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German Pages 188 [186] Year 2015
Dirk Baecker Wirtschaftssoziologie
2006-06-07 11-20-01 --- Projekt: T36.einsichten.baecker.wirtschaftssoziologie / Dokument: FAX ID 0285117656195626|(S.
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Die Beiträge der Reihe Einsichten werden durch Materialien im Internet ergänzt, die Sie unter www.transcript-verlag.de abrufen können. Das zu den einzelnen Titeln bereitgestellte Leserforum bietet die Möglichkeit, Kommentare und Anregungen zu veröffentlichen. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!
Einen Einblick in die ersten zehn Bände der Einsichten gibt die Multi-Media-Anwendung »Einsichten – Vielsichten«. Neben Textauszügen aus jedem Band enthält die Anwendung ausführliche Interviews mit den Autorinnen und Autoren. Die CD-ROM ist gegen eine Schutzgebühr von 2,50 € im Buchhandel und beim Verlag erhältlich.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2006 transcript Verlag, Bielefeld Lektorat: Kai Reinhardt, Bielefeld Projektmanagement: Andreas Hüllinghorst, Bielefeld Herstellung: Justine Haida, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-933127-36-X Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.
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Inhalt
Vorwort
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I. Knappheit
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1. Die soziale Funktion der Wirtschaft 12 2. Die Operation Knappheit 21 3. Ansätze zu einer neuen Wirtschaftssoziologie 36
II. 1. 2. 3.
Geld 48 Das Erleben von Knappheit 48 Die Ausdifferenzierung der Wirtschaft 56 Die doppelte Schließung der Wirtschaft 77
III. Märkte 85 1. Beobachtung zweiter Ordnung 85 2. Kommunikation im Netzwerk 95 3. Individuen, Haushalte und Unternehmen 107 IV. Gesellschaft 121 1. Codierung, Programmierung und Heterarchisierung 121 2. Wirtschaft und Gesellschaft 129 3. Kapitalismus 139 Literatur Sachindex
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Vorwort Eine neue Einführung in die Wirtschaftssoziologie scheint überfällig. Das Fach boomt. Herausgefordert von der erstarkten Rolle der Kapitalmärkte, von einem dramatischen Wandel der Organisationsstrukturen der Industrie, von launisch gewordenen Kundenmärkten, von der Globalisierung und von hartnäckigen Ungleichgewichten in der Verteilung von Arbeit und Brot, ist die Wirtschaftssoziologie aus einem jahrzehntelangen Schlummer erwacht und wirft Monographien, Sammelbände, Handbücher und Lexika auf einen Markt, von dem man nur hoffen kann, dass er nicht nur von der Kaufbereitschaft von Soziologen und Bibliotheken lebt. Man weiß nicht, was einen mehr erstaunen soll: dieser jahrzehntelange Schlummer, nachdem die Wirtschaftssoziologie einmal fast so etwas wie die Hebamme der um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert neugeborenen Soziologie gewesen ist, oder diese Wiedergeburt, die es immerhin mit einem Konkurrenten – den Wirtschaftswissenschaften – zu tun hat, der alle denkbaren Fragen bereits doppelt und dreifach behandelt hat und mit einer an Universitäten, Instituten und Think Tanks ungleich stärkeren Ausstattung gesegnet ist. Doch die Wirtschaftssoziologie ist wieder da und sie kann sich neben den Wirtschaftswissenschaften durchaus sehen lassen. Das gilt allerdings vor allem für die Forschung auf den Gebieten der Soziologie des Konsums, der Finanzmärkte und der Unternehmensorganisation und weniger auf dem Gebiet einer eigenständigen soziologischen Theorie der Wirtschaft, wo Versuche der Anknüpfung an die soziologische Klassik bis hin zur soziologischen Moderne einen meist eher symbolischen, das Fach und seine Tradition pflegenden Wert haben. Die vorliegende Einführung besetzt daher eine Lücke. Diese Lücke war und ist typisch für fast alle wirtschaftssoziologischen Arbeiten und besteht in einer immer wieder überraschenden Enthaltsamkeit gegenüber soziologischer Theoriearbeit. Man hat den Eindruck, dass schon Emile Durkheim, Georg Simmel, Gabriel Tarde und Max Weber wirtschaftssoziologische Fragen nur genutzt haben, um an ihnen eine soziologische Theorie der Ar5
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beitsteilung, der Form, des Streits oder der Handlung zu schärfen, die dann, einmal formuliert, nie wieder zur Wirtschaftssoziologie zurückfinden. Jeder neuerliche Versuch etwa von Talcott Parsons, Niklas Luhmann oder Harrison C. White, wirtschaftssoziologische Themen auch theoretisch aufzubereiten, wird von der einschlägigen Lehre und Forschung des Faches nicht aufgenommen, sondern zu den Akten der allgemeinen soziologischen Theorie gelegt und vergessen. Mit Leidenschaft widmet man sich nur den Phänomenen der Wirtschaft, so als gelte es, ihren Katalog immer vollständig zu halten. Ich übertreibe, aber es ist doch auffällig, wie sehr die Wirtschaftssoziologie gerade in diesem Punkt ihrem Gegenstand ähnelt, jener Wirtschaft, der auch kaum etwas wichtiger ist als die Vermeidung von »asset specificity« (Oliver E. Williamson), die jemanden auf die Idee bringen könnte, jemand habe sich festgelegt und könne nun ausgebeutet werden. Die vorliegende Einführung macht den auf den ersten Blick mehr als unwahrscheinlichen Versuch, von den Klassikern über Parsons und Luhmann bis zu White und der aktuellen wirtschaftssoziologischen Forschung so etwas wie einen geschlossenen Theorierahmen zu konstruieren, basierend auf einer einzigen Annahme, nämlich der, dass die Wirtschaft in der Gesellschaft die Funktion der Knappheitskommunikation erfüllt, und erprobt diese nun nicht an allen Themen der Wirtschaftssoziologie – das hätte die Einführung überfordert –, aber doch exemplarisch am Medium des Geldes, an den Netzwerken der Märkte und an einer Gesellschaftstheorie der Wirtschaft. Der Grund für diesen Versuch ist einfach. Ich glaube, dass man mit relativ wenigen Strichen so etwas wie einen roten Faden der Wirtschaftssoziologie herauspräparieren kann – und dass es sich lohnt, ihn zu verfolgen, weil man damit den vielen unterschiedlichen Perlen des Faches keine Gewalt antut, sondern sie ganz im Gegenteil, aufgereiht auf diesen roten Faden, überhaupt erst einmal zu sehen bekommt. Am roten Faden hat bereits Karl Marx (1818-1883) zu stricken begonnen, als er die Wirtschaft der Gesellschaft aus ihrem Naturzusammenhang der Bedürfnisbefriedigung herauslöste und als soziale Konstruktion darstellte und vorführte, die bis in die Konstitution der Ware und ihres Fetischs hinein die Gesellschaft als 6
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Motiv und Rahmen, als Zweck und Irrweg der Art und Weise aufdeckt, wie eine Wirtschaft historisch und regional jeweils beschaffen ist. Die Klassiker der Soziologie haben diese Konstruktion zu würdigen gewusst, jedoch den Marxisten die Utopie der Revolution ebenso wenig abgenommen wie den Ökonomen die Utopie des unaufhaltsamen Fortschritts zu einem immer größeren Wohlstand. Und dabei bleiben wir. Wir beschreiben die Wirtschaft als eine von der Gesellschaft insgesamt getragene soziale Konstruktion und versuchen herauszufinden, mithilfe welcher Operationen es der Wirtschaft gelingt, sich tagtäglich in ihrem eigenen Geflecht zurechtzufinden. Wir versuchen damit, die Brücke von den Klassikern über die einsamen Theoretiker der Zwischenzeit bis in die gegenwärtige Forschungslandschaft zu schlagen, die interessanterweise nicht nur von einer boomenden Wirtschaftssoziologie gekennzeichnet ist, sondern auch von einem nicht nachlassenden Interesse an kognitionswissenschaftlichen Versuchen, auch an sozialen Phänomenen die Einsichten zu erproben, die man aus der Forschung an Gehirnen und Computern gewonnen hat. Die Wirtschaft als kognitiver Mechanismus, die Wirtschaft als Erkenntniszusammenhang, das ist zwar einer Denkweise fremd, die an die Gegenüberstellung von Geld und Geist glaubt und dann umso erfolgreicher in Märkte verwickelt wird, von deren Existenz sie nichts ahnt, aber man braucht sich nur an Wilhelm Dilthey zu erinnern, der mitten im 19. Jahrhundert die Wirtschaft als ein »Kultursystem« bezeichnet hat, um wieder Mut zu schöpfen, der Wirtschaft doch so etwas wie eine eigene Intelligenz, eine eigene Subtilität und ein eigenes Raffinement der Kommunikation von Knappheit zuzusprechen. Der Leitfaden der vorliegenden Einführung in die Wirtschaftssoziologie besteht darin, dass wir die Wirtschaft weder an ihrem Glücksversprechen noch an ihrer Ausbeutung von Mensch und Natur, weder an ihrer technischen Effektivität noch an ihrer unternehmerischen Effizienz, sondern ausschließlich an ihrer kommunikativen Unwahrscheinlichkeit messen. Wir fragen nach dem Kalkül, das die Wirtschaft unaufhörlich wiederholt und als einziges beherrscht und das es ihr ermöglicht, sich in einer Gesellschaft zu behaupten, die ihr mal volles Spiel, mal den engsten 7
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Rahmen, mal ein rasches Wachstum, mal das stationäre Gleichgewicht einräumt – und doch jeweils nichts an dem ändert, was sich auf strukturell identische Weise abspielt, sobald die Wirtschaft zum Zuge kommt. Die Wirtschaft ist keine anthropologische Konstante, sie ist eine soziale Konstante, eine Einmalerfindung, wie auch die Welt, das Leben, das Bewusstsein und die Kommunikation Einmalerfindungen sind, für die es keine andernorts abrufbaren Beispiele gibt (das macht den Vergleich so schwer), sondern nur immer wieder überraschende Formen ihrer Reproduktion. Diese identische Form der Selbstreproduktion bedeutet jedoch nicht, dass die Wirtschaft leicht zu durchschauen ist. Man bekommt es nicht nur immer wieder mit informationellen Asymmetrien zu tun, dank derer die einen Gelegenheiten ausnutzen können, von denen die anderen kaum etwas ahnen, sondern auch mit einer tiefer liegenden Paradoxie, dank derer die Kommunikation von Knappheit nicht nur zu deren Reduktion, sondern auch zu deren Steigerung führt. Tatsächlich käme die Wirtschaft sofort zum Erliegen, hätte sie Erfolg mit jener Abschaffung von Knappheit, die sie sich ideologisch zuweilen auf die Fahnen schreibt. Aber mit diesen informationellen Asymmetrien und mit dieser Paradoxie kann man sich anfreunden, wenn man es nur schafft, angesichts von Armut und Reichtum, die in jeder Wirtschaft Hand in Hand, nein: Drohung gegen Drohung, auftreten, einen kühlen Kopf zu behalten. Die Leistung der Wirtschaftssoziologie, mit oder ohne Theorie, besteht darin, sich zwischen der Affirmation und der Negation der Wirtschaft nicht zu entscheiden, sondern mit festem Blick auf die Gesellschaft auf kritischer Ambivalenz und präziser Beobachtung zu bestehen. Man erwarte von dieser Einführung daher kein Panoramabild der großartigen Leistungen der Wirtschaft der Gesellschaft und keinen den Fall abschließenden Nachweis der sozialen, mentalen und ökologischen Desaster, für die sie verantwortlich gemacht wird. Man erwarte stattdessen so etwas wie eine mikroinvasive Operation der soziologischen Beobachtung, die zu verstehen versucht, wie diese soziale Konstruktion gebaut ist und was sie im Innersten zusammenhält. Man erwarte einen Nachweis, dass Wirtschaft eher Gesellschaft als Technik ist und dass sie noch 8
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und gerade dort sozial konstruiert ist, wo sie scheinbar nichts anderes tut, als auf Chancen der Bewältigung von Knappheit hinzuweisen. Wir haben uns im Folgenden die Freiheit genommen, nicht nur in die traditionellen und neueren Ansätze der Wirtschaftssoziologie einzuführen, sondern zugleich auch einen denkbaren theoretischen Leitfaden zu bieten, der zum einen den Zusammenhang einer inzwischen sehr heterogenen Teildisziplin der Soziologie herstellt und zum anderen diese Teildisziplin mit der allgemeinen Soziologie und hier insbesondere mit der Theorie der Gesellschaft verknüpft. Wie schon Max Weber arbeiten wir daher im Folgenden mit mindestens zwei Grundbegriffen: mit dem Begriff der Wirtschaft beziehungsweise des Wirtschaftens und mit dem Begriff der Kommunikation und ihrer Entfaltung in Handlung und Erleben. Das erste Kapitel, »Knappheit«, erläutert die soziologische Annahme, dass die Funktion der Wirtschaft in der Gesellschaft nicht nur darin besteht, Knappheitssituationen zu bewältigen, sondern darüber hinaus auch darin, diese Knappheit so einzuführen und zu kommunizieren, dass sie bewältigt werden kann. Vermutlich ist dies der Punkt, in dem sich der soziologische Ansatz am deutlichsten von einem wirtschaftswissenschaftlichen Ansatz unterscheidet, der dazu neigt, die Knappheit von Gütern und Leistungen für einen naturgegebenen Sachverhalt zu halten. Inwieweit eine streng spiel-, informations- und evolutionstheoretische Grundlegung der Ökonomie dem Ansatz, den wir hier vorlegen, sehr viel näher kommt als die klassische und neoklassische Ökonomie, muss hier offen bleiben. Das zweite Kapitel diskutiert das »Geld« als dasjenige Kommunikationsmedium der Wirtschaft, das es nicht nur ermöglicht, mit knappen Gütern und Dienstleistungen zu handeln, sondern darüber hinaus auch die Voraussetzung dafür ist, dass Knappheit auf eine Art und Weise erlebt werden kann und muss, die wirtschaftsaffin ist, also in ein Kalkül des Umgangs mit Knappheit, mit Angebot und Nachfrage an Gütern und Dienstleistungen umgesetzt werden kann. Den Soziologen erstaunen hierbei weniger die Transaktionskosten sparende Effizienz des Geldmediums als vielmehr die mitlaufenden gesellschaftlichen, für Weber vor allem »wirtschaftsethischen« Voraussetzungen des Denkens und 9
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Handelns, Sorgens und Rechnens in einem Medium, das durch eine denkbar große Abstraktion gegenüber jeder Lebenswirklichkeit geprägt ist. Das war im Wesentlichen das Thema von Georg Simmel. Dass die Ausdifferenzierung und doppelte Schließung der Wirtschaft jedoch nach wie vor in der Gesellschaft und nicht neben ihr oder außerhalb von ihr stattfinden, ist eine soziologische Beobachtung, die dieser Abstraktion nicht widerspricht, sondern sie erklärt. Das dritte Kapitel, »Märkte«, beschäftigt sich mit den Strukturen, in denen die Kommunikation von Knappheit innerhalb der Wirtschaft stattfindet. Obwohl es Soziologen leicht fällt, diese Strukturen als soziale Strukturen der wechselseitigen Beobachtung von Konkurrenten zu beschreiben, sind nach wie vor viele Fragen offen, die die gleichsam rückwirkende Strukturierung von Unternehmen und Haushalten durch diesen Typ der wechselseitigen Beobachtung betreffen. Spätestens hier wird deutlich, wie fruchtbar die Annahme einer wirtschaftlichen Funktion der Knappheitskommunikation ist. Denn sie erlaubt es, die Strukturen von Produktion und Konsum mit wesentlich größerer Tiefenschärfe als bisher zu analysieren. Der gleichsam frei schwebenden Beweglichkeit von Märkten kommt man nur auf die Spur, wenn man sich von der Annahme, auf ihnen würden andernorts konstituierte Bedürfnisse mehr oder minder vollkommen zum Austausch gebracht, verabschiedet, und sich stattdessen anschaut, welchen Anteil die Märkte an einer zu ihnen passenden Konstitution dieser Bedürfnisse haben. Dass hierin nicht etwa nur die gewinnorientierte Manipulationsfähigkeit der Wirtschaft zum Ausdruck kommt, sondern diese marktförmige Konstitution von Bedürfnissen ein gesellschaftlicher Tatbestand ist, kann nur eine Soziologie zeigen, die in der Lage ist, Haushalte, Unternehmen und Märkte als heterogene Elemente eines Netzwerks zu betrachten. Es ist nicht uninteressant, dass man in diesem Zusammenhang die Gelegenheit hat, die unter anderem von Talcott Parsons verwendete Kategorie des Haushalts anstelle des individuellen Konsumenten wiederzuentdecken, die gut geeignet ist, die Form des Spannungsmanagements zu untersuchen, die eine Voraussetzung der gesellschaftlich und wirtschaftlich erfolgreichen Teilnahme an Wirtschaft ist. 10
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Das vierte Kapitel, »Gesellschaft«, bringt den für die Soziologie maßgeblichen Zusammenhang im Unterschied von Wirtschaft und Gesellschaft noch einmal ausdrücklich auf den Punkt. Jede Wirtschaft ist eine Wirtschaft in der Gesellschaft – nicht außerhalb von ihr. Jede ökonomische Abstraktion von der Gesellschaft ist zugleich eine Abstraktion in der Gesellschaft. Dieser Ansatzpunkt macht es unmöglich, die Wirtschaft als eine Art Schicksalsmacht zu betrachten, der sich die finstere Gewinngier der Menschen bemächtigt hat, um mit ihrer Hilfe die Gesellschaft wie von außen auszubeuten. Auch und gerade diese Ausbeutung findet in der Gesellschaft statt. Jede Konzession an wirtschaftliche Interessenverfolgung ist eine gesellschaftliche Konzession. Wir greifen deswegen in diesem Kapitel noch einmal die in Grenzprozessen zwischen der Wirtschaft und anderen Bereichen der Gesellschaft ihre Pointe setzende Wirtschaftssoziologie von Talcott Parsons (1902-1979) auf und diskutieren vor diesem Hintergrund abschließend den in der Soziologie nach wie vor umstrittenen Begriff des »Kapitalismus«. Es hat seine eigene Ironie, dass dieser Begriff des Kapitalismus gerade dann seine Überzeugungskraft verliert, wenn man gegen ihn einen Begriff des Individuums stark macht, der dieses nicht mehr als sein erstes Opfer, sondern als seinen stärksten Widerpart sieht. Eine Wirtschaftssoziologie des hier vorgestellten Typs läuft nicht zuletzt darauf hinaus, das kapitalistisch berechnete Individuum, begraben unter seinen von Karl Marx beschriebenen »Charaktermasken«, wieder rechenfähig zu machen.
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I. Knappheit 1. Die soziale Funktion der Wirtschaft Die soziale Funktion der Wirtschaft ist die Kommunikation von Knappheit. ›Alles könnte anders sein, aber die Mittel zur Erreichung beliebiger Ziele sind knapp‹ – das ist die Mitteilung einer Wirtschaft, die in unserer Gesellschaft mit anderen Mitteilungen konkurriert. Für die Politik geht es um das Gemeinwohl, für die Religion um den Glauben an Gott, für die Wissenschaft um begrenzte Erkenntnisse, für das Recht um Legitimität, für die Massenmedien um Popularität, für die Liebe um Hingabe und für die Kunst um das Gelingen unwahrscheinlicher Form. Für die Wirtschaft aber geht es um Knappheit, die auf eigentümliche Art und Weise, als sei dies noch nicht genug, mit der Idee der Notwendigkeit gekoppelt wird. Was auch immer man plane, beabsichtige, erwarte und erhoffe, notwendig sei es, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass die Wege dorthin, die erforderliche Unterstützung und die nötige Zeit knapp seien, weswegen es darum gehe, die eigenen Mittel, die nötigen Freunde und die zur Verfügung stehende Zeit sparsam einzusetzen. Diese Sparsamkeit – darin besteht die Pointe der Kommunikation der Wirtschaft – ist jedoch nicht nur das Zeichen der Einwilligung in das Reich der Notwendigkeit, sondern zugleich die Voraussetzung für den Gewinn eines weiteren Dispositionsspielraums. Nur die gesparten Mittel, Freunde und Zeiten können auch anders eingesetzt werden, und dies zu Zwecken, die nirgendwo festgeschrieben, sondern frei wählbar sind. Nur um den Preis der Einwilligung in das Reich der Notwendigkeit ist die Wirtschaft zugleich die Emanzipation von diesem Reich. Die eigentümliche Brisanz dieser sozialen Funktion der Wirtschaft versteht man nur, wenn man sich von der Vorstellung verabschiedet, die Knappheit der Ressourcen sei ein naturgegebener Sachverhalt. Das Gegenteil ist der Fall. Die Knappheit ist ebenso wie ihr Spiegelbild, der Überfluss, eine von der Wirtschaft im Kontext von Gesellschaft erst gemachte und immer wieder neu bestätigte soziale Konstruktion, ein »Faktum« im Wortsinn (lat. facere = machen) und ein »Datum« (lat. dare = geben) nur für die12
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jenigen, die anderen deren Kommunikation von Knappheit bereits abgenommen haben und bereit sind, dafür zu bezahlen, was ihnen jetzt als notwendig erscheint. Die »Operation Knappheit« behauptet die Not, um sie zu wenden. Das schließt es ein, am durch seine eigene Mitteilung konstruierten Sachverhalt anschließend nicht mehr zu zweifeln, weil man andernfalls den Boden unter den Füßen verliert, auf dem die Berechnung des eigenen Spielraums stattfinden soll. Die Wirtschaftssoziologie jedoch, im Gegensatz zu den Produzenten und Konsumenten, die rechnen müssen, und zur Ökonomie, die die Rechnungen der einen mit den Rechnungen der anderen in Beziehung setzt, muss sich überdies anschauen, welche Knappheiten sich in welchen Situationen und in welchen Milieus kommunikativ bewähren und welche nicht und wie beides von der Gesellschaft ausgehalten, mitgetragen und unterstützt wird. Niklas Luhmann (1927-1998) hat diese soziologisch vielleicht wichtigste Struktureigenschaft der Wirtschaft, ihre Kommunikation von Knappheit, auf den Begriff der Kontingenzformel gebracht (Luhmann 1981; 1988a, Kap. 6). Knappheit ist die Kontingenzformel der Wirtschaft, das heißt: In der Form ihrer Einschränkung öffnet sie einen Raum von Möglichkeiten, der dann allerdings nur wirtschaftend genutzt werden kann. In den Wirtschaftswissenschaften wird derselbe Zusammenhang in die Formulierung von der Notwendigkeit der Entscheidung gebracht (Robbins 1935). Beide Disziplinen lösen sich damit von kosmologischen oder anthropologischen Annahmen über die Begrenztheit der Dinge in der Welt oder das Mangelwesen Mensch und interessieren sich stattdessen für die Form eines Kalküls, das die Knappheit selber produziert, die es anschließend, und nur in dieser Form, ausnutzt. Während sich die Wirtschaftswissenschaften in der Folge jedoch vornehmlich um den Nachweis der Rationalität einer autonomen Wirtschaft kümmern, beobachtet die Soziologie mit Vorliebe die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgen der Autonomie der Wirtschaft. Für die Wirtschaftswissenschaften ist die Knappheit die Legitimationsformel schlechthin für die Notwendigkeit wirtschaftlicher Effizienzkalküle, für die Soziologie hingegen ist auch diese Legitimationsformel das Ergebnis eines durchaus kontingenten Kalküls der Gesellschaft, die 13
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sowohl in den Gegenständen und Leistungen, die als knapp gelten, als auch im produktiven, distributiven und konsumtiven Umgang mit dieser Knappheit mehr Spielraum hat, als die Wirtschaftwissenschaften zuzugeben bereit sind. Im Unterschied zu den Wirtschaftswissenschaften nimmt die Soziologie das Knappheitskalkül nicht nur als Voraussetzung der Konstitution ihres Gegenstandes hin, sondern fragt zugleich danach, wie es zu diesem Knappheitskalkül kommt, welche Form es im Einzelfall annimmt und welche gesellschaftlichen Folgen es hat. Der Soziologie gilt die Kontingenzformel der Knappheit als eine evolutionär unwahrscheinliche Errungenschaft, die auf ihre Konstruktion hin zu überprüfen und mit der Lösung ähnlicher Probleme in anderen Funktionssystemen zu vergleichen ist. Vor allem jedoch ist sie nicht nur eine Struktur, die ist, was sie ist, sondern als diese Struktur das Ergebnis einer Operation, die aktuell vorkommen und aktuell vorgenommen werden muss, wenn sich die Wirtschaft in der beschriebenen Form reproduzieren können soll. Deswegen sprechen wir von der Kommunikation von Knappheit. Die Operation Knappheit kann man sich zunächst einmal nicht einfach genug vorstellen. Sie findet immer dann statt, wenn jemand (1) auf Dinge, Leistungen oder Beziehungen für andere sichtbar zugreift, (2) dadurch den Bestand an diesen Dingen, Leistungen oder Beziehungen für sich vergrößert und für andere verkleinert und (3) dafür eine Form der Zustimmung findet, die sich damit bescheidet, zuzuschauen, wie andere ihre Knappheit verringern, und nicht etwa diesen Zugriff durch den Einsatz von Gewalt, durch moralische Gebote, durch gesetzliche Vorgaben, durch Drohung mit politischer Macht, durch Verführung, durch erzieherische Warnungen oder wissenschaftliche Hinweise zu verhindern sucht. In ihrer Durchführung ist diese Operation, das machen die drei Bedingungen deutlich, denkbar voraussetzungsvoll und damit, bezogen auf die Entstehung, Entwicklung und Durchsetzung von Wirtschaft, höchst unwahrscheinlich. Die Operation Knappheit ist eine kontingente soziale Operation. In jedem einzelnen Fall kann sie stattfinden – muss dies aber nicht. Sie ist abhängig von ihrem eigenen kommunikativen Erfolg, das heißt abhängig von Sachverhalten, an denen sie sich 14
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bewährt, von Beobachtern, die das Spiel mitmachen, und von Zeithorizonten der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in denen jeweils sinnhaft gemacht werden kann, was durch die Operation Knappheit erreicht, wie sie akzeptabel gemacht und wie an sie angeschlossen werden kann. Für die Konstruktion der passenden Sachverhalte, für die Legitimität der Spiele und für die Reflexion auf geeignete Zeithorizonte muss sich die Wirtschaft auf die Gesellschaft verlassen, so sehr sie dann auch in allen drei Hinsichten, in der Sachdimension, in der Sozialdimension und in der Zeitdimension (Luhmann 1984, S. 111ff.), in ihr ihren eigenen Unterschied macht. Die Kommunikation von Knappheit hängt davon ab, dass eine entsprechende Objektivierung gefunden wird, die es erlaubt, Dinge, Leistungen und Beziehungen so abzugrenzen, dass entschieden werden kann, wie sie so verknappt werden können, dass anschließend, die Knappheit wieder reduzierend und sie dadurch bestätigend, auf sie zugegriffen werden kann. Bei Dingen mag dies noch relativ einfach scheinen, doch auch die Dinge standen in früheren Gesellschaften in sozialen Beziehungen, die es in der Regel ausschlossen, auf die Idee zu kommen, sie in den eigenen Besitz zu bringen, geschweige denn, sie zum Gegenstand von Tauschoperationen zu machen. Bei Leistungen und Beziehungen versteht sich erst recht nicht von selbst, wie sie zugeschnitten werden, um Zugriffe auf sie zu ermöglichen. Schwierig ist dies insbesondere deswegen, weil der Zuschnitt so vorgenommen werden muss, dass der Zugriff des einen möglich und der gleichzeitige Zugriff eines anderen unmöglich wird. Der Zugriff muss, da es um die Bewältigung von Knappheit und nicht von irgendetwas anderem geht, »exklusiv« sein können, wie die Ökonomen sagen. Nichts ist jedoch gesellschaftlich unwahrscheinlicher als dies, da in der Gesellschaft die Beziehung, und zwar die je unterschiedlich moderierbare Beziehung, der Normalfall und die Unterbrechung der Beziehung, die Isolation eines Gegenstandes und die Abschottung des isolierten Gegenstandes, der Ausnahmefall ist, so sehr er auch, sobald die Wirtschaft ihre Erfolgsgeschichte antritt, zum Regelfall wird. Es muss demnach ein erheblicher und sozial zunächst unwahrscheinlicher Aufwand getrieben werden, um deutlich zu ma15
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chen, dass Zugriffe sich auf Sachverhalte beziehen, an denen sich die Knappheit für die einen vergrößert, während sie sich für die anderen, die Zugreifenden, verringert. Wie schafft man es, die eigene »Bedürfnisbefriedigung«, wie man dann auch sagt, in den Kontext der Bedürfnisbefriedigung aller anderen zu stellen? Wie stellt man, kaum hat man die Beziehung gekappt, die einen anderen mit demselben Gegenstand, derselben Leistung, derselben Beziehung verknüpft, eine Beziehung eines anderen Typs her, die ein Bedürfnis herstellt, auf einen Sachverhalt zuzugreifen, auf den zuzugreifen man zugunsten eines anderen gerade verzichtet hat? Welcher Typ von Symbolisierung eines »ökonomischen Gutes«, wie es dann heißt, muss Platz greifen, wenn auf den reellen Eingriff in den Zugriff des anderen zugunsten von Vorsorgemaßnahmen für mögliche eigene Zugriffe auf ein anderes Exemplar desselben Gutes verzichtet wird? Wenn man so fragt, steckt man schon mitten in einer Wirtschaftssoziologie, die nicht nur nachrechnet, sondern, wie oben gesagt, auch die Recheneinheiten überprüft (Baudrillard 1968; 1970; 1972). Und dies ist nur der Einstieg in die Beobachtung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen um die Frage, ob bestimmte Zugriffe auf Güter, Leistungen und Beziehungen im Horizont ihrer Knappheit religiös oder moralisch, politisch, pädagogisch oder wissenschaftlich überhaupt zugelassen werden können. Nicht alles, was für die einen möglicherweise knapp ist, darf in der Gesellschaft auch als knapp gelten, wie jahrhundertelange Konflikte um den Kauf von Seelenheil, von politischen Ämtern, von Liebe oder heute von Ersatzorganen für den eigenen Körper zeigen. Aus welchen Gründen auch immer ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Gesellschaft es vorzieht, in diesen und anderen Fällen nicht auf Knappheit und daher auch nicht auf die Notwendigkeit (und Möglichkeit) der wirtschaftenden Entscheidung, sondern eher auf ein dem Zugriff und daher auch der Verantwortung des einzelnen Individuums entzogenes, sei es glückliches, sei es tragisches Schicksal zuzurechnen (Calabresi/Bobbitt 1978). Anders als die Wirtschaftswissenschaften interessiert sich die Soziologie daher für die Eingrenzung und die Ausgrenzung von Sachverhalten aus dem wirtschaftlichen Kalkül. Und anders als es die bürgerliche, liberale und kritische Selbstbeschreibung der 16
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modernen Gesellschaft wahrhaben will, ist sie nicht der Meinung, dass sich die Wirtschaft in dieser Gesellschaft als das dominierende System etabliert hat, das in der Frage der Knappheitskommunikation gegenüber allen anderen Systemen freie Hand hätte. Ganz im Gegenteil muss sie gerade in dieser Hinsicht gegenüber Religion und Moral, Politik und Wissenschaft, Recht und Kultur äußerste Sensibilität an den Tag legen, wie nicht zuletzt alle Fälle belegen, in denen gegen dieses Gebot verstoßen wird. Nur innerhalb des Spielraums, der der Kommunikation von Knappheit eingeräumt wird, darf die Wirtschaft frei schalten und walten. Der weit reichende Einfluss der Wirtschaft auf die Organisation der Gesellschaft, wie ihn zum Beispiel Charles Perrow in seinem Buch »Organizing America: Wealth, Power, and the Origins of Corporate Capitalism« dargestellt hat (Perrow 2002), ist in keiner Weise in Frage zu stellen, ändert jedoch nichts am entscheidenden Punkt, der darin besteht, dass dieser Einfluss der Wirtschaft auf die Gesellschaft zugleich ein gesellschaftlicher Einfluss auf die Gesellschaft ist, der in der Gesellschaft wahrgenommen und in der Gesellschaft durchgesetzt werden muss, dem also prinzipiell ebenso viel Zustimmung wie Ablehnung widerfährt. Die Soziologie interessiert sich für die spezifische Form der Operation Knappheit. Sie will wissen, auf welche Sachverhalte sie sich bezieht und auf welche nicht. Sie will wissen, mit welchen sozialen Beziehungen sie rechnet und mit welchen nicht. Und sie will wissen, in welchen Zeithorizonten die Knappheit heute mit ihrer Verringerung oder Vergrößerung morgen in Relation gesetzt wird. In allen drei Hinsichten, in der sachlichen, sozialen und zeitlichen Hinsicht, hat die Operation Knappheit jeweils einen Klärungsbedarf, der nur in der Gesellschaft, nie stellvertretend für diese in der sie beobachtenden Soziologie befriedigt werden kann. Die Bezüge zur jeweiligen gesellschaftlichen Struktur liegen dabei auf der Hand. Weder kann die Wirtschaft mit Dingen, Leistungen und Beziehungen, mit Partnern, Konkurrenten und Zuschauern sowie mit Zeithorizonten rechnen, die ihr von der Gesellschaft nicht konzediert werden, noch findet umgekehrt die Gesellschaft einen wirtschaftenden Umgang mit diesen drei Sinndimensionen, wenn es der Wirtschaft nicht gelingt, sie für ihre Zwecke kalkulierbar zu machen. 17
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Aus diesem Zugang resultieren ein Verständnis von Wirtschaft und eine Beschreibung des Wirtschaftens, die ironischerweise zugleich enger und weiter als die der Wirtschaftswissenschaften sind. Zum einen gilt es als unwahrscheinlich, dass sich ein Knappheitszugriff überhaupt durchsetzen lässt. Zum anderen jedoch haben Knappheitszugriffe eine wesentlich größere Reichweite, als sie im traditionellen Bild der Güter und Leistungen der Wirtschaftswissenschaften eingefangen wird. Daher lässt sich der soziologische Ansatz am ehesten mit dem von Gary S. Becker paradigmatisch formulierten Ansatz der ökonomischen Erklärung menschlichen Verhaltens vergleichen. Dieser Ansatz ist dank seiner Annahmen des Maximierungsverhaltens, des Marktgleichgewichts und der stabilen, weil tief liegenden Präferenzen (»health, prestige, sensual pleasure, benevolence, or envy«, so Becker 1976, Zitat S. 5) außerordentlich leistungsfähig. Er unterscheidet sich vom soziologischen Ansatz nur dadurch, dass er die Ausdifferenzierung der Wirtschaft als Konstante und nicht als Variable betrachtet, wobei es im Prinzip nicht ausgeschlossen sein sollte, Beckers Problemstellung nach dem Vorbild von Ronald H. Coases Frage nach dem Preis des Preissystems (Coase 1988, S. 6) auch auf ein Metakalkül zu beziehen, ob es opportun ist, mit Knappheit zu kalkulieren oder nicht. Ihre Distinktheit gegenüber dem wirtschaftswissenschaftlichen Ansatz gewinnt die soziologische Perspektive nicht unbedingt daraus, dass sie andere Annahmen über menschliches Handeln, Entscheiden und Kommunizieren trifft, etwa einen altruistisch orientierten homo sociologicus anstelle eines egoistischen homo oeconomicus postuliert. Annahmen dieser Art und die dazugehörenden Menschenbilder beschäftigen die wissenschaftstheoretische Reflexion und die universitäre Selbstdarstellung der jeweiligen Disziplin im Kontext einer Lehre, die auf Abgrenzung gegenüber anderen Disziplinen Wert legen muss. In der Forschung spielen sie kaum eine Rolle. Sie verdanken sich disziplinären Stilisierungen, die mit der jeweiligen Sache wenig zu tun haben. In puncto Egoismus versus Altruismus zum Beispiel war schon Adam Smith der Auffassung, dass wirtschaftliches Handeln darin seine Pointe hat, dass es aus egoistischen Gründen zum Altruismus motiviert, denn ich kann dem anderen nur das mit Gewinn 18
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verkaufen, was in seinem Interesse liegt (A. Smith 1776, 1. Buch, Kap. 2). Man könnte hinzufügen, dass das wirtschaftliche Handeln ebenso sehr aus altruistischen Gründen zum Egoismus motiviert, denn der andere erwartet, dass ich meine Interessen im Auge habe, wenn ich für ihn verlässlich adressierbar sein und bleiben will. Im Kontext wirtschaftlichen Handelns geht es daher nie um egoistische versus altruistische Motive, sondern um eine für die Gestaltung sozialer Beziehungen taugliche Kombination beider im Rahmen ihrer Unterscheidung. Der wesentliche Unterschied zwischen den Wirtschaftswissenschaften und der Soziologie liegt vor allem darin, dass die Soziologie die Funktion der Wirtschaft als eine soziale Funktion neben anderen innerhalb der funktional differenzierten Gesellschaft sieht, während die Wirtschaftswissenschaften dazu tendieren, die Gesellschaft (vielleicht abzüglich einiger mehr oder minder liebenswerter Sitten und Gebräuche) mit der Wirtschaft gleichzusetzen. Die soziologische Theorie der Wirtschaft ist eine Theorie ihrer Ausdifferenzierung in der Gesellschaft. Die ökonomische Theorie der Wirtschaft ist eine Theorie der Einheit des Phänomens. Konkrete Auswirkungen hat dieser Unterschied zwischen den beiden Disziplinen dann, wenn die Soziologie zögert, der Wirtschaft auch gleich die technische Funktion der Optimierung des Mitteleinsatzes, die politische Funktion der Steigerung der gesellschaftlichen Wohlfahrt, die religiöse Funktion des Geldes als Gottesersatz, die pädagogische Funktion der Erziehung zu sparsamem Verhalten oder die ästhetische Funktion der Bewunderung eines erhabenen Fortschritts zuzuschreiben, die von den Wirtschaftswissenschaften nach Bedarf, das heißt vor allem aus ideologischen Gründen, durchaus in Anspruch genommen werden. Die Wirtschaftswissenschaften unterwerfen alle anderen gesellschaftlichen Leistungen der Kommunikation von Knappheit. Die Soziologie hingegen bemüht sich darum, die Knappheitsfunktion als solche zu unterscheiden und sie als eine Funktion unter anderen zu beobachten. Interessanterweise erhöht das den Schwierigkeitsgrad der Analyse, weil es sowohl darum geht, die Leistungsfähigkeit der Knappheitsfunktion zu bestimmen, als auch darum, ihren Kontext und ihre Grenzen zu identifizieren. Die Soziologie betrachtet eher eine steigende, insgesamt hoch19
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riskante Abhängigkeit von Technik (insbesondere Energie), eine wachsende Schere zwischen Arm und Reich, eine geradezu religiöse Gier nach Geld, eine gefährliche Verstrickung von Produzenten und Konsumenten in kaum noch zu bedienende Schulden, eine wachsende Belastung von Familie und Erziehung durch positive wie negative Karriereerwartungen und anstelle der Ästhetik des Fortschritts die ökologischen Probleme des Verbrauchs von Umwelt als Folgen der modernen Erfolgsgeschichte der Wirtschaft. Sie fragt danach, welche Chancen menschliches Handeln und organisiertes Entscheiden hat, wenn es sich dem Kalkül der Wirtschaft entziehen will, und interessiert sich auch hier eher für die Differenz der Wirtschaft als für deren Einheit. Sie will wissen, wie die Wirtschaft in der Gesellschaft ihren Unterschied macht, welches Spiel dieser Unterschied noch zulässt und was in welcher Gestalt auf der Innenseite und was in welcher Gestalt auf der Außenseite des Unterschieds landet. Und nicht zuletzt interessiert sie sich für die Frage, wie und wann es gelungen ist, die Wirtschaft der Gesellschaft aus dem Horizont der Annahme von Nullsummenspielen, in denen der eine nur gewinnen kann, was der andere verliert (Foster 1965; 1967), herauszulösen und mit Win-Win-Spielen vertraut zu machen, in denen die Kommunikation von Knappheit, weil unter Umständen alle Beteiligten etwas gewinnen, auf eine ungleich produktivere Ebene gehoben werden kann. Das zeigen die Geschichte der Durchsetzung von Fernhandelsbeziehungen in der antiken Gesellschaft ebenso wie die Geschichte der Industrialisierung in der modernen Gesellschaft, die beide zu ihrer Zeit nicht zuletzt deswegen heftig umstritten waren, weil man sich nicht vorstellen konnte, dass der Reichtum, der hier neu entstand, nicht andernorts zu fehlen begann (Finley 1978; Polanyi 1944). Die Erfolgsgeschichte der Wirtschaft ist die Erfolgsgeschichte eines sich beispiellos durchsetzenden Alternativenbewusstseins für Entscheidungen über Güter und Leistungen, Handlungen und Unterlassungen im Spiegel sowohl ihrer Kosten als auch ihrer Opportunitätskosten, das heißt ihrer Kosten in Form entgangener Möglichkeiten (Hahn 1987). Erst allmählich rückt sowohl in der ökonomischen als auch in der soziologischen Theorie in den Blick, dass die Durchsetzung dieses aus dem Knappheitskal20
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kül gewonnenen Alternativenbewusstseins auch eine ungeahnte Geschichte der Informationsversorgung und des Risikokalküls im Spiegel ausgerechnet so hochgradig verdichtender Informationen wie jener durch Preise bedeutet (Arrow 1974a; 1974b; Geertz 1978; Stiglitz 1985; Baecker 1988; Beckert 1997). Seither steht die Soziologie vor der Aufgabe, die wirtschaftliche Kontingenzformel der Knappheit in Relation zu einer Theorie der Gesellschaft zu setzen, die sich nicht nur für die Ausdifferenzierung der Wirtschaft in der Gesellschaft, sondern auch für die Formen interessiert, in denen sich diese Ausdifferenzierung auf der anderen Seite der Differenz, in Politik und Familie, Interaktion und Organisation, Kultur und Technik, Religion und Wissenschaft, Kunst und Erziehung niederschlägt.
