Lehrbuch der speziellen Chirurgie 9783111480701, 9783111113845


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Table of contents :
VORWORT ZUR 1. AUFLAGE
VORWORT ZUR 2. AUFLAGE
VORWORT ZUR 3. AUFLAGE
Inhaltsübersicht
Chirurgie des Kopfes
Chirurgie des Halses
Chirurgie der Wirbelsäule und des Rückenmarks
Chirurgie des Beckens
Chirurgie des Thorax und seiner Organe
Chirurgie der Bauchorgane
Chirurgie der Harnorgane und der männlichen Geschlechtsorgane
Chirurgie der Gliedmaßen
Sachregister
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Lehrbuch der speziellen Chirurgie
 9783111480701, 9783111113845

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ROSTOCK, L E H R B U C H DER S P E Z I E L L E N

CHIRURGIE

LEHRBUCH DER SPEZIELLEN CHIRURGIE von

PROF. DR. MED. PAUL

ROSTOCKf

Regierungsmedizinaldirektor und Chefarzt des Versorgungskronkenbauses Bad Tölz

Dritte Auflage, völlig neu bearbeitet von D R . M E D . CONSTANTIN VON B R A M A N N Arztl. Direktor und Chefarzt am Städt. Krankenhaus Berlin-Neukölln

Mit 379, zum Teil mehrfarbigen Abbildungen

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. VORM. G. J. GÖSCHElN'SCHE VERLAGSHANDLUNG J . G U T T E N T A G , VERLAGSBUCHHANDLUNG GEORG R E I M E R , KARL J. T R Ü B N E R , V E I T & COMP.

B E R L I N 1957

© Copyright 1941, 1 9 4 3 , 1 9 5 7 by Walter de Gruyter &Co. vormals G. J . Gösohen'sche Verlagshandlung, J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J . Trübner, Veit & Comp., Berlin W 35 — Alle R e c h t e , auch die des auszugsweisen Abdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung, vorbehalten. — Archiv-Kummer 5 1 6 2 57 — Printed in Germany — Satz u. "Druck: Engelhard-Reyhersche ISuchdruckerei Gotha V/fi/17-10

V O R W O R T Z U R 1. A U F L A G E Das hier vorliegende „Lehrbuch der speziellen Chirurgie" nimmt seine be. sondere Art aus der Entstehungsweise; es ist eine Gemeinschaftsarbeit, die Gemeinschaftsarbeit einer ganzen Klinik, zu der die verschiedenen Abteilungen, jede aus dem besonderen Können und Erfahrungsschatze, ihr Teil beitrugen. Ein anderes Kennzeichen mag sich daraus ergeben, daß hier einmal grundsätzlich mit der Übung gebrochen wurde, längst bekannte Bilder abermals zu verwenden. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wurden die Abbildungen aus dem reichen Archiv der Klinik ausgewählt oder, wo das Wesentliche noch deutlicher gezeigt werden sollte, durch Zeichnungen ersetzt. Die Methodik der Darstellung ist vom praktischen Handeln her bestimmt; es kam darauf an, die Wesenszüge des klinischen Krankheitsbildes, danach die Grundgedanken der Therapie herauszuarbeiten und den Blick dafür zu schärfen. Der Leser soll vom Grundsätzlichen in Klinik, Diagnose und Therapie aus angeregt und hingeführt werden zu selbständigem Beobachten und Handeln. Als Leser stellt sich der Verfasser hierzu vor: den Studierenden, der sich nach dem Hören der Vorlesungen im häuslichen Studium die spezielle Chirurgie erarbeiten will, den Assistenten, dem ein neuer Aufgabenkreis gestellt ist, und den chirurgisch tätigen Praktiker, der immer wieder bei den Grundlagen den Ausgangspunkt seine Arbeit sieht. Daß dieses Werk ein so reiches, zugleich text- und raumsparendes Bildwerk enthält, ist auf die Bereitwilligkeit des Verlages zurückzuführen. Daß es jetzt überhaupt erscheinen konnte, habe ich zunächst wiederum dem Verlag und dann der Mitarbeit zahlreicher wissenschaftlicher und technischer Assistenten und Assistentinnen zu verdanken. Ich gedenke hier insbesondere der fleißigen Mithilfe von Dr. H a r f f, der sich der Korrektur annahm und das Sachverzeichnis anfertigte. Was ich selbst zum Werk beitragen konnte, ist den Erfahrungen und Kenntnissen entwachsen, die mir meine Lehrer Professor G u 1 e k e und Professor M a g n u s übermittelt haben. Die größte Zahl der Zeichnungen wurde von Fräulein L e 11 a u hergestellt. B e r l i n , im Januar 1941.

Paul

Rostock

V O R W O R T Z U R 2. A U F L A G E Schon nach kurzer Zeit ergab sich die Notwendigkeit, eine Neuauflage des Buches herauszubringen. Ich danke allen Kritikern der ersten Auflage dafür, daß sie mich auf Mängel aufmerksam machten. Soweit es ging, habe ich mich bemüht, die Ausstände zu berücksichtigen. Es sind wegen der Zeitverhältnisse nur an relativ wenigen Stellen Änderungen im Text vorgenommen worden. 23 Abbildungen wurden durch bessere und instruktivere ersetzt. Der Verlag hat wiederum das Buch hervorragend ausgestattet. Gerade in heutigen Zeiten ist ihm dies besonders zu danken. B e r 1 i n , i m J u n i 1943.

Paul

Rostock

V O R W O R T Z U R 3. A U F L A G E Paul R o s t o c k verstarb unerwartet im F r ü h j a h r 1956, als er mit der Bearbeitung der dritten Auflage seines Lehrbuches der speziellen Chirurgie beschäftigt war. Die Kriegs- und Nachkriegsereignisse hatten eine längere Pause zwischen dem Vergrill'ensein der zweiten Auflage und dem Erscheinen der dritten Aullage erzwungen. Als der Verlag Walter de Gruyter & Co. mich bat, die Bearbeitung der dritten Auflage fortzuführen, bin ich diesem Wunsche gern nachgekommen, zumal die erste und zweite Auflage aus der Tradition der Bier'schen Klinik hervorgegangen sind, an der ich unter meinem verehrten Lehrer August B i e r sieben Jahre lang meine Ausbildung in der Chirurgie erhielt. Entsprechend den neuen Erfahrungen und Erkenntnissen war eine Überarbeitung des Textes an vielen Stellen nötig, wobei besonders die schnellen Fortschritte auf dem Gebiet der Lungen- und Herzchirurgie berücksichtigt werden mußten. Auch die Bedeutung der Antibiotika und die dadurch bedingte Änderung der Behandlung zahlreicher chirurgischer Erkrankungen wurde eingearbeitet. Herrn Dr. H a r t m u t Peitsch danke ich für das verständnisvolle Lesen der Korrekturen und für die notwendig gewordene Änderung des Registers. Der Verlag h a t t e für die notwendigen Änderungen und Ergänzungen volles Verständnis und h a t sich auch durch die verbesserte Ausstattung des Buches mit ganzer K r a f t für die dritte Auflage eingesetzt. So möge auch die neue Auflage ein Ratgeber für Studenten und Ärzte sein. B e r l i n , im F r ü h j a h r 1957

Constantin

von

Bramann

Inhaltsübersicht Chirurgie des Kopfes V e r l e t z u n g e n und E r k r a n k u n g e n knöchernen Hirnschädels

der

W e i c h t e i 1e u n d

des

Angeborene Mißbildungen Die Verletzungen der Weichteile Die Schädelbrüche Schußverletzungen Konvexitätsbrüche Schädelgrundbrüche Entzündungen der Weichteile des Schädels Entzündungen der Knochen des Schädels Ostitis fibrosa, Ostitis deformans, P a g e t sehe Knochenerkrankung, Leontiasis ossea Geschwülste Gutartige Geschwülste Bösartige Geschwülste Verletzungen Häute

und

Erkrankungen

des

Gehirns

und

seiner

Mißbildungen des Gehirns (Mikrozephalus, Hydrozephalus) Verletzungen des Gehirns Verletzungen der Hirngefäße Erkrankungen des Gehirns und seiner Hüllen Entzündungen der Hirnhäute Entzündungen der intrakraniellen Blutleiter Entzündungen des Gehirns Der Hirnprolaps Tumoren von Hirnhäuten und Gehirn Die Hypophysentumoren Hydrozephalus Die Epilepsie (Fallsucht) Die wichtigsten Operationen an Schädel und Gehirn Verletzungen

und E r k r a n k u n g e n

des G e s i c h t s

19

42

am K o p f

und

17 18 18 19

42 46 47 52 58 61

Trigeminusneuralgie Okzipitalneuralgie Verletzungen Rachens

1 1 3 7 7 10 13 15 16

19 21 24 26 26 28 29 31 32 35 37 38 40

Die angeborenen Hemmungsmißbildungen Verletzungen des Gesichts Entzündungen des Gesichts Geschwülste des Gesichts Die plastischen Operationen im Gesicht Die N e u r a l g i e n

Seite

61 63 Erkrankungen

der

Mundhöhle

Erkrankungen von Mundschleimhaut und Mundboden Entzündungen Geschwülste Erkrankungen der Zunge Entzündungen Geschwülste Erkrankungen von Gaumen und Pharynx

und

des

64 64 64 65 66 66 66 68

Inhaltsübersicht

VIII

Seite

V e r l e t z u n g e n und E r k r a n k u n g e n der Kiefer Mißbildungen der Kiefer Frakturen und Luxationen der Kiefer Entzündungen der Kiefer Erkrankungen der Zähne Geschwülste der Kiefer Geschwülste der Zahnanlagen Typische Operationen an den Kiefern V e r l e t z u n g e n und E r k r a n k u n g e n d e r S p e i c h e l d r ü s e n Verletzungen der Speicheldrüsen Akute und chronische Entzündungen der Speicheldrüsen Speichelsteine Geschwülste der Speicheldrüsen Verletzungen und E r k r a n k u n g e n d e s Ohrs Die

Verletzungen und Erkrankungen der Nase Nebenhöhlen Die V e r l e t z u n g e n und E r k r a n k u n g e n der Augen

und

74 74 75 78 81 81 83 85 88 88 89 91 91 92 der

93 94

Chirurgie des Halses Mißbildungen Halszysten und Haisfisteln Halsrippen Schiefhals (Caput obstipum, Torticollis) Verletzungen

95 95 96 97

des Halses

100

E n t z ü n d u n g e n am Hals Nackenkarbunkel E r k r a n k u n g e n der H a l s l y m p h k n o t e n T u m o r e n des Halses E r k r a n k u n g e n der Schilddrüse Mißbildungen Struma Hypothyreoidismus Basedowsche Erkrankung Strumitis und Thyreoiditis Struma maligna C h i r u r g i s c h e E r k r a n k u n g e n des K e h l k o p f e s röhre Verletzungen Fremdkörper Entzündungen Allgemeines Diphtherie Tuberkulose Lues Aktinomykose Chondritis und Perichondritis Die neurogenen Erkrankungen des Kehlkopfes Geschwülste des Kehlkopfes Die Operationen an Kehlkopf und Trachea E r k r a n k u n g e n der Speiseröhre Spezielle Untersuchungstechnik der Speiseröhre Verletzungen der Speiseröhre Fremdkörper in der Speiseröhre Entzündliche und geschwürige Prozesse der Speiseröhre Verätzungen der Speiseröhre Strikturen der Speiseröhre

102 102 106 110 112 113 115 120 120 124 124 und

der

Luft-

126 126 127 127 127 128 129 130 130 130 131 131 133 135 135 137 137 138 139 140

Inhaltsübersicht

IX Seite

Erweiterungen der Speiseröhre Ösophagusdivertikel Tumoren des Ösophagus Varizen des Ösophagus

141 142 144 145

Chirurgie der Wirbelsäule und des Rückenmarks Angeborene marks

Formfehler

Verkrümmungen Kyphose . . . . Skoliose

der

der

Wirbelsäule

und

des

Rücken-

Wirbelsäule

146 150 151 152

V e r l e t z u n g e n der W i r b e l s ä u l e Offene Verletzungen der Wirbelsäule Kontusionen und Distorsionen F r a k t u r e n und Luxationen Verletzungen des Rückenmarks und seiner Häute

155 155 155 157 162

E n t z ü n d u n g e n der W i r b e l s ä u l e Die bakteriellen Entzündungen Eitrige Osteomyelitis Spondylitis typhosa Spondylitis gummosa Spondylitis tuberculosa Die Behandlung der Spondylitis tuberculosa Aktinomykose der Wirbelsäule

167 167 167 167 168 168 175 178

Lumbago

178

A b n u t z u n g s e r k r a n k u n g e n

der

Wirbelsäule

180

B e c h t e r e w sehe E r k r a n k u n g E r k r a n k u n g e n Geschwülste Typische

der

der

181

R ü c k e n m a r k s h ä u t e

Wirbelsäule

Operationen

183

und des R ü c k e n m a r k s

an W i r b e l s ä u l e

und R ü c k e n m a r k

183 ...

185

Chirurgie des Beckens Angeborene

Mißbildungen

188

V e r l e t z u n g e n am B e c k e n Weichteilverletzungen am Becken F r a k t u r e n des Beckens Luxationen

188 188 189 191

Entzündungen Osteomyelitis der Beckenknochen Tuberkulose der Beckenknochen Abszesse und Fisteln des Beckens

192 192 192 193

Tumoren

194

des

Beckens

Chirurgie des Thorax und seiner Organe Form Veränderungen

des

B r u s t k o r b e s

196

V e r l e t z u n g e n des B r u s t k o r b e s F r a k t u r e n des Brustbeines Die F r a k t u r e n der Rippen Die penetrierenden Brustwandverletzungen

197 197 197 199

Entzündungen

201

Tumoren

der

der

Brust wand

Brust wand

203

I n t e r k o s t a l n e u r a l g i e n

203

E r k r a n k u n g e n

204

der T h y m u s d r ü s e

X

Inhaltsübersicht Seite

Chirurgische Erkrankungen Verletzungen der Lunge Pleuritis Pleuraempyem Lungenabszeß und Lungengangrän Aktinomykose der Lunge Bronchiektasen Chirurgie der Lungentuberkulose Die Chirurgie der Lungenembolie Parasiten der Lunge Lungenzysten Tumoren der Lunge

der

Lunge

und

der

Pleura

205 205 207 208 212 213 213 214 218 219 220 220

C h i r u r g i s c h e E r k r a n k u n g e n des H e r z e n s Verletzungen des Herzens Erkrankungen des Herzbeutels Angeborene und erworbene Herzfehler

221 221 222 224

E r k r a n k u n g e n des M e d i a s t i n u m Mediastinitis Tumoren des Mediastinums

225 225 226

E r k r a n k u n g e n der B r u s t d r ü s e Mißbildungen der Brustdrüse Formveränderungen der Brustdrüse Verletzungen der Brustdrüse Entzündungen der Brustdrüse Die gutartigen Geschwülste der Brustdrüse Die bösartigen Geschwülste der Brustdrüse

227 227 228 228 229 233 234

Chirurgie der Bauchorgane Bauchdecken Mißbildungen und angeborene Fisteln der Bauchdecken Verletzungen der Bauchwand Prolapse Hernien Allgemeines Pathologie der Hernien Die Diagnose der Hernieninkarzeration Grundsätze der Bruchbehandlung Die verschiedenen Hernien Die Leistenbrüche Der schräge Leistenbruch Der gerade Leistenbruch Die weiche Leiste Der Schenkelbruch Der Nabelbruch Die Rektusdiastase Hernia epigastrica Hernia semilunaris Spiegeli Bauchnarbenbrüche Hernia obturatoria Hernia glutaea und ischiadica Hernia perinealis Hernia lumbalis Hernia diaphragmatica Innere Hernien Entzündungen der Bauchdecken Geschwülste der Bauchdecken

241 241 241 242 243 243 246 251 252 256 256 258 260 260 263 265 268 268 269 269 270 271 271 271 272 273 274 275

Die B a u c h f e l l e n t z ü n d u n g Akute diffuse Peritonitis Die umschriebene Peritonitis

276 276 282

Inhaltsübersicht

XI Seite

Die tuberkulöse Peritonitis Pneumokokkenperitonitis Die Gonokokkenperitonitis Die

Bauchwassersucht

Erkrankungen

284 286 286 (Aszites)

des N e t z e s

und des

287 Mesenteriums

288

E r k r a n k u n g e n der L e b e r - und G a l l e n wege Verletzungen von Leber- und Gallenwegen Verlagerungen der Leber Erkrankungen und Entzündungen der Leber Tumoren der Leber Parasiten der Leber Die Entzündung der Gallenwege und das Gallensteinleiden Tumoren der Gallenwege

289 289 289 290 290 291 292 302

E r k r a n k u n g e n des P a n k r e a s Verletzungen des Pankreas Entzündungen des Pankreas Die Pankreasnekrose Pankreaszysten und Fisteln Tumoren des Pankreas

303 303 304 304 306 307

E r k r a n k u n g e n der Milz Bedeutung der Milz für den Körper Verletzungen der Milz Abszesse der Milz Parenchymerkrankungen Milzverlagerungen Zysten und Tumoren

307 307 308 308 309 309 310

E r k r a n k u n g e n des M a g e n s und des D u o d e n u m s Verletzungen und Fremdkörper des Magens Lageveränderungen des Magens Magenatonie Die Pylorusstenose der Säuglinge Magen- und Duodenalgeschwüre Die Symptome des Magengeschwürs Die Symptome des Duodenalgeschwürs Die Komplikationen des Magen- und Duodenalgeschwürs Spezifische Entzündungen des Magens Magenkarzinom Magentumoren außer Karzinomen Die wichtigsten Operationen am Magen

310 310 311 312 313 313 315 318 319 323 324 327 327

E r k r a n k u n g e n des D ü n n d a r m s Verletzungen Mißbildungen und Lageveränderungen Fremdkörper Entzündungen und Geschwüre Appendizitis Bauchfelladhäsionen Geschwülste des Darmes Darmfisteln Erkrankungen des Mesenteriums

331 331 331 333 334 337 344 345 347 348

Der

Darm Verschluß Allgemeines Obturationsileus Strangulationsileus Invagination Paralytischer Ileus Spastischer Ileus Diagnose und Therapie des Ileus

und Dickdarms

349 349 351 352 353 355 355 356

Inhaltsübersicht

XII

Seite

E r k r a n k u n g e n des R e k t u m s und Anus Mißbildungen Verletzungen von R e k t u m und Anus Fremdkörper des Rektums Entzündungen Strikturen Fisteln und Fissuren des Anus Hämorrhoiden Prolapsus ani et recti (Mastdarmvorfall) Carcinoma ani et recti Gutartige Tumoren

359 359 360 361 362 364 364 366 369 370 374

Chirurgie der Harnorgane und der männlichen Geschlechtsorgane Nieren und Harnleiter Die urologischen Untersuchungsmethoden Mißbildungen von Niere und Harnleiter Mißbildungen der Niere Mißbildungen der Harnleiter Verlagerung der Niere Verletzungen von Niere und Harnleiter Nierenstein und Ureterstein Hydronephose Pyonephrose Entzündungen Pyelonephritis Paranephritische Eiterungen und Abszesse Nierentuberkulose Lues der Niere Nierenaktinomykose Chirurgische Behandlung der Nephritis Nierenzysten und Zystenniere Gutartige Nierengeschwülste Bösartige Nierengeschwülste Nebennierengeschwülste

375 375 379 379 380 380 382 384 390 393 393 394 395 396 399 400 400 400 402 402 404

Harnblase Mißbildungen der Harnblase Neurogene Störungen der Harnentleerung Verletzungen der Harnblase Zystitis Fremdkörper in der Harnblase Blasensteine Tumoren der Harnblase

404 404 406 406 408 413 414 416

Prostata und Samenblasen Verletzungen der P r o s t a t a Entzündungen der P r o s t a t a Steine der P r o s t a t a Prostatahypertrophie Atrophie der P r o s t a t a Tumoren der Prostata Erkrankungen der Samenblasen

419 419 419 421 421 426 426 427

Harnröhre und Penis Mißbildungen Verletzungen Entzündungen Strikturen Tumoren

428 428 430 433 434 436

Hoden, Samenleiter, Mißbildungen Verletzungen

Skrotum

438 438 439

Inhaltsübersicht Erkrankungen der Samenleiter Entzündung des Hodens und Nebenhodens Unspezifische Entzündungen des Hodens und Nebenhodens Spezifische Entzündungen des Hodens und Nebenhodens Hydrozele Hämatozele Spermatozele Geschwülste des Hodens Entzündungen des Skrotums Tumoren des Skrotums

XIII Seite 440 441 441 443 444 445 445 445 446 447

Chirurgie der Gliedmaßen Mißbildungen der Gliedmaßen Mißbildungen des Armes Mißbildungen des Beines

448 448 451

D e f o r m i t ä t e n der G l i e d m a ß e n Deformitäten des Armes Entbindungslähmungen Schulterblatthochstand Angeborene Schulterverrenkung Paralytisches Schlottergelenk der Schulter Angeborene Verrenkungen des Ellenbogengelenkes Cubitus valgus und Cubitus varus Deformitäten des Handgelenkes Deformitäten der Finger Deformitäten von Oberschenkel und Unterschenkel Die angeborene Hüftgelenksverrenkung Coxa vara Coxa valga Hiiftluxationcn bei paralytischen und spastischen Lähmungen Genu valgum oder X-Bein Genu varum oder O-Bein Schlottergelenk des Knies Die rachitischen Yerbiegungen der Beine

451 451 451 451 452 452 452 452 452 453 453 453 457 459 459 459 460 461 462

Deformitäten der Füße Der K l u m p f u ß Der Knickfuß und der P l a t t f u ß , Spreizfuß Der Spitzfuß Der Hackenfuß Der Hohlfuß Der Kalkaneussporn Die Malazie des Kahnbeins Die Malazie der Köpfchen der Mittelfußknochen Insuffizienzerkrankungen der Mittelfußknochen Hallux valgus Die Hammerzelic Die Arthrose der Großzehengrundgelenke Kontrakturen Dermatogene Kontrakturen Desmogene und tendogene K o n t r a k t u r e n Myogene Kontrakturen Neurogene Kontrakturen Arthrogene Kontrakturen V e r l e t z u n g e n der Weichteile Allgemeines über Verletzungen Verletzungen der Körperbedeckungen Verletzungen der Gefäße Verletzungen der Nerven

der G l i e d m a ß e n

463 463 465 468 469 469 469 470 470 471 471 472 472 473 473 473 475 477 477 478 478 478 481 488

XIV

Inhaltsübersicht Seite

Verletzungen von Muskeln, Sehnen und Faszien Verbrennungen Schädigungen durch strahlende Energie Erfrierungen Elektrische Verletzungen Verletzungen

der Knochen

und

Gelenke

Allgemeines über K n o c h e n b r ü c h e u n d ihre Heilung Allgemeines über K n o c h e n b r u c h b e h a n d l u n g Allgemeines über Gelenkverletzungen u n d ihre B e h a n d l u n g Die wichtigsten F r a k t u r e n u n d L u x a t i o n e n F r a k t u r e n u n d L u x a t i o n e n des Schlüsselbeines Schulterblattfrakturen Schulterluxation Oberarmkopfbrtiche Oberarmschaftbrüche O b e r a r m b r ü c h e n a h e d e m Ellenbogengelenk Olekranonfraktur Brüche beider U n t e r a r m k n o c h e n Isolierte Brüche des R a d i u s Isolierte Brüche der U l n a Die typische R a d i u s f r a k t u r Brüche u n d Verrenkungen der Handwurzelknocheii Mittelhandbrüche Brüche u n d Verrenkungen der Finger Der P f a n n e n g r u n d b r u c h im H ü f t g e l e n k Die t r a u m a t i s c h e H ü f t g e l e n k s v e r r e n k u n g Die Schenkelhalsbrüche Die Oberschenkelschaftbrüche Die Brüche der Kniegelenkskondylen Die P a t e l l a f r a k t u r e n Die L u x a t i o n e n im Kniegelenk Die Meniskuszerreißung Die U n t e r s c h e n k e l s c h a f t f r a k t u r e n Die Knöchelbrüche F r a k t u r e n u n d L u x a t i o n e n im Bercich des F u ß e s Erkrankungen

der W e i c h t e i 1e der G l i e d m a ß e n

492 495 498 499 499 500 500 509 514 517 517 519 520 523 526 527 533 534 535 536 537 539 542 543 543 544 547 550 553 556 557 559 560 562 565 568

Erkrankungen der Körperbedeckungen Furunkel und Karbunkel lirysipel Erysipeloid Panaritium Phlegmone Phlegmone mit Gas Gasphlegmone (Gasödem) Geschwüre Lepra Tuberkulose Aktinomykosc Erkrankungen der Nägel und des Nagelbettes

568 568 569 570 570 576 577 577 578 583 584 584 584

Erkrankungen der Blutgefäße Entzündungen der Gefäße; Thrombose Aneurysmen Varizen Gangrän der Gliedmaßen

585 585 587 587 590

Erkrankungen der Lymphgefäße und Lymphknoten

593

Erkrankungen der Nerven Neuralgien; Ischias Die neuropathisclien Geschwüre Der Wundstarrkrampf

595 595 597 598

Inhaltsübersicht

XV Seite

Erkrankungen der Muskeln, Sehnen, Faszien und Sc.hleimbeutel Myositis purulenta Muskeltuberkulose Lues der Muskeln Myositis ossifleans progressiva A k u t e , eitrige S c h l e i m b e u t e l e n t z ü n d u n g Chronische S c h l e i m b e u t e l e n t z ü n d u n g A k u t e , eitrige S e h n e n s c h e i d e n e n t z ü n d u n g Chronische S e h n e n s c h e i d e n e n t z ü n d u n g Der schnellende Finger Ganglien der Sehnenscheide T u b e r k u l o s e der Sehnenscheiden u n d Schleimbeutel Gonorrhoische E n t z ü n d u n g der Sehnenscheiden u n d Schleimbeutel E r k r a n k u n g e n der K n o c h e n und W a c h s t u m s s t ö r u n g e n der Knochen Die K n o c h e n a t r o p h i e Die aseptischen Knochennekrosen Ostitis fibrös a Rachitis u n d Osteomalazie A k u t e h ä m a t o g e n e eitrige Osteomyelitis Typhöse Osteomyelitis Knochentuberkulose Lues des Knochens Toxische Gelenkerkrankungen Die A r t h r i t i s urica (Gicht) Die Osteochondritis der Gelenke Die Gelenkerkrankungen bei B l u t e r n Arthrosis d e f o r m a n s Die n e u r o p a t h i s c h e n Gelenkerkrankungen Die pyogene G e l e n k e n t z ü n d u n g Die gonorrhoische G e l e n k e n t z ü n d u n g Die t u b e r k u l ö s e G e l e n k e n t z ü n d u n g Die Lues der Gelenke T u m o r e n der Weichteile der Papillome Epithelzysten Hämangiome Lymphangiome Lipome Fibrome Neurome lind NeuroUbromatose Sarkome Karzinome

599 599 600 600 600 601 601 605 605 606 606 606 607

Gelenke

608 608 609 611 613 614 617 625 625 631 632 634 636 638 638 645 646 647 648 656

Gliedmaßen

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T u m o r e n der Knochen und Gelenke P r i m ä r e T u m o r e n des Knochens Kartilaginäre Exostosen Die p r i m ä r e n K n o c h e n t u m o r e n nicht knöchernen Ursprungs Metastatische Tumoren im Knochen Geschwülste der Gelenke

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Sachverzeichnis

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Chirurgie des Kopfes Verletzungen und Erkrankungen der Weichteile und des knöchernen Hirnschädels Angeborene Mißbildungen Der Hirnbruch (Hernia cerebri) ist eine angeborene Ausstülpung des Hirns und der Hirnhäute, der mit normaler Haut bedeckt ist und durch Knochenlücken heraustritt. J e nach ihrem Inhalt unterscheidet man verschiedene Grade. Man spricht von einer Meningozele (Hirnhautbruch), wenn der Inhalt der Anschwellung aus den Hirnhäuten und Liquor besteht. Bei ihr kann die Kommunikation mit dem Schädelinneren sehr klein sein, mitunter hat sekundärer Verschluß zu einer vollkommenen Abschnürung geführt. Enzephalozelen sind Ausstülpungen der Hirnmasse mit ihren Häuten ohne Mitbeteiligung des Ventrikels. Ist auch er meist in erweiterter Form in der Ausstülpung enthalten, so handelt es sich um eine Enzephalozystozele. Und schließlich kann gleichzeitig auch eine vermehrte Flüssigkeitsansammlung zwischen Hirnhäuten und Hirn vorliegen, so daß eine Enzephalozystomeningozele entsteht. Alle diese Hernien können sowohl am Hinterhaupt (Encephalocele occipitalis) oder an der Stirn (Encephalocele sincipitalis) liegen. In letzterem Falle verlassen sie den Schädel durch eine Lücke der Lamina cribriformis. Von dort aus können sie auf drei verschiedenen Wegen nach der Körperoberfläche gelangen und zwar über dem Nasenbein in der Gegend der Glabella (nasofrontale Wachstumsrichtung) oder unter dem Nasenbein (nasoethmoidale Wachstumsrichtung) oder am inneren Augenwinkel (nasoorbitale Wachstumsrichtung). Diese Mißbildungen stellen mehr oder weniger kuglige Anschwellungen an den genannten Körperstellen dar, die mit normaler, teilweise mit Haaren besetzter Haut bedeckt sind. Sie sind weich, zeigen mitunter, aber nicht immer, Hirnpulsationen und lassen sich auf vorsichtigen (!) Druck verkleinern, wobei durch Erhöhung des Hirninnendruckes Schreien ausgelöst werden kann. Verwechslungen sind möglich mit einem Geburtshämatom (Kephalhämatom), Sinus pericranii, Dermoiden und sonstigen Tumoren. Haben diese Gehirnhernien bei der Geburt schon eine erhebliche Größe, so bestehen meist auch sonst Mißbildungen, welche in kürzester Zeit zum Tode führen. Auch Durchbrüche durch die dünne, bedeckende Haut kommen vor und erzeugen eine tödliche Hirnhautentzündung. Kleine Hernien brauchen die Entwicklung ihres R o s t o c k , Lehrbuch der speziellen Chirurgie. 3. Aufl.

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Trägers nicht zu hindern und können viele Jahre bestehen. Sie bedeuten aber durch ihre leichte Yerletzlichkeit stets eine Gefahr. Daher ist ihre operative Beseitigung angezeigt.

A b b . 1. M e n i n g o c e l e o c c i p i t a l i s i n f e r i o r

(schematise!!)

^ ^ • • H R m P P P i f ^ ^ ' igfk ^^^^^^HfC' ' M |

Bei der Behandlung sind früher Kompressionsverbände, Punktion und Injektion differenter Flüssigkeiten (z. B. Jodtinktur) angewandt worden. Die ersten Methoden haben so gut wie gar keineHeilungsaussichten und sind daher verlassen. Die Flüssigkeitsinjektion ist, wie man sich vorstellen kann, nicht gleichgültig für die Organe der Schädelhöhle und sollte daher auch unterlassen werden. Die operative Isolierung, Stielung und Exstirpation des Tumors und seine Abtragung werden bei der Meningozele verhältnismäßig leicht sein. Die Reposition vorgefallener Hirnsubstanz gelingt nicht immer, so daß auch sie teilweise abgetragen werden muß. Weiterhin ist entweder in derselben Sitzung oder später die Schädellücke plastisch zu verschließen.

Zu den Mißbildungen des Schädels selbst können Formveränderungen, welche durch Störungen in dem Verschluß der Knochennähte Abb.2. Enzephalozystozele hervorgerufen werden, gerechnet werden. Meist treten sie in der Form des T u r m s c h ä d e l s klinisch in Erscheinung. Wir beobachten auf kleinem oder normal großem Gesichtsschädel und Schädelbasis eine walzen- oder kugelförmige Erweiterung des Hirnschädels. Mitunter bestehen Störungen des Sehvermögens mit Stauungspapille, die bis zur völligen

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E r b l i n d u n g f ü h r e n können. Eine Trepanation zur D r u c k e n t l a s t u n g kann, rechtzeitig angewandt, Besserungen im Sehvermögen oder wenigstens Stillstand der Erscheinungen erzielen.

Die Verletzungen der Weichteile Die s t u m p f e n Verletzungen t r e t e n uns zunächst in F o r m der verschiedenen, während des Geburtsaktes erzeugten Veränderungen entgegen. Eine umschriebene Schwellung der Kopfschwarte meist im hinteren, oberen Teil des Scheitelbeines, die m a n als Caput succedaneum bezeichnet, stellt ein m i t kleinsten Blutungen durchsetztes Stauungsödem dar. E s ents t e h t dadurch, daß nach Ab„^^Ufefw fluß des Fruchtwassers der betreffende Teil des Schädels in JSUi.^' | den erweiterten M u t t e r m u n d M j / ß ^ ; , . -,V gepreßt wird. Eine besondere ÄpfelV^ B e h a n d l u n g erfordert es nicht. Mit völliger Wiederherstellung in spätestens 2 Wochen ist zu rechnen. Auf dieselbe Weise k a n n es zur Ausbildung einer Kopfblutgeschwulst (Kephalhämatom) k o m m e n , wenn durch Verschiebung der Weichteile gegen die K n o c h e n h a u t oder gegen den Knochen selbst Blutgefäße zerreißen. E s bilden sich umschriebene BlutanAbb. 3. Kephalhämatom beim Neugeborenen sammlungen, welche entweder zwischen Kopfschwarte und Periost oder auch zwischen Knochen u n d Periost sitzen können. Die umschriebenen, zunächst prallen, dann fluktuierenden, uhrglasförmigen Anschwellungen pflegen die Grenzen der natürlichen Nahtlinien zu respektieren. Gleich nach der Geburt haben sie die größte Ausdehnung, um langsam an Größe abzunehmen, jedoch sind Nachblutungen nicht selten. Das B l u t bleibt in diesen H ä m a t o m e n lange flüssig. Seine Resorption k a n n verlangsamt sein. D a n n bildet sich ein kraterförmiger R a n d aus m i t u n t e r verknöcherndem Bindegewebe. Dadurch k a n n bei der B e t a s t u n g der E i n d r u c k einer Impressionsfraktur hervorgerufen werden. Umschriebene Blutbeulen in den Schädelweichteilen k o m m e n besonders im Kindesalter, seltener bei Erwachsenen als Folge stumpfer T r a u m e n vor, zumal wenn diese tangential zum Schädel einwirken. Sie können sich nach dem Schläfenbein zu senken und ebenfalls durch die kraterförmige Randsklerose zu Verwechslungen m i t einer Impressionsfraktur Anlaß geben, wenn sie erst in diesem 1*

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Chirurgie des Kopfes

Stadium in die Beobachtung des Arztes gelangen. Genaue Röntgenuntersuchung (tangentiale Aufnahme) klärt die Natur des Leidens. Die Behandlung aller Kephalhämatome, ganz besonders bei Säuglingen und Kindern, ist streng konservativ. Meist heilen sie von selbst. Leichter Druck, kühlende Umschläge, die aber keinesfalls die Haut mazerieren dürfen, sind angebracht. Eine primäre Inzisionsbehandlung ist fehlerhaft. Sie ist nur angezeigt, wenn sich das Hämatom, meist aus einer kleinen Hautwunde in der Nachbarschaft, infiziert. Dies kommt mitunter vor. Bei mehrfachen Nachblutungen und über Wochen verlangsamter Resorption bei Erwachsenen kann, wenn mehrmals ausgeführte Punktionen nicht zum Ziele führen, die Inzision, eventuell Umstechung eines sichtbar blutenden Gefäßes, sonst die Schaffung frischer Wundflächen mittels scharfen Löffels und Naht mit leichtem Kompressionsverband notwendig werden. Die Kopfschwartenblutungen der Säuglinge als Geburtsverletzungen pflegen nicht zu selten mit Fissuren und größeren Frakturen des Schädels selbst und auch mit Zerstörungen am Hirn vergesellschaftet zu sein. Sie können entstehen durch Druck des Schädels an das Promontorium bei protrahiertem Geburtsverlauf oder engem Becken sowie bei Zangenextraktionen. Aber auch kriminelle Verletzungen kommen vor, die in das Betätigungsgebiet des gerichtlichen Mediziners gehören. Drucknekrosen der Haut werden beobachtet. Sie erfordern konservative Behandlung zur Erzielung einer trockenen Gangrän des geschädigten Kopfschwartenbezirkes. Man beobachtet mitunter auch Luftansammlungen in den Schädelteilen. Sie können auftreten als Hautemphysem, fortgeleitet vom Hals her bei Thoraxverletzungen. Aber auch Frakturen der lufthaltigen Schädelknochen wie Stirnbein oder Warzenfortsatz führen gelegentlich zu denselben Erscheinungen. Hiervon unterscheidet man eine zystenartige Luftgeschwulst zwischen Perikranium und Kranium, die als Pneumatocele capitis bezeichnet wird. Sie ist an und für sich selten. Wir finden sie meist am Hinterkopf als okzipitale Pneumatozele, seltener an der Stirn als sinzipitale oder frontale Pneumatozele. Sie entsteht auf dem Boden einer angeborenen oder traumatischen Schädellücke. Auch eine luetische Knochennekrose kann die Ursache sein. Sie stellt eine umschriebene, weiche, elastische Geschwulst mit wallartigem Rand dar, die tympanitischen Klopfschall aufweist, auf leichten Druck verschwindet und bei Pressen mit verschlossener Mund- und Nasenöffnung größer wird und pralle Konsistenz annimmt. Im Röntgenbild und manchmal auch durch Palpation kann man den Schädeldefekt nachweisen. In der Behandlung sind Kompression und Punktion wenig aussichtsreich. Meist sind dem Einzelfall angepaßte plastische Verschlüsse der Knochenlücke notwendig. Die perforierenden Verletzungen der Kopfschwarte können zunächst einmal durch Hieb, Schnitt, Stich erfolgen und daher glattrandige Wunden darstellen. Sie bieten insofern etwas Besonderes, als sie bei senkrechtem Verlauf zur Schädeldecke infolge der straffen Bindegewebsfaserung meist klaffen. Außerdem können sie auch bei tangentialer Gewalteinwirkung kombiniert sein w i l m n n n l i m n l m i o r t a ^ a h n f a n c n K I / n + fln l ä n r v c H ö r ^nllöHDlnhprfläpllP VPrlilllfiinHfln

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Wunden, die mitunter eine Ausdehnung bis zur teilweisen Skalpierung haben. Eine weitere Besonderheit der Schädelwunden besteht darin, daß sie stärker bluten als Wunden an anderen Körperstellen. Auch Fremdkörper (bei Stichverletzungen abgebrochene Teile des verursachenden Instrumentes) finden sich oft in den Wunden. Von großer praktischer Bedeutung ist aber die Tatsache, daß zahlreiche zunächst als reine Weichteilwunden imponierende Verletzungen kombiniert sind mit einer Fissur im Schädelknochen, also eine komplizierte Schädelfraktur darstellen. Aus dieser Tatsache erwächst dem Arzt die unbedingte Pflicht, jede in seine Behandlung kommende frische Kopfschwartenwunde in guter örtlicher Betäubung eingehend daraufhin zu revidieren, ob eine Mitverletzung des Schädels vorliegt oder nicht. Hieraus ergeben sich klar Anzeigen für die Therapie der Kopf schwarten wunden. Innerhalb der Achtstundengrenze sind sie in örtlicher Betäubung zu exzidieren, die Schädeldecke ist auf das Vorhandensein von Frakturen zu revidieren. Wird eine solche gefunden, so ist zu verfahren, wie im Abschnitt über die komplizierte Schädelfraktur beschrieben ist. Liegt eine solche nicht vor, so sind größere, spritzende Gefäße zu unterbinden. Blutungen aus kleinen Gefäßen stehen bei der die ganze Kopfschwarte durchgreifenden Hautnaht. Größere, buchtenförmige Wunden, die nicht in toto exzidiert werden können, sind genauestens von Fremdkörpern zu reinigen, Blutkoagula und gequetschtes Gewebe zu entfernen. Die Wundfläche ist am tiefsten Punkt für einige Tage zu drainieren (nicht zu tamponieren). Im allgemeinen heilen die Kopf schwartenwunden schnell und neigen nicht zur Infektion. Man kann daher die Wundnähte schon am 5. Tag entfernen. Auch stumpfe Gewalteinwirkungen können durch Zusammenpressen der Weichteile zwischen schlagendem Instrument und Schädelkalotte zu Platzwunden führen. Ihre Behandlung gleicht völlig der eben beschriebenen bei glatten Wunden. Man muß aber berücksichtigen, daß bei ihnen Fremdkörper in der Tiefe der Wunde (Haare, Hautteile, Steinsplitter und ähnliches) sehr häufig sind. Die durch das Trauma gesetzten Drucknekrosen der Gewebe leisten erfahrungsgemäß der Infektion Vorschub. Sie müssen also bei der Wundversorgung besonders sorgfältig entfernt werden. Man braucht keine Bedenken zu haben, dadurch etwa einen nicht zur Naht verschließbaren Gewebsdefekt zu setzen, denn die Kopfschwartenhaut ist sehr weitgehend verschieblich. Eine Sonderform der stumpfen Verletzung der Schädelweichteile stellt die teilweise oder völlige Skalpierung dar. Wir beobachten sie, wenn Gewalten flächenhaft und tangential zum Schädeldach einwirken, an einer Stelle die Kopfschwarte sprengen und sie dann gegen die Schädelkalotte verschieben. Die abgewälzten Weichteile pflegen in der Gegend der seitlichen Schädelbasis mit den übrigen Weichteilen des Kopfes in Zusammenhang zu stehen. Sie hängen mitunter wie ein nasser Lappen auf den Hals herab, während der Schädel freiliegt. Die Gewebstrennung kann zwischen Galea und Periost oder auch, was selten ist, zwischen Periost und Knochen erfolgen. Kombinationen von beiden sind möglich. Die Blutung pflegt verhältnismäßig gering zu sein. Ein anderer, sozusagen typischer Entstehungsmechanismus besteht darin, daß die langen Kopfhaare der Frauen in einen rotierenden Maschinenteil kommen. Hierbei kann die

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gesamte Schwarte des Hirnschädels abgerissen, also eine kunstgerechte Skalpierung im Sinne der Indianerbücher gesetzt worden sein. Bei der Behandlung h a t m a n die Wundflächen der H a u t l a p p e n sorgfältig durch A b t u p f e n m i t feuchtem Mull möglichst unter Verwendung von Wasserstoffsuperoxyd mechanisch von F r e m d k ö r p e r n und Blutgerinnseln zu reinigen. Gequetschte Gewebsteile, besonders auch der W u n d r ä n d e r , sind m i t Messer

Abb. 4

Abb. 5

A b b . 4 u n d 5. T o t a l e S k a l p i e r u n g d u r c h p r i m ä r e T r a n s p l a n t a t i o n g e d e c k t . Knappschaftskrankenhaus Eisleben. Chefarzt Dr. H a r t t u n g

und Schere zu entfernen. D a n n sind die Lappen durch Situationsnähte an richtiger Stelle zu befestigen, die W u n d t a s c h e n an mehreren Stellen mittels dünnen Gummidrains zu drainieren. Auch bei vollkommenen Skalpierungen ist zunächst der Versuch zu machen, die K o p f h a u t nach Reinigung wieder anzunähen. Wird sie nekrotisch, so ist der Defekt nach Ausbildung der Granulation sekundär m i t H a u t zu decken. Ist bei dem Unfall die abgerissene K o p f h a u t verlorengegangen, m u ß der Defekt sofort plastisch gedeckt werden. Am besten ist die Bedeckung der W u n d e m i t H a u t l ä p p c h e n nach T h i e r s c h. Ist auch das Periost abgerissen, so r a u h t m a n die Schädeldecke durch eine Kugelfräse zweckm ä ß i g etwas an, d a m i t eine f ü r das Anwachsen der H a u t günstige Wundfläche geschaffen wird. Ist die stets anzustrebende primäre H a u t p l a s t i k aus irgendwelchen Gründen nicht möglich, dann m u ß die Knochenwunde durch feuchte Verbände unbedingt vor der Austrocknung und d a m i t vor oberflächlicher Nekrose geschützt werden. Nach Verletzung größerer Arterien, besonders der Arteria temporalis, bilden sich m i t u n t e r Aneurysmen, die aber nur geringe Größe erreichen. Sie lassen sich in örtlicher B e t ä u b u n g leicht nach U n t e r b i n d u n g exstirpieren. Eine Gangrän der Kopfschwarte nach T r a u m e n ist wegen der ausgezeichneten Blutversorgung äußerst selten. Nach Starkstromverletzungen begegnen wir ihr aber öfter. In diesem Falle pflegt sie meist auf das knöcherne Schädeldach überzugreifen. Die D e m a r k a t i o n der Knochensequester, aber auch der Weichteile, d a u e r t sehr lange, meist viele Monate. Man verliere die Geduld nicht und warte den natürlichen Heilungsvorgang ab. Feuchte Verbände

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Abb. 6.

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Starkstromnekrosen des Schädeldaches

sind fehlerhaft, weil sie das Auftreten einer feuchten Gangrän mit Infektion der Nachbarschaft hervorrufen. Trockener Puder und Salbenverbände sind anzuwenden. Nekrotische Gewebsteile sind nur dann zu entfernen, wenn sie völlig demarkiert sind. Die Schädelbrüche Schußverletzungen Die Schußverletzungen des Schädels können als Musterbeispiel für dem Wesen nach gleichartige Verletzungen durch Stich, Hieb oder Gewalteinwirkungen durch Arbeit (Industrie) und Verkehr gelten. Das in Folgendem von den Schädelschüssen Gesagte besteht auch für die anderen gleichartigen Verletzungsformen zu Hecht. Zunächst muß man eine Unterscheidung dahin treffen, ob neben der Kopfschwarte nur der Schädelknochen von der Verletzung betroffen ist oder ob, was bei weitem am häufigsten ist (90%), auch das Hirn in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Hiervon hängen ebenso wie auch sonst bei den Schädelschüssen die Prognose und die Therapie ab. Die etwa vorhandene Verletzung des Nervensystems ist das Uberragende. Dabei können Veränderungen in der Hirnsubstanz bis zur völligen Zerstörung umschriebener Hirnbezirke und Blutungen in dieselben vorhanden sein, ohne daß das Geschoß in die Hirnsubstanz oder die Hirnhäute eingedrungen ist. Durch die seitlich zur Geschoßbahn entstehenden, wellenförmig sich ausbreitenden Bewegungen und ihre Einwirkung auf das in geschlossener Flüssigkeitshöhle schwimmende Hirn sowohl im Sinne der Veränderung des hydrodynamischen Druckes als auch der Bewegungen des Hirns gegen seine Wandung kann es zu Quetschungen, Gefäß- und Nerven-

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Zerreißungen und Blutungen kommen. Als deren Folge entwickeln sich Ödeme im Hirn und eine Liquorvermehrung, die zwangsläufig zu einer Steigerung des Druckes in der Schädelhöhle führen müssen, welche im Kapitel der Hirnverletzungen geschildert sind. 1. Tangentialschüsse. Bei ihnen findet man einen rinnenförmigen Defekt im Knochen und in den Weichteilen. Meist ist durch die schon vorher erwähnten, seitlich wirkenden Fliehkräfte die Splitterung des Knochens erheblich. 2. Segmentalschüsse stellen entsprechend ihrem Namen einen Ubergang zu der folgenden Gruppe dar. 3. Diametral- oder Durchschüsse sind zusammen mit den Steckschüssen die häufigste Yerletzungsart. Alle nur denkbaren Richtungen und damit Verletzung der verschiedenen mehr oder weniger lebenswichtigen Teile des Hirns kommen vor. Ein sehr großer Teil endet demnach sofort oder in kürzester Frist tödlich, ganz besonders, wenn es sich um Nahschüsse mit Sprengwirkung durch hydrodynamische Drucksteigerung handelt. Nur wenn das Geschoß mit geringer lebendiger K r a f t in den Schädel eindringt und keine unbedingt lebenswichtigen Hirnteile verletzt, gelangt der Verwundete in ärztliche Behandlung. Der Einschuß ist meist klein, im Bereich der behaarten Kopfhaut keineswegs immer leicht zu finden. Der Ausschuß pflegt größer zu sein. 4. Steckschüsse. Sie entstehen nur bei Geschossen mit geringer lebendiger K r a f t und können in allen Teilen des Schädels innerhalb und außerhalb des Hirns stecken bleiben. Eine Einheilung kommt nicht allzuselten vor. Sie kann reizlos erfolgen, es kann sich aber auch um das Geschoß herum eine Hirnerweichung oder ein Hirnabszeß entwickeln. Die Behandlung der Schädelschüsse muß in erster Linie das Ziel haben, die Wundinfektion sicher zu beherrschen. Hierzu ist notwendig, glatte Wundverhältnisse mit sicher gewährleistetem Sekretabfluß zu schaffen. Die Einzelheiten der chirurgischen Behandlung sind von den äußeren Verhältnissen weitgehend abhängig. Man wird beispielsweise bei den schweren Kriegsverletzungen, welche oft sehr spät in fachärztliche Behandlung und Lazarettpflege kommen, aktiver und radikaler sein als bei den im großen und ganzen leichteren Friedensverletzungen, die fast immer innerhalb weniger Stunden in Krankenhausbehandlung kommen und dort fortlaufend ausreichend überwacht werden können. Bei Tangentialschüssen soll die Weichteilwunde exzidiert werden, die losen Knochensplitter werden entfernt, die Ränder der Knochenwunde sind mit der Hohlmeißelzange zu glätten. Liegt eine Hirnverletzung vor, so sind die in ihre Substanz versprengten Knochensplitter behutsam zu entfernen. Vorsichtige Tastung mit dem Finger ist schonender als eine solche mit Instrumenten. Ob die Wunde vernäht oder locker tamponiert werden soll, hängt von ihrer Ausdehnung und besonders von dem Grad der zu erwartenden Infektion ab. Möglichst anzustreben ist die Naht der Dura, falls erforderlich, unter Deckung eines vorhandenen Defektes durch Faszientransplantation. Das Ideale ist darüber hinaus auch die primäre Naht der Schädelweichteile. Antibiotische Therapie wird heutzutage regelmäßig hinzugefügt werden müssen.

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Bei kalibergroßen Durchschüssen, d. h. solchen mit kleinem Einschuß und Ausschuß, ist innerhalb der 8—10-Stundengrenze die primäre Versorgung der Schußöffnungen auszuführen. Treten unter sorgfältiger klinischer Beobachtung Zeichen von Hirndruck oder Infektion auf, so muß die Knochenwunde nach Erweiterung mit der L ü e r sehen Zange drainiert werden. Die Steckschüsse erfordern zunächst ein konservatives Verhalten. Nur oberflächlich liegende, leicht erreichbare Geschosse können primär entfernt werden. Die später infolge verschiedener Gründe (Reizerscheinungen von seiten der Hirnzentren, Abszeß und anderes) notwendige Aufsuchung und Entfernung des Geschosses stellen einen schwierigen und gefährlichen Eingriff dar, den man nach genauer neurologischer und röntgenologischer Lokalisation am besten einem besonders erfahrenen Hirnchirurgen überlassen soll. Alle chirurgisch versorgten Schädelschußverletzten sind für mehrere Wochen transportunfähig. Die Prognose ist sehr ernst, etwa 2 / 3 der in ärztliche Behandlung gekommenen Schädelschußverletzten starben, davon etwa durchschnittlich % in den ersten drei Wochen, der Rest im Verlauf der nächsten zwei Jahre. Als Folge der Schädelschüsse können eine Reihe von Komplikationen auftreten, welche auch noch nach längerer Zeit das Leben des Verletzten gefährden können. Die Infektion stellt die hauptsächlichste Gefahr dar. Sie kann auftreten in Form der Meningitis, der Enzephalitis oder des Hirnabszesses. Durch die Ausheilung der Hirnwunden kann es infolge Narbenzuges zur traumatischen Epilepsie kommen. Alle diese Zustände bedrohen den Schädelverletzten nicht nur in der ersten Zeit nach der Verwundung, sondern leider auch noch für viele Jahre, mitunter das ganze Leben hindurch. Daneben können schwer beeinflußbare Kopfschmerzen, abnorme Reizbarkeit, verschieden starke psychische Störungen zurückbleiben, ganz zu schweigen von den sensiblen und motorischen Ausfallserscheinungen nach Zerstörung oder Reizung der entsprechenden Hirnzentren. Die Schädelbrüche bieten in Bezug auf ihre Entstehungsweise und auch die prognostische Wertung ihrer Heilung Besonderheiten. Um letzteres vorweg zu nehmen, so ist die Heilung des Knochenbruches an sich von untergeordneter Bedeutung. Er erfolgt fast stets ohne wesentliche Komplikationen und bietet auch für die Therapie keine besonderen Schwierigkeiten. Der Kallus, der vorwiegend vom inneren Periost gebildet wird, pflegt langsamer zu entstehen, als wir es bei anderen Knochen gewöhnt sind. Praktisch spielt dies jedoch keine besondere Rolle. Die Prognose quoad vitam und quoad sanationem hängt in überwiegendem Umfang davon ab, ob Nebenverletzungen des Hirns vorliegen oder nicht und wie ihre Heilung verläuft. Bei der Entstehung der Schädelbrüche, an denen wir Biegungsbrüche und Berstungsbrüche unterscheiden können, muß man davon ausgehen, daß der Schädel einen allseitig begrenzten Hohlraum darstellt etwa vergleichbar einer Nuß. Schädelfrakturen können auf die Weise entstehen, daß eine Gewalt an umschriebener Stelle auf die Rundung der knöchernen Begrenzung einwirkt, etwa ein Hammerschlag oder ein Steinwurf oder auch ein Geschoß. An dieser Stelle kann der Knochen nach innen gebogen werden, bis seine Elastizitätsgrenze überschritten ist und er dann in klinisch charakteristischer Form der Impression bricht. (Abb. 8). Um das Zentrum des eingedrückten Knochens können in wechselndem Umfang Fissuren angeordnet sein.

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In gewissem Sinne hiervon verschieden sind die Bersiungs- und Biegungsbrüche. In diesem Falle wird die Schädelkapsel als Ganzes zwischen zwei Gegenständen zusammengepreßt etwa wie eine Nuß in einem Nußknacker. Durch einen solchen Druck wird in seiner Richtung der Schädeldurchmesser verringert, senkrecht dazu vergrößert. Wenn hierbei die Elastizitätsgrenze überschritten wird, dann platzt der Schädel. Der an sich mathematisch bestimmbare Verlauf der Bruchlinien wird durch die verschiedene Dicke und Festigkeit der Schädelwand beeinflußt. Die Berstungsfrakturlinien verlaufen in der Richtung der Kompression, die Biegungsfrakturlinien senkrecht dazu. In der Wirklichkeit kommt es meist zu einer Kombination beider Formen variiert durch die Schädelform.

Konvexitätsbrüche Daher ist es vielleicht zweckmäßiger, wenn man die Unterscheidung nicht nach der Entstehungsweise, deren Durchdenkung zur Gewinnung einer klaren Vorstellung unerläßlich ist, sondern nach dem tatsächlich erzielten Effekt trifft. Sie wird den Forderungen der Wirklichkeit mehr gerecht. Wir sprechen somit von Spaltbrüchen oder Fissuren. Sie stellen feine, oft kaum erkennbare Sprünge im Knochen dar, bei denen aber im Augenblick der Entstehung eine wesentlich größere Dislokation vorhanden war, so daß (bei komplizierten Frakturen) Haare und andere Fremdkörper fest in die Fissur eingeklemmt sein können. Die Splitteroder Stückbrüche zeichnen sich dadurch aus, daß entsprechend ihrem Namen der Knochen in mehrere Splitter zerbrochen ist. Mitunter kann dabei eine Sternform der Bruchstücke entstehen. Häufig vorhanden ist eine Impression der Splitter nach dem Schädelinnern zu. Auch von diesen Brüchen aus können Fissuren in die Umgebung A b b . 7. S p l i t t e r b r u c h des Schädels

reichen. Die Lochbrüche , . ,

. .

,



entstehen meist bei Schüssen oder ähnlichen Gewalteinwirkungen. Sie stellen Splitterbi üche dar, bei denen die herausgebrochenen Knochenstücke aus ihrer ursprünglichen Lage erheblich entfernt worden

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sind, so daß in der Schädelbegrenzung ein Loch entsteht. Man unterscheidet weiterhin, besonders auch aus praktisch-klinischen Gründen, Schädelbrüche ^ nach dem Sitz in der Kalotte oder der Basis der Schädelkapsel. """Viji'i Die Brüche der Konvexität des Schädels sind sehr häufig Stückbrüche und Lochbrüche. Bedeutungsvoll ist, daß bei direkt auftreffender Gewalt das Bruch— X stück der Tabula interna größer ist als das der Tabula externa. Dies erklärt sich nicht etwa, wie f\ man früher annahm, aus einer verschiedenen Sprödigkeit der beiden Blätter des Schädelknochens, sondern ganz zwanglos aus dem Mechanismus des Biegungsbruches an sich. Auch wenn eine Verschiebung der Bruchstücke an der Tabula externa nicht eingetreten ist und wenn auch nur eine kaum sichtbare Fissur vorhanden ist, können die Bruchstücke der Tabula interna erAbb. 8. K o n v e x i t ä t s f r a k t u r des Schädels heblich disloziert und sogar nach Verletzung der Dura in das Hirn eingedrungen sein. Andererseits können aber beide Knochenlamellen nach innen verschoben sein, so daß wir von einer Impressionsfraktur sprechen. Handelt es sich um eine nicht komplizierte Fraktur, so ist die Diagnose aus dem klinischen Befund allein nur mit Vorbehalt zu stellen. Die Beobachtung eines umschriebenen Druckschmerzes ist vieldeutig, Herdsymptome des Gehirns können vollkommen fehlen. Wenn sie vorhanden sind, dann können sie ebensogut der Ausdruck einer umschriebenen Herdläsion des Hirns ohne Fraktur als auch das Zeichen einer Beizung durch Abb. 9. Impressionsfraktur des Schädels eingedrungene Knochensplitter sein. Die Delle im Schädeldach ist nur bei großer Ausdehnung zu tasten, ein gleichzeitig immer vorhandenes Ödem der Weichteile kann die Untei suchung ebenso erschweren wie der nach Blutelgüssen in der Kopfschwarte auftretende Rand-

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wall. Die ärztliche Erfahrung hat gelehrt, daß die Splitterung der Tabula interna um so sicherer und auch um so ausgedehnter ist, je umschriebener und je stärker die Gewalt eingewirkt hat. Das in zweckmäßiger Strahlenrichtung tangential, eventuell stereoskopisch angefertigte Röntgenbild kann die Erkennung der Sachlage sehr fördern. Ist ein Lochbruch vorhanden, so sind die Pulsationen des Hirns von außen tastbar. Die Prognose und die Behandlung hängen davon ab, ob es sich um eine komplizierte oder nur eine unkomplizierte Fraktur handelt. Die Prognose wird beherrscht von der Möglichkeit und dem Verlauf einer etwa eintretenden Wundinfektion. Die Behandlung der nicht komplizierten Impressionsfraktur ist zunächst konservativ. Bettruhe ist tinbedingt erforderlich. Ihre Dauer soll nicht schematisch (3—4 Wochen) bestimmt werden, sondern sich nach den subjektiven Beschwerden richten. Solange Kopfschmerzen und Schwindel beim Aufsetzen bestehen, muß Bettruhe eingehalten werden. Wird nach Symptomlosigkeit während desselben das Aufstehen gut vertragen, kann es schon vor Ablauf von drei Wochen gestattet werden. Die operative Behandlung einer unkomplizierten Impressionsfraktur ist nur dann angezeigt, wenn durch sie nervöse Reizerscheinungen oder Drucksteigerungen hervorgerufen werden. Die vertrauensvolle frühzeitige Zusammenarbeit zwischen Neurologen und Chirurgen ist bei allen Kopfverletzungen unbedingt notwendig. Bei den biegsamen Knochen der Kinder beobachten wir mitunter ausgedehnte, muldenförmige Impressionen. Sie sind im Hinblick auf das Schädelwachstum möglichst frühzeitig operativ zu behandeln. Dies gelingt leicht durch Eingehen mit einem Elevatorium zwischen Schädel und Dura und Heben der Impression. Die Behandlung der komplizierten Impressionsfraktur ist, sofern sie innerhalb der 8—10-Stundengrenze zum Chirurgen kommt, stets operativ. Die Wunde der Kopfschwarte wird exzidiert, die Impression ist unter Erweiterung der Knochenlücke restlos zu heben, wobei auf Knochensplitter, welche unter das nicht imprimierte Schädeldach verschoben sein können, zu achten ist. Die unverletzte Dura ist, auch wenn unter ihr ein Bluterguß durchschimmert, nicht zu eröffnen. Besteht eine Dura-Hirnwunde, so ist sie nach den an anderer Stelle angegebenen Regeln zu versorgen. In den Knochendefekt sind die bei der Hebung der Impression gewonnenen Knochenstücke einzupflanzen. Bei günstigen Wundverhältnissen können die Weichteile der Kopfschwarte weitläufig vernäht werden, sonst ist die Wunde möglichst seitlich des Knochendefektes offen zu lassen und locker zu tamponieren. Es ist noch die Frage zu erörtern, wie der Arzt sich verhalten soll, wenn er bei der Revision einer Kopfschwartenwunde auf eine einfache, unverschobene Fissur im Schädeldach stößt. Wenn in dem Spalt Fremdkörper wie Haare, Tuchfetzen oder dergleichen eingeklemmt sind, dann ist der Schädel an dieser Stelle zu trepanieren und, wie vorstehend geschildert, zu behandeln. Wenn aber keine ernsteren Lokalsymptome von seiten des Zentralnervensystems bestehen, wenn das Röntgenbild keine Impression zeigt, wenn man also nach dem klinischen Befund sagen kann, daß es sich um eine mit einer Kopfschwartenwunde kombinierte Berstungsfraktur handelt, so kann man die Wunde nach Exzision nähen, ohne die Fissur therapeutisch angegangen zu haben. Es ist selbstverständlich, daß solche Verletzten einer besonders sorgfältigen Beobachtung und Überwachung bedürfen.

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Schädelgrundbrüche Ganz anders zu behandeln sind die Schädelgrundbrüche. Es sind in der überwiegenden Mehrzahl Berstungsbrüche, die mitunter mit solchen der Schädelkalotte vergesellschaftet sind. Sie zeichnen sich dadurch aus, daß die Bruchlinien stets nur unwesentlich verschoben sind. Trotz der in den verschiedensten Richtungen und Stärken einwirkenden Gewalten haben die Fissurlinien wegen der Anordnung der verschieden harten Knochen der Schädelbasis doch meist einen typischen Verlauf. Ihre Darstellung auf dem Röntgenbild gelingt wegen des Strukturreichtums der Aufnahmen der Schädelbasis nur selten und mit besonderer, sehr schwieriger Technik. Da andererseits die genaue Kenntnis des Verlaufs der Fissurlinie praktisch von sehr geringer Bedeutung ist, kann für gewöhnlich auf die Röntgenuntersuchung verzichtet werden. Als Symptome sind zu erwarten eine periphere Fazialislähmung im Gegensatz zu der zentralen Fazialisstörung bei Apoplexie oder einem Hirnkontusionsherd. Die Beteiligung des Stirnastes bewirkt eine Lähmung der Stirnmuskulatur, die des Augenastes einen fehlenden Lidschluß, die des Mundastes ein Herabhängen des Mundwinkels und die des Zungenastes einen leichten belanglosen Hochstand des Mundwinkels. Die Abduzenslähmung bewirkt eine Bewegungseinschränkung des Auges und Doppelbilder. Für die Prognose der Verletzung t r i t t die Fraktur an sich mit ihren Heilungsergebnissen in den Hintergrund gegenüber den Mitverletzungen des Hirns, der Hirnnerven und der von ihnen abhängigen Sinnesorgane und den Nebenverletzungen der pneumatischen Höhlen des Schädels. Da die meisten Hirnnerven den Schädel in engen Knochenkanälen verlassen, so können sie, wenn der Bruch durch diese Kanäle geht und im Augenblick der Berstung Verschiebungen in den Fissurlinien eintreten, wie mit einer Schere durchschnitten werden. Auch der Druck des wachsenden Kallus oder lokale Ödeme können im späteren Verlauf Nervenstörungen machen. Auf dem Wege über die Nebenhöhlen können lebensbedrohende Infektionen des Schädelinneren vermittelt werden. Zui Stellung der Diagnose ist die Funktionsprüfung der Hirnnerven heranzuziehen und auch tatsächlich in jedem Falle auszuführen. Am häufigsten verletzt sind der Fazialis und Akustikus, dann folgen Abduzens, Okulomotorius und zum Schluß der Optikus. Für die Diagnose der Schädelbasisfraktur spricht ferner das Symptom der Blutung aus Ohr, Nase und Mund, wenn nicht an diesen Stellen Weichteilverletzungen vorhanden sind. Bei Verletzung des Felsenbeines und der Siebbeinplatte sind solche Blutungen stets vorhanden. Die Blutung ist nicht sehr hochgradig und steht ohne besondere Maßnahmen. Eine Tamponade oder eine Spülung zur Entfernung der Blutgerinnsel ist zu unterlassen. Sie stellt einen Kunstfehler dar, denn durch diese Maßnahme kann sehr leicht eine Infektion der Bruchstellen und damit des Schädelinneren begünstigt werden. Bei gleichzeitiger Eröffnung der Dura, welches ein nicht seltenes Ereignis darstellt, beobachten wir den Ausfluß von Liquor cerebrospinalis aus Nase und Ohr, wenn die Blutung zum Stehen gekommen ist. In schweren Fällen kann man auch Bröckel von Gehirnmasse in Nase oder Gehörgang finden. Wenn die bei jeder Schädelbasisfraktur selbstverständlich vorhandene Blutung nicht durch Nase und Ohr nach außen abfließen kann, dann entwickelt sie sich längs präformierter Gewebsspalten und erzeugt an typischen Stellen nach Stunden

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bis Tagen s u b k u t a n e H ä m a t o m e . Bei Brüchen der vorderen Schädelgrube finden wir das Brillenhämatom (oder auch einseitige Monokelhämatom) der Augenlider u n d s u b k o n j u n k t i v a l e Blutung. In leichten Fällen k a n n das kleine, rote F ä h n c h e n auf der weißen Sklera lateral neben der Iris das einzige Zeichen eines Schädelbasisbruches sein. Bei Verletzungen der mittleren Schädelgrube finden wir Blutungen in der hinteren Bachenwand, bei Verletzungen der hinteren Schädelgrube solche in der Umgebung des Warzenfortsatzes. Die Verletzung lufthaltiger Nebenhöhlen k a n n zum Hautemphysem u n d auch zu i n t r a zerebralen Pneumatozelen (Röntgenbild!) führen. Die L u m b a l p u n k tion f ö r d e r t häufig, aber nicht immer, blutigen Liquor unt e r meist erhöhtem D r u c k zutage. Die Behandlung der Schädelbasisfrakturen ist streng konservativ. An der F r a k t u r stellung können und brauchen wir nichts zu ändern. A b b . 10. M o n o k e l h ä m a t o m m i t s u b k o n j u n k t i v a l e m B l u t e r g u ß bei S c h ä d e l b a s i s f r a k t u r Der Versuch einer Nahtversorgung zerrissener H i r n n e r v e n ist aussichtslos. Die Therapie h a t sich auf Ruhelage m i t e r h ö h t e m Kopf zu beschränken. Die häufig verordnete Eisblase auf den Kopf k a n n m i t u n t e r angenehm wirken. Bei benommenen, unruhigen Verletzten ist sie wirkungslos, da sie nach kürzester Zeit nicht mehr auf dem Kopf liegt. Ist der Verletzte bei Besinnung, so h a t sie die gute Wirkung, daß sie ihn zwingt, ruhig zu liegen. Die mehrere Tage oder gar Wochen lange Anwendung pflegt m i t u n t e r durch unnötige S t ä r k u n g des Krankheitsgefühls psychisch schädlich zu wirken und ist daher zu unterlassen. Bei B l u t u n g und Liquorfluß aus Nase u n d Mund ist jede T a m p o n a d e oder Spülung fehlerhaft. Das vor die K ö r p e r öffnung tretende B l u t ist m i t T u p f e r n vorsichtig zu entfernen. Zur V e r h ü t u n g einer Meningitis werden Gaben von antib ; otischen Mitteln empfohlen. Der erhöhte H i r n d r u c k und der m i t ihm verbundene, häufig sehr starke Kopfschmerz bedürfen der B e k ä m p f u n g . Als bestes Mittel h a t sich die mehrfach zu wiederholende, sehr langsam a u s g e f ü h r t e intravenöse Injektion von hochkonzentrierter Traubenzuckerlösung bewährt. Sie bewirkt eine E n t w ä s s e r u n g des ödematösen Hirns. Die L u m b a l p u n k t i o n , die gegebenenfalls mehrfach wiederholt werden k a n n , ist der Behebung besonders schwerer Kopfschmerzen vorzubehalten. Bei erheblich zunehmendem H i r n d r u c k (stündliche Zählung des Pulses) k a n n sie lebensrettend wirken. Von den zahlreichen Kopfschmerzenmitteln h a t sich

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das Pyramidon als ganz gut erwiesen. Die Dauer der Bettruhe hängt von den Komplikationen von seiten des Nervensystems ab. Es gilt das hierüber schon früher Gesagte.

Entzündungen der Weichteile des Schädels Die Phlegmone der Kopfschwarte kann im Anschluß an eine Verletzung derselben auftreten, ganz besonders dann, wenn Fremdkörper in den Wunden zurückgeblieben sind und die Wunden ohne Revision der Tiefe und Exzision zu dicht oberflächlich „geklammert" worden sind, was leider immer noch vorkommt. Das Wundsekret wird dadurch am Abfluß nach außen gehindert, es muß also in die Gewebsmaschen hineingepreßt werden und erzeugt die Phlegmonen. Sie können sich sehr schnell ausbreiten, subkutan zur Nekrose der Faszien führen, aber auch auf den Knochen und sogar auf das Schädelinnere übergreifen. Das Krankheitsbild ist meist schwer. Unter hohem Fieber bildet sich eine Schwellung und Spannung der Kopfschwarte. Die Rötung ist im Bereich der behaarten Kopfhaut nicht sehr deutlich. Sitzt der Ausgangspunkt der Phlegmone nahe der Stirn, so pflegt frühzeitig ein Lidödem aufzutreten, die regionären Lymphdrüsen schwellen an. In ihnen beobachtet man mitunter noch nach Wochen Abszedierungen, die auch auftreten können, wenn die Kopfschwartenwunde anscheinend primär und entzündungsfrei verheilt ist. In solchen Fällen hat eine vielleicht nicht sehr virulente „subgaleatische Phlegmone" vorgelegen. Prophylaktische Anwendung antibiotischer Mittel kann mit hoher Wahrscheinlichkeit die Entstehung der Phlegmone verhindern. Die Behandlung der Kopfschwartenphlegmone hat in möglichst frühzeitiger Behebung der Gewebsspannung zu bestehen. Etwa vorhandene, genähte Wunden sind sofort in ganzer Ausdehnung bis in die Tiefe hinein zu eröffnen. Darüber hinaus werden vielleicht auch an anderen Stellen je nach dem örtlichen Befunde Inzisionen notwendig werden. Etwa schon unter der Galea vorhandene Abszesse sind zu eröffnen und zu drainieren. Außerdem ist eine energische antibiotische Therapie einzuleiten. Die Furunkel der Kopfschwarte sind an und für sich nicht sehr häufig. Vom Nacken her können sie jedoch auf den Hinterkopf übergreifen. Bei stark heruntergekommenen Kranken, besonders des Säuglingsalters, finden wir sie multipel am Hinterkopf. Die Behandlung gleicht der an anderen Kör per stellen. Das Erysipel der Kopfhaut (Kopfrose) ist nicht selten. Es hat als Ausgangspunkt immer kleine, oberflächliche Hautverletzungen, die dem Auge mitunter nicht erkennbar sind. Chronische Ekzeme begünstigen die Entstehung ebenso wie das Vorhandensein von Ungeziefer (Läuse). Aber auch eine Rose der Gesichtshaut kann auf die Weichteile des Schädeldaches übergreifen. Die charakteristischen Symptome können durch die Behaarung der Kopfhaut verdeckt werden, so daß mitunter das schwere allgemeine Krankheitsbild nicht erklärt werden kann. Auch die differentialdiagnostische Abgrenzung gegen die Phlegmone kann schwierig sein. Das Erysipel der Kopfhaut breitet sich häufig wohl über das Gesicht, nicht aber am Nacken zum Hals zu aus. Die Gründe hierfür sind nicht sicher bekannt.

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Die Behandlung gleicht der des Leidens an anderen Körperstellen. Es werden, möglichst im Beginn der Erkrankung, antibiotische Mittel (Penicillin, Supracillin) in ausreichender Menge gegeben. Die antibiotische Behandlung verhindert mit großer Sicherheit die Ausbreitung der Erkrankung. Entzündungen der Knochen des Schädels Die Osteomyelitis kann sowohl fortgeleitet von infizierten Wunden dei Kopfschwarte als auch auf hämatogenem Wege entstehen, was allerdings recht selten ist. Die Erkrankung lokalisiert sich in der Diploe, bricht aber sowohl nach innen zur Schädelhöhle als auch nach außen durch. Letzteres ist häufiger. Es bildet sich dann ein subperiostaler Abszeß mit Fortschreiten der Eiterung auf die Kopfschwarte. Das meist sehr schwere Krankheitsbild beginnt mit hohem Fieber und erheblicher Störung des Allgemeinbefindens (Benommenheit, mitunter motorische Unruhe und Delirien). Daneben bestehen starke Kopfschmerzen. Das Auftreten einer Nackensteifigkeit als Zeichen der beginnenden Meningitis, zeigt das Ubergreifen der Eiterung nach innen an. Die Prognose ist dann schlecht. Bei der Behandlung ist noch mehr als an anderen Körperstellen die frühzeitig ausgeführte operative Freilegung des Eiterherdes durch Spaltung des subperiostalen Abszesses und Aufmeißelung des Knochens angezeigt. Sekundär muß ein sich bildender Sequester entfernt werden, dessen Demarkation aber sehr lange zu dauern pflegt. An die Schädeldachosteomyelitis können sich Hirnabszesse, Sinusthrombosen und Meningitiden anschließen. Frühzeitige Anwendung von Penicillin (2 x 400000 E täglich) verhindert die Ausbreitung der Osteomyelitis. Bei rechtzeitiger Anwendung antibiotischer Mittel in ausreichender Menge wird die Sequester-Entstehung verhindert. Die Tuberkulose der Schädelknochen ist selten. Wenn sie auftritt, beobachten wir sie bei Kindern an mehreren Stellen, besonders am Stirnbein, Scheitelbein und Felsenbein. Erkannt wird das Leiden erst im Stadium der Fistelung mit dem charakteristischen Eiter oder bei Ausbildung der kalten Abszesse. Meist finden sich auch Lokalisationen der Erkrankung an anderen Körperstellen. Bei der Behandlung kommt neben der Allgemeinbehandlung und derjenigen des Primärherdes die operative Entfernung des tuberkulösen Granulationsgewebes und des Sequesters, der mitunter die ganze Dicke des Schädelknochens einnehmen kann, in Frage. Die luetische Erkrankung der Schädelknochen wird in den letzten Jahrzehnten seltener beobachtet. Sie kann bei Kleinkindern kongenital auftreten, bei Erwachsenen stellt sie ein Spätstadium des Leidens dar. Im Periost und im Schädelknochen lokalisiert sie sich als Gumma. Die periostale Form erzeugt meist an Stirn oder Scheitelbein uhrglasförmige Auftreibungen von prall elastischer Konsistenz, die sich in röntgenologisch darstellbare und tastbare Verdickung der Kortikalis umwandeln können. Auf spezifische Behandlung sprechen sie sehr gut an und können restlos, häufiger mit periostalen Knochenverdickungen ausheilen. Sie stellen eine leichtere Form des Leidens dar. Die gummöse Form erzeugt im Knochenmark die typischen luetischen Geschwülste, welche zu Knochendefekten und daneben aber auch zu Osteophyten führen, Der Endzustand ist ein unregelmäßig von Löchern und Gruben,

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meist mit kraterförmigem Rand, und von Buckeln und Wällen durchsetzter Schädelknochen. In einem weiteren Stadium kann es zu einem eitrigen Zerfall von Knochenteilen mit Ausbildung von Sequestern und Durchbruch durch die Haut in Form „serpiginöser" Geschwülste kommen. Sie heilen mit weißlichen, strahligen Narben. Im Inneren des Schädels sind fast stets Verdickungen der Dura zu finden. Die Behandlung hat allgemein antiluetisch zu erfolgen. Nur bei langdauernder Fistelung kann man den Fistelgängen vorsichtig nachgehen und die an ihrem Grunde befindlichen Sequester mechanisch entfernen.

Abb. 11. Knochenlues des Schädels

Ostitis fibrosa, Ostitis deformans, Pagetsche Knochenerkrankung, Leontiasis ossea Die verschiedensten Systemerkrankungen des Knochens, deren pathologischanatomische Natur und Entstehungsweise noch keineswegs genügend geklärt sind, können auch die Schädelknochen befallen. Die Besonderheiten dieser Lokalisation bestehen einmal in der Ausbildung teilweise sehr auffallender und entstellender Formveränderungen des Schädels und des Gesichts und bei der Wachstumsrichtung nach dem Inneren der Schädelhöhle zu in der Ausbildung von Komplikationen von seiten des Hirns, meist in Form des Hirndrucks. Umschriebene Tumoren aus der Gruppe der Ostitis fibrosa wird man mit den Mitteln chirurgischer Technik exstirpieren können, eventuell unter plastischer Deckung des gesetzten Defekts. Bei Einengung des Schädelinneren infolge Dickenzunahme des Knochens, besonders bei der Leontiasis ossea und der Ostitis deformans, kann als Palliativmaßnahme eine Entlastungstrepanation notwendig werden. Im übrigen ist die Therapie praktisch machtlos. Der Erfolg von Röntgenbestrahlungen, operativen Eingriffen an den verschiedenen Drüsen mit innerer Sekretion, besonders Epithelkörperchen und Hypophyse, ist unsicher. Aber bei der sonstigen therapeutischen Machtlosigkeit sind diese Behandlungsarten in Erwägung zu ziehen. l i o s t o c k , L e h r b u c h d e r speziellen Chirurgie. 3. A u f l .

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Geschwülste Gutartige Geschwülste Unter den gutartigen Geschwülsten der Kopfschwarte stehen zahlenmäßig an erster Stelle die Atherome oder Balggeschwülste. Es sind Retentionszysten der Talgdrüsen der Haarbälge und stellen rundliche, erbsen- bis apfelgroße, gut begrenzte, in der H a u t gelegene, gegen die Unterlage verschiebliche, prallelastische Tumoren dar. Sie entwickeln sich erst nach dem 15. bis 20. Lebensjahr und treten sehr häufig

maligne Degeneration ist beobachtet worden. Die Atherome stören ihre Träger durch ihre Größe (beim Liegen), durch die Entstellung und auch bei dem täglichen Kämmen und Bürsten der Haare. Die einzig mögliche Behandlung ist die radikale Entfernung, welche sich leicht in örtlicher Betäubung ausführen läßt. Dabei ist darauf zu achten, daß der Atheromsack restlos entfernt wird, weil sonst Rezidive und Fisteln unausbleiblich sind. Die auch am Hirnschädel vorkommenden Dermoide und Angiome sollen im Abschnitt Gesicht besprochen werden. Weiterhin werden auch alle sonst an der Haut vorkommenden Tumoren am Schädel gefunden. Das Aneurysma racemosum (Rankenangiom), eine an und für sich nicht häufige Geschwulstart, wird vorwiegend am Kopf beobachtet. Sie stellt eine angeborene Erweiterung und Schlängelung eines Arterienbezirkes, besonders der Arteria frontalis und temporalis, dar. In dieser Gegend sieht man unter der Haut einen Knäuel wurmartig sich anfühlender, pulsierender Gefäße. Abgesehen von dem unschönen Aussehen werden die Kranken durch lästige Gefäßgeräusche gequält. Die leichte Verletzlichkeit birgt die Gefahr einer sehr starken, manchmal tödlichen Blutung in sich, die auch durch langsame Usurierung und Bildung von Hautgeschwüren eintreten kann. Die Behandlung hat in der Unterbindung der zuführenden Arterien mitunter sogar der Carotis externa zu geschehen. Eine Verödungsbehandlung ist nicht empfehlenswert. A b b . 12. A t h e r o m e der K o p f h a u t

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Eine venöse Blutgeschwulst stellt der Sinus pericranii dar. Wir verstehen darunter subkutane, umschriebene, bluthaltige Anschwellungen am Schädel, welche durch eine Lücke im Schädel mit einem Hirnsinus oder einer der Venae meningeae kommunizieren. Sie sind traumatisch, unter Umständen bei der Geburt erworben. Klinisch stellen sie flache Anschwellungen unter der Haut dar, die im Stehen nicht nachweisbar sind und im Liegen besonders beim Pressen in Erscheinung treten. Eine Blauverfärbung der Haut ist nicht zu erkennen. Man hüte sich vor Inzisionen und mache im Zweifelsfalle lieber eine Probepunktion nahe dem Rande mit dünner Kanüle und mehrfach geänderter Punktionsrichtung. Eine vorsichtig ausgeführte Verödungsbehandlung kann versucht werden. Mißlingt sie, so muß eine operative Freilegung und der plastische Verschluß der Schädellücke ausgeführt werden. Als gutartige Geschwülste an Knochen kommen Exostosen verschiedener Form und Lage vor. Sie sind aber nicht sehr häufig. Eine klinische Bedeutung gewinnen sie nur, wenn sie eineWachstumsrichtung nach dem Inneren der Schädelkapsel haben und dann trotz pathologisch-anatomischer Gutartigkeit klinisch durch Erzeugung von Hirndruck bösartig werden können. Die Diagnose wird durch das Röntgenbild bestätigt. Die operative Entfernung durch Trepanation wird notwendig. Bösartige Geschwülste Die bösartigen Geschwülste der Weichteile und der Knochen des Hirnschädels unterscheiden sich kaum von gleichartigen Erkrankungen an anderen Körperteilen und bedürfen keiner besonderen Besprechung. Die periostalen Sarkome entwickeln sich vorwiegend in Stirngegend und Temporalgegend, wachsen meist sehr langsam und werden daher leicht mit gutartigen Exostosen verwechselt. Eine für den Schädel charakteristische Geschwulstform ist das Sarkom der Diploe, welches sich meist nach außen entwickelt, breitbasig dem Schädelknochen aufsitzt und infolge des Vorhandenseins zahlreicher Gefäße mitunter eine Pulsation aufweist. Der Tumor zerstört die Schädeldecke in großem Umfang, wächst aber nicht sehr schnell. Eine aussichtsreiche Behandlung durch Exstirpation ist nur in Frühstadien denkbar. Röntgenbestrahlung kann Besserungen und Wachstumshemmung bewirken. Metastasen von malignen Tumoren in die Schädelknochen sind keineswegs selten. Als Primärtumoren kommen hauptsächlich Hypernephrome, Mammakarzinome, Schilddrüsenkarzinome und Prostatakarzinome in Frage. Man muß an dieses Vorkommen denken, bevor man einen primären Knochentumor des Schädels diagnostiziert.

Verletzungen und Erkrankungen des Gehirns und seiner Häute Mißbildungen des Gehirns (Mikrozephalus, Hydrozephalus) Die abnorme Kleinheit des Hirnschädels (Mikrozephalus) beruht nicht auf einer Störung des Knochensystems, sondern auf einer Entwicklungshemmung der Hirnsubstanz selbst, der sich der Knochen in seinem Wachstum angepaßt hat. Infolgedessen ist der Zustand häufig mit einer mehr oder weniger ausgesprochenen Idiotie verbunden. Wir finden den Zustand bei Familien mit In2*

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zucht, bei chronischem Alkoholismus der Eltern und dergleichen. Eine Therapie ist aussichtslos. Häufiger beobachtet man eine Vermehrung der Flüssigkeitsansammlung im Schädel und damit seine Vergrößerung, den Hydrozephalie (s. auch S. 37/38). Er ist selten angeboren (Hydrocephalus congenilus). Meist wird er im ersten Lebensjahr erworben (Hydrocephalus acquisitus). In den ersten Tagen und Wochen nach der Geburt, wenn die Schädelknochen noch weich und nachgiebig sind, kommt es durch in ihrer Art nicht klare Stauungen im Bereich der Vena cerebralis magna oder durch ätiologisch ebenfalls unklare, nicht bakterielle Entzündungen des Plexus chorioideus oder auch nach Geburtstraumen zu einer starken Vergrößerung der Schädelkapsel. Ihr Umfang kann bis zu 100 cm und mehr (statt normal 35—40 cm) betragen. Mitunter tritt gegen Ende des 1. Lebensjahres der Tod ein. Das Wachstum kann aber auch in einem gewissen Stadium zum Stillstand kommen. Manchmal ist der Zustand verbunden mit einer Herabsetzung der Hirnfunktionen. Dies braucht aber durchaus nicht immer der Fall zu sein, wie das Beispiel des berühmten Malers M e n z e l lehrt. Eine Rückbildung des einmal erreichten Zustandes erfolgt aber nicht. Ob die Ursache der Erkrankung in einer vermehrten Bildung von Liquor cerebrospinalis oder in seiner gehemmten Resorption liegt, ist nicht sicher bekannt. J e nachdem sich die Flüssigkeitsansammlung vorwiegend in den Hirnhäuten (Hydrocephalus externus) oder in den Ventrikeln (Hydrocephalus internus) oder an beiden Stellen (Hydrocephalus universalis) findet, unterscheidet man die genannten Unterarten. Die Flüssigkeitsmenge kann bis zu 1000 ccm betragen, die Hirnmasse selbst zu einer wenige Millimeter dünnen Membran ausgezogen und die Knochennähte erheblich verbreitert sein. Der enorm große Hirnschädel steht in einem deutlichen Kontrast zu dem winzigen, dreieckigen Gesichtsschädel. Häufig bestehen Nystagmus und Strabismus und meist erhebliche Idiotie. Die Diagnose ist oft allein schon aus dem Anblick zu stellen. Die Untersuchung hat zu berücksichtigen die Messung des Schädelumfangs (beim Neugeborenen etwa 23 cm), die Ausdehnung der Schädelnähte und Fontanellen und etwaige neurologische Ausfallssymptome an den Hirnnerven sowie Nystagmus, Strabismus, periphere Lähmungen, Krämpfe, psychische Defekte. Auffallend sind dicke, blaue, gestaute Venen auf der blassen Kopfhaut. Die Unterscheidung, um welche Form es sich handelt, ist durch Enzephalographie möglich. Sie gelingt nur beim „kommunizierenden" nicht aber beim „geschlossenen" Hydrozephalus. Die Prognose ist stets sehr ernst. Meist sterben die Kinder im ersten bis dritten Lebensjahr. Bei der Behandlung sind innerliche Anwendung von Schilddrüsenpräparaten versucht worden. Bei nachgewiesener Lues congenita kann eine entsprechende kausale Therapie (Jod) von Nutzen sein. Durch mehrfach wiederholte Ventrikelpunktionen und Lumbalpunktionen mit anschließender Schädelkompression durch zirkulär angelegte Heftpflasterstreifen kann man Besserungen erzielen. Auch der Balkenstich hat Erfolge aufzuweisen. Mehrfach sind Versuche gemacht worden, den Liquor in andere Körpergewebe abzuleiten, damit er dort resorbiert wird. Die Erfolge sind höchstens vorübergehend gewesen. Alle diese Behandlungsarten haben nur einen Zweck, wenn man damit rechnen kann, daß sich eine leidlich normale Hirnfunktion entwickeln wird. Versucht wurden eine Verödung des Plexus choroideus durch operativen Eingriff oder Röntgenbestrahlung.

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Verletzungen des Gehirns Die offenen Verletzungen des Gehirns, die immer mit einem Schädelbruch kombiniert sind, entstehen durch Schuß, Stich oder stumpfe Gewalt. Bei der Besprechung der Schußverletzungen ist schon einiges über sie gesagt worden. Glatte Schnittwunden können bei ausbleibender Infektion mit strichförmiger Narbe heilen. Meist finden sich jedoch in der Umgebung der Wunde gequetschte Hirnpartien, welche der Nekrose verfallen. Diese Hirnteile autolysieren und werden durch Granulationsgewebe ersetzt, aus dem sich dann die Hirnnarbe bildet. Auch Zysten können sich an diesen Orten entwickeln. Die Behandlung der offenen Gehirnwunden muß dahin streben, alle Fremdkörper, Geschoß- und Knochensplitter und auch die gequetschten und dem Tode verfallenen Gewebsteile aus der Wunde zu entfernen. Dies geschieht am besten durch Absaugen der Blutgerinnsel und des Hirnbreis bei gleichzeitigem Aufgießen von warmer physiologischer Kochsalzlösung. Dura und Schädelweichteile sind durch Naht zu verschließen. Allgemeine und örtliche Chemo-Therapie einschließlich antibiotischer Mittel ist ratsam. Die Ausbildung eines erhöhten Liquordruckes ist durch intravenöse Traubenzuckerinjektionen und Liquorpunktionen zu verhindern. Die einmal zerstörten Gewebsteile können vom Körper nicht wieder ersetzt werden. Ob ein Funktionsausfall besteht, hängt von der Stelle ab, an welcher die Verletzung saß. Die Heilung eines Hirnverletzten nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Er muß sich wochenlang vor jede - stärkeren körperlichen und geistigen Arbeit hüten und jede Überanstrengung peinlichst vermeiden, sonst ist damit zu rechnen, daß rasche Ermüdbarkeit und nervöse Reizbarkeit ungewöhnlich lange anhalten. Vor Alkoholgenuß ist dringend zu warnen. Völlige Abstinenz ist anzuraten. Bei den stumpfen Verletzungen des Hirns unterscheiden wir seit altersher: Hirnerschütterung (Commotio cerebri), Hirndruck (Compressio cerebri), Hirnquetschung (Contusio cerebri).

Die Unterscheidung besonders von Commotio und Contusio ist nicht immer leicht. Die tägliche Untersuchung und Befundfixierung an Hand des von Tönnis stammenden Schemas ist ratsam und erleichtert spätere Analysen des Krankheitsgeschehens wesentlich. Alle die Verletzungsarten können für sich allein bestehen, sie können aber auch zeitlich aufeinanderfolgen oder kombiniert vorkommen. Hieraus entstehen äußerst schwierig zu deutende Krankheitsbilder in sehr großer Mannigfaltigkeit. Zu ihrem Verständnis muß in der Schilderung der klinischen Symptome der einzelnen Formen etwas mehr schematisiert werden, als es den Beobachtungen der Praxis entspricht. Es besteht weiterhin keineswegs eine Parallelität zwischen klinischen Erscheinungen und pathologisch-anatomischen Befunden. Beispielsweise brauchen schwere Hirnwunden nicht mit einer Hirnerschütterung verbunden zu sein. Auch bei tödlich endenden Hirnverletzungen brauchen keine autoptisch faßbaren Befunde vorzuliegen. Die einfache Erschütterung ohne die geringsten Zeichen von Blutungen im Bereich lebenswichtiger Zentren des verlängerten Marks kann in kürzester Zeit zum Tode führen. Die Hirnerschütterung (Commotio cerebri) ist eine vorübergehende Hirnschädigung ohne makroskopisch" und mikroskopisch nachweisbare Veränderungen in der Hirnsubstanz. Bei der Erklärung der Erscheinungen hat man seine

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Zuflucht zu dem Begriff der „molekularen Umlagerung der Hirnelemente" genommen, an die sich vielleicht sekundär Zirkulationsstörungen anschließen, In neuerer Zeit verlegt man den Angriffsort der Symptome der Hirnerschütterung in die Gegend des Hirnstammes. So unsicher die pathologischanatomische Grundlage ist, so gut charakterisiert ist das klinische Symptomen' bild. Man kann zwanglos drei verschiedene Grade unterscheiden. Bei der leichtesten Form ist der Verletzte nach einem stumpfen Kopftrauma verwirrt und kann seine Sinneseindrücke nicht auswerten. Er fühlt sich matt, die Extremitäten sind schlaff und funktionsuntüchtig. Das Gesicht ist blaß. Der Zustand braucht nur wenige Minuten zu dauern. Bei der nächstschwereren Form t r i t t im Augenblick der Gewalteinwirkung vollkommene Bewußtlosigkeit ein, die verschieden lange Zeit anhalten kann. Die Atmung ist oberflächlich, der Puls verlangsamt und klein, das Gesicht blaß, mit Schweißperlen bedeckt. Die Muskulatur der Extremitäten ist schlaff, die Pupillen reagieren nicht oder nur langsam. Erbrechen, Abgang von Urin und Stuhl kommen vor. Beim Erwachen aus diesem Zustand wird häufig ein Stadium motorischer Unruhe durchlaufen. Bei der schwersten, mitunter zum Tode führenden Form, besonders wenn die Erschütterung das verlängerte Mark betroffen hat, ist der Mensch ebenfalls sofort vollkommen bewußtlos. Zu den vorstehend geschilderten Symptomen gesellt sich, daß die Atmung unregelmäßig wird, der Puls immer schneller und schwächer, bis sich entweder langsam eine Wendung zum Besseren anbahnt oder der Tod eintritt. Bei allen drei Formen beobachten wir sehr häufig, allerdings nicht immer, das so wichtige und auch für den Verletzten eindrucksvolle Zeichen der retrograden Amnesie. Es besteht darin, daß eine verschieden große Zeitspanne vor dem Unfall aus dem Gedächtnis ausgelöscht ist. Oft kehrt die Erinnerung teilweise oder vollkommen wieder, manchmal wird dies unterstützt durch Erzählungen anderer. Nieht allzuselten bleibt aber die Erinnerungslücke bestehen. Weiter beobachten wir Störungen des Gleichgewichtssinnes (Schwindel), Unregelmäßigkeiten im Zuckerhaushalt (Erhöhung des Blutzuckers, Zuckerausscheidung im Urin), auch eine vorübergehende Albuminurie. Sitzen die Veränderungen zentral im Hypothalamusgebiet, dann bestehen Störungen der Wärmeregulation (Hyperthermie) und des Kreislaufgeschehens (Hypertonie). In diesem Falle ist die Medikation von Luminal ratsam. In klaren Fällen läßt sich die Diagnose aus dem soeben geschilderten Symptomenbild unschwer stellen. Besonders wichtig ist, daß die Bewußtlosigkeit sofort eingesetzt hat und daß eine Erschlaffung aller Extremitäten bestand, die sich restlos zurückbildete, ohne daß umschriebene Lähmungen bestehen bleiben. Liegen derartige vor, dann handelt es sich nicht um eine reine Hirnerschütterung, sondern um Kombinationen mit anderen Formen der Hirnverletzung. Die Behandlung ist rein konservativ und besteht im wesentlichen in Bettruhe. Medikamentöse Stützung der Herztätigkeit kann notwendig werden. Bei Versagen der Atmung ist sie künstlich auszuführen. Die früher allgemein üblich gewesene schematische Verordnung von dreiwöchiger Bettruhe hat heute einer individuellen Behandlung Platz gemacht. Die Dauer der Bettruhe hängt davon ab, wie der Verletzte sich fühlt und wie er das Aufstehen verträgt (Kopfschmerz). Trotzdem sollte man aber eine mehrwöchige Zeit der Schonung verordnen. Bäderbehandlung, Abstinenz von Alkohol, leichte Kost sind ratsam. Die Besonnung des ungeschützten Kopfes ist zu vermeiden.

