirtschaftsunternehmen gesteuert. Der demokratische Kontrollprozeß ist umgeschlagen: Aus den Kontrolleuren werden die Kontrollierten. Zweitens wird die Kontrolle durch den freien Handlungsspielraum der Unternehmen erschwert. Ein Unternehmer ist autonom; er kann bestimmen, wann Gelder für politische Zwecke eingesetzt werden, welche Investitionsentscheidungen getroffen werden, was produziert wird. Er entscheidet letztlich über das Produktions- und Beschäftigungsniveau einer Gesellschaft. Dem Konsumenten fehlen Informationen, Kompetenz und Erfahrung, um auf die Entscheidungen großer Unternehmen Einfluß nehmen zu können. Alles in allem — so Lindblom — herrschen die großen Unternehmen der westlichen Welt in einer relativ unkontrollierten privaten Sphäre. Sie üben Macht aus, unterliegen selbst aber nicht der demokratischen Kontrolle. Sie üben öffentliche Funktionen aus, werden aber nicht selbst von öffentlichen Institutionen beaufsichtigt. Der Einfluß der Wirtschaft wird vor allem dadurch so bedrohlich, weil Großunternehmen und Staat eine unzertrennliche, durch zahlreiche politische und bürokratische Verflechtungen verbundene Einheit bilden. Man könnte von einer Machtallianz zwischen Staat und Wirtschaft sprechen. Die großen Unternehmen herrschen zusammen mit den Politikern. Beide Gruppen üben der Sache nach öffentliche Funktionen aus, beide verfügen über weite Handlungsspielräume (vgl. den Ansatz von Galbraith). Doch es herrscht kein Machtgleichgewicht zwischen den beiden G r u p p e n , von einem Vorrang der demokratisch gewählten Politiker ganz zu schweigen. Vielmehr haben wir es mit einer privilegierten Position der Wirtschaft in der Gesellschaft zu tun; aus drei Gründen: Erstens, weil die Politiker auf eine leistungsfähige Wirtschaft angewiesen sind, um ihre öffentlichen Funktionen zu erfüllen. Daher kann die Wirtschaft die Bedingungen diktieren, unter denen sie überhaupt nur leistungsbereit ist. Sie kann den Preis festlegen, den die Politiker für Wachstum und Vollbeschäftigung zu zahlen haben. Allerdings ist es nicht erforderlich und üblich, diesen Machtanspruch explizit und programmatisch vorzutragen. Die Politiker erkennen — so Lindblom —zumeist von
224
7. Hauptprobleme des modernen Kapitalismus
sich aus stillschweigend die Bedingungen an, die von der Wirtschaft gestellt werden. Sie antizipieren sie bereits in ihren Entscheidungen, bevor sie f o r m u liert werden. Es bedarf keines gesonderten ausdrücklichen Aushandelns. Die Geschäftsbedingungen sind gewissermaßen bekannt, denen sich das politische System zu unterwerfen hat, und denen es sich von sich aus fügt. Zweitens beruht die privilegierte Position der Wirtschaft auf direkten und unmittelbaren Einflußnahmen auf die Prozesse im politischen System: a) durch Geld, b) durch die Effizienz ihrer großen Organisationen (vor allem ihres bürokratischen Apparates), c) durch Sachverstand, Kompetenz und technologisches Know-how (die Unternehmen beschäftigen umfassende hochqualifizierte Expertenstäbe, die den wenigen Sachbearbeitern des Staates in der Regel weit überlegen sind) und d) durch Zugangswege zu den politischen Entscheidungszentren und Entscheidungsgremien, die den Normalbürgern verschlossen sind. Drittens schließlich sprechen Indoktrinations-, Werbungs- und Public Relations-Prozesse für die privilegierte Position der Wirtschaft in der Gesellschaft. Die Unternehmen — so vermutet Lindblom — beeinflussen das öffentliche Bewußtsein. Sie setzen Überredung als Methode der sozialen Steuerung ein, etwa dergestalt, daß sie ihre privilegierte Stellung dadurch legitimieren, daß sie privates Unternehmertum mit Demokratie gleichsetzen und damit Angriffe auf sich selbst als Angriffe auf die Demokratie darstellen können. Sie sind in ihrer professionellen Öffentlichkeitsarbeit so erfolgreich, daß die eigentlichen demokratischen Kontrollmechanismen des Marktes ins Leere laufen (vgl. Kap. 4, Die persuasive Kommunikation). Aus der privilegierten Stellung der Wirtschaft resultiert eine Reihe von Problemen. Großkonzerne — so spitzt Lindblom seine Analyse zu — bilden die Hauptfaktoren jener Veto-Macht, die in westlichen Demokratien mehr und mehr notwendige Entscheidungsprozesse über wirtschaftspolitische Änderungen blockieren. In allen Grundsatzfragen stillschweigend einer Meinung üben die Führer der Großunternehmen die eigentliche Herrschaft in den Industrienationen aus. Sie treffen Entscheidungen über Industriestandorte und bestimmen damit über strukturschwache und strukturstarke Regionen; sie treffen Entscheidungen über die Organisation von Märkten, über Transportnetze, über die Bürokratisierung von Arbeitsplätzen, über die Automatisierung, ohne einer öffentlichen Kontrolle zu unterliegen. „Es ist ein merkwürdiges Kennzeichen des demokratischen Denkens", bemerkt daher Lindblom, „daß das Privatunternehmen noch nicht als eine fremdartige Organisation innerhalb einer angeblich demokratischen Organisation erkannt worden ist. Von enormer Größe, reich mit Mitteln ausgestattet, verfügen die großen Unternehmen über mehr Ressourcen als die meisten Regierungen. In vielen Punkten können Unternehmen darauf bestehen, daß die Regierung ihren Forderungen
7.5 D a s Problem wirtschaftlicher Rationalität
225
nachkommt, auch wenn dies den Ansprüchen der Bürger ... zuwiderläuft... Das große Privatunternehmen paßt nur sehr schwer in die Theorie und Vision der Demokratie. Eigentlich paßt es gar nicht" (Lindblom 1980: 559). Lindblom entwickelt zentrale soziale Antagonismen der Marktwirtschaft. Es fragt sich aber, ob seine Perspektive nicht zu einseitig auf das Verhältnis von Staat und Wirtschaft gerichtet ist, ohne die vielfältigen gesellschaftlichen Einflüsse zu berücksichtigen, die demokratische Partizipations- und Kontrollprozesse ermöglichen. Die Wirtschaft bewegt sich nicht in einem Freiraum unbeschränkter Machtprivilegien. Sie ist vielmehr selbst einem dichten Netz vielfältiger Einflüsse und wachsenden öffentlichen Drucks ausgesetzt. Vieles spricht dafür, daß das Strukturprinzip der Marktöffentlichkeit an Bedeutung gewonnen hat und die Kontrolle der Wirtschaft auf neue institutionelle Wege verlagert hat (vgl. Kapitel 8).
7.5 Das Problem wirtschaftlicher Rationalität Anders als Lindblom formuliert Jürgen Habermas Bedingungen und Konsequenzen der privilegierten Stellung der Wirtschaft in der Gesellschaft (Habermas 1977 und 1981). Ihm zufolge läßt sich die Entwicklung des modernen Kapitalismus als ein ständig fortschreitender Rationalisierungsprozeß kennzeichnen. Dabei handelt es sich um eine Rationalität besonderer Art, die er strategische oder Systemrationalität nennt. Gegenüber dieser strategischen Systemrationalität, die sich in besonderen wirtschaftlichen Denkweisen, Entscheidungsverfahren, Kommunikationsstil und Produktionsweisen, kurz: in allen Funktionen der Wirtschaft niederschlägt, können sich andere kulturelle Denkformen, Institutionen und Lebensstilweisen nur schwer behaupten. Das Grundproblem des modernen Kapitalismus ist die Frage, wie verhindert werden kann, daß die vereinseitigte strategische Rationalitätsform der Wirtschaft auf alle anderen Lebensbereiche übergreift. Ihr muß als Front eine neue andere F o r m menschlicher Rationalität gegenübergestellt werden, die Habermas kommunikative Rationalität nennt (vgl. Kapitel 4). Die kommunikative Rationalität ist im Gegensatz zur strategischen Rationalität vor allem eine Rationalität der Verständigung, des Ausgleichs, der sozialen Integration. Sie ist die Rationalisierungsform, die in der nicht-ökonomischen Lebenswelt ihren Ursprung hat und die in kulturellen Institutionen wie Familie, Religion oder Moral ihren Ausdruck findet. Die kommunikative Rationalität bildet die Grundlage menschlichen Zusammenlebens, ihr kommt der eigentliche Primat im Zusammenspiel von Wirtschaft und Gesellschaft zu.
226
7. Hauptprobleme des modernen Kapitalismus
Im modernen Kapitalismus stehen sich folglich zwei völlig unterschiedliche Handlungsbereiche gegenüber: auf der einen Seite der sachstrategische Bereich der Wirtschaft, die an Zweck-Mittel-oder Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten orientierte wirtschaftliche Entscheidungslogik sowie die ökonomischen Funktionsnotwendigkeiten und auf der anderen Seite der kommunikative, auf Verständigung beruhende lebensweltliche Bereich, die Prinzipien von Moral und Ethik, die kulturellen Institutionen von Religion, Familie und Öffentlichkeit, die die Grundlagen sozialer Integration bilden; es stehen sich also Lebenswelt und das System der Wirtschaft gegenüber. Habermas zufolge scheint nun die Balance zwischen beiden gestört zu sein. Die strategische Rationalität der Wirtschaft nimmt überhand. Sie verschüttet die kulturellen Institutionen der Lebenswelt. Die „Pathologie" der wirtschaftlichen Entwicklung liegt im vereinseitigten Rationalismus, der nur auf die Effizienz ökonomischer Systeme abstellt und dabei den notwendigen sozialen Konsens sowie die sinnstiftenden kulturellen Institutionen aus den Augen verliert. Darin liegt zugleich eine Gefährdung der demokratischen Struktur. Anders als Lindblom sieht Habermas die Risiken demokratischer Strukturen nicht in der gesellschaftlichen Machtstellung von Großunternehmen, sondern in der wirtschaftstypischen strategischen Rationalitätsform, die deshalb so demokratiefeindlich ist, weil sie nur nach Effizienz und nicht nach K o m p r o m i ß , Integration und Konsens fragt. Die überschießende strategische Rationalität der Wirtschaft, die in andere Lebensbereiche eindringt, unterminiert daher demokratische Prozesse. Nur wenn die in der Lebenswelt verankerten moralischen Normen einen Schutzwall gegen die anflutende strategische Rationalität der Wirtschaft bilden, sind Partizipation und Demokratie auf Dauer zu gewährleisten. Habermas sieht auch nicht, wie Galbraith, in der Bürokratisierung und Technostruktur ein kritikwürdiges Phänomen. Nicht Technostruktur, Großunternehmen und Kapitalismus als solche sind Krisenerscheinungen, sondern erst die illegitime Grenzüberschreitung ihrer Denkweisen und Ansprüche auf andere Lebensweltbereiche. Erst wenn sich die wirtschaftliche Rationalität verselbständigt und auf die sinnstiftenden Institutionen der Lebenswelt übergreift, besteht Gefahr. Oder in der sogenannten „Kolonialisierungsthese" ausgedrückt: Erst wenn die strategische Rationalität und Eigenlogik der Wirtschaft die Lebenswelt und ihre Institutionen „kolonialisiert", bilden sich bedenkliche Entwicklungstendenzen. Die gegenwärtigen Probleme des Kapitalismus liegen darin, daß Beziehungen in der Lebenswelt, d. h. vor allem moralische Beziehungen zusehends durch Medien wie Geld und Macht ersetzt (kolonialisiert) werden. „Kolonialisierung" heißt dann: Geld statt Moral, Macht statt Konsens, Rationalität statt
7.5 D a s P r o b l e m wirtschaftlicher Rationalität
227
soziale Integration, rationale Expertenkulturen statt demokratische Institutionen. Habermas befürchtet, daß die Lebenswelt der modernen Gesellschaft, die auf soziale Integration angewiesen ist, im Laufe der Zeit auf die strategische Rationalität wirtschaftlicher Systeme mit all ihren bedenklichen Formen umgestellt wird. Je stärker sich die Systemrationalität der Wirtschaft verbreitet, umso eher gehen traditionelle Sinnbezüge des Lebens verloren. Die sich gegenwärtig abzeichnenden Orientierungsdefizite der modernen Gesellschaft sind daher Ausdruck und Ergebnis jener Entwicklung, in der der strategischen Rationalität der Wirtschaft so wenig Widerstand von den traditionellen Institutionen der Lebenswelt entgegengesetzt wird. Skeptisch bleibt Habermas, ob die durch den Primat der wirtschaftlichen Rationalität hervorgerufenen Krisen allein durch die Institutionen des Wohlfahrtsstaates und durch die moderne Sozialgesetzgebung bewältigt werden können. Der Sozialstaat vermag zwar bestimmt Defizite sozialer Integration bis zu einem gewissen Grade aufzufangen, aber er wird nicht die Dauerproblematik der Übergriffe wirtschaftlicher Medien wie Geld auf die Lebensweltbereiche lösen können. Er ist nicht mehr in der Lage, das von der Wirtschaft ausgehende Krisenpotential zu absorbieren. Erst die Rückbesinnung auf verschüttete kulturelle Lebensweltinstitutionen vermag wieder neue gesellschaftliche Stabilität herzustellen.
Zusammenfassung
1. Eines der wichtigsten Probleme des modernen Kapitalismus ist die Arbeitskrise. Trotz ständiger Verkürzung der Lebensarbeitszeit (um ca. zwei Drittel in den letzten 100 Jahren) nimmt der Vorrat an institutionalisierter Arbeit weiter ab. D a f ü r sprechen Arbeitszeitverkürzungen, verlängerte Ausbildungszeiten, früherer Eintritt in den Ruhestand, Produktivitätssteigerungen, echte und unechte Arbeitslosigkeit sowie demographische Entwicklungen. 2. Die Ursache der Arbeitskrise läßt sich soziologisch deuten. Entscheidender Faktor ist der starre Preis der Arbeit, der auf drei gesellschaftliche Bedingungen zurückzuführen ist: a) Tarifauseinandersetzungen, b) Entwicklung des Wohlfahrtsstaates und c) die Geltung öffentlicher Interessen. 3. Die Sphäre der institutionalisierten Arbeit verliert an Bedeutung. Stattdessen wächst der Bereich der nicht-institutionalisierten Tätigkeiten; deren Anteil am Bruttosozialprodukt beläuft sich inzwischen in vielen Ländern bereits auf ca. 20 bis 25 %.
228
7. Hauptprobleme des modernen Kapitalismus
4. Wettbewerb ist ein ambivalentes Strukturprinzip. So sehr es einerseits Grundlage der wirtschaftlichen Ordnung ist, so sehr versuchen andererseits viele Unternehmen, sich vor den ungewissen Auswirkungen und dem scharfen Druck einer reinen Konkurrenzordnung zu schützen (Intermutation des Wettbewerbs). Fortgesetzter Wettbewerbsdruck führt zu einem Interesse an konkurrenzfreien Marktbeziehungen. Die Folge sind quasivertragliche Beziehungen und ein umfangreiches System der Interessenkoordination, beispielsweise: Verbände, Kartelle, Gewerkschaften, Protektion, Subventionen, Verträge, Selbstbeschränkungsabkommen. 5. Da der Wettbewerb wichtigster Antrieb für Innovationen und Wachstum ist, sind soziale Strukturen, die eine solche Interessenkoordination ermöglichen und den uneingeschränkten Wettbewerb schwächen, zugleich die Wurzeln der Wachstumskrise. In den meisten Industriegesellschaften haben sich wachstumshemmende Sozialstrukturen verfestigt. Die Wachstumskrise ist also nicht nur Ergebnis ökonomischer Fehlsteuerungen, sondern hängt auch mit erstarrten gesellschaftlichen Strukturen zusammen, die nicht mehr genug Innovationsdruck auslösen. 6. In den hochentwickelten Industriegesellschaften ist Galbraith zufolge das traditionelle Marktsystem hinfällig. Es ist ersetzt worden durch das Planungssystem der Großunternehmen. Prägten früher die einzelnen Unternehmerpersönlichkeiten das Bild der Wirtschaft, so sind es heute die planenden Expertenstäbe weniger hundert Großunternehmen. M a n bezeichnet sie als Technostruktur. Sie halten die Fäden der wirtschaftlichen Macht in ihren Händen und steuern die Entwicklung des modernen Kapitalismus. 7. Technostrukturen gibt es nicht nur in westlichen Industriegesellschaften, sondern auch in den sozialistischen Wirtschaftsordnungen. D a sie in beiden Systemen darum kämpfen, ihre Herrschaft in den Betrieben zu festigen, kann man von einer allmählichen Konvergenz zwischen kapitalistischer und sozialistischer Wirtschaftsordnung sprechen. 8. Der demokratische Anspruch moderner Märkte wird — darin liegt Lindblom zufolge das Hauptproblem des modernen Kapitalismus — nicht eingelöst. Die Großunternehmen entziehen sich der öffentlichen Kontrolle, sie kontrollieren vielmehr selbst mittels ihrer finanziellen Ressourcen, ihrer Sachkompetenz und mit massiven Werbekampagnen Öffentlichkeit und Staat. Die Wirtschaft besitzt eine privilegierte Position, sie hat Zugang zu den wichtigsten politischen Entscheidungszentren und steuert letztlich die gesamte gesellschaftliche Entwicklung. Gegen diese These spricht, daß die gesellschaftlichen Machtkanäle nicht einseitig verlaufen, sondern daß auch die Wirtschaft massiven Machteinflüssen unterliegt.
7.5 D a s Problem wirtschaftlicher Rationalität
229
9. H a b e r m a s zufolge hat das System der Wirtschaft einen besonderen Rationalitätsstil (strategische Rationalität) ausgebildet, der auf die anderen gesellschaftlichen Bereiche überzugreifen, sie zu „kolonialisieren" d r o h t . D a in der öffentlichen u n d privaten Lebenswelt eine andere F o r m der Rationalität (kommunikative Rationalität) herrscht, die auf Konsens, Verständigung, auf die Berücksichtigung partizipativer u n d ethischer M a ß stäbe gerichtet ist, rührt die Kolonialisierung an den G r u n d l a g e n menschlichen Zusammenlebens. D a h e r m u ß die k o m m u n i k a t i v e R a t i o n a lität der Lebenswelt eine F r o n t gegenüber der überschießenden strategischen Rationalität der Wirtschft errichten, zumal n u r d a n n die Institutionen der Demokratie, der Partizipation und M o r a l in der m o d e r nen Gesellschaft auf D a u e r gewahrt werden können.