2. Die Operation Knappheit Die Operation Knappheit eröffnet den Raum dessen, was wir Wirtschaft nennen. Es handelt sich nicht um einen naturgegebenen Sachverhalt, sondern um das Ergebnis einer gesellschaftlichen Verständigung auf menschliches Handeln und Erleben, zu dem es Alternativen gibt, etwa das Handeln und Erleben im Kontext von Macht, von Wahrheit, von Liebe, von Erziehung oder von Kunst. Von der wirtschaftlichen und wirtschaftenden Operation Knappheit sprechen wir immer dann, wenn die Reduktion von Knappheit im Zusammenhang der Bestätigung von Knappheit auftritt. Der wirtschaftende Umgang mit Knappheit besteht darin, die Produktion von Gütern und Leistungen im Kontext von Restriktionen des Zugriffs auf Güter und Dienstleistungen zu sehen und daraus ein Kalkül der sparsamen Verwendung, des gewinnbringenden Tausches und des einträglichen Geschäfts zu entwickeln. Die Beobachtung der Welt unter dem Gesichtspunkt der Knappheit löst diese Welt auf in Relationen zwischen den Menschen und den Dingen, die vielfältig variiert und genutzt werden können. Der Umgang mit diesen Relationen kann dann »industriell«, also »fleißig« genannt werden (lat. industria = Fleiß), wenn jede Produktion von etwas im Kontext der diese Produktion auslösenden und von dieser Produktion bestätigten Knappheit gese21
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hen wird. Insofern ist die Knappheit die Leitunterscheidung der Wirtschaft. Und deshalb muss man davon ausgehen, dass die Wirtschaft die Knappheit nicht beseitigt, sondern verstärkt. Der Gleichgewichtstheoretiker Léon Walras hat dies auf die Formel gebracht: »il est certain que l’industrie ne s’exerce à produire que des choses rares et qu’elle s’exerce à produire toutes les choses rares« (Walras 1926, S. 31). Zu deutsch: Es ist gewiss, dass die Industrie sich nur darum bemüht, knappe Dinge zu produzieren, und dass sie sich darum bemüht, alle knappen Dingen zu produzieren. Das Geheimnis der Operation Knappheit ist, dass es sich um eine paradoxe Operation handelt. Daraus bezieht sie ihre soziale Dramaturgie. Die Operation Knappheit besteht in Zugriffen auf knappe Güter, Leistungen oder Beziehungen, die die Knappheit an diesen Gütern, Leistungen oder Beziehungen zugleich reduzieren und steigern. Sie reduzieren sie für diejenigen, die zugreifen; und sie steigern sie für diejenigen, die ihnen dabei zuschauen. Die einen bringen sich in den Besitz von Nahrung, Kleidung und Wohnung, von Arbeitskräften, Mitarbeitern und Partnern, von Status, Privilegien und Prestige; und den anderen fällt auf, dass es ihnen genau daran fehlt. Erst das macht die Operation Knappheit zu einer sozialen, einen bestimmten Typ von Gesellschaft stiftenden Operation. Erst das macht sie zu einem kommunikativen Ereignis, mit dem dieselbe Gesellschaft jeweils fertig werden muss. Die Wirtschaft der Gesellschaft besteht darin, diese Paradoxie produktiv werden zu lassen. Noch einmal: Die Paradoxie besteht darin, dass beides zugleich gilt und die Knappheit daher in einem einzigen Akt sowohl geschaffen als auch bewältigt wird. Als diese Paradoxie kann sie jedoch nur im Ausnahmefall – wie hier: abgesichert durch Theorie und Forschung – beobachtet werden. Im sozialen Regelfall blockiert die Paradoxie die Beobachtung, weil beides zugleich nicht der Fall sein kann. In der Praxis der Gesellschaft wird die Paradoxie entfaltet und unsichtbar gemacht, indem sie auf verschiedene Sachebenen, Akteure oder Zeitpunkte verteilt wird. Dann heißt es zum Beispiel, dass die einen zugreifen und die anderen ihnen dabei zuschauen. Oder man realisiert seine Knappheit an bestimmten Dingen, beginnt jedoch schon einmal zu sparen (also 22
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seine Knappheit an Geld zu reduzieren), um sich morgen diese Dinge leisten zu können. Man lässt sich auf die Knappheit im Kontext eines möglichen Überflusses ein, inklusive möglicher Verschiebungen zwischen Sachaskese auf der einen Seite und Gemütsfrieden und Zukunftsvertrauen auf der anderen. Aber auch im Überfluss geht es immer um Knappheit, und sei es nur, dass man einen Reichtum feiert und vorführt, der dem anderen mangelt. Niklas Luhmann gebührt das Verdienst, die Paradoxie der Operation Knappheit erstmals explizit aufgedeckt zu haben (Luhmann 1988a, Kap. 6). Aufgefallen ist sie jedoch schon früher. Schon Xenophon spricht in einem bei den Römern, wie man liest (Pomeroy 1994, S. 68ff.), besonders beliebten sokratischen Dialog über die Haushaltsführung unter besonderer Berücksichtigung des Ackerbaus, des Umgangs mit Freund und Feind und der Einführung der jungen Gemahlin in die Kunst der sorgfältigen Pflichterfüllung davon, dass sich der fähige Haushaltsführer (oikonomikos) vom bloßen Haushaltsführer (oikonomos) darin unterscheidet, dass er die Sophrosyne, die »mysteries of moderation« beherrscht, wie es in der englischen Übersetzung heißt (Xenophon XXI, 12). Der Dialog endet mit dem Hinweis darauf, dass, wer diese mysteries nicht beherrsche, damit bestraft sei, stattdessen über unwillige Abhängige (»unwilling subjects«) tyrannisch herrschen zu müssen. Wir übersetzen: Wer die Knappheit nicht einsetzt, um mit der Aussicht auf ihre Milderung zu locken, kann sie nur noch durchsetzen und wird dafür kaum Dankbarkeit finden. Seither pendelt das ökonomische Denken Europas zwischen der immer utopischen Aussicht auf den Überfluss auf der einen Seite und der mehr oder minder gewalttätigen Unterwerfung unter das Regime der Knappheit auf der anderen (Hutter 1999). Als »politische Ökonomie« wird im 17. Jahrhundert, parallel zur allmählich sich durchsetzenden Monetarisierung der Wirtschaft, eine Reflexion auf die Wirtschaft aus der Taufe gehoben, die sich von der Wirtschaft nichts Geringeres verspricht als das Ende aller Gewalt. Wer wirtschaftet, so heißt es, erspart sich und anderen den Umweg über eine gewalttätige Auseinandersetzung um knappe Güter, inklusive der feudalen Formen einer Herrschaft, 23
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die diese Auseinandersetzung in halbwegs geordnete Bahnen bringt (de Montchrestien 1615; Crucé 1623). Gegen die »Leidenschaften« des Adels bringt das Bürgertum seine »Interessen« in Stellung, die den Knappheitszugriff nicht als Privileg feiern, sondern in die Form des zivilen, friedlichen Interessenausgleichs (»doux commerce«) bringen (Hirschman 1977; 1982; vgl. Gunn 1968; Appleby 1978). Die »Kritik der politischen Ökonomie« durch sozialistische und marxistische Beobachter lässt sich davon freilich nichts vormachen und rechnet die Art und Weise, wie in der Gesellschaft gewirtschaftet wird, nach wie vor herunter auf die Form von Knappheitszugriffen, in denen es den einen, den »Kapitalisten«, gelingt, sich auf Kosten der anderen, der »Proletarier«, zu bereichern (Saint-Simon 1821; Marx/Engels 1848; Marx 1867). Die beginnende Soziologie kann sich weder für die politische Ökonomie noch für ihre Kritik begeistern. Von der Paradoxie der Knappheit ahnt sie jedoch schon deswegen nichts, weil es damals, um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, nicht üblich ist, Tautologien oder Paradoxien für valide Ausgangspunkte wissenschaftlicher Erkenntnis zu halten. Paradoxien gelten als unmögliche und sinnlose Aussagen, allenfalls geeignet für die Produktion eher verdächtiger brillanter Pointen in der essayistischen und literarischen Rhetorik. Man verbietet sie (Whitehead/Russell 1910) und muss den mathematischen Beweis erleben, dass genau das unmöglich ist (Gödel 1931). Im Zuge der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird es zunehmend unabweisbar, sowohl die Selbstreferenz von Phänomenen aller Art zur Kenntnis zu nehmen als auch die damit notwendigerweise einhergehende paradoxale Konstitution dieser Phänomene (Luhmann 1993). Das müssen wir hier nicht genauer diskutieren (Hofstadter 1979). Für die beginnende Soziologie jedenfalls gilt, dass sie die Paradoxie nicht erkennen kann, stattdessen jedoch den Utopien sowohl der politischen Ökonomie als auch der Kritik der politischen Ökonomie misstraut und gegenüber der scheinbaren Eindeutigkeit dieser Utopien auf Ambivalenz setzt. Sie traut weder der Utopie des unaufhaltsamen Fortschritts zu immer größerer Wohlfahrt für alle noch der Utopie einer Revolution zugunsten einer endgültig humanen Gesellschaft über den Weg und untersucht stattdessen die 24
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Problemstellungen, die sich hinter diesen eindeutigen Wertsetzungen verbergen (Weber 1904). Emile Durkheim (1858-1917) beschreibt in seinem Buch »De la division du travail social« (1893) die Arbeitsteilung selbst als ein ambivalentes Phänomen, weil sie das Unterschiedliche und Gegensätzliche in den Handlungen, Interessen und Berufen der Wirtschaft in die Form des Komplementären und organisch Solidarischen bringt. An die Stelle der Feier des technischen Fortschritts, wie sie seit Adam Smith’ Beispiel der Stecknadelfabrik zum klassischen Topos der Beobachtung von Wirtschaft gehört (A. Smith 1776, 1. Buch, Kap. 1), tritt die von Durkheim auch pädagogisch gewendete Frage, wie es angesichts einer normativ nicht mehr einheitlich (zum Beispiel durch die Religion oder die Politik) repräsentierten Gesellschaft möglich ist, den »Professionen« und »Korporationen« eine Einsicht in den abstrakten Zusammenhang ihrer Auseinandersetzung miteinander zu ermöglichen (Durkheim 1893; Abbott 1988). In Georg Simmels (1858-1918) bewusst voraussetzungslos (also ohne Rekurs auf die Ökonomie) fragender »Philosophie des Geldes« (1900) bekommt die Ambivalenz das Gesicht der leeren Freiheit jener Individuen, die dem »Stil des Lebens« in der modernen Gesellschaft, wie das berühmte sechste Kapitel des Buches überschrieben ist, auf den Leim gehen und ihre eigene Individualität nach dem Muster jenes Geldes modellieren, das ohne einen eigenen Zweck indifferent und »unbedingt nachgiebig« jedem Zweck als Mittel sich andient (Simmel 1900, S. 591ff., Zitat S. 707). Simmels Interesse gilt dem Phänomen, dass das Geld sowohl in der Lage ist, traditionelle soziale Bindungen vor allem des Stammes, der Sippe, des Clans, der Familie aufzulösen, als auch neue soziale Bindungen etwa des Berufes, der Karriere oder des Unternehmens zu schaffen (ebd., Kap. 4). Vor dem Hintergrund dieses Interesses entwickelt er eine Werttheorie des Geldes, die im Wesentlichen zwei Momente betont, nämlich die Distanzierung des wirtschaftenden Subjekts vom Objekt (in der Erfahrung von Mangel, Verzicht, Opfer) und die Überwindung dieser Distanz durch den Tausch (ebd., Kap. 1). Der Wert des Geldes, so übersetzen wir, besteht darin, Knappheit erfahrbar und überwindbar zu machen, ohne, das ist der ent25
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scheidende Punkt, Gefahr zu laufen, das eine mit dem anderen zu verwechseln. Wer Knappheit erfährt, muss sie für überwindbar halten, jedoch eigene Anstrengungen darauf verwenden, dies im Einklang mit den Sitten und Gebräuchen der Gesellschaft auch zu schaffen. Der direkte Zugriff gilt nicht, denn er akzeptiert zwar die Zielsetzung, nicht jedoch die für das Erreichen des Zieles als legitim geltenden Mittel. In der Soziologie zweigt an dieser Stelle sowohl eine Innovationstheorie als auch eine Kriminalitätstheorie ab (Merton 1968, Kap. 7). Beider Pointe besteht darin, dass sie die von einer Gesellschaft im Hinblick auf ihre Wirtschaft für legitim gehaltenen Zweck/Mittel-Relationen nicht akzeptieren und entweder zugunsten neuer Zwecke (Innovation) oder zugunsten anderer Mittel (Kriminalität) variieren, wobei es sich die Gesellschaft vorbehält, zu definieren, ob es sich jeweils um das eine oder das andere handelt. Allerdings ist der Rekurs auf die in Politik, Recht und Organisation formalisierten Sitten und Gebräuche der Gesellschaft auch nichts anderes als eine Form der Invisibilisierung und Entfaltung der Paradoxie. Denn natürlich bleibt es dabei, dass das eigentliche Problem nicht in der Relationierung von Mitteln und Zwecken besteht, sondern in der Identität von Knappheitsreduktion und Knappheitssteigerung. Wer irgendeine Form der Knappheitsreduktion für sich vornimmt, muss damit rechnen, dass andere auf unvorhergesehene Ideen kommen, eine solche Reduktion auch für sich vornehmen zu können. Der Verfassungsrechtler Carl Schmitt hat daher zurecht darauf aufmerksam gemacht, dass die griechische Rede vom nomos erst dann zureichend zu verstehen ist, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass sich das Substantiv Nomos vom Verb Nemein ableitet und dass dieses ›Nehmen, Teilen und Weiden‹ bedeutet (Schmitt 1953). Jede Diskussion über die Wirtschafts-, Rechts- und Sozialordnung einer Gesellschaft hat daher nicht nur Fragen der Produktionsverhältnisse und Fragen der Distribution zu behandeln, sondern zuvor bereits Fragen des Zugriffs, des Nehmens, des Sich-Aneignens von Sachverhalten, die erst dadurch den Status der Knappheit erhalten. Der Nomos der gesellschaftlichen Sitten und Bräuche weiß genauer um die Paradoxie der Knappheit, als es der Sozialtheorie lange Zeit 26
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aufgefallen ist. Nichts war daher auch irreführender, worauf Schmitt verweist, als Ciceros (und später Rousseaus) Übersetzung von Nomos als Lex. Denn eine Paradoxie kann man weder verschreiben noch verordnen (so sehr die Familientherapie dann auch hierzu den Gegenbeweis antritt, Watzlawick 1988); man kann sie nur pflegen. Gabriel Tarde (1843-1904), unser dritter Klassiker der Wirtschaftssoziologie, bringt den soziologischen Einwand der Ambivalenz gegenüber den Wertsetzungen der politischen Ökonomie und ihrer Kritik dadurch auf den Punkt, dass er ebenso wie wenig später Max Weber die Wirtschaft als einen dauernden Streit um Werte begreift, der allerdings dadurch berechenbar wird und damit zivile Formen annimmt, dass diese Werte in ebenso wiederholbaren wie variierbaren Preisen (inklusive Löhnen) zum Ausdruck kommen, in denen, sofern sie bezahlt werden, der Streit schon geschlichtet ist (Tarde 1902). Tarde spricht nicht von einer Soziologie der Wirtschaft, sondern von einer »Psychologie économique«, weil es ihm darum geht, den gängigen Eindruck, wirtschaftende Akteure würden um den Besitz knapper Dinge konkurrieren, zugunsten der soziologischen Einsicht zu korrigieren, dass diese Konkurrenz ihrerseits die Form ist, in der die Gesellschaft und ihre Wirtschaft auf diese Akteure zugreift und sie zu dem macht, was sie sind (Tarde 1893). Der Mechanismus hierfür ist die rivalisierende Imitation, dank derer, siehe oben, die Akteure immer ausgerechnet das für knapp halten und deswegen haben wollen, was andere bereits haben und als knapp bezeichnen (Tarde 1895). Diese Idee der rivalisierenden Imitation beziehungsweise des »désir mimétique« ist durch René Girard in eine religiös konnotierte Anthropologie übersetzt und von Michel Aglietta und André Orléan jüngst für die Geldtheorie fruchtbar gemacht worden (Girard 1972; Aglietta/Orléan 1984, 2002). Bemerkenswerterweise verdankt Girard seine Einsicht nicht einer Tarde-Rezeption (zumindest nicht sichtbar), sondern der Lektüre zunächst von Romanen des 18. und 19. Jahrhunderts (Girard 1961) und später sowohl der griechischen Mythologie insbesondere des Sündenbocks als auch der christlichen Mythologie insbesondere der Nächstenliebe im Johannesevangelium und schließlich des Shakespeare27
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Theaters (Girard 1982; 1978; 1991). An allen diesen Orten spürt Girard eine Logik der Gewalt auf, die in der paradoxen Bewegung besteht, die Gewalt durch Knappheitszugriffe im weitesten Sinne des Wortes einerseits herauszufordern, ihr jedoch andererseits eine Ablenkung auf Objekte der Begierde zu bieten, die es der Gesellschaft ermöglicht, den Ausbruch der offenen Gewalt zu verhindern und sie inklusive ihrer Vermeidung stattdessen zum Stoff zu machen, aus dem die Gesellschaft gewoben ist. Diese Paradoxie der Gewalt ist für den theoretisch nicht vorbereiteten Blick genauso unbeobachtbar wie die Paradoxie der Knappheit (Baecker 1993/1994; 1996), aber das hindert die eine wie die andere natürlich nicht daran, sowohl aufzufallen als auch zum Problem zu werden. Die Ambivalenz dieser vorgeführten, herausgeforderten und gebremsten Gewalt ist der Grund für eine »soziale Kohäsion«, die Aglietta und Orléan benennen, allerdings ohne sie für die Wirtschaft auf das Problem der paradoxen Operation der Knappheit zurückzubeziehen. Immerhin kann daraus eine Geldtheorie gewonnen werden, die das Geld als »Souverän« mimetischer Prozesse beschreibt, die im Mikrobereich der Orientierung auf Märkten eine ebenso große Rolle spielen wie im Makrobereich von Kreditmärkten und Währungspolitik (Aglietta/Orléan 1984; 2002; Dumouchel/Dupuy 1979; Attali 1981, S. 174ff.). Damit ist ein weiteres Mal die paradoxe Logik des Einschlusses eines ausgeschlossenen Dritten benannt, die uns in unserem Ausgangspunkt von der paradoxen Operation der Knappheit bestätigt, auch wenn die girardeske Analyse im Einzelnen einen anderen Weg nimmt und einen wesentlich dramatischeren Tonfall anstimmt als wir es hier tun. Die Bedeutung der Gewalt ist der Wirtschaftssoziologie nicht unbekannt. In einem seiner letzten Versuche, seine Überlegungen zu Wirtschaft und Gesellschaft zu bündeln und auf den Punkt zu bringen, in seinen »soziologischen Grundkategorien des Wirtschaftens« ebenso wie am Ausgangspunkt seiner späten »Wirtschaftsgeschichte«, definiert Max Weber (1864-1920) Wirtschaften als »friedliche Ausübung von Verfügungsgewalt« (Weber 1921a, S. 31; 1923, S. 1f.). Weber legt bei der Entfaltung dieser Definition ebenso großen Wert auf das Moment der Gewaltsamkeit als mögliches Mittel des Wirtschaftens (Weber 1921a, S. 31f.) wie 28
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darauf, dass man deswegen nicht auf die Idee kommen dürfe, Wirtschaft mit Gewalt identisch zu setzen: »Das Pragma der Gewalt ist dem Geist der Wirtschaft – im üblichen Wortsinn – sehr stark entgegengesetzt.« Und: Die durch den Rechtszwang eines mit Gewalt drohenden Staates »derart gewaltsam geschützte Wirtschaft selbst ist nicht: Gewaltsamkeit« (ebd., S. 32). Aber Zweifel sind erlaubt und werden von Weber, dem sicherlich in seiner Soziologie weniges ferner liegt, als etwas »im üblichen Wortsinn« zu verstehen, geteilt. Die Sekundärliteratur zu Webers Wirtschaftssoziologie rätselt bis heute, warum er seine Herrschaftssoziologie nach dem Abfassen der Kategorienlehre noch einmal neu geschrieben hat und bezweifelt zurecht, dass es eine gute Idee der Witwe war, die unterschiedlichen Texte Webers zum Thema aus dem Nachlass als zwei Teile eines Buches zusammenzubinden und als geschlossenes Werk unter dem Titel »Wirtschaft und Gesellschaft« herauszugeben (Schluchter 1989; Swedberg 2005a; Mommsen 2005). Weber muss durch die enge Nachbarschaft der beiden Termini der Gewaltsamkeit und der Friedlichkeit in seiner Definition der Wirtschaft in hohem Maße beunruhigt gewesen sein, beunruhigter jedenfalls, als es die Nacherzählung seiner »letzten Theorie des Kapitalismus« durch Randall Collins ahnen lässt, der die Gewalt überliest und stattdessen glaubt, ohne jede weitere Problemstellung die Institutionalisierung der Wirtschaft der Moderne mit Weber in der unternehmerischen Organisation des Kapitals, der rationalisierten Technik, der freien Arbeit, den unbeschränkten Märkten und der Entwicklungsnachhilfe durch einen bürokratisierten Staat feiern zu können (Collins 1980). Auch Friedrich H. Tenbruck sieht das Drama der Analyse Webers nicht in dessen paradoxer Fundierung der Wirtschaft in einer gesellschaftlichen Fassung friedlicher Gewalt, sondern darin, dass die von Weber mitgeführte Untersuchung der Wirtschaftsethik der Weltreligionen nichts Geringeres nach sich zieht als eine Auflösung der Vorstellung des Schöpfergottes und damit eine Entschärfung des Zwangs zu einer ethischen Vereinheitlichung des Handelns (Tenbruck 1975). Und auch Herbert Marcuse war viel zu sehr von der Beschränkung der von Max Weber analysierten Rationalität des Kapitalismus auf eine zwar notwendige, aber rein formale 29
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Vernunft sowie von ihrer prekären Verankerung in der Herrschaft der Bürokratie und in der Irrationalität des Charisma fasziniert, um der Paradoxie von Gewalt und Friedlichkeit noch Aufmerksamkeit zu schenken (Marcuse 1965). Soweit ich die Literatur überblicke, hat bisher niemand die von Weber gelegte Spur aufgenommen. Vielleicht hat das damit etwas zu tun, dass die Frage der Gewalt, siehe die girardeske Logik des Geldes, zu schnell in ein zu radikales Fahrwasser führt. Diese Radikalität ist zwar mit der Empirie wirtschaftlicher Phänomene der Weltgesellschaft bestens abgestimmt, und zwar gleichermaßen mit der Inklusionsgewalt der Verfügung über Produktionsfaktoren aller Art (Materie, Arbeit, Organisation, Information) wie mit der Exklusionsgewalt des Ausschlusses großer Teile der Weltbevölkerung, aber auch großer Teile von Weltsachbeständen, die nicht in den Genuss wirtschaftender Sorge und Vorsorge kommen, aus der Teilnahme an der Wirtschaft. Dennoch geht mit dieser Radikalität relativ rasch das Augenmaß und der Begriff dafür verloren, dass Wirtschaft eben nicht nur Gewalt, sondern auch Friedlichkeit mit sich bringt. Dass die Ausübung von Gewalt friedlich sein kann, ist das Phänomen, das mit Max Weber zu denken wäre und das auch Weber zu denken nicht gelungen ist, obwohl er mit den Denkfiguren der Askese (als Grundlage einer verzichtsfähigen und Erlösung versprechenden Wirtschaftsethik), der Unterscheidung von Binnenmoral (Zins nicht erlaubt) und Außenmoral (Zins erlaubt), der Rationalisierungsformen von Herrschaft (zur Bürokratie, gegenbalanciert durch politische Parteien) und nicht zuletzt einer angemessen temperierten bürgerlichen Kunst und Musik (zur Beherrschung dionysischer Neigungen) über eine ganze Palette von Möglichkeiten verfügte, den Frieden und die Gewalt nicht nur als Gegensatz, sondern zugleich als Zusammenhang, als Form einer Unterscheidung zu sehen. Wie auch immer, wir greifen Webers Definition hier auf und bauen sie in unseren Ausgangspunkt der Beschreibung der paradoxen Operation Knappheit mit ein. Wir halten fest, dass dem Knappheitszugriff ein Aspekt der Gewaltsamkeit eignet, insofern er sich unterwirft, worüber er verfügt, seien es die Dinge, die bearbeitet werden, die eigene oder fremde Arbeitskraft, die dafür in 30
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Anspruch genommen wird, oder auch eine bestimmte Gegenwart (das Mittel zum Zweck), eine bestimmte Zukunft (festgelegt auf einen bestimmten Zweck) und eine bestimmte Vergangenheit (die Erfahrungen, die man behauptet gemacht zu haben, um nun so und nicht anders mit Gegenwart und Zukunft umzugehen), die dafür in die passende Form gebracht werden. Wir halten fest, dass dem Knappheitszugriff auch insofern ein Aspekt der Gewaltsamkeit eignet, als er ausschließt, dass andere zugreifen, während man selber zugreift, so sehr auch immer die dazu vorgenommenen Vorkehrungen (Mauern, Zäune, Schließfächer, Recht und Polizei) den Blick auf die Gewalt entweder ablenken oder auf sich ziehen. Wir halten fest, dass als Ausübung von Gewalt auch wahrgenommen werden kann, wenn Ignoranz und Rücksichtslosigkeit, Indifferenz und Nachlässigkeit an die Stelle wirtschaftender Fürsorge treten, wovon insbesondere die sozialistische Arbeiterbewegung, feministische Emanzipationsbewegungen und ökologische Bewegungen des Naturschutzes ein Lied singen können. Und wir halten fest, dass all dem auf der anderen Seite immer wieder erstaunliche Bemühungen um Friedfertigkeit entsprechen, eine mit der Ausdifferenzierung der Wirtschaft einhergehende Geschichte sozialer Innovationen, die noch nicht geschrieben ist (und wenn, hat es niemand gemerkt, weil eine solche Geschichte schnell als apologetisch diskriminiert würde). Schon die gerade genannten sozialen Bewegungen laufen in einem intern nicht unumstrittenen, aber doch erkennbaren Ausmaß darauf hinaus, dem ökonomischen Kalkül eher zu unterwerfen, was sich ihm bisher entzieht, als etwa dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft auf Arbeit, Frauen und Natur gar nicht mehr zugreifen darf. Es geht eher darum, den richtigen, auch den Ansprüchen an nachhaltige Reproduktion Rechnung tragenden Preis für Lohnarbeit, Inklusion von Frauen und Naturverbrauch zu finden, als zu sagen, hier hätte Wirtschaft nichts zu suchen. Aber darüber hinaus gilt eben auch für jede Unterwerfung unter die Verfügungsgewalt, dass sie mit friedlichen Mitteln zu geschehen hat, das heißt in der Gesellschaft keinen Anstoß erregen darf und intern bei Strafe der Verdammung zu tyrannischer Herrschaft mit Xenophons Sophrosyne, den mysteries of moderation (s.o.) sich ins Be31
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nehmen zu setzen hat. Dass die Gewaltausübung in diesem Sinne zivilisiert, ist das gesellschaftliche Faktum der Formierung von Wirtschaft, das aus dem Blick gerät, wenn man entweder mit der politischen Ökonomie die Wohlfahrtssteigerung oder mit ihrer Kritik die Klassenherrschaft bereits für Letztaussagen einer Gesellschaftstheorie der Wirtschaft hält. Je nach Bedarf wird man an jeder Formalisierung Spuren der Gewalt wiedererkennen können, aber es ist soziologisch fruchtbarer, sich jeweils anzuschauen, welche konkrete und grundsätzlich zweiseitige Form diese Gewalt hat (Stinchcombe 1986; 2001), als sie als solche für moralisch schlecht zu halten und zu denunzieren. Und es ist soziologisch fruchtbarer, sich die Kompromissbereitschaft der Gesellschaft in Sachen Gewaltausübung, wenn nur der Schein der Friedfertigkeit gewahrt bleibt, anzuschauen, als von vornherein darauf zu bestehen, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Selbst die Friedensforschung verfügt über einen Gewaltbegriff, der diese weder absolut setzt noch auf eine scheinbar eindeutige physische Gewalt reduziert, sondern sie dort lokalisiert, wo sie soziologisch ihren Ort hat: nicht auf der Seite einer blinden Negation des Friedens, sondern in der wachsamen Nachbarschaft des Friedens (Galtung 1969; 1990). Eine der interessantesten Reflexionen auf die Knappheitsparadoxie der Wirtschaft schließlich ist die von Marcel Mauss (18721950) mit seinem Aufsatz »Essai sur le don« (1923/24) initiierte Diskussion der Frage, ob es nicht Alternativen zum liberalen, individualistischen und utilitaristischen Paradigma des Markttausches gibt, die sich nicht an den Ideen des Verzichts, des Sparens, des Interesses und der Berechnung orientieren, sondern an den Ideen der Freigiebigkeit, der Großzügigkeit und der Verschwendung. Mauss glaubt, eine solche Alternative bei den Trobriandern im ozeanischen Papua-Neuguinea gefunden zu haben, deren System eines Gabentausches Bronislaw Malinowski (1884-1942) in seinem Buch »Argonauts of the Western Pacific« (1922) ausführlich beschrieben hat. Das für unsere Diskussion interessante Phänomen ist hier der so genannte Kula-Tausch, der die natürlich gegebene Geographie der in einem Kreis angeordneten Inseln dazu ausnutzt, in beiden Richtungen zeremonielle Gegenstände, im Uhrzeigersinn Halsketten aus roten Muscheln (soulava) 32
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und gegen den Uhrzeigersinn Armbänder aus weißen Muscheln (mwali), zwischen definierten Partnern zirkulieren zu lassen. Das System dieses Gabentausches erlaubt es, zwischen den Stämmen Tauschpartner einander zuzuordnen, die darauf angewiesen sind, Kontakt zueinander zu halten, weil die Halsketten und die Armbänder magische Gegenstände sind, deren Besitz begehrt, deren Weitergabe nach angemessener Frist jedoch Pflicht ist. Der ganze Stamm weiß darüber Bescheid, wer gerade im Besitz welcher unterschiedlich berühmten, das heißt begehrten Gegenstände ist, und kann die Geschichte des Stammes anhand des Schicksals der Gegenstände erzählen. Der einzelne Teilnehmer am Tauschsystem muss sich zwar an die Richtung der Weitergabe halten, kann aber unter verschiedenen ihm zugeordneten Partnern in den anderen Stämmen auswählen, um zu entscheiden, wem er seine nächsten Geschenke macht. Denn die Weitergabe geschieht als Geschenk. Daher der Name »Gabentausch«. Das Geschenk geschieht freiwillig, verpflichtet jedoch denjenigen, der es erhält. Über das Geschenk wird nicht verhandelt, doch wenn es als unzureichend gilt, muss der Schenkende damit rechnen, dass sich der Beschenkte rächt, indem er einen auf solche Fälle spezialisierten Magier – der »älteste aller Berufe«, sagt Weber (1923, S. 8, Anm. 2) – beauftragt, Unheil über den Schenkenden zu bringen. Die Geschenkübergabe ist hochgradig ritualisiert, immerhin bewegt man sich in fremdem und damit magisch unsicherem Land, und bietet, darauf kommt es dann ›ökonomisch‹ an, Gelegenheit zum Tausch mannigfacher Gebrauchsgegenstände. Das Geschenk ist freiwillig, nur gebunden an die zeitlich flexible und die Adressaten untereinander vergleichende Reziprozitätsregel der Erwiderung bereits erhaltener Geschenke (und nicht nur der eigene Stamm, sondern auch die anderen Stämme schauen zu), und schafft so Gelegenheit zum eigentlich ökonomischen Tausch, der außerhalb des Kula-Tausches nicht stattfinden könnte (Malinowski 1921; 1922). Die Pointe an diesem System ist, dass ein umfassendes Sozialkalkül des Status und Prestiges des einzelnen Tauschpartners erforderlich ist (vgl. auch Strathern 1971), um eine Entscheidung darüber treffen zu können, zu welchen Tauschpartnern vor dem 33
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Hintergrund welcher Geschichte und angesichts welchen aktuellen Bedarfs an Gebrauchsgegenständen aller Art welche Art von Beziehung aufrechterhalten wird, um einen Handel zu ermöglichen, der jeweils große Teile der beteiligten Stämme in Anspruch nimmt, von aufwendigen Prozeduren des Kanubaus begleitet ist und im Schutze mannigfacher Riten und Tabus stattfindet. Was die Ethnologen an diesem System begeistert, ist der Umstand, dass nicht der Tausch der Gebrauchsgegenstände im Vordergrund steht, sondern die ebenso herausfordernde wie einladende Darstellung von Reichtum, Potenz und Festlichkeit (Essen, Tanz und Liebesdienste), die darauf zielt, sich aneinander zu messen, einander zu beeindrucken, einander zu respektieren – und wieder in Ruhe zu lassen. In diesen Tauschakten führt der Stamm sich sich selbst und seinem Gegenüber in seiner gesamten sozialen Existenz, in seiner Kunstfertigkeit und Geschicklichkeit, in seinem Einklang mit den Göttern und Geistern vor und muss mit dem Ergebnis dessen, was er dabei zu sehen bekommt, zufrieden sein. Andernfalls, vor allem dann, wenn man beim Kula zu erfolgreich ist, droht der Tod durch Hexerei. Seinen Frieden, sagen die Insulaner, findet nur der, der durchschnittlich bleibt (Malinowski 1922, S. 360). Währenddessen jedoch herrscht auch hier »a deep desire to possess« (ebd., S. 510), übrigens geschützt durch starke Gesten der Geringschätzung der ausgetauschten Gegenstände (man übergibt sie sich nicht, sondern man wirft sie weg) (ebd., S. 352), so dass man vermuten darf, dass auch der Gabentausch nichts anderes ist als eine Form der Kommunikation von Knappheit im präzisen paradoxen Sinn der Insinuierung von Knappheit durch Überfluss und damit eines Nutzenkalküls durch die Forderung, während der Knappheitszugriffe der anderen sowohl zuzuschauen als auch die eigene Bedürfnisbefriedigung zu planen. Das ist rivalisierende Imitation, le désir mimétique at its best, die beide, die Imitation wie die Rivalität, auch darin ihren Ausdruck finden, dass Erfolg im Gabentausch nicht der Großzügigkeit des Schenkenden, sondern der magischen Kraft des Beschenkten zugerechnet wird. Zu diesem Ergebnis kommt auch Marcel Mauss. Der Gabentausch der Trobriander und ganz ähnlich der Potlatch nordwest34
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amerikanischer Indianer (ebenfalls eine Form der Konkurrenz um Status durch die Dokumentation von Großzügigkeit durch Verschwendung) sind keine Alternative zum liberalen Markttausch, sondern der Beweis, dass wirtschaftliches Handeln eine Form der Durchsetzung und Bewältigung von Knappheit ist, die die gesamte Gesellschaft mit allen ihren Ressourcen (Kunstfertigkeit, Organisationsfähigkeit, Einfallsreichtum und magische Formen der Versicherung gegen Folgeschäden) in Anspruch nimmt (Mauss 1923/24). Der »verfemte Teil«, wie Georges Bataille in seiner gleichnamigen Studie »La part maudite« (1949) diesen mit seiner Großzügigkeit herausfordernden Einsatz von Überfluss nennt, ist keine Alternative zur Wirtschaft, wie wir sie zu kennen glauben, sondern ein Beleg dafür, dass es verschiedene Formen der Entfaltung ihrer grundlegenden Knappheitsparadoxie gibt, die in jedem Fall darauf angewiesen ist, Knappheit und Überfluss als die beiden Seiten einer Unterscheidung zu behandeln und zu kommunizieren. Auch die Reziprozitätsregel ist daher keine Alternative zur Wirtschaft, sondern eine Form desselben, so sehr man dann auch Anlass dazu haben mag, sich in einer Gesellschaft, die der Statuskonkurrenz ein größeres Gewicht gibt als dem anonym bleibenden Nutzenkalkül, vielleicht weil es in ihr vornehmer, nämlich aristokratischer zugeht, wohler zu fühlen als in einer der Gleichheit huldigenden Marktgesellschaft. Empirisch mag sich der Stil der jeweiligen Gesellschaft dramatisch unterscheiden, strukturell ändert sich nichts (Gouldner 1960; Kranton 1996). Im Gegenteil, wir haben allen Anlass, auch unsere Marktgesellschaft zum einen daraufhin zu prüfen, wie sie mit Reziprozitätsregeln umgeht, und uns zum anderen umzuschauen, in welchem Ausmaß sowohl individuell als auch kollektiv, vor allem in der Kommunikation in und zwischen Organisationen und Netzwerken, die Statuskonkurrenz nicht nur folkloristisch auffällig, sondern funktional als Initiationsstruktur und Rahmung einschlägig ökonomischer Interessen und Geschäfte unverzichtbar ist. Je eindeutiger auf der Linie solcher Überlegungen die Schlussfolgerung ist, dass die Wirtschaft der Gesellschaft, verankert in der Operation Knappheit, eine so genannte Einmalerfindung ist (vergleichbar dem Leben, dem Bewusstsein oder der Gesellschaft 35
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selber), die intern variiert werden kann, zu der es jedoch keine Alternative gibt, desto interessanter wird jede Reflexionsfigur der Wirtschaft, die dieses noch zu beobachten und zu formulieren erlaubt. Jacques Derridas Idee der »unmöglichen Gabe« hat hier ihren Platz: Man kann nicht schenken, so Derrida in seinem Buch »Donner le temps« (1991), ohne damit eine Rechnung aufzumachen, die die Zeit, das Soziale und das eigene Leben nicht nur in Anspruch nimmt (das ließe sich vielleicht noch verschmerzen, wenn man die Absicht hat, sich außerhalb der Ökonomie zu bewegen), sondern – schlimmer – allererst konstituiert. Man schenkt – und alle fangen an zu rechnen. An der zynischen Form des Geschenkes, die Charles Baudelaire in seinem Prosagedicht »La fausse monnaie« berichtet, in dem der Freund einem Bettler ein scheinbar besonders wertvolles Stück Falschgeld gibt und sich an dessen überraschter Freude und daran, dass diesem plötzlichen Überfluss keinerlei Knappheitsreduktion folgen wird, weidet (Baudelaire 1869, XXVIII), führt Derrida vor, dass die Alternative zur Ökonomie nur in einem Geschenk besteht, das uno actu gegeben, empfangen und vergessen wird, die »unmögliche Gabe«.