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Der Hirndruck (Compressio cerebri) ist im allgemeinen eine Bezeichnung für den Zustand, in welchem die Gesamtmasse des Hirns in der starren, mit Flüssigkeit gefüllten Schädelkapsel zusammengepreßt wird. An dieser Begriffsbestimmung soll man festhalten, auch wenn m a n sich darüber klar ist, daß die Symptome des Krankheitsbildes zum Teil dadurch hervorgerufen werden, daß das verlängerte Mark in Richtung des Wirbelkanals gepreßt wird und dort also ein örtlicher Druck auf die Hirnsubstanz entsteht. Von dem allgemeinen Hirndruck kann man den örtlichen Hirndruck unterscheiden, welcher sich je nach dem Sitz in Reizerscheinungen entsprechend dem betroffenen Hirnbezirk äußert. Die Ursachen des allgemeinen Hirndrucks liegen in einer a k u t oder chronisch sich entwickelnden Raumbeschränkung der Schädelhöhle. Verschiedene Vorgänge können diesen Zustand hervorrufen, beispielsweise: Blutung aus Hirngefäßen, Ödem des Gehirns, Ansammlung von Entzündungsstoffen bei Meningitis, Hirnphlegmone oder Hirnabszeß, Vermehrung des Liquor, Wachst u m von Tumoren. Im Grunde genommen, erzeugen alle diese verschiedenartigen Zustände stets dasselbe klinische Bild des allgemeinen Hirndrucks. Verschieden ist nur das Tempo, in welchem die einzelnen Symptome einander folgen. Immer besteht ein Reizstadium, das später durch ein Lähmungsstadium abgelöst wird. Wir beobachten demgemäß Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Aufregungszustände, Angstgefühle, Schwindel, Erbrechen, Muskelzuckungen, Blutdrucksteigerungen, im zweiten Stadium dann Nystagmus, Augenmuskelstörungen, Pupillenstarre, motorische Lähmungen. Das wichtigste Zeichen liegt in der zunehmenden Pulsverlangsamung (Druckpuls), die auf einer Mitbeteiligung des Vaguszentrums beruht. Der Puls k a n n auf 40 Schläge und weniger in der Minute sinken und dabei sehr gespannt werden. Genaue Überwachung der Pulszahl (Zählung in halbstündlichen bis stündlichen Intervallen) ist daher notwendig. Wird dann der Puls beschleunigt, schwach und unregelmäßig, so ist das ein Zeichen dafür, daß die Reizung des Vaguszentrums in eine L ä h m u n g übergeht und das tödliche Ende nahe bevorsteht. Der zunehmende Hirndruck zieht in derselben Weise auch das Atemzentrum im verlängerten Mark in Mitleidenschaft. Daher beobachten wir zunächst eine Verlangsamung der Atemtätigkeit m i t tiefen und schnarchenden Atemzügen, die gefolgt wird von dem Typus des Cheyne-Stokes'sehen Atmens und schließlich dem Atemstillstand. Durch Stauung des Saftstromes im Nervus opticus und des Blutes in der Vena centralis retinae k o m m t es zu dem sehr wichtigen Symptom der Stauungspapille, die bei längerem Bestehen von Sehnervenatrophie gefolgt ist. Zu diesen Erscheinungen gesellen sich dann langsam eine Bewußtlosigkeit bis zum Koma, unwillkürlicher Abgang von Urin und K o t , Blutdrucksenkung, starre Pupillenerweiterung auf der Seite des Herdes. Setzt der H i r n d r u c k mehr oder weniger a k u t nach einem Schädeltrauma ein, so ist die Tatsache, daß das Bewußtsein nicht sofort schwand, sondern erst nach einer gewissen Zeit (freies Intervall), von großer diagnostischer Bedeutung. Die Behandlung des Hirndrucks muß naturgemäß' die Ursache zu beseitigen suchen. Bei Verletzungen sind es vorwiegend intrakranielle Blutungen und Hirnödem nachCommotio und Contusio. Bei Gefäßzerreißungen (s.S.24/26) ist also die Unterbindung des blutenden Gefäßes und die Ausräumung des H ä m a t o m s die einzig mögliche Heilmaßnahme. Sonst sind druckentlastende

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Eingriffe wie Lumbalpunktion, Ventrikelpunktion, eventuell sogar Entlastungstrepanation am Platze. Auch eine „dehyfrierende Osmotherapie" mit hypertonischen Lösungen (Klysmen von 90 g Magnesium sulf. auf 180 g Wasser oder intravenöse Gaben von 50 ccm 50% Glucose) und salzfreie Trockenkost sowie Medikation von Salyrgan können ratsam sein. Unter Hirnquetschung (Contusio cerebri) verstehen wir einen Zustand, bei welchem durch die Gewalteinwirkung Zerstörungen der Hirnsubstanz und Blutungen in dieselbe, also makroskopisch und mikroskopisch wahrnehmbare Veränderungen, gesetzt worden sind. Im Bereich dieser Zertrümmerungsbezirke pflegt sich immer ein Erweichungsprozeß der Hirnsubstanz anzuschließen, der auch über den eigentlichen Verletzungsherd hinausgehen kann. Die erweichte Hirnsubstanz wird langsam vom Körper resorbiert und zur Narbe umgewandelt. Aber auch zystische Hohlräume können sich an dieser Stelle entwickeln. Die Zertrümmerungsherde brauchen nicht nur an der Stelle zu sitzen, an welcher die Gewalt den Schädel traf. Durch das stumpfe Trauma wird das für gewöhnlich im Liquor schwimmende Hirn gegen die Schädelkapsel geschleudert, so daß auch diametral der Gewalteinwirkungsstelle ein Kontusionsherd im Hirn gesetzt werden kann (Contrecoup). Die weiße Hirnsubstanz pflegt widerstandsfähiger zu sein als die graue Substanz. Die Symptome der Hirnquetschung, die fast immer von denen der Hirnerschütterung und mitunter auch von denen des Hirndruckes überlagert zu sein pflegen, hängen naturgemäß ganz davon ab, welche Hirnteile betroffen sind. In stummen Hirnbezirken brauchen überhaupt keine örtlichen Symptome zu bestehen, während beispielsweise eine teilweise Zerstörung motorischer Zentren mit der Lähmung der abhängigen Körperbezirke einhergeht. Auch Ubergänge von reversiblem Ödem zur irreparablen Zerstörung kommen vor und machen das Krankheitsbild schwierig deutbar. Völlige Lähmung ist das Zeichen der Zerstörung des entsprechenden Hirnbezirkes, während die Beobachtung von peripheren Zuckungen und Krämpfen zu der Hoffnung berechtigt, daß sich die Funktion zum mindesten teilweise, wiederherstellen wird. Durch Reizung des Corpus striatum kann ein sonst unmotiviertes Fieber auftreten. Die Prognose hängt ganz von der Schwere der Zerstörung ab. Vernichtetes Hirngewebe kann nicht ersetzt werden, während vorübergehende Funktionslähmung durch Ödem oder Blutung sich zurückbilden kann. Die Behandlung ist zunächst abwartend. Wir haben keine Mittel, den Heilungsprozeß zu beeinflussen. Nur bei etwa auftretender Infektion können wir ihn durch Ableitung der Entzündungsprodukte unterstützen oder auch bei Entwicklung einer Epilepsie durch Narbenzug diesen beseitigen.

Verletzungen der Hirngefäße Die wichtigste Rolle spielt die Verletzung der Arteria meningica media in ihren verschiedenen Abschnitten. Sie kommt aus der Maxillaris interna. Durch Schädelbrüche kann ihr Hauptstamm oder einer ihrer Äste verletzt werden. Das austretende Blut gelangt in den Raum zwischen Schädeldach und Dura und bildet dort ein umschriebenes Hämatom (epidurales Hämatom), welches die Dura halbkugelförmig nach dem Schädelinneren vorwölbt. Ist gleichzeitig eine Verletzung der harten Hirnhaut vorhanden, dann bildet

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sich daneben auch noch ein subdurales Hämatom. Der häufigste Sitz der epiduralen Hämatome ist aus Abb. 13 zu erkennen. Die Blutung kai\n in mehreren Schüben vor sich gehen, d. h. nach anfänglichem spontanem Blutungsstillstand kommt es sekundär zu einer neuen, meist erheblichen und zum Tode führenden Blutung. Der Rauminhalt eines solchen intrakraniellen Hämatoms kann bis zu 250 ccm betragen. Die Symptome und die sich auf ihnen aufbauende Diagnose sind abzuleiten aus dem, was im vorherigen Abschnitt über den Hirndruck gesagt worden ist. Nach anfänglichem Wohlbefinden entwickeln sich durch die zunehmende Menge des in das Schädelinnere sich ergießenden Blutes die Zeichen des allgemeinen Hirndruckes (s. S. 23). Das Vorhandensein des freien Intervalls ist von besonderer Bedeutung. Daneben erzeugt das sich vorwölbende Hämatom einen örtlichen Druck auf die darunterliegenden Abb. 13. Verlauf der Meningica media mit den typischen Rindenbezirke und somit Orten der H ä m a t o m e und Probetrepanationspunkte lokalisierte Reizerscheinungen. Die Diagnose wäre leicht, wenn es sich nur um eine Gefäßverletzung handeln würde. Häufig wird aber eine gleichzeitig vorhandene Commotio oder Contusio cerebri das Symptomenbild mitunter bis zur Unkenntlichkeit verwischen. Wenn der durch die Blutung erzeugte Hirndruck nicht durch Ausräumung des Hämatoms und Stillung der Blutung beseitigt wird, tritt im Laufe eines Tages der Tod ein. Die Behandlung muß also in der operativen Eröffnung des Schädels (Trepanation) bestehen. Nicht immer ist die Entscheidung leicht, an welcher Stelle, ja sogar auf welcher Körperseite dies zu geschehen hat. Wichtige Anhaltspunkte für die Lokalisation haben wir in den Herdsymptomen. Manchmal bleibt aber nichts anderes übrig, als an mehreren Stellen (s. Abb. 13) und auch auf beiden Schädelseiten probeweise durch eine Kugelfräse das Schädeldach zu eröffnen. H a t man die richtige Stelle gefunden, dann wird mit osteoplastischem Lappen der Schädel aufgeklappt, die Blutkoagula werden ausgeräumt, das spritzende Gefäß unterbunden und der Schädel wieder durch Naht verschlossen. Die Operation verringert die Sterblichkeit von 90% auf 30%. Die Verletzungen der Hirnblutleiter (Sinus) erzeugen Blutungen, die wegen des festen Anhaftens der Sinuswände an Knochen und Dura schwer

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spontan zum Stillstand kommen. Am häufigsten ist der Sinus sagittalis superior betroffen. Mitunter geschieht es, daß ein Knochensplitter in den Sinus eingespießt wird und das gesetzte Loch zunächst verschließt. Erst bei der Versorgung der Fraktur mit Entfernung des Splitters setzt die starke venöse Sinusblutung ein. Bei offenen Verletzungen kommt es leicht zum Eindringen von Luft in das Venensystem mit anschließender, unter Umständen tödlicher Luftembolie. Die Behandlung der Sinusverletzungen kann durch doppelte Unterbindung (dazu ist meist Erweiterung der Knochenlücke notwendig) oder durch Tamponade erfolgen. Auch ein Verschluß des Loches im Sinus durch frei transplantiertes Muskelgewebe und anschließende Tamponade ist ausgeführt worden. Der Tampon soll mindestens 5—6 Tage liegen bleiben. Bei seinem Wechsel muß man auf das Neuauftreten einer Blutung und somit auf eine Wiederholung der Tamponade eingerichtet sein. Die Verletzungen der Gefäße der weichen Hirnhäute erzeugen ein subdurales, haubenförmiges Hämatom auf der Hirnoberfläche, ohne jedoch zu einem nennenswerten oder gar bedrohlichen Hirndruck zu führen. Nur ausnahmsweise bilden sie eine Indikation zum operativen Handeln. Die Verletzung der Arteria cerebralis media ist an und für sich selten und meistens durch Stich oder Schuß, gelegentlich auch einmal durch einen Schädelbasisbruch hervorgerufen. Gleichzeitige Verletzungen des Sinus cavernosus kommen vor. Es bildet sich ein pulsierendes Hämatom und aus ihm ein Aneurysma. Die Symptome bestehen in der Entwicklung eines pulsierenden Exophthalmus mit starken hörbaren und fühlbaren, sausenden Geräuschen, die bei Karotiskompression verschwinden. Im weiteren Verlauf wird der Augapfel nach untenaußen verdrängt, Augenmuskellähmungen (Abduzens), Stauungspapille und Sehnervenatrophie können auftreten. Die Behandlung ist sehr schwierig. Am sichersten ist die operative Entfernung des Aneurysmasackes nach temporärer Aufklappung der seitlichen Orbitalwand nach K r ö n 1 e i n. Auch eine Unterbindung der Karotis ist zweckentsprechend. Bei älteren Leuten sollte sie aber nur nach einer längere Zeit durchgeführten Drosselungsbehandlung vorgenommen werden, um anämische Hirnnekrosen zu vermeiden.

Erkrankungen des Gehirns und seiner Hüllen Entzündungen der Hirnhäute Die Entzündungen der Hirnhäute können ihren Sitz zunächst einmal in der äußeren Hirnhaut haben (Pachymeningitis). Da diese eine relativ dicke Membran darstellt, kann man bei ihr einen Sitz an der Außenseite nach dem Schädel zu (Pachymeningitis externa) unterscheiden von einer Pachymeningitis interna. Die erstere ist die sekundäre Folge von Entzündungserscheinungen der Knochen oder Weichteile des Schädels und kann nach dem Schädelinneren zu die Grenze der entzündlichen Veränderungen darstellen. Die Entzündung

V e r l e t z u n g e n und Erkrankungen des Gehirns und seiner Häute

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der inneren Seite der Dura ist stets vergesellschaftet mit der Entzündung der weichen Hirnhäute und ist pathologisch-anatomisch und klinisch nicht von ihr zu trennen. Die Entzündung

der weichen Hirnhäute

(Leptomeningitis),

oder auch kurz

meist nur Meningitis benannt, wird vorwiegend hervorgerufen durch die gewöhnlichen Eitererreger. Der Infektionsweg ist meist der der direkten Fortleitung auf dem Lymphwege aus der Nachbarschaft, also beispielsweise von einer komplizierten Schädelfraktur, von einer Eiterung im Bereich des Ohrs oder der Nase und ihrer Nebenhöhlen. Leichte metastatische Formen treffen wir als „Meningismus" bei einigen Infektionskrankheiten wie Typhus, Pneumonie, Influenza u. a. an. Die Infektion der Hiinbasis braucht nicht allein durch Senkung von der Hirnkonvexität zu erfolgen, sondern es kann auch ein eitriger Prozeß der Hirnsubstanz selbst in die Ventrikel durchbrechen und so der Eiter an die Meningen der Schädelbasis gelangen. Dies ist besonders häufig bei perforierenden Verletzungen, denn in ihrer Umgebung verkleben die Meningen leicht und verhindern so die Ausbreitung der Meningitis. Die Symptome der Erkrankung bestehen in sehr starken Kopfschmerzen, welche die Kranken zum Schreien veranlassen, auch wenn sie benommen sind. Weiter finden wir hohes Fieber, Pulsbeschleunigung und Erbrechen und als typisches Zeichen eine Nackensteifigkeit. Man kann es leicht durch den Versuch des Anhebens des Kopfes prüfen. Durch sie wird eine Zwangshaltung des Kopfes beim Liegen mit erhobenem Kinn und Einbohren des Hinterkopfes in die Kissen hervorgerufen. Das Kernigsche Symptom besteht darin, daß das Kniegelenk in Beugung geht, wenn das Hüftgelenk bis 90° gebeugt wird. Typisch sind weiterhin eine kahnförmige Einziehung des Leibes und spontane Beugestellung der Beine. Beiides sind Duraspannungssymptome. Hauthyperästhesien als sensible Reizerscheinungen und Sehnenreflexsteigerungen als motorische Reizerscheinungen kommen hinzu. Zur Stellung der Diagnose wird man eine Lumbalpunktion vornehmen, bei welcher man erhöhten Druck sowie eitrigen, trüben, eiweiß- und zellreichen Liquor gewinnen kann (P a n d y sehe Reaktion: milchige Trübung beim Eintropfen von Liquor in ein Schälchen mit Phenol 1 : 15). Der Nachweis der Bakterien im Liquor durch Ausstrich und Kultur sollte nie unterlassen werden. Beim Verschlossensein des Foramen Magendi (Apertura mediana rhombencephali), etwa durch entzündliche Gerinnsel oder Verklebungen, kann auch bei bestehender Meningitis eine Veränderung des durch Lumbalpunktion gewonnenen Liquors fehlen. Der Verlauf der Meningitis kann sehr verschieden sein und nach Tagen anscheinender Besserung zu plötzlicher Verschlimmerung führen. Meist ist jedoch der Verlauf sehr stürmisch. Die Prognose ist sehr ernst. Leider muß man oft mit einem tödlichen Ausgang rechnen. Der Prophylaxe kommt daher ganz besonderer Wert zu. Sie hat zunächst in sicherer Beherrschung aller in der Nähe des Hirns spielenden eitrigen Prozesse zu bestehen mit Sorge für ungehinderten Abfluß der eitrigen Sekrete nach außen. Die früher ratsam gewesene Urotropinbehandlung ist heute durch antibiotische Therapie möglichst nach bakteriologischer Austestung der bei dem Einzelfall vorhandenen Erreger abgelöst worden. Die Behandlung der ausgebrochenen Meningitis hat in rücksichtsloser Eröffnung der primären Eiterherde unter Spaltung der Dura zu erfolgen. Auch Antibiotica und Sulfonamide müssen versucht werden. Lumbalpunktionen und

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Zysternenpunktionen sind ratsam. A u c h die wiederholte Ausblasung des gesamten Liquor aus der Schädel-Rückenmarkhöhle mittels Azetylen ist vorgeschlagen worden. Kombiniert mit der Sulfonamidtherapie soll sie o f t günstig wirken. Mit doppelseitiger, basaler Entlastungstrepanation und Inzision der D u r a sowie Dauerdrainage des Wirbelkanals durch Laminektomie oder Drainage der Cysterna cerebello-medullaris sind Erfolge erzielt worden. Bei der so schlechten Heilungsaussicht des Leidens sind diese Eingriffe zu versuchen. Die A n w e n d u n g von Penicillin und Sulfonamiden als Stoßtherapie ist ratsam. Eine Stützung des Kreislaufs ist notwendig. Eine besondere Form in bezug auf die Entzündungserreger und den klinischen Verlauf stellt die Meningitis tuberculosa dar. Sie pflegt meist bei Kindern vorzukommen und sich vorwiegend an der Schädelbasis auszubreiten. Ihr Verlauf ist weniger stürmisch als der der gewöhnlichen Meningitis, ihre Prognose aber leider keineswegs besser. Die Diagnose ist möglich durch den Nachweis des Primärherdes im Körper und der Tuberkelbazillen im Liquor. Die Therapie ist heute antibiotisch, aber doch noch mit wechselndem Erfolg. Eine besondere Form stellt weiterhin die Meningitis epidemica dar, deren sehr hohe Mortalität seit der E i n f ü h r u n g der Chemotherapie gesenkt werden konnte. Weiterhin gibt es einige nicht bakteriell bedingte Formen der Hirnhautentzündung. E s wäre zunächst die Pachymeningitis hämorrhagica zu nennen. Sie entsteht bei Arteriosklerose, Lues und Alkoholismus und äußert sich in der Auflage von Gerinnseln und bindegewebigen Schwarten auf der Hirnhaut. Dadurch kann sie die Symptome eines Hirntumors vortäuschen. Ist auf neurologischem Wege eine genaue Lokalisation möglich, so vermag die Entfernung dieser Auflagerungen auf operativem Wege erhebliche Besserung zu erzielen. Unter Meningitis serosa verstehen wir Flüssigkeitsansammlungen in maschenförmigen Hohlräumen an der Oberfläche des Gehirns. Sie können diffus die Hirnoberfläche befallen oder auch umschrieben an gewissen Stellen. Auch ^ie können die Symptome eines Hirntumors vortäuschen. Entstellen können diese Veränderungen durch toxische Einflüsse oder durch umschriebene Traumen (Anprallen des Hirns gegen die Schädelkapsel). Handelt es sich um eine lokalisierte Form, so kann Eröffnung der schwammartigen Maschenräume mit Durchtrennung der äußerst zarten Adhäsionen Besserung und Heilung der Beschwerden bringen.

Entzündungen der intrakraniellen Blutleiter Sie sind stets verbunden mit einer Thrombose der Blutleiter. Wir beobachten sie primär als sogenannte m a r a n t i s c h e T h r o m b o s e n bei Herzschwäche im Kindes- und Greisenalter oder nach allgemein erschöpfenden Erkrankungen. Häufiger entstehen sie durch Fortleitung infektiöser Prozesse aus der Nachbarschaft. Als Beispiele seien angeführt die Thrombophlebitis des Sinus transversus bei Eiterungen im Bereich des Ohrs, des Sinus cavernosus bei Gesichtsphlegmonen, Gesichtsfurunkeln und Eiterungen im Bereich der Orbita und endlich des Sinus longitudinalis superior bei infizierten komplizierten Schädelfrakturen. Schließlich kommen sie auch metastatisch bei bakterieller Allgemeininfektion vor. Die Symptome bestehen aus Allgemeinerscheinungen ähnlich der Meningitis oder des Hirnabszesses, verbunden mit remittierendem Fieber, Schüttelfrösten,

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Durchfall, Ikterus, Milzschwellung, Tochtereiterungen an den verschiedensten Körper stellen. Hierzu gesellen sich örtliche Symptome. Die wichtigsten sind Ödem am Warzenfortsatz und am Hals entlang der Vena jugularis bei Thrombose des Sinus transversus; Ödem der Augenlieder, Exophthalmus, Augenmuskellähmungen, Retinaödem, Stauungspapille bei Thrombose des Sinus cavernosus. Häufig entwickeln sich Meningitis oder Hirnabszesse. Die Prognose ist äußerst schlecht. Meist ist der tödliche Ausgang unvermeidlich. Die Behandlung kann in operativer Eröffnung und Ausräumung der Thrombenmassen nach vorheriger Unterbindung der abführenden Venen bestehen. Besonders wenn die Eiterung vom Ohr ihren Ausgang nahm, hat das Verfahren Erfolge aufweisen können. Am Sinus cavernosus haben derartige Eingriffe keine günstige Wirkung gehabt. Weitere Behandlungsmöglichkeiten bestehen im Ansetzen von Blutegeln, Röntgenbestrahlungen, Sulfonamid-Stoßtherapie, Penicillininjektionen, salzarmer Trockenkost zur Entwässerung des Körpers, Medikation von Salyrgan. Entzündungen des Gehirns Die bakterielle Infektion der Hirnsubstanz kann durch Ubergreifen aus der Nachbarschaft (Kopfschwarte, Nebenhöhlen) oder auch metastatisch entstehen. Der erste Entstehungsweg ist bei weitem der häufigste. Die sich zunächst entwickelnde Hirnphlegmone pflegt sich nur selten weit auszubreiten, sondern bleibt an umschriebener Stelle stehen. Die Gehirnmasse wird gelblichrot und zerfließt. Es bildet sich ein Wall aus Ödem und Rundzelleninfiltration als ein Demarkationsprozeß, wie wir ihn auch bei anderen Körpergeweben beobachten können. In diesem Stadium entsteht dann aus der diffusen Hirnphlegmone der abgekapselte Hirnabszeß. Wir können bei ihm nach der Entstehungsursache vier verschiedene Formen unterscheiden: 1. der akute traumatische, 2. der chronisch-traumatische, 3. der fortgeleitete otogene und rhinogene, 4. der metastatische Abszeß. Die Unterscheidung ist nur in bezug auf die Entstehungsweise, nicht im Hinblick auf das klinische Krankheitsbild durchführbar. Der akute traumatische Hirnabszeß sitzt meist in der Hirnrinde und entsteht durch Retention des eitrigen Sekrets in der Tiefe einer nicht genügend offengehaltenen Wunde. Ist er vorhanden, dann sehen die Granulationen am äußeren Schädel schlaff aus, manchmal sind sie ausgesprochen ödematös. Die Absonderung auch der Granulationen pflegt reichlich zu sein. Es kann aber auch bei der Verletzung ein bakterienbeladener Fremdkörper oder Knochensplitter in einen entfernteren Hirnteil verlagert worden sein und dort einen Abszeß bilden. Er pflegt die Neigung zu haben, sich entlang der alten Verletzungsstraße zu entwickeln, wenn er nicht sehr nahe dem Ventrikel sitzt, in den er dann leicht perforiert und eine tödliche Meningitis hervorruft. Der chronisch-traumatische Hirnabszeß hat dieselben Entstehungsursachen wie der akute traumatische. Von ihm unterscheidet er sich dadurch, daß die Infektion milder verläuft und daß der Herd vom Körper abgekapselt wird. Sehr häufig enthält er irgendeinen Fremdkörper (Knochensplitter, Projektil).

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Der Abszeß pflegt eine deutliche und ziemlich derbe Abszeßmembran zu besitzen. Sie h i n d e r t jedoch nicht, daß plötzlich und zeitlich unberechenbar ein Weiterschreiten des Entzündungsprozesses in die N a c h b a r s c h a f t stattfinden k a n n . Bei den fortgeleiteten Hirnabszessen sind am häufigsten die otitischen Hirnabszesse. Eigenartigerweise beobachten wir sie bei a k u t e n E n t z ü n d u n g e n am

A b b . 14. H i r n a b s z e s s e n a c h M i t t e l o h r e n t z ü n d u n g

Ohr bei weitem seltener (etwa 10%) als bei chronischen Eiterungen des inneren und mittleren Ohrs (etwa 90%). Ihr Sitz ist aus Abb. 14 zu ersehen. Sie pflegen eine derbe Abszeßmembran auszubilden u n d können zu beachtlicher Größe (Taubenei u n d größer) heranwachsen. Die rhinogenen Hirnabszesse gehen von Eiterungen der Nasennebenhöhlen aus und sitzen meist im Stirnlappen, seltener im Schläfenlappen. Die metastatischen Hirnabszesse entstehen vorwiegend durch Verschleppung von infektiösen Massen aus Eiterungen im Bereich der Brusthöhle (Pleuraem-

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pyeme, Lungenabszesse, Lungengangrän). Daraus erklärt sich die Tatsache, daß sie meist multipel auftreten, und zwar wegen des geraden Verlaufs der Carotis interna häufiger links als rechts. Die klinischen Erscheinungen sind im Stadium der Entstehung sehr unbestimmt. Wir werden vielleicht meningitische Reizungen und unregelmäßige Temperaturen beobachten. Im übrigen pflegen die Symptome der primären Erkrankungen im Vordergrund zu stehen. Auch im weiteren Verlauf verwischen sie vielfach die eigentlichen Hirntumorsymptome. Sie sind charakterisiert durch die Allgemeinsymptome der Erkrankung, durch die Zeichen eines sich entwickelnden Hirndrucks und bei entsprechendem Sitz durch Herdsymptome des Hirns. Die Störungen des Allgemeinbefindens pflegen in Appetitlosigkeit, Mattigkeit, Abmagerung, Fieber (kann lange Zeit fehlen) zu bestehen. Gelegentlich auftretende Schüttelfröste zeigen ein Fortschreiten des Prozesses an. Die Hirndrucksymptome sind in dem entsprechenden Abschnitt geschildert worden. Die Herdsymptome bestehen je nach Sitz und Alter in Reiz- oder Lähmungserscheinung der betroffenen Hirnzentren. Ihr Vorhandensein ermöglicht eine Lokalisation des Prozesses und damit die Möglichkeit seiner Eröffnung. Auch wenn sich ein Hirnabszeß durch eine relativ dicke Membran gegen seine Umgebung abgekapselt hat, ist er dadurch keineswegs gefahrlos für seinen Träger geworden, denn ganz unmotiviert und noch nach vielen Jahren (20 und mehr) vermag der Eiterungsprozeß dadurch weiterzuschreiten, daß die bindegewebige Abszeßmembran an irgendeiner Stelle eitrig zerfällt und von hier aus ein neuer Schub einer Hirnphlegmone seinen Ausgang nimmt, der zur Vergrößerung des Abszesses oder auch zu einer Perforation zur Hirnoberfläche oder in die Ventrikel, also zur Ausbildung einer tödlichen Meningitis, führen kann. Daher ist die Prognose eines Hirnabszesses immer sehr ernst, auch wenn der Mensch das akute Stadium übersteht und sich der Abszeß abgekapselt hat. Rei der operativen Rehandlung der Rindenabszesse kann man etwa in der Hälfte der Fälle mit einer Heilung rechnen. Die Markabszesse pflegen fast immer tödlich zu enden. Die Behandlung ist nur aussichtsreich, wenn sie in operativer Eröffnung und Drainage der Eiterhöhle nach außen besteht, und zwar so frühzeitig als möglich. In späteren Stadien und wenn man mit dem Vorhandensein einer Abszeßmembran sicher rechnen kann, ist in letzter Zeit vielfach die Exstirpation des Abszesses in toto empfohlen werden. Auch bei metastatischen Abszessen sollte der Versuch unternommen werden. Andere Rehandlungsweisen sind zwecklos. Der Hirnprolaps Wir verstehen hierunter das Austreten von Hirnteilen, die mit dem Gesamtorgan in Verbindung stehen, durch eine Lücke in Hirnhäuten und Schädelknochen nach außen bei bestehender Druckerhöhung im Schädelinneren. Nach klinischen Gesichtspunkten unterscheiden wir einen primären und sekundären Prolaps. Der primäre Hirnprolaps, der meist gutartig ist, entsteht, wenn bei operativer Eröffnung der Schädelhöhle die Ursache des raumbeengenden Prozesses nicht entfernt werden konnte und somit das Gehirn in die gesetzte Schädellücke hineingepreßt wird.

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Der sekundäre Hirnprolaps ist in seinem Verhalten bösartiger. Er entsteht bei Infektionen der Hirnwände oder ihrer Umgebung, also bei Hirnphlegmonen oder Hirnabszessen. Sein Auftreten und seine Rückbildung hängen von den ihm zugrunde liegenden Entzündungsprozessen ab. Die durch die Schädellücken herausgepreßten Hirnmassen nehmen Pilzform an. Durch Druck und Ödem kommt es zu Ernährungsstörungen mit anschließendem Zerfall von Hirnsubstanz, der seinerseits die Fortdauer der Entzündung begünstigt. Es können erhebliche Mengen Hirnsubstanz zugrunde gehen. Da die Hirnhäute durch den herrschenden Druck dicht an die Knochenlücke angepreßt werden, kommt es zu Verklebungen, welche die Ausbildung einer Meningitis verhindern. Man hüte sich daher, diese Verklebungen durch brutale Manipulationen etwa beim Verbandwechsel zu lösen. Wird beim Zerfall des Hirnprolapses das Ventrikelsystem eröffnet, so ist die Ausbildung der Meningitis nicht mehr zu vermeiden. Wenn der Entzündungsprozeß im Schädel ausheilt, kann sich der Prolaps weitgehend zurückbilden und vom Rande der Hautwunde her überhäuten. Da der Hirnprolaps nur ein Symptom und keine besondere Erkrankung ist, so besteht seine Behandlung in der Bekämpfung des Grundleidens, also beim primären Prolaps in der Entfernung des ihn verursachenden Hirntumors, beim A b b . 15. H i r n p r o l a p s . Chirurgische U n i v c r sekundären Prolaps in der Beherrsitäisklinik Jena. Direktor: Prof. Dr. G u l e k e schung der Hirneiterung. In beiden Fällen kann von wiederholten Lumbalpunktionen zur Druckentlastung Gebrauch gemacht werden. Der Prolaps selbst ist steril zu verbinden, für Sekretabfluß ist zu sorgen. Die Verbände müssen locker sein, keineswegs sind Druckverbände anzuwenden. Die Abtragung des Prolapses ist wegen der Gefahr der Ventrikelöffnung zu unterlassen. Tumoren von Hirnhäuten und Gehirn Wegen der erheblichen Übereinstimmung der k l i n i s c h e n Erscheinungen, besonders der Herdsymptome, kann man in diesem Kapitel die infektiösen Granulationsgeschwülste, die anatomisch gutartigen Tumoren, die bösartigen Geschwülste mit infiltrierendem Wachstum und die Metastasen von Primärtumoren anderer Organe zusammenfassen. Das Ubereinstimmende bei allen ist, daß sie durch ihre Anwesenheit und durch ihr Wachstum in der abgeschlossenen Schädelhöhle zu einer Druckvermehrung in ihr und damit allein schon

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zu einer Lebensgefahr für den Träger führen, auch wenn sie an sich benigner Natur sind und an anderer Körperstelle ein harmloses Leiden darstellen würden. Bei der anatomischen Mannigfaltigkeit soll nur eine summarische Ubersicht über die vorkommenden Formen gegeben werden. Bei den Granulationsgeschwülsten (etwa 2,5% aller Hirntumoren) beobachten wir Solitär- und Konglomerattuberkel besonders im Kindesalter mit bevorzugter Lokalisation im Kleinhirn. Kombinationen mit tuberkulöser Meningitis und Miliartuberkulose kommen vor. Die Akiinomykose des Gehirns ist selten; sie ist meist fortgeleitet von entsprechenden Prozessen im Gesicht und der Umgebung von Mundhöhle und Rachen, seltener metastatisch von Herden in entfernten Körperstellen. Gummen im Gehirn gibt es bei Erwachsenen, meist verbunden mit basaler spezifischer Meningitis und multiplen Hirnnervenlähmungen. Parasitäre Zysten sind als Echinokokken (meist solitär) oder Zystizerken (häufig multipel) und vielfach an den Meningen sitzend beobachtet worden. Gefäßtumoren (etwa 3% aller Hirntumoren) in Form von Lymphangiomen und Hämangiomen mit arteriellem oder venösem Charakter oder Mischungen von beiden zeichnen sich dadurch aus, daß sie mehr Herdsymptome und weniger Hirndruckerscheinungen machen. Von den echten Geschwülsten sind am häufigsten (etwa 50%) die Gliome, welche meist in Form des Oligodendroglioms oder des Astrozytoms oder des multiformen Glioblastoms auftreten. Ihr Sitz ist vorwiegend das Großhirn, wie überhaupt in diesem Hirnteil etwa die Hälfte aller Geschwülste lokalisiert ist. Sie können blutreich, aber auch zystisch degeneriert sein. Ihre Abgrenzung gegen die Hirnsubstanz ist diffus. Sie treten fast nie in Mehrzahl auf. Ubergänge zu bösartigem Wachstum (Gliosarkom) kommen vor. Weniger häufig (etwa 15%) sind die von den Meningen ausgehenden Geschwülste meist vom Charakter eines Fibroms. Sie stellen derbe, umschriebene Geschwülste dar. Meist nehmen sie ihren Ausgang von der Dura oder von den bindegewebigen Scheiden der Hirnnerven, besonders typisch amAkustikus im Kleinhirnbrückenwinkel (etwa 10%). Nur dem Namen nach seien noch erwähnt: Kraniopharyngeome, Psammome, Endotheliome (alle zusammen etwa 20%; sie sind meist scharf abgegrenzt und daher oft leicht entfernbar), Lipome, Myxome, Cholesteatome, Angiome (4%). Die Sarkome können ihren Ausgang sowohl von der Hirnsubstanz selbst als auch von den Hirnhäuten nehmen. Als Metastasen sind sie selten, nur das Melanosarkom setzt häufig Tochtergeschwülste im Hirn. Karzinome können vom Epithel des Plexus chorioideus oder dem Ependym der Ventrikel ausgehen (sehr selten). Meist handelt es sich um Metastasen von Karzinomen des Bronchus, der Lungen, der Mamma. Die Symptome sind einzuteilen in Allgemeinsymplome und Herdsymptome. Die ersteren gruppieren sich um die Erscheinung des langsam zunehmenden Hirndrucks mit Verlangsamung von Puls und Atmung. Hierzu gesellen sich bohrende, heftige, teilweise lokalisierte, aber auch allgemeine Kopfschmerzen. Bei der Perkussion des Schädels kann man bei einigen oberflächlich gelagerten Tumoren umschriebenen Kopfschmerz, Schallwechsel über dem Tumor und einen „scheppernden Klopfschall" beobachten, der durch eine infolge des Tumorwachstums erzeugte Verdünnung des Schädelknochens hervorgerufen wird. Weiter treten auf Schwindelanfälle (besonders bei Kleinhirntumoren), Erbrechen unabhängig von der Nahrungsaufnahme, Benommenheit, Ohnmachtsanfälle, Schlaflosigkeit, . R o s t o c k , Lehrbuch (lcr speziellen Chirurgie.

3. Aufl.

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psychische Störungen der verschiedensten Art, Krampfanfälle und Stauungspapille (eventuell Sehnervenatrophie) als Teilerscheinung des Hirndrucks. Die Herdsymptome können sowohl durch Zerstörung von Hirnabschnitten durch die Geschwulst als auch durch Druck entstehen. Im allgemeinen werden zuerst Reizerscheinungen, dann Lähmungen beobachtet, die sich in Wirklichkeit jedoch vielfach überschneiden und daher vieldeutig sein können. Nur die allerwichtigsten Zeichen, unterschieden nach dem Sitz in den einzelnen Hirnteilen, können im Telegrammstil hier angeführt werden: Stirnhirn: Häufig keine Herdsymptome. Störungen von Intelligenz, Psyche, Charakter, Apathie, Witzelsucht, motorische Aphasie, frontale Ataxie. Motorische Zentralregion: Krämpfe vom J a c k s o n sehen Typus, später Lähmungen. Parästhesien. Linke dritte Stirn Windung: Motorische Aphasie. Schläfenlappen: Sensorische Aphasie, Gehörsensationen. Scheitellappen: Meist keine Herdsymptome. Hinterhauptslappen: Gekreuzte homonyme Hemianopsie, bei medianem Tumorsitz beiderseitige Hemianopsie; Gesichtssensationen (Flimmern), Seelenblindheit. Kleinhirn: Frühzeitig starke Hirndrucksymptome, zerebrale Ataxie nach der Seite des Tumors. Adiadochokinese (Unmöglichkeit der Ausführung rasch aufeinanderfolgender Bewegungen), Asynergie (Ausfall der Koordination zwischen Rumpf- und Gliedmaßenbewegungen), Nystagmus, Abduzensparese. Kleinhirnschenkel: Zwangsbewegungen. Kleinhirnbrückenwinkel: Gehörsensationen, Taubheit, Nystagmus, Schwindel. Hirnbasis: Multiple Hirnnervenlähmungen. Beim Sitz am Chiasma: bitemporale Hemianopsie oder Erblindung. Die Diagnose der Hirntumoren und besonders der für die chirurgische Behandlung so wichtigen Lokalisation erfordert eine durch einen erfahrenen Neurologen durchgeführte eingehende neurologische Untersuchung und Beobachtung. Die röntgenologische Darstellung der Größe und der Lage der Ventrikel (Ventrikulographie) und der Verlauf der Arterien des Hirns (Arteriographie) können in der Hand des geübten Untersuchers wichtige Hinweise geben. Auch Verdünnungen der Schädelknochen oder Verkalkung in den Tumoren vermag die Röntgenaufnahme darzustellen. Bei der Behandlung ist jede symptomatische Therapie aussichtslos. Handelt es sich um entzündliche Tumoren (Lues, Tuberkulose), so wird die Einleitung einer entsprechenden Allgemeinbehandlung zweckmäßig sein. Bei vorhandener Stauungspapille und drohender Erblindung ist aber aktives Eingreifen dringend erforderlich. Bei den echten Tumoren ist die operative Entfernung anzustreben. Leider ist sie nicht immer ausführbar entweder, weil der Tumor nicht genau genug lokalisiert werden kann, zum anderen, weil er an einer Stelle sitzt, an die der Chirurg nicht herankommt, und schließlich auch, weil die Art des Tumors (z. B. diffuse Gliome) eine Radikalentfernung nicht zuläßt. Die Ergebnisse sind noch keineswegs befriedigend. Die Operationssterblichkeit beträgt 20—50% (je nach Sitz und Art des Tumors) und darüber. Die Hirnchirurgie steht im Begriff, sich zu einem Sondergebiet zu entwickeln. Wenn der Hirntumor nicht radikal zu entfernen ist, so hat sich die Ausführung einer entlastenden Trepanation insofern als segensreich erwiesen, als die

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Symptome des Hirndrucks, besonders der Kopfschmerz, weitgehend gebessert werden. Auch die drohende Erblindung läßt sich aufhalten. Die Entlastungstrepanation wird vorwiegend in der Schläfengegend, mitunter auf beiden Körperseiten, vorgenommen. Röntgentiefenbestrahlungen sind bei inoperablen Hirntumoren mitunter von Erfolg gewesen. Die H y p o p h y s e n t u m o r e n Die Geschwülste der Hypophyse nehmen gegenüber den anderen Hirntumoren eine Sonderstellung ein, da sie Tumoren einer innersekretorischen Drüse sind und nur räumlich in der Nähe des Gehirns in der Schädelhöhle liegen. Meist sind es Adenome des Vorderlappens der Drüse, seltener Zysten oder Karzinome des fötalen Hypophysenganges, noch seltener Gliome des hinteren Lappens der Hypophyse. Sie machen etwa 9% aller Hirntumoren aus. Ganz selten sind Lues und Tuberkulose der einzelnen Drüsenteile. Die E n t wicklung der Tumoren erfolgt meist um das 3. Lebensjahrzehnt, manchmal während einer Schwangerschaft. Der Verlauf ist ausgesprochen chronisch über J a h r e und Jahrzehnte. Auch ein Stillstand in der Entwicklung wird gelegentlich einmal beobachtet, Spontanheilungen sind aber nicht sicher bekannt. Bei den Symptomen sind zunächst einmal solche aus der Gruppe der Hirntumorsymptome A b b . 16. A k r o m e g a l i e zu nennen wie Kopfschmerz, Schwindel, Erbrechen, Augenmuskellähmungen, Sehnervenatrophie, homonyme, bitemporale oder die seltenere binasale Hemianopsie. Daneben bestehen aber auch Symptome der gestörten Drüsenjunktion. Als Folge der Hyperfunktion, besonders bei Adenomen des Vorderlappens, wird die Akromegalie beobachtet, ein Zustand, bei dem die Enden des Körpers ein besonders starkes Wachstum, auch nach Abschluß der natürlichen Wachstumsperiode, aufweisen. Es k o m m t zu erheblicher, auffallender Vergrößerung von Nase, Lippen, Zunge, Unterkiefer, aber auch von Händen und Füßen, besonders Finger und Zehen, so daß die Kranken ein durchaus typisches Aussehen haben. Den Kranken pflegt aufzufallen, daß ihnen die H ü t e , Schuhe und Handschuhe zu eng werden. Mitunter k o m m t es zum allgemeinen Riesenwuchs. Als Folge der Hypofunktion bei eventueller Zerstörung von Drüsengewebe durch entzündliche Prozesse (Lues und Tuberkulose) oder Tumordruck respektiv 3*

Chirurgie des Kopfes

Abb. 17. Normale Sella turcica

Abb. 18. Sella turcica, erweitert bei Hypophysentumor

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einwachsenden Tumor kann sich eine Dystrophia adiposogenitalis entwickeln. Wir verstehen darunter eine zunehmende Fettsucht mit Rückgang der Geschlechtsfunktion und der sekundären Geschlechtsmerkmale. Bei Jugendlichen kommt es zur Hypoplasie der Genitalien, Mangel der Behaarung und Infantilismus. Auch psychische Störungen, Schlafsucht, Diabetes insipidus und Diabetes mellitus können vorhanden sein. Die Stellung der Diagnose aus den klinischen Erscheinungen wird unterstützt durch die Röntgenaufnahme des Türkensattels in seitlicher Strahlenrichtung (s. Abb. 17 und 18). Eine Verbreiterung und Erweiterung des Eingangs sprechen für übernormale Vergrößerung der Hypophyse. Die Behandlung kann kausal durch operative Entfernung der Geschwulst erfolgen. Es sind eine Reihe von Operationsverfahren hierzu ausgearbeitet worden. Sonst sind Röntgenbestrahlungen am Platze. Auch entlastende Trepanationen können notwendig werden. Bei der Dystrophia adiposogenitalis vermag die Verabreichung von Hypophysenvorderlappenpräparaten diesen Teil des Symptomenbildes zu bessern.

Hydrozephalus Der Liquor cerebrospinalis, der vorwiegend im Plexus chorioideus, aber auch an anderen Stellen gebildet wird, kann durch Verschluß

Abb.

Hydrozephalus bei Sjährigeni Kinde (nach Dandy)

der im Ventrikelsystem normalerweise vorhandenen Engen in seiner Zirkulation gehemmt werden. Daraus resultieren Erweiterungen in einzelnen Teilen des Liquorraumes, welche wir als Hydrozephalus bezeichnen. Von praktischen Gesichtspunkten ausgehend kann man folgende Formen unterscheiden: 1. Den Hydrocephalus internus, der zur Ausweitung der Liquorräume innerhalb des Gehirns führt, 2. den Hydrocephalus externus, der zur Erweiterung des Schädelraumes bei normal großem oder auch verkleinertem Hirn führt, 3. den kommunizierenden Hydrozephalus, welcher nicht auf einem Verschluß von Verbindungsgängen, sondern auf einem Mißverhältnis von Liquorproduktion und Resorption beruht.

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Chirurgie des K o p f e s

In seiner schweren Form ist der Hydrozephalus eine E r k r a n k u n g des Kindesalters. Durch die manchmal groteske Vergrößerung des Hirnschädels bei normal großem Gesichtsschädel ergibt sich ein charakteristisches unverkennbares Aussehen. Trotz häufig erheblicher Reduktion des Hirngewebes ist der Funktionsausfall gering. Nur selten erreichen die Kinder das Pubertätsalter, meist sterben sie schon vor dem 5. Lebensjahr. Leichte Formen sind mit Erhaltung des Lebens vereinbar, meist verbunden m i t mehr oder weniger ausgeprägten Idiotien. Aber auch für das Gegenteil gibt es in der Geschichte einige Beispiele. Durch die Darstellung des Ventrikelsystems mittels der Ventrikulographie (Ersatz des Liquors durch L u f t und Röntgenaufnahme des Schädels in verschiedenen Ebenen) kann man sich eine sehr gute Vorstellung von Form, Lage und Größe der Veränderungen des Liquorraumes machen. In der Behandlung des Hydrozephalus kann eine wiederholt ausgeführte Liquorpunktion zu Dauererfolgen führen. Die Lumbalpunktion kann beim Verschlußhydrozephalus zu schweren Schäden führen. Erfolgversprechend sind nur chirurgische Eingriffe, welche sinnvoll der vorliegenden Einzelform angepaßt sind. Ausgehend von der Annahme der Uberproduktion von Liquor sind Versuche ausgeführt worden, durch eingelegte Rohre aus Metall oder Kalbsarterien oder besser aus eigener Dura eine Ableitung der Zerebrospinalflüssigkeit ins Unterhautzellgewebe zu erreichen, damit sie dort resorbiert wird. Auch die Ableitung in das Venensystem ist versucht worden. Beim Verschlußhydrozephalus sind Umgehungsoperationen durch den Balkenstich (vgl. S.40) und ähnliche Eingriffe angegeben worden. Aber alle diese Methoden lassen in ihrem Dauererfolg zu wünschen übrig. Man h a t auch durch radikalere Methoden wie die operative Beseitigung der Hindernisse oder durch Resektion des Plexus chorioideus das Leiden zu beheben versucht. Ein Erfolg ist diesen Bemühungen sehr selten beschieden gewesen. Die Epilepsie (Fallsucht) Von der Großhirnrinde aus können durch verschiedene Ursachen K r a m p f anfälle ausgelöst werden. Es sind in bezug auf die Ä t i o l o g i e drei große Gruppen zu unterscheiden. Unter der genuinen Epilepsie versteht man die Form, deren Ursache eigentlich unbekannt ist, wenn man auch die verschiedensten Zustände anschuldigt wie z. B. Vererbung neuropathischer Belastung, Lues, Diabetes, Trunksucht, Reize an peripheren Körperteilen (Reflexepilepsie). Unter der Bezeichnung organischer oder symptomatischer Epilepsie f a ß t man diejenigen Fälle zusammen, bei denen organische Prozesse wie Tumoren des Hirns, seiner H ä u t e oder des Schädeldaches, Zysten, Parasiten (z. B. Zystizerken), Herde bei multipler Sklerose oder progressiver Paralyse die Ursache des Reizes sind. Streng genommen gehört in diese Gruppe auch die dritte Form. Aus praktischen und nicht zuletzt therapeutischen Gründen unterscheidet man aber noch als besondere Gruppe die traumatische Epilepsie. Wir sprechen von ihr dann, wenn Gewalteinwirkungen Hirnnarben oder Adhäsionen zwischen seiner Oberfläche und den Hirnhäuten gesetzt haben. Derartige Narben sind nicht nur die Folge offener, perforierender Hirnverletzungen oder des Eindringens von

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Knochensplittern in die Hirnsubstanz bei unkomplizierten Impressionsfrakturen des Schädeldaches, auch Kontusionsherde des Hirns bei stumpfen Traumen heilen ja unter Bildung von Narben aus und können so die Ursachen der traumatischen Epilepsie werden. Nach Friedensverletzungen soll Epilepsie in 5%, nach Kriegsverletzungen in 30% der Fälle auftreten. Als Vorstadien des Krampfanfalls (Aura) werden mitunter sensible Sensationen (Parästhesien) sowie leichte Zuckungen und vasomotorische Störungen beobachtet. Nicht immer braucht sich ein richtiger epileptischer Anfall zu entwickeln. Es kommen auch geringe Störungen (Petit mal) mit nächtlichen, nicht bemerkten Anfällen, Bewußtseinsstörungen ohne K r ä m p f e (Absencen) und Dämmerzustände, Schwindelgefühl, auch t r a u m h a f t e Verwirrtheit, Wandertrieb, Anfälle von Kleptomanie vor. Bei dem großen epileptischen Anfall treten nach einem kurzdauernden Stadium tonischer Muskelkontraktionen längerdauernde, sehr heftige, klonische Zuckungen aller Körpermuskeln auf. In diesem K r a m p f s t a d i u m herrscht völlige Bewußtlosigkeit; es bestehen reaktionslose, weite Pupillen (im Gegensatz zum hysterischen Anfall). Weiterhin werden Zungenbisse und unwillkürlicher Abgang von Stuhl und Urin beobachtet. Durch das Hinstürzen beim Anfall und durch die klonischen Zuckungen kann sich der K r a n k e ernste Verletzungen (Wunden, F r a k t u r e n und Luxationen) zuziehen. Habituelle Schulterluxationen sind bei Epileptikern nicht selten. Die Bewußtlosigkeit überdauert das Stadium des Krampfanfalls und f ü h r t zum postepileptischen Koma. Es besteht in einem mitunter stundenlangen Erschöpfungsschlaf, aus welchem die Kranken mit Kopfschmerzen und einem Gefühl der Mattigkeit erwachen. Die Anfälle können sich in unregelmäßigen Zwischenräumen wiederholen, mitunter kann das Intervall mehrere Jahre betragen. Es können aber auch mehrere Anfälle an einem Tage auftreten, die sich sogar alle Stunden folgen (Status epilepticus) und den Tod herbeiführen können. Häufig sich wiederholende epileptische Anfälle pflegen zu geistiger Verblödung zu führen. Etwas verschieden hiervon verläuft der Anfall bei der Rindenepilepsie (Jackson scher Typ), wie wir ihn besonders bei der traumatischen Epilepsie beobachten können. Die Krämpfe setzen nicht gleichzeitig in allen Muskelgruppen des Körpers ein, sondern beginnen in einer bestimmten, umschriebenen Muskelgruppe. Zunächst ist das Bewußtsein noch erhalten, u m erst später zu schwinden, besonders wenn die K r ä m p f e auch auf andere Muskelgruppen übergreifen und später den ganzen Körper befallen. Die graphische Darstellung der von verschiedenen Stellen abgeleiteten Hirnströme (Elektrencephalographie) h a t die Diagnose (auch die Lokalisationsdiagnose) wesentlich gefördert. Die Prognose des Leidens ist recht ernst, wenn Spontanheilungen auch gelegentlich vorkommen. Abgesehen von dem Tod im Anfall selbst, sind die Menschen durch die Verletzungen sehr gefährdet. Sie können während des Anfalles ersticken, ertrinken, verbrennen, in Maschinen geraten und dergleichen. So mancher rätselhafte Unfall findet seine Erklärung in einem epileptischen Anfall des Verletzten. Die Behandlung wird zunächst allgemein sein. Da wir wissen, daß körperliche und geistige Erregungen und Anstrengungen einen Anfall auslösen, so wird man, soweit es möglich ist, diese den Menschen fernhalten. Eine reizlose, salz-

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Chirurgie des Kopfes

arme Diät ist zweckmäßig. Kaffee und Alkohol sind zu verbieten. Gute Dienste leistet eine Kaltwasserbehandlung. Regelmäßige Gaben von Bromsalzen, Opium, Belladonna oder besonders Luminal sind am Platze. Im übrigen wird die Therapie die Ursache der Krampfanfälle zu beseitigen versuchen, also z. B. einen Hirntumor entfernen. Auch bei der traumatischen Epilepsie durch Hirnnarben ist eine operative Behandlung angezeigt. In das Gehirn eingedrungene Knochensplitter sind zu entfernen, ebenso Hirnnarben zu exzidieren. Die Schwierigkeit liegt in der Verhinderung des Wiederauftretens einer zerrenden Narbe. Auch die Implantation eines Fett-Faszienlappens in den Hirnduradefekt kann dies nicht immer vermeiden. Rezidive kommen leider nicht allzuselten vor. Die Schädellücke sollte nach einem derartigen Eingriff zunächst nicht osteoplastisch verschlossen werden. Dies kann eventuell später geschehen, wenngleich man hiernach das Auftreten neuer epileptischer Anfälle beobachtet hat, die bei offener Schädellücke nicht vorhanden waren. Die Aussichten der Heilung der traumatischen Epilepsie durch operativen Eingriff sind nicht absolut gut, aber immerhin doch so, daß man dazu dem Kranken mit gutem Gewissen raten soll. Zusammenarbeit zwischen Chirurgen und Neurologen bei der Indikationsstellung und bei der Nachbehandlung ist unbedingt erforderlich. Leider haben operative Eingriffe in der Behandlung der genuinen Epilepsie nicht das gehalten, was man sich von ihnen erhoffte. Die wichtigsten Operationen an Schädel und Gehirn Die Hirnchirurgie, die in den letzten Jahrzehnten wesentlich gefördert wurde, ist heutzutage ein wichtiges Spezialgebiet der Chirurgie geworden. Alle Eingriffe lassen sich ausgezeichnet in örtlicher Betäubung ausführen. Peinlichste Asepsis ist auch bei dem kleinsten Eingriff unbedingt erforderlich. Die Punktion der Cisterna cerebello-medullaris dient dem Ablassen von Liquor zu therapeutischen (Drucksenkung) oder diagnostischen Zwecken und auch der Ausführung der Myelographie (s. S. 184). Ihre Ausführung ist aus Abb. 125 ersichtlich. Um gefährliche Nebenverletzungen zu vermeiden, bedient man sich einer Kanüle, bei der man vorher die Einstichtiefe begrenzen kann. Die Hirnpunktion dient vorwiegend diagnostischen Zwecken (Ventrikelpunktion) oder auch der Einspritzung von Heilmitteln direkt in den Ventrikel (z. B. Tetanusantitoxin). An der für die Punktion vorgesehenen Stelle wird der Schädelknochen in kleinem Bezirk freigelegt und nach Spalten des Periosts mit feiner Fräse durchbohrt. Durch diese Öffnung kann die Punktion vorgenommen werden. Nach ihrer Beendigung werden die Weichteile sorgfältig vernäht. Der Balkenstich dient der Druckentlastung beim Hydrocephalus internus. Man macht etwas seitlich der Mittellinie hinter der Coronarnaht einen etwa 4 cm langen Schnitt, eröffnet den Schädel und die Dura, tastet sich mit einer leicht gebogenen Kanüle entlang der Falx, bis man auf den Widerstand des Gewebes des Balkens stößt, durchbohrt diesen stumpf, erweitert das Loch durch leichte Bewegungen der Kanüle und vernäht dann die durchtrennten Gewebsschichten sorgfältig. Die wichtigste Operation ist die Trepanation. Führt man sie im Bereich einer Schädelimpressionsfraktur aus, dann wird man natürlich die durch den Bruch geschaffenen Lücken und Risse im Schädel benutzen und von ihnen aus den Schädelknochen in dem notwendigen Umfang temporär oder dauernd entfernen.

Verletzungen und Erkrankungen des Gehirns und seiner H ä u t e

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Abb. 20. Trepanation

Die operative EröfTnung der unverletzten Schädelhöhle stellt einen typischen Eingriff dar. Uber der gewünschten Stelle wird mit der Basis nach unten ein genügend großer Bezirk der Kopfschwarte bogenförmig umschnitten. Der Hautschnitt muß nach allen Richtungen die zu setzende Knochenwunde überragen. Die Stillung der Weichteilblutung erfolgt durch Umstechung der spritzenden Gefäße. An den Ecken der Stellen, an denen der Schädelknochen eröffnet werden soll, wird er mit Kugelfräse oder Trepan angebohrt. Der zwischen den Löchern befindliche Knochen wird rinnenförmig mit Fräsen oder Knochenzangen (L ü e r sehe Hohlmeißelzange, D a h 1 g r e n sehe Knochenzange oder ähnlichen Instrumenten) oder mit der G i g 1 i sehen Säge durchtrennt. Die Anwendung des Meißels ist zu widerraten. Dann wird der so gebildete osteoplastische HautPeriost-Knochenlappen nach unten geschlagen. Die Dura wird kreuzförmig oder türflügelförmig gespalten, so daß die Pia und die Hirnoberfläche freiliegen. Jetzt wird die notwendige Operation ausgeführt, z. B. Narbenlösung bei Epilepsie oder Entfernung eines Hirntumors. Zur Unterbindung von Hirngefäßen bedient man

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Chirurgie des K o p f e s

sich gern feinster Silberklemmen, zu Gewebstrennungen im Gehirn des elektrischen Schmelzschnittes. Alle Manipulationen müssen sehr langsam und vorsichtig ausgeführt, die Hirnoberfläche peinlichst vor Austrocknung bewahrt werden. Die Mobilisation und E n t f e r n u n g eines Hirntumors beansprucht mehrere Stunden. Nach Beendigung der Operation werden Dura und Kopfschwarte vernäht. Die N a h t der letzteren sollte zur Vermeidung von Liquorfisteln nicht einschichtig durchgreifend, sondern in zwei Schichten erfolgen. Handelt es sich um eine E n t lastungstrepanation, so ist der Knochendeckel nicht zurückzuverlagern, sondern vor der N a h t der Kopfschwarte zu entfernen. Die S c h ä d e l p l a s t i k dient dem sekundären knöchernen Verschluß von Lücken im Schädel. Sie m u ß von allen Narben befreit werden, so daß die Knochenränder freiliegen. Zur Ausfüllung des Knochendefekts bedient man sich eines entsprechend geformten Knoclienstückes, welches man entweder aus der Tabula externa des Schädels oder von entfernten Körperteilen (Becken, Schulterblatt, Rippe, Schienbein) entnehmen kann. Zur Behandlung von Geisteskranken aus der Gruppe der Schizophrenie als „psychochirurgische" M a ß n a h m e h a t in letzter Zeit die praefrontale Leukotomie von sich reden gemacht. Sie bezweckt, von einer kleinen T r e p a n a t i o n s öffnung im Bereich beider Scheitelbeine in der Gegend d e r C o r o n a r n a h t mit einem geeigneten I n s t r u m e n t die Leitungsbahnen zwischen Stirnhirn und T h a l a m u s zu d u r c h t r e n n e n , u m d a d u r c h eine U m s t i m m u n g der Psyche zu erzielen. Die Indikation zu diesem Eingriff liegt beim Psychiater ebenso wie die notwendige Nachbehandlung. Die Gefahren (operative Sterblichkeit bis zu 6%) liegen in Blutungen, Hirnschwellung und gelegentlich auch spätepileptischen Anfällen.

Verletzungen und Erkrankungen des Gesichts Die angeborenen H e m m u n g s m i ß b i l d u n g e n Da im embryonalen Leben das menschliche Gesicht aus mehreren Fortsätzen gebildet wird, zwischen denen ursprünglich Spalten bestehen, so ist es verständlich, daß auf Grund irgendeiner H e m m u n g ein Verschluß derartiger Spalten ganz oder teilweise unterbleiben kann. Am Oberkiefer wird die Sachlage noch dadurch kompliziert, daß sich in der Medianlinie zwischen die beiden Oberkieferfortsätze der Nasenfortsatz einschiebt, während der Unterkiefer nur aus dem 1. Kiemenbogen gebildet wird. Aus dieser Tatsache erklärt sich, daß am Oberkiefer die Spaltbildungen besonders häufig sind. Sie pflegen nicht immer, aber doch vielfach erblich zu sein. Die wirkliche Ursache der Spalten ist nicht sicher bekannt. Von den seltenen Spalten seien nur dem Namen nach e r w ä h n t : die mittlere Lippenspalte, die seitliche Nasenspalte, die mittlere Nasenspalte, die quere Gesichtsspalte, die schräge Gesichtsspalte, die mittlere Unterlippen- und Unterkieferspalte. Bei weitem am wichtigsten ist die seitliche Lippenspalte (Cheiloschisis), meist als Hasenscharte bezeichnet. Da sich der Nasenfortsatz mit seinem „Zwischenkiefer" zwischen die beiden Oberkieferfortsätze einschiebt, kann eine solche Spalte sowohl einseitig (häufiger links als rechts) als auch doppelseitig vorkommen. Man h a t errechnet, daß auf 24 000 Kinder eins m i t einer Hasenscharte k o m m t , wobei Knaben häufiger befallen sind. Mitunter ist sie auch m i t einer Spalte im Gaumen kombiniert. Die Spalte kann verschiedene Grade an-

Verletzungen und Erkrankungen des Gesichts

Abb. 21. Unvollständige, seitliche Hasenscharte. Leichteste Form der Hasenscharte

Abb. 22. Vollständige, seitliche Hasenscharte. Schwere Form der Hasenscharte

Abb. 23. Doppelseitige Hasenscharte

nehmen. Bei der leichtesten Art sieht man nur eine leichte Delle im Lippenrot mit einer Verziehung nach oben, ohne daß ein eigentlicher Gewebsdefekt sichtbar wird. Bei der nächstschwereren Form ist eine deutliche Spalte in der Oberlippe vorhanden, welche bis zum Nasenloch reicht und beiderseits mit einem Saum von Lippenrot bekleidet ist. Bei der schweren Form der Hasenscharte reicht diese Spalte bis in die Hinterwand des Nasenloches und durchsetzt auch die Hinterwand der Nase. Alle diese Formen können einseitig und doppelseitig ausgebildet sein. Ist die schwerste Form doppelseitig vorhanden, dann pilegt der Zwischenkiefer mit dem Philtrum der Nase bürzelförmig vorzustehen.

Die Hasenscharte bringt nicht nur eine sehr störende Entstellung des Gesichts mit sich, sondern kann auch zu schweren Ernährungsstörungen, beson-

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Chirurgie des Kopfes

ders im Säuglingsalter, führen. Die Ernährung durch das normale Saugen an der mütterlichen Brust oder auch der Milchflasche ist unmöglich, so daß die Kinder mit dem Löffel gefüttert werden müssen. Hierbei kommt es leicht zum Verschlucken der Nahrung und zu Pneumonien, welche das Leben der Kinder gefährden. Die Behandlung kann nur in einem sachgemäßen operativen Verschluß der Spalten bestehen. Der Eingriff soll nicht zu lange hinausgeschoben werden. Der 2., höchstens der 3. Lebensmonat dürfte der beste Zeitpunkt sein. Zahlreiche ältere Verfahren der Operation haben nur noch historisches Interesse. Die anzuwendenden Operationsverfahren haben folgende Grundsätze zu berücksichtigen. Am knorpligen Teil des Zwischenkiefers dürfen keine Eingriffe (Durchtrennungen, Zurückdrücken oder dergleichen) ausgeführt werden, auch wenn der Zwischenkiefer wie stets bei den doppelseitigen Scharten stark vorspringt. Die Rücklagerung und Einfügung des Zwischenkiefers muß den Naturkräften der geschlossenen Lippe überlassen werden. Kein Gewebe, besonders kein Lippenrot, darf exstirpiert werden. Bei der Operation muß das von der Spalte betroffene Nasenloch sorgfältig geformt werden. Stets ist eine dreischichtige Naht anzuwenden. Entspannungsnähte durch die Wangenmuskulatur haben für Entspannung der eigentlichen Nahtreihen zu sorgen. Eine gleichzeitig bestehende Gaumenspalte ist nicht zu schließen, dies hat später, etwa nach einem Jahr, zu erfolgen. Die Erfahrungen von V e a u und A x h a u s e n entsprechen diesen Forderungen. Der Eingriff wird in oberflächlicher Vinyläthernarkose ausgeführt, welche von den Säuglingen ausgezeichnet vertragen wird. Bei doppelseitigen Hasenscharten kann ein zweizeitiges Vorgehen angezeigt sein. Die andere wichtige Spaltbildung ist die Gaumenspalte (Urano- oder Palatoschisis). Sie entsteht aus einer Entwicklungshemmung im 3. Fötalmonat und besteht darin, daß der harte und weiche Gaumen in verschiedener Ausdehnung bis zum Zäpfchen von einer Spalte durchsetzt sind. Häufig sind gleichzeitig Hasenscharten vorhanden. Auch durch diese Spalte werden schwere Störungen im Schluckakt und später in der Sprache hervorgerufen. Das Verschlucken, bei dem die Speisen, besonders Getränke, aus der Nase wieder herausfließen, ist unschön, aber relativ harmlos; das Verschlucken in die Luftröhre wegen des Defekts des Gaumensegels ist sehr viel schwerwiegender. Die Sprache wird nasal und sehr schwer verständlich. Besonders die Wiedergabe der Konsonanten ch, s, v, f, p, c, g, k

Verletzungen und E r k r a n k u n g e n des Gesichts

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ist sehr erschwert. J e später die Spalte zum Verschluß gebracht wird, um so schwerer ist es, eine normale Sprache zu erzielen. Der beste Zeitpunkt für die Vornahme des Eingriffs dürfte die erste Hälfte des zweiten Lebensjahres sein. Die auch heute f ¿JmES^ noch üblichen Operationsmethoden S-T gehen auf v o n G r a e f e und v o n L a n g e n b e c k (Chirurgische UniMi fUi Z versitäts-Klinik Berlin, Ziegelstraße) f m H B ^ zurück. Am zweckmäßigsten sind die L )JmI ' ¡[¡mßrjML.. Verfahren von E r n s t , V e a u und A x h a u s e n . Letzteres sei kurz bemf schrieben. Die Operation wird zur Vermeidung von Aspiration an hängendem Kopf in Narkose ausgeführt. Beiderseits der Spalte und an der Zahn, reihe wird die Schleimhaut durchtrennt. Sowohl die nach dem Rachen als auch nach der Nasenhöhle zu gelegenen Schleimhautflächen werden

Abb. 26. Operation der Gaumenspalte nach A x h a u s e n . Beginn des Nahtverschlusses Abb. 25 — 27.

Aus

Axhausen,

Abb. 25. Operation der Gaumenspalte nach A x i l a u s e i l . Ablösung der Schleimhautplatte

Abb. 27. Operation der Gaumenspalte nach A x h a u s e n . N a h t der palatinalen Schleimhaut

Technik und Ergebnisse

der Gaumenplastik,

1936

von dem harten Gaumen und von der Muskelplatte des weichen Gaumens mit Schere oder Messer sorgfältig abgelöst (Abb. 25). Dann wird zunächst die

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Chirurgie des Kopfes

nach der Nase zu gelegene Schleimhaut genäht (Abb. 26, weiße Fäden), darauf folgt die Naht der Muskelplatte des weichen Gaumens (Abb. 26, schwarze Fäden). Wenn dies geschehen ist, wird auch die palatinale Schleimhaut genäht (Abb. 27). Die Wundflächen in der Pharynxtasche werden mit Vioformgaze tamponiert. Zum Abschluß der Operation wird eine Zelluloidplatte, die über den Alveolarfortsatz greift, angelegt, welche nach einem Gipsabdruck angefertigt wurde, den man von dem Gaumen vor der Operation herstellte. Die Platte darf den Gaumen nirgends drücken. Sie schützt die Naht vor schädlichen Berührungen mit der Zunge. . Nach Abschluß der gelungenen Gaumennaht sind systematische Sprechübungen durch einen Sprachlehrer notwendig. Hierdurch können erstaunliche Ergebnisse auch bei Jünglingen und Erwachsenen erzielt werden. Wurde die Operation im frühen Kindesalter ausgeführt, ist dieser Sprachunterricht nicht so wichtig. Die Anfertigung eines vom Zahnarzt herzustellenden und an den Zähnen des Oberkiefers zu befestigenden Obturators zum Abschluß der Nasenhöhle von dem Rachen ist nur noch sehr selten notwendig, meist dann, wenn es nach unzweckmäßig ausgeführten Operationen zu einem Rezidiv der Gaumenspalte gekommen ist. Aber auch in diesen Fällen ist es ratsam, mittels eines durch die MundöiTnung hineingeleiteten langen Rundstiellappens aus der Haut des Halses und der Brust den Defekt plastisch zu decken. Seine Größe ist in diesem Falle von untergeordneter Bedeutung, da an der Spendestelle stets genügend Haut zur Verfügung stehen wird, Verletzungen des Gesichts Die Wunden des Gesichts heilen viel schneller als gleichartige Verletzungen an anderen Körpergegenden. Wegen des Gefäßreichtums bluten die Wunden anfänglich stark. Die Blutung pflegt jedoch innerhalb kurzer Zeit von selbst zu stehen, wenn nicht große Arterien verletzt sind. Besonders häufig betroffen ist die Arteria temporalis, deren Unterbindung von der Verletzungsstelle keine Schwierigkeiten bereitet. Stichverletzungen der Maxillaris interna können schwer zu beherrschende Blutungen erzeugen, bei denen schon die Unterbindung der Arteria carotis externa ausgeführt worden ist. Wenn Lappen der Gesichtshaut oder der Nase vollkommen abgetrennt sind, kann man versuchen, die Hautlappen nach Abspülen in physiologischer Kochsalzlösung anzunähen. Mitunter heilen sie an. Wenn sie nekrotisch werden, hat der Versuch nichts geschadet. Die Verletzung des Nervus facialis nahe dem Ohr kommt bei allen möglichen Unfällen, besonders bei Schnittwunden, vor. Die Folge ist die sehr störende und entstellende Lähmung der mimischen Gesichtsmuskulatur. Daher sollte man schon bei der Versorgung der primären Wunde die durchschnittenen Fazialisäste aufsuchen und nähen. Sekundär ausgeführte Neurolysen und Nervennähte sowie Nervenpfropfungen (z. B. des Nervus hypoglossus oder accessorius) haben keineswegs immer ein befriedigendes Ergebnis. Bei ausgebildeter Fazialislähmung können Muskelplastiken aus Masseter und Temporalis zum Ersatz der wichtigsten Funktionen der mimischen Muskulatur ausgeführt werden. Bei Schußwunden des Gesichts ist die Heilungstendenz ebenfalls sehr gut. Ist der Mundboden verletzt, dann sinkt die Zunge zurück und verlegt die Atemwege. Sie muß mit einem Faden, der aus dem Mund herausgeleitet wird, an.

Verletzungen und Erkrankungen des Gesichts

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geschlungen und nach vorn gezogen werden, bis die Wunde definitiv versorgt ist. Bei schweren Verletzungen des Gesichts kann die Ausführung der Tracheotomie notwendig werden. Die spätere Wiederherstellung einer annehmbaren Gesichtsform erfordert zahlreiche plastische Operationen. Die Erfrierungen pflegen an der Gesichtshaut nur in seltenen Ausnahmefällen über die Blasenbildung hinauszugehen. An Nase und Ohren ist dieses bedeutend häufiger. Die Erfrierungen können teilweise besonders gerötete oder später auch auffallend blasse Narben hinterlassen, die unschön wirken. Verbrennungen und Verätzungen sind leider nicht allzuselten (Industrieverletzungen, Kraftwagen- und Flugzeugunfälle) und können zum Verlust großer Teile der Gesichtshaut führen. Die harten, häufig keloidartig veränderten Narben verursachen Verziehungen der Augenlider und der Mundöffnung und vermögen so entstellend zu wirken, daß die Menschen die Gesellschaft anderer meiden, in schwere psychische Depressionen verfallen und sogar zum Selbstmord getrieben werden können. Durch Hautplastiken der verschiedensten Art kann der Zustand sehr weitgehend gebessert werden. Entzündungen des Gesichts Der Gesichtsfurunkel pflegt seinen Sitz hauptsächlich an der Stirn, am Naseneingang und an den Lippen zu haben. Er ist stets als ernstes, lebensbedrohendes Leiden zu betrachten, denn auch zunächst harmlos aussehende Furunkel können sich plötzlich nach unzweckmäßiger Behandlung, aber auch ohne ersichtlichen Grund, in die bösartige Form umwandeln. In der Umgebung des Furunkels kommt es immer zu einer erheblichen Rötung mit Infiltration des Gewebes und Ödem der Gesichtshaut, die gespannt und glänzend wird. In einigen Tagen bildet sich die bekannte zentrale Nekrose mit dem gelben Pfropf. Zur Behandlung wird man Sulfonamide und Penicillin anwenden und sonst das Ziel verfolgen, jede mechanische Reizung der entzündeten Gegend zu unterlassen. Hierzu gehört auch die Inzision. Streng verboten und als Kunstfehler zu bezeichnen ist der Versuch des Ausdrückens des zentralen Nekrosepfropfes. Nur wenn er vollkommen gelöst ist und frei in der Demarkationshöhle liegt, kann man ihn mit einer Pinzette vorsichtig herausziehen, wenn dies ohne Druck auf das umgebende entzündete Gewebe möglich ist. Diese negativen Behandlungsvorschriften sind vielleicht wichtiger als die positiven. Sie bestehen in Bedecken des Furunkels mit einem indifferenten Salbenverband, bei den geringsten Allgemeinerscheinungen (Fieber, Kopfschmerz) in strenger Bettruhe, Verbot des Sprechens und Kauens, eventuell verbunden mit auch mehrtägigem Fasten und Flüssigkeitsaufnahme durch Rektaleinläufe oder durch Saugen mit Glasröhre, um jede Bewegung der Gesichtsweichteile zu verhüten, Anwendung der B i e r sehen Dauerstauung am Hals. Zur Beschleunigung der Einschmelzung kann Kurzwellendurchflutung angewendet werden. Röntgenreizbestrahlung des entzündeten Bezirks kann angewendet werden. Energisches Abführen mit Rizinusöl, innerliche Gaben mit viel Alkohol, Sulfonamidstoßtheraphie, Penicillininjektionen sind anzuraten. Sehr oft pflegen in den schweren Fällen auch diese Mittel den ungünstigen Verlauf des Leidens nicht aufzuhalten. Aus dem Furunkel entwickelt sich eine harte Schwellung der Wange oder der Lippen mit erheblicher Volumenzunahme (,.rüsselförmige" Verdickung der Lippen), Ödem der Augenlider, hohes Fieber,

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Chirurgie des Kopfes

Zeichen der Allgemeininfektion. Aus dem örtlichen Furunkel wird die fortschreitende Phlegmone. Auf dem Blutwege kommt es zur Weiterleitung des Entzündungsprozesses in das Schädelinnere mit Ausbildung einer eitrigen Sinusthrombose, Meningitis und damit zum Tode. Die Gesichtsphlegmone kann sich aus einem Gesichtsfurunkel durch Fortschreiten der Entzündung in die Nachbarschaft entwickeln, ebensogut aber auch als Folgezustand einer infizierten Verletzung, besonders wenn dieselbe unzweckmäßig versorgt worden ist. Wurde beispielsweise eine Wunde nicht exzidiert, sondern nur oberflächlich „geklammert", so daß in ihrer Tiefe Infektionserreger zurückblieben, dann können die sich entwickelnden Wundsekrete durch die verschlossene WundöfTnung nicht nach außen gelangen, werden in die umgebenden Gewebe gepreßt und führen so zur Phlegmone. Auch durch die Fortleitung einer Entzündung der Nachbarschaft (Kiefer, Nebenhöhlen, Parotis, Hals, Kopf schwarte) kann eine Gesichtsphlegmone hervorgerufen werden. Meist pflegt die Ausbreitung nach der Tiefe zu erheblicher zu sein als nach der Breite. Neben der Eiterbildung kommt es manchmal auch zu einer stärkeren Gewebsnekrose. Das klinische Bild zeigt eine Schwellung und Rötung der Gesichtshaut mit Ödem der Umgebung und ansteigender Körpertemperatur sowie recht schwerem Krankheitsgefühl. Die Lokalisation der ersten Erscheinungen ist wichtig für die Beurteilung, wo man den Primärherd zu suchen hat. Es pflegen zu erscheinen Eiterungen an der Schädelbasis in der Gegend des Jochbogens, des Inneren der Orbita an den Augenlidern, des Oberkiefers seitlich der Nase über der Oberlippe oder hinter dem Masseter, gelegentlich auch in der Temporalgegend, des Unterkiefers am Unterkieferrand und den oberen Teilen des Halses. Die Behandlung muß wegen des bedrohlichen Charakters der Erkrankung frühzeitig in einer Freilegung des primären Eiterherdes und in Anwendung hoher Dosen von Penicillin bestehen. Sitzt der Herd an einem Zahn, so ist er zu extrahieren, auch wenn er vielleicht mit konservativen Methoden zu erhalten wäre, denn die Gesichtsphlegmone ist eine schwere, lebensbedrohende Erkrankung, die radikale Sofortmaßnahmen erfordert, wenn sie nicht zum Tode führen soll. Die Ermittlung des Eiterherdes ist nicht immer leicht. Auch Probepunktionen in verschiedenen Richtungen können ergebnislos verlaufen. Ist dies der Fall, dann mache man tiefe Inzisionen in die Gegend der stärksten Druckschmerzhaftigkeit. Auch wenn man nicht auf Eiter stoßen sollte, so wirkt die Gewebsspaltung durch Verminderung des Gewebsdruckes sehr günstig auf den Entzündungsprozeß. Ein versteckt liegender und nicht durch die Inzision

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eröffneter Abszeß pflegt in kürzester Zeit nach der Inzisionswunde hin sich zu entwickeln und in sie durchzubrechen. Einer sich ausbildenden Kieferklemme vermag man durch Einschieben von Holzkeilen zwischen die Zahnreihe entgegenzuwirken. Durch B i e r sehe Stauung am Hals kann der Heilungsprozeß günstig beeinflußt werden. Von den verschiedenen intravenös injizierten Mitteln (kolloidale Metallpräparate, Desinfektionsmittel und dergleichen) habe ich keinen überzeugenden Erfolg gesehen. Da man den Krankheitsablauf durch mehrfach angelegte Blutkulturen kontrollieren soll, so kann man sie bei dieser Gelegenheit injizieren, denn vielleicht können sie doch eine drohende Allgemeininfektion verhindern oder eine bestehende leichte Form zur Heilung bringen. Die innerliche Darreichung von konzentriertem Alkohol (Weinbrand oder Liköre je nach Geschmack) in größeren Mengen wird empfohlen. Das Erysipel des Gesichts ist eine nicht allzuseltene Erkrankung. Die Krankheitserreger pflegen durch Schrunden am Naseneingang (z. B. nach Schnupfen) in den Körper einzudringen. Sie breiten sich längs der Lymphspalten, besonders der oberflächlichen Koriumschichten ; aus. Stets ist die entzündliche Rötung scharf begrenzt, häufig beobachten wir eine symmetrische Ausbreitung nach beiden Wangen in der charakteristischen Schmetterlingsform. Die Krankheitserscheinungen beginnen mit Schüttelfrost, Fieberanstieg und Kopfschmerzen, dann entwickelt sich die fortschreitende, scharf begrenzte Schwellung und Rötung der Haut, in der ein deutliches Spannungsgefühl auftritt und welche druckschmerzhaft wird. Das Allgemeinbefinden kann erheblich gestört sein, das Fieber bis 40° ansteigen. In schweren Fällen kommt es zur Blasenentwicklung, mitunter sogar zur Gewebsgangrän. Meist pflegt der behaarte Teil der Kopfhaut nicht befallen zu werden. Wir erleben abortive Formen, welche nach 3 Tagen abklingen; im Regelfalle pflegt die Entzündung nach 10 Tagen auszuheilen. Leider neigen die Kranken zu Rezidiven, die sich mehrfach wiederholen können. Auch Ubergreifen auf andere Körperstellen und ein dadurch bedingter wochenlanger Krankheitsverlauf kommen vor. Die schweren Formen führen zu Orbitalphlegmonen, Meningitis, Herzschwäche und dann zum Tode. Die Gesamtsterblichkeit beträgt etwa 10%. Die Behandlung war bis vor kurzem nur symptomatisch. Den Sulfonamiden und antibiotischen Mitteln wird eine spezifische Heilwirkung bei Streptokokkenerkrankungen zugeschrieben. Neben seiner Anwendung wird man feuchte Umschläge nach Einfetten der Haut, um Mazerationen zu vermeiden, oder Verbände mit indifferenten Salben verordnen. Die Herztätigkeit bedarf besonders bei älteren Leuten dauernd der Überwachung und gegebenenfalls der Stützung durch analeptische Medikamente. Energisches Abführen ist notwendig, am besten mit Rizinusöl. Zu den unspezifischen Entzündungen des Gesichts ist auch die Noma (der Wangenbrand) zu rechnen, obwohl sein Erreger nicht bekannt ist. Sie ist eine seltene Erkrankung geworden. Befallen werden heruntergekommene, schlecht ernährte Kinder besonders nach eben überstandenen Infektionskrankheiten. Es bildet sich eine von der Mundschleimhaut zur Haut fortschreitende und die ganze Dicke der Wange befallende feuchte Gewebsgangrän von kreisrunder Form. Der wässerige Zerfall des Gewebes kann sehr schnell innerhalb weniger Tage die gesamte Wange ergreifen, ohne daß man vom umgebenden, gesunden Gewebe Rostock,

L e h r b u c h d e r speziellen Chirurgie. .'¡. A u f l .

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Chirurgie des Kopfes

Zeichen einer Abwehrreaktion erkennt. Das Leiden führt fast immer zur Allgemeininfektion oder Schluckpneumonie und endet in drei Viertel der Fälle tödlich. Auch zu lebensbedrohenden Blutungen aus arrodierten Gefäßen kann es kommen. Eine wirksame Behandlung ist nicht bekannt. Man kann versuchen, durch Entfernung des erkrankten Gewebes mit dem elektrischen Schmelzschnitt dem Leiden Einhalt zu gebieten. Gelingt dies, so bleiben sehr große Gewebsdefekte zurück, welche schwierige Plastiken notwendig machen. Bei den spezifischen Entzündungen des Gesichts ist zunächst der Milzbrandkarbunkel (Pustula maligna) zu nennen. Die Erkrankung kommt vorwiegend bei Landarbeitern, Fleischern, bei Arbeitern, welche Felle sortieren und verarbeiten, seltener nach oberflächlichen Verletzungen mit Bürsten oder Rasierpinseln zustande. Die Entzündungserscheinungen beginnen mit einem blauroten, nicht bösartig aussehenden Bläschen, welches mit einem schwarzen Schorf eintrocknet. In der Umgebung treten dann neue Bläschen und ein sehr starkes Ödem, jedoch keine erhebliche reaktive Rötung auf. Besonders charakteristisch ist der schwarze Schorf in der Mitte des Karbunkels, der ihm den Namen Anthrax gegeben h a t . Die Entzündung kann sich an allen Hautstellen entwickeln. Geschieht dies im Gesicht, so ist die Prognose besonders ernst. Bei geeigneter Therapie kann man aber mit Heilung in 2/3 bis % der Fälle rechnen. Die Behandlung hat streng konservativ zu erfolgen. Jede Inzision und jedes Manipulieren an dem Schorf hat unbedingt zu unterbleiben. Verbände mit indifferenten Salben sind am Platze. Droht eine Allgemeininfektion mit Milzbranderregern oder ist sie schon eingetreten, sind Injektionen von Neosalvarsan angezeigt. Milzbrandserum kann versucht werden. Die Aktinomykose des Gesichts pflegt von der Mundschleimhaut ihren Ausgang zu nehmen und dort durch Eindringen der Erreger in kleine Wunden (Verletzungen durch Getreidegrannen, Grashalme und dergleichen) hervorgerufen zu werden. Die Gesichtshaut wird bretthart infiltriert, schwillt an. In ihr bilden sich an mehreren Stellen kleine, langsam sich entwickelnde Einschmelzungsherde, in deren Eiter sich die charakteristischen Pilzdrusen makroskopisch und mikroskopisch nachweisen lassen. Aus den Abszessen entstehen langwierige Fisteln mit schlaffer Granulationsauskleidung. Die Behandlung kann in sorgfältigem Auskratzen der Fistelgänge mit anschließender innerlicher Darreichung von Jodkali (2 g pro Tag) und gleichzeitiger Röntgenbestrahlung oder in Jodiontophorese bestehen. Rezidive sind

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nicht selten, daher ist regelmäßige ärztliche Überwachung der Kranken erforderlich. Die Tuberkulose der Gesichtshaut kann je nach dem hauptsächlichsten Sitz der Erkrankung in der Kutis selbst oder in der Papillenschicht oder im subkutanen Gewebe und auch je nach der Ausbreitungsform in der Haut in verschiedener Weise auftreten. Man pflegt alle mit dem Namen Lupus zu belegen. Beim ersten Auftreten bildet sich an umschriebener Stelle ein kleines Knötchen (Lupus verrucosus), das an Größe zunehmen und über die umgebende Haut vorragen kann (Lupus hypertrophicus). Dieser Primärherd kann mit einer weißlichen, schilfernden Narbe ausheilen (Lupus ex(oliativus), während an anderer Stelle sich neue Knötchen bilden oder der tuberkulöse Prozeß in das Unterhautzellgewebe fortschreitet (Scrophuloderma oder Tuberculosis colliquativa). Andererseits kann das Knötchen aber geschwürig zerfallen (Lupus exulcerans) oder sich flächenhaft in die Umgebung ausbreiten (Lupus serpiginosus). Gelegentlich erfolgt dieses Ausbreiten recht schnell und dann unter gleichzeitigem Fieber und Allgemeinstörungen (Lupus erythematosus disseminatus). Für gewöhnlich ist der Verlauf aber äußerst chronisch und zieht sich über viele Jahre und Jahrzehnte Abb. 30. Lupus des Gesichts hin. Weiterhin ist es die Regel, daß alle die vorstehend genannten Formen nebeneinander zu beobachten sind. Daher ist ihre Unterscheidung für die Praxis von untergeordneter Bedeutung. Es genügt, wenn man nur von „Lupus" spricht. Die erste Lokalisation pflegt in der Umgebung der Nasenlöcher und der Wange zu sitzen und in der zweiten Hälfte des zweiten Lebensjahrzehntes aufzutreten. Im Anfang sind es stecknadelkopfgroße, gelbbraune Borken, welche nicht beachtet werden und die erst, wenn sie immer weiter fortschreiten, den Kranken zum Arzt führen. Werden die Borken entfernt, so kommt man auf schlaffe Granulationen, welche sich unter der gesunden Haut fortsetzen, so daß die Ränder der Geschwüre unterminiert sind. Stets finden wir Stadien der Ausheilung und des Fortschreitens des Krankheitsprozesses nebeneinander. Auch Knorpelgewebe (Nase, Ohr, Augenlider) werden von den tuberkulösen Granulationen zerfressen. Die Narben schrumpfen sehr stark, sind von weißlicher Farbe und mit einzelnen Kapillaren durchsetzt. Es kommt zu Verunstaltungen des Gesichts, Ektropium der Augenlider, teilweiser Zerstörung der Nase, Verziehung und Verengerung der Nasenlöcher und des Mundes. Von einem Lupus kann auch einmal ein Erysipel seinen Ausgang nehmen. Man glaubt, beobachtet zu haben, daß dieses Ereignis eine günstige therapeutische Wirkung auf die 4*

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Hauttuberkulose habe. In jahrzehntelang bestehenden Lupusherden vermag sich auch ein Karzinom zu entwickeln. Metastasierung der Hauttuberkulose in andere Körperstellen kommt vor, ist aber nicht häufig. Die Behandlung, besonders beginnender Herde, ist aussichtsreich und kann auf verschiedene Weise vorgenommen werden. Die örtlich chemische Therapie (mit 10% Pyrogallussalbe) ist in der Wirkung nicht konstant. Besser wirkt die mechanische Exstirpation der erkrankten Stellen mit scharfem Löffel oder mit der elektrischen Schmelzschnittschlinge oder durch elektrische Koagulation mit anschließender Defektdeckung mittels freier Hautüberpflanzung. Meist sind mehrere Sitzungen notwendig, in denen erneut aufgetretene Knötchen angegangen werden müssen. Auch Röntgenbestrahlung und die Finsenbestrahlung mit Kohlenbogenlicht sind .ratsam. Neben jeder örtlichen Maßnahme hat auch eine Allgemeinbehandlung durch Sonnenbestrahlung und Ernährung zu erfolgen. Gerade der Lupus reagiert sehr gut auf die kochsalzfreie Diät nach G e r s o n , H e r m a n n s d o r f e r, S a u e r b r u c h . Ob die moderne Chemotherapie sehr viel besseres zu leisten imstande ist, wird die Zukunft lehren. Die Lues trilt im Gesicht häufig auf. Der PrimäralTekt sitzt vorzugsweise in der Umgebung des Mundes und an der Wange. Er stellt ein schmerzloses Ulcus mit zackigen, aufgeworfenen Rändern dar, verbunden mit indolenten Schwellungen der Lymphdrüsen am Hals nahe dem Unterkiefer. An der Stirn beobachten wir nahe der Haargrenze kleine, zerfallende und vernarbende Infiltrationen (Corona veneris) mit verdickten, aufgeworfenen Rändern und speckig belegtem Geschwürsgrund. Es kann gelegentlich einmal zu Verwechslungen mit Lupus kommen. Die Gummen im Bereich der Nase führen zu Zerstörung des Knorpels und durch Einbrechen des Nasengerüstes zur Sattelnase. Die Behandlung richtet sich gegen das Grundleiden (Neosalvarsan, Wismut, Penicillin usw.). Der Rotz (Malleus) entwickelt sich akut mit Pusteln, Knoten und Geschwüren sowie einem Hautinfiltrat, welches dem Erysipel ähnlich ist. Die Erkrankung pflegt innerhalb weniger Tage zum Tode zu führen. Eine chronische Form beobachten wir bei Menschen, welche mit Pferden zu tun haben, oder nach Laboratoriumsinfektionen. Es treten in Mundschleimhaut und Gesichtshaut zum Zerfall und zur Geschwürsbildung neigende Knötchen und Infiltrate auf, die in die Umgebung fortschreiten und die gesunde Haut buchtig unterminieren. Verwechslungen mit Tuberkulose, Aktinomykose und Lues kommen vor. Die Erkrankung ist sehr infektiös, so daß die Kranken streng abgesondert werden müssen. Zur Behandlung kann man örtliche Ätzungen mit chemischen Mitteln oder Elektrokoagulation sowie Allgemeinbehandlung mit Quecksilber (Schmierkur) und einem Extrakt aus Rotzbazillen (Mallein) anwenden. Die zahlreichen Ekzeme des Gesichts, die Aknepusteln, der Herpes, die Bartflechte gehören in das Gebiet der Dermatologie.

Geschwülste des Gesichts Von den gutartigen Geschwülsten seien erwähnt Dermoidzysten an der Nasenwurzel sowie am äußeren (häufiger) oder inneren Rand der Augenlidspalte, Atherome, kleine Adenome der Talgdrüsen und Schweißdrüsen (aus

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denen sich im höheren Lebensalter Karzinome entwickeln können), Fibrome und Neurofibrome, Lipome (selten) und besonders häufig Warzen als Pigmentmale ohne Haare (Naevus pigmentosus) oder mit solchen (Naevus pigmentosus pilosus). Aber auch papillomatöse Warzen (Verruca mollis) oder solche mit harter Konsistenz (Naevus verrucosus durus) oder m i t hypertrophischer Verhornung (Cornu cutaneum) kommen vor. Alle diese Geschwülste lassen sich leicht in örtlicher Betäubung entfernen. Dadurch beseitigt man das unschöne Aussehen und etwa später drohende Gefahren. Hierher m u ß man auch die besonders an der Nase im Gefolge der Akne rosacea auftretende Hypertrophie des Bindegewebes rechnen, welche mit einer Vergrößerung und Erweiterung der Talgdrüsen und einer Vermehrung der Hautkapillaren einhergeht. Wir pflegen den Zustand meist als Rhinophym (Pfundnase) zu bezeichnen. Sie braucht durchaus nicht nur nach übermäßigem Genuß von Schnaps oder Wein aufzutreten. Vorwiegend wird sie bei Männern beobachtet. Die chirurgische Behandlung ist fast immer von dem gewünschten Erfolg begleitet. Empfohlen werden Schälkuren mit 10% Schwefelsalbe oder Betupfen mit Besorzinspiritus, auch Alkoholinjektionen, Stichelungen, Keilexzisionen. Am wirksamsten dürfte das Abschälen der oberflächlichen Schichten mit dem Messer sein. Die Uberhäutung der dadurch gesetzten, den ganzen betrofAbb. 31. R h i n o p h y m fenen Nasenteil einnehmenden W u n d e erfolgt von den tief im Gewebe liegenden zurückgelassenen Resten der Talgdrüsen. Dieser Eingriff stellt die beste Behandlungsmethode dar. An der H a u t des Gesichts zeigen Narben mitunter die Neigung, Keloide zu bilden, welche sehr entstellend wirken können. Die Behandlung nur durch Exzision f ü h r t meist zum Rezidiv. Die Kombination des operativen Verfahrens mit Röntgen- und Radiumbestrahlung zeitigt die besten Ergebnisse. Die von den Lymphdrüsen ausgehenden Tumoren in Form des Lymphangioma simplex oder cavernosum führen zu einer diffusen, meist einseitigen Vergrößerung der Weichteile der Wangen (Makromelie) und Lippen (Makrocheilie), welche sich schwammig anfühlen, aber sich nicht immer durch Druck sichtbar verkleinern lassen. Die völlige E n t f e r n u n g durch Radikaloperation ist meist nicht durchführbar, da das gesamte Gewebe diffus von dem Tumor durchsetzt ist, ohne daß er jedoch malignen Charakter hat. Keilexzisionen an verschiedenen Stellen ergeben mindestens deutliche Besserungen. Auch Injektionsbehandlungen m i t hochprozentigen Traubenzuckerlösungen oder Radiumbestrahlungen können Heilung bringen.