Fragen zur Wiederholung
1. Was sind die gesellschaftlichen Ursachen der Arbeitskrise? 2. Was versteht man unter dem doppelten Dilemma der Rationalisierung? 3. Erläutern Sie das „Arbeitsparadoxon" der m o d e r n e n Industriegesellschaft. 4. In welcher Weise hängt die Wachstumskrise mit den Struktureigenschaften des Wettbewerbs zusammen? Diskutieren Sie die Folgen der „Intermutation des Wettbewerbs". 5. W a r u m besteht eine Beziehung zwischen dem Alter einer Gesellschaft und ihrer Wachstumsschwäche? 6. W a s spricht f ü r die Konvergenzthese von G a l b r a i t h , was dagegen? G i b t es Hinweise f ü r die A n n ä h e r u n g von Kapitalismus und K o m m u n i s m u s ? 7. Diskutieren Sie die These von der M a c h t der T e c h n o s t r u k t u r . Ist sie tatsächlich eine homogene G r u p p e , die die F ä d e n der wirtschaftlichen Entwicklung in den H ä n d e n hält? 8. Diktiert die Wirtschaft der Politik die Bedingungen des Handelns, wie Lindblom unterstellt? Was spricht Ihrer Ansicht nach f ü r u n d was gegen die A n n a h m e von der privilegierten Position der Wirtschaft in der Gesellschaft?
230
7. Hauptprobleme des modernen Kapitalismus
9. Kann man Wirtschaft und Staat als „Machtallianz" begreifen? 10. Kontrollieren die Unternehmen die Öffentlichkeit? Was spricht dafür, was dagegen? 11. Vergleichen Sie die Erscheinungsformen der strategischen und kommunikativen Rationalität in der Wirtschaft. 12. Üben die rationalen Handlungskriterien der Wirtschaft Einfluß auf die moralischen und ethischen Maßstäbe der Gesellschaft aus? 13. Zerstört die strategische Wirtschaftsrationalität demokratische Strukturen? Gibt es Gegenargumente? 14. Erläutern Sie die Kolonialisierungsthese von Habermas. 15. Gibt es Ihrer Einschätzung nach auch Beispiele, daß die kommunikative Rationalität der Lebenswelt auf die Wirtschaft übergreift?
8. Strukturwandel der Wirtschaft
8.1 Die postindustrielle Gesellschaft Eine soziologische Analyse der Wirtschaft ist immer auch der Versuch einer Standortbestimmung in einem historischen Entwicklungsprozeß. Der Kapitalismus hat eine lange Tradition. Kapitalistisch im marktwirtschaftlichen Sinn des Begriffes sind nicht nur die heutigen Wirtschaftsordnungen der industriell fortgeschrittenen Länder, kapitalistisch war auch die industrielle Entwicklung in der Vergangenheit. Trotzdem gibt es nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch Unterschiede, die es erlauben, vom Strukturwandel der Wirtschaft zu sprechen. Worin unterscheidet sich die moderne Version des heutigen Wirtschaftssystems von seinen Vorgängern? Worin unterscheidet es sich nicht? Es scheint eine Reihe wichtiger Veränderungen gegeben zu haben, die auf vergleichsweise neue Strukturmerkmale des kapitalistischen Systems hindeuten. Die Wissenschaftler Bell und Touraine haben einige von ihnen im Begriff der nach- oder postindustriellen Gesellschaft zusammengefaßt.
8.1.1 Beils Konzept der nachindustriellen Gesellschaft Die These Beils lautet, „daß wir in den nächsten 30 bis 50 Jahren das A u f k o m men der postindustriellen Gesellschaft erleben werden" (Bell 1976: 8). Sie ist zwar noch nicht Wirklichkeit, aber es gibt bereits zahlreiche Strukturveränderungen, die auf eine neue Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung verweisen. Ausgangspunkt der Überlegungen Beils ist die Annahme, daß jede wirtschaftliche Epoche die Institutionen entwickelt, die sich zur Lösung der anfallenden Aufgaben am besten eignen. Auch der Kapitalismus bildet ein System von festen Verhaltensweisen, die auf die rationale Lösung wirtschaftlicher Probleme gerichtet sind. Die Institutionen des Marktes sind nicht unveränderlich, sondern soziale Erfindungen, die zur Bewältigung bestimmter ökonomischer Aufgaben geschaffen wurden. Ändern sich die menschlichen Bedürfnisse und Interessen, verändern sich auch die Institutionen.
Bell entwirft ein aligemeines Schema sozialen Wandels, das die wichtigsten Entwicklungslinien von der industriellen zur nachindustriellen Gesellschaft enthält.
232
8. Strukturwandel der Wirtschaft
Abb. 23: Allgemeines Schema des sozialen Wandels Vorindustrielle Gesellschaft
Industrielle Gesellschaft
Postindustrielle Gesellschaft
Regionen
Asien Afrika Lateinamerika
Westeuropa Sowjetunion Japan
Vereinigte Staaten
Wirtschaftlicher Sektor
Primär (Extraktive Industrien) Landwirtschaft Bergbau Fischerei Waldwirtschaft
Sekundär (Güterproduktion) Verarbeitung Fertigproduktion
Tertiär Quartär (Dienstleistungen) Verkehr Erholung
Banken Versicherungen Quintär: Gesundheit Ausbildung Forschung Regierung
Wichtigste Berufsgruppen
Bauer angelernter Bergmann Arbeiter Fischer Ingenieur ungelernter Arbeiter
technische und akademische Berufe Wissenschaftler
Grundlage der Technologie
Rohstoffe
Energie
Information
Entwurfsprinzip
Spiel gegen die Natur
Spiel gegen die technisierte Natur
Spiel zwischen Personen
Methodologie
„Common sense" Erfahrung
Empirismus Experiment
abstrakte Theorie: Modelle, Simulation, Entscheidungstheorie, Systemanalyse
ZeitPerspektive
Orientierung an der Vergangenheit; Ad-hoc-Reaktionen
Ad-hocAnpassung, Vorausberechnungen
zukunftsorientierte Voraussage
Axiales Prinzip
Traditionalismus; Begrenzung von Boden und Ressourcen
Wirtschaftswachstum; staatl. oder private Kontrolle der Investitionsentscheidungen
Zentralität und Kodifikation des theoretischen Wissens
Quelle: Bell 1976: 117.
Für die Zukunft prognostiziert Bell eine Reihe institutioneller und struktureller Veränderungen, die sich in folgenden Punkten zusammenfassen lassen.
8.1 Die postindustrielle Gesellschaft
233
Dienstleistungsgesellschaft Die nachindustrielle Gesellschaft ist gekennzeichnet durch den Übergang von einer primär güterproduzierenden Gesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft. Während in der Industriegesellschaft die Dienstleistungsberufe noch direkt mit der industriellen Produktion verbunden sind (Handel, Versicherungen, Banken), stehen in der nachindustriellen Gesellschaft Dienstleistungen am Menschen im Vordergrund. Charakteristisch für die Dienstleistungsgesellschaft sind die veränderten Bedingungen der Arbeit. Während in der Industriegesellschaft die manuelle Arbeit mit Rohstoffen, Produkten und Halbfertigfabrikaten vorherrscht, überwiegen in der postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft die interpersonellen Arbeitsbeziehungen. An die Stelle der Beziehungen zwischen Menschen und Maschinen tritt die Kommunikation zwischen den Menschen. Die postindustrielle Gesellschaft ist primär „ein Spiel zwischen Personen". Immer mehr Berufe werden durch Mensch-Mensch-Beziehungen, weniger dagegen durch Mensch-Produkt-Beziehungen gekennzeichnet. Bell vermutet für diese Entwicklung zwei Gründe, die beide in steigenden Löhnen zu suchen sind. Erstens markieren hohe Löhne die Wende von der arbeitsintensiven zur kapitalintensiven (das heißt automatisierten) Produktion. Immer mehr Güter werden von immer weniger Menschen erzeugt. Daher drängen viele Beschäftigte in die Dienstleistungsberufe. Zweitens sinkt mit steigendem Volkseinkommen und gleichzeitiger Verbilligung der Massengüter der prozentuale Anteil privater Ausgaben an industriellen Gütern — demgegenüber steigen die Beträge, die für Erholung, Freizeit, Betreuung, Gesundheit, Forschung, Bildung und Erziehung ausgegeben werden. Deren Bedeutung am Wirtschaftsleben wächst. Beherrschten also in der industriellen Epoche die Berufsgruppen des primären und sekundären Bereichs die Wirtschaft, so expandieren stattdessen in der nachindustriellen Gesellschaft die Berufsgruppen des tertiären, quartären und quintären Sektors. Sie beziehen sich in erster Linie auf intellektuelle Aufgaben und Betreuungsfunktionen. Der Wandel der Beschäftigungsstruktur ist erheblich. Waren noch um die Jahrhundertwende ca. 70 % der Beschäftigten in der Warenproduktion gegenüber nur 30 % im Dienstleistungssektor tätig, so war das Verhältnis 1950 bereits in etwa ausgeglichen. Mittlerweile hat es sich genau umgekehrt. Nach einer repräsentativen Statistik der Bevölkerung (Mikrozensus) haben 1980 nur noch rund 27 % der Erwerbstätigen in der Bundesrepublik Tätigkeiten ausgeübt, die sich mit der Fertigung, der Be- und Verarbeitung von Produkten befassen, während bereits 73 % aller Berufstätigen überwiegend Dienstleistungen erbracht haben; beispielsweise Reparieren, Transportieren, Handeln, Kontrollieren, Bürotätigkeit, Planen, Konstruieren, Leiten, Erziehen, Lehren, Betreuen, Pflegen, Untersuchen, Bedienen, Bewirten.
234
8. Strukturwandel der Wirtschaft
Den größten Zuwachs erfuhr die Beschäftigung im öffentlichen Dienst. 1950 waren in der Bundesrepublik nur 4,2 % aller Beschäftigten Diener des Staates; 1981 waren es dagegen bereits 19,7 %. Dies sind knapp 4,5 Millionen, nahezu jeder fünfte Arbeitnehmer.
Die kommunale
Gesellschaft
Genossen in der industriellen Gesellschaft vor allem materielle Güter eine hohe Wertschätzung, bemißt sich die Lebensqualität der nachindustriellen Gesellschaft mehr nach den empfangenen sozialen Dienstleistungen. Die stärkere Betonung immaterieller Werte kennzeichnet die in großen G r u p p e n um sich greifende Neigung, sich mehr und mehr an Ideen der Selbsterfüllung, der Befriedigung persönlicher Wünsche, des Hedonismus und Individualismus statt allein an der Erhöhung des materiellen Lebensstandards zu orientieren. Individuelle Interessen und hedonistische Bedürfnisse sind zwar nicht neu, aber neu ist der Anspruch, mit dem sie öffentlich vertreten werden. Kennzeichnend für die neuartigen Wünsche nach Selbsterfüllung sind vor allem die Forderungen nach besseren Gesundheits- und Bildungsleistungen. Darin drückt sich die Überlegung aus, daß Gesundheit und Bildung unentbehrliche Voraussetzungen für die Zustände und Beziehungen sind, die sich hinter der Vorstellung eines schönen Lebens verbergen. Da die traditionellen Institutionen des Marktes diesen Ansprüchen nicht gerecht werden können, führen die Forderungen nach mehr Dienstleistungen und nach einer menschenwürdigen Umwelt zum Ausbau der öffentlichen Einrichtungen; vor allem in den Kommunen, wo es diese Bedürfnisse zu befriedigen gilt. Mit der starken Betonung immaterieller Wünsche nimmt zwangsläufig der kommunale Charakter der Gesellschaft zu. „Die nachindustrielle Gesellschaft ist demnach eine „kommunale" Gesellschaft, in der weniger das Individuum als vielmehr die Gemeinde die unterste Einheit bildet" (Bell 1976: 136). Inhalt und Umfang der Staatstätigkeit in der nachindustriellen Gesellschaft unterliegen anderen Kräften als in der Industriegesellschaft. Sie nehmen an Gewicht deutlich zu. Die Entscheidung über Art und Befriedigung individueller Bedürfnisse wird mehr und mehr vom Markt auf den Staat übertragen. Denn die Ansprüche auf soziale Dienstleistungen lassen sich nicht nach demselben Organisationsschema einlösen wie die auf industrielle Güter. Die Entscheidungsstrukturen des Marktes, das heißt die schlichte Summierung individueller Nachfrageakte, tritt gegenüber neuartigen kommunalen Entscheidungsstrukturen zurück, die die Bereitstellung immaterieller G ü t e r und Dienstleistungen planen.
8.1 Die postindustrielle Gesellschaft
Das axiale
235
Prinzip
Das theoretische Wissen wird zur „zentralen Achse", um die sich die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in der postindustriellen Gesellschaft organisiert. Das axiale Prinzip bezeichnet die Zentralität theoretischen Wissens als Quelle von Innovationen und industrieller Produktion.
Abb. 24: Struktur und Probleme der nachindustriellen Gesellschaft
Axiales Prinzip:
Die zentrale Stellung und Systematisierung des theoretischen Wissens
Wichtigste Einrichtungen:
Universität akademische Institute Forschungsgesellschaften auf wissenschaftlicher Forschung aufbauende Industrien ausgebildetes Personal ( H u m a n capital)
Wirtschaftliche Basis: Hauptressource: Politisches Problem: Strukturproblem: Schichtung: Grundlage Schlüssel
Wissenschaftspolitik Bildungspolitik Ausgleich zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor Können und Befähigung Ausbildung
Theoretisches Problem:
Zusammenhalt der „neuen Klasse"
Soziale Reaktionen:
Widerstand gegen die Bürokratisierung Gegenkultur
Quelle: Bell 1976: 119.
Vor allem im wissenschaftlichen Bereich nimmt das Tempo des Wissenszuwachses sprunghaft zu. Entsprangen Innovationen in früheren Gesellschaftsformationen vor allem empirischen Versuchs- und Irrtumverfahren, werden sie heute durch die Entwicklung abstrakter und umfassender Theorien vorangetrieben. Damit verbunden ist eine beschleunigte Umsetzung von theoretischem in praktisches Wissen. Die Universität entwickelt sich daher Bell zufolge zur wichtigsten gesellschaftlichen Institution. Ihr wird zugemutet, die Wissensproduktion als eigentliche Triebfeder des Fortschritts neu zu arrangieren. Sie löst von ihrer institutionellen Bedeutung her die Unternehmung ab, deren Aufgabe vor allem darin bestand, die Massenproduktion von Gütern zu organisieren.
236
8. Strukturwandel der Wirtschaft
Berufsstruktur Die Veränderung der Sozialstruktur in der postindustriellen Gesellschaft wird von vier Merkmalen geprägt:
a) durch die Auflösung der traditionellen Arbeiterklasse b) durch das Anwachsen der Mittelschicht (white-collar-MittelschichtenGesellschaft) c) durch die Veränderung der Beschäftigtenstruktur (Dienstleistungsberufe dominieren) d) durch die gestiegene Macht der technokratischen Wissensklasse.
Da die Rolle des Arbeiters immer eng an die industrielle Produktion von Gütern gebunden war, weniger dagegen an die neuen Tätigkeitsfelder im personellen Dienstleistungssektor, verliert historisch gesehen der Begriff des Arbeiters zwangsläufig immer mehr an Bedeutung. Bell wendet sich gegen die Auffassungen, die heute noch von einer Arbeiterklasse oder von Klassenkonflikten sprechen.
Anstelle der von Marx prognostizierten Expansion des IndustriearbeiterProletariats breitet sich der Typus des ausgebildeten, wissenschaftlich denkenden Spezialisten aus. Deutlich wird die Entwicklung am Anteil der sogenannten white-collar-workers (intellektuelle Dienstleistungsberufe) an der gesamten erwerbstätigen Bevölkerung. 1960 gab es beispielsweise in der Bundesrepublik ca. 6,1 Millionen Angestellte, aber noch 12,6 Millionen Arbeiter; mittlerweile ist das Verhältnis 1 : 1 .
Wegen dieser Verschiebung in der Berufsstruktur verändert sich auch das gesellschaftliche Schichtbild. Die von hohen Qualifikationsansprüchen gekennzeichneten Dienstleistungsberufe breiten sich aus. Sie erzeugen die sogenannte white-collar-Mittelschichtengesellschaft. Mit der zunehmenden Bedeutung des Wissens entsteht darüberhinaus eine neue Wissensklasse, deren wichtigste Gruppe die Wissenschaftler sind. Von allen qualifizierten Erwerbstätigen haben sie die höchste Wachstumsrate. Die Wissensklasse setzt sich aus vier Gruppen zusammen: Wissenschaftler, Tech-
8.1 Die postindustrielle Gesellschaft
237
nologen, Verwaltungsexperten u n d Kulturschaffende. T r o t z ihres hohen Prestiges ist der politische Einfluß der Wissensklasse aus drei G r ü n d e n begrenzt: erstens weil die Wissensklasse selbst relativ inhomogen ist, also keine einheitliche Interessenfront gegenüber Staat u n d Gesellschaft bildet; zweitens weil die Kulturen der modernen Gesellschaften von antirationalen S t r ö m u n g e n erfaßt werden, die den kognitiven G r u n d l a g e n der Wissensklasse entgegengesetzt sind und drittens, weil die staatliche Bürokratie die M a c h t zu absorbieren versteht.
Politischer Primat des
Staates
Auch wenn Bell zufolge der technokratische C h a r a k t e r der Wissensmacht zentraler Antrieb der gesellschaftlichen Entwicklung wird, müssen sich ihre Repräsentanten letztlich der staatlichen Bürokratie u n t e r o r d n e n . Widersprüche, Konflikte u n d K o n k u r r e n z innerhalb der Wissensklasse verstärken die Tendenz zur U n t e r w e r f u n g der Wissenschaften unter die Politik. Wissensherrschaft als Technokratenherrschaft k o m m t nicht zum Zuge. Bell betont stets den Primat des Politischen.
Staatliche
Planung
Aus dem politischen Primat des Staates erwächst die Verpflichtung, sozialen Wandel zu antizipieren u n d zu lenken. Dazu gehören die F o r m u l i e r u n g nationaler Ziele u n d nationaler Prioritäten, die verstärkte H i n w e n d u n g zu langfristigen Entwicklungs- u n d F o r s c h u n g s p r o g r a m m e n sowie die Steuerung des technischen Fortschritts. Mit dem Instrument der P l a n u n g verfügt der Staat über ein wirksames Mittel, politischen D r u c k auf die künftige Entwicklung auszuüben und damit seinen gesellschaftlichen V o r r a n g institutionell abzusichern.