3. Ansätze zu einer neuen Wirtschaftssoziologie Wer sich mit der aktuellen Wirtschaftssoziologie beschäftigt, ahnt nur wenig von diesem Knappheitsdrama, das von der Wirtschaft der Gesellschaft inszeniert und ausgebeutet wird. Schon deswegen greifen wir hier und im Folgenden nicht nur auf die einschlägige Literatur, sondern auch auf die allgemeine soziologische Theorie, insbesondere auf Niklas Luhmanns Systemtheorie, Harrison C. Whites Netzwerktheorie und Talcott Parsons’ Handlungstheorie zurück, weil wir andernfalls Gefahr laufen, vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr zu sehen. Wir korrigieren damit eine auch in der Wirtschaftssoziologie, etwa von Klaus Heinemann, bedauerte zu weite Ausdifferenzierung der Teildisziplin aus der allgemeinen Soziologie und deren Theoriediskussion (Heinemann 1987). Die Einbettung der Wirtschaft in die Gesellschaft wird allzu pauschal, nämlich über den Begriff der Einbet36
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tung selber, abgefunden, um sich dann nur noch damit zu beschäftigen, dass die von Ökonomen im Rahmen ihres Kalküls konstant gesetzten Präferenzen, Restriktionen und Situationsdefinitionen in Wahrheit Variablen sind, die mit der Gesellschaftsstruktur unterschiedliche Werte annehmen (ebd., S. 21ff. und 40ff.). So richtig dieser Ansatz ist, so sehr unterbietet er doch, dass von den Klassikern und der allgemeinen soziologischen Theorie auch zu lernen wäre, bereits die Markierung von Präferenzen und Restriktionen für soziale Konstruktionen im Rahmen der Wirtschaft der Gesellschaft zu halten. Die Wirtschaftssoziologie hat die Anregungen von Durkheim, Simmel, Tarde, Weber und Mauss jahrzehntelang in der denkbar schwächsten Form tradiert und kontinuiert, nämlich in der Form einer mal zaghaften, mal angriffslustigen Distanzierung gegenüber sowohl der ökonomischen als auch der marxistischen Theorie. Man legt großen Wert auf eine reichhaltige empirische Sozialforschung vor allem im Umkreis der Beschreibung von Tauschund Marktphänomenen einerseits (Marktsoziologie) und Konflikten zwischen Arbeit und Kapital andererseits (Arbeits- und Industriesoziologie), bemüht sich jedoch nur selten darum, ein mögliches Paradigma der Wirtschaftssoziologie auch zur Formulierung einer eigenen Wirtschaftstheorie zu nutzen. Man begnügt sich mit einem paradigmatischen Status, der sich allgemeiner soziologischer Konzepte, etwa der Begriffe der Norm, der Rolle, des Konflikts, neuerdings auch des Netzwerks, des Geschlechts und der Kognition, bedient, um sich nicht in die utopischen Wertsetzungen (Ideologien) der Ökonomen und Marxisten verwickeln zu lassen – und lässt dabei den Gedanken mitlaufen, dass auch diese Begriffe der Bemühung der Klassiker entspringen, Beobachtungsinstrumente einer scheinbar von der Wirtschaft dominierten Gesellschaft zu gewinnen, die die Vermutung dieser Dominanz kritisch zu prüfen erlauben (Granovetter 1985; Martinelli/Smelser 1990; Swedberg/Granovetter 1992; Smelser/Swedberg 1994; Swedberg 1996; Guillen et al. 2002; Biggart 2002; Dobbin 2004a). Die Wirtschaftssoziologie ringt sich jedoch erst jüngst wieder dazu durch, die eigene Theoriealternative nicht nur negativ, sondern auch positiv zu formulieren. Dabei spielen die Arbeiten von Richard Swedberg eine wichti37
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ge Rolle, der nicht nur im Anschluss an Mark Granovetters Überlegungen zu einer »Theory of Embeddedness« (Granovetter 1985; vgl. Zukin/DiMaggio 1990; kritisch Krippner 2001; Krippner et al. 2004) eine »new economic sociology« ausgerufen hat, die sich von der vermeintlichen Gegenüberstellung von »Wirtschaft« und »Gesellschaft« löst und sich wieder mit dem »Kern ökonomischer Phänomene« beschäftigt (Swedberg 1987), und nicht nur erhellende Gespräche mit Soziologen und Ökonomen über die Möglichkeit eines präziseren Austausches zwischen diesen beiden Disziplinen geführt hat (Swedberg 1990), sondern nicht zuletzt und vor allem im Anschluss an Max Weber dafür wirbt, die spezifisch soziologischen Möglichkeiten zur Ausarbeitung einer »Theorie des Kapitalismus« zu nutzen (Swedberg 1998; 2003a; 2005b). Dabei steht der Begriff des Interesses im Zentrum der Aufmerksamkeit, weil Interessen zugleich auf die gegebene Struktur, die Möglichkeiten und Einschränkungen einer Wirtschaft, und auf die Möglichkeiten und Schwierigkeiten eines Akteurs, seine Interessen zu erkennen, ihnen zu folgen, sie durchzusetzen und zu legitimieren, verweisen und damit wirtschaftliches Handeln und soziale Struktur in einen Begriff zusammenziehen (Swedberg 2005c). Swedberg verspricht sich und uns davon nicht zuletzt eine Reflexion auf die eigenen Interessen auch der Wirtschaftssoziologie und damit auch eine Klärung ihrer politischen Reichweite (Swedberg 2003b). Mir scheint, dass dieser Ansatz mit dem hier vorgelegten Ansatz kompatibel ist, wenn man sich darum bemüht, die Interessenstruktur des »Kapitalismus« unter dem Gesichtspunkt der Kommunikation von Knappheit, das heißt der Formierung der Interessen, der Selektivität ihrer Durchsetzung, ihrer Legitimation in den Augen von Beobachtern (zu denen man nicht zuletzt immer auch selbst gehört) und ihrer kulturellen, technischen und ökologischen Folgen zu untersuchen und zu beschreiben. Tatsächlich liegt zu einem solchen Programm eine Fülle von empirischen Forschungserträgen und Modellüberlegungen vor (vgl. die Übersicht bei Smelser/Swedberg 2005; Beckert/Zafirovsky 2005), die jedoch aus ihrem gegenwärtigen Status der paradigmatisch losen Kopplung (Soziologie besteht immer auch darin, sich nicht wirklich festzulegen – darin ist sie ihrem Gegenstand, der Gesell38
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schaft, am nächsten) erst wieder befreit werden müssen, um sie strategischen Überlegungen zugänglich zu machen, die sich nicht an Disziplinengrenzen (also an universitären Empfindlichkeiten), sondern an der Möglichkeit einer aufschlussreichen Theoriearbeit orientieren (Abell 2003). Es mag helfen, sich dabei der Ambivalenz wirtschaftssoziologischer Aussagen nicht nur reflexhaft, sondern auch reflektiert zu vergewissern, um Klarheit darüber zu haben, dass die Wirtschaft eine umstrittene soziale Konstruktion in einer um Transparenz und Intransparenz gleichermaßen bemühten Gesellschaft ist, in der jede Identitätsaussage über Akteure und Strukturen, Werte und Situationen, Chancen und Risiken im Gewande ihrer eigenen Moderierbarkeit und Modifizierbarkeit daherkommt (Piore 1996; Carruthers/Uzzi 2000; Ventresca/Levin 2004; und grundsätzlich: Leifer 1991; 2002). Aber wichtiger noch ist die Klärung der Grundbegriffe, mit denen man arbeitet und von denen sich herausstellen kann, dass sie nicht mehr dieselben sind wie diejenigen der soziologischen Klassik. Die jüngere Soziologie hat die klassischen Begriffe der Handlung, der Norm, der Sanktion, der Rolle und der Struktur mithilfe neuerer Begriffe wie System und Feld, Netzwerk und Kommunikation tiefer gelegt, um ein höheres analytisches Auflöse- und Rekombinationsvermögen zu erreichen. Sie reagiert damit nicht nur auf den empirischen Befund einer komplexen Gesellschaft, sondern auch auf direkte und indirekte Theoriebemühungen zur Beschreibung des Sozialen, die sich in den Nachbarwissenschaften der Psychologie (insbesondere in der Psychoanalyse und Sozialpsychologie, aber neuerdings auch in der Kognitionspsychologie), der Biologie (insbesondere in der Ethologie, siehe nur die Forschung zum »mindreading« beziehungsweise zur »machiavellian intelligence« auch unter Affen, Raben und Kindern; Whiten 1991; Byrne/Whiten 1988; Whiten/Byrne 1997), der Ökonomie (insbesondere in den Evolutionary economics und in den Economics of information and risk), der Geographie (insbesondere in den Regional studies) und neuerdings der Neurophysiologie (insbesondere in den so genannten Neuroeconomics) finden lassen. Die klassischen Begriffe werden damit nicht hinfällig, aber sie werden vor dem Hintergrund einer analytischen und syntheti39
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schen Theoriefolie rekonstruiert, die wesentlich mehr Gewicht als je zuvor auf die Fragen der Konstitution und Konstruktion der elementaren Einheiten des Sozialen legt. Interessanterweise führt dies zugleich zur Schärfung des Problembewusstseins jeder Theorie des Sozialen, weil diese Fragen der Konstitution und Konstruktion elementarer Einheiten des Sozialen weder reduktionistisch behandelt werden, also nicht auf psychologische, biologische, chemische und physikalische Problemstellungen zurückgeführt, noch als emergente Phänomene bloß bewundert und hingenommen, sondern in ihrer differentiellen und temporalen Unwahrscheinlichkeit ernst genommen werden. Wie konstituiert sich ein Phänomen in der Nachbarschaft anderer Phänomene (für die dasselbe gilt)? Und: Wie konstruiert sich ein Phänomen so, dass es sich im Zeitablauf immerhin so weit wiedererkennbar erhält, dass es erwartet, dass auf es Bezug genommen und dass so etwas wie eine Veränderung zur Kenntnis genommen werden kann? Differenz und Wiederholung sind nicht nur in der Philosophie (Deleuze 1968), sondern auch in der Soziologie (Luhmann 1980a) die beiden abstraktesten Gesichtspunkte, an denen eine Theoriekonstruktion Maß nehmen kann, für die nicht zuletzt ebenfalls gelten muss, dass sie sich von anderen Konstruktionen unterscheiden und dass sie wiederholbar variiert werden kann. Wir haben bereits darauf hingewiesen (Kap. I/1), dass für die vorliegende Einführung in die Wirtschaftssoziologie eine Problemstellung maßgebend ist, die das Sachproblem der Wirtschaft, genauer: des Wirtschaftens, zugleich als Sozialproblem und als Zeitproblem zu fassen erlaubt. Wir sprechen davon, dass die soziale Funktion der Wirtschaft nicht etwa in der möglicherweise bloß sachlichen oder technischen Bewältigung der Knappheitsproblematik besteht, sondern in der Kommunikation von Knappheit, die als solche ja erst einmal dazu präpariert und profiliert werden muss, um zum Orientierungspunkt von Handlungen und Interessen, Beobachtungen und Erwartungen werden zu können. Die Ideen der rivalisierenden Imitation beziehungsweise des désir mimétique dienen uns dazu, diesen sozialen Bezugspunkt wirtschaftender Orientierungen festzuhalten, bevor wir uns im Einzelnen darum kümmern, welche Form diese soziale Orientierung bei der Kommunikation im Medium des Geldes, in den Netzwer40
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ken der Märkte und auf den Karriereleitern der Organisationen annimmt. Wir müssen nun noch die temporale Dimension explizit machen und können dann diskutieren, welche soziologische Theoriekonstruktion wir dieser Einführung in die Wirtschaftssoziologie zugrunde legen. Interessanterweise gehört die Frage der zeitlichen Konstruktion des Wirtschaftens zu den eher selten behandelten Themen soziologischer wie auch ökonomischer Forschung, so selbstverständlich man davon ausgeht, dass sie eine Rolle spielt, und so eindeutig auch die Antwort ausfällt, die man auf diese Frage gibt, wenn man sie erörtert. In der ökonomischen Theorie läuft die Bestimmung der temporalen Dimension wirtschaftlichen Handelns in der Grundlegung der Grenznutzentheorie bei Carl Menger ebenso wie in der Grundlegung der Makroökonomie bei John Maynard Keynes über den Begriff der Erwartung im Allgemeinen und des Treffens von Vorsorge im Besonderen (Menger 1871, Kap. 2; Keynes 1936, S. 46ff. und 147ff.; Morgenstern 1934). Ebenso optieren in der Soziologie Max Weber und Niklas Luhmann. Als wirtschaftlich gilt ein Handeln dann, wenn es sich an der »Fürsorge für begehrte Nutzleistungen oder Chancen der Verfügung über solche« orientiert (Weber 1923, S. 1; 1921a, S. 31). Luhmann formuliert noch 1970, dass sogar das »Grundproblem« der Wirtschaft in der Zeitdimension liege, denn das Wirtschaften richte sich nicht direkt auf die Bedürfnisbefriedigung, sondern auf die »Möglichkeit, eine Entscheidung über die Befriedigung von Bedürfnissen zu vertagen, die Befriedigung trotzdem gegenwärtig schon sicherzustellen und die damit gewonnene Dispositionszeit zu nutzen« (Luhmann 1970, S. 206). Dabei geht es nicht nur darum, auf die Bedürfnisbefriedigung jetzt zu verzichten, um sie morgen umso mehr zu genießen, sondern vor allem um den Gewinn an Zeit, die für Produktion und Sparen (also Kapitalbildung) ebenso genutzt werden kann wie für die Verhandlung mit Mitgliedern des Haushalts, Mitarbeitern des Unternehmens und Geschäftspartnern (Luhmann 1981, S. 398f.). Es liegt auf der Hand, dass diese Bestimmung der temporalen Dimension wirtschaftlichen Handelns als Vorsorge für zukünftige Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung im Horizont eines gegenwärtigen, als Aufschub gewerteten Verzichts auf Bedürfnis41
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befriedigung bestens mit der Knappheitsformel abgestimmt ist, fasst sie doch das Erleben und Bewirken von Knappheit (gegenwärtiger Verzicht) mit der Aussicht auf eine Reduktion der Knappheit (zukünftige Bedürfnisbefriedigung) in eine und dieselbe Operation. Die Zukunftsorientierung wirtschaftlichen Handelns ist daher auch für die Entparadoxierung und damit Operationalisierung der Knappheitsparadoxie so wesentlich wie die Sozialdimension der rivalisierenden Imitation und die Sachdimension der Knappheit selber. Denn sie erlaubt es, das Paradox auf die beiden Momente der Knappheitssteigerung heute und der Knappheitsreduktion morgen zu verteilen, und dabei sogar einen notwendigen Zusammenhang zu beobachten und in Rechnung zu stellen, ohne über die Paradoxie dieses Zusammenhangs stolpern zu müssen. Im Gegenteil, hier wie auch andernorts gilt gerade jener Zusammenhang als sinnvoll, dessen Paradoxie man zwar ahnt, aber nicht auf den Punkt bringt, sondern für die Produktion von Überlagerungen, Redundanzen nutzt, die dabei helfen, das Aktuelle vom Potentiellen zu unterscheiden und Bezüge zwischen dem einen und dem anderen herzustellen. Mehr ist weniger, und weniger ist mehr, ohne dass man wüsste oder genauer wissen wollte, woran das liegt; aber es eröffnet einen Raum der Imagination von Möglichkeiten, die man sich andernfalls nicht vorstellen könnte (Deleuze 1969; Barel 1979; Luhmann 1996). Man kann daher mit Goethes »Faust: Der Tragödie zweiter Teil« bedauern, dass die Sorge den Verlust jeden Gefühls für Schönheit, Sicherheit und Genuss nach sich zieht, man kann aber auch, in einer schwierigen Volte des Arguments, dem die Interpreten bis heute auf die Spur zu kommen versuchen, vorführen, dass die Sorge denjenigen blind werden lässt, der sich auf ihre deprimierende Botschaft nicht einlässt (Goethe 1832, Szene »Mitternacht«; Binswanger 1985, S. 65ff.; Schöne 1994, S. 739ff.). Man kommt also nicht darum herum, die Sorge, das heißt die Kommunikation von Knappheit durch die Wirtschaft der Gesellschaft, zu akzeptieren und auf dieser Grundlage nicht mehr naiv, sondern zunächst sentimentalisch (Schiller 1795), dann ironisch (Schlegel 1800) die verlorenen Gefühle für Schönheit, Sicherheit und Genuss zu rekonstruieren und zu hoffen, die deprimierende 42
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Sorge produktiv werden zu lassen. Die Monetarisierung der Wirtschaft, so sagt Luhmann, erlaubt keine statische Stabilisierung der Wirtschaft mehr, die gleichsam tagsüber wirtschaften und abends sowie an Feiertagen die Schönheit, die Sicherheit und den Genuss erleben lässt; sie erlaubt nur noch eine dynamische Stabilisierung, in der kein Moment mehr vor dem wirtschaftenden Vergleich mit seinen Kosten und mit seinen anderen Möglichkeiten sicher ist (Luhmann 1988a, S. 196). Deswegen war Max Weber so beeindruckt von Benjamin Franklins ebenso schlichter wie präziser Devise »Zeit ist Geld« (Weber 1920/21, Bd. 1, S. 32ff.). Seither kann man eine naive, eine sentimentalische und eine ironische Form des Umgangs mit dem Knappheitskalkül unterscheiden: den naiven Konsum, der nicht wirklich wählt, sondern Impulsen und Genüssen nachgibt, und dabei nachahmt, was die Wirklichkeit zu bieten hat (Schiller 1795, S. 311); die sentimentalische Produktion, die reflektiert, was geschieht, wenn man sich von einer Idee leiten lässt und die Wirklichkeit immer als Grenze erfährt (ebd., S. 312), und die ironische Finanzierung, die im Nichtwissen besser weiß, die entscheidenden Punkte jedoch im Dunklen lässt und darauf vertraut, dass die Wirtschaft sich selbst besser versteht als jeder, der glaubt, sie für seine Zwecke einsetzen zu können (Schlegel 1800; Benjamin 1920). Der soziologische Grundbegriff, mit dem wir im Folgenden arbeiten, ist der Begriff der Kommunikation. Wir rekurrieren auf Arbeiten, die bislang, mit der wichtigen Ausnahme von Niklas Luhmann, eher außerhalb der Soziologie vorgelegt worden sind, um diesen Begriff zur Beschreibung sowohl der spezifischen sozialen Operation schlechthin als auch des strukturellen Zusammenhangs, auf den die soziale Operation rekurriert und den sie reproduziert, indem sie auf ihn rekurriert, verwenden zu können. Die wichtigsten Elemente einer so verstandenen Kommunikation sind (a) die Rekursivität, basierend auf der Wechselseitigkeit der Wahrnehmung der teilnehmenden Elemente (Ruesch/Bateson 1951); (b) die Einheit des Unterschieds von Inhaltsebene und Beziehungsebene (Watzlawick/Beavin/Jackson 1967); 43
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(c) die Selbstreferenz der Informationserarbeitung (von Foerster 1971; 1980; Luhmann 1984, Kap. 4), basierend (d) nicht auf einem Übertragungsbegriff, sondern einem Selektionsbegriff der Information (Shannon 1948; MacKay 1969), und (e) die Sinnform der Kommunikation, die Bestimmtes und Unbestimmtes übergreift und so in eine im Kontext der Gesellschaft sich selbst bestimmende Beziehung setzt (Luhmann 1997, S. 36ff.). Wir nennen diesen Begriff hier, ohne ihn zu entwickeln (Baecker 2005). Für uns ist nur wichtig, dass wir mit ihm eine Unterfütterung unserer Knappheitsanalyse haben, die die Knappheit sowohl als Operation als auch als Struktur zu fassen erlaubt. Mit dieser Unterfütterung postulieren und entfalten wir die Knappheit als eine selbstähnliche Form, die sich auf den unterschiedlichen Ebenen unseres Phänomens (Mikroebene wirtschaftlichen Handelns, Mesoebene wirtschaftender Organisationen und Makroebene des Wirtschaftssystems) identisch, das heißt in derselben Form der differentiellen und temporalen Kommunikation von Knappheit, wiederfinden lässt und je nach analytischem Bedarf und synthetischem Entwurf als Operation oder als Struktur beobachtet werden kann. Mit dieser Theoriefigur einer selbstähnlichen Form der Knappheitskommunikation kombinieren wir mehrere jüngere soziologische Theorieinteressen, die zum einen darauf bestehen, dass die soziologische Erklärungsleistung auf ein System zielt, das vom Handeln individueller Akteure generiert und reproduziert wird, ohne dass dieses Handeln das System intendieren müsste (Coleman 1990, Kap. 1; Abell 2000a; für wirtschaftliches Handeln: Beckert 1999), die sich jedoch zum anderen vorstellen können, dass die Überbrückung der durch dieses Postulat der Nicht-Intentionalität entstehenden Mikro/Makro-Lücke nicht dem historischen Zufall überlassen bleibt, sondern die Form jener Selbstähnlichkeit annimmt, die dem Blick der Akteure verborgen bleibt, von der Soziologie jedoch identifiziert werden kann (Abbott 2001, S. 21ff. und 157ff.), und daher zum Dritten nach ei-
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nem Verständnis dieser Form suchen, das auf die Selbstorganisation entweder von Systemen oder von Netzwerken hinausläuft, je nachdem, welchen Wert man entweder auf die Grenzziehung (Systeme) oder auf die interne Kontrollstruktur (Netzwerke) legt (Luhmann 1984; White 1992). Wir können auch diese schnell unübersichtlich werdende Diskussion hier auf sich beruhen lassen und machen stattdessen einen Vorschlag, wie die Wirtschaft aus einer soziologischen Perspektive zu beobachten und zu beschreiben ist, wenn man (a) von der Operation Knappheit ausgeht, für diese Operation Knappheit (b) nach einem Medium der Kommunikation sucht, an dem sich das Handeln und Erleben der Wirtschaft orientieren kann, sich (c) darum bemüht, konkrete Strukturen zu identifizieren, nämlich Märkte, verstanden als Netzwerke, in denen sich diese Kommunikation reproduziert und variiert, und (d) davon ausgeht, dass all dies innerhalb eines Systems der Gesellschaft stattfindet, das sich seinerseits mithilfe dieser Operation, dieses Mediums und dieser Netzwerke reproduziert. Mithilfe der für die Beobachtung der Form von Unterscheidungen entwickelten Notation von G. Spencer Brown (1969) können wir dann nämlich Folgendes festhalten: Abbildung 1: Die Form der Wirtschaft
Wirtschaft =
Knappheit Geld Märkte Gesellschaft
Die Notation der »Operation Knappheit« in der Form einer mathematischen Gleichung hat den Vorteil, dass sie auf einen Blick anschaulich machen kann, was durch einen Text nur in umständlicher Linearität entwickelt werden kann. Sie hat darüber hinaus den Vorteil, dass wir uns Spencer Browns Verständnis einer Unterscheidung, markiert durch den Haken, , als Operation in einem mitlaufenden, durch die Unterscheidung aufgerufenen Kontext zunutze machen können. Jede der vier genannten Variablen
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der Gleichung, Knappheit, Geld, Märkte und Gesellschaft, ist das Produkt einer Unterscheidung, die im Rahmen der Form der Wirtschaft als konstant angenommen wird. Das heißt, wir rechnen mit einer Wirtschaft, in der es je unterschiedliche Ausprägungen für Knappheit, Geld, Märkte und Gesellschaft gibt, in der jedoch jede einzelne Variable nur bestimmt werden kann, wenn auch die anderen Variablen bestimmt werden. Keine Knappheit ohne einen Rekurs auf ein bestimmtes Geld, in dem das Knappgehaltene zugleich liquide gemacht wird; kein Geld ohne einen Rekurs auf Märkte, in dem Spiele rivalisierender Imitation gespielt werden können, die es erlauben, Entscheidungen über Konsum und Sparen, Produktion und Investition zu treffen; und kein Markt ohne einen Rekurs auf Gesellschaft, die in der Abstimmung mit anderen Phänomenen derselben Gesellschaft, mit Politik und Moral, Religion und Wissenschaft, Familie und Organisation, Technik und Kultur, im Blick behält, wo die Kommunikation von Knappheit ihren Ort hat und wo nicht. Drittens hat die Notation den Vorteil, dass sie unserem Kommunikationsverständnis entgegenkommt, indem die Form der Unterscheidung, bestehend aus den beiden Seiten der Unterscheidung, der Operation der Unterscheidung selbst, und dem durch die Operation hervorgebrachten Raum der Unterscheidung, Variablen in den Kontext von Konstanten setzt, ohne irgendeine Art von Kausalität zu postulieren. Bestimmt ist nur die Form der Unterscheidung insgesamt, unbestimmt bleiben ihre Variablen, die so das nötige Spiel erhalten, um sich in wechselseitiger Nachbarschaft im Rahmen ineinander geschachtelter Unterscheidungen selbst zu bestimmen. Und viertens zeigt die Notation, dass Kontexte ihrerseits als Operationen zu verstehen sind. Ein Blickwechsel genügt – und ein Kontext, an dem sich gerade noch eine Operation orientierte, erweist sich seinerseits als eine Operation, die sich einer Unterscheidung verdankt und damit ihrerseits einen Kontext voraussetzt. Der infinite Regress ist möglich, aber wenig praktikabel. An seine Stelle tritt der unmarked state, der offen gelassene Kontext, das Nichtwissen, das jede Kommunikation begleitet und veranlasst (Smithson 1989). Mit dieser Figur der Operationalisierung 46
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des Kontextes kommt die Spencer Brown’sche Notation linguistischen Interessen entgegen, die nicht mehr von Kontexten, sondern von Kontextualisierungen sprechen und diese an cues, an Hinweise, binden, die ebenso sehr aufgegriffen wie produziert, ausprobiert und modifiziert werden (Gumperz 1982; Auer 1992; Silverstein 1992; 1993; Lucy 1993). Man stellt sich eine solche Form der Unterscheidung am besten als den Attraktor oder Eigenwert einer nicht-linearen, rekursiven, dynamischen Gleichung vor (von Foerster 1974; 1981). Ein solcher Eigenwert definiert die erforderliche Selbstähnlichkeit (Fraktalität) einer operativen Struktur, die, abgesehen von der Iteration und Reproduktion des Eigenwerts, in der Auseinandersetzung mit der Komplexität ihres eigenen Raumes jeden Freiheitsgrad für ein differentielles und evolutionäres Ausloten ihrer Möglichkeiten hat. Wir werden diese Einführung in die Wirtschaftssoziologie dazu nutzen, diese Form im Hinblick auf ihre Konstanten wie ihre Variablen Schritt für Schritt zu entfalten. Abschließend werden wir dann zeigen, wie diese Form mithilfe der Operationen eines so genannten re-entry (Spencer Brown 1969, Kap. 11) wieder in sich selbst eintritt und damit absichert, dass jede Wirtschaft nur in der Gesellschaft stattfindet, zugleich aber auch jede Rücksichtslosigkeit der Wirtschaft gegenüber der Gesellschaft als eine Form des Umgangs der Gesellschaft mit sich selbst markiert.
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II. Geld 1. Das Erleben von Knappheit Die Kommunikation von Knappheit ist dann erfolgreich, wenn im Medium der Knappheit nicht nur gehandelt, sondern auch erlebt wird. Wirtschaften beginnt nicht erst dort, wo auf knappe Güter zugegriffen wird, sondern bereits dann, wenn eine Erfahrung von Knappheit gemacht wird, die sich der Gesellschaft verdankt. Deswegen ist der ökonomische Ausgangspunkt von einer so genannten Robinson-Crusoe-Wirtschaft irreführend und die Einführung mindestens eines Crue und eines Soe, wie sie John G. Gurley und Edward S. Shaw vorgeschlagen haben, wesentlich, um Wirtschaften nicht mit der (letztlich technischen, notfalls – gegenüber Freitag – politischen) Reduktion von Knappheit zu verwechseln, sondern aus der entscheidenden Operation der Finanzierung von Knappheitszugriffen heraus zu entwickeln, über die Crue und Soe durchaus unterschiedlicher Meinung sein können (Gurley/ Shaw 1960; insbes. S. 141f.; ferner Defoe 1719). Auf die Kommunikation von Knappheit, und nicht nur auf ihre Bewältigung, kommt es an, seit sich die Soziologie für die Wirtschaft interessiert. Gleichgültig, ob sie das Tausch- oder das Geldphänomen an den Ausgangspunkt ihrer Untersuchung setzt, geht es ihr immer darum, eine scheinbar einfache Beziehung zwischen Menschen und Dingen (oder Leistungen) in den Kontext einer vielfältigen Beziehung zu Beobachtern, die sich angesprochen fühlen können, und weiteren Dingen, auf die man ausweichen kann, zu setzen. Am Tausch fasziniert, dass die Gegenseitigkeit der Leistungen nicht nur die beiden Tauschenden, sondern zugleich eine Gesellschaft in Anspruch nimmt, die mit dem Tausch und mit seinen terms of trade einverstanden sein muss – schon deswegen, weil jeder Tausch ein Beispiel setzt (Simmel 1900, S. 55ff.; Lévi-Strauss 1958; Clausen 1978; Stentzler 1979; Haesler 1983). Aber auch das Geld ist soziologisch eine Erleichterung des Tausches nicht nur in der ökonomischen Hinsicht, dass es Transaktionskosten spart und als Recheneinheit dient, sondern eben auch deshalb, weil es das System der Wirtschaft zugleich schließt und öffnet, nämlich einerseits auf die Orientierung an 48
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Zahlungen reduziert und andererseits die gesamte Gesellschaft zitiert, um festlegen zu können, wer wofür wann zahlt und wer wofür wann nicht (Simmel 1900, S. 254ff.; Chopard 1988). Wir werden uns im Folgenden auf das Phänomen des Geldes konzentrieren, halten jedoch fest, dass wir die Vorstellung des Tausches als einer vielfältigen Beziehung zwischen Menschen und Dingen (oder Leistungen) hierbei mitlaufen lassen. Auch der Tausch ist eine Knappheitsreduktion (für den einen) im Kontext einer Knappheitssteigerung (für den anderen), die durch eine exakt gegenläufige Beziehung kompensiert werden, die gerade wegen der Differenz der ausgetauschten Leistungen und wegen der unterschiedlichen Wertschätzung dieser Leistungen auf beiden Seiten des Tausches von Äquivalenzannahmen begleitet werden müssen, die von Beobachtern ebenso wie von den Beteiligten gestützt werden müssen, wenn der Tausch zustande kommen soll. Denn natürlich steht nach wie vor jeder Tausch im Kontext eines Täuschens (Gerschlager 2001; 2005), wie es schon die Wortnähe zu erkennen gibt (Grimm 1854-1960, Bd. 21, Sp. 209f.). Und natürlich kann der Verdacht, getäuscht zu werden, nur durch eine Fülle von commitments, von Bereitschaften zur Selbstbindung, aus dem Weg geräumt werden (Elster 2000). Aber dabei bleibt erstaunlich offen, ja wird zu einem eigenen Feld der Suche nach wirtschaftlichen Gelegenheiten, welche Äquivalenzen einem Tausch unterstellt und welche Bindungen wem gegenüber jeweils signalisiert werden. Nimmt man hinzu, dass es in der Wirtschaft je aktuell nicht nur darum geht, die Möglichkeit der Täuschung und des Betrugs auszuräumen, sondern auch darum, so genannte confidence games (confidence tricks, cons) zu spielen, in denen die Übervorteilung stattfinden kann, anschließend oder begleitend jedoch Bedingungen bereitgestellt werden, dem Betrogenwerden wenn nicht zuzustimmen, so doch zumindest die Empörung für sich zu behalten (um nicht auch noch der Dumme zu sein), eröffnet sich ein weiter Spielraum wirtschaftlicher Betätigung auf Produkt-, Arbeits- und Kapitalmärkten, dem die Wirtschaftssoziologie auch dann auf die Spur zu kommen versuchen kann, wenn sie sich nicht gleich in Bausch und Bogen als Kapitalismuskritik entwirft. Wenn wir uns hier auf das Geld konzentrieren, dann tun wir 49
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das schon deswegen, weil an ihm der gesellschaftliche Charakter der Kommunikation von Knappheit deutlicher wird als an der einzelnen Tauschinteraktion. Hat man sich am Geld geschult, wird man jedoch keine Schwierigkeiten haben, auch den scheinbar einfachen Tausch in die Vielfalt der Beziehungen der Gegenseitigkeit zurückzuversetzen, die ihm gesellschaftlich Halt geben. Wie also stellt die Wirtschaft neben den Möglichkeiten der Bewältigung von Knappheit auch die Erfahrung von Knappheit sicher, ohne die von einer Kommunikation von Knappheit und damit von Wirtschaft keine Rede sein könnte? Die Soziologie unterscheidet sich von der Ökonomie darin, dass sie nicht daran glaubt, dass die Knappheit sich selber kommuniziert, so als genüge es, sich umzuschauen, um genügend Anlässe zur Vorsorge zu entdecken. Die Soziologie sucht, soll diese Vorsorge in jeweils bestimmten Bahnen auf eine bestimmte Art und Weise Verlässlichkeit sowohl für die Vorsorgenden wie für diejenigen, die ihnen dabei zuschauen, gewinnen, nach Formen der gesellschaftlichen Institutionalisierung der Kommunikation von Knappheit. Sie sucht nach Formen, in denen selbstverständlich werden kann, was zunächst alles andere als selbstverständlich ist. Max Weber findet diese Formen in der Religion. Seine Bestandsaufnahme der »Wirtschaftsethiken« der Weltreligionen (beginnend mit dem Protestantismus, über den Konfuzianismus und den Taoismus, den Hinduismus und den Buddhismus bis zum antiken Judentum; Weber 1920/21) lebt von der Frage, unter welchen gesellschaftlichen Umständen das Pendel zwischen den magischen und orgiastischen Religionen der Stammesgesellschaften einerseits und den rationalen und asketischen Religionen der Hochkulturen andererseits zugunsten einer Askese ausschlägt, die die Erfahrung von Knappheit sucht, um sie, zum Lobe Gottes und zum Nutzen der Gemeinde, produktiv zu wenden. Wann, so fragt er, wird die außerweltliche Askese mit ihren apathischen (jede Leidenschaft negierenden) Formen der Heilssuche zugunsten einer innerweltlichen Askese gewendet, die die Welt nimmt, wie sie ist, und sich pflichtbewusst und diensteifrig ans Werk macht? Und wie kommt es, dass die Verschiebung des erwarteten Heils aus dem Diesseits (der Rausch) in das Jenseits (die Hoffnung) jene Momente der Rationalisierung freisetzt, die auf 50
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der Grundlage der Unterscheidung von Zweck und Mittel wirtschaftlich zu rechnen, politisch zu kalkulieren, geordnet zu organisieren und temperiert sowohl zu komponieren als auch zu hören erlaubt (Weber 1921a; 1921b)? Ist die Religion die Schule eines Aufschubs, der als Zeitgewinn wahrgenommen wird, als Gewinn einer Zeit allerdings, die nicht verschenkt werden darf? Jede einzelne Religion setzt »Prämien« (Webers Lieblingswort in diesem Zusammenhang) sowohl auf die Einsicht in Knappheit wie auch auf einen mit der jeweiligen Gesellschaft abgestimmten Umgang mit ihr. Bis in die Paradoxie der Knappheit hinein macht sich jede Religion das Problem zu eigen, das später von der Wirtschaft immer mehr, aber vermutlich nie restlos, in ihre Eigenregie übernommen werden kann. Jede Religion handelt in der Form der moralischen Ablehnung von genau der Verlockung, deren moderate Beherrschung – immer eine Selbstbeherrschung – dann Wirtschaften ermöglicht. Der Protestantismus verdammt den Erwerbstrieb und preist den Beruf, der es erlaubt, ihm in gesellschaftlich abgestimmten Bahnen nachzugeben. Der Konfuzianismus verdammt die Macht und preist die Schicklichkeit, die es erlaubt, sich ihrer als würdig zu erweisen. Der Hinduismus markiert jede Art von Hochmut als vergeblich, preist jedoch zugleich die Bildung, in deren Schutz sich jede Art von Expertentum ebenso rational wie gewinnbringend entwickeln ließ. Der Buddhismus hält jedes Begehren für sinnlos, lehrt jedoch zugleich eine Haltung der Gelassenheit, mit der sich nicht zuletzt Verluste bestens bewältigen und mögliche Gewinne mit der gebotenen Vorsicht hinnehmen lassen. Und der Islam, dessen Untersuchung Weber nicht mehr abschließen konnte, stellt den kriegerischen Ehrgeiz zwar streng in den Dienst des Staates, bereitet jedoch den Mantel des Stillschweigens über etwaige wirtschaftliche Erfolge, die sich während der Kriege ebenfalls einstellen. Max Webers Werk lässt sich als eine Struktur- und Mentalitätsgeschichte des Knappheitskalküls lesen, und zwar der Unwahrscheinlichkeit des Grundgedankens kapitalbildender Vorsorge ebenso wie der kulturellen Voraussetzungen und Folgen der Durchsetzung der Akzeptanz entsprechender Verzichts- und Belohnungsstrukturen, und dies auf beiden Ebenen des Handelns wie auch des Erlebens. Nicht nur ist das Geld der »god 51
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term« der Wirtschaft, wie Kenneth Burke formuliert (Burke 1945, S. 110), sondern die Götter sind, indem sie Knappheit und Vorsorge in ein Verhältnis miteinander setzen, auch die »moneyterms« einer Gesellschaft, in der die Wirtschaft noch nicht monetarisiert und ausdifferenziert ist. Umso wehrloser ist die Religion zunächst gegenüber der Wirtschaft und ihrem diesseitigen Kalkül der Knappheit und umso unwahrscheinlicher werden die Lösungen sein, die sich die Religion als Offenbarungsreligion unterschiedlicher Ausprägung einfallen lassen muss, um Sachverhalte zu verknappen, die nicht gleich wieder bewirtschaftet werden können. So unterschiedlich die Ausprägungen der Religion zwischen dem Berufsethos des Protestantismus, den bürokratischen Göttern Chinas im Zaubergarten des Konfuzianismus, der Schicksalslehre des hinduistischen Kastensystems, der buddhistischen Erlösung von der Vergänglichkeit des Lebens und der Unheilsprophetie der jüdischen Verbrüderungsreligion ausfallen mögen (Weber 1920/21), ganz zu schweigen vom kriegerischen Rechtsbewusstsein des Islam (Weber 1921a, passim), so sehr steht jede von ihnen in einem Konflikt zwischen einer Ausformulierung als hochgradig verweltlichter Wirtschaftsethik einerseits und einer eigenen Ausdifferenzierung als Offenbarungsreligion andererseits (Luhmann 2000a). Allerdings braucht die Knappheitskommunikation Anhaltspunkte, an denen sie sich entzünden und an denen sie sich abarbeiten kann. Der wichtigste dieser Anhaltspunkte ist das Eigentum, das die einen besitzen und das die anderen von seinem Gebrauch ausschließt. Es sind nicht irgendwelche Prämien, sondern es sind Prämien auf ein Eigentum im weitesten Sinne des Wortes, in dem die Religion ihr unruhiges (denn um wessen Eigentum handelt es sich, ist es Gottesgeschenk oder Menschenwerk, kollektiver oder individueller Besitz?) Zentrum findet und die Wirtschaft die Adresse und den Gegenstand ihres Kalküls. Das gilt ganz allgemein, denn im Eigentum werden Selbstreferenzen auf einen Haushalt, eine Gruppe, ein Individuum, ein »Nehmen« also (Schmitt 1953, vgl. Kap. I/2), verankert, das sich gegenüber den Zugriffen von Gemeinschaft und Gesellschaft (inklusive der Geister, Götter und Teufel) immer erst noch behaupten und profilieren muss. Das gilt aber auch ganz spezifisch, denn erst 52
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am Eigentum, nicht bereits am Besitz, lassen sich jene ökonomischen Operationen dingfest machen, die es nicht nur mit Knappheitszugriffen, sondern auch mit Knappheitsübertragungen zu tun haben, nämlich die Belastung, die Verpfändung, der Kredit (Heinsohn/Steiger 1996). Das ökonomische Denken, so kann Karl Polanyi zeigen, entzündet sich deshalb nicht am Eigentum als Eigentum, sondern an der Aufteilung und Einteilung sowie differentiellen Übertragung der Nutzungsrechte am Eigentum (Polanyi 1957): Es entzündet sich spezifischer noch seit Aristoteles am Zins, weil dieser die Paradoxie der Knappheitsoperation doppelt. Im Zins kann derjenige, der seine Knappheit steigert, indem er Nutzungsrechte an einem bestimmten Eigentum (Boden, Geräte, Vieh, Frauen, Geld) abgibt, seine Knappheit reduzieren, indem er sich dafür in denselben oder anderen Formen des Eigentums bezahlen lässt, und dies, während der Kreditnehmer seine Knappheit durch Verpflichtungen zur Rückzahlung steigert, indem er sie durch die Übernahme der Nutzungsrechte reduziert. Wie soll man erwarten, dass die Beobachter der Wirtschaft dies verstehen? Man muss mittendrin stecken im immer in die beiden Sinnrichtungen (Deleuze 1969) der Knappheitssteigerung und der -reduktion gleichermaßen schauenden Knappheitskalkül, um hier einen Überblick zu behalten, der sich nicht aus der Beobachtung der Form der Unterscheidung, sondern nur aus der Entscheidung für die je aktuell möglichen Operationen gewinnen lässt. Nur Buchhalter beobachten die Form, indem sie im Rahmen der doppelten Buchführung jeden Betrag doppelt, als Soll und als Haben, als liability und als asset, verbuchen. Jahrhundertelang gilt deswegen ihre Sprache als ein Musterbeispiel der Verrücktheit, vergleichbar nur dem Ingenieur (der auf den Bruch, das Kaputtgehen, das Nichtfunktionieren reflektiert, um das Funktionieren sicherzustellen) und den wirklich Verrückten (de Roover 1970, S. xii, mit einer dem Ökonomen Auguste Detœuf zugeschriebenen Äußerung). Nicht am Geld entzündet sich das Skandalbewusstsein der Beobachter der Ökonomie, sondern an der Frage, was es mit der metadosis auf sich hat, die jemand als seinen Anteil an Knappheitsreduktion einem Geschäft mit auf den Weg gibt, um sich dafür – und in welcher Höhe? – bezahlen zu lassen (Polanyi 1957). Muss 53
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man nicht als grandiose Mogelei werten (Baecker 2002a, S. 126ff.), dass jemand, der nichts anderes tut, als einen Kredit einzuräumen, davon profitiert, dass andere dieses Geld investieren, um mit aller Mühe, die dies impliziert, und bei aller Sorge um einen möglichen Misserfolg realiter etwas zu produzieren? Und muss dieselbe Nachfrage nicht auch denen gelten, die produzieren und ihre metadosis von jenen erhalten, die ihnen ihre Ware abkaufen, sowie auch denen, die ihre metadosis von denen erhalten, für die sie arbeiten? Ist die Wirtschaft nicht insgesamt in den Sand einer Mogelei gesetzt, in der der Schwarze Peter der Mehrwertproduktion, des Superadditums, wie es Simmel genannt hat (Simmel 1900, S. 254ff.), nur weitergereicht wird, während jedem, der genau hinschaut, ob der Tatsache schwindelt, dass die Wohlfahrt steigt (nicht für alle, das beruhigt dann die Beobachter und erlaubt es ihnen, von der Paradoxie auf Kritik umzuschalten), während nichts anderes stattfindet als Knappheitsreduktion bei den einen und Knappheitssteigerung bei den anderen? Muss man nicht tatsächlich, wie es Michel Serres vorgeschlagen hat, die Theorie der Wirtschaft en bloc und en détail als eine Theorie der Parasitenkette aufziehen (Serres 1980), einer Kette, auch das Bild soll dann verwendet werden, die sich wie weiland der Ourobouros (eine Schlange, ein Torus mit stetig zunehmendem Umfang) selbst in den Schwanz beißt? Wie auch immer, es kann nicht verwundern, dass die Wirtschaftstheorie jahrhundertelang nicht nur Schwierigkeiten hat, die ökonomische Funktion des Eigentums zu denken, sondern auch immer Wert darauf legt, am Eigentum eine im Eigentum zugleich konvergierende und divergierende Differenz individueller und allgemeiner Interessen zu identifizieren, die jederzeit in beide Richtungen ausgelegt werden kann, so dass das Eigentum weder auf der einen noch auf der anderen Seite, als ginge es um die Verankerung des Widerspruchs im Begriff selbst, appropriiert werden kann (Pribram 1983, Kap. 1 und 2). Wie zur Sicherstellung dieser Ambivalenz kann man sich noch nicht einmal einigen, ob der Begriff des Eigentums nun juristisch oder politisch zu denken ist, wobei ein juristischer Begriff dem individuellen Interesse und ein politischer Begriff dem allgemeinen Interesse ent-
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gegenzukommen scheint, obwohl auch das nicht eindeutig ist, weil die Verfolgung der individuellen Interessen, wie man spätestens seit Mandevilles »Fable of the Bees« (1714) nachlesen kann, im allgemeinen Interesse steht und die Verfolgung des allgemeinen Interesses, wie man leicht beobachten kann (Tilly 1992), dem individuellen Interesse dient (Pocock 1979, vgl. auch Kap. I/1). Jean-Jacques Rousseau hat daher ein rhetorisch leichtes Spiel, wenn er stilbildend in seinem »Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmi les hommes« (1755) die Verderbnis des Menschen durch die Gesellschaft auf die Verderbnis der Gesellschaft durch das Eigentum zurückrechnet, weil das Eigentum die Voraussetzung dafür ist, dass der Mensch mit dem besten Wohlwollen der Welt vom Unglück seiner Mitmenschen profitieren kann, von Schiffsuntergängen, Bränden, Flut, Krankheit und Krieg, und sich daher dieses, im Einklang mit seinem Eigeninteresse, mindestens ebenso sehr wünschen muss wie deren Glück, steigert doch beides die Nachfrage und räumt das Unglück zudem noch einige Konkurrenten aus dem Weg. Die Abschaffung allen Eigentums gilt daher als Voraussetzung für die Abwehr allen Übels. Unklar bleibt dabei allerdings, wie man wirtschaften soll, wenn es nicht möglich ist, Knappheit zu kommunizieren und dabei Eigentum vorauszusetzen. Eigentum, so stellt sich in den Transformationsökonomien der ehemals sozialistischen Gesellschaft heraus, ist keine Konstante, von der man jeweils genau wüsste, was sie leistet und was nicht, sondern eine Variable, die nur in Abhängigkeit von der Kommunikation von Knappheit und der Organisation dieser Kommunikation in den Netzwerken von Unternehmen und Märkten bestimmt werden kann. Eigentum, so David Stark mit einem schönen Wortspiel (engl. property = Eigentum und Eigenschaft) in einem Überblick über diese Transformationsökonomien, ist eine »emergent property«, eine Netzwerkeigenschaft (Stark 2001, S. 85ff.). Darin stimmt ihm eine wirtschaftswissenschaftliche Forschung zu, der es nie so recht gelingt, spezifische Formen des Eigentums auf »Institutionen« (Märkte, Firmen, Rechtsordnungen, politische Interventionen) zurückzurechnen, ohne nicht gleich im nächsten Schritt der Untersuchung sehen zu müssen, wie diese
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Institutionen ihrerseits dem ökonomischen Kalkül unterworfen werden (Demsetz 1967; Alchian/Demsetz 1972; Williamson 1985; North 1990). Eigentum ist ein Name für eine komplexe Beziehung zwischen einem Gegenstand und der Gemeinschaft, in der er sich befindet, stellt Malinowski für die Trobriander fest (Malinowski 1922, S. 116). Es wäre eine Illusion zu glauben, dass sich diese Komplexität mit der Ausdifferenzierung der Wirtschaft und ihrer Monetarisierung verloren hätte. Man kommt inzwischen zwar schneller auf die Idee, das Eigentum für eine ökonomische Kategorie zu halten. Aber damit hören die Schwierigkeiten nicht auf, sondern damit fangen sie an. Wer den Fehler macht, nach der Adresse zu fragen, auf die sich ein Eigentum eindeutig zurechnen lässt, stößt auf ein Selbst, eine Person, einen Haushalt, familiär oder öffentlich, eine Firma, die sich jedoch nur dann als ihr eigenes Eigentum bestimmen lassen, wenn sie sich mit dem Nichts identisch setzen (Stirner 1845). Alles andere gehört immer auch anderen (Tarde 1893).