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Die von den Blutgefäßen ausgehenden Geschwülste können in mehreren Formen auftreten. Oberflächlich in der Haut gelegen sind die Muttermale (Teleangiektasien oder Hämangioma simplex). Es sind verschieden große, hellrote bis blaurote, leicht erhabene Flecken in der Haut, welche zuweilen ziemliche Größe erreichen. Im Kindesalter können sie noch wachsen, um später nicht mehr an Größe zuzunehmen. Die Behandlung dieser Muttermale erfolgt bei kleiner Ausdehnung und Sitz an anatomisch nicht besonders schwieriger Stelle am besten durch Exstirpation. Häufig wird sich dies besonders beim Sitz in der Umgebung der Augenlider und an der Nase nicht durchführen lassen. Dann kann man ihre Verödung durch Stichelung mit der Diathermienadel oder durch Gefrierenlassen mittels Kohlensäureschnees oder flüssiger Luft oder durch Röntgenrespektive Radiumbestrahlung erreichen. Die kavernösen Hämangiome bilden eine meist umschriebene, kissenartige Anschwellung der Haut, welche über dem Tumor verdünnt Abb. 32 ist und das Blut bläulich H ä m a n g i o m a s i m p l e x des Gesichtes durchschimmern läßt. Sie können sehr verschieden groß sein und mitunter sich diffus in die Nachbarschaft ausbreiten. Die Geschwülste bestehen aus einer Ansammlung untereinander kommunizierender Hohlräume. Fast stets lassen sie sich deutlich ausdrücken, um sich aber beim Aufhören des Druckes sofort wieder zu füllen und beim Pressen eine pralle Konsistenz anzunehmen. Kombinationen mit Lymphangiomen und auch mit Lipomen kommen vor. Die Behandlung erfolgt bei geringer Ausdehnung am besten durch E x stirpation. Man muß jedoch berücksichtigen, daß sich diese Hämangiome auch unter äußerlich unveränderter Haut weit in die Umgebung ausbreiten können. Teilexzisionen sind meist mit einem sehr großen Blutverlust verbunden und bei der Unsicherheit der Naht auch mit Nachblutungsgefahr. Die Heilungsergebnisse dieses Verfahrens sind nicht gut. Stichelungen mit der elektrischen Koagulationsnadel oder Injektionen von Thrombose erzeugenden Mitteln (konzentrierte Traubenzuckerlösungen), vielleicht auch Radiumbestrahlungen in Kombination mit Spickung des Tumors sind zu empfehlen, wenn eine radikale Exstirpation nicht ausführbar ist.

Verletzungen und Erkrankungen des Gesichts

Die arterielle Gefäßgeschwulst (Angioma arteriale racemosum) ist nicht häufig und kommt an der Stirn und besonders an der Schläfengegend am behaarten Kopf vor. Sie bildet eine Anhäufung geschlängelter Arterien, welche durch ihre Pulsalionen einen eigenartigen, nicht zu verkennenden Anblick bieten. Die Geschwulst hat die Neigung zur Ausbreitung. Die Gefahr besteht in schwersten, ja tödlich endigenden Blutungen bei an und für sich geringfügigen Verletzungen dieser Gegend. Außerdem werden die Träger durch Gefäßgeräusche belästigt. Die Behandlung besteht in der Exstirpation aller geschlängelten Gefäße mit Unterbindung der zuführenden und abführenden Arterien. Unter den bösartigen Geschwülsten des Gesichts ist das Karzinom bei weitem das Wichtigste. Es kommt überwiegend bei alten Leuten vor und ist gerade im Gesicht nicht zu selten multipel. Wir unterscheiden als seltenste Form das papillöse Hautkarzinom, welches sich durch blumenkohlartiges Wachstum auszeichnet, frühzeitig Metastasen setzt und daher als sehr bösartig angesprochen werden muß. In diese Gruppe gehört auch das Lupuskarzinom, welches sich auf jahrzehntelang bestehenden Lupusherden entwickelt. Es zeigt ebenfalls sehr schnelles Wachstum und führt rasch zum Tode. Auf Röntgenbestrahlungen spricht es im Gegensatz zu anderen Gesichtskarzinomen sehr schlecht an. Fine häufige Form ist das flache Hautkarzinom. Die früher üblichen Bezeichnungen Ulcus rodens oder Kankroid sollte man nicht anwenden, da sie geeignet sind, den Charakter zu verschleiern.

Abb. 33 Hämangiom» euvernosum

Abb. 34 Lupuskarzinom

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Diese Tumoren entstehen besonders gern bei alten Leuten, deren Gesicht das Leben lang den Sonnenstrahlen und den Unbilden der Witterung ausgesetzt war (Bauarbeiter, Landarbeiter, Seeleute, Förster). Vielleicht sind die bräunlichen hyperkeratotischen Flecken im Gesicht alter Menschen (Seborrhoea senilis) ein Vorstadium dieser Karzinome. Besonders häufige Stellen der Entwicklung sind Stirn, Nase, Augenwinkel. Multiples Auftreten ist häufig. Die Geschwülste bilden zunächst harmlos aussehende, ganz

A b b . 35. P l a t t e n e p i t h e l k a r z i n o m der H a u t

A b b . 36- Basalzellenkarzinom der H a u t

oberflächliche Geschwüre, welche sich mit einer Borke bedecken und die umgebende Haut leicht strahlenförmig heranziehen. Selbstheilungen an umschriebener Stelle sind beobachtet worden, beispielsweise im Zentrum des primären Auftretens, während das Tumorwachstum nach der Peripherie langsam fortschreitet. Das Wachstum ist äußerst langsam und kann sich über viele Jahre erstrecken, ohne daß der Tumor nennenswerte Größe erreicht und dem Träger stärkere Beschwerden macht. Daher kommen derartige Kranke oft ziemlich spät in ärztliche Behandlung. Die Metastasierung in den regionären Lymphdrüsen erfolgt spät. Diese Gutartigkeit des Karzinoms ist aber nur scheinbar. Es greift in der Tiefe rücksichtslos auf benachbarte Teile des Gesichts wie Schleimhäute,Schädelknochen, Auge über und zerstört sie, so daß der betreffende Teil

V e r l e t z u n g e n u n d E r k r a n k u n g e n des Gesichts

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A b b . 37 A b b . 38 A b b . 37 u n d 38. B a s a l z c l l e n k a r z i n o m vor u n d n a c h der B e s t r a h l u n g

zerfressen wird und Scliädelnebenhöhlen, ja sogar die Schädelhöhle selbst eröffnet werden k ö n n e n . Bei der Behandlung ist die verstümmelnde Operation von der sachgemäßen Röntgenbestrahlung fast vollkommen v e r d r ä n g t worden. Sie erzielt sowohl in bezug auf Dauerheilung als auch in kosmetischer Beziehung erstaunliche E r gebnisse. Vorhandene Drüsenmetastasen sollten aber nach wie vor operativ entf e r n t und die Gegend nachbestrahlt werden. Die ihrem klinischen Verlauf nach bösartigere F o r m des Gesichlskarzinoms ist der „tiefgreifende Hautkrebs". E r entsteht meist als K n o t e n in den oberiläohlichen Hautschichten und neigt zur Ulzeration u n d sekundären Infektion. Hauptsächlich e n t s t e h t er an Nase, Wange, Kinn und Unterlippe. Gerade diese letztere Lokalisationsart ist typisch und ganz besonders häufig, vorwiegend bei Männern. Man h a t b e h a u p t e t , daß er bei Pfeifenrauchern bevorzugt auft r ä t e . Absolut sicher ist es nicht, immerhin k a n n der chronische Reiz des T a b a k saftes das A u f t r e t e n an dieser Stelle erklären. Bei der E n t w i c k l u n g des Krebses bildet sich beim Lippenkarzinom am R a n d e des Lippenrotes ein kleines, g u t abgegrenztes, schmerzloses, hartes Knötchen, welches d a n n in der Mitte geschwürig zerfällt, sich zunächst aber m i t einem Schorf bedeckt. E n t f e r n t m a n ihn oder wird das Geschwür größer, d a n n sieht m a n einen erhabenen, m i t u n t e r sogar papillenartigen, gewucherten R a n d und einen schmierig belegten Grund. H a n d e l t es sich um einen Markschwamm, dann t r i t t bald eine erhebliche J a u c h u n g bei starkem Gewebszerfall auf. Diese Tumoren pflegen auch sehr schnell zu wachsen. Frühzeitig werden die regionären L y m p h d r ü s e n am Hals unter dem Kiefer, und zwar häufig doppelseitig, befallen.

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Histologisch werden bei den Hautkrebsen unterschieden der Basalzellenkrebs, aus kleinen dunklen Epithelzellen bestehend, von den Basalzellen des Epithels ausgehend und nicht verhornend. Dieser histologische T y p macht etwa die H ä l f t e aller Hautkrebse aus und findet sich in der Regel, aber nicht immer, beim flachen Hautkarzinom. Das Plattenepithelkarzinom besteht aus hellen, großen Plattenepithelien, von den oberflächlicheren Schichten des Epithels ausgehend und meist verhornend. Diese Geschwulstart findet sich meist bei dem tiefgreifenden üau//carz!nom. Ein kleiner Teil der Hautkrebse ist eine Mischung von Basalzellen- und PlattenepiLhelkarzi. — n o m e n . I

A b b . 39. B e g i n n e n d e s L i p p e n k a r z i n o m

Bei der Behandlung sind die verstümmelnden Operationen im Gesicht zugunsten der gute Ergebnisse zeitigenden Strahlenbehandlung verlassen worden. Nur wo sich der Tumor sicher ohne Entstellung im Gesunden exstirpieren läßt, und dies wird häufig bei Karzinomen der Unterlippe der Fall sein, ist ein derartiger Eingriff auch heute noch angezeigt. Stets sind die regionären Lymphdrüsen an beiden Halsseiten m i t auszuräumen, auch wenn sie bei der Betastung nicht vergrößert erscheinen.

Die plastischen Operationen im Gesicht Der Grund zu plastischen Eingriffen ist gegeben bei der Beseitigung von großen Gewebsdefekten, nach Verletzungen, Verbrennungen und bei der E n t fernung bösartiger Geschwülste. Die Zahl der möglichen Eingriffe ist ungeheuer groß, ihr Indikationsgebiet wechselt je nach dem zu beseitigenden Defekt. Es können hier nur die wichtigsten Verfahren in ihren Grundzügen geschildert werden. Auf die Beschreibung des Ersatzes der Augenlider (Blepharoplastik) sei vollkommen verzichtet und auf die Lehrbücher der Augenheilkunde verwiesen. Der Ersatz der Lippe (Cheiloplastik) wird an der Oberlippe selten ausgeführt. Er läßt sich durch seitliche Entspannungsschnitte aus der Wange entsprechend dem Verfahren an der Unterlippe durchführen. Die Plastik der Unterlippe beispielsweise nach Exstirpation eines Karzinoms an dieser Stelle ist ein typischer Eingriff. Der Tumor wird keilförmig, wie aus Abb. 40 und 41 ersichtlich, exzidiert. Dann wird seitlich ein Lappen gebildet, der nach medial verschoben werden kann und den Defekt deckt. Das verlorengegangene Lippenrot läßt sich aus der Mundschleimhaut ersetzen. Das Verfahren ist auch doppelseitig auszuführen. Ist ein größerer Teil der Unterlippe befallen, so wird man sich der Plastik nach v. L a n g e n b e c k bedienen. Der aus Abb. 40 und 42 durch Strichelung ersichtliche Teil der Lippe wird exstirpiert, dann der mit einem x bezeichnete Lappen aus der H a u t des Kinns gebildet, nach oben geschlagen und vernäht. Der durch diese Verlagerung ge-

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Abb. 40 A b b . 41 Abb. 40 und 41. Plastik der Unterlippe nach D i e f f e n b a c h

Abb. 42 A b b . 43 Abb. 42 und 43. Plastik der Unterlippe nach v. L a n g e n b c c k

setzte untere Defekt wird durch Mobilisierung der Haut des Halses mühelos geschlossen. Unzählige Modifikationen dieser Grundmethoden sind erdacht worden. Natürlich können auch gestielte Plastiken aus entfernter liegenden Hautgegenden angewandt werden. Der Ersatz der Wange (Meloplastik) ist leicht auszuführen. Wenn die Schleimhaut erhalten ist, genügt die gestielte Transplantation eines Lappens von der Brusthaut. Ist jedoch auch die Schleimhaut der Wange zu ersetzen, dann muß man den zu transplantierenden Lappen doppeln, so daß auch das Innere der Mundhöhle mit Epithel ausgekleidet ist. Dies kann man ohne große Schwierigkeiten auf die verschiedenste Weise machen.

Chirurgie des K o p f e s

Der Ersatz der Nase ( R h i n o plastik) ist wesentlich schwieriger, besonders, wenn es sich nicht nur u m den Wiederaufbau des häutigen Teils, sondern auch um E r s a t z von Knorpel und Knochen handelt. In solchen Fällen müssen Rippenknorpelstücke oder Knochenspäne zunächst in die zu transplantierenden Hautteile zur Einheilung gebracht werden. Grundsätzlich k a n n der E r s a t z der zum größten Teil verlorengegangenen Nase auf drei verschiedenen Wegen erreichtwerden. Die französische Methode bedient sich der Weichteile der Wange. Ihre Anwendungsmöglichkeit ist gering, die erzielten R e s u l t a t e nicht immer befriedigend. A b b 44 Italienische M e t h o d e der N a s e n p l a s t i k (der f i x i e r e n d e V e r b a n d

ist fortgelassen)

Abb. 44a. Plastik mit Roli-Lappen

Die d

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Methode

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sprechender Größe und Lage geschnittene, gestielte Lappen, welche nach unten auf den Nasendefekt geschlagen und d o r t v e r n ä h t werden. Der zur Bildung des Nasengerüsts notwendige Knochen k a n n aus dem äußeren B l a t t des Schädelknochens entn o m m e n werden. Die italienische Methode b e n u t z t gestielte Lappen, welche aus der A r m h a u t e n t n o m m e n werden. Der A r m wird d a n n bis zur Anheilung des Lappens am Kopf durch Verband fixiert, bis nach 2—3 Wochen der ernährende Stiel durcht r e n n t wird. Auch diese Methoden sind unzählig oft modifiziert worden und müssen den stets wechselnden Befunden des Einzelfalles angepaßt werden.

Die Neuralgien a m K o p f

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Die Beseitigung unschöner Nasenformen gewinnt an Bedeutung. Auch hierfür können alle Erfahrungen der gestielten und freien Plastik verwandt werden. Die modernste Form für Plastiken aller Art ist der Roll-Lappen. Aus einem riemenförmigen, doppelseitig gestielten Haut-Unterhautzellgewebe-Streifen wird durch Naht ein röhrenförmiger Hautschlauch gebildet. Dadurch, daß alle Hautwunden dicht vernäht werden, wird ein Verlust von Gewebsflüssigkeit aus offenen Wundflächen vermieden. Nach drei oder mehr Wochen wird die eine Basis des Hautschlauches auf die plastisch zu ersetzende Stelle verpflanzt. Dann kann nach Einheilung und ernährungsmäßiger Versorgung des H a u t schlauches sein Gewebe nach Abtrennung von der Entnahmestelle zu plastischen Zwecken verwendet werden. Eine ungeahnt große Zahl von Modifikationen dieses Verfahrens sind denkbar und werden auch tatsächlich ausgeführt.

Die Neuralgien am Kopf Trigeminusneuralgie Die Neuralgien am Kopf pflegen in ihren klinischen Symptomen noch störender und heftiger zu sein als die gleichartige Erkrankung an anderen Körperstellen, da der Verlauf der Nerven in langen Knochenkanälen bei Fortleitung einer Entzündung von der Nachbarschaft her zu Reizerscheinungen führen muß. Die wichtigste und häufigste Form ist die Trigeminusneuralgie. Wer ihre vielseitigen Symptome verstehen will, muß sich den anatomischen Verlauf dieses weitverzweigten Nerven vor Augen halten. Meist pflegt die Erkrankung einseitig zu sein. Jeder Ast kann für sich erkranken, aber auch mehrere oder alle können gleichzeitig ergriffen sein. Als Ursachen kommen Allgemeinerkrankungen wie Infektionskrankheiten, Grippe, Rheumatismus, Diabetes, Lues, Malaria, aber auch Intoxikationen durch chronische Obstipation, Nikotin, Alkohol, Blei, Arsen, Quecksilber in Frage. Die Erkältung spielt zum mindesten für die Auslösung des Anfalls eine große Rolle. Örtliche Entzündungserscheinungen können Neuralgien einzelner Äste hervorrufen, so z. B. des Ramus ophthalmicus bei Stirnhöhleneiterungen, des Ramus maxillaris bei Erkrankungen der Oberkieferhöhle und der Zähne des Oberkiefers, des Ramus mandibularis bei Erkrankungen des Unterkiefers und seiner Zähne. Traumatische Entstehung ist selten (Kallusdruck). Leider läßt sich bei einer beträchtlichen Anzahl der Fälle eine Ursache nicht sicher ermitteln, so daß eine ätiologische Therapie nicht eingeleitet werden kann. Die Symptome des Leidens bestehen in plötzlich auftretenden, sehr heftigen Schmerzanfällen in dem betroffenen Gebiet, die später auch auf Nachbarteile übergreifen können (irradiierende Schmerzen). Prodromalerscheinungen sind nicht häufig, kommen aber vor. Zu den Schmerzen gesellen sich ebenfalls sehr schmerzhafte Zuckungen im Bereich des Fazialis (Tic douloureux convulsif). Es setzen Gesichtsröte, Tränenfluß, Speichelabsonderung, Schweißabsonderung ein. Auch Herpesbläschen können sich bilden. Ganz geringfügige, belanglose Anlässe wie Kauen, Sprechen, ein Luftzug, Druck können den Schmerzanfall auslösen. Sie sind die furchtbarsten Schmerzen, die wir kennen. Die Anfälle können in wenigen Minuten vorübergehen, aber sie rezidivieren in unberechenbaren Zwischenräumen, manchmal mehrmals im Laufe eines Tages, manchmal nach einem wochenlangen, ja monatelangen Intervall. Die Kranken

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leben in einer steten Angst vor dem Wiederauftreten der Schmerzen, so daß sie körperlich und psychisch stark herunterkommen. Sie werden leicht zu Morphinisten, viele werden, wenn ihnen nicht geholfen wird, zum Selbstmord getrieben. Während des Anfalls selbst schreien und stöhnen die Kranken. Objektiv kann man wenig feststellen. Meist besteht ein Druckschmerz an den

Austrittsstellen der Nerven aus den Knochen. Die Abgrenzung des Leidens von der Hysterie ist nicht immer leicht. Bei der Behandlung muß man vor allen Dingen das Grundleiden zu ermitteln suchen. Das ist keineswegs leicht und gelingt nicht immer. Daher muß man oft die verschiedensten Behandlungsmethoden durchprobieren. Das erste wird eine Sanierung des Zahnsystems, eine Regelung der Verdauung (Abführkuren) und eine genaue Untersuchung der Schädelnebenhöhlen auf das Vorhandensein entzündlicher Prozesse sein.

Die N e u r a l g i e n am

Kopf

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Gegen den Anfall an sich, dessen baldige Kupierung schon im Interesse des Vertrauens zwischen Arzt und Kranken notwendig ist, sind Pyramidon, Antipyrin, Gelonida antineuralgica und Akonit zu empfehlen. Vor Kokain und Morphiumpräparaten muß wegen der Gefahr der Ausbildung einer Sucht gewarnt werden. Leider werden sie sich nicht immer ganz vermeiden lassen. Röntgenbestrahlung und Diathermie können versucht werden. Von den Eingriffen am Nerven selbst bieten die Vereisungen der Haut über der Nervenaustrittsstelle durch Chloräthyl kaum Aussicht auf Dauererfolg. Nur palliativ hat das Verfahren einige Berechtigung (vermeide Schädigungen des Bulbus und der Konjunktiva). Ist nur ein Ast betroffen, so vermag man durch Injektion von Alkohol in seinen Stamm die Nervenfasern zu zerstören. Durch ihre Regeneration kann es zu Rezidiven kommen, aber die Injektion kann ja mehrmals wiederholt werden. Die Technik ist nicht einfach, da die Infiltrationsstelle möglichst zentral liegen soll. Durch Freilegen des Nerven an seiner Austrittsstelle aus dem Knochen, Fassen mit einer Klemme nach T h i e r s c h und ganz langsames Drehen derselben ist es möglich, den Nerven in wechselnder Ausdehnung herauszudrehen und so die Schmerzen zu beseitigen. Alle diese an den peripheren Nervenfasern angreifenden Methoden können Erfolge zeitigen, wenn der den Reiz auslösende Prozeß in der Peripherie liegt. Leider ist das nur selten der Fall, und die geschilderten Eingriffe bewirken nur vorübergehende Besserung, führen dann aber doch zum Rezidiv der Schmerzanfälle. Man hat daher den Angriffspunkt an das Ganglion semilunare (Gasseri) verlegt. Es sind mehrere operative Methoden (die technisch sehr schwer sind) zur Exstirpation des Ganglion angegeben worden (z.B. K r a u s e , L e x e r ) . H ä r t e 1 hat eine Methode der Alkoholinjektion in das Ganglion nach vorheriger Röntgenkontrolle der richtigen Lage der Nadelspitze ausgearbeitet. K i r s c h n e r gab ein Verfahren und einen besonderen Zielapparat zur Ausführung dieser Injektion oder auch zur Elektrokoagulation des Ganglion an. Bevor diese nicht ungefährlichen (Sinusthrombose, Keratitis neuroparalytica) großen Eingriffe angewendet werden, sollen aber alle leichteren internen Behandlungsmethoden versucht worden sein. Die Operation selbst soll dem hierin Geübten überlassen werden. Zu unterscheiden von der Trigeminusneuralgie ist die Migräne oder Hemikranie. Sie stellt einen mit Hautrötung einhergehenden, einseitigen Gesichtsschmerz dar, der sich aber nicht an das Ausbreitungsgebiet der Trigeminusäste hält. Außerdem bestehen bei ihm Übelkeit, Erbrechen, Flimmerskotome, welche die Unterscheidung erleichtern. Die Ursache liegt in Störungen des sympathischen Nervensystems mit Angioneurose. Okzipitalneuralgie Die Okzipitalneuralgie ist wesentlich seltener und in ihren Schmerzanfällen auch nicht so heftig wie die im Bereich des 5. Hirnnerven, obwohl der Charakter der Schmerzen qualitativ derselbe ist. Befallen werden der Nervus occipitalis major, minor und auricularis magnus. Die Ursache liegt in den schon früher erwähnten Allgemeinerkrankungen, ferner in einer umschriebenen Periostitis nahe dem Verlauf der Nerven, in Erkrankungen des Warzenfortsatzes, in rheumatischen Myogelosen des Nackens und manchmal auch in einer deformierenden Arthrose der Wirbelgelenke. Die Therapie deckt sich in ihrem Wesen mit den bei der Trigeminusneuralgie beschriebenen, jedoch überwiegen hier die allgemeinen Methoden gegenüber den Eingriffen an den Nervenstämmen.

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Chirurgie des K o p f e s

Verletzungen und Erkrankungen der Mundhöhle und des Rachens Alle Wunden der Auskleidung der Mundhöhle einschließlich der Zunge zeichnen sich dadurch aus, daß sie ganz besonders rasch und schnell heilen. Wundinfektionen kommen so gut wie gar nicht vor. Tiefergehende Wunden, besonders der Zunge, können bei dem Blutreichtum des Organs zu erheblichen Blutungen führen, welche sorgfältige Blutstillung durch Unterbindung oder Umstechung notwendig machen. Klaffende Wunden sind mit Situationsnähten zu versehen. Die Zungenbisse der Epileptiker heilen ohne besondere Maßnahmen und hinterlassen typische Narben. Erkrankungen von Mundschleimhaut und Mundboden Entzündungen Die Stomatitis ulcerosa finden wir meist bei heruntergekommenen Kindern, aber auch bei Erwachsenen. Sie kann durch verschiedene Ursachen bedingt sein. Zu nennen sind Skorbut, Lues, Maul- und Klauenseuche. Sie kann aber auch ein Symptom der Leukämie sein. Die Erkrankung beginnt mit Ödem, Auflockerung und bläulicher Verfärbung des Zahnfleisches und der Mundschleimhaut, welche teilweise zerfällt und Geschwüre mit speckigem Grund bildet, die zu Blutungen neigen und einen üblen, fauligen Geruch verbreiten. Die Weichteile der Wange und des Mundbodens sowie die regionären Lymphdrüsen pflegen anzuschwellen. Die Behandlung hat das Grundleiden in erster Linie zu berücksichtigen. Örtlich sind Mundspülungen mit Wasserstoffsuperoxyd oder dünner Lösung von Kaliumpermanganat oder Pinselungen mit Ratanhiatinktur und Myrrhentinktur vorzunehmen. Eine besondere Form stellt die Stomatitis mercurialis dar, welche sich bei Allgemeinbehandlung mit Quecksilberpräparaten oder nach gewerblichen Quecksilbervergiftungen entwickeln kann. Prophylaktisch ist besonders gute Mundpflege notwendig. H a t sich die Mundschleimhaut aber entzündet, dann muß die Quecksilbermedikation bis zur Ausheilung abgesetzt werden. Unter aphthösen Geschwüren verstehen wir kleine, oberflächliche Ulcera, meist an der Unterlippe und den Backentaschen, die sehr schmerzhaft zu sein pflegen und oft rezidivieren können, bei Frauen mitunter während der Periode. Wenn Behandlung mit den üblichen antiseptischen Mundwässern und guter Mundpflege nicht zum Ziele führt, sind Pinselungen mit den oben erwähnten Tinkturen oder Ätzungen mit Jodtinktur, Silbernitrat (Höllensteinstift) oder 5%igem Chlorzink nach vorheriger Kokainisierung der Schleimhaut ratsam. Eine Entzündung mit besonderem Sitz stellt die Pyorrhoe alveolaris dar. Sie besteht in einer Eiterung in der Tasche zwischen dem Zahnfleisch und dem Zahn selbst. Von hier aus kann die Entzündung leicht weiter in die Tiefe dringen und zur Lockerung der Zähne führen. Das Leiden pflegt sehr langwierig zu sein und erfordert intensive Spezialbehandlung durch den Zahnarzt. Die Lues der Mundschleimhaut tritt uns in allen drei typischen Erscheinungsformen entgegen, besonders häufig aber als Primäraffekt, mitunter auch an versteckter Stelle der Mundhöhle. Sie kann auch durch Gebrauchsgegenstände übertragen werden. Im zweiten Stadium der Lues sehen wir Erytheme mit scharfer Begrenzung, besonders am weichen Gaumen und den Tonsillen

Verletzungen und Erkrankungen der Mundhöhle und des Raphens

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oder Papeln (Plaques muqueuses). Das Gumma t r i t t in Form von rundlichen Knoten oder Geschwüren m i t speckigem Grund und scharfen Rändern auf. Die Behandlung ist spezifisch. Die Tuberkulose gelangt auf die Mundschleimhaut fortgeleitet von einem Lupus des Gesichts oder infolge Infektion durch tuberkulöses Sputum oder selten auch metastatisch. Sie zeigt sich als multiple Knötchen (tuberöse Form) oder unregelmäßig begrenzte, flache Geschwüre (ulzeröse Form). Da es sich meist um sekundäre Lokalisation handelt, so steht die Allgemeinbehandlung des Hauptherdes im Vordergrunde. Örtlich kann man die Herde an der Mundschleimhaut am besten mit dem Hochfrequenzstrom koagulieren und exstirpieren. Die Defekte der Mundschleimhaut regenerieren sich schnell und vollständig. Die A k t i n o m y k o s e ist eine Teilerscheinung beim Sitz der E r k r a n k u n g in den Weichteilen der Wange und des Halses (s. S. 105). Der Soor ist eine Sporotrichose und bildet auf der Schleimhaut punktförmige bis llächenhafte, weißliche Beläge, die einen R a n d geröteter Schleimhaut erkennen lassen. Meist finden sie sich an der Wange, dem weichen Gaumen und der Zunge. Besonders häufig sind sie bei Säuglingen und heruntergekommenen K r a n k e n sowie bei mangelhafter Mundpflege. Ihre Durchführung beseitigt die Beläge bald. Unterstützend wirkt die Anwendung von 5%iger Boraxlösung. Geschwülste Von den gutartigen Geschwülsten wird die Ranula, die eine Retentionszyste der Glandula subungualis darstellt, beim Abschnitt der Speicheldrüsen besprochen werden (s.S. 91). Hämangiome kommen in der Mundschleimhaut meist in ihrer kavernösen Form vor und sind häufig vergesellschaftet m i t der gleichen Geschwulstform der Wangenschleimhaut. Nur wenn sie abnorme Größe annehmen oder zu Blutungen neigen, ist ihre Behandlung angezeigt. Die Radiumbestrahlung ist heute das Verfahren der Wahl. Auch Lymphangiome sind in ihrer einfachen und kavernösen Form beobachtet worden. Bei ihrer Behandlung leistet das R a d i u m ebenfalls gute Dienste. Weit zahlreicher sind die bösartigen Geschwülste, und unter ihnen überwiegt das Karzinom. Es entsteht vorwiegend bei Männern. Meist sind es Plattenepithel-, selten Zylinderzellenepithelkarzinome. Sie bilden sich vorwiegend an der Umschlagfalte der Schleimhaut, in der Backentasche oder am aufsteigenden Kieferast oder an der Einmündungssteile der Speicheldrüsenausführungsgänge. Auch an Schleimhautstellen gegenüber kariösen Zähnen ist die E n t wicklung beobachtet worden. Zunächst pflegt sich eine papillomatöse Wucherung oder ein kleines, derbes Geschwür mit wallartigem Rand zu entwickeln, das bald in die Tiefe wächst und wegen der sehr reichlichen Lymphgefäße dieser Gegend bald metastasiert. Es k o m m t schnell zu einer harten Infiltration der Wange oder des Mundbodens mit Ausbildung von großen und festen Tumoren, Ubergreifen auf die Nachbarschaft, Kieferklemme und infolge mangelhafter Mundpflege zu einer unspezifischen Stomatitis mit starkem Foetor ex ore. Der Verlauf ist meist recht schnell, die Tumoren ulzerieren und führen durch Verschlucken zur Pneumonie. Die Behandlung besteht nur in den frühesten Anfangsstadien bei kleinem, gut abgrenzbarem, verschieblichem Tumor ohne Drüsenmetastasen in seiner Exstirpation. Sonst ist eine Strahlenbehandlung, eventuell Kombination von Radiumund Röntgenstrahlen, am Platze, mit der man gute Ergebnisse erzielen kann. R o s t o c k , Lehrbuch der speziellen Chirurgie. 3. Aufl.

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Chirurgie des K o p f e s

Erkrankungen der Zunge Entzündungen Die unspezifische Entzündung der Zunge(Glossitis phlegmonosa) pflegt nicht sehr häufig zu sein und nur bei besonderer Virulenz der Erreger oder beim Verbleiben infizierter Fremdkörper in der Zunge sich auszubilden. Wenn sie auftritt, pflegt sie sich sehr schnell auszubreiten und zu hochgradiger Schwellung der gesamten Zunge zu führen, so daß Atemnot und Erstickungsgefahr auftreten können, die meist durch Ubergreifen des Entzündungsprozesses (Glottisödem) bedingt sind und die Ausführung einer Tracheotomie notwendig machen können. Das Leiden ist sehr ernst zu nehmen, besonders wenn sich eine fortschreitende Phlegmone von Zunge, Mundboden und Halsweichteilen (Angina Ludovici) ausbildet. An ihr können viele Kranke zugrunde gehen. Bei der diffusen Zungenphlegmone sind Spaltungen der entzündeten Gewebsteile notwendig. Die Wunden pflegen stark zu bluten. Für eine sofort auszuführende Tracheotomie muß man stets vorbereitet sein. Bei weniger stürmischem Verlauf kann sich die Phlegmone zurückbilden und sich meist an der Stelle des eingedrungenen Fremdkörpers ein Abszeß entwickeln, der mitunter mit einem Tumor verwechselt werden kann. Seine Eröffnung durch Inzision ist notwendig. Stets sollte man die Abszeßhöhle vorsichtig auf das Vorhandensein eines Fremdkörpers abtasten, denn wenn er nicht entfernt wird, kommt es leicht zu oberflächlicher Verheilung. der Inzisionswunde und um den Fremdkörper herum zum Rezidiv des Abszesses. Geschwüre der Zunge sind nicht selten. Sie müssen stets den Verdacht auf ein beginnendes Karzinom erwecken. Daher muß man, wenn die Diagnose nicht absolut sicher ist, frühzeitig eine in örtlicher Betäubung leicht auszuführende Probeexzision machen, die vom Rand des Geschwürs aus bis in gesundes Gewebe vordringen soll, um dem untersuchenden Pathologen die Möglichkeit einer sicheren Beurteilung zu bieten. Das unspezifische Dekubitalgeschwür finden wir an den Stellen des Zungenrandes, wo er gegen eine scharfe Zahnkante, den vorspringenden Teil einer Prothese oder dergleichen stößt oder wo nicht sachgemäß ausgeführte Zahnfüllungen einen chronischen Reiz unterhalten. Das Geschwür pflegt sich schon nach kurzem Bestehen bindegewebig zu indurieren und so die Unterscheidung von einem beginnenden Karzinom zu erschweren, zumal sich auch dieses an solchen Stellen chronischen Reizes entwickeln kann. Handelt es sich aber tatsächlich um ein unspezifisches Geschwür, dann heilt es nach Beseitigung des Reizes in kürzester Zeit aus. Die Zunge nimmt an allen den entzündlichen Prozessen teil, welche im Abschnitt über die Mundschleimhaut besprochen worden sind, so daß an dieser Stelle darauf verwiesen werden kann. Geschwülste Von den Geschwülsten der Z u n g e spielen die gutartigen eine sehr geringe Rolle. Es kommen Papillome, fibröse Polypen, Hämangiome und andere vor. Im Zungengrund kann sich nahe dem Foramen coecum, der Mündungsstelle des Ductus thyreoglossus, Schilddrüsengewebe (meist bei jugendlichen Frauen) entwickeln und zu Anschwellungen des Zungengrundes führen (Struma lingualis). Zu einer mehr diffusen Vergrößerung der Zunge führen die Lymph-

Verletzungen und Erkrankungen der Mundhöhle und des Rachens

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angiome, und zwar am häufigsten in der kavernösen Form. Der Zustand kann angeboren sein. Sitzt die Makroglossie besonders in der Zungenspitze, so drängt das zunehmende Wachstum zwangsläufig die Zungenspitze zwischen Zahnreihen und Lippe vor, ein Zustand, welcher den Kranken sicher zum Arzt führt. Die operative Verkleinerung der Zungenspitze ist nicht schwierig. Auch Radiumbestrahlung kann angewandt werden. Sitz des Lymphangioms am Zungengrund kann zum plötzlichen A uftreten von Erstickungsanfällen führen. Radiumbestrahlungen und breite Keilexzisionen aus der Zunge nach vorheriger Unterbindung der Arteria lingualis können zur Verkleinerung des Organs ausgeführt werden. Eine eigenartige Zwischenstellung zwischen chronischer Entzündung, gutartigem und bösartigem Tumor nimmt die Leukoplakie (Psoriasis lirtguae) ein. Sie besteht in einer Wucherung der oberflächlichen und tiefen Schichten des Epithels mit Verhornung und atypischer Epithelwuc.herung an der Zunge (und der Mundschleimhaut), die sich zu weißlichen, etwas erhabenen Flecken und Streifen umbilden. Die Entwicklung ist durchaus schmerzlos. Nur wenn die Umwandlung erhebliche Größe annimmt, kommt es zu einer gewissen Rauheit der Zunge, die unangenehm empfunden wird. Wenn sich in den verhärtelen Gewebsteilen Schrunden ausbilden, können auch Schmerzen auftreten, welche aber nie sehr stark sind. Als Ursachen werden angeschuldigt Lues, der Genuß stark gewürzter Speisen und konzentrierter alkoholischer Getränke sowie übermäßiges Rauchen. Die Leukoplakie stellt ein Ubergangsstadium zum Karzinom dar. Bei der Behandlung ist das Fortbestehen des erzeugenden Reizes zu unterbinden. Sorgfältige Mundpflege ist ratsam, Ätzungen sind schädlich. Kleinere Herde können im Gesunden exstirpiert werden. Radiumbestrahlung wirkt günstig. Die wichtigste bösartige Geschwulst ist das Karzinom der Zunge. Es tritt etwa vom 45. Lebensjahr ab auf und hat als Vorstadium häufig die Leukoplakie. Bei Männern ist es zwanzigmal häufiger als bei Frauen. Es pflegt an der hinteren Hälfte des Zungenrandes zu sitzen. Die Entwicklung erfolgt entweder sofort aus einem Geschwür oder auch aus einem soliden Knoten, welcher zerfällt und dadurch sekundär zum Geschwür wird. In den reichlich entwickelten Lymphspalten der Zunge pflegt das Karzinom schnell zu wachsen. Das Ergebnis ist, daß das oberflächliche Ulcus im Vergleich zur Größe des Tumors in der Tiefe klein sein kann. Das Ulcus hat einen unregelmäßig geformten, wallartigen Rand, welcher nach dem Inneren zu unterminiert ist. Der Grund ist schmierig belegt; aus ihm lassen 5*

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Chirurgie des Kopfes

sich weißliche Pfropfe von Krebsgewebe ausdrücken. Die regionären Lymphdrüsen unterhalb des Unterkiefers sind frühzeitig befallen und manchmal sehr groß im Vergleich zum Primärtumor, so daß sie früher auffallen können als er selbst. Im späteren Stadium greift das Karzinom auf den Mundboden über, die Zunge wird unbeweglich. Blutungen aus arrodierten Gefäßen der Zunge können auftreten. Unter schwerer Jauchung führt das Leiden in einigen Monaten zum Tode. Bei der Behandlung wird die früher übliche vollkommene oder teilweise Exstirpation der Zunge, bei der mitunter temporär Durchsägung des Unterkiefers notwendig wurde, mit Ausräumung der regionären Lymphdrüsen immer mehr zugunsten der Strahlenbehandlung durch Radium und Röntgenstrahlen verlassen. Erkrankungen von Gaumen und Pharynx Es handelt sich hierbei im wesentlichen um die Erkrankungen des im hinteren Teil der Mundhöhle gelegenen lymphatischen Rachenrings, also der beiden Gaumenmandeln und der Rachenmandeln. Die Entzündungen führen, da sie stets mit einer Schwellung der befallenen Organe und daher mit einer Verengerung des Schlundeinganges verbunden sind, die Bezeichnung „Angina". Sie alle haben besondere Bedeutung, da sie einmal die Einleitungserscheinungen anderer Erkrankungen wie Nephritis, paranephritischer Abszeß, Osteomyelitis, Gelenkrheumatismus sind, andererseits Begleiterscheinungen von Infektionskrankheiten darstellen. Die Angina tonsillaris lacunaris beginnt mit hohem Fieber, eventuell mit Schüttelfrost und starkem Krankheitsgefühl, erheblichen, nach den Ohren ausstrahlenden Schmerzen und Schwellung der dort gelegenen Lymphdrüsen. In den Buchten der geschwollenen und geröteten Mandeln bilden sich gelbliche Pfropfe, die sich meist in 4—6 Tagen abstoßen, die aber auch bei der chronischen Form über lange Zeiträume hinweg bestehen bleiben können. Die ulzeromembranöse Form mit spezifischem Erreger bezeichnet man als Plaut- Vincentsche Angina. Die Behandlung der gewöhnlichen Angina besteht in Bettruhe, feuchten Umschlägen um den Hals und vorsichtigen, mehrmals täglich vorgenommenen Ausspülungen der Mundhöhle mit Kamillentee oder dünner Wasserstoffsuperoxydlösung. Gurgeln ist nicht notwendig, wird sogar von manchen Ärzten für schädlich gehalten. Aus der gewöhnlichen Angina kann sich durch Fortschreiten des Entzündungsprozesses in das umgebende Bindegewebe die Angina phlegmonosa entwickeln. Das Fieber steigt bei ihr auf 40° und mehr. Die Schwellung der Tonsille und ihrer Umgebung sowie der regionären Lymphdrüsen ist sehr stark, eine Kieferklemme pflegt sich auszubilden, die Zunge ist schmierig belegt, der Geruch aus der Mundhöhle stinkend. Jedes Schlucken erzeugt heftige Schmerzen, andererseits wird es durch reichlichen Speichelabfluß erzwungen. Die Nahrungsaufnahme auch von flüssiger Kost ist sehr erschwert und äußerst schmerzhaft. Infolge Zuschwellen des Rachenringes bestehen Atembeschwerden und Angstgefühle. Der Kranke ist schwer krank und fühlt sich sehr elend. Durch Einschmelzung im Bindegewebe der Tonsillenkapsel und in dem Raum hinter der Tonsille bildet sich der Peritonsillarabszeß. Die ödematöse Schwellung der Weichteile in dieser Gegend deutet auf sein Vorhandensein hin. Die Behandlung soll in möglichst frühzeitiger Inzision des Abszesses bestehen. Das Abwarten seines spontanen Durchbruches verlängert unnötig das

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schwere Krankheitsbild und vergrößert die Gefahr des Auftretens einer Allgemeininfektion. In oberflächlicher Narkose (keinesfalls Evipannarkose) wird die Mundhöhle durch Kiefersperre eröffnet, durch vorsichtige Punktion mit dicker Kanüle der Abszeß gesucht und, wenn man Eiter mit der Spritze angesaugt hat, entlang der Kanüle inzidiert und die Wunde stumpf mit einer Kornzange erweitert. Es entleeren sich meist unerwartete Mengen stinkenden Eiters, dessen Aspiration unbedingt vermieden werden muß. Die Abszeßeröffnung pflegt sofort erhebliche Erleichterung der Atmung zu bringen und auf den Allgemeinzustand günstig einzuwirken. Auch die Rachentonsille wird von entzündlichen Erkrankungen befallen, welche denen der Gaumentonsillen wesensgleich sind. An der hinteren Rachenwand kommt es besonders bei Kleinkindern zur Ausbildung des akuten retropharyngealen Abszesses durch Vereiterung der retropharyngealen Lymphdrüsen. Es entwickeln sich unter Fieberanstieg Schling- und Atembeschwerden, die sich bis zu Erstickungsanfällen steigern können. Mit dem in den Mund eingeführten, gegen Biß geschützten Finger kann man ihn an der hinteren Pharynxwand als kissenartige, fluktuierende Anschwellung leicht fühlen. Diese Untersuchung wird leider sehr häufig unterlassen. Der Abszeß hat die Neigung, sich vor der Wirbelsäule nach unten zu senken und dann durch Perforation ins Mediastinum oder in eine Brusthöhle zu schwerer Eiterung oder zum Tode zu führen. Daher sollte man den Abszeß frühzeitig inzidieren. Dies geschieht dadurch, daß man ein Skalpell mit Ausnahme der Spitze mit Heftpflaster umwickelt, um ungewollte Nebenverletzungen zu vermeiden, und die Schleimhaut der hinteren Rachenwand von unten nach oben inzidiert. Von diesen akuten Abszessen müssen streng unterschieden werden die chronischen,

tuberkulösen,

retropharyngealen

Abszesse,

weil sie auf keinen Fall

von der Mundhöhle aus eröffnet werden dürfen, um eine Mischinfektion des tuberkulösen Herdes, der in den Körpern der obersten Halswirbel sitzt, zu vermeiden. Diese Abszesse können erhebliche Größe erreichen, sich entlang der ganzen Wirbelsäule senken und schließlich seitlich am Hals, ja sogar in der Brustgegend oder an den Oberschenkeln zutage treten (s. S. 173). Wenn man den Abszeß punktieren und in ihn Jodoformglyzerin einspritzen will, dann muß man ihn seitlich vom Hals hSr angehen. Eine Entzündung des lymphatischen Rachenringes durch spezifische Erreger stellt die Diphtherie dar, hervorgerufen durch den von L ö f f 1 e r entdeckten Bazillus. Sie beginnt wie die lakunäre Angina zunächst mit grauweißen Pünktchen auf den Tonsillen, die dann aber sehr bald sich zu Flecken vereinigen, welche sich über den ganzen Rachenring und den Zungengrund ausdehnen. Sie bilden hier festsitzende Membranen, unter denen das Gewebe teilweise nekrotisch wird. Verbunden ist der Zustand mit einer Schwellung der gesamten Weichteile des Rachens und der Lymphdrüsen und den vorstehend geschilderten Symptomen. Die Atemnot pflegt besonders stark zu sein. Wenn die diphtherischen Beläge vom Rachenring sich auf Trachea und Kehlkopf ausbreiten, kommt es zu akuten Erstickungsanfällen, welche eine Tracheotomie notwendig machen können. Der Unterschied der Diphtherie gegen die unspezifische, phlegmonöse Tonsillitis besteht in den typischen Membranen, dem sehr charakteristischen, schwer zu beschreibenden Geruch. Der Nachweis der Erreger im Abstrich von den Membranen sichert die Diagnose.

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Chirurgie des Kopfes

Die Behandlung erfolgt in Halsumschlägen, häufigem Ausspülen des Mundes, kräftiger, flüssiger E r n ä h rung, Schluckenlassen von Eisstückchen, Inhalieren, Sorge für stets frische L u f t im Krankenzimmer und Injektion von ausreichenden Mengen des B e h r i n g sehen Diphtherieheilserums. Bei Säuglingen werden 2000—3000, bei älteren Kindern 3000—4000 und bei Erwachsenen 5000—8000—10 000 Einheiten injiziert. Die Injektion kann am folgenden Tage wiederholt werden. Diese Behandlungsart hat die Mortalität gegenüber früher um mehr als die Hälfte herabgedrückt.

Tuberkulöser

A b b . 47 RetropharyngealabszelJ

Trotzdem ist die Prognose durchaus ernst; sie hängt wesentlich vom Lebensalter des Kranken ab. Im ersten Lebensjahr beträgt die Mortalität fast 100%, nimmt dann aber schnell ab. Der Tod erfolgt meist gegen Ende der ersten Woche oder infolge Versagen des Herzmuskels, der durch die Toxine geschädigt wird, während der Genesung.

Prophylaktisch hat sich zur Verh ü t u n g besonders der malignen Diphtherie beim Kinde die Schutzimpfung bewährt. Im Verlauf der Erkrankung stoßen" sich die Membranen ab, beim Erwachsenen früher als beim Kleinkind. Es liegen dann miLunter tiefgreifende Geschwüre zutage, welche sich vom R a n d e her überhäuten und die besonders am Larynx mit Stenosen ausheilen können. Weitere Komplikationen bestehen im Auftreten von Pneumonien, Myokarditis, Nephrose. Das Gift der Bakterien kann außerdem die Ausbildung postdiphtherischer Lähmungen bewirken. Von ihnen werden befallen die Muskulatur des Gaumensegels (Symptome: näselnde Sprache, Rückfluß flüssiger Nahrung durch die Nase), des Okulomotorius, seltener des Fazialis, des Zwerchfells und auch der unteren Extremitäten (Ataxie und Parese: Pseudotabes). Diese Lähmungen pflegen sich in der 3. Krankheitswoche auszubilden. Die Prognose ist gut, jedoch brauchen sie zu vollkommener Rückbildung mehrere Monate. Als Folge häufig überstandener unspezifischer Tonsillitiden kann sich beim Erwachsenen die Hypertrophie der Tonsillen entwickeln. Bei Kindern treffen wir sie auch ohne Vorerkrankungen an. Sie ist stets doppelseitig. Längere Zeit bestehende einseitige Tonsillenvergrößerung ist immer verdächtig auf malignes Wachstum. Bei der Tonsillenhypertrophie wölben sich die vergrößerten Man-

V e r l e t z u n g e n u n d E r k r a n k u n g e n der M u n d h ö h l e u n d des R a c h e n s

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dein über die Ränder der Gaumenbögen vor. Gleichzeitig erzeugen sie Beschwerden beim Atmen und Schlucken und einen eigenartigen nasalen Sprechton. Die Behandlung der leichteren Formen besteht in der Tonsillotomie mittels eines geeigneten Instrumentes, jedoch soll der Eingriff wegen der Gefahr der Allgemeininfektion nie unmittelbar nach einer akuten Entzündung ausgeführt werden. Der Doppelring des Tonsilloloms, dessen einer Teil als Messer ausgebildet ist, wird von unten her über die Tonsille geschoben. Eventuell m u ß man vorher mit einem geknöpften Messer ihre Ränder von den Gaumenbögen ablösen. Dann wird der über den Ring vorstehende Teil der Tonsille durch Verschieben der Ringe gegeneinander abgeschnitten und gleichzeitig das abgeschnittene Stück durch die Doppelharpune festgehalten, damit es nicht in den Rachen fällt. Die

A b b . 48 A b b . 49 A b b . 48 u n d 49. E n t f e r n u n g der R a c h e n m a n d e l

Blutung aus der W u n d e ist gering und kann durch Aufpressen eines Stiltupfers leicht gestillt werden. Verletzungen der Karotis oder Maxillaris interna sind bei richtiger Anwendung des Instrumentes nicht möglich. Auf der Tonsillenwunde bildet sich ein weißlichgrauer Schorf (Fibringerinnsel), der sich nach 3 bis 5 Tagen von selbst abstößt. K o m m t es nach der Ausführung der Tonsillotomie zum Rezidiv, so ist die Tonsillektomie in örtlicher Betäubung, bei sehr ängstlichen Kranken auch in Narkose m i t hängendem Kopf auszuführen. Nach Durchtrennung der Schleimh a u t am oberen Pol dringt man m i t einer stumpfen Schere in das peritonsilläre Gewebe ein und löst die Tonsille aus ihrem Lager. Am unteren Pol m u ß dies scharf geschehen, eventuell m i t dem elektrischen Schmelzschnitt. Blutende Gefäße sollen umstochen werden. Vor der Verletzung der in der Nähe gelegenen Karotis m u ß man sich hüten. Ist sie doch angeschnitten worden, m u ß das Gefäß unterbunden werden. Die Hypertrophie der Rachenmandel wird vorwiegend bei Kindern als der Folgezustand chronischer Infektionen des Organs, beispielsweise nach Masern und Scharlach, oder bei exsudativer Diathese oder als Ausdruck der Hyperplasie des lymphatischen R-achenringes beobachtet. Man bezeichnet den Zustand auch mit dem Ausdruck adenoide Vegetationen. Die vergrößerte Mandel ver-

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Chirurgie des K o p f e s

engt den Verbindungsweg zwischen Nasenhöhle und Mundhöhle sehr erheblich und behindert dadurch die normale Atmung. Die Folge ist, daß die Kinder den Mund zur Atmung geöffnet halten. Die Sprache bekommt einen Klang, wie wir ihn sonst bei akutem Schnupfen hören. Aber auch andere Störungen werden durch den Zustand hervorgerufen. Zu nennen sind: Ausbildung eines hohen, harten Gaumens mit unregelmäßiger durch Zusammendrängen bedingter Zahnstellung, Verengerung des Lumens der Nase, Einziehung des Brustkorbes entsprechend dem Zwerchfellansatz durch Erschwerung der Atmung, Verlegung des Tubenostiums mit Einziehung des Trommelfells und dadurch hervorgerufener Schwerhörigkeit und Neigung zum Auftreten von Entzündungen des Mittelohrs. Mit Eintritt der Pubertät bildet sich zwar diese Lymphfollikelschwellung zurück, aber dann sind die durch sie gesetzten Veränderungen an Kiefer, Nase, Ohr und Brustkorb nicht mehr rückbildungsfähig. Daher ist die operative Entfernung der Wucherungen dringend anzuraten, zumal sie mit Hilfe eines hierzu besonders konstruierten Ringmessers leicht auszuführen ist. Die Abb. 48 und 49 zeigen das Vorgehen, ohne daß viel Worte dazu gesagt werden brauchen. Sollte eine etwas ausgiebigere Blutung auftreten, so ist sie durch die Tamponade mit dem B e 11 o c q sehen Röhrchen leicht zu stillen. Da diese Methode auch sonst zur Stillung von Blutungen aus dem Nasen-Rachenraum Verwendung finden kann, sei sie kurz geschildert. An die Feder des Röhrchens wird ein Faden geknüpft und der Faden in das Röhrchen gezogen. Dann wird es in das Nasenloch unter der unteren Muschel eingeführt, die Feder mit dem Faden vorgeschoben und der Faden mit einer Pinzette in der Mundhöhle aufgesucht und zum Munde herausgezogen. An dem Faden wird ein anderer starker Faden angebracht, in dessen Mitte eine entsprechend große Mullkompresse sicher befestigt ist. Durch Herausziehen des Röhrchens wird dieses Mullstück an die hintere NasenöfTnung gezogen und mit den in die Mundhöhle eingeführten Fingern an die richtige Stelle dirigiert und dort fest angepreßt. Die aus Nase und Mund heraushängenden Fäden werden A b b . 50. B e l l o c q s c h e

Tamponadel

Verletzungen und Erkrankungen der Mundhöhle und des Rachens

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mit Heftpflaster an der Wange befestigt. Eine Tamponade der vorderen Nasenhöhle von den Nasenlöchern aus kann im Bedarfsfalle hinzugefügt werden. Nach 24 Stunden (längeres Liegen birgt die Gefahr einer Mittelohrentzündung in sich) wird die Tamponade durch Ziehen an den Fäden im Munde entfernt. Wenn es notwendig sein sollte, kann sie nochmals wiederholt werden. Bei den gutartigen Geschwülsten ist das Nasenrachenfibrom oder Basalfibroid zu nennen. Sie kommen fast ausschließlich bei Jünglingen und jungen Männern bis zum 25. Lebensjahr vor. Sie nehmen Abb. 51. B e l l o c q s c h e Tamponade II ihren Ausgang vom Periost der Unterfläche des Keilbeins und bestehen aus fibrösem Gewebe, welches von einer dünnen Schleimhaut überkleidet ist, unter welcher ein ziemlich starkes Netz von Venen liegt. Die Geschwulst verlegt durch ihr Wachstum die Nasenhöhle und kann auch durch ein Nasenloch nach außen wachsen. Andere Fortsätze können sich in die Augenhöhle (Protrusio bulbi), in die Fossa temporalis und die Oberkieferhöhle entwickeln. Die zarte, glatlc Schleimhaut kann leicht verletzt werden, so daß aus den zahlreichen Venen eine erhebliche B l u t u n g auftreten kann. Die mechanische Behinderung der Nasenatmung und mitunter auch Schluckbeschwerden beherrschen das klinische Bild. Die Behandlung besteht in radikaler E n t f e r n u n g der Geschwulst, ein Eingriff, der wegen des anatomischen Sitzes und der großen Blutungsbereitschaft technisch äußerst schwierig sein kann. Bezidive kommen vor, die Neigung zu maligner Degeneration ist nicht sehr groß. Zu den gutartigen Tumoren k a n n man auch die leukämischen und pseudoleukämischen Anschwellungen des lymphatischen Gewebes des Rachenringes rechnen, die zu stets symmetrischen Anschwellungen mit unverändertem Schleimhautüberzug führen. Die gleichzeitig vorhandenen Veränderungen des Blutes stellen ihre N a t u r klar. Die Behandlung besteht im Versuch der Beeinflussung des Grundleidens, der Leukämie. Örtliche Behandlungsmethoden sind zwecklos. Die wichtigste bösartige Geschwulst ist das Karzinom des Rachens und der Tonsillen. Es sind Plattenepithelkarzinome, welche vom weichen Gaumen und der Schleimhaut des Sinus piriformis ausgehen und von hier auf die übrigen

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Chirurgie des K o p f e s

Teile der Pharynxwand übergreifen. Sie beginnen stets als kleine, unscheinbare Geschwüre, werden aber bald derb und hart, zerklüftet und höckrig. Die regionären Lymphdrüsen des Halses sind frühzeitig befallen und durch Betastung leicht feststellbar. Die Beschwerden sind zu Beginn des Leidens sehr gering. Die Karzinome der Tonsillen sind besonders bösartig. Sie sind weiche, rasch wachsende und frühzeitig zerfallende Tumoren, die auch bald ausgiebig metastasieren. Verwechslungen mit einer chronischen, harmlosen Mandelentzündung kommen leider in dem für die Behandlung noch aussichtsreichen Frülistadium häufig vor. In Zweifelsfällen sollte man sich durch Betastung der Konsistenz der Geschwürsränder Aufschluß über ihre Gewebshärte verschaffen. Auch die Sarkome der Tonsillen werden häufig nicht früh genug erkannt. Die einseitige Anschwellung einer Mandel muß stets den Verdacht auf das Vorliegen einer malignen Erkrankung erwecken. Vorwiegend befallen sind das zweite bis vierte Lebensjahrzehnt. Die Tumoren zerfallen schnell, setzen frühzeitig Metastasen und ähneln in Erscheinungsform und Verlauf den übrigen bösartigen Geschwülsten dieser Körpergegend. Bei der Behandlung besteht in Frühfällen mit örtlich begrenztem, kleinem, verschieblichem Tumor auch heute noch die Badikaloperation zu Recht. Es sind aber stets große Eingriffe, zumal alle regionären Lymphdrüsen radikal ausgeräumt werden müssen. Die Strahlenbehandlung durch Radium oder Röntgenkontaktbestrahlung wird daher immer mehr zur Methode der Wahl bei diesen Tumoren, zumal die Erfolge recht günstig sind und der durch die Bestrahlung gesetzte Gewebsverlust und die durch ihn bedinglen Funktionsbehinderungen sich in bescheidenen Grenzen halten.

Verletzungen und Erkrankungen der Kiefer Mißbildungen der Kiefer Als angeborene Deformitäten begegnen wir den Spalten im Oberkiefer (Gnathoschisis) und einer Verkürzung des Unterkiefers (Mikrognathie). Diese Deformität, welche auch erworben werden kann (Frakturen während der Kindheit und Störungen im Wachstum des Kiefergelenkes), führt zu einer eigenartigen Gesichtsform, dem Vogelgesicht. Das Vorstehen des Oberkiefers oder seiner Teile pflegen wir als Prognathie zu bezeichnen, während durch Formveränderungen bedingtes Vorstehen des Unterkiefers Progenie genannt wird. Der Zustand kann angeboren und vererblich sein (Beispiel: die Angehörigen des Hauses Habsburg), aber auch im späteren Leben erworben werden, wie beispielsweise bei der Akromegalie. Durch die Behinderung der Nasenatmung bei Kindern, hauptsächlich durch Tumoren (Basalfibroid) oder Wucherungen der Rachentonsille wird der harte Gaumen muldenförmig, ja mitunter sogar leicht spitzbogenförmig. Es wird der Raum für die in normaler Zahl und Größe angelegten Zähne verkleinert, so daß sie sich übereinander und nebeneinander schieben. Hierdurch wird die Artikulation der Zahnreihen gestört, so daß Kaustörungen und Anomalien der Klangfarbe der Sprache unausbleiblich sind. Die mit Prognathie verbundene

Verletzungen und Erkrankungen der Kiefer

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Schrägstellung vorspringender Schneidezähne soll die Folge jahrelangen Daumenlutschens der Kinder sein. Die Formveränderungen der Kiefer führen zu Fehlstellungen der Zahnanlagen und d a m i t zu ihrer Retention oder dem verzögerten Zahndurchbruch (Dentitio difficilis). E r k o m m t besonders beim Weisheitszahn vor, dessen Durchbruch normalerweise gegen das 20. Lebensjahr erfolgen soll. Bei dieser Gelegenheit kann es zu schmerzhaften, entzündlichen Vorgängen erheblicher A r t mit Kieferklemme kommen, welche die Extraktion des Zahnes nach operativer Freilegung notwendig machen kann. Frakturen und L u x a t i o n e n der Kiefer Die Oberkieferfrakturen entstehen ausnahmslos durch die Einwirkung direkter Gewalt, z. B. Schlag gegen das Gesicht oder Sturz auf dasselbe. Die Bruchlinien pflegen vom Jochbein zum Flügelfortsatz längs der N a h t des h a r t e n Gaumens zu verlaufen. Die Dislokation ist meist nicht sehr hochgradig, jedoch sind gleichzeitige Verletzungen der Schleimhaut recht häufig, so daß es sich dann um komplizierte F r a k t u r e n handelt. Eine Verschiebung des gesamten Oberkieferknochens nach hinten gegen den Rachen zu k o m m t nach schweren Gewalteinwirkungen gelegentlich einmal vor. Die Verletzung ist mit starker Entstellung des Gesichts verbunden. Weiterhin können als typische Verletzung der gesamte Alveolarfortsatz oder auch Teile desselben abbrechen und verschoben werden. Verletzungen der pneumatischen Höhlen des Schädels m i t H a u t e m p h y s e m und Vereiterungen treten gelegentlich als Komplikationen auf. Neuralgien im Bereiche des Nervus infraorbitalis können sich durch Druck auf diesen Nerven entweder durch die Verschiebung der Bruchstücke oder durch Kallus entwickeln. Die Brüche des Unterkiefers unterscheidet man zweckmäßigcrweise nach dem Sitz der F r a k t u r in den einzelnen Teilen dieses Knochens. Die Brüche des Alveolarteils des Unterkiefers können Biegungsbrüche sein, wenn eine seitlich einwirkende Gewalt den Bogen des Kiefers zusammenpreßt. E r pflegt dann häufig in der Gegend des Eckzahnes mit senkrechter F r a k t u r linie zu brechen. Direkte Gewalteinwirkungen der verschiedensten Art (z. B. Boxschlag, Hufschlag, Sturz und ähnliches) können den Kiefer in der verschiedensten Weise einseitig und doppelseitig brechen, auch Ausbrüche von Kieferteilen (Stückbrüche) kommen vor. Die Muskulatur der Kiefer erzeugt eine durchaus typische Dislokation der Bruchenden. Durch die Musculi temporalis, masseter und pterygoideus wird das gelenknahe Bruchstück nach obeninnen, durch die Zungenmuskulatur und den Biventer wird das andere Bruchstück nach unten gezogen und etwas außenrotiert. Da das Zahnfleisch dem Kieferknochen unverschieblich aufsitzt, so reißt es immer an der Bruchstelle ein, so daß eine Kommunikation zwischen Bruchstelle und Mundhöhle entsteht. Auch Abbrüche von Teilen des Alveolarfortsatzes mit den in ihm befindlichen Zähnen können vorkommen. Die Brüche des aufsteigenden Unterkieferastes und des Processus articularis mandibulae weisen meist nur eine geringe Verschiebung auf. Die Bruchlinie pflegt schräg von hinten unten nach vorn oben zu verlaufen. Frakturen des Gelenkfortsatzes entstehen indirekt durch Schlag gegen das Kinn. Der Unterkiefer wird durch den Zug des Musculus pterygoideus nach der verletzten Seite zu verschoben.

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Das wichtigste Symptom bei allen Kieferfrakturen ist ein abnormer Biß, d. h. es sind Lageveränderungen der Zähne gegeneinander bei geschlossenen Zahnreihen zu beobachten. Bei groben Dislokationen kann man eine Stufe im Verlauf des Kiefers fühlen und sehen. Auch Krepitationen und abnorme Beweglichkeit sind besonders bei Unterkieferfrakturen vorhanden. An der Bruchstelle kann man außerdem das eingerissene oder zum mindesten blutig unterlaufene Zahnfleisch sehen. Die Brüche des aufsteigenden Astes des Unterkiefers sind schwieriger zu erkennen. Gleichzeitige Betastung von außen und von der Mundhöhle her sowie der Vergleich mit der unverletzten Seite sind notwendig und lassen Deformierung und umschriebenen Druckschmerz erkennen. Ein in zweckmäßiger Strahlenrichtung angefertigtes Röntgenbild sichert die Diagnose. Bei allen Kieferfrakturen bestehen Schmerzen bei der Mundbewegung mit Kieferklemme sowie vermehrter Speichelfluß. Die Behandlung der Kieferbrüche erfolgt heutzutage fast ausschließlich durch den prothetisch vorgebildeten Zahnarzt. In seinen Händen werden sehr gute Ergebnisse besonders in der Wiederherstellung der normalen Form erreicht. Alle im einzelnen mitunter recht komplizierten Methoden, bei denen auch

Extensionen angewandt werden, haben das gemeinsam, daß die im Kiefer vorhandenen Zähne zum Befestigen der Schienen und Hilfsapparate verwendet werden. Die Wiederherstellung der normalen Artikulation der Zahnreihen ist

Verletzungen und Erkrankungen der Kiefer

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neben der Knochenbruchheilung an sich, welche etwa 5 Wochen benötigt, das Ziel der Behandlung. Wenn auch die definitive Behandlung der Kieferbrüche Sache des Zahnarztes ist, so m u ß doch jeder Arzt in der Lage sein, einen Notverband bei einem dislozierten Kieferbruch anlegen zu können. Alle Heftpflasterverbände und Bindenverbände erfüllen diesen Zweck nur sehr unvollkommen. Aber m i t Behelfsmitteln (Beißzange, Flachzange, D r a h t und Blumenbindedraht oder im Notfall sogar fester Zwirn) kann man eine provisorische Schienung anlegen, wie sie Abb. 52 zeigt. Wenn es, was bei Schußfrakturen häufig ist, zu einem Knochenverlust an der Bruchstelle und damit zu einer Defekipseudarthrose am Unterkiefer gekommen ist, m u ß von Anfang an durch prothetische Maßnahmen eine richtige Stellung der übrigen Kieferteile erzwungen werden. Sind alle Weichteilwunden reizlos verheilt, kann m a n den bestehenden Knochendefekt durch freie Transplantation von einem Stück Rippe oder Darmbeinkamm überbrücken. Die Verrenkungen des Unterkiefers können sowohl einseitig als auch doppelseitig auftreten. Fast stets erfolgen sie nach vorn. Verrenkungen nach hinten sind äußerst selten. Die typischen Verrenkungen nach vorn kommen durch übermäßiges Öffnen des Mundes beispielsweise beim Schreien, Gähnen, Erbrechen, auch bei Eingriffen an den Zähnen (Zahnziehen) zustande. Das Gelenkköpfchen zusammen m i t dem Diskus t r i t t nach vorn, ohne daß es zu einem Einriß in die Gelenkkapsel kommen muß. Bei doppelseitiger Luxation ist der Mund geöffnet (Maulsperre), der Kiefer steht nach vorn verschoben und ist federnd fixiert, die Sprache ist unverständlich. Von der Seite sieht und fühlt man eine Delle der Weichteile in der Gegend der Kiefergelenkpfanne. Bei der einseitigen Luxation ist der Mund geschlossen, aber es besteht ein ,,schiefer Biß", und zwar ist die Zahnreihe des Unterkiefers und damit auch das Kinn (im Gegensatz zur Fraktur) nach der unverletzten Seite abgewichen. Die Reposition der Kieferluxation läßt sich leicht im ChloräthylA b b . 53. Schiefer Biß bei linksseitiger oder Evipanrausch ausführen; beKieferluxation nach vorn steht bei dem Verletzten ein Alkoholrausch, so kann man mitunter die verlängerte Schrecksekunde zur Ausf ü h r u n g der Repositionsbewegungen ausnutzen. Die Reposition besteht darin, daß die Unterkieferäste zwischen Daumen und Zeigefinger gefaßt werden, wobei die Daumen in den Mund eingeführt werden. Dann wird der Unterkiefer

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leicht nach unten gezogen und gleichzeitig nach hinten gedrückt. Ohne Schwierigkeit pflegt das Gelenkköpfchen mit einem deutlichen Knacken seine normale Stelle wieder einzunehmen. Das Auftreten habitueller Luxationen ist bei dem sehr beweglichen Gelenk mit relativ großer Kapsel häufig und nicht verwunderlich. Man kann zur Verhinderung intraorale Prothesen anbringen, welche ein übermäßiges Öffnen des Mundes verhindern. Ihr Tragen ist aber auf die Dauer äußerst lästig. Alkoholeinspritzungen in die Umgebung des Gelenks zum Zwecke der Erzeugung einer Kapselschrumpfung sind wegen gelegentlich auftretender Fazialisparesen gefährlich. Am besten ist noch die operative Behandlung, für welche mehrere Methoden ausgearbeitet sind. E n t z ü n d u n g e n der K i e f e r Die Osteomyelitis der K i e f e r ist die wichtigste und häufigste entzündliche Erkrankung. Sie kann zwar, wie an allen anderen Knochen auch, hämatogen als bakterielle Metastase auftreten, doch ist dies Vorkommen ziemlich selten. E s kommt dabei zu einem sehr schweren Krankheitsbild mit plötzlich einsetzendem hohem Fieber, mit deutlichen Zeichen der Allgemeininfektion, Benommenheit, erheblicher Schwellung des Gesichts und Neigung zur Ausbildung einer Meningitis. Diese Erkrankung ist auch häufig tödlich. Sehr viel milder verläuft demgegenüber die Kieferosleomyelitis, ausgehend von den Zähnen, die man als umschriebene Form bezeichnen kann und welche

mym

A b b . 5 4 . S c h e m a der K i e f e r o s l e o m y e l i t i s

Abb. 55. Fistelnde

Kieferosteomyelitis

man mit dem Namen Pariiiis belegt hat. Von einem oder mehreren kariösen Zähnen, die vielleicht schon ein Wurzelgranulom haben können, kommt es langsam zu einer Infektion der Auskleidung der Zahnalveole, dann des Kiefer-

V e r l e t z u n g e n u n d E r k r a n k u n g e n der K i e f e r

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knochens selbst und zur Bildung eines subperiostalen Abszesses. Die Entstehungsweise wird durch die schematische Abb. 54 erläutert. Die Folge ist, daß unter der Wirkung des Eiters ein Teil des Knochens nekrotisch wird und im Verlauf von 6—12 Wochen sequestriert. Entsprechend dem Ubergreifen des Entzündungsprozesses auf das Periost mit Ausbildung des subperiostalen Abszesses und auf die umgebenden Weichteile entwickelt sich eine zunehmende Schwellung der Wange mit entzündlicher Rötung der Haut und nicht immer deutlich sichtbarer Fluktuation. Beim Sitz der Entzündung am Oberkiefer entwickelt sich ein Ödem der Augenlider, sind die Backenzähne befallen, frühzeitig eine Kieferklemme. Bei der Behandlung gelingt es nur in leichten Fällen, durch Extraktion des die Entzündung hervorrufenden Zahnes dem Eiter ausreichenden Abfluß zu verschaffen. In der Nachbarschaft der Eiterung sind die Zähne häufig gelockert. Sie sollen jedoch nicht ausgezogen werden, da sie nach Ausheilung der Eiterung wieder fest in ihren Zahnfächern stehen können. Genügt der Eiterabfluß durch die Alveole nicht, was meist der Fall sein wird, so muß der subperiostale Abszeß inzidiert und gegebenenfalls auch der Kieferknochen aufgemeißelt werden. Wenn irgend möglich, sollte dies nicht von außen, sondern von der Mundhöhle her erfolgen. Außerdem sind antibiotische Mittel in ausreichender Dosis anzuwenden. Uberläßt man einen nicht zu virulenten Eiterherd sich selbst, dann bricht der Eiter eines Tages nach außen durch und hinterläßt mitunter eine recht lange bestehen bleibende Zahnfistel. Man kann dieselbe nur dadurch zur Heilung bringen, daß man den an ihrem Grund befindlichen Knochensequester (Nachweis durch Röntgenbild) entfernt. Ist dies geschehen, schließt sich die Fistel ohne weitere Maßnahmen von selbst. Osteomyelitiden des Oberkiefers führen fast immer zu einem Empyem der Oberkieferhöhle, welche durch die Alveole des erzeugenden, extrahierten Zahnes drainiert werden kann. Die Tuberkulose der Kiefer spielt keine große Rolle. Meist entsteht sie fortgeleitet von einem Herd der Umgebung und befällt mit Vorliebe den Processus zygomaticus des Oberkiefers, an welchem sie langdauernde Fisteleiterungen unterhält, die unschön eingezogene Narben hinterlassen. Die Aktinomykose der Kieler wird durch die spezifischen Erreger, die zum Eindringen in den Körper häufig einen kariösen Zahn benutzen, hervorgerufen. Stets ist sie, wenn man von Frühfällen absieht, verbunden mit der gleichen Erkrankung der umgebenden Weichteile, die zu einer zunächst reflektorischen, später narbigen Kieferklemme führen kann. Wenn in Frühstadien der Prozeß auf den Kieferknochen beschränkt ist und zu einer spindelförmigen Auftreibung und Verdickung des Periosts führt, dann ist eine Verwechslung mit einem myelogenen Knochensarkom möglich. Die Behandlung erfolgt in Auskratzung der Herde mit dem scharfen Löffel mit nachfolgender Jodiontophorese oder Röntgenbestrahlung. Die Lues der Kiefer befällt vorwiegend den harten Gaumen und führt hier durch Zerfall des gebildeten Gummas zu kreisrunder Perforation. Die sonst am Knochensystem anzutreffende diffuse Periostitis ist am Kiefer selten. Bei den chronisch bedingten Entzündungen ist zunächst die in Deutschland dank der Maßnahmen der Gewerbehygiene nicht mehr vorkommende Phosphornekrose des Kiefers, die durch Einatmung der Dämpfe des gelben oder weißen Phosphors erzeugt wird, zu nennen. Sie führt zu einer Sklerose des Knochens und bei der Sekundärinfektion durch kariöse Zähne zu einer fast

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totalen Nekrose des Kiefers mit Ausbildung einer mächtigen Totenlade und ausgedehnten Fisteleiterungen. Die Knochenentzündung bei Perlmuiterdrechslern lokalisiert sich bei jungen Menschen am aufsteigenden Unterkieferast und befällt nie den Oberkiefer, wohl aber die Extremitätenknochen. Unter rheumatismusähnlichen Schmerzen entstehen zunächst elastisch sich anfühlende, später knochenharte Anschwellungen, die aber keine Neigung zur Eiterung haben. Nach Berufswechsel pflegen sich die Erscheinungen langsam zurückzubilden. Die Entzündungen des Kiefergelenkes können auf der Infektion mit akuten Eitererregern, Tuberkelbazillen, Gonokokken oder auch auf rheumatischer Grundlage beruhen, sie sind jedoch nicht sehr häufig. Die Symptome bestehen in einer schmerzhaften Bewegungsbehinderung mit zunehmender Kieferklemme und entsprechender Behinderung des Kauens und Sprechens sowie in einer Schwellung in der Gegend des Kiefergelenkes mit Schmerzen in dieser Gegend, welche mitunter fälschlicherweise auf das Ohr bezogen werden. Bei akuten Eiterungen besteht daneben Fieber. Alle Entzündungen heilen mit einer mehr oder weniger starken fibrösen Ankylose aus, die zu hochgradigster, starrer Kieferklemme führt und durch Behinderung der Nahrungsaufnahme zu korrigierenden Eingriffen (Arthroplastik) zwingt. Die Behandlung erfolgt im akuten Stadium je nach der Art der Erreger. Es ist anzustreben, durch Punktion des Gelenkes die Art der Erreger zu ermitteln. Möglichst frühzeitige Anwendung antibiotischer Mittel wird meist die Entstehung einer Ankylose verhindern. Bei rheumatischer Genese sind örtliche Wärmebehandlung und Badekuren zweckmäßig. Die Arthrosis als Abnutzungserkrankung kommt auch am Kiefergelenk vor. Von ihr wird auch der im Gelenk befindliche, relativ große Diskus befallen. Die Ursache liegt meist neben dem allgemeinen Gewebsverschleiß in einer falschen Belastung des Gelenkes bei abnormer Zahnstellung. Das Leiden führt zu Schmerzen bei den Kau- und Sprechbewegungen. Auch ein sehr lästiges, mitunter hörbares Knacken bei bestimmten Bewegungen kann sich einstellen. Die Behandlung erfolgt symptomatisch durch Kurzwellenbestrahlungen und Röntgenreizbestrahlungen. Sind sie erfolglos, steigern sich die Beschwerden oder nimmt die Kieferklemme erhebliche Grade an, so muß man zur operativen Arthroplastik schreiten. Die Kieferklemme (Trismus) ist keine eigene Erkrankung, sondern nur ein Symptom, das sich bei den verschiedensten Krankheitszuständen findet. Sie kann durch Veränderungen im Kiefergelenk selbst bedingt sein, viel häufiger aber hat sie ihre Ursache in einem abnormen Spannungszustand der Kaumuskulatur (Masseter und Temporaiis). Sie pflegt in verschiedenen Graden bei allen entzündlichen Erkrankungen der Kiefer, Zähne und Weichteile aufzutreten. Wenn man ihre Zunahme befürchtet, so ist es zweckmäßig, dem Kranken frühzeitig Holzkeile zwischen die Zähne zu schieben, damit die Zahnreihe geöffnet bleibt und die Ernährung möglich ist. Erwähnt sei ferner, daß der Trismus das erste Zeichen des Tetanus sein kann. Man muß also bei ihm stets nach weiteren Zeichen (Schluckbeschwerden, Risus sardonicus) fahnden. In leichten Fällen von Tetanus kann der Trismus das einzige Symptom bleiben. Diese Fälle werden häufig nicht richtig diagnostiziert,

V e r l e t z u n g e n u n d E r k r a n k u n g e n der K i e f e r

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Erkrankungen der Zähne Die Zahnerkrankungen und ihre Behandlung sind infolge der sehr hoch entwickelten Technik ein Sondergebiet der Heilkunde geworden. Während sie sich früher eigentlich nur auf die Extraktion von Zähnen und kariösen Zahnwurzeln beschränkte, wurde später die konservative Behandlung durch die Füllung schadhafter Zähne sowie durch Uberbrückung von totalen Zahndefekten oder Ersatz von Zähnen (Kronen usw.) zu einer ungeahnten Vollkommenheit ausgebaut. Die Behandlung der Karies mit ihren Folgen wie Pulpitis, Wurzelgranulom, Periodontitis bildet aber auch heute noch den Hauptteil zahnärztlicher Tätigkeit. Aber mehr und mehr wendet man sich mit zunehmendem Erfolg der so überaus wichtigen Prophylaxe in der Zahnheilkunde zu (Schulzahnpflege), um das unter den Einflüssen der Zivilisation defekt und anfällig gewordene menschliche Gebiß vor dem Auftreten von ernsten Schäden zu bewahren. Dies hat sowohl für die Allgemeinheit als auch für das Einzelwesen sehr große praktische Bedeutung, denn schadhafte Zähne sind nicht allein die Ursache zahlreicher und gefährlicher Erkrankungen der Mundhöhle und des Magen-Darmkanals, sondern auch die wichtigste Quelle der chronisch-septischen und rheumatischen Erkrankungen. Die Sanierung des Gebisses ist also nicht eine Frage der Kosmetik, sondern eine Grundbedingung für die Gesunderhaltung des Menschen. Und schließlich hat die Zahnheilkunde sich mit Erfolg der Orthopädie des Zahnsystems zugewandt, indem sie durch sachgemäße Pflege des kindlichen Milchgebisses fehlerhaften Zahnstellungen vorbeugt und schon bestehende durch komplizierte Methoden zu beheben versucht. Eine auch nur kurze Schilderung dieses ganzen Gebietes würde den Rahmen des Buches ungebührlich erweitern. Daher sei darauf verzichtet und auf Sonderdarstellungen verwiesen. Geschwülste der Kieler Die für den Kiefer spezifische gutartige Geschwulst ist die Epulis. Sie wird pathologisch-anatomisch mitunter noch als Riesenzellensarkom bezeichnet, ist aber wohl besser als entzündliche Granulationsgeschwulst anzusehen und ist tatsächlich auch klinisch gutartig. Vorwiegend tritt sie bei Frauen bis zum 40. Lebensjahr auf, aber auch bei Männern kommt sie vor. Sie nimmt ihren Ausgang vom Periost des Alveolarfortsatzes oder des Alveolarfaches selbst und bildet breitbasig oder mehr gestielt dem Zahnfleisch nahe den Zähnen aufsitzende, bläulichrote, manchmal recht blutreiche Geschwülste von Kirschgröße bis Kastaniengröße. Durch das Wachstum kann der Zahn, aus dessen Alveole der Tumor stammt, gelockert und zum Ausfallen gebracht werden. Auch Blutungen aus dem Tumor, besonders beim Kauen von Speisen mit Knochensplittern, Gräten usw., kommen vor. Beim weiteren Wachstum kann die Geschwulst in die Zwischenräume zwischen den Zähnen einwachsen und sie beiseite drängen und lockern. Infiltrierend wird das Wachstum jedoch nicht, auch eine Metastasierung kommt nicht vor. Die Behandlung erfolgt in der Exstirpation des Tumors. Dabei muß darauf geachtet werden, daß auch der gesamte Stiel einschließlich des Periosts entfernt wird. Unterbleibt dies, so kommt es zum Rezidiv. Am besten wird auch der unter der Ursprungsstelle gelegene Teil des Alveolarfortsatzes abgemeißelt. R o s t o c k , Lehrbuch der speziellen Chirurgie. 3. Aufl.

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Chirurgie des Kopfes

A b b . 56. Epulis

Weiterhin kommen an den Kieferknochen wie auch sonst an den übrigen Körperstellen Osteome, Chondrome, Exostosen vor. Das Angioma arteriale racemosum der Kieferknochen kann bei Zahnextraktionen zu bedrohlichen, schwer stillbaren Blutungen führen. Die wichtigsten bösartigen Geschwülste sind das Sarkom und das Karzinom. Leider werden die Anfangsstadien beider Geschwülste sehr oft übersehen (auch vom Arzt) oder als harmlose Anschwellungen entzündlicher Art oder als belanglose Geschwüre angesehen, obwohl Schmerzen zunächst nie vorhanden sind, was man bei den genannten Diagnosen eigentlich erwarten sollte. Das Sarkom entwickelt sich im jugendlichen Alter und bis zum 40. Lebensjahr. Es kann sowohl myelogen als auch periostal wachsen. Auch Kombinationen der beiden Formen sind beobachtet worden. J e zellreicher die Geschwulst ist, desto bösartiger pflegt sie zu sein. Die myelogenen Sarkome sitzen vorwiegend am Unterkieferast. Die Symptome bestehen in einer mehr oder weniger schnell sich entwickelnden Auftreibung der Knochen mit Ubergreifen des Geschwulstwachstums auf die bedeckenden Weichteile. Manchmal wird die Knochenschale so dünn, daß sie sich eindrücken läßt und „Pergamentknittern" zeigt. Durch Weiterwachsen vom Oberkiefer aus in Nasenhöhle und Augenhöhle können Verlegung der Nasenatmung und Verdrängung des Augapfels hervorgerufen werden. Im weiteren Verlauf kommt es schnell zum Zerfall des Tumors mit Verjauchung und starken Blutungen. In diesem Stadium pflegt der Tumor nicht mehr operabel zu sein. Unter schnell einsetzender Kachexie führt er bald zum Tode.

Verletzungen und Erkrankungen der Kiefer

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Die Behandlung erfolgt, wenn der Tumor noch örtlich begrenzt ist, durch Resektion des Oberkiefers oder des betroffenen Teils des Unterkiefers im Gesunden mit Ausräumung der regionären Lymphdrüsen. Inoperable Geschwülste sind der Strahlenbehandlung zuzuleiten. Die Dauererfolge sind nicht sehr günstig. Die primären Karzinome, besonders des Unterkiefers, nehmen ihren Ausgang von bei der Zahnentwicklung versprengten Epithelien. Sie sind recht selten, bilden zentrale Auftreibungen des Knochens und setzen frühzeitig Metastasen in die regionären Lymphdrüsen. Die Unterscheidung gegenüber einem myelogenen Sarkom ist mit Sicherheit nur durch die histologische Untersuchung möglich. Die Behandlung hat in der Resektion des Tumors im Gesunden zu bestehen. Wenn sich die bösartigen Geschwülste in der Oberkieferhöhle entwickeln, dann zeichnen sie sich durch einen charakteristischen klinischen Verlauf aus. Es sind im jugendlichen Alter meist Sarkome, ausgehend vom Periost, und im hohen Alter Karzinome, ausgehend vom Epithel der Schleimhaut der Innenauskleidung des Sinus maxillaris (Highmore). Meist pflegen es Zylinderzellensarkome zu sein. Die Besonderheiten im klinischen Verlauf gegenüber den gleichartigen Geschwülsten an anderer Stelle der Kiefer sind darin begründet, daß die Anfangsstadien nicht beobachtet werden können, da das Wachstum versteckt in der Kieferhöhle erfolgt. In diesem Zeitabschnitt bestehen wechselnde Zahnschmerzen, mitunter vom Charakter der Trigeminusneuralgie, und ödematöse Schwellungen der Nasenschleimhaut. Sie werden häufig falsch gedeutet und mit den verschiedensten Mitteln erfolglos behandelt, so daß kostbare Zeit für eine kausale Therapie ungenützt verstreicht. Hat die Geschwulst die Kieferhöhle ausgefüllt, dann kommt es zur Auftreibung des Knochens, Yorwölbung der Weichteile, Ödem des Augenlides. Weiterhin wächst die Geschwulst unter Zerstörung des Knochens in alle Gewebe und Organe der Nachbarschaft, besonders Nasen- und Augenhöhle, aber auch in die Weichteile der Wange. In der Nase kann sie zu Verwechslungen mit Nasenpolypen Anlaß geben. Die regionären Lymphdrüsen werden relativ spät befallen. Beim Verdacht auf Tumor ist möglichst frühzeitig Gewebe zur mikroskopischen Untersuchung zu gewinnen. Oft genügt hierzu die Probepunktion mit möglichst dicker Kanüle. Bei der Behandlung ist nur die radikale, totale Oberkieferresektion aussichtsreich. Röntgenbestrahlung läßt keine wesentlich besseren Heilungsergebnisse erhoffen. Geschwülste der Zahnanlagen Die Wurzelzysten entstehen dadurch, daß sich an der Spitze der Wurzel eines kariösen Zahnes Granulationsgewebe bildet (Wurzelgranulom), welches einen kugelförmigen Hohlraum in dem Knochen erzeugt. Im Verlauf des weiteren Wachstums bildet sich um die Zyste eine bindegewebige Membran. Die Zyste kann beträchtliche Größe erreichen, so daß der Kieferknochen bis zu Pergamentdünne abgebaut wird. Im Oberkiefer finden wir sie besonders häufig. Die Behandlung besteht in Abtragung der einen Wand derselben, Auskratzen der Höhle und sachgemäßer zahnärztlicher Versorgung des verursachenden Zahnes, wenn er sich erhalten läßt. Die Zahnzysten oder Follikularzysten entwickeln sich aus versprengten Zahnkeimen. Wir sehen beispielsweise auf dem Röntgenbild inmitten einer rundlichen Aufhellung im Knochen die Zahnkeime liegen. Es kann sich um einen 6*

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überzähligen oder manchmal auch um einen aus seiner normalen Lage verdrängten Zahnkeim handeln. Die Zyste ist von Epithelgewebe ausgekleidet und hat einen cholesterinartigen Inhalt. Das Wachstum der meist im 2. und 3. Lebensjahrzehnt auftretenden Geschwülste ist sehr langsam. Sie treiben den Kiefer nicht wesentlich auf, können aber auch gelegentlich einmal so groß werden, daß der Knochen nur noch pergamentdünn ist.Eine Verwechslung mit bösartigen Geschwülsten ist wegen der auf dem Röntgenbild erkennbaren Zahnkeime kaum möglich. Die Behandlung besteht in ResekBBE- IMMt ^ion dünnsten Wand der Zyste mit

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Die Adamantinome und Odontome kommen selten vor. Es sind meist zystische Geschwülste, welche sich aus den einzelnen Geweben des

Abb. 57. Zahnwurzelgranulom

Abb. 68. Zahnwurzelzyste

Abb. 69. Zahnzyste

Zahnes entwickeln und gutartigen Charakter haben. Sie können multipel vorhanden sein und manchmal einen Teil des Kieferknochens fast vollkommen durchsetzen, so daß nur eine teilweise Kieferresektion mit anschließender plastischer Deckung des gesetzten Defektes Heilung bringen kann.

Verletzungen und Erkrankungen der Kiefer

T y p i s c h e O p e r a t i o n e n an den

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Kiefern

Der an den Kiefern am häufigsten ausgeführte Eingriff ist zweifellos die Zahnextraktion. Sieläßtsich in Leitungsanästhesie oder Umspritzungsanästhesie mittels 2%iger Novokainlösung durchführen. Die Leitungsanästhesie für den Unterkiefer wird vom Inneren des Mundes aus am aufsteigenden Unterkieferast so vorgenommen, daß man mit langer Kanüle 1 cm über der Kaufläche und -SÄ zwar von der Richtung des fßMfmJ Eckzahnes von der anderen V&ÄJBT Seite her an der Lingula vorbei injiziert und dabei den f \ 8 ' /1 Nervus alveolaris mandibularis Ja I 1 H/J kurz vor seinem Eintritt in den Unterkieferknochen trifft (s. Abb. 60). Für die Leitungsanästhesie am Oberkiefer ist der Nervus infraorbitalis an seiner Austrittsstelle aus dem Knochen zu anästhesieren. Dies kann sowohl von außen her als auch von der oberen Schleimhautumschlagfalte der Mundhöhle aus erfolgen. Man erreicht dadurch eine Anästhesie von Oberlippe, Wangenhaut, Schneide- und Eckzähnen. Die Rami alveolares maxillares lassen sich ebenfalls von der Schleimhautumschlagfalte zwischen den beiden letzten 4J> Molaren her durch Einstechen Abb. 60. Leitungsanästhesie für den Unterkiefer entlang dem Tuber maxillae nach hinten anästhesieren. Am harten Gaumen kann man den Nervus nasopalatinus und den Nervus palatinus major leicht erreichen. Die für die einzelnen Zähne konstruierten Sonderzangen sind mehr zu empfehlen als die Universalzangen. Bei der Ausführung der Zahnextraktion muß man sich über Zahl und Lage der bei den einzelnen Zähnen vorhandenen Wurzeln klar sein. Die Haltung von Zange und Händen bei der Extraktion von Zähnen am Ober- und Unterkiefer zeigen die Abb. 61 und 62. Wichtig ist, daß die Backen der Zange zwischen Zahnfleisch respektive Alveolarwand und Zahn so weit kieferwärts vorgeschoben werden, daß sie sicher den Zahnhals umfassen, weil man bei Nichtbefolgung dieser Vorschrift beim kariösen Zahn leicht die Krone abbricht, und die Wurzel im Kiefer zurückbleibt. Durch wackelnde Bewegungen beim Oberkiefer vorwiegend nach den Lippen, beim Unterkiefer nach der Mundhöhle zu, wird der Zahn in der Alveole

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gelockert. Erst wenn das geschehen ist, beginnt unter leicht ziehenden und drehenden Bewegungen die eigentliche Extraktion. Zur Entfernung von tief im Kiefer sitzenden Wurzeln bedient man sich des „Geißfußes", dessen Anwendung Abb. 63 zeigt. Die Blutung aus der Alveole pflegt gering zu sein; sie steht von selbst oder nach kurzer Tamponade. Gute Mundpflege ist zur Verhütung der Infektion der Extraktionswunde notwendig. Mitunter stoßen sich nach einigen Wochen noch winzige Sequester ab, welche von abgebrochenen Knochenstücken vom Rande der Alveole stammen. Die partielle Oberkieferresektion wird bei umschriebenen, gutartigen Tumoren besonders des Alveolarfortsatzes ausgeführt. Nach Abpräparieren der Weichteile oder nach Umschneidung derselben in gewünschter Ausdehnung wird A b b . 61. Z a h n e x t r a k t i o n a m Oberkiefer mit dem Meißel oder der Hohlmeißelzange der Knochen in notwendigem Umfang entfernt. Die Blutung steht nach Tamponade. Die totale Oberkieferresektion, die sich schmerzfrei in örtlicher Betäubung ausführen läßt, ist bei bösartigen Geschwülsten des Oberkiefers angezeigt. Es sind mehrere Techniken ausgearbeitet worden. Der Hautschnitt wird zweckmäßig (nach D i e f f e n b a c h und W e b e r ) über dem unteren Orbitalrand und gleichlaufend dem seitlichen Nasenansatz ausgeführt, so daß der Weichteillappen nach außen umgeschlagen werden kann. Nach stumpfer Ablösung des Periosts von der unteren Orbitalwand wird eine G i g 1 i - Säge durch die Fissura orbitalis sphenomaxillaris hinter die Oberkiefer-Jochbeinverbindung gebracht und diese durchsägt. Mit Hilfe eines Meißels werden die Knochenverbindung zum Stirn- und Nasenbein und nach Extraktion eines Schneidezahnes der harte Gaumen durchtrennt. Mit einem Meißel wird dann noch der Oberkiefer vom Processus pterygoideus gelöst. Die Blutung wird durch feste Tamponade gestillt, über welcher die Weichteile vernäht werden. Die Operationsmortalität beträgt 10—15%. Die kosmetische Entstellung des Gesichtes ist geringer, als man annehmen sollte.