Die Bedeutung staatlicher Planung nimmt aus einem weiteren G r u n d zu. A u c h die Lösung von Konflikten, die sich aus gegensätzlichen Ansprüchen verschiedener gesellschaftlicher G r u p p e n ergeben, erfordert den vermehrten Einsatz staatlicher Planungsprogramme. I m m e r mehr Fachleute, B ü r o k r a t e n u n d organisatorische Ressourcen werden eingesetzt, u m die Komplexität wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Probleme zu bewältigen. D a d u r c h wachsen die F u n k t i o n e n der Bürokratie. Die wichtigste Folge dieser V e r ä n d e r u n g ist die Verlagerung der eigentlichen politischen M a c h t von der Legislative zur Exekutive.
238
8. Strukturwandel der Wirtschaft
Konflikte Die traditionellen Klassenkonflikte in der Industriegesellschaft lösen sich von selbst auf, da der historische Gegensatz zwischen Arbeitern und Unternehmern gegenstandslos geworden ist. Als Indiz für den fehlenden Klassenkonflikt wertet Bell den niedrigen gewerkschaftlichen Organisationsgrad von Arbeitern und Angestellten im Dienstleistungssektor. Dennoch gibt es auch Konflikte in der Dienstleistungsgesellschaft: Erstens die sich abzeichnende Wachstums- und Beschäftigungskrise, und zweitens die Auseinandersetzung verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen um öffentliche Leistungen, vor allem um staatliche Transferzahlungen. Statt des einen zentralen Konflikts zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern treten eher verschiedene dezentrale gesellschaftliche Auseinandersetzungen auf: beispielsweise Verteilungskämpfe um die immer knapper werdenden Haushalte. Allerdings rühren diese Konflikte nicht an den Grundfesten der Sozialstruktur. Sie können durch eine intelligente und entschlossene politische Führung, so vermutet Bell, in Form eines „social engineering" unter Kontrolle gehalten werden. Krisen, die von größerer Bedeutung sind, sind die moralischen Legitimationsnöte des Kapitalismus. Allmählich tritt das rationale Prinzip der hochentwickelten Marktsysteme in Widerspruch zu der sich entfaltenden Kultur einer nicht-rationalen Lebenswelt. Mehr und mehr Menschen wollen nicht länger nur durch den Beruf ihre Identität finden, sondern versuchen sie auch in kulturellem Geschmack und Lebensstil auszudrücken.
8.1.2 Touraines Konzept der postindustriellen Gesellschaft Touraine zufolge werden die fortgeschrittenen Industriegesellschaften in erster Linie nach wie vor durch wirtschaftliches und materielles Wachstum geprägt. Wachstum steuert das wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Leben. Doch die Antriebskräfte des Wachstums verlagern sich. Rein ökonomische Motive wie rationeller Einsatz des Kapitals oder Kriterien wirtschaftlicher Rentabilität verlieren an Bedeutung. Sie treten gegenüber dem Wissen bzw. der Fähigkeit der Gesellschaft zurück, „Kreativität zu schaffen". Wissen avanciert zur neuen Produktivkraft. Das industrielle Wachstum in der postindustriellen Gesellschaft ist mehr das Ergebnis verschiedener gesellschaftlicher Kräfte als der bloßen Akkumulation von Kapital. „Ob es nun um die Rolle der wissenschaftlichen und technischen Forschung geht, um die Berufsausbildung, um die Fähigkeit, den Wandel zu programmieren und die Beziehungen ihrer Elemente zu kontrollieren, Organisationen ... zu verwalten oder Verhaltensweisen zu verbreiten, die der Ingangsetzung und ständigen Verwandlung aller Produktionsfaktoren förderlich ist, — alle Bereiche des
8.1 D i e postindustrielle Gesellschaft
239
sozialen Lebens, der Erziehung, des Konsums, der Information fallen mehr und mehr unter das, was man früher die Produktivkräfte nannte" (Touraine 1972: 9 f.). Ähnlich wie Bell vermutet auch Touraine, daß nicht mehr Kapital und Technik, sondern die soziale Organisation des Wissenserwerbs und der Wissensverbreitung die wirtschaftliche Entwicklung bestimmen. Anstatt durch Profit wird das Wachstum durch einen gesellschaftspolitischen Prozeß gesteuert, der von der politischen Führungsgruppe eines Staates beherrscht wird. Touraine zufolge wächst die politisch-ökonomische Macht des Staates aus drei Gründen: erstens, weil er die Produktion des Wissens steuert; zweitens, weil er die zentralen Informationsapparate lenkt, und drittens, weil er unmittelbar die Verwendung eines wachsenden Teils des Bruttosozialproduktes beherrscht, und zwar in dem Maße, in dem die Bedeutung langfristiger Planungsprogramme wächst, seien sie ökonomischer, wissenschaftlicher oder militärischer Art. Der Staat sichert in zunehmendem Maße durch wirtschaftliche und soziale Investitionen die Entwicklung der postindustriellen Gesellschaft. Daher seien, so bemerkt Touraine, fortgeschrittene Industriegesellschaften nicht mehr Gesellschaften der Akkumulation sondern der Programmierung (Touraine 1972: 50 f.). Man müsse sie folglich als „programmierte Gesellschaften" bezeichnen, deren allgemeinstes Merkmal darin besteht, daß die dezentral organisierten wirtschaftlichen Kräfte und Entscheidungen nicht mehr denselben Stellenwert einnehmen wie früher. In der postindustriellen Gesellschaft geht die Politik der wirtschaftlichen Organisation voraus, ja beherrscht sie sogar. Folgen hat diese Entwicklung für die Sozialstruktur. Im Zuge der Verlagerung wirtschaftlicher Macht vom Kapital zum Staat lösen sich auch die traditionellen Gesellschaftsklassen auf. Wenn das Zugehörigkeitsmerkmal zur alten herrschenden Schicht das Eigentum war, wird die neue herrschende Klasse in erster Linie durch das Wissen, das heißt durch ein bestimmtes Bildungsniveau gekennzeichnet. Je höher man auf der Leiter des Ausbildungssystems aufsteigt, um so technischer und spezialisierter wird die Ausbildung, und um so höher wird zugleich der gesellschaftliche Status. Die Mitglieder der neuen Klasse bezeichnet Touraine deshalb auch als Technokraten. Ihre Ideologie ist die des Dienstes am Staat und an der Wirtschaft. Ihre Moral ist die der Unabhängigkeit, ihre Aktion besteht eher in der Manipulation denn in der Herrschaft. Die Technokratie besitzt eine eigene Ideologie, da sie sich durch die F ü h r u n g der großen wirtschaftlichen und politischen Apparate definiert, die das Wachstum steuern. „Sie begreift die Gesellschaft nur als die Gesamtheit der
240
8. Strukturwandel der Wirtschaft
für dieses Wachstum zu mobilisierenden Mittel. Sie ist eine herrschende Klasse, insofern sie die Identität von Wachstum und sozialem Fortschritt proklamiert und damit das Interesse der Gesellschaft dem der großen Organisationen gleichsetzt ..." (Touraine 1972: 59). Die Technokraten bilden Machtzentren, die neue Formen von Ungleichheiten und Privilegierungen schaffen. Der Abstand zwischen ihnen u n d der Masse derjenigen, die von ihnen geführt und „manipuliert" werden, wächst. Der traditionelle Konflikt der Sozialstruktur schlägt um: Herrschte in der Industriegesellschaft hauptsächlich wirtschaftliche Abhängigkeit (Ausbeutung), so dominiert in der postindustriellen Gesellschaft soziale Abhängigkeit (Entfremdung). Unter Entfremdung versteht Touraine erstens die erzwungene Integration von beruflichen Verhaltensweisen, die den Interessen der Technokraten entsprechen. Der Mensch muß sich der Maschine anpassen und nicht umgekehrt. Zweitens ist Entfremdung die kulturelle Manipulation durch massive Werbung, die zum Zweck hat, die Bedürfnisse der Menschen außerhalb ihrer Berufsrollen zu beeinflussen; und drittens schließlich ist E n t f r e m d u n g die Kontrolle der Gesellschaft durch die Verschmelzung von wirtschaftlicher und politischer Organisation. „Der entfremdete Mensch ist derjenige, der keine andere Beziehung zu den sozialen und kulturellen Tendenzen seiner Gesellschaft hat als diejenige, die ihm die herrschende Klasse ... zubilligt" (Touraine 1972: 13). Die nachindustrielle Gesellschaft bedeutet nicht deshalb Entfremdung, weil sie die Menschen ins Elend stößt, sondern weil sie sie verführt und manipuliert. Kennzeichnend für die postindustrielle Gesellschaft sind demzufolge nicht mehr die inneren Widersprüche des klassischen Kapitalismus, sondern die Widersprüche zwischen den Interessen der Technokraten und den sozialen Bedürfnissen der Menschen. Daher wird sich der soziale Kampf auch nicht mehr auf den Bereich der Arbeit beschränken, sondern in einen generellen sozialen Konflikt umschlagen. Die Opposition der Menschen gegen die Technokraten richtet sich vor allem gegen das Wachstum, das das Privatleben und die traditionellen Lebensweisen durchdringt und zerstört, sei es durch erzwungene Mobilität oder durch die suggestiv gesteuerten Werbe- und Propagandatechniken. Die Vermassung der Lebens- und Verhaltensweisen einerseits, die die Technokraten zur Sicherung des Wachstums steuern, und die „Privatisierung" andererseits, das heißt der Wunsch nach einer vorhersehbaren Z u k u n f t , die es erlaubt, persönliche Pläne zu schmieden, sind die beiden komplementären und gegensätzlichen Perspektiven, auf denen die Dynamik der sozialen Konflikte in den fortgeschrittenen Industriegesellschaften beruht. Hier prognostiziert Touraine ähnliche Probleme, die auch Habermas in einem anderen Zusammenhang angesprochen hat (vgl. Kapitel 7, Hauptprobleme des Kapitalismus).
8.2 Der neue ökonomische Individualismus
241
8.2 Der neue ökonomische Individualismus Ausdruck neuer Entwicklungstendenzen in der Wirtschaft sind bestimmte Formen eines gesellschaftlichen Wertwandels. Werte können verstanden werden als Konzeptionen der wünschenswerten sozialen Beziehungen und der wünschenswerten sozialen Zustände (Pross 1982: 18). Wertvorstellungen in der Wirtschaft sind danach bestimmte als wünschenswert erachtete Beziehungen und Zustände. Es sind also zunächst vor allem jene sozialen Güter, die die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung an ökonomischen Verhältnissen als wertvoll und wichtig ansehen. Werte sind wünschenswerte Soll-Konzeptionen. Charakteristisch für den Strukturwandel der Wirtschaft ist ein neuartiges Wertverständnis von Arbeit. Arbeit gilt zwar nach wie vor als wünschenswert, aber verglichen mit Ehe, Familie, Freizeit, Freunde, Sicherheit und Gesundheit nimmt sie auf der Wertskala der meisten Bundesbürger einen niedrigeren Platz ein. Arbeit wird kaum noch als Mittelpunkt des Lebens angesehen. Im Gegenteil, Arbeit wird überwiegend nur noch geschätzt, weil und insoweit sie finanziell unabhängig macht, Sicherheit verbürgt, soziale Konflikte stiftet und Befriedigung durch Leistung gewährt. Dies war noch vor einer Generation anders. Hinweise darauf liefert die hohe Bewertung von Arbeit in der älteren deutschen Sozialdemokratie und der Rang von Arbeit im preußischen Wertsystem. Aber selbst noch in der Nachkriegszeit standen Arbeits- und Leistungswerte wieTüchtigkeit, Strebsamkeit, Zuverlässigkeit, Pflichterfüllung und Selbstdisziplin ganz oben auf der Skala gesellschaftlicher Tugenden. Nach verbreiteter Auffassung herrschten in Deutschland vor allem asketische Arbeitsauffassungen (vgl. Kapitel 2, Max Weber). Vor allem war Arbeit noch vor einer Generation verknüpft mit hohem Pflichtgefühl. Pflicht- und Diensterfüllung wurden um ihrer selbst willen honoriert. Nicht der Inhalt der Pflicht, sondern Pflicht an sich wurde geschätzt. — Arbeit wurde als eine moralische Aktivität betrachtet. Arbeit war Pflicht, und Pflicht ein nicht weiter zu begründender ethischer Imperativ. Entsprechend galt Fleiß als Tugend, unabhängig von seinen Resultaten. Das Bild des moralischen Individuums war das eines Menschen, der regelmäßig, zuverlässig und kompetent arbeitete, gleichgültig wie groß die materiellen und immateriellen Entgelte dafür waren (Pross 1982: 91). Dieser Wertzusammenhang von Arbeit hat sich inzwischen entscheidend verändert. Es scheint, als habe sich nicht nur die Bedeutung von Arbeit als solche, sondern auch ihr intrinsisches Element (dies bedeutet: Arbeit um ihrer selbst willen) erheblich abgeschwächt. Arbeit und Beruf sind heute der Tendenz nach entkoppelt von traditionellem Pflichtgefühl.
242
8. Strukturwandel der Wirtschaft
Wer heute arbeitet, dient nicht. Er verspricht sich einen anderen Gewinn, als seine Pflicht getan zu haben. Er will präzise wissen, was er an Entgelt, Karrierechancen und Prestige erhält. M a n fragt nicht mehr: Wie kann ich am besten meine Pflicht tun, sondern: Was erhalte ich als greifbaren Gegenwert für meinen Dienst? Der in vielfacher Hinsicht prekäre Unterschied zur Vergangenheit liegt darin, daß die neuere Haltung zum Beruf einer Art vertraglicher Tauschbeziehung oder einer Art Rechtsgeschäft nachgebildet ist. Ich gebe soviel, wie mir entgolten wird; nicht mehr, aber auch nicht weniger. Diese Haltung, sofern konsequent praktiziert, schließt kurzfristige Mehrleistungen nicht aus. Langfristig müssen aber die Bilanzen des Gebens und Nehmens ausgeglichen sein. Sie sind es nicht, wo eine die Vergangenheit verklärende Orientierung an unentgeltlichen Überschußleistungen überwiegt. Insofern scheint es, als sei die moderne Berufs- und Arbeitsauffassung vor allem vertragsorientiert: Arbeit um ihrer selbst willen wird zur Arbeit um bestimmter Ergebnisse willen; aus Disziplin und Hingabe wird kalkulierter Einsatz; aus dienstlichem Treuegefühl ein instrumentelles Rechtsverhältnis; aus beruflicher Hingabe die Betonung individueller Rechte; aus Arbeit, verstanden als Ausdruck der Pflicht, wird Arbeit als Inbegriff einer Vertragsbeziehung. Arbeitsmoral ist heute primär Vertragsmoral. Die moderne Vertragsauffassung von Arbeit deutet auf einen Individualismus neuer Art. Dieser, wie man ihn bezeichnen könnte: neue ökonomische Individualismus ist instrumentell, pragmatisch und extrinsisch (ergebnisorientiert). Er kann verstanden werden als bewußte Dosierung beruflicher Bindungen, die nur insoweit bejaht werden, als sie für das eigene wirtschaftliche und persönliche Wohlergehen erforderlich und wünschenswert sind. Der neue ökonomische Individualismus ist Ausdrucksform einer Lebenskonzeption, in der die Berufserfordernisse nicht mehr so selbstverständlich den privaten Belangen übergeordnet werden. Lebensschwerpunkt und Hauptinteressen verlagern sich zusehends aus der wirtschaftlichen Sphäre in den Verkehrskreis der privaten Lebenswelt. Man ist nicht länger bereit, zugunsten beruflicher Chancen immer und überall auf private Ansprüche zu verzichten. Man verwirft in steigendem Maße jene Normen, die die Erfordernisse der Arbeitswelt grundsätzlich vor das wie immer auch verstandene Glück des einzelnen stellen. Historisch neu und Ausdruck des Strukturwandels der Wirtschaft ist die Überbetonung individueller Bedürfnisse im Wirtschaftsleben. Diese Entwicklung führt dazu, daß berufliche Verhaltensweisen neuartigen Akzenten unterliegen, die vom Arbeitsmilieu immer unabhängiger werden. Darauf haben beispielsweise schon Goldthorpe und Lockwood hingewiesen, als sie englische Arbeiter untersuchten (Goldthorpe u. a. 1970). Die Arbeiter hatten sehr moderne Arbeitsbedingungen und befanden sich in einer ausgesprochen privilegierten Lage. Trotzdem definierten sie ihre Identität kaum durch ihre beruflichen Tätigkeiten. Viel wichtiger waren für sie ihre außerbe-
8.2 Der neue ökonomische Individualismus
243
ruflichen Rollen in Familie, Nachbarschaft und Freizeitsphäre. Als Folge dieser Entwicklung verblaßt allmählich das traditionelle Bild, demzufolge Beruf und Arbeit die Identität eines Menschen bestimmen. Dienst, Arbeit und Beruf werden heute primär um ihrer Gegenleistungen willen geschätzt. Nur — und darin liegt ein Problem — können die bürokratischen und industriellen Infrastrukturen diese Erwartungen zumeist nicht einlösen. Beispielsweise besteht für den überwiegenden Teil der Berufstätigen mittlerweile kaum noch ein erkennbarer Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung, zwischen Arbeit und Einkommen, zwischen Anstrengung und Selbstverwirklichungschancen. Der neue ökonomische Individualismus hat Bedürfnisse und Ansprüche geweckt, denen die industriellen Strukturen nicht mehr gerecht werden. Folglich sinkt im historischen Verlauf ganz allgemein die Berufsfreude — wie empirische Untersuchungen belegen (Institut für Demoskopie Allensbach 1981). Es gibt eine Reihe weiterer Hinweise für den neuen ökonomischen Individualismus. Spielten noch vor einer Generation die für eine freie Marktwirtschaft klassischen Wertorientierungen wie Risikobereitschaft, Mobilität, Karrieregeist, Wagnis, Pioniergeist etc. eine wichtige Rolle, so hat sich dies inzwischen geändert. Persönliche Anstrengungen werden gemieden, eine risikovolle Karriere heute eher als früher zurückgewiesen und die Übernahme größerer Verantwortung der Tendenz nach abgelehnt. Das Mehrheitsbild der Deutschen von akzeptablen Arbeitsbedingungen wird primär vom Festhalten am Erreichten und Sicherheitsansprüchen geprägt. Eher verteidigt man geschickt den status quo als sich dem Wagnis einer neuen beruflichen Chance auszusetzen. Waren es 1953 nur 41 %, die sich weigerten, zugunsten neuer beruflicher Perspektiven die bisherige Arbeit aufzugeben, sind es 1979 mittlerweile schon 64 % (Institut für Demoskopie Allensbach 1981). Trotz sinkender Berufsfreude wächst die Mobilitätsfeindichkeit. Man hält an den gegenwärtigen Arbeitsverhältnissen fest, weil Arbeit nicht mehr wie noch vor einer Generation im Mittelpunkt des Lebens steht. Der neue ökonomische Individualismus schafft eine Distanz zu wirtschaftlichen Erfolgen. Die Bindung zum Beruf ist dosiert. Der persönliche Einsatz in der Wirtschaft wird aufgewogen gegenüber dem Stellenwert, den die Privatsphäre einnimmt. Der neue ökonomische Individualismus ist folglich der Tendenz nach ein Individualismus ohne Risiko und Wagnis, das heißt ohne jene klassischen Orientierungen, die dem Individualismus in der Vergangenheit stets angehaftet haben. Wirtschaftliche Lebenschancen werden heute gegenüber privaten Lebensbindungen zurückgestellt. Ebenso wird der neue ökonomische Individualismus an der wachsenden Zahl berufstätiger Frauen erkennbar. Beteiligten sich 1951 erst 25 % aller Frauen
244
8. Strukturwandel der Wirtschaft
am Wirtschaftsleben, so sind es mittlerweile ca. 50 %. Gerade am beruflichen Engagement der Frauen wird deutlich, daß heute sehr viel eher Elemente wie Selbstentfaltung, soziale Kontakte und auch materielle Sicherheit die Wirtschaftswerte bestimmen als noch vor einer Generation. Auch das wachsende Bildungsniveau und die deutliche Z u n a h m e akademischer und künstlerischer Berufe sind Mosaiksteine im Bild des neuen Individualismus. Intellektuelle Funktionen werden noch am ehesten mit dem Element der freien und unabhängigen Selbstverwirklichung assoziiert. Ausdruck des Strukturwandels der Wirtschaft ist also eine Entwicklung, derzufolge sich zentrale wirtschaftliche Werthaltungen im Fluß befinden. Traditionelle Wertmuster werden ausgehöhlt, neue Orientierungen entstehen. Aber es gibt auch eine Wertkontinuität. Die Zustimmung zum Individualismus beinhaltet beides: Wertkontinuität und Wertwandel. Der Individualismus als solcher genießt nach wie vor eine hohe Wertschätzung. Darin liegt die Kontinuität. N u r sein Gehalt hat sich geändert. Statt Betonung individueller Leistungschancen, Pflichtgefühls und Mobilität herrschen heute Sicherheit, dosierte berufliche Bindungen, Betonung privater Interessen und Aspekte der Selbstverwirklichung. Darin liegt der Wandel.