2. Die Ausdifferenzierung der Wirtschaft Die Gesellschaft überlässt sich nicht widerstandslos der Knappheitskommunikation der Wirtschaft. Sie behält sich vor, die möglichen Ergebnisse sowohl der jeweils gängigen Praxis von Knappheitszugriffen als auch der dadurch und bei anderen steigenden Knappheit als Verstoß gegen eine »moral economy« (Edward P. Thompson) zu werten, die sich nicht an relativen, sondern an absoluten Knappheiten orientiert. Wahrgenommene Verstöße führen zu Hungerrevolten, Aufständen und sozialen Bewegungen (Reformation, Französische Revolution, Arbeiterbewegung, Antiglobalisierungsbewegung), die sich nicht erst an der tatsächlichen Deprivation, sondern bereits an der moralischen, auf Sitte und Gebrauch (mores) sowie auf Anerkennungskonflikte innerhalb der Statusordnung der Gesellschaft Bezug nehmenden Erwartung möglicher Verletzungen der Erwartung einer zufriedenstellend gerechten Verteilung der Güter orientieren (Thompson 1971; Scott 1976; Elwert 1987). Es gibt Gesellschaften wie zum 56
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Beispiel die altägyptische und die israelische, in denen der Fluch der Armen auf die Reichen so gefürchtet war, dass man sich mit Spenden aller Art vor ihm schützte (Weber 1923, S. 234). Umgekehrt kann sich das Geld als »evolutionäre Universalie«, als unhintergehbare Errungenschaft der gesellschaftlichen Entwicklung (Parsons 1964, S. 350), nur durchsetzen, wenn es politisch geschützt wird, das heißt unabhängig von möglicherweise im Einzelfall zu kritisierenden Erscheinungen zu großen Reichtums oder zu großer Armut generell für legitim gehalten wird. Aber dieser mitlaufende Einwand gegen das Wirtschaften im Allgemeinen und die möglichen Ergebnisse der Geldwirtschaft im Besonderen ändert nichts an der Ausdifferenzierung des Knappheitskalküls. Im Gegenteil. Der mitlaufende Einwand erlaubt es, die Gegenstände, sozialen Umstände und möglichen Zeithorizonte herauszupräparieren, die der friedlichen Ausübung von Verfügungsgewalt unterworfen werden können, ohne den Aufstand der Gesellschaft befürchten zu müssen. Von dieser Ausdifferenzierung des Knappheitskalküls hängt es ab, was sich als Wirtschaft bewährt und was nicht. Dieses Kalkül muss auf beiden Seiten mit der Gesellschaft abgestimmt werden, auf der Innenseite eines wirtschaftenden Umgangs mit Gütern, Dienstleistungen und Beziehungen (bei Letzteren wird es besonders diffizil), und auf der Außenseite nicht bloß eines Verzichts auf das Wirtschaften, sondern eines positiven Nachweises der funktionalen Vorteile anderer, nicht wirtschaftlicher Kommunikationscodes. Ausdifferenzierung ist deshalb keine Angelegenheit der Wirtschaft, so als sei diese der Hort der Rationalität und Effizienz, konzediere jedoch dem »Rest« der Gesellschaft die Bindung an unverstandene, aber lieb gewordene Traditionen (»customs«, nicht zufällig auch der Begriff für »Zoll«). Vilfredo Pareto widmet eine ganze Soziologie der Frage, welchen Wert eine solche Unterscheidung zwischen rationalen oder »logischen« und irrationalen oder »unlogischen« Handlungen hat, und findet nur heraus, dass das Unlogische der Latenzschutz von Handlungen ist, die Gründe haben, ihre Gründe nicht sehen zu lassen (Pareto 1916). Sondern Ausdifferenzierung ist die Angelegenheit der Gesellschaft, die Wert darauf legt, die Kommunikationscodes des Glaubens, der Macht, der Wahrheit, der Kunst und der Liebe parallel zu jenem 57
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der Knappheit trennscharf zu machen, bevor der Wirtschaft die weitere Ausdifferenzierung erlaubt wird. Das geschieht nicht ohne Reibungen, nicht ohne Rückschläge, nicht ohne möglicherweise funktionale Irrtümer (man denke an die Möglichkeit in der frühen Neuzeit, die Steuereinnahmen des Staates zu kaufen, und an den Einsatz, aber auch erst einmal die Entwicklung einer unternehmerischen Logistik, um sie auch tatsächlich einzutreiben), das heißt es geschieht bei weitem nicht so flüssig, wie es sich hier formulieren lässt. Aber es geschieht, und dafür sorgt die Gesellschaft selber, nämlich die Sorge der Politik, der Religion, der Wissenschaft, der Kunst und der Liebe um ihre eigene Zukunft. Natürlich lernt die Gesellschaft dabei vom Geld, dem Inbegriff eines Mediums der Ausdifferenzierung eines Kommunikationscodes. Aber das Geld lernt umgekehrt auch von der Sprache und insbesondere von der Schrift (Shell 1978; 1982); und wer will ausschließen, bloß weil es dazu kaum Studien gibt, dass es auch von der Macht und der Wahrheit, vom Glauben und der Liebe lernt? Christoph Deutschmann hat der transzendentalen Verankerung des Geldes in der Figur der Transformation von unbestimmbarer in bestimmbare Komplexität (»Glauben«, »Kapital«) unter dem Titel »Die Verheißung des absoluten Reichtums« (1999) ein ganzes Buch gewidmet. Und Walter Benjamin, auf den er sich dabei beruft, erklärt den Kapitalismus insgesamt zur Religion und stiftet damit die produktivste Diskursverwirrung (Benjamin 1921; Baecker 2003a). Die sowohl bei der Entstehung des Münzgeldes als auch bei der Durchsetzung der Geldwirtschaft zu beobachtende enge Anlehnung der Wirtschaft an eine Politik, an der man sich rückversichert und zu der man die Gegenposition bezieht, ist ein deutliches Indiz dafür, dass der ökonomische Umgang mit Geld am politischen Umgang mit Macht zumindest geschult ist (Hutter 1993a; Tilly 1992). Und die Nachbarschaft, in die die Konstruktion des Geldmediums durch Niklas Luhmann zur Kunstkommunikation rückt, ist ein Indiz dafür, dass das Aushalten von Knappheitszugriffen im Rahmen der Beobachtung von Geldzahlungen mindestens so viel mit dem Erlernen des Aushaltens von Kunstgenuss zu tun hat wie die Schulung von überzeugender
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Präsentation und täuschungsfester Rhetorik auf dem Markt mit dem Theater (Luhmann 1997, S. 332ff.; Agnew 1986). Was das Geld von der Erziehung und die Erziehung umgekehrt vom Geld gelernt haben, ahnt man spätestens, seit der Wirtschaftsliberalismus auf einen Besitzindividualismus rekurriert (MacPherson 1962), der dem bürgerlichen Individuum die Reflexion auf eine Selektionsgeschichte, eine Karriere der Wahrnehmung, Abarbeitung und Überwindung von Restriktionen, abverlangt, der die Selektionsgeschichte in der zum Klassenverband verschulten Erziehung auf das Engste korreliert (Dreeben 1968). Immerhin, auch das darf man nicht übersehen, trainieren die Noten der Schule den Umgang mit den Noten der Wirtschaft nicht nur in der Form der Einübung von Konformität, sondern auch in der Form der Ermutigung von Abweichung, und sei es nur, um sich als Individuum zu erweisen – wofür man sich dann wieder am Beispiel der Künstler orientiert (White 1993a). Und selbst wenn man beklagen würde, dass der Bürger typischerweise nur die Abweichung nach oben, ins Besserwerden, kennt, konterkariert von den Verlockungen der Bohème (Murger 1848), so kann man auch hier aus gesellschaftlicher Perspektive den Erziehungseffekt konstatieren, dass dadurch der bürgerliche Lebensstil insgesamt an Profil gewinnt und dadurch, das ist der Effekt jeder Beobachtung einer Form, das Interesse an Alternativen weckt (Benjamin 1938/40). Seien wir also vorsichtig mit der Annahme, dass ausgerechnet das Geld so etwas wie der Urtyp einer gesellschaftlichen Kommunikation ist, die mit Fragen der gesellschaftlichen Differenzierung so souverän umgehen kann wie mit Fragen der Reintegration. Lässt man eine Beobachtung der ökologischen Blindheit des Geldes mitlaufen, scheint eher das Gegenteil der Fall zu sein. Das Geld ist nicht der Inbegriff einer rationalen gesellschaftlichen Kommunikation. Aber es ist der Inbegriff jener Kommunikation von Knappheit, die mit der Paradoxie der Knappheitsreduktion im Kontext der Knappheitssteigerung rechnen muss, ohne sie beobachten zu können, und die daher in jeder einzelnen Operation, nämlich in einer Zahlung (Baecker 2002b), Knappheitsreduktion und Knappheitssteigerung zusammen denken
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muss. Zunächst und vor allem jedoch ist das Geld die mit Abstand erfolgreichste Form der Kommunikation von Knappheit, die sich sowohl an das Handeln als auch an das Erleben der Akteure rechnet, die wir uns vorstellen können. Kann man das Eigentum immer noch mit Besitz verwechseln und achtlos an schönen Häusern, prachtvollen Yachten, reichgedeckten Tafeln, schicken Kleidern und gepflegten Zähnen vorbeigehen, die andere ihr Eigen nennen, ohne auf die Idee zu kommen, solche Dinge auch einmal haben zu wollen, so ist das beim Geld kaum noch möglich. Geld, auch wenn es ein anderer besitzt, ja vor allem dann, symbolisiert nicht nur das, was der andere sich damit kaufen kann, sondern auch das, was ich mir damit kaufen kann. Selbst wenn ich Geld besitze, vielleicht sogar genügend Geld, ist das Geld des anderen ein Symbol meiner Knappheit, weil ich mit seinem Geld immer noch mehr tun könnte als allein mit dem Geld, das ich bereits habe. Zur Beunruhigung schon der griechischen Antike ist Geld der Anfang vom Ende eines maßvollen Lebens verdienter Bedürfnisbefriedigung. Für das Streben nach Geld gibt es keine natürliche Grenze. Zwar ist es nicht so, wie zuweilen kolportiert wird, dass die Griechen den Gelderwerb schlechthin verdammen. Im Gegenteil, der Gelderwerb erweist sich bei der angemessen Lebensführung eines Haushalts als ebenso sinnvoll und hilfreich wie der eine oder andere kriegerische Beutezug und Raub von Frauen. Verdammt jedoch wurden jene, die kein Maß des Gelderwerbs zu kennen scheinen; und dies auch nicht deswegen, weil sie, wie manche Fernhändler, unerhört reich wurden, sondern weil ihr Reichtum das politische Gleichgewicht der Sklavenhaltergesellschaft durcheinander brachte (Aristoteles, Politik; Brunner 1956; Polanyi 1957; Singer 1958). Ohne die Einführung von Geld wäre die Wirtschaft der Gesellschaft über das Niveau von Gabentauschökonomien, wie sie für einfache Gesellschaften (Firth 1939; Gregory 1982; Morris 1986), und Staatswirtschaften, wie sie für Hochkulturen wie Ägypten, Babylon, China, das Aztekenreich oder afrikanische Königtümer typisch waren (Wittfogel 1931; Renger 1994; 1995), wohl kaum herausgekommen. Die Ökonomen haben lange gerätselt, woran das wohl liegt. Mit dem Verweis auf die so genannten drei klassi60
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schen Funktionen des Geldes, Tauschmedium, Recheneinheit und Wertaufbewahrungsmittel zu sein (Menger 1909), waren sie so recht nie zufrieden. Mindestens das Moment der Erfüllung von Kontrakten, so Hajo Riese, müsse hinzukommen, verstanden als »solutio«, als Tilgung von Schuldverhältnissen (Riese 1995; Lindenthal 1986, S. 192). Damit kommen wir der Sache schon wesentlich näher. Entscheidend, zumindest aus soziologischer Sicht, das heißt aus der Sicht einer Theorie der Wirtschaft als Kommunikation von Knappheit, ist die Antwort auf die Frage, warum ausgerechnet Geld, klingende Münzen, papierene Scheine, Buchungen auf Girokonten, Bonitätsbehauptungen auf Kreditkarten, in der Lage sein sollen, Verträge zu erfüllen und Schulden zu tilgen. Die Antwort, so Luhmann, besteht in der Einsicht, dass das Geld eine Bindung an die Knappheitskonstruktion der Wirtschaft aufweist, die auf der Hand liegt, weil sie in jedem Portemonnaie, auf jedem Konto, in jeder Endabrechnung einer Kreditkarte leicht zu überprüfen, aber für den Theoretiker durchaus nicht leicht zu entschlüsseln ist. Denn obwohl im Überfluss vorhanden und scheinbar nach Belieben zu vermehren, ist Geld knapp. Es ist als Ergebnis von Knappheitszugriffen genauso knapp, wie die Güter und Dienstleistungen einer Wirtschaft, da sie das Produkt von Knappheitszugriffen sind, knapp sind. Schieben wir die Frage danach, wie es möglich ist, dass scheinbar beliebig vermehrbare Geldmengen knapp sein können, für einen Moment auf. Wir kommen im nächsten Abschnitt darauf zurück. Prüfen wir hier nur, was wir verstehen, wenn wir verstehen, dass die kommunikative Leistung des Geldes darin besteht, knapp zu sein. Luhmanns Antwort auf die Frage hält sich streng an die Anforderung, die kommunikative Leistung des Geldes aus den Erfordernissen der Knappheitskommunikation zu rekonstruieren, das heißt an die Anforderung einer Antwort auf die Frage, warum im Medium des Geldes Knappheitszugriffe ausgeweitet, vereinfacht, beschleunigt und berechenbar gemacht werden können. Dies ist möglich, so seine Antwort, weil die Übergabe von Geld alle anderen motiviert, Knappheitszugriffen zuzuschauen und still zu halten, das heißt nicht einzugreifen, während sie geschehen (Luhmann 1988a, S. 69f.; 1997, S. 348f.). 61
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Marxisten wundern sich darüber, dass die Waren stillhalten, während sie ausgetauscht werden, das heißt so tun, als geschähe mit ihnen nichts, während sie auf ihre Käufer warten (und sie an Frische verlieren) und während ihr Preis verhandelt wird (und sie an Glanz verlieren oder auch gewinnen), und nennen das die Tauschabstraktion als Voraussetzung der Warenabstraktion (Sohn-Rethel 1972, S. 42ff.; Backhaus 1997). Soziologen wundern sich darüber, dass die Beobachter stillhalten, während andere auf dadurch knapp werdende Güter zugreifen, um ihre dazu in Stellung gebrachten, also auch für andere attraktiv werdenden Bedürfnisse zu befriedigen. Immerhin, die Zeit wird genutzt. Während sie als Ware stillhalten, entwickeln die Güter »Grillen, viel wunderlicher, als wenn [sie] aus freien Stücken zu tanzen begänne[n]« (Marx 1867, S. 85), so dass sie wie »inspiriert«, von Gespenstern heimgesucht erscheinen (Derrida 1993, S. 244 et passim) und in dieser Form des »Fetischs« (Marx) den Blick auf die Gesellschaft zugleich blockieren, den sie auf sich ziehen und der sie zu dem macht, was sie sind, nämlich Gebrauchswerte im Kontext von Tauschwerten. Denn während und damit die Zuschauer der Knappheitszugriffe stillhalten, arbeitet eine ganze Gesellschaft an der Kommunikation dessen, was Knappheit bedeutet, als sei ihr Sach-, Zeit- und Sozialkalkül nur dazu erfunden worden. An die Stelle der Gespensterkunde, die das 19. Jahrhundert faszinierte, setzen wir, weniger aufregend, die Beobachtung der Gesellschaft. Immerhin ist hier wie dort von Medien die Rede, das schafft ein Mindestmaß an Kontinuität. Der Mechanismus, den Luhmann aufdeckt, besteht in der Duplikation der Knappheit im Medium des Geldes (Luhmann 1988a, S. 197ff.), die sich deswegen bewährt, weil sie zwei Funktionen zugleich erfüllt. Erstens macht die Duplikation die Knappheitskommunikation gegenüber den knappen Gütern, auf die sie sich bezieht, fluide, wenn nicht sogar liquide. Die eigentliche Leistung des Eigentumscodes, die nicht darin besteht, dass dank dieses Codes jeder weiß, was ihm und was den anderen gehört, sondern darin, dass an diesem Eigentum dank seiner Belastung, Kreditierung und Verhandlung verschiedene Nutzungsrechte unterschieden und austauschbar gemacht werden können, wird durch das 62
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Geld, das gleichsam nur noch für die Bewegung, die Übertragung zuständig ist, auf den Punkt gebracht. Das Geld ist deswegen das Knappheitsmedium schlecht, die »instituierte Selbstreferenz der Wirtschaft«, wie Luhmann sagt (ebd., S. 16), das in allen Leistungen auf der bereits am Eigentum dingfest gemachten Knappheitskommunikation beruht, aber diese Kommunikation von allen Unwahrscheinlichkeiten befreit, die ihr auf den Sach-, Sozial- und Zeitebenen des Sinns noch entgegenstehen. Eben deswegen schießt die Monetarisierung in den abenteuerlichen, den raubkapitalistischen Phasen der Ausdifferenzierung der Wirtschaft gerne über das Ziel hinaus und hält nicht nur alles für käuflich, was sich irgendwie markieren lässt, sondern damit auch alles für den Gegenstand von Knappheitszugriffen, dessen man irgendwie habhaft werden kann (Sombart 1916/27, Bd. 1). Das Geld muss erst zivilisiert werden, indem ihm im Rahmen der Antivenalitäts-, das heißt Antikäuflichkeitsbewegungen (lat. venalis = käuflich, feil, bestechlich) der bereits erwähnten »moral economy« Grenzen gesteckt werden (Elwert 1987), und kann dann seinerseits zur Zivilisierung der Auseinandersetzung um Haben und Nichthaben eingesetzt werden. Denn das ist die zweite Funktion der Duplikation von Knappheit im Medium des Geldes. Wer immer Knappheitszugriffen von anderen zuschaut, kann dadurch beruhigt und zum Stillhalten motiviert werden, dass er beobachtet, wie nicht nur auf knappe Dinge und Leistungen zugegriffen wird, sondern wie gleichzeitig dafür bezahlt wird. Das erscheint uns so trivial, dass wir auf diesen Sachverhalt kaum noch einen Gedanken verschwenden. Aber in genau dieser Trivialität besteht auch die Robustheit dieser sozialen Einrichtung. Denn tatsächlich ist die zugrunde liegende Operation an Subtilität kaum zu überbieten: Wer im Medium des Geldes zahlt, steigert seine Knappheit (an Geld), während er sie (an Gütern) verringert. Er steht nachher so da wie vorher, obwohl er jetzt die Güter hat, die er erstanden hat, indem er für sie bezahlt hat. Die operative Grundlage für diese auf subtile Weise triviale Form der Knappheitskommunikation ist, dass der Beobachter sehen kann, dass nicht nur an kommunikativen Möglichkeiten verliert, wer an ihnen gewinnt (Letzteres durch Vorführen der Güter, 63
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Thorstein Veblens »conspicuous consumption«; Veblen 1912), sondern zugleich auch derjenige, der Verkäufer nämlich, an ihnen gewinnt, der an ihnen verliert. Letzteres ist deswegen interessant (und beruhigend), weil sich der Beobachter dank dieser Beobachtung sowohl vorstellen kann, selber zu kaufen, wenn er hinreichend viel Geld mitbringt, als auch vorstellen kann, selber zu verkaufen, um an das so oder so erforderliche Geld heranzukommen. Und damit ist er Teil und Adressat jener Knappheitskommunikation, auf die es der Wirtschaft der Gesellschaft ankommt, Teil und Adressat nämlich einer Sozialisation in jene Form der Stilisierung von und Konditionierung der Zugriffe auf knappe Güter und Leistungen, die die Gesellschaft ihre Wirtschaft nennt. Man sieht, worauf es ankommt. Wir haben es zum einen mit einer Form von Kommunikation zu tun, die nicht etwa in den individuellen Absichten der Akteure, sondern in einem gesellschaftlichen Kalkül der Formierung und Ausbeutung solcher Absichten verankert ist. Und wir haben es zum anderen mit Kommunikation in jenem präzisen Sinne zu tun, dass es auf die Setzung von Freiheitsgraden und ihre Konditionierung zugleich ankommt (Baecker 2005): Wer welchen Preis wann wofür zahlt, ist offen – aber dass er zahlen muss, so oder so, ist gewiss. Im Übrigen ist damit über die Ausprägung des Mediums Geld noch nichts gesagt. Mit Münzen, Banknoten, Kontoüberweisungen, Kreditkartenzahlungen zu zahlen, ist eine Möglichkeit. Aber niemand kann ausschließen, dass nicht auch in anderen Formen der Erfüllung von (impliziten und expliziten) Verträgen, in anderen Formen der Tilgung von Schulden gezahlt wird, in Gunsterweisen, von denen die Geschichte sozialer Netzwerke voll ist, in geselliger Unterhaltung, mithilfe derer man sich zum gern gesehenen Gast macht, in lokalen Währungen, die es erlauben, Babysitting gegen Hilfe beim Ausfüllen von Steuererklärungen zu verrechnen, oder auch in kriminellen Formen der Schutzgelderpressung, die den Schutz dann immerhin auch liefern müssen (Luhmann 1995; Hessinger 2002; Baecker 2003b). Nicht der Zauberer, wie Weber vermutet (Weber 1923, S. 8, Anm. 2), sondern der Gast, der sich zu Tische laden lässt und die anderen Zecher mit seinen Geschichten und Scherzen erheitert, sei, so Michel Serres, 64
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»le plus vieux métier du monde«, das älteste Gewerbe der Welt (Serres 1980, S. 49). Das Wort vom »Gewerbe« ist hier wörtlich zu nehmen; es geht um Knappheitskommunikation und jeder weiß es, so wie man auch beim Gespräch mit dem Taxifahrer weiß, dass das erwartete Trinkgeld steigt, wenn man sich auf Freundlichkeiten einlässt, und sinkt, wenn man das nicht tut. Diese Formen einer zwar sozial diffusen, weil multifunktionalen Währung sind jedoch keine Alternativen zum Geld, sondern selber Geld, wenn wir an dessen Definition als Duplikation von Knappheit festhalten. Sie sind die Vorläufer und mitlaufenden Alternativen zum Geld im engeren, im monetären Sinne, und sie profitieren davon, dass man in ihnen erproben kann, was man im Umgang mit klingender Münze bereits gelernt hat. »Do ut des«, »ich gebe, damit du gibst«, ist dafür die klassische Formel, die jedoch nur insofern als schlichter Tausch zu beschreiben ist, als es in Wirklichkeit um eine nicht unkomplizierte Operation der doppelseitigen Reduktion und Steigerung von Knappheit geht. Das kann man mit allem möglichen ausprobieren, was man zu bieten hat, muss dann jedoch jemanden finden, der genau dafür seinerseits etwas zu bieten hat. Das ist bereits eine Kommunikation im Medium des Geldes, weil nicht nur Leistungen, sondern eben auch Knappheiten ausgetauscht werden, weswegen man aufpassen muss, Währungen, die gesellschaftlich als Alternativen zum Geld stilisiert werden, zum Beispiel den Austausch von Geschenken, nicht mit Geld zu verwechseln. Genau dafür ist die Reziprozitätsregel nach wie vor geeignet: Sie erlaubt lose Kopplungen zwischen Gabe und Gegengabe, ja sogar zwischen Geber und Empfänger der Gegenleistung, die zwar immer noch berechnet werden können, aber ihr Kalkül gerade eben so in der Schwebe halten können, dass die Vermutung mitlaufen darf, man habe es nicht mit der Kommunikation von Knappheit, sondern mit der Kommunikation von Überfluss, mit Großzügigkeit zu tun. Das hat jedoch noch nie jemanden daran gehindert, das Geschenk als vergiftet, den behaupteten Abstand zum Knappheitskalkül als ein »Als Ob« (Ortmann 2004, Kap. 6 und 7) und so den Überfluss als andere Seite derselben Medaille wahrzunehmen. Dennoch laufen sowohl die Knappheitskommunikation als auch das Knappheitskalkül im Medium des Geldes dann, wenn 65
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dieses monetarisiert, also scharf von anderen Medien unterschieden wird, besser, nämlich sowohl schneller als auch je nach Bedarf und Kalkül naiver und reflektierter als im diffuseren Medium der Reziprozität. Das liegt daran, dass Geld in quantifizierter Form vorliegt, das heißt buchstäblich leichter berechnet werden kann, indem unterschiedliche Geldsummen (Preise) variiert und miteinander in Beziehung gesetzt werden können. Die gewünschte Knappheitskommunikation kann so ungleich leichter, als wenn man es mit diffusen Währungen zu tun hat, modifiziert und unterschiedlichen Zahlungsbereitschaften angepasst werden. Die Veränderung von Preisen kann zwar in Unternehmen gegenüber den Kunden wie auch intern eine außerordentlich aufwendige Kommunikation sein (Dutta et al. 2002; Dutta/Zbaracki/Bergen 2003), das widerspricht den Vorteilen der Quantifizierung jedoch nicht, sondern ist seinerseits ein Ergebnis dieser Quantifizierung, weil in jeden aktuellen Preis bereits eine Vielzahl von Knappheitskommunikationen aus der Sicht von Unternehmen, Märkten und Kunden eingeflossen ist, die mitbetroffen sind, wenn der Preis geändert wird (Callon/Méadel/Rabeharisoa 2002; Velthuis 2003). Mit all dem ist die Monetarisierung des Geldes im Einklang mit seiner Quantifizierung eine Voraussetzung der symbolischen Generalisierung der Knappheitskommunikation, in der nach dem Entdecker symbolisch generalisierter Kommunikationmedien (er sprach noch von Tausch- beziehungsweise Interaktionsmedien), Talcott Parsons, die wichtigste soziale Funktion dieser Medien liegt (Parsons 1977; 1980). »Symbolische Generalisierung« bedeutet, dass bestimmte situativ anfallende soziale Entdeckungen, zum Beispiel, dass man Knappheit mit Knappheit bezahlen kann, auch in anderen, ähnlichen oder verschiedenen Situationen ausprobiert werden, das heißt in ihrem Geltungsanspruch, wie Jürgen Habermas sagen würde (Habermas 1981, Bd. 1, S. 410ff.), verallgemeinert (generalisiert) werden. Wenn das gelingt, kann man auch nach Symbolen suchen, die den situativen Zusammenhang aufrufen, wenn er gebraucht wird, und es damit erübrigen, jeweils wieder neu herauszufinden, mit welcher Situation welchen Typs man es zu tun hat. Unter Umständen läuft das so gut, dass kritische Beobachter wie Habermas eine Verselbständi66
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gung der Symbolkommunikation zu »Systemen« befürchten, die, von der »Lebenswelt« entkoppelt, die Situationen kolonialisieren, ohne dass diese noch eine Chance hätten, andere, eigensinnige Situationsdefinitionen zu behaupten (Habermas 1981, Bd. 2, S. 229ff.; Negt/Kluge 1981). Diese Befürchtung ist ihrerseits jedoch bereits ein Beleg für das, worauf es gesellschaftlich ankommt, nämlich für die Existenz einer mitlaufenden und grundsätzlich ebenso affirmativen wie kritischen, konstruktiven wie dekonstruktiven Beobachtung, die sowohl der Generalisierung als auch den Symbolen nur um den Preis eines jederzeit aktualisierbaren Misstrauens vertraut. Selbst wenn man beobachtet, dass man in bestimmten Situationen den Symbolen des Geldes nichts entgegenzusetzen hat, beobachtet man doch immerhin dies und arbeitet somit bereits an der Möglichkeit, doch noch eine Alternative zu finden. Mit diesem Argument soll die Sache nicht verharmlost werden. Aber es soll der Blick darauf gelenkt werden, dass dieselbe Gesellschaft offensichtlich Gründe für eine Knappheitskommunikation im Medium des Geldes hat, die derselben Kommunikation kritisch begegnet. Nicht die scheinbare oder tatsächliche Übermacht des Geldes ist das soziologisch interessante Thema, sondern die Parallelität von Geldgebrauch und -kritik. Denn man irrt sich, wenn man glaubt, das Geld sei eine Art Instrument der Herrschaft der Wirtschaft über die Gesellschaft. Das Geld ist Medium der Knappheitskommunikation im Kontext der Gesellschaft, so wie die Wirtschaft selbst ein Teil der Gesellschaft ist und ihr nicht irgendwie gegenübersteht. Wenn man die Herrschaft der Wirtschaft über die Gesellschaft oder des Geldes über andere Kommunikation beklagt, beklagt man, so der rote Faden des soziologischen Einwandes gegen diese Art der Kritik, die Herrschaft der Gesellschaft über die Gesellschaft (und die der Kommunikation über die Kommunikation). Zweifelsohne ist das Geld ein »disembedding mechanism«, vergleichbar anderen Medien wie der Liebe, der Macht, der Wahrheit, dem Glauben oder der Kunst, aber damit löst es, wie Anthony Giddens in »The Consequences of Modernity« (1990) zeigt, auf ihm beruhende Kommunikationen nur insofern aus »lokalen« Kontexten heraus, als es sie im selben Maße »across indefinite spans of time-space« zu 67
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restrukturieren, zu rekontextuieren und somit auch wiedereinzubetten vermag (Giddens 1990, S. 20ff.). In jeder Generalisierung steckt ein Stück Abstraktion vom lokalen Kontext, aber mit dieser Abstraktion verflüchtigt sich die Generalisierung nicht in ein Symbolreich der Virtualität, wie gängige Diskursillusionen es gegenwärtig vermuten, sondern sie kehrt ganz im Gegenteil mit der Macht der hieraus gewonnenen neuen Weltkontexte wieder in die lokalen Kontexte zurück. Genau deswegen bietet sie ja Anlass zur Kritik. Die soziale Funktion eines symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums, so wie sie Niklas Luhmann im Anschluss an Talcott Parsons beschreibt (Luhmann 1997, Kap. 2, Abschn. IXff.), ist jedenfalls nur auf der Ebene des Gesellschaftssystems und dessen Unterstützung der Ausdifferenzierung eines Funktionssystems wie etwa der Wirtschaft zu verstehen. Hier wie in den anderen bislang identifizierten Fällen dieser Medien, also in der Kommunikation von Wahrheit, Werten, Liebe, Erziehung, Kunst, Macht und Recht, geht es um Motivationsvorteile zur Teilnahme an der entsprechenden Kommunikation, die daraus gewonnen werden, dass erstens deutlich gemacht wird, worauf die entsprechende Kommunikation keinen Anspruch erhebt, und zweitens die möglichen Anschlusskommunikationen so eingegrenzt werden, dass Orientierungsschwierigkeiten zunächst minimiert und dann zur Profilierung der Eigenleistung des jeweiligen Mediums gezielt gesteigert werden können. Wer sich zum Beispiel auf das Medium der Liebe einlässt, weiß sofort, woran er ist, bekommt es jedoch mit erheblichen und je nachdem reizvollen Folgeschwierigkeiten des Handlings der von diesem Medium verlangten Leidenschaft (Passion) zu tun. Der Umgang mit beidem, mit der Leichtigkeit wie mit der Schwierigkeit, ist nur möglich, indem man ein im Einzelfall hoch anspruchsvolles Kalkül mitlaufen lässt, wann und wie lange man sich auf die Liebe einlässt, auch in der Kommunikation mit dem anderen, und wann nicht. Luhmann bringt diese Medienfunktion auf den Punkt, indem er davon spricht, dass die Motivationsfunktion der Medien im Zusammenhang einer Selektionsfunktion steht, und umgekehrt. In dieser Form, so radikal war Parsons’ Ausgangsthese (Parsons 68
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1977, S. 220ff.), beerbt die Medienkommunikation die Funktion der sozialen Schichtung in vormodernen Gesellschaften, die ebenfalls zur Teilnahme an der Kommunikation von Adel, Klerus und Bauern – ganz zu schweigen von den »feinen Unterschieden«, die in diese Feudalstruktur eingebettet werden konnten (Bourdieu 1979) – motivierte, indem sie herausarbeitete, an welcher Kommunikation man, wenn man hier teilnahm, gleichzeitig nicht teilnahm. Diese Negation, eine Art Reflexionswert der eigenen Kommunikation, konnte dann in entsprechende Stilisierungen und Ziselierungen der eigenen Kommunikation umgesetzt und auch für die Markierung möglicher Folgekommunikation, nämlich all derer, die sicherstellt, dass niemand einen Kategorienfehler, das heißt eine Verwechslung der sozialen Schicht, begeht, zugespitzt werden. In dem Moment, in dem die soziale Schichtung als primäres Medium sozialer Ordnung wegen der sich durchsetzenden Komplexitätsansprüche von Politik und Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst, Religion und Erziehung nicht mehr funktioniert, muss eine Alternative gefunden werden. Die genannten Kommunikationsmedien (Parsons erörtert darüber hinaus die möglichen Medien »Intelligenz« zum Umgang mit kognitiver Rationalität, »Einfluss« zur Markierung »kulturellen«, das heißt normativ handlungsorientierenden Prestiges, und »Affekte« zur Erzielung von Solidaritätseffekten; Parsons 1977) sind diese Alternative, weil sie darauf verzichten, Personen Schichten zuzuordnen, sondern stattdessen einzelne Kommunikationen Sachbereichen (inklusive deren Personal- beziehungsweise Rollenausstattung und deren jeweils spezifischen Zeitkalkülen) zuordnen, bei relativer (programmatisch seit der Französische Revolution jedoch: absoluter) Indifferenz gegenüber den Personen, auf die die Kommunikationen jeweils zugerechnet werden. Alle können teilnehmen – und alle sollen. Vielleicht hat man sich im 19. Jahrhundert für einen Moment vorstellen können, Personen nicht mehr Schichten, sondern stattdessen Berufen, Professionen zuzuordnen und so die gesamte Gesellschaft zu ordnen (Durkheim 1893, Vorwort zur 2. Aufl. 1902), aber das erwies sich als eine Illusion, wie dies nicht zuletzt Webers Rekonstruktion und Dekonstruktion der protestantischen Berufsidee nicht ohne Schmerz erfahrbar macht 69
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(Weber 1920/21, Bd. 1, S. 63ff. und 203f.). Heute kann die Professionsidee auf gesellschaftlicher Ebene nur noch als eine Art Therapie der Erfahrung von Autonomieverlust diskutiert werden (Oevermann 1996, etwa S. 91). Kommunikationsmedien ordnen die Gesellschaft, indem sie Zuordnungsprobleme von Kommunikationen lösen, das heißt eine folgenreiche Kommunikation inklusive der Verkettung ganzer Kommunikationsprozesse ermöglichen, indem sie die dazu gebrauchte Selektivität zuschneiden. Man kann auch sagen, dass sie sich unersetzbar machen, weil nur sie in der Lage sind, die von ihnen ausgelösten Probleme auch wieder zu lösen, so wie man Macht braucht, um mit den Folgeproblemen von Macht fertig zu werden, Liebe, um mit den Folgeproblemen von Liebe fertig zu werden, und jeweils Kunst, Wahrheit, Glauben, um mit den Folgeproblemen von Kunst, Wahrheit und Glauben fertig zu werden. Geld löst die Folgeprobleme von Geld, insbesondere die Probleme des Geldmangels, und wer sonst keine Gründe haben mag, im Medium des Geldes zu kommunizieren, tut es wegen der Lösung dieser Folgeprobleme. Die spezifische Konstellation nun, die das Medium Geld ausnutzt, um zur Knappheitskommunikation zu motivieren, ist die Kombination von Handeln mit Erleben. Der Zahlende handelt und der Beobachter schaut ihm dabei zu, lässt es geschehen, beschränkt sich auf sein Erleben. Die Knappheitskommunikation im Medium des Geldes, das müsste inzwischen hinreichend deutlich geworden sein, ist eine Kommunikation, die nicht bestimmt dual, sondern unbestimmt triadisch verankert ist. Es geht ihr nicht primär darum, den Tauschpartner zu überzeugen, sondern darum, den Dritten, den unbestimmten, im Einzelfall jedoch nur allzu konkreten, im Zweifel auch gerne störenden (Priddat 2002, S. 15) Beobachter zum Stillhalten zu bewegen. Nur deswegen, so muss man die These zuspitzen, lässt sich auch der Tauschpartner, lassen sich beide Tauschpartner überzeugen. Alles andere wäre viel zu riskant, und dies erst recht, sobald man nicht nur an ein flottes Geschäft auf einem Markt, an einen one-day-stand (hit and run), sondern an die Institutionalisierung der Wiederholbarkeit des Geschäfts, an synallagmatische, also im Zeitablauf störbare Vertragskonstellationen und an Investitionsprojekte mit ei70
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ner Vielzahl von Partnern (Seeunternehmen, Eisenbahnen, Stadtentwicklung), das heißt an ein repeated business denkt. Luhmann hat mehrere solcher Medienkonstellationen unterschieden, indem er jeweils Handeln und Erleben jeweils der Perspektive von Alter und von Ego zuordnet (Luhmann 1997, S. 336). Die Kommunikation der Wahrheit setzt auf das Erleben von Alter und das Erleben von Ego. Wahrheiten werden vorgeführt, aber nicht als Ergebnis von Handeln dargestellt. Wer handelt, macht sich entweder der Fälschung verdächtig oder hat es bereits mit Technik zu tun und muss sich dann daran messen lassen, ob es funktioniert oder nicht. Die Liebe kombiniert Egos Handeln mit Alters Erleben, das heißt, wenn ich liebe, muss ich mein Handeln so auswählen, gleichgültig, was ich dabei erlebe (!), dass der andere sich nach wie vor als geliebt erlebt – und umgekehrt muss auch der andere, gleichgültig, was er dabei erlebt (!), sein Handeln so auswählen, dass ich mich nach wie vor als geliebt erlebe. Man sieht, wie selektiv und gleichzeitig prominent die Liebeskommunikation mit dem Erleben der Beteiligten umgeht. Nur so scheint es möglich zu sein, die Ansprüche an das Handeln des anderen in Intimkommunikationen sowohl hochzuschrauben als auch herabzusetzen. Beide müssen mit ihrem Handeln ständig auf der Hut sein, aber maßgeblich ist nur, was erlebt wird. In der Machtkommunikation wird das Handeln Egos mit dem Handeln Alters kombiniert. Macht auszuüben heißt, das eigene Handeln so auszuwählen und darzustellen, dass der andere mit dem gewünschten Handeln reagiert und das ungewünschte Handeln unter Androhung ebenfalls unerwünschter Sanktionen (inklusive der Androhung des Entzugs positiver Sanktionen) unterlässt. Interessant an dieser Konstellation ist, dass die Machtkommunikation offen lässt, wie Machthaber und Machtunterworfene die Ausübung von Macht erleben. In dieser Form stellt die Gesellschaft die Möglichkeit der Machtkommunikation frei, ohne ihr die Beteiligten zu unterwerfen, wenn man so sagen darf. Sie können darauf sinnen, zum Beispiel weil sie die Ausübung von Macht als unerfreulich erleben, ihr aus dem Weg zu gehen; und sie können darauf sinnen, es anstelle von Macht lieber mit Geld oder Erziehung oder gar Liebe zu versuchen. Seine Konstellation der Kombination von Alters Handeln mit 71
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Egos Erleben teilt das Geld mit der Kunst, so wie, das gibt die mathematisch beschränkte Kombinatorik der vier Variablen Alter, Ego, Erleben und Handeln leider vor, die Liebe sich ihr Medium mit der Erziehung, die Wahrheit mit den Werten und die Macht mit dem Recht teilen muss. Man kann annehmen, dass daran die ganze Schematik der Zuordnung von Medien zu Ego/Alter-Konstellationen von Handeln und Erleben scheitert, man kann jedoch auch versuchen, und diesen Weg wählt Luhmann, den entsprechenden Verlust an Trennschärfe für einen Gewinn an kommunikativer Spannung (Unschärfe, also Komplementarität im physikalischen Sinne?) zu halten, um dann zu schauen, was die einzelnen Medien von ihrer Konstellationsnachbarschaft haben und wie sie es schaffen, den Verlust an Trennschärfe (den Gewinn an Unentscheidbarkeit) für ihre eigenen Entscheidungen zu nutzen. Die Geldkommunikation wie die Kunstkommunikation setzen darauf, dass die Beobachter stillhalten und sich entweder anschauen, was ihnen zugemutet wird, oder indifferent ausweichen, keinesfalls jedoch sich motiviert sehen, einzugreifen. Und beide Formen der Kommunikation setzen darauf, dass die Beobachter diese Haltung einnehmen, während andere nicht etwa ihrerseits sich auf das Erleben der Welt konzentrieren, sondern dezidiert handeln, eingreifen, Zustände ändern, Chancen verschieben und Restriktionen schaffen: der Künstler, indem er so noch nie erlebte Dinge in die Welt setzt, Klänge ertönen lässt, die man sich nicht hat träumen lassen, oder Bilder malt, die bisher Ungesehenes (inklusive des Sehens selber) sichtbar machen, – der Konsument, der Unternehmer, der Kreditnehmer, indem sie sich Dinge verschaffen (Güter und Dienstleistungen, Arbeitskraft und Vorprodukte, Geld und Kapital), an denen ebenfalls ein Interesse zu haben der Beobachter für sich, weil er sieht, was man mit ihnen machen kann, nicht ausschließen kann. Medial passiert in der Kunst- und in der Knappheitskommunikation dasselbe. Alter handelt – und Ego beschränkt sich auf das Erleben. Beides ist Kommunikation, beides macht einen Unterschied. Die Kunstkommunikation lebt ebenso von der Bereitschaft zum Erleben wie die Knappheitskommunikation. Worum sonst sollte und könnte der Künstler sich bemühen? Und wie 72
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sonst könnte jemand riskieren, Knappheit für andere zu schaffen, während er seine eigene Knappheit reduziert? Dass wir nicht mehr zur Kenntnis nehmen, wie unwahrscheinlich diese Konstellationen sind und wie gefährlich beide leben, der Künstler wie der Wirtschafter, liegt nur daran, dass die gegenwärtige Gesellschaft die Vorgänge bis zur Unerkennbarkeit zivilisiert und damit auch in gewisser Weise ›vergleichgültigt‹ hat. Unsere Gesellschaft ist nur noch selten mit dem Risiko der Ausdifferenzierung befasst; ›Kulturkriege‹ der Auseinandersetzung um die politische Korrektheit von Kunst sind ebenso die Ausnahme wie Hungerrevolten, aber das ändert nichts daran, dass das Risiko nach wie vor besteht. Unsere Gesellschaft ist stattdessen damit befasst, sich mit den Gewinnen aus der Ausdifferenzierung zu beschäftigen, mit dem (unerwarteten) Genuss, den die Kunstwerke zu bieten haben, und mit dem (relativen) Reichtum an Möglichkeiten (Waren, Arbeitsplätze, Kapital), den die Wirtschaft zu bieten hat. In beiden Fällen sind es das Handeln und das Erleben, die gleichermaßen strukturelle Folgen haben, indem sie mit auswählen, was möglich ist und wiederholt werden kann und was nicht. Kommunikativ ist die Kunst ebenso sehr ein Ergebnis der Bereitschaft, sich ihren Werken und Prozessen auszusetzen, wie die Wirtschaft ein Ergebnis der Bereitschaft ist, mit Knappheiten zu rechnen, die andere produzieren. Dass die Ökonomie und die Kunst mehr miteinander zu tun haben, als es sich die allfällige Unterscheidung zwischen Geld und Geist träumen lässt, ist oft genug aufgefallen. Auch dass die Ausdifferenzierung der Kunst der Wirtschaft nicht nur ins Gehege kommt, weil sie ihr Publikum durch eine Fiktionalisierung der Wirklichkeit der tatsächlichen Wirklichkeit entfremdet, sondern dieser Ausdifferenzierung auch zuarbeitet, weil sie Quellen der Imagination von Erlebnisbereitschaften freisetzt, auf die das Knappheitskalkül allein nicht gekommen wäre, ist bekannt (Shell 1978; 1982; Hutter 1986; 1991; 1995; Vogl 2002; Brellochs/Schrat 2005). Die wirtschafts- ebenso wie kunstsoziologisch brauchbare Medientheorie der Kommunikation liefert dafür jedoch zusätzlich auch eine Erklärung, indem sie auf die kommunikativ unwahrscheinliche, aber auch nur kommunikativ durchführbare Formierung eines Erlebens hinweist, das nicht etwa nur hinnimmt, son73
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dern so selektiv hinnimmt, dass daraus im Kontext der Beobachtung zweiter Ordnung Informationen für diejenigen resultieren, die handeln. Vor diesem Hintergrund wird dann allerdings auch die Frage nach der Unterscheidung zwischen Kunst und Wirtschaft dringlich. Es ist zwar bekannt, dass Kunst auch verkauft werden kann und will, aber man weiß ebenfalls, dass Künstler wie Kunstbetrachter zwischen Kunstkauf und Kunstgenuss zu unterscheiden wissen, zur Freude von Galeristen und Kulturmanagern, die hier nur deswegen mit Verwechslungen arbeiten können, weil die Verwechslung in jedem Einzelfall bei Bedarf auch wieder aufgeklärt werden kann. Und umgekehrt ist auch bekannt, dass Konsumenten ihren Konsum und Produzenten ihre Produkte ästhetisch zwecks Erzielung von Distinktionsgewinnen zu stilisieren wissen. Auch davon lebt ein Design, das gleichzeitig jedoch noch andere Schnittstellen erforscht (Baecker 2005, S. 254ff.). Aber dennoch kommt auch hier niemand außer den interessierten Ästheten auf die Idee, Kunst und Wirtschaft deswegen identisch zu setzen. Das ist auch gar nicht möglich, denn das Erleben des Kunstbetrachters führt nur dann zu einem Kauf, wenn er das Kommunikationsmedium wechselt und damit eine zusätzliche, als solche zu treffende und zu reflektierende, also in jedem Einzelfall unwahrscheinliche Entscheidung trifft, und das Erleben des Wirtschafters ist nur dann bereit, das Knappe oder sogar die Verknappung als solche auch künstlerisch zu genießen, wenn daraus ein Stilisierungsgewinn gezogen werden kann, der seinerseits für Kaufentscheidungen nützlich werden kann. Der Dandy und der Flaneur sind dafür im 19. Jahrhundert schulbildende Beispiele. Sie führen durch ihre bewusst selektiven Kaufentscheidungen inklusive ihrer angesichts der neuen Marktfülle in den städtischen Passagen auch erforderlichen Fähigkeit, sich des Kaufens sichtbar, nämlich »blasiert« beziehungsweise »cool«, zu enthalten, vor, dass und wie man die knappen Güter als Überfluss genießen und ablehnen kann (Benjamin 1938/40; Simmel 1903a). Das heißt, sie verdoppeln das Knappheitskalkül ein weiteres Mal, indem sie die knappe Ressource Käufer einführen, eine zivilisatorische Errungenschaft ersten Ranges. Worin also besteht der Unterschied zwischen Kunst und Wirt74
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schaft, wenn man kommunikativ so viele Nachbarschaften feststellen kann (und wir verzichten hier darauf, ähnliche, allerdings anders begründete Nachbarschaften zu den Medien der Macht, des Glaubens, der Liebe, der Wahrheit über die oben gemachten Anmerkungen hinaus auszuarbeiten)? Die Antwort auf diese Frage ist zugleich eine Antwort auf die Frage nach der Konstitution der Knappheitskommunikation im Medium des Geldes. Wir lassen die Frage der Schärfung der Kunstkommunikation hier offen (Luhmann 1995; Baecker 2006) und konzentrieren uns auf die Seite des Geldes. Die Antwort ist einfach und folgt der bisherigen Analyse der Knappheitskommunikation. Kommunikation im Medium des Geldes ist darin distinkt, dass sie grundsätzlich etwas mit Entschuldung und Verschuldung zu tun hat. Knappheitszugriffe im Medium des Geldes werden gesellschaftlich nur dann konzediert, so könnte man sagen, wenn die Knappheit gleichzeitig anerkannt wird, die man durch den käuflichen Erwerb von Gütern und Dienstleistungen reduziert. Wer Knappheit reduziert, muss Geld ausgeben und das heißt, sichtbar seine eigene (relative) Knappheit steigern und sich sichtbar in die (mehr oder minder dringliche) Situation bringen, das Geld wieder zu verdienen, das er gerade ausgegeben hat. Selbst wenn er sich nicht zur Finanzierung seiner Käufe gegenüber einem Geldgeber verschuldet, so muss er sich doch und in jedem Fall gegenüber der Gesellschaft verschulden, indem uno actu mit der jetzigen Geldverwendung der künftige Geldbedarf anerkannt wird. Das brachte Walter Benjamin seinerzeit auf die bereits erwähnte Idee, dass der Kapitalismus eine Religion sei oder sie zumindest beerbe, weil zwischen den Schulden hier und der Schuld dort in puncto unabweisbarer Verstrickung in den Zusammenhang der entweder von Priestern oder von Geldgebern verwalteten Gesellschaft kein Unterschied bestehe (Benjamin 1921). Aber diese Idee beruht nicht nur auf der Unkenntnis der zugrunde liegenden Medienkonstellation, sondern vor allem auf der Unterschätzung des Unterschieds der jeweiligen Potentiale an Verstrickung und Wiederauflösung der Verstrickung. Dass die Religion und die Wirtschaft in dieser Hinsicht funktionale Äquivalente sind, will ich nicht bestreiten (Deutschmann 1999; 2003). Aber dies anzuerkennen, sollte nicht dazu führen, das eine für das an75
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dere zu halten. Die transzendentale Verankerung der Schuld in der Erbsünde eröffnet andere Formen des Umgangs mit ihr als die immanente Verankerung der Schuld in der Kreditbereitschaft von Geldgebern, selbst wenn die Transzendenz höchst immanent zur Geltung gebracht wird und die Immanenz ohne Verweise auf eine immer etwas ungewisse, nur aus Zeichen zu deutende, erlösende, die Schulden ablösende Zukunft nicht auskommt. Auf der Ebene der Gesellschaft (im Unterschied zur Ebene ihrer Funktionssysteme) treibt die Gesellschaft den Redundanzverzicht durch funktionale Differenzierung ihrer Kommunikationsmedien (Luhmann 1988a, S. 323) nie so weit, dass nicht auch bestimmte Formen des Füreinandereinspringens und darüber hinaus bestimmte Formen der wechselseitigen Plausibilitätsanleihen möglich sind und bleiben. Im Rahmen unserer Soziologie der Bedingungen der Knappheitskommunikation können wir deswegen relativ eindeutig für eine Kredit- und Liquiditätstheorie des Geldes optieren, die die Funktion des Geldes darin sieht, dass das Geld Vermögen als Verschuldung und Verschuldung als Vermögen sowohl dingfest als auch flüssig zu machen erlaubt (Veit 1948; Schmölders 1960; Heinsohn/Steiger 1996; Ingham 2004a; 2004b). Die Selektivität des Geldmediums liegt darin, dass es Knappheitszugriffe nur um den Preis von Knappheitssteigerung erlaubt, seine Fähigkeit zur Motivation von Kommunikation darin, dass man aus der Verwendung von Geld Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung gewinnt, die mit keiner anderen sozialen Verpflichtung bezahlt werden müssen als derjenigen, den Nachschub an Geld sicherzustellen. Man braucht keine Macht auszuüben, um an knappe Güter heranzukommen; man braucht die Verkäufer von knappen Waren nicht zu verführen; man muss nicht gleich einheiraten, nur um einen Arbeitsplatz zu bekommen; man braucht nicht mit dem Fluch des Herrn zu drohen oder die Einheit des Kosmos zu beschwören, um zur Teilung der knappen Gaben aufzufordern; man muss nicht versuchen, die Leute zur Einsicht in ihre eigenen Interessen erst zu erziehen; und man braucht nicht auf Wissenschaft, insbesondere Soziologie, zu verweisen, um deutlich zu machen, dass wir alle in derselben Gesellschaft operieren, wenn
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man auch einmal Austern probieren möchte. Es reicht, für sie zu bezahlen. Man kann all dies tun, ja es ist mehr oder minder ausdrücklich freigestellt, um das Medium Geld innerhalb anderer Möglichkeiten des Knappheitszugriffs zu profilieren. Aber die Regel ist, dass man zahlt und damit deutlich macht, dass man in die Bedingungen der Regenerierung von Zahlungsfähigkeit, wie sie in der jeweiligen Gesellschaft vorherrschen, einwilligt und die mit der Konzentration auf diese und nur diese Bedingung des Zugriffs einhergehende Freiheit der Wahl sonstiger sozialer Bindungen zu schätzen weiß.