V e r l e t z u n g e n u n d E r k r a n k u n g e n der Kiefer

Abt). 62. Z a h n e x t r a k t i o n a m U n t e r k i e f e r

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Chirurgie des Kopfes

Die Resektion des Kiefergelenkes wird zweckmäßig von einem hinter der Ohrmuschel gelegenen Schnitt, bei dem der Gehörgang durchtrennt und die Ohrmuschel nach vorn geklappt werden, ausgeführt. Die sonst stets drohende Verletzung des Nervus facialis wird hierdurch fast sicher vermieden. Nach Eröffnung des Gelenkes werden je nach Bedarf der Diskus oder das Gelenkköpfchen entfernt und in den so geschaffenen Spalt Lappen aus Fettgewebe, Faszie oder Muskel implantiert. Die durchtrennten Weichteile werden wieder vernäht. Die Resektion des Unterkiefers läßt sich gut in örtlicher Betäubung durchführen. Vor ihrer Ausführung müssen vom Zahnarzt Gleitschienen angelegt werden, welche die Kieferreste in der richtigen Lage halten. Von einem Schnitt etwas hinter dem Unterkieferrand oder auch vom Inneren der Mundhöhle aus wird der entsprechende Teil des Unterkiefers teils stumpf mit dem Elevatorium, teils scharf mobilisiert und dann der Knochen mit einer Säge durchtrennt. Zwischen den Resektionsenden kann man eine provisorische Schiene einfügen. Die Schleimhaut der Mundhöhle ist zu vernähen. In einer späteren Sitzung nach Abschluß der Wundheilung kann der Defekt durch eine freie Knochentransplantation aus Rippe oder Beckenkamm überbrückt werden.

Verletzungen und Erkrankungen der Speicheldrüsen Verletzungen der Speicheldrüsen können sowohl den Drüsenkörper selbst als auch isoliert den Ausführungsgang treffen. Gelegenheit hierzu ist bei den verschiedenartigsten Verletzungen gegeben. Früher waren es häufig Mensurverletzungen (Parotis), heute sind es Glassplitterverletzungen bei Kraftwagenzusammenstößen. Die Verletzungen einer Speicheldrüse kann man durch das im Wundbereich frei zu Tage liegende, weißlich-körnige, in Lappenform angeordnete Drüsengewebe erkennen. Mitunter kann man auch die Speichelsekretion in der Wunde beobachten. Die Verletzung kleiner Drüsenteile pflegt besonders nach sachgemäßer Naht der Wunde von selbst zu heilen. In den ersten Tagen ist die Darreichung einer flüssigen, reizlosen Kost zur Vermeidung von Kaubewegungen und vermehrter Speichelabsonderung ratsam. Etwa trotzdem auftretende Speichelfistein pflegen sich nach einigen Wochen in einem hohen Prozentsatz der Fälle noch spontan zu schließen, so daß man auch bei ihnen zunächst noch abwarten kann. Die Speichelfisteln führen die Menschen sicher sehr häufig zum Arzt, da der nach außen erfolgende Speichelfluß besonders beim Essen sehr lästig ist, so daß die Kranken gezwungen sind, Gesellschaft zu meiden. Mitunter führt eine richtig dosierte Röntgenbestrahlung zur Verminderung und zu vorübergehendem Versiegen der Speichelabsonderung und in Verbindung mit Ätzung des Fistelganges zu seiner Ausheilung. Bei Speichelfisteln im Bereich eines Drüsenteils führt seine Exstirpation ebenfalls zur Heilung der Fistel. Die Verletzung eines Speicheldrüsenausganges ist beim Ductus parotidicus (Stenonis) dem Ausführungsgang der Parotis, besonders häufig und führt hier

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leicht zur Ausbildung einer Speichelfistel. Der Gang entspringt etwas oberhalb der Mitte des Drüsenrandes, liegt über dem Musculus masseter, biegt an seinem vorderen Rande ein, durchbohrt den Musculus bucinatorius und mündet schlitzförmig in der Mundhöhle ungefähr gegenüber dem 2. Molarzahn. Verletzungen können ihn in seinem ganzen Verlauf treffen. Die Fisteln bilden sich nach der Mundhöhle zu oder nach außen. Die ersteren sind praktisch bedeutungslos. Die Behandlung einer Speichelgangsfistel

erfolgt zunächst derart, daß man

von der äußeren Fistelöffnung zur Mundhöhle durchstößt und den so gebildeten Gang durch Einführen eines dünnen Drains oder eines dicken Seidenfadens für mindestens 10—14 Tage, möglichst länger, offenhält, gleichzeitig die äußere Fistelöffnung dicht verklebt. Erst bei mehrfachem Versagen dieses Eingriffes wird man sich zu Plastiken aus Schleimhautlappen oder Verpflanzung der gesamten Fistel nach der Mundhöhle oder zur völligen Ausschaltung der Speichelsekretion mittels Durchtrennung des Nervus auriculo-temporalis oder Röntgenbestrahlung entschließen.

Akute und chronische Entzündungen der Speicheldrüsen Die akuten Entzündungen haben ihren Sitz vorwiegend in der Parotis, die chronischen in der Submandibularis, während die Subungualis von beiden nur selten befallen wird. Die Parotitis epidemica (Mumps, Ziegenpeter) befällt meist Kinder vor dem 10. Lebensjahr, seltener ist sie in späteren Lebensjahren bis zur Pubertät. Unter einem wenigeTage andauerndenTemperaturanstieg auf 39 ° und mehr schwillt die Parotis zu weich-elastischer Konsistenz an, wird schmerzhaft bei Druck, Kaubewegungen und auch spontan. Es kommt weiter zu einem Ödem der Umgebung von den Augenlidern zum Hals, von der Wange bis zum Nacken. Die Erkrankung ist meist einseitig (links bevorzugt), kann aber auch doppelseitig sein. Das epidemische Auftreten ist typisch, spezifische Erreger sind nicht sicher bekannt. Manches in dem Krankheitsbild ist noch unklar, beispielsweise das Mitbefallensein von Hoden (eventuell mit bestehen bleibender Hodenatrophie), Ovarien und Brustdrüsen. Die Prognose ist trotz der stürmischen Anfangserscheinungen durchaus günstig, zur Vereiterung kommt es fast nie. Behandlung mit Bettruhe und Ölumschlägen unter gleichzeitiger gelinder Wärmeeinwirkung (Umschlag mit wollenem Tuch, kein Heizkissen) führt zur Heilung. Die eitrige Parotitis ist meist eine Sekundärerkrankung anderer Leiden. Wir finden sie im Verlauf zahlreicher innerer Erkrankungen, von denen als die wichtigsten Grippe, Pneumonie, Scharlach, Typhus, Fleckfieber, Pokken, Cholera, Pest genannt seien. Besonders bösartig in ihrem Verlauf ist die Erkrankung, wenn sie eine Teilerscheinung einer Allgemeininfektion darstellt. Aber auch nach chirurgischen Eingriffen am Magen-Darmkanal erleben wir die Parotitis. Man hat geglaubt, daß ein Druck auf die Drüse beim Vorschieben des Kiefers während der Narkose zur Ausbildung der Infektion disponiert, denkbar ist es auf jeden Fall. Die Prognose ist stets ernst zu stellen, ganz besonders bei alten und durch ein verzehrendes Primärleiden heruntergekommenen Kranken. Bei ihnen kann

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Chirurgie d e s Kopfes

das Auftreten der Parotitis die letzte Ursache zum Erlöschen des Lebens darstellen. Die Symptome der Erkrankung pflegen plötzlich bei gleichzeitigem Temperaturanstieg auf 40° und mehr einzusetzen. Es entwickelt sich unter starken Schmerzen eine diffuse, harte Anschwellung der Parotis mit Ödem der Umgebung, Abhebung des Ohrläppchens, Schluckbeschwerden, manchmal Atemnot, Benommenheit, Delirien. Nach einigen Tagen rötet sich die H a u t über der Parotis. Das Vorhandensein von Eiter ist durch Betastung nur sehr schwer festzustellen, da die durch den Entzündungsprozeß sehr stark gespannte Kapsel der Parotis das Prüfen der Fluktuation verhindert. Etwa vom 3. bis 4. Tage nach Beginn der Erkrankung ab pflegt es zur häufig multiplen Vereiterung des Drüsenparenchyms zu kommen. Die Entzündung kann sowohl phlegmonösen als auch abszedierenden Charakter haben. Weiterhin kann es zur Nekrose und Sequestrierung ganzer Drüsenabschnitte kommen. Abszesse können nach außen zur Haut oder auch zum Gehörgang durchbrechen. Jauchige Phlegmonen des Halszellgewebes bis zur Schädelbasis sowie Thrombosen der Vena jugularis und des Hirnsinus können sich daraus entwickeln. Als Behandlung können zunächst antibiotische Mittel angewendet werden. Wenn dann aber die Allgemein- und lokalen Symptome sich nicht deutlich bessern, zögere man nicht, den Entzündungsherd operativ zu eröffnen. Auch wenn man nicht auf Abszesse stößt, pflegt die Eröffnung der Parotiskapsel eine Entlastung der entzündlichen Spannung zu bewirken und damit die Sekrete nach außen abzuleiten, statt sie in die umgebenden Gewebe zu pressen. Der Hautschnitt wird gleichlaufend mit dem Fazialis, dessen Verletzung man peinlichst vermeiden muß, angelegt. Nun geht man nach Spaltung der Faszie stumpf mit einer Kornzange vor und sucht nach Abszessen. Die Inzisionswunde muß offengehalten werden. Auf sorgfältige Mundpflege ist (auch zur Prophylaxe vor und nach Operationen) großer Wert zu legen. Die chronischen Entzündungen der Speicheldrüsen pflegen schubweise zu verlaufen, mitunter nur zu bindegewebigen Verhärtungen, manchmal aber auch zu kleinen, punktförmigen Eiterungen in der Drüsensubstanz zu führen. Letztere sind verdächtig auf Aktinomykose. Die Behandlung kann in Einwirkung von Wärme (Kurzwellendurchflutung) und Röntgenbestrahlung bestehen. Bei dem Sitz in der Submandibularis ist in hartnäckigen Fällen die leicht auszuführende Totalexstirpation der Drüse ratsam. Zur Verhütung rezidivierender Entzündungen sind Sanierung des Zahnsystems und regelmäßige Mundpflege unerläßlich. Eine ihrer Ursache nach nicht geklärte Erkrankung besteht in der Schwellung aller Speicheldrüsen und der Tränendrüsen sowie der Schleimdrüsen der Mundhöhle. Sie führt den Namen Mikulicz'sehe Erkrankung und entwickelt sich langsam und schmerzlos im 3. Lebensjahrzehnt vollkommen symmetrisch in den vorher genannten Drüsen, die im Laufe der Jahre zu derben, glatten Geschwülsten wachsen können. Meist pflegt gleichzeitig ein Trockenheitsgefühl im Munde zu bestehen. Die Therapie ist nicht sehr aussichtsreich. Man hat Gaben von Jodkali oder Arsenpräparaten sowie Röntgenbestrahlungen mit nicht sicherem Erfolg versucht.

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Speichelsteine Sie kommen in Einzahl oder Mehrzahl in den Ausführungsgängen, seltener im Parenchym aller drei Speicheldrüsen, vor. Entstanden sind sie durch Inkrustierungen von Fremdkörpern (Haarborsten) oder von Epithelien der Ausführungsgänge besonders bei gleichzeitig vorhandener Störung der Speichelsekretion und leichten Entzündungen des Ausführungsganges. Sie haben meist die Form eines Dattelkernes und erreichen auch mitunter seine Größe. Die klinischen Erscheinungen bestehen in rezidivierenden, manchmal mit leichten Koliken verbundenen, drückenden Schmerzen im Bereich der betroffenen Drüsen, welche durch Stauung in Verbindung mit leichter Entzündung zwanglos erklärt werden können. Bei der Betrachtung vom Munde her findet man meist einen entzündlichen Hof um die Mündung des Speichelganges herum. Durch Sondierung des Ganges und durch Betastung kann man den Stein fühlen, manchmal ihn auch auf dem Röntgenbild darstellen. Durch eine Inzision, die stets von der Wangenschleimhaut aus vorzunehmen ist, lassen sich die Steine entfernen. Geschwülste der Speicheldrüsen Bei angeborenem oder erworbenem Verschluß von kleinen Ausführungsgängen kann es zu echten Zysten kommen. Besonders finden wir sie an der Sublingualis. Dann liegt beiderseits der Zunge eine manchmal durch die Schleimhaut durchscheinende, walzenförmige Anschwellung, welche der Zunge ein dickes, gedunsenes Aussehen gibt. Die Erkrankung führt auch den Namen Ranula. Die einfache Inzision führt meist zu Rezidiven. Besser ist die Exstirpation des größten Teiles des Sackes und Vernähen des Restes der Zystenwand mit der Mundschleimhaut. Die für die Speicheldrüsen, ganz besonders die Parotis, typischen Tumoren sind die Mischgeschwülste. In ihnen finden sich pathologischanatomisch zahlreiche Gewebsarten wie fibröses Gewebe, Schleimgewebe, Knorpel, Knochen, Muskel. Sie können in allen nur denkbaren Kombinationen und in allen Formen Abb. 64. Parotistumor des Ubergangs von der Gutartigkeit zur Bösartigkeit angetroffen werden. Sie pflegen sich im 3. Lebensjahrzehnt langsam zu entwickeln und können zu erheblicher Größe anwachsen. Maligne Degeneration auch schon von Beginn des Wachstums an ist häufig.

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Chirurgie des Koples

Klinisch bilden sie umschriebene, sehr deutlich abgrenzbare Tumoren in der Parotisgegend, die bei ihrem Wachstum das Ohrläppchen abheben. Ihre Wachstumsrichtung liegt zwischen aufsteigendem Kieferrand und vorderem Rand des Musculus sternocleidomastoideus. Das Mitergriffensein regionärer Lymphdrüsen ist ein sicheres Zeichen maligner Degeneration. Die Behandlung besteht in der möglichst frühzeitigen radikalen Entfernung der Geschwulst mit der gesamten Kapsel, da man mit einer malignen Entartung häufig rechnen muß. Der Eingriff ist technisch schwierig, da der die Parotis durchbohrende Nervus facialis geschont werden soll. Bei schon vorhandener maligner Degeneration muß der Nerv oft geopfert werden, wenn man eine Dauerheilung von dem Geschwulstleiden erreichen will. Die Karzinome der Speicheldrüsen kommen in Form des medullären Krebses und des Scirrhus hauptsächlich in der Parotis vor. Besonders die letztere Form wird in ihren Anfängen meist übersehen. Frühzeitig bildet sich eine Fazialisparese aus. Es kommt dann zu kraterförmiger Einziehung der Haut, mitunter auch zur Ausbildung eines kleinen, nicht stark absondernden Geschwürs. Das Leiden befällt vorwiegend alte Leute. Der Medullarkrebs der Speicheldrüsen pflegt bei jüngeren Menschen aufzutreten und bildet rasch wachsende, weiche, frühzeitig zerfallende Geschwülste, die sich bald in die Umgebung ausbreiten und auch sehr schnell metastasieren. Diese Form der Erkrankung führt manchmal schon innerhalb weniger Monate zum Tode. Die Behandlung besteht in Frühstadien in der Exstirpation, sonst in Bestrahlungen mit Röntgen oder Radium (Spickung). Die Aussichten auf Dauerheilung sind gering. Sarkome sind selten. Sie gleichen klinisch dem Markschwamm. Die richtige Diagnose ist nur durch mikroskopische Untersuchung möglich.

Verletzungen und Erkrankungen des Ohrs Am Gehörorgan unterscheidet man die Ohrmuschel, das mittlere und das innere Ohr. Die Verletzungen und Erkrankungen der beiden letzteren sind ein Sonderlehrgebiet der Medizin geworden, so daß auf ihre Darstellung in diesem Buch verzichtet wird. Nur die Ohrmuschel soll hier besprochen werden. Mißbildungen der Ohrmuschel kommen angeboren in allen Graden bis zum völligen Fehlen vor. Sie machen gegebenenfalls Plastiken notwendig, die aber zweckmäßigerweise erst nach Abschluß des Wachstums ausgeführt werden. Die häufigsten Mißbildungen sind die sogenannten Aurikularanhänge am Ohr selbst oder seiner Nachbarschaft. Es sind mehr oder weniger gestielte Hautfalten, die in ihrem Inneren Knorpel enthalten. Fisteln als Reste des Kiemenganges können aus der Gegend vor und unter der Gehörgangsmündung zum vorderen Horn des Zungenbeins führen. Sie gleichen in Entstehungsweise, Symptomen und Behandlung den später beschriebenen Halsfisteln (s. S. 95). Die operative Behandlung einer angeborenen Atresia auris hat nur dann Sinn, wenn das Innenohr funktionstüchtig ist. Eine häufig angeborene Mißbildung stellen die absiehenden Ohren dar. Vielfach wird dem Chirurgen die Aufgabe gestellt, diesen Schönheitsfehler zu beseitigen. Das gelingt mit geeigneten Methoden auch recht gut, allerdings manchmal erst nach mehreren Eingriffen.

Die Verletzungen und Erkrankungen der Nase und der Nebenhöhlen

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Die Verletzungen der Ohrmuschel sind nicht selten. Bei der Nahtversorgung von Schnittverletzungen ist zu beachten, daß die feinen Nähte den Ohrknorpel nicht mitfassen sollen, um sehr lästige Knorpelnekrosen zu vermeiden. Man soll stets abgerissene Ohrteile annähen, auch wenn sie nur an den feinsten Gewebsbrücken hängen oder ganz abgerissen sind. Die Neigung zur Anheilung ist an diesen Stellen ganz besonders groß. Die Wiederherstellungschirurgie der durch Verletzungen oder Erkrankungen veränderten Ohrmuscheln erfordert komplizierte und dem Einzelfall angepaßte Plastiken. Der operative Ersatz der völlig verlorengegangenen Ohrmuschel ist die schwerste Aufgabe, welche der plastischen Chirurgie gestellt werden kann. Die Ergebnisse sind nicht immer befriedigend, so daß auch aus Kunststoffen hergestellte Prothesen getragen werden, die sich kaum von einer normalen Ohrmuschel unterscheiden lassen. Stumpfe Verletzungen der Ohrmuschel werden durch starken Druck, Faustschlag oder ähnliche Gewalteinwirkungen erzeugt. Es bildet sich ein Bluterguß zwischen dem Perichondrium und dem Ohrknorpel, das sogenannte Othämatom. Dieses stellt eine kuglige Vorwölbung verschiedener Größe im Bereich der Ohrmuschel dar. Die Resorption des Blutergusses ist oft erheblich verzögert, so daß Punktionen angezeigt sind. Aber Rezidive sind häufig, so daß die Anschwellung oft operativ ausgeräumt werden muß. Man verhindere aber peinlichst jede Infektion, denn die durch sie gesetzte Perichondritis ist äußerst hartnäckig und kann zur Abstoßung des Ohrknorpels und damit zu häßlicher Formveränderung der Ohrmuschel führen. Die Ohrmuschel ist leicht Erfrierungen ausgesetzt, die meist zu starken Formveränderungen mit Einkrempelung der Ränder und bestehen bleibender Rötung der Ohrmuschel führen. Nur das Tragen von genügendem Kälteschutz kann es verhindern. Erfrorene Ohren brechen leicht; sie müssen sehr langsam aufgetaut werden. Die Entzündungen der Ohrmuschel können akuter und chronischer Natur sein. Häufig nehmen die akuten ihren Ausgang von Ekzemen besonders der Umschlagfalten oder auch von Wunden, die zum Zwecke des Tragens von Ohrringen gesetzt werden. Es bilden sich sehr schmerzhafte Schwellungen und Rötungen der Ohrmuschel. Frühzeitige, multiple Inzisionen an Vorderseite und Hinterseite entlang der natürlichen Falten sind notwendig. Diese Inzisionen dürfen nicht das Perichondrium verletzen, um Knorpelnekrosen zu verhüten. Von der akuten, eitrigen Entzündung sind Gichtknoten zu unterscheiden, welche im Beginn vielleicht mit ihnen verwechselt werden können. Tuberkulose und Lues kommen am äußeren Ohr vor, in tropischen Ländern besonders gern auch die Lepra.

Die Verletzungen und Erkrankungen der Nase und der Nebenhöhlen sind ebenfalls ein Sonderlehrgebiet der Medizin geworden, so daß auf die Lehrbücher der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde verwiesen werden muß. Nur die äußere Nase soll kurz behandelt werden. Die Verletzungen und Erkrankungen der äußeren Weichteile der Nase gleichen in allem den entsprechenden Prozessen des Gesichts, so daß sich eine

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Chirurgie des Kopfes

Wiederholung erübrigt. Für den plastischen Ersatz von Substanzdefekten der Nase, z. B. als Endzustand von Verletzungen und Entzündungen, sind zahlreiche Operationsmethoden (indische und italienische Plastik) ersonnen worden, deren auch nur andeutungsweise Beschreibung den Rahmen des Buches überschreiten würde. Man kann mit leidlich gutem, kosmetischem Ergebnis eine verlorengegangene Nase wieder ersetzen, auch abnorme Formen korrigieren. Es ist nicht berechtigt, dieses besonders schwierige und auch keinesfalls gefahrlose Gebiet Heilkundigen zu überlassen, wie es früher einmal der Fall war. Der Arzt kann hier viel Gutes tun, denn die operative Beseitigung einer unschönen Gesichtsform ist für ihren Träger ebenso bedeutungsvoll wie zahlreiche andere operative Eingriffe. Die Brüche der knöchernen Nase kommen im täglichen Leben häufig als Folge von Stürzen oder anderen lokalen Gewalteinwirkungen vor. Meist sind sie von Verletzungen der Schleimhaut, manchmal auch der äußeren Haut, begleitet, sind also komplizierte Frakturen. Trotzdem pflegt es keineswegs immer zu einer nennenswerten Infektion der Bruchstelle zu kommen. Dem Mechanismus nach sind es Splitterbrüche, bei denen durch die Gewalt meist eine Sattelnase erzeugt wird. Aber auch seitliche Verschiebungen der Nasenachse kommen vor. Da sich sofort nach der Verletzung ziemlich schnell eine ödematöse Schwellung der Weichteile ausbildet, so sind die Deformierungen nicht so deutlich zu erkennen, wie man eigentlich annehmen sollte. Die Blutung pflegt zunächst erheblich zu sein, steht aber bald, besonders nach Tamponade. Durch Betastung der Nase von außen her kann man sich einen Eindruck von der durch die Fraktur gesetzten Knochenverschiebung machen. Die Anfertigung eines Röntgenbildes erübrigt sich in den meisten Fällen. Die Behandlung hat in einer sorgfältigen Behebung der Formveränderung der Nase zu bestehen. Man erreicht sie durch Einführung eines Elevatoriums in das Naseninnere und Aufrichtung der imprimierten Knochenstücke, welche durch Tamponade in ihrer Lage gehalten werden. Hiermit erreicht man auch gleichzeitig eine Blutstillung. Seitliche Abweichungen können durch Anlegen eines Nasenformers beseitigt werden. Die Tamponade ist nach 3 Tagen zu beseitigen und zu erneuern, beim Eintreten von Kopfschmerzen sofort.

Die Verletzungen und Erkrankungen der Augen samt Augenhöhle und Lidern sind ebenfalls ein Sondergebiet geworden. Obwohl die Gebiete sich nicht immer, beispielsweise Gesichtsphlegmone und Orbitalphlegmone, Verletzungen des Gesichts und der Augenlider, Karzinome in dieser Gegend, klar voneinander abgrenzen lassen, soll hier auf eine Schilderung verzichtet und auf die . Lehrbücher der Augenheilkunde verwiesen werden.

Chirurgie des Halses Mißbildungen Halszysten und Halsfisteln Da im fötalen Leben die Organe des Halses durch die Verschmelzung der beiden unteren Kiemenbögen und der drei unteren Kiementaschen entstehen, so finden wir nicht allzu selten die verschiedenartigsten Hemmungsmißbildungen, welche klinisch meist als Fisteln oder Zysten in Erscheinung treten. Es handelt sich in beiden Fällen um dieselbe Entstehungsweise nur verschiedenen Grades. Bei den Fisteln haben wir es mit dem vollkommenen Offenbleiben eines embryonalen Ganges, der mit Epithel ausgekleidet ist, zu tun; bei den Zysten ist ein Teil dieses Ganges obliteriert, so daß das Sekret des Epithels sich staut und zu einer sichtbaren Anschwellung führt. Dieses Sekret, welches sich in den Zysten findet und das von den Fisteln ausgeschieden wird, pflegt eine schleimig-seröse Flüssigkeit zu sein, welche mit Epithelschuppen vermengt ist. Die mittleren Halsfisteln oder Zysten sind Reste des Ductus thyreoglossus, welcher vom Foramen coecum der Zunge durch das Zungenbein hindurch zum Lobus pyramidalis der Schilddrüse führt. Häufiger als komplette Fisteln beobachten wir innere Fisteln und Zysten, welche mitunter mit kleinen Kropfknoten verwechselt werden können. Sie stellen in der Mittellinie meist unter dem Zungenbein gelegene, kuglige, glatt begrenzte Anschwellungen dar, die beim Schluckakt verschieblich sind. Die seitlichen Halsfisteln und Zysten sind Reste des auf jeder Körperseite angelegten Ductus thymopharyngicus. Wir finden hier häufiger Fisteln als Zysten. Der Gang ist sowohl mit Plattenepithel als auch mit Flimmerepithel ausgekleidet. Er verläuft von der Tonsille durch die Bifui kation der Karotis zur Haut der seitlichen Halsgegend und bildet hier eine feine Öffnung, aus

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Chirurgie des Halses

der sich geringe Mengen eines schleimigen Sekretes entleeren. Die Zysten sind runde, pflaumenförmige, gut begrenzte Anschwellungen, welche leicht mit Lymphdrüsenanschwellungen in dieser Gegend verwechselt werden können. Durch Sekretstauung bei vorübergehendem Verschluß können sich Entzündungserscheinungen um die Fistelwände herum oder des Inneren der Zysten entwikkeln. Im höheren Lebensalter ist die maligne Entartung zu Karzinomen beobachtet worden. Die Behandlung der Halszysten und Fisteln, sowohl der seitlichen als auch der mittleren, muß die restlose Entfernung des sezernierenden Epithels zum Ziele haben, denn wenn dies durch die Therapie nicht erreicht wird, dann kommt es sicher zur Ausbildung eines Rezidivs. Daher sind alle Methoden der Ätzung der Mündung oder der Injektion von ätzenden Flüssigkeiten in Gang oder Zyste in ihrer Wirkung recht ungewiß und sollten aus diesem Grunde verlassen werden. Die einzig erfolgversprechende Behandlung ist die radikale, sorgfältige Exstirpation des Fistelganges. Wenn man den vorher mitgeteilten Verlauf der Fisteln sich vergegenwärtigt, dann wird man einsehen, daß es sich dabei keineswegs um einen kleinen, in der Sprechstunde ohne sachkundige Hilfe und ausreichende Instrumente auszuführenden Eingriff handelt. Halsrippen Wir beobachten sie ab und zu in verschiedener Größe am 7. Halswirbel, und zwar sowohl einseitig als auch doppelseitig. Sie können einen belanglosen Nebenbefund darstellen, welcher gelegentlich irgendeiner Röntgenuntersuchung festgestellt wird, ohne daß die geringsten Störungen oder Beschwerden bestehen. Dann bedarf es auch keiner Behandlung. In anderen Fällen findet man aber recht typische Beschwerden im Bereich des sensiblen, seltener des motorischen Anteils des Plexus brachialis und Blutumlaufstörungen im Arm. Sie erklären sich dadurch, daß sowohl der Plexus als auch die Arteria subclavia über die Halsrippe hinweg verlaufen und daher bei Bewegungen, besonders bei hängendem Arm, Drosselungen des Blutstroms und Zerrungen an Abb. 66. Halsrippen den Nerven auftreten können. Die Beschwerden pflegen frühestens in der Pubertät, mitunter erst in späteren Lebensjahren aufzutreten und bestehen in wechselnden Parästhesien, Schwächegefühl im Arm, „Einschlafen" des Armes, Neuralgien, abwechselnd Blässe der Haut und Gefühl der Blutfülle, vorwiegend bei bestimmten, den Kranken manchmal genau bekannten Armhaltungen. Hin

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Mißbildungen

und wieder treten die Beschwerden beim Tragen von Lasten auf. Zuweilen ist (besonders bei einseitiger Halsrippe) eine Skoliose dieses Wirbelsäulenteils vorhanden. Die Röntgenaufnahme klärt die Natur des Leidens, nur selten kann man die überzählige Rippe tasten und noch seltener kann man ihre Spitze in der seitlichen Halsgegend als Anschwellung sehen. Die Rippe kann frei im Gewebe des Halses enden oder auch fibrös mit der ersten Rippe verbunden sein. Die Behandlung wird zunächst besonders vor Stellung der richtigen Diagnose in den verschiedensten konservativen Mitteln bestanden haben wie Einreibungen, Bäder, Packungen, Bestrahlungen, Diathermie, Elektrisieren. Nachhaltige Wirkungen sind von ihnen nicht zu erwarten. Nur die Exstirpation der Halsrippe mitsamt dem Periost (zur Verhütung einer Regeneration und damit des Rezidivs der Beschwerden) kann sicher Heilung bringen. Der Eingriff ist technisch recht schwierig.

Schiefhals (Caput obstipum, Torticollis) Man kann die verschiedenen vorkommenden Formen in angeborene und erworbene einteilen. Dabei sei gleich einleitend bemerkt, daß sich die Symptome der angeborenen Schiefhalsformen fast stets erst im Laufe des fortschreitenden Wachstums bemerkbar machen und keineswegs schon beim Säugling erkennbar sind. Die seltenste Form des angeborenen Schiefhalses ist der ossale Schief hals, auch Klippel-Feilsche Erkrankung genannt. Wir finden eine angeborene knöcherne Verschmelzung einiger Halswirbelkörper verbunden mit Vorhandensein von meist in seitlicher Richtung keilförmigen Schaltwirbeln. Die Kinder haben einen abnorm kurzen und schiefgestellten Hals, der verdickt und in seiner Beweglichkeit behindert ist. Kombinationen mit Mißbildungen an anderen Körperstellen sind häufig. Die Behandlung kann nur in möglichst frühzeitig einzuleitenden, muskelmechanischen Übungen bestehen, welche die Körperhaltung merklich bessern können. Der muskuläre Schiefhals der Kinder kann einmal angeboren und vererbt oder beim Geburtsakt erworben sein. Neben nach ihrer Natur noch unbekannten Erbfaktoren sind intrauterin erworbene, fibröse Degenerationen des Musculus sternocleidomastoideus einer Körperseite oder Narben nach intrauterinen Myositiden oder Belastungsdeformitäten bei Fruchtwassermangel die Entstehungsursachen des Schiefhalses. Zerreißungen eines Muskels beim Geburtsakt (Steißgeburten, Anwendung der Zange) mit anschließender narbiger Schrumpfung kommen sicher vor, sind aber nicht so häufig, wie mitunter angenommen wurde. Allen Formen gemeinsam ist eine sehnige und bindegewebige Entartung des Kopfnickermuskels. Da bei seinem zunehmenden Wachstum der narbige Anteil nicht mitwächst, so ist es erklärlich, daß die typischen klinischen Erscheinungen nicht sofort nach der Geburt erkennbar sind, sondern sich erst im Laufe der ersten Lebensjahre ausbilden und mit zunehmendem Alter stärker in Erscheinung treten. R o s t o c k , L e h r b u c h (1er speziellen Chirurgie. 3. A u f l .

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Chirurgie des H a l s e s

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Entsprechend Verlauf und Funktion des Kopfnickermuskels bestehen die klinischen Erscheinungen darin, daß der Kopf nach der kranken Seite geneigt, gleichzeitig das Kinn gehoben und der Hinterkopf gesenkt wird. Bei dem Versuch, den Kopf in gerade Haltung zu bringen, sieht und fühlt man den verkürzten, angespannten Kopfnickermuskel als straffen Strang unter der Haut. In ihm kann man durch Betastung die harten, sehnigen Teile von den weicheren, muskulären unterscheiden. Als Nebenbefund beobachtet man eine Skoliose der Halswirbelsäule mit der konkaven Seite nach dem erkrankten Muskel hin und fast stets auch eine mehr oder weniger auffallende Asymmetrie der Gesichtshälften mit bogenförmigem Verlauf der Nasen-Kinnlinie, welcher man den Namen Gesichtsskoliose gegeben hat.

A b b . 67

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A b b . 67 und 6 8 . Caput o b s t i p u m m i t Gesichtsskoliose

Die Behandlung des angeborenen muskulären Schiefhalses hat möglichst frühzeitig zu beginnen, damit die sekundären Formveränderungen der Halswirbelsäule und des Schädelskeletts keine zu erheblichen Ausmaße erreichen. Nur in ganz leichten Fällen wird man sich von konservativen Maßnahmen wie unblutigen Dehnungen mit korrigierenden Verbänden, Lagerung in der G l i s s o n sehen Schlinge eigentätiger und fremdtätiger Gymnastik einen merkbaren Erfolg versprechen können. Mittlere und schwere Formen sind nur durch die Durchschneidung der beiden unteren Ansätze des Muskels an Sternum und Klavikel zu bessern. Die früher übliche subkutane Durchschneidung von kleiner Einstichstelle aus (Gefahr der Gefäßverletzung) ist zugunsten der Durchschneidung unter Leitung des Auges so gut wie verlassen worden, weil man nur bei dieser Methode alle hindernden Stränge an beiden Ansatzstellen des Muskels und auch das mitunter sehnig degenerierte Platysma restlos durchschneiden kann. Man hat auch die völlige Exstirpation der narbigen Muskelteile ausgeführt. Nach dem operativen Eingriff soll ein Verband in überkorrigierter Kopfhaltung für mindestens 2—3 Wochen angelegt werden. Nach seiner Entfernung hat eine intensive Übungsbehandlung zu beginnen, die

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um so länger fortgesetzt werden muß, je älter der Kranke ist. Von ihr hängt es ab, ob der operative Eingriff einen Dauererfolg haben wird oder nicht. Von den erworbenen Schiefhalsformen ist zunächst der traumatische Schiefhals zu nennen. Er tritt auf nach einer deform verheilten Wirbelfraktur, zumal wenn die Kompression des Wirbelkörpers in seitlicher Ebene erfolgte, oder häufiger bei nichtreponierten Rotationsluxationen der Halswirbelsäule. Die plötzliche Ausbildung des Schiefhalses nach einem Unfallereignis und die Röntgenuntersuchung klären die Diagnose. Nur sofort nach der Verletzung ist eine Korrektur möglich, in veralteten Fällen ist eine Therapie nicht sehr erfolgversprechend. Der spondylitische Schiefhals ist ein Symptom der Spondylitis tuberculosa (seltener anderer spezifischer Entzündungen) des Atlantookzipit.algelenkes oder der oberen Halswirbelsäule. Wir beobachten bei ihm eine starre Kopfhaltung infolge muskulärer Fixation der Halswirbelsäule durch die gesamte Halsmuskulatur. Die Komponente der Seitwärtsneigung des Kopfes braucht dabei keineswegs immer vorhanden zu sein. Die Behandlung besteht natürlich in der des tuberkulösen Knochenprozesses. Der Schiefhals durch Narbenzug wird am häufigsten durch Hautverbrennungen, aber auch gelegentlich durch Lupus oder luetische Narben hervorgerufen. Zu seiner Beseitigung sind umfangreiche Hauttransplantationen, die dem Einzelfall angepaßt werden müssen, notwendig. Der muskuläre rheumatische Schiefhals, der sich häufig plötzlich unter starken hexenschußartigen Schmerzen oder auch langsam entwickelt, hat seine Ursache in Muskelhärten ( M y o g e l o s e n ) der Hals- und oberen Schultermuskulatur, die sich auf rheumatisch infektiöser Grundlage entwickeln. Die krampfhafte Schiefhaltung des Kopfes, deren Änderungsversuch sehr starke Schmerzen auslöst, ist charakteristisch und auch dem Laien bekannt. Behandlung mit Schwitzen, Bädern, örtlicher Wärmedarreichung verbunden mit Massage (eventuell unter einmaliger Gabe narkotischer Mittel) und Salizylmedikation pflegt rasch zur Heilung zu führen. Bei häufigerem Auftreten ist nach der Ursache des Rheumatismus zu fahnden (Tonsillen, Zahnwurzelgranulome, Darmaffektionen usw.). Der neurogene Schiefhals (Torticollis spasticus) geht einher mit klonischen und tonischen Zuckungen des Sternocleidomastoideus und der Nackenund Halsmuskulatur, so daß der Kopf ruckartig nach der Seite gedreht wird (Tic rotaloire). Durch psychische Erregungen steigern sich die Symptome, im Schlaf verschwinden sie vollkommen. Die Ursache liegt in abnormer Erregung des Corpus striatum besonders nach Enzephalitis. Aber auch ohne diese Erkrankung kommt das Leiden bei nervös leicht erregbaren Leuten vor. Nur bei diesen haben Suggestion, gymnastische Übungen, Gaben von Jod oder Brom Aussicht auf Erfolg. Das Leiden pflegt jedoch sehr hartnäckig zu sein und mitunter zum Morphinismus, ja sogar zu Selbstmordversuchen zu führen. Der paralytische Schiefhals, auftretend nach Lähmungen des Nervus accessorius, spielt keine große Rolle und macht auch nur geringe klinische Erscheinungen. 7*

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Chirurgie des Halses

In den letzten Jahren ist der oculare Torticollis beschrieben worden, bei dem die Schiefhaltung des Kopfes sekundär die Folge von Veränderungen in der Augenstellung ist, so daß Korrekturen an der Halsmuskulatur nicht zum Ziele führen, sondern Beseitigung der Augenstörung die Wiederherstellung der normalen Kopfhaltung bringt.

Verletzungen des Halses Da sich an der Vorderseite des Halses zahlreiche lebenswichtige Gebilde (Luftröhre, Speiseröhre, große Gefäße und Nervenstämme) auf kleinem Raum zusammendrängen, so ist an dieser Stelle die Möglichkeit zu akut lebensbedrohenden Verletzungen gegeben, welche vom Arzt sofortiges tatkräftiges Eingreifen verlangen. Die Verletzungen von Trachea, Kehlkopf und Ösophagus sind in den entsprechenden Abschnitten besprochen. Verbrennungen der Haut des Halses führen durch die schrumpfenden Narben zur Ausbildung des Schiefhalses (s. S. 99), bei dem plastische Operationen angezeigt sind. Die Schnittverletzungen der Selbstmörder, welche wohl stets die Durchtrennung der großen Halsschlagader zum Ziele haben, erreichen das keineswegs immer. Soweit sie überhaupt über die Verletzung der äußeren Hautschichten hinausgehen, werden als erstes meist Kehlkopf oder Luftröhre eröffnet, weil bei dem nach rückwärts gebeugten Kopf die großen Gefäße mehr in die Tiefe des Halses verlagert werden. Die Verletzungen der Blutgefäße sind stets lebensbedrohend. Die Verletzung der Arteria arotis communis führt, wenn sie in nennenswertem Umfang erfolgt und nicht sofort sachgemäße Hilfe geleistet werden kann, durch Verblutung in wenigen Minuten zum Tode. Nur bei kleineren seitlichen Schlitzen in der Wand kann das Leben erhalten werden. Bei offener Karotisverletzung ist sofortige Kompression durch die Wunde hindurch gegen die Halswirbelsäule notwendig. Unmittelbar anschließend muß die Wunde erweitert, das Loch in der Arterie freigelegt und durch Gefäßnaht verschlossen werden. Ist das nicht möglich, bleibt nichts anderes übrig, als das Gefäß zu unterbinden. Der Eingriff ist mit erheblicher Gefahr verbunden, denn besonders bei älteren Menschen führt er zur Hirnerweichung und somit zum Tode. Die Verletzung der Carotis interna kann gelegentlich von innen her bei operativen Eingriffen an den Tonsillen erfolgen. Wegen der Gefahr der Hirnerweichung bei der LTnterbindung ist auch hier nach Möglichkeit die Gefäßnaht auszuführen. Die Verletzung der Vena jugularis kann durch äußere Verletzungen oder auch gelegentlich von Operationen am Hals vorkommen. Die Blutung läßt sich durch Druck beherrschen, dagegen besteht die Gefahr des Angesaugtwerdens von Luft in das offene Gefäß und damit der Luftembolie. Man hört bei der Inspiration ein charakteristisches, schlürfendes Geräusch. Es folgen Atemnot und Beklemmungsgefühl, der Mensch wird plötzlich blaß, bekommt Angst, die Pupillen erweitern sich. Sind nur geringe Luftmengen in den Kreislauf eingedrungen, können die Erscheinungen rasch vorübergehen. Wurden große Luftmengen

Verletzungen des Halses

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aspiriert, dann wird das Blut im Herzen schaumig, es treten Bewußtlosigkeit und Krämpfe auf, denen bald der Tod durch Herzversagen folgt. Beim ersten Auftreten des schlürfenden Geräusches bei der Inspiration ist das Loch in der Venenwand durch Druck zunächst provisorisch zu verschließen und dann zu vernähen oder die Vene zu unterbinden. Die Verletzung der Arteria vertebralis kann durch Stich- oder Schußverletzungen erfolgen, die Unterbindung des sehr versteckt liegenden Gefäßes ist technisch außerordentlich schwierig. Anschließend an Verletzungen der großen Halsgefäße, besonders wenn es sich nur um kleinere Löcher in der Wand handelt, können sich Aneurysmen ausbilden. Besonders häufig nach Stichverletzungen kommt es zum Aneurysma arterio-venosum der Arteria carotis communis und der Vena jugularis interna. Das durch die kleine Wandverletzung austretende Blut erzeugt in dem lockeren Zellgewebe des Halses zunächst ein großes Hämatom, welches stark auf die Nachbarorgane drückt und schon sehr bald Pulsationen entsprechend der Herztätigkeit aufweist sowie ein systolisches Schwirren hören und fühlen läßt. Das Hämatom bildet sich langsam in einen Sack mit bindegewebiger Wand um, bis das typische Aneurysma fertig ist. Bei seiner Behandlung verspricht nur die operative Entfernung Erfolg. Aneurysmasack, zuführende und abführende Gefäße werden sorgfältig freipräpariert, die Löcher in den Gefäßen aufgesucht und durch Naht eventuell unter Zuhilfenahme von Teilen des Aneurysmasackes verschlossen. Dies ist sehr viel schwieriger auszuführen, als die vorstehenden Worte vermuten lassen. Nur bei dem Sitz der Verletzung in der Carotis externa darf die Unterbindung des Gefäßes ausgeführt werden. Handelt es sich um Aneurysmen des Truncus brachiocephalicus und der Arteria subclavia, so bilden sie große, pulsierende Geschwülste in der Oberschlüsselbeingrube, welche neben Kreislaufstörungen in dem betreffenden Arm noch zu Atemnot, Schluckbeschwerden, Angstgefühlen und auch zu Druckerscheinungen auf den Plexus brachialis führen, die einen operativen Eingriff notwendig machen. Er ist technisch recht schwierig und nur ausführbar unter Durchtrennung des Kopfnickers und temporärer Durchtrennung des Schlüsselbeins, um einen guten Zugang zu den Gefäßen zu bekommen. Auch hier ist die Gefäßnaht stets anzustreben, jedoch kann man auch notfalls die Gefäße unterbinden, da wegen des guten Kollateralkreislaufs die Ernährung des Armes nicht gefährdet sein braucht. Verletzungen des Ductus thoracicus kommen nach Operationen und nach Stich Verletzungen in der linken Schlüsselbeingegend vor. Aus der Wunde können sich dann große Mengen Lymphe (bis zu 11 am Tage) entleeren. Führt feste Tamponade nicht zum Ziel, dann muß der Ductus operativ freigelegt und in gesunden Wandabschnitten mehrfach unterbunden werden. Bei den Verletzungen der Nerven des Halses können hier zunächst die Plexuszerreißungen erwähnt werden. Sie entstehen durch stumpfe Gewalten im Sinne der abnormen Uberstreckung und gleichzeitigen Zerrung, so daß es zum mehr oder weniger vollständigen Ausreißen der Nervenwurzeln dicht an der Wirbelsäule kommt. Gelegenheit hierzu ist beim Geburtsakt, aber auch bei falscher Haltung des Armes in Narkose, dann bei Stürzen, besonders bei Kraftfahrzeugunfällen, zumal von Motorradfahrern, gegeben.

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Chirurgie des H a l s e s

Wir können mehrere Verletzungstypen je nach den betroffenen Nervenwurzeln unterscheiden. Die obere Form (Typ Erb) hat als Ursache die Zerreißung der 5. und 6. Zervikalwurzel. Gelähmt sind der Deltamuskel, Bizeps, Brachialis, Teres minor. Infolgedessen hängt der Arm schlaff herunter und kann nicht gehoben werden. Bei der unteren Form sind die 8. Zervikalund 1. Dorsalwurzel verletzt. Wir finden deshalb eine Lähmung der kleinen Handmuskeln und der Beugemuskulatur des Unterarmes sowie sensiblen Ausfall im Ulnarisgebiet und Sympathikusparese (Hornerscher Symptomenkomplex, eingesunkener Bulbus mit verengerter Pupille und Lidspalte auf der betroffenen Seite). Es kommen alle Kombinationen auch mit Verletzungen der dazwischen gelegenen Nervenwurzeln vor. Die Ausführung der Nervennaht hat in diesen Fällen leider keine günstigen Ergebnisse gezeitigt. Durch Stiche und gelegentlich von Operationen können isolierte Verletzungen einzelner Halsnerven hervorgerufen werden. Wir beobachten bei Verletzung des Nervus recurrens Heiserkeit; Nervus vagus (einseitig) . . . . Vorübergehende Pulsbeschleunigung und Atemverlangsamung; Nervus phrenicus Zwerchfellähmung; Nervus accessorius Herabsinken der Schulter; Nervus hypoglossus Abweichen der herausgestreckten Zunge nach der gelähmten Seite; Nervus sympathicus Hornerscher Symptomenkomplex (s. oben); Nervus facialis Herabsinken des Mundwinkels und Lähmung der mimischen Gesichtsmuskulatur.

Entzündungen am Hals Am Hals kommen ebenfalls alle die Entzündungsprozesse vor, wie sie beispielsweise schon im Abschnitt über den Kopf beschrieben sind. Hier sollen nur die für diese Körpergegend charakteristischen Erkrankungen behandelt werden. Die häufigste und wichtigste ist der Nackenkarbunkel Er ist eine Erkrankungsart, welche sehr selten Frauen, ungleich viel öfter dagegen ältere Männer befällt. Die Kombination mit einem D i a b e t e s ist häufig. Daher ist stets vor dem Beginn der Behandlung durch Urinuntersuchung und Blutzuckerbestimmung nach ihm zu fahnden. Ist er vorhanden, so ist neben der chirurgischen Therapie unverzüglich eine antidiabetische mit Diätregelung und Insulin einzuleiten. Die Zuckerbestimmungen und die Fahndung nach der Ausscheidung von Azeton und Azetessigsäure sind laufend vorzunehmen, denn die Gefahr ist groß, daß sich ein Coma diabeticum (besonders nach einer Narkose) entwickelt. Das gleichzeitige Bestehen eines Diabetes schwächt die Abwehrkräfte des Körpers gegen die Infektion und begünstigt die Ausbildung einer Allgemeininfektion.

E n t z ü n d u n g e n am H a l s

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Der Nackenkarbunkel nimmt seinen Ausgang von einem oder mehreren Furunkeln, welche sich besonders gern nahe der Haargrenze entwickeln. Es mag sein, daß das Scheuern des Kragens zum mindesten bei der Verschleppung von Keimen in die Nachbarschaft eine Rolle spielt. Auf diese Weise werden nach und nach zahlreiche Haartalgdrüsen von der Infektion befallen, so daß sich eine ganze Reihe von Furunkeln unmittelbar nebeneinander befinden. Es entsteht ein bretthartes Infiltrat in der Nackengegend, in dem sich die einzelnen gelblichen Furunkelpfröpfe finden, welche sich dann durch m i ~ ••^t Übergreifen der Nekroseprozesse in die Nachbarschaft zu mehreren größeren Nekrosepfröpfen vereinigen können. Gleichzeitig kommt es zu einer Infektion der benachbarten Halslymphdrüsen, einer Steigerung der Körpertemperatur, einer Zwangshaltung des leicht nach vorn gebeugten Kopiiraiilii! Pl^iPwHP PfrflK fes mit Bewegungsbehinderung des Halses. Das Allgemeinbefinden kann, braucht aber nicht «gäHjffe-•. '' gestört z u . sein, ein ausgesprochenes Krankheitsgefühl ist nicht immer vorhanden. Im weiteren Verlauf des Leidens stoßen sich einige Nekrosepfröpfe ab, während sich an anderer Stelle neue bilden. Der Erfolg ist also ein ff i 1 B Nebeneinanderbestehen von frijptj S k e l e t t b e i S k o l i o s e m i t und findet sich öfter bei Männern als bei Brustkorbdeformierung und SchulterFrauen. Ihre Ursache liegt in einer Fehlbilblatthochstand dung der Wirbelkörperrandleisten, welche zu einer Keilform der befallenen Wirbel führt. Klinisch bildet sich ein deutlicher Rundrücken aus. Die Beschwerden sind wechselnd und sind keineswegs gleichlaufend mit den anatomischen Veränderungen. Vorwiegend treten sie im Wachstumsalter auf. Nach Abschluß desselben bleibt eine starke Kyphose als unbeeinflußbarer Restzustand zurück.

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Chirurgie der W i r b e l s ä u l e u n d des R ü c k e n m a r k s

Skoliose H i e r u n t e r verstehen wir die Verbiegung der Wirbelsäule in frontaler Ebene. Sie stellt die häufigste und praktisch wichtigste Formanomalie der Wirbelsäule dar. Die Ausbildung einer Verbiegung der Wirbelsäule beispielsweise im B r u s t teil m u ß zu einer genau so großen kompensatorischen Ausbiegung im Hals- und Lendenteil führen, wenn die senkrechte K ö r p e r h a l t u n g gewahrt bleiben soll. Daher ist es irreführend, wenn m a n von Lumbalskoliose, Dorsalskoliose usw. spricht. J e d e Skoliose ist vergesellschaftet m i t Formveränderungen der Wirbelkörper (keilförmige Deformierung und Torsion) und des Brustkorbes und dadurch

A b b . 99. Schwere r a c h i t i s c h e Skoliose

A b b . 100. R i p p e n b u c k e l bei schwerer Skoliose

bedingt einer Verschiebung der inneren Organe desselben. An den Rippen fällt die Veränderung besonders stark auf, an der konvexen Seite bildet sich der sogenannte ,,Rippenbuckel", während die andere Brustkorbseite sich abflacht. E r t r i t t häufig beim Bücken nach vorn besonders eindrucksvoll in Erscheinung. Der Rippenbuckel h a t wiederum einen erheblichen Einfluß auf die Stellung des Schultergürtels. Auf der Seite des Rippenbuckels steht das Schulterblatt höher als auf der anderen Seite, steht flügeiförmig ab, und sein innerer R a n d ist von der Dornfortsatzreihe weiter e n t f e r n t als auf der anderen Seite. Auf der Vorderfläche des T h o r a x beobachten wir eine Schrägstellung des Brustbeins, eine Vorwölbung der Rippenknorpel auf der dem Rippenbuckel entgegengesetz-

V e r k r ü m m u n g e n der W i r b e l s ä u l e

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ten Körperseite und eine Asymmetrie der Rippenbogen. Wegen der Lumbaiskoliose ist der freie Abstand zwischen u n t e r e m R i p p e n r a n d und D a r m b e i n k a m m verringert; in schweren Fällen stehen beide zusammen. Gleichzeitig ist eine seitliche Verschiebung der unteren Thoraxöffnung gegen das Becken eingetreten. Alle Skoliosen können m i t einer Kyphose kombiniert sein. Abgesehen von der Stärke der V e r k r ü m m u n g unterscheiden wir zwischen der fixierten Skoliose u n d der ausgleichbaren Skoliose, je nachdem sich durch eigene Muskelanspannung, durch Bewegung oder durch Zug der K r ü m m u n g s z u s t a n d der Wirbelsäule verändern läßt. j 0 -JLIn klinischer und therapeu\ tischer Beziehung ist die Feststellung und Beurteilung dieses Zustandes von ausschlaggebender Bedeutung.

Die Ätiologie der Skoliose ist sehr verschiedenartig. Man k a n n hauptsächlich folgende Gruppen unterscheiden, die sich in der Wirklichkeit m i t u n t e r kombinieren können.

Angeborene

Skoliosen

haben ihre Ursache in überzähligen Schalt- oder Keilwirbeln, welche meist auf einer Seite eine überzählige Rippe tragen und durch ihre E i n f ü gung in den Verlauf der normalen Wirbelsäule zu Knikkungen und Verbiegungen derselben f ü h r e n .

A b b . IUI

Die rachitische Skoliose b e r u h t auf der Formverbildung durch a b n o r m e Knochenweichheit bei bestehender Rachitis während der ersten Lebensjahre. Sie ist häufig kombiniert m i t anderen Skelettverbiegungen. Der Grad der Skoliose pflegt meist sehr stark zu sein. Begünstigend für das A u f t r e ten der Skoliose ist einseitige Belastung des Körpers während der bestehenden Rachitis (Tragen des Kindes durch die

A b b . 102 A b b . 101 u n d 102. H i p p e n bei n o r m a l e m u n d skoliot i s c h e m B r u s t k o r b . ( N a c h einer Z e i c h n u n g v o n

Lorenz)

Mutter stets auf einem Arm). W e n n der rachitische Prozeß ausgeheilt ist, ist die Formverbildung bleibend und unbeeinflußbar geworden. Die h a b i t u e l l e n Skoliosen, die in verschiedener F o r m und Schwere be-

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Chirurgie der Wirbelsäule und des Rückenmarks

obachtet werden, finden wir bei Kindern mit Bindegewebsschwäche, unterernährten Großstadtkindern mit weichen, nachgiebigen Knochen, Bändern und Muskeln, ohne daß eine Rachitis bestanden zu haben braucht. Diese Skoliose entwickelt sich vorwiegend bei jungen Mädchen, aber auch bei Jünglingen. Begünstigend wirken schlechte Haltung in der Schule beim Schreiben, Tragen einer schweren Schulmappe, vorwiegend unter einem Arm statt eines Schulranzens, zu schwere körperliche Arbeit während der Entwicklungszeit. Die statische Skoliose ist bedingt durch Beinverkürzung aus den verschiedensten Ursachen, z. B. einseitige Hüftluxation, Wachstumsstörung eines Beines (Kinderlähmung), mit Verkürzung verheilte Frakturen und ähnliches. Die Narbenskoliose bildet sich bei mit oder ohne Rippenresektion ausgeheilten einseitigen Pleuraempyemen. Sehr hochgradig pflegt sie nur selten zu werden. Die neuromuskulären Skoliosen entstehen bei peripheren und zentralen Lähmungen, z. B. Poliomyelitis, Polyneuritis, Ischias, progressive Muskelatrophie, Hemiplegie. Auch die nicht häufige hysterische Skoliose kann an dieser Stelle erwähnt werden. Bei der Untersuchung eines Menschen mit Skoliose muß man ihn sich stets vollkommen auskleiden lassen. Der Arzt betrachte ihn in nicht zu geringer Entfernung, weil man dann einen besseren Gesamteindruck hat und abnorme Formen leichter erkennt. Das wichtigste ist die Ermittlung der Ursache der Skoliose, wobei eingehende Anamnese die besten Grundlagen verschafft. Ein Maß für die Stärke der Skoliose bilden die Markierung der Dornfortsätze und die verschiedene Größe des „Taillendreiecks" (Raum zwischen senkrecht herabhängendem Arm, seitlicher Thoraxwand, seitlicher Bauchwand bis Beckenkamm. Vgl. Abb. 99). Für die Beurteilung des Ergebnisses von Heilmaßnahmen kann das genau von hinten aufgenommene Lichtbild von Wert sein. Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule unterrichten über vorhandene Abnormitäten oder umschriebene krankhafte Prozesse (Osteomyelitis, Tuberkulose). Weiterhin hat der Arzt durch Bewegungen, Hochziehen des Körpers am Kopf eventuell unter Verwendung einer G l i s s o n sehen Schlinge sich ein Bild über den Grad der Fixierung der Skoliose zu machen. Bei fixierten Formen wird die beste Therapie keinen nennenswerten Erfolg erzielen. Wie bei jeder Erkrankung ist auch ganz besonders bei der Skoliose die Prophylaxe von enormer Wichtigkeit. Rechtzeitige und intensive Behandlung der Rachitis verhindert die Ausbildung der häufigsten Skoliosen. Beobachtung der Kinder durch Eltern, Erzieher, Hausärzte, Schulärzte kann eben beginnende Verkrümmungen mit den denkbar besten Heilungsaussichten einer relativ kurzdauernden und einfachen Therapie zuführen. Leider kommen die Kranken mit einer ausgeprägten und nicht mehr reparablen Skoliose häufig zu spät zum Chirurgen oder Orthopäden. Die Behandlung der Skoliose hat in erster Linie, soweit dies möglich ist, die Ursache der Skoliose zu beeinflussen. Schaltwirbel und ausgeheiltes Empyem sind wohl meist unbehandelbar. Jedoch kann eine systematische Stärkung der Gesamtmuskulatur noch beträchtliche Besserungen erzielen. Die Behandlung einer bestehenden Rachitis sowie von Ernährungsstörungen muß naturgemäß mindestens gleichzeitig mit der Skoliosenbehandlung einsetzen. Die Ausgleichung einer Beinverkürzung durch Tragen von Schuhen mit erhöhter Sohle wird in kürzester Zeit die noch nicht fixierte statische Skoliose zum Verschwinden bringen.

Verletzungen der Wirbelsäule

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Das Wichtigste der Skoliosenbehandlung an sich, die fast schon eine Sonderwissenschaft geworden ist, ist die Stärkung der Muskulatur des Rumpfes. Daneben spielen Redressions- (Umbiegungs-) Methoden eine untergeordnete Rolle. Wenn in seltenen Fällen Redressionen vorgenommen werden, dann muß die Heilung der dabei absichtlich gesetzten Gewebszerreißungen im fixierenden Gipsverband erst abgewartet werden, bevor eine Übungsbehandlung beginnt. Sie wird am besten in Spezialinstituten durchgeführt, weil einmal an diesen Stellen bei dem Heilpersonal (einschließlich Ärzten) eine besondere Sachkunde herrscht und weil das gegenseitige Beispiel vieler gleichartig Kranker den Eifer bei der Ausführung der Übungen sehr erheblich anzustacheln pflegt. Im einzelnen bestehen die Heilmaßnahmen in dem Sonderfall angepaßten Gymnastikübungen mit Hanteln, Stäben, Kriechübungen nach K l a p p , Klettern, vorübergehendem Aufhängen in der G l i s s o n sehen Schlinge, Massage der langen Rückenmuskulatur, Atemgymnastik, Turnübungen jeder Art, Schwimmen. Dabei sind die Anforderungen an die körperlichen Leistungen besonders am Anfang sehr vorsichtig und langsam zu steigern; häufig sind ausreichend lange Ruhepausen einzuschalten. Eine Uberanstrengung kann sehr nachhaltigen Schaden verursachen. Wenn die Therapie Erfolg haben soll, muß sie sehr lange fortgesetzt werden. Aus wirtschaftlichen Gründen ist es häufig nicht möglich, die Kinder (um solche handelt es sich fast ausschließlich) so lange in Spezialinstitute zu schicken. Es kann der Ausweg gewählt werden, daß die Kinder dort die notwendigen Übungen lernen und zu Hause unter Aufsicht fortsetzen. Diese nicht gerade ideale Methode ist immer noch besser, als wenn überhaupt nichts geschieht. Durch diese Behandlung lassen sich mobile Skoliosen soweit bessern, als es die schon bestehenden Knochenveränderungen zulassen, besonders wenn die Behandlung frühzeitig begonnen hat. Alte, fixierte Skoliosen mit schweren Formveränderungen der Knochen (meist auf rachitischer Basis) sind besonders bei Jünglingen oder gar Erwachsenen nur insofern beeinflußbar, als eine Stärkung der Muskulatur eine straffere Körperhaltung erzielt. Skoliosen bei teilweisen irreparablen Lähmungen werden kaum gebessert werden können.

Verletzungen der Wirbelsäule Offene Verletzungen der Wirbelsäule Die Stich- und Schußverletzungen der Wirbelsäule, aber besonders auch diejenigen durch stumpfe Gewalten (Verkehrsunfälle, Verschüttung, Sturz), führen häufig zu tiefen, buchtenreichen Wunden, an deren Grunde die Wirbelsäule liegt. Infraktion des Knochens mit nachfolgender Osteomyelitis und Sekretverhaltungen in den Wundtaschen sind die Folge. Beide erfordern breite Freilegung der Erkrankungsherde. Zwischen den harten, sich überlagernden Knochen der Wirbelsäule können Messer, Bajonettspitzen und dergleichen abbrechen, sie können bei geeigneter Stoßrichtung auch in den Wirbelkanal eindringen und das Rückenmark verletzen. Frische Wunden sind zu exzidieren und je nach Ausdehnung zu vernähen oder zu drainieren. Alte infizierte Wunden sind breit zu spalten. Kontusionen und Distorsionen der Wirbelsäule sowie ihrer Muskeln und Bänder sind in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle leichte Ereignisse. Die Kontusionen kommen durch direkte, äußere

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Chirurgie der W i r b e l s ä u l e u n d d e s R ü c k e n m a r k s

Gewalteinwirkung zustande. Die Gewalt war aber nicht so groß, daß eine Luxation oder eine feststellbare Fraktur gesetzt wurde. Ihr Vorliegen muß durch genaue Untersuchung einschließlich Röntgenaufnahme in zwei Ebenen ausgeschlossen werden. Die Symptome bestehen in Druck- und Bewegungsschmerz geringen Umfanges, die nach einer kurzdauernden Behandlung mit Bettruhe und vielleicht anschließender leichter Massage verschwinden. Mit einer therapeutischen Polypragmasie sei man sehr zurückhaltend, wenn eine Entschädigungspflicht der Sozial- oder Privatversicherung besteht. Die Kontusionsverletzungen der Wirbelbandscheiben, meist im Bereich der Lenden Wirbelsäule vorkommend, werden in ihren Auswirkungen häufig verkannt. Die klinischen Erscheinungen decken sich mit denen der gewöhnlichen Kontusion, häufig bestehen überhaupt keine Beschwerden, weil das zerquetschte Bandscheibengewebe nervenlos ist. Da es auch gefäßlos ist, hat der Körper nicht die Möglichkeit, an Ort und Stelle den gesetzten Schaden in ausreichendem Umfang zu reparieren. Wenn die elastische Stützfähigkeit der Bandscheibe durch die Zerquetschung zum mindesten gelitten hat, baut der Körper in ihrer unmittelbaren Umgebung aus Knochen und Kalk Stützbalken auf, welche die geschädigte Bandscheibe umgreifen und unter Opferung der Bewegungsmöglichkeit die Belastungsfähigkeit wiederherstellen. Auf dem Röntgenbild sieht man dann nach einiger Zeit isolierte, auf die "Verletzungsstelle beschränkte Randwülste, wie wir sie auch bei der langsam sich entwickelnden Abnutzung und Degeneration beobachten können. Es ist falsch, beide Vorgänge, die auf verschiedenen Ursachen beruhen, aber zu einem ähnlichen Krankheitsbild geführt haben, mit demselben Namen zu belegen. Man unterscheidet also zwischen „verheilter Bandscheibenquelschung" und durch Degeneration bedingte „Spondylarthrosis deformans". Letztere spielt die weitaus größte Rolle. Die Behandlung der Bandscheibenverletzung ist zunächst rein konservativ mit Bettruhe, die nicht zu lange ausgedehnt werden soll, und örtlichen Maßnahmen wie Einreibungen, Heißluftbädern und dergleichen. Die Erhaltung des Gesundungswillens ist unendlich wichtiger als örtliche Heilmaßnahmen. Im letzten Jahrzehnt ist ein Krankheitsbild bekannt geworden, welches man als „(Nucleus) pulposus-Hernie" oder „Diskusprolaps" zu bezeichnen pflegt. Es besteht darin, daß entweder durch echten traumatischen Riß (selten) oder durch langsame Bindegewebsdegeneration (häufiger) oder auch durch Kombination beider Vorgänge eine örtlich begrenzte Gewebstrennung in der fibrösen Begrenzung der Bandscheibe eintritt, durch welche der Nucleus pulposus prolabieren kann. Dies kann in allen Richtungen erfolgen. Entwickelt sich der Prolaps nach dem Rückenmarkskanal zu, führt er zu Druckerscheinungen verschiedenen Grades auf das Rückenmark oder die Cauda equina. Ist die Entwicklungsrichtung etwas seitlich verschoben, so richtet sich der Druck auf die Wurzeln der Spinalnerven. Dementsprechend sind die nervösen Reiz- oder Ausfallserscheinungen (neuralgische Schmerzen, Zwangshaltungen, „Dermatome") wechselnd. Die Diagnose kann sehr schwierig sein. Eine genaue neurologische Analyse ist notwendig. Eine Myelographie kann einen derartigen Prolaps mitunter zur Darstellung bringen. Die Indikationsstellung zur operativen Behandlung, welche in der Freilegung und Exstirpation des prolabierten und drückenden Gewebsteiles zu bestehen hat, ist recht schwierig. Einheitliche, allgemein anerkannte Regeln haben sich auf diesem Gebiet noch nicht herausgebildet.

V e r l e t z u n g e n der W i r b e l s ä u l e

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Die Distorsionen der Wirbelsäule kommen durch übertriebene Bewegungen im Sinne der Beugung, Streckung oder Drehung zustande, bei denen es zu Zerrungen oder gar Zerreißungen der Muskeln, Bänder und Kapseln der kleinen Wirbelgelenke gekommen ist. Die klinischen Erscheinungen gleichen denen der Kontusion. Ist die Distorsión einseitig, so können geringe, vorübergehende Zwangshaltungen der Wirbelsäule auftreten. Die Therapie gleicht der der Kontusionen. (Vergl. a. S. 155.) Frakturen und Luxationen Man unterscheidet an den Wirbeln, in steigender Reihe geordnet nach der Häufigkeit, die Frakturen der Wirbelbögen, der Dornfortsätze, der Querfortsätze und der Wirbelkörper. Die Frakturen der Quer- und Dornfortsätze beeinträchtigen die Belastungsfähigkeit der Wirbelsäule nicht. Die Dornfortsatzfrakturen beobachtet man vorwiegend an der Hals- und Brustwirbelsäule. Sie entstehen durch direkten Stoß oder auch durch Muskelzug. Durch chronisch wirkenden Zug der Schultermuskulatur kommt es zu Ermüdungserscheinungen im Knochen und dadurch zu schleichend sich entwickelnder Spontanfraktur, die unter dem Namen „SchipperkrankVerkalkte Meseriterialdrüsen heil" bekannt ist. Klinisch erzeugt die Fraktur Bewegungsund örtlichen Druckschmerz. Das Röntgenbild in seitlicher / Richtung klärt die Diagnose. Die Heilung erfolgt fast immer pseudarthrotisch. Die Behandlung ist meist konservativ. Bei hartnäckigen Beschwerden IIL \ oder auch sofort nach der Verletzung kann das abgebrochene Knochenstück in örtlicher Bey § täubung exstirpiert werden. Die Querfortsatzfrakturen der Lendenwirbelsäule / entstehen ausschließlich durch Muskelzug. Auch bei direktem Stoß erfolgt die Fraktur sekundär und reflektorisch durch den Muskelzug. Es können isoliert ein Querfortsatz oder alle einer oder beider Körperseiten abbrechen. Nur bei Beckenfrakturen mit Verschiebung kann der 5. Querfortsatz durch direkte Gewalteinwirkung abgebrochen werA1)1) 1 0 3 den Die klinischen Frschei' ' Abrißfrakturen sämtlicher Querfortsätze uen. u i e Kliniscnen urscnei (Um. L e n ( l p n w i r b e i s ä u i c . ( N e b e n b e f u n d : V e r k a l k t e nungen bestehen in BewegungsMesenterialdrüsen)

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Chirurgie der Wirbelsäule und des Rückenmarks

Abb 104. Kompressionsfraktur des Körpers des 1 Lendenwirbels

Abb. 105. Gleichzeitiger Bruch des Körpers des 12. Brust- und 3. Lendenwirbels

schmerz besonders nach der entgegengesetzten Körperseite und örtlichem Druckschmerz. Die Differentialdiagnose gegenüber der Muskelzerrung ist nur durch das Röntgenbild möglich. Die Behandlung erfolgt ausschließlich mit Ruhe. Heilung als Pseudarthrose ist häufig, aber bedeutungslos. Der Wirbelkörperbruch ist in der überwiegenden Zahl der Fälle ein Kompressionsbruch, entstanden durch die Einwirkung großer Gewalten wie Verschüttung, Kompression bei Beugung der Wirbelsäule, Überfahrenwerden, Sturz auf das Gesäß. An der Halswirbelsäule gibt es auch Uberstreckungsfrakturen. Hauptsächlich kommen Brüche an den Stellen vor, an welchen bewegliche gegen weniger bewegliche Teile der Wirbelsäule angrenzen. Der 12. Brustwirbel und der 1. Lendenwirbel brechen am häufigsten. Besonders im Bereich der Halswirbelsäule, aber auch an der Lendenwirbelsäule sind Kombinationen der Fraktur mit Luxationen nicht allzu selten. Der Wirbelbruch führt in verschiedener Stärke zur „Keilform" des Wirbelkörpers. Mitunter sind mehrere voneinander entfernte Wirbelkörper frakturiert. Zerquetschungen der Bandscheibe entstehen bei Wirbelfrakturen öfters. Man erkennt sie erst dadurch, daß bei der Heilung sich abstützende Randzacken um die geschädigte Bandscheibe ausbilden.

V e r l e t z u n g e n der W i r b e l s ä u l e

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A b b . 1 0 6 . L u x a t i o n s f r a k t u r der H a l s w i r b e l s ä u l e

Die klinischen Zeichen bestehen in örtlichem und Belastungsschmerz, häufig Unfähigkeit zum Stehen und Sitzen (kann vollkommen fehlen), umschriebenem Druckschmerz, starrer Fixation der Wirbelsäule durch Kontraktion der langen Rückenmuskeln (charakteristisch ist, wie der Verletzte sich im Bett von der Rückenlage auf die Seite legt), Vorhandensein eines schmerzhaften Buckels an der Bruchstelle durch Vorspringen eines Dornfortsatzes (an der Halswirbelsäule fühlt man bei Luxationsfrakturen den Absatz in der Reihe der Dornfortsätze). Das Röntgenbild, welches stets in zwei Strahlenrichtungen aufzunehmen ist, zeigt die Formveränderung der Wirbelkörper. Als Nebenverletzung kommt die Schädigung des Rückenmarks in verschiedener Schwere bis zur totalen Durchtrennung vor. Der Wirbelbogenbruch ist selten, relativ am häufigsten an der Halswirbelsäule. Klinisch führt er zu denselben Erscheinungen mit Ausnahme des Gibbus. Sein einwandfreier röntgenologischer Nachweis ist keineswegs leicht. Die Prognose der Wirbelbrüche hängt davon ab, ob eine Schädigung des Rückenmarks besteht oder nicht. Fehlt sie und ist ausreichender Gesundungswille vorhanden, dann sind die Heilungsaussichten auch bei Deformierungen gut. Die Reaktion der Psyche auf den Wirbelbruch ist von sehr großer Bedeutung. Hierauf hat die Behandlung weitgehend Rücksicht zu nehmen, eventuell sogar durch Verschweigen der genauen Diagnose.

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Chirurgie der W i r b e l s ä u l e u n d des R ü c k e n m a r k s

Die B e h a n d l u n g der W i r b e l b r ü c h e h a t sich sehr gewandelt. Die früher übliche, langdauernde Liegebehandlung im Gipsbett mit späterem Tragen eines Korsetts ist wohl allgemein verlassen. „Das Stützkorsett ist die schwerste Komplikation des Wirbetbruches" (Magnus). Bei Brüchen der Halswirbelsäule, besonders bei gleichzeitiger Subluxation, k a n n eine etwa 6 Wochen lange Suspension in der G l i s s o n sehen Schlinge unter gleichzeitiger Lagerung des Verletzten auf schiefer E b e n e (Hochstellen

A b b . 107a. K e i l f ö r m i g e Z u s a m m e n p r e s s u n g des 1. L e n d e n w i r b e l s . S t a r k e B u c k e l b i l d u n g . Die D o r n f o r t s ä t z e weichen h i n t e n a u s e i n a n d e r , u n d d a s v o r d e r e L ä n g s b a n d ist g e f a l t e t A b b . 1071). D u r c h H o c h z i e h e n der Beine wird das B e c k e n v o n d e r U n t e r l a g e g e h o b e n . D a d u r c h w i r d die W i r b e l s ä u l e ü b e r s t r e c k t , die k e i l f ö r m i g z u s a m m e n g e p r e ß t e n W i r b e l k ö r p e r e n t f a l t e n sich, das v o r d e r e L ä n g s b a n d s p a n n t sich a n u n d die a u s e i n a n d e r gewichenen D o r n f o r t s ä t z e k o m m e n wieder zur B e r ü h r u n g A b b . 107. A u f r i c h t u n g eines W i r b e l k ö r p e r s n a c h B ö h l e r (Aus B ö h l e r : Die T e c h n i k der K n o c h e n b r u c h b e h a n d l u n g . 6. Aufl. B d . 1)

des Kopfes, s. Abb. 118) empfehlenswert sein. Bei einfachen Kompressionsf r a k t u r e n der Wirbelkörper genügt eine ebenso lange B e t t r u h e bei gleichzeitig angelegtem S c h a n z sehen W a t t e k r a g e n v e r b a n d . Bei der Behandlung der Frakturen der Brustund Lendenwirbelsäule streiten sich die Verfahren nach M a g n u s und B ö h 1 e r augenblicklich um den Vorrang. M a g n u s verzichtet auf eine Beposition der F r a k t u r , lagert die Verletzten flach ins B e t t ohne Gipsbett oder dergleichen, läßt vom ersten Tage an die Muskulatur (nicht die Frakturstelle) massieren und die E x t r e m i t ä t e n bewegen. Nach 4—6 Wochen dürfen die Verletzten sich eigentätig im B e t t aufsetzen, nach 6—8 Wochen ohne Stützkorsett aufstehen. Die Erfolge dieser funktionellen F r a k t u r b e h a n d l u n g sind, wie an einem großen K r a n k e n g u t gezeigt werden konnte, gut. B ö h 1 e r m a c h t an der Frakturstelle eine örtliche B e t ä u b u n g , richtet dann die F r a k l u r durch Beklination (in dorsalem oder

Verletzungen der Wirbelsäule

161

ventralem Durchhang) auf, legt in dieser Stellung einen Gipsverband an, der durch Anmodellieren an Brustbein, Symphyse und Kreuz die Reklination aufrechterhält und die Belastung der Wirbelsäule von den Wirbelkörpern auf die Wirbelbögen verlegt. Mit diesem „Mieder", welches bis zu 6 Monaten und länger getragen werden muß, können die Verletzten aufstehen und Gymnastik treiben. Bei zu frühzeitiger normaler Belastung der Wirbelsäule kommt es zum Wiederzusammensinken des gebrochen gewesenen Wirbelkörpers.

Abb. 108 Abb. 109 Abb. 108. Fertiges Gipsmieder bei einem Kompressionsbruch des I. Lendenwirbels. Am Rücken sind die starke Lordosierung der Lendenwirbelsäule und die Streckung der Brustwirbelsäule zu sehen. Vorn geht der Gipsverband oben über das Brustbein hinauf und unten über die S y m p h y s e hinunter. Vorn ist ein Fenster ausgeschnitten, so daß R a u m zum A t m e n und zum Essen vorhanden ist. Durch dieses Fenster wird auch die Lordosierung gefördert. Seitlich ist der gebrochene Wirbel vor dem Einrichten eingezeichnet Abb. 109. Schematische Darstellung der Stützpunkte des Gipsmieders Abb. 108 und 109. Gipsverband nach Wirbelaufrichtung nach B ö h l e r (Aus B ö h l e r : Die Technik der Knochenbruchbehandlung. 6. Aufl. 1. Bd. 1938)

Wir werden bei leichten und mittelschweren Frakturen ohne nennenswerte Achsenknickung die funktionelle Methode nach M a g n u s anwenden und die B ö h 1 e r sehe Behandlungsweise den mit starken Deformierungen und Luxationen einhergehenden Fällen vorbehalten. Die Behandlung der Wirbelbrüche mit Lähmungen ist im nächsten Abschnitt besprochen. Die Luxationen der Wirbelsäule treten vorwiegend (90%) im Bereich der Halswirbelsäule auf. Man pflegt den zu oberst gelegenen Wirbel als den verrenkten zu bezeichnen. Es kommen alle Formen von leichtester Subluxation bis zur totalen Luxation um Wirbelkörperbreite vor. Man unterscheidet mehrere, klinisch nicht immer ganz scharf zu trennende Formen, die alle sowohl als Subluxationen als auch als Totalluxationen auftreten können. Die einseitige Subluxation entsteht durch abnorme Seitwärtsdrehung der Wirbelsäule. Das klinische Zeichen besteht in einer Abweichung des DornfortR o s t o c k , Lehrblich der speziellen Chirurgie. 3. Aufl.

11

162

Chirurgie der Wirbelsäule und des Rückenmarks

satzes in der Mittellinie, in einer federnd®?! Fixation und dadurch bedingter Zwangshaltung des Kopfes in leichter Beugung und Seitwärtsneigung sowie Einwärtsdrehung. Die doppelseitige Beugungsluxation wird durch starke Beugung der Wirbelsäule hervorgerufen. Der Kopf steht federnd fixiert nach vorn gebeugt, der Dornfortsatz ist nach vorn gerückt. Besteht die Luxation am 4. Halswirbel, so ist die Verschiebung vom Rachen her zu tasten. Mitverletzungen des Halsmarks sind häufig und haben eine sehr ungünstige Prognose (Lähmung des gesamten Rumpfes mit Armen und Beinen). Allerdings ist erstaunlich, wie starke Verschiebungen der Wirbelkörper gegeneinander eintreten können, ohne daß Markschädigungen zu entstehen brauchen. Die Totalluxation der Wirbelsäule ist meist sowohl mit Wirbelbogenfrakturen als auch mit schweren Markschädigungen verbunden. Sehr häufig sind sie sowohl in der Halswirbelsäule als auch in der Lendenwirbelsäule primär tödlich. Die Behandlung der Wirbelluxationen ist sehr schwierig und gefahrenreich. Sie hat zur Behebung der reflektorischen Muskelspannung in Narkose zu geschehen. Die Reposition im Bereich der Halswirbelsäule hat in manueller Extension am Kopf mit Dreh- und Neigebewegungen je nach dem Sitz der Luxation zu erfolgen, um die verhakten kleinen Wirbelgelenke wieder in die richtige Stellung zu bringen. Die Gefahr liegt in dem Auftreten einer bisher nicht vorhanden gewesenen Rückenmarksdurchquetschung oder sogar in einer ganz plötzlich auftretenden Atemlähmung mit anschließendem Tod. Auf die Gefahren der Luxationsbeseitigung hat man daher vorher die Angehörigen der Verletzten aufmerksam zu machen. Der Nichtgeübte lasse überhaupt die Finger davon. Nach behobener Luxation ist für 3—4 Wochen ein S c h a n z scher Wattekragen verband zu tragen. Verletzungen des Rückenmraks und seiner Häute Die offenen Verletzungen kommen meist nach Stichen oder Schüssen vor. Erkannt werden sie neben etwaigen neurologischen Ausfallserscheinungen am Ausfluß von Liquor aus der Wunde. Häufiger sind die subkutanen Verletzungen, wie sie hauptsächlich nach Frakturen und Luxationen der Wirbelsäule auftreten, aber auch nach stumpfen Traumen ohne nachweisbare Frakturen beobachtet werden. Bei diesen stumpfen Verletzungen ist die Dura fast immer in ihrer Kontinuität erhalten, auch wenn das Rückenmark selbst schwerste Zerstörungen aufweist. Die pathologisch-anatomischen Veränderungen des Rückenmarks nach Traumen sind äußerst verschieden. Teilweise können sie ganz fehlen; es kann sich ein reversibles Ödem in der Substanz entwickeln, Blutungen können in das Rückenmark erfolgen, die sich mitunter völlig aufsaugen, die sich aber manchmal auch zu Erweichungsherden und Fissuren (traumatische Syringomyelie ohne Progredienz) umbilden. Es kann zu örtlich umschriebenen Nekrosen der Nervensubstanz und zu teilweiser oder totaler Durchquetschung des Rückenmarks kommen. Die Fasern der Spinalnerven und der Cauda equina sind erheblich widerstandsfähiger als die Marksubstanz selbst. Alle diese Verletzungen heilen mit gliöser Narbe, welche rotbraune Pigmentreste enthalten kann. Verwachsungen der Rückenmarkshäute können zu abgesackten Liquoransammlungen (Meningitis serosa) führen.

Verletzungen der Wirbelsäule

163

Entsprechend den gleichartigen Verletzungen des Hirns unterscheidet man auch am Rückenmark die klinischen Bilder der Commotio, Compressio und Contusio, bei letzterer mit der Unterscheidung der partiellen und totalen Querschnittsverletzung. Die Commotio des R ü c k e n m a r k s , bei der anatomisch nachweisbare Veränderungen fehlen und bei der wohl nur vorübergehend auftretendes Ödem die Ursache der klinischen Erscheinungen ist, bewirkt kurze Zeit nach dem T r a u m a (meist ist ein deutliches freies Intervall vorhanden) eine völlige oder teilweise Querschnittslähmung, welche nach 4—5 Tagen langsam zurückzugehen pflegt. J e länger die Rückbildungspeiiode dauert, desto wahrscheinlicher ist es, daß eine Blutung in die Nervensubstanz erfolgt war. Uberlagert können die Erscheinungen durch psychische Einflüsse wie Hysterie, Schrecklähmung und dergleichen sein, deren sichere Abgrenzung sehr schwierig zu sein pflegt. Die Compressio des B ü c k e n m a r k s kann plötzlich hervorgerufen werden durch verrenkte Wirbel, Knochensplitter bei Frakturen, Geschosse, massive Blutungen oder allmählich durch Kallusdruck, abgesackte Liquoransammlungen der Meningitis serosa, Druck schrumpfender Narben, Senkungsabszesse, Tumoren. Die klinischen Erscheinungen, die überlagert sind durch die infolge Ödems hervorgerufenen Commotioerscheinungen, sind das Auftreten motorischer und sensibler Reizerscheinungen und Lähmungen entsprechend dem Sitz im Rückenmark. Das Studium der bekannten Bilder (Abb. 110 und 111), die Zusammengehörigkeit der motorischen und sensiblen Funktionen mit den Rückenmarkssegmenten unterrichten über die denkbaren Symptome. Die Röntgenuntersuchung in Kombination mit der Myelographie (s. S. 185) ist für die Diagnose und die Indikation zur Therapie sehr wertvoll. Die Contusio des B ü c k e n m a r k s kann in einer teilweisen Rückenmarksverletzung bestehen. Wegen des gleichzeitig an der Verletzungsstelle vorhandenen Ödems sind mitunter nach einem freien Intervall zunächst die Symptome der totalen Querschnittslähmung vorhanden. Die Reflexe können erloschen sein, kehren dann aber mitunter gesteigert wieder. Langsam bilden sich sensible und motorische Ausfallserscheinungen in regelloser Reihenfolge zurück, jedoch bleiben einige Ausfallserscheinungen dauernd bestehen. Auf motorischem Gebiet ist die Lähmung des Nervus fibularis (Peronaeuslähmung) am häufigsten. Halbseitenverletzungen ( B r o w n - S e q u a r d ) bewirken motorische Lähmungen, Hyperästhesie auf der verletzten, Sensibilitätsstörungen auf der unverletzten Seite. Verletzungen des Conus medullaris und der Cauda equina machen eine Reithosenanästhesie. Es ist unmöglich, an dieser Stelle auch nur die wichtigsten Symptombilder zu schildern. Die völlige Querschnittslähmung t r i t t nach Verletzungen schlagartig ein. Es besteht eine totale schlaffe Lähmung aller Muskeln unterhalb der betroffenen Stelle des Marks mit Sensibilitätsstörungen, an deren oberen R a n d eine schmale hyperästhetische Zone sich anschließen kann. Die Reflexe pflegen erloschen zu sein. Blase und Mastdarm sind gelähmt. J e höher die Wirbelläsion liegt, desto schwerer sind die Erscheinungen. Totaldurchtrennungen des Halsmarks führen infolge Atemlähmung durch aufsteigendes Ödem und durch Pneumonie sehr bald zum Tode. Verletzungen von Spinalnerven sind sowohl durch Stich und Schuß als auch durch F r a k t u r e n und Luxationen möglich. Sie können ebenfalls mit Markläsionen vergesellschaftet sein. Der Funktionsausfall betrifft das Versorgungs11*

Chirurgie der Wirbelsäule und des R ü c k e n m a r k s

164

frontalis Bophth.— N. tri gem. B. maxill.—. B.mandib:_

-N.ocdp.maj. •N.occip.min.

""' Temp ^Orb.ocuii ^ N.Facialis

N. auric. m._

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NN cut. colli.

N. auric, m.

.N.Phrenicus

NN.suprac/av.

Pi. Brach. v iPct.trb) Infraspin. Triceps A •Bic. brach. N.Radiol-} •Brach. \ .N.Medinn. N.Ulnarx -N.UInar Brachiorad \ßrachiorod / XProp, ter Extcrad.it\ Tic.rad. ExtcradhM -ArPa/mi. ExtdigcomiZ yÀ.Ti c.uin. Exf. cuín.— \fi dig.subiAh/i nnll / - « .rr,-~„,

WJntercost RR cut am N

med.* in tercostobr N.cut. brach don. (Radi N. cut brach ! at. (Musku¡ocut.)

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.N.cut. brach. Xdors. (Radi

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-N.cut. anh'br dors. (Bad.) [N.cut. anfión \ Aat. VMuskulocut.) %Asuperf/c.

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fN.Median [xfpoUbr. \N. Ulnar. " " / \jtbd.polt.br / ^Xflpoe.br/

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N.median. N ulnar

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Gastrocn.

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N.cufsurae icrf yPeron.comm.) fN.cut. surae med. m

Ext. hai/, i ñ.dig.t.— FIMI." N.Tibialis

Nsurahs Nperon superi Plant fat et med(T/tJ ,

Extdig.br \Inteross.

-N.sura lis. [P. calcan.

dors.

rN.plant, ¡at fTib.J

N.p/ant. med. (Tib. J

A b b . 110. S c h e m a der peripheren S e n s i b i l i t ä t s b e z i r k e und der elektrischen R e i z p u n k t e der Nerven und Muskeln. (Nach den neurologischen W a n d t a f e l n von M ü l l e r - H i l l e r - S p a t z ) (Aus dem L e h r b u c h der inneren Medizin 2. R d . 1 9 3 1 )

gebiet des oder der befallenen Nerven. Gleichzeitig können Reizerscheinungen und besonders starke und andauernde Schmerzen auftreten (Anaesthesia dolorosa). E s ist bei allen Rückenmarksverletzungen von sehr großer Wichtigkeit, daß der Arzt sich in kürzester Zeit ein möglichst genaues Bild von Art und Sitz der Zerstörungen macht, besonders ob eine teilweise oder vollständige Zerstörung des Rückenmarks vorliegt oder nicht. Genaue neurologische Untersuchungen während kurzer Beobachtungszeit in Verbindung mit Röntgenuntersuchungen helfen die Lage klären. Die B e h a n d l u n g besteht bei der Commotio in Ruhe, bis die Erscheinungen zurückgehen. Das Vorliegen einer Compressio stellt den Arzt vor die

'{hrtfíad.)

Verletzungen der Wirbelsäule

165

(Nach den neurologischen Wandtafeln von M ü l l e r - H ill e r - S p a t z ) (Aus dem Lehrbuch der inneren Medizin 2. Bd. 1931)

Frage, ob eine entlastende Laminektomie Aussicht auf Erfolg hat. Bei allen langsam entstandenen Krankheitsbildern ist die Frage unbedingt zu verneinen. Schwieriger ist es bei den akuten. Zeigt das Röntgenbild eine Verschiebung durch Wirbelbruch oder Luxation, so wird man beide nach dem Verfahren von B ö h 1 e r reponieren. Allerdings erleben wir auch in fast einem Drittel der Fälle ohne diese Reposition ein Zurückgehen der Lähmungen; es hat sich dann eben nur um ein Ödem oder eine Blutung gehandelt, die resorbiert wurden. Auf dem Röntgenbild lokalisierbare, in den Wirbelkanal verschobene, lose Knochensplitter (an und für sich bei den gewöhnlichen Frakturen seltene

166

Chirurgie der Wirbelsäule und des Rückenmarks

Ereignisse) oder Geschosse wird man selbstverständlich operativ entfernen. Man wird den entlastenden Eingriff nicht zu lange hinausschieben dürfen, weil sich sonst auch bei erhaltener Kontinuität des Marks irreparable Drucknekrosen ausbilden können. Die Behandlung der totalen Querschnittslähmung kann leider nur symptomatisch sein und liegt im wesentlichen auf krankenpflegerischem Gebiet. Die Wiederherstellung der verlorengegangenen Nervenleitung ist durch kein Mittel möglich. Die Blasenlähmung erfordert mehrfach täglich Katheterismus oder Einlegen eines Dauerkatheters sowie regelmäßige Blasenspülungen und Verabreichung von Harndesinfizientien. Trotz sorgsamster Behandlung ist die Infektion des gesamten Harnsystems unaufhaltsam. Nach einigen Wochen lernen es die Verletzten, durch die Bauchdecken hindurch mit der Hand ihre Blase wie einen Gummiball auszudrücken, so daß das Katheterisieren fortfällt. Regelmäßige Blasenspülungen sind aber dennoch zur Beseitigung des stets vorhandenen Resturins notwendig. Gegen die Mastdarmlähmungen sind regelmäßige Einlaufe und gelegentlich auch digitale Ausräumungen der Ampulla recti, in der sich ungeahnte Kotmengen ansammeln können, notwendig. Die Hautpflege zur Verhütung des Dekubitus durch Lagerung auf Wasserkissen, peinlichste Reinlichkeit, Pudern, Abwaschen mit alkoholischen Flüssigkeiten, ist von großer Wichtigkeit. Nicht immer läßt sich das Auftreten des Dekubitus dadurch verhindern, da er auf trophoneurotischer Basis und nicht durch Druck entstehen kann. Die meist recht erheblichen Schmerzen erfordern Narkotika. Man sei mit ihrer Auswahl und Dosis zurückhaltend und steigere beides nur langsam. Schließlich kommen alle Verletzten doch auf das Morphium und gewöhnen sich an ungeheure Mengen dieses Mittels. Die schon von W i 1 m s vorgeschlagene hohe Amputation oder Exartikulation beider Beine setzt den Verletzten instand, den Rumpf mit seinen Armen zu bewegen. Dadurch werden die Verletzten von der Last der unbrauchbaren, gelähmten Beine befreit und sehr viel beweglicher. Wenn der Mann das psychische Trauma der doppelseitigen hohen Amputation überwindet, kann sein Los durch den Eingriff erheblich verbessert werden. Dadurch, daß wir durch zielbewußte Verwendung antibiotischer Mittel in der Lage sind, die Harninfektion viele Jahre lang zu vermeiden, hat sich das Schicksal verbessern lassen. Vielerorts hat man dadurch die Gelähmten wieder in gewissem Umfange auf die Beine bringen können, daß man ihnen einerseits durch Schienen die Beingelenke feststellte und andererseits durch systematisches Trainig der Rumpf- und Armmuskulatur den Menschen in die Lage versetzte, mittels Stockkrücken wieder kurze Strecken gehen zu können, auch einen entsprechend eingerichteten Kraftwagen steuern zu können. Dies ist als sehr erheblicher Fortschritt zu bewerten. Die Behandlung der Verletzungen der Spinalnerven kann in einer Nervennaht bestehen und zu guten Erfolgen führen. Die in letzter Zeit bei Verkehrsverletzungen häufiger beobachtete Ausreißung des Plexus brachialis direkt an der Wirbelsäule ist aber praktisch inoperabel. Auch hier kann die Amputation des gelähmten, störenden Armes ratsam sein. Leider beseitigt dieser Eingriff nicht die meist sehr schweren und quälenden Schmerzen, welche die Verletzten mitunter dem Selbstmord nahebringen. In solchen Fällen ist die Vorderseitenstrangdurchtrennung zu erwägen.

Entzündungen der Wirbelsäule

167

Entzündungen der Wirbelsäule Die bakteriellen Entzündungen Sie befallen fast ausnahmslos primär die Wirbelkörper. Durch Zerstörung der Knochensubstanz in verschiedenem Umfang kommt es zu einer Formverbildung, dem Einsinken des Wirbelkörpers. Dieser Vorgang kann langsam sich entwickeln, was das häufigere ist, mitunter aber auch plötzlich erfolgen. Stets entsteht ein Wirbelbuckel (Gibbus) mit dem Scheitelpunkt des Winkels nach hinten, also im Sinne einer Kyphose. Wie spitz der Winkel ist, hängt von der Größe des Zerstörungsprozesses und der Anzahl der betroffenen Wirbel ab. Diese veränderte Form der Wirbelsäule wird vom Körper ausgeglichen durch vermehrte Biegung anderer Teile der Wirbelsäule. Sitzt also beispielsweise der Gibbus in der unteren Brustwirbelsäule, so entsteht eine vermehrte Lordose der Hals- und Lendenwirbelsäule. Ein seitliches Zusammensinken, welches zu skoliotischer Verkrümmung führen würde, ist seltener. Eitrige Osteomyelitis Wie auch an anderen Stellen des Skelettsystems entsteht sie als bakterielle Metastase im Knochen, und zwar sowohl im Wirbelkörper als auch im Wirbelbogen. Die Krankheit setzt mit Schüttelfrost und hohem Fieber ein. Entsprechend der Ausbreitung des Eiterungsprozesses, verbunden mit dem Ubergreifen auf benachbarte Gewebe, kommt es in ihnen zu einem Infiltrat. Gleichzeitig stellen sich Schmerzen in Ruhe und Bewegung und eine reflektorische Fixation der Wirbelsäule, ein Klopf- und Stauchungsschmerz ein. Die Lokalisierung des Prozesses ist wegen der versteckten Lage sehr schwierig. In über der Hälfte der Fälle bildet sich eine Mediastinalphlegmone aus oder eine Meningitis, und es tritt der Tod ein, bevor der Eiterungsherd sich lokalisieren und chirurgisch eröffnen läßt. Nur die osteomyelitischen Herde der Wirbelbögen haben wegen ihres günstigen Sitzes bessere Heilungsaussichten. GelegenLlich vorkommende, mild verlaufende Osteomyelitiden (Erreger meist Staphylococcus albus) können Anlaß zur Verwechslung mit einer Spondylitis tuberculosa geben. Spondylitis typhosa Der Abdominaltyphus kann ebenso wie im Schienbein oder den Rippenknorpeln auch in der Wirbelsäule Metastasen setzen. Die Erkrankung ist an dieser Stelle relativ gutartig, verläuft durchaus subakut und zeigt wenig Neigung zur Eiterbildung. Lange kann sie überhaupt verborgen bleiben. Vorwiegend ist die Lendenwirbelsäule befallen. In ihr treten ziehende Schmerzen, ausstrahlend in die Beine, sowie ein örtlicher Druckschmerz und Stauchungsschmerz auf. Die Röntgenuntersuchung läßt nicht immer, besonders nicht in Frühstadien, einen Herd erkennen. Die Behandlung ist vorwiegend symptomatisch in Bettruhe mit leichter Reklination (Gipsbett) und hat vor allen Dingen die Kräftigung des Gesamtkörpers zum Ziel. Die Heilungsaussichten sind günstig.