8.3 Der Funktionswandel der Wirtschaft Der Strukturwandel der Wirtschaft scheint zunächst ein Prozeß fortgesetzter Differenzierung, Spezialisierung und Rationalisierung zu sein. Es scheint, als bilde die Wirtschaft ausschließlich eigene Rollen, eigene Normen, eigene Rationalitätskriterien und Entscheidungsverfahren aus, die die Marktbeziehungen in hochentwickelten Industriegesellschaften bestimmen (vgl. Kapitel 3). Die Wirtschaft hat sich im Verlauf der beiden letzten Jahrzehnte der Tendenz nach tiefgreifend verändert. Zwar unterwerfen sich die Unternehmen nach wie vor den Bedingungen des Preismechanismus, des Gewinnprinzips und der Faktormobilität, aber daneben wird auch die veränderte Wertstruktur der Gesellschaft in die wirtschaftlichen Dispositionen einbezogen. Der Strukturwandel der Wirtschaft liegt darin, daß sich die Unternehmen zur Wahrung ihrer Interessen genötigt sehen, auch gesellschaftliche Faktoren in ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Der Markt verliert seine Immunität gegen außerökonomische Einflüsse (Büß 1983: 136 ff.). Es zeichnet sich eine Entwicklung ab, in der sich die Verschränkung von Wirtschaft und Gesellschaft vertieft. In derselben Weise, in der sich in der
8.3 Der Funktionswandel der Wirtschaft
245
Gesellschaft von der Wirtschaft geprägte Verhaltensmuster, zum Beispiel Konsumstile, Arbeitsformen, Rationalitätsmuster etc. ausbreiten, scheint im Gegenzug die Wirtschaft von gesellschaftlichen Bezügen erfaßt und durchdrungen zu werden. Die Wirtschaft der fortgeschrittenen westlichen Industriegesellschaften ist nicht mehr, wie es die systemtheoretischen und nationalökonomischen Prämissen unterstellen, allein ein Forum, auf dem sich die Teilnehmer treffen, um in Tauschprozessen gemäß dem unterstellten Prinzip der Marktrationalität ihren Nutzen zu maximieren. Die Wirtschaft ist vielmehr daneben auch eine Sphäre, in der das Gewicht öffentlicher Interessen und gesellschaftlicher Wertströmungen deutlich zunimmt (vgl. Kapitel 4, Das Strukturprinzip der Marktöffentlichkeit). Charakteristisch für den Strukturwandel sind eine Reihe von Merkmalen, die eng miteinander zusammenhängen: — Funktionserweiterung der Wirtschaft (Übernahme öffentlicher Funktionen) — Ausweitung der ökonomischen Zuständigkeitssphäre — Infragestellung der Eigenrationalität der Märkte — Zunahme des öffentlichen Einflusses in der Wirtschaft — neue Doppelrolle des Unternehmers (wirtschaftlich und gesellschaftlich orientiert). Unter Bedingungen der Marktsteuerung besitzt die Wirtschaft die Zuständigkeit für bloß ökonomische Funktionen; gesellschaftliche Aufgaben werden ihr nicht zugemutet. Zwar findet auch heute in der Wirtschaft eine weitere Spezialisierung auf ökonomische Funktionen statt, doch daneben ist eine Entwicklung getreten, die parallel verläuft und den Unternehmen auch gesellschaftliche Funktionen zumutet (vgl. Kapitel 6, Die Institution des privaten Unternehmertums). Verglichen mit dem historischen Typ einer Privatunternehmung entspricht die moderne Publikumsgesellschaft eher einer quasi-öffentlichen Organisation. „Die moderne Großunternehmung ist eine halböffentliche Einrichtung geworden. Eine nicht-staatliche politische Institution hat Berle sie genannt, eine Institution am Kreuzweg der Geschichte" (Pross 1965: 189). Die öffentlich-gesellschaftliche Rolle des Unternehmers ist inzwischen ein konstitutives Merkmal der modernen Wirtschaft. Wie einschneidend der Wandel ist, hebt auch Dierkes hervor: „Bedingt durch den ... starken gesellschaftlichen Wandel der letzten beiden Jahrzehnte haben die Anforderungen an die Unternehmungen aus dem sozio-politischen Umfeld in einem solchen Ausmaß zugenommen, daß die einstige Stabilisierungsstrategie sich auch aus
246
8. Strukturwandel der Wirtschaft
ihrer Sicht heraus zunehmend als ineffizient erweist. Die Unternehmungen werden sich also in Zukunft, um als soziale Institutionen weiter überleben zu können, weitaus stärker den Veränderungen in der zielgebenden Umwelt anpassen müssen, als es in der Vergangenheit erforderlich war. Dies gilt vor allem für die Groß- und Größtunternehmungen, deren Rolle als gesellschaftliche und nicht nur rein ökonomische Institution in steigendem U m f a n g auch vom Management erkannt wird." (Dierkes 1974: 37 f.). Einer amerikanischen Untersuchung zufolge wurden 1965 noch 74 % aller Forderungen an die Unternehmungen von Regierungsstellen erhoben und durchgesetzt, während nur 9 % von der Öffentlichkeit kamen. Bis zum Jahre 1971 veränderte sich das Verhältnis deutlich. Bereits 26 % aller Gesamtforderungen an die Wirtschaft kamen aus der Öffentlichkeit, während es von der Exekutive nur noch 58 % waren, (vgl. Dierkes 1974: 35 f.). Haben sich in der Vergangenheit die Unternehmen jedem Wandel widersetzt, der nicht direkt den Zielen eines bloß ökonomisch definierten Tätigkeitsfeldes diente, so hat sich diese Situation in allen fortgeschrittenen Industrieländern wesentlich geändert. Die traditionellen Aufgaben der Wirtschaft werden von neuen, ursächlich systemfremden, außerökonomischen Funktionen überlagert. Dies ist eine Folge des Strukturprinzips der kommunikativen Marktöffentlichkeit (vgl. Kapitel 4). Eine Vorstellung von der möglichen Vielfalt gesellschaftsbezogener und öffentlicher Aufgabenstellungen vermittelt die Liste von Funktionen, die vom Committee for Economic Development in den USA zusammengestellt wurde (Dierkes 1974: 165 ff.): Abb. 25: Aufgabenbereiche einer gesellschaftsbezogenen Unternehmenspolitik — der Vorschlag des Committee for Economic Development Ausbildung — Gewährung direkter finanzieller Hilfe an Schulen, einschließlich Stipendien, Subventionen und Studienbeihilfen — Zuwendungen zur Erhöhung von Schulbudgets — Zur-Verfügung-Stellen von Ausrüstung und Fachkräften — Unterstützung bei der Entwicklung von Studienprogrammen — Beratung und Hilfe bei sonderschulähnlichen Ausbildungsprogrammen — Einrichtung neuer Schulen, Finanzierung von bestehenden Schulen und Schulsystemen — Unterstützung bei der Verwaltung und Finanzierung von Colleges Beschäftigung
und
Weiterbildung
— Aktive Anwerbung von Unterprivilegier-
— Spezifische Weiterbildung, sonderschulähnliche Ausbildung und Beratung — Einrichtung von Tagesstätten für Kinder von berufstätigen Müttern — Verbesserung der Arbeits- und Aufstiegsmöglichkeiten — Umschulung von durch Automatisierung oder andere G r ü n d e arbeitslos gewordenen Arbeitern — Aufstellung von Unternehmensprogrammen zur Beseitigung von Alters- und Krankheitsrisiken — Soweit erforderlich und sinnvoll, zusätzliche Unterstützung von staatlichen Unfall-, Arbeitslosen-, Gesundheits- und Pensionie rungssystemen Bürgerrechte
und
Gleichheitsprinzip
— Gewährleistung von Beschäftigungs- und Aufstiegsmöglichkeiten für Minderheitsgruppen
247
8.3 Der Funktionswandel der Wirtschaft — Erzielung gleichwertiger Leistungen durch fortlaufende Weiterbildung und andere Spezialprogramme — Finanzierung und Mitwirkung an der Verbesserung von Ausbildungseinrichtungen für Schwarze und besonderen Programmen für Schwarze und andere Minderheitsgruppen in integrierten Institutionen — Befürwortung der Auflösung von Minoritäten-Gettos — Errichtung von Betrieben und Verkaufsbüros in Gettos — Finanzierung und organisatorische Unterstützung der Aktivitäten von Minderheitsgruppen und Teilnahme an gemeinsamen Unternehmungen mit Minderheitsgruppen Stadtsanierung
und
-entwicklung
— Leitung und Finanzierung von Projekten der Stadt- und Regionalplanung und -entwicklung — Errichtung oder Verbesserung von Sozialwohnungen — Bau von Einkaufszentren, neuen Stadtbezirken und Städten — Verbesserung der Verkehrssysteme Umweltschutz — Installation neuer und moderner Geräte — Bau neuer Anlagen zur Minimierung der Umweltbelastungen — Forschung und technologische Entwicklung — Zusammenarbeit mit Stadtverwaltungen bei gemeinsamen Umweltschutzvorkehrungen — Zusammenarbeit mit lokalen, regionalen, Landes- und Bundesstellen bei der Entwicklung besserer Verfahren für den Umweltschutz — Entwicklung wirksamer Programme für das Recycling und die Weiterverwendung von Abfallstoffen Landschaftsschutz
und Freizeit
— Vermehrung sich erneuernder Naturschätze, z.B. Bäume, durch produktivere Arten — Erhaltung der Tierwelt und der Ökologie von Wäldern und vergleichbaren Gebieten — Schaffung von Erholungseinrichtungen für die Öffentlichkeit — Wiederherstellung von durch Tagebau zerstörter Landschaft — Verbesserung des Ertrages und Rückfüh-
rung von seltenen Materialien zur Konservierung des Vorrates Kunst und Kultur — Direkte finanzielle Unterstützung von Kunsteinrichtungen und Künstlern — Indirekte Unterstützung durch Geschenke, Förderung künstlerischer Talente und Werbung — Beratung bei Rechts-, Personal- und Finanzfragen durch Teilnahme an Ausschüssen — Beschaffung öffentlicher Mittel für lokale und bundesstaatliche Kunstvereinigungen und die National Endowment for the Arts Ärztliche
Versorgung
— Planung von Gesundheitsmaßnahmen auf kommunaler Ebene — Entwicklung und Durchführung von wenig Aufwand erfordernden ärztlichen Programmen zur Versorgung — Planung und Betrieb neuer Hospitäler und Intensivpflegeeinrichtungen — Verbesserung der Organisation und Wirksamkeit der ärztlichen Versorgung — Entwicklung besserer Systeme für die medizinische Ausbildung, die Ausbildung von Krankenschwestern usw. — Entwicklung und Förderung eines besseren staatlichen Gesundheitssystems Regierung — Mitwirkung an der Steigerung der Leistungsfähigkeit der Führungskräfte auf allen Regierungsebenen — Unterstützung leistungsgerechter Vergütungssysteme und Weiterbildungsprogramme für Beamte und Angestellte der Regierung — Mitarbeit bei der Modernisierung der Regierungs- und Verwaltungsstruktur — Hilfe bei der Reorganisation der staatlichen Verwaltung zur Verbesserung ihrer Reaktions- und Leistungsfähigkeit — Befürwortung und Förderung von Reformen im Wahlsystem und bei der Gesetzgebung — Aufstellen von Programmen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der Verwaltungsbeamten — Förderung von Reformen im öffentlichen Wohlfahrtssystem bei der Rechtspflege und bei anderen wichtigen M a ß n a h m e n der Regierung
248
8. Strukturwandel der Wirtschaft
Wenn auch viele Punkte eher programmatischen Charakter haben, illustrieren sie doch das vergleichsweise deutlich veränderte Spektrum gesellschaftlicher Funktionen in der Wirtschaft. Den Unternehmern stellen sich eine Reihe von Anforderungen, die man mit der Formel „komplementär-öffentliche Funktionen" bezeichnen könnte. Es sind ihnen Aufgaben zugewachsen, die sich teilweise mit den Tätigkeiten der öffentlichen H a n d zu kreuzen scheinen. Neben die öffentlichen Funktionen des Staates treten ebenso öffentliche Funktionen der Wirtschaft; und in dem Maße, in dem die öffentlichen Aufgaben wachsen, scheint sich auch der komplementär-öffentliche Sektor der Wirtschaft auszudehnen. Die Wirtschaft übernimmt neben ihren klassischen ökonomischen Aufgaben eine Art Komplementärrolle zur öffentlichen H a n d . Inzwischen hat sich dieses Komplementärverhältnis von Staat und Wirtschaft gefestigt. Es läßt sich an den Bereichen der Bildungs-, Kommunal- und Sozialpolitik verdeutlichen. Man kann heute ohne weiteres davon ausgehen, daß die Unternehmen öffentliche Bildungsfunktionen wahrnehmen. Die Großunternehmen sind, wie Whyte formuliert, zu „Treuhändern der Erziehung" geworden. Sie gewähren nicht nur Stipendien, Subventionen und Studienbeihilfen, sie unterstützen nicht nur die Errichtung neuer Schulen und Forschungsstätten, sondern erfüllen selbst umfangreiche Ausbildungsaufgaben, entwickeln Programme zur Fortbildung und Umschulung und stellen Ausrüstung und Fachkräfte öffentlichen Bildungseinrichtungen zur Verfügung. Die Unternehmen gelten heute als „vierte gesellschaftliche Bildungsebene". Zu den kommunalen Funktionen eines Unternehmens zählen beispielsweise Aufgaben wie die Schaffung von Erholungs- und Sporteinrichtungen für die Öffentlichkeit sowie die Beteiligung an der Finanzierung von Projekten der Stadtentwicklung und des Verkehrswesens. Quasi-öffentliche Funktionen, die unter dem Begriff der Sozialpolitik zusammenzufassen sind, beziehen sich auf medizinische Aufgaben (Werksarzt), Errichtung von Kindergärten und Tagesstätten für berufstätige Mütter, eigene ergänzende Programme der Altersversorgung, der Vermögensbildung, der Sozialberatung, der Wohnungshilfe und der Hilfe in Notlagen. Die Fülle quasi-öffentlicher, nicht-ökonomischer Unternehmensfunktionen berührt das grundsätzliche Verhältnis von Staat und Wirtschaft. Traditionell sozialstaatliche Funktionen werden vermehrt als Folge einer Kompetenzteilung zwischen Staat und Wirtschaft von den Unternehmen wahrgenommen. Die Übernahme öffentlicher Funktionen seitens der Wirtschaft kennzeichnet die Veröffentlichungstendenz im ökonomischen Sektor. Es scheint, als gehen Staat und Wirtschaft ein informelles Bündnis ein: In dem Maße, in dem die Unternehmen öffentliche Funktionen wahrnehmen, garantiert der Staat quasi im Sinn einer kompensatorischen Gegenleistung den Bestand des Unterneh-
8.4 D e r Rationalistätswandel der Wirtschaft
249
mens. Dies zeigt sich vor allem am Einfluß der öffentlichen H a n d in Sanierungsfallen. Je bedeutender die öffentliche Dimension eines Unternehmens ist, um so weniger scheinen allein betriebliche und ökonomische Kriterien f ü r den Fortbestand allein verantwortlich zu sein. Die Selbstverantwortlichkeit eines Unternehmens erfährt eine öffentliche Rückversicherung. Das Komplementärverhältnis von Staat und Wirtschaft bindet beide. Darin liegt der Strukturwandel der Wirtschaft.