3. Die doppelte Schliessung der Wirtschaft Eine weitere und unsere Überlegungen zu diesem Thema abschließende Pointe der Duplikation von Knappheit im Medium des Geldes ist die dadurch erreichbare Schließung der Knappheitskommunikation zu einem System der Wirtschaft, wie sie Niklas Luhmann herausgearbeitet hat (Luhmann 1988a, insbes. Kap. 2, 4, 6 und 7). Wer zahlt, muss sich um die Regenerierung seiner Zahlungsfähigkeit kümmern, das heißt sich in den Stand setzen, durch eigene Angebote an Waren, Kapital oder Arbeitskraft seinerseits zum Empfänger von Zahlungen zu werden, die den Geldvorrat auffrischen und für eigene Zahlungen zur Verfügung stehen. Schließung heißt hier »doppelte Schließung«, nämlich Schließung auf der Ebene der Operationen und Schließung auf der Ebene der Beobachtungen, die diese Operationen begleiten und regulieren (von Foerster 1973). In unserem Fall bedeutet das, dass Teilnehmer an der Wirtschaft einerseits nicht darum herumkommen, auf Geld zurückzugreifen, wenn sie Geld ausgeben wollen (einfache Schließung), andererseits jedoch nur durch ihre eigene Beobachtungsfähigkeit (Findigkeit) darin beschränkt sind, nach Möglichkeiten zu suchen, ihr Geld zum einen auszugeben und ihr Geld zum anderen zu verdienen (zweite Schließung). Der Verlust eines Freiheitsgrads, so Heinz von Foerster an anderer
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Stelle (von Foerster 1984), hier der Verlust der Möglichkeit, Geld anders als durch Geld zu regenerieren, eröffnet eine nur durch die Gesellschaft selbst eingeschränkte Fülle an Möglichkeiten, wobei auch »die Gesellschaft« nichts anderes ist als der Verlust eines einzigen Freiheitsgrades, nämlich der Möglichkeit, auf Kommunikation anders als durch Kommunikation zu reagieren. (Wer Gewalt ausübt, Suizid begeht, die innere Kündigung wählt, dem Autismus oder anderen psychischen Formen der Selbstisolation anheim fällt, löst damit in der Gesellschaft nur insofern Effekte aus, als dies erlebt wird und zu Handlungen führt, die ihrerseits beide nur Sinn ›machen‹ im wörtlichen Sinne des Wortes, wenn und insofern sie von der Gesellschaft kommuniziert werden.) Diese doppelte Schließung lässt sich am besten daran erkennen, dass und wie die Wirtschaft der Gesellschaft immer raffiniertere Formen der Reflexion auf ihr eigenes Knappheitskalkül entwickelt. Die Evolution von Produktion und Konsum zu immer unwahrscheinlicheren, zugleich aber ihren Bedarf findenden Gütern und Dienstleistungen ist dafür nur ein Fall, die Ausdifferenzierung von Banken auf der Ebene des Handels mit Geld, das heißt auf der Ebene des Kalküls der Risiken von Zahlungsversprechen, ein bekannter anderer Fall (Eccles/Crane 1988; Luhmann 1988a, Kap. 4; Baecker 1991). Darauf können wir in dieser Einführung nicht in der gebotenen Ausführlichkeit eingehen, wir kommen jedoch im nächsten Kapitel unter dem Gesichtspunkt der Konstitution von Märkten im Rahmen der Knappheitskommunikation darauf zurück. Uns interessiert hier ein dritter Fall der Ausbeutung von Reflexionschancen auf das Knappheitskalkül im Rahmen des Knappheitskalküls, nämlich das von Banken mitbetriebene Kalkül des Geldes in ›Begriffen‹ des Kalküls des Geldes. In der ökonomischen Theorie ist dies eine besondere Weiterentwicklung der Kredit- und Liquiditätstheorie des Geldes zu einer Finanzierungstheorie des Geldes, deren Erklärungsleistung vor allem auf die so genannte Zinssatzstruktur der Wirtschaft zielt (Keynes 1936, S. 222ff.; Gurley/Shaw 1960; Claassen 1965; Culbertson 1966). Zinsen, ihrerseits ein Zeichen dafür, einer gewissen Gnade teilhaftig zu sein, die man je nach Bedarf, theologischem Raffine78
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ment und kirchlichem Schutz immanent oder transzendent zurechnen kann (Nelson 1949; Knoll 1967), sind der Preis für die Verwendung von Geld, den man demjenigen entrichtet, der bereit ist, für eine gesetzte Frist auf die Verwendung des Geldes zu verzichten. Es handelt sich um den deutlichsten Fall der Differenzierung von Nutzungsrechten am Eigentum (Heinsohn/Steiger 1996, S. 436ff.). Auch der Zins orientiert sich an Zahlungen, denn er ist an den Verzicht auf die Verwendung bestimmter Gelder und deren Übergabe an Kreditnehmer gebunden, die sie nach eigenen Vorstellungen verwenden. Aber der Zins reflektiert zusätzlich zu den Kosten des Verzichts auf die Verwendung des jeweiligen Geldes (beziehungsweise zusätzlich zum Gewinn aus den aus Krediten gewonnenen Geldern) auch das Risiko des Kreditgebers, das Geld nicht wiederzusehen, weil der Kreditnehmer flüchtig wird, weil die Investition keinen Erfolg hat oder weil das Geld sonst wie verloren geht. Der Zins reflektiert deswegen die Qualität von Zahlungsversprechungen, nämlich von Versprechungen der Rückzahlung von Geldern. Das gilt für Bankeinlagen, deren Zinsen den Gewinn aus der Verwendung des Geldes sowie die Bonität der Bank, die Einlagen bei Bedarf auch wieder auszuzahlen, reflektieren (Bagehot 1873). Und dies gilt für jeden Kredit, der schon wegen seiner Fristigkeit die Ungewissheit heraufbeschwört, nicht wissen zu können, was die Zukunft bringt. Deswegen hat es der Kreditmechanismus grundsätzlich mit Versprechen zu tun, wie Maurice Allais herausgestellt hat (Allais 1987; Baecker 1991), und deswegen ist der Zins eine Form des Kalküls von Versprechen, das heißt eine Form der expliziten Reflexion auf die Differenz von Gegenwart und Zukunft. Der Zins interessiert uns hier deswegen, weil an seiner Form des Kalküls von Knappheit (an Güterzugriffen) durch Knappheit (an Geldzugriffen) die in der Gesellschaft immer mitlaufende Relativierung der Knappheitskommunikation am besten abgelesen werden kann. Denn von einer Zinssatzstruktur spricht man deswegen, weil der Zinssatz eine nach Geldgebern, Kreditnehmern, Verwendungszusammenhängen, Fristigkeiten und Regionen nicht nur hochgradig differenzierte, sondern auch laufend in den Grenzen der Variation der Preiskommunikation (darauf kommen 79
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wir zurück) variierbare Angelegenheit ist. In ihm werden die Risiken der Rückzahlung (angesichts der Bonität der jeweiligen Kreditnehmer) und der Liquiditätsgrad der Festlegung (zwischen Bargeld, Sparguthaben, Wertpapierdepots, Festzinsanlagen, Aktien, Renten, Beteiligungen und Investitionen) ebenso reflektiert wie die Möglichkeit der Einflussnahme des Geldgebers auf die Verwendung des Geldes (insbesondere bei venture capital, aber auch in familiären, regionalen, ethnischen und mafiösen Kapitalnetzwerken) und die Störbarkeit der jeweiligen Geldverwendung oder Investition im regionalen Zusammenhang (Klima, Politik, Verbrechen), so dass man am Zinssatz präzise ablesen kann, in welcher Relation die Einschätzung des Risikos der Einlösung eines Zahlungsversprechens zur Einschätzung der Risiken der Einlösung anderer Zahlungsversprechen stehen (Modigliani/Miller 1958). Ein Zinssatz steht in Relation sowohl zu anderen Zinssätzen als auch zum Risiko des jeweiligen Kapitaleinsatzes. Als Preis des Geldes ist er daher der Inbegriff des Knappheitskalküls, insofern dieses nicht nur aktuelle Knappheiten auf der Konsumentenseite, sondern auch Verknappungschancen durch Produktion miteinander zu vergleichen sucht und beide in eine Relation zu Chancen und Risiken von Vorsorgemaßnahmen setzt. Deswegen und nur deswegen gilt der Satz, dass »the real world and the financial world are one world« (Gurley/Shaw 1960, S. 123), und deswegen führt jede Annahme einer von der Realökonomie losgekoppelten »Symbolökonomie« in die Irre. Die so genannte Symbolökonomie hat ihre Anhaltspunkte am Risiko der Geldanlagen, und dies gilt selbst dann, wenn diese Anhaltspunkte nur noch in der Einschätzung der Einschätzung des Risikos von Geldanlagen durch andere Geldanleger bestehen. Denn auch dann ist das Risiko eine reale Größe, an der sich die Knappheitskalküle der Wirtschaft orientieren – auch dann, wenn es nur noch um die Sicherung des Geldvermögens geht. Denn diese Sicherung kann nur geleistet werden, wenn Zahlungsversprechen sowohl gegeben als auch gehalten werden. Auf die Fragen der Risiko- und Informationsökonomie kommen wir zurück, wenn wir zusätzlich zum Medium Geld auch etwas über die Netzwerke der Märkte wissen. Wir wollen hier mit 80
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der ökonomischen Kredit- und Liquiditätstheorie des Geldes eine Überlegung einführen, die noch etwas genauer als bisher zu erklären vermag, was damit gewonnen ist, wenn man das Medium Geld als ein »Medium« bezeichnet. Auf die entsprechende Medientheorie von Talcott Parsons und Niklas Luhmann haben wir hingewiesen (Kap. II/2). Ein Verweis darauf, dass der Satz von Marshall McLuhan, dass das Medium die Botschaft sei, auch hier seine Gültigkeit hat, lässt sich anfügen (McLuhan 1964), insofern gilt, dass man auf bestimmte Ideen der Produktion und des Konsums, des Sparens und Investierens nur kommt, weil es das Geld nun mal bereits gibt. Im Medium des Geldes kommuniziert die Gesellschaft ihr Knappheitskalkül der Wirtschaft, so dass man einen Geldschein mit der Absicht seiner Verwendung nur in die Hand zu nehmen braucht, um bereits Teil dieser Knappheitskommunikation zu sein, gleichgültig, was man davon versteht und was nicht. Das muss man sehen, wenn man soziologisch rekonstruieren können will, warum das Geld in der Gesellschaft ebenso viel Verehrung wie Verdammung findet. Die Botschaft als solche, es mit einer Knappheit zu tun zu bekommen, die den Überfluss in Reichweite rückt (so glauben die Verehrer) beziehungsweise endgültig unmöglich macht (so glauben die Verdammer), wird in dem Moment wahrgenommen, in dem man sich aus der Befangenheit innerhalb der Knappheitskommunikation, aus dem Wirtschaften, löst und eine gesellschaftliche Perspektive einnimmt, die das Geld in seiner spezifischen Form von anderen Medien zu unterscheiden erlaubt. In diesem Moment entdeckt man, dass man es mit einem spezifischen Medium zu tun hat und dass andere Medien, die Macht und die Wahrheit, die Liebe und der Glauben, die Kunst und die Erziehung, in spezifischen Situationen und aus persönlichen Gründen, aber eben auch wegen der andersartigen Gesellschaft, die sie in Reichweite rücken, attraktiver sein können. Dann versucht man, den Kanal zu wechseln und in anderen Botschaften zu sprechen, kann dies jedoch nie auf eigene Faust machen, sondern muss sehen, dass andere mitmachen. Denn selbstverständlich hat das Medium des Geldes Medieneigenschaften, die man als solche begrüßen oder ablehnen kann, selbst wenn es nicht darum geht, bestimmte Dinge zu kaufen 81
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oder zu verkaufen. Man kann beobachten, dass ein Medium in dem Moment, in dem es auftaucht, aufgerufen, akzeptiert wird, die Welt verändert. Es taucht die Welt in ein spezifisches Licht, das einem gefallen, aber auch missfallen kann. Der Begriff, der dieses zu beschreiben erlaubt, ist Fritz Heiders in der kleinen Schrift »Ding und Medium« entwickelter Medienbegriff, der zunächst einmal von Wahrnehmungsmedien wie Licht und Luft, dann aber auch allgemeiner von Wellen, Spuren und Handlungen spricht. Heider beschreibt ein Medium als eine lose gekoppelte Menge von Elementen, in die Dinge, wir sprechen von »Formen«, hineingeprägt werden müssen, will man sie sichtbar, hörbar, erlebbar machen (Heider 1926; Baecker 2004a, S. 257ff.). Schallwellen als Medium für Geräusche, Lichtwellen als Medium für Sichtbares, Spuren als Medium für Detektivarbeiten, die Sprache als Medium für Worte und Sätze, die Schrift als Medium für Texte, der Buchdruck als Medium für Bücher, der Computer als Medium für multimediale (sic!) Mitteilungen, aber auch die Macht als Medium für Befehle, die Wahrheit als Medium für Erkenntnisse und eben das Geld als Medium für Zahlungen, all dies sind Beispiele für Verbreitungsmedien und so genannte Erfolgsmedien der Kommunikation. Alle beruhen gleichermaßen darauf, dass lose Kopplungen vorliegen, aus denen unter bestimmten Bedingungen feste Kopplungen gewonnen werden können, die in vielen Fällen gleich anschließend wieder zerfallen. Aber nur diese festen Kopplungen in Gestalt von Dingen oder Formen sind beobachtbar, das Medium als solches ist es nicht. Wir hören den Schall nicht, während wir Geräusche hören, wir sehen das Licht nicht, während wir etwas sehen, und wir spüren zwar die Macht, wenn wir einen Befehl geben, ihm gehorchen oder ihn verweigern, aber wir können sie, im Gegensatz zum Befehl, nicht greifen, und wir ahnen (ozeanisch, sagte Freud) etwas von der Liebe, wenn wir in ihrem Medium kommunizieren, aber auch sie bekommen wir nicht zu fassen, ganz zu schweigen von der Wahrheit, die wir mit jeder Erkenntnis anstreben und aufs Spiel setzen. Genauso ist es auch mit dem Geld. Wir wissen nur von ihm, weil wir Zahlungen beobachten können. Und wir wissen von seinen verschiedenen Währungen, den monetären und den nicht82
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monetären, nur, weil wir aus der Beobachtung von Zahlungen auf ein Medium schließen und seine Struktureigenschaften der Knappheitskommunikation beschreiben, die wir dann auch an anderen Formen der Kommunikation (Gunsterweisen zum Beispiel) beobachten können. Das Geld selbst ist unsichtbar beziehungsweise sichtbar nur um den Preis der Verwechslung von Münzen, Banknoten, Kontobuchungen und Vermögensfestsetzungen einerseits mit Geld – und andererseits mit anderen Medien, wie man leicht feststellen kann, wenn man die falsche Währung im Portemonnaie hat oder im falschen Moment zu zahlen versucht. Dieser Medienbegriff ist soziologisch interessant, weil er es erlaubt, den Skandal des Geldes in der Gesellschaft, sein Ärgernis und seine Faszination, zu verstehen. Denn das Geld ist insofern Medium, als es die ganze Welt, ihre Dinge, ihre Leistungen, ihre Ereignisse, ihre Beziehungen, zu medialisieren scheint. Wenn man für Butter und Zucker bezahlen kann, warum dann nicht für ein Lächeln (das Privileg des Gastes gegenüber dem Kellner), für Respekt (es sei denn auf dem Umweg prestigebetonten Konsums) oder für Gewissheit (die man nicht mehr haben will, wenn der Privatdetektiv sie bringt)? Vor der Auflösung fester Kopplungen im Bereich von Haus- und Grundbesitz, Freundschaften, Verfügung über den eigenen Körper (Kinderarbeit, Kinderverkauf, Frauenhandel), einer schicksalhaften (anderen unzugänglichen) Zukunft und eben auch Respekt, Reputation und Prestige scheint nichts mehr sicher zu sein, wenn der Blick des Käufers, geschult am Geld, einmal zu wandern beginnt. Dann wird nicht nur das Eigentum in Nutzungsrechte gesplittet, dann werden aus Wiesen Golfplätze, aus Bahnhöfen Einkaufspassagen (und aus Einkaufsstraßen, weil es sich nicht mehr lohnt, Spielhallenstraßen), aus Museen event locations, aus Freundschaften Beziehungskapital und aus der eigenen Biographie Karrierepfade der Steigerung und Ausbeutung von Humankapital. Natürlich gelingt diese Verwandlung von Welt in Knappheitsbestände nur höchst selektiv und gänzlich nur im Mythos (des Midas), aber dafür muss die Gesellschaft erst sorgen. Und dafür kann sie nur sorgen, wenn sie dem Blick des Geldes folgt und Beobachtungssperren einrichtet, die sich aus anderen Medien 83
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und aus der Moral gewinnen, einem zwar nicht zuverlässigen, aber immer wieder verlockenden Medium, weil es sich ad personam anwenden lässt (die uneleganteste Form der Kommunikation, weil man nie weiß, ob sie dort, in der Zurechnung auf die Person, nicht stecken bleibt). Das Ausmaß an Misstrauen, mit dem die Gesellschaft der Medialisierung der Knappheitskommunikation zum »universal instrument« des Geldes auf der Spur bleibt, erkennt man unter anderen auch daran, dass der Geldgebrauch in konkreten Gesellschaften, wie Viviana A. Zelizer in wirtschaftssoziologisch einflussreichen Studien gezeigt hat, häufig in der Form eines Mediums geschieht, das durch »earmarking«, durch das Anbringen von Eselsohren, mal buchstäblich, mal metaphorisch, daran gehindert wird, anderen als bestimmten Verwendungen zugeführt zu werden (Zelizer 1993; 1997). Zwar führt es zu weit, diese Eselsohren als die »soziale Bedeutung« des Geldes zu bezeichnen, denn das Geld, an dem die Eselsohren angebracht werden, ist ja seinerseits als Ausdruck der Knappheitskommunikation der Gesellschaft bereits sozial. Aber immerhin zeigen Praktiken wie die Markierung bestimmter Notenbündel als Haushaltsgeld; die unfreiwillig möglichst verschwenderische Verwendung von Lottogewinnen; die Angst vor Geld, an dem ›Blut klebt‹, dass Geld eben doch nicht gleich Geld ist. Gerade weil die Medialisierung der Knappheitskommunikation im Medium Geld so ausnehmend gelungen ist, liegt es zuweilen nahe, der Versuchung, es so beliebig zu verwenden, wie es daher kommt, dann doch nicht nachzugeben. Geld stinkt nicht, dabei bleibt es, aber oft riecht es merkwürdig. Riechen tut es nur dann nicht, wenn wir mit seiner Knappheitskommunikation schon ganz eins sind.
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III. Märkte 1. Beobachtung zweiter Ordnung Wir haben bisher von einer Annahme eher stillschweigend Gebrauch gemacht, die wir jetzt explizit einführen müssen, um eine Verbindung zwischen der Handlungs- und Erlebensebene der Akteure auf der einen Seite und der Ebene der Systemreproduktion auf der anderen Seite herzustellen, nämlich die Annahme der Beobachtung zweiter Ordnung. Die Verbindung zwischen der Ebene der Handlung und des Erlebens auf der einen Seite und der Systemebene auf der andere Seite, der so genannte Mikro/MakroLink, gilt traditionell als schwierig (Alexander/Giesen/Münch/ Smelser 1987) und wird von soziologischen Theorien im Rational-Choice-Stil gerne zitiert, um Handlungen einerseits unter der Rationalitätsannahme beschreiben zu können, ihnen andererseits aber nicht das Intendieren der Systemeffekte aufbürden zu müssen (Coleman 1990). Man interessiert sich dann typischerweise für »Mechanismen« oder »Formalismen«, die dafür verantwortlich gemacht werden können, dass Verknüpfungen zustande kommen, von denen man nicht genau weiß, wie sie zustande kommen. Man beschreibt Verknüpfungsmuster (Konnektivitäten, Netzwerke), die mit einer gewissen Verlässlichkeit immer wieder auftauchen und denen daher auch eine gewisse Kausalität, das heißt die Wiederholung von Ursachen möglicher Wirkungen, zugeschrieben werden kann (Abell 1987; 2000a). Diese Verknüpfungsmuster sind Hypothesen, die sowohl auf der Ebene des Gegenstands als auch auf der Ebene der Beschreibung scheitern können und deswegen als empirisch aufschlussreich, methodisch unverzichtbar und theoretisch weiterführend gelten (Abell 2000b; Tilly 2004). Sie ermöglichen es, etwas über den Gegenstand und die eigenen Beschreibungen zu lernen. Sie zwingen zur Zuspitzung der eigenen Beobachtungen und ermöglichen auf dieser Grundlage einen kontrollierten Umgang mit der eigenen Erkenntnis. Wir übernehmen in dem vorliegenden Ansatz zu einer Soziologie der Knappheitskommunikation diese Annahme einer Tren85
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nung zwischen Handlungs- und Erlebensebene auf der einen Seite und Systemebene auf der anderen Seite, erläutern jedoch das Konzept eines Mikro/Makro-Links durch die Beschreibung des Formalismus einer Beobachtung zweiter Ordnung. Einen ersten Ausblick auf die Systemebene haben wir bereits erhalten, als wir auf die Schließung der Knappheitskommunikation im Medium des Geldes, auf den Mechanismus – wenn man so will – der Reproduktion von Zahlungen durch Zahlungen gestoßen sind (vgl. Kap. II). Man könnte es dabei bewenden lassen und sich darauf konzentrieren, die von niemanden intendierte und auch nicht intendierbare Drift der Zahlungen in der Evolution der Gesellschaft zu beobachten. Aber das wäre soziologisch nicht sehr informativ und widerspräche auch dem bisherigen Gang unserer Überlegungen, die ja eher darauf zielen, dem wie immer rationalen Handeln der Akteure, weil es ein soziales Handeln, ein Handeln unter Sinnzumutungen ist (Weber 1921a, S. 1), nicht nur eine Orientierung an der Situation (Schütz 1932; Parsons/Shils 1951), sondern auch eine Auseinandersetzung über die Interpretation der Situation zuzuschreiben (Simmel 1908, S. 284ff.), so dass eine zwar notwendigerweise selektive, aber doch immerhin vorhandene Sensibilität für die Ergebnisse des Wirtschaftens in die je aktuelle Beurteilung von Sinn und Unsinn wirtschaftlichen Handelns mit einfließt. Diese Überlegung machen wir uns für die Explizierung einer Annahme zu Eigen, die es uns erlaubt, einen Mikro/Makro-Link in der spezifischen Form der prinzipiell unscharfen, eher kommunikativen als kausalen Verknüpfung der Ebene des Handelns und Erlebens einerseits und der Ebene des Systems andererseits zu postulieren und zu beobachten. Wir nennen den Formalismus, den wir hiermit postulieren, den Formalismus der Beobachtung zweiter Ordnung, eine Denkfigur der auch deswegen so genannten Kybernetik zweiter Ordnung (von Foerster 1993; 2003), und spezifizieren ihn für den Fall der Wirtschaft der Gesellschaft als Markt. Was wir unter dem allgemeinen Formalismus der Beobachtung zweiter Ordnung verstehen, ist nicht ganz selbstverständlich. Wir müssen daher zunächst mit einigen Kommentaren begründen, warum wir ihn auch in der Wirtschaftssoziologie zu86
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sammen mit dem Kommunikationsbegriff und dem Formkalkül für einen geeigneten Ausgangspunkt für Forschung und Lehre halten. Beobachtung zweiter Ordnung heißt, dass wir soziale Orientierungen und Auseinandersetzungen aller Art auf einer Ebene verankern, auf der das Wissen, das wir über unsere Verhältnisse haben (und nicht haben), ein Wissen ist, das sich der Beobachtung von Beobachtern verdankt. Auf den ersten Blick ist diese Annahme kontraintuitiv. Versuchen wir nicht ganz im Gegenteil, uns von den Meinungen, Handlungen, Stimmungen und Befürchtungen unserer Zeitgenossen inklusive zitierter Autoritäten und imaginierter Nachfahren nicht beeindrucken zu lassen und unseren eigenen Verstand, unser eigenes Augenmaß, unseren eigenen Sinn für das Mögliche und das Notwendige zu nutzen, wenn wir tun, was wir tun, und unterlassen, was wir unterlassen? Zweifelsohne – und mit unterschiedlichem Erfolg. Die Annahme der strukturellen Bedeutung der Beobachtung zweiter Ordnung soll dies auch nicht bestreiten, sondern ganz im Gegenteil bestätigen. Allerdings wird diese Maßgabe der Verantwortung für die eigenen Beobachtungen als eine Maßgabe betrachtet, die die Vorgängigkeit der Beobachtung zweiter Ordnung nicht widerlegt, sondern bestätigt. Weil wir uns aneinander orientieren und indem wir uns aneinander orientieren, versuchen wir, auf der Hut zu sein, einen Eigensinn zu entwickeln und die Chance zu steigern, Herr unserer eigenen Beobachtungen zu sein. Der Anlass und Grund für diese Absicht liegt jedoch unumgänglich in unserer Erfahrung der Angewiesenheit auf die Beobachtungen unserer Sozialpartner in der engeren und weiteren Umgebung, als specific oder sogar significant other und als generalized other, die wir imitieren, indem wir uns an ihnen orientieren, und von denen wir, sie darin ebenfalls imitierend, abweichen, um eine eigene Identität zu behaupten, die im Imitationsprozess einigermaßen zugriffsfest ist und sich ihrerseits als Einsatz im Spiel der abweichenden Imitation verwenden lässt (Mead 1932; 1934; Dreitzel 1968). Gabriel Tarde spricht deswegen vom »duel logique« zwischen Akkumulation und Substitution, auf das sich jedes soziale Verhalten reduzieren lasse (Tarde 1895, S. 166ff.): Entweder häufen wir 87
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ähnliches Verhalten an, wie wir es bereits vorgeführt bekommen haben, oder wir ersetzen das eine oder andere Moment, die eine oder andere Geste, die eine oder andere Absicht, die eine oder andere Handlung durch andere Momente, Gesten, Absichten und Handlungen. Von einem »desire to play« und einem »desire to win« spricht Warren McCulloch als den einzigen beiden Mechanismen, die man postulieren müsse, um das Verhalten des »ethical robot« Mensch vollständig beschreiben zu können (McCulloch 1956, S. 200). Unsere Spiele sind Identitätsspiele, die mit Einsätzen aufwarten, die alle anderen sowohl wiedererkennen, das heißt: als mögliche eigene Identitäten wiedererkennen, als auch als interessante, angenehme oder unangenehme, vielfach auch nur uninteressante (aber auch dann ihren Distinktionswert erreichende) Abweichung zur Kenntnis nehmen können (vgl. auch Goffman 1959). Und unsere Gewinne sind Identitäten, die von anderen nicht mehr nur als bloß imitiert beobachtet werden, sondern selbst zu Imitationsvorlagen werden, das heißt, wie die Romantiker dies nannten, als originell, witzig und scharfsinnig, als authentisch und aufrichtig gelten (Jean Paul 1804, S. 171ff.; Trilling 1971). Den Mechanismus, der diesen Formalismus der Beobachtung zweiter Ordnung zusammenhält, hat René Girard präzise beschrieben (Girard 1972; 1978; 1982). Ihm ist es gelungen, die anthropologische Prämisse, dass der Mensch durch seine Bedürfnisse bestimmt sei und seine Identität aus einer möglichst genauen Kenntnis dieser Bedürfnisse sowie einer einfallsreichen Suche nach den Möglichkeiten ihrer Befriedigung gewönne, aufzulösen und die Annahme, dass der Mensch nicht wüsste, was er will, wenn er nicht sähe, was andere wollen, an ihre Stelle zu setzen. Wenn der Mensch nach seiner Identität fragt und sich nicht rechtzeitig mit einigen Artefakten begnügt, stößt er auf eine innere Unruhe und Leere, die ihn zum Spielball seiner jeweiligen Situation und deren Strukturierung durch Erinnerungen und Erwartungen machen. Das wusste schon die frühneuzeitliche Anthropologie der Philosophen Michel de Montaigne (Essais, 1580), René Descartes (Discours de la méthode, 1637) und Blaise Pascal (Pensées, 1670) (Luhmann 1980b). Aber wie sehr die Lösung dieses Problems darin besteht, das 88
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Begehren anderer zu imitieren, die sich nichts sehnlicher wünschen, als in ihrem Begehren bestätigt zu werden, indem andere sie imitieren, das hat erst René Girard herausgearbeitet. Dass dieser Lösung der Konflikt, die Rivalität immanent sind, liegt auf der Hand. Denn wer mein Begehren imitiert, will dasselbe wie ich und wird dadurch zu meinem Konkurrenten. Deswegen brechen in Stammesgesellschaften immer wieder Opferkrisen aus, in denen eine aus der Kontrolle geratende, in rasende Gewalt (weil man sich unterscheiden will und nicht unterscheiden kann) ausartende Rivalität nur durch ihre Ablenkung auf einen Sündenbock – eine anschließend, weil sie überraschenden Frieden stiftet, geheiligte Figur – gebändigt werden kann. Girard verwendet deswegen einen großen Teil seiner Aufmerksamkeit auf die Frage, wie es einfachen Gesellschaften gelingen konnte, dieses Schicksal zu vermeiden und die Bedrohung durch Gewalt zu bändigen. Die Antwort auf diese Frage, die dann auch für die Wirtschaftstheorie von Michel Aglietta und André Orléan maßgebend wurde (Aglietta/Orléan 1984; 2002), lautet: nur durch eine hinreichend abstrahierte Fassung des begehrten Objekts, damit das Begehren des anderen genauso befriedigt werden kann wie meins und wir uns imitieren können, ohne einander ins Gehege zu kommen. Die Liebe der Götter und der Besitz des Geldes sind dafür die schulbildenden Beispiele. In beiden Fällen hat man es mit Objekten zu tun, deren verfügbare Menge nicht beliebig, aber doch kontrollierbar steigerbar ist, so dass, allerdings nach wie vor abhängig von ihrer Akkomodation mit allen anderen, jeder zum Zuge kommen kann. Die Beobachtung zweiter Ordnung ist ein Formalismus, der diese Idee der rivalisierenden und abweichenden Orientierung aneinander zu einem Konzept verdichtet, das zur Untersuchung und Beschreibung sozialer Situationen im Allgemeinen und wirtschaftender Situationen im Besonderen geeignet ist. In seiner nüchternsten Fassung beschreibt dieser Formalismus nicht viel mehr als die Opportunität von Imitation, wenn man es mit unklaren Situationen zu tun hat (Alchian 1950). In dieser Fassung beschreibt er zugleich die Grundbedingungen kultivierten oder auch zivilisierten Verhaltens: Man orientiere sich aneinander, wenn ungewiss ist, womit man es zu tun hat (H.S. Becker 1982; 89
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Baecker 2001a), hüte sich allerdings vor einer Gleichsinnigkeit, die blind macht für die Variation der Umstände (Janis 1972). Die moderne Gesellschaft hat diesen Formalismus in einem Maße perfektioniert, das alteuropäische Beobachter, die versuchen, sich am Wahren, Guten und Schönen zu orientieren, immer wieder irritiert. Wenn die Politik Wählerstimmen, die Erziehung Schülerdisziplin, die Liebe Leidenschaftlichkeit, die Wissenschaft Beweisbarkeit, die Kunst Geschmacksurteile (im Unterschied zum bloßen Geschmack!), die Religion Inbrunst und die Wirtschaft Vorsorgemaßnahmen kalkulieren, so steckt hinter all dem ein Kalkül der Beobachtung zweiter Ordnung, ein Prinzip der dynamischen Stabilisierung der jeweiligen Sozialbereiche, das höchste Sensibilität für die jeweiligen eigenen Umstände mit erstaunlicher Indifferenz für alles andere koppelt und nur noch in der Kontingenz der Verhältnisse einen allerdings außerordentlich robusten Eigenwert hat (Luhmann 1992, insbes. Kap. 3). Beobachtung zweiter Ordnung heißt, dass die Verhältnisse so »freischwebend« werden, wie es Georg Simmel für das Geld und John Maynard Keynes in seinem Bild des »beauty contest« (Wettbewerb zur Frage, wer wohl von allen anderen für die Schönste gehalten wird) als Inbegriff der Struktur des Verhaltens an der Börse beschrieben haben (Simmel 1900, S. 199ff.; Keynes 1936, S. 155f.), damit jedoch zugleich so konditionierbar, wie es die Komplexität der Gesellschaft (das heißt die Notwendigkeit bloß selektiver Verknüpfung aller Elemente der Gesellschaft mit allen Elementen der Gesellschaft angesichts der Unmöglichkeit von Eins-zu-Eins-Verbindungen zu irgendeiner Natur der Verhältnisse, zu irgendeinem göttlichen Schöpfungsplan oder auch nur zur Fortschritts- und Dekadenzgeschichte der Gesellschaft selber) erfordert. Überdies ist der Formalismus der Beobachtung zweiter Ordnung wörtlich zu nehmen. Es handelt sich nicht um einen Formalismus der bloßen rivalisierenden Imitation des Verhaltens des einen durch das Verhalten eines anderen. Sondern: Der andere wird als Beobachter beobachtet! Man orientiert sich an dem, was der andere mit seinem Verhalten, mit seinem Reden und Schweigen, mit seinem Zögern und Auftrumpfen, mit seinen Simulationen und Dissimulationen zu erkennen gibt, und nutzt dafür 90
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das gesamte Repertoire an Beobachtungstechniken, die man der Geschichte des Raffinements der Beobachtung zweiter Ordnung entnehmen kann: die politische Klugheit des Verhaltens am königlichen oder fürstlichen Hofe (Gracián 1647; Schröder 1985), die aus der Lektüre von Romanen gewonnene Technik des geschickten Unterstellens von heimlichen Absichten (Girard 1961), die Ideologiekritik, gewürzt mit der Fähigkeit, Leuten zu unterstellen, sie würden sich den Ast absägen, auf dem sie sitzen (Marx/Engels 1845/46), und dann natürlich die der Psychoanalyse abgeschaute List, statt des Bewusstseins, das nicht mit sich reden lässt, ein Unterbewusstes zu beobachten, das sich nicht wehren kann (zum Beispiel Bornemann 1973). Von diesem Formalismus der Beobachtung von Beobachtungen verstehen wir bislang auch deswegen zu wenig, weil wir zum einen denken, Beobachtungen seien eine bloß passive Operation, und zum anderen nicht verstehen, was das heißt, eine Beobachtung zu beobachten. Das erste Missverständnis ist schnell aufgeklärt, wenn man das Beobachten als Modus der Orientierung an einer Situation und ihren Bestandteilen (Personen, Sachverhalten, Zeithorizonten) einführt, der die Voraussetzung und Rahmung jeder Selektion von Handlungen darstellt (Esser 1990; 1999). Wir haben im vorigen Kapitel bereits das Erleben von Knappheitszugriffen als eine in diesem Sinne aktive, die Situation selektiv strukturierende Operation vorgestellt. Ohne Beobachtung keine Handlung. Insofern ist die Beobachtung bereits eine aktive Operation, weil sie ihre Aufmerksamkeit selektiv zuteilt, weil sie nur sieht, was sie sieht, und nicht sieht, was sie nicht sieht, und weil sie mehr oder minder erfolgreich überspielt, was sie gerne sehen möchte, aber nicht zu sehen bekommt (Leifer 1991). Vor diesem Hintergrund der Aufklärung dieses Missverständnisses ist der zweite Punkt mangelnden Verständnisses des Charakters von Beobachtungen dann nicht mehr schwer zu behandeln. Beobachtungen von Beobachtungen unterscheiden sich von Beobachtungen von Objekten dadurch, dass sie Beobachtungen von Unterscheidungen sind, und dies gleich in doppelter Hinsicht: Die Beobachtung einer Beobachtung ist die Anwendung einer Unterscheidung zur Beobachtung (nämlich Unterscheidung) einer Beobachtung als Unterscheidung. Während die Beobach91
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tung von Objekten Einheiten (units) konstruiert, konstruiert die Beobachtung von Beobachtungen Differenzen. Dabei treten Paradoxien auf, auf die wir hier nicht eingehen müssen (Esposito 1991), die uns jedoch wieder begegnen werden, wenn wir im dritten Abschnitt dieses Kapitels auf die Programmierung der Entscheidungen von an Märkten orientierten Unternehmen und Haushalten zu sprechen kommen. Für uns ist hier nur interessant, dass der Formalismus der Beobachtung zweiter Ordnung neben seiner Konzentration auf die Sozialdependenz der Handlungsorientierung zugleich ein hohes Auflösungsvermögen von Sach-, Zeit- und Sozialzusammenhängen mit sich bringt, indem er Objekte nicht als Einheiten bestätigt, sondern in einen Kontext von Differenzbeobachtungen setzt, der es erlaubt, durch die Wahl der jeweiligen Differenz, mit deren Hilfe beobachtet wird, das Objekt zu variieren, dessen Einheit bestimmt wird. Man spricht zur Kennzeichnung von Theorien, die mit einem solchen Formalismus arbeiten, auch von differentialistischen Theorien und Differenztheorien. Ihre wichtigsten Bezugspunkte haben sie in der Linguistik von Ferdinand de Saussure und seiner Sprachtheorie, die den Wert eines sprachlichen Zeichens in dessen Form, und das heißt für ihn: in dessen Unterscheidung von anderen sprachlichen Zeichen, sieht (de Saussure 1915), sowie im auf die mathematische Kommunikationstheorie von Shannon zurückgreifenden Informationsbegriff von Gregory Bateson, der die Information als einen Unterschied definiert, der einen Unterschied macht (Bateson 1972). Die Pointe dieser Theorien ist, dass sie Kennzeichnungen, Markierungen, Bezeichnungen von etwas als etwas nur insofern als Akte der Identifikation sehen, als diese Identifikation mit der jeweiligen Unterscheidung, die dazu verwendet wird, um etwas zu bezeichnen, variiert. Unterscheide einen Menschen vom Tier und du siehst etwas anderes (nämlich ein Vernunftwesen), als wenn du ihn von Gott unterscheidest (denn dann siehst du ein sterbliches Wesen). Mit der Unterscheidung im Allgemeinen und mit dem Auswechseln des Gegenbegriffs (antonym substitution) im Besonderen ändert sich, was man zu sehen bekommt. Deswegen ist es interessant, eine Beobachtung im Hinblick auf die Unterscheidung zu beobachten, die sie verwendet, und unter bestimmten Umständen nicht überflüssig, 92
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sondern möglicherweise sogar notwendig, die zur Bezeichnung dieser Unterscheidung verwendete Beobachtung ihrerseits auf ihre Unterscheidung hin zu reflektieren. Niklas Luhmann hat dementsprechend vor allem im Zusammenhang seiner Wissenschaftstheorie, der Theorie des Beobachters von Gesellschaft schlechthin, für die Ausarbeitung eines nicht-trivialen Verständnisses von Beobachtung geworben (Luhmann 1990, Kap. 2). Strukturell ähnliche, wenn auch methodisch unterschiedliche Differenztheorien gibt es auch im französischen Poststrukturalismus (Deleuze 1968; Derrida 1967; Descombes 1979). Der entscheidende Punkt an der Beobachtung von Beobachtungen als Unterscheidungen ist die Entdeckung, dass Beobachtungen kontingente Konstruktionen sind. Sie sind Konstruktionen, denn wenn niemand hinschaut, wird auch nichts gesehen (was nicht heißt, dass es nichts gibt, wovon sich ein weiterer Beobachter, wenn er hinschaut, jederzeit überzeugen kann), und sie sind kontingent, weil man etwas anderes zu sehen bekäme, würde man mithilfe einer anderen Unterscheidung hinschauen. Ob ich mir Sportschuhe im Kontext einer Unterscheidung von Lederschuhen anschaue oder im Kontext der Unterscheidung von Markenzeichen, macht für eine Sportindustrie einen gewaltigen Unterschied, die es gar nicht gäbe, wenn die Markenzeichen nicht unterschieden würden. Und ob das Produkt eines Nischenanbieters der Computerindustrie von den Produkten des Konkurrenten unterschieden wird oder von einem im selben Haus konkurrenzlos angebotenen Abspielgerät für elektronische Musikdateien (ein so genannter »iPod«), ist ein Unterschied, der einen Markt auf den Kopf stellen kann. Man hat sich angewöhnt, wegen solcher und anderer Phänomene anzunehmen, in der modernen Gesellschaft würden nur noch Zeichen, Prestigewerte, Symbole, Distinktionsmerkmale konsumiert, während die Gebrauchswerte der Güter und Dienstleistungen weder interessant seien noch überhaupt von den Konsumenten eingeschätzt werden können. Vor dem Hintergrund einer Unterscheidungstheorie der Beobachtung sieht man jedoch, dass es einen Gebrauchswert unabhängig von seiner Form, das heißt unabhängig von der Unterscheidung, die ihn zurichtet im wahrsten Sinne des Wortes, nicht geben kann. Jeder Blick in die 93
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Konsumpraktiken noch der scheinbar einfachsten Gesellschaften kann zudem darüber aufklären, dass eine solche Annahme der Reduktion auf Zeichenkonsum auf einem doppelten Irrtum beruht. Erstens werden in allen Gesellschaften noch die gebräuchlichsten der Gebrauchswerte über den Distinktionswert gesteuert. Und zweitens wäre es schon deswegen ein Irrtum, der modernen oder der aktuellen Gesellschaft eine davon abweichende Dynamik zu unterstellen. Die Annahme einer Reduktion der modernen Gesellschaft auf ›bloßen‹ Zeichenkonsum ist daher selbst nichts anderes als der Versuch der Produktion einer Distinktion, die sich ihrerseits daraufhin befragen lassen muss, worin die Funktion der Behauptung eines solchen Qualitätsunterschieds zwischen der traditionellen und der modernen Gesellschaft besteht (Latour 1994). Die Produktion und der Konsum von Gütern und Dienstleistungen aller Art, wir kommen gleich darauf zurück, ist ohne diesen Formalismus der Beobachtungspraxis zweiter Ordnung, ohne diese ständige Verschiebung (displacement) und Neujustierung von grundsätzlich kontingenten Unterscheidungen – verstanden als Markierungen – nicht zu verstehen. Andernorts habe ich deswegen den Versuch gemacht, Marktarchitekturen als Architekturen der Beobachtung zweiter Ordnung zu beschreiben, die nichts anderes voraussetzen als eine freischwebende Topologie der Relationierung von Informationen und Erwartungen, Anreizen und Risiken, die jeweils zu errechnen erlaubt, auf welche Optionen des Kaufs und Verkaufs von Produkten, Arbeit, Geld und »futures« (Terminkontrakten) man sich einlässt und auf welche nicht (Baecker 1988, Kap. 5 und 6). Tatsächlich ist dies ein weiterer Grund, auch in der Soziologie vom Grundbegriff der Kommunikation, der Eröffnung, Verschiebung und Ausnutzung von Interpretationsspielräumen auszugehen und den Versuch für aussichtslos zu halten, die Dynamik, um die es hier geht, in der Form der wechselseitigen Bezugnahme von Handlungen zu beschreiben (Fuchs 1993). Es gibt keine Identitäten von Personen, Sachverhalten oder Zeithorizonten, die nicht in diesem Sinne nicht nur eine Adresse, sondern – grundlegender noch – ein Gegenstand kontingenter Konstruktionen sind. Das soziologische Rätsel besteht eher darin, die robuste Wiederholung bestimmter 94
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Zuschreibungen von Charakter, Substanz, Erinnerung, Zeitgeist und Zukunftshorizont zu verstehen, als darin, deren Veränderung nachzuvollziehen. Wir sind selbst Teil der Konstruktionen, für die wir, meist ohne es zu wissen, verantwortlich sind, und deshalb nur im Einzelfall in der Lage, ihren jeweiligen Bedingungen auf die Spur zu kommen.