168

Chirurgie der W i r b e l s ä u l e u n d des

Rückenmarks

Spondylitis gummosa Sie ist eine seltene Erscheinungsform der tertiären Lues und hat im Laufe der Jahre an Häufigkeit abgenommen, noch seltener ist die kongenitale Form. Wenn ein Gumma sich in einem Wirbelkörper lokalisiert, so bringt es ihn zum Zusammenbruch, nachdem vorher schon unbestimmte Beschwerden in der Gegend bestanden haben. Nach Ausbildung des spitzwinkligen Gibbus pflegen Nervenreizerscheinungen aufzutreten. Die Diagnose, besonders die Unterscheidung gegen Tuberkulose oder Tumoren bei gleichzeitig bestehender Lues III, ist sehr schwierig. Die Behandlung ist zunächst antiluetisch (Jodkali). Daneben muß durch vorübergehende Ruhigstellung der Wirbelsäule im Gipsbett oder Gipskorsett für eine genügend lange mechanische Entlastung des Krankheitsherdes gesorgt werden, um seine Ausheilung zu ermöglichen.

Spondylitis tuberculosa Sie stellt die häufigste Lokalisation der Knochentuberkulose dar, ein Drittel entfällt auf die Wirbelsäule, zwei Drittel auf die gesamten übrigen Knochen des Körpers. Die Erkrankung pflegt meistens im Kindesalter um das 2. und 3. Lebensjahr, aber auch später einzusetzen und besonders mehrere benachbarte Wirbelkörper am Ubergang der Brustwirbelsäule sowohl zur Halswirbelsäule als auch zur Lendenwirbelsäule zu befallen. Die Erkrankung entsteht auf hämatogenem Wege, ohne daß eine manifeste Tuberkulose an anderer Körperstelle nachweisbar zu sein braucht. Traumen, welche von Eltern der erkrankten Kinder und den älteren Kranken selbst häufig als Ursache angeschuldigt werden, spielen keine nennenswerte Rolle. Das pathologisch-anatomische Bild der Wirbeltuberkulose gleicht dem anderer Skeletteile. Die Bakterienembolie erzeugt einen ostitischen Herd, der mitunter die Form eines Keils, entsprechend dem Ausbreitungsgebiet der verstopften kleinen Arterie, hat. Von ihm aus kommt es zu einer fortschreitenden Zerstörung zunächst der Wirbelspongiosa, dann aber auch der kompakteren Begrenzung des Wirbelkörpers. Der Krankheitsprozeß dringt auch in die Bandscheibe ein und zerstört sie ebenso wie den Knochen. Auf diesem Wege kann er auf die Nachbarwirbel übergreifen. Das morsche tuberkulöse Gewebe hält der Belastung des Körpers nicht stand. Der Wirbel sinkt langsam oder plötzlich zusammen, und es entsteht auf diese Weise der Buckel (Gibbus). Am Orte der Tuberkulose findet sich dann ein mit käsigen Bröckeln, Resten der Knochenspongiosa, tuberkulösen Sequestern durchsetztes Granulationsgewebe. Dieses Stadium, in welchem es noch nicht zu nennenswerter Eiterbildung gekommen ist, bezeichnet man als Caries sicca. Der Prozeß kann in diesem Stadium stehenbleiben und bei sachgemäßer Therapie zur Ausheilung kommen. In der Mehrzahl der Fälle (etwa zwei Drittel) setzt aber die Bildung des tuberkulösen Eilers ein, der zu dem sogenannten „kalten Abszeß" führt. Zunächst sitzt er am Orte der tuberkulösen Infektion selbst. Das Ligamentum anterius der Wirbelsäule bewirkt, daß er nicht nach vorn, sondern nach unten und seitlich sich entwickelt und zum ,,Senkungsabszeß" wird. Er wächst weiter in der Richtung des geringsten Gewebswiderstandes, also in den Zwischenräumen zwischen Muskeln und Faszien und kann sehr entfernt von dem primären Herd äußerlich sichtbar werden.

Entzündungen der Wirbelsäule

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Durch die Formveränderung der Wirbelsäule am Sitz der Tuberkulose werden in etwa 10—15% der Fälle die aus den Intervertebralbögen austretenden Nerven entweder durch die verschobenen Knochen selbst oder auch durch das tuberkulöse Granulationsgewebe gequetscht, so daß es zu Neuralgien kommt. Gegenüber der primären Knochentuberkulose spielt die primäre Gelenktuberkulose der kleinen Wirbelgelenke eine untergeordnete Rolle. Wir beobachten sie mitunter noch an der oberen Halswirbelsäule, wo sie seit altersher den ätiologisch unbestimmten Namen des Malum suboccipiiale führt. Die Symptome der Wirbeltuberkulose sind zunächst charakterisiert durch örtliche Schmerzen und Ausbildung des Buckels. Ist er bereits vorhanden, so hat der Zerstörungsprozeß schon große Fortschritte gemacht, und die Diagnose ist leicht. Es muß aber unser Bestreben sein, das Leiden auch schon in früheren Stadien, wo die Heilungsaussichten ungleich günstiger sind, zu erkennen. Hierbei hilft dem Arzt eine sorgfältige Beobachtung der Kinder durch Eltern und Erzieher. Wenn die Kinder matt werden, leicht ermüden sowie gern und oft sitzend oder liegend ausruhen, während die Spielgefährten umhertollen, wenn Haltung und Gang steif und unbeholfen werden, wenn die Kinder unlustig zum Spielen werden und ihre Freunde und Freundinnen zu meiden beginnen und wenn plötzliche Rumpfbewegungen ruckartige, heftige Schmerzen hervorrufen, dann besteht der begründete Verdacht einer Wirbeltuberkulose. Ist sie an der oberen Halswirbelsäule lokalisiert, dann wird der Kopf steif, leicht nach vorn gebeugt gehalten. Sitzt der Herd in der unteren Brust- und Lendenwirbelsäule, dann stützen die Kranken die Hände auf die Oberschenkel oder auf den Stuhlsitz, um die Wirbelsäule zu entlasten. Ein sehr charakteristisches Symptom ist die Art und Weise, wie ein Gegenstand vom Boden aufgehoben wird. Nicht wie ein Normaler beugt sich der Kranke nach vorn, sondern die Wirbelsäule wird senkrecht steif gehalten, die Hände klettern an den Oberschenkeln unter gleichzeitiger Beugung der Knie herunter, bis die Hand den Boden erreicht, um dann sich in derselben Weise wieder aufzurichten. Dazu treten gegebenenfalls beklemmende Schmerzen an Brust und Leib, manchmal auch in den Hüften (Gürtelschmerzen), die sich bis zu starken Neuralgien steigern können. Dabei muß man stets berücksichtigen, daß die Angaben kleiner, aber auch größerer Kinder über Art und Sitz ihrer Beschwerden meist recht ungenau sind. Bei der Untersuchung findet der Arzt eine Behinderung der Beugung und Drehung der Wirbelsäule, eine durch muskuläre Kontraktion bedingte Steifigkeit der Wirbelsäule, einen ausgesprochenen örtlichen Klopfschmerz und Stauchungsschmerz auch bei ganz leichter Berührung. Beim Sitz des Krankheitsherdes in der Halswirbelsäule besteht eine Zwangshaltung des Kopfes in bezug auf Beugung und Drehung. Auch stützt der Kranke den Kopf sehr häufig mit der Hand. Im Liegen bessern sich alle Beschwerden. Zu den örtlichen Erscheinungen kommen leichte subfebrile Temperaturen, die nur bei länger durchgeführten Messungen (am besten rektal) und graphischer Aufzeichnung der erhaltenen Werte in Form einer Fieberkurve richtig gedeutet werden können, und Beschleunigung der Blutsenkungsgeschwindigkeit. Die tuberkulöse Hautreaktion ( P i r q u e t ) kann für die Diagnose verwendet werden, ist aber nicht ausschlaggebend.

170

Chirurgie der Wirbelsäule und des Rückenmarks

Die R ö n t g e n u n t e r s u c h u n g der Wirbelsäule, die stets in zwei Ebenen (das seitliche Bild ist ganz besonders wichtig) ausgeführt werden muß, zeigt den Herd im Wirbelkörper und die bereits vielleicht eingetretene F o r m v e r ä n d e r u n g desselben. Mitbefallensein der Zwischenwirbelscheibe, welches sich in der auf d e m seitlichen Röntgenbild sichtbaren unregelmäßigen Verschmälerung bis

Abb. 112

Abb. 113. Wirbeltuberkulose

Gibbus bei Wirbelsäulentuberkulose (gleichzeitig mit tuberkulösem Abszeß am Oberarm, ausgehend von einer Schultergelenkstuberkulose). Chirurg. Abt. Krankenhaus Bergmannsheil Bochum

z u m völligen Schwund d a r t u t , ist ein wichtiges Zeichen f ü r das Bestehen einer Wirbeltuberkulose.

differential-diagnostisches

Der w e i t e r e Verlauf der K r a n k h e i t , der sich verschieden schnell entwickeln k a n n , ist gekennzeichnet durch die Ausbildung oder V e r s t ä r k u n g des Gibbus, die Entwicklung von Senkungsabszessen und das Auftreten von Symp t o m e n der Mitbeteiligung des R ü c k e n m a r k s . Der Gibbus ist spitzwinklig, wenn nur ein Wirbelkörper zerstört ist, sind es mehrere, so wird er mehr bogenförmig. Zum Ausgleich bildet sich ein hohler R ü c k e n und ein zurückgebeugter Kopf. Im Gegensatz zur rachitischen Kyphose, welche auch meist mit einer Skoliose kombiniert ist, ist die tuberkulöse Kyphose stets schmerzhaft und fixiert.

Entzündungen der Wirbelsäule

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Die tuberkulösen Senkungsabszesse entwickeln sich beschwerdefrei und ohne feststellbare Entzündungserscheinungen in der Nachbarschaft. Die alte Bezeichnung „kalter Abszeß" charakterisiert daher ihre Eigenschaften treffend. Die Senkungsabszesse dringen in den Muskel- und Faszieninterstitien vor und kommen häufig an typischer Stelle zum Vorschein. Die Abszesse der Halswirbelsäule kann man als retropharyngeal gelagerte AnSchwellungen tasten, oder sie erscheinen seitlich am Hals vor -1 , _ und hinter dem Musculus ster•„,„,. nocleidomastoideus unter der -" Teilen. Angezeigt ist sie . ff n f ^ ß ' l r ' — " ~ ~ I — b e i jeder wegen Tumor iin Y'f / T^^ft^^l^V I oder sonstiger Ursache bedingten Kompression des Rückenmarks, überhaupt zu jedem Eingriff an ihm (Nervenbahndurchtrennung). Die Operation läßt sich stets in örtlicher Retäubung ausführen. Nach dem Hautschnitt wird die Rückenfaszie beiderseits l der Dornfortsätze eingeschnitten und beiderh^W^^ seits stumpf die lange Rückenmuskulatur abV^JKmy^ X v gelöst. Nach Blutstillung n.,- x f t M k A durch vorübergehende Tamponade mittels heißer Kochsalzkompressen Abb. 126. Subokzipitalpunktion werden in dem gewünschten Umfang mit Knochenzangen zunächst die Dornfortsätze und dann die Wirbelbögen abgetragen. Jetzt liegt das Fettgewebe des extraduralen Raumes vor. Durch stumpfes Beiseiteschieben kann man die Dura freilegen und bei Bedarf eröffnen. Nach Ausführung des beabsichtigten Eingriffs (Tumorexstirpation, Nervendurchtrennung) wird die Wunde sorgfältig in Schichten genäht. Die Fortnahme der Wirbelbögen schädigt die Standfestigkeit der Wirbelsäule nicht. Die Kostotransversektomie ist angezeigt zur Freilegung von Abszessen, Tumoren oder dergleichen, welche vor der Wirbelsäule gelegen sind. Von einem seitlichen Längsschnitt aus werden je nach Bedarf 1—3 Rippengelenke zusammen mit den Querfortsätzen reseziert. In schräger Richtung gelangt man so stumpf an die vordere Fläche der Wirbelkörper und kann dort den gewünschten Eingriff ausführen. Die operative Versteifung der Wirbelsäule nach H e n l e und A1 b e e ist besonders früher zu dem Zwecke ausgeführt worden, tuberkulöse Prozesse

Typische Operationen an Wirbelsäule und Rückenmark

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an der Wirbelsäule sicher ruhig zu stellen. In die gespaltenen Dornfortsätze wurde ein aus dem Schienbein entnommener Knochenspan zur Einheilung gebracht, um so eine Unbeweglichkeit des betreffenden Wirbelsäulenabschnittes zu erzielen. Das Ergebnis hat nicht sehr befriedigt.

Abb. 127. Vorderseitenstrangdurchtrennung

Die Förstersche Operation dient der Bekämpfung von Schmerzzuständen in umschriebenem Körpergebiet, beispielsweise gastrischer Krisen. Nach Laminektomie in der betreffenden Höhe und Spaltung der Dura werden vier und mehr, aber immer nur zwei benachbarte, sensible Wurzeln durchtrennt. Nicht immer gelingt auf diese Weise die gewünschte Schmerzbekämpfung. Die Yorderseitenstrangdurchtrennung hat das Ziel, die schmerzleitenden Fasern im Rückenmark zu durchschneiden. Angewendet wird der Eingriff bei schwersten Schmerzzuständen wie Kausalgien, Tumordruck auf Nervenstämme und ähnlichem. Nach Laminektomie oberhalb des ¡f: | Jpr " '-fT" " gg handenem vergrößerten % |f J Mittellappen die Harn- H .„J^. röhrenmündung zugeIM' drückt, so daß der Urin ^ B nicht auslaufen kann. .. Trotzdem besteht ein ^ ^ ^ iß f| J^f r 1 quälender Harndrang, ^ ^ ' jtm J^F der noch dadurch ver»V lf| I schlimmert wird, daß der Erfolg ausbleibt. 0 ^ % ' Durch die infolge des Flüssigkeitsgenusses weiter anhaltende Absonderung der Nieren Abb- 2 3 2 - Balkenblase wird die Blase prall ausgedehnt, so daß sie bis zu mehreren Litern enthalten und als sehr druckschmerzhafter, kugliger Tumor über der Symphyse im Unterbauch getastet werden kann. Gleichzeitig besteht ein sehr starker Spontanschmerz. Die Kranken werden unruhig, haben Angstzustände, Ausbruch von kaltem Schweiß, so daß sie stets in der Nacht den Arzt aufsuchen oder ihn kommen lassen. Durch sachgemäß ausgeführten Katheterismus oder, wenn er mißlingen sollte, durch suprapubische Blasenpunktion ist es möglich, diesen bedrohlichen Zustand der akuten Harnverhaltung zu beheben. Man muß darauf achten, daß die in der Blase enthaltenen großen Urinmengen nur langsam entleert werden (häufige Unterbrechung des Harnstrahles durch vorübergehendes Zuhalten der Öffnung des Katheters oder der Punktionsnadel), da es sonst zu einer erheblichen terminalen Blutung aus der sehr stark überdehnt gewesenen Blasenschleimhaut infolge der plötzlich einsetzenden Hyperämie nach vorangegangener langdauernder Anämie (Blutung ex vacuo) kommen kann. Das dritte Stadium der Inkontinenz ist dadurch gekennzeichnet, daß bei gefüllter überdehnter Blase dauernd in kleinen Mengen Harn abträufelt. Man bezeichnet diesen Zustand mit den Worten „Ischuria paradoxa". Es bedarf

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Chirurgie der Harnorgane und der männlichen Geschlechtsorgane

keiner besonderen Erwähnung, daß dieser Zustand für die Träger äußerst lästig ist. Stets ist die Kleidung benetzt, ein unangenehmer Uringeruch macht sich bemerkbar, die Haut der Genitalgegend und der Oberschenkel ist ekzematös verändert und entzündet. Und trotzdem finden sich eine Reihe älterer Männer erstaunlich gelassen mit diesem Zustand ab. Die Gefahr liegt aber nicht in dem Harnträufeln an sich, sondern in der Behinderung des Abflusses und der Retention des Urins im gesamten Harntraktus, verbunden mit der stets, allerdings in wechselnden Graden vorhandenen Entzündung desselben. Einmal werden harnfähige, schon ausgeschieden gewesene Substanzen zurückresorbiert, so daß sich eine schleichende Urämie entwickelt. Durch Rückstauung des Harns kommt es zu Druckschäden des Nierenparenchyms und damit zur Verschlechterung der sekretorischen Leistung der Niere. Die Folge ist eine Verstärkung der Urämie (Vermehrung des Reststickstofles und des Salzgehaltes des Serums). Klinisch äußert sich dies in zunehmendem körperlichen und geistigen Verfall, Abmagerung, Erhöhung des Blutdruckes, Appetitlosigkeit, Stuhlverstopfung, zu denen sich die Zeichen der Zystitis und der Pyelonephritis gesellen können. Auch die Ausbildung von Blasensteinen (meist Phosphatsteinen) ist in diesem Stadium nichts Ungewöhnliches. Zur Stellung der richtigen Diagnose gehört neben der genauen Erhebung der Anamnese im Sinne der vorstehenden Verlaufsschilderung des Leidens zunächst die rektale Untersuchung. Man fühlt deutlich die nach dem Rektumlumen vorgebuckelte, stark vergrößerte Prostata als fast knorpelharte, glatte und groblappige Geschwulst, über welcher die Rektumschleimhaut verschieblich ist. Die Größe (meist kleinapfelgroß) ist schwankend. Der Tastbefund vom Rektum her ist nicht entscheidend für die Abschätzung der Größe der hypertrophischen Prostata, denn sehr häufig erfolgt die Hauptwachstumsrichtung nach dem Blaseninneren zu. Durch Zystoskopie mit für die Betrachtung der Prostata besonders gebauten Instrumenten und durch Röntgenaufnahme nach Kontrastfüllung der Blase kann man auch hierüber Aufschluß erhalten. Weiterhin gehören unbedingt zur Untersuchung die Bestimmung der Menge des Resturins (Katheterismus nach beendigter spontaner Miktion) sowie die Untersuchung des Urins auf krankhafte Formbestandteile. Für die einzuschlagende Therapie ist es wichtig, sich eine möglichst eingehende Kenntnis der Leistungsfähigkeit des Kreislaufsystems und der Nierenfunktion (Blutdruckmessung, Wasserversuch, Kryoskopie des Blutes, Reststickstoffbestimmung, evtl. Pyelographie) zu verschaffen. Die Behandlung hat bei der Auswahl der anzuwendenden Methoden das vorliegende Stadium des Leidens, den Grad der Zystitis, die Menge des Restharns und vor allen Dingen die Leistungsfähigkeit des Kreislaufs und die Nierenfunktion zu berücksichtigen. Das Ziel der Behandlung ist stets die für dauernd gewährleistete, unbehinderte Urinausscheidung. Am besten wird dies erreicht durch die operative Entfernung der das Abflußhindernis darstellenden, vergrößerten Drüse mittels stumpfer Ausschälung. Den Zugang kann man sich durch Anlegung einer Sectio alta verschaffen oder durch Freilegung des Organs vom Damm her. Beide Methoden haben ihre Anhänger. Ich persönlich bevorzuge die suprapubische, transvesikale Ausschälung der Prostata, hauptsächlich wegen der so häufig notwendigen Unterteilung des Eingriffes in zwei zeitlich mitunter mehrere Wochen auseinanderliegende Operationen.

Prostata und Samenblasen

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Die Indikation zur Auswahl des operativen Verfahrens muß sich auf die schon geschilderten urologischen Untersuchungsmethoden stützen. Weniger die durch eine Betastung festzustellende Größe der Drüse ist wichtig als vielmehr die Frage, ob ein Restharn in der Blase, ob die Blasenschleimhaut stark entzündlich verändert und vor allen Dingen, wie die Nierenfunktion gemessen am Wasserversuch und der Reststickstoffbestimmung im Blute ist. Wenn der Wasserversuch günstig ausfällt und der Reststickstoffgehalt nicht erhöht ist, soll man bei nicht zu starker Entzündung der Blasenschleimhaut einzeitig die Prostata entfernen. Die Blase ist nach dem Eingriff und nach

Abb. 233. K o n t r a s t f ü l l u n g der Blase bei Prostatahypertrophie und Blasenstein

Einlegen eines weichen Dauerkatheters sicher zu vernähen. Mitunter kann es auch angezeigt sein, sie vorübergehend durch die Sectio alta-Wunde hindurch zu drainieren. Sind aber Nierenfunktion und Zustand der Blasenschleimhaut ungünstig, muß zunächst einmal die Blase entlastet werden. Mitunter erreicht man dies durch Einlegen eines Dauerkatheters. Sicherer kommt man zum Ziele, wenn man als ersten Eingriff eine suprapubische Blasenfistel anlegt und durch sie die Blase drainiert. Die Anwendung eines mit einer dehnbaren Gummiauftreibung versehenen Pezzer-Katheters verhindert das Herausgleiten des Drains aus der Blase. Wenn nach zweckmäßiger Behandlung der Zystitis und der Entlastung der Nieren sich ihre Funktion sichtlich gebessert hat, was durch mehrmalige Wiederholung des Wasserversuchs und der anderen Untersuchungsmethoden zu prüfen ist, kann man sekundär die Prostata ausschälen. In den letzten Jahren hat sich die Elektroresektion der Prostata sehr viel Anhänger verschafft. Mittels eines geeigneten Zystoskops wird durch Hochfrequenzstrom durch eine Schlinge sozusagen eine Rinne in die Prostata geschnitten, so daß die mechanische Behinderung des Harnabflusses beseitigt ist. Die Methode stellt einen geringeren Eingriff dar, als die operativen Total-

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Chirurgie der Harnorgane und der männlichen Geschlechtsorgane

entfernungen. Ganz so harmlos, wie man zunächst annahm, ist sie aber auch nicht. Erst in einigen Jahren wird man zu einer klaren Indikationsabgrenzung kommen können. Konservative Behandlungsmethoden wie die Röntgenbestrahlung, Injektion differenter Flüssigkeiten (z. B. Pepsin-Jodlösungen) haben kaum Aussichten auf befriedigende Dauererfolge. Bei sehr operationsscheuen Kranken bleibt dem Arzt aber mitunter nichts anderes übrig, als dem Kranken das Selbstkatheterisieren beizubringen. Es stellt aber nur einen kümmerlichen Notbehelf dar, der außerdem noch die Gefahr der Zystitis erheblich verschlimmert, da die Asepsis des Selbstkatheterisierens praktisch wohl nie gewährleistet sein wird. Wenn sich nach Anlegung einer suprapubischen Fistel die Nierenfunktion aber nicht bessert, weil die Parenchymschäden schon irreparabel geworden waren, bleibt nichts anderes übrig, als die suprapubische Blasenfistel bestehen zu lassen und in sie einen Pezzer-Katheter einzulegen. Derselbe muß aber etwa alle 2—3 Wochen vom Arzt mittels besonderer technischer Handgriffe gewechselt werden, da er in der Blase schnell und erheblich inkrustiert. Man überlasse dies nie dem Kranken oder ungeübten Helfern, weil sonst sicher die Spitze des Katheters abreißt und in der Blase zurückbleibt. Ihre Entfernung kann dann nicht ganz leicht sein.

Atrophie der Prostata Sie kommt nicht allzu häufig vor und stellt meist den Restzustand irgendeines Entzündungsprozesses, also eine Art Narbenschrumpfung, dar. Die Beschwerden, welche sie verursacht, ähneln fast völlig denen der Prostatahypertrophie und bestehen in vermehrtem Harndrang mit Harnverhaltung, mitunter Inkontinenz. Bei der rektalen Untersuchung findet man eine kleine und harte Prostata, bei der zystoskopischen Untersuchung vermißt man die Vorwölbung um die innere Harnröhrenmündung herum. Bei starken Beschwerden kann man die Prostata ausschälen wie bei der Hypertrophie, ein Eingriff, der jedoch schwieriger ist als bei der Vergrößerung der Drüse. Auch mit dem elektrischen Schmelzschnitt ist die Wiederherstellung der Harnentleerung erreichbar. Tumoren der Prostata Gutartige Geschwülste (Zysten und Fibrome) sind ganz besondere Seltenheiten und werden stets erst bei der anatomischen Untersuchung des exstirpierten Organs (wegen vermuteter Prostatahypertrophie) entdeckt. Die Sarkome der Prostata kommen ebenfalls selten, am ehesten noch bei jugendlichen Männern vor. Es sind verschieden schnell wachsende Tumoren, welche erhebliche Größe erreichen können, aber keineswegs immer zur Harnverhaltung zu führen brauchen. Eine Frühdiagnose zu stellen, so daß Exstirpation im Gesunden möglich ist, gelingt kaum. Daher bleibt dann als einzige Behandlungsart die Röntgenbestrahlung übrig, welche Besserungen des klinischen Zustandes erzielen kann.

Prostata und Samenblasen

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Die wichtigste Tumorform stellt das Karzinom der Prostata dar. Es ist sehr viel häufiger, als man denkt (etwa 20% aller „Prostatiker"), und wird leider oft übersehen. Allerdings ist auch die Diagnose ungewöhnlich schwierig. Nur durch den Tastbefund (besonders ausgesprochene Härte des Organs, höckrige Oberfläche, Verwachsung mit der Rektalschleimhaut) ist sie zu stellen. Meist pflegen ziehende und in die Umgebung ausstrahlende Schmerzen das erste Symptom zu sein, welches mitunter vom Kranken nicht beachtet, vom Arzt aber auch häufig nicht richtig gedeutet wird. Die Ausbildung von Harnentleerungsbeschwerden pflegt sehr spät erst einzusetzen, dasselbe gilt von dem Abgang von Blut oder der Möglichkeit des Nachweises von Tumorzellen im Urin. Sind dieselben schon vorhanden, kommt eine wirksame Therapie lange zu spät. Mitunter bleibt auch der primäre Krebs in der Prostata klein, und Knochenmetastasen evtl. mit Spontanfrakturen sind das erste Symptom des Leidens. Das Prostatakarzinom neigt zu dieser Metastasierungsart. Die Diagnose wird in den Frühfällen über eine gewisse Wahrscheinlichkeit nicht hinauskommen. Bei dem geringsten Verdacht sollte man daher dringend zur operativen Entfernung der Prostata raten. Diese geschieht wegen der besseren Übersichtlichkeit zweckmäßigerweise auf dem perinealen Wege, zumal Nierenschädigungen durch langdauernde Harnrückstauung meist nicht vorhanden sind. Bei der histologischen Untersuchung einer wegen Hypertrophie entfernten Prostata findet der Pathologe nicht allzu selten in ihr versteckt liegende Karzinomkeime, welche sich jedem klinischen Nachweis entzogen haben. Wird die richtige Diagnose erst gestellt, wenn Verwachsungen des Tumors mit der Blasen- oder Rektumschleimhaut oder gar Durchbrüche durch dieselbe erfolgt sind, kann operative Therapie nur noch symptomatisch helfen, indem durch eine Blasenfistel die Harnstauung beseitigt und die Möglichkeit geschaffen wird, mit Radium dicht an den Tumor heranzukommen. Der Krankheitsverlauf kann sich über mehrere Jahre erstrecken. Eine Zystitis und Blutungen aus dem Tumor pflegen sich bald einzustellen, eine Krebskachexie erst in späteren Stadien. Die in etwa einem Drittel der Fälle zu beobachtenden Knochenmetastasen können, besonders wenn sie in der Wirbelsäule sitzen, zu unerträglichen Schmerzen, welche große Morphiumgaben erfordern, führen. Die Kranken geraten in einen bemitleidenswerten Zustand, so daß der Tod für sie und ihre Umgebung eine Erlösung bedeutet.

Erkrankungen der Samenblasen Mißbildungen durch Verschmelzung der Organe selbst oder ihrer Ausführungsgänge sind klinisch belanglos. Verletzungen z. B. Pfählungen treten hinter den sie stets begleitenden Verletzungen anderer Organe an Bedeutung absolut zurück. Die Entzündungen treten im Gefolge der Gonorrhoe oder unspezifischer Urethralentzündungen auf und führen zu Schmerzen beim Wasserlassen und Stuhldrang. Auch erhebliche Fiebersteigerungen, ja sogar Allgemeininfektionen können die Folge sein. Bei der rektalen Untersuchung fühlt man eine druckschmerzhafte Schwellung der Samenblasen, aus denen sich Sperma untermischt

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Chirurgie der Harnorgane und der männlichen Geschlechtsorgane

mit Blut und Eiter ausdrücken läßt. Die Behandlung im chronischen Stadium erfolgt durch örtliche Wärmeanwendung (Sitzbäder, Diathermie). Massagebehandlung schadet bestenfalls nichts, manchmal bewirkt sie Verschlimmerungen. Bei hochakuten Entzündungen ist die Inzision der mit Eiter angefüllten Samenblasen notwendig. Die Tuberkulose der Samenblasen stellt eine Sekundäransiedlung bei bestehender Tuberkulose der Nebenhoden, des Samenstranges oder der Blase dar, so daß eine isolierte lokale Therapie nicht in Frage kommt, wohl aber die bei dem genannten Leiden beschriebene Allgemeinbehandlung. Wenn man bei der rektalen Untersuchung die Samenblasen vergrößert fühlen kann und sie nicht oder nur ganz gering druckschmerzhaft sind, so muß man immer daran denken, daß eine Urogenitaltuberkulose bestehen könnte, und die entsprechenden übrigen Organe genauestens untersuchen. Tumoren der Samenblasen kommen als Seltenheit in Form von Karzinomen und Sarkomen vor.

Harnröhre und Penis Mißbildungen Bei den angeborenen Mißbildungen sind zunächst die im Penis und der Harnröhre möglichen Spalten zu nennen. Sie können sowohl an der Dorsalseite als auch an der Unterfläche sitzen und verschiedene Teile des Organs befallen. Dementsprechend kann man folgende Mißbildungen unterscheiden: Die Epispadie kann mit der Blasenektopie verbunden sein, aber auch isoliert vorkommen. Die Harnröhre stellt dann eine nach oben offene Halbrinne dar. Die operative Beseitigung erfordert schwierige plastische Operationen. Die Hypospadie der Eichel wird relativ häufig beobachtet. Bei ihr ist die Eichel an der Hinterfläche gespalten, so daß die Harnröhre bereits an ihrer Unterfläche meist mit enger Öffnung endet. Die Hypospadie des Penis ist schon etwas seltener. Die Harnröhrenöffnung mündet dann irgendwo im Bereich des Penisschaftes, mitunter dicht an der Basis des Hodensackes. Der Penis selbst pflegt verkümmert zu sein und besonders bei der Erektion einen bogenförmigen Verlauf zu nehmen. Die sehr seltene perineale Hypospadie ist verbunden mit einer Spaltung des Skrotums, so daß die Harnröhre am Damm mündet (Pseudohermaphroditismus) und das äußere Genitale, zumal wenn noch Leistenhoden vorhanden sind, dem des weiblichen Geschlechts ähnelt. Verwechslungen kommen auch gelegentlich vor. Die Behandlung dieser Mißbildungen erstrebt durch Hautplastiken, für welche mehrere Methoden angegeben sind, die Harnröhrenöffnung an die Spitze des Penis zu verlegen. Die Eingriffe führt man am besten zwischen dem 8. und 10. Lebensjahr aus. Nur die Penisverkrümmung soll man schon vorher durch mehrfach ausgeführte quere Inzisionen, welche längs vernäht werden,

Harnröhre und Penis

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zu beseitigen versuchen. Das Gesamtergebnis ist nicht immer befriedigend, jedoch braucht dadurch die Potentia coeundi et generandi nicht gestört zu werden. Angeborene Stenosen kommen vorwiegend an der äußeren Öffnung vor. Man kann sie durch Spaltung in Richtung auf das Frenulum angehen. Mitunter muß dieser kleine Eingriff einer instrumentellen Untersuchung z. B. Zystoskopie vorausgehen. Akzessorische Gänge kommen gelegentlich am Frenulum in verschiedener Tiefe vor, mitunter können sie eine Verdopplung der Urethra vortäuschen. Klinische Bedeutung gewinnen sie bei Entzündungen, besonders der Gonorrhoe, welche in ihnen schwer beeinflußbar ist, so daß schon die Totalexstirpation dieser Gänge ausgeführt werden mußte. Die praktisch wichtigste und recht häufige Mißbildung ist die Verengerung der Vorhaut (Phimose). Wir beobachten sie in allen nur denkbaren Graden, die unmerklich in den normalen Zustand übergehen können, nämlich daß die Vorhaut mühelos über die Eichel gezogen werden kann. Wir kennen aber auch Phimosen, bei welchen die Öffnung in der Vorhaut nur stricknadeldick ist. Durch die Ansammlung des Smegmas im Präputialsack kommt es zu sehr lästigen und hartnäckigen Entzündungen der Schleimhautfläche der Vorhaut und der Glans (Balanitis), welche zu Eiterungen und sekundär auch zu Verklebungen der beiden Schleimhautblätter führen können. Auch Bildung von Smegmasteinen ist häufig, welche ihrerseits den Entzündungsprozeß unterhalten. Nicht unerwähnt bleibe, daß die im späteren Alter auftretenden Peniskarzinome häufig mit einer Phimose vergesellschaftet sind. Unschwer kann man sich vorstellen, daß der chronische Entzündungsreiz die Ursache der Karzinomentwicklung gewesen ist. Schließlich kommt besonders bei Kindern noch dazu, daß bei erheblicher Phimose die Harnentleerung gehindert wird, so daß die Blase nur unter Zuhilfenahme der Bauchpresse und unter Schmerzen entleert werden kann. Aus diesem Grunde wird die völlige Entleerung der Harnblase unterlassen, so daß es schon frühzeitig zur Entstehung eines Restharns mit seinen schädlichen Folgen (Infektion und Rückstauung ins Nierensystem) kommt. Die Behandlung der Phimose richtet sich nach dem Alter des Kranken und dem Grade der Verengerung. Bei Säuglingen und Kleinkindern pflegt es zu genügen, wenn man die Vorhautöffnung mehrfach mit einigen Tagen Zwischenraum mit einem stumpfen Instrument (beispielsweise Arterienklemme) spreizt und dehnt. Die Mütter sind anzuleiten, mehrmals täglich beim Reinigen des Kindes die Vorhaut über die Eichel zu schieben. Bei stärkeren Phimosen kommt man ohne operativen Eingriff nicht aus. Zahlreiche Methoden sind angegeben worden. Ich bevorzuge die von S c h l o f f e r angegebene, winklig zueinander ausgeführte Spaltung der beiden Blätter der Vorhaut und Naht derselben. Wenn bei mittelstarker Phimose die Vorhaut mit Gewalt über die Glans zurückgeschoben wird, kann sich durch Abschnürung der Eichel ein Zustand entwickeln, den wir als Paraphimose bezeichnen. Der schnürende Ring der Phimose bewirkt eine starke Stauung in der Eichel, welche ödematös anschwillt und düsterrot-blau verfärbt wird. In schweren Fällen kann die Zirkulationsstörung so hochgradig werden, daß es zur Nekrose der Glans kommt. Der Arzt sollte

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Chirurgie der Harnorgane und der männlichen Geschlechtsorgane

sich daher beim Vorliegen einer Paraphimose nicht mit konservativen Mitteln wie kühlenden Umschlägen und dergleichen aufhalten. Wenn nach Leitungsanästhesie an der Basis des Penis die manuelle Reposition nicht gelingt, muß der schnürende Vorhautring an der Dorsalseite des Penis so ausgedehnt gespalten werden, daß sich die Vorhaut mühelos vorziehen läßt. In jedem Falle sollte sofort eine Phimosenoperation angeschlossen werden, um die Möglichkeit des Wiederauftretens des keineswegs gefahrlosen Zustandes auszuschließen. Die einfache Durchtrennung des Schnürringes genügt hierzu nicht.

Verletzungen Offene und subkutane Verletzungen des Penis und damit auch der Harnröhre kommen aus den verschiedensten Ursachen vor. Neben den durch Stoß, Schlag, Schuß, Stich, Schnitt oder dergleichen verursachten Wunden kommen am Penis derartige Verletzungen bei Geisteskranken oder auch einmal durch rachsüchtige Frauen, weiter durch Emaskulation von Kriegsgefangenen bei unzivilisierten Volksstämmen oder aus religiösen Gründen und bei Eunuchen vor. Die Wunden der Corpora cavernosa pflegen sehr stark und auch sehr schwer stillbar zu bluten. Bei subkutanen Verletzungen können sich sehr große Blutkoagula ansammeln, die Anlaß von Zirkulationsstörungen und damit auch zur drohenden Gangrän sind. Bei der Versorgung der Wunden des Penis sind alle Blutkoagula im Gewebe sorgfältigst auszuräumen, die Verletzungsstelle der Corpora cavernosa exakt freizulegen, mehrfach zu umstechen und die Kapsel dicht zu vernähen. Das Einlegen eines weichen Dauerkatheters ist auch dann angebracht, wenn sich eine Harnröhrenverletzung nicht findet. Die sich bildenden Narben pflegen bei der Erektion störende Formveränderungen des Gliedes zu verursachen. Als Sonderform von Penisverletzungen sei die Umschnürung des Penis meist aus erotischen Gründen mit den verschiedensten Gegenständen wie Ringen aller Art, Bändern, Fäden und dergleichen genannt. Es kommt dadurch zu einer Stauung im männlichen Gliede bis zur Gangrän und auch zum Verschluß der Harnröhre. Die Beseitigung des schnürenden Gegenstandes kann, besonders wenn er aus Metall ist, technisch mitunter recht schwierig sein. Die Schindung des Penis, d. h. die teilweise oder völlige Abreißung der Haut, kommt bei Verletzungen durch Treibriemen, bei Uberfahrungen, bei Bissen durch Pferde, Kamele, Hunde usw. vor. Wenn nicht sehr bald eine zweckmäßige Plastik (Phalloplastik) ausgeführt wird, entstehen sehr hochgradige, narbige Verziehungen des Penis, welche die normale Erektion unmöglich und sehr schmerzhaft machen. Außer bei der Bißverletzung soll man daher primär gestielte Plastiken aus der Nachbarschaft (Skrotum, Bauchhaut, Oberschenkelhaut) machen. Wegen der Infektionsgefährdung der Bißverletzungen ist dies bei ihnen nicht möglich. Dann empfiehlt es sich, die primäre Verletzung mit kleinen Hautlappen nach T h i e r s c h zu versorgen, um eine zu weitgehende narbige Verformung des Gliedes zu verhindern und die endgültige Plastik so lange hinauszuschieben, bis die Infektion sicher beherrscht ist und ihr Aufflackern nach Vornahme der Plastik nicht mehr zu befürchten ist.

Harnröhre und Penis

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Unter Fraktur des Penis versteht man die subkutane Ruptur der Corpora cavernosa, die durch die Einwirkung stumpfer, äußerer Gewalten im Stadium der Erektion auftreten kann. Nur leichtere Formen können konservativ behandelt werden. Meist werden die operative Ausräumung der Koagula und sorgfältige Blutstillung und Naht notwendig werden. Eine Luxation des Penis kommt dann zustande, wenn die Haut an der Eichel total einreißt und dann Corpora cavernosa und Glans in das lockere Unterhautzellgewebe des Skrotums oder unter die Bauchhaut über der Symphyse gelangen. Uberfahrungen, Fußtritte und dergleichen geben Gelegenheit zum Zustandekommen dieser Verletzung. Sie führt häufig zur Urininfiltration des subkutanen Gewebes mit ihren schädlichen Folgen. Die Behandlung hat in der Reposition zu erfolgen, bei der man meist durch Hautspaltung den verlagerten Penis freilegen muß. Dann ist er an normaler Stelle zu vernähen, das Wundbett, in dem er gelegen hat, ist ausgiebig zu drainieren. In der Nachbehandlung aller Wunden und Verletzungen des Penis ist darauf zu achten, daß das Wundsekret gut nach außen abfließen kann (also nicht zu eng liegende Hautnähte), denn etwa auftretende Phlegmonen in dieser Gegend können sehr bösartigen Charakter annehmen. Die Wundheilung soll man dadurch wesentlich erleichtern und schmerzloser gestalten, daß man etwa 8—10 Tage lang das Auftreten von Erektionen verhindert. Man erreicht dies durch reichliche Gaben von Brom in Form von Bromural oder Mixtura nervina. Unter den isolierten Verletzungen der Harnröhre ist diejenige durch stumpfe am Damm einwirkende Gewalten am häufigsten. Ihre Entstehungsart ist geradezu typisch. Sie kommt fast ausschließlich beim Manne dadurch zustande, daß die Harnröhre vom Damm her gegen die Symphyse gequetscht und teilweise oder total durchtrennt wird. Die hauptsächlichsten Entstehungsursachen sind Beckenfrakturen, Fußtritte, Fall rücklings auf einen harten, schmalen Gegenstand (Geländer, Deichsel und dergl.). Die Gewalt trifft dann die an sich schon dünne Pars diaphragmatica der Harnröhre und kann, was für die Therapie wichtig ist, totale oder partielle Zerreißung derselben hervorrufen. Die Symptome der Verletzung bestehen in Harnverhaltung, Blutung aus der Harnröhre (kann mengenmäßig gering sein), Gewebsschwellung evtl. mit Hautblutungen in der Dammgegend. Ist die Verletzung älter, können sich die Zeichen der Harninültration und anschließend der Urosepsis hinzugesellen. Der Zustand erfordert unverzüglich das Eingreifen des Arztes. Man wird zunächst versuchen, mit einem weichen Katheter in die Blase zu gelangen. Wenn es sich um eine teilweise Zerreißung handelt und wenn an der Vorderwand noch einige Teile der Harnröhre stehengeblieben sind, gelingt dieses mitunter. Der eingeführte Katheter bleibt als Dauerkatheter für 8—10 Tage liegen. Um ihn herum regeneriert sich die Harnröhrenwunde. Kommt man mit dem weichen Katheter nicht in die Blase, pflegt meist die Harnröhre ganz durchgerissen zu sein. Die Folge ist, daß durch die gefüllte Harnblase die zentrale Rißstelle sich gegen die periphere verschiebt und beide nun nicht mehr einander gegenüberstehen. In solchem Falle kann man zunächst mittels harten Katheters versuchen, vorsichtig tastend an die zentrale Rißstelle zu gelangen.

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Chirurgie der Harnorgane und der männlichen Geschlechtsorgane

Wenn es glückt, muß man den Metallkatheter als Dauerkatheter liegen lassen. Man lasse sich nicht verleiten, ihn zu entfernen und nun einen weichen Katheter einlegen zu wollen. Das gelingt nie. Wenn aber die Uberwindung der Rißstelle mit dem harten Katheter nicht möglich und somit der Harnabfluß auf natürlichem Wege nicht gewährleistet ist, muß sofort die operative Behandlung der Harnröhrenzerreißung angeschlossen werden. Viele Chirurgen bevorzugen die Urethrolomia externa, d. h. die Freilegung der Rißstelle vom Damm her mit Naht der Harnröhre über einem weichen Dauerkatheter. Ich ziehe es nach vielfältiger Erfahrung vor, in solchem Falle die Blase mittels ganz kleiner Sectio alta zu eröffnen, die Harnröhre mit geeigneten Instrumenten von der Blase und von der Harnröhre her zu sondieren, so daß die Spitzen der Instrumente sich an der Verletzungsstelle berühren. Nun kann das in der Harnröhre liegende Instrument unter Leitung des anderen so weit vorgeschoben werden, daß seine Spitze in der Sectio alta-Wunde erscheint. An ihr wird ein langer Schlauch befestigt, welcher von der Bauchwunde durch die Blase und die Harnröhre gezogen wird, die Verletzungsstelle überbrückt und den Harn ableitet, da er an der Stelle, wo er in der Blase liegt, seitliche Löcher hat. Wenn sich etwa das Innere des Schlauches durch Blutgerinnsel verstopfen sollte, so läßt er sich durch Verschieben leicht säubern, ohne daß man Gefahr läuft, die einmal hergestellte Vereinigung an der Rißstelle der Harnröhre zu verlieren. Das Verfahren ist schonender und auch wesentlich schneller ausführbar als die Naht der Harnröhre vom Damm her. Instrumentelle Verletzungen der Harnröhre kommen bei unsachgemäßer Ausführung des Katheterismus leider immer noch vor. Bei Uberwindung von Hindernissen wie Strikturen oder bei Prostatahypertrophie kann es einmal zu leichten Einrissen in die Schleimhaut kommen. Sie sind entschuldbar und auch relativ belanglos. Wenn aber beim Katheterismus nicht, wie es sein soll, das locker geführte Instrument dem anatomischen Verlauf der Harnröhre folgt, sondern mit Brachialgewalt evtl. noch unter bohrenden Bewegungen sich seinen Weg durch die Wand der Harnröhre meistens im Bereich der Pars membranacea vor dem Sphinkter in das umgebende Gewebe sucht, wenn also ein sogenannter ,,falscher Weg" mit dem Katheter gebohrt wird, so ist das immer die Schuld des Arztes. Je dünner der Katheter ist, um so größer ist die Gefahr. Daher mache es sich besonders der Anfänger zur Regel, zum Katheterisieren stets den je nach der Weite der Harnröhre dicksten Katheter zu verwenden. Der reflektorische Krampf des Sphinkter, welcher manchmal der Anlaß dazu ist, Gewalt anzuwenden und die Nebenverletzung zu erzeugen, wird am besten durch schonendes, zartes Katheterisieren überwunden. Bei dieser Art der Ausführung hat man auch ein sehr viel feineres Tastgefühl für die sich bietenden Widerstände als bei roher, gewaltsamer Ausführung des Katheterismus. Ist eine innere Verletzung der Harnröhre erzeugt worden, so entstehen Harnverhaltung, Infektion der Wunde, evtl. Urininfiltrationen, Abszesse und Phlegmonen. Es ist dann ganz besonders schwer, durch richtig ausgeführten Katheterismus in die Blase zu kommen, häufig ist dies nicht möglich. Versucht werden sollte er aber auf jeden Fall. Gelingt es nicht, muß bei bestehender Harnverhaltung die Sectio alta ausgeführt und wie vorher beschrieben verfahren werden. Bestehende Phlegmonen und Abszesse sind zu spalten.

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Harnröhre und Penis

Entzündungen Phlegmonen und Abszesse kommen im Anschluß an Verletzungen vor, wie sie im vorstehenden Abschnitt beschrieben wurden. Sie pflegen häufig hoch akut zu verlaufen und in einem recht hohen Hundertsatz zur Allgemeininfektion zu führen. Wenn daher in kürzester Zeit konservative Behandlung nicht zum Ziele führt, muß inzidiert werden. Jedoch muß man sich hüten, die Corpora cavernosa zu verletzen oder die Harnröhre unnötig zu eröffnen. Meist geht die Entzündung von der Harnröhre aus. Behandlung mit antibiotischen Mitteln hat möglichst früh einzusetzen. Gangrän der Penishaut pflegt nach Umschnürungen aufzutreten. Aber auch Phlegmonen, Erysipele können ausgedehnte und zum Fortschreiten auf Skrotum und Bauchdecken neigende Gangränformen erzeugen, welche therapeutisch schwer zu beeinflussen sind und leider mitunter durch Entstehung einer Allgemeininfektion zum Tode des Kranken führen können. Die Entzündung der Eichel und der Vorhaut (Balanitis), fälschlicherweise auch „Eicheltripper" genannt, hat mit einer gonorrhoischen Infektion nichts zu tun. Wir finden sie bei einer Phimose oder bei chronischer Unreinlichkeit, mitunter auch nach Koitus bei bestehendem Fluor. Je nach der Schwere der Erkrankung hat sie katarrhalischen, membranösen oder ulzerösen Charakter. Diabetes begünstigt das Auftreten schwerer Formen. Die Symptome bestehen in Jucken und Brennen an der Eichel, Anschwellen derselben, Rötung der Vorhaut, Absonderung von Eiter zwischen Präputium und Glans. Bei bestehender Phimose ist dieselbe zu beseitigen, dann heilt auch die Balanitis aus. Sonst sind Waschungen und Umschläge mit milden antiseptischen Lösungen nach Zurückziehen der Vorhaut anzuwenden. Besser als Puder wirkt das Einlegen von mehreren Lagen Mull zwischen Vorhaut und Eichel. Nach Abheilung der Entzündung ist Belehrung über die Vermeidung des Wiederauftretens (häufige Waschungen, peinlichste Sauberkeit) notwendig. Als Folgezustände chronischer Entzündungen sind zwei typische, wenn auch nicht sehr häufige Krankheitsbilder zu erwähnen. Die Elephantiasis des Penis, welche mitunter kombiniert ist mit der des Skrotums, besteht in einer mächtigen Volumenvermehrung, hervorgerufen durch chronisches, hartes Ödem der Haut und des Unterhautzellgewebes. Ursachen sind chronische Entzündungen, Lues, Lymphstauung durch Ausräumung der Leistenlymphknoten, in den Tropen Eindringen der Filaria sanguinis. Manchmal führen ausgedehnte streifenförmige Gewebsexzisionen zur wenigstens teilweisen Heilung. Die Indurado penis plastica ist gekennzeichnet durch die Ausbildung umschriebener, langsam wachsender Verhärtungen, welche an der Dorsalseite an der Albuginea der Schwellkörper liegen. Sie können strangartige Form annehmen und knorpelhart werden. Stets sind sie gegen die Haut, nicht immer gegen die Schwellkörper verschieblich. Auch metaplastische Bildung von Knorpel und Knochengewebe ist beobachtet worden. Die Ursache des Leidens, das Männer von 30—-60 Jahren befällt, ist eigentlich unklar. Angeschuldigt werden gichtige und rheumatische Konstitution, Diabetes, Alkoholismus, Lues. Das gleichzeitige Vorhandensein einer D u p u y t r e n sehen Kontraktur ist mehrfach beobachtet worden. R o s t o c k , Lehrbuch der speziellen Chirurgie. 3. Aufl.

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Die Beschwerden bestehen in Schmerzen während der Erektion und Verkrümmung des Gliedes (Strabismus penis) bei dieser Gelegenheit. Die Behinderung des Geschlechtsverkehrs kann zu psychischen Störungen meist melancholischen Charakters und zur Impotentia coeundi führen. Konservative Behandlung verschiedenster Art durch Umschläge, Bäder, Einspritzungen von Fibrolysin oder Pepsinlösungen haben keinen nennenswerten Erfolg gehabt. Vielleicht wirken Bestrahlungen mit Röntgen oder Radium etwas besser. Sorgfältiges Herauspräparieren der Narbenmassen kann zur Heilung führen, aber auch Rezidive werden beobachtet. Die Tuberkulose der Harnröhre ist fast stets eine Teilerscheinung der allgemeinen Urogenitaltuberkulose. In der Harnröhre kommt es zu Ulzerationen, welche zu Schmerzen beim Urinieren führen. Wenn die Geschwüre ausheilen, können sie ausgedehnte Narbenstrikturen verursachen.

Strikturen Abgesehen von den nicht sehr häufigen angeborenen Verengerungen treten sie nach Verletzungen und Entzündungen (besonders Gonorrhoe) der Harnröhre auf. Sie können in jedem Teil der Harnröhre sich bilden, bevorzugt ist jedoch die Pars diaphragmatica. Meist sind die Verengerungen in der Mehrzahl vorhanden. Die Entwicklung der Harnröhrenstrikturen erfolgt ausgesprochen langsam im Verlauf von Monaten und Jahren. Mit zunehmender Verengerung der Harnröhrenlichtung stellen sich Schwierigkeiten in der Blasenentleerung ein, die später nur unter Zuhilfenahme der aktiven Bauchpresse möglich ist. Gleichzeitig treten Schmerzen beim Wasserlassen auf, auch zur Entstehung von Restharn kann es kommen. Dazu gesellt sich eine Entzündung der Harnblase (Zystitis), welche durch Rückstauung auch zur Pyelitis führen kann. Ein früher eintretendes Zeichen besteht darin, daß der Harnstrahl dünner wird und „gedrehte" Form annimmt. Wird er auch kraftloser, dann haben wir es mit einem schon fortgeschrittenen Stadium des Leidens zu tun. In den Buchten der Strikturen und besonders auch hinter ihnen entwickeln sich leicht Entzündungen, welche auf die Nachbarschaft übergreifen und zu periurethritischen Abszessen und Fisteln führen. Auch Urinphlegmonen können sich aus ihnen entwickeln. Zur Diagnose einer Harnröhrenstriktur ist eine Sondenuntersuchung mittels Metallbougies verschiedener Dicke notwendig. Diese instrumentelle Austastung der Harnröhre soll aber nur dann ausgeführt werden, wenn akute Entzündungen derselben oder Phlegmonen und Abszesse in ihrer Umgebung nicht vorhanden sind. Nach ihnen muß also zunächst gefahndet werden. Bei empfindlicher Harnröhre ist ihre Anästhesierung mittels 2%iger Alypinlösung, der Adrenalin zugesetzt werden kann, zweckmäßig. Die vorsichtige und zarte Austastung mit verschieden dicken Bougies dient gleichmäßig der Diagnose und der Therapie. Mit den vorn etwas konisch gespitzten Bougies kann man die Striktur überwinden und gleichzeitig etwas dehnen, so daß dann auch ein zunehmend dickeres Instrument eingeführt werden kann. Auf diese Weise läßt sich die verengte Stelle langsam erweitern. Ob man sich elastischer Bougies oder solcher aus Metall bedient, ist Geschmacks-

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Harnröhre und Penis

sache. Die Behandlung soll jeden 2. oder 3. Tag ausgeführt werden. Nur wenn Reizerscheinungen von seiten der Harnröhre auftreten, muß man deren Abklingen abwarten. Dieses über Tage und Wochen fortgesetzte langsame Dehnen pflegt wirkungsvoller und auch schmerzloser und gefahrloser zu sein als die einmalige gewaltsame Dehnung durch geeignete Instrumente. Leider kommt

strikturen

es häufig auch bei langsamster, über lange Zeit durchgeführter Bougierung zu Rezidiven, die ja in der Natur des Leidens, dem Bestehen von Narben, die zur Schrumpfung neigen, begründet sind. Daher sollte man auch bei gelungener Erweiterung der Harnröhre die Kranken stets in Abständen von 2—3 Monaten wiederbestellen, um das Wiederauftreten der Verengerung zu einem Zeitpunkt zu erkennen, in welchem sie noch nicht sehr hochgradig und daher durch einfache kurzdauernde Behandlung wieder zu beseitigen ist. 28*

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Handelt es sich um sehr buchtenreiche und auch multiple Strikturen, so kommt es vor, daß man sie auch mit dünnsten Bougies nicht überwinden kann, da sich die Spitze des Instrumentes in den Buchten verfängt. In solchen Fällen gebraucht man feinste Seidengespinstbougies. Die Anwendung ist aus Abb. 234 ersichtlich. Die Harnröhre wird so lange mit diesen dünnen Bougies angefüllt, bis eines von ihnen an den Hindernissen vorbei in die Blase gleitet. Die Bougies haben an ihrem Ende ein """ ^ ^ ^ ^ T ^ f S T ^ ^ ^ I ^ P l ^ ^ l l ^ S H H ^ ' Gewinde, an welches ein •V r ^ S B B P ' konisch geformtes Metallbougie angeschraubt wird. "jS®^ Nachdem alle filiformen Bougies, die nicht bis in f ' f d i e Blase gelangt sind, aus IIP ^ ^ ^ ^ p H L der Harnröhre entfernt wur' «Pik den, kann man jetzt das '¿i "% üiiSw dicke Metallbougie auch mit r " geringer Gewaltanwendung ' : ßff"} einführen, denn durch die . Slif j Leitsonde ist absolut sicher |Rf verhindert, daß man etwa 4jJ| jgg einen falschen Weg bohrt. VB^^^^^^^^MiiLiSi' 1B ^iit modernen Urethro^^Sn^TOKWrB^M^MtM^Mjj^Ji skopen kann man die Bou^^^^^^^^ gierung auch unter Sicht des Auges durchführen. A b b . 235. H a r n r ö h r e n a c h E i n f ü l l u n g einer K o n t r a s t Diesen Vorteil sollte man flüssigkeit möglichst oft ausnutzen. Trotzdem bleiben Strikturen übrig, welche mit Bougies nicht zu überwinden sind. Bei ihnen und ebenso bei denjenigen, welche häufig rezidivieren, kommt die operative Behandlung in Betracht. Nach Ermittlung von Sitz und Ausdehnung der Narben, wobei die Böntgenaufnähme nach Einführung eines Kontrastmittels in die Harnröhre wertvolle Hilfe leisten kann, wird diese Stelle vom Damm her durch die Urethrotomia externa freigelegt. Nach Besektion des Narbenbezirks werden die Enden der Harnröhre mobilisiert und über einem Gummikatheter mit feinsten Katgutnähten vereinigt. Die Operation ist mitunter technisch ungemein schwierig.

Tumoren Als gutartige Geschwülste beobachtet man in der Haut des Penis hin und wieder Atherome, welche bei Größenzunahme zu exstirpieren sind. An der Baphe finden sich mitunter kleine Zysten, die derselben Therapie verfallen. An der Glans kommen weißliche erhabene Gewebswucherungen in Streifenoder Fleckenform vor, die der Leukoplakie der Zunge in Aussehen und histologischem Aufbau ähneln. Man sollte sie frühzeitig exstirpieren, da sie Anfangsstadien des Karzinoms darstellen können.

Harnröhre und Penis

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An der Mündung der Harnröhre und im Sulcus coronarius entwickeln sich auf Grund chronischer entzündlicher Reizung besonders bei Gonorrhoe spitze Kondylome, die man am besten mit der elektrischen Schlinge abträgt. Auch polypöse Tumoren der Harnröhre kommen sowohl als echte Neubildungen als auch als entzündliche Granulationsgeschwülste vor. Sie erzeugen ähnliche Symptome wie eine Striktur und daneben auch Blutungen aus der Harnröhre. Sitzen sie in der Pars pendula des Penis, lassen sie sich durch Betastung feststellen, sonst kann man mittels des Urethroskops das Innere der Harnröhre betrachten und die Tumoren auf demselben Wege mittels der elektrischen Schlinge entfernen. Von den bösartigen Geschwülsten spielt eigentlich nur das Peniskarzinom praktisch eine Rolle. Vorwiegend hat es seinen Sitz auf der Glanspenis oder dem inneren Blatt der Vorhaut. Häufig, aber jedoch keineswegs immer ist es mit einer Phimose vergesellschaftet. Andererseits schützt aber das Fehlen einer Phimose oder ihre frühzeitige operative Beseitigung nicht vor dem Auftreten eines Karzinoms. Die Erscheinungsform ist sehr wechselnd. Wir beobachten Karzinomgeschwüre oder knollige Geschwülste oder blumenkohlartige Tumoren, wobei im Einzelfalle Kombinationen häufig sind. Die klinischen Erscheinungen bestehen in der Ausbildung der tumorartigen Verhärtung und Verdickung an der Penisspitze. Das Präputium pflegt sich blaurötlich zu verfärben, gleichzeitig wird übelriechendes Sekret abgesondert. Bei bestehender Phimose wird das Anfangsstadium leider sehr häufig mit einer Balanitis verwechselt. Wenn eine solche nicht in kürzester Zeit nach geeigneter Therapie ausheilt, sollte man stets daran denken, daß es sich um ein beginnendes Peniskarzinom handelt. Die blumenkohlartigen und knolligen Formen neigen zum Zerfall mit anschließender Blutung. Behinderungen des Harnabflusses treten erst sehr spät auf. Die regionären Lymphknoten in der Leistengegend werden frühzeitig befallen. Von hier aus kann es zum Weiterwachstum des Krebses in die Nachbarschaft mit Arrosion der Femoralgefäße und tödlicher Verblutung kommen. Metastasen in inneren Organen sind selten. Die Behandlung bestand früher ausschließlich in der Amputation des Penis mit gleichzeitiger radikaler Ausräumung der Lymphknoten. Wenn der

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Krebs nicht zu weit vorgeschritten war, ist auch in hohem Prozentsatz Heilung erzielt worden, allerdings m u ß t e die verstümmelnde Operation in Kauf genommen werden. Um dies zu vermeiden, k o m m t jetzt die Röntgen- und Radiumbestrahlung des Peniskarzinoms immer mehr in Aufnahme. Aber auch bei dieser Behandlungsart sollten die Inguinallymphknoten radikal ausger ä u m t werden.

Hoden, Samenleiter, Skrotum Mißbildungen Als seltene Mißbildung k o m m t gelegentlich einmal das einseitige (Monarchismus) oder doppelseitige Fehlen des Hodens (Anorchidie) vor, jedoch sind Verwechslungen mit der Hodenretention häufig. Auch eine Verlagerung des Hodens in abnorme Körpergegenden, ein Zustand, dem man das W o r t Ectopia testis z. B. femoralis oder perinealis vorbehalten sollte, ist beobachtet worden. Sehr viel häufiger und auch praktisch wichtiger sind jedoch die Störungen des D e s c e n s u s testis. Der im uterinen Leben in Höhe des ersten Lendenwirbels angelegte Hoden beginnt vom 3. Fötalmonat ab sich durch den Leistenkanal in das Skrotum zu senken, hervorgerufen durch die langsame Verkürzung seines Leitbandes, des Gubernaculum testis Hunteri. Bei der Geburt soll der Hoden im Skrotum angelangt sein, jedoch m u ß man einen nicht sehr hochgradigen Hochstand des Hodens zu diesem Zeitpunkt noch als im Bereich des Normalen liegend betrachten. J e nachdem an welcher Stelle dieser Vorgang des Herabtretens unterbrochen worden ist, können wir zwei Zustände unterscheiden. Befindet sich der Hoden noch innerhalb der Bauchhöhle, ist er also noch nicht einmal in den Leistenkanal eingetreten, dann bezeichnen wir dies als Testis abdominalis. Liegt der Hoden im Bereich des Leistenkanals, dann sprechen wir von einem Leistenhoden oder Testis inguinalis. Beides wird häufig unter dem Sammelnamen Kryptorchismus zusammengefaßt. Die Ursachen dieser Fehlbildung sind nicht genügend bekannt. Heredität konnte mitunter sicher nachgewiesen werden. Die Erfolge der Therapie mit Präparaten innersekretorischer Drüsen machen Störungen auf diesem Gebiet als Ursache wahrscheinlich. Dazu passen die Tatsachen, daß das Leiden meist doppelseitig a u f t r i t t und daß die Hoden fast stets atrophisch sind. Das klinische Bild besteht beim Bauchhoden in dem Fehlen der Organe im Hodensack. Beim Leistenhoden finden wir im Leistenkanal sowohl nach der Bauchhöhle als auch nach dem Skrotum zu verschieblich einen weichen, ovalen Tumor von der Form des Hodens, aber stets deutlich geringerer Größe, der den typischen Hodendruckschmerz erkennen läßt, während ebenfalls im Skrotum ein Hoden nicht nachzuweisen ist. Subjektive Beschwerden brauchen nicht vorhanden zu sein, jedoch k a n n es besonders bei Körperbewegungen zu Quetschungen des Organs im Leistenkanal und besonders zur Zeit der P u b e r t ä t zu anfallsweisem Auftreten von Schmerzen kolikartigen Charakters kommen. Auch Stieldrehungen m i t drohender Hodennekrose werden beobachtet.

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Die Behandlung sollte beim Kleinkind zunächst in Verabreichung von Präparaten innersekretorischer Drüsen (z. B. Pregnyl oder Lutokreszin) bestehen. Erst wenn auf diese Weise ein nachträgliches Herabtreten des Hodens etwa bis zum 10. Lebensjahr nicht zu erreichen war, sollte man den Leistenhoden operativ angehen. Der Versuch, einen noch in der Bauchhöhle liegenden Hoden operativ ins Skrotum zu verlagern, ist zum Scheitern verurteilt. Die Operation des Leistenhodens soll einige Jahre vor Eintritt der Pubertät ausgeführt werden. Für seine technische Ausführung sind zahlreiche Methoden angegeben worden. Dies ist ein Zeichen dafür, daß alle nicht restlos befriedigen. Man wird den Hoden freilegen, die bestehende Hernie beseitigen, das Samenstrangbündel soweit als möglich mobilisieren, den Hoden herunterziehen, ein Fach im lockeren Gewebe des Skrotums schaffen, dorthinein den Hoden verlagern und befestigen. Dieser letzte Akt der Operation ist der schwierigste. Mitunter ist das Samenstrangbündel so kurz, daß es nicht gelingt, den Hoden herunterzuholen. Dann sollte man ihn nicht im Leistenkanal belassen, sondern in die Bauchhöhle zurückverlegen und den Leistenkanal nach Art der Hernienoperation nach B a s s i n i vernähen. Bei Einseitigkeit des Leidens, bei stark atrophischem Hoden und bei Ausführung des Eingriffes jenseits der Pubertät ist auch eine Exstirpation des Organs angezeigt, sonst aber nicht. Auch wenn die Spermiogenese des kryptorchischen Hodens manchmal gestört ist, so darf die Kastration wegen des Ausfalls der inneren Sekretion nicht vorgenommen werden. Als Komplikation des Kryptorchismus sei erwähnt, daß ein Teil dieser Hoden in späten Lebensjahren maligne entarten, und zwar in einem höheren Prozentsatz als normal gelagerte Hoden.

Verletzungen Hoden und Skrotum sind nicht allzu selten stumpfen Verletzungen durch Sturz, Stoß, Schlag ausgesetzt, auch perforierende Verwundungen kommen vor. Ist der Hoden betroffen worden, tritt sofort ein sehr heftiger Schmerz auf, der zu Ohnmacht, Erbrechen und schwerem Schock führen kann. Auch Todesfälle in diesem Schock sind beobachtet worden. Zerreißungen von Gefäßen im Hodensack führen zu sehr großen Hämatomen in ihm, die sich nur langsam und sehr schwer resorbieren. Sie neigen auch mehr als an anderen Körperstellen zur Infektion. Die Behandlung erfolgt durch Bettruhe, feuchte Verbände, die aber nur zeitweise anzuwenden sind, um ein zu starkes Erweichen und Wundwerden der Haut zu verhindern. Eisumschläge dürfen nicht gemacht werden, da sie erfahrungsgemäß in dieser Gegend leicht zu Hautgangrän führen. Blutergüsse in das Periorchium führen zu Hämatozelen, aus denen sich später Hydrozelen entwickeln können. Bei einer offenen Verletzung des Skrotums entsteht sehr häufig ein Hodenprolaps. Das Organ liegt meist unbeschädigt frei zutage. Nach sorgfältiger, mechanischer Reinigung ist der Hoden zurückzuverlagern, die Wundhöhle im Skrotum zu drainieren und nach Exzision der Ränder die Wunde mit weitläufigen Situationsnähten zu schließen. Auch wenn eine solche Verletzung

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nach der 12-Stundengrenze in ärztliche Behandlung kommt, muß der Hoden reponiert werden. Die Wundhöhle ist aber locker zu tamponieren und breit offen zu lassen, bis die Infektion beherrscht ist. Besteht eine offene Verletzung des Hodens, so quellen die Hodenkanälchen aus der Wunde in der Albuginea wie Baumwollfäden aus ihrer Fruchtkapsel hervor. Man muß die Wunde der Hodenhülle evtl. nach Abtragen der überquellenden Hodenkanälchen mit der Schere durch dichte Naht verschließen, weil es sonst leicht zum fortschreitenden Zerfall des Hodengewebes kommen kann.

Erkrankungen der Samenleiter Der Samenleiter selbst wird nur selten und so gut wie nie primär von einer Erkrankung befallen. Die häufigste Erkrankung ist die Tuberkulose. Sie ist stets eine sekundäre Erkrankung, besonders bei der Nebenhodentuberkulose. Ihre Entstehungsweise durch Infektion mittels des tuberkulösen Sekrets des Nebenhodens ist leicht verständlich. Die klinischen Erscheinungen der Samenleitertuberkulose bestehen in einer nicht sehr druckschmerzhaften, perlschnurartigen Verdickung des Samenstranges, manchmal heraufreichend bis zur Samenblase. Der Nachweis dieser Verdickung ist wichtig für die Unterscheidung, ob es sich um eine unspezifische oder eine tuberkulöse Nebenhodenentzündung handelt. Wenn man bei der Exstirpation eines tuberkulösen Nebenhodens auch einen krankhaft veränderten Ductus deferens findet, wird man ihn ebenfalls operativ entfernen. Die Hydrocele funiculi spermatici wird vorwiegend in jugendlichem Alter beobachtet. Sie entsteht dadurch, daß an umschriebener Stelle im Leistenkanal oder abwärts von ihm Teile des Processus vaginalis peritonei erhalten bleiben und daß in sie wie bei der Hydrozele testis eine Flüssigkeitsabsonderung erfolgt. Es bilden sich dann kleine rundliche oder eiförmige Anschwellungen am Samenstrang. Bei einer Lage im Leistenkanal können sie das Krankheitsbild einer eingeklemmten Hernie vortäuschen. Wenn die Anschwellung störende Größe erreicht, kann sie ohne Schwierigkeit exstirpiert werden. Ein typisches und recht häufiges Krankheitsbild stellt die Varikozele dar. Sie äußert sich in einer Erweiterung und Schlängelung der Venen des Plexus pampiniformis. In 80% der Fälle tritt die Varikozele linksseitig auf. Als Grund hierfür wird die anatomische Besonderheit angeführt, daß die dünne, klappenlose linke Vena spermatica rechtwinklig in die Vena renalis mündet, während die rechte Vena spermatica spitzwinklig zur Vena cava verläuft. Der Zustand entwickelt sich, wenn die notwendige Körperkonstitution vorhanden ist, langsam im Laufe des Lebens. Auch mechanische Abflußbehinderungen der Vena renalis durch Nierentumoren können eine symptomatische Varikozele hervorrufen. Die Erscheinungen äußern sich in ziehenden bis krampfartigen Schmerzen in der Samenstranggegend, die sich bis zu heftigen Neuralgien steigern können. In sehr vielen Fällen kann aber eine Varikozele ohne jede Belästigung des

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Trägers vorhanden sein. Sie äußert sich darin, daß man besonders beim Stehen oberhalb des tiefer hängenden linken Hodens längs des Samenstranges einen Knäuel wurmartig geschlängelter Venen tasten und auch durch die Haut hindurch sehen kann. Im Liegen sind sie weit weniger gefüllt. Der Hoden selbst ist häufig gering atrophisch. Falls der Zustand keine Beschwerden macht, ist auch eine Behandlung nicht notwendig, sind jedoch solche vorhanden, sollte man zunächst das Tragen

Abb. 237. Varikozele

eines Suspensoriums anraten. Vielen Menschen wird man hierdurch helfen können. Bleiben aber die Schmerzen weiter bestehen, so ist heutzutage die Behandlungsmethode der Wahl die teilweise Verödung der Venen durch Injektion von hochkonzentrierten Traubenzucker- oder Salzlösungen. Jedoch darf diese Verödung nicht perkutan, sondern soll wegen der Gefahr der paravenösen Injektion nur nach operativer Freilegung der Venen von einem ganz kleinen Hautschnitt aus vorgenommen werden. Diese Behandlungsart ist der früher üblich gewesenen Exstirpation der erweiterten Venen überlegen. Entzündung des Hodens und Nebenhodens Unspezifische Entzündungen des Hodens und Nebenhodens Hoden und Nebenhoden können auf die verschiedenste Weise durch die banalen Eitererreger infiziert werden, und zwar durch penetrierende Verletzungen von außen her fortgeleitet auf dem Wege über den Ductus deferens

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und schließlich auch metastatisch z. B. bei Allgemeininfektionen, Parotitis epidemica, Typhus, Pneumonie, Scharlach. Bei der Entstehungsweise über den Ductus deferens sind die Gonorrhoe sowie die Urethritis nach Zystoskopie und Katheterismus besonders bei Dauerkatheterbehandlung überwiegend. Die Krankheitserscheinungen bestehen in rasch zunehmender Schwellung des Organs, verbunden mit der Entwicklung einer „sympathischen Hydrozele". Das Unterhautzellgewebe des Skrotums wird ödematös durchtränkt, die H a u t gerötet. Gleichzeitig finden wir heftige Schmerzen und hohes Fieber. Ist die Entzündung im Hoden lokalisiert, was vorwiegend bei der metastatischen Entstehungsweise der Fall ist, so kann das Organ bis zu Gänseeigröße anschwellen, dem der nicht veränderte Nebenhoden als strangartiges Gebilde aufsitzt. Häufig kommt es zur Abszedierung und damit zu mehr oder weniger ausgedehnter Nekrose des Hodengewebes. Nur bei der Orchitis bei Parotitis epidemica bildet sich die Entzündung ohne Einschmelzung zurück. Sitzt der Entzündungsherd im Nebenhoden, was bei der Entstehungsweise durch Fortleitung über den Ductus deferens vorwiegend der Fall ist, vergrößert und verhärtet sich das Organ, so daß es kappenförmig dem normal großen Hoden aufsitzt. Der Hoden, der seine normale Konsistenz behalten hat, ist palpatorisch deutlich von dem harten Nebenhoden abzugrenzen. Die schmerzhafte Schwellung pflegt in den Anfangsstadien auch auf den Ductus deferens überzugreifen, das Fieber nach spätestens einer Woche abzuklingen. Die Nebenhodenschwellung kann einschmelzen und zu Abszessen führen, die auf das Hodengewebe und das lockere Zellgewebe des Skrotums übergreifen können. Dieser Zustand zeigt sich meistens durch Ausbreitung der lokalen Symptome und durch Bestehenbleiben des Fiebers an. Häufiger bildet sich jedoch mit Absinken des Fiebers auch das Infiltrat bis auf geringe Reste meist im Kopf des Nebenhodens zurück, die dann als umschriebene, knötchenförmige Verhärtungen viele Wochen und Monate bei geringen Beschwerden bestehen bleiben können. Ihre Differentialdiagnose gegenüber der beginnenden Tuberkulose ist ganz besonders schwierig. Oft (und nicht einmal immer) klärt erst das histologische Präparat die richtige Entstehungsweise. Als differentialdiagnostische Regel kann man sich merken, daß akute Entzündungen sich in Hoden und Nebenhoden entwickeln können, daß im übrigen aber der Hoden vorwiegend der Sitz von Tumoren und luetischen Erkrankungen, der Nebenhoden der Sitz der Tuberkulose ist. Die Behandlung der akuten Hoden- und Nebenhodenentzündung besteht zunächst in Bettruhe. Das Skrotum ist hochzulagern, feuchte Umschläge wirken mildernd auf die Entzündungserscheinungen des Skrotalgewebes und auf die Schmerzen. Trotzdem wird man narkotische Mittel notwendig haben. Anlegen von Blutegeln bewirkt Schmerzlinderung und Zurückgehen des Ödems. Eine Punktion der begleitenden Hydrozele ist nicht notwendig. Die Verordnung von Brompräparaten und Urotropin ist zweckmäßig. Für geregelten Stuhlgang ist zu sorgen, die Ernährung sei reizlos, Alkohol ist zu verbieten. Wenn sich Zeichen einer umschriebenen Einschmelzung in Hoden oder Nebenhoden bemerkbar machen, sind diese Abszesse durch Probepunktionen zu suchen und sofort unter Leitung der Punktionsnadel zu eröffnen. Dadurch verhindert man am wirksamsten die fortschreitende Nekrose des Organgewebes. Wird die Entzündung durch Gonokokken hervorgerufen, so ist eine spezifische Behandlung am Platze.

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Spezifische Entzündungen des Hodens und Nebenhodens Die wichtigste und häufigste ist die Nebenhodentuberkulose. Das Ursprungsleiden ist meist in den Lungen oder Bronchiallymphknoten zu suchen aber auch versteckte Urogenitaltuberkulosen (Niere, Prostata) können der Ausgangspunkt sein. Die Verbreitung der Erkrankung geschieht hauptsächlich auf dem Blutwege, die erste Ansiedlung im Nebenhoden. Erst sekundär werden von hier aus Ductus deferens und Hoden befallen. Es gibt auch eine von der Harnblase aus über den Ductus deferens deszendierende Tuberkulose. Die Entwicklung der Krankheitserscheinungen erfolgt im Gegensatz zu den akuten Entzündungen langsam schleichend und im Verlauf vieler Wochen Schmerzlos entsteht eine kleine, knötchenförmige Anschwellung im Nebenhoden, welche sich langsam vergrößern und mit benachbarten Knötchen verschmelzen kann. Die Anschwellung wird meist zufällig entdeckt. Im weiteren Verlauf bilden sich der Nebenhoden und besonders sein Kopf zu einem höckrigen Gebilde um, welches gegenüber der Norm leicht vergrößert ist und neben harten Stellen auch Einschmelzungsherde erkennen läßt. Die Nebenhodenvergrößerung pflegt im Verlauf von Monaten mit der Skrotalhaut zu verbacken, die Einschmelzungen brechen durch die Haut durch, es entleert sich dünner manchmal etwas bröckliger, tuberkulöser Eiter. An der Durchbruchstelle bleibt eine Fistel zurück, die wenig Neigung zeigt, sich zu schließen. In den Hoden kann der Entzündungsprozeß durchbrechen und im Samenstrang tuberkulöse Entzündungen hervorrufen. Auch die Samenblasen können ergriffen werden. Eine sympathische Hydrozele geringen Umfangs ist meist vorhanden. Die Diagnose ist in den Anfangsstadien nicht immer leicht. Besonders die Unterscheidung gegenüber Resten von unspezifischen Entzündungen macht sehr häufig Schwierigkeiten, zumal wenn die ersten Stadien dieser Entzündung sehr milde verliefen. Die mikroskopische Untersuchung des ausgedrückten Sekrets von Prostata und Samenblasen auf Tuberkelbazillen uud Gonokokken kann mitunter auf den richtigen Weg weisen, läßt aber leider meist im Stich. Genaue Untersuchung besonders des gesamten Genitalapparates ist notwendig. Die Behandlung sollte besonders in Frühfällen nicht konservativ sein. Die Resektion der erkrankten Nebenhodenteile zeitigt die besten Aussichten auf Dauerheilung. Manchmal wird die Einpflanzung des Ductus deferens in den Rest des Nebenhodengewebes oder in den Hoden selbst notwendig sein. Ist der Samenstrang knötchenförmig verdickt, ist er im Gesunden zu resezieren. Sind schon Teile des Hodens von der Erkrankung ergriffen, so sind auch sie zu entfernen. Reste gesunden Hodengewebes sollen aber, wenn irgend möglich, zur Aufrechterhaltung der inneren Sekretion zurückgelassen werden. Selbstverständlich ist, daß eine zweckmäßige Allgemeinbehandlung der Tuberkulose neben dem örtlichen Eingriff durchgeführt werden muß. Schwierigkeiten bereitet die Behandlung einer doppelseitigen Nebenhodentuberkulose. Hier ist die Allgemeinbehandlung von besonderer Wichtigkeit, die durch eventuell mehrfach ausgeführte Auskratzung der tuberkulösen Herde unterstützt werden soll. Die Lues des Hodens t r i t t in Form des Gummas auf und erzeugt eine derbe, schwielige Vergrößerung des Organs. Der Hoden vergrößert sich schmerzlos zu einem kugelförmigen Gebilde, dem strangförmig der Neben-

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hoden aufsitzt. Die Unterscheidung gegenüber dem Tumor ist schwer. Die W a s s e r m a n n sehe Reaktion muß angestellt und eine spezifische Therapie (Jodkali) eingeleitet werden. Wenn sich dann die Hodenschwellung schnell verkleinert und ein atrophischer Hoden zurückbleibt, war die Diagnose Gumma des Hodens richtig. T r i t t aber keine Verkleinerung ein, handelt es sich um einen meist malignen Hodentumor.

Hydrozele Die wichtigste und häufigste E r k r a n k u n g der Hodenhülle ist der Wasserbruch oder die Hydrocele testis. Bei seinem Deszensus nimmt der Hoden einen Teil des Peritoneums m i t herunter, welches als seröse Hülle den Hoden in etwa zwei Drittel des Umfanges umgibt. Normalerweise bildet diese Hülle einen spaltförmigen R a u m . W a r u m bei einem Menschen nun eine vermehrte Flüssigkeitsabsonderung der Peritonealzellen oder eine Verminderung der Resorption bei normaler oder gesteigerter Sekretion eintritt, so daß sich in zunehmendem U m f a n g Flüssigkeit in dieser Höhle ansammeln kann, ist unbekannt. Die Entstehung durch den Reiz eines einmaligen Traumas ist möglich, wird aber in ihrer Bedeutung und Häufigkeit von den Kranken erheblich überschätzt. Bei entzündlichen Prozessen in Hoden und Nebenhoden ist häufig eine Hydrozele vorhanden. Sie pflegt aber nach Abklingen der E n t z ü n d u n g wieder zu verschwinden. Die Hydrozele k o m m t sowohl beim Kleinkind als auch beim Erwachsenen vor. Langsam und schmerzlos entwickelt sich im Hodensack eine birnenförmige Anschwellung, an deren hinterem unterem Pol der Hoden sich durch Betastung nachweisen läßt. Die Hydrozele kann Faust- bis Kindskopfgröße erreichen und d a d u r c h sowie durch Druck- und Zuggefühl, Beschwerden verursachen. Sie enthält eine klare, bernsteingelbe Flüssigkeit. Die Diagnose ist aus dem Tastbefund zu stellen. Die prall elastische Konsistenz, die glatte Oberfläche und die birnenförmige F o r m sind charakteristisch. Wichtig besonders zur Unterscheidung von einer Hernie ist, daß diese einen Stiel durch den Leistenkanal zur Bauchhöhle hat, die Hydrozele jedoch nicht. Bei der Durchleuchtung mittels heller Taschenlampe zeigt die Hydrozele einen rosigen Schein, welcher bei der Hernie und bei Hodentumoren fehlt. Die Hydrocele testis k a n n m i t einer Hydrocele funiculi spermatici kombiniert sein. In seltenen Fällen kann letztere auch intraabdominal gelegen sein. Wir sprechen dann von einer Hydrocele bilocularis. Bei der Behandlung des Leidens genügt im Kindesalter die ein- oder mehrmals ausgeführte Punktion. Beim Erwachsenen f ü h r t das nur selten zur Heilung. Auch die anschließende Einspritzung von J o d t i n k t u r , Clauden, hochprozentigen Traubenzucker- oder Salzlösungen in den Hydrozelensack f ü h r t nicht immer zur Heilung. Rezidive sind häufig. Das sicherste Verfahren ist die operative Behandlung. Bewährt haben sich zwei Methoden. Nach v o n B e r g m a n n wird das ganze Periorchium an ihrer Ansatzstelle am Hoden exstirpiert. Besonders sorgfältige Blutstillung ist notwendig. Bei dem Verfahren von W i n k e l m a n n wird der eröffnete Hydrozelensack um

Hoden, Samenleiter, Skrotum

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Hoden und Samenstrang herumgeschlagen und mit einigen Nähten fixiert, so daß nach Rückverlagerung des Hodens in das Skrotum die Peritonealfläche mit der Skrotalwunde verwächst und eine Sekretion auf diese Weise unmöglich gemacht wird. Sofort nach der Operation legt man ein Suspensorium an und läßt es so lange tragen, bis es verbraucht ist. Hämatozele Als Folge eines Blutergusses in den Hohlraum des Periorchiums nach mehrfach ausgeführten Punktionsbehandlungen einer Hydrozele kann der Hydrozeleninhalt ganz oder zum überwiegenden Teil aus Blut bestehen. Gleichzeitig wird die Wand verdickt, belegt sich mit Granulationen und fibrinösen Membranen, so daß das Ganze sich zu einer mehrere Millimeter dicken Schwarte umbildet. Die Symptome verändern sich dann von der Hydrozele zum Tumor. Das Zeichen der Durchleuchtbarkeit schwindet. Die Injektionsund Punktionsbehandlung ist für diese Sonderform nicht zweckmäßig. Am besten ist die Exstirpation des Hydrozelensackes nach v o n B e r g m a n n . Spermatozele Hin und wieder findet man in unmittelbarer Nachbarschaft von Hoden und Nebenhoden bis zu pflaumengroße Anschwellungen, die schmerzlos sind, meist rundliche Form und prall elastische Konsistenz haben. Sie kommen nur bei Erwachsenen vor. Sie enthalten eine dünne, milchartige, schleimige Flüssigkeit, in der man mit dem Mikroskop Spermien nachweisen kann. Die Zysten pflegen ihren Ausgang zu nehmen von den Uberresten des M ü l l e r schen Gangs (Morgagnische Hydatiden) oder des W o 1 f f sehen Gangs (Paradidymis). Wenn diese Anschwellungen den Träger stören, ist ihre Exstirpation anzuraten. Punktionen sind nicht ausreichend, sondern führen immer zu Rezidiven. Geschwülste des Hodens Der Hoden kann Sitz der verschiedenartigsten Geschwülste sein. Besonders Mischgeschwülste in wechselnder Zusammensetzung finden wir hier. Es seien nur dem Namen nach aufgeführt: Myome, Myxome, Fibrome, Osteome, Chondrome, Zystome, Dermoide, Teratome. Die richtige Diagnose wird man meist erst nach Exstirpation und mikroskopischer Untersuchung stellen können. Die Ausführung des Eingriffs ist wegen der Möglichkeit, daß es sich um eine maligne Geschwulst handeln könnte, stets angezeigt. Bei den bösartigen Geschwülsten ist zunächst das Sarkom zu nennen. Es kommt sowohl bei kleinen Kindern als auch bei Erwachsenen vor, und zwar pathologisch-anatomisch als Spindelzellen- und Rundzellensarkom. Der Ausgangspunkt ist das interstitielle Gewebe des Hodens. Der Tumor wächst sehr schnell, ergreift bald den Nebenhoden und den Samenstrang und setzt auch frühzeitig Metastasen. Der am häufigsten auftretende Tumor ist das Seminom. Es setzt sich zusammen aus vielgestaltigen, großen, chromatinreichen Zellen, die teils epithelialen, teils sarkomähnlichen Charakter tragen. Eine besondere Eigentümlichkeit

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Chirurgie der Harnorgane und der männlichen Geschlechtsorgane

besteht darin, daß ein kleiner, örtlich kaum auffallender Tumor sehr große Metastasen setzen kann. Das Karzinom des Hodens entwickelt sich bei Männern mittleren Alters langsam unter unbedeutenden spannenden und drückenden Beschwerden. Der Hoden wird allmählich hart und höckrig. Die ersten Metastasen pflegen sich in den retroperitonealen Lymphknoten und nicht in den Inguinallymphknoten zu finden, welche erst im späteren Verlauf des Leidens oder überhaupt nicht befallen sein können. Je nachdem es sich um ein Carcinoma medulläre (häufiger) oder um einen Szirrhus (seltener) handelt, ist die Größe des Tumors verschieden. Obgleich die Entwicklung eines bösartigen Tumors im Hoden bei der exponierten Lage des Organs auch von seinen Trägern leicht und frühzeitig bemerkt wird und ihn daher schon in Frühstadien zum Arzt führt, so ist doch die Prognose aller Hodentumoren ausgesprochen ungünstig. Auch bei radikaler Behandlung sind Dauerheilungen selten. Das liegt daran, daß alle Hodentumoren sehr frühzeitig Metastasen setzen und daß diese praktisch unerreichbar sich in den retroperitonealen Lymphknoten lokalisieren. Es kommt sogar nicht selten vor, daß die dort vorhandenen Metastasen die Ursache für das Aufsuchen eines Arztes sind und daß dieser dann erst den Primärtumor im Hoden entdeckt. Die zweckmäßigste Behandlung ist die Hodenexstirpation. Das Seminom verschwindet auf Röntgenbestrahlung sehr schnell, pflegt leider jedoch auch ebenso rasch zu rezidivieren. Entzündungen des Skrotums Am Hodensack und den benachbarten Hautteilen der Oberschenkel finden wir sehr häufig iniertriginöse Ekzeme besonders bei fettleibigen Leuten, die stark schwitzen. Peinliche Sauberkeit mit häufigen Waschungen sowie Anwendung von reizlosen Pudern ist empfehlenswert. Phlegmonen des Hodensackes entwickeln sich entweder von äußeren Verletzungen oder von Ekzemen aus. Auch periurethrale Entzündungen und Abszesse können leicht in das Skrotalgewebe vordringen. Urinbeimengungen begünstigen durch Ausbildung von Gewebsnekrosen das Fortschreiten des Entzündungsprozesses ebenso wie der lockere Zellaufbau des Gewebes. Da alle Phlegmonen dieser Körpergegend zu raschem Fortschreiten und zur frühzeitigen Ausbildung einer Allgemeininfektion neigen, so inzidiere man bald und ausgiebig. Ist die Infektion beherrscht, so heilen die Wunden rasch. Besonders gefürchtet sind die durch Streptokokken hervorgerufenen Phlegmonen, welche sich nicht nur in der Haut selbst ausbreiten, wie wir es sonst beim Erysipel gewohnt sind, sondern auch das gesamte Skrotalgewebe befallen. Bei allen Hodensackphlegmonen treten sehr schnell eine Schwellung und Rötung des Skrotums und des Penis auf. Die Haut wird prall gespannt, glänzend, rötlich-bläulich. Blasen bilden sich, und in vielen Fällen kommt es zu der so sehr gefürchteten Gangrän der Haut. Gleichzeitig werden die Kranken benommen, hohes Fieber und Schüttelfröste kommen hinzu. Es entwickelt sich ein sehr schweres Krankheitsbild, welches in fast einem Drittel der Fälle durch Allgemeininfektion zum Tode führt, wenn nicht rechtzeitig energische antibiotische Behandlung eingeleitet wird. Der Prozeß der Gangrän befällt fast ausschließlich das Gewebe des Hodensackes und nicht den Hoden selbst. Nach Einschmelzung der abgestorbenen

Hoden, Samenleiter, Skrotum

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Gewebsteile liegt dieser mitunter in voller Ausdehnung frei. Aber wenn auch große Teile des Hodensackes verlorengegangen sind, pflegt doch die Uberhäutung fast nie Schwierigkeiten zu machen. Nur selten muß man Hautplastiken aus dem Oberschenkel ausführen. Als Folge chronischer Entzündung (Bubo) mit Bindegewebshyperplasie und Verlegung der Lymphgefäße oder Ausräumung der Leistenlymphknoten, nach chronisch rezidivierendem Erysipel, in den Tropen nach Infektion mit Filaria sanguinis kann es zur Elephantiasis scroti (et penis) mit hochgradigster Lymphstauung und mächtiger Bindegewebsvermehrung kommen, so daß Skrotum und Penis zu unförmigen Gebilden anschwellen. Ausgedehnte streifenförmige Gewebsexstirpationen mit subkutaner Seidenfadendrainage von der Leistenbeuge bis in die gesunde Haut der Bauchdecken pflegen Besserungen des Zustandes zu bringen. Tumoren des Skrotums Atherome kommen am Skrotum nicht allzu selten und auch meist in der Mehrzahl vor. Sie sind mühelos zu exstirpieren. Auch Fibrome, Lipome und Dermoide sind beobachtet worden. Der wichtigste bösartige Tumor des Skrotums ist das Karzinom. Wir finden es fast ausschließlich bei Schornsteinfegern, Teer- und Paraffinarbeitern. Diese Beobachtung ist einer der Ausgangspunkte der experimentellen Krebserzeugung gewesen. Wir wissen heute, daß Ruß, Teer und andere Stoffe bei langdauernder chronischer Einwirkung auf die menschliche und tierische Haut Karzinome erzeugen können. Die pathologisch-anatomischen Veränderungen durchlaufen dabei die Stadien des Ekzems, des Papilloms bis zu echten Hautkarzinomen. In klinischer Hinsicht sind diese Krebse relativ gutartig, da sie nur langsam wachsen und auch lange Zeit keine Metastasen setzen. Der früher häufigere „Schornsteinfegerkrebs" ist heute durch Belehrung der in Frage kommenden Berufsgruppen und zweckmäßige Hygiene sehr viel seltener geworden. Bestehen bei einem solchen Menschen verdächtige „Rußwarzen", so soll man sie im Gesunden exstirpieren und genau histologisch untersuchen. Läßt sich ein krebsiges Wachstum nachweisen, müssen auch die Leistenlymphknoten ausgeräumt werden.