8.4 Der Rationalitätswandel der Wirtschaft
Der Strukturwandel der Wirtschaft hat auch die den wirtschaftlichen H a n d lungen zugrundeliegenden Rationalitätsformen erfaßt. Herrschte in der Vergangenheit vorwiegend die strategische Marktrationalität, so zeichnet sich heute ein teilweise widerspruchsvolles Nebeneinander von strategischer und kommunikativer Rationalität ab (vgl. Kapitel 5, Marktsteuerung und administrative Steuerung). Unter strategischer Marktrationalität versteht man die reine Zweck-MittelRationalität; es ist die Rationalität, die alle wirtschaftlichen Beziehungen dem Prinzip der Nutzenmaximierung unterwirft. Diese Rationalitätsform genießt eine breite öffentliche Wertschätzung. Die Zustimmung zu ihr beruht auf den positiven Leistungen, die mit ihr in den Vorstellungen der Bevölkerung verknüpft werden. Die strategische Rationalität gewährleistet technologischen Fortschritt und hohen materiellen Lebensstandard. Dies sind soziale Güter, die hochgeschätzt werden und deren Sicherstellung man offenbar der Marktrationalität am ehesten zutraut. Die materielle Bedeutung der strategischen Rationalität schirmte bisher den Markt gegen konkurrierende moralische Wertansprüche ab. Aufgrund ihrer Leistungen hatte sie immer die Chance, trotz ihres möglicherweise von anderen kulturellen Wertorientierungen abweichenden Charakters geduldet zu werden. Der Wirtschaft wurde das Festhalten an dieser Rationalitätsform uneingeschränkt zugestanden. Dies hat sich inzwischen geändert. Das moderne Marktsystem ist gekennzeichnet durch parallellaufende Prozesse strategischer Rationalität und sozialer Verständigung. Neben kommerziellen Handlungskriterien entwickeln sich solche des Konsens und der Partizipation, neben Maßstäben der Effizienz und
250
8. Strukturwandel der Wirtschaft
des Nutzens gewinnen solche der Verbundenheit von Unternehmen und ihren gesellschaftlichen Bezugsgruppen an Bedeutung. Zwar dominieren nach wie vor Handlungsweisen, die auf eine strategische Rationalitätssteigerung gerichtet sind, aber es wächst der Einfluß jener Kräfte, die auf einen Kompromiß zwischen divergierenden gesellschaftlichen und ökonomischen Interessen drängen. Der besonderen Eigenrationalität der Wirtschaft steht der über die Grenzen der Wirtschaft hinausgreifende Charakter der kommunikativen Rationalität gegenüber. Das Attribut „kommunikativ" besagt, daß wirtschaftliche Entscheidungsparameter nicht mehr allein von strategischen Handlungslogiken bestimmt werden. Kommunikative Rationalität bedeutet vielmehr, daß wirtschaftliches Handeln seine Maßstäbe in einem weitergefaßten öffentlichen Bezugsrahmen finden muß. Zielt noch die strategische Marktrationalität auf die umstandslose Verwirklichung bestimmter Zweck-Mittel-Entscheidungen, so formt die kommunikative Rationalität diese Entscheidungen im gleichen Zug wieder um, und zwar im Sinne der Rücksichtnahme auf gesellschaftliche Strömungen, auf moralische, kulturelle, individualistische und familiale Orientierungen oder auch einfach nur auf unterschiedliche politische Interessengruppen. Die kommunikative Rationalität schleift in gewisser Weise die nach allgemeiner Überzeugung als bedenklich angesehenen Erscheinungsformen der strategisch-wirtschaftlichen Rationalität wieder ab. Inwieweit der Rationalitätswandel in der Wirtschaft bereits fortgeschritten ist, ist empirisch kaum untersucht. Einer Erhebung des Battelle-Instituts in Frankfurt zufolge ist knapp die Hälfte der Manager in der Bundesrepublik Deutschland der Auffassung, daß die Unternehmen von sich aus auch außerökonomischen Normen und Maximen in ihren Handlungen Rechnung tragen. Es stellte sich heraus, daß sich vor allem jüngere Manager gegenüber der Veränderung der Handlungs- und Rationalitätsmaßstäbe aufgeschlossen zeigten. Haben sich in der Vergangenheit die Unternehmen jedem Wandel widersetzt, der nicht direkt den strategisch-rationalen Zielen diente, so hat sich diese Situation in allen hochentwickelten Industrieländern geändert, auch wenn die Änderungsraten unterschiedlich groß sind. Indizien für die neue Entwicklung sind die stärkere Beachtung von Fragen der Partizipation, Mitbestimmung, Sozialpartnerschaft, Umweltschutz und Minderheitenschutz, ferner die Übernahme gesellschaftlicher Funktionen in der Wirtschaft sowie Tendenzen, traditionelle Arbeitsstrukturen nach den neuen, individualistischen Ansprüchen umzugestalten. Sie alle machen deutlich, in welchem Umfang bereits ursächlich betriebswirtschaftliche Entscheidungen über die Schranken strategisch-rationaler Bedingungen hinausreichen. Dabei sind weniger die im einzelnen auf gesellschaftliche Belange abgestimmte unternehmerische Entscheidung als vielmehr gerade ihr Kompromißcharakter bezeichnend für die Wirkung des neuen Rationalitätsmusters.
8.4 Der Rationalistätswandel der Wirtschaft
251
Der zunehmende Einfluß der kommunikativen Rationalität ist Ausdruck einer Handlungsorientierung, die die freiwillige Selbstbindung der Unternehmen an die moralischen, öffentlichen und individualistischen Ansprüche des Menschen vorsieht. Dabei geht es um die schwierige Übertragung der sogenannten „personal rights" und „social values" in das von Nutzengesichtspunkten gesteuerte System der Wirtschaft. Mit dieser Entwicklung ist zugleich auch der Stellenwert des Wettbewerbs im modernen Wirtschaftssystem berührt. Der Markt ist heute nicht mehr so unauflösbar mit dem Strukturprinzip des Wettbewerbs verbunden wie in der Vergangenheit. Konkurrenz als dominierendes Strukturprinzip ist nur dort in vollem Umfange verwirklicht, wo sich der Markt seine strategische Rationalität bewahrt hat und sich als relativ autonomes Teilsystem gegenüber den „kommunikativen" Strömungen der Umwelt abschirmen kann (vgl. Kapitel 6, Marktsteuerung). W o aber das Interesse der Gesellschaft an den Wirkungen unternehmerischen Handelns steigt, wo öffentliche Themen mit Verbindlichkeit an die Unternehmen adressiert werden, und wo schließlich die Unternehmen quasi als Treuhänder der Öffentlichkeit fungieren, da büßt die rational-individualistische Leistungsethik des Wettbewerbs zumindest teilweise ihre traditionellen Funktionen ein. In dem Maß also, in dem sich zentrale Entscheidungsprämissen der Unternehmen in den Verkehrskreis der Öffentlichkeit verlagern, und in dem Maß, in dem sich der Markt externen Kontrollen öffnet, wird der Geltungsbereich des Wettbewerbs eingeschränkt, der der Marktöffentlichkeit dagegen ausgedehnt. Nicht mehr der Wettbewerb allein, sondern erst die Verbindung von Wettbewerb und kommunikativer Marktöffentlichkeit gewährleisten die Kontinuität und Stabilität hochentwickelter ökonomischer Systeme. Durch die veränderte Geltung der beiden zentralen Steuerungsprinzipien der Wirtschaft ist demnach in den modernen Märkten kein Störfaktor entstanden, sondern im Gegenteil: dadurch, daß die kommunikative Rationalität an Bedeutung gewonnen hat, hat sich die Integration des Marktes in die Gesellschaft gefestigt. Die Entwicklung der Wirtschaft kann demnach nicht mehr als Vorgang einer streng vereinseitigten strategischen Rationalisierung und als Ausdruck des uneingeschränkten Vorrangs des Wettbewerbs verstanden werden. Zwar liegt im Wettbewerb nach wie vor eine hohe Kontinuität, die ungebrochen ist, doch als allein durchgehendes Struktur- und Evolutionsmerkmal hochentwickelter Industriegesellschaften hat der Wettbewerb an Bedeutung verloren. Nutzenund verständigungsorientierte Handlungsmuster vermischen sich in der Wirtschaft immer mehr. Das komplementäre Wechselspiel dieser beiden gegensätzlichen Rationalitätstypen kennzeichnet einen wichtigen Aspekt des Strukturwandels der Wirtschaft.
252
8. Strukturwandel der Wirtschaft
8.5 Legitimationswandel der Wirtschaft Fragen nach den Legitimationsgrundlagen der Wirtschaft enthalten Vorstellungen über eine konsensfahige Wirtschaftsordnung. Es sind Fragen nach dem, was in den Beziehungen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft als wünschenswert und richtig angesehen wird. Legitimation bedeutet eine breite öffentliche Zustimmungschance zu den dem wirtschaftlichen Handeln und den wirtschaftlichen Beziehungen zugrundeliegenden Normen und Wertorientierungen. Legitimität ist „Anerkennung der Handlungsgrundlagen" in der Wirtschaft (Max Weber). Traditionell verdanken die Wirtschaftsordnungen der westlichen Industrieländer ihre Legitimation dem hohen materiellen Leistungsstandard und der allgemeinen Prosperität, die sie erzeugt haben. Sie erfuhren ihre Wertschätzung in der Vergangenheit nicht dadurch, daß sie politische und gesellschaftliche Interessen in ihren Handlungen berücksichtigten, sondern nur dadurch, daß sie die materiellen Grundlagen der Industriegesellschaft fortgesetzt verbesserten. Ihnen war sogar gestattet, alle Forderungen nach Berücksichtigung religiöser und moralischer Orientierungen, kultureller und sozialer Normen zurückzuweisen, sofern sie nur den allgemeinen Wohlstand steigerten. Darüberhinaus beruhte die Legitimation der modernen Wirtschaft auf der Wahrung und Sicherstellung individualistischer Souveränitätsrechte und privater Autonomie. Diese beiden Komponenten der Legitimation, die materielle und individualistische, gelten nach wie vor. Darin herrscht eine hohe Kontinuität. Aber daneben gibt es auch einen Legitimationswandel. Hinter der dauerhaften Wertschätzung von Prosperität und Freiheitsrechten haben sich zugleich grundlegende gesellschaftliche Veränderungen vollzogen, nicht nur Veränderungen in den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen, sondern auch Veränderungen in der Vorstellung der Bevölkerung. M a n setzt inzwischen andere Prioritäten, folgt neuen Wertorientierungen. Sie berühren auch die Anerkennung wirtschaftlicher Handlungsgrundlagen. Veränderte Legitimationsmaßstäbe hat vor allem der öffentliche Charakter der modernen Wirtschaft hervorgerufen. Die öffentliche Rolle des privaten Unternehmers, das komplementär-öffentliche Verhältnis von Wirtschaft und Staat, die Verbreitung kommunikativer Rationalitätsmaßstäbe und die sich abzeichnende Verschränkung von Wirtschaft und Gesellschaft haben Rückwirkungen auf das Mehrheitsbild der Bevölkerung von einer legitimen Wirtschaftsordnung ausgeübt. In das Bild einer „guten" Wirtschaftsordnung fließen in zunehmendem Maße Vorstellungen über öffentliche Tugenden der Unternehmen und Wirtschaftsverbände ein. Plädierte man früher für einen bloß materiellen Auftrag der Unternehmen, so votiert man heute daneben auch für ein Öffentlichkeitsmandat der Wirtschaft.
8.5 Legitimationswandel der Wirtschaft
253
Die Mehrheit der Bevölkerung in den westlichen Industriestaaten hält inzwischen eine Wirtschaftsordnung für wünschenswert, in der sich Wirtschaft und Gesellschaft in ihren Aufgaben und Wertorientierungen besser aufeinander abstimmen. Gewünscht wird eine Wirtschaft mit hohem technologischem Leistungspotential, aber zugleich auch mit mehr Rücksicht auf private und öffentliche Lebensweltbelange. Der Wirtschaft werden auch weiterhin traditionelle Orientierungen wie Professionalisierung der Marktbeziehungen u n d Renditeoptimierung zugestanden, nur muß sie sich daneben zugleich gesellschaftlichen und privaten Ansprüchen fügen, will sie nicht gravierende Legitimationseinbußen hinnehmen. Die ausschließlich auf die materielle Versorgung der Bevölkerung und Wahrung individualistischer Souveränitätsrechte orientierte Funktion der Marktwirtschaft entspricht nicht mehr den herrschenden Wertvorstellungen. Immer deutlicher zeichnet sich ab, daß Mißerfolge und Fehlschläge beispielsweise in Umweltanstrengungen, im Erhalt von Arbeitsplätzen, in Mitbestimmungs- und Partizipationsbestrebungen sowie in der Sozialpolitik die Anzeichen beginnender Legitimationskrisen sein können. Die Wirtschaft wird nicht länger als ein System betrachtet, das ohne grundlegende Rücksichtnahme auf die übrigen gesellschaftlichen Bereiche nur seine eigenen materiellen Wachstumsfunktionen weiterentwickeln sollte. Gleichgültigkeit der Wirtschaft gegenüber öffentlichen Problemen wird als unberechtigt angesehen, Indifferenz gegenüber der Übernahme sozialer Funktionen unter Berücksichtigung neuer individualistischer Ansprüche zurückgewiesen. Die ausschließliche Konzentrierung auf strategische Rationalität und Nutzenmaximierung findet keine Rechtfertigung mehr. Erst der Kompromiß zwischen öffentlichen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten legitimiert heute unternehmerische Erfolge im Markt. Im G r u n d e ist diese Entwicklung durch zwei konkurrierende Tendenzen geprägt: Zum einen müssen sich die Unternehmen mehr und mehr an öffentlichen Maßstäben, das heißt an ihrem Öffentlichkeitsmandat orientieren, liegt ihm doch die neue erweiterte Legitimationsbasis wirtschaftlichen Handelns zugrunde; zum anderen müssen sie nach wie vor der schrittweisen Verbesserung des materiellen Lebensstandards Rechnung tragen, bildet diese doch erst die eigentliche Voraussetzung für die neuen Ansprüche. Darin liegt die Doppelnatur des neuen Legitimationsprinzips: Es ist „öffentlich" gefärbt einerseits, materiell und individualistisch andererseits. Diese Entwicklung hat Konsequenzen für die Institutionen der Wirtschaft. Die sich abzeichnende Verbreiterung der Legitimationsgrundlage wirtschaftlichen Handelns hat ihre Stabilität gefestigt und gestärkt. Dadurch, daß die Wertschätzung der Wirtschaft nicht mehr allein auf die Erfüllung bloß ökonomischer Funktionen gerichtet ist, sondern auch auf der Berücksichtigung außerökonomischer Belange beruht, ist die moderne Wirtschaftsordnung
254
8. Strukturwandel der Wirtschaft
gegenüber zyklisch auftretenden konjunkturellen Krisen in ihrem Bestand immer weniger gefährdet. Die Wirtschaft „erträgt" es, wenn Defizite (Arbeitslosigkeit), Konflikte (über Arbeitszeit) und Krisen (Wachstum, Versorgung) auftreten. Die Wertschätzung ihrer Ordnung ist heute auch über ihre gesellschaftlichen Leistungen abgesichert. Treten ökonomische Probleme auf, steht damit nicht zugleich auch die generelle Legitimation auf dem Spiel. Dadurch haben sich auch die eigentlichen Bestandsrisiken der hochentwickelten Marktsysteme erheblich verringert. Mögliche Legitimationsnöte, hervorgerufen durch auftretende ökonomische Probleme, rühren nicht mehr an den Grundfesten der Wirtschaftsstruktur und ihrer Institutionen. In der Einbeziehung gesellschaftlicher Werte, Normen und Interessen wird jenes Konfliktpotential beseitigt, das sich in einer Wirtschaft entfalten würde, deren Handlungen von ausschließlich binnenökonomischen Gesichtspunkten geleitet würden. Indem die modernen Marktsysteme immer wieder außerökonomische Fragestellungen in ihre Entscheidungsstrukturen einbauen, erarbeiten sie sich ein breiteres Verständnis und einen größeren öffentlichen Konsens. Durch vermehrte Partizipationschancen des Staatsbürgers sichern sie ihre Legitimation ab.
Zusammenfassung 1. In der postindustriellen Gesellschaft wächst die wirtschaftliche Bedeutung des Staates. Mehr und mehr Tätigkeitsbereiche werden unter die Planung, den Eingriff und die Kontrolle des Staates gestellt (These von der programmierten Gesellschaft). 2. Ein zunehmender Teil des Sozialprodukts besteht aus Dienstleistungen, aus immateriellen und öffentlichen Gütern. Mit dem Verlangen nach einer menschenwürdigen Umwelt und sozialen Dienstleistungen verlieren die Entscheidungsstrukturen des Marktes an Gewicht, stattdessen wächst der Einfluß der politischen Gremien auf der Gemeindeebene (These von der kommunalen Gesellschaft). 3. Die Arbeitsstrukturen verändern sich. An die Stelle von MenschMaschinen-Beziehungen in der Güter produzierenden Industriegesellschaft treten Mensch-Mensch-Beziehungen in der nachindustriellen Gesellschaft (These von der Dienstleistungsgesellschaft). 4. Das theoretische Wissen wird zum entscheidenden Antrieb der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Wissen und Ausbildung bilden die neuen zentralen Produktionsfaktoren. Die Universität avanciert zur wichtigsten gesellschaftlichen Institution.
8.5 Legitimationswandel der Wirtschaft
255
5. Das Gefüge der gesellschaftlichen Schichten wird durch das Auftreten einer neuen Wissensklasse bzw. einer Klasse der Technokraten verändert. Sie hält die Fäden der Entwicklung in der Hand. Es bildet sich die „white-collar-Mittelschichten-Gesellschaft". 6. Der Wertwandel der Wirtschaft wird deutlich am „neuen ökonomischen Individualismus". Er bildet einen Wertzusammenhang, in dem traditionelle Arbeits- und Leistungswerte gegenüber einer neuen individualistisch orientierten Vertragsauffassung von Arbeit und Beruf zurücktreten. Arbeit ist nicht mehr ein Wert an sich (intrinsischer Arbeitscharakter), sondern wird primär nur noch um seiner Ergebnisse willen geschätzt (extrinsischer Arbeitscharakter). Aus traditionellen asketischen Orientierungen werden instrumenteile und pragmatische Beziehungen, in denen die Betonung individueller Rechte und Ansprüche dominiert. 7. Durch die Einbeziehung einer Reihe von gesellschaftlichen und öffentlichen Aufgaben in das Handlungsfeld der Unternehmen bahnt sich ein Funktionswandel der Wirtschaft an. Dieser Funktionswandel rührt am bestehenden Verhältnis von Wirtschaft und Staat. Die Wirtschaft übernimmt eine Art Komplementärrolle zur öffentlichen H a n d , sie fungiert in gewissen Grenzen als öffentlicher Treuhänder. Die Verflechtung von Staat und Wirtschaft nimmt zu. 8. Der Rationalitätswandel in der Wirtschaft bezieht sich auf die Verbreitung konsensorientierter, partizipativer Entscheidungsstrukturen. Zwar überwiegen die technischen Zweck-Mittel-Entscheidungen, die sich an reinen Nutzenkriterien orientieren, aber der wachsende Einfluß öffentlicher Werte, Normen und Interessen verändert den Geltungsbereich traditioneller Handlungsmaßstäbe. 9. Mit dem Funktions- und Rationalitätswandel in der Wirtschaft ist ein Legitimationswandel verbunden. Gewünscht wird eine Wirtschaft mit hohem technischem Leistungspotential, Wachstumschancen und der Wahrung individueller Souveränitätsrechte, daneben aber auch — und dies ist neu — mit mehr Rücksicht auf öffentliche Lebenswelt belange und private Interessen. Gleichgültigkeit der Wirtschaft gegenüber den neuen Wertströmungen führt zu ernsten Legitimationsgefährdungen. 10. Durch die Verbreiterung der Legitimationsgrundlage ist die Stabilität dei hochentwickelten Märkte gefestigt worden. Konjunkturkrisen oder andere wirtschaftliche Probleme rühren nicht mehr so leicht an der allgemeinen Wertschätzung der bestehenden wirtschaftlichen Institutionen.