2. Kommunikation im Netzwerk Der Ausgangspunkt der soziologischen Problemstellung ist die Orientierung allen Handelns am Erleben: am wechselseitigen Erleben der Situation, des Handelns und des Anderen. Das Erleben begleitet das Handeln nicht nur, es orientiert es, indem das Erleben die Maßstäbe setzt, an denen das Handeln sich entweder affirmativ oder deviant, zustimmend oder ablehnend, indifferent oder subversiv orientiert. Die Interaktionssoziologie von Erving Goffman hat daraus die Annahme abgeleitet, dass jedes Handeln eine Darstellung (performance) vor einem Publikum (audience) ist, in dem die Rollen je nach Format der Interaktion mehr oder minder schnell gewechselt werden können und in dem in jede Rolle die komplementäre Rolle mit eingebaut ist: Die Darstellung ist zugleich Publikum des Publikums, indem sie im Auge behält, wie dieses reagiert; und das Publikum ist zugleich Darstellung des Publikums, indem es eine aktive Rolle der Unterstützung, aber auch eine der Sanktionierung der Darstellung übernimmt (Goffman 1959). Die Konversationsanalyse hat im Anschluss an George Herbert Meads Denkfigur des »taking the role of the other« untersucht, wie der Rollenwechsel dazu genutzt werden kann, die Situation zu steuern und zu kontrollieren (Mead 1932, S. 73f.; Sacks 1992), und die Attributionspsychologie hat im Anschluss an Fritz Heiders Unterscheidung zwischen Personenzurechnung und Situationszurechnung untersucht, wie diese Unterscheidung dazu genutzt werden kann, Zurechnungsambivalenz in die Situation hineinzutragen und so Freiheitsspielräume der Selektion von Handlungen, aber auch des Erlebens zu gewinnen (Heider 1958; Harvey/Ickes/Kidd 1976-1981; Leifer/Rajah 2000; Leifer 2002). 95
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In dieser Form, deswegen haben wir das hier erwähnt, ist der Formalismus der Beobachtung zweiter Ordnung der soziologischen Forschung wohlvertraut und auch in der Psychologie nicht ganz unbekannt. Der Wissenschaftsbetrieb hat mit dem Formalismus dennoch seine Schwierigkeiten, weil die Beschreibung von Freiheitsspielräumen der Selektion des Erlebens – und davon abhängig des Handelns – nichts Geringeres zur Folge hat als eine Variabilisierung von Kausalität. Kausalität ist hier nicht mehr das Fundament, auf das wissenschaftliche Beschreibung, Erklärung und Prognose gebaut werden kann, sondern selbst ein Medium der selektiven Zurechnung von Ursachen und Wirkungen, das der aktiven Rolle des Beobachters (der sich für bestimmte Ursachen und bestimmte Wirkungen entscheiden muss, wenn er sie aus der Fülle möglicher Ursachen und Wirkungen auswählt, um bestimmte Zusammenhänge zu behaupten) ein größeres Gewicht einräumt, als man es der Wissenschaft, dem angeblich rein passiven Erforschen der Welt, zuzumuten oder zuzugestehen bereit ist. Der Wissenschaftsbetrieb ahnt, dass die Konsequenzen unabsehbar sind, wenn man bereit ist, den Akteuren in ihren Situationen eine Beobachterrolle, eine Rolle der Selektion von Zurechnungen und schließlich sogar eine Rolle der kreativen Produktion von Attributionsambivalenz zuzuschreiben. Man landet bei einem Wissenschaftsverständnis, das deren Anwendungsrelevanz nicht nur dort sieht, wo sie, scheinbar brav kausal, Technik wird, sondern bereits dort, wo sie bestimmte Fragen stellt und Problemstellungen erfindet und andere Fragen nicht stellt und Problemstellungen auf sich beruhen lässt. Diese Diskussion können wir hier jedoch nicht führen (Luhmann 1982). Ich erwähne sie nur, um deutlich zu machen, warum es auch der Wirtschaftssoziologie schwer fällt, sich ihrem Gegenstand mit einem Grundverständnis kommunikativer Subtilität zu nähern, das nicht bei jeder Gelegenheit auf einen Kausalmechanismus heruntergebrochen werden kann. Spätestens dann jedoch, wenn sich die Wirtschaftssoziologie um einen soziologischen Marktbegriff bemüht, wird es unumgänglich, sich auf das Theorem und den Formalismus der Beobachtung zweiter Ordnung einzulassen. Die Struktur von Märkten,
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so lautet die Annahme, resultiert aus einem spezifischen Typ von Beobachtung, den man zunächst einmal so nicht erwartet. Diese Struktur beruht nämlich primär nicht darauf, dass Produzenten Konsumenten beobachten, um herauszufinden, was sie ihnen gewinnbringend verkaufen können, und Konsumenten Produzenten, um herauszufinden, für welche Produkte man das eigene Geld am liebsten ausgibt. Vielmehr ist diese wechselseitige Beobachtung der gegenüberliegenden Marktseite nur das sekundäre Ergebnis einer ganz anderen vorgelagerten Beobachtung, die als einzige in der Lage ist, die Komplexität des Marktgeschehens auf jene Variablen hin zu reduzieren, mit denen das Angebot der Produzenten und die Nachfrage der Konsumenten dann umgehen kann. Man beobachtet primär die eigene Marktseite. Produzenten beobachten Produzenten, weil sie so bereits qualifizierte Informationen darüber erhalten, welche Produkte sich zu welchen Preisen und in welcher Qualität gegenwärtig absetzen lassen. Und Konsumenten beobachten Konsumenten, weil sie so bereits qualifizierte Informationen darüber erhalten, was zu welchen Preisen gekauft und wozu gebraucht wird. Die Idee ist nicht neu, im Gegenteil, aber sie setzt sich nur mit großen Schwierigkeiten durch. So weit ich die Literatur überblicke, stammt sie von Georg Simmel, der in seiner später in der »Soziologie« von 1908 wiederabgedruckten »Soziologie der Konkurrenz« unterstrichen hat, dass die Konkurrenz als Verhalten sowohl der Produzenten als auch der Konsumenten am Markt eine Form des Kampfes ist, die sich durch Indirektheit auszeichnet. Produzenten kämpfen miteinander um den Absatz profitabler Produkte, und Konsumenten kämpfen, das hatte Simmel hier noch nicht im Blick, um Darstellungsgewinne aus dem Erwerb finanzierbarer Produkte, aber sie tun dies nicht direkt, sondern indirekt, indem sie sich an Dritte wenden, denen sie, um den Konkurrenten zu besiegen, den Absatz beziehungsweise Verkauf der Produkte nahe legen (Simmel 1903b; 1908, S. 323ff.). Man streitet indirekt miteinander, indem man um Marktanteile beziehungsweise um Distinktionsgewinne konkurriert. Und dies – nicht etwa das Interesse an der Befriedigung der Bedürfnisse der Mitmenschen – führt dazu, dass der Konkurrenz »unzählige Ma-
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le [gelingt], was sonst nur der Liebe gelingt: das Ausspähen der innersten Wünsche eines Andern, bevor sie ihm noch selbst bewußt geworden sind« (Simmel 1908, S. 328). Bezeichnenderweise verdankt sich die Wiedergeburt der Wirtschaftssoziologie in den 1980er Jahren nicht nur Mark Granovetters Idee der »embeddedness«, der Einbettung wirtschaftlicher in soziale Strukturen (Granovetter 1985; zur Aufklärung des Missverständnisses, wirtschaftliche Strukturen von sozialen Strukturen zu unterscheiden, als seien nicht auch wirtschaftliche Strukturen soziale Strukturen: Krippner 2001), sondern auch Harrison C. Whites Beschreibung von Märkten als »self-reproducing social structures«, beruhend auf »tangible cliques of producers observing each other« (White 1981, Zitate S. 518 und 543; vgl. White/ Eccles 1987; White 1988; 1993b). Nur nebenbei sei angemerkt, dass der ebenfalls in den frühen 1980er Jahren erscheinende Artikel von Niklas Luhmann mit dem programmatischen Titel »Das sind Preise« (1983) schon deswegen, weil er auf Deutsch erschien, kaum einen erkennbaren Einfluss auf die »new economic sociology« hatte. Er hätte es erlaubt, darauf kommen wir im nächsten Kapitel zurück, das wieder erwachte Interesse an Einbettung und Rollenstrukturen mit einer Beschreibung der Systemdynamik der Wirtschaft zu verknüpfen (siehe immerhin Swedberg/Himmelstrand/Brulin 1987, S. 188ff.). Whites Marktsoziologie hat sich als außerordentlich einflussreich erwiesen, auch wenn sie, kaum geboren, in drei unterschiedliche Forschungsstränge auseinander fiel, die zunächst kaum noch Kontakt miteinander hielten. Die soziologische Systemtheorie arbeitet den auf der Idee der Beobachtung zweiter Ordnungen beruhenden Marktbegriff weiter aus (Luhmann 1988a, Kap. 3; Baecker 1988, Kap. 5 und 6), die Wirtschaftssoziologie interessiert sich für die empirisch besonders griffige Idee der Rollenstrukturen, dank derer sich Märkte profilieren und voneinander unterscheiden lassen (Podolny 1993; 2001; Fligstein 2001; Anand/Peterson 2002), und Harrison C. White entwickelt Begriffe zur Untersuchung der Netzwerkstruktur der Märkte, um ein genaueres Verständnis der Verschiedenheit der Märkte zu gewinnen (White 2002a; 2002b).
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Tatsächlich ist diese Marktsoziologie jedoch nur dann für die Wirtschaftssoziologie angemessen fruchtbar zu machen, wenn man die drei Stränge wieder zusammenführt. Ein soziologisch präziser konstruktivistischer Ansatz scheint dafür am besten geeignet zu sein, weil er den Blick darauf zu lenken vermag, aus welcher sozialen Imitations- und Konfliktdynamik Märkte nicht nur entstehen, sondern wie sie diese ihrerseits auch zu nutzen und zu fördern verstehen (Abolafia 1984; 1996; Callon 1998a; 1998b; Dobbin 2004b). Zu diesem Zweck müssen jedoch zwei Ideen geschärft werden, die sich beide der Netzwerktheorie von White verdanken. Die erste Idee erlaubt es, sich genauer anzuschauen, in welcher konkreten Form der Formalismus der Beobachtung zweiter Ordnung einzelne Märkte strukturiert, und zwar auf eine Art und Weise, dass die Teilnehmer an den Märkten für diese Märkte nicht nur genutzt, sondern auch durch sie gebunden werden können. Sie beruht im Wesentlichen auf dem allgemeinen Identitäts-und-Kontroll-Mechanismus, den White im Rahmen seiner Netzwerktheorie des Handelns beschrieben hat (White 1992). Märkte können als Terrains oder auch Publika verstanden werden, auf denen Anbieter und Nachfrager von Leistungen aller Art ihre Identität aus wechselseitigen Kontrollversuchen, beziehungsweise genauer: Kontrollangeboten, der Qualität ihrer Leistungen gewinnen, und dies (wie immer) in sachlicher, sozialer und zeitlicher Hinsicht, das heißt in puncto technischer Zuverlässigkeit, sozialer Verlässlichkeit und absehbarer Bindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Callon/Méadel/ Rabeharisoa 2002). Und die zweite Idee erlaubt es, sich parallel dazu anzuschauen, wie man aus den Märkten, auf die man sich einlässt, auch wieder herauskommt. Auch hierfür ist der Formalismus der Beobachtung zweiter Ordnung maßgebend, jetzt allerdings in der spezifischen Form des Publikums, die White im Anschluss an die genannten Überlegungen von Goffman entwickelt hat (White 1995, S. 1054ff.). Publika, so White, erlauben es, zwischen Netzwerken zu ›switchen‹, indem man sein Handeln in den Kontext eines anderen Erlebens stellt und dafür nach passenden Situationen und Partnern sucht. In dieser Form kann die Attributionsambivalenz
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sozialen Handelns und Erlebens für den Gewinn von Spielräumen auch und gerade in hochgradig determinierten Situationen und Strukturen fruchtbar gemacht werden. Bevor wir diese beiden Ideen erläutern, ist jedoch ein Umweg über die Ethnologie beziehungsweise die historische Soziologie des Marktes erforderlich, um ein hinreichendes Gefühl dafür zu wecken, mit welcher unwahrscheinlichen, für die Gesellschaft ungewohnten, daher fragilen, prekären und jahrhundertelang umstrittenen Konstruktion man es hier zu tun hat. Auf Märkten, früher, riskanter und dramatischer noch als in den Städten, die dies dann ausbauen, einschränken und kontrollieren (Weber 1921a, S. 727ff.; Baecker 2004a, S. 189ff.; 2004b), begegnen sich einander Unbekannte. Nichts könnte in einfachen Gesellschaften, deren segmentäre Differenzierung in Familien, Sippen und Stämme darauf beruht, die eigenen Leute als »Menschen« zu bezeichnen und alle anderen als »Barbaren«, ungewöhnlicher sein. Barbaren ging man aus dem Weg oder schlug sie rechtzeitig tot, weil man befürchtete, andernfalls von ihnen totgeschlagen zu werden. Man brauchte starke Gründe, wir vermuten: Gründe der Konkurrenz um Status und Prestige in der eigenen Familie, der eigenen Sippe, dem eigenen Stamm, um sich dennoch in den Wald oder die offene Steppe zu trauen, dort in der Hoffnung auf Austausch Waren niederzulegen und aus sicherer Entfernung zu beobachten, ob die andere Seite sich darauf einlässt. Und es brauchte viele Versuche, bis Formen etabliert waren, die es ermöglichten, miteinander zu handeln, ohne sich direkt zu begegnen. Man ließ die Waren liegen, wenn sie einem nicht gefielen, stockte das eigene Angebot auf, wenn der andere sich nicht darauf einließ, und all das in der misstrauischsten Form der Begegnung, die sich denken lässt, und im genauen Wissen darum, dass der andere nur auf die Gelegenheit wartet (wie man selbst es tut), seinen Vorteil auf Kosten des anderen zu verwirklichen. Und auch mit den betrügerischen Absichten des anderen rechnete man nicht deswegen, weil man mit der als utilitaristisch kolportierten ökonomischen Theorie annahm, dass der andere gar nicht umhinkommt, etwas anderes anzustreben als die Maximierung seines Nutzens, sondern deswegen, weil weniges dem eigenen Status und Prestige mehr zugute kommt als ein ge100
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lungener Betrug, mit dem sich trefflich prahlen lässt, wenn man dabei im Auge behält, dass diejenigen, vor denen man prahlt, ihr Vertrauen in den Partner nicht verlieren dürfen. Denn dies war die früheste Form, in der Märkte in der menschlichen Gesellschaft aufgetreten sind, der »Silent Trade«, um den Titel des berühmten Buches von P.J. Hamilton Grierson zu zitieren, der mithilfe einer Fülle von Beispielen aus der ethnologischen Forschung beschreibt, in welchen Formen die stumme Annäherung stattfand und wie erst allmählich die institutionalisierten Formen von Mittelsleuten (später Händlern) und markierten Orten (die ersten Märkte) gefunden wurden, die es erlaubten, die eigene (zu diesem Zweck dann auch produzierte) Überschussproduktion nicht nur einmal, sondern regelmäßig loszuwerden, und den eigenen Bedarf (an Prestigegütern inklusive jener Güter, die als zu einem angemessenen und wohlverdienten Lebensunterhalt zugehörig wahrgenommen, das heißt kommuniziert wurden) nicht nur einmal, sondern regelmäßig zu decken (Grierson 1903). Kritiker des modernen Kapitalismus können auf die Idee kommen, bereits hier den entscheidenden Sündenfall der Menschheitsgeschichte zu sehen. »Stell dir vor, es ist Markt, und keiner geht hin«, wäre dann der jetzt zu spät kommende Ratschlag gewesen, der alles Weitere genauso verlässlich hätte unterbinden können wie Rousseaus ebenfalls zu spät kommende Maxime, kein Privateigentum zuzulassen. Aber damit würde man verkennen, dass der Gang auf den Markt in dieser mühsamen Form der allmählichen Annäherung eben nicht von der Attraktion des Marktes getrieben ist, sondern von der Unvermeidbarkeit der heimischen Statuskonkurrenz, die dazu zwingt (wenn nicht Gelassenheitsreligionen wie die buddhistische gegensteuern), nach Einsätzen zu suchen, mit denen man das eigene Prestige sichern und ausbauen kann. Pascal hatte vermutlich seine guten Gründe, als er nicht etwa sagte, alles Unglück der Menschheit käme daher, dass sie auf den Markt gehen, sondern, es käme daher, dass sie nicht zu Hause bleiben können (Pascal 1670). Sicherlich gibt es auch andere Gründe, unter anderem reproduktive auf der Suche nach Frauen und diplomatische auf der Suche nach Frieden, die eine Rolle dabei spielen, dass die ersten Er101
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fahrungen mit »Märkten«, das heißt mit Mittelsleuten und bestimmten markierten Orten, zur Entwicklung der Institutionen des »Fremden« und des »Gastgebers« sowie »Gastes« führen. (Dass sich auch diese anderen Gründe in den Zusammenhang von Knappheitskommunikation stellen lassen, ist ein weiterer Hinweis darauf, wie evolutionär unwahrscheinlich die Ausdifferenzierung des Knappheitskalküls zu einer eigenen Form des Wirtschaftens gewesen ist.) Der Fremde ist derjenige, mit dem man ausprobieren kann, ob man mit ihm auch reden kann. Er ist der Überzählige, Simmels Supernumerarius, vielleicht auch die »1« aus John von Neumanns und Oskar Morgensterns ökonomischen Spielen unter n+1 Teilnehmern, der einbringt, was man eventuell brauchen kann, und mitnimmt, wofür man selbst keine, jedenfalls nicht diese, Verwendung hat (Simmel 1908, S. 765f.; von Neumann/Morgenstern 1944, S. 505ff.). Und der Gast ist derjenige, von dem man im Rahmen eng umschriebener Rituale genau weiß, wie lange man ihm welchen Respekt und welchen Schutz schuldig ist und ab wann er wieder als vogelfrei gilt. Die Evolution des Marktes lebt zum einen davon, dass es solche mit einer engen Rahmung umgebenen »freien« Figuren wie den Fremden, den Gastgeber und den Gast gibt, zwischen denen ausprobiert werden kann, inwieweit die Führung eines Haushalts auf bisher unbekannte Partner und Güter erweitert werden und die dabei entstehende Unordnung bewältigt werden kann (Singer 1958; Sombart 1916/27, Bd. 1, S. 883ff.), und zum anderen davon, dass es präzise markierte und durch Fetische aller Art kontrollierte Orte gibt, an denen man untereinander ein Verhalten an den Tag legen kann (Angebot und Nachfrage, Verhandlung und Verweigerung), dass außerhalb dieser Orte als ganz und gar unsittlich gilt (Agnew 1986, Kap. 1). Jean-Christophe Agnew zeigt in seinem Buch »Worlds Apart« eindrucksvoll, wie diese sich allmählich ausdifferenzierenden Märkte einerseits davon profitieren, dass die Gesellschaft sich parallel zu ihnen mit dem Theater anfreundet und sich daher daran zu gewöhnen beginnt, dass man Verhalten beobachten (und daraus lernen) kann, ohne sich davon persönlich angesprochen zu fühlen, und wie andererseits das Theater – neben der Marktpolizei, der Urfigur einer Politik, die das Verhalten der einander Unbekannten regelt – zum treuesten 102
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Wächter verführerischer und betrügerischerer Formen des Redens und Verhaltens wird, indem es sie aufgreift und auf der Bühne zur Belehrung aller vorführt. Auf diese Art und Weise wird die Beobachtung zweiter Ordnung zugleich freigegeben und domestiziert. Jeder Gewinn an Selektivität wird durch das Einziehen neuer Schwellen kompensiert, deren Missachtung durch Überschreitung mehr oder minder streng, je nach Durchsetzungschancen und Experimentierwille, geahndet wird. Auch Märkte sind ein »ritual process« (Turner 1969; 1984) und wären anders in der Gesellschaft gar nicht möglich. Nichts führt mehr in die Irre beziehungsweise ist deutlicher ein Ausdruck einer ihrerseits polemisch interessierten liberalen Ideologie als die Annahme, Märkte seien im Vergleich zu allem anderen schlechthin ein Ort freien Handelns und Erlebens. Das glauben die Schule, die Universität, die Familie, die Politik, die Kirche, die Kunst und der Tourismus von sich im Rahmen entsprechender ideologischer Selbstüberschätzungen (das heißt Polemiken zur Durchsetzung von Autonomie) auch. Schaut man genauer hin, stimmt es in keinem dieser Fälle. In dieser Form der Ritualisierung eines freien Spiels der Beobachtung zweiter Ordnung und nur abhängig davon auch in der Form eines liberalen Kalküls von Chancen, Risiken und Restriktionen ist der Markt nun, um die oben angesprochenen Ideen auszuführen, einerseits Netzwerk und andererseits Publikum. Der soziologische Begriff des Netzwerks verweist hierbei auf einen sozialen Zusammenhang einer in der Regel überschaubaren Zahl von heterogenen Variablen, die untereinander in zuverlässig unzuverlässigen Beziehungen der Identitätszuschreibung und wechselseitigen Kontrolle stehen (White 1992). Die Beschreibung der Beziehungen als »zuverlässig unzuverlässig« soll darauf hinweisen, dass man es mit dynamischen und nichtlinearen Netzwerken zu tun hat, in denen jede einzelne Beziehung nur aufrechterhalten werden kann beziehungsweise gegen andere ausgetauscht werden muss, wenn sie scharf darauf achtet, wie sich jede einzelne Identität im Zuge der Verschiebung von Beziehungen ändert. Netzwerke sind sich selbst moderierende Einrichtungen, die von ihren Teilnehmern ein nicht unbeachtliches Raffinement in der Wahrnehmung und Bedienung der jeweiligen Modera103
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tionserfordernisse verlangen, andererseits aber auch nicht mehr verlangen (können), als ihnen von den Teilnehmern zur Verfügung gestellt wird. White bringt diese Bedingung einer zuverlässigen Unzuverlässigkeit zuweilen auf die Formulierung, dass Netzwerke »failed disciplines«, gescheiterte Disziplinen sind, die sich demnach ebenso sehr aus der Erinnerung an misslungene Identitäten und Kontrollversuche zusammensetzen wie aus gelingenden (ebd., S. 65ff.). Erst damit ist das soziologische Konzept des Netzwerks rund, weil sich ein Netzwerk vermutlich aus der Dissimulation und Kompensation von wahrgenommenen Defiziten sehr viel zuverlässiger (und zwar: unzuverlässig zuverlässiger) zusammensetzen lässt als aus einer Aggregation positiver Absichten, die ausgetauscht werden müssen, sobald sie mit den problematischen Bedingungen ihrer Realisierung in Berührung kommen. Die Teilnehmer beziehungsweise Variablen des Netzwerks setzen sich aus unterschiedlichen Besetzungen der Sach-, Sozialund Zeitdimension des Sinns zusammen und umfassen so zum Beispiel bestimmte Personen, eine bestimmte Hackordnung, bestimmte Selbstbeschreibungen, bestimmte Institutionen und Organisationen, bestimmte Erinnerungen, Erfahrungen und Erwartungen. Man kommt ihnen streng empirisch, das heißt orientiert an Einzelfällen und unterstützt durch die mathematische Idee des blockmodel, nur auf die Spur, wenn man eine bestimmte Frage so lange stellt, bis auf keine Ressource mehr verwiesen wird, die nicht bereits genannt wurde (White/Boorman/Breiger 1976; Boorman/White 1976). Diese Frage lautet: Auf welche Kontrollbeziehungen zu welchen anderen Variablen des Netzwerks ist jede einzelne Variable angewiesen, um ihre eigene Identität darstellen, behaupten und im Rahmen dieser Identität variieren zu können? Die Identitätsbeziehungen sind – wie in aufgeklärten Formen der Psychoanalyse – Beziehungen, die auf Differenzen, auf Unterschieden zu anderen und zu ebenfalls als Identitäten konstruierten Identitäten beruhen (Lacan 1949). Und die Kontrollbeziehungen sind wie in der Kybernetik zirkulär zu denken, das heißt als Beziehungen, in denen die Kontrolle nur gelingt, wenn sich das kontrollierende Element vom kontrollierten Element – wie 104
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der von Machiavelli beratene Fürst von seinen Untertanen – seinerseits kontrollieren lässt (Glanville 1987). Wenn White in diesem Sinne Märkte als Netzwerke beschreibt, dann muss man sich darunter wie einst bei Chamberlin präzise differenzierte Einrichtungen vorstellen, in denen die Anarchie nur in strukturierter Form auftritt und tatsächlich kein Element dem Zufall überlassen ist (Chamberlin 1933; Abolafia 1984). Für diese Struktur sorgt der Umstand, dass der Markt wie ein zweiseitiger Einwegspiegel funktioniert, der die Produzenten zwingt, sich im Kontext ihrer Konkurrenten zu beobachten, und die Konsumenten zwingt, sich im Kontext der Milieus zu beobachten, die ebenso sehr nach den zu ihnen passenden Produkten suchen wie sie sich von den zu ihnen passenden Produkten bestimmen lassen (Perec 1965; Baudrillard 1968; 1970). Hier greift in hoher Zuverlässigkeit die Dynamik jener rivalisierenden Imitation, von der wir bereits gesprochen haben. Märkte sind Netzwerke des Vergleichs aller relevanten Variablen mit allen relevanten Variablen (Kauffman 1978). Sie fallen historisch erst auf, als man Anlass zu haben glaubt, Preisvariationen beobachten zu können, die weder auf die Natur der Verhältnisse noch auf das Handeln von Menschen, sondern auf die Marktdynamik von Angebot und Nachfrage selber zugerechnet werden mussten (Krauth 1984). Produkte, ihre Preise und Qualitäten stehen auf ihnen ebenso laufend zu einer Debatte, die niemals entschieden wird, wie Marken, Unternehmen und Konsumentenmilieus (Callon/Méadel/Rabeharisoa 2002; Hellmann 2003; Hellmann/Schrage 2005; Hellmann/Pichler 2005). Die Pointe daran ist, dass nur die Variabilität den Zusammenhalt, die Stabilität garantiert. Würden alle Beziehungen auf eindeutig definierte und zuverlässig identifizierbare Beziehungen einschwenken und damit ihren kontextabhängigen Alternativenspielraum verlieren, wären sie nicht mehr belastbar, nicht mehr kalkulierbar – und hätten damit auch keinerlei Chance, nachhaltig und zukunftsfähig zu sein. Zugleich jedoch ist ein Markt nichts anderes als ein Publikum. Konsumenten und Produzenten wählen auf ihm ihre jeweiligen Darstellungen, und sie tun dies so lange, wie sie mit der Resonanz zufrieden sind beziehungsweise keine anderen Möglichkei105
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ten haben. Diese Idee komplettiert die Idee des Netzwerks und die Metapher des Spiegels und sie moderiert zugleich die Dramatik des Imitationskonflikts. Denn jeder Markt ist seinerseits Teil eines Netzwerkes von Märkten und anderen Formen der Knappheitskommunikation sowie anderen Formen der Kommunikation, von denen man weiß, die man im Auge behalten kann und mit deren möglichen Ködern und Ergebnissen man vergleicht, worauf man sich im Moment eingelassen hat und um welchen Preis man es dabei bewenden lässt. Im Anschluss an White kann man dieses Publikum auch als Integral eines Interface und einer Arena beschreiben, das die Bedingungen der Teilnahme ebenso spezifiziert wie Bedingungen des Ausstiegs, indem sowohl auf die Produktion von Leistungen (interface) als auch auf die Klärung der dazu erforderlichen Qualitätsstandards und Identitäten Wert gelegt und geachtet wird (arena) (White 1992, S. 30f.). Den Markt wie auch andere Netzwerke mit einer etwas ungewohnten, aber vielleicht zulässigen Verallgemeinerung des Begriffs als ein »Publikum« zu begreifen, bedeutet, drei wesentliche Struktureigenschaften eines Marktes zusammensehen zu können, nämlich zum einen die Angewiesenheit von Darstellern auf ein attraktives Publikum, das bereit ist, die eigenen Darstellungen als Produzent oder Konsument abzunehmen, zum zweiten die Auswechselbarkeit (das switching) des Publikums, wenn ein anderes Publikum mehr zu bieten zu haben scheint, und drittens den im Begriff des Publikums von jeher mitschwingenden doppelten Anspruch jeder Öffentlichkeit, sich zwar des Zugriffs auf die Privatsphäre zu enthalten, jedoch gerade deswegen alternative Formen der Produktion und Überprüfung von Vertrauen generieren zu können. Man muss die Hoffnungen der Aufklärung auf eine allmähliche Überführung der Gesellschaft durch Öffentlichkeit in Vernunft nicht teilen, um dennoch würdigen zu können, dass die verschiedenen Publika einer Öffentlichkeit parallel zu ihrer Funktion der Zivilisierung von Gewalt (durch Gewaltenteilung) der Gesellschaft neuartige Erfahrungsräume zur Verfügung stellen, die im Zuge der Entfaltung der modernen Gesellschaft auch dem Bürgertum und auch der Arbeiterschaft die Teilhabe an der bislang dem Adel bei Hofe vorbehaltenen Struktur der Beobach-
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tung zweiter Ordnung ermöglichen (Habermas 1962; Negt/Kluge 1972). In dieser Form passen die als Publika, das heißt als wechselbar und unterschiedlich miteinander kombinierbar dargestellten Netzwerke zur Umstellung der sozialen Ordnung der Gesellschaft von der Schichtung auf Kommunikationsmedien. Schauen wir uns daher, dieses Kapitel abschließend, genauer an, wie im Medium des Geldes rechnende Produzenten und Konsumenten, Unternehmen und Haushalte mit dieser Netzwerkstruktur der Märkte zurande kommen.
3. Individuen, Haushalte und Unternehmen Die Beobachtung zweiter Ordnung, im Sinne von Kenneth Burke »dramatisiert« (Burke 1945; 1952/53) durch das Ja/Nein der Imitationskonflikte, und das Netzwerkkalkül von Identität und Kontrolle, das den Imitationskonflikten ihre Anhaltspunkte, Einsätze und Rahmungen gibt, sind die beiden Parameter des Verhaltens von Individuen, Haushalten und Unternehmen am Markt. Auftrumpfend und vorsichtig, mutig und ängstlich, oszillierend zwischen den verinnerlichten Wünschen der eigenen Herkunft und den äußerlichen Spielen der Konformität und der Statusbehauptung (Riesman 1950), lassen sich die Teilnehmer am Markt auf eine Knappheitskommunikation ein, die charakterisiert ist durch die immer mitlaufende Behauptung von Überfluss. Niemand braucht etwas, alle haben alles, und trotzdem handelt jeder mit jedem, um seine aktuelle Position zu sichern und seine potentielle Position in der dauernden Auseinandersetzung um die Sicherstellung von Knappheitszugriffen zu verbessern (Simon et al. 1992). Es gibt mindestens zwei aufeinander aufbauende Intransparenzbedingungen, die die Märkte in diesem Sinne zum einen als Mikro/Makro-Links installieren und die zum anderen und parallel dazu die Trennung zwischen der Ebene des Verhaltens und Erlebens einerseits und der Systemreproduktion andererseits garantieren. Die erste Intransparenzbedingung ist, dass wir unsere ei-
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genen Imitationskonflikte nicht durchschauen. In der Selbstbeschreibung von Individuen, Haushalten und Unternehmen kommen das Kopieren der Wünsche anderer und die Rivalität um die eindrucksvollere Bedürfnisbefriedigung (die andere zum Kopieren auffordert) nicht beziehungsweise nur, siehe Burke, in der Form seiner Negation, das heißt in der Form des Verbots einerseits und des Bestrittenwerdens andererseits vor. Stattdessen hat man es, so pazifiziert und zivilisiert die ›bürgerliche‹ Gesellschaft (und in dieser Hinsicht hat es vielleicht nie eine andere gegeben) ihre Wirtschaft, immer nur mit den eigenen Bedürfnissen zu tun, die man streng nach der Maßgabe des eigenen Budgets (inklusive der Kreditfinanzierung vorübergehender Defizite) zu befriedigen bemüht ist, insofern man nicht Formen der Askese wählt, um statt der Befriedigung von Bedürfnissen das Bedürfnis der Emanzipation von den eigenen Bedürfnissen zu befriedigen. Letzteres kann, da paradox, durchaus bis zu Formen der apathischen Ekstase getrieben werden, wie der Taoismus und der Yoga (sanskr. für »Anschirrung«) zeigen (Weber 1920/21, Bd. 1, S. 458ff., und Bd. 2, S. 168ff.), und steht in dieser Form als möglicherweise raffinierteste Form der Einübung in das Knappheitskalkül der Wirtschaft der Gesellschaft auch weiterhin zur Verfügung. Die zweite Intransparenzbedingung ist die Organisation dieser Bedürfnisse innerhalb von Haushalten, von Unternehmen und, nach Maßgabe der Gestaltung entsprechend ausstaffierter ›bürgerlicher‹ Praktiken der Lebensführung, von Individuen. Diese Organisation, eng gekoppelt an die »mysteries of moderation«, von denen Xenophon sprach (vgl. Kap. I/2), verschiebt die verkannten, in dieser latenten Form jedoch anerkannten Imitationskonflikte am Markt in Imitationskonflikte innerhalb der Haushalte, Unternehmen und Individuen (denn natürlich, siehe Freud, kopiert man sich auch immer selbst und rivalisiert man auch immer mit sich selbst – mit dem Gewinn eines Unbewussten, in dem die entsprechenden Konflikte ausgefochten und ihre Intransparenz sichergestellt wird). In diesen als ›privat‹ geltenden Schutzräumen und Arkanbereichen der Gesellschaft können sie mit Gewinn der Distanzierung von der Dynamik und Dramatik der Netzwerke, auf die man angewiesen ist, sowohl vorbereitet und ausgefochten als auch moderiert werden. 108
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Für das Individuum haben Gilles Deleuze und Félix Guattari in ihrem »L’Anti-Œdipe« (1972) sowie in den »Mille Plateaux« (1980) die Art und Weise analysiert, wie Wünsche sich selbst und das sich zu ihnen bekennende Individuum produzieren. Dabei arbeiten sie heraus, wie die klassische Psychoanalyse (vor allem der späte Freud und seine Schule) die Einsicht in den Produktionszusammenhang vernebelt, indem sie den Wunsch (und mit ihm das Individuum) als bereits vorgängig produzierte und damit unverfügbare Materie behandelt, deren Ausdruck und allenfalls Moderation, aber nicht mehr deren Subjekt im doppelten Sinne des Wortes – unterworfen und erkennend – das Individuum ist. An die Stelle dieser allzu raschen, allzu einverstandenen Unterwerfung des Individuums unter die Bedingungen einer sich selbst undurchschaubar machenden Knappheitskommunikation (das »Ich« als knappe Ressource) setzen Deleuze und Guattari eine Schizo-Analyse, deren Pointe darin besteht, das Individuum mit jenem von Gregory Bateson identifizierten »double bind« vertraut zu machen, das uns dazu bringt, uns lustvoll in die Verhältnisse zu verstricken, die uns und die wir immer auch ablehnen (Deleuze/Guattari 1972, Kap. 4; Bateson 1972, S. 271ff.). Das klingt komplizierter als es ist, handelt es sich doch bei diesen Theoremen einer eher operativ als kritisch gewendeten Psychoanalyse um ein Korrelat der soziologischen Einsicht in die paradoxe, weil soziale Konstitution von Ego und Alter. Für den Haushalt haben Talcott Parsons und Neil J. Smelser, auf deren bisher noch nicht behandelte Wirtschaftssoziologie wir im nächsten Kapitel ausführlicher zurückkommen, den Vorschlag gemacht, ihm ein Spannungsmanagement und eine Aufrechterhaltung latenter Wertmuster im Rahmen der L-Funktion des AGIL-Schemas zuzuschreiben, das die Wirtschaft der Gesellschaft (die in der Gesellschaft die A-Funktion, die Anpassungsfunktion, erfüllt) gleich zweimal mit jenen commitments versorgt, auf die sie zur Aufrechterhaltung ihrer Knappheitskommunikation am Markt angewiesen ist (Parsons/Smelser 1956, S. 40f.). Haushalte, also große und kleine Familien, Wohngemeinschaften, Organisationen, die sich konsumierend an der Wirtschaft beteiligen (Vereine, Verbände, aber auch Unternehmen, insofern diese, das vergisst man zu leicht, ihrerseits Konsumenten sind, 109
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nämlich einen großen Teil der von der Industrie produzierten Güter und Dienstleistungen als »Vorleistungen« konsumieren), und nicht zuletzt der Staat und seine Behörden, sind laufend damit beschäftigt, Nachfrageentscheidungen zu treffen, die ein Ergebnis eines Knappheitskalküls sind, das in jedem einzelnen Fall die dem eigenen Status und Prestige geschuldeten Gebrauchsund Tauschwerte mit dem jeweils verfügbaren Budget abgleicht und eine Balance zwischen dem herzustellen versucht, was man sich nach außen schuldig zu sein glaubt, und dem, was man intern zur Moderation der Spannungen und Konflikte zwischen den Haushaltsmitgliedern braucht. Jedes einzelne Gut, das von einem Haushalt konsumiert wird, ist ein »marker« (Douglas 1992), eine Markierung, die Spitze eines Eisbergs, die diese den sowohl positiven wie negativen Nachfrageentscheidungen zugrunde liegenden Spannungs- und Konfliktmanagementleistungen eher verdeckt als offen legt. Aber jedes einzelne Gut steht, und darin besteht die Pointe dieser Einsicht, in einer nicht-beliebigen Beziehung zu den Werten, auf die man sich in einer Gesellschaft affirmativ ebenso wie kritisch berufen kann, um die eigene Teilnahme an der Knappheitskommunikation der Wirtschaft sowohl zu rechtfertigen als auch zu moderieren. Wenn daher Roland Barthes in seinem Buch »Système de la mode« festhält: »Calculatrice, la société industrielle est condamnée à former des consommateurs qui ne calculent pas« (Barthes 1967, S. 9), – zu deutsch: »Weil sie kalkuliert, ist die industrielle Gesellschaft dazu verurteilt, Konsumenten auszubilden, die nicht kalkulieren« –, dann stimmt das nur zur Hälfte. Zur reellen ebenso wie zur symbolischen Strukturierung ihrer Knappheitskommunikation kommen die Konsumenten nicht darum herum, ostentativ, das heißt: aus Kalkül, zu konsumieren (Veblen 1912). Dieses Kalkül ist sogar ein doppeltes, da es gleichzeitig darum geht, innerhalb des Haushalts zu moderieren, was man sich leisten kann und was nicht, und außerhalb des Haushalts die Signale zu setzen, die man glaubt, sich und anderen schuldig zu sein (Priddat 1998). Wenn Barthes daher auf den Zeichenkonsum verweist, um jene Differenz zwischen dem Bewusstsein der Produzenten und dem Bewusstsein der Konsumenten zu erklären, die beide daran hindert, sich auf die Produktion und den Konsum 110
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von Gebrauchswerten zu konzentrieren, und es stattdessen erlaubt, die Mode als Geschäft mit Simulakren zu inszenieren, dann stimmt auch das nur insofern, als diese Differenz auf beiden Seiten Platz für das Andocken und Vermitteln von Netzwerken schafft, die auf der Konsumentenseite und auf der Produzentenseite auf der Ebene von Imitationskonflikten entfaltet und zusammengehalten werden. Dasselbe gilt für den zweiten Typ an commitments, die Haushalte, am Markt operierend, der Wirtschaft zur Verfügung stellen, nämlich Arbeitskraft, Dienstleistungen und, im Fall von Staatshaushalten, steuerfinanzierte Gewährleistungen, die es erlauben, den eigenen Geldbedarf dadurch zu decken, dass man der Knappheitskommunikation der Wirtschaft mit Knappheit begegnet. Diese Begegnung mit Knappheit muss man wörtlich nehmen. Es besteht eine produktive Leistung darin, die eigene Arbeitskraft (im Fall von Familienhaushalten), die eigenen Dienstleistungen (im Fall von Organisationen aller Art) und die eigenen Ordnungsleistungen (im Fall des Staates) so zu profilieren, dass sie diesen Haushalten von der Wirtschaft gegen Zahlungen abgenommen werden. Die Parallelbetrachtung von Familie, Organisationen und Behörden erlaubt es darüber hinaus, die Vorstellung hinter sich zu lassen, dass die Bereitstellung dieses Typs von commitments eine Art freiwilligen, wenn auch der Not gehorchenden Angebots ist, auf das sich die nachfragende Wirtschaft bloß freiwillig, wenn auch der Not gehorchend, einlässt. Tatsächlich sind diese commitments, die Parsons und Smelser im Rahmen ihrer Analyse von Grenzprozessen zwischen der Wirtschaft und anderen Bereichen der Gesellschaft einführen und untersuchen, Elemente jener Netzwerke, in denen sich alle Teilnehmer an der Wirtschaft positionieren und profilieren, ohne dazu eine andere Wahl als die zwischen Alternativen desselben zu haben. Natürlich kann man eine andere Arbeit suchen und andere Arbeitsplätze anbieten, andere Vorleistungen nachfragen und Dienstleistungen anbieten und andere Steuern erheben und Ordnungsleistungen anbieten, aber irgendeine Entscheidung zugunsten irgendeiner Form von Arbeit, Dienstleistung und Ordnungsleistung wird man immer, und zwar immer in einer mehr oder minder konfliktreichen 111