Chirurgie der Gliedmaßen Mißbildungen der Gliedmaßen Als Ursache für die angeborenen Mißbildungen der Gliedmaßen kommen zwei Momente in Betracht. Durch endogene Keimvariation, die auf einer krankhaften Zusammensetzung der Chromosomen beruht, können sehr verschiedenartige Mißbildungen erzeugt werden. Manchmal sind sie multipel und symmetrisch, mitunter auch erblich und pflegen meist tiefgreifende Änderungen des gesamten Aufbaues der Extremität hervorzurufen. Der andere Grund liegt in der Ausbildung amniotischer Abschnürungen durch die sogenannten S i m o n a r t sehen Bänder, welche an den an und für sich normal geformten Gliedern während des intrauterinen Wachstums zu Spontanamputationen mehr oder weniger großen Umfangs führen können. Beispielsweise ist also ein doppelter Daumen oder ein Defekt eines Vorderarmknochens oder Unterschenkelknochens auf eine endogene Keimschädigung zurückzuführen, während ein glatter Defekt einer in ihrem Rest normal geformten Extremität auf amniotischer Abschnürung beruht. Im Einzelfall ist die Entscheidung, was für eine Art von Mißbildung vorliegt, nicht immer leicht, zumal beide Entstehungsarten sich nicht allzu selten kombinieren. Auch Nabelschnurumschlingungen vermögen teilweise oder vollkommene Abschnürungen hervorzurufen. Der Druck des Uterus auf den Fötus bei Fruchtwassermangel kann zu Entwicklungsstörungen und Deformitäten führen. Möglich ist auch, daß fötale Entzündungen in diesem Sinne wirken können, jedoch sind unsere Kenntnisse hierüber noch sehr lückenhaft. Mißbildungen des Armes Angeborene Defekte der Schlüsselbeine kommen gelegentlich einmal vor. Sie bieten insofern ein typisches Bild, als die Schultern bei diesen Leuten abnorm beweglich sind und in ausgesprochenen Fällen einander so weit genähert werden können, daß sie sich vor dem Brustkorb berühren. Eine funktionelle Störung wird durch den Schlüsselbeindefekt nicht hervorgerufen, so daß eine Therapie sich erübrigt. Mitunter, aber nicht immer ist er verbunden mit mangelhafter Nahtverknöcherung am Schädel, Offenbleiben der Fontanellen, Wachstumshemmungen an Kiefern und Zahnsystem, so daß man vom Krankheitsbild der Dysostosis cleidocranialis spricht. Es handelt sich meist um ein vererbbares Leiden mit einfach dominantem Erbgang. In diesen Fällen sind weitere Mißbildungen wie Hüftluxationen, Coxa vara, Spina bifida, Wirbelsynostosen, Spalthände und -füße, verminderte Körpergröße, herabgesetzte Intelligenz vorhanden. Die sporadisch in gesunden Familien auftretenden Einzelfälle sind fast stets nur auf die Schlüsselbeine beschränkt. Der angeborene Schulterblatthochsta.nd ist oft verbunden mit einer Deformität dieses Knochens, wobei der über der Spina scapulae gelegene Teil nach

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M i ß b i l d u n g e n der G l i e d m a ß e n

vorne umgebogen ist, und mit Muskeldefekten. Das Leiden ist fast stets einseitig. Sehr oft liegt gleichzeitig eine Mißbildung der Halswirbelsäule im Sinne des K l i p p e l - F e i l s e h e n Syndroms vor. Totale Defekte des Armes kommen in jedem Ausmaß vor, und zwar als Amputationsdefekte (durch amniotische Abschnürungen) oder auch als Resektionsdefekte (durch Keimvariation), bei denen Teile der Extremität fehlen und die übriggebliebenen abnormes Wachstum aufweisen können. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Zustand, in welchem der gesamte Arm fehlt und dem Rumpfe an der Schulter direkt eine normal oder meist deformgebildete Hand aufsitzt. Partielle Defekte sind besonders häufig am Vorderarm in Form des totalen oder teilweisen Fehlens von Radius oder Ulna, meist kombiniert mit Mißbildungen an Hand und Fingern. Der Ulnadefekt pflegt seltener zu sein als der Radiusdefekt. Beide können in Form des Strahlendefektes auftreten, d. h. es fehlen nicht nur der betreffende Vorderarmknochen, sondern auch die peripher von ihm liegenden Handwurzelknochen und Finger. Die Defekte der Vorderarmknochen führen zu einer sehr starken Verbiegung der Extremitätenachse. Korrigierende operative Eingriffe sind nicht sehr aussichtsreich. Eine Mißbildung, welche ausA b b . 238. D o p p e l s e i t i g e r k o n g e n i t a l e r gesprochen erblich zu sein pflegt, Klavikuladefekt. ist die radioulnare Synostose. Nahe Chirurgische U n i v e r s i t ä t s k l i n i k J e n a dem Ellenbogengelenk sind Radius ( P r o f . Dr. G u l e k e ) und Ulna zu einem einheitlichen Knochen verschmolzen. Hierdurch wird die Drehbewegung im Vorderarm vollkommen aufgehoben, ein Zustand, der sehr hinderlich ist. Aber da die Menschen von Geburt an daran gewöhnt sind, haben sie es gelernt, diesen Mangel durch vermehrte Beweglichkeit im Schulter- und Handgelenk weitgehend zu kompensieren. Der Versuch der operativen Trennung der beiden Knochen ist mehrmals gemacht worden, die Erfolge waren aber nicht befriedigend. An der Hand kommt Fehlen von Fingern in wechselndem Umfang vor. Unter Brachgdaktglie versteht man eine durch endogene Wachstumsstörung hervorgerufene Hemmung des Längenwachstums eines oder mehrerer Finger. Kombinationen mit Anomalien der Handwurzelknochen und Vorderarmknochen sind häufig. Sozusagen das Gegenteil stellt die fast immer symmetrische und doppelseitige Arachnodaktylie (Spinnfingrigkeit) dar, deren geringe Grade beR o s t o c k , Lehrbuch der speziellen Chirurgie. 3. Aufl.

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Chirurgie d e r G l i e d m a ß e n

sonders bei Frauen eine schöne Hand erzeugen. Von einer Spalthand spricht man dann, wenn meist zwischen 3. und 4. Mittelhandknochen manchmal bis ins Handgelenk hinein die gesamten Knochen und Weichteile gespalten sind, so daß die Hand einer Hummerschere ähnelt, besonders wenn gleichzeitig Fingerdefekte vorhanden sind. Die Mißbildung t r i t t meist symmetrisch auf, kommt aber auch einseitig vor. Oft ist ein dominanter Erbgang nachweisbar. Die häufigste Mißbildung stellt die Polydaktylie dar. Sie kann in der Form auftreten, daß die Zahl der Finger erhöht ist, ohne daß dadurch eine wesentliche Verunstaltung der Hand bedingt zu sein braucht. AnA b b . 239. S p a l t h a n d dererseits können aber auch durch gabligeTeilung der Phalangen überzählige und häufig auch rudimentäre Finger entstehen. In beiden Fällen ist dieoperative Entfernung überzähliger Finger und Fingerstummel angezeigt. Jedoch soll man sich vor dem Eingriff durch Röntgenaufnahmen stets von dem Zustand des Knochensystems überzeugen. Die Wahl A b b . 240. S y n d a k t y l i e des abzusetzenden Fingers wird hierdurch wesentlich beeinflußt. Eine weitere, nicht allzu seltene Mißbildung ist die Syndaklylie. Ihr Wesen besteht darin, daß zwei oder mehr Finger in einem Hautschlauch stecken. Das Leiden ist häufig erblich. Im Einzelfalle kann es sehr verschieden stark ausgebildet sein. Die operative Korrektur des Zustandes ist angezeigt und auch mit gutem Erfolg möglich, wenn man den Eingriff nicht vor dem 5.—6. Lebensjahr vornimmt und ihn technisch sachgemäß ausführt. Die einfache Durchtrennung der Weichteile genügt keinesfalls. Man muß vielmehr an der Basis der Finger ein dreieckiges Zellersches Läppchen

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Deformitäten der Gliedmaßen

bilden, welches nach der entgegengesetzten Handseite durchgezogen und vernäht wird. Es bildet eine ausreichend breite Kommissur und verhindert das Wiederverwachsen der Finger. In den meisten Fällen wird eine direkte Nahtvereinigung der durchtrennten Hautteile nicht möglich sein, so daß eine freie Hauttransplantation nach T h i e r s c h notwendig ist. Partieller Riesenwuchs der Finger, meist Daumen und Zeigefinger, häufig doppelseitig kommt vor. Er kann sich nur auf die Weichteile beschränken (lokale Elephantiasis), aber mitunter auch die Knochen einbeziehen. In hochgradigen Fällen sind Amputationen am Platze. Mißbildungen des Beines Alle die Mißbildungen, welche am Arm beschrieben wurden, kommen auch am Bein vor, so daß eine nochmalige Besprechung sich erübrigt. Defekte von Fémur, Tibia und Fibula zwingen zum Anpassen geeigneter Prothesen, eine Aufgabe, welche keine besonderen Schwierigkeiten bereitet. Wenn der Zustand doppelseitig ist, wird dies schon sehr viel schwieriger. Mitunter sind Arthrodesen am Platze. In früheren Zeiten bildeten diese unglücklichen Menschen Sensationsnummern in Varietés und auf Bummelplätzen.

Deformitäten der Gliedmaßen Deformitäten des Armes Die Entbindungslähmungen treten nach schweren Geburten besonders solchen, in deren Verlauf ein Zug am Arm ausgeübt wurde, auf. Es kommt zu mannigfaltigen Störungen besonders im Bereich der Schulter. Distorsionen des Gelenkes und Muskeleinrisse pflegen restlos zu heilen, Verrenkungen großer Gelenke werden weiter unten besprochen. Es können auch Zerreißungen von Teilen des Armplexus erfolgen. Wir kennen in diesem Falle typische Krankheitsbilder, die auch im späteren Leben nach schweren Verletzungen vorkommen können. Die E r b sehe Lähmung betrifft die Wurzeln des Halssegments 5—6. Es kommt dabei zur Lähmung der Schultermuskulatur und Armbeuger mit inkonstanter Sensibilitätsstörung. Der Arm hängt in Innenrotation, im Ellbogen gestreckt und proniert herab. Die Therapie, bestehe sie nun in dem Versuch der Plexusnaht oder in peripheren Operationen wie Rotationsosteotomien des Humerus, Arthrodesen oder Sehnenplastiken, ist nicht sehr aussichtsreich. Die seltenere Klump kesche Lähmung betrifft die Wurzeln des Halssegments 8 bis Thorakalsegments 1. Klinisch beobachten wir dann Lähmung der kleinen Handmuskeln und Handbeuger mit entsprechenden Sensibilitätsstörungen. Der Schulterblatthochstand tritt zwangsläufig beim Bestehen einer stärkeren Skoliose als Begleitsymptom auf. Er kann aber auch als besonderes Leiden angeboren oder erworben sein. Die angeborenen Formen haben ihre Ursache in Fruchtwassermangel, häufiger in einem primären Bildungsfehler und sind daher auch oft vergesellschaftet mit anderen Mißbildungen wie Halsrippen, Rippendefekten, Schaltwirbeln, Mißbildungen am Arm. Das Schulterblatt ist zuweilen mit der Wirbelsäule durch eine Knochen- oder Knorpelbrücke ver29*

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Chirurgie der G l i e d m a ß e n

bunden, so daß die Beweglichkeit des Armes sehr erheblich behindert ist. Im Laufe des Wachstums pflegt sich neben dem Schulterblatthochstand auch noch sekundär eine Skoliose auszubilden. Die konservative Behandlung durch Zugwirkung unter Vermittlung orthopädischer Apparate führt nur selten zum Ziel. Vorhandene knöcherne Verwachsungen müssen operativ beseitigt werden, Muskeldurchtrennungen, besonders des Musculus rhomboides und levator, können notwendig werden. Ähnliche Krankheitsbilder entwickeln sich nach schwerer Rachitis. Die angeborene Schulterverrenkung ist selten. Sie stellt eine Geburtsverletzung dar. Unblutige oder meist blutige Reposition führt zur Heilung. Zu unterscheiden ist von ihr das paralytische Schlottergelenk der Schulter. Es stellt eine Distensionsluxation dar. Wenn aus irgendeinem Grunde (spinale Kinderlähmung, Verletzung des Nervus axillaris) der Deltamuskel gelähmt ist, muß die Schultergelenkskapsel das gesamte Gewicht des Armes tragen. Sie wird verlängert, so daß sich der Humeruskopf langsam vomAkromion entfernt. Es können dann nach allen Richtungen hin abnorme Bewegungen und Luxationen ausgeführt werden. Durch Muskelverpflanzungen (Ersatz des gelähmten Deltamuskels durch Teile des Musculus pectoralis) in Verbindung mit Kapseleröffnungen oder auch durch Arthrodesen läßt sich der Zustand bessern. Angeborene Verrenkungen des Ellenbogengelenkes sind selten, am ehesten noch kommt eine Luxation des Radiusköpfchens vor und führt zu den Funktionsstörungen, die wir auch bei der erworbenen Verrenkung beobachten. Die Reposition wird meist nicht möglich sein, eine in nicht zu spätem Lebensalter vorgenommene Exstirpation des luxierten Radiusköpfchens pflegt zu vollem funktionellen Erfolg zu führen. Unter Cubitus valgus und Cubitus varus versteht man eine Achsenknickung im Ellenbogengelenk nach der Radialseite (valgus) oder der Ulnarseite (varus). Eine Achsenabweichung beim Manne um 10°, bei der Frau um 20° ist als im Bereich des Normalen liegend aufzufassen. Die Deformitäten, die keineswegs mit Funktionsbehinderungen einherzugehen brauchen, entstehen durch Störungen im Epiphysenwachstum, Zugwirkung besonders stark entwickelter Muskelgruppen (einseitige Sportübungen oder Arbeitstätigkeit im Wachstumsalter) oder durch Frakturen in Gelenknähe. Im Wachstumsalter kann durch entsprechend angepaßte aktive Bewegungsübungen (Ausgleichssport) die Vermehrung der Winkelstellung verhindert, mitunter sogar eine Korrektur der Stellung bewirkt werden. Nach abgeschlossenem Knochenwachstum führt in hochgradigen Fällen nur eine Keilexzision aus der Humerusdiaphyse zur Wiederherstellung der normalen Form. Erworbene Defekte der Vorderarmknochen pflegen die Folge von Verletzungen (deforme Frakturheilung, Defektpseudarthrose, Brückenkallus) oder von Knochenzysten (Ostitis fibrosa evtl. mit Spontanfrakturen) oder von osteomyelitischen Zerstörungen zu sein. Die Behandlung richtet sich nach dem Giundleiden. Deformitäten des Handgelenkes kommen meist in der Form der Subluxationsstellung der Hand, erworben durch Uberanstrengungen und einseitigen Gebrauch im Wachstumsalter, vor. Vorwiegend wird das Leiden bei Fiauen beobachtet. Bekannt ist es auch unter dem Namen der Madelungschen Deformität

des Handgelenkes.

Das Leiden ist charakterisiert durch Ab-

rutschen der Hand nach der Volarseite. Infolgedessen springt das Ulnaende

Deformitäten der Gliedmaßen

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stark nach der Dorsalseite vor, die Beugesehnen der Hand treten brückenförmig hervor. Starke Beanspruchung der Beugemuskulatur verschlimmert die Fehlstellung. Gleichzeitig kommt es zu einer Lockerung des Bandapparates der Hand. Später stellt sich eine Schrumpfung der volaren Kapselseite ein, welche die Reposition verhindert. Während der Entwicklung des Leidens bestehen Schmerzen im Handgelenk besonders bei Streckbewegungen. Zur Beseitigung der Schmerzen, die mit Beendigung des Wachstums aufzuhören pflegen, ist zeitweise Fixierung der Hand (Nachtschienen) ratsam. Therapeutisch ist durch aktive Bewegungsübungen eine Kräftigung der Streckmuskulatur zu erreichen. Deformitäten der Finger beruhen meist auf nicht beseitigten Luxationen oder deform verheilten Frakturen, welche Repositionen oder in schweren Fällen auch Refrakturen und Osteotomien erfordern. Man muß sich aber bei der Ausführung von Heilmaßnahmen stets vor Augen halten, daß leicht deforme bewegliche Finger ungleich wertvoller sind als tadellos geformte unbewegliche. Leider wird dies in der Praxis häufig nicht beachtet.

Deformitäten von Oberschenkel und Unterschenkel Die angeborene Hüftgelenksverrenkung (Luxatio coxae congenita) stellt ein nicht allzu seltenes (etwa 2°/00 aller Kinder) und praktisch wichtiges Krankheitsbild dar. Mädchen sind etwa fünfmal häufiger befallen als Knaben. Die Verrenkung kann einseitig (überwiegende Mehrzahl) und doppelseitig vorkommen. Der Zustand ist wohl ein Bildungsfehler, obgleich über den Erbgang noch keine Einigkeit erzielt werden konnte. Ob auch noch andere Ursachen bei dem Zustandekommen der Luxation eine Rolle spielen, ist nicht ganz sicher. Denkbar wäre, daß der Uterusdruck bei Fruchtwassermangel den Hüftgelenkskopf bei Bestehen einer flachen Pfanne in Subluxationsstellung bringt, aus welcher sich durch Muskelzug oder infolge der Belastung nach der Geburt die komplette Luxation entwickelt. In jedem Falle kann man anatomisch und natürlich auch röntgenologisch ein Mißverhältnis zwischen der Form des Gelenkkopfes und der Gelenkpfanne beobachten. Der Kopf ist verkleinert und verkümmert, in der Epiphysenfuge verschoben. Die Gelenkpfanne ist in ihrer Ausdehnung verkleinert, ihre Wölbung ist abgeflacht, der knöcherne Widerhalt des oberen Pfannenrandes fehlt oder ist sehr dürftig entwickelt. Hierzu kommt noch, daß bei bestehender Luxation sich die Höhlung der Hüftgelenkspfanne mit Bindegewebe anfüllt. Die Gelenkkapsel ist entsprechend dem Hochtreten des Hüftgelenkkopfes am Becken (fast stets handelt es sich um eine Luxatio iliaca) schlauchartig ausgezogen, das Ligamentum capitis femoris stark verlängert und meist atrophisch, mitunter jedoch auch verdickt. Bei älteren Kindern und Erwachsenen kann sich an den unteren Teilen der Beckenschaufel unter dem Belastungsdruck und dem funktionellen Reiz sekundär eine zweite Gelenkpfanne in Form einer rundlichen Vertiefung im Knochen ausbilden. Durch die abnorme Stellung der Knochen zueinander ändern sich auch die Spannungsverhältnisse und Ansatzpunkte der Muskulatur. Besonders die Adduktoren und der Tensor fasciae latae, Sartorius, Semitendineus, Semimembranaceus sind verkürzt. Auch der Schenkelhals weist eine Formveränderung auf, meist eine Antetorsion.

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Chirurgie der G l i e d m a ß e n

Die Erkennung des Leidens im ersten Lebensjahr ist recht schwierig. Die Röntgenuntersuchung kann uns wohl sehr erheblich bei der Diagnose helfen, jedoch liefert sie nicht immer eindeutige Ergebnisse. Am besten ist noch die Prüfung der Möglichkeit des Yerschiebens des Beines gegen das Becken bei dem in Rückenlage befindlichen Säugling. Die bei vorhandener Luxation tastbare Bewegungsmöglichkeit des Trochanters gegen das Becken nach oben ist ein sicheres Zeichen. Es ist auch durch Anfertigung von zwei Röntgenaufnahmen während der Untersuchung optisch sichtbar zu I I P B P machen. Weitere Zeichen sind eine leichte Beuge- und Adduktionskontraktur der luxierten Hüfte, eine Behinderung der AbJ r j m jp, duktion wegen Verkürzungskon/ / I . / . ^JK. k traktur der Adduktoren. Man muw Nk kann das luxierte Bein ohne Mjy Jr H ¥ ' ^ m Schmerzen soweit adduzieren, Mr f ''^W B daß es auf der Inguinalfalte der mf $ piM Gegenseite liegt. Die Abduktion M pflegt gegenüber der gesunden K § JH Seite eingeschränkt zu sein. ^ I, .A^f1' ' Sobald die Kinder das Gehen äm-*erlernen, entwickeln sich die ty" J pischen klinischen Erscheinungen. m Die wichtigste ist der hinkende £j| Gang mit schnappendem Einsinken in der Lende bei der BeI 'llffl lastung. Beim Vorhandensein einer doppelseitigen Luxation l Ä | nimmt der Gang einen watschelnW den Charakter an. Weitere Zeichen sind eine erhebliche Lordose der Lendenwirbelsäule sol^Jf wie deutliches Hervortreten des ^ K » Trochanter major, der als kuglige Vorwölbung unter der H a u t zu sehen und dem Beckenkamm geA b b . 241. P o s i t i v e s T r e n d e I e n b u r gsclies nähert ist. Bei einseitiger LuxaZeichen bei r e c h t s s e i t i g e r k o n g e n i t a l e r H ü f t geienksluxation

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erkennt man die Verkürzung des Beines am Vergleich der Umrisse der Gesäßfalte und am leichten Spitzfuß (Zehengang) meist besser als durch Messung der Beinlänge im Liegen. Ein sehr wichtiges Zeichen ist das sogenannte Trendelenburgsehe Phänomen. Es besteht darin, daß bei vorhandener Hüftgelenksluxation infolge Insuffizienz der pelvitrochanteren Muskeln beim isolierten Belasten des luxierten Beines das Becken sich nach der unbelasteten Seite zu senkt. Weitere Symptome bestehen darin, daß man bei der Untersuchung im Liegen bei passiver Rotation des Beines den Hüftgelenkskopf nicht an der typischen Stelle unter der Arteria femoralis, sondern mehr lateral und näher

D e f o r m i t ä t e n der G l i e d m a ß e n

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der Spina ilica ventralis findet. Durch Adduktion des Beines kann er vom Becken abgehebelt werden. Bei der Lagerung auf die gesunde Seite stellt man fest, daß der Trochanter oberhalb der Verbindungslinie von Spina iliaca ventralis zum Tuber ossis ischii ( R o s e r - N e l a t o n sehe Linie) steht. Endlich zeigt das Röntgenbild die Luxation. Der meist verbildete Hüftgelenkskopf steht oberhalb der Y-förmigen Epiphysenlinie der Gelenkpfanne, deren flache Form man gut erkennen kann. Die einzig mögliche Therapie besteht naturgemäß in der Beseitigung der Luxationsstellung. Es ist verständlich, daß die Erfolgsaussichten um so besser

A b b . 242. L u x a t i o coxae c o n g e n i t a sinistra

sind, je frühzeitiger die richtige Diagnose gestellt und dementsprechend die zweckmäßige Behandlung von sachkundiger Hand eingeleitet wurde. Alle Methoden, welche sich allein der Extension und der Verwendung von Apparaten bedienten, sind verlassen. Die orthopädischen Apparate stellen nur einen kümmerlichen Behelf dar, wenn ein Eingriff von unvernünftigen Eltern abgelehnt wird. Die Kinder werden, wenn sie größer geworden sind, sicher ihren unbelehrbaren Eltern mit Recht die schwersten Vorwürfe machen. Der beste Zeitpunkt für die Einrenkung ist das Ende des 1. oder der Anfang des 2. Lebensjahres. Je länger man wartet, desto schwieriger ist sie, desto mehr leiden die nun größer gewordenen Kinder unter der langdauernden Behandlung und desto geringer sind die Erfolgsaussichten. Nach dem 10. Lebensjahr ist kaum noch damit zu rechnen, daß der Versuch der unblutigen Einrenkung zur Beseitigung der Luxation führt. Die Gründe hierfür liegen darin, daß durch den fehlenden Belastungsreiz die Gelenkpfanne immer flacher, der Kopf immer atrophischer geworden ist. Weiterhin haben sich die Weichteile einschließlich der Muskulatur sehr stark verkürzt und verlieren nach der durch die Reposition erfolgten starken Dehnung durch Narbenbildung einen großen Teil ihrer Funktions-

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fähigkeit. Und schließlich verhindern die schlauchartig ausgezogene Gelenkkapsel sowie das stark verlängerte und eventuell auch verdickte Ligamentum capitis femoris dürch Interposition die exakte Reposition der Luxation. Als Methode der Wahl kommt für die Behandlung heute nur die unblutige Reposition der Luxation in Frage, welche meist nach der Methode von L o r e n z ausgeführt wird (vgl. Abb. 243). In Narkose werden zunächst durch Abduktion des Beines und sägende Massagebewegungen unter Anwendung erheblichen Druckes die verkürzten Adduktoren gedehnt. Dann folgt das eigentliche Repositionsmanöver. Der Oberschenkel wird gebeugt, innenrotiert und unter gleichzeitiger Extension abgespreizt. Hierdurch wird der Kopf gegen den hinteren

Abb. 243. Reposition der kongenitalen H ü f t l u x a t i o n (nach L o r e n z )

Pfannenrand gedrückt. Indem man nun die Faust unter die Hüfte legt, wird der Hüftgelenkkopf unter mehrfach ausgeführten drehenden Bewegungen in die Pfanne gehebelt. Die Drehbewegungen haben gleichzeitig den Zweck, das Bindegewebe in der Pfanne beiseite zu drücken. Nach gelungener Reposition steht der Oberschenkel rechtwinklig vom Körper abduziert. In dieser Stellung wird er durch einen vom Brustkorb bis zur Mitte des Unterschenkels reichenden Gipsverband festgehalten. Der Verband bleibt etwa 2—3 Monate liegen. Dann wird langsam das Bein „heruntergeholt", d. h. der Grad der Abduktion bis zur normalen Beinstellung vermindert. Dies wird in mehreren Etappen erreicht. Die Zwischenzustände werden jeweils immer wieder im Gipsverband festgehalten. Neben der Kunst der Einrenkung selbst ist die Beurteilung, um welchen Grad und in welchen Zeiträumen die Abduktion verringert werden darf, das Schwierigste bei der Behandlung. Die Dauer der Gipsverbandbehandlung beträgt je nach Alter des Kindes und Form der Gelenkpfanne 9—12 Monate. Nach Entfernung des letzten Verbandes ist die Anwendung von Bädern, gymnastischen Übungen und Massagen zweckmäßig. Auf diese Weise kann man damit

Deformitäten der Gliedmaßen

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rechnen, daß man bei frühzeitig reponierter einseitiger Luxation in 90%, bei doppelseitiger in 80% eine anatomisch und funktionell befriedigende Heilung erreicht. Falls die unblutige Reposition auch nach einer Wiederholung nicht gelingt, ist sie durch einen blutigen Eingriff noch zu erzwingen. Auch bei bisher nicht behandelten Luxationen älterer Kinder kann man auf diesem Wege noch anatomische Heilungen erzielen. In funktioneller Hinsicht lassen die Erfolge aber sehr zu wünschen übrig. Je länger die Luxation unbehandelt bleibt, desto stärker werden naturgemäß auch die Veränderungen. Die Beinverkürzung nimmt erheblich zu, der Gang wird unbeholfener, der Hüftgelenkskopf rutscht hoch am Becken hinauf. Neben den Gangbeschwerden und der Standunsicherheit stellen sich auch Schmerzen in dem verrenkten Gelenk, das stets erhebliche Grade einer Arthrosis deformans aufweist, ein. Konservative Behandlung pflegt selten dauernde Linderung zu schaffen. Auch die blutige Reposition versagt wegen der irreparabel gewordenen Verkürzung der gesamten Weichteile einschließlich

Abb. 244—246. Formveränderungen des Schenkelhalses

der großen Blutgefäße. Man kann in solchen Fällen eine „Gabelung nach Lorenz" ausführen, d. h. subtrochanter oder intertrochanter eine schräge Osteotomie machen und den Femur direkt in die Hüftgelenkspfanne einstellen. Auf diese Weise erzielt man ein relativ standfestes, wenn auch verkürztes Bein. Unter Coxa vara versteht man eine Verbiegung des Schenkelhalses mit einer Biegungsrichtung im Sinne des 0. Normalerweise beträgt der Winkel vom Schenkelhals zum Oberschenkelschaft etwa 120—130°, bei der Coxa vara kann er nur 90° oder weniger ausmachen. Mit dieser Formveränderung pflegt auch eine frontale Knickung nach abwärts verbunden zu sein (vgl. Abb. 244-246). Die Coxa vara ist eine ausgesprochene Belastungsdeformität. Dies ist ohne weiteres erklärlich, wenn man sich vorstellt, daß bei aus irgendeinem Grunde bestehender abnormer Weichheit des Knochens die Last des Körpers den Schenkelhals langsam durchbiegt. Der Grund für die abnorme Weichheit des Schenkelhalses kann verschiedenartig sein. Genannt seien Osteomalazie, Ostitis fibrosa, entzündliche Knochenerkrankungen, Tabes, Inaktivitätsatrophien

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Chirurgie der Gliedmaßen

(besonders im Alter). Von klinischen Gesichtspunkten aus unterscheidet man folgende Formen: Coxa vara congenita, Coxa vara rachitica

Coxa vara statica adolescentium, Coxa vara traumatica.

Die Coxa vara congenita ist als selbständiges Krankheitsbild umstritten. Ob es tatsächlich intrauterine Knochenerkrankungen des Fötus gibt, die zu ihr führen können, ist unsicher. Die Coxa vara rachitica ist in der Regel mit anderen rachitischen Verbiegungen der Knochen vergesellschaftet. Sie kann so hochgradig sein, daß die Stellungsdeformität und der watschelnde Gang eine kongenitale Luxation vortäuschen können, bis das Röntgenbild die Natur des Leidens klärt. Zweckmäßige Heilmaßnahmen bestehen in der Rehandlung des Grundleidens bei gleichzeitiger Extension zur Aufrichtung des Schenkelhalses. Die praktisch wichtigste und wohl auch häufigste Form ist die Coxa vara statica adolescentium. Hervorgerufen wird sie durch ein Mißverhältnis zwischen zu starker Belastung (schwere Berufstätigkeit) und noch nachgiebigem Knochensystem, welches keineswegs krankhaft verändert zu sein braucht, obwohl auch Spätrachitis, endokrine Wachstumsstörung und ähnliches eine Rolle spielen können. Ist die Schädigung nur auf den Epiphysenknorpel beschränkt, sehen wir auf dem Röntgenbilde pilzartige Veränderungen des Hüftkopfes, der hutförmig über den Schenkelhals gestülpt erscheint und außerdem in der Richtung nach unten gegen ihn verschoben ist. Bis zum Zustand der Epiphysenlösung beobachten wir alle nur denkbaren Zwischenstadien. Die Coxa vara statica ist entsprechend ihrer Entstehungsart fast immer doppelseitig. Die klinischen Symptome bestehen in Bewegungsbehinderungen bei der Abduktion. Häufig stehen die Beine adduziert, so daß beim Gehen die Knie aneinanderreihen und der Gang gezwungen steif ist. Bücken, Sitzen und Knien sind erschwert. Adduktion und Flexion sind im Hüftgelenk unverändert. Bei der Untersuchung findet man, daß der große Rollhügel über der R o s e r N e l a t o n sehen Linie steht und meist etwas nach hinten verschoben ist. Neben der Gangbehinderung pflegen unbestimmte ziehende Schmerzen in der Gegend des Hüftgelenkes und in der Leistengegend, die bis zu den Knien ausstrahlen, die ersten Zeichen der sich entwickelnden Formveränderung zu sein. Sie können nach einer Uberanstrengung oder einem belanglosen Trauma aber auch ohne jeden äußeren Anlaß einsetzen. Durch reflektorische Reizzustände der Muskulatur kann sich analog dem Geschehen an anderen Körperstellen eine Coxa vara contracta entwickeln, welche durch manchmal erhebliche Schmerzzustände verbunden mit Bewegungsbehinderungen auch bei Adduktion und Flexion gekennzeichnet ist. Dieser Zustand führt die Kranken meist zum Arzt. E r ist besserungsfähig, obwohl naturgemäß die einmal vorhandene Fehlform des Knochens irreparabel zu sein pflegt. Die Behandlung hat demgemäß in Entlastung des Hüftgelenkes durch Bettruhe mit leichter Extension an den Beinen für 4—6 Wochen zu bestehen. Während der Extension wird der Abduktionswinkel des Beines langsam vergrößert. Zweckmäßige Ernährung während der Zeit der Bettruhe ist unbedingt notwendig. Eine Nachbehandlung mit Heilgymnastik, Massage, Bädern ist ratsam. Wenn es zu einer Epiphysenlösung mit Abrutschen des Kopfes gekommen ist, so muß in Narkose die normale Stellung von Schenkelkopf zum

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Hals wiederhergestellt und das Hüftgelenk für 8 Wochen in Abduktion im Gipsverband ruhiggestellt werden, damit die Knochen in günstiger Stellung verheilen können. Der Versuch, die Fehlstellung der Coxa vara durch blutige Eingriffe zu beseitigen, ist nicht ratsam. Die Coxa vara traumatica ist die Folge von Lösungen in der Epiphysenfuge, die zum Abrutschen des Schenkelkopfes führen. Dieser Vorgang kann sowohl ohne nennenswerte äußere Gewalteinwirkung infolge krankhafter Beschaffenheit der Epiphysenlinie als auch zum mindesten begünstigt durch ein erhebliches Trauma entstehen. Auch nach Einrenkung von Hüftluxationen erleben wir die Epiphysenlösung mitunter. Je nach dem Grade der Verschiebung ist auch der Grad der entstehenden Coxa vara sehr verschieden. Die sinngemäße Behandlung der frischen Epiphysenlösung besteht in ihrer Reposition mit Gipsverband in korrigierter Stellung oder in Extensionsverband zur Wiederherstellung der normalen Form des Schenkelhalses. Auch deform verheilte Schenkelhalsfrakturen können zur Coxa vara führen. Die Coxa valga ist gekennzeichnet durch einen steil aufgerichteten Schenkelhals (vgl. Abb. 244—246). Meist beobachten wir sie bei der nicht beseitigten kongenitalen Hüftluxation oder gelegentlich einmal, wenn das Bein nicht in normalerweise belastet wird z. B. bei Lähmung nach langdauernder Benutzung von Krücken, bei Kindern, welche in den ersten Lebensjahren dauernd gelegen haben (z. B. Rachitis). Im allgemeinen ist die Coxa valga selten und hat keine große praktische Bedeutung. Hüftluxationen bei paralytischen und spastischen Lähmungen treten in Form von Schlottergelenken in seltenen Fällen dann auf, wenn alle Hüftmuskeln gelähmt sind. Hat die Lähmung nur die Abduktion und Rotation befallen, luxiert der Hüftgelenkskopf nach oben hinten. Nur unblutige Reposition führt immer zum Rezidiv. Durch die Spasmen der Adduktoren bei L i 111 e scher Krankheit kommt es zur Luxation nach vorn außen oder hinten, die unblutiger Reposition zugänglich ist. Das Genu valgum oder X-Bein pflegt im Alter des Kleinkindes auf dem Boden einer Rachitis oder in den Jahren vor der Pubertät als Belastungsdeformität zu entstehen. Außerdem können naturgemäß deform verheilte Frakturen zu derselben Fehlform führen. Das rachitische X-Bein pflegt mit Deformitäten an anderen Knochen des Körpers vergesellschaftet zu sein. Bei erheblichen Graden ist die Ausbildung von Fehlstellungen der Füße zwangsläufig. Viel häufiger ist das Genu valgum adolescentium. Es entwickelt sich bei jungen Leuten vom 14.—18. Lebensjahr, wenn diese bei noch nicht ausreichend festem Knochensystem eine für ihren Körperzustand zu schwere Arbeit verrichten müssen. Wir finden es dementsprechend bei Lehrlingen des Bäckergewerbes (daher auch der Name „Bäckerbein"), des Kellnerberufes, Schlossers, der Landwirtschaft, bei Laufburschen usw. Mangelhafte Ernährung in quantitativer Hinsicht, mehr noch unzweckmäßige Ernährung in qualitativer Beziehung fördern die Ausbildung der Knochenverbiegung. Normalerweise ist bei jedem Menschen entsprechend der Beckenbreite ein geringes X-Bein bis etwa 170° vorhanden. Durch zu starke Belastung bei weichen Knochen wird dieser Winkel verkleinert. Der dadurch hervorgerufene verschiedene Druckreiz

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auf die Epiphysen bewirkt seinerseits einen verschieden großen Wachstumsimpuls, so daß auf diesem Wege und nicht nur rein statisch das X-Bein ausgeprägter wird. Von der Größe der Deformität kann man sich durch Messung des Winkels zwischen Femur und Tibia einen Begriff verschaffen. Auch die Messung des Abstandes der inneren Fußknöchel, wenn in Rückenlage beide Knie sich berühren, ist ein brauchbares, wenn auch relatives (zur Unterschenkellänge) Maß. Meist ist das X-Bein doppelseitig, stets kombiniert mit Fehlstellungen des Fußes, häufig mit einer Bänderschwäche im Kniegelenk, mitunter mit einer

J

Auswärtsdrehung des Unter-

schenkels. Infolgedessen klagen die Leute vorwiegend über Schmerzen in den Knien bei längerem Gehen. Das dauernde Streifen der Knie gegeneinander pflegt deutliche Spuren an der Kleidung zu hinterlassen. Abnorm schnelle Ermüdbarkeit beim Gehen ist ein vorzugsweise in der Beseitigung der verursachenden Schädigungen, also in A b b . 247. Genu v a l g u m a d o l e s c e n t i u m sachgemäßer Berufsberatung und dann in einer Kräftigung des Allgemeinkörpers und Knochensystems durch entsprechende Ernährung sowie durch Medikation von Vigantol oder Lebertranpräparaten, ferner im Winter durch Höhensonnenbestrahlung zu erfolgen. Daneben sind als örtliche Maßnahmen vorzugsweise in der Nacht zu tragende korrigierende Verbände wie Zusammenbinden der Beine mit Polster zwischen den Knien, Außenschienen, die einen leichten Druck nach innen ausüben, in schweren Fällen Quengelverbände ratsam. Man kann auch die Fehlstellung unblutig (subkutane Frakturierung) oder blutig (Keilosteotomien) korrigieren und im Gipsverband die Heilung in dieser der nastische nur lastungsdeformität Stellung am gesetzten ist Dasdie Femur, Genu erzwingen. Nachbehandlung Rachitis Frakturen varum sondern der des Dabei oder Pubertätsjahre. gleichzeitig Kindesalters und einzusetzen. ist O-Bein nach aberan Abnahme entsteht ungleich darauf der Ist Tibia dies zu auf viel der auszuführen der achten, dieselbe häufiger Gipsverbände Fall, daß Weise dann beteiligt ist. dererleben wie Nach hat Eingriff das als eine Festigung wir X-Bein, diegymnicht mitBe-

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unter auf der einen Körperseite ein O-Bein, auf der anderen ein X-Bein. Im Alter des Kleinkindes ist ein leichtes O-Bein als normal anzusehen, es pflegt sich bis etwa zum 10. Lebensjahr zurückzubilden. Die Behandlung deckt sich sinngemäß mit der des X-Beines. Die angeborene Knieluxation kommt selten vor, wenn, dann wahrscheinlich bei Fruchtwassermangel durch Uberstreckung in den Kniegelenken. Das Stadium der Subluxation pflegt häufig nicht überschritten zu werden. Die Reposition hat frühzeitig zu erfolgen, Rezidive sind nicht immer vermeidbar. Das Schlottergelenk des Knies kann einmal bei allgemeiner Bindegewebsschwäche und dann immer doppelseitig vorkommen, oder es ist die Folge einer langsam wirkenden, abnorm starken Dauerbeanspruchung oder schließlich gewaltsamen Risses eines oder mehrerer Kniehaltebänder. Auch akute Entzündungen können nach ihrer Abheilung eine solche Bandschwäche hinterlassen. Am wenigsten schädlich für die Funktion ist eine Überstreckmöglichkeit im Knie, welche in geringen Graden als im Bereich des Normalen liegend zu betrachten ist. Kommt sie ohne andere Bandschwäche vor, ist sie ohne jede praktische Bedeutung. Die abnorme Beweglichkeit in seitlicher Richtung, die man für gewöhnlich als Wackelknie bezeichnet, ist bei leicht gebeugtem Knie ein normaler Zustand. Bedeutung hat sie nur, wenn sie auch in Streckstellung nachweisbar ist. Aber auch dann ist die Unterscheidung zu machen, ob sich diese abnorme Beweglichkeit bei erschlaffter oder bei angespannter Muskulatur nachweisen läßt. Der erste Zustand ist weniger bedenklich. Bei kräftig entwickeltem Muskelschlauch des Beines ist trotzdem eine ausreichende Standsicherheit im Kniegelenk gewährleistet. Vermag aber die Muskelkontraktion die seitliche Wackelbeweglichkeit nicht zu paralysieren, so leidet in sehr erheblichem Maße die Gebrauchsfähigkeit des Beines. Allgemeine Kräftigung ändert an dem Zustand nichts. Man muß durch operative Methoden wie Raffung und Naht des Seitenbandes sowie Verstärkung durch Faszientransplantation und ähnliches den normalen Spannungszustand wiederherzustellen versuchen. Das dauernde Tragen von Schienen und Stützapparaten mannigfaltigster Konstruktion, von der einfachen strumpfartigen Gummihülse bis zum Hessing-Apparat, sollte nur angezeigt sein, wenn alle anderen Methoden nicht anwendbar sind oder versagt haben. In sehr schweren Fällen kann sogar eine Arthrodese notwendig werden. Besonders für körperlich arbeitende Menschen ist ein standfestes Bein mit versteiftem Knie brauchbarer als ein Schlottergelenk starken Grades. Die abnorme Beweglichkeit in sagittaler Richtung wird hervorgerufen durch Dehnung oder Riß eines oder beider Kreuzbänder. Festgestellt wird der Zustand durch die Prüfung der sogenannten „Schubladenbeweglichkeit", d. h. die Möglichkeit, die Gelenkenden von Femur und Tibia in der Ebene des Gelenkspaltes sagittal gegeneinander zu verschieben. In bezug auf die Therapie gilt dasselbe, was beim Wackelknie gesagt wurde. Die Naht eines zerrissenen Kreuzbandes oder der plastische Ersatz eines solchen sind technisch schwierige Eingriffe, welche auch nicht immer eine ideale Festigkeit des Gelenkes erzielen. Trotzdem sollte bei starker Unsicherheit im Knie und mangelnder Belastungsfähigkeit des Gelenkes eine solche Operation von sachkundiger Hand ausgeführt werden. Die Kombination aller drei Arten abnormer Beweglichkeit ist häufig.

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Die rachitischen Verbiegungen der Beine pflegt man heute in sehr starkem Ausmaß nicht mehr zu sehen, da die Frühbehandlung der Krankheit überall in Deutschland tatkräftig durchgeführt wird. Geringe Verbiegungen sind aber häufig, pflegen jedoch für die spätere Leistungsfähigkeit des Menschen keine besonders hohe Bedeutung züöhaben. Die Rachitis des frühen Kindesalters führt

A b b . 248 A b b . 249 A b b . 248 u n d 249. R a c h i t i s c h e V e r k r ü m m u n g e n der B e i n e

zu Verbiegungen vornehmlich in den Diaphysen der langen Röhrenknochen. Bevorzugt sind die Verbiegungen im O-Sinne, aber auch in sagittaler Richtung, die an den Schienbeinen zu ganz typischen Deformitäten führen (Abb. 248 und 249), bei denen der Knochen dachfirstartig vorspringt. Bei starken Verbiegungen der Diaphyse müssen sich sekundär korrigierende Fehlstellungen der Gelenke ausbilden. Da diese und nicht die Verbiegungen selbst, welche nur unschön wirken, erhebliche Beschwerden im Sinne abnorm früh einsetzender Aufbrauchserkrankungen hervorrufen, bedürfen die Deformitäten frühzeitiger Behandlung. Wenn diese erst einsetzt, nachdem die Gelenke sich gemäß der abnormen Stellung und Belastung umgeformt haben, kann eine Geraderichtung der Beine keinen Erfolg mehr erzielen, vielmehr durch geänderte Belastung der Gelenke Beschwerden erzeugen, welche vorher nicht vorhanden waren. Osteotomien bei rachitischen Kindern führen zu Pseudarthrosen, wenn die Fixierung nicht lange

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genug durchgeführt wird und wenn die Allgemeinbehandlung durch Sonnenbestrahlung, Verabreichung von Lebertran oder Vigantol, sorgfältige Ernährung mit fett- und vitaminreicher Kost (frische Gemüse und Früchte) unterbleibt. Sie stellt das Hauptmittel im Kampf zur Beseitigung und Verhütung rachitischer Verbiegungen dar.

Die Deformitäten der Eüße Die sehr mannigfaltigen und in ihren Einzelheiten häufig miteinander kombinierten Stellungsabweichungen unterteilt man besonders auch im Hinblick auf die lehrhafte Darstellung zweckmäßigerweise in 4 Hauptformen: 1. Der Klumpfuß (Pes varus). 2. Der Knick-Plattfuß (Pes valgus). 3. Der Spitzfuß (Pes equinus). 4. Der Hackenfuß (Pes calcaneus). Daneben sollen aber aus klinischen Gründen auch einige andere Erkrankungen des Fußes, welche, streng genommen, nicht zu den Deformitäten zu rechnen sind, abgehandelt werden. Als Ursachen für die Formveränderungen finden wir wieder neben der sicher mitunter vorhandenen primären Keimschädigung (Erblichkeit des Leidens) den intrauterinen Druck durch Fruchtwassermangel. Teilweise spielen zentral oder peripher bedingte partielle Lähmungen eine Rolle. Sie erzeugen das Ubergewicht einer Muskelgruppe und dadurch eine Fehlstellung des gesamten Fußes, wobei auch das Knochensystem sich entsprechend dem Reiz erheblich umformen kann. Ein typisches Beispiel hierfür ist der paralytische Klumpfuß. Aber auch statische Beanspruchung kann langsam zur Ausbildung einer Fehlform führen. Das beste Beispiel hierfür ist der Plattfuß. Schließlich kommen auch Traumen jeglicher Art als Ursache in Frage. Der Klumpfuß (Pes varus) ist neben der kongenitalen Hüftgelenkserkrankung die häufigste angeborene Deformität. In etwa 70% der Fälle entsteht er auf dieser Grundlage, Erblichkeit ist in etwa 20% beobachtet worden. In etwa 30% der Fälle ist er erworben und dann fast immer Folge einer nach Poliomyelitis zurückgebliebenen Fibularislähmung. In seltenen Fällen können auch L i 111 e sehe Krankheit, Traumen oder Narbenzug zu dem Krankheitsbild führen. Die Symptome sind sehr deutlich. Der Fuß steht in verschiedenem Grade nach einwärts gerollt (supiniert), so daß die Fußsohle nach innen oder in schweren Fällen nach innen oben zeigt und der Fußrücken zur Belastungsfläche wird. Auch das Fersenbein beteiligt sich an der Drehung des Fußskeletts. Weiterhin steht der Fuß leicht in Spitzfußstellung, die Fußsohle ist in querer Richtung eingeknickt, so daß sie besonders hohl erscheint. Man spricht daher auch von einem Pes equinovarus excavatus. Wenn das Kind mit dieser Deformität zu laufen beginnt, so tritt es zunächst mit dem äußeren Fußrande auf. Unter dem Druck der Belastung nimmt die Verbildung des Fußes dauernd an Stärke zu, bis schließlich der Fußrücken mit dem Os euboides zur Auftrittsfläche wird.

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Uber ihm bilden sich Schleimbeutel und Hornhautschwielen. Da aber die Fußrückenhaut nicht wie die Fußsohlenhaut anatomisch für eine Dauerbelastung gebaut ist, kommt es mitunter zu Hautschädigungen mit anschließenden Entzündungen bis zum Dekubitus. Entsprechend dieser Form ist das Fußskelett sehr stark gegen die Norm verändert. Die Tibia mit der gesamten Fußgelenksgabel ist nach innen gedreht, der KalAbb. 250 kaneus verkümmert, der Talushals bogenförmig nach medial verlängert, die Gelenkfläche der Talusrolle nach hinten verlagert. Das Navikulare steht gegen den Talus subluxiert. Dieser Stellung passen sich die Bänder, Sehnen und sonstigen Weichteile an. Alle funktionslos gewordenen Muskeln, besonders auffallend der Gastrocnemius, werden atrophisch und entarten schwielig. Der Gang bekommt einen harten Charakter ähnlich demjenigen mit einem Stelzfuß, da eine Abrollung des Fußes nicht Abb. 251 mehr möglich ist. Abb. 250 und 251. Rechtseitiger K l u m p f u ß und Alle diese Verändelinksseitiger P l a t t f u ß rungen sind am ausgeprägtesten beim angeborenen oder in früher Kindheit erworbenen Klumpfuß, denn die weichen, bildungsfähigen Knochen des Kindes haben sich unter dem Reiz der abnormen Funktion weitgehendst umgeformt. Tritt der Anlaß zur Ausbildung eines Klumpfußes beispielsweise durch Lähmung erst beim Erwachsenen ein, so sind die Umformungen weitaus geringer.

Deformitäten

der

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Gliedmaßen

Die Behandlung des kindlichen Klumpfußes ist um so aussichtsreicher, je frühzeitiger sie durchgeführt wird, bevor noch die starken Formveränderungen der Knochen sich ausgebildet haben. In den ersten beiden Lebensmonaten ist durch Pflegerin oder Mutter dreimal täglich oder bei jedem Fertigmachen des Kindes der Fuß für 5—10 Minuten in Abduktion, Pronation und Dorsalflexion zu bringen. Im dritten Monat wird unblutig redressiert und die erreichte Stellung im Gipsverband festgehalten. Die Redression führt man in mehreren Sitzungen im Abstand von 3—4 Wochen aus, zunächst wird die Adduktion, später die Spitzfußstellung beseitigt. Der Gipsverband muß über das Knie reichen, weil sonst die Kinder aus ihm herauskriechen. Das Ziel der Behandlung ist eine Uberkorrektion des Fußes zur Valgusstellung. Erst wenn dies erreicht ist, kann man passendes Schuhwerk (mit Außenschiene am Unterschenkel) anmessen und tragen lassen. Bei älteren Kindern ist das Redressement schwierig und nur unter Benutzung von Hilfsmaschinen (Osteoklasten), von denen es mehrere Modelle gibt, zu erreichen. Blutige Eingriffe, für welche zahlreiche Verfahren angegeben worden sind, soll man für die Beseitigung des unbehandelten Klumpfußes älterer Kinder oder Erwachsener vorbehalten. Am zweckmäßigsten sind die Exstirpation des Talus oder eine keilförmige Resektion mit lateraler Basis aus dem Fußskelett. Nach der Ausführung dieser Eingriffe ist die sachgemäße gymnastische Nachbehandlung von ausschlaggebendem Wert. In leichten Fällen von paralytischem Klumpfuß können Sehnenverpflanzungen, die schon vor 60 Jahren von N i c o l a d o n i angegeben wurden, nützlich sein. Sie erstreben, durch abgespaltene Teile normaler Muskeln und Verlagerung ihrer Ansatzpunkte die gelähmten Antagonisten zu ersetzen. Der K n i c k f u ß (Pes valgus) und der Plattfuß (Pes planus) seien gemeinsam besprochen, da sie sehr häufig kombiniert vorkommen und oft noch mit dem Spreizfuß (Senkung des vorderen queren Fußgewölbes) vergesellschaftet sind. Diese Deformität ist in etwa 90% der Fälle statisch bedingt. Ihre Ausbildung pflegt hauptsächlich in den Jahren um die Pubertät herum vor sich zu gehen, wenn den noch bildungsfähigen Knochen eine zu starke Belastung, häufig beruflicher Art, zugemutet wird. Auch im späteren Alter können dieselben Ursachen zur Ausbildung des Leidens führen. Die Frau muß sich während der Gravidität vor schwerer Arbeit im Stehen hüten. Starke Belastung z. B. bei zunehmender Körperfülle oder einseitige Belastung z. B. bei Amputierten vermögen auch bei Erwachsenen zur Bildung oder Verschlimmerung eines schon in leichter Form bestehenden Plattfußes zu führen. Weiterhin kann der Plattfuß die Folge von deform verheilten Malleolarfrakturen oder Brüchen der Fußwurzel und der Mittelfußknochen sein und schließlich in seltenen Fällen auch die Folge einer Lähmung des Musculus tibialis. Wenn man sich die Formveränderungen beim Plattfuß klarmachen will, muß man von dem normalen Fußgewölbe ausgehen. Es ist sehr kompliziert gebaut und besteht aus einem in der Richtung der Fußachse vom Fersenbein bis zu den Köpfchen der Mittelfußknochen angeordneten Längsgewölbe, das in seinen einzelnen Abschnitten eine durchaus verschiedene Krümmung hat. Kombiniert ist es mit einem senkrecht dazu angeordneten Quergewölbe hauptsächlich im Bereich der vorderen Fußwurzelknochen. Die Fußsohle berührt normalerweise nur zu einem Teil den Fußböden, wovon man sich durch Herstellung von Fußabdrücken leicht überzeugen kann. Dieses Fußgewölbe sinkt mehr oder R o s t o c k , Lehrbuch der speziellen Chirurgie. 3. Aufl.

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weniger stark ein, so daß es im Endstadium vollkommen verschwunden ist und die gesamte Fußsohlenfläche bei Auftreten den Boden berührt. Der Kalkaneus hat sich gedreht, so daß er mit seinem vorderen Teil den Boden berührt. Der Talus ist nach innen abgewichen und hat das Navikulare, welches an der Streckseite häufig starke Randwülste aufweist, bis zur Bodenfläche verschoben. Auch das Kuboid liegt ebenso wie die Mittelfußknochen der Auftrittsfläche an. Bei Erwachsenen pflegen alle Fußwurzelgelenke im Sinne der Arthrosis deformans verändert zu sein am stärksten das Gelenk zwischen Talus und

Abb. 252. P l a t t f u ß

Navikulare. Der äußeren Form nach steht der Vorfuß abduziert, der innere Fußrand ist gesenkt, der äußere etwas gehoben. Die Achse der Ferse weicht leicht nach außen von der Unterschenkelachse ab, das Navikulare springt an der Innenseite sichtbar und fühlbar vor und kann den Boden berühren. Der Vorfuß ist verbreitert (Spreizfuß). Der Plattfuß pflegt mitunter kombiniert zu sein mit Hernien, Varizen, Bänderschwäche der Kniegelenke, Hallux valgus. Für das Verständnis des Leidens ist folgende Tatsache von grundlegender Bedeutung. Keineswegs ist die Schwere der anatomischen Formveränderungen ein Maßstab für die Stärke der Beschwerden. Es gibt zahlreiche Menschen mit hochgradigstem Plattfuß, welche nicht über die geringsten Beschwerden zu klagen haben, und andererseits können kaum erkennbare Senkungen des Fußgewölbes mit den stärksten Beschwerden einhergehen. Nicht die Form des Fußgewölbes ist maßgebend, sondern der Zustand von Gelenkkapsel, Verstärkungsbändern und Muskulatur. Die Symptome des Leidens bestehen in der beschriebenen Formveränderung und in Schmerzen im Fuß, die an die verschiedensten Stellen lokalisiert werden. Am häufigsten werden sie am inneren Fußrand und auf der Streckseite des Fußes entsprechend dem Sitz des Navikulare, im Fußgewölbe selbst, in der Gegend der 3. und 4. Zehe mit Mittelfußknochen (besonders bei Spreizfuß), an den Köpfchen der Mittelfußknochen, aber auch fern vom Fuß an der Wadenmuskulatur und im Oberschenkel angegeben. Gelegentlich wird über nachts auftretende Wadenkrämpfe geklagt. Ein häufig zu beobachtendes charakte-

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ristisches Zeichen besteht darin, daß die Beschwerden morgens nach dem Aufstehen am stärksten sind. Wenn die Leute dann „in Gang gekommen sind", lassen die Beschwerden nach, um mit einsetzender Ermüdung sich wieder zu verstärken. Der Gang ist ganz charakteristisch. Die Füße stehen nach auswärts gedreht, die Abwicklung des Fußes und das leichte Federn beim Aufsetzen desselben sind nicht vorhanden. Infolgedessen wird der Gang schwerfällig und unbeholfen, stampfend und watschelnd mit deutlicher Seitwärtsbewegung des gesamten Rumpfes. Abnorme Schweißabsonderung der Füße mit Wundsein der Haut zwischen den Zehen ist häufig. Im klinischen Bild des Plattfußes unterscheidet man zweckmäßigerweise drei Stadien, die in der Wirklichkeit fließend ineinander übergehen. Im ersten Stadium überwiegt die Knickfußkomponente gegenüber dem Einsinken des Fußgewölbes, das nur geringe Grade aufzuweisen pflegt. Klinisch beobachten wir vorzeitige Ermüdung mit wechselnden, meist nicht sehr hochgradigen Schmerzen. Nicht immer wird in diesem Stadium der Arzt aufgesucht. Im zweiten Stadium besteht mitunter nach einer einmaligen erheblichen Uberanstrengung ein sehr starker Schmerzzustand sowohl bei der Belastung als auch — allerdings in geringem Grade — ohne sie. Jede Bewegung im Fuße, besonders die Supination, ist äußerst schmerzhaft. Der Fuß steht in Planovalgus-Stellung, die fibulare Muskelgruppe ist krampfhaft angespannt, so daß ihre Sehnen deutlich hervortreten. Die Gegend des Gelenkes zwischen Talus und Navikulare ist sehr druckschmerzhaft. A m Fußrücken und an den Malleolen pflegt ein leichtes Ödem vorhanden zu sein. Man bezeichnet dieses Krankheitsbild als spastisch kontrakten Plattfuß. Das dritte Stadium stellt einen Endzustand dar, den man am besten als knöchern fixierten oder veralteten Plattfuß benennt. Der Fuß ist durch die schon lange bestehenden Knochenveränderungen starr und unbeweglich geworden. Er ist ohne nennenswerte Beschwerden belastungsfähig, aber nicht mehr oder nur gering schmerzhaft, so daß ihm beachtliche Dauerleistungen zugemutet werden können, allerdings mit dem schon geschilderten typischen Gang. Bei der Behandlung des Plattfußes ist von der Tatsache auszugehen, daß die Indikation hierzu nicht aus der beobachteten anatomischen Fehlform abzuleiten ist, sondern aus den funktionellen Beschwerden. Hieraus geht hervor, daß das dritte Stadium einer Behandlung nicht bedarf, sondern daß sie dem ersten und zweiten Stadium vorbehalten ist. Aber trotzdem muß das Ziel der Therapie sein, soweit es möglich ist, eine normale Form des Fußgewölbes herzustellen. Gelingt dies, ist am besten der Gefahr des Rezidivs vorgebeugt. Die Knickfußstellung läßt sich dadurch beseitigen, daß man je nach ihrer Stärke Sohle und Absatz durch Anbringung von Lederkeilen erhöht. Wesentlich schwieriger ist die Korrektur des Fußgewölbes. Wenn ein kontrakter Plattfuß besteht, so muß dieser akute Reizzustand zunächst durch strenge Bettruhe von 2 bis 3 Wochen mit Fußbädern, Umschlägen, eventuell sogar mit Ruhigstellung im Gipsverband beseitigt werden. Vorübergehende Lähmung der fibularen Muskelgruppe durch Novokaininjektion in den Nerven kann angezeigt sein. Ist auf diese Weise der Kontraktionszustand beseitigt und der Fuß wieder schmerzlos beweglich geworden, ist in redressiertem Zustand ein Gipsabdruck des Fußes 30*

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zu machen. Nach ihm wird aus Leichtmetall eine Plattfußeinlage geformt, welche die ganze Sohlenfläche bis zu den Mittelfußköpfchen nachbilden und um den äußeren Fußrand herum einen Widerhalt haben muß, der das Abgleiten des Fußes nach außen verhindert. Diese Einlage ist in einem festen Schnürschuh zu tragen. Bei Damen wird diese Verordnung meist nicht ausgeführt werden. Sie ist aber für den Erfolg der Behandlung wichtig. Die Verordnung von fertigen Plattfußeinlagen, die meist aus einem kleinen Stück Leder und Metall bestehen, führt nur selten zum Ziel. Das Tragen elastischer Einlagen (Pneumette oder ähnliche Modelle) ist im Erfolg nicht überlegen. Mit der Anmessung von Plattfußeinlagen ist die Behandlung jedoch keineswegs beendet. Es muß vielmehr das Bestreben des Arztes sein, von diesem stets lästigen Hilfsmittel unabhängig zu werden und die Einlage nur vorübergehend als Heilmittel und nicht für dauernd als Stützapparat zu verwenden. Hierzu bedarf es der Kräftigung der Muskulatur und des Bandapparates durch planmäßige eigentätige Übungen in Verbindung mit Massagen, Bädern und dergleichen. Die an den Knochen bereits vorhandenen Formveränderungen wird man hierdurch naturgemäß nicht beseitigen können. Es sind zahlreiche Übungen angegeben worden. Bewährt haben sich unter anderem die nachfolgenden, welche barfuß mehrmals täglich über Monate hindurch ausgeführt werden müssen. Sie bestehen in einigen Minuten lang ausgeführtem Heben und Senken der Füße im Stehen bei einwärtsgedrehten Fußspitzen und auswärtsgedrehten Fersen. Dazwischen werden im Sitzen Drehbewegungen mit den Füßen sowohl in den Sprunggelenken als auch in den Vorfußgelenken ausgeführt sowie Greifübungen mit den Zehen. Die unblutige Wiederherstellung des Fußgewölbes durch Redression in Narkose mit anschließender längerer Gipsverbandbehandlung (analog der Klumpfußbehandlung) ist nur selten notwendig. Bei paralytischem Knickfuß ist die Verpflanzung der Sehnen des Extensor hallucis auf das Navikulare mit Annähen des peripheren Sehnenteiles auf den Extensor digitorum am Platze. Der Spitzfuß (Pes equinus) (vgl. Abb. 253) wird hervorgerufen durch Uberwiegen der Trizepsmuskulatur des Unterschenkels gegenüber den gelähmten oder geschwächten Streckern. Infolgedessen finden wir ihn nach Kinderlähmung, bei L i 111 e scher Krankheit, auch bei Spina bifida. Bei mangelhafter Pflege während langen Krankenlagers kann der Fuß durch 'Eigenschwere in Spitzfußstellung herabsinken. Aktive Bewegungsübungen auch bei Bettruhe und Anbringen von Fußstützen zum Gegentreten sind bekannte und wirksame Gegenmittel. Auch bei erworbener Beinverkürzung, z. B. nach deform verheilten Frakturen, wird der Fuß zur Verlängerung des Beines unwillkürlich in Spitzfußstellung gebracht, so daß dann nur mit der Fußspitze aufgetreten wird. Die Behandlung ist relativ einfach. Besteht eine Verkürzung der Achillessehne,

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welche die Redression verhindert, so kann sie leicht mittels Z-förmiger Schnittführung plastisch verlängert werden. Der Hackenfuß (Pes calcaneus) kommt häufig angeboren vor. Fast immer besteht die Kombination mit einem Hohlfuß. Im Fußgewölbe befindet sich im C h o p a r t sehen Gelenk eine fast rechtwinklige Abknickung, so daß der Kalkaneus sich steil fast in die Richtung der Achse des Unterschenkels

Normaler F u ß

Holilfuß

mittelstarker P l a t t f u ß

starker 1'lattfuU

A b b . 2 5 4 — 2 5 8 . S o h l e n a b d r ü c k e rechtförmiger und fehlförmiger F ü ß e

stellt. Hervorgerufen wird der Zustand durch Lähmung des Trizeps mit Uberwiegen der kurzen Plantarmuskeln. Die Behandlung hat in einer Verkürzung der Achillessehne verbunden mit Redression der Fehlform des Fußes zu bestehen. Auch Keilresektionen aus dem Kalkaneus kommen in Frage. Der Hohlfuß (Pes e x c a v a t u s ) stellt die leichteste Fußdeformität dar. In geringen Graden ist er ziemlich häufig, bei bestehender Spina bifida wird er besonders oft gefunden. Die meisten Leute mit Hohlfuß sind völlig beschwerdefrei, wenn sie passendes Schuhwerk, Spitzfuß welches auf den vorhandenen hohen Spann Rücksicht nimmt, tragen. Einlagen sind nicht immer notwendig. Nur wenn ein Spreizfuß und besonders Hammerzehen sich ausbilden, sind diese die Ursachen der Beschwerden. Eine Redression des Hohlfußes dürfte nur in besonders schweren Fällen angezeigt sein. Der Kalkaneussporn ist häufig die Ursache eines Fußsohlenschmerzes, der bei genauer Untersuchung auf einen pfenniggroßen Bezirk an der Fußsohle

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lokalisiert ist, von dort aber bei der Belastung auch ausstrahlen kann. Derartige Kranke werden häufig zuerst mit Spreizfuß- und Plattfußeinlagen erfolglos behandelt, bis eine genaue Untersuchung mit Röntgenaufnahme die wahre Natur des Leidens erkennen läßt. Die Behandlung erfolgt zunächst durch Verordnung von Einlagen mit Schwammgummi, durch welche die betreffende Fußsohlenstelle von der Belastung ausgeschaltet wird. Auch Alkoholinjektionen oder Clauden-Einspritzungen an den Kalkaneussporn können nützlich sein. Versagen diese Behandlungsarten, ist von einem seitlichen Schnitt (nie durch die Fußsohle hindurch) aus der Sporn abzumeißeln und zusammen mit dem unter ihm liegenden Schleimbeutel zu entfernen. Die Malazie des Kahnbeines, mitunter auch als K ö h l e r sehe Krankheit bezeichnet, besteht in einer aus noch nicht sicher bekannten Ursachen sich entwikkelnden aseptischen Nekrose des Knochens. Die Erkrankung tritt vorzugsweise bei Kindern auf .Dieselben klagen über A b b . 259. K a l k a n e u s s p o r n Schmerzen im Fuß, welche sehr häufig als Plattfußbeschwerden gedeutet werden. Daneben finden wir aber stets eine sehr ausgesprochene örtliche Druckempfindlichkeit am Navikulare, die allerdings im Laufe der weiteren Entwicklung nachzulassen pflegt, eine leichte Schwellung in der Gegend des Kahnbeines, erhöhte Hauttemperatur dortselbst. Das Röntgenbild zeigt im Anfangsstadium eine auffallende Strukturverdichtung. Die Behandlung besteht im akuten Zustand in Bettruhe, Verabreichung von Lebertranpräparaten, Vigantol, vitaminreicher Nahrung. Bis zur völligen Ausheilung, die sich über Jahre hin erstrecken kann und deren Verlauf in 4—6 monatigem Abstand im Röntgenbild zu kontrollieren ist, muß das Fußgewölbe durch Tragen von Einlagen am Einsinken gehindert werden. Bei Nichtbehandlung kommt es zu einer schweren Deformität des Kahnbeines mit sekundärer Formveränderung des Fußskeletts. Die Malazie der Köpfchen der Mittelfußknochen, welche ebenfalls den Namen der K ö h l e r sehen Erkrankung führt, beruht in einer aseptischen Nekrose der Epiphysen der Mittelfußköpfchen. Meist sind der 2. und 3. Mittelfußknochen befallen. In den Jahren vor der Pubertät klagen die Kranken über Schmerzen im Vorfuß, dessen Quergewölbe eingesunken zu sein pflegt. Die entsprechenden Mittelfußköpfchen sind besonders von der Fußsohle her örtlich druckempfindlich, der Gang ist hinkend. Im Röntgenbild sieht man Aufhellungsherde in den Mittelfußköpfchen, die sequesterähnliche Verdichtungen enthalten können. Im weiteren Verlauf bildet sich eine Arthrosis deformans im Zehengrundgelenk aus. Die Behandlung besteht in der im vorigen Abschnitt be-

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schriebenen Allgemeinbehandlung und der Stützung des Quergewölbes des Fußes durch entsprechende Einlagen. Insufiizienzerkrankungen der Mittelfußknochen sind seit langem bekannt, aber zu verschiedenen Zeiten verschieden gewertet worden. Sie können sich in allen p Mittelfußknochen ausbilden, be>M i ^ sonders häufig treten sie an den Diaphysen des 2.und 3.Metatarsus auf. Vor dem Weltkrieg kannte der Militärarzt die „Marschfrak¿W"4 - »" * t u r " des Soldaten und legte . die Betonung auf Fraktur. Auch heute kennen wir dasselbe Krank|f W ä E B S r ' heitsbild. Nur wissen wir, daß 1 " • *.*•!! ;; das Primäre eine Überlastung des / fe% I I I 1 1 | | ^S'* Knochens mit „Umbauzonen" in Wm S i l . itp- \ ihm und reaktiver periostaler ¿M | H ^ B J ^ ^ B L Auflagerung ist und daß GeRH 9 ^^B webstrennungen, die auf dem Röntgenbild als Frakturen imP. g S M ponieren, wohl auftreten können, ? ^ßaber keineswegs müssen. Ähnliche s! -'"f^ Erscheinungen beobachten wir St»»^ auch an anderen Knochen des Skeletts. • Die klinischen ErscheinunAbb 260. Ü b e r l a s t u n g s s c h a d e n des 2. Mittelfußknochens gen bestehen in Schmerzen beim Auftreten. Es bildet sich eine tastbare Anschwellung an den betroffenen Knochen mit begleitendem Ödem der Weichteile, also das, was man früher nicht sehr glücklich die „Fußgeschwulst" nannte. Dieses akute Stadium ist mit strenger Bettruhe und Fußbädern zu behandeln. Ist es abgeklungen, sind Einlagen nach Abdruck, die besonders die Stützung des Quergewölbes zum Ziele haben, zu verordnen. Unter Hallux valgus verstehen wir eine Stellung der Großzehe in Abduktion bis zum rechten Winkel, so daß sich die Großzehe über oder unter die A b b . 261. H a l l u x valgus m i t H a m m e r z e h e n übrigen Zehen verlagern kann. Infolgedessen tritt das Köpfchen des 1. Mittelfußknochens stark nach der Innenseite vor. An der so geschaffenen Druckstelle bilden sich Schleimbeutel, welche

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zu chronischer und akuter Entzündung neigen, sowie Hornschwielen und Hühneraugen. Im Zehengrundgelenk, welches subluxiert ist, entwickelt sich eine deformierende Arthrose mit Knorpeldefekten und Randwülsten, die sehr gut tastbar sind. ü Das Tragen zu engen und zu spitzen Schuhwerks, wie es in früheren Zeiten von der Mode gefordert wurde, begünstigt natürlich die Ausbildung dieser Formabweichung, welche auch häufig in Kombination mit dem Plattfuß und Spreizfuß vorkommt. Wir wissen aber, daß auch ohne den Einfluß unzweckmäßigen Schuhwerks die Deformität durch eine Formabweichung des Kuneiforme I und dadurch bedingte Achsenverschiebung des 1. Mittelfußknochens eingeleitet werden kann. Ist erst einmal eine Winkelstellung zwischen Großzehe und Metatarsus. entstanden, bewirken Schuhdruck und Sehnenzug eine Zunahme der Fehlstellung. In der Behandlung können konservative Methoden wie das Tragen zweckmäßigen Schuhwerks, Keileinlagen zwischen 1. und 2. Zehe und dergleichen eigentlich nur vorbeugend wirken. Die einmal ausgebildete Fehlstellung ist nur durch operative Methoden zu beheben. Zahlreiche Verfahren sind angegeben worden. Die Abmeißelung der Exostose am inneren Fußrand mit und ohne Sehnenverpflanzung ist nicht ausreichend. Besser sind keilförmige Resektionen aus dem Mittelfuß nahe dem Köpfchen, verbunden mit Sehnenverpflanzungen. Unter Hammerzehe verstehen wir eine Beugekontraktur im ersten Zehengelenk, die wir vorwiegend an der 2. Zehe, aber auch (bei Lähmungen) an allen Zehen finden. Die Kombination mit einem Hallux valgus ist häufig. Das Tragen zu kurzer und zu enger Schuhe von Kindern und Erwachsenen ist die Hauptursache für die Ausbildung dieser Fehlstellung. An dem Zehenrücken und an der Zehenbeere dicht am Fußnagel bilden sich Hühneraugen, welche sehr schmerzhaft zu sein pflegen und zur Gangbehinderung führen. Konservative Behandlung etwa durch Tragen von Sandalen mit korrigierenden Lederspangen hat nur bei Frühfällen Aussicht auf Erfolg. Bei ausgebildeten Hammerzehen ist ihre Exartikulation im Grundgelenk von einem dorsalen Schnitt aus das einzige empfehlenswerte Verfahren, welches schlagartig alle Beschwerden beseitigt. Alle plastischen Operationen sind zu unterlassen. Gelegentlich kommt eine Formabweichung der 5. Zehe in die Varus-Stellung vor. Die Entstehung und die Beschwerden sind ähnlich, wie beim Hallux valgus beschrieben, letztere in ihrer Intensität meist geringer. Zur Behandlung stärkerer Formen eignet sich vor allem die teilweise Abmeißelung des Köpfchens des Matatarsus V. Die Arthrose der Großzehengrundgelenke ist beim Erwachsenen ein sehr schmerzhaftes Leiden, welches sich meist im Gefolge von Plattspreizfüßen findet. Jede Bewegung im Gelenk verursacht Schmerzen. Die Dorsalflexion ist deutlich eingeschränkt, eine Beobachtung, welche dem Leiden die Bezeichnung Hallux rigidus eingetragen hat. Durch Betastung und auf dem Röntgenbild kann man für das kleine Gelenk ziemlich starke Randwülste, besonders auf der Streckseite, nachweisen. Der Ablauf des Leidens ist recht charakteristisch. Zunächst besteht eine reflektorische Beugebehinderung des Gelenks. Sie führt zu einer bleibenden Kapselschrumpfung auch im plantaren Gelenkanteil. Hierzu kommen Knorpelveränderungen im Gelenk selbst und reaktive Knochenwucherungen im subchondralen Gebiet wechselnden Grades. Wenn Wärmebehandlung ohne wesentlichen Erfolg geblieben ist, rate ich zur Ausführung einer teilweisen Resektion des Gelenkes, deren Erfolgsaussichten in jeder Beziehung sehr gut sind.

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Kontrakturen Man versteht unter einer Kontraktur die Fixierung des Gelenkes in einer anormalen Stellung. Die Ursache hierfür liegt nur in den seltensten Fällen im Gelenk, sondern meist in den umgebenden Geweben. Hiernach unterscheidet man auch die einzelnen Formen. Die dermatogenen Kontrakturen, d. h. die von der Haut ausgehenden, finden sich nach Abheilung von mit Substanzdefekt einhergehenden Entzündungen der Körperbedeckung. Man muß sich aber darüber klar sein, daß nicht das Epithelgewebe, sondern der bindegewebige Anteil der Narbe die Ursache des schrumpfenden Narbenzuges ist. Am häufigsten finden wir sie nach Verbrennungen größerer Hautabschnitte. Aus dieser Tatsache ergibt sich, daß das klinische Bild äußerst wechselnd je nach Sitz und Größe des Defektes sein muß. Am häufigsten sind befallen die Halsgegend, die Achselhöhle, die Ellenbeuge und die Hand. Der Grad der Kontrakturstellung ist verschieden und kann bis zur praktischen Funktionsuntüchtigkeit der Extremität gehen. An der Beugeseite der Gelenke bildet sich oft flächenförmig eine schwimmhautähnliche Narbenplatte, welche man häufig als „Flügelfell" bezeichnet. Ausbildung von schwer heilenden Schrunden und Narbengeschwüren kommt oft vor. Die Behandlung hat nicht A b b . 262. K n i e k o n t r a k t u r d u r c h V e r b r e n n u n g s erst einzusetzen, wenn die narbe Kontraktur ausgebildet ist, sondern sie hat zu beginnen, wenn die Wunden noch im Granulationsstadium sich befinden. Frühzeitige Förderung der Epithelisierung durch freie Hautverpflanzung nach T h i e r s e h, R e v e r d i n oder B r a u n wirkt der Ausbildung der Kontraktur entgegen. Durch geschickte Verbandanordnung kann man die Gelenke in der gewünschten Stellung halten. Die Beseitigung einmal vorhandener Kontrakturen erfordert restlose operative Entfernung aller spannenden Narbenmassen und Deckung des so gesetzten Defektes durch Transplantation gestielter Haut-Fett-Lappen. Umfangreiche Plastiken, die häufig in mehreren Sitzungen und Etappen ausgeführt werden müssen, sind hierzu notwendig. Ein typisches Beispiel für desmogene und tendogene Kontrakturen ist die häufige Beugekontraktur der Finger nach Panaritium. Man behandelt sie am besten durch eine von M o r e s t i n angegebene sägeförmige Schnittführung

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(vgl. Abb. 263—265). Durch sie kann eine Hauttransplantation meist vermieden werden. Die möglichst weitgehende Exzision tiefer gelegener Narbenteile sollte trotzdem nicht unterlassen werden. Zweck hat eine solche Plastik aber nur, wenn die Beugesehne des Fingers funktionstüchtig erhalten geblieben ist. Konservative Behandlungsmethoden in Form von längere Zeit durchgeführter Dehnungsbehandlung verbunden mit Bädern, Massage u. dergl. haben nur bei kurze Zeit bestehenden bindegewebigen Kontrakturen ganz geringen Grades Aussicht auf Erfolg. Die Injektion sogenannter „narbenlösender Mittel" zeitigt keine befriedigenden Dauererfolge. Tendogene Kontrakturen entwickeln sich beispielsweise, wenn bei einer Verletzung Sehnen durchtrennt und nicht wieder durch Naht vereinigt worden

Abb. 263

Abb. 264 Abb. 263—265. M o r e s t i n - P l a s t i k

Abb. 265

sind. Dann gewinnen die Antagonisten das Übergewicht und ziehen das Gelenk in die entsprechende Kontrakturstellung. Die Behandlung besteht naturgemäß in der Ausführung der sekundären Sehnennaht, evtl. einer Sehnenplastik. Ein typisches Krankheitsbild stellt die sogenannte Dupuytren sehe Kontraktur dar (Abb. 266). Sie beruht darauf, daß im Bereich der Fascia palmaris der Hohlhand das Gewebe zu wuchern beginnt und dabei gleichzeitig schrumpft. Der Grund hierfür ist unbekannt. Angeschuldigt sind Erblichkeit, chronische geringe Berufstraumen, trophoneurotische Störungen. Die histologische Untersuchung zeigt ein straffes, zellarmes Bindegewebe teilweise mit nestförmigen Rundzelleinlagerungen ohne sonstige Besonderheiten. Auffallend, aber ebenfalls unerklärt ist der völlige Schwund des subkutanen Fettgewebes im Bereich der Kontraktur, so daß die Aponeurose mit der H a u t verwächst. Am ersten befallen ist meist der 4. Finger, dann greift das Leiden auf die benachbarten Finger über. Doppelseitigkeit wird oft beobachtet, jedoch pflegt die Hand der einen Körperseite stärker befallen zu sein als die der anderen. Bei Frauen ist der Zustand ausgesprochen selten.

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Das klinische Bild besteht darin, daß der Finger zunächst in leichte Beugekontraktur geht. Der Grad der Beugestellung nimmt langsam, aber unaufhörlich zu. Gleichzeitig ist in der Hohlhand der mit der Haut verwachsene, dicke Bindegewebsstrang zu fühlen. Im Laufe der Jahre kann die Kontraktur so hochgradig werden, daß der 3.—5. Finger völlig in die Hohlhand eingeschlagen stehen. Die Behandlung besteht in einer radikalen Entfernung der krankhaft veränderten Palmarfaszie. Je frühzeitiger diese ausgeführt wird, desto besser sind die Heilungsergebnisse. Wenn die Finger schon jahrelang in Beugestellung gestanden haben, gelingt es häufig nicht mehr, sie vollkommen zu strecken, auch wenn die schrumpfenden Bindegewebsstränge, welche die Kontraktur hervorriefen, restlos beseitigt wurden. Dies liegt daran, daß sich inzwischen die Gelenke, besonders auch in ihrem Kapselanteil, der Beugestellung angepaßt haben. In derartigen Fällen ist die Exartikulation des Fingers nicht zu umgehen. Zweckmäßigerweise wird der Finger unter Erhaltung der Haut ausgehülst. Der so gewonnene Hautlappen wird dazu verwandt, den Defekt in der Hohlhand zu decken, welcher dadurch entstanden ist, daß die mit der Haut manchmal in sehr großem Umfang verwachsene Palmaraponeurose radikal exstirpiert wurde. Die mitunter noch empfohlene Abb. 266. Dupuy trensche Fingerkontraktur multiple subkutane Diszision der Palmaraponeurose ist nicht ratsam. Sie kann höchstens sehr vorübergehende Besserungen bringen, muß aber zwangsläufig bald zum Rezidiv führen. Rein konservative Behandlungsmaßnahmen haben keine Erfolgsaussicht. Myogene Kontrakturen entstehen, wenn ein Gelenk aus irgendeinem Grunde längere Zeit in einer abnormen Stellung gestanden hat. Dann verkürzen sich die Muskeln mit ihren Faszien und dem Gleitapparat. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Adduktionskontraktur der Schulter besonders älterer Leute nach Traumen, die in anderem Zusammenhang besprochen werden wird. Weiterhin gehören hierhin auch die schon erwähnte Spitzfußstellung durch den Druck der Bettdecke bei längerem Krankenlager, die Kontrakturen im Hüftgelenk nach Amputation durch die leider immer noch geübte Unterstützung des Stumpfes mit einem Kissen. Die Verhütung ist wesentlich wichtiger als die Behandlung. Ist die Kontraktur einmal entstanden, vermögen nur energische eigentätige Bewegungsübungen verbunden mit passiven Dehnungsübungen, evtl. unblutiger Mobilisierung im Rausch zum Ziel zu führen. In Sonderfällen sind operative Sehnenverlängerungen notwendig.

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Auch primäre Erkrankungen eines Muskels können durch Schrumpfung seiner Substanz Anlaß zu Kontrakturen sein. Vorübergehend führt der Rheumatismus zu derartigen Zwangshaltungen. Entzündungsprozesse in der Nachbarschaft eines Muskels pflegen ihn zur Zusammenziehung zu reizen und damit zu einer Kontraktur zu führen. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Beugekontraktur des Hüftgelenkes durch Zug des Musculus ilio-psoas, wenn ein tuberkulöser Senkungsabszeß an ihm entlang nach abwärts gleitet. Phlegmonen des Muskels, abgeheilte Gummen in ihm können ebenfalls schrumpfende Narben mit ihren Folgen hinterlassen. Eine besondere Form stellt die sogenannte ischämische Muskelkontraktur dar. Wir beobachten sie vorwiegend am Vorderarm bei Frakturen dicht ober-

A b b . 267. I s c h ä m i s c h e

Muskelkontraktur

halb des Ellenbogengelenkes. Sie entsteht auf dem Boden einer primären, arteriellen Ischämie. Diese bedingt eine Muskelschädigung durch Ernährungsstörung. Daneben treten auch Paresen und Lähmungen des vegetativen Nervensystems wie auch der großen motorischen und sensiblen Nervenstämme ein. Lange Zeit hat man den Grund für das Entstehen dieser Ischämie allein in zu engen und schnürenden Verbänden gesehen. Dies ist ganz sicher nicht richtig, denn es sind hinreichend Fälle bekannt, in denen die Erscheinungen auftraten, ohne daß irgendein Verband angelegt worden war. Trotzdem bleiben zu enge Verbände die Hauptursache, oder sie begünstigen die Blutumlaufstörungen. Dieselbe Wirkung können große Blutergüsse in der Ellenbeuge unter der dort sehr straffen Faszie sowie der Druck von dislozierten Frakturenden (meist suprakondyläre Humerusfraktur) haben. Auch direkte Verletzungen der Arteria brachialis kommen als Ursache in Frage. Nicht an Nervenendgebiete gebundene einzelne Muskeln und Muskelgruppen fallen aus, vorwiegend solche der Streckmuskulatur. Die elektrische Erregbarkeit der Muskeln ist geschwunden bei häufig intakter Sensibilität des betreffenden Nervengebietes. Gleichzeitig sind Schädigungen des vegetativen Nervensystems und troph sehe Störungen der Haut vorhanden. Im späteren Verlauf zerfällt in wechselndem Umfang die kontraktile Muskelsubstanz und bildet sich bindegewebig um. Dadurch kommt es zu einer Kontraktur der Hand und Fingergelenke meist in Beugestellung. Die Verhütung der Ausbildung einer solchen Kontraktur ist sehr wichtig. Bei Verletzungen in der Gegend des Ellenbogengelenkes ist das Anlegen von

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zirkulären Gipsverbänden zu unterlassen. Werden bei Verbänden Druckschmerzen geäußert oder lassen sich Störungen im Arm (leicht bläuliche Finger) nachweisen, dann ist der Verband sofort rücksichtslos zu entfernen. Große Hämatome über dem Ellenbogen sollten punktiert oder unter strengster Asepsis operativ ausgeräumt werden, ein Eingriff, bei dem man in geeigneten Fällen auch die operative Osteosynthese einer vorhandenen Fraktur ausführen kann. Alle Maßnahmen müssen schnell getroifen werden, denn Stunden können das Schicksal des Armes entscheiden. Langdauernde Behandlung der einmal bestehenden Muskellähmungen mit rhythmischem elektrischem Strom (Tonisator) ist ratsam und f ü h r t häufig auch zum Ziel. In abgeheilten Fällen, wenn eine Kontraktur sich ausgebildet hat, ist es möglich, die Funktion der Hand durch Sehnenverlängerungen, Resektionen aus den Vorderarmknochen, Resektion einer oder beider Reihen der Handwurzelknochen zu verbessern. Jedoch ist nicht zu erwarten, daß man eine volle Funktionsfähigkeit wiederherstellen kann. Neurogene Kontrakturen treten in verschiedenen Formen auf. Reflektorische Kontrakturen werden durch einen entzündlichen Reiz hervorgerufen. Beispiele sind die Spannung der Bauchmuskulatur bei Peritonitis oder Zwangshaltung der Gelenke bei Gelenkempyemen. Die Unterscheidung von muskulären Kontrakturen ist nicht immer möglich. Spastische Kontrakturen werden beobachtet bei krankhaften Prozessen im Gehirn (Tumoren, Blutungen, Geburtstrauma), Meningitis, spastischer Spinalparalyse, L i 111 e scher Krankheit. Meist entwickeln sich Flexions-Adduktionskontrakturen. Als Behandlung können Sehnenverlängerungen in Frage kommen. Paralytische Kontrakturen sind vorwiegend die Folge einer spinalen Kinderlähmung. Meist entstehen Schlottergelenke mit Subluxationen. Durch Muskelverpflanzung sowie Bildung künstlicher Sehnen (Sehnenverlängerungen, Arthrodesen) und lang durchgeführte Behandlung mit Bädern, Elektrisieren, Massagen, gymnastischen Übungen kann man oft erstaunliche Behandlungsergebnisse erzielen. Arthrogene Kontrakturen pflegen sich auf Grund der nach Gelenkentzündungen oder Gelenkfrakturen zurückbleibenden Versteifungen zu entwickeln, und zwar dadurch, daß entweder die Gelenkflächen knöchern verheilen oder der Gelenkspalt durch Bindegewebe ausgefüllt wird oder die Gelenkkapsel sehr stark schrumpft und auf diese Weise die Gelenkbeweglichkeit verhindert. In den beiden letzten Fällen sind konservative Methoden wie Bewegungsübungen, Quengelverbände, auch gewaltsame Mobilisierung im Rausch ausführbar. War ein entzündlicher Vorgang die Ursache der Kontraktur, kann durch diese Behandlung der Entzündungsprozeß akut zum Aufflackern gebracht werden. Vorsicht ist also geboten. Erhebliche Fehlstellungen der Gelenke können besonders durch extraartikuläre Osteotomien gebessert werden. Auch Gelenkplastiken mit dem Ziele der Wiederbeweglichmachung des Gelenkes sind ausführbar. Am Arm leisten sie Befriedigendes, am Bein muß man sich stets vor Augen halten, daß ein in günstiger Stellung versteiftes Gelenk, welches die Standfestigkeit des Beines nicht beeinträchtigt, günstiger ist als ein bewegliches Schlottergelenk, das nicht sicher belastungsfähig ist.

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Verletzungen der Weichteile der Gliedmaßen Allgemeines über Verletzungen In der Beurteilung der Entstehungsweise von Verletzungen und damit in der Definition dieses Begriffes vollzieht sich augenblicklich ein Wandel. Während man früher fast ausschließlich ein einmaliges, relativ großes Trauma für die Entstehung von Gewebstrennungen verantwortlich machte, haben wir besonders in den beiden letzten Jahrzehnten gelernt, daß auch kleinste, im einzelnen kaum wahrnehmbare Gewalten, wenn sie nur lange genug einwirken, ebenfalls zu Gewebstrennungen führen können. Die Beobachtung, welche der Techniker bei der „Ermüdung des Materials" machte, wenn z. B. plötzlich eine Schiffswelle ohne äußerlich ersichtlichen Grund zu Bruch ging, haben unser Verständnis bei ähnlichen Vorgängen in menschlichen Geweben sehr erleichtert. Aber es muß darauf hingewiesen werden, daß zwischen totem Material und lebenden Geweben ein grundsätzlicher Unterschied des Verhaltens gegenüber chronischen Traumen besteht. Die im toten Werkstoff bei chronischer gleichförmiger Beanspruchung auftretenden „Schubebenen" summieren sich einfach so lange, bis die Gewebstrennung eintritt. Beim lebenden Material, beispielsweise dem Knochen oder der Sehne, reagiert der Körper auf die kleinste einsetzende Schädigung mit Regenerationsvorgängen, welche in der größten Zahl der Fälle die Schäden ausbessern, bevor sie wirksam werden können. Nur wenn die Reparation mit der Schädigung nicht Schritt halten kann, kommt es zur Gewebstrennung. Aber dann finden wir immer neben den Zeichen der Degeneration auch solche der Regeneration. Wenn diese neuen Erkenntnisse auch für die Auffassung des krankhaften Geschehens bei Verletzungen sehr wichtig sind, so spielen sie doch rein zahlenmäßig eine untergeordnete Rolle gegenüber den ungleich häufigeren akuten Verletzungen durch ein einmaliges Trauma. Ihnen muß für die Besprechung der sehr viel größere Raum zugeteilt werden. Man unterscheidet in gedanklicher und praktischer Hinsicht subkutane und perforierende Verletzungen, die beide auf die mannigfaltigste Weise hervorgerufen sein können und sehr häufig kombiniert vorkommen. So kann man beispielsweise unterscheiden zwischen Quetschungen, Zerrungen, Zerreißungen, Schnittwunden durch scharfe Instrumente, Platzwunden, Stichwunden, Schußwunden. Auch andere Unterteilungen können gemacht werden, besonders in der Hinsicht, welche Gewebe von der Verletzung betroffen wurden.

Verletzungen der Körperbedeckungen In diesem Abschnitt könnten die gesamte Physiologie und Pathologie der Wunde und ihre Heilung besprochen werden. Jedoch gehört dies in den Bereich der allgemeinen Chirurgie, so daß hier nur in großen Zügen das praktisch Wichtigste abgehandelt werden soll. Ausschlaggebend für den Verlauf einer Verletzung sind neben der mehr oder weniger guten Reaktionsbereitschaft des Gesamtkörpers (Fehlen oder Vorhandensein konsumierender Allgemeinerkrankungen, Ernährungslage, Zustand des Kreislaufs u. a.) drei Dinge, nämlich: 1. ob neben Haut- und Unter-

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hautzellgewebe noch andere Gewebe, Organe oder Körperhöhlen mit verletzt worden sind, 2. wie viele und welche krank machenden Bakterien in die Wunde gelangt sind und 3. in welchem Zeitraum nach der Verletzung dem Menschen sachgemäße Behandlung zuteil wurde. Daher muß der Arzt bei jeder Wunde feststellen, ob Muskeln, Sehnen, große Gefäße und Nervenstämme, Knochen, Schleimbeutel oder Gelenkhöhlen mitverletzt worden sind. Einfache Funktionsprüfungen werden uns über die Mitverletzung von Sehnen, Gefäßen und Nerven aufklären. Daneben ist es aber notwendig, daß sowohl zum Zwecke genauer Diagnostik als auch für die Therapie die Wundränder mit scharfen Haken oder anderen geeigneten Instrumenten auseinander genommen und durch zartes Austupfen der Blutgerinnsel alle Buchten der Betrachtung zugänglich gemacht werden, damit man jede Nebenverletzung erkennen kann. Uber den Grad der Verschmutzung der Wunde im bakteriologischen Sinne können wir uns kein sicheres Bild machen. Die Betrachtung bei der Wundversorgung sowie die Ermittlung des die Wunde verursachenden Gegenstandes können gewisse Anhaltspunkte geben. Für die Behandlung der Wunde ist von grundlegender Bedeutung die von F r i e d r i c h gefundene Tatsache, daß die bei Gelegenheitswunden in den Körper eingebrachten Bakterien etwa 6—8 Stunden in der Wunde selbst liegen bleiben und erst nach diesem Zeitraum den Vormarsch in die Tiefe der Gewebe antreten. Hieraus ergeben sich klar die Forderungen einer sachgemäßen Wundbehandlung. Wenn der Verletzte in den ersten 6—8 Stunden zum Arzt kommt, so hat dieser in zweckmäßiger Betäubung (meist lokaler Anästhesie evtl. Narkose) die gesamte Wundfläche mit aseptischen Instrumenten etwa 2—3 mm von ihrem Rand entfernt im Gesunden zu exstirpieren. Auf diese Weise kann man das bei der Wundentstehung gequetschte Gewebe zusammen mit den eingedrungenen Bakterien aus dem Körper entfernen. Man hat also aus der infizierten Gelegenheitswunde eine aseptische Wunde (wie bei einer Operation) gemacht, die man dann auch lückenlos durch Naht schließen kann. Eine andere Methode, etwa durch chemische Mittel, die Keimfreiheit der Gelegenheitswunde zu erzielen, gibt es nicht, obwohl eine ungeheuer große Mühe auf die Erfindung und Erprobung derartiger Präparate verwandt worden ist. Bevor ein chemisches Mittel Bakterien in einer Wunde abtötet, erzeugt es Gewebsnekrosen und schädigt die natürlichen Abwehrkräfte des Körpers mehr, als es durch die Abtötung der Bakterien nützt. Und es muß gerade überragendes Ziel des Heilplans bei der Wundbehandlung sein, den Körper in seinem Kampf gegen die eingedrungenen Schädlinge und in seinen Bemühungen um die Schließung des durch die Wunde gesetzten Defektes zu unterstützen. Die Wundexzision nach Friedrich erfüllt beide Forderungen in idealer Weise; nämlich der Schnitt mit dem scharfen Messer setzt so gut wie gar keine Gewebsnekrosen, gleichzeitig werden alle eingedrungenen Bakterien entfernt, und schließlich wird durch die Naht die Wundhöhle zu einem minimalen Spalt verringert. Leider ist diese Idealmethode in der Praxis nicht immer anwendbar, denn wenn beispielsweise in der Tiefe der Wunde ein Knochen freiliegt, eine Gelenkhöhle eröffnet ist oder große Gefäße und Nerven durch die Wunde hindurchziehen, so wird es niemandem einfallen, des Prinzips wegen etwa eine Gefäßund Nervenresektion auszuführen. In einem solchen Falle wird man sich darauf beschränken, die gequetschten und verschmutzten Wundränder, soweit dies

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nach ihrem geweblichen Aufbau möglich ist, zu exstirpieren und die anderen, nicht angreifbaren Gewebsteile mechanisch (Betupfen mit feuchten Tupfern, Einträufeln von Wasserstoffsuperoxyd u. a.) von den ihnen anhaftenden Verschmutzungen zu befreien. Es ist selbstverständlich, daß man alle in die Wunde eingedrungenen Fremdkörper aus ihr entfernt. Ob man daneben durch Einbringen chemischer Mittel in die Wunde eine „Wundantisepsis" treiben will, ist Geschmackssache. Ich persönlich halte sie nicht für notwendig. Die Frage, ob eine so behandelte Wunde zugenäht werden darf oder nicht, hängt von ihrer Art ab. Meist wird man Situationsnähte anbringen und durch Einlegen von Drains oder lockeren Gazestreifen für den Abfluß des Wundsekrets aus den Wundhöhlen sorgen. Bei Bißwunden jederArt ist die Naht zu unterlassen, man kann die Wundränder durch auf die Haut geklebte Heftpflasterstreifen einander nähern. Die Ausführung einer Wundnaht oder des Klammerns der Wunde ohne Wundexzision und ohne eingehende Besichtigung der Tiefe, wie es leider heute immer noch ausgeführt wird, ist ein grober Fehler. Nur in ganz seltenen Fällen darf man glatte, von sauberen scharfen Instrumenten erzeugte, nicht verschmutzte Schnittwunden locker nähen, ohne sie vorher exzidiert zu haben. Bei der Überwachung ihres Heilverlaufes ist dann aber besondere Sorgfalt notwendig. Besteht die Gefahr, daß Erreger des Tetanus in der Wunde zurückgeblieben sind, ist sofort die Injektion von Tetanusschutzserum auszuführen. Wenn auf diese Weise die Wunde selbst behandelt ist, muß man dem Körper Ruhe gönnen, um sie heilen zu lassen, d. h. man muß tunlichst jede Bewegung der Wunde und ihrer Umgebung ausschalten. An den Gliedmaßen wird dies am besten erreicht durch Anwendung eines Schienenverbandes, der so angelegt sein muß, daß man die Wunde und ihre Umgebung kontrollieren kann, ohne die Schiene abwickeln zu müssen. Im übrigen ist der Wechsel des Wundverbandes selbst möglichst zu beschränken. Je seltener er vorgenommen wird, desto besser ist es. Durch regelmäßiges Messen der Körpertemperatur sowie durch die Angaben des Verletzten über die Beschwerden in der Wunde (Stärke und Charakter der Schmerzen [Klopfen in der Wunde!], Allgemeinbefinden) kann man sich auch ohne häufigen Verbandwechsel ein Bild vom Heilverlauf machen. Am 7. Tage pflegt man die Nähte zu entfernen. Infiziert sich die Wunde, so hat dieses ganz oder teilweise vorher zu geschehen, die Wunde ist dann zu drainieren. Wenn nun der Verletzte jenseits der Achtstundengrenze erst in ärztliche Behandlung kommt oder wenn die Wunden so ausgedehnt sind, daß man sie nicht der vorstehend als Normalziel geschilderten Behandlung unterwerfen kann, sind andere Verfahren anzuwenden. Auch in diesem Falle wird man grob gequetschte Gewebsteile, die dem Untergang geweiht sind, abtragen. Eingedrungene Schmutzteile und Fremdkörper sind aus der Wunde zu entfernen. Wundhöhlen sind zur Ermöglichung des Sekretabflusses zu drainieren, gegebenenfalls kommen Gegeninzisionen an ihrem tiefsten Punkt in Frage. Jede Naht ist zu unterlassen. Man kann die Wunde mit Verbandstoffen bedecken, welche mit Salben getränkt sind. In letzter Zeit hat sich der Lebertran besonderer Beliebtheit erfreut. Die Ruhigstellung des verletzten Gliedes ist von ganz besonderer Wichtigkeit. Schienenverbände sind so lange anzuwenden, bis die Infektionsgefahr nach menschlichem Ermessen gebannt ist. Dabei ist ein Vorteil, wenn man gelegentlich den Wundverband wechseln kann, ohne die Schiene abnehmen zu müssen.