256
8. Strukturwandel der Wirtschaft
Fragen zur Wiederholung
1. In welchen Punkten unterscheiden sich die Auffassungen von Bell u n d Touraine über die Entwicklungstendenzen nachindustrieller Gesellschaften, in welchen stimmen sie überein? 2. Welche E r f a h r u n g e n sprechen Ihrer Ansicht nach f ü r die Richtigkeit der These von der programmierten Gesellschaft, welche dagegen? 3. K a n n man in der modernen Industriegesellschaft vom V o r r a n g der Staatsmacht bzw. der M a c h t einer politischen F ü h r u n g s g r u p p e ausgehen? Oder dominiert, wie Lindblom vermutet, die M a c h t der Wirtschaft in der Gesellschaft? 4. Was sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Konfliktfelder der nachindustriellen Gesellschaft? 5. Welchen Einfluß üben die veränderten Wirtschaftsstrukturen auf die soziale Schichtung aus? 6. Geben Sie aus Ihrer E r f a h r u n g Beispiele f ü r den F u n k t i o n s w a n d e l der Wirtschaft. 7. Definieren Sie die „öffentliche Rolle" der Wirtschaft. 8. Beschreiben Sie den veränderten Stellenwert des Wettbewerbs in der modernen Marktwirtschaft. 9. Was versteht m a n unter Rationalitätswandel? G e b e n Sie Beispiele f ü r die beiden gegensätzlichen Rationalitätstypen. 10. Erklären Sie den Begriff der Legitimation. Unter welchen U m s t ä n d e n können Legitimationsprobleme des Kapitalismus auftreten?
Literaturverzeichnis
Aberle, Gerd: Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, Stuttgart, usw.: 1980 Albach, Horst und Dieter Sadowski (Hrsg.): Die Bedeutung gesellschaftlicher Veränderungen für die Willensbildung im Unternehmen. Berlin: 1976 Alber, Jens: Vom Armenhaus zum Wohlfahrtsstaat. F r a n k f u r t / M . : 1982 Albert, Hans: Marktsoziologie und Entscheidungslogik. Ökonomische Probleme in soziologischer Perspektive. Neuwied: 1967 Albert, Hans: Die ökonomische Tradition und das Problem der Modernisierung. In: Wolfgang Zapf, Probleme der Modernisierungspolitik. Meisenheim am Glan: 1977 Arndt, Erich: Recht, Macht und Wirtschaft. Berlin: 1968 Arndt, Erich: Wolfgang Michalski und Bruno Molitor (Hrsg.): Wirtschaft und Gesellschaft. O r d n u n g ohne Dogma. Tübingen: 1975 Arndt, Helmut: Markt und Macht. Tübingen: 1973 Arndt, Helmut: Wirtschaftliche Macht. Tatsachen und Theorien. 2. neubearb. Aufl. München: 1974 Arndt, Helmut: Umwege der politischen Ökonomie. Die Notwendigkeit einer wirtschaftstheoretischen Revolution. München: 1979 Aron, Raymond: Die industrielle Gesellschaft. F r a n k f u r t / M . : 1964 Bahrdt, Hans-Paul: Die moderne Großstadt. Hamburg: 1961 Ballerstedt, Eike und Wolfgang Glatzer: Sozilogischer Almanach. H a n d b u c h gesellschaftspolitischer Daten und Indikatoren f ü r die Bundesrepublik Deutschland. 2. Aufl. F r a n k f u r t - New York: 1977 Baran, Paul Alexander: Politische Ökonomie und wirtschaftliches Wachstum. 2. Aufl. Neuwied: 1971 Barry, Brian M.: Neue politische Ökonomie. Ökonomische und soziologische D e m o kratietheorien. F r a n k f u r t / M . : 1975 Beauchamp, T o m C. und N o r m a n Bowie (Eds.): Ethical theory and business. Englewood Cliffs, New York: 1979 Beck, Ulrich und Michael Brater: Berufliche Arbeitsteilung und soziale Ungleichheit. Eine gesellschaftlich historische Theorie der Berufe. F r a n k f u r t / M . : 1978 Bell, Daniel: Die nachindustrielle Gesellschaft. 2. Aufl. F r a n k f u r t / M . - New York: 1976 Bell, Daniel: Die Z u k u n f t der westlichen Welt. F r a n k f u r t / M . : 1976 Benda, Ernst: Industrielle Herrschaft und sozialer Staat. Wirtsc haftsmacht von G r o ß unternehmen als gesellschaftspolitisches Problem. Göttingen: 1966 Berger, J o h a n n e s und Claus Offe: Die Entwicklungsdynamik des Dienstleistungssektors. In: Leviathan Jg. 8 (1980) Berger, Johannes: Krisen industriell-kapitalistischer Systeme. In: W. Littek, W. Rammert und G. Wachtier (Hrsg.), Einführung in die Arbeits- und Industriesoziologie. F r a n k f u r t / M . -New York: 1982 Berle, Adolph A.: Power without property. London: 1960 Bernays, Edward: Was die Gesellschaft von der Wirtschaft erwartet. Düsseldorf Wien: 1976 Beyme, Klaus v.: Wirtschaftliches Wachstum als gesellschaftliches Problem. Königstein/Ts.: 1979
258
Literaturverzeichnis
Blanke, Bernhard, Ulrich Jürgens und Hano Kastendiek: Kritik der politischen Wissenschaft. Analysen von Politik und Ökonomie in der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt/M.: 1975 Blau, Peter: Exchange and Power in Social Life. New York - London - Sidney: 1964 Blumberg, Paul: Industrial Democracy. The Sociology o f Participation. New York: 1969 Bohn, E.: Wirtschaftsstruktureller Wandel und gesellschaftliche Orientierung. Stuttgart: 1980 Bornschier, Volker: Arbeitsteilung und soziale Ungleichheit. In: K Z f S S 29 (1977) Bornschier, Volker: Multinationale Konzerne, Wirtschaftspolitik und nationale Entwicklung im Weltsystem. Frankfurt/M.: 1980 Bornschier, Volker: Arbeitsteilung, strukturelle Mobilität und klassenbildung. In: Zeitschrift für Soziologie 10 (1981) Braun, Hans-Gert: Märkte in traditionellen Gesellschaften. In: IFO-Studien 25 (1979) Braun, Rudolf (Hrsg.): Gesellschaft in der industriellen Revolution. Köln: 1973 Brown, David and Michael Harrison: Sociology o f Industrialization. London Basingstoke: 1978 Buchanan, James M.: Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zu ihren Nachbardisziplinen. In: R. Jochimsen und H. Knobel (Hrsg.): Gegenstand der Methoden der Nationalökonomie. Köln: 1971 Buchanan, James M.: The Limits of Liberty. Between Anarchy and Leviathan. Chicago: 1975 Bücher, Karl: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Tübingen: 1906 Burghardt, Anton: Allgemeine Wirtschaftssoziologie. Pullach: 1974 Burisch, Wolfram: Industrie- und Betriebssoziologie. Berlin: 1969 Burns, T. and S. B. Saul: Social Theory and Economic Chance. New York: 1976 Büß, Eugen: Der Wettbewerb. Tübingen: 1973 Büß, Eugen: Legitimationswandel der Wirtschaft in hochentwickelten Gesellschaften. In: Angewandte Sozialforschung J g . 11 (1983), Büß, Eugen: Markt und Gesellschaft. Berlin: 1983 Büß, Eugen: Der neue Konsument. In: Universitas J g . 39, Heft 3 (1984) Buttler, Friedrich: Entwicklungsstufen in wirtschaftspolitischer Sicht. Göttingen: 1969 Chandler, Alfred: Structural and investment decisions in the United States. In: Hermann Daems and Hermann van de Wee (Eds.): The Rise o f the Managerial Capitalism. Leuven: 1974 Chield, J o h n : The Business Enterprise in Modern Society. London 1969 Clausen, Lars: Tausch. Entwürfe zu einer soziologischen Theorie. München: 1978 Cohen, Percy S.: Moderne soziologische Theorie. Erklärungsmodelle zwischenmenschlichen Verhaltens. Wiesbaden: 1972 Cook, Scott: Economic Anthropology. Problems in Theory, Method and Analysis. In: Honigmann (Eds.): Handbook of Social and Cultural Anthropology. 1973 Dahrendorf, Ralf: Industrielle Fertigkeit und soziale Schichtung. In: K Z f S S J g . 8, Heft 4 (1956) Dahrendorf, Ralf: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland.München: 1965 Dahrendorf, Ralf: Markt und Plan- zwei Typen der Rationalität. Tübingen: 1978 Dahrendorf, Ralf: Wenn der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht. In: J . Matthes (Hrsg.): Krise der Arbeitsgesellschaft. Frankfurt/M. - New York: 1983 Dalton, George: Primitive,Archaic and Modern Economies. Essays o f Karl Polanyi. Garden City: 1968
Literaturverzeichnis
259
Dalton, George: Economic Anthropology and Development. London: 1971 Dalton, George: Theorie économique et société primitive. In: M. Godelier (Eds.): Un domaine contesté: L'anthropologie économique. Paris: 1974 Davis,Kingsley: Social and Demographic Aspects of Economic Development in India. In: Simon Kuznet, W. E. M o o r e and J . Spengler (Eds), Economic Growth-Brazil, India, J a p a n . D u r h a m : 1955 Deutschmann, Christoph und Gisela Dybowski-Johannson: Wirtschaftliche und soziale Determinanten der Arbeitszeitpolitik. In: Mitt AB H e f t 3 (1979) Dierkes, Meinold: Die Sozialbilanz. F r a n k f u r t / M . -New York: 1974 Dierkes, Meinold: Künftige Beziehungen zwischen Unternehmen und Gesellschaft. Köln: 1976 Ditz, Gerhard W.: The Protestant Ethic and the Market Economy. In: Kyklos 33 (1980) D o b b , Maurice: Die Entwicklung des Kapitalismus. 2. Aufl. Köln - Berlin: 1972 D o b b , Maurice: Theories of Value and Distribution since A d a m Smith. Ideology and Economic Theory. London: 1975 Dürkheim, Emil: Über die Teilung der sozialen Arbeit. F r a n k f u r t / M . : 1977 Engels, Wolfram: Mehr Macht. Soziale Marktwirtschaft als politische Ökonomie. Stuttgart: 1976 Etzioni, Amitai: Soziologie der Organisation. München: 1967 Evans, William A.: Management Ethics.An international perspective. Boston, usw.: 1981 Falthauser, Kurt: Unternehmen und Gesellschaft. Berlin: 1978 Firth, Raymond: Orientierungen im Wirtschaftsleben. In: Institutionen in primitiven Gesellschaften. F r a n k f u r t / M . : 1968 Firth, Raymond: Primitive Polynesian Economy. London: 1965 Fischer, Wolfram: Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitalter der Industrialisierung. Göttingen: 1972 Fourastié, Jean: Die große H o f f n u n g des 20. Jahrhunderts. Köln: 1969 Frank, Jürgen: Die postindustrielle Gesellschaft und ihre Theoretiker. In: Leviathan Jg. 1 (1973) Frey, Bruno S.: Moderne politische Ökonomie. Die Beziehung zwischen Wirtschaft und Politik. München - Zürich: 1977 Freyer, Hans: G e d a n k e n zur Industriegesellschaft. Mainz: 1970 Fürstenberg, Friedrich: Wirtschaftssoziologie. 2.Aufl. Berlin: 1970 Fürstenberg, Friedrich: Die Sozialstruktur der Bundesrepublik Deutschland. 5. Aufl. Opladen: 1972 Fürstenberg, Friedrich: Industrielle Arbeitsbeziehungen.Wien: 1975 Fürstenberg, Friedrich: Einführung in die Arbeitssoziologie. Darmstadt: 1977 Gaefgen, Gerard: Theorie der wirtschaftlichen Entscheidungen. Tübingen: 1969 Galbraith, J o h n Kenneth: American Capitalism. The Concept of Countervailing Power. Cambridge/Mass.: 1952 Galbraith, J o h n Kenneth: A Theory of Price Control. Cambridge/Mass.: 1952 Galbraith, J o h n Kenneth: Gesellschaft im Überfluß. München - Zürich: 1959 Galbraith, J o h n Kenneth: Die moderne Industriegesellschaft. München -Zürich: 1968 Galbraith, John Kenneth: Wirtschaft für Staat und Gesellschaft. München - Zürich: 1974 Galbraith, J o h n Kenneth: Ein Leben in unserer Zeit. München: 1982 Galtung, J o h a n : Wachstumskrise und Klassenpolitik. In: Leviathan Jg. 1 (1973) Geiger, Theodor: „Konkurrence". In Acta Jutlandica XIII. Aarhus: 1941 Glastetter, Werner: Wachstumskonzepte und politische Ökonomie. Eine dogmenkritische Auseinandersetzung mit der These von der Überflußgesellschaft. Köln: 1971
260
Literaturverzeichnis
Goldthorpe, J o h n H. und andere: Der „wohlhabende" Arbeiter in England. 2 Bde. München: 1970 Goodfellow, David M.: Grundzüge der ökonomischen Soziologie. Zürich-Stuttgart: 1954 Greenwood, William: Issues in Business and Society. 3. Aufl. Boston: 1977 Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. 5. Aufl. Neuwied - Berlin: 1971 Habermas, Jürgen: Strukturprobleme des kapitalistischen Staates. F r a n k f u r t / M . : 1973 Habermas, Jürgen: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus. 4. Aufl. Frankfurt/ M.: 1977 Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1. F r a n k f u r t / M . 1981 Hanf, Theodor: Sozialer Wandel. Bd. 2. F r a n k f u r t / M . : 1975 Hartfiel, Günter: Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart: 1972 Heimann, Eduard: Soziale Theorie der Wirtschaftssysteme. Tübingen: 1963 Heimann, Eduard: Soziale Theorie des Kapitalismus. F r a n k f u r t / M . : 1981 Heinemann, Klaus: Grundzüge einer Soziologie des Geldes. Stuttgart: 1969 Heinemann, Klaus: Elemente einer Soziologie des Marktes. In: K Z f S S J g . 28 (1976) Hemmer, Adrian: Emil Küng und Hans Ulrich: Wirtschaft und Gesellschaft im Umbruch. Analysen, Perspektiven und Gestaltungsansätze im Lichte der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Bern und Stuttgart: 1975 Hemmer, Adrian und Hans Ulrich (Hrsg.): Wirtschaft und Gesellschaft im Zeichen der Ungewißheit. Eine Herausforderung für Wissenschaft und Praxis. Bern-Stuttgart: 1980 Hennig, F. W.: Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitalter der Industrialisierung. Paderborn: 1972 Hensel, Karl Paul: Grundformen der Wirtschaftsordnung. München: 1972 Henze, Maria: Gurvitch und die soziale Realität. Neue Richtlinien der Wirtschaftssoziologie. Berlin - München: 1976 Hershlag, Zivi Yeluda: Die Stadientheorie des wirtschaftlichen Wachstums. In: Harald Winkel (Hrsg.): Wirtschaftliche Entwicklung und sozialer Wandel. Darmstadt: 1981 Herskovits, Melville: Economic Anthropology. New York: 1952 Herz, Thomas: Der Wandel von Wertvorstellungen in westlichen Industriegesellschaften. In: K Z f S S 31 (1979) Hildebrand, Bruno: Die Nationalökonomie der Gegenwart und Zukunft und andere gesammelte Schriften. Jena: 1922 Hirschmann, Albert O.: Exit, Voice and Loyalty. Cambridge/Mass.: 1970 Hoffmann-Nowotny, Hans-Joachim (Hrsg.): Sozialbilanzierung. Soziale Indikatoren VII. Frankfurt/M. - New York: 1981 Hondrich, Karl-Otto: Wirtschaftliche Entwicklung, soziale Konflikte und politische Freiheiten. Frankfurt/M.: 1970 Hondrich, Karl-Otto: Demokratisierung und Leistungsgesellschaft. Macht und Herrschaftswandel als sozioökonomischer Prozeß. Stuttgart: 1972 Hoselitz, Bert, F.: Sociological Aspects of Economic Growth. Glencoe: 1960 Hoselitz, Bert, F.: Wirtschaftliches Wachstum und sozialer Wandel. Berlin - München: 1969 Huppes, Tjerk (Ed.): Economics and Sociology. Towards an Integration. Leiden: 1976 Institut für Demoskopie Allensbach: Eine Generation später. Allensbach: 1981 Jamieson, J a n : Some Observations on Socio-cultural Explanations o f Economic Behavior. In: The Sociological Review 26 (1978)
Literaturverzeichnis
261
Joehr, Walter Adolf: Galbraith und die Marktwirtschaft. Tübingen: 1975 Joerges, Bernward: Über mögliche Beiträge der Soziologie zu den Wirtschaftswissenschaften. In: J b . f. Sowi Bd. 29 (1978) J o n a s , Friedrich: Geschichte der Soziologie. Bd. 1. Reinbeck: 1969 Jungblut, Michael (Hrsg.): Krise im Wunderland. München: 1983 Kangun, Norman: Marketing and Society. An unconvential view. London: 1972 Käsler, Dirk: Max Weber. In: Dirk Käsler (Hrsg.): Klassiker des soziologischen Denkens. Bd. 2. München: 1978 Katona, George: Das Verhalten der Verbraucher und Unternehmer. Tübingen 1960 Kemper, Thomas, Keith Mac Millan and Kevin Hawkins: Business and Society. Tradition and Change. London: 1974 Kern, Horst und Michael Schumann: Industriearbeit und Arbeiterbewußtsein. Frankfurt/M.: 1970 Keynes, J o h n Maynard: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes. 5. Aufl. Berlin: 1974 Kirchgässner, Gerhard: Können Ökonomie und Soziologie voneinander lernen? In: Kyklos 33 (1980) Kirsch, Guy: Manager - Herrscher ohne Auftrag. Köln: 1969 Kirsch, Guy, u. a.: Jenseits von Markt und Macht - Eine Ordnung für den Menschen. Baden-Baden: 1982 Kluth, Heinz: Soziologie der Großbetriebe. Stuttgart: 1968 Kmieciak, Peter: Wertstrukturen und Wertwandel in der Bundesrepublik Deutschland. Göttingen: 1976 Kösters, Paul-Heinz: Ökonomen verändern die Welt. Hamburg: 1983 Kondratieff, Nikolai D.: Die langen Wellen der Konjunktur. In: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Bd. 56 (1926) Kotler, Philip: Marketing Management. Stuttgart: 1977 Kotler, Philip: Marketing für Non-Profit Organisationen. Stuttgart: 1978 Kuczynski, Jürgen: Zur Geschichte der bürgerlichen politischen Ökonomie. Frankfurt/M.: 1978 Kuznets, Simon: Modern Economic Growth. Rate, Structure and Spread. New Haven: 1973 Laslett, Peter: Familie und Industrialisierung - eine starke Theorie. In: W. Conze (Hrsg.): Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas. Stuttgart: 1976 Lazer, William and Eugene J . Kelley (Eds.): Social Marketing. Perspectives and Viewpoints. Howewood/Ill.: 1973 Lechtape, Heinrich: Die Wandlung des Kapitalismus in Deutschland. J e n a : 1934 Lefebvre, Henri: Die Zukunft des Kapitalismus. Die Reproduktion der Produktionsverhältnisse. In: K Z f S S 28 (1976) Leipold, Helmut: Wirtschafts- und Gesellschaftsprobleme im Vergleich. Grundzüge einer Theorie der Wirtschaftssysteme. Stuttgart: 1976 Lenz, Friedrich: Wirtschaftssoziologie. In: G . Eisermann (Hrsg.): Die Lehre von der Gesellschaft. Stuttgart: 1958 Levy, Sidney und Gerald Zaltman: Marketing, Society and Conflict. New Jersey: 1975 Lévy-Garbona, Louis: Sociological Economics. London - Beverly Hills: 1979 Lindblom, Charles E.: Jenseits von Markt und Staat. Stuttgart: 1980 Lofthouse, Stephen and J o h n Vint: Some conceptions and misconceptions concerning economic man. In: Rivista Internationale di Scienze Economiche e Commerciali 25 (1978)
262
Literaturverzeichnis