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Form der Abstimmung, immer im Streit (Tarde 1902), zwischen allen Beteiligten treffen und akkordieren müssen. Auf diese Art und Weise ist Wirtschaft mit dem Rest der Gesellschaft vernetzt und die Gesellschaft an der Wirtschaft in jedem ihrer Elemente und in jeder ihrer Variablen beteiligt. Die Rede von commitments, verankert in Werten, macht nur deutlich, dass hier nichts und alles zur Diskussion steht. Drittens schließlich haben wir es mit der Organisation von Unternehmen zu tun, die ebenfalls allzu auffällige, sich selbst im Wege stehende Interdependenzen zwischen Imitationskonflikten am Markt und Imitationskonflikten in der Organisation unterbrechen und Letztere zur Kalkulation des Umgangs mit Ersteren an deren Stelle setzen. Unternehmen, so wiederum Parsons und Smelser, operieren nicht an der Grenze zur L-Funktion, sondern an der Grenze zur I-Funktion im AGIL-Schema: Sie integrieren die Produktionsfaktoren der Wirtschaft zu Produkten, mit deren Verkauf diese Integration refinanziert und in der Form der Kapitalbildung zu anderen Möglichkeiten der Differenzierung und Reintegration generalisiert werden kann (Parsons/Smelser 1956, S. 78; zum AGIL-Schema vgl. auch Kap. IV/2). Mit dieser schlichten Formulierung ist jedoch ein kommunikatives Drama bezeichnet, über das die Soziologie trotz jahrzehntelanger industrie- und organisationssoziologischer Forschung immer noch zu wenig weiß (Perrow 1972; Burawoy 1979; Bechtle 1980; Braczyk/von dem Knesebeck/Schmidt 1982; Kern/Schumann 1984; Stinchcombe 1990; Springer 1999; Deutschmann 2002). Möglicherweise würde es sich auch hier lohnen, eine Formtheorie aufzugreifen, die jede einzelne produktive Leistung des Unternehmens im Kontext der Bearbeitung von Ungewissheit und Nichtwissen zu beobachten vermag und daraus ein Verständnis von Marktzugang und Management des Unternehmens ableiten kann (Baecker 1993a). Harrison C. White schlägt in seinem Buch »Markets from Networks« drei Unterscheidungen vor, um sich diesem Drama der Verknüpfung von Marketing und Management in Unternehmen zu nähern (White 2002a, S. 7ff.). Erstens sei es sinnvoll, zwischen einer upstream und einer downstream orientation, einer Orientierung an der Beschaffung von Vorleistungen und einer 112
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Orientierung am Absatz des Produkts, zu unterscheiden, weil Unternehmen mit einer Orientierung an beiden Seiten ihres Geschäfts überfordert sind und daher die eine Seite hinnehmen, um ihre Aufmerksamkeit und ihre Bemühungen auf die andere Seite konzentrieren zu können. Diese Annahme leuchtet unter dem Gesichtspunkt der begrenzten Aufmerksamkeitskapazitäten eines Unternehmens und damit der nur selektiv zur Verfügung stehenden Aufmerksamkeit (March/Simon 1958, insbesondere die Einführung zur zweiten Auflage 1993) ebenso ein wie unter dem diese Einsicht unterstützenden Gesichtspunkt, dass man nicht an allen Imitationskonflikten teilnehmen kann, die einem angeboten werden. So macht man sich auf der einen Seite seiner Produktionsund Wertschöpfungskette mehr oder minder zum Preisnehmer, um auf der anderen Seite umso mehr Ressourcen für einen Wettbewerb zur Verfügung zu haben, der in allen drei verfügbaren Sinndimensionen geführt werden muss: in der Sachdimension der Auseinandersetzung um Preise und Qualitäten, in der Sozialdimension der Auswahl und Behandlung von Netzwerkpartnern (inklusive, wenn man den soziologischen Netzwerkbegriff verwendet, der Auswahl und Behandlung von Überzeugungen, Werten, Themen und Diskursen) und in der Zeitdimension des Umgangs mit Fristen, Gedächtnis und Erwartungen. Schon deswegen ist die Preisfindung beziehungsweise Preissetzung in Unternehmen keine einfache Entscheidungsvariable, sondern so »surprisingly difficult«, dass das Unternehmen dazu eigene Ressourcen vorhalten muss (Dutta/Zbaracki/Bergen 2003, Zitat: S. 618). Die zweite Unterscheidung, die White einführt, ist diejenige zwischen der Notwendigkeit, sich zu binden, und der Notwendigkeit, sich anzupassen. Die eine Notwendigkeit widerspricht der anderen – und doch sind beide zu bedienen. Die ökonomische Theorie hat aus dem Vergleich von Transaktionskosten auf Märkten und in Unternehmen (Hierarchien) eine ganze Institutionenökonomie gewonnen, die zu beobachten erlaubt, welche Form des Opportunismus man sich leisten kann, ohne als unzuverlässig, also bindungsuntauglich, zu gelten, und welche Differenzierungen zwischen Auftraggebern (principals) und Auftragnehmern 113
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(agents) möglich sind, um gleichsam beides zugleich tun zu können, sich auf der einen Ebene zu binden, auf der anderen Seite anzupassen, und um etwaige Widersprüche auf Kommunikationsprobleme zu beziehen (Williamson 1975; 1985; Pratt/Zeckhauser 1985). Sofern ich weiß, geht kein Ökonom so weit anzunehmen, dass Unternehmen zur Bewältigung – das heißt: Ausnutzung und Invisibilisierung – dieses Widerspruchs erfunden worden seien, aber dies wäre immerhin eine mögliche Ergänzung der Annahme von Ronald H. Coase, dass es Unternehmen, »these islands of conscious power«, nur gibt wegen der Senkung von Transaktionskosten durch die Substitution von Preisverhandlungen auf Märkten durch hierarchisch gedeckte Anweisungen (Coase 1937, S. 35). Macht erfüllt viele Funktionen, darunter möglicherweise auch diejenige, eine Zurechnungsadresse für dysfunktionale Beobachtungen funktionaler Widersprüche zu liefern. Die dritte von White vorgeschlagene Unterscheidung schließlich führt in ein Zentrum der von uns postulierten Intransparenzannahme zwischen Handlungs- und Erlebensebene einerseits und Systemebene andererseits. White unterscheidet zwischen »perceptions« und »subsequent interpretations as signals« (White 2002a, S. 7). Damit ist gemeint, dass die Wirtschaft der Gesellschaft von denjenigen, die an ihr teilnehmen, laufend konstruiert werden können muss, ohne dass die Teilnehmer auf die Idee kommen müssen, dass sie letztlich in keine anderen Verhältnisse verstrickt sind als diejenigen, die sie selbst hervorgebracht haben. Man darf nicht auf die Idee kommen, wegen seiner selektiven attentionalen Kapazitäten und wegen der Gründung seiner Beobachtung auf bestimmte Unterscheidungen (und nicht auf andere) für seine Wahrnehmungen selber verantwortlich zu sein, wenn man anschließend in der Lage sein will, die Wirklichkeit (das, was wirkt) als Wahrheit (das, was ist) zu behaupten, um sich selbst und andere damit zu beeindrucken und entsprechenden Einfluss auf die Selektion von Erleben, Handlungen und Entscheidungen zu nehmen. Denn dies ist das Geschenk, das unsere Wahrnehmungsprozesse uns laufend machen. Ebenso wie der von Karl Marx auch deswegen beobachtete Produktionsprozess des Kapitals und der von Gilles Deleuze und Félix Guattari auch 114
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deswegen beobachtete Produktionsprozess unserer Wünsche macht sich auch der Wahrnehmungsprozess in seinen eigenen Resultaten unsichtbar. Wir nehmen wahr, was wir wahrnehmen; aber wir nehmen nicht wahr, wie wir wahrnehmen (MerleauPonty 1948; von Foerster 1993). Für diese Einsicht, die sich der Neurophysiologie des 19. Jahrhunderts (Johannes Peter Müller) verdankt, versuchen die Erkenntnistheorien des Konstruktivismus seither zu werben. Unterscheidungen wie diese zwischen Perzeption und Interpretation haben ihren Sinn auch darin, dass sie nicht etwa absolut oder gar apriorisch gelten, sondern fallweise und in der Form darauf spezialisierter Kalküle aufgehoben werden können. Nur so ist zu erklären, das die Unterscheidung zur Planung von Strategie und Marketing eines Unternehmens in den eigenen Raum der Unterscheidung wieder eingeführt werden kann, um Geschäfts-, Markt- und Kulturmodell des eigenen Unternehmens einer kritischen und kreativen Überprüfung zu unterziehen (Chandler 1962; 1977; Roberts 2004). Die Variablen dieser Überprüfung sind präzise jene Signale, bei denen im Normalfall des routinierten Handelns, Erlebens und Entscheidens der aktive Prozess ihrer Wahrnehmung bei ihrer Interpretation nicht in Rechnung gestellt wird. Deswegen läuft die Reorientierung und Reformulierung von Marketing und Strategie darauf hinaus, Interventionsformen zu entwickeln, in denen die routinierte Wahrnehmung subversiv unterlaufen und die mögliche Interpretation von Signalen neu ausgerichtet wird. Und dies gilt, das macht es so kompliziert und prozessual aufwendig, sowohl für die Rekonstruktion der Signale im Markt wie für ihre Rekonstruktion im Unternehmen (wobei erstere, das wird beim Marketing oft übersehen, nur im Rahmen Letzterer vorgenommen werden kann) (Mintzberg 2003; Nagel/ Wimmer et al. 2002). Die Unsicherheit und Angst der Unternehmen (producers’ fear), die aus der wahrgenommenen Notwendigkeit des Umgangs mit der zweiten und der dritten Unterscheidung resultiert, mit den Widersprüchen zwischen Bindung und Anpassung sowie zwischen Wahrnehmung und Interpretation, kann nur bewältigt werden, indem der Formalismus der Beobachtung zweiter Ordnung und das Netzwerkkalkül von Identität und Kontrolle immer 115
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wieder auf einige wenige Variablen heruntergebrochen werden, die innerhalb des Unternehmens Orientierung schaffen, weil Ablauf- und Aufbauprozesse zweckrational an ihnen ausgerichtet werden können, und auf deren Variation man sich konzentrieren kann, wenn man feststellt, dass der Absatz unzureichend, die Kunden unzufrieden, die Kreditgeber misstrauisch, die Investoren zögerlich, die eigenen Mitarbeiter unwillig und die Stimmungen mutlos werden. White schlägt vor, sich für die Analyse von Marktnetzwerken, die für ihn, darin besteht die Innovation seiner Theorie, aus Unternehmen plus Märkten bestehen, aus so genannten production markets, in denen die Unternehmen nicht nur als Beobachter, Nachfrager und Anbieter, sondern als mobilizer auftreten (White 2002c; 2003), auf zwei Variablen und deren mögliche Kovariation zu konzentrieren, auf die Qualität eines Produkts und auf das abgesetzte Volumen y dieses Produktes. Ein W(y)-Modell gibt den Wert W des abgesetzten Volumens y eines Produktes an und kann für verschiedene Marktprofile spezifiziert werden, die allesamt darauf beruhen, dass die verschiedenen Unternehmen innerhalb eines Marktes untereinander eine Hackordnung bezüglich der Qualität und des Marktanteils ihres Produktes finden, sich jedoch darin unterscheiden, wie diese Hackordnung, abhängig von cost schedules auf der Produzentenseite und substitution schedules auf der Konsumentenseite, also auf beiden Seiten abhängig von Elastizitäten, gefunden und aufrechterhalten wird (White 2002a, S. 35ff.). Dabei steht jeweils so viel auf dem Spiel und sind so viele Strukturen des Marktnetzwerkes bereits Produkt einer vielfach determinierten, weil insgesamt unwahrscheinlichen Knappheitskommunikation, dass die neoliberale Annahme, Märkte seien der Ort für die jeweils autonome und anonyme Begegnung von Angebot und Nachfrage, fallen gelassen werden muss, und sie stattdessen als Pumpen beschrieben werden, die nicht nur für den Warenfluss, sondern auch für das erforderliche Profil der Firmen und der Kunden reelle, symbolische und natürlich auch diabolische (die jeweiligen Märkte von anderen Märkten unterscheidende) Sorge tragen (White 1993c; zur diabolischen Generalisierung, hier durch das Geld: Luhmann 1988a, Kap. 6). 116
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An dieses W(y)-Modell ließe sich, das können wir hier nur andeuten, eine soziologische Beschreibung der Rolle und Funktion wissenschaftlich elaborierter Managementlehren wie vor allem der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre, der französischen sciences de gestion und der angelsächsischen management sciences anschließen, die zeigen würde, wie diese Lehren in je unterschiedlicher kultureller Ausprägung (die Deutschen betonen die Technik, die Franzosen die Verwaltung, die Amerikaner die Führung) die für jede denkbare Entscheidung über Managementmaßnahmen wesentliche Trennung zwischen Marktkonstitution und Unternehmensstrategie unterstellen, garantieren und ausbeuten. Das vermutlich wichtigste Instrument hierfür ist das Konzept der Rationalität, vor allem der Zweckrationalität, das es erlaubt, den Zweck des Unternehmens zu externalisieren und in dieser Form dem Unternehmen zur Strukturierung seines Aufbaus und seines Ablaufs zu oktroyieren (Gutenberg 1929). Dieser Trick ermöglicht es betriebswirtschaftlich ausgebildeten, mit Blick auf die Annahme pervasiver Suboptimalität normativ durchhaltefähig gemachten Managern, innerhalb des als »Betrieb« behandelten Unternehmens so aufzutreten, als kämen sie von außerhalb, nämlich direkt aus dem Markt und der Welt der von diesem gesetzten Sachzwänge. Der Preis dafür ist die Behandlung der Organisation innerhalb der Organisation als Mittel zum Zweck, was jedoch wiederum mit dem Vorteil verbunden ist, dass zusätzliches Managementraffinement, so genannte Führungskunst, daraus gewonnen werden kann, dass diese Fiktion als Fiktion durchschaut und die reale Organisation gegen ihre Behandlung als Betrieb stark gemacht und als zusätzlicher Produktivfaktor in den Dienst genommen werden kann (Baecker 1999a; 2003c). Unter Abwandlung von Niklas Luhmanns Stichwort von der in Organisationen für Führungszwecke »brauchbaren Illegalität« könnte man von einer brauchbaren Informalität sprechen, von der man weiß, dass ohne sie keine Organisation funktioniert, und die in den 1980er Jahren unter dem Stichwort der Organisationskultur wiederentdeckt worden ist, um weiteren Spielraum für die Inszenierung und Dramatisierung von nach innen und außen gewendeten Imitationskonflikten zu gewinnen (Luhmann 1964, Kap. 22; Barnard 1938; Schein 1985). 117
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An Form und Funktion dieser Managementlehren ändert sich nichts, wenn statt der Zweckrationalität die Wertrationalität zur Maßgabe wird und die Dramaturgie der Führung nicht mehr auf Rationalität, sondern, in Kenntnis der demotivierenden Wirkung von Rationalitätserwartungen (Brunsson 1985), auf Motivation, auf Begeisterung und, wenn es darauf ankommt, auch auf Irrationalität Wert legt (Peters/Waterman 1982; Peters 1987). Denn auch jetzt besteht die wesentliche Leistung des Managements in Externalisierungen, die zum einen den erforderlichen Spielraum in puncto heranzitierter Sachverhalte (Märkte, Kapital, Technologien, Personalkompetenzen) eröffnen, zum anderen jedoch deutlich machen, dass es bei diesen Sachverhalten nicht um eine verbesserte Weltkenntnis geht, sondern um Maßnahmen und Maßgaben der Reorientierung und Restrukturierung eigener Prozesse. Eine Analyse von Marktnetzwerken des hier skizzierten Typs lässt sich für ein Forschungsprogramm ausarbeiten, in dem die Einsichten von Joseph Alois Schumpeter in die unternehmerische Funktion der schöpferischen Zerstörung durch Auflösung und Rekombination von Produktionsfaktoren – eine Funktion, die bei Schumpeter mit einer »Disposition zum Handeln« assoziiert wird, die Luhmann als eine psychische Rigidität im Medium der Organisation beschreibt – für eine Analyse des Rekombinationspotentials sowohl von so genannten Wertschöpfungsketten als auch des Stellenaufbaus und damit der Organisation von Unternehmen fruchtbar gemacht wird (Schumpeter 1912, Zitat S. 164; 1942, Kap. 7; Luhmann 1988a, S. 314f. und 318f.). Ansatzpunkte dafür liegen in Konzepten vor, die Wertschöpfungsketten über verschiedene Märkte hinweg als »possible worlds of production« rekonstruieren, um anschließend regionale, personale, technische und kulturelle Flexibilitäten und Rigiditäten zu untersuchen, die es erlauben, unternehmerische Chancen zu identifizieren, die bislang möglicherweise nicht aufgefallen sind (Porter 1985; Storper/Salais 1997; Gereffi/Korzeniewicz 1994; Schmitz 2004). Dabei kann man der Methodologie der Netzwerkanalyse treu bleiben, indem man sich auf die Suche nach und Ausbeutung von so genannten structural holes konzentriert, wie sie Ronald Burt seiner Wettbewerbstheorie zugrunde gelegt hat (Burt 1992). 118
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Parallel zu solchen Konzepten lässt sich der Vorschlag von Luhmann auswerten, die Organisation von Organisationen im Allgemeinen und Unternehmen im Besonderen als die Auflösung und Rekombination von Formen der Organisation im Medium budgetierter Stellen zu begreifen (Luhmann 1988a, Kap. 9), um so die Differenz von Markt und Unternehmen zwar zum einen zu respektieren, sie jedoch zum anderen dazu zu nutzen, das wirtschaftliche Kalkül (Budgetierung) auf die Anordnung und Ausstattung von Stellen der Organisation und das organisatorische Kalkül (Produktion, Marketing und Management) auf die Dekonstruktion und Rekonstruktion von Märkten anzuwenden. Realiter passiert dies sowieso, ohne dass die Wirtschaftssoziologie, die dies aufmerksam beobachtet, bislang ein zureichendes Verständnis der zugrunde liegenden Einheit von Knappheitskommunikationen und Knappheitskalkülen hätte (Powell 1990; Eccles/Nohria/Berkley 1992; Nohria/Eccles 1992; DiMaggio 2001; Padgett/ Lee/Collier 2003). Die soziologische Imagination gerät mit Konzepten dieser Art in eine ungewohnte Abstraktionslage, die jedoch, abgesehen von zusätzlichen Anforderungen an die Kunst ihrer Formulierung, nicht jene Abstraktionsfähigkeiten übersteigt, die in der unternehmerischen und wirtschaftlichen Praxis allemal am Werke sind. Sowohl die kreative Findigkeit des Unternehmers (Kirzner 1973; 1979; Shackle 1979; Bhidé 2000) als auch die Fähigkeit von Wertpapierhändlern, an ihren Bildschirmen weltweite Zusammenhänge möglicher Arbitragechancen zu reflektieren und auszunutzen (Knorr Cetina 2005; Knorr Cetina/Bruegger 2002; Beunza/Stark 2004; 2005), wie nicht zuletzt die immer wieder überraschende Fähigkeit von Märkten, neue Identitäten wie aus dem Nichts entstehen zu lassen und für die Formierung neuer Angebots- und Nachfragechancen im Medium ihrer Knappheit zu nutzen (Davila 2001; Schor 2004; Cook 2004a; 2004b; Sender 2005), zeigen, dass die Akteure in der Wirklichkeit, begünstigt durch Transparenzsperren zwischen Handeln und Erleben einerseits und System andererseits sowie durch die Interdependenzunterbrechungen der Organisation, schon können, was die Soziologie erst zu rekonstruieren lernen muss. Dazu allerdings muss sich die Soziologie bemühen, wie wir es 119
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hier durchgängig versuchen, den Blickwinkel der Akteure zu verstehen und zu rekonstruieren und darf sich nicht damit begnügen, wie es Karin Knorr Cetina empfiehlt (2004, S. 142), die Probleme der Akteure als deren Probleme auf sich beruhen zu lassen und stattdessen die Phänomene der sozialen Wirklichkeit so zu beschreiben, wie es die eigenen ethnomethodologischen Bücher hergeben. Guter soziologischer Praxis entspricht es, die Probleme der Akteure als Anhaltspunkte einer Rekonstruktion der Phänomene aus einer zur Praxis inkongruenten, die Gesellschaft insgesamt in den Blick bekommenden Perspektive zu nehmen, um beides beschreiben zu können: die Beschränktheit und die Trefflichkeit der Perspektive der Akteure.
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IV. Gesellschaft 1. Codierung, Programmierung und Heterarchisierung Eine weitere Möglichkeit, die Mikroebene des Handelns und Erlebens und die Makroebene des Systems voneinander zu unterscheiden und aufeinander zu beziehen, besteht in der Unterscheidung zwischen der Codierung und der Programmierung eines Kommunikationsmediums, in unserem Fall des Mediums Geld. Niklas Luhmann schlägt diese Unterscheidung zwischen Codierung und Programmierung als Ersatz für marxistische und webersche Annahmen vor, es sei letztlich ein Apparat, ein Komplex, ein bürokratisch aufgestelltes Imperium, der einzelne Funktionsbereiche der Gesellschaft, wenn nicht sogar die Gesellschaft insgesamt beherrsche (Luhmann 1986, Kap. VIII und IX; 1988a, S. 224ff.; 1997, S. 359ff. und 376f.). Codierung bedeutet, dass ein Kommunikationsmedium wie das Geld in die Fassung einer binären Unterscheidung gebracht wird, die es ermöglicht, keine beliebige, aber eine vielfältige Fülle von in dem Moment als extern geltenden Ereignissen in interne Ereignisse zu übersetzen (Ruesch/Bateson 1951, Kap. 7). Was auch immer in der Gesellschaft an Interessen und Bedürfnissen (man beachte die bereits wirtschaftsaffine Formulierung) vorliegt, wird unter der Bedingung dieser Codierung erst dann zur Knappheitskommunikation, wenn es in die Fassung der Unterscheidung der beiden Möglichkeiten von Zahlung und Nichtzahlung gebracht wird. Eine zuvor diffuse Kommunikation wird trennscharf auf den Punkt gebracht, dass zum Beispiel zahlungsunfähige Bedürfnisse vorliegen und deswegen entweder nicht bedient werden können oder aber mit Zahlungsfähigkeit erst noch ausgestattet werden müssen, um innerhalb der Kommunikation von Knappheit berücksichtigt werden zu können, oder, ein anderes Beispiel, dass unklare Interessen vorliegen und deswegen solange übersehen werden können, solange keine Anlässe gegeben sind, ihnen mit Angeboten gewinnträchtig entgegenzukommen. Zahlung oder Nichtzahlung, das ist dann die Frage, die in dem Maße mit Ambiguitäten wiederaufgeladen werden kann, in dem man auf 121
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der Grundlage von Spekulation und Versprechen dort erst einmal zahlt, wo noch unklar ist, ob auch weiterhin gezahlt wird (Baecker 1991; Hutter 1993b; Black 1986). Codierung bedeutet, dass die Kommunikation ebenso eindeutig auf einen Präferenzwert (lieber Zahlungen als Nichtzahlungen) bezogen wie gleichzeitig vor dem Hintergrund eines Reflexionswertes (Nichtzahlungen) auf ihre Risiken hin beobachtet werden kann. Auf diese Art und Weise ist es möglich, die Knappheitskommunikation in hohem Maße diskriminierfähig und diskriminierbar durch eine Gesellschaft zu steuern, in der gleichzeitig auch ganz andere Kommunikationen relevant sind. Man weiß immer, woran man mit Geld ist, denn man kann unterscheiden, ob gezahlt wird oder nicht gezahlt wird, und man sieht sofort, was man damit erreichen kann und was nicht. Die Pointe an dieser Codierung ist, dass innerhalb der Wirtschaft, aber auch innerhalb der Gesellschaft beide Werte, der Präferenzwert Zahlung und der Reflexionswert Nichtzahlung, den gleichen Wert haben. Es ist nicht so, dass alle Welt sich nur für Zahlungen interessiert, sondern es ist ganz im Gegenteil so, dass man sich innerhalb der Wirtschaft auch für Nichtzahlungen interessiert, weil diese angeben können, wenn sie nur hinreichend genau unterschieden und bestimmt werden, wo möglicherweise welche noch nicht wahrgenommenen Geschäftsaussichten bestehen beziehungsweise welche Maßnahmen ergriffen werden sollten, um aktuelle Nichtzahlungen in potentielle Zahlungen zu verwandeln. Denn beide, die Zahlung wie die Nichtzahlung, sind innerhalb der Wirtschaft der Gesellschaft Kommunikationen von Knappheit und machen dementsprechend einen Unterschied, der einen Informationswert für die gesamte Gesellschaft hat. Und auch die Gesellschaft interessiert sich für Nichtzahlungen, denn jede Nichtzahlung, wenn sie nur hinreichend genau unterschieden und bestimmt werden kann, markiert einen Bereich, in dem möglicherweise Wirtschaft, möglicherweise aber auch etwas anderes stattfinden kann. Zu dieser Codierung von Kommunikation steht quer – oder auch ›orthogonal‹, wie man gerne sagt – ihre Programmierung. Programme sind mehr oder minder ausgearbeitete Anweisungen, Vorschriften, Vorspiele, die darauf zielen, eine Sequenz von 122
2006-06-07 11-20-06 --- Projekt: T36.einsichten.baecker.wirtschaftssoziologie / Dokument: FAX ID 0285117656195626|(S. 121-147) T01_04 Kapitel 4.p 117656196426
Handlungen so zu planen, dass mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit eher der eine als der andere (und zwar meist eher der Präferenz- als der Reflexions-)Wert eines binären Codes erreicht werden kann. Wirtschaftliche Programme wollen Zahlungen, nicht Nichtzahlungen, während der Code, wenn man so will, immer beides will. Auch Programme beobachten beide Werte eines Kommunikationscodes, versuchen die Sequenz von Handlungen dann jedoch so zu strukturieren, dass der eine Wert unwahrscheinlicher und der andere Wert wahrscheinlicher wird. Programme setzen, weil sie Sequenzen erfordern, Organisationen voraus, die diese Sequenzen einrichten und aus ihrem Erfolg oder Misserfolg zugunsten des Beibehaltens und Ausbauens oder zugunsten des Auswechselns und Neuanfangs lernen können. Solche Programme nehmen in der Regel die Form von Investitions-, Konsum- oder auch Spekulationsprogrammen an, die alle gleichermaßen darauf beruhen, die Organisation der Sequenz von Handlungen dazu zu nutzen, jene Zeit zu gewinnen, die erforderlich ist, um unter dem Gesetz der Knappheitskommunikation der Aussicht auf Zahlungen Taten entsprechen zu lassen: Güter und Dienstleistungen zu produzieren, für die Zahlungsbereitschaft vermutet wird, Arbeitskraft zu verkaufen oder Geld anzusparen, um Konsumwünsche befriedigen zu können, oder Bewegungen des Marktes so abzuwarten und auszunutzen, dass Arbitragegewinne möglich sind. Für den Fall von Spekulationsprogrammen zeigt Donald MacKenzie, welche aufwendigen und unwahrscheinlichen Sequenzialisierungen erforderlich sind, um Kapitalbewertungen des Marktes nachvollziehen und für die Entscheidung über eigene Kapitalinvestitionen ausnutzen zu können (MacKenzie 2002; 2003a; 2003b; vgl. Beunza/Stark 2005). Luhmann unterscheidet zwischen dem Medium und seiner Codierung auf der einen Seite und den Programmen und ihrer Organisation auf der anderen Seite. Beide kommen nicht zur Deckung. Die Wirtschaft kann nicht insgesamt organisiert werden, weil es gesellschaftlich zu riskant wäre, Präferenz- und Reflexionswert des Geldes an die Entscheidung über Sequenzen von Programmen zu binden. Und genauso wenig kann die gesamte Wirtschaft medialisiert werden, weil dann niemand wüsste, wie man sich aus dem Zwang, sich hier und jetzt zwischen Zahlung 123
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und Nichtzahlung zu entscheiden, herauslösen könnte, um die Sachverhalte zu organisieren, die Partner zu überzeugen und die Zeit zu gewinnen, die man braucht, um gegenwärtig zweifelhafte Aussichten vielleicht doch noch zu verbessern. Deswegen unterscheidet auch die Transaktionskostenanalyse der Institutionenökonomie grundsätzlich zwischen verschiedenen Kooperationsformen, zwischen dem Markt mit seinen Vorteilen der lose gekoppelten Preiskommunikation auf der einen Seite und der Hierarchie mit ihren Vorteilen der fest gekoppelten, weil organisierten Kommunikation von Anweisungen auf der anderen Seite (Coase 1937; Williamson 1975; 1985; North 1990). Und deswegen interessiert man sich eher für hybride Formen der Wiedereinführung dieser Unterscheidung in unterschiedliche Netzwerke, die die Vorteile beider Seiten der Unterscheidung ausbeuten, als dafür, nur noch einen Modus der Kooperation und Konfliktaustragung für die Kommunikation von Knappheit in Anspruch zu nehmen (Powell 1990; DiMaggio/Powell 1991). Dazu passt der Begriff der Konvention, mit dessen Hilfe institutionelle Regelungen im Hinblick auf das Koordinationsproblem unter Ungewissheit beschrieben werden können, das sie zu lösen helfen (Orléan 1994; Favereau/Lazega 2002; Biggart/Beamish 2003). Auf der Ebene ihrer ideologischen Selbstbeschreibung kann es jedoch nicht überraschen, dass die Gesellschaft auf die Idee kommt, den Versuch zu machen, aus der aktuellen Beobachtung der Defizite der Wirtschaft, weil entweder Bedürfnisse auf breiter Front nicht zur Geltung kommen oder weil Gewinnaussichten hartnäckig nicht realisiert werden können, den Schluss zu ziehen, es dann doch lieber mit der Gesamtorganisation von Wirtschaft beziehungsweise mit ihrer restlosen Vermarktung zu versuchen. Die entsprechenden Programme tragen den Namen des Sozialismus und des Liberalismus (und Neoliberalismus) – und setzen, schon weil es sich um Programme handelt, ihrerseits auf Organisation, nämlich auf die Organisationen der Politik, die entweder einer Kontrollhierarchie der gesamten, in Politik verwandelten Wirtschaft vorstehen (»Sozialismus«) oder Deregulierungen vornehmen und in der Gesellschaft politisch durchsetzen (»Liberalismus«). Beides ist möglich, aber es ist nur in der Politik, das heißt nur auf der Grundlage einer andersartigen, über Macht und 124
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Ohnmacht, Macht und Gegenmacht, Regierung und Opposition laufenden Kommunikation möglich. Die Knappheitskommunikation wird dadurch nicht erübrigt. Sie sucht sich neue Adressen: soweit es den Sozialismus betrifft, im Spiegel der Außenwirtschaft sowie innerhalb informeller Gruppen, die die Planungswirtschaft so weit aufblasen, dass in ihr Raum für die Kommunikation politisch indifferenter Knappheitssignale entsteht (Kornai 1971; Lem 1971; Ericson 1991) – beziehungsweise am Einspruch überraschend organisationsfähiger Firmen und Kunden, die dem Einheitsbild von Markt und Konzernstruktur widersprechen, soweit es den Liberalismus betrifft. Tatsächlich zeigt die historische Erfahrung, dass sich im Sozialismus der Markt und im Liberalismus die Differenz der Organisationen unter der Hand wieder durchsetzen, die politisch ausgeblendet werden, indem im Sozialismus der Markt ausgeschaltet und im Liberalismus die Bedeutung der Organisation verkannt wird. Das ist in beiden Fällen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich gravierend, weil der Sozialismus die Rolle eines politisch nicht zu monopolisierenden Knappheitskalküls in der Auseinandersetzung der Gesellschaft mit ihrer sachlichen, sozialen und zeitlichen Sinnproduktion unterschätzt (man denke nur an den rigiden Umgang des Sozialismus mit Technologien, Privilegien und Gedächtnis), und weil der Liberalismus nicht zur Kenntnis nimmt, dass der Programmierungsbedarf im Umgang mit Geld zur Vermachtung sowohl von Organisationen als auch von Märkten führt, denen der Markt nur dann gewachsen ist, wenn gewährleistet ist, dass Organisationen untereinander in Konkurrenz treten können. Deswegen hatte der Liberalismus, bevor er zum Neoliberalismus mutierte, so viel Wert auf ein Kartellrecht gelegt, mit dessen Hilfe der Aufbau von Monopolen verhindert und der Wettbewerb innerhalb der Wirtschaft gefördert werden kann (Eucken 1952). Die Unterscheidung zwischen Codierung und Programmierung der Knappheitskommunikation im Medium des Geldes ist insofern ein geeignetes Beobachtungsinstrument, um ideologischen Fehleinschätzungen der Wirtschaft durch kritische oder affirmative Beobachter gegensteuern und die Konsequenzen etwaiger politischer Umsetzungen solcher Fehleinschätzungen be125
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obachten zu können. Im Übrigen bewegen wir uns mit dieser Unterscheidung bereits auf einer gesellschaftlichen Ebene der Beobachtung und Beschreibung von Wirtschaft, weil wir Kommunikationen im Medium des Geldes (Codierung) und Kommunikationen im Medium der Organisation (Programmierung) unterscheiden und uns dafür nicht, wie es Luhmann in »Die Wirtschaft der Gesellschaft« vorgeschlagen hat, auf ein einheitliches, autopoietisch ausdifferenziertes Funktionssystem Wirtschaft berufen können (Luhmann 1988a). Stattdessen halten wir uns an den späteren Entwurf in Luhmanns »Die Gesellschaft der Gesellschaft«, der die These der Funktionssystemdifferenzierung zwar nicht aufgibt (Luhmann 1997, S. 707ff.), sie aber doch in den Kontext der Untersuchung von Formkommunikationen rückt, die vorsichtiger in der Einschätzung von Interdependenzen und Interdependenzunterbrechungen zwischen unterschiedlichen Systemen (Funktionssystemen einerseits, aber auch Interaktion, Organisation und Gesellschaft andererseits) sind, als es die Anwendung des Autopoiesiskonzepts auf eine mögliche Subsystemdifferenzierung der Gesellschaft nahe legt. Mit dieser Diskussion können und müssen wir uns hier nicht beschäftigen. Wir entscheiden uns stattdessen für eine Position, die die Grenzziehung, Ausdifferenzierung und Autopoiesis eines sozialen Systems für die Gesellschaft akzeptiert und innerhalb dieser Gesellschaft unterschiedliche Formen der Kommunikation untersucht. Diese unterschiedlichen Formen der Kommunikation, also zum Beispiel die Wirtschaft und andere Funktionsbereiche wie die Politik, die Wissenschaft, die Kunst, die Religion, die Erziehung und so weiter, aber auch Interaktion, Organisation und Protestbewegung, reproduzieren selbstähnlich die Form der Gesellschaft, die Luhmann als Zweiseitenform des Einschlusses ausgeschlossener Individuen bestimmt und in die von der Gesellschaft und für die Gesellschaft bearbeitbare Form der Differenz von Wissen und Nichtwissen gebracht hat (ebd., S. 16ff. und 36ff.), indem die aus dieser Form entstehenden Probleme für Anschlüsse unterschiedlicher Kommunikationsbereiche genutzt werden. Innerhalb der Systemtheorie tauschen wir damit den Leitbegriff der Autopoiesis gegen den Leitbegriff der Form aus, ohne damit die Einsichten in die Form der perturbierten Rekursi126
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on von Kommunikation zu verschenken, die aus dem Autopoiesisbegriff gewonnen werden konnten. Abbildung 2: Die Form der Wirtschaft
Wirtschaft =
Knappheit Geld Märkte Gesellschaft
Die Systemebene, die wir unterscheiden, um die Reproduktion und Variation von Knappheitskommunikationen zu beobachten und zu beschreiben, ist die Gesellschaftsebene. Deswegen haben wir die Form der Wirtschaft im ersten Kapitel dieser Einführung mithilfe einer Spencer-Brown-Gleichung bestimmt und in den folgenden Kapiteln entsprechend ausbuchstabiert. Wir beschreiben damit den rekursiven Eigenwert eines Typs von Knappheitskommunikation, mit dessen Hilfe die Gesellschaft Möglichkeiten des Wirtschaftens einrichtet und reguliert, die es nicht ausschließen, sondern einschließen, dass das Geld auch anders verwendet wird, als Machtmittel oder Liebesbeweis, als Erkenntnisgegenstand oder als Götze, und auch nicht ausschließen, sondern einschließen, dass es Märkte der Sicherung des Absatzes von Performanzen an ein Publikum auch in der Politik, in den Massenmedien, in der Wissenschaft, in der Kunst, in der Religion und in der Erziehung gibt. In jedem Fall werden jedoch weder das Geld noch die Märkte für Möglichkeiten der Knappheitskommunikation genutzt beziehungsweise mit diesen verwechselt, solange die Operation der Knappheit, konzediert durch eine dieses beobachtende und damit rahmende Gesellschaft, nicht mitläuft und der gesamten Kommunikation ihre Führung gibt. Um diese gesellschaftliche Verankerung der Wirtschaft, die Luhmanns Analyse nicht widerspricht, aber anders nuanciert, auf den Punkt zu bringen, ergänzen wir Luhmanns Unterscheidung zwischen der Codierung und der Programmierung der Knappheitskommunikation durch den Begriff ihrer zusätzlichen Heterarchisierung. Unter einer Heterarchisierung verstehen wir die sachlich, zeitlich und sozial singuläre, das heißt zu unterschiedli127
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chen historischen Zeiten, in unterschiedlichen Regionen und kulturellen Kontexten und auf der Grundlage unterschiedlicher Technologien, Organisationstechniken und Personalkompetenzen eine jeweils unterschiedliche Gestalt annehmende Vernetzung spezifischer Formen der Knappheitskommunikation mit dem Rest der Gesellschaft. Die Heterarchie schließt die Möglichkeit der Hierarchie ein, stellt diese jedoch unter die immer mitlaufende Bedingung der Überprüfung ihrer Bewährung im Netzwerk. Der Begriff der Heterarchie beschreibt im Rahmen einer Suche nach theoretischen Ausgangspunkten für ein mögliches Verständnis neurophysiologischer Prozesse die Zirkularität wechselseitig voneinander abhängiger Elemente oder Variablen eines Netzwerkes, in dem systematisch offen gehalten wird, welche dieser Elemente oder Variablen jeweils und temporär die Führung in der Auseinandersetzung mit wechselnden Problemstellungen der internen Informationsverarbeitung haben (McCulloch 1945; von Foerster 1984; Kauffman 1978). David Stark hat den Begriff der Heterarchie jüngst auch für die Untersuchung von Unternehmensnetzwerken und Transformationsökonomien fruchtbar gemacht, nicht zufällig veranlasst durch die Beobachtung, dass die einst so saubere Aufteilung in anarchische Märkte und hierarchische (»despotische«) Organisationen (Marx 1867, S. 377) hier keine Anhaltspunkte hat, sondern dass mit Formen rekurrenter Vernetzung gerechnet werden muss, die klassische Unternehmensgrenzen übergreifen (Stark 1999; 2001; Beunza/Stark 2005; Hedlund/Rolander 1990). Daran schließen wir an, um eine begrifflich kontrollierte Möglichkeit der Untersuchung gesellschaftlich streuender Verankerungen von Knappheitskommunikationen im Kontext von Bedürfnissen und Technologien, Branchenstrukturen und Managementkenntnissen, Finanzierungstechniken und Buchführungspraktiken zu gewinnen. Aus der Kombination der aufeinander nicht reduzierbaren Codierung (Medium), Programmierung (Entscheidung) und Heterarchisierung (Netzwerk) von Knappheitskommunikation kann man dann Forschungsprogramme entwickeln, mit denen die Wirtschaftssoziologie sichere Anschlüsse an die komplexen Phänomene der Wirtschaft finden kann. Der Begriff der Heterarchisierung greift im Zusammenhang 128
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des Formbegriffs außerdem Beschreibungsleistungen auf, die im Zusammenhang des Autopoiesisbegriffs vom Begriff der strukturellen Kopplung getragen worden sind (Maturana 1998, S. 104ff. et passim; Luhmann 1997, S. 92ff.). Das wollen wir hier nur erwähnen, ohne es auszuarbeiten. Von Heterarchisierung sprechen wir, um die Verteilung der Konstitution des Geldmediums auf eine Handlungsebene der Wirtschaft einerseits (mit Einhaltung der Nullsummenkonstanzprämisse) und eine Systemebene der Gesellschaft andererseits (mit Variation der Geldmenge durch einen politisch kontrollierten Mechanismus der Geld- und Kreditschöpfung im Bankensystem) (Luhmann 1988a, S. 200ff. und Kap. 4), um die Rolle der Gewerkschaften beim Reimport der L-Funktion (Werterhaltung und Spannungsmanagement) aus den Haushalten in die Unternehmen (Management von Anerkennungskonflikten abhängig beschäftigter Arbeitskräfte) (Parsons/Smelser 1956, S. 148f.; Baecker 2004c) oder die Reintegration des Knappheitskalküls der Wirtschaft mit dem Entscheidungsbedarf der Organisationen und der biographischen Lebensführung der Individuen auf der Ebene von Karrieren (Luhmann 2000b, S. 297ff.) beschreiben zu können. Das führt jedoch in Einzelheiten eines wirtschaftssoziologischen Forschungsprogramms, auf die wir uns hier nicht einlassen können. Wichtig ist nur der Hinweis darauf, dass die Begrifflichkeit der Codierung, Programmierung und Heterarchisierung nicht unabhängig von Knappheitskommunikation, sondern abhängig von ihr zu denken und zu verwenden ist. Beim Code und bei den Programmen liegt das auf der Hand. Aber auch die Netzwerke, das machte bereits das vorige Kapitel deutlich, sind zwar einerseits Konzessionen des Knappheitskalküls an die historischen, regionalen und kulturellen Umstände, andererseits jedoch die präzise Rekonstruktion dieser Umstände für die Zwecke der Knappheitskommunikation auf der Ebene der Gesellschaft.