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Dieses Verfahren erscheint mir wesentlich besser als die empfohlene Bedeckung der Wunde mit Lebertran und Anlegung eines zirkulären Gipsverbandes an der Extremität auch über der Wunde. In neuer Zeit spielt die Behandlung der Wunde mit Sulfonamidpräparaten oder antibiotischen Mitteln mit dem Ziele der Verhütung oder der Verminderung der Wundinfektion eine zunehmende Rolle. Die Wirkung wird meist überschätzt. Das Wichtigste ist und bleibt die chirurgisch einwandfreie Herrichtung der Wunde. Die Chemotherapie zur Behandlung der Wundinfektion ist allgemein verlassen und durch die Antibiotika ersetzt worden. Das Ziel dieser Therapie ist, durch einen genügend hohen Blutspiegel eines antibiotischen Mittels das Bakterienwachstum zu hemmen. Im allgemeinen dürfte die intramuskuläre Injektion von 2mal täglich 400 000 I. E. Depot-Penicillin ausreichend sein. Wenn die Infektion beherrscht ist und die Wunde sich im Stadium der Granulation befindet, kann die Schienung vorübergehend, später vollkommen fortgelassen werden. Die Bewegung der verletzten Glieder schadet dann nichts mehr, ist vielmehr nützlich. Entstandene Epitheldefekte sind frühzeitig durch Hauttransplantation zu decken. Von den subkutanen Verletzungen ist eine besonders charakteristisch und verdient der Erwähnung. Wenn eine Gewalt tangential die Haut trifft, so kann dieselbe in großem Umfang mitsamt dem Unterhautfettgewebe von der Faszie getrennt werden. Am Oberschenkel und dem Gesäß kommt dieses vorwiegend vor. Es besteht dann eine flächenhafte Wunde zwischen Unterhautzellgewebe und Faszie, die mit der Außenwelt nicht in Verbindung steht. Man bezeichnet den Zustand mit dem alten Ausdruck Décollement traumatique; das deutsche Wort „Abwälzung" hat sich noch nicht eingebürgert. In der Wundhöhle sammeln sich Blut und Lymphe, so daß man klinisch neben einer starken Verschieblichkeit des betreffenden Hautbezirkes in tangentialer Richtung eine schwappende Flüssigkeitsansammlung feststellen kann. Diese Ansammlung von Gewebsflüssigkeit, die zunächst sanguinolent ist, hat nur geringe Neigung, aufgesaugt zu werden. Die Wundfläche bildet sich endothelartig um, so daß die Wundhöhle als Sack (Serom) bestehen bleibt. Es ist zweckmäßig, möglichst frühzeitig durch Punktion die Flüssigkeit abzusaugen und so. durch Aneinanderlegen der Wundflächen ihre Verheilung zu ermöglichen. Ist sie ausgeblieben und führen mehrfach wiederholte Punktionen evtl. in Verbindung mit Injektion von chemisch differenten Mitteln wie L u g o 1 scher Lösung, Alkohol, Clauden u. a. nicht zum Ziel, dann sind die Höhle operativ zu öffnen, durch Abkratzen der Wände mit dem scharfen Löffel neue Wundflächen zu schaffen, sorgfältigste Blutstillung vorzunehmen und die Hautwunde zu vernähen. Verletzungen der Gefäße Sie können erfolgen gelegentlich beim Setzen einer Wunde, aber auch bei der Einwirkung einer stumpfen Gewalt, ohne daß eine Hautdurchtrennung notwendig wäre. Die einfachste Verletzung ist der isolierte Riß der Intima. Er ist zweifellos sehr viel häufiger als man gemeinhin annimmt. Ein großer Teil dieser Verletzungen heilt, ohne Erscheinungen zu machen. Diese treten nur R o s t o c k , Lehrbuch der speziellen Chirurgie. 3. A u f l .

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dann auf, wenn es an der Rißstelle zu Thrombosen kommt, welche das Gefäßlumen verstopfen. Kleine wandständige Thrombosen, die nach Intimarissen stets auftreten, verlaufen symptomlos. Handelt es sich um einen B i ß der Intima und Media, so vermag auch diese Verletzung fast symptomlos zu verheilen. Die so gebildete Narbe kann jedoch später dem ständig auf ihr lastenden Druck nachgeben, so daß es zu einem Aneurysma verum traumaticum kommt. Verletzungen aller Schichten der Gefäßwand brauchen keineswegs immer zu starken Blutungen in das umgebende Gewebe zu führen, zumal wenn es sich um kleine schlitzartige Löcher handelt. Werden sie beispielsweise erzeugt durch das Eindringen eines feinen Knochensplitters gelegentlich einer Fraktur, kann dieser Splitter in dem Loch steckenbleiben und es verschließen. Aber auch ein Blutgerinnsel t u t manchmal denselben Dienst, wandelt sich später bindegewebig um und wird zur Narbe. Andererseits ist es aber auch möglich, daß aus der Verletzungsstelle eines Gefäßes große Blutmassen in das umgebende Gewebe austreten. Es bildet sich dann ein großes Hämatom, welches in seinem Inneren flüssiges Blut enthalten kann, das, wenn es sich um Verletzung einer Arterie handelt, auch an den Pulsationen teilnimmt. Wir sprechen dann von einem pulsierenden Hämatom. Große Blutergüsse können zu Kompression benachbarter Venen, zu Thrombosen in ihnen und zu schweren Zirkulationsstörungen führen. Aus dem Hämatom kann sich durch Organisation der Wand ein falsches traumatisches Aneurysma entwickeln. Im Grunde genommen sind der Entstehungsmechanismus und die Heilung der Gefäßwunden sowohl bei Arterien als auch bei Venen gleich. Klinisch spielen die subkutanen Verletzungen der Venen eine sehr viel geringere Rolle, obwohl dieselben häufiger verletzt werden als die Arterien. Nur wenn größere Venenstämme betroffen werden, kann dies von Bedeutung sein. Für die Diagnose der Gefäßverletzungen ist die Beobachtung des Hämatoms von ausschlaggebender Wichtigkeit. Schabende und hauchende Geräusche über der Verletzungsstelle, mit dem Pulsschlag auftretend, sprechen für eine partielle Gefäßwandverletzung. Weiterhin werden beobachtet Pulsdifferenzen gegenüber der normalen Seite bis zum vollkommenen Fehlen des Pulses, verbunden mit Kühle der Extremität. Handelt es sich um eine Gefäßverletzung in offener Wunde, ist das hervorstechende Symptom selbstverständlich die nach außen erfolgende Blutung, die in ununterbrochenem Strom bei venöser Verletzung oder spritzend im Strahl bei arterieller Verletzung erfolgt. Diese Blutung kann bei der Verletzung größerer Stämme zu einer akuten Lebensgefahr führen, welche sofortiges Eingreifen erfordert. Bevor wir uns jedoch mit der notwendigen Therapie beschäftigen, muß kurz geschildert werden, welche Mittel dem Körper zur Verfügung stehen, um eine Schlagaderblutung zum Stehen zu bringen. Wir haben also zu betrachten, was erfolgt, wenn man ein blutendes Gefäß sich selbst überläßt. Alles das, was bei der Schilderung des Mechanismus der Blutstillung nacheinander abgehandelt wird, erfolgt selbstverständlich in der Wirklichkeit gleichzeitig nebeneinander. Der wichtigste Faktor der Blutstillung liegt nicht, wie man lange Zeit hindurch annahm, darin, daß sich ausgehend von der Intimawunde eine Thrombose bildet, welche das Gefäßlumen wie ein Korken einen Flaschenhals verschließt. Dieser Vorgang spielt sich zwar ab, aber von

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V e r l e t z u n g e n der W e i c h t e i l e der G l i e d m a ß e n

überragender Bedeutung ist er nicht. Nur beim arteriosklerotischen Gefäßrohr kommt ihm eine praktische Bedeutung zu. Die Blutstillung ist weniger eine Funktion des Blutes selbst als vielmehr eine solche des Gefäßrohres. Unter dem Reiz der Gewebsdurchtrennung kontrahiert sich die Muskulatur des Gefäßrohres so stark, daß das Lumen vollkommen verschlossen wird. M a g n u s hat dies an klaren, einwandfreien Versuchen nachweisen können. Der Vorgang dauert bei großen Gefäßen länger als bei kleineren. Er ist gestört oder aufgehoben, wenn die Arterienwand, z. B. bei der Arteriosklerose, krankhaft verändert ist und ihre Elastizität verloren hat. Zur aktiven Kontraktion der Mediaschicht des Gefäßrohres kommt die Tatsache, daß die verletzte Intima sich einrollt und hierdurch eine erhebliche Verengerung des Gefäßinnenraumes erzeugt. Auch das spielt eine große Rolle beim spontanen Blutungsstillstand. Der Effekt ist bei einer glatten Schnittverletzung am geringsten, wesentlich stärker ist er bei Quetschverletzungen. Das kann so weit gehen, daß beim Ausreißen ganzer Gliedmaßen, wie es bei Maschinen- und Verkehrsverletzungen vorkommt, aus einer durchrissenen Arteria femoralis oder brachialis praktisch kein Blut austritt und daß der Mensch allein durch die Intimaeinrollung und Kontraktion der Media vor dem Verblutungstod bewahrt wird. Weiterhin führt der Blutverlust zu einem Absinken des Blutdruckes und damit zu einer Verminderung des Ausflußdruckes. Die einsetzende Ohnmacht zwingt den Menschen in eine horizontale Körperlage und erzielt damit denselben Effekt. Die Blutung aus einer Vene (z. B. geplatzter Varix) kann allein hierdurch zum Stehen kommen. Bei der Behandlung von Gefäßverletzungen muß man unterscheiden zwischen den Maßnahmen zur provisorischen Blutstillung und der definitiven Versorgung der Gefäßwunde. Blutungen aus Venen stehen, wenn man einen leichten Druckverband anlegt und den Verletzten flach lagert. Weitere Maßnahmen sind nicht notwendig. Auch Blutungen aus kleinsten Arterien kann man auf diese Weise zum Stillstand bringen. Blutungen aus mittleren und großen Arterien erfordern aber schnelle und eingreifende Maßnahmen. Wenn nicht die Gefahr der Verblutung sehr groß werden soll, muß unverzüglich der Blutstrom gedrosselt werden. Man erreicht das, indem man zwischen Verletzungsstelle und Herz die Arterie mit den Fingern zusammendrückt, und zwar die Karotis gegen die Querfortsätze der Wirbelsäule, die Armschlagadern an der Innenseite des Oberarmes gegen den Oberarmknochen, die Beinschlagadern in der Leistenbeuge gegen den Schambeinast. Dies kann der Nothelfer aber nur kurze Zeit durchführen. Länger wirksam ist die Anlegung einer E s m a r c h sehen Blutleere mittels Gummibinde, Gummischlauch oder Behelfsmaterial. An Oberschenkel oder Oberarm wird die Gummibinde zirkulär angelegt und so stark angezogen, daß der Blutzufluß vollkommen gedrosselt wird. Dieser Zustand ist für den Verletzten sehr schmerzhaft. Außerdem muß durch raschen Transport zu einer Stelle, an welcher eine endgültige Blutstillung vorgenommen werden kann, dafür gesorgt werden, daß spätestens nach zwei Stunden die Blutleere aufgehoben wird, denn sonst kommt es unweigerlich zur Gangrän der Extremität. Man muß also nach zwei Stunden die schnürende Binde abnehmen, auch wenn man nur in der Lage ist, eine Tamponade der Wunde vorzunehmen. Die endgültige Blutstillung kann auf verschiedene Weise vorgenommen werden. Die idealste Lösung ist die Naht des Gefäßes, welche man nach den von C a r r e 1 und S t i c h ausgearbeiteten Methoden ausführt. Man benötigt 31*

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ein zweckmäßiges Instrumentarium (welches nicht immer zur Hand sein wird) und besonders feines Nahtmaterial. Auch wenn die technischen Fertigkeiten des Arztes zur Ausführung des Eingriffes und das Instrumentarium zur Hand sind, wird wegen der Wundverhältnisse (starke Zerfetzung) die Gefäßnaht nicht immer möglich sein. Angezeigt ist sie nur bei mittleren und großen Gefäßen. Die autoplastische freie Transplantation von Venenstücken, z. B. aus der Vena saphena, zur Uberbrückung größerer Gefäßdefekte ist möglich. Leider verhindert bei einer großen Zahl von Gefäßnähten die an den Nahtstellen trotz aller Vorsicht auftretende Thrombose den vollen Erfolg des mühsamen Eingriffes. Die häufigste Methode der endgültigen Blutstillung ist die Unterbindung des Gefäßes am Orte derVerlelzung. Nach übersichtlicher Freilegung der Wunde wird das Gefäß aufgesucht, freipräpariert und nach beiden Richtungen unterbunden. Auf sorgfältige Präparation ist Wert zu legen, Massenligaturen sind zu vermeiden. Umstechungen des blutenden Bezirks unter Einbeziehung des umgebenden Gewebes sind auf Ausnahmefälle zu beschränken. Nicht immer wird sich die Unterbindung am „Orte der N o t " durchführen lassen, besonders wenn es sich um sekundäre Blutungen durch Arrosion der Gefäße infolge septischer Prozesse in ihrer Umgebung handelt. Dann tritt die Unterbindung am Orte der Wahl zwischen Blutungsstelle und Herz in ihr Recht. Typische Stellen sind für die Subklavia in der Oberschlüsselbeingrube, für die Axillaris in der Achselhöhle, für die Brachialis in der Mitte des Oberarmes, für die Kubitalis in der Ellenbeuge, für die Radialis und Ulnaris an zwei Stellen des Vorderarmes, für die Ilica externa oberhalb des Leistenbandes, für die Femoralis dicht unterhalb desselben oder in der Mitte des Oberschenkels, für die Poplitea in der Kniekehle, für die Tibialis anterior und posterior an zwei verschiedenen Stellen des Unterschenkels. Die Gefäßunterbindung kann zur Gangrän des abhängigen Gliedanteiles führen. Besonders groß ist diese Gefahr bei der Poplitea. Hier sollte man mit allen Mitteln die Naht versuchen. Die Technik der Freilegung der Arterien an den einzelnen Stellen ist in den Büchern der Operationslehre nachzulesen. Die Tamponade ist ein ungeeignetes Mittel zur Stillung arterieller Blutungen, da sie nur äußerst selten in der Lage ist, das Gefäßloch zu verschließen. Man erreicht durch sie bestenfalls nur, daß die Blutung nach außen steht, daß aber unter dem Tampon sich ein großes Hämatom ausbildet, welches zu starker Blutung in das Gewebe oder zur Entwicklung eines Aneurysmas führen kann. Wohl aber ist die Tamponade geeignet, parenchymatöse Blutungen zum Stehen zu bringen. Ob man zur Ausführung einfachen sterilen Mull oder solchen, der mit antiseptischen Medikamenten (z. B. Vioform oder Silbersalzen) oder mit blutstillenden Mitteln (z. B. Stryphnon) getränkt ist, verwendet, ist von sekundärer Bedeutung. Aus Gefäßverletzungen können sich dadurch, daß der Inhalt des in der Umgebung sich entwickelnden Hämatoms flüssig und mit dem Lumen des Gefäßes in Verbindung bleibt, Aneurysmen entwickeln. Wir bezeichnen sie als falsche oder traumatische Aneurysmen im Gegensatz zu den echten, welche sackartige Ausweitungen der Gefäße (z. B. der Aorta bei Lues der Arterienwand) darstellen. Diese spielen jedoch in der praktischen Chirurgie eine sehr

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untergeordnete Rolle. Man kann verschiedene Formen der traumatischen Aneurysmen unterscheiden. Ein seitlicher Riß in der Arterie führt zur Ausbildung eines ihr seitlich anliegenden Aneurysmasackes, der aber auch das ganze Arterienrohr umgeben kann. Weiterhin vermag sich zwischen Arterie und Vene ein Aneurysmasack auszubilden, der mit beiden Gefäßen kommuniziert. Wir sprechen dann von einem arteriovenösen Aneurysma. Und schließlich kommt auch eine einfache Verbindung zwischen den beiden Gefäßsystemen vor, ohne daß ein großer Sack dazwischen gelagert ist. Abb. 268—270 veranschaulicht schematisch die Verhältnisse. Der Inhalt der Aneurysmen ist entweder flüssiges Blut, welches an dem Kreislauf teilnimmt, oder der Sack kann mit dann meist zwiebelschalenartig angeordnetem Blutkuchen angefüllt sein. Kombinationen zwischen beiden Formen

ms^

A b b . 268 Arterielles A n e u r y s m a

A b b . 269 Arteriovenöses Aneurysma

A b b . 270 A r t e r i o v e n ö s e Fistel

A b b . 2 6 8 — 2 7 0 . Scliematische Z e i c h n u n g t r a u m a t i s c h e r A n e u r y s m e n

sind häufig. Die Wand des Aneurysmas besteht aus Bindegewebe, welches der Körper zur Abgrenzung des ursprünglichen Hämatoms aufgebaut hat. Nacli innen zu kann sich eine intimaähnliche Membran ausbilden. Die klinischen Zeichen des Aneurysmas bestehen in einer meist rundlichen und ziemlich gut abgegrenzten Schwellung in der Nachbarschaft eines großen Gefäßes, welche den Pulsationen des Gefäßrohres folgt. Enthält das Aneurysma flüssiges Blut, fühlt und hört man über ihm ein eigenartiges, unverkennbares sausendes und brausendes Geräusch, welches synchron mit dem Blutstrom anschwillt und abschwillt. Es wird hervorgerufen durch die in der Zeichnung angedeutete Teilung des Blutstromes. In der Zeit der Entwicklung des Aneurysmas, bevor sich noch eine feste Membran ausgebildet hat, kann das Blut diffus progredient in die umgebenden Weichteile vordringen und zu raschem Eingreifen zwingen. Das fertige Aneurysma tritt auch als sogenanntes „stilles Aneurysma" in Erscheinung, nämlich immer dann, wenn der Aneurysmasack von Blutkoagula vollkommen angefüllt ist. Durch Rekanalisation dieser Massen vermag sich aber auch in ihm der Blutumlauf wieder herzustellen. Beim reinen

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arteriellen Aneurysma (vgl. Abb. 268) kann man durch Kompression des Arterienstammes sowohl die Pulsation als auch das Geräusch zum Verschwinden bringen. Beim arteriovenösen Aneurysma (vgl. Abb. 269) und der arteriovenösen Fistel (vgl. Abb. 270) hört man über längere Gefäßstrecken hinaus ein ausgedehntes, gurgelndes, auch in der Diastole nicht aufhörendes Brausen. Wenn es gelingt, die Stammvene zu komprimieren, hört es auf, während die Pulsation erhalten bleibt. Kompression der Arterie hebt die Pulsation auf, wenn nicht vom peripheren Arterienrohr her durch einen gut ausgebildeten Kollateralkreislauf der Aneurysmasack mit Blut gefüllt wird. Bei vorhandenen Aneurysmen pflegt peripher von ihnen der Arterienpuls kleiner als auf der gesunden Seite zu sein, er kann auch vollkommen fehlen. Weiterhin erzeugt der Druck auf die begleitenden Nervenstämme neuralgische Schmerzen, Parästhesien und Paresen. An der Extremität können Kreislaufstörungen in Form von Anämie oder Stauung wechselnden Grades auftreten. Die Aneurysmen können an allen Stellen der Gefäße der Extremitäten vorkommen. Abgesehen von den durch sie bedingten Druckerscheinungen auf die Nerven und die Kreislaufstörungen in den peripheren Gliedabschnitten besteht besonders im Zeitraum ihrer Bildung aber auch später die Gefahr der Ruptur der Wand bei Blutdrucksteigerungen oder Infektionen der Nachbarschaft. Sind solche vorhanden und ist die Haut über dem Aneurysma gerötet, so sind leider mitunter schon Verwechslungen mit einem Abszeß vorgekommen. Verhängnisvoll wird dieser Irrtum, wenn der vermeintliche Abszeß inzidiert wird, so daß schwerste Blutverluste bis zur Verblutung eintreten können. Man hüte sich durch sorgfältige Untersuchung vor diesem Mißgeschick. In Zweifelsfällen kann eine in mehreren Richtungen auszuführende Probepunktion die Sachlage klären. Die Behandlung des Aneurysmas ist ausschließlich operativ. In seltenen Fällen einmal mögliche Spontanheilung durch restlose, dauernde Thrombosierung des Sackes darf nicht die Grundlage eines abwartenden Verhaltens sein. Auch die vorübergehende oder elastische Kompression führt kaum zur Heilung, höchstens kann sie die Ausbildung des Kollateralkreislaufes beschleunigen und verstärken. Das Ziel des operativen Eingriffes muß naturgemäß sein, normale Kreislaufverhältnisse wieder herzustellen. Auf welchem Wege man dieses erreicht, hängt von dem Befunde ab, den man jeweils vorfindet. Man wird die Arterie oberhalb und unterhalb des Aneurysmasackes freilegen und diesen dann isolieren. Am besten ist es, wenn man ihn vollkommen zu exstirpieren und die normalen Gefäßrohre durch Gefäßnaht zu vereinigen vermag. Häufig wird dies nicht möglich sein. Dann kann man entweder ein Stück Vena saphena in den Defekt frei transplantieren, oder man bildet aus Teilen des Aneurysmasackes ein Gefäßrohr, dessen Wand man durch Umschlingung mit frei transplantierter Faszie gegen sekundäre Ausweitung zu schützen sucht. Es dürfte an dieser Stelle der geeignete Platz sein, die Bekämpfung des Blutverlustes zu besprechen. Jede Gefäßverletzung ist mit einem mehr oder weniger großen Blutverlust verbunden. Männer sind gegen ihn empfindlicher als Frauen. J e nach dem Grade des Blutverlustes kommt es zum Sinken des Blutdruckes mit kleinem beschleunigtem Puls, Blässe der Haut, starker Müdigkeit (Gähnen), Frostgefühl, Durst, Austritt von kaltem Schweiß. Es können sich weiterhin Schwindel, Ohnmacht, Unruhe bis zu Krämpfen, Übelkeit, Erbrechen, spontaner Abgang von Stuhl und Urin anschließen. Nach Ein-

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setzen von C h e y n e - S t o c k e s scher Atmung pflegt der Tod einzutreten, wenn etwa die Hälfte des Blutes entsprechend ungefähr y i 3 des Körpergewichtes verloren ist. Jeder Behandlung des Blutverlustes an sich muß der sichere Verschluß der blutenden Stelle vorausgehen. Erst wenn dies gelungen ist, dürfen Exzitantien angewendet werden, denn ohne Erfüllung dieser Voraussetzung würde ihre Verwendung durch Steigerung der Herzkraft nur den Blutverlust vergrößern. Die Anwendung der sogenannten Autotransfusion (d. h. Auswickeln des Blutes aus den Extremitäten durch elastische Binden für 1—2 Stunden) ist eine zweischneidige Maßnahme, die nur angewandt werden sollte, wenn man in der Lage ist, während dieser Zeit einen anderen Blutersatz vorzunehmen, denn wenn man nach den zwei Stunden die Binden wieder entfernt, haben die bis dahin blutleer gewesenen Extremitäten einen sehr starken Blutbedarf, der zu schweren Kollapsen bei dem geschwächten und ausgebluteten Körper führt. In Fällen mittelschweren Blutverlustes kann man sich mit dem Auffüllen des Gefäßsystems durch Injektion geeigneter Flüssigkeit in dasselbe begnügen. Die früher üblich gewesene sogenannte physiologische Kochsalzlösung ist schädlich. Zweckmäßig sind Normosallösung oder Tutofusin, die man gebrauchsfertig in entsprechend großen Ampullen kaufen kann und in eine Vene, meist der Ellenbeuge, einlaufen läßt. Der Infusionsflüssigkeit können die verschiedenen Herzmittel beigemischt werden. Auch die Infusion einer 5%-Traubenzuckerlösung mit Insulinzusatz und die Seruminfusion sind zweckmäßig. Alle diese Mittel können aber nur die verlorene Flüssigkeit ersetzen. Von besserer und länger andauernder Wirkung sind die Peristonlösung und die Serumkonserve, welche gebrauchsfertig im Handel bezogen werden können. Zu wirksamer Bekämpfung großer Blutverluste ist besonders die Transfusion lebenden Blutes in der Lage, weil durch sie dem Körper lebende rote Blutkörperchen zugeführt werden, welche den Gasaustausch vermitteln. Sie bleiben etwa 30 Tage im Körper funktionsfähig. Voraussetzung für die Transfusion ist die Auswahl eines richtigen Spenders, da es vorkommt, daß das Blut zweier Menschen bei der Mischung die roten Blutkörperchen agglutiniert. Wir unterscheiden 4 verschiedene Blutgruppen, deren Häufigkeit in Deutschland etwa folgende ist: Blutgruppe AB A B 0

= 6% =43% = 12% =39%

Die Feststellung der Blutgruppe eines Menschen gelingt leicht mittels Testsera, indem man die Agglutination der Blutkörperchen des zu Untersuchenden ermittelt. Eine genaue Gebrauchsanweisung liegt den Testseren bei. Menschen mit Blutgruppe 0 können allen anderen Menschen Blut spenden (Universalspender), Menschen mit Blutgruppe AB sind Universalempfänger. Dem Rh-Faktor ist Aufmerksamkeit zu schenken. Es empfiehlt sich, in der Regel Blut der gleichen Gruppe zu übertragen. Vor der Transfusion ist einer Kreuzprobe zwischen dem Blut des Spenders und Empfängers auszuführen. Auch wenn die Blutkörperchen von Spender und Empfänger sich vertragen, kann es durch Anaphylaxie zu einer schweren Schädigung kommen. Um diese

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Gefahr zu bannen, führt man die biologische Vorprobe nach O e h l e c k e r aus, welche darin besteht, daß man zunächst wenige Kubikzentimeter Blut überträgt und dann einige Minuten wartet. Tritt in dieser Zeit keine Anaphylaxie ein, wird mit der Blutübertragung bis zu der beabsichtigten Menge fortgefahren. Die Ausführung der Blutübertragung selbst ist auf verschiedene Weise möglich. Man kann die Arme des Spenders und Empfängers nebeneinander legen und mittels großer Spritze und Dreiwegehahn ( O e h l e c k e r ) oder durch eine Kugelsaugpumpe ( B e c k ) oder durch Zwischenschaltung von Gefäßen aus Bernstein (B ü r k 1 e de la C a m p ) , welche die Gerinnung des Blutes verzögern, die Transfusion vornehmen. Störungen der Übertragung sind immer durch Gerinnung des Blutes auf dem Wege zwischen der Vene des Spenders zu der des Empfängers verursacht. Daher hat man schon früh versucht, durch Zusatz irgendwelcher Mittel (Natrium citricum-Lösung oder aus Leber gewonnenem Vetren) zu dem zu übertragenden Blut die Gerinnung zu verhindern, so daß man das Blut mittels eines einfachen Transfusionsgerätes einlaufen lassen und nicht zu lange Strecken vom Spender zum Empfänger transportieren kann. Man mischt in einer sterilen Infusionsflasche eine Ampulle Vetren oder stets frisch bereitete Natrium citricum-Lösung mit 150—200 ccm des Spenderblutes. Dieses gerinnt dann in den nächsten zwei Stunden nicht, so daß es während dieser Zeit zum Empfänger transportiert werden kann. Das Blut läßt sich unter besonderen Bedingungen bis zu zwei Wochen gebrauchsfähig erhalten („Blutkonserven"). Die Transfusion des mittels Vetren ungerinnbar gemachten Blutes ist die augenblicklich sicherste und einfachste Methode der Bluttransfusion. Die Infusion von haltbar gemachtem Leichenblut, welche in anderen Ländern geübt wird, wird in Deutschland nicht durchgeführt. Bei richtiger Spenderwahl stellt die Bluttransfusion einen mehrere Wochen lang wirksamen und vollwertigen Blutersatz dar. Nebenbei hat sie eine sehr starke, blutstillende Wirkung besonders bei diffusen, parenchymatösen Blutungen und setzt einen durch nichts zu übertreffenden Reiz für die blutbildenden Organe. Daher ist eine ausgiebige und häufige Anwendung der Blutübertragung angezeigt. Verletzungen der Nerven Bei den Verletzungen der Nerven beobachten wir alle Zwischenstadien von einer leichten Quetschung über die teilweise bis zur totalen Gewebstrennung. Ödeme und Blutungen können zu Funktionsausfällen führen, welche aber vollkommen oder teilweise reversibel sind. Daher kann man aus einer gleich nach einer Verletzung vorhandenen Parese im Bereich eines Nerven nicht schließen, daß dieser vollkommen durchtrennt ist. Dieses muß erst der weitere Verlauf, nämlich ob die Lähmung zurückgeht oder nicht, lehren. Bei offenen Verletzungen, bei denen ein größerer Nervenstamm verletzt sein könnte, wird man ihn natürlich aufsuchen und, falls er durchtrennt ist, nähen. Bei geschlossenen Verletzungen ist dieser Eingriff aber nicht dringlich. Sind Nervenfasern tatsächlich durchtrennt, entartet der körperferne Teil bis zu seinem Ausbreitungsgebiet, der körpernahe bis zum nächsten R a n v i e r sehen Schnür-

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ring. Die Wiederherstellung der Nervenleitung erfolgt nach dem W a l l e r sehen Gesetz durch Auswachsen der Achsenzylinder nach der Peripherie hin. Dieser Vorgang kann Monate und Jahre dauern. An den durchtrennten Nervenfasern bilden sich Neuromknoten. Falls der Nerv ganz durchschnitten ist, sind die Enden unregelmäßig knollig aufgetrieben; sind nur einzelne Nervenfasern betroffen, finden sich im Nerven selbst Narben, welche zu einer meist nicht sehr hochgradigen Auftreibung führen. Durch die Heilung von Verletzungen in der Nachbarschaft des Nervenstammes kann er in straffes Narbengewebe oder auch in Kallus eingebettet sein. Je nachdem spricht man von einer endoneuralen oder einer perineuralen Narbe. Leider ist es nicht möglich, durch Untersuchung festzustellen, welche Art im Einzelfall vorliegt. Bei jeder Verletzung sollte man sich durch Prüfung der motorischen Funktion (Ausfälle auf sensiblem Gebiet sind nicht beweisend) davon überzeugen, ob eine Nervenläsion vorliegt. Bei vorhandener Wunde ist der durchtrennte Nerv aufzusuchen und zu nähen. Handelt es sich um eine stumpfe Verletzung, kann zunächst abgewartet werden. Mehrfache Kontrolluntersuchungen durch einen Neurologen sind stets zweckmäßig. Er vermag am besten den Zeitpunkt zu erkennen, an welchem die konservative Behandlung zugunsten der operativen zu verlassen ist. Wenn nach einer stumpfen Verletzung eine zunächst bestehende Nervenlähmung nicht zurückgeht oder gar eine Entartungsreaktion sich einstellt, ist die Indikation zur operativen Behandlung des Nerven gegeben. Bestenfalls findet man den makroskopisch unveränderten Nervenstrang in straffes Narbengewebe eingebettet. Seine operative Lösung aus dieser Umklammerung (Neurolyse) kann die Funktion wiederherstellen. Mitunter gelingt es, aus dem Nerven selbst umschriebene Narben auszulösen. Ist aber der ganze Nerv von der Narbe durchsetzt, ist sie im Gesunden zu resezieren und die Nervenenden sind durch feinste zirkuläre Naht zu vereinigen. Ist der durch die Narbe im Nerven gesetzte Defekt sehr groß, so muß man, um die Nahtvereinigung durchführen zu können, die Nervenstämme weit mobilisieren. Mitunter ist ein Verband in Beugestellung von Gelenken ratsam. Die Uberbrückung des Defektes eines motorischen Nerven durch freie Transplantation eines minder wichtigen sensiblen Nerven führt kaum zu brauchbaren Ergebnissen und ist zu unterlassen. Die Wiederherstellung der Nervenleitung nach geglückter Nervennaht dauert Monate und Jahre. Eine Nachbehandlung mit aktiven und passiven Bewegungsübungen, Massage der Muskulatur und vor allem durch regelmäßiges Elektrisieren, am besten mit dem sogenannten Tonisator, muß über mehrere Monate hindurch fortgesetzt werden. Nach diesen allgemeinen Erörterungen sollen noch die Symptome der wichtigsten Lähmungen der Gliedmaßen kurz geschildert werden. Die Lähmung des Plexus brachialis tritt auf bei direkter Verletzung (Stich, Schuß), durch Ausreißen der Wurzeln bei starken Zerrungen am Arm (Industrieund Verkehrsverletzungen), manchmal bei Klavikulafrakturen, Humerusluxation, durch Krückendruck und nach Schädigungen während der Entbindung. Das klinische Bild ist je nach den befallenen Nervenbündeln wechselnd. Gelähmt sind der Musculus deltoides, bieeps, brachialis, brachioradialis und manchmal auch die kleinen Handmuskeln. Dazu kommt eine Parese des Sympathikus mit Enophthalmus, verengerter Lidspalte und Miosis ( H ö r n e r sches Syndrom).

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Die Lähmung des Thoracicus longus (Stoß gegen die Schulter u. a.) f ü h r t zum Funktionsausfall des Musculus serratus lateralis und damit zum flügeiförmigen Abstehen des Schulterblattes bei ausgestrecktem Arm, der nicht über die Horizontale zu erheben ist. Bei der Radialislähmung kann die H a n d nicht eigentätig gestreckt werden und hängt schlaff herab. Weiter können die Grundglieder des 2.—5. Fingers nicht gestreckt und der Daumen nicht abduziert werden. Das klinische Bild der Radialislähmung ist sehr eindrucksvoll. Die Lähmung des Nervus medianus f ü h r t zu einer Störung der Pronation und Radialflexion der Hand. Die Mittelphalangen aller Finger und die Endphalangen des 2. und 3. Fingers können nicht gebeugt werden. Daher stehen der 2. und 3. Finger gestreckt oder überstreckt. Der Daumen kann nicht flektiert und opponiert werden und steht daher in Extension und Adduktion, der Daumenballen ist atrophisch, der Faustschluß ist unmöglich. Man bezeichnet diesen Zustand mitunter als „Affenhand", Bei der Ulnarislähmung sind die ulnare Beugung des Handgelenkes und die Beugung der Endphalangen des 4. und 5. Fingers gestört. Durch den Schwund der Musculi interossei, der deutlich sichtbar ist, fehlt die Möglichkeit, die Finger in den Grundgelenken zu beugen. Sie können weder gespreizt noch aneinander gepreßt werden. Die H a n d steht in einer typischen „Krallenstellung". Die Lähmung des Nervus ischiadicus, die wegen seiner geschützten Lage nicht häufig ist und am ehesten durch Schuß oder Stich erfolgt, f ü h r t neben Ausfällen im Gebiet des Fibularis und Tibialis (siehe diese) zu sehr schweren trophischen Störungen am Bein. Die Lähmung des Nervus tibialis verhindert die Plantarflexion und Adduktion des Fußes sowie die Beugung der Zehen. Der Gang wird erheblich behindert, es bildet sich ein Pes calcaneus. Unmöglich ist das Stehen auf der Fußspitze. • Eine Lähmung des Nervus fibularis (Peroneuslähmung) entsteht häufig wegen der oberflächlichen Lage des Nerven am Wadenbeinköpfchen. Dort kann er durch direkte Gewalt, durch Frakturen des Wadenbeines, durch Schienendruck u. a. m. geschädigt werden. Der Fuß hängt herab, vermag nicht dorsal flektiert und abduziert, die Zehen im Grundgelenk nicht gestreckt zu werden. Dies f ü h r t zu einem sehr charakteristischen Gang („Hahnentritt") m i t Schleifen der Fußspitze auf der Erde. Im Laufe der Zeit entwickelt sich ein K l u m p f u ß . Die Lähmung des Nervus obturatorius f ü h r t zur Unfähigkeit, die Beine zu kreuzen. Die Lähmung des Nervus glutaeus superior verhindert die Einwärtsrollung des Beines, die des Glutaeus inferior die Streckung des Beines im H ü f t gelenk m i t erheblicher Behinderung des Treppensteigens. N e r v e n l u x a t i o n e n kommen gelegentlich einmal am Ulnaris und Peronaeus vor. Im Augenblick der Luxation, die man evtl. durch Fingerdruck eintreten lassen und wieder beheben kann, verspüren die Menschen einen heftigen, in die Peripherie ausstrahlenden Schmerz m i t anschließendem Kribbeln. T r i t t der Zustand häufiger ein, ist die operative Fixierung des Nerven mittels Faszienplastik angezeigt.

Verletzungen der W e i c h t e i l e der Gliedmaßen

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ESlEliE*l!!| Abb. 271. Radialislähmung

Abb. 273. Ulnarislähmung

A b b . 274. Medianuslähmung

A b b . 2 7 1 — 2 7 4 . Die typischen L ä h m u n g e n der H a n d

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Verletzungen von Muskeln, Sehnen und Faszien Gelegentlich offener Wunden werden naturgemäß Muskeln mit Faszien und Sehnen durchtrennt. Wenn die allgemeinen Wundverhältnisse es zulassen, wird man die durchtrennten Gewebsteile sorgfältig schichtweise aneinander nähen. Je aseptischer die Wundheilung erfolgt, um so leistungsfähiger ist die sich bildende Narbe und um so vollkommener stellt sich die Funktion wieder her. Die möglichst frühzeitige Diagnose und Behandlung der Sehnenverletzungen ist von besonderer Bedeutung. Leider werden sie mitunter immer noch übersehen. Wenn die Funktionsprüfung der Giedmaßen bei einer Verletzung auch nur den geringsten Verdacht des Vorhandenseins einer Sehnendurchtrennung aufkommen läßt, ist die Sehne in der Wunde freizulegen, ihre Stümpfe sind aufzusuchen. Dies ist keineswegs immer leicht, besonders das körpernahe Ende pflegt sich häufig weit zurückzuziehen. Oft muß die Wunde zu seiner Auffindung erweitert werden. Für die Technik der Sehnennaht selbst sind zahlreiche Methoden angegeben worden. Man muß danach trachten, daß die Sehnenschnittflächen ohne Stufe aneinandergenäht werden können und daß m i t jedem Faden beide Sehnenstümpfe in zwei in einem Winkel zueinander stehenden Richtungen durchstochen werden, um ein Durchschneiden der Fäden in der Richtung der Sehnenfasern zu erschweren. Nicht auf die Zahl der gelegten Nähte, sondern auf ihren Sitz kommt es an. Sind Sehnen verletzt, die in Sehnenscheiden liegen, so sind letztere über der Sehnennaht nicht zu nähen, um dem Granulationsgewebe der Umgebung die Gelegenheit zu geben, die Wunde in den gefäßlosen Sehnen zu überbrücken und so zu heilen. Bei Schnittverletzungen an der Hand werden häufig zahlreiche Sehnen gleichzeitig verletzt. Dann müssen sorgfältig die zueinander passenden Stümpfe vernäht werden. Es kommt aber immer noch vor, daß der bei dieser Gelegenheit mitverletzte Nervus medianus mit einem Sehnenende vernäht wird. Mit einem befriedigenden Heilergebnis kann dann billigerweise nicht gerechnet werden. Je früher die Sehnennaht ausgeführt wird und je aseptischer der Heilverlauf ist, desto besser sind die Erfolge, wenngleich lange nicht alle Sehnennähte befriedigend heilen. An den Fingern sind die Erfolge an den Strecksehnen besser als an den Beugesehnen. Auf jeden Fall sind die Erfolge der primären Sehnennaht wesentlich besser als die der sekundären, d. h. erst nach Wochen und Monaten ausgeführten Naht. In der Nachbehandlung ist zunächst einmal das Glied 14 Tage ruhig zu stellen, um der Wunde Zeit zum Heilen zu lassen. Frühzeitigere Bewegung führt fast immer zum Aufgehen der Sehnennaht und damit zum Mißerfolg. Nach 2—3 Wochen kann mit vorsichtigen eigentätigen und späterhin fremdtätigen Bewegungsübungen begonnen werden, um durch den funktionellen Bewegungsreiz die zweckmäßige Formung der zunächst diffusen Narbe zu erzielen. Nur dann ist mit einem günstigen Ergebnis zu rechnen, wenn der Verletzte eigentätig die Heilmaßnahmen unterstützt. Leider bringen uns ängstliches und manchmal rentenneurotisches Verhalten häufig um die Früchte unseres chirurgischen Bemühens.

V e r l e t z u n g e n der Weichteile der Gliedmaßen

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W e n n bei einer V e r l e t z u n g ein S t ü c k Sehne verloren gegangen ist, so daß m a n die S t ü m p f e nicht so w e i t einander zu nähern v e r m a g , d a ß eine N a h t v e r e i n i g u n g möglich ist, k a n n m a n aus anderen Sehnen oder a u c h aus der v e r letzten ein S t ü c k abspalten und d a m i t den D e f e k t ü b e r b r ü c k e n . A u c h frei transplantierte F a s z i e n s t ü c k e lassen sich zu Sehnen formen u n d in den D e f e k t einnähen. Schließlich k a n n a u c h die U b e r b r ü c k u n g des D e f e k t e s durch mehrere Seidenfäden d a d u r c h z u m Ziele führen, d a ß u m diese h e r u m sich die b i n d e g e w e b i g e N a r b e unter d e m F u n k t i o n s r e i z zu einem strangähnlichen Gebilde u m f o r m t u n d die F u n k t i o n einer Sehne ü b e r n i m m t . S t u m p f e G e w a l t e i n w i r k u n g e n können z u M u s k e l z e r r e i ß u n g e n führen, ohne d a ß eine W u n d e z u bestehen b r a u c h t . Besonders w e n n eine G e w a l t auf eng umschriebener Stelle einen gespannten Muskel t r i f f t , können einzelne Fasern dieses Muskels, selten der ganze Muskel, zerreißen. M a n t a s t e t dann in d e m Muskel m e h r oder weniger d e u t l i c h eine L ü c k e , besonders w e n n er ang e s p a n n t w i r d . D a n n k a n n m a n hin und wieder eine A n s c h w e l l u n g sich ausbilden fühlen und m i t u n t e r a u c h sehen, ein Z u s t a n d , der m a n c h m a l auch als falsche Muskelhernie bezeichnet w i r d . M a n sollte dieses W o r t aus d e m S p r a c h g e b r a u c h ausmerzen. A m häufigsten begegnen w i r derartigen Muskelrissen a m B i z e p s des Oberarmes u n d a m R e c t u s femoris. D i e B e s c h w e r d e n pflegen nicht sehr h o c h g r a d i g , der F u n k t i o n s a u s f a l l sehr gering, häufig ü b e r h a u p t nicht nachweisbar zu sein. Sind größere Teile eines Muskels gerissen, sollte man sie nähen, und z w a r möglichst frühzeitig, b e v o r die durchtrennten Muskelbündel sich irreparabel z u r ü c k g e z o g e n haben. A n einigen Stellen des K ö r p e r s r e a g i e r t das Muskelgewebe auf D e h n u n g e n , Quetschungen, B l u t u n g e n a k u t e r oder chronischer A r t m i t einer V e r k n ö c h e rung, so d a ß w i r v o n einer Myositis ossificans sprechen. D e r Lieblingssitz ist der Musculus brachialis a m Ellenbogen. H i e r t r i t t die E r k r a n k u n g häufig n a c h E l l e n b o g e n l u x a t i o n e n , aber auch n a c h chronischen T r a u m e n d u r c h Bedienung v o n P r e ß l u f t w e r k z e u g e n u. a. auf. R ö n t g e n o l o g i s c h finden w i r eine zunächst diffuse V e r s c h a t t u n g in dem B e r e i c h des M u s k e l s , die sich zu soliden Spangen oder bizarren Gebilden auswachsen k a n n . K l i n i s c h k o m m t es neben u n b e s t i m m t e n B e s c h w e r d e n z u einer zunehmenden V e r s t e i f u n g des Ellenbogengelenkes. D i e einzige B e h a n d l u n g s m ö g l i c h k e i t b e s t e h t in absoluter, langdauernder R u h i g s t e l l u n g des Muskels i m Gipsv e r b a n d . Jede a k t i v e T h e r a p i e w i e Massage und B e w e g u n g s ü b u n g e n und dergleichen f ü h r t nur zur V e r s c h l i m m e r u n g des Z u s t a n d e s . M i t o p e r a t i v e n E i n griffen sei m a n sehr z u r ü c k h a l t e n d . N u r in abgeschlossenen Fällen, in denen eine sperrende K n o c h e n s p a n g e die G e l e n k b e w e g u n g behindert, k a n n m a n zu

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ihrer Exstirpation schreiten. Man muß sich aber auf die Ausbildung eines Rezidivs gefaßt machen und vorsorgend eine längere Ruhigstellung der Operation folgen lassen. Außer am Ellenbogen finden wir die Myositis ossificans als „Exerzierknochen" im Musculus pectoralis, als „Turnknochen" im Biceps brachii, als „Reitknochen" im Adductor femoris. Auch in operativ erzeugten Muskelnarben (z. B. nach Laparotomien) hat man Verknöcherungen beobachtet. Subkutane Bisse der Faszie pflegen meist mit einer Lücke zu heilen, welche ovale Form hat. Den Rand dieser Lücke fühlt man besonders am Oberschenkel und an der Wade bei erschlaffter Muskulatur sehr deutlich. Kontrahiert sich der Muskel, wölben sich seine Fasern im Bereich der Lücke halbkuglig oder uhrglasförmig vor. Man spricht von einer „Muskelhernie". Der Zustand hat funktionell keine große Bedeutung und bedarf keiner besonderen Behandlung. Nur wenn er die Leute sehr stört, kann man die Naht ausführen mehr wegen der Wirkung auf die Psyche als auf die Muskelfunktion.

A b b . 276. B i z e p s s e h n e n r i ß r

Subkutane Sehnenzerreißungen kommen dann vor, wenn durch übermäßige Anstrengungen die Sehne schneller degeneriert, als der Körper durch Regeneration für einen Ersatz der ausgefallenen Fa,

sern sorgen kann, oder wenn eine Sehne dauernd über rauhe Knochenränder gleitet und dort langsam durchgerieben wird (wie der Schnürsenkel eines Schuhs in einer rauhen Öse). Den ersten Mechanismus beobachten wir häufig an der Achillessehne bei Artisten (mitunter beiderseits) oder bei schlecht überwachtem übermäßigem Sporttraining. Das Musterbeispiel für den zweiten Mechanismus ist das langsame Durchscheuern der langen Sehne des Biceps brachii an der Stelle, wo sie im Schultergelenk bei Arthrose desselben dauernd über einen Randwulst gleitet. Sehr viel seltener beobachten wir derartige Risse an dem Ligamentum patellae oder an den Strecksehnen der Finger. Stets handelt es sich um Veränderungen, die in einem langen Zeitraum langsam entstanden sind. Für die Begutachtung für die deutsche Unfallversicherung ist diese Tatsache von Wichtigkeit, denn diese Risse sind „nicht unfallbedingt". Der Riß tritt stets plötzlich ein. Nur selten, am ehesten noch beim Achillessehnenriß, fühlt der Mensch in den Tagen vorher einen Schwächezustand in dem entsprechenden Muskelgebiet. Beim Eintreten des Risses wird ein Ruck an der betreffenden Stelle verspürt. Beim Achillessehnenriß fällt der Funktions-

V e r l e t z u n g e n der W e i c h t e i l e der G l i e d m a ß e n

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ausfall (Gangbehinderung) sofort auf, beim Bizepssehnenriß kann er lange unbeachtet bleiben. Bei ihm sieht man bei der Kontraktion das deutliche Hervortreten des Muskelbauches, der bei erschlaffter Muskulatur verschwindet. Die Funktionsausfälle bei diesem Zustand sind erstaunlich gering, so daß von dem Versuch einer Sehnennaht oder Sehnenplastik dringend abgeraten werden muß. Da dieser Eingriff meist bei einem älteren Menschen im Schultergelenk auszuführen wäre, so würde eine Schulterkontraktur die Folge sein, welche den Zustand nur verschlimmern würde. Anders ist es bei einem Achillessehnenriß. Hier bewirkt die Verletzung eine Unfähigkeit zu gehen. Man kann den Riß nach sehr langer Ruhigstellung auch ohne Eingriff ausheilen, aber auf diese Weise wird der richtige Spannungszustand der Muskulatur nicht erreicht. Dementsprechend schlecht ist auch das funktionelle Heilungsergebnis. Daher sollte der Achillessehnenriß frühzeitig operativ angegangen werden. Man findet einen mit Sehnenfasern angefüllten Defekt in der Sehne, so daß eine direkte Vereinigung der Sehnenstümpfe nicht möglich ist. Den Defekt überbrückt man am besten dadurch, daß man die Aponeurose des Soleus herunterschlägt, aus ihr eine Sehne formt und sie am Kalkaneus annäht. Jeder Verbanddruck muß unbedingt vermieden werden. Drei Wochen nach der Operation kann mit leichten eigentätigen Bewegungsübungen im Bett ohne Belastung begonnen werden, die dann langsam bis zur vollen Funktion zu steigern sind. Das Ergebnis der richtig geleiteten Behandlung ist gut.

Verbrennungen Sehr häufig ist im Leben sowohl im Haushalt als auch bei den verschiedensten Tätigkeiten Gelegenheit gegeben, sich Verbrennungen an den Gliedmaßen und natürlich auch am Rumpf zuzuziehen. Als Ursachen seien nur beispielsweise erwähnt: Direkte Flammen (Industrieverletzungen, Bergbau, Haushalt), heiße Gase, heiße Flüssigkeiten verschiedenster Art, glühende Metalle und anderes mehr. Zu den Verbrennungen sind auch die Verätzungen durch Chemikalien sowohl durch Säuren als auch durch Alkalien zu rechnen, da sie klinisch und pathologisch-anatomisch denselben gleichen. In Kriegszeiten können nach den verschiedenartigsten Ereignissen Brandverletzungen auftreten. Seit altersher werden drei Stufen der Verbrennung unterschieden. Von einer Verbrennung ersten Grades spricht man, wenn die Haut umschrieben gerötet ist, also wenn ein Erythem besteht. Unter Verbrennung zweiten Grades versteht man den Zustand, bei welchem inmitten des geröteten Hautbezirkes die Epidermis in Blasenform abgehoben ist (vgl. Abb. 277). Bei der Verbrennung dritten Grades ist es zum Gewebstod in seinen verschiedenen Formen je nach der Ursache der Verbrennung bis zur Verkohlung des Gewebes gekommen. Wichtiger als der Grad der Verbrennung ist ihre Ausdehnung, da sie bestimmend für das Schicksal des Verletzten ist. Wenn ein Drittel der Körperoberfläche in der Gradstufe 2 und 3 verbrannt ist, dann droht der Tod, ist die Hälfte der Körperoberfläche verbrannt, ist er unvermeidlich. Nach schweren Verbrennungen sterben vier Fünftel der Verletzten innerhalb der ersten 24 Stunden.

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Die Ursachen des Verbrennungstodes sind vielseitig. Einmal spielt der Flüssigkeitsverlust (Wasser und Plasma) m i t der dadurch bedingten Eindickung des Blutes eine Rolle. Er ist besonders bei Verbrennungen 2. Grades sehr erheblich. Dazu k o m m t eine Selbstvergiftung des Körpers durch die infolge Gewebszerstörung sich bildenden Eiweißabbauprodukte, welche meist guanidinartige Zusammensetzung haben und, wenn sie in den Kreislauf gelangen, schwere Vergiftungen und Schockzustände hervorrufen und auf diese Weise den Tod herbeiführen. Man erlebt nach Verbrennungen auch Spättodesfalle, welche um den 14. Tag eintreten können. Hierbei handelt es sich wohl um einen Anaphylaxietod bei Uberempfindlichkeit gegen das abgebaute arteigene Eiweiß.

A b b . 277. V e r b r e n n u n g 1. u n d 2. G r a d e s

Weiterhin kann sich die durch die Verbrennung geschaffene Wundfläche bakteriell entzünden, es können Phlegmonen und Allgemeininfektionen auftreten, denen der K r a n k e erliegt. In diesem Falle handelt es sich aber nicht um einen spezifischen Verbrennungstod. Neben den rein örtlichen Symptomen bestehen auch charakteristische Allgemeinsymptome der Verbrennung. Die Kranken sind unruhig, werfen sich hin und her, versuchen aufzustehen. Die Unruhe kann sich zu Delirien und Krämpfen steigern, die von Apathie und Somnolenz gefolgt sind. Der Puls ist klein, schnell und kaum fühlbar, die Atmung oberflächlich, die Körpertemperatur liegt unter dem Normalwert. Der Durst ist bei sehr spärlicher Ausscheidung von Urin, der Eiweiß und Hämoglobin enthält, äußerst stark; mitunter besteht auch eine völlige Anurie. Die örtlichen Schädigungen sind im ersten Verbrennungsgrade von geringer Bedeutung. Sie erzeugen zwar heftig brennende, später juckende Schmerzen, heilen dann aber aus. Die zunächst durch ihre Farbänderung gegenüber der normalen H a u t gekennzeichneten Narben blassen langsam ab und pflegen keinerlei sichtbare Zeichen zu hinterlassen. Die Verbrennungen 2. Grades sind schmerzhafter, zeichnen sich durch eine recht beträchtliche Transsudation von Plasma aus und neigen zu sekundärer bakterieller Infektion mit ihren Komplikationen. Die Sekrete bilden zusammen m i t den Epithelresten Wundschorfe, die recht beträchtlichen Umfang annehmen können. Da aber

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Verletzungen der Weichteile der Gliedmaßen

bei der Verbrennung 2. Grades überall in der Haut Epithelreste zurückgeblieben sind, so ist die Regeneration sehr gut, und störende Narben gehören zu den Seltenheiten. Sie werden nur beobachtet, wenn bakterielle Infektionen hinzutreten. Anders ist es bei der Ausheilung der Verbrennungen 3. Grades. Hier sind größere Teile der Haut und vielleicht auch darunter liegende Gewebe zugrunde gegangen. Die Nekrosen stoßen sich langsam ab. Die sich bildenden Granulationen überhäuten sich langsam vom Rande her, sie schrumpfen und führen so immer zu Kontrakturstellungen der Gelenke. Die Brandnarben sind stets mit einer sehr dünnen Epidermisschicht bedeckt, welche häufig aufplatzt, in ihr finden sich schwer heilende Narbengeschwüre, die bei jahrelangem Bestehen auch maligne degenerieren können. Die Brandnarben neigen ferner dazu, sich in Form eines Keloids umzuwandeln. Die Brandnarbenkontrakturen bedürfen frühzeitig plastischer Operationen zur Verhütung der Narbenschrumpfung mit allen ihren schädlichen Folgen. Die Behandlung der Verbrennung muß zunächst den schweren Allgemeinzustand berücksichtigen. Gegen die Wasserverarmung des Körpers ist reichliche Flüssigkeitszufuhr auf natürlichem Wege oder durch Tropfeinlauf und gegebenenfalls durch subkutane oder intravenöse Infusion notwendig. Den Infusionsflüssigkeiten sind reichliche Mengen von analeptischen Mitteln (Koffein, Kardiazol, Ephetonin, Adrenalin) zuzusetzen, die man natürlich ebenso wie Kampferpräparate subkutan injizieren kann. Da nach Verbrennungen der Wärmeverlust des Körpers sehr groß ist (Untertemperatur), so sind die Verletzten gut warm zu halten (Heizbügel und wollene Decken). Die Bekämpfung der Schmerzen ist notwendig, aber auch schwierig. Erfahrungsgemäß wirkt das Morphium auch in hohen Dosen bei Verbrennungen nicht genügend. Man verwendet daher besser Skopolamin. Häufige Untersuchung des Urins ist besonders in bezug auf die Prognose wichtig. Zur Bekämpfung des Schocks bei schweren und ausgedehnten Verbrennungen wird jetzt auch Injektion von Megaphen und Atosil, sowie Infusion von Hydrocortison empfohlen. Gelegentlich kann eine Intubation mit passiver Sauerstoffatmung lebensrettend sein. Die örtliche Behandlung der Verbrennung richtet sich nach ihrem Grade. Verbrennungen 1. Grades wird man mit kühlenden Pudern, Salbenverbänden oder auch mit den im Handel befindlichen Mitteln wie B a r d e l e b e n s Brandbinde oder ähnlichem behandeln. Bei den Verbrennungen 2. Grades ohne nennenswerte Nekrose von Hautteilen hat es sich bewährt, die Brandblasen mit Pinzette und Schere abzutragen, die dann zutage liegenden Hautwunden mit dünnstem Blattsilber zu bedecken und darüber einen sterilen Verband anzulegen, der je nach dem Umfang der Sekretion gewechselt werden muß. Bei jedem Verbandwechsel ist die Versilberung dort, wo sie nötig ist, zu erneuern. Das Silber wirkt stark schmerzlindernd und beschleunigt die Epithelisierung. Die noch häufig empfohlene Verwendung der v. B a r d e l e b e n sehen Brandbinde ist bei großen Epitheldefekten nicht ratsam, da sie zu schweren Allgemeinvergiftungen führen kann. Bei kleineren Verbrennungen ist sie im Notfalle anwendbar. Weit schwieriger ist die Behandlung der Verbrennung 3. Grades. Da wir wissen, daß die nekrotischen Gewebsteile mit ihren giftigen Abbauprodukten eine der Ursachen des Verbrennungstodes sind, so ist es folgerichtig, eine Behandlungsart anzuwenden, bei welcher die Nekrosen möglichst vollständig entfernt werE o s t o c k , J.elubuch der speziellen Chirurgie. 3. Aufl.

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Chirurgie der

Gliedmaßen

den. Zu diesem Zwecke wird der Verbrannte narkotisiert, und dann werden mit Wasser und Seife und harter Wurzelbürste die Brandstellen abgebürstet und alle nekrotischen Gewebsteile entfernt. Das Verfahren sieht sehr roh aus und ist für den ausführenden Arzt sicher sehr unangenehm, es ist aber tatsächlich das einzige Mittel, bei großen Verbrennungen, bei denen der Mensch in Lebensgefahr schwebt, rettend einzugreifen. Daher sollte man es auch anwenden. Ein bestehender Kollapszustand muß vor Beginn der Behandlung behoben sein. Die nach dem Abbürsten entstandenen Wundflächen sind mit Blattsilber zu bedecken und mit sterilem oder Salbenverband zu versorgen. Ausgehend von der Überlegung, daß Gerbsäure das Eiweiß fällt und nicht resorbierbar macht, wurde empfohlen, die Verbrennungsnekrosen mit Gerbsäurelösung zu behandeln, um so die Resorption giftiger Eiweißabbaustoffe zu verhindern. Das auf richtiger Überlegung beruhende Verfahren leistet wegen der geringen Tiefenwirkung der Gerbsäure nicht das, was mit dem Abbürsten erreicht wird. Während des Abstoßens der Nekrose kann eine Behandlung im warmen Dauerbad mit tadelloser Hautpflege nützlich sein. Bei kleinen Verbrennungen 3. Grades, die wegen ihrer geringen Ausdehnung das Leben des Menschen nicht gefährden, ist es erlaubt, das spontane Abstoßen der Nekrosen unter Behandlung mit feuchten Verbänden oder Salbenverbänden verschiedener Art abzuwarten. Wenn die Nekrosen abgestoßen sind und die Wundflächen granulieren, soll frühzeitig mit dem Epithelersatz begonnen und nicht abgewartet werden, bis die Epithelisierung vom Rande her fortschreitet. Auch bei noch erheblicher Sekretion läßt sich die Methode der B r a u n sehen Pfropfung mit bestem Erfolg anwenden, bei geringer Sekretion leistet die Hauttransplantation nach R e v e r d i n sehr Gutes. Auf diese Weise beugt man auch am besten der Ausbildung von Kontrakturen vor. Schädigungen durch strahlende Energie Auch durch Sonnenstrahlen oder künstliche Höhensonne und andere künstliche Lichtquellen kann eine Verbrennung der Haut hervorgerufen werden, welche aber für gewöhnlich den 2. Grad nicht überschreitet. Der „Sonnenbrand" wird zur Erzeugung einer braunen Hautfarbe sogar alljährlich von unzähligen Ferienreisenden und Wochenendausflüglern künstlich hervorgerufen. Ärztlicher Behandlung bedarf er nach den vorstehend mitgeteilten Regeln nur, wenn er besonders großes Ausmaß angenommen hat. Bei der Röntgentherapie und Röntgendiagnostik kann es, wenn die Röntgenstrahlen von sachunkundigen Ärzten angewandt werden oder wenn unbemerkt Bedienungsfehler (Vergessen des Einschaltens von Filtern) sich ereignen, zu schwersten Röntgenverbrennungen kommen. Dies ist sowohl bei einmaliger großer Uberdosierung, besonders mit weichen Strahlen, oder durch wiederholte Kleindosen möglich. Die moderne Strahlentherapie, z. B. der Hautkarzinome, erzeugt absichtlich Reaktionen der Haut, aber in solchem Umfang, daß sie reversibel sind. Auch bei Röntgenverbrennung unterscheiden wir die bekannten drei Grade. Wenn es zum Gewebszerfall gekommen ist, bildet sich ein Rönigenulkus, welches nur äußerst schwer zur Heilung gebracht werden kann, da die geschädigten Blutgefäße der umgebenden Gewebe keine Heilenergie aufbringen. Die maligne Degeneration derartiger Geschwüre ist häufig beobachtet worden.

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V e r l e t z u n g e n der W e i c h t e i l e der G l i e d m a ß e n

Bei Personen, welche berufsmäßig mit Röntgenstrahlen umzugehen haben (Techniker wie Ärzte), hat sich früher, als die Gefahren noch nicht bekannt und die Schutzvorrichtungen mangelhaft waren, eine chronische Röntgendermatitis entwickelt, welche in einer trockenen atrophischen Haut bestand, die zum Auftreten von Rissen und Hyperkeratosen neigte. Aus ihr entstand oft ein echtes Karzinom. Zahlreiche Pioniere der Röntgenologie sind amRöntgenkarzinom gestorben. Erfrierungen Auch bei der örtlichen Erfrierung unterscheiden wir analog dem Zustande der Verbrennung drei verschiedene Grade: Das Erythem, die Ausbildung von Blasen und die Nekrose. Am menschlichen Körper sind Zehen und Finger, evtl. Hände und Füße, ferner die Ohrmuscheln und die Nasenspitze besonders der Erfrierung ausgesetzt. Die Hautstellen werden zunächst blaß, dann infolge von Gefäßlähmung bläulichrot bei gleichzeitiger Anschwellung des Gliedes und einem Gefühl des Juckens und Brennens, welches in das Stadium der Gefühllosigkeit übergeht. Zum Eintreten einer Erfrierung ist nicht Voraussetzung, daß die Lufttemperatur unter 0° sinkt. Bei langem Stehen in Nässe sind auch bei Temperaturen über 0° einwandfrei Erfrierungen, besonders der Zehen, eingetreten. An Füßen und Fingern entstehen häufig örtliche Erfrierungen, die man als Frostbeulen (Perniones) bezeichnet. Sie stellen blaurote, in der Wärme heftig juckende, umschriebene Anschwellungen der Haut dar. Bei den akuten Erfrierungen läßt sich der 2. und 3. Grad meist nicht voneinander unterscheiden. Die Abstoßung der Nekrosen dauert recht lange. Bei der Behandlung der Erfrierungen sind folgende Regeln zu beachten. Hart gefrorene Gliedmaßenteile sind nicht durch plötzlich einwirkende Wärme, sondern in kühlem, langsam zu erwärmendem Raum allmählich aufzutauen. Vorsichtige kalte Abreibungen (z. B. mit Schnee) sollen die Stase der Blutgefäße langsam lösen. Auch Hochlagerung des Gliedes ist hierzu ratsam. Ist es zur Gewebsnekrose gekommen, muß man durch trockene Verbände die Ausbildung einer trockenen Gangrän zu erreichen versuchen. Absetzung von Gliedern soll erst erfolgen, wenn eine sichere Demarkation eingesetzt hat. Bei der Erfrierung 2. und 3. Grades ist die passive Immunisierung gegen Tetanus ratsam. Zur Behandlung der leichten Erfrierungen, z. B. der Frostbeulen, haben sich Aufpinseln von Jodtinktur, Wechselbäder, Diathermieanwendung bewährt. Außerdem wird man Verbände mit verschiedenen Salben anlegen. Die Blauverfärbung der Haut bleibt nach Erfrierungen meist sehr lange bestehen. An Nase und Ohr ist dieser Zustand besonders unschön. Elektrische Verletzungen Obwohl Verletzungen durch den elektrischen Strom, d. h. Gewebsnekrosen, welche im Anschluß an die Durchströmung von Körperteilen durch den elektrischen Strom hervorgerufen worden sind, häufig mit echten Verbrennungen, z. B. durch Wärmewirkung des elektrischen Öffnungsfunkens, kombiniert sind, handelt es sich doch um andere Vorgänge in den Geweben als bei der Verbrennung. Nur im Endergebnis, nämlich der Gewebsnekrose, gleichen sie sich. Die auf den Körper einwirkende Elektrizität, sei es Starkstrom, sei es Blitzschlag, erzeugt Kontraktionen der Muskulatur und Elektrolyse in den 32*

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Chirurgie der Gliedmaßen

Körpergeweben. Diese führen ihrerseits zum Gewebstod. Ist die Haut betroffen, so nimmt sie lederartigen Charakter an. An den Eintrittsstellen des Stroms finden wir weißliche Gewebsverfärbungen, welche man als „Strommarken" bezeichnet, und welche mitunter das Aussehen von Blitzfiguren haben. Auch scharf begrenzte, lochförmige Gewebsdefekte können an den Stromeintrittsstellen vorhanden sein. Die elektrischen Bedingungen, bei denen Gewebsschäden auftreten, sind äußerst variabel. Man kann nicht etwa erfahrungsgemäß sagen, daß bei einer gewissen Spannung und Stromstärke die Berührung einer Leitung gefahrlos ist und darüber gefahrvoll. Dieselben Bedingungen können einmal folgenlos vertragen werden, ein anderes Mal ausgedehnte Gewebsnekrosen machen und ein drittes Mal sofort zum Tode führen. Warum diese verschiedenen Wirkungen möglich sind, entzieht sich noch unserer Kenntnis. Sicher spielen Reizbereitschaft (z. B . bei dem auf Berührung stets gefaßten Elektriker), die Feuchtigkeit der Haut an sich und der Kleidung und anderes eine Rolle. Wichtig ist, daß der in fast jedem Haushalt vorhandene elektrische Strom, wenn er durch den Körper fließt, schwere Gewebsnekrosen hervorrufen oder sogar zum Tode führen kann. Für die Behandlung der elektrisch erzeugten Gewebsnekrosen muß man wissen, daß sie ganz besonders langsam sich demarkieren. Es können sich in schon verloren erscheinendem Gebiet noch Gewebsteile erholen und am Leben bleiben, andererseits aber auch in zunächst gesund erscheinenden Teilen sich nach Tagen und Wochen noch Nekrosen einstellen. Alle diese Nekrosen haben die Eigentümlichkeit, daß sie sich äußerst langsam gegen das gesunde Gewebe demarkieren, am Knochen kann der Prozeß sogar über ein Jahr dauern. Da außerdem fast stets eine trockene Gangrän sich entwickelt, so wähle man den Zeitpunkt einer notwendig werdenden Amputation nicht zu früh, sondern warte ab, bis man die Grenze zwischen totem und lebendem Gewebe sicher erkennen kann. Neben dem örtlichen Gewebstod erzeugt der Strom starke Allgemeinerscheinungen. Am eindrucksvollsten ist die zentralbedingte Atemlähmung, die erst nach Stunden zurückgehen kann. Daher soll bei elektrisch Verletzten viele Stunden lang künstliche Atmung gemacht werden. Mitunter wird man dadurch ein Menschenleben retten. Auch Herzschäden können eintreten. Frühzeitige elektrokardiographische Untersuchung ist daher am Platze.

Verletzungen der Knochen und Gelenke Allgemeines über Knochenbrüche und ihre Heilung Die Knochenbrüche und ihre Behandlung spielen für den Arzt eine große Rolle. Ihrer Wichtigkeit entsprechend gibt es über dieses Sondergebiet zahlreiche gute Bücher, deren Studium nur empfohlen werden kann. Hier können und sollen nur die wichtigsten Grundzüge behandelt werden. Dementsprechend muß die Darstellung sehr knapp gehalten sein. Auf die Schilderung aller möglichen Frakturformen und mehrerer differenter Behandlungsmethoden mußte verzichtet werden; es ist immer nur das Empfehlenswerteste mitgeteilt worden. Wir unterscheiden bei den Frakturen einfache subkutane Knochenbrüche von komplizierten offenen Brüchen. Das Charakteristikum liegt einzig und allein

Verletzungen der Knochen und Gelenke

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darin, ob mit dem Knochenbruch noch eine Hautwunde in Verbindung steht. Nur wenn dieses der Fall ist, spricht der Arzt von einer komplizierten Fraktur, nicht etwa dann, wenn die Bruchlinien im Knochen zahlreich und vielgestaltig oder wenn starke Verschiebungen der Bruchenden eingetreten sind. Weiterhin bedarf der Begriff der Spontanfraktur der Definition. Wir sprechen von ihr, wenn nicht ein normaler Knochen durch eine Gewalteinwirkung gebrochen wird, sondern wenn in dem Knochen Allgemeinerkrankungen oder örtlich lokalisierte Erkrankungsherde sich befinden, welche es verursachen, daß der Knochen vollkommen ohne oder durch sehr geringe äußere Gewalteinwirkungen zerbricht. Als solche Allgemeinerkrankungen kommen in Frage: Alle mit Abzehrung einhergehenden Erkrankungen, ferner angeborene oder ererbte Knochenbrüchigkeit, Osteogenesis imperfecta, Osteomalazie, Rachitis, Skorbut, Lues, Tabes u. a. Als örtliche Krankheitsursachen kommen in Betracht: Knochenatrophie bei Lähmung, senile Osteoporose (z. B. am Schenkelhals), Ostitis fibrosa, Knochentumoren aller Art, Gummen, Zysten, Echinokokkus, Osteomyelitis, Metastasen maligner Tumoren (z. B. bei Mamma-Karzinom und Prostata-Karzinom), Syringomyelie u. a. Wenn die Gewebstrennung in der noch vorhandenen Epiphysenlinie auftritt, was besonders am Schenkelhals der Fall sein kann, sprechen wir von einer Epiphysenlösung. Die Spontanfrakturen können durchaus wieder heilen, mitunter tun sie es sogar mit besonders reichlicher Kallusentwicklung. Bei der Behandlung ist naturgemäß der Allgemeinbehandlung des Grundleidens besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Eine besondere Form der Knochenbrüche stellen die Schußbrüche dar. Sie sind selbstverständlich stets komplizierte Brüche, bei denen die Weichteil Verletzungen sehr ausgedehnt sein können, zumal wenn von dem Geschoß Teile des getroffenen und zersplitterten Knochens mitgerissen worden sind. Zwischen dem Zustand, bei dem das Geschoß den Knochen durchdringt wie eine Nadel ein Blatt Papier und einen „Lochbruch" im Knochen vorwiegend an den Epiphysen erzeugt, und dem Zustand, bei dem ein Zertrümmerungsschußbruch mit Ausbildung und teilweise erheblicher Verlagerung zahlreicher Knochensplitter vorliegt, kommen alle nur denkbaren Ubergänge vor. Die Stärke der Zertrümmerung hängt im wesentlichen von der Art (z. B. Gewehrgeschoß oder Granatsplitter), der Größe und der lebendigen Kraft des auftreffenden Geschosses ab. Nebenverletzungen der umgebenden Weichteile, der Nerven und Gefäße sind häufiger als bei anderen komplizierten Frakturen. Die Bedingungen für Auftreten und Ausbreitung einer Wundinfektion sind sehr gut, so daß die Therapie durch sorgfältigste Wundtoilette mit Entfernung alles zertrümmerten Gewebes und aller Fremdkörper, Eröffnung und Drainage aller Wundbuchten und sorgfältigster Blutstillung zu erfolgen hat. Die Ruhigstellung der verletzten Extremität, am besten durch gefensterte Gipsverbände, dient gleichmäßig der Verhütung der Infektionsausbreitung, der Wundheilung und der Knochenbruchheilung. Diese kann bei Schußfrakturen gegenüber der Norm wesentlich verlängert sein. Das Auftreten von Pseudarthrosen ist häufig. Sequestrierungen, langwierige Fisteleiterungen werden oft noch nach langer Zeit beobachtet. Schließlich macht man noch Unterscheidungen nach der Ausdehnung des Knochenbruches, d. h. ob die Kontinuitätstrennung im Knochen vollständig ist oder ob eine unvollständige Fraktur vorliegt. Wir sprechen von der letzteren,

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wenn der Knochen durch Teile seiner Substanz (meist ist es der Periostschlauch) auch über die Bruchstelle hinweg zusammengehalten wird. Je weicher der Knochen, besonders im jugendlichen Alter, ist, um so häufiger beobachten wir derartige Grünholzfrakturen. Mit zunehmendem Alter wird der Knochen spröder. Aber auch dann können wir bei geringer Gewalteinwirkung Fissuren, d. h. Risse und Sprünge, welche den Knochen nur teilweise durchsetzen, beobachten. Die Art und Weise, wie ein Knochenbruch entsteht, mit einem anderen Wort, der Frakturmechanismus, kann sehr verschieden sein. Die Unterscheidung, ob die Gewalt direkt oder indirekt zum Knochenbruch geführt hat, ist für das Verständnis von Wert, einprägsamer ist aber die Unterscheidung nach den an der Bruchstelle auftretenden Kräften. Demgemäß kennen wir Biegungsbrüche. Meist kommen sie an langen Röhrenknochen vor. Werden diese auf Biegung beansprucht, treten an der Konvexität Kräfte auf, welche entgegengesetzte Richtung haben, so daß die Knochensubstanz einreißt, während auf der konkaven Seite sich die Gewebsteile ineinander schieben. Auf diese Weise wird an der Bruchstelle ein rhombisches Knochenstück, das sogenannte dritte Fragment, ausgesprengt, welches auf dem Röntgenbild Dreiecksform hat. Bei der Bruchentstehung durch Scherung wirken entgegengesetzt gerichtete Kräfte auf engem Raum gegeneinander, beispielsweise am Schenkelhals, wenn jemand aus großer Höhe auf die Beine springt. Es entsteht eine geradlinig verlaufende Bruchlinie. Eine Torsionsfraktur t r i t t auf, wenn in einem Röhrenknochen das eine Ende fixiert ist und das andere eine Drehbewegung ausführt. Die typische Skifraktur des Unterschenkels ist dafür das bekannteste Beispiel. Das Ergebnis sind schraubenzieherartig gebogene Bruchflächen, welche den Knochen schräg durchsetzen und ein spitzes Ende haben. Man spricht dann von Flötenschnabelbrüchen. Die Kompressionsbrüche entstehen durch Zusammendrücken eines Knochens. Dementsprechend beobachten wir sie an kleinen, kurzen Knochen. Aber auch der Tibiakopf vermag vom eigenen Oberschenkelknochen im Sinne einer Kompression gebrochen zu werden. Und schließlich kann ein Knochen im Sinne des Rißbruches verletzt werden. Der Kniescheibenbruch ist ein sehr einprägsames Beispiel. Durch übermäßige Anstrengung der Streckmuskulatur des Oberschenkels reißt die in seinen Sehnen eingelagerte Kniescheibe durch. Die Diagnose eines Knochenbruches hat wie jede ärztliche Handlung zur Erkennung einer Erkrankung mit der Ermittlung der Vorgeschichte zu beginnen. Sie gibt wichtige Hinweise für die Erkennung der Verletzung und auch Anhaltspunkte für das Vorhandensein von Nebenverletzungen, nach denen man stets fahnden muß. Daneben gibt es aber auch einige klassische Fraktursymptome, die jedes für sich nicht beweisend für das Vorliegen eines Knochenbruches sind und auch bei anderen Verletzungsarten vorkommen (z. B. der Bluterguß, die Functio laesa), aber doch in ihrer Gesamtheit und richtigen Wertung bei peinlich genauer Untersuchung auch ohne Röntgenbild die Diagnose einer Fraktur ermöglichen. Der Bluterguß ist stets bei einer Fraktur vorhanden, denn aus der Knochenwunde und den verletzten Weichteilen der Umgebung blutet es meist sogar recht stark. Bei tief liegenden Frakturen ist er an der Hautoberfläche aber erst nach einer gewissen Zeit bis zu mehreren Tagen nachweisbar, mitunter fern von der Bruchstelle entsprechend dem Verlauf der Muskelinterstitien. In

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anderen Fällen k a n n der Bluterguß so stark und prall sein (z. B. Kalkaneusfraktur), daß in seinem Bereich die Oberhaut in Blasen abgehoben wird und (z. B. am Ellenbogen) daß die Blutversorgung durch Gefäßkompression gedrosselt wird. Der Bluterguß ist zwar kein sicheres Zeichen eines Knochenbruches, da er selbstverständlich auch bei reinen Weichteilquetschungen v o r k o m m t . Aber dennoch sollte m a n bei seinem Vorhandensein sehr genau untersuchen, ob vielleicht nicht doch sich eine F r a k t u r hinter ihm verbirgt.

Abb. 280 Torsionsbruch

Abb. 281 Kompressionsbruch

Abb. 282 Rißbruch

Abb. 278—282. Die typischen Frakturmechanismen

Die Deformität ist, auch wenn sie nicht sehr hochgradig ist, durch Betracht u n g und durch Vergleich m i t der nicht verletzten Seite festzustellen. Sie k a n n in fünf verschiedenen Formen auftreten, die aus Abb. 283—287 zu ersehen sind. Die Aufhebung der normalen Funktion des Gliedes (Functio laesa) bei Vorliegen eines Knochenbruches kann sowohl rein mechanisch durch den Fort-

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Chirurgie der Gliedmaßen

Abb. 283. Dislocatio ad axin

Abb. 285 Dislocai, ad longitudine»! cum contractione Abb. 283—-287.

Abb. 284. Dislocatio ad latus

Abb. 286 Dislocai ad longitudinem cum distractione

Abb. 287 Dislocatio ad peripheriam

Verschiedene Formen der Dislokationen bei Knochenbrüchen

fall der normalen Stütze als auch reflektorisch durch Ruhigstellung der von der Verletzung betroffenen Körpergegend hervorgerufen werden. Obwohl sie auch bei anderen Verletzungen und Erkrankungen vorkommt und damit kein sicheres Frakturzeichen ist, so gehört ihre Prüfung doch zur einwandfreien Frakturuntersuchung.

Verletzungen der Knochen und Gelenke

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Der umschriebene Druckschmerz ist sehr wichtig, obwohl auch er durch Weichteilverletzungen allein hervorgerufen werden kann. Durch behutsames Abtasten des evtl. gebrochenen Knochens, begonnen von einem unverletzten Teil und fortschreitend nach der vermuteten Bruchstelle, ist dieses wichtige Bruchzeichen zu ermitteln. Die abnorme Beweglichkeit ist ein absolut sicheres Frakturzeichen, denn nur bei einer im Knochen vorhandenen völligen Gewebstrennung wird sie beobachtet. Liegt die Fraktur in der Nähe von Gelenken, so kann die einwandfreie Feststellung der abnormen Beweglichkeit auf Schwierigkeiten stoßen. Weiterhin braucht das Symptom nicht bei allen Knochenbrüchen (z. B. bei den eingekeilten) vorhanden zu sein. An kleinen Knochen entzieht es sich der Feststellung. Die Krepitation fühlt der Arzt, wenn er die Bruchstücke gegeneinander verschiebt. Die Prüfung auf dieses Zeichen wird also am besten mit der Prüfung auf abnorme Beweglichkeit verbunden. Das Zeichen fehlt, wenn die Bruchenden eingekeilt sind oder wenn Weichteile, meist Muskelbündel, zwischen ihnen liegen. Verwechslungen mit Reibegeräuschen in Gelenken und entzündeten Sehnenscheiden sind vorgekommen, aber vermeidbar. Das letzte Frakturzeichen ist der Nachweis des Knochenbruches auf dem Röntgenbild. Wenngleich bei typischen Frakturen eine sichere Diagnose auch ohne dieses Hilfsmittel möglich ist, sollte heutzutage die Röntgenuntersuchung nie unterlassen werden. Auch wenn sie zur Bestätigung der Diagnose nicht notwendig sein sollte, so gibt sie uns doch ein so klares Bild von Lage, Form und Ausdehnung der Bruchstelle, wie es durch eine klinische Untersuchung nicht zu gewinnen ist. Für die Einleitung einer zweckmäßigen Therapie bildet das Röntgenbild unerläßliche Grundlage. Eine große Reihe von Frakturen, besonders kleiner Knochen, läßt sich überhaupt nur aus dem Röntgenbefunde diagnostizieren. Heutzutage wird mit Recht die Unterlassung der Röntgenuntersuchung beim Vorliegen auch nur eines Verdachtes auf Bestehen eines Knochenbruches als Kunstfehler angesehen. Nebenverletzungen beim Knochenbruch treten immer ein. Der Arzt muß sich von der Auffassung frei machen, daß nur dieser oder jener Knochen gebrochen ist. Vielmehr sind stets der gesamte örtliche Bewegungsapparat der betreffenden Körpergegend und daneben auch in wechselndem Umfang der Gesamtkörper mitbeteiligt. Der aus der Frakturstelle austretende Bluterguß, von dem schon gesprochen wurde, durchtränkt alle benachbarten Gewebe und ist manchmal, z. B. bei multiplen Frakturen, so hochgradig, daß eine Verblutung in das eigene Körpergewebe eintreten kann. Eine bald auszuführende Bluttransfusion in ausreichender Menge ist die beste Heilmaßnahme, da durch sie die Blutmenge ersetzt wird und sie gleichzeitig blutstillend wirkt. Verletzungen großer Arterien und Nerven primär durch die Gewalteinwirkung selbst und sekundär durch Schneidewirkung scharfer und spitzer Fragmente kommen nicht allzu selten vor. Der Arzt muß sich von dem Vorhandensein oder Fehlen solcher Verletzungen bei der ersten Untersuchung überzeugen. Dadurch, daß die Blutgefäße an der Bruchstelle des Knochens klaffend gehalten werden, daß andererseits Fettgewebe besonders aus dem Knochenmark, aber auch aus den Weichteilen durch die Gewalteinwirkung verflüssigt und in die offenen Gefäßlumina gepreßt wird, kommt es zur Fettembolie. Meist ist sie so geringgradig, daß sie klinisch nicht in Erschei-

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Chirurgie der G l i e d m a ß e n

nung tritt. Sie kann aber auch besonders nach schwierigem Transport mit schlechten Verbänden oder nach Repositionsmanövern zu schweren Allgemeinerscheinungen wie Bewußtlosigkeit, Krämpfen, Entwicklung pneumonischer Herde oder Herzschwäche führen, je nachdem ob die Fett-Tropfen vorwiegend Gefäße des Gehirns, der Lunge oder des Herzens verstopft haben. Auch Ausscheidung flüssigen Fettes durch die Nieren und Ablagerung in den Gefäßen der Retina (Augenspiegel!) sind beobachtet worden. In der Jugend und im Alter sind Fettembolien selten. Die Heilung eines Knochenbruches nimmt ihren Ausgang von dem durchtrennten Knochengewebe selbst, aber auch der Bluterguß in der Umgebung hat einen erheblichen Anteil an ihr. Nachdem in ihm eine fibrinöse Gerinnung eingetreten ist, wird der Bluterguß bindegewebig umgewandelt. Dieses Bindegewebe nimmt unter dem Reiz der benachbarten Knochenwunde einen besonderen Charakter an, nämlich es erhält die Fähigkeit, sich entweder direkt oder auf dem Umwege über Knorpel in Knochen umzuwandeln. Gleichzeitig beginnt auch von der Knochenbruchstelle her das Wachstum der Knochenneubildungsmasse oder des Kallus. Je nachdem, ob er seinen Ursprung vom Periost, von der intermediären Knochensubstanz oder vom Markgewebe hat, bezeichnet man ihn entsprechend. Der Streit, welcher Teil des Kallus wichtiger ist, ist müßig. Alle drei Formen kommen vor, wenngleich auch der periostale Kallus an Mächtigkeit zu überwiegen pflegt. Durch Aufnahme mittels weicher Röntgenstrahlung kann man den Fortschritt der Kallusentwicklung verfolgen. Der zunächst rein bindegewebige Kallus umgibt spindelförmig die Bruchstelle. Er ist sogar in der Lage, den Raum zwischen Bruchstücken, welche sich nicht berühren, zu überbrücken. In diesem Gewebe bildet sich dann Knochen, und zwar stets sehr viel mehr, als schließlich gebraucht wird. Infolgedessen tritt an der Bruchstelle eine mächtige, harte Verdickung von Kallusgewebe auf, welche zunächst einmal mit einem Uberschuß an Masse die Bruchstelle festigt. Unter dem Reiz der Funktion und der normalen Belastung tritt dann ein Abbau und Umbau dieser Masse ein, der so weit gehen kann, daß bei guter Stellung der Bruchstücke nach längerer Zeit kaum ein Rest der Knochennarbe zu sehen ist. Wie lange der Körper hierzu braucht, ist sehr verschieden, einmal je nach dem betroffenen Knochen und dann auch nach dem Reaktionszustand des Körpers und dem Alter des Verletzten. Störungen der inneren Sekretion, Avitaminosen, Allgemeinerkrankungen, Vorhandensein mehrfacher Frakturen, unzweckmäßige Behandlung, aber auch uns völlig unbekannte und nicht erkennbare Konstitutionsanomalien können die Bruchheilung sowohl überhaupt als auch in ihrem zeitlichen Ablauf sehr A b b . 288. P e r i o s t a l e r u n d myelogener Kallus

Verletzungen der K n o c h e n u n d Gelenke

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erheblich beeinflussen. Die nachstehend mitgeteilten Zahlen können also nur als sehr grobe Durchschnittswerte angesehen werden. Es brauchen etwa zur ausreichend festen knöchernen Heilung: ein Fingerknochen 3 Wochen, ein Mittelhand- oder Mittelfußknochen 4 Wochen, eine Rippe 3 Wochen, ein Schlüsselbein 4 Wochen, ein Yorderarmknochen 8 Wochen, ein Oberarmknochen 6 Wochen, ein Schienbein 7—8 Wochen, ein Oberschenkelknochen 10 Wochen, ein Schenkelhals 12 Wochen und mehr. Störungen der Knochenbruchheilung: können sowohl dadurch eintreten, daß die Kallusbildung an sich verlangsamt ist, als auch dadurch, daß die Verknöcherung des bindegewebigen Kallus sich verzögert. Dieser Zustand

A b b . 289. S c h l a f f e D e f e k t p s e u d a r t h r o s e a m U n t e r a r m

kann langsam in den Zustand des völligen Ausbleibens der Knochenbruchheilung oder, mit anderen Worten, in die Ausbildung einer Pseudarthrose übergehen. Die Grenze zwischen beiden ist fließend. Eine bestimmte Zeitgrenze, wann man von verzögerter Kallusbildung und wann von einer Pseudarthrose spricht, kann nicht angegeben werden. Das brauchbarste differentialdiagnostische Zeichen zwischen beiden besteht in folgendem: Wenn man auf dem Röntgenbild erkennt, daß sich an der Markhöhle der Kallus so verdichtet, daß er sich der Schattenintensität der Kortikalis nähert, wenn sich also die Markhöhle durch einen Knochendeckel abzuschließen beginnt, dann handelt es sich um den Vorgang der Rildung einer Pseudarthrose. Unter Pseudarthrose (falsches Gelenk) versteht man die bindegewebige Ausheilung eines Knochenbruches, so daß an der Pseudarthrosenstelle eine abnorme Reweglichkeit zurückbleibt. Das Ausmaß dieser abnormen Reweglichkeit kann zwischen kaum feststellbarem Federn und schlaffem Schlottern in allen Richtungen schwanken. Die Ursachen der Pseiidarthrosenbildung sind uns eigentlich nicht bekannt. Allgemeinerkrankungen verschiedenster Art (Lues, Rachitis, Osteomalazie u. a.),

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Chirurgie der G l i e d m a ß e n

nicht sachgemäße Vereinigung der Bruchstücke, Interposition von Weichteilen zwischen sie, zu kurze oder überhaupt fehlende Fixierung des Knochenbruches und Infektion werden als Ursache angeschuldigt. Jede für sich kann eine Pseudarthrose erzeugen, braucht es aber keineswegs. Leider hat uns auch die histologische Gewebsuntersuchung in ätiologischer Hinsicht nicht sehr viel weiter gebracht. Es gibt ferner eine Reihe von Brüchen, welche so gut wie nie pseudarthrotisch heilen (z. B. Rippe oder Schlüsselbein), und andere, bei denen wir Pseudarthrosen häufiger beobachten (z. B. Schenkelhals, Vorderarmknochen und Schienbein). Wir unterscheiden mehrere Formen von Pseudarthrosen. Bei den Defektpseudarthrosen, bei denen Knochensubstanz in größerem Umfang aus irgendeinem Grunde verloren gegangen ist, kann man die Entstehung noch am ehesten verstehen, da der Kallus nicht die Wachstumsenergie hatte, die lange Strecke zwischen den Bruchenden zu überbrücken. Bei diesen Pseudarthrosen besteht meist eine schlaffe abnorme Beweglichkeit, welche den Gebrauch der Gliedmaßen in hohem Grade behindert. Daneben gibt es aber auch Pseudarthrosen, bei denen sich die Knochenenden ganz nahe gegenüberstehen. In zahlreichen Fällen kommt es zu einer Umwandlung der Knochenenden in die Form eines Gelenkkopfes und einer Gelenkpfanne, die von einer derben, bindegewebigen Membran nach Art einer Gelenkkapsel umgeben sind, in welcher auch eine gelenkschmiereartige Flüssigkeit sich findet. Auch in diesem Fall ist deutliche abnorme Beweglichkeit vorhanden. Und schließlich beobachten wir Formen, in denen die beiden Knochenenden nur durch einen schmalen Spalt getrennt sind, welcher mit einem harten, dicken Bindegewebe ausgefüllt ist, das die Ausführung nennenswerter abnormer Bewegungen verhindert. Wir bezeichnen diesen A b b . 290. U l n a r p s e u d a r t h r o s c m i t A u s b i l d u n g v o n Gelenkkopf und Gelenkpfanne

Z u s t a n d als „ s t r a f f e

Pseudarthrose".