Losacker, Ludwig: Gleichgewichtsstörungen? Ein gefährlicher Balanceakt in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Stuttgart: 1976 Luhmann, Niklas: Soziologie als Theorie sozialer Systeme. In: KZfSS 19, 1976 L u h m a n n , Niklas: Wirtschaft als soziales System. In: Soziologische Aufklärung. Bd. 1. 4. Aufl. Opladen: 1970 Luhmann, Niklas: Politische Planung. 2. Aufl. Opladen: 1975 Malinowski, Bronislaw: Das Geschlechtsleben der Wilden in Nordwest Melanesien. Leipzig: 1930 Malinowski, Bronislaw: L'économie primitive des iles Trobriand. In: Godelier, M. (Ed.): Un domaine contesté: L'anthropologie économique. Paris: 1974 Malinowski, Bronislaw: Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur. F r a n k f u r t / M . : 1975 Malinowski, Bronislaw: Argonauten des westlichen Pazifik. F r a n k f u r t / M . : 1979 Malinowski, Bronislaw: Geschlecht und Veränderung in primitiven Gesellschaften. 4. Aufl. F r a n k f u r t / M . : 1979 Mannheim, Karl: Über das Wesen und die Bedeutung des wirtschaftlichen Erfolgsstrebens. In: Karl Mannheim: Wissensoziologie. Berlin: 1964 March, James und Herbert A. Simon: Organisation und Individuum. Wiesbaden: 1976 Marcuse, Herbert: Der eindimensionale Mensch. Berlin: 1969 Marx, Karl: D a s Kapital - Kritik der politischen Ökonomie. 3 Bde. F r a n k f u r t / M . Berlin - Wien: 1969/1971 Mauss, Marcel: Le D o n Paris: 1975 Mayntz, Renate: Soziologie der Organisation. Reinbek: 1967 Mayntz, Renate: Soziologie der öffentlichen Verwaltung. Heidelberg - Karlsruhe: 1978 Mayo, Elton: Probleme industrieller Arbeitsbedingungen. F r a n k f u r t / M . : 1949 McClelland, Davis C.: Die Leistungsgesellschaft. Psychologische Voraussetzungen wirtschaftlicher Entwicklung. Stuttgart: 1966 Meadows, Dennis: Die Grenzen des Wachstums. Reinbek: 1979 Meffert, Heribert: Marketing, Wiesbaden: 1977 Mensch, Gerhard: Gemischtwirtschaftliche Innovationspraxis. Göttingen: 1976 Michalski, Wolfgang (Hrsg.): Industriegesellschaft im Wandel. Probleme, Lösungsmöglichkeiten, Perspektiven. H a m b u r g : 1977 Mills, C. Wright: Die amerikanische Elite. Gesellschaft und Macht in den Vereinigten Staaten. Hamburg: 1962 Molitor, Bruno: Die Moral der Wirtschaftsordnung. In: H a m b u r g e r J a h r b u c h f ü r Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 25 (1980) Molitor, Regina (Hrsg.): Kontaktstudium: Ö k o n o m i e und Gesellschaft. F r a n k f u r t / M . : 1972 Mück, Josef (Hrsg.): Die Wirtschaftsgesellschaft. F r a n k f u r t / M . : 1978 Müller, Gernot u. a.: Ökonomische Krisentendenzen im gegenwärtigen Kapitalismus. F r a n k f u r t / M . : 1978 Myrdal, Gunnar: Ökonomische Theorie und unterentwickelte Regionen. Stuttgart: 1959 Nash, Manning: Primitive and Peasant Economic Systems. San Francisco: 1966 Nell-Breuning, Oswald v.: Der Mensch in der heutigen Wirtschaftsgesellschaft. München: 1975 Neuloh, Otto: Soziologie für Wirtschaftswissenschaftler. Stuttgart: 1980 Neumann, Franz: Demokratischer und autoritärer Staat. F r a n k f u r t / M . : 1967 North, Douglas und Robert P. Thomas: The Rise of the Western World. Cambridge: 1973
Literaturverzeichnis
263
Offe, Claus: Leistungsprinzip und industrielle Arbeit. F r a n k f u r t / M . : 1970 Offe, Claus: Strukturprobleme des kapitalistischen Staates. 4. Aufl. F r a n k f u r t / M . : 1977 Ogburn, William F.: Kultur und sozialer Wandel. F r a n k f u r t / M . : 1969 Olson, Mancur: The Rise and Decline of Nations. New Haven - London: 1982 Opp, Karl-Dieter: The emergence and effects of social norms. A confrontation o f some hypotheses o f sociology and economics. In: Kyklos 32 (1979) Ottomeyer, Klaus: Ökonomische Zwänge und menschliche Beziehungen. Reinbek: 1977 Parsons, Talcott und Neil J . Smelser: Economy and Society. A Study in the Integration o f Economic and Social Theory. Glencoe/Ill. - London: 1956 Parsons, Talcott: Das System moderner Gesellschaften. München: 1972 Parsons, Talcott: Gesellschaften - Evolutionäre und komparative Perspektiven. Frankfurt/M.: 1975 Parsons, Talcott: Zur Theorie sozialer Systeme. Opladen: 1976 Pierenkemper, Toni: Wirtschaftssoziologie. Köln: 1980 Pilz, Frank: Das System der sozialen Marktwirtschaft. München: 1974 Polanyi, Karl, Conrad M. Ahrensberg and Harry W. Pearson: Trade and Market in the Early Empires. Glencoe/Ill.: 1957 Polanyi, Karl: Primitive, Archaic and Modern Economics. Garden City - New York: 1968 Polanyi, Karl: The Great Transformation. Frankfurt/M.: 1978 Polanyi, Karl: Ökonomie und Gesellschaft. F r a n k f u r t / M . : 1978 Pollock, Friedrich: Stadien des Kapitalismus. München: 1975 Popitz, Heinrich: Das Gesellschaftsbild des Arbeiters. Soziologische Untersuchung in der Hüttenindustrie. Tübingen: 1957 Pross, Helge: Manager und Aktionäre in Deutschland. F r a n k f u r t / M . : 1965 Pross, Helge und Karl W. Bötticher: Manager des Kapitalismus. F r a n k f u r t / M . : 1971 Pross, Helge: Kapitalismus und Demokratie. F r a n k f u r t / M . : 1973 Pross, Helge: Was ist heute deutsch? Reinbek: 1982 Pross, Helge: Der Geist der Unternehmer. Düsseldorf: 1983 Recktenwald, Horst Claus: Geschichte der politischen Ökonomie. Stuttgart: 1971 Robinson, J o a n : Die Gesellschaft als Wirtschaftsgesellschaft. Grundlagen und Entwicklung. München: 1971 Röpke, Jochen: Primitive Wirtschaft - Kulturwandel und die Diffusion von Neuerungen. Tübingen: 1970 Roishausen, Claus: Rationalität und Herrschaft. Zum Verhältnis von Marktsoziologie und Entscheidungslogik. Frankfurt/M.: 1971 Rostow, Walt F.: The Process o f Economic Growth. New York: 1952 Rostow, Walt: Stadien wirtschaftlichen Wachstums. Eine Alternative zur marxistischen Entwicklungstheorie. Göttingen: 1960 Rostow, Walt: The World Economy, History and Prospect. London - Basingstoke: 1978 Rüttinger, Bruno, Lutz von Rosenstiel und Walter Molt: Motivation des wirtschaftlichen Verhaltens. Stuttgart: 1974 Samuelson, Paul A.: Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Köln: 1980 Schäfers, Bernhard: Sozialstruktur und Wandel der Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart: 1979 Schanz, Günter: Ökonomische Theorie als sozialwissenschaftliches Paradigma. In: Soziale Welt J g . 30, Heft 3 (1979)
264
Literaturverzeichnis
Schelling, Thomas: Economic Reasoning and the Ethics of Politics. In: T h e Public Interest No. 63 (New York 1981) Scheuch, Erwin K.: Auf der Suche nach der Krise. Vom Theoriedefizit des real existierenden Kapitalismus. In: Der Monat neue Folge. Weinheim: 1983 Scheuer, Sidney H.: The Ethics of International Economics. Smithtown - New York: 1980 Schmidt, Gert, Hans-Joachim Braczyk und Jost von dem Knesebeck (Hrsg.): Materialien zur Industriesoziologie. Opladen: 1982 Schmidt, Günther und Dieter Freiburghaus: Techniken politischer Planung: Vom Marktkalkül zum Plankalkül? In: Leviathan 2 (1974) Schmölders, Günter: Die Unternehmen in Wirtschaft und Gesellschaft. Essen: 1973 Schmölders, Günter: Verhaltensforschung im Wirtschaftsleben. Reinbek: 1978 Schott, Rüdiger: Anfänge der Privat- und Planwirtschaft: Wirtschaftsordnung und Nahrungsverteilung bei Wildbeutenvölkern. Braunschweig: 1956 Schott, Rüdigen Eigentum und Eigentumsordnung. In: H. Besters und E. Boesch (Hrsg.): Entwicklungspolitik. Stuttgart - Berlin - Mainz: 1966 Schumpeter, Josef: Aufsätze zur ökonomischen Theorie. Tübingen: 1952 Schumpeter, Josef: Konjunkturzyklen. Eine theoretische, historische und statistische Analyse des kapitalistischen Prozesses. Bd. I, 2. Göttingen: 1961 Schumpeter, Josef: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und Konjunkturzyklus. 6. Aufl. Berlin: 1964 Schumpeter, Josef: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. 4. Aufl. München: 1975 Senghaas, Dieter: Wirtschaft, Gesellschaft, Sozialismen. In: Leviathan J g . 8 (1980) Smelser, Neil J . : A Comparative View of Exchange Systems. In: Economic Development and Cultural Change 7 (1959: 173-182) Smelser, Neil J . : Soziologie der Wirtschaft. 2. Aufl. München: 1972 Smelser, Neil J . : The sociology of economic life. Englewood Cliffs - New York: 1976 Smith, Adam: Der Wohlstand der Nationen. München: 1974 Solo, Robert A.: Economic Organisations and Social Systems, o. O.: 1967 Sombart, Werner: Der moderne Kapitalismus. Historisch-systematische Darstellung des gesamteuropäischen Wirtschaftslebens von seinen Anfängen bis zur Gegenwart. München - Leipzig: 1919 Sombart, Werner: Das Wirtschaftsleben im Zeitalter des Hochkapitalismus. 3. Bde. München: 1927 Sombart, Werner: Nationalökonomie und Soziologie. J e n a : 1930 Sombart, Werner: Stichwort „Wirtschaft". In: Alfred Vierkant (Hrsg.): Handwörterbuch der Soziologie. Stuttgart: 1982 (1931) Stavenhagen, Gerhard: Geschichte der Wirtschaftstheorie. Göttingen: 1969 Steiner, George A.: Business and Society. New York: 1971 Sweezy, Paul M.: Theorie der kapitalistischen Entwicklung. 3. Aufl. Frankfurt/M.: 1972 Sweezy, Paul M.: Die Zukunft des Kapitalismus. In: Cooper, D. (Hrsg.): Dialektik der Befreiung. Reinbek: 1972 Tietzel, Manfred: Die Rationalitätsannahme in den Wirtschaftswissenschaften oder: Der homo oeconomicus und seine Verwandten. In: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, 32 (1981)
Literaturverzeichnis
265
Timmermann, Vincenz: Entwicklungstheorie und Entwicklungspolitik. Göttingen: 1982 Touraine, Alain: Die postindustrielle Gesellschaft. F r a n k f u r t / M . : 1972 Touraine, Alain: Die antinukleare Prophetie. F r a n k f u r t / M . : 1982 Vickers, Geoffrey: The Undirected Society. Toronto: 1959 Vickers, Geoffrey Der Preis der Institutionen. Konflikt, Krise und sozialer Wandel. F r a n k f u r t / M . - New York: 1974 Vilmann, Fritz und Karl Otto Sattler: Wirtschaftsdemokratie und Humanisierung der Arbeit. Köln: 1978 Vogt, Winfried: Zur langfristigen ökonomischen Entwicklung eines kapitalistischen Systems. In: Leviathan 1 (1973) Vogt, Winfried: Zur langfristigen ökonomischen Entwicklung eines kapitalistischen Systems - eine Präzisierung. In: Leviathan 2 (1974) Wagener, H.-J. (Hrsg.): Demokratisierung der Wirtschaft. Möglichkeiten und Grenzen im Kapitalismus. F r a n k f u r t / M . : 1980 Wallerstein, Immanuel: The Modern World - System. New York - San Francisco London: 1974 Wallerstein, Immanuel: The Capitalist World-Economy. Cambridge usw.: 1979 Ward, Benjamin: Sind die Wirtschaftswissenschaften am Ende? Stuttgart-Zürich: 1976 Weber, Max: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. In: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Bd. 1., 2. Aufl. Tübingen: 1922 Weber, M a x : Wirtschaft und Gesellschaft. 1. Halbband. 5. rev. Aufl. Tübingen: 1976 Weede, Erich: Dependenztheorie und Wirtschaftswachstum. Eine international vergleichende Studie. In: K Z f S S 33 (1981) Weihe, Hermann: Unternehmensplanung und Gesellschaft. Berlin - New York: 1977 Weitzig, Joachim: Gesellschaftsorientierte Unternehmenspolitik. Berlin - New York: 1979 Weizsäcker, Carl Christian v. (Hrsg.): Staat und Gesellschaft. Berlin: 1979 Weizsäcker, Carl Christian v. (Hrsg.): Versiegen die Quellen des Wachstums? In Neue Züricher Zeitung Nr. 100 (Zürich: 1983: 9 f.) Winkel, Harald (Hrsg.): Wirtschaftliche Entwicklung und sozialer Wandel. Darmstadt: 1981 Wisman, J o h n D.: Legitimation, Ideology — Critique and Economies. In: Social Research, 46 (1979) Wolf, Jacques: Sociologie économique. Paris: 1971 Wurm, Frank: Wirtschaft und Gesellschaft heute. Fakten und Tendenzen. 2. Aufl. Opladen: 1974 Zaltmann, Gerald: Processes and Phenomena of Social Change. New York: 1976 Zapf, Wolfgang (Hrsg.): Lebensbedingungen in der B R D . Sozialer Wandel und Wohlfahrtsentwicklung. Frankfurt/M. - New York: 1977 Zapf, Wolfgang (Hrsg.): Probleme der Modernisierungspolitik. Meisenheim am Glan: 1977 Zimmermann, Gerd: Sozialer Wandel und ökonomische Entwicklung. Stuttgart: 1969
Personen- und Sachregister
Achievement 155 Administrative Steuerung 61, 165 ff., 178 ff., 221 ff. Affektivität 154 Agrargesellschaft 67 Akkulturation 86 Aktionäre 184 Aktivismus 43 Alber 192 f . Allokation 77 Alternativökonomie 209 Angebotsmacht 133 f. Angebotstheorie 6 f. Anthropologie 5 Äquivalenz 105, 107, 109 Arbeit 18 ff., 150, 199 f., 241 ff. Arbeitgeberverbände 8, 127, 191 f., 204 f. Arbeitnehmerverbände 8, 128, 191 f. Arbeitskrise 199 ff. Arbeitslosigkeit 6 f., 34, 59 f., 73, 199 ff., 201 ff. Arbeitsparadoxon 208 Arbeitssoziologie 11 Arbeitsteilung 19, 24, 32, 76, 149, 187 Arbeits- und Sozialgesetze 73 Arbeitszeit 36, 199 ff. Armut 41, 62, 207 Askese 40 ff., 241 f. Askriptive Merkmale 82, 155 f. Ausdifferenzierung der Wirtschaft 74, 77 ff. Autonomie der Wirtschaft 75, 89 ff. Axiales Prinzip 235 Bedürfnisse 76, 79, 88, 240 Bell 231 f f Berufsarbeit 39 f., 43, 241 ff. Berufsethik 40, 62, 64 Berufsfreiheit 186 ff. Berufsfreude 243 Berufsrollen 186 ff., 242 ff. Berufssoziologie 11 f. Berufsstruktur 236 f. Besitzrechte 126
Beschäftigungskrise 6 ff., 233, 236 Beschäftigungsstruktur 233, 236 Betriebssoziologie 10 Bildung 234, 248 Blau 107 Boden 149 Beourgeoisie 31 Bücher 25, 27, 68 Buchführung 37 Bürgertum 47 ff., 66 Bürokratische Strukturen 37, 57,66,99, 219, 222, 226 f., 237 Burling 146 Calvinismus 39 ff. Ceteris-Paribus-Klausel 8 Committee for Economic Development 246 f. Cook 106 Countervailing-Power-Konzept 122 Dahrendorf 205 f . , 208 f . Dalton 147 f . Davis 62 Deficit spending 60 Demokratische Kontrolle 221 ff. Demokratische Strukturen 226 Denkmodelle 71 ff. Depression 56, 60, 220 Dierkes 246 Dienstleistungsgesellschaft 233 f. Dienstleistungssektoren 206 f. Differenzierung 75 ff., 96, 114, 148, 159 f., 170 Diffusion 86 Diffus ität 154 Distribution 151 Dorftwirtschaft 27 Dritte Welt 25 Egalität 120 ff. Eigeninteresse 22, 250 f. Eigentum 50, 126, 149, 150, 168, 180 ff. Eigentumsrechte 77, 126 Elite 63, 64, 68 f., 128 f., 221 f. Entfremdung 240
268
Entscheidungssysteme 80, 82, 177 f., 184 f., 194, 222, 226, 251 Entwicklungshilfe 67 Entwicklungsländer 26, 61, 63, 67 Entwicklungstheorie 35, 63, 75 Erziehungssystem 62 f., 235 f. Ethik 226 Experten 92, 236 f., 238 f. Familiale Funktionen 79 Familienstruktur 50 ff., 73, 93 Feudalismus 29 f., 156 ff. Fiskalpolitik 56 Firth 77, 107, 109, 146 Formalismus 146 f. Forschung 217 f., 235 Fortschritt, techn. 205 f., 217, 235 ff. Free rider 214 f. Freihandel 26 Freizeitstil 73 Funktionen der Wirtschaft 76 ff. Funktionswandel der Wirtschaft 244 ff. Galbraith 122 f . , 207, 216 f f . Gefühle 81 Gegengewichtsprinzip 122 Geiger 112 Geist, kapitalistischer 28, 37 ff., 46 Geld 76, 82 ff., 96, 111 — Funktionen des Geldes 85 ff. Geldwertstabilität 88 Gemeindepolitik 129 Gemeinschaftsinstitutionen 13 Genossenschaft 108, 190 f. Geschenke 78, 105 Geschenktausch 107 Gewerbefreiheit 50, 183 ff. Gewerkschaften 128, 190 f., 193, 204 f., 210 f., 220 Großunternehmen 216 f., 221 ff., 226, 246 Habermas 17, 46 f f , 68, 195, 225 f f Handelsschranken 210 ff. Handlungsorientierungen 153 ff., 164f., 169 f. Haushalt 50 ff. Hauswirtschaft 27, 78 Hedonismus 234 Helfensprinzip 78
Personen- und Sachregister
Herskovits 105 f . , 146 Hildebrand 25, 27f., 68 Historische Schule 25 ff., 29, 35, 56 Homo oeconomicus 161 f. Identitätsbildung 86, 242 f. Ideologie 239 f. Individualismus 43, 194, 205, 234, 241 ff. Individualprinzip 22, 94, 111 Industrialisierung 50 ff., 61 Industrielle Expansion 63 ff. Industrielle Revolution 62, 66 Industriekapitalismus 37 Industriegesellschaft 79, 104, 206 ff., 232 ff. Industriesoziologie 10 f. Informationsverarbeitung 91, 239 Innovationen 53 ff., 114, 162, 210 f., 214 Innungen 156 ff. Institutionen, wirtschaftl., 72, 177 ff., 222, 226, 231 Institutionalisierung 177 f. Integration 23, 93, 107, 225 ff. Interessen 73, 91, 107, 210 ff., 250 Interessenorganisationen 74, 91, 122, 124, 127, 190 f., 210 ff., 250 Intermutation des Wettbewerbs 211 f. Investitionen 53 ff., 60, 62, 63 ff. Invisible Hand, Prinzip der 20, 22 f. Isopolistische Lähmung 121 Kapital 29 ff., 62, 64, 78, 149, 217 f. — Kapitalakkumulation 33, 44, 149 — Kapitalkonzentration 35, 133 — Kapitalverflechtungen 131 Kapitalismus 24 f., 28, 37 ff., 46, 66, 220, 221 ff., 225 ff., 231 ff. Kapitalistischer Geist 28, 37 ff. Kartelle 21, 134 f., 210 ff. Katholizismus 38 ff. Keynes 5 9 f f , 68 Klassen 30, 240 Klassenkampf 29 ff. Klassenkonflikt 34, 238 Kleinunternehmen 218 ff. Koalitionsfreiheit 190 f. Kollektivorientierung 156 Kolonialisierungsthese 226 Kolonialismus 18
Personen- und Sachregister
Kommunale Gesellschaft 234 f. Kommunale Macht 129 f. Kommunikation 80 f., 86, 93, 135 ff. — persuasive Kommunikation 101 ff., — 135 ff. — politische Kommunikation 136 f. — werbetaktische Kommunikation 136 Kommunikationsmedium 83 Kommunikative Marktöffentlichkeit 137 ff., 246 ff. Kompatibilität der Wirtschaft 92 ff. Komplexität 86 f., 237 Kondratieff-Zyklen 53 Konflikte 34, 93 ff., 204 ff., 237 f., 240, 253 f. — institutionelle Konflikte 193 ff. Konjunkturpolitik 56, 128 Konkurrenz 20 ff., 26, 101 ff., 111 ff., 139 f., 156 ff., 210 ff. — innovative Konkurrenz 57, 113 f. — zerstörerische Konkurrenz 114 Konsum 60, 73 Konsumentensouveränität 179 Konsumsoziologie 11 Kontrolle, soziale 89 f., 99, 103 f., 118 118 ff., 124, 137, 222 ff., 251 Kontrollmechanismen der Wirtschaft 100 ff., 103 f. Konvergenzthese 58, 221 Konzentration 133 Konzentrationskoeffizient 133 Konzerne 57, 122, 131 ff. Konzernmacht 131 ff., 221 ff. Kooperation 105 Korporative Ordnung 156 ff. Kreditwirtschaft 28 Kreditgeld 84 Kreislaufprozeß 73, 139 Krise, wirtschaftl. 59, 94, 254 Laissez-faire Prinzip 21, 24, 67, 128, 158 Laslett 50 f f , 68 Lebensführung 40 ff. Lebenswelt 73, 138, 225 ff., 238, 242 Legitimation der Wirtschaft 91, 151, 160 f., 165, 252 ff. Legitimationsprobleme 66, 138, 221, 238, 252 ff.