2. Wirtschaft und Gesellschaft Gesellschaft ist bei all dem nur in einer sehr spezifischen Form die Einheit des Ganzen. Sie ist nicht mehr die um eines »voll129
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kommenen Lebens« willen bestehende »vollkommene Gemeinschaft«, wie sie Aristoteles postulierte, um anschließend einen Maßstab zu haben, der die Haushaltungslehre von der Erwerbskunst und die Erwerbskunst um des Geldes willen (»Ökonomie«) von der Erwerbskunst im Rahmen der Haushaltungslehre (»Ökonomik«) zu unterscheiden (Aristoteles, Politik, Kap. 2, 9 und 10). Sie ist aber auch nicht, verstanden als ›bürgerliche Gesellschaft‹, jenes System der eigennützig verfolgten Bedürfnisse, das Hegel in seiner »Philosophie des Rechts« (1819/20) dem dem Allgemeinwohl dienenden, sittlichen Staat gegenüberstellte (ebd., S. 152ff.). Sie ist schon eher jener Zustand der Geselligkeit, ein Fließgleichgewicht (steady state), wie man später sagte (von Bertalanffy 1969), den Gabriel Tarde für soziale ebenso wie für organische und physikalische Phänomene als Prinzip der Assoziation, der Verknüpfung, der Verbindung und der Vereinigung beschrieb und als Effekt weniger des Volumens, geschweige denn der Substanz (eines ›Kollektivs‹ zum Beispiel), als vielmehr der Oberfläche begriff (Tarde 1895, S. 58ff.). Das entspricht seither guter soziologischer Tradition, auch wenn die gesellschaftliche Selbstbeschreibung damit ihre Schwierigkeiten hat. Durkheim entwickelt seine pädagogische Moral gerade deswegen, weil es so schwierig geworden ist, die Gesellschaft anders denn als abstraktes Prinzip der Komplementarität des Unterschiedlichen zu fassen (Durkheim 1893, insbes. im Vorwort zur 2. Auflage 1902). Simmel sagt, Gesellschaft sei möglich nur als Form der Wechselwirkung zwischen Individuen (Simmel 1908, Kap. 1 inkl. Exkurs). Weber spricht nicht substantialisierend von »Gesellschaft«, sondern verbalisierend von »Vergesellschaftung«, als käme es darauf an, diese jederzeit auf ihre Motive und ihren Sinn wieder zurücknehmen zu können, um nicht Gefahr zu laufen, ihrer Ordnung einen Status unabhängig von dessen Gebrauch (mit Wittgenstein formuliert) zuzuschreiben (Weber 1921a, S. 23). Talcott Parsons beruft sich interessanterweise auf Aristoteles, wenn er die Gesellschaft zwar ebenfalls als eine Abstraktion, jedoch zugleich als Milieu der Ausdifferenzierung einzelner sozialer Systeme, darunter auch des sozialen Systems der Gesellschaft selber, begreift: Der Begriff der Gesellschaft beschreibt hier keine Zusammensetzung aus Menschen mehr, son130
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dern Bedingungen der Selbständigkeit einer sozialen Ordnung (Parsons 1966, Kap. 2). Es ist daher nur konsequent, wenn für Luhmann die Gesellschaft vor allem als Einschränkung, Rahmen und Spielraum der Fortsetzung und Fortsetzungsbedingungen von Kommunikation Form annimmt (Luhmann 1997, S. 78ff.). Auch er beruft sich auf die aristotelische Begriffsfassung der vollkommenen Gemeinschaft, bestimmt die Vollkommenheit jedoch nicht mehr einheitstheoretisch als Einschluss all derer, die dazugehören (bei Aristoteles geschärft anhand von Überlegungen zum Status der Sklaven, auf die man nicht verzichten möchte, die jedoch nur als Gegenstand der Sorge, nicht als Herren ihrer selbst, dem Gemeinwesen angehören), sondern differenztheoretisch als Einschluss der Ausgeschlossenen inklusive eines Einschlusses des Ausschlusses. Das wendet den Begriff aus dem philosophisch Normativen ins soziologisch Empirische: Als Soziologe sieht man, dass die Sklaven Teil der Gesellschaft sind; man sieht allerdings auch, dass die Gesellschaft kein Problem damit hat, sie als Ausgeschlossene zu behandeln. Insofern schließt sie den Ausschluss als eine ihrer kommunikativen Möglichkeiten ein. Wie ein Traum liegt diese Gesellschaft über der Wirtschaft, und wie ein Traum die Wirtschaft über der Gesellschaft. Beiden kommt man nicht bei, wenn man sie dingfest zu machen versucht. Vielmehr bedarf es einer Methode wie jener der Herstellung einer schwebenden Aufmerksamkeit, die der Analytiker durch sein Zuhören dem Träumer auferlegt (Freud 1900, S. 110ff.), um herauszufinden, wie die Gesellschaft durch Rekurs auf die Wirtschaft und die Wirtschaft durch Rekurs auf die Gesellschaft ihre Fortsetzung und deren Bedingungen verhandeln. Das geschieht in allen drei Sinndimensionen zugleich, das heißt durch die Bezeichnung und Unterscheidung von Knappheitskommunikationen unter Bezug auf ihre möglichen Sachverhalte, die möglichen Adressaten und die möglichen Erinnerungen, Erfahrungen und Erwartungen, die zu markieren erlauben, was möglich ist. Und es geschieht auch immer so, dass gleichzeitig, als Teil der Kommunikation der Form der Knappheit, auch alles andere in den Blick gerät: die Familie, die geschützt, die Organisation, die belastet, die Politik, die beachtet, die Kultur, die res131
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pektiert, und die Technik, die vorgeschoben wird. Eben deswegen sprechen wir von der Form der Knappheitskommunikation, die zwei Seiten hat, eine Innenseite und eine Außenseite, und von Kommunikation, die Wissen und Nichtwissen, das Bestimmte und das Unbestimmte miteinander in einen Bezug setzt (Baecker 2005). Einer der wenigen Versuche, das, was hier wirtschaftssoziologisch zu beschreiben wäre, auf den Begriff und in eine Theorie zu bringen, stammt von Talcott Parsons und Neil J. Smelser, die ihr Buch »Economy and Society« dem Versuch widmen, zum einen die ökonomische Theorie der Wirtschaftswissenschaften zu einer auf die Fragen der Wirtschaft spezialisierten Sozialwissenschaft zu erklären, und zum anderen die besonderen Fähigkeiten der Soziologie darauf zu richten, die Grenzprozesse zwischen der Wirtschaft und anderen Bereichen der Gesellschaft zu analysieren. Diesen Versuch unternimmt die Wirtschaftssoziologie bis heute (Zafirovski 1999; Baron/Hannan 1994; Collins o.J.), ohne dass es nennenswert, soweit ich sehe, dazu gekommen wäre, die speziellen Erfahrungen von Parsons und Smelser in diesem Zusammenhang zu diskutieren. Tatsächlich gelang es weder dem Ansatz von Parsons und Smelser noch einzelnen ihrer überraschenden Einsichten, die durchaus auch ohne die Übernahme des Theorierahmens einen Wert haben, die Wirtschaftssoziologie nachhaltig zu beeindrucken (siehe jedoch Hillmann 1988, S. 42ff.; Saurwein 1988; Hessling/Pahl 2006). Wenn man sich jedoch anschaut, wie sehr die Problemstellung von Parsons und Smelser mit Fragestellungen korrespondiert, die in einem kognitionswissenschaftlichen Rahmen heute erneut interessieren (Varela 1990; 1994), kann man nur empfehlen, sich genauer anzuschauen, wie Parsons und Smelser die Systemtheorie der Handlung von Parsons dazu verwenden, die präzise Frage zu stellen, welche, wie man jetzt sagen würde, »kognitiven« Leistungen der Ausdifferenzierung der Wirtschaft und welche der Reintegration dieser ausdifferenzierten Wirtschaft in den Rest der Gesellschaft zugrunde liegen. Grundsätzlich, darauf hat Luhmann hingewiesen, stellt Parsons’ Systemtheorie der Handlung zwei Fragen in einem Theorierahmen, nämlich die Frage der (sachlichen und sozialen) Systemdifferenzierung und die Frage 132
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des (temporalen) Systemerhalts, zwei Fragen, so ebenfalls Luhmann, die überraschend nah auch am Formkalkül von Spencer Brown formuliert sind, den vor allem die Setzung der Distinktion (Markierung) und deren Wiederholung (Rekursion) interessiert (Luhmann 1980a, S. 7 und 14; Spencer Brown 1969). Darüber hinaus werden diese beiden Fragen zunächst auf der Ebene des allgemeinen Handlungssystems, differenziert in behavioral system (A), personality system (G), social system (I) und cultural system (L), und dann noch einmal auf der Ebene des Sozialsystems, differenziert in economy (A), polity (G), integrative system (I) und latent pattern-maintenance and tension-management (L), gestellt, wobei das AGIL-Vierfelderschema in bester Selbstähnlichkeit sowohl auch für noch höhere Ebenen (Parsons unterscheidet das physico-chemical system A, das human-organic system G, das action system I und das telic system L) als auch für die jeweilige Subund Subsubdifferenzierung jedes Teilsystems verwendet werden kann (Parsons 1970; 1978; vgl. Abb. 3 u. 4) Abbildung 3: Das System der Human Condition bei Parsons (1978) L
l
Telic System
i i
Action System Social System Personality System
a
a
Al
lI
Cultural System Behavioral System a
g g Physico-Chemical System
gg
Human Organic System
a
lG
i i
133
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Abbildung 4: Das Social System bei Parsons (1970) I Integrative System
Polity G
Latent patternmaintenance and tension-management system
L
Economy A
Daran ist das Schema dann auch schließlich gescheitert, denn so fruchtbar seine Anwendung für die Identifikation empirischer Fragestellungen ist (wenn man weiß, wonach man sucht, findet man auch etwas), so unplausibel wird schließlich, dass es immer vier Funktionen sind, die in jedem Teilsystem erneut zur Anwendung kommen, und so schwierig wird es auch, zu begründen, warum Teilfelder so und nicht anders benannt werden. Selbst wenn man die Annahme beibehält, dass die Differenzierung in vier und nur vier Funktionen, abgeleitet von der Kreuztabellierung der beiden Dimensionen Innen/Außen-Orientierung (internal/external) und Zielsetzung/Zielerreichung (instrumental/consummatory), jeweils soziologisch informativ ist, wird der Abstand zwischen der soziologischen Interpretation und dem Selbstverständnis sowie der Selbstbeschreibung der Akteure im Handlungsablauf doch mit zunehmendem Abstraktionsgrad zu einem Problem, das seinerseits in der Theorie kaum untergebracht werden kann (Luhmann 1988b). Das ändert jedoch nichts daran, dass hier ein beeindruckender Versuch vorliegt, zur Kenntnis zu nehmen und systematisch zu berücksichtigen, dass jede Handlung insofern ein System ist (»action is system«, formuliert Luhmann 2002, S. 18), als sie gar nicht erst zustande kommt, wenn sie nicht auf ihre eigene Bezeichnung im Kontext ihrer Unterscheidung von bestimmt und unbestimmt anderem und auf ihre Wiederholbarkeit im Anschluss an vorherige und im Vorgriff auf weitere Handlungen eine präzise, wenn auch in den Handlungen selbst umstrittene, mal nachlässigere, mal sorgfältigere Rücksicht nimmt. Der Verdacht des übertriebenen Ernstes wie der leichtfüßigen Frivolität
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läuft gleichsam immer mit und hilft jeder einzelnen Handlung, ihr Profil innerhalb der Gesellschaft zu gewinnen. Und dies, so Parsons, gilt nicht nur im Sozialsystem der Gesellschaft, sondern es gilt auch im allgemeinen Handlungssystem, in dem das Sozialsystem nur eines unter vieren ist. Was auch immer in der Gesellschaft als Handlung zustande kommt, vielfach abgestimmt mit und zwischen der Anpassung an die jeweilige Umwelt, den angestrebten Zielen, den mitlaufenden Integrationsbedürfnissen des Verschiedenen und der Aufrechterhaltung latenter Muster zur Bewältigung unvermeidbarer Spannungen, muss dann immer noch erst abgestimmt werden mit dem Verhaltensapparat des menschlichen Körpers (inklusive Gehirn und Bewusstsein), mit dem Persönlichkeitssystem der beteiligten Individuen und mit kulturellen Erwartungen, die Parsons wie zur Absicherung der Lösbarkeit dieses hochgetriebenen Abstimmungsaufwands irgendwo außerhalb des Sozialsystems lokalisierte (obwohl sie, wenn sie schon diese Abstimmung begleiten können sollen, wohl besser ebenfalls internalisiert und damit gesellschaftlicher Modifikation und Moderation zugänglich gemacht werden sollten). Die Pointe an dieser Theoriekonstruktion ist nicht, dass alles vorkommt, was einen kognitionswissenschaftlich interessierten Soziologen heute beschäftigen müsste, sondern dass es in einem Rahmen vorkommt, der die Formulierung von Hypothesen und das Experimentieren mit alternativen Hypothesen, den Entwurf von Forschungsdesigns und das Lernen aus ihrem Scheitern, kurz: das Arbeiten mit einem hoch leistungsfähigen Formalismus, ermöglicht. In der Anwendung auf die Wirtschaft, verstanden als adaptives Subsystem der Gesellschaft, ermöglicht das die parallele ebenso wie konsekutive Bearbeitung funktionaler Erfordernisse auf allen Ebenen der Abstimmung mit anderen Systemen außerhalb der Wirtschaft wie in Abstimmung mit den Teilsystemen der Wirtschaft. Welche Ergebnisse ein solcher Ansatz haben kann, können wir uns am Beispiel der für Parsons und Smelser zentralen Bedeutung der Grenzprozesse zwischen den einzelnen Systemen auch dann deutlich machen, wenn wir heute gegenüber der Begrifflichkeit der Teilsysteme eher reserviert sind.
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Grenzprozesse beschreiben nichts anderes als Möglichkeiten der Bewältigung eigener funktionaler Erfordernisse (der Ausdifferenzierung und Reproduktion), die aus der gesellschaftlich im Rahmen ihres eigenen Differenzierungsmusters erzwungenen Rücksichtnahme auf andere gesellschaftliche Bereiche gewonnen werden. Diese Rücksichtnahme geschieht nicht aus einem allgemeinen gesellschaftlichen Verantwortungsgefühl heraus, denn das gibt es nicht (beziehungsweise nur als semantischen Effekt der Kompensation des immer wieder möglichen und immer wieder erzwungenen Verzichts auf diese Rücksichtnahme) – aber sie geschieht. Sie geschieht, wenn man so will, im Rahmen einer allgemeinen ökologischen Nachbarschaft geselligen Handelns und damit im Rahmen der Bestimmtes und Unbestimmtes übergreifenden Form der Kommunikation. Den Ausgangspunkt liefert die mit unserer Annahme der Funktion der Knappheitskommunikation kompatible These, dass die Wirtschaft Anpassungsfunktionen innerhalb der Gesellschaft erfüllt, indem sie sich negativ um die »minimization of subjection to control by the exigencies of the external situation (e.g., floods, famines, shortages, etc.)« und positiv um die »possession of a maximum of fluid disposable resources as means to attain any goals valued by the system or its sub-units« bemüht (Parsons/Smelser 1956, S. 21). Wirtschaften bedeutet, mit anderen Worten, die Abhängigkeiten von der Umwelt so zu konstruieren, dass deren Reduktion zur Organisation von Ressourcen führt, die innerhalb der Gesellschaft zur Verfolgung und zum Erreichen (zur Belohnung) von Zielen eingesetzt werden können, mit deren Setzung und Bearbeitung die Gesellschaft interne Spannungen ausnutzen und bearbeiten kann – Knappheitskommunikation eben. Schauen wir uns zunächst die externe Verknüpfung der Wirtschaft in der Gesellschaft an (siehe zum Folgenden ebd., S. 51ff., 70ff., 85ff. und 205ff., zum Überblick die Schaubilder S. 68 und 208). Die Wirtschaft kann ihre adaptive Funktion innerhalb der Gesellschaft erstens nur erfüllen, wenn sie berücksichtigt, dass die Politik in derselben Gesellschaft Ziele setzt, die sie für wünschenswert hält. Daraus folgt: Die Wirtschaft stellt der Politik ihre Produktivität der Bereitstellung von Ressourcen zur Verfügung 136
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(in der Form von Steuern, aber vor allem in der Form einer hinreichenden wirtschaftlichen Aktivität) und erhält dafür: Kapital, nämlich das Recht und die Sicherheit, Kredite in Anspruch zu nehmen, zu investieren und die Früchte aus diesen Investitionen selbst zu ›konsumieren‹, das heißt weiterzuverwenden. Die Wirtschaft kann ihre adaptive Funktion innerhalb der Gesellschaft zweitens nur erfüllen, wenn sie berücksichtigt, dass die Gesellschaft laufend Integrationsleistungen erbringen muss. Daraus folgt: Die Wirtschaft stellt allgemeine Mittel der Wohlfahrtssteigerung zur Verfügung, aus denen die Mitglieder einer Gesellschaft bei Laune gehalten werden können, und erhält dafür: Integrationsleistungen in der Form von Organisation, nämlich in der Form unternehmerischer Kombinationen von Produktionsfaktoren inklusive des Produktionsfaktors Arbeit. Drittens schließlich kann die Wirtschaft ihre adaptive Funktion innerhalb der Gesellschaft nur erfüllen, wenn sie berücksichtigt, dass in der Gesellschaft latente Muster existieren, die erhalten werden müssen und auf die beim Management von Spannungen aller Art, das heißt bei der Auslösung und Bewältigung dieser Spannungen, zurückgegriffen werden können muss. Daraus folgt: Das Wirtschaftssystem adressiert in der Gesellschaft das primäre System dieser Mustererhaltung und dieses Spannungsmanagements, den Haushalt beziehungsweise die Familie, stellt diesen Haushalten und Familien Güter und Dienstleistungen zur Verfügung, mit denen diese ihre interne und externe Dynamik rivalisierender Imitation in Szene setzen können, und erhält dafür, weil Güter wie Dienstleistungen bezahlt werden müssen: Arbeitsleistungen gegen Lohn. Gleichzeitig tauschen das Politik- und das Integrationssystem Koordinationsanweisungen gegen kontingente Unterstützungsbereitschaften, das Integrations- und das Mustererhaltungssystem Konformitätsinhalte gegen Konformitätsmotive und das Politiksystem und das Mustererhaltungssystem die Allokation von Macht gegen politische Loyalität. Man erkennt vielleicht schon an dieser knappen Skizze, wie in dieser Theoriearchitektur vieles von dem untergebracht werden kann, was Soziologen interessiert, zugleich jedoch nicht nur die für die Beobachtung empirischer Phänomene maßgeblichen Pro137
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blemstellungen zugespitzt, sondern überhaupt erst einmal gefunden werden können. Immerhin enthält bereits dieser Ausgangspunkt möglicher wirtschaftssoziologischer Fragen im Entwurf von Parsons und Smelser Hinweise auf die Funktion und Formatierung des Kapitals, der Unternehmen und der Haushalte, die zeigen, welche prekären, problematischen und laufend umstrittenen Leistungen hier erbracht werden, und erwarten lassen, wie regional und historisch variabel diese Leistungen jeweils ausfallen. Denselben Reichtum an möglichen Forschungsfragen finden wir auf der Ebene der internen Differenzierung und Reintegration der Wirtschaft (ebd., S. 208). Hier müssen Liquiditäten garantiert, Kreditmechanismen bereitgestellt, Produktionskapazitäten vorgehalten und unternehmerische Tätigkeiten gestützt werden, damit die Wirtschaft laufend an ihre eigene adaptive Funktion angepasst werden kann. Hier müssen Technologien entwickelt, Anlaufpunkte für Vernetzungen geschaffen, Produktion, Distribution und Absatz organisiert sowie laufend für Abstimmung gesorgt werden, damit die Wirtschaft ihre eigenen Ziele erreichen kann. Hier müssen Gelegenheiten für Innovationen geschaffen, Produktionsfaktoren neu kombiniert, Innovationen implementiert und ein dafür erforderlicher Ressourcenfluss sichergestellt werden, damit die Wirtschaft immer wieder neu als System integriert werden kann. Und hier müssen commitments gegenüber wirtschaftlichem Handeln, gegenüber Erfordernissen der Planung und gegenüber Produktivitätszielen angeboten und nachgefragt werden, die immer wieder neu darauf Rücksicht nehmen, welche Werte jeweils in der besonderen Form einer wirtschaftlichen Verfassung verankert sind und wie die Spannungen aussehen, die aus diesen Werten resultieren und mit Bezug auf diese Werte reguliert werden. Einzelne dieser Grenzprozesse werden nicht nur strukturell, sondern auch institutionell prominent, wie vor allem Unternehmen an der Grenze zwischen Wirtschaft und Integrationssystem, Banken an der Grenze zwischen Wirtschaft und Politik und Gewerkschaften an der Grenze zwischen Wirtschaft und Haushalten im Mustererhaltungssystem (ebd., S. 78, S. 161ff. und S. 147ff.) –
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aber insgesamt gilt, dass man für jeden internen und externen Grenzprozess strukturell etwas findet, wenn man nur sucht. Nimmt man hinzu, dass Parsons und Smelser auch die Dynamik und den Wandel der Wirtschaft in einem so einfachen Bild wie dem einfangen, dass alle Produktion und aller Konsum Zeit verbrauchen und daher allerorten »time-lags« entstehen, die es ermöglichen, auf kontingente Ereignisse positiv oder negativ, das heißt diese Ereignisse als Gelegenheiten aufgreifend oder sie als Störungen abweisend, einzugehen (ebd., S. 241ff.), gewinnt man den Eindruck eines ebenso sensiblen wie robusten, ebenso prekären wie durchsetzungsfähigen Systems. Aus der Kombination dieser primär funktionalen und institutionellen Analyse mit unserem in den bisherigen Kapiteln vor allem operational vorgehenden Ansatz zur Bestimmung und Beschreibung von Knappheitskalkülen lässt sich ein wirtschaftssoziologisches Forschungsprogramm entwickeln, das klassischen ebenso wie neueren, kognitionswissenschaftlichen Ansprüchen genügen würde.
3. Kapitalismus Man kann sich darüber streiten, ob die Wirtschaft der Gesellschaft, wie sie hier skizziert wird, mit dem Namen des »Kapitalismus« noch zutreffend bezeichnet ist. Karl Marx und Friedrich Engels hatten diesen Namen prominent gemacht, weil er es ihnen ermöglichte, das System der modernen Gesellschaft auf dem Umweg über seine Negation zu bezeichnen, ohne dabei den entscheidenden Gewinn ihrer Analyse, nämlich die Beschreibung von Wirtschaft und Gesellschaft nicht mehr als naturbezogene, sondern als soziale Konstruktion, zu verspielen (Marx 1867; Luhmann 1969; 1991; Lauermann 1993; 1998). Die revolutionäre Überwindung dieses Systems ist nicht nur eine Konsequenz einer Analyse der Warenabstraktion und des kapitalistischen Produktionsprozesses, die die Ausbeutung der Arbeitskraft durch das Kapital aufdeckt und somit getreu der jahrhundertealten »moral economy« (E.P. Thompson) Motive schafft, die Klassenherrschaft umzustürzen, sondern auch der Schlussstein der Analyse, weil sie
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auf den Punkt bringt, dass die Konstitution der Wirtschaft ein gesellschaftliches Unterfangen ist und nicht etwa irgendeiner natürlichen Notwendigkeit oder Natur der Sache gehorcht (Blanchot 1971). Theodor W. Adorno hat den Schlussstrich unter diese Art von Analyse gezogen. Die bestimmte Negation des Systems und seiner liberalen Theorie zugunsten der Entdeckung einer Klassenherrschaft greife nicht mehr, erklärt er auf dem 16. Deutschen Soziologentag 1968 in Frankfurt am Main, weil sie in diesem System keinerlei Anhaltspunkte mehr finde, die von irgendeiner Art von Freiheit noch reden lasse (Adorno 1969). Die Begründung dieser Einschätzung beruht darauf, dass die »Marktökonomie (unterdessen) so durchlöchert« ist (ebd., S. 17), dass sich die Dynamik des Systems nicht mehr gegen die Dynamik des Systems wenden lasse. Zwar bleibe es dabei, dass die Gesellschaft Gesellschaft ist, ja sogar das »ens realissimum« (ebd., S. 21), und nicht etwa Natur (woran man allerdings zweifeln kann, wenn ein solcher Seinsbegriff ins Feld geführt wird), doch sei sie, als technologisch verwaltete Gesellschaft, »heute so vollständig in sich vermittelt […], dass eben das Moment der Vermittlung durch seine Totalität verstellt wird. Kein Standort außerhalb des Getriebes lässt sich mehr beziehen, von dem aus der Spuk mit Namen zu nennen wäre; nur an seiner Unstimmigkeit ist der Hebel anzusetzen« (ebd., S. 25). Adorno lässt kein gutes Haar an einer Soziologie und Wirtschaftssoziologie, die auf die an Hegels Philosophie geschulte marxsche Gesellschaftstheorie der Wirtschaft verzichtet und sich umstandslos mit einer Untersuchung der Industriegesellschaft beschäftigt, die nur noch auf die Klassifikation der Phänomene Wert legt, aber schon deswegen nicht mehr nach deren innerer und äußerer Vermittlung fragt, weil diese phänomenologisch (»umfangslogisch«, sagt Adorno 1969, S. 21) im Vergleich mit der Aufdringlichkeit der Phänomene Industrie, Arbeit und Konsum kaum noch ins Gewicht fällt. Eine soziologische Theorie der Wirtschaft als Knappheitskommunikation der Gesellschaft nimmt alle drei Motive der Kapitalismustheorie, Marx’ Entdeckung der sozialen Konstruktion der Wirtschaft, Adornos Abschied vom Umweg über die Negation des 140
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Systems und das Beharren auf einer Gesellschaftstheorie der Wirtschaft, ernst und plädiert deswegen für einen eher vorsichtigen Umgang mit dem Kapitalismusbegriff. Nichts spricht dagegen, wie es Richard Swedberg empfiehlt, den Kapitalismusbegriff beizubehalten, wenn es darum geht, Effekte der Interessenaggregation unter Produzenten und Konsumenten beobachtbar zu machen, die auf Verteilungsmuster von Überfluss und Knappheit hinauslaufen, die eine Gesellschaft alle Mühe hat, als Resultat ihrer eigenen Operation wiederzuerkennen (Swedberg 2003a, S. 32ff., 2005b). Aber sobald diese Effekte als Resultat einer Klassenherrschaft behauptet werden, gilt die von der Wirtschaftssoziologie mühsam genug erarbeitete Einsicht, dass die im 19. Jahrhundert prominent gewordene Differenz von Arbeit und Kapital nur den Blick darauf verstellt, dass es die differentielle Logik des Umgangs von Haushalten und Unternehmen mit Geld und Markt ist, die für den gesellschaftlichen Zustand der Wirtschaft verantwortlich ist (Bader/Berger/Ganßmann/von dem Knesebeck 1976; Luhmann 1988a, Kap. 5; Ganßmann 1996; Berger 1999). Auch deswegen gilt das Plädoyer der Gesellschaftstheorie und der sie begleitenden Sozialphilosophie, die Analyse auch der Wirtschaft nicht auf den Produktionsbegriff, sondern auf den Kommunikationsbegriff zu begründen (Luhmann 1988a, Kap. 2; Habermas 1985, Exkurs S. 95ff.). Dieser vorsichtige Umgang mit dem Kapitalismusbegriff hat für die soziologische Theorie der Wirtschaft mindestens drei Konsequenzen, die hier abschließend unterstrichen werden können. Erstens wird der Kapitalbegriff damit natürlich nicht überflüssig, sondern ganz im Gegenteil frei für eine soziologische Untersuchung, die Werner Sombarts Vermutung aufgreift, dass der Kapitalbegriff auf Techniken der doppelten Buchführung zurückzuführen ist, die ihrerseits dafür verantwortlich zu machen sind, dass Wirtschaftsunternehmen eine interne Verrechnungsmethode von Soll und Haben, Schuld und Vermögen sowie, daraus abgeleitet und darauf bezogen, Kosten und Nutzen entwickeln können, die ihre Ausdifferenzierung (Sombart spricht von »Verselbständigung«) in genau der Weise trägt, wie sie soziologisch zu erwarten ist, nämlich in der Form des distanzierungsfähigen Be141
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zugs auf die Wirtschaft selbst (Sombart 1916/27, Bd. II, S. 99ff.; kritisch dazu Yamey 1978). Die Buchführung, ein vernachlässigtes wirtschaftssoziologisches Thema, kann als ›Schrift des Kapitals‹ analysiert werden, die die doppelte Logik der Knappheitskommunikation, nämlich Knappheit schaffen zu müssen, um sie reduzieren zu können, innerhalb eines Unternehmens so zu rekonstruieren erlaubt, dass Entscheidungsprogramme entworfen werden können, die diese Logik für den Gewinn von Optionen auszubeuten erlauben (Baecker 1992; 1993b). Von hier aus gewinnt man Zugang zu den in den Wirtschaftswissenschaften prominenten Portfoliotheorien und Capital-Asset-Princing-Modellen der Entscheidung über Investition und Liquidität (Markowitz 1952; Tobin 1957/58; Modigliani/Miller 1958), um so den Kapitalbegriff durchaus noch im Einklang mit seiner marxschen Bestimmung als Einheitsbegriff der Reflexion auf die differentielle Struktur der Wirtschaft der Gesellschaft zu verwenden und für die Analyse der Chancen und Risiken der Reproduktion bestimmter Knappheitskommunikationen fruchtbar zu machen (Baecker 2001b). Zweitens kann Adornos melancholischer Abschied von jeder Hoffnung auf Differenz und damit auf die Möglichkeit eines Einspruchs im System im Rahmen eines vorsichtigen Umgangs mit dem Kapitalismusbegriff noch einmal überdacht werden. Luc Boltanski und Ève Chiapello sprechen zu Recht von einem »Neuen Geist des Kapitalismus«, der entgegen den Befürchtungen von Adorno die verwaltete Welt zwar nicht von ihren Ungerechtigkeiten befreit, aber doch in eine »cité par projets« auflöst (Boltanski/Chiapello1999, S. 154ff.), in der in einem bislang nicht beobachteten Ausmaß Organisationen gegen Organisationen und Konsumentenmilieus gegen Konsumentenmilieus stehen und so neue Entscheidungsspielräume schaffen. Die gesuchte Differenz ist eine Differenz innerhalb der Wirtschaft der Gesellschaft. Sie trägt und fordert den Einspruch der Organisation gegen die Organisation, des Managements gegen das Management und des Konsumenten gegen den Konsumenten (Eccles/White 1986; Wimmer 2004; Simon 2004; Lasn 2000). Sie verlässt sich nicht mehr auf das Allgemeine des Kollektivs, das man nur richtig zu adressieren verstehen müsste, um 142
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in der Wirtschaft der Gesellschaft alles zum Besseren wenden zu können, sondern nur noch, und dies im besten Wissen um die Marktpumpen der Konzerne, auf Possen, auf quer schießende, durchkreuzende, auf den Kopf stellende, decodierende und recodierende Projekte, die Singularitäten ausnutzen und für sie nach den passenden Netzwerken suchen (Hardt/Negri 2000, S. 408 und 325ff.). Die gesuchte Differenz ist für diesen Einspruch, das hätte Adorno vermutlich gefallen, darauf angewiesen, eine weitere Differenz nicht aus den Augen zu verlieren, nämlich die Differenz von Individuum und Gesellschaft, die unser Bewusstsein in der Form seiner selektiven Aufmerksamkeit gegen alle Versuche der »Kulturindustrie« wappnet, noch den »kantschen Schematismus« der Subjektbildung in den Dienst der Industrie zu stellen (Horkheimer/Adorno 1944, S. 128ff.) und damit Gesellschaft und Bewusstsein als identisch zu behaupten (Luhmann 1997). Wenn sogar die organisationspsychologisch beratene Managementlehre entdeckt, dass es für Arbeiten und Entscheidungen aller Art auf ein ebenso unverfügbares wie unverzichtbares mitlaufendes Bewusstsein (»mindfulness«) der Beteiligten ankommt (Weick/Sutcliffe 2001), auf eine »Automatenwache« (Gutenberg 1951, S. 19) dank lebendiger Subjektivität (Schimank 1986), während nichts unwahrscheinlicher ist, als für diese Arbeiten und Entscheidungen die passenden Individuen zu rekrutieren, dann kann man natürlich Zeter und Mordio schreien, dass »der Kapitalismus« nach wie vor auf den Menschen »mit Haut und Haar« (Marx) zugreift, man kann sich jedoch auch darauf konzentrieren, sich anzuschauen, welche Optionen hier im Einzelnen gewonnen und verspielt werden (V. Smith 2001). Wenn man auf diese Art und Weise Adornos »durchlöcherte Marktökonomie« innerhalb der Wirtschaft der Gesellschaft wiederfindet, steht dem Versuch nichts mehr im Wege, eine soziologische Analyse vom Typ der Untersuchung von Grenzprozessen innerhalb der Gesellschaft, wie sie von Parsons und Smelser entwickelt wurde, mit Bemühungen der Wirtschaftswissenschaft eng zu koppeln, eine Economics of information and risk zu entwickeln, die den Akzent der Knappheit deutlicher als in jeder bisherigen ökonomischen Theorie auf die Verfügbarkeit und Verwendbarkeit 143
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von Information legt und wirtschaftende Entscheidungen in Organisationen wie auf Märkten daraufhin beobachtet, mit welchem Risiko der Selbstbindung welche Chancen der Informationsverarbeitung durch welche Festlegungen erreicht und verspielt werden können (Schelling 1960; Arrow 1974a; 1974b; Stiglitz 1975; 1985; 2000; Akerlof 1984; Pratt/Zeckhauser 1985; Baecker 1988; Elster 2000). Eine der Pointen an dieser Forschungsrichtung liegt darin, dass es nicht etwa die Freiheit von der, sondern die Verwicklung in die Knappheitskommunikation ist, die Optionen eröffnet und damit Aussichten auf Knappheitsreduktionen begründet. Nur wenn man teilnimmt, woran auch immer, kommt man in den Besitz von Information. Denn Information lässt sich nicht aus der Vogelperspektive und auch nicht aus der grandiosen Geste der Negation, so sehr diese auch für die Visualisierung des Ganzen hilfreich sein mag (Benjamin 1931), sondern nur aus der Einmischung gewinnen (von Hayek 1945). Aus theoretischen Zuspitzungen dieser Art entsteht ein Bild von der Wirtschaft der Gesellschaft, das Ökonomen, die der Versuchung zu einer die Knappheit der Ressourcen absolut setzenden Vulgärökonomie widerstehen können, immer schon beschäftigt hat. Wenn Frank H. Knight in »Risk, Uncertainty, and Profit« die Wirtschaft als eine »utility surface« beschreibt, auf der ein »inclusive organic complex of agents, human and not-human« agiert, der nichts Wichtigeres zu tun hat, als sich selbst aufrechtzuerhalten und im Gegenzug Ergebnisse zu liefern, die sich für Zwecke des Konsums und der Investition nutzen lassen (Knight 1921, Zitate S. xxiii und xliii); oder wenn John von Neumann und Oskar Morgenstern in ihrer »Theory of Games and Economic Behavior« davon ausgehen, dass es keine unsichtbare Hand (Adam Smith) und keine imaginären Versteigerer (Léon Walras), sondern dass es statistische, rationale oder irrationale Verhaltensregeln, unterstützt vom unsichtbaren Händeschütteln interessierter Marktopponenten, sind, die es ermöglichen, Gleichgewichte zu finden (von Neumann/Morgenstern 1944, S. 31ff.); und wenn schließlich Gary S. Becker in seinem Buch »The Economic Approach to Human Behavior« die Reichweite der ökonomischen Analyse ausgerechnet an Erklärungen (von Verbrechen, Heirat 144
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und Tod) dokumentiert, die entgegen gängiger soziologischer Erwartungen von stabilen Präferenzen, Maximierungsverhalten und Marktgleichgewicht ausgehen, weil nur dann Knappheitskommunikation beobachtet werden kann und nicht irgendetwas anderes (G.S. Becker 1976); dann scheint der hier eingenommene Standpunkt, dass man der Wirtschaft nur auf die Spur kommt, wenn man annimmt, dass sie in der Gesellschaft die Funktion der Knappheitskommunikation erfüllt, nicht nur für sich seinen Wert zu haben, sondern auch einen Ausgangspunkt dafür liefern zu können, sich mit der ökonomischen Theorie, bei allem Respekt für ihr Interesse an einem Ausbau der Autonomie der Wirtschaft, auch auf gemeinsame Forschungsprogramme einlassen zu können. Man gewinnt aus all dem keine Soziologie der Wirtschaft, die glücklich wäre mit dem Stand der Dinge, den die Wirtschaft der Gesellschaft weltweit gegenwärtig realisiert. Man gewinnt allerdings eine Soziologie der Wirtschaft, die die Chancen der Kommunikation knapper Umweltressourcen, knapper Chancen der Sicherung des Lebensunterhalts oder knapper Aussichten darauf, an einem weltweit als erreichbar geltendem Bildungsstandard teilzunehmen, ebenso im Auge zu behalten versucht wie zunehmend destruktive Versuche, Sachverhalte wie zum Beispiel die menschliche Arbeitskraft oder auch Gesundheit und Bildung dem Knappheitskalkül und damit der wirtschaftlichen Vorsorge zu entziehen. Es gibt keinen Grund, wie Karl Polanyi in seinem Buch »The Great Transformation« eindrucksvoll gezeigt hat, die destruktive Wirkung der Durchsetzung von Knappheitskalkülen im Fall seiner Anwendung auf Grund und Boden, Arbeit und Geld zu leugnen (Polanyi 1944). Und es gibt ebenfalls keinen Grund, wie Niklas Luhmann gezeigt hat, den Mechanismus der Informationserarbeitung über Preise schon deswegen für rational zu halten, weil er in der Lage ist, die Instabilität der Wirtschaft mithilfe seiner eigenen Instabilität zu kontrollieren (Luhmann 1988a, Kap. 1; Baecker 1999b). Im Gegenteil. In beiden Hinsichten, mit Blick auf die Ausdifferenzierung der Wirtschaft und mit Blick auf ihr internes Raffinement, bleibt es bei der soziologischen Skepsis und beim wirtschaftssoziologischen Einwand der Ambivalenz, um weder in die Falle der Utopie der politischen 145
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Ökonomie noch in die Falle der Utopie der Kritik der politischen Ökonomie zu gehen. In beiden Hinsichten gibt es jedoch gleichzeitig mehr Gründe, sich die vorherrschende Knappheitskommunikation genauer anzuschauen, als Gründe, verzweifelt nach Alternativen zur Wirtschaft insgesamt zu suchen. Tatsächlich wird die Leistungsfähigkeit der Knappheitskommunikation bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme weithin mindestens so sehr überschätzt wie unterschätzt. Selbstverständlich kann die Wirtschaft nicht jedes Problem lösen, wie zuweilen angenommen wird, wenn das Wirtschaften umstandslos mit Rationalität, vor allem Zweckrationalität, gleichgesetzt und dabei übersehen wird, dass die Rationalität nur dort greifen kann, wo passende Knappheitszugriffe vorgenommen worden sind. Ob die Knappheitszugriffe ihrerseits als rational auch im Sinne der Berücksichtigung weiterer sozialer und ökologischer Effekte (›Externalitäten‹) gelten können, ist eine Frage, die mithilfe des wirtschaftlichen Knappheitskalküls nicht beantwortet werden kann. Andererseits jedoch wird die Leistungsfähigkeit der Knappheitskommunikation auch unterschätzt. Zentrale Bereiche der Gesellschaft wie etwa die Versorgung der Bevölkerung mit Arbeit, die Rücksicht auf den Verbrauch nicht erneuerbarer Umwelt oder auch das Kalkül von Zukunftsrisiken sind Knappheitszugriffen und damit dem Preismechanismus ganz oder teilweise entzogen (Biernacki 1995; Kneese/Russell 1987; Shiller 1993; 2003). Ausgerechnet an zu mächtig gewordenen Unternehmen hat der Kapitalmarkt in den vergangenen beiden Jahrzehnten vorgeführt, wie die vertikale Integration wieder verknappt werden kann, die hier im Überfluss vorhanden ist (Jensen 1993). Damit eilt der Kapitalmarkt einem Unternehmer zu Hilfe, der bisher, nach dem Wort von Thorstein Veblen, der einzige ist, der Manager auch wieder verknappen, nämlich entlassen kann (Veblen 1904, S. 48f.). In diesen und anderen Fällen der Anwendung und Selbstanwendung von Knappheitskalkülen wäre eine wirtschaftssoziologische Forschung vorstellbar, die vor dem Hintergrund einer Gesellschaftstheorie der Wirtschaft die Frage von Ronald H. Coase nach dem Preis des Preismechanismus (Coase 1988, S. 6) unter dem Gesichtspunkt aufgreift, wie knapp die Gesellschaft ihre Knappheitskommunikation hält. Man kann die Leistungsfähigkeit 146
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der Knappheitskommunikation nicht nur unterschätzen und überschätzen, man kann auch zu viel oder zu wenig Knappheitskommunikation in einer Gesellschaft zulassen. Die Wirtschaft ist ein confidence game, wie man im Amerikanischen sagt und wie es Herman Melville in seinem Roman »The Confidence-Man« (1875; vgl. Agnew 1986, S. 195ff.; Goffman 1952) unnachahmlich ins Bild gebracht hat. Sie macht uns zur Beute unseres eigenen Vertrauens und beruhigt uns damit, dass es anderen auch nicht besser geht. Sie verwickelt in das Spiel einer Oszillation zwischen der Weckung unbegrenzter Bedürfnisse, die dann auf knappe Güter stoßen, einerseits und dem Verzicht auf Bedürfnisse, denen dann der Überfluss gegenübersteht, andererseits, wie es Marshall Sahlins’ Steinzeitmenschen nicht besser gekonnt hätten (Sahlins 1974).
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Sachindex Akteur 44, 64, 96, 119f. Altruismus 18f. Ambivalenz 24f., 27, 39, 145 Arbeitsteilung 25 Askese 50, 108 Ausdifferenzierung 56ff., 102, 132, 141, 145 Banken 78 Bedürfnis 97, 108 Beobachtung zweiter Ordnung 85ff. Beruf, Profession 69f. Betrieb 117 Betrug, Täuschung 49, 100f., 103 Buchführung 141f. Budgetierung 119 Codierung 121f. commitments 109ff. confidence game 49, 146 Differenz 142f. Egoismus 18f. Eigentum 52f., 54, 62 Eigenwert 47 Einbettung (embeddedness) 36f., 98 Finanzierung 43 Form 45, 126, 132, 136 Frieden, Friedfertigkeit 24, 28, 30f. Fremder 102 Führung 117f. Gast 64, 102 Geld 9, 25, 28, 45, 48ff., 58ff. Generalisierung, symbolische 66ff.
Gesellschaft 11, 45, 130ff. Gewalt 28, 30, 32 Grenzen 136 Handeln und Erleben 48ff., 95f., 134 Haushalt 107ff. Heterarchisierung 127ff. Hierarchie 124 Imitation, rivalisierende (désir mimétique) 27, 34, 40, 88f., 105, 107ff., 137 Individuum 11, 107ff., 143 Information 143f. Innovation 26 Institution 55, 113, 124, 138 Interesse 24, 38 Kapital 141f. Kapitalismus 139ff. Kapitalmarkt 146 Käufer 74 Kausalität 96 Knappheit 6, 9, 12ff., 21ff., 45, 48ff. Kommunikation 43, 132, 136 Konkurrenz 97 Konsum 43, 77, 93, 109f. Konvention 124 Kredit 53 Kunst 72 Kriminalität 26 Liberalismus 124f. Liebe 71 Macht 71, 114 Management 117f. Markt 10, 45, 96ff., 124 Medium 81f., 123 183
2006-06-07 11-20-08 --- Projekt: T36.einsichten.baecker.wirtschaftssoziologie / Dokument: FAX ID 0285117656195626|(S. 183-184) T01_06 sachindex.p 117656196618
moral economy 56, 63, 139 Netzwerk 45, 99, 103, 116 Nullsummenspiel 20 Ökonomie, s. Wirtschaftswissenschaften Ökonomie, politische (und ihre Kritik) 23f., 32 Opportunismus 113 Opportunitätskosten 20 Organisation 123 Preise 21, 113, 145 Produktion 43, 77 Profession, s. Beruf Programmierung 122f. Publikum 99, 103, 105f. Rationalität 117f., 145 Religion 50ff. Reziprozität 35, 65f. Risiko 79ff., 143f. Schichtung, soziale 69 Schließung, doppelte 77ff. Schuld 75f.
Selbstähnlichkeit 44, 47, 133 Sozialismus 124f. Stadt 100 System 44, 85f., 127, 134 Tausch 32ff., 48f. Täuschung, s. Betrug Transaktionskosten 124 Unternehmen 107, 112ff. Utopie 7, 24, 145f. Versprechen 79f. Vorsorge 41f., 50, 80 Wahrheit 71 Win-Win-Spiel 20 Wirtschaftsethik 50ff. Wirtschaftssoziologie 36ff. Wirtschaftswissenschaft, Ökonomie 9, 13f., 16f., 18f., 50, 132, 143ff. Zahlung, Nichtzahlung 59, 77, 82, 121f. Zins 53, 78ff.
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2006-06-07 11-20-08 --- Projekt: T36.einsichten.baecker.wirtschaftssoziologie / Dokument: FAX ID 0285117656195626|(S. 183-184) T01_06 sachindex.p 117656196618
Einsichten. Themen der Soziologie Boris Holzer Netzwerke Juli 2006, ca. 120 Seiten, kart., ca. 11,50 €, ISBN: 3-89942-365-8
Dirk Baecker Wirtschaftssoziologie Mai 2006, 188 Seiten, kart., 15,00 €, ISBN: 3-933127-36-X
Helmut Willke Global Governance Februar 2006, 152 Seiten, kart., 13,50 €, ISBN: 3-89942-457-3
Raimund Hasse, Georg Krücken Neo-Institutionalismus (2., komplett überarbeitete Auflage)
Gabriele Abels, Alfons Bora Demokratische Technikbewertung 2004, 142 Seiten, kart., 12,80 €, ISBN: 3-89942-188-4
Frank Eckardt Soziologie der Stadt 2004, 132 Seiten, kart., 12,00 €, ISBN: 3-89942-145-0
Stefan Kühl Arbeits- und Industriesoziologie 2004, 182 Seiten, kart., 13,80 €, ISBN: 3-89942-189-2
Rainer Schützeichel Historische Soziologie
2005, 136 Seiten, kart., 13,50 €, ISBN: 3-933127-28-9
2004, 142 Seiten, kart., 12,80 €, ISBN: 3-89942-190-6
Holger Braun-Thürmann Innovation
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2005, 118 Seiten, kart., 11,50 €, ISBN: 3-89942-291-0
2003, 122 Seiten, kart., 11,50 €, ISBN: 3-89942-128-0
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2003, 102 Seiten, kart., 10,50 €, ISBN: 3-933127-21-1
Rolf Eickelpasch, Claudia Rademacher Identität
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2004, 138 Seiten, kart., 12,00 €, ISBN: 3-89942-242-2
2003, 172 Seiten, kart., 13,80 €, ISBN: 3-933127-37-8
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
2006-06-07 11-20-09 --- Projekt: T36.einsichten.baecker.wirtschaftssoziologie / Dokument: FAX ID 0285117656195626|(S. 185-186) anz.einsichten.ds05a_06.p 1176561
Einsichten. Themen der Soziologie Beate Krais, Gunter Gebauer Habitus 2002, 94 Seiten, kart., 10,50 €, ISBN: 3-933127-17-3
Thomas Kurtz Berufssoziologie 2002, 92 Seiten, kart., 10,50 €, ISBN: 3-933127-50-5
Jörg Dürrschmidt Globalisierung 2002, 132 Seiten, kart., 12,00 €, ISBN: 3-933127-10-6
Stefanie Eifler Kriminalsoziologie 2002, 108 Seiten, kart., 10,50 €, ISBN: 3-933127-62-9
Martin Endreß Vertrauen 2002, 110 Seiten, kart., 10,50 €, ISBN: 3-933127-78-5
Paul B. Hill Rational-Choice-Theorie 2002, 92 Seiten, kart., 9,50 €, ISBN: 3-933127-30-0
Gunnar Stollberg Medizinsoziologie
Urs Stäheli Poststrukturalistische Soziologien 2000, 88 Seiten, kart., 10,50 €, ISBN: 3-933127-11-4
Klaus Peter Japp Risiko 2000, 128 Seiten, kart., 12,00 €, ISBN: 3-933127-12-2
Theresa Wobbe Weltgesellschaft 2000, 100 Seiten, kart., 10,50 €, ISBN: 3-933127-13-0
Sabine Maasen Wissenssoziologie 1999, 94 Seiten, kart., 10,50 €, ISBN: 3-933127-08-4
Uwe Schimank, Ute Volkmann Gesellschaftliche Differenzierung 1999, 60 Seiten, kart., 9,00 €, ISBN: 3-933127-06-8
Volkhard Krech Religionssoziologie 1999, 100 Seiten, kart., 10,50 €, ISBN: 3-933127-07-6
2001, 100 Seiten, kart., 10,50 €, ISBN: 3-933127-26-2
Ludger Pries Internationale Migration 2001, 84 Seiten, kart., 9,50 €, ISBN: 3-933127-27-0
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