269 Legitimationswandel 252 ff. Leistung 210 ff. Leistungsdruck 210 ff. Leistungsprinzip 188 f., 194 Lenkung der Wirtschaft 167 ff. Liberalismus 23, 26, 57, 61, 158 Lindblom 221 f f List 25 f . , 68 Lobbyismus 126 Löhne 34, 60, 77, 204 ff. Luhmann 76 f f Luther 39 f . Macht 21, 24, 26, 35, 89, 101 ff., 121 ff., 123 ff., 218 f., 221 ff., 239 — Angebotsmacht 133 — Amtsmacht 125 — kommunale Macht 129 f. — Konzernmacht 131 ff., 221 ff. — Nachfragemacht 133 — personelle Macht 125 — politische Macht 128 f. — Verbandsmacht 126 f. — Verfügungsmacht 126 Machtelite 128 f. Machtgleichgewicht 122, 127, 223 Malinowski 107f., ¡47 Manager 126, 128 f., 183 ff., 218 ff. Manipulation, kulturelle 240 Markt, freier 19, 24, 50, 52, 78, 158 ff. — Kennzeichen von Märkten 80 ff. Marktautomatismus 24 Marktbeherrschung 121, 223 Marktmacht 55, 122, 133 Marktöffentlichkeit 137 ff., 204, 225, 245 ff. Marktpreise 21 Marktsoziologie 10 Marktsozialismus 99 Marktsteuerung 158 ff., 178 f. Markttausch 110 ff. Marktwirtschaft 99, 178 ff., 221 ff. Marx 17, 29 f f . , 47, 56, 66, 236 Massenkommunikation 74 Massenkonsum 66 Massenmedien 72, 124, 139 Massenwaren 57, 216 ff. Mauss 147 Mehrwert 32 Meinungspluralismus 130
270
Merkantilismus 17 f., 47 f. Mills 128 Mitbestimmung 182 Mobilitätserfordernisse 93, 243 Modernisierungsprozeß 25, 27, 67 Moral 226, 242, 251 Myrdal 61, 68 Nachfrage 21, 60 f., 133 Nachfragelücke 60 Nachfrageorientiertes Modell 7 Nachindustrielle Gesellschaft 231 ff. Nachzüglergesellschaft 62 Nash 146 Nationalismus 61 ff., 66, 69 Nationalökonomie 6, 25 Nationalsozialismus 137 Naturalgeld 84 Negierbarkeit von Personen 80 f. Neuerungen 54 ff., 210 f. Neutralisierung gesell. Beziehungen 80 f., 96 Nicht-entwickelte Gesellschaften 77, 79 Nord-Süd-Dialog 26 Nutzwert 19 öffentlicher Dienst 234 öffentliche Interessen 184f., 194,204f., 245 ff., 250 f. öffentliche Meinung 72, 120, 129, 138 ff. öffentliche Rolle des Unternehmens 245 ff., 252 ff. Öffentlichkeit 47 ff., 73, 119, 124, 138 ff., 184 ff., 205, 226, 245 ff., 251, 252 ff. — bürgerliche Öffentlichkeit 47 ff. Öffentlichkeitsmandat 252 ff. Ökologie 93, 193, 205 Olson 210ff, 215 Opferungen 78 Organisation 185, 219, 224 Pare to 53 Parsons 63, 69, 77, 153ff, 158, 188 Parteien 72 Partikularismus 155 Partizipation 221, 249 ff., 253 f. Pattern Variables 153 ff., 164 f., 169 f. Peripheriestaaten 5 Persuaive Kommunikation 101 ff., 135 ff.
Personen- und Sachregister
Pigou 59 Planung 57, 139, 217 ff., 237, 239 f. Planungssystem 218 f. Planwirtschaft 58,99, 136 f., 167 f., 222 Polanyi 106, 110, 147 Politische Wissenschaft 5 Postindustrielle Gesellschaft 231 ff. Präzeptorales System 136 f., 169 Preise 19 ff. Presse 48, 130 Pressekonzentration 130 Prestigekonkurrenz 108, 119 f. Primitive Gesellschaft 63, 77 Privateigentum 180 ff., 183 f. Privatisierung 240, 242 f. Produktionsfaktoren 77 Produktionsverhältnisse 30 ff. Produktivität 203 f. Professionalisierung 187 f., 253 Profit 21, 32, 34 Programmierte Gesellschaft 239 f. Proletariat 31 ff. Pross 126, 181, 183, 241 Protektionismus 210 ff., 215 Protestantische Ethik 38 ff. Public Relations 5, 224 Puritanismus 44 ff. Puyallup 105 Rationalisierung 40 ff., 82, 85, 203, 206 ff. Rationalismus 37 ff., 43 Rationalität 74 ff., 82, 92, 110 f., 151 f., 170 f., 249 ff. — kommunikative Rationalität 170 f., — 195, 225 ff., 249 ff. — praktische Rationalität 151 f. — strategische Rationalität 161 f., 195, — 225 ff., 249 ff. Rechtssystem 189 f. Redfield 108 Redistribution 110 Reformation 38 ff.' Reichtum 18, 78, 110, 216 f. Rekrutierungsmechanismen 80, 82 Religion und Wirtschaft 35, 37 ff., 78 f., 88, 226 Rendite 93, 193 Rezession 56
Personen- und Sachregister
Reziprozität 106 — balancierte R. 109 — generalisierte R. 109 Rivalität 43, 112 ff., 139 f. Rollendifferenzierung 79 Roscher 25, 27f., 68 Rostow 63 f f , 69 Samuelson 6 Say 59 Schattenwirtschaft 208 ff. Schmoller 25, 26 f . , 68 Schumpeter 17, 53 f f , 59, 68, 221 Schwarzarbeit 209 Selbstregulation, Prinzip der 23, 61 Selbstversorgung 79 Sicherheit, soziale 191 f., 194 Sicherungsmittel 87 f. Sinn der Wirtschaft 76 f. Smelser 106 Smith 1, 17 f f , 25, 28, 48, 56, 59, 67, 166 Solidarität 81, 108 Solidaritätsprinzip 94, 156 ff. Sombart 25, 27, 68 Sozialberichterstattung 186 Sozialbilanz 185 f. Sozialisierung 88, 114 Sozialismus 29 f., 58 Sozialstaatsprinzip 94, 166, 191 ff., 194, 204 ff., 227, 248 f. Sozialsysteme 76 ff. Spezialisten 92, 217, 236 Spezifität 154 Staat 18, 23 f., 33, 37, 49 ff., 59 ff., 72 f., 127, 220, 222 ff., 237, 239 f., 248 f. Staatsinterventionismus 18, 60 f., 166 Staatskapitalismus 167 f. Stabilitätspolitik 60 Stabilitätsrisiko der Wirtschaft 87, 141, 179 Stadientheorie 25 ff., 29, 63 f., 67 Stagnation 26, 215 Status 77, 81, 84 ff., 89, 108, 203 Statuswirtschaft 108 Steiner 186 Steuerung der Wirtschaft 77, 101, 145 ff. Steuerungsprinzipien 23, 99, 101 ff.
271
Strukturprinzipien der Wirtschaft 99ff., 104, 163 ff., 167 f. Strukturwandel der Wirtschaft 75, 100, 231 ff., 241 ff. Stufenmodell 25 f., 28, 53, 63, 67 Subsidiaritätsprinzip 108, 192 Subsistenzwirtschaft 208 f. Substantivismus 146 ff. Subventionen 212 System der Wirtschaft 74 ff., 89 ff. Systemtheorie 89 ff. Take Off, Phase des 64 Tarifvertragssystem 190 f., 204 f. Tausch 20, 78, 101 ff., 104 ff. — Geschenktausch 107 — Markttausch 110 f. — Prestigetausch 108 — redistributiver Tausch 110 — reziprozitärer Tausch 106 ff. Tauschmechanismus 2, 5, 104 ff. Tauschmedium 82 ff., 85, 153, 165 Tauschwert 19 Technik 206 ff. Technostruktur 216 ff. Technokraten 218 ff., 236 f., 239 f. Tikopia 109 Touraine 231, 238 f f Traditionalsteuerung der Wirtschaft 146 ff. Traditionelle Gesellschaft 63, 77, 146ff„ 187 Traditionalität 152 Trennregeln 90 Treuekontrakt 156 ff. Umwelt 91, 93, 185 f., 246 ff., 250 Universalismus 155 Unternehmen 37, 55 ff., 125 ff., 210 ff., 213 ff., 218 ff. — multinationale Unternehmen 132 f. Unternehmer 21, 44, 55 ff., 126, 183 ff. — schöpferische Unternehmer 57, 218 Unternehmererwartungen 60 Unternehmensklientel 140 Unternehmertum 183 ff. Urbanisierung 28 Utilitarismus 44 Verarmung 207
272 Verbände 72 f., 91, 127 f., 190 f., 213 ff. Verbandsmacht 126 ff. Verbrauchervereinigungen 134 Verelendung 33, 35 f. Vererbung 50 Verschuldung 60 Vertragsethik 213 f. Vertragsfreiheit 50, 189 Vertrauen 140 f. Verwandtschaft 152 Volkswirtschaft 6 Vollbeschäftigung 60, 200 ff. Wachstum 53 f., 56, 66 f., 94, 162, 210 ff., 216, 238 ff. Wachstumskrise 210 ff. Wachstumspolitik 60 Wandel, soz., 231 ff. Wallerstein 5 Weber 17, 37 f f . , 47, 68, 100, 104, 106, 162 Weizsäcker, von 210 Werbung 136, 223, 240 Werte 8, 13, 62 f., 67, 241 ff., 245 f. Wertwandel 241 ff.
Personen- und Sachregister Wettbewerb 21, 54, 101 ff., 111 ff., 139 f., 210 ff., 251 — Merkmale des Wettbewerbs 111 ff. — Funktionen 113 — imitatorischer Wettbewerb 114 — innovativer Wettbewerb 114 Wettbewerbsbedingungen 120 ff. Wettbewerbsformen 115 ff. White-Collar-Worker 187, 236 Wirtschaftsmodell 12 ff. Wirtschaftsordnung 12 f., 101 ff. Wirtschaftspsychologie 5 Wissen 238 ff. Wissenschaft 235 f., 248 Wissensklasse 236 f. Wohlfahrtsstaat 110, 166, 204 f., 216, 227 Wohlstand 18 ff., 216 Zeit 87, 109 f. Zeitbudgets 93 Zentralisierung 61 Zins 60, 109 Zukunft 87 f. Zünfte 156 ff., 215 Zweck-Mittel-Denken 110, 226, 249
w DE
G
Walter de Gruyter Berlin • New York Soziologie in der Sammlung Göschen
G. Endruweit W. Burisch
Organisationssoziologie 12 x 18 cm. 1981.188 S. Kart. DM 16,80 (Sammlung Göschen 2106) ISBN 3110080249
Industrie- und Betriebssoziologie
7. Auflage. 12 x 18 cm. 1973.198 S. Kart. DM 9,80 (Sammlung Göschen 2101)
O. Neuloh
Arbeits- und Berufssoziologie 12 x 18 cm. 1973. 200 S. Kart. DM 14,80 (Sammlung Göschen 6004) ISBN 311 003892 7
P. Atteslander
Soziologie und Raumplanung
(Hrsg.)
12 x 18 cm. 1976. 272 S. Kart. DM 19,80 (Sammlung Göschen 2110) ISBN 311004962 7
P. R. Hofstätter
Sozialpsychologie 5. Auflage. 12 x 18 cm. 1973. 230 S. Kart. DM 12,80 (Sammlung Göschen 5104) ISBN 311 004309 2
w. L. Wallace
Principles of Scientific Sociology 15,5 x 23,5 cm. 1983. XIV, 545 S. Geb. DM 98,ISBN 3110101114 (Aldine Publishing Company)
Preisänderungen v o r b e h a l t e n
w DE
G
Walter de Gruyter Berlin • New York Soziologie in der Sammlung Göschen
L. von Wiese
Geschichte der Soziologie 9. Auflage. 12 x 18 cm. 1971.158 S. Kart. DM 7,80 (Sammlung Göschen 3101) ISBN 311 001949 3
G. Simmel
Grundfragen der Soziologie (Individuum und Gesellschaft) 4. Auflage. 12 x 18 cm. 1984. 98 S. Kart. DM 16,80 (Sammlung Göschen 2103) ISBN 311 010239 0
F. Fürstenberg
Soziologie Hauptfragen und Grundbegriffe 3. Auflage. 12 x 18 cm. 1978.184 S. Kart. DM 12,80 (Sammlung Göschen 2102) ISBN 311007750 7
W. Hofmann unter Mitarbeit von W. Abendroth und I. Fetscher
M. Rehbinder
Ideengeschichte der sozialen Bewegung des 19. und 20. Jahrhunderts 6. Auflage. 12 x 18 cm. 1979. 350 S. Kart. DM 14,80 (Sammlung Göschen 2105) ISBN 3110078260
Rechtssoziologie 12 x 18 cm. 1977.189 S. Kart. DM 19,80 (Sammlung Göschen 2853) ISBN 311003817X
P. Atteslander
Methoden der empirischen Sozialforschung 5. Auflage. 12 x 18 cm. 1985. 350 S. Kart. DM 19,80 (Sammlung Göschen 2100) ISBN 311008879 7
Preisänderungen vorbehalten