Das Gegenteil der Pseudarthrose, nämlich die übermäßige Kallusentwicklung (Callus luxurians), ist sehr viel seltener. Sie hat nur dann praktische Bedeutung, wenn sie durch Druck benachbarte Gebilde stört oder durch Überbrückung des Zwischenknochenraumes am Vorderarm zur Synostose von Radius und Ulna und damit zur Aufhebung der Drehfähigkeit des Vorderarmes führt. Stets verbunden mit einem Knochenbruch ist eine Atrophie der benachbarten Muskulatur. Sie ist eine Folge der Inaktivität der Muskeln und bildet sich nach eingetretener Knochenbruchheilung durch die wieder erlangte Funktion zurück, wenn nicht durch unzweckmäßige Heilmaßnahmen oder heilungsfeindliches Verhalten des Verletzten die Extremität ungebührlich geschont wird. Bei

V e r l e t z u n g e n der K n o c h e n u n d Gelenke

A b b . 291. N o r m a l e H a n d

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A b b . 292. H a n d bei S u d e c k scher Knochenatrophie

Störungen des vegetativen Nervensystems kann es zu einer Gewebsdystrophie mit Ödem, Zyanose, Durchblutungsstörungen, trophischen Hautschädigungen und einer nach S u d e c k benannten Knochenatrophie kommen. Ihre Behebung pflegt sehr schwierig zu sein. Allgemeines über Knochenbruchbehandlung Entscheidend für die "Auswahl der Methoden der Knochenbruchbehandlung ist, ob der Bruch kompliziert ist oder nicht. Die Behandlung des komplizierten Knochenbruches muß das Ziel haben, das Auftreten der Wundinfektion zu verhüten. Handelt es sich um kleine, begleitende Wunden und kommen sie innerhalb der ersten 6—8 Stunden nach der Verletzung in ärztliche Hand, ist die Wunde nach den Regeln der Wundbehandlung zu exzidieren und, wenn ihr Zustand und Charakter es zuläßt, zu vernähen. Die F r a k t u r selbst ist zu reponieren und sicher zu fixieren. Jede operative Knochennaht selbst ist zu unterlassen. Häufig wird es auf diese Weise gelingen, die komplizierte Fraktur praktisch in « i n e unkomplizierte zu verwandeln. Wenn aber eine Infektion der Bruchstelle bereits eingetreten ist oder sich nicht verhindern läßt, wenn also eine traumatische Osteomyelitis sich ausgebildet hat, dann ist die Beherrschung der Infektion die vordringliche Aufgabe, hinter der mitunter die Bruchheilung an sich vielleicht zurücktreten muß.

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Chirurgie der G l i e d m a ß e n

Bei der komplizierten F r a k t u r wird man also die normalerweise im Einzelfalle angezeigte Frakturbehandlung je nach der vorhandenen Wundinfektion, abändern müssen. Das Ziel jeder Frakturbehandlung muß sein, sowohl die anatomische Form des gebrochen gewesenen Gliedes als auch seine normale Funktion wiederherzustellen. Es ist vom Übel, wenn das eine oder andere mehr betont wird. Trotzdem ist es richtig, daß die Erreichung normaler Funktion ungleich viel wichtiger ist als die Wiederherstellung der Form, wenn die Formabweichungen von der Norm nur gering sind. Der Weg, auf dem man das Behandlungsziel erreicht, kann sehr verschieden sein. Auch verschiedene Methoden können zu dem gleichen Ergebnis führen. Daher ist es nicht zweckmäßig, für die Behandlung aller Frakturen eine Methode (etwa den Gipsverband oder den Streckverband oder gar die operative Behandlung) anzuwenden, sondern man muß danach streben, für den gerade vorliegenden Verletzungsfall die beste Methode ausfindig zu machen. In diesem Sinne sind die im speziellen Teil enthaltenen Behandlungsvorschläge zu verstehen. In diesem Abschnitt sollen die verschiedenen möglichen Behandlungsmethoden ohne Rücksicht auf ihre Anwendung bei den einzelnen Frakturformen besprochen werden. Als Grundregel der Frakturbehandlung hat zu gelten, daß man für gewöhnlich die Frakturenden in richtige Stellung zueinander zu bringen und in dieser Stellung zu halten hat, bis eine feste knöcherne Vereinigung eingetreten ist. Nicht immer gelingt dies, und nicht immer ist es nötig. Dann t r i t t die funktionelle Knochenbruchbehandlung in ihr Recht. Unter Verzicht auf Änderung des Zustandes an der Bruchstelle wird durch aktive Bewegungen, Massage (nicht etwa der Bruchstelle, sondern der Muskulatur des verletzten Gliedes und des Gesamtkörpers), Bäder in Wasser und Heißluft, Diathermie, Kurzwellendurchflutungen und andere Maßnahmen ähnlichen Charakters so behandelt, daß eine Funktionsminderung durch die F r a k t u r nur einen sehr geringen Umfang annehmen kann oder ausbleibt. Der Anwendungsbereich dieser Behandlungsart ist nicht sehr ausgedehnt. Die Extensionsbehandlung hat ihr Anwendungsgebiet bei der F r a k t u r der Extremitäten. Sie geht von der Erfahrungstatsache aus, daß beim Bruch des stützenden Knochens eines Gliedabschnittes die durch den Bruch und seinen Bluterguß gereizte Muskulatur sich zusammenzieht, die Bruchenden gegeneinander verschiebt (Dislocatio ad longitudinem cum contractione) und so eine Verkürzung des Gliedes hervorruft. Durch Zug an demselben kann man diese Verkürzung ausgleichen. Ist dies gelungen, werden bei zweckmäßiger Lagerung des Gliedes die Bruchenden durch den sie umgebenden Muskelmantel in richtige Stellung zueinander gebracht und durch den weiter wirkenden Zug elastisch in dieser Stellung gehalten. Man muß bei der Ausführung darauf achten, daß das periphere Bruchstück, dessen Stellung veränderlich ist, in die Richtung des zentralen Bruchstückes gebracht wird, dessen Stellung man meist nicht beeinflussen kann. Besonders am Bein h a t sich die Lagerung in Semiflexion der großen Gelenke zur Erzielung einer bestmöglichen SteHung bewährt. Die Zugbehandlung selbst kann am besten dadurch ausgeübt werden, daß ein rostfreier D r a h t durch einen vorspringenden Knochenteil (typische Stellen sind die Tuberositas tibiae, der Kalkaneus, das Olekranon) gebohrt und durch einen Spannbügel festgehalten wird. Nach der Lagerung der E x t r e m i t ä t auf einer Schiene wird an ihm der

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notwendige Zug mit Gewichten über Rollen (siehe Abb. 302, 333 u. 343) ausgeübt. Die Stärke der Belastung wird so gewählt, daß die Gewichtsmenge gerade den Muskelzug überwindet. Da der letztere nach einigen Tagen nachzulassen pflegt, muß die Belastung dann entsprechend verringert werden, um eine Distraktion an der Bruchstelle zu verhindern. Durch Längenmessung und Beobachtung der Achsenstellung sowie durch Röntgenaufnahmen, welche mit transportablem Apparat im Bett bei wirkender Extension anzufertigen sind, ist die Bruchstellung zu kontrollieren und gegebenenfalls zu korrigieren. Die Extension bleibt so lange liegen, bis eine genügende Festigung der Bruchstelle eingetreten ist, so daß eine sekundäre Verbiegung nicht befürchtet werden braucht. Die Knochenbruchbehandlung durch fixierenden Verband spielt wohl zahlenmäßig die größte Rolle. Als vorläufige Versorgung für den Transport ist sie auf jeden Fall die Methode der Wahl. Bei allen Brüchen der Gliedmaßen läßt sie sich anwenden. Während früher fertige oder für den besonderen Zweck hergerichtete Schienen verwandt wurden, ist heutzutage der Gipsverband die beherrschende Methode. Er ist an den Einzelfall mit seinen evtl. vorhandenen Komplikationen sehr anpassungsfähig. Die Technik seiner Anwendung muß von jedem Arzt beherrscht werden. Der Gipsverband wird in Form der Gipsschiene oder des zirkulären Verbandes angelegt. Beide haben ihre Berechtigung, wenngleich die Gipsschiene gegebenenfalls in Form einer Doppelschiene möglichst vorzuziehen ist. Einzelheiten der Technik können hier nicht besprochen werden. Nach der Reposition der Fraktur wird mit oder ohne Polsterung der Verband angelegt. Die alte Regel, daß er die beiden der Fraktur benachbarten Gelenke ruhigstellen soll, ist im großen und ganzen richtig. Nur bei der Radiusfraktur an typischer Stelle, bei der Oberarmschaftfraktur in der Mitte und den Knöchelbrüchen und Unterschenkelbrüchen in der unteren Hälfte kann von der Regel abgewichen werden. Der Gipsverband kann durch Einbeziehung von Schienen, Metallbügeln und ähnlichem verstärkt werden. Nach seiner Anlegung ist die Bruchstellung im Röntgenbilde zu kontrollieren. Ist sie nicht günstig, so sind der Verband zu entfernen, die Reposition und die Verbandanlegung zu wiederholen, bis das Ergebnis befriedigt. Da unter dem Verband das zunächst geschwollen gewesene Glied abschwillt und dadurch die Frakturstellung sich verschlechtern kann, so ist die Kontrolle nach etwa 2 Wochen zu wiederholen und gegebenenfalls der Verband zu erneuern. Die letzte Behandlungsmöglichkeit ist die operative Knochenbruchbehandlung. Sie stellt ein Ausnahmeverfahren dar. Abgesehen von wenigen Fällen (Patella- und Olekranonfraktur mit Dislokation), bei denen sie an und für sich angezeigt ist, sollte sie nur dann angewandt werden, wenn andere Methoden nicht zu befriedigendem Ergebnis geführt haben. Vorwiegend wird dies (der Häufigkeit nach geordnet) am Vorderarm, Unterschenkel und Oberschenkel der Fall sein, jedoch sei ausdrücklich vor indikationsloser und leichtfertiger Anwendung der Methoden, deren Technik sehr viel schwerer ist, als man gewöhnlich annimmt, gewarnt. Die operative Knochenbruchbehandlung hat in den letzten Jahren einen bedeutenden Aufschwung geenommen, da die früher nicht selten auftretenden Komplikationen, insbesondere die postoperative Phlegmone und Osteomyelitis sich durch frühzeitige Anwendung antibio-

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Chirurgie der Gliedmaßen

tischer Mittel vermeiden lassen. Bei der Ausführung der operativen Knochenbruchbehandlung kann man sich verschiedener Methoden bedienen. Nach Freilegung der Bruchstelle werden die Bruchenden in die richtige Stellung zueinander gebracht und durch Umschlingung mittels rostfreien Stahldrahts in dieser Lage gehalten. Wenn die Bruchstelle fest verheilt ist und der Draht also seine Schuldigkeit getan hat, wird er wieder aus dem Körper entfernt, da er dann einen unerwünschten Fremdkörper darstellt. Erfolgte die Drahtnaht nach der von Magnus angegebenen Technik, so ist die Entfernung sekundär ein kleiner, in örtlicher Betäubung auszuführender Eingriff. Der Verwendung anderen Nahtmaterials sowie auch der Versenkung von Metallplatten und -Scheiben ist zu widerraten. Ü b Kleine abgebrochene Knochenstücke kann man durch einen Nagel oder Bohrdraht an ihrer normalen Stelle fixieren. Auch diese Fremdkörper sind nach Knochenbruchheilung wieder zu entfernen. Nach Abschluß der Operation muß die gesamte Extremität in einem Gipsverband bis zum Abschluß der kallösen Heilung fixiert werden. Im letzten Jahrzehnt ist von Küntscher ein neues Verfahren der operativen Frakturbehandlung langer Röhrenknochen ausgearbeitet worden, welches sich steigender Beliebtheit erfreut, nämlich die stabile Osteosynthese oder Marknagelung. Ihr Prinzip besteht darin, daß an einer anatomisch geeigneten Stelle fern der Bruchlinie die Markhöhle eröffnet, ein Führungsdraht in sie einAbb. 293 Abb. 294 geschoben und nach Reposition des Bruches A b b . 2 9 3 — 2 9 4 . B e h a n d l u n g einer über die Frakturlinie hinweg in das periphere D e f e k t p s e u d a r t h r o s e durch freie K n o c h e n t r a n s p l a n t a t i o n Bruchstück vorgeschoben wird. Entlang diesem Draht wird der aus rostfreiem Stahl bestehende und mehrkantig geformte Marknagel eingeschlagen, welcher auf Grund des durch das Röntgenbild ermittelten Durchmessers der Markhöhle des Einzelfalles in Bezug auf Dicke und Länge so ausgewählt wurde, daß er gerade in das Knochenrohr hineinpaßt und die Bruchstücke fest fixiert. Das mit einer Öse versehene Ende des Marknagels sieht etwas aus dem Knochen heraus. An Femur und Ulna verwendet man gerade Marknägel, an Humerus, Radius, Tibia u. a. leicht gebogene, welche von einer seitlich gelegenen Trepanationsöffnung der Markhöhle in dieselbe eingeführt werden. Der Vorteil des Verfahrens liegt in der idealen anatomischen Reposition der Bruchstücke und dem möglichen Verzicht auf äußere Fixationsverbände. Auch bei Pseudarthrosen, Osteotomien, ja sogar kei komplizierten Frakturen kann das Verfahren zur Anwendung kommen, in letzterem Falle bei gleichzeitiger Drainage der Frakturstelle, so lange die dortigen Wundverhältnisse es erfordern.

V e r l e t z u n g e n der K n o c h e n u n d

Gelenke

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Ist die Fraktur fest verheilt und röntgenologisch ausreichender und belastungsfähiger Kallus nachgewiesen, wird das Ende des Marknagels von einem kleinen Schnitt aus freigelegt und mit geeigneten Instrumenten herausgezogen. Unabhängig von K ü n t s c h e r haben die Gebrüder R u s h in denUSA in den letzten Jahren ein Verfahren der intramedullären Osteosynthese entwickelt, das neuerdings auch in Deutschland Verbreitung findet. Auch bei diesem Verfahren handelt es sich um eine Marknagelung von Knochenbrüchen, bei denen auf konservativem W e g e eine gute Einrichtung des Bruches nicht zu erreichen ist. Bei der Methode R u s h biegt sich der Chirurg den Marknagel zu der gewünschten Form. Die Methode R u s h eignet sich besonders für gelenknahe Knochenbrüche und für Brüche der kleinen Knochen (Mittelhand, Mittelfuß), während die Methode K ü n t s c h e r hauptsächlich bei Brüchen der langen Röhrenknochen anzuwenden ist. Der Vorteil dieser beiden Methoden der intramedullären Osteosynthese liegt in Abkürzung der Liegedauer, Vermeidung langdauernder Ruhigstellung der Gelenke und in Vereinfachung der Pflege. Die Behandlung der Störungen der Knochenbruchheilung richtet sich nach dem Grade derselben. Bei der verzögerten Kallusbildung kommt man häufig mit einfachen Methoden aus. A m Unterschenkel führt Druckbelastung beim Gehen bei Erhaltung richtiger Achsenstellung durch Gipsverbände oder Schienenhülsenapparate mitunter zur Heilung. Den zur Ruhe gekommenen Prozeß der Kallusbildung kann man durch mehrmals in wöchentlichem Zwischenraum ausgeführte Injektion von Eigenblut in die Bruchstelle wieder anregen. Einen noch stärkeren Reiz stellt die im Rausch auszuführende perkutane mehrfache Durchbohrung der Bruchstelle in verschiedenen Richtungen dar. Diese Methode ist besonders in den Zwischenstadien zwischen verzögerter Kallusbildung und beginnender Pseudarthrose ratsam. Bei der Beseitigung der vollausgebildeten Pseudarthrose bieten nur eingreifende Operationen eine gewisse Gewähr dafür, daß man das Falschgelenk zum Verschwinden bringt. Empfehlenswert ist die Aufsplitterung nach K i r s c h n e r , welche sich bei mir besonders bei gelenknahen Pseudarthrosen bewährt hat. Nach Freilegung werden die beiden Knochenstücke und die Pseudarthrose selbst mit großem Meißel in zahlreiche Knochenspäne aufgeteilt. Dadurch wird ein mächtiger Heilungsreiz gesetzt. Die Wunde wird vernäht und die Extremität im Gipsverband fixiert. Die Normalmethode besteht in der freien Transplantation eines Knochenspans, welcher nach Resektion der Pseudarthrose den Spalt überbrückt. Den Span gewinnt man entweder aus der Umgebung der Pseudarthrose oder von der gesunden Tibia oder anderen geeigneten Knochen. Das Grundsätzliche des Eingriffes zeigt die Abb. 293 u. 294. Für die Heilung ist es wichtig, daß der transplantierte Knochenspan etwa die halbe Dicke des normalen Knochens hat, daß er in großer, breiter Fläche mit den eröffneten Markhöhlen beiderseits der resezierten Pseudarthrose kommuniziert, daß er mit mehreren Drahtumschlingungen fest an den Knochen fixiert und schließlich die gesamte Extremität so lange im Verband ruhiggestellt wird, bis sichere Knochenheilung erfolgt ist. Wenn man dies beachtet, leistet die Methode sehr Gutes. Die Anwendung von Stützapparaten zur Behandlung der Pseudarthrosen sollte auf diejenigen Fälle beschränkt bleiben, bei denen eine drohende Infektion die Vornahme einer operativen Behandlung nicht ratsam erscheinen läßt. Rostock,

Lehrbuch der speziellen Chirurgie. 3. Aufl.

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Chirurgie der Gliedmaßen

Allgemeines über Gelenkverletzungen und ihre Behandlung Die Eröffnung eines großen Gelenkes kann bei den verschiedenartigsten Verletzungen passieren. Am häufigsten ist das Kniegelenk betroffen. Die Wunde, welche zur Gelenkeröffnung führt, braucht durchaus nicht groß zu sein. Wenn das Gelenkinnere nicht breit eröffnet ist, erkennt man die Gelenkverletzung daran, daß sich klebrige, fadenziehende Synovialis in der Wunde befindet. Hierauf ist bei der Wundversorgung zu achten. Das Ziel der Behandlung der perforierenden Gelenkverletzung ist, das Gelenkinnere vor der Infektion zu bewahren. Hierzu muß eine sehr sorgfältige operative Wundrevision mit Exzision erfolgen. Alle Fremdkörper sind zu entfernen, ebenso lose Knochen und Knochensplitter. Das Gelenkinnere kann man mit antiseptischen Flüssigkeiten ausspülen. Dann ist die Gelenkkapsel sorgfältig durch Naht zu verschließen. Die Hautwunde wird offengelassen und das Gelenk in einem gefensterten Gipsverband, der die beiden benachbarten Gelenke einschließen muß, sicher ruhiggestellt. Auf diese Weise läßt sich die Infektion meist vermeiden. Wenn aber die Gelenkwunde so verschmutzt ist, daß sicher mit dem Auftreten einer Infektion zu rechnen ist, so hat die Kapselnaht zu unterbleiben. Für Ruhigstellung des Gelenkes und ungehinderten Abfluß der Wundsekrete ist Sorge zu tragen. Bei starker Zertrümmerung der Gelenkenden soll man primär eine typische Gelenkresektion ausführen. Eine Ubungsbehandlung verletzt gewesener Gelenke darf erst nach vollständigem Abklingen aller Infektionszeichen und auch dann nur mit der größten Vorsicht unter steter Kontrolle der Körpertemperatur erfolgen, da die Gefahr, daß die Gelenkinfektion wieder aufflackert, sehr groß ist. Stumpfe Traumen, welche auf ein Gelenk wirken und keine Wunden erzeugen, können verschiedenartigste Verletzungen hervorrufen, die in ihren Erscheinungsformen ineinander übergehen. Zur gedanklichen Erfassung der krankhaften Zustände ist eine Einteilung unerläßlich. Als leichteste Form kann man die Quetschung oder Prellung (Kontusion) eines Gelenkes ansehen. Es kann dabei zu leichten Verletzungen der Gelenkinnenhaut mit Bluterguß in das Gelenk kommen. Der Arzt soll aber nicht dann, wenn er einen Erguß in irgendeinem Gelenk klinisch feststellt, von dem Vorhandensein eines Blutergusses sprechen, denn zahlreiche Gelenke, besonders das Knie, reagieren auf eine Quetschung durch Reizung der Synovialis mit einem serösen Erguß. Die Diagnose Bluterguß soll nur dann gestellt werden, wenn die blutige Zusammensetzung des Ergusses durch Punktion sichergestellt wurde. Die Blutergüsse und auch die serösen Ergüsse, besonders des Kniegelenkes, können sich sehr langsam resorbieren und neigen zu Rezidiven. Den nächst stärkeren Grad der Gelenkverletzung stellt die Verstauchung (Distorsion) dar. Bei ihr kommt es zu Dehnungen und Zerreißungen der Gelenkkapsel und vor allen Dingen ihrer Bänder sowie des Muskel-Sehnen-Apparates des Gelenkes. Infolgedessen treten neben meist sehr starken Spontan- und Bewegungsschmerzen örtliche Druckschmerzen an den Verletzungsstellen der Gelenkbänder auf. Es kommt zu Weichteilschwellungen blutiger oder seröser Natur an den Rißstellen und zu Gelenkergüssen selbst. Die Röntgenuntersuchung zeigt stets einen negativen Befund. Wenn sie etwa eine Fissur oder eine Knochenabsprengung zeigen sollte, so handelt es sich eben nicht um eine Distorsion, sondern um eine Fraktur. Die Behandlung der Kontusion und Distorsion hat vor allen Dingen den Grad der gesetzten Schäden zu berücksichtigen. Beispielsweise benötigt die Zerreißung

Verletzungen der Knochen und Gelenke

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des Seitenbandes eines Kniegelenkes eine viel längere Ruhigstellung als eine einfache Kontusion ohne Verletzung der Kapsel Verstrebungen. Im allgemeinen wird man das Gelenk 4—8—10 Tage ruhigstellen. Durch feuchte Verbände und örtliche Wärmeeinwirkung kann man die Resorption des Blutergusses und des Ödems beschleunigen. Erst nach Ablauf dieser Zeit wird man mit vorwiegend eigentätigen Bewegungsübungen und Massage der Muskulatur, nicht der Verletzungsstelle selbst, beginnen. Kombinationen mit Bädern jeder Art, Einreibungen, Bestrahlungen und Umschlägen ist nützlich, zumal wenn die einzelnen Mittel nicht über längere Zeit hindurch zur Anwendung gelangen, sondern gewechselt werden. Der Gebrauch stützender Verbände, je nach der Schwere der Verletzung aus Heftpflaster oder aus Gips hergestellt, ist zweckentsprechend. Bei den Distorsionen des Schultergelenkes, besonders alter Leute, muß vor einer zu langen Ruhigstellung dringend gewarnt werden, da dieses Gelenk sehr viel mehr als andere zu einer Versteifung in der lästigen Adduktionskontraktur neigt. Man muß also schon am 2. Tage nach der Verletzung mit Abduktionsübungen vorsichtig beginnen. Die noch häufig geübte Fixierung des Armes in der Mitella ist zu unterlassen. Nach Distorsionen mit erheblichen Bandzerreißungen können Schlottergelenke zurückbleiben. Besonders am Kniegelenk und Fußgelenk sind sie sehr hinderlich. Wenn die Bandzerreißung sofort richtig erkannt ist und vom Arzt fixierende Verbände in richtiger Geleiikstellung angelegt und für die Dauer der zur Heilung nötigen Zeit (3—5 Wochen je nach Sitz) belassen wurden, heilen auch diese Verletzungen in befriedigender Weise aus. Zu frühzeitige Beanspruchung, besonders beim Bein, führt zu den später schwer zu behebenden Bänderschwächen. Am besten ist dann noch, operativ die Bänder zu raffen, neue Wundflächen zu schaffen und sie richtig heilen zu lassen. In ganz schweren Fällen von Schiottergelenken, wie sie nach ausgedehnten Bandzerreißungen (meist nach schweren Luxationen) auftreten können, muß man gelegentlich zur operativen Versteifung (Arthrodese) der Gelenke schreiten, denn am Bein ist ein versteiftes Gelenk besser für den Träger als ein standunfähiges bewegliches. Durch Tragenlassen von stützenden Schienenapparaten wird man aber zunächst das Wackelgelenk zu behandeln versuchen und nur dann zum operativen Vorgehen zum Zwecke der Gelenkversteifung greifen, wenn das Tragen eines solchen Apparates aus irgendwelchen Gründen untunlich ist. Unter Verrenkung (Luxation) eines Gelenkes versteht man den Zustand, bei welchem das eine Gelenkende seine normale Stellung zum anderen Gelenkende vollkommen oder unvollkommen (Subluxation) verlassen hat. Verrenkungen kommen angeboren oder nach verschiedenartigen Gelenkerkrankungen oder bei Erschlaffung der umgebenden Weichteile (Distensionsluxationen) vor. Weitaus am häufigsten sind die traumatischen Luxationen, von denen hier die Rede sein soll. Sie entstehen, ganz allgemein gesprochen, dadurch, daß durch irgendeine Gewalteinwirkung das für das Gelenk übliche normale Bewegungsausmaß überschritten wird; das Anstemmen des einen Knochens des Gelenkes gegen einen festen Punkt innerhalb oder außerhalb des Körpers erleichtert das Zustandekommen der Verrenkung. Durch die übermäßige Bewegung zerreißt die Gelenkkapsel und ermöglicht es, daß sich die Gelenkenden voneinander trennen. Ist dies eingetreten, wird die einmal erreichte abnorme Stellung durch die jeweils vorhandenen anatomischen Verhältnisse, durch die Anspannung der Muskulatur und der Gelenkbänder in einer für jede Verrenkungsart typischen Stellung gehalten. Luxationen treten vorwiegend in mittlerem Alter auf. Bei Kindern pflegt derselbe 33*

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Chirurgie der Gliedmaßen

Unfallhergang eher eine Epiphysenlösung, bei alten Menschen eher eine Fraktur hervorzurufen. Die Erscheinungen einer frischen Verrenkung bestehen in der für jedes Gelenk typischen Fehlform mit Zwangshaltung des Gliedes und Achsenverschiebung sowie einer Schwellung, einem Schmerzzustand und einer Bewegungsbeschränkung im Gelenk. Bei fremdtätigen Bewegungsversuchen kann man das Symptom der „federnden Fixation" finden, welches durch die Spannung der gedehnten Bänder und die Kontraktur der betroffenen Muskelgruppen zustande kommt. Die Röntgenuntersuchung zeigt die veränderte Stellung der Gelenkenden zueinander. Durch diese Untersuchungsart kann man auch gleichzeitig eingetretene Knochenabsprengungen am besten ermitteln, die sich bei rein klinischer Untersuchung der Erkennung entziehen würden. Man bezeichnet die Luxation stets nach dem körperfern gelegenen Knochen des Gelenkes. Die Behandlung der Verrenkung hat in der möglichst beschleunigt auszuführenden Reposition zu bestehen. Der alte Satz: „Uber einer Luxation (und einem eingeklemmten Bruch) soll man die Sonne nicht aufgehen und nicht untergehen lassen", besteht auch heute noch zu Recht. Je frischer die Luxation ist, desto leichter ist ihre Reposition, welche, heute ausschließlich schon zur Entspannung der Muskulatur in einer Rauschnarkose vorgenommen werden soll. Die Anwendung örtlicher Betäubung ist möglich, aber im allgemeinen nicht ratsam. Bei Leuten, welche stark unter Alkoholwirkung stehen, kann der geübte Arzt durch unvermutet und blitzschnell ausgeführte Repositionsbewegungen die „verlängerte Schrecksekunde" des Verletzten ausnutzen und auf diese Weise gelegentlich einmal eine Luxation einrenken. Ganz gleichgültig, wie man sie vornimmt, sollte man sich nach Beendigung derselben genau, und zwar klinisch und röntgenologisch, davon überzeugen, daß die Reposition auch tatsächlich einwandfrei gelungen ist. In Ausnahmefällen (z. B. bei Interposition von Weichteilen oder abgebrochenen Knochensplittern) gelingt die Reposition auf unblutigem Wege nicht. Dann muß das Gelenk operativ freigelegt und unter Leitung des Auges nach Beseitigung des Hindernisses die Einrenkung vorgenommen werden. Es handelt sich dabei keineswegs um technisch leicht auszuführende Eingriffe. Nach gelungener unblutiger Reposition soll man das Gelenk (besonders Schulter) nur für wenige Tage ruhigstellen. Große Verbände sind meist nicht notwendig. Dann beginnt man mit einer Nachbehandlung, wie sie in großen Zügen bei der Gelenkdistorsion schon geschildert ist. Wird die Luxation nicht oder erst nach geraumer Zeit erkannt, ist sie also „veraltet" (Luxatio inveierata), kann ihre unblutige Einrenkung wegen der inzwischen eingetretenen Heilung der Weichteile, besonders des Kapselrisses, sehr erschwert und manchmal sogar unmöglich sein, so daß nur durch blutige Reposition sich der normale Zustand wiederherstellen läßt. Bleibt eine solche Luxation jahrelang bestehen, vermag unter dem Reiz der Funktion sich eine Art neuer Gelenkpfanne zu bilden. Auch die Beweglichkeit kehrt in gewissem Umfang, jedoch nie in normaler Weise, wieder. Wenn bestimmte. Gelenke, besonders das Schultergelenk und Kiefergelenk sind hier zu nennen, einmal ausgerenkt waren, können sie dazu neigen, daß diese Verrenkung häufig und bei relativ geringfügigen Anlässen wieder auftritt. Wir sprechen dann von dem Vorhandensein einer habituellen Luxation. Mitunter lernen es die Leute, sie selbst zu beseitigen. Ein sehr lästiges Gefühl der Unsicherheit in dem Gelenk bedeutet jedoch stets eine erhebliche Behinderung,

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so daß die durch zahlreiche Operationsmethoden mögliche Beseitigung des Wiederauftretens der Verrenkung anzuraten ist. Nebenverletzungen bei Luxationen können natürlich auch vorkommen. Befindet sich in der Hautbedeckung des Gelenkes eine Wunde (Vorkommen hauptsächlich an Kniegelenk und Fußgelenk), sprechen wir analog der Bezeichnung bei den Frakturen von einer „komplizierten Luxation". An eine Mitverletzung von Knochen (Luxationsfraktur) ist schon gedacht. Die Verrenkungen können aber auch Zerrungen und Zerreißungen der Gefäße und Nerven (vorwiegend in Achselhöhle und Kniekehle) zur Folge haben. Bei der Untersuchung muß man sich vor der Ausführung der Reposition von ihrem Vorhandensein überzeugen, wenn man sich nicht der Gefahr aussetzen will, daß die Nebenverletzung später der vom Arzt angeblich unsachgemäß ausgeführten Reposition zur Last gelegt wird. Die wichtigsten Frakturen und Luxationen Frakturen und Luxationen des Schlüsselbeines Der Bruch des Schlüsselbeines ist eine häufige Verletzung (etwa 12% aller Frakturen). Er kommt zustande durch den Fall auf den ausgestreckten Arm oder bei seitlicher Kompression in der Achse des Knochens (Sturz beim Reiten) oder auch als direkter Biegungsbruch und wird bei Männern öfter beobachtet als bei Frauen. Die Bruchlinie liegt häufiger an der medialen als an der lateralen Seite. Durch die Schwere des herabsinkenden Armes einerseits und durch den Zug der Halsmuskulatur andererseits entsteht die typische Dislokation der Bruchstücke, indem das körpernahe nach oben, das körperferne nach unten verlagert ist und außerdem sich beide Bruchstücke in der Länge etwas übereinander schieben. Die Symptome bestehen darin, daß man an der Bruchstelle die eben beschriebene Dislokation sehen und tasten kann. Auch abnorme Beweglichkeit und Krepitation sind feststellbar. Die verletzte Schulter steht tiefer, der Oberarm durch den Zug des Pectoralis major etwas einwärtsgedreht. Bei der Betrachtung von hinten steht das Schulterblatt etwas nach vorn verschoben und von der Brustwand leicht abgehoben. Der Funktionsausfall, also die Bewegungsbehinderung im Schultergelenk, ist sehr verschieden. Manchmal wird jede Bewegung als schmerzhaft abgelehnt, in anderen Fällen kann jedoch der Arm, allerdings unter Schmerzen an der Bruchstelle, in normaler Weise bis zur Senkrechten erhoben werden. Das Röntgenbild zeigt Form, Lage und Verschiebung der Bruchstücke. Für die Behandlung sind sehr viele und sehr unnötige Verbände und Methoden angegeben worden. In der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle ist es für die Funktion und auch kosmetisch gleichgültig, ob der Bruch mit einer leichten Verschiebung heilt. In den ersten Monaten sieht man den Kallus. Er bildet sich aber zurück. Bei der Klavikulafraktur ist rein funktionelle Frakturbehandlung durchaus am Platze, obwohl (durch Extension am Arm nach hinten oben) eine Reposition sehr wohl ausführbar ist, die Retention in dieser Stellung aber durch keinen der zahlreichen und meist lästigen Verbände erreicht wird. Wenn daher nicht besondere Verhältnisse vorliegen (abnorm starke Verschiebung der Bruchstücke, Nebenverletzungen, mehrfache Frakturen des Schlüsselbeines), so wird man nach einer Ruhigstellung des Armes von wenigen Tagen mit einer Bewegungsbehandlung beginnen. Bei Brüchen nahe dem akromialen Ende kann

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Chirurgie der Gliedmaßen

ein am Thorax angebrachter Heftpflasterverband eine starke Abweichung des körpernahen Bruchstückes nach oben verhindern. Mit dem Eintreten voller Funktionsfähigkeit ist zu rechnen. Nur wenn aus kosmetischen Gründen auf eine ideale Bruchstellung Wert gelegt wird, kommt eine andere Behandlungsmethode in Frage. Die operative Freilegung und Naht der Bruchstelle erzeugen unschöne Narben, die gerade in diesem Falle unerwünscht sind. Die beste Methode ist dann die perkutane Bohrung der Fragmente. In Rauschnarkose wird durch Zug am Arm die Fraktur reponiert.

Abb. 295. Perkutane Bohrung einer Klavikulafraktur

Der Operateur fixiert die Bruchstücke zwischen Daumen und Zeigefinger, bohrt dann einen rostfreien Draht, wie er zur Drahtextension verwandt wird, schräg durch beide Bruchenden in einer ganz leichten Neigung zur Achse des Knochens, so daß der Draht die Bruchenden in richtiger Stellung fixiert. Der Draht wird etwas über der Haut abgekniffen und bleibt bis zu ausreichender knöcherner Heilung liegen, dann läßt er sich mühelos entfernen. Die kleine, punktförmige Narbe ist auch kosmetisch tragbar. Die Verrenkungen des Schlüsselbeines sind nicht häufig. Sie können am sternalen und akromialen Ende auftreten. Die Verschiebungen der Knochen gegeneinander sind nicht sehr hochgradig, aber bei der oberflächlichen Lage des Knochens gut tastbar und häufig auch sichtbar. Funktionsstörungen sind sehr gering. Die äußerst seltene retrosternale Luxation erzeugt schwere Erscheinungen wie Atemnot, Schluckbeschwerden, Stauungserscheinungen im Bereich der Jugularis und Brachiocephalica. Die sofortige Reposition dieser Luxation ist erforderlich und gelingt durch kräftigen Zug am Arm.

"Verletzungen der Knochen und Gelenke

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Die Reposition der Luxationen, die eigentlich mehr Subluxationen sind, gelingt durch Druck leicht, nur pflegen sie sehr oft wieder aufzutreten. Druckverbände mit Heftpflaster können dies nicht immer verhindern. Aber auch wenn die Luxation habituell wird, sind die Funktionsbehinderungen sehr gering und können ganz fehlen. Nur über lästiges Knacken bei Bewegungen des Armes wird geklagt. Die sichtbare Formveränderung gegenüber der gesunden Seite stört mitunter. Daher sind operative Eingriffe mit Drahtnähten, Umschlingungen mittels Faszienstreifen und ähnlichem angegeben und ausgeführt worden. Das Ergebnis ist in bezug auf anatomisches und funktionelles Resultat nicht immer befriedigend, so daß man nur bei sehr großen Beschwerden oder Störungen sich zu einem solchen Eingriff entschließen sollte.

S chulterblattf raktur en sind nicht so selten, als man gewöhnlich annimmt, sie werden mitunter übersehen. Alle Teile des Schulterblattes können brechen, meist infolge einer direkt einwirkenden Gewalt. Brüche des Akromion und des Korakoidfortsatzes sind selten. Wenn sie auftreten, ist ihre Verschiebung gering. Die Behandlung hat nach kurzer Ruhezeit funktionell zu erfolgen. Anwendung von Abduktionsschienen kann zweckmäßig sein. Vor operativem Vorgehen sei gewarnt. Die Brüche des Schulterblattkörpers lassen sich einwandfrei nur durch das Röntgenbild erkennen. Auch sie bieten keine besonderen therapeutischen Schwierigkeiten. Funktionelle Behandlung ist in jedem Falle angezeigt. Am häufigsten ist die Fraktura colli scapulae. Sie entsteht durch direkte Gewalteinwirkung und ist sehr häufig eingekeilt. Auch Kombinationen mit Abbrüchen kleiner Teile der Gelenkpfanne, die als freie Körper im Gelenk liegen können, sind möglich. Führen sie zu Funktionsbehinderungen, sind sie sekundär operativ zu entfernen. Die Symptome der Schulterblatthalsfraktur bestehen darin, daß der Arm etwas nach abwärts sinkt und in geringem Grade abgespreizt steht. Der Deltamuskel ist abgeflacht. Eine Abb 2 % Verwechslung mit der Schulterluxation - Schulterblatthalsfraktur wäre also möglich, jedoch fehlen die federnde Fixation und die leere Gelenkpfanne. Als Nebenverletzungen kommen Beschädigungen des Nervus axillaris vor, welche die Prognose verschlechtern. Die Behandlung soll darin bestehen, daß man bei fehlender oder praktisch unbedeutender Dislokation den Arm auf eine Abduktionsschiene legt (vgl

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Chirurgie der Gliedmaßen

Abb. 300), bis eine genügende Festigung eingetreten ist. Dann folgt die übliche Gelenknachbehandlung. Handelt es sich aber um einen eingekeilten Bruch, wird durch Drahtextension am Olekranon (vgl. Abb. 302) bei Bettruhe die Einkeilung gelöst, der Bruch reponiert und durch die Extension bis zur Heilung in dieser Stellung gehalten. Röntgenkontrolle bei liegender Extension bis zur Erreichung einer befriedigenden Stellung ist nötig. Schulterluxation Sie stellt die am meisten (mehr als die Hälfte) vorkommende aller Verrenkungen dar, die in mehreren Formen auftreten kann. Die wichtigste und häufigste (etwa 98% aller Schulterl u x a t i o n e n ) i s t d i e Luxatio praeglenoidalis subcoracoidea. Ihr Eintreten Abb. 297. Typische Schulterluxation

Abb. 298. Typische Schulterluxation mit Abriß des Tuberculum majus

wird dadurch erleichtert, daß die schwächste Stelle der Schultergelenkskapsel vorn liegt. Der Kopf kann in verschiedener Höhe vor der Schulterblattpfanne stehen (sichtbar auf dem Röntgenbild), praktisch spielen diese Unterschiede aber keine nennenswerte Rolle. Die Symptome der Schulterluxation bestehen zunächst in der bei mageren Leuten deutlich sichtbaren Formveränderung. Der Oberarm steht vom Körper abgespreizt. Seine Achse zeigt nicht auf die Schulterpfanne, sondern mehr auf die Mitte der Klavikula zu. Außerdem ist die normale Schulterwölbung verschwunden, der Deltamuskel zieht vom stark vorspringenden Akromion senkrecht nach abwärts. Der verletzte Arm wird unterstützt gehalten. Bei der Betastung fühlt man deutlich die leere Schultergelenkspfanne. Den Oberarmkopf kann man als harte, rundliche Anschwellung gut an abnormer Stelle unter dem Korakoid, besonders beim leichten Drehen

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des Oberarmes, tasten. Die federnde Fixation ist besonders bei dem Versuch, den Oberarm an den Brustkorb zu drücken, charakteristisch. Das Röntgenbild erläutert den klinischen Befund (vgl. Abb. 298) und läßt auch die häufigste Nebenverletzung, nämlich den Abriß des Tuberculum majus, erkennen. Ein Repositionshindernis pflegt dadurch nicht zu bestehen. Das abgebrochene Knochenstück legt sich nach gelungener Reposition an seine normale Stelle. Von den Nebenverletzungen ist die gleichzeitige Fraktur des Oberarmes im chirurgischen Hals am schwerwiegendsten, denn bei ihrem Vorliegen gelingt die unblutige Reposition der Luxation so gut wie nie, so daß eine operative Behandlung notwendig wird. Weiterhin erleben wir Einrisse in den Musculus supraspinam, Abbrüche von der Schultergelenkspfanne und auch Zerreißungen von Nerven und Gefäßen der Achselhöhle. Von den selteneren Verrenkungsformen ist zunächst die Luxatio axillaris zu nennen. Bei ihr tritt der Oberarmkopf unter die Gelenkpfanne und bleibt dort auch stehen. Der Schaft des Oberarmes steht schräg nach oben vom Rumpf abgespreizt, ein sehr charakteristisches Symptom, welches zur Bezeichnung der Verrenkungsform als Luxatio erekta geführt hat. Die Luxatio retroglenoidalis ist ebenfalls selten. Sie kann in der Form der Luxatio infraspinata oder Luxatio subacromialis in Erscheinung treten. Bei beiden ist die Schulterpfanne leer, der Kopf steht an den benannten Stellen. In therapeutischer Hinsicht bieten sie gegenüber der gewöhnlichen Schulterluxation keine Besonderheiten. Die Behandlung der Schulterluxation hat selbstverständlich in umgehender Reposition zu erfolgen. Man bedient sich dabei stets der Rauschnarkose. Da durch sie die Anspannung der Körpermuskulatur fortfällt, stellt die Reposition keinerlei Kraftprobe für den Arzt dar, und alle Methoden wie Einstemmen des Fußes in die Achselhöhle und Ziehen mit ganzer Körperkraft am verrenkten Arm sollten nunmehr endgültig verschwinden. Die Reposition hat mit leichten drehenden, drückenden Bewegungen, welche tastend ausgeführt werden, zu erfolgen. Nur wenn der Verletzte unter Alkoholwirkung steht, dann kann man seine verzögerte Reaktionsbereitschaft zu einer blitzschnell auszuführenden Repositionsbewegung benutzen. Mitunter gelingt es, so die Luxation zu beseitigen. Im Regelfalle wird man den Verletzten auf einen Tisch legen und ihn narkotisieren. Die eine Hand des Arztes wird mit geballter Faust oder auch mit tastend ausgestrecktem Finger in die Achselhöhle gelegt. Sie drückt den Kopf in Richtung auf seine normale Stellung, während die andere Hand mit dem Arm des Verletzten drehende Bewegungen um die Längsachse ausführt. Durch sie wird erreicht, daß der Kopf vor den Kapselschlitz gedreht und mittels der anderen Hand durch ihn in das Gelenk zurückgedrückt wird. Auf diese Weise wird man stets eine Schulterverrenkung beseitigen können (vgl. Abb. 299). Eine viel geübte Repositionsmethode ist die von K o c h e r angegebene. Sie wird in 4 Etappen ausgeführt und zwar: 1. Adduzieren des im Ellenbogen rechtwinklig gebeugten Armes an den Rumpf, 2. Außenrotation des Oberarmes in dieser Stellung, bis der Unterarm in der Frontalebene des Körpers steht, 3. Hebung des Oberarmes bis zur Waagerechten oder etwas darüber bei gleichzeitig bestehenbleibender Außenrotation, 4. langsame Innenrotation. Bei dieser Bewegung soll der Kopf in die Gelenkpfanne springen.

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Von der gelungenen Einrenkung hat man sich durch genaue Betastung und auch durch Röntgenkontrolluntersuchung sicher zu überzeugen. Der Arm wird für 3—4 Tage durch einen Verband locker am Brustkorb fixiert. Dann wird mit vorwiegend aktiven Bewegungsübungen und Massage der Muskulatur begonnen. Besonders ausgiebige Bewegungen im Schultergelenk sollen aber für mehrere Wochen verboten werden. Die Erfolge einer sofort und schonend ausgeführten Reposition sind gut, nur bei älteren Leuten ist die Entwicklung einer Schulterkontraktur meist unvermeidlich. Sie soll aber nur ein geringes Ausmaß annehmen. Stärkere Grade können fast immer vermieden werden.

Abb. 2 9 9 . Reposition einer Schulterluxation

Bei Luxationsfrakturen gelingt die Einrenkung so gut wie nie, da die an dem Arm angreifenden Repositionsmanöver sich nicht auf den Kopf übertragen. Nur wenn die Fraktur eingekeilt ist, kann man mitunter eine unblutige Reposition erreichen. Ist dies nicht möglich, muß die Luxationsfraktur operativ freigelegt werden, so daß man unter Leitung des Auges die Verrenkung direkt beseitigen kann. Man wird ihr auch die operative Versorgung der Fraktur selbst anschließen. Alle veralteten, nicht reponierten Luxationen lassen sich nur sehr schwer unblutig einrenken. Die operative Reposition wird meist die Regel sein. Bevor sie ausgeführt wird, sollte man noch einmal die unblutige Reposition, jedoch in derselben Narkose, wenn schon alles zur Operation hergerichtet ist, versuchen. Gelingt sie nicht, ist der blutige Eingriff sofort anzuschließen. Das funktionelle Heilungsergebnis in bezug auf die Bewegungsmöglichkeit im Schultergelenk pflegt jedoch nicht immer voll zu befriedigen. Bei alten Leuten sollte der Eingriff daher nicht in jedem Falle ausgeführt werden. In einer gewissen Zahl von Fällen kommt es zur Ausbildung einer habituellen Schulterluxation, d. h. bei im Bereich des Normalen liegenden Bewegungen und belanglosen Gelegenheiten tritt die Verrenkung auf. Zunächst muß sie noch vom Arzt reponiert werden, später lernen die Kranken es mit-

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unter, die Reposition durch bestimmte Bewegungen selbst vorzunehmen. Bei Epileptikern sind die gewohnheitsmäßigen Schulterverrenkungen besonders häufig. Stets wird das Unsicherheitsgefühl im Schultergelenk als sehr lästig empfunden, eine Gebrauchsbehinderung und Schwäche des Armes pflegen die unausbleibliche Folge zu sein. Alle Bandagen zur Verhinderung der Verrenkung sind störend, in ihrer Wirksamkeit unsicher und daher nicht empfehlenswert. Nur eine operative Behandlung führt mit ausreichender Sicherheit zur Heilung des Leidens. Sehr zahlreiche Operationsverfahren sind ausgearbeitet worden. Ich pflege die Erhöhung des vorderen Pfannenrandes durch freie Transplantation eines Tibiaspanes (nach E d e n ) oder eine Muskelplastik aus dem Deltamuskel (nach C l a i r m o n t ) , die durch aktive Kontraktion des verpflanzten Muskelteiles den Oberarmkopf nach hinten zieht, auszuführen. Oberarmkopfbrüche Aus praktischen Gründen unterscheidet man am besten die Oberarmkopfbrüche nahe dem Schultergelenk (auch wenn sie anatomisch nicht immer in das Gelenk hereinreichen) von den eigentlichen Oberarmschaftfrakturen. Bei den Oberarmkopfbrüchen unterscheidet man wiederum 4 verschiedene Formen, deren einwandfreie Diagnose keineswegs immer klinisch, sondern nur auf dem Röntgenfilm möglich ist. 1. Bruch im anatomischen Hals (Fractura colli anatomici), 2. Epiphysenlösung (Fractura pertubercularis), 3. Bruch im chirurgischen Hals (Fractura colli chirurgici), 4. Abbruch des großen Muskelhöckers (Fractura tuberculi majoris). Kombinationen kommen besonders in Form der Y-Frakturen vor. Bei allen Brüchen am Oberarmkopf können als Nebenverletzungen eine Axillarisparese (Lähmung des Musculus deltoides) und seltener Verletzungen der großen Armgefäße in der Achselhöhle stattfinden. Bei der ersten Untersuchung muß bereits nach ihnen gefahndet werden. Der Oberarmbruch im anatomischen Hals ist sehr selten und kommt mit und ohne Verschiebung der Bruchstücke, mitunter sogar mit völliger Umdrehung der Kopfkappe vor. Handelt es sich nur um eine Adduktionsfraktur, so steht meist das untere Bruchende abgespreizt, bei der Abduktionsfraktur liegt der gegenteilige Befund vor. Die Symptome bestehen in einer sofort vorhandenen Gebrauchsunfähigkeit des Schultergelenkes mit Schwellung dieser Gegend, Stauchungsschmerz in der Schulter, evtl. Krepitation bei Drehbewegungen, umschriebenem Druckschmerz des Oberarmkopfes bei Betasten von der Achselhöhle her. Das Röntgenbild klärt die Sachlage. Wurde bei der Fraktur die Arteria circumflexa humeri verletzt, kann es zur Nekrose der Kopfkappe kommen. Bei der Behandlung ist darauf zu achten, daß eine bestehende Einkeilung nicht gelöst werden soll. Auch längere Ruhigstellung des Gelenkes ist wegen der Verödung des Gleitapparates und damit der Ausbildung einer Adduktionskontraktur zu verwerfen. Am besten ist eine Lagerung des Armes für 10—14 Tage auf eine Abduktionsschiene, die man sich leicht aus K r a m ersehen Schienen zusammensetzen kann (vgl. Abb. 300). Dann wird mit eigentätigen Bewegungsübungen, Massage und physikalischer Behandlung begonnen. Während dieser Zeit sind Verbände (auch Mitella) nicht anzuwenden.

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Abgesprengte und stark dislozierte Knochenstücke sind durch Operation an der normalen Stelle anzunageln oder zu exstirpieren. Die Epiphysenlösung am Oberarmkopf ähnelt in ihren klinischen Symptomen der vorstehend geschilderten Fraktur. Sie stellt die häufigste Epiphysenlösung der Neugeborenen und Jugendlichen dar. Besonders bei ersteren können die Erscheinungen äußerst gering sein. Häufig ist die Verlagerung nicht sehr hochgradig, der Periostschlauch bleibt manchmal erhalten. Aber es kann auch durch den Zug des Musculus pectoralis und latissimus dorsi das periphere Bruchstück nach innen verlagert sein. Die Behandlung deckt sich mit der im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen. Operative Eingriffe werden kaum nötig werden. Bei Neugeborenen und Kleinkindern wird ein Wattebausch in die Achselhöhle gelegt und der Arm am Brustkorb fixiert. Die Ausbildung einer Schulterkontraktur braucht in diesem Alter nicht befürchtet zu werden. Bei stärkerer Verschiebung der Bruchenden wird am besten eine Extension am Arm (vgl. Abb. 302) angelegt und die Stellung so gewählt, daß das periphere Bruchstück in der Richtung des zentralen steht (Röntgenkontrolle bei liegender Extension, Korrektur bis die geAbb. 300. Abduktionsschiene für Schultergelenksverletzungen

wünschte Stellung erreicht ist).

Stets pflegt knöcherne Heilung einzutreten. Die funktionellen Heilungsergebnisse sind dem Alter der Verletzten entsprechend gut. D e r Bruch

des Oberarmes

im chirurgischen

Hals

pflegt besonders bei älteren

Leuten nach direkter oder indirekter Gewalteinwirkung aufzutreten. Die Bruchlinie verläuft meist zwischen dem Tuberculum majus und dem Ansatz des Musculus pectoralis major in verschiedener Form und Richtung. Einkeilungen der Bruchenden sind häufig. Aber auch Absprengungen von Bruchstücken, Einspießen derselben in die umgebenden Weichteile, Interposition von Muskelstücken oder der Bizepssehne werden beobachtet. Ist die Bruchstelle beweglich, wird das periphere Bruchstück durch Pectoralis major, Teres major und Latissimus dorsi nach innen und durch den Deltamuskel nach oben gezogen. Dadurch entsteht eine typische Dislokation mit Abduktionsstellung des Armes, Achsenknickung in der Höhe des Deltaansatzes und Verkürzung des Armes um mehrere Zentimeter. Bei Drehbewegungen des Oberarmes geht der Schultergelenkskopf nicht mit, evtl. fühlt man Krepitation. Für die Behandlung genügt

Verletzungen der Knochen und Gelenke

bei Einkeilung ohne wesentliche Verschiebung die Lagerung des Armes auf Abduktionsschiene für 14 Tage mit anschließender physikalischer und Bewegungsbehandlung. Besteht eine Dislokation, so ist zunächst durch Extension (Draht durch Olekranon, siehe Abb. 302) nach Reposition eine gute Stellung zu erzielen. Wenn dies nach mehrfachen Versuchen nicht gelang, sind operative Freilegung der Bruchstelle und Reposition unter Leitung des Auges mit anschließender Bolzung mit nicht zu dikkem Knochenspan oder Nagelung, gegebenenfalls in Form der Küntscher Nagelung, ratsam.

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Abb. 301. Oberarmkopfbruch im chirurgischen Hals

Gerade bei dieser Fraktur, welche vorwiegend ältere Leute betrifft, ist auf eine möglichst frühzeitig beginnende gelenkmechanische Nachbehandlung besonderer Wert zu legen, um die Versteifung des Schultergelenkes zu verhüten. Längerdauernde Fixation, evtl. sogar noch in Adduktionsstellung, ist als in hohem Grade fehlerhaft zu bezeichnen. Der Abriß des großen Muskelhöckers am Oberarmkopf ist eine Verletzung, welche gelegentlich einmal isoliert als Abrißf r a k t u r bei e x t r e m e n Be-

Abb. 302. Drahtextension bei Oberarmschaftbruch

wegungen (z. B. Schleudern), öfter aber als typische Neben Verletzung bei der Schulterluxation vorkommt. In letzterem Falle legt sich das Bruchstück nach gelungener Reposition

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an normaler Stelle an und verheilt dort. die Diagnose röntgenologisch und an dem Schmerzen bei der Rotation und seitlicher möglichkeit der eigentätigen Außenrotation brochene Knochenstück erheblich disloziert, menden Stelle anzunageln.

Bei isolierter Fraktur kann man umschriebenen Druckschmerz, den Erhebung des Armes und der Undes Armes stellen. Ist das abgeist es operativ an der ihm zukom-

Oberarmschaftbrüche Vorwiegend wird das mittlere Drittel des Oberarmknochens zwischen Schulter- und Ellenbogengelenk von Frakturen betroffen. Es können alle Bruchformen vorkommen, auch Stückbrüche mit 2 Bruchstellen sind nicht selten. Die Brüche sind so gut wie nie eingekeilt und weisen daher typische abnorme Beweglichkeit auf. Daher ist ihre klinische Diagnose sehr leicht, schon der Verletzte selbst weiß, daß er sich den Oberarm gebrochen hat. Auch eine Verkürzung des Armes pflegt meistens vorhanden zu sein. Sitzt der Bruch im oberen Drittel körpernäher als der Deltaansatz, besteht eine typische Dislokation, wie sie im Abschnitt über die Brüche im chirurgischen Hals beschrieben ist (Abknickung am Deltaansatz, Armverkürzung, Abduktion). Sitzt die Bruchstelle unterhalb des Deltaansatzes, so wird das obere Fragment adduziert und das untere Fragment nach der Schulter zu (Verkürzung) und nach hinten gezogen. Wenn der Bruch im mittleren Drittel des Oberarmknochens sitzt, ist mit der Nebenverletzung des Nervus radialis in fast zwei Dritteln der Fälle zu rechnen, weil der Nervenstamm an dieser Stelle dem Knochen eng anliegt. Stets ist also nach dieser häufigen Nebenverletzung zu fahnden. Die Behandlung des Oberarmschaftbruches erfolgt am besten durch Extension mittels Drahtzuges, am Olekranon (siehe Abb. 302) bis in günstiger Stellung die Knochenbruchheilung eingetreten ist. Für die Brüche im mittleren Drittel des Knochens hat sich mir die Behandlung mittels des Gipsschindelverbandes nach v. B r u n n bewährt (vgl. Abb. 304). Eine Gipsschiene liegt an der Beugeseite des Armes und ist gerade so lang, daß sie vom unteren Pectoralisrand bis zur Ellenbeuge reicht. Eine andere Gipsschiene erstreckt sich von der Höhe des Schultergelenkes bis zum Olekranon. Obwohl dieser Verband die alte Regel, daß die beiden benachbarten Gelenke ruhiggestellt werden sollen, völlig außer acht läßt, werden mit ihm doch sehr gute Ergebnisse erzielt, besonders bei alten Leuten, da das Schultergelenk in ausreichendem Umfang beweglich bleibt. Aber nur der erfahrene Arzt sollte sich dieser Methode bedienen. Gelingen Reposition und Retention der Bruchstücke durch konservative Methoden nicht in wünschenswerter Weise, ist die operative Behandlung in Betracht zu ziehen. Bei der Ausführung des Eingriffes ist auf den Nervus radialis besonders zu achten. Die Küntschernagelung bei der Humerusschaftfraktur kann ratsam sein, bei gelenknahen Frakturen ist die Nagelung nach Rush die beste Methode. Wenn durch die Fraktur eine Radialislähmung verursacht worden ist, soll zunächst auch konservativ behandelt werden, bis durch mehrfach ausgeführte neurologische und elektrische Untersuchungen festgestellt ist, ob es sich nur um ein Ödem oder Hämatom im Nerven nach Quetschung oder um eine Zerreißung von Nervenfasern handelt. Ist das letztere sicher, ist der Nerv freizulegen und die Nervennaht auszuführen. Der Eingriff kann mit der Osteosynthese der Frakturstelle verbunden werden.

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Mehr als andere Knochenbrüche neigen die Oberarmschaftbrüche zur Ausbildung von Pseudarthrosen, vielleicht weil Weichteilinterpositionen häufig sind. Läßt die knöcherne Heilung der Bruchstelle über Gebühr lange auf sich warten, sind mehrfach Blutinjektionen in dieselbe vorzunehmen. Bohrungen nach B e c k sollte man wegen der Gefahr der Nebenverletzungen (Radialis) besser unterlassen. Nutzt auch die Blutinjektion nichts, sind bald die Resektion der Pseudarthrosenstelle und die Transplantation eines kräftigen Tibiaspanes vorzunehmen.

Abb. 303. Oberarmschaftfraktur

Abb. 304. Gipsschindelverband nach v. B r u n n zur Behandlung der Oberarmfraktur Im mittleren Drittel

Oberarmbrüche nahe dem Ellenbogengelenk Die Brüche können sowohl im Schaft des Knochens außerhalb des Ellenbogengelenkes liegen als auch in das Gelenk selbst hineinreichen. Dementsprechend unterscheidet man zweckmäßig zwischen den suprakondylären Frakturen und den eigentlichen Kondylenfrakturen. Die suprakondylären Humerusfrakturen entstehen meist bei jugendlichen Personen durch Fall auf den Arm. Je nach dem Mechanismus kommen Extensionsfrakturen oder Flexionsfrakturen mit typisch verlaufenden Bruchlinien zustande. Die Extensionsfraktur ist häufiger als die Flexionsfraktur, bei ersterer pflegt die Verschiebung an der Bruchstelle erheblicher zu sein. Olekranon und Trizepssehne springen deutlich nach hinten vor, jedoch ist die Stellung der Kondylen

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zur Olekranonspitze nicht verändert. Der örtliche Druckschmerz sitzt oberhalb der Kondylen, ebenso auch die Weichteilschwellung. Bei Extensionsfrakturen fühlt man das vorspringende Bruchstück in der Ellenbeuge. Krepitation und abnorme Beweglichkeit, welche von der normalen Beweglichkeit im Ellenbogengelenk abzugrenzen ist, sind vorhanden. Bei allen Frakturen im Ellenbogengelenk selbst oder in seiner Nähe ist mit schwerwiegenden Nervenverletzungen zu rechnen. Einmal kommen Verletzungen aller drei Armnerven je nach Lage des Bruches vor. Dann aber beobachten wir nach Verletzungen der Arteria cubitalis Störungen der Blutversorgung und der sympathischen Innervierung, welche zu der gefürchteten ischämischen Muskelkontraktur (siehe Seite 476) führen. Daher ist stets bei der

Abb. 305. u. 306. Suprakondyläre Flexions- und Extensionsf r a k t u r am Oberarmknochen

ersten Untersuchung, nach jeder Beposition und nach Anlegung jeden Verbandes (bei letzteren mehrfach in kurzen Zwischenräumen) auf das Verhalten des Badialispulses und das Aussehen der Extremität zu achten. Zirkuläre Verbände am Ellenbogengelenk sind tunlichst zu vermeiden. Wenn der Badialispuls nicht wiederkehrt und wenn sich Erscheinungen der Blutleere an der Hand einstellen, ist die Arterie an der Verletzungsstelle freizulegen, die Gefäßwunde zu nähen oder das komprimierende extravaskuläre Hämatom auszuräumen. Bei der Behandlung der suprakondylären Oberarmfrakturen pflege ich jeden zirkulären Verband zu vermeiden. Er ist nur erlaubt und dann sehr locker anzulegen, wenn die Bruchenden gut zueinander stehen und auch nicht die Neigung zur Verschiebung haben. Die Methode der Wahl ist die Behandlung durch Drahtextension am Olekranon (siehe Abb. 302). Sie ermöglicht die dauernde Überwachung des Armes und erzielt die besten anatomischen und funktionellen Heilungsergebnisse. Die Kondylenfrakturen des Humerus im Ellenbogengelenk treten meist in drei verschiedenen Formen auf. Es kann durch eine schräge Bruchlinie der äußere Kondylus oder der innere Kondylus oder es können beide abgebrochen sein. Dann entsteht eine Y-förmige Bruchlinie. Für alle Verletzungen im Bereich des Ellenbogengelenkes ist die Feststellung der Lagebeziehungen der beiden Kondylen zu der Olekranonspitze durch

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Betrachtung und Betastung von ausschlaggebender Bedeutung. Das Wesentliche kann man aus der umseitig stehenden Abbildung sehen (Abb. 308). Die gedankliche Analyse dieser Beobachtungen allein ermöglicht es häufig, auch ohne Röntgenbild die richtige Diagnose zu stellen. Trotzdem muß die Röntgenuntersuchung selbstverständlich in jedem Fall ausgeführt werden. Der äußere Schrägbruch ist etwas häufiger als der innere Schrägbruch, und zwar deswegen, weil er als eine Absprengungsfraktur durch das Radiusköpfchen zustande kommt, während der innere Schrägbruch meist durch unmittelbare Gewalteinwirkung zu entstehen pflegt. Wir begegnen ihm auch in der Form des sogenannten Epikondylenbruches, den es besonders bei jungen Menschen gibt. Die Symptome der Kondylenbriiche bestehen in Druckschmerz an der Stelle der Frakturlinien mit Schwellung an dieser Stelle, Form Veränderung des Gelenkes mit Verschiebung der Knochenpunkte gegeneinander, wenn eine Verschiebung an der Frakturstelle eingetreten ist. Abnorme Beweglichkeit und Krepitation sind häufig vorhanden. Stets läßt sich eine abnorme Beweglichkeit im Ellenbogengelenk in seitlicher Richtung mit Ausbildung eines Cubitus valgus (beim äußeren Kondylenbruch) oder eines Cubitus varus (beim inneren Kondylenbruch) feststellen. Bei der Behandlung sind aus den schon erörterten Gründen fixierende Verbände tunlichst zu vermeiden, wenigstens in den ersten Wochen. Die Methode der Wahl ist die Drahtexten-

Abb

307

Kondylenfraktur

des

Humcrus

¡ m Ellenbogengelenk

sion am Olekranon (Abb. 302). Durch sie vermag man die meisten Kondylenbriiche in eine gute Stellung zu bringen, gleichzeitig ist es möglich, die Muskulatur zu pflegen und auch das Ellenbogengelenk in geringem Umfang zu bewegen. Wenn nach 2—3 Wochen die Kallusbildung so weit fortgeschritten ist, daß eine Verschiebung der Bruchstücke nicht mehr zu befürchten ist, kann ein abnehmbarer Schienenverband angelegt werden. Konnte durch die Extensionsbehandlung ein abgebrochener Kondylus nicht an seine richtige Stelle gebracht werden, was bei hochgradigen Verdrehungen mit Weichteilinterposition oder bei den Abbrüchen des medialen Kondylus vorkommt, muß operativ eingegriffen werden. Das Knochenstück wird unter Leitung des Auges an seine normale Stelle gebracht, dort angenagelt und nach erfolgter Bruchheilung der Nagel wieder entfernt. Als Folge chronischer Überbeanspruchung, aber auch nach einmaliger großer Anstrengung kann sich ein Krankheitsbild entwickeln, welches meist als Epikondy litis bezeichnet wird. Bei Tennisspielern ist es unter dem Namen „TennisK o s t o c k , L e h r b u c h der speziellen Chirurgie. 3. Aufl.

34

530

Chirurgie der G l i e d m a ß e n

Bei dorsaler Betrachtung:

a) bei rechtwinkliger Beugung: gleichschenkliges Ellenbogendreieck

f) Verrenkung des Unterarmes lateralwärts

1) Abriß des Epicondylus radialis

Normale Verhältnisse Bei seitlicher Betrachtung fällt der Olekranonpunkt:

b) in Streckstellung: gerade

g) Verrenkung des Unterarmes medialwärts

m) Abriß des Epicondylus ulnaris

c) bei Streckung hinter '

d) bei rechtwinkliger Beugung i n

die Oberarmschaftachse

h) Y-förmiger Gelenkbruch des distalen Oberarmendes

n) Bruch des Olekranon

e) bei spitzwinkliger Beugung v o r

i) Suprakondylärer Flexionsbruch des Oberarmbeines

o) Verrenkung des Unterarmes nach

k) Suprakondylärer Extensionsbruch des Oberarmbeines

p) Verrenkung des Unterarmes nach hinten

A b b . 308. L a g e b e z i e h u n g e n des Olekranon zu d e n beiden E p i k o n d y l e n bei v e r s c h i e d e n e n V e r l e t z u n g e n (nach W a c h s m u t h - L a n z)

eilenbogen" bekannt. Das Wesen liegt in chronischer Reizung des Periostes an der Muskelansatzstelle oder in Einrissen in die Knochenhaut der Sehnenund Muskelansätze. Die Symptome bestehen in Bewegungsschmerz, manchmal Ödem und Gewebsschwellung am äußeren Kondylus. In älteren Fällen kann man auf dem Röntgenbild periostale Knochenwucherungen erkennen. Zur Behandlung sind Schonung, feuchte Umschläge und vor allen Dingen Ruhigstellung, welche mitunter mehrere Wochen ausgedehnt werden muß, angezeigt. In besonders hartnäckigen Fällen hat sich die Exstirpation des schwieligen Gewebes über dem Epikondylus bewährt. Als Folge starker mecha-

Verletzungen der K n o c h e n und Gelenke

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nischer Beanspruchung des Ellenbogengelenkes besonders bei langdauerndem Bedienen von Preßluftwerkzeugen, aber auch bei anderen schweren Arbeiten stellen sich typische Erscheinungen ein, welche klinisch sich in einer Streck- und Beugebehinderung des Ellenbogengelenkes bei erhaltener Drehfähigkeit des Vorderarmes sowie Schmerzen besonders in der Ruhe nach Beendigung der Arbeit und sekundär in Muskelschwäche äußern. Auf dem Röntgenbild sieht man typisch gelagerte und geformte Knochenzacken an der Beugeseite des Oberarmes und eine pilzförmige Verformung des Radiusköpfchens. Auch echte Osteochondritis (siehe S. 636) mit Ausbildung von freien Gelenkkörpern kommt vor. Die Ellenbogenluxation ist die häufigste Verrenkung (etwa V5 aller Verrenkungen) nächst der des Schultergelenkes. Meist erfolgt die Verrenkung

Abb. 309 Abb. 310 Abb. 311 Abb. 309—311. Zustandekommen der Vorderarmluxation im Ellenbogengelenk nach hinten

beider Unterarmknochen gemeinsam gegen den Oberarm, am häufigsten ist die Verrenkung nach hinten. Kombinationen mit Frakturen der Ellenbogenknochen sind häufig. Da das Ellenbogengelenk sehr straffe Bänder hat, vermag die Luxation nur unter gleichzeitiger Zerreißung derselben zu erfolgen. Luxationen können einmal in der Ebene von Oberarm und Unterarm und in ihr nach vorne und nach hinten zustande kommen. Dann sind aber auch seitliche Luxationen nach innen und außen möglich. Kombinationen können sehr wechselvolle Bilder erzeugen. Die häufigste Form ist die Verrenkung des Vorderarmes nach hinten (Luxatio antebrachii posterior). Sie kommt zustande durch Fall auf die gestreckte Hand mit gleichzeitiger Uberstreckung im Ellenbogengelenk. Die einzelnen Phasen der Luxation kann man aus Abb. 309—311 erkennen. Die klinischen Erscheinungen bestehen in einer typischen Formveränderung (Abb. 312), bei welcher der Ellenhöcker mit der Tricepssehne nach hinten vorsteht, die Rolle der Oberarmknochen nach der Ellenbeuge zu verschoben ist, so daß eine Verschiebung der Knochenpunkte des Ellenbogengelenkes gegeneinander sehr deutlich ist. Das Olekranon steht über der Verbindungslinie der beiden Epi34*

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Chirurgie der G l i e d m a ß e n

kondylen bei Vergrößerung seiner Entfernung von ihnen und Verlagerung des Radiusköpfchens hinter oder unter den Epicondylus lateralis. Das Gelenk steht in stumpfwinkliger Beugestellung und wird in ihr in federnder Fixation gehalten. Dazu kommt eine Gewebsschwellung der Weichteile der Gelenkumgebung, welche mitunter erhebliche Grade annehmen und das sonst klare Formbild verdecken kann. Durch Röntgenaufnahme sollte man sich von dem Fehlen oder Vorliegen etwaiger Nebenverletzungen (z. B. Abbruch des Processus coronoides ulnae) überzeugen. Auch Nerven- und Blutgefäßzerreißungen kommen vor. Die Behandlung der Ellenbogenverrenkung hat durch möglichst sofortige Reposition im Rausch zu erfolgen. Am schonendsten ist es, wenn bei gebeugtem Ellenbogen der Oberarm nach hinten und der Vorderarm nach vorn

A b b . 312. V e r r e n k u n g im E l l e n b o g e n g e l e n k n a c h h i n t e n

gezogen werden. Dann gleitet die Kondylenrolle über den Processus coronoides an ihre normale Stelle. Die Reposition der frischen Luxation gelingt auf diese Weise meist leicht. Die früher ausgeübte Methode der Uberstreckung des Ellenbogens sollte ganz verlassen werden, da sie häufig der Anlaß zur Ausbildung einer Myositis ossificans im Musculus brachialis war. Sie stellt die unangenehmste Komplikation der Verletzung dar. Ihre Ausbildung wird gefördert durch zu starke Bewegungsübungen und Massagen des verletzten Gelenkes in der Nachbehandlung. Droht eine Myositis ossificans (Röntgenaufnahme in seitlicher Richtung bei sehr weicher Strahlung), ist absolute Ruhigstellung des Gelenkes im Gipsverband für mehrere Wochen angezeigt. Nach erfolgter Reposition der Verrenkung ist das Gelenk für etwa eine Woche mittels locker angewickelter Gipsschiene oder C r a m e r - Schiene ruhigzustellen. Dann folgt die übliche gelenkmechanische Nachbehandlung. Die Behandlungsergebnisse in bezug auf Beweglichkeit pflegen gut zu sein. Die Reposition veralteter Ellenbogenluxationen gelingt meist nur auf blutigem Wege, weil die Fossa olecrani sich bald mit Bindegewebe anfüllt.

Verletzungen der Knochen und Gelenke

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Dieses muß bei der Operation sehr sorgfältig entfernt werden. Häufig bleibt trotz gut gelungener operativer Reposition eine mehr oder weniger hochgradige Versteifung des Gelenkes zurück. Hierauf muß bei der Verbandanlegung von vornherein Rücksicht genommen werden und die Winkelstellung zwischen Oberarm und Unterarm je nach dem Berufe des Verletzten gewählt werden. Die Luxatio antebrachii anterior ist eine sehr seltene Verletzung, bei der die Kondylenrollen nach hinten vorspringen und das Olekranon nach vorne zu in der Ellenbeuge steht. Die seitlichen Luxationen sind meist nur unvollständig und häufig mit dem Abbruch des entsprechenden Oberarmkondylus verbunden. Die Achsenabweichung im Gelenk nach der betreffenden Seite mit der entsprechenden Formveränderung des Gelenkes lassen die Diagnose stellen, das Röntgenbild bestätigt sie. Die Reposition gelingt durch seitlichen Druck unter gleichzeitiger Extension am gebeugt gehaltenen Arm. Röntgenkontrolle nach Beendigung der Reposition ist notwendig. Als seltenere Form ist dann noch die Luxatio divergens zu nennen. Bei ihr steht die Ulna nach hinten und der Radius nach vorne. Die Reposition erfolgt durch Extension am Unterarm bei gebeugtem Gelenk und gleichzeitigem direktem Druck auf das Olekranon und das Radiusköpfchen. Die isolierte Luxation des Radiusköpfchens erfolgt sehr selten nach außen oder nach hinten, sondern fast ausschließlich nach vorn. Sie kommt durch direkte Gewalteinwirkung oder durch Fall auf die pronierte Hand zustande. Das Radiusköpfchen steht vor dem Capitulum humeri und ist dort unter dem Musculus brachio-radialis bei Drehbewegungen des Vorderarmes zu fühlen. Der Unterarm ist leicht gebeugt und proniert, die Ausführung der Supination nicht möglich. Die Beugung des Ellenbogengelenkes gelingt nur etwa bis zum rechten Winkel. Häufig stellt die Radiusköpfchen-Luxation eine typische (und leider mitunter übersehene) Nebenverletzung bei der isolierten Ulnafraktur (Parierfraktur) dar. Die Einrichtung der Verrenkung geschieht durch Zug bei gebeugtem Ellenbogen unter gleichzeitigem direktem Druck auf das Radiusköpfchen. Die Retention in dieser Stellung ist nicht ganz leicht. Am besten gelingt sie durch einen Verband in starker Beugung des Ellenbogens und Pronationsstellung des Vorderarmes. Trotzdem kann es zur habituellen Subluxation kommen. Die unblutige Reposition der veralteten Radiusköpfchenluxation glückt nur selten. In diesem Falle ist bei starker Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenkes die Resektion des Radiusköpfchens anzuraten. Durch sie werden gute funktionelle Heilungsergebnisse erzielt. Olekranonfraktur Es handelt sich meist um Querbrüche, welche durch direkte Gewalt z. B. Fall auf den gebeugten Arm entstehen, manchmal kommen auch ausgedehnte Zertrümmerungen zustande. Die Regel ist, daß bei vollständiger Fraktur die Trizepsmuskulatur das obere Bruchstück auch in vollkommener Streckstellung des Armes um mehrere Zentimeter nach oben zieht. Diese Diastase zwischen den Bruchstücken kann aber auch fehlen, wenn das Periost zum größten Teil erhalten geblieben ist.

534

Chirurgie der Gliedmaßen

Die Symptome bestehen in umschriebener Gewebsschwellung mit Bluterguß über dem Olekranon sowie Erguß im Ellenbogengelenk selbst. Der klaffende Bruchspalt läßt sich deutlich tasten, das obere kleine Bruchstück ist verschieblich. Ist es völlig abgerissen, kann der Vorderarm eigentätig nicht gestreckt werden. Die Behandlung ist verschieden je nachdem, ob eine Lücke im Knochen vorhanden ist oder nicht. Liegt nur eine Fissur im Knochen vor, welche durch das Periost in normaler Stellung gehalten wird, darf nach einer Ruhigstellung von 10—14 Tagen mit Bewegungsübungen begonnen werden. Besteht aber eine Diastase zwischen den Bruchstücken, dann kann nur eine operative Behandlung durch Nahtvereinigung in Frage kommen, denn durch keine Verbandmethode läßt sich das abgerissene Knochenstück an seine normale Stelle bringen. Dies ist aber notwendig, wenn man den regelrechten Spannungszustand der Streckmuskulatur des Armes wiederherstellen will. Das ist zur Erzielung einer guten Funktion unbedingt erforderlich. Besser als die Drahtnaht ist die Versorgung der klaffenden Olecranonfraktur mit gekreuzten Bohrdrähten oder Rush-Nägeln. Brüche beider Unterarmknochen Unter diesem Namen verstehen wir aus praktischen Gründen alle Brüche beider Vorderarmknochen mit Ausnahme des sogenannten typischen Radiusbruches nahe dem Handgelenk, welcher häufig mit dem Abbruch des Griffelfortsatzes der Elle kombiniert ist Abb. 313. o i e k r a n o n f r a k t u r u n ( j c j a j i e r > streng genommen, auch in diesen Abschnitt gehören würde. Die Vorderarmbrüche (Fracturae antebrachii) pflegen meist im mittleren Drittel, seltener im oberen oder unteren zu sitzen und können durch direkte oder indirekte Gewalt entstehen. Meist liegen die Bruchlinien etwa in gleicher Höhe, oder der Speichenbruch befindet sich etwas höher als der der Elle. Bei Kindern treffen wir den Bruch in Form der sogenannten „Grünholzfraktur", d. h. die Knochen sind bei erhaltenem Periostschlauch so geknickt wie eine grüne Weidenrute. Für die Reposition ist dies ein sehr großer Vorteil, da ein Abrutschen der Bruchenden nicht stattfinden kann. Wenn gleich nach dem Bruch auch die Einknickung fehlt, werden solche Brüche erst durch den sich entwickelnden Kallus entdeckt. Die Symptome des Vorderarmbruches sind mit der Achsenknickung, der abnormen Beweglichkeit und Krepitation absolut eindeutig. In bezug auf die Behandlung ist diese Bruchform sehr ungünstig, da einmal die Retention nach gelungener Reposition schwierig ist und da außerdem die Neigung zu pseud-

Verletzungen der Knochen und Gelenke

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arthrotischer Heilung besteht. Man wird einen solchen Bruch in Narkose manuell reponieren, der Vorderarm ist dabei in Supination zu stellen, und dann mittels je einer dorsalen und volaren Gipsschiene, welche die Fingergrundgelenke frei lassen, aber über das Ellenbogengelenk reichen müssen, in der erreichten Stellung halten. Leider gelingt dies nicht immer. Falls die Pround Supinationsmöglichkeit im Vorderarm nicht ausgeschaltet wird, rutschen die Bruchenden sogar sicher ab. Auch nach Zurückgehen der Weichteilschwellung, also 8—10 Tage nach der Verletzung, tritt dieses unerwünschte Ereignis noch ein. Darauf muß man bei Durchführung der Röntgenkontrollen Rücksicht nehmen. Wenn der einmalige oder zweimalige Versuch der Reposition mißlungen ist, dann tritt die operative Behandlung in ihr Recht. Mitunter genügt eine sichere Verzahnung der Bruchstücke, in anderen Fällen muß eine Drahtnaht oder eine Drahtumschlingung angeschlossen werden, und wieder in anderen Fällen kann es notwendig sein, primär eine Knochenspantransplantation vorzunehmen. Die Verwendung von Metallschienen oder die Ausführung einer Knochenbolzung ist nicht ratsam. Bei der Vorderarmfraktur hat die stabile Marknagelung nach Küntscher große Vorteile. Handelt es sich um komplizierte Frakturen mit ausgedehnter Wunde, was leider nicht allzu selten der Fall ist, soll ein Gipsverband nicht angelegt werden. Bei den offenen Unterarmfrakturen ist möglichst sofort eine Marknagelung nach K ü n t s c h e r oder R u s h vorzunehmen. Diese beiden Methoden sind der Extensionsbehandlung vorzuziehen. Von den Komplikationen ist die Neigung zur pseudarthrotischen Heilung schon erwähnt worden. Durch frühzeitig ausgeführte und mehrfach wiederholte Blutinjektionen und Bohrung der Frakturenden vermag man ihr vielleicht zu begegnen. Nutzen diese Maßnahmen nichts, sollte man mit der Resektion der Pseudarthrose und Knochentransplantation nicht zu lange warten. Die Verordnung von Schienenapparaten stellt nur einen kümmerlichen Notbehelf dar. Angezeigt ist sie nur dann, wenn es sich um eine schwer komplizierte Fraktur gehandelt hat und wenn wegen der Infektionsgefahr die Pseudarthrosenoperation einige Jahre hinausgeschoben werden muß. Eine weitere Komplikation liegt in der Ausbildung des sogenannten Brückenkallus, welcher Elle und Speiche fest verbindet und die Drehbewegungen im Vorderarm unmöglich macht. Verbände in Pronationsstellung der Hand begünstigen sein Entstehen. Besteht ein solcher Brückenkallus, ist er operativ zu entfernen und sein Wiederauftreten durch Zwischenlagerung eines großen Fettlappens zu verhindern. Leider gelingt dies nicht immer. Isolierte Brüche des Radius Der isolierte Radiusschaftbruch pflegt meist bei Kindern vorzukommen und tritt dann vorwiegend in der Form des Grünholzbruches auf. Eventuell bestehende Deformität, umschriebener Druckschmerz und abnorme Beweglichkeit sowie das Röntgenbild ermöglichen die Diagnose. Die Reposition ist nicht sehr schwierig und die Retention einfacher als beim Vorderarmbruch beider Knochen, da die unversehrte Elle als Schiene wirkt. Der Verband muß die Drehbewegung des Vorderarmes sicher ausschalten. Bestehen Repositionshindernisse, kommt eine operative Osteosynthese in Betracht. Sehr viel häufiger sind die Brüche am Radiusköpfchen und -hals (Fractura capituli et colli radii). Sie werden leider mitunter übersehen und als Distorsion

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Chirurgie der Gliedmaßen

oder Kontusion des Ellenbogengelenkes angesprochen. Die Fraktur des Radiusköpfchens entsteht durch Abstemmung (Meißelfraktur) beim Fall auf den gestreckten Unterarm bei pronierter Hand. Dabei können Teile des Radiusköpfchens abbrechen und entweder erheblich verlagert oder durch das Periost und das Ligamentum annulare in der normalen Lage gehalten werden. Die Symptome bestehen in Weichteilschwellung an der Verletzungsstelle, Gelenkerguß, Druckschmerz am Radiusköpfchen, Bewegungsschmerz an derselben Stelle besonders bei Pro- und Supinationsbewegungen, die eingeschränkt sind, mitunter Krepitation. Die Behandlung kann rein konservativ sein, wenn keine größere Verschiebung des abgebrochenen Knochenteiles eingetreten ist. Ist eine solche vorhanden, muß frühzeitig das abgebrochene und meist ins Gelenk verlagerte Bruchstück operativ entfernt werden, da es sonst als freier Körper zu schweren Funktionsstörungen führt. Die Annagelung an normaler Stelle ergibt keine guten funktionellen Ergebnisse und sollte unterlassen werden. Die Brüche im Hals des Radiusköpfchens sind nicht besonders häufig. Vorwiegend treten sie bei jungen Menschen auf und bestehen einmal in Knikkung der Achse oder selten in einer völligen Fraktur mit Verschiebung der Bruchstücke. Von der Radiusköpfchenfraktur lassen sie sich nicht im klinischen Bild, sondern nur durch die Röntgenuntersuchung unterscheiden. Geringe Achsenknickungen sind funktionell belanglos und bedürfen keiner besonderen Behandlung. Besteht ein Abb. 314. Radiusköpfchenfraktur völliger Abbruch des Radiusköpfchens, kann nur durch operativen Eingriff die Stellung des Bruchstückes beeinflußt werden. Man soll die Reposition und Fixierung an normaler Stelle durch Nagel erstreben. Gelingt dies nicht, so ist auch durch Exstirpation des abgebrochenen Radiusköpfchens ein günstiger funktioneller Erfolg zu erzielen. Isolierte Brüche der Ulna Sie haben ihren Sitz im mittleren Drittel und entstehen als sogenannte „Parierfraktur", z. B. durch Schlag auf den zur Abwehr erhobenen Arm oder bei wesensgleichen Gewalteinwirkungen. Die Verschiebung der Bruchstücke gegeneinander braucht nicht sehr hochgradig zu sein, ist aber im Augenblick der Verletzung erheblich größer. Als typische Nebenverletzung, welche mitunter übersehen wird, kommt es zur Luxation des Radiusköpfchens im Ellenbogengelenk. Die Symptome der Verletzung ergeben sich aus dem Sitz des Bruches und gegebenenfalls der Luxation. Bei der Behandlung ist zunächst

Verletzungen der K n o c h e n u n d Gelenke

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(wenn vorhanden) die Radiusköpfchenluxation einzurichten und dann die Ulnafraktur zu reponieren. Die Retention durch Gipsschienenverband ist nicht immer leicht, die Frakturenden neigen zum Abgleiten, das Radiusköpfchen zur Reluxation. Gelingt die einwandfreie Stellung der Rruchenden nicht, tritt die operative Frakturbehandlung in ihr Recht. Die typische Radiusfraktur Der Radiusbruch an typischer Stelle, d. h. nahe dem Handgelenk in der Gegend der Epiphysenlinie der Speiche und gegebenenfalls in Vereinigung mit dem Abriß des Griffelfortsatzes der Elle, ist die häufigste aller Gliedmaßenfrakturen und auch die praktisch wichtigste. Rei Kindern ist sie sehr viel seltener

A b b . 315. D e f o r m i e r u n g e n bei der t y p i s c h e n R a d i u s f r a k t u r

als jenseits des 16.—20. Lebensjahres, jedoch kommen bei Kindern auch traumatische Epiphysenlösungen an der Speiche vor. Der Rruch entsteht vorwiegend durch den Fall auf die dorsalflektierte Hand. Einkeilungen der Rruchenden sind häufig. Die Rruchlinie kann schräg oder quer durch den Knochen verlaufen, auch Zersprengung des Rruchstückes in mehrere Teile sowie doppelseitige Radiusfrakturen werden beobachtet. Rei den Symptomen ist zunächst die durchaus charakteristische Formänderung zu nennen. Dadurch, daß das periphere Rruchstück nach der Dorsalseite verschoben und mitunter gekantet wird, kommt die Achsenknickung dicht oberhalb des Handgelenkes zustande, welche man als „Rajonettstellung" oder als „Fourchettestellung" bezeichnet. Rei der Retrachtung von oben sieht man gleichzeitig eine Abweichung der Hand nach der Speichenseite zu (vgl. Abb. 315). Der Processus styloides ulnae springt stärker nach außen vor als auf der gesunden Seite. Aus dieser Formabweichung allein ist die Diagnose Radiusfraktur zu stellen. Aber auch wenn eine solche Deformität nicht vorliegt, kann eine Radiusfraktur bestehen. Dann findet man den umschriebenen Druckschmerz an Radius- und evtl. Ulnaende mit Bewegungsschmerz und Bewegungseinschränkung im Handgelenk. Das Röntgenbild bestätigt die Diagnose. Die Behandlung hat selbstverständlich in der genauesten Reposition der Fraktur im Rausch zu bestehen. Auch in örtlicher Betäubung ist sie ausführbar. Die Unterlassung jeder Betäubung führt fast stets zu unvollkommener

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Chirurgie d e r G l i e d m a ß e n

Reposition. Unbegreiflicherweise wird in der Praxis mitunler auf die Reposition überhaupt verzichtet, oder sie wird nur sehr unvollkommen ausgeführt. Das Ergebnis ist dann sowohl in anatomischer als auch in funktioneller Beziehung schlecht und kann zu berechtigten Schadenersatzansprüchen an den behandelnden Arzt führen. Die Reposition wird am besten so ausgeführt, daß der Arzt dem Verletzten die Hand gibt und mit der anderen Hand den Unterarm etwas unterhalb der Mitte fixiert. Dann wird durch hebelnde Bewegung nach der Ulna zu die meist bestehende Einkeilung zunächst beseitigt. Ist die Fraktur locker

A b b . 316 A b b . 317 A b b . 316 u n d 317. T y p i s c h e r S p e i c h e n b r u c h m i t A b b r u c h des G r i f f e l f o r t s a t z e s der

Elle

geworden, werden die Bruchenden zwischen Daumen und 2. und 3. Finger beider Hände exakt aufeinandergestellt. Ist dies gelungen, wird eine dorsale Gipsschiene, welche vom Ellenbogen bis zu den Fingergrundgelenken (die genannten Gelenke freilassend) reicht, in Mittelstellung des Handgelenkes (vgl. Abb. 318) angelegt. Noch während dieselbe nicht erhärtet ist, ist die Stellung der Bruchstücke durch Betastung zu kontrollieren und gegebenenfalls zu verbessern. Nach Erhärten des Verbandes wird eine Röntgenkontrolle in zwei Ebenen ausgeführt. Wenn die Reposition nicht einwandfrei gelungen ist, muß sie wiederholt werden. Die Anlegung von Heftpflaster- oder Bindenverbänden sollte nicht mehr ausgeführt werden. Ellenbogen- und Fingergelenke sind sofort nach der Verbandanlegung zu bewegen. Die Schiene bleibt 3 Wochen liegen, dann kann mit Massage und Bewegungsübungen begonnen werden. Besonders bei älteren Leuten muß man auf frühzeitige und ausgiebige Bewegung im Schultergelenk achten, um der Ausbildung einer Schulterkontraktur entgegenzuwirken.

Verletzungen der Knochen und Gelenke

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Durch eine derartige Behandlung läßt sich stets eine völlige Wiederherstellung der normalen Form und Funktion erreichen. Nur wenn die Reposition unvollkommen war, kommt es zu Bewegungsbehinderungen im Handgelenk, und wenn die angelegten Verbände unzweckmäßig waren, zu Bewegungsbehinderungen in den Fingern. Korrekturoperationen bei deform geheilten Radiusfrakturen sind sehr viel schwieriger, als man meist annimmt.

Abb. 318. Gipsschiene bei reponierter Radiusfraktur

Brüche und Verrenkungen der Handwurzelknochen Durch Stauchung der Hand in der Achse des Unterarmes oder durch andere Gewalteinwirkungen kommen Frakturen aller Handwurzelknochen vor, die nicht alle einzeln besprochen werden können. Am häufigsten betroffen und wegen der zu erwartenden Folgen am wichtigsten sind die Frakturen des Os naviculare und lunatum. Sie werden häufig nicht erkannt und als Distorsion oder Kontusion mit Bewegungsübungen behandelt. An und für sich wäre dieses nicht schlimm, L V K MBK MS&M wenn nicht die auf der falschen Diag- iL wMk nose aufgebaute unrichtige Therapie ^ B k Vram M die Ursache der sich einstellenden Komi ' |JE[ plikationen wäre. Die einwandfreie Diagnose der Fraktur ist nur im Rönt* ^ p t f ħl||i~ genbild möglich. Hinweise für ihr Vor^ H a K 'ÄSöF **"•> liegen sind beim Navikulare die umschriebene Schwellung der „Tabatiere", ^HL j,' 1 der Druckschmerz an dieser Stelle sowie der Bewegungsschmerz, weniger bei Beugung und Streckung als bei '' Radial- und Ulnarabduktion der Hand, * sowie der Stauchungsschmerz beim i f: Anpressen des 2. Mittelhandknochens gegen das Handgelenk. Bei der Fraktur % v , des Os lunatum findet sich die Schwel| I lung auf der Streckseite des HandgeI 1 >" lenkes, der Druckschmerz am Sitz des 1 Knochens von der Beugeseite und I^H L ? besonders der Streckseite her und der Stauchungsschmerz durch die VermittA bb. 319 lung des 3. Mittelhandknochens. Frische Fraktur des Os naviculare

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Chirurgie der G l i e d m a ß e n

Die Behandlung hat in langdauernder Fixierung des Handgelenkes am besten mittels Gipsverbandes (vgl. Abb. 318) zu erfolgen. Der erste Verband soll 6 Wochen liegen bleiben und für weitere 3—4 Wochen erneuert werden, wenn ein Röntgenkontrollbild kein ausreichendes Heilungsergebnis zeigt. Die Komplikationen, welche durch die nicht lange genug durchgeführte Ruhigstellung hervorgerufen werden, bestehen beim Navikulare in der Ausbildung einer Pseudarthrose und beim L u n a t u m in dem Eintreten einer aseptischen Nekrose. Es sei hier erwähnt, daß durch chronische andauernde kleine Traumen, z. B. die Bedienung von Preßluftwerkzeugen, dieselben Krankheitsbilder hervorgerufen werden können. Die klinischen Erscheinungen bestehen in Ruhe- und Bewegungsschmerz im Handgelenk sowie Druckschmerz an dem betreffenden

A b b . 320. N a v i k u l a r e - P s e u d a r t h r o s e

A b b . 321. L u n a t u m n e k r o s e

Knochen, Reizerscheinungen im Handgelenk mit Erguß und Kapselschwellung, zunehmender Bewegungsbehinderung im Handgelenk, Muskelschwäche des Unterarmes mit verminderter K r a f t . !.'.•: Wenn eine ausgebildete Navikulare-Pseudarthrose nachgewiesen ist, kann man dieselbe dadurch zur Heilung bringen, daß man in örtlicher Betäubung bei gleichzeitig ausgeführter Röntgendurchleuchtung die Pseudarthrosenstelle mehrmals und ausgiebig durchbohrt, also neue Knochenwunden setzt. Nebenverletzungen des Knorpelbelags sowie des, Radius oder anderer Handwurzelknochen lassen sich vermeiden. Nach dem Bohren ist dieselbe langdauernde Fixationsbehandlung wie bei der frischen F r a k t u r einzuleiten. Der manchmal empfohlenen Exstirpation des Navikulare oder eines seiner Teile kann nur nachdrücklich widerraten werden. Die Lunatumnekrose ähnelt in ihren klinischen Beschwerden und Erscheinungen der Navikulare-Pseudarthrose. Auf dem Röntgenbild ist das L u n a t u m in seiner äußeren Form verändert, es ist kleiner geworden, in der Armachse komprimiert, seine Begrenzung ist unregelmäßig. Die Knochenstruktur weist neben Verdichtungen auch Aufhellungen auf. Die Behandlung

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wird zunächst ebenfalls durch Ruhigstellung zu erfolgen haben. Häufig führt sie nicht zum Ziel. Dann kann operatives Vorgehen nur angeraten werden. Entweder wird von einem Dorsalschnitt aus der gesamte kranke Knochen entfernt, oder seine dorsale Knochenschale wird abgemeißelt, die nekrotische Spongiosa ausgelöffelt und die Wunde dann verschlossen, damit durch Einwuchern von Blutgefäßen eine Knochenregeneration zu erfolgen vermag. Beide Verfahren sind empfehlenswert. Die richtig ausgeführte totale Exstirpation des Lunatum braucht zu keiner Funktionsbehinderung der Hand zu führen.

A b b . 322. Luxation des Lunatum

A b b . 323. Luxation des Lunatum

Die Luxationen im Bereich des Handgelenkes sind an und für sich selten. Durch direkte, senkrecht zur Achse des Armes einwirkende Gewalten kann es zur Verrenkung der proximalen Reihe der Handwurzelknochen gegen Radius und Ulna, und zwar meist nach der Streckseite, sehr selten nach der Beugeseite, kommen. Die entstehende Deformierung ist auffallend und ähnelt derjenigen bei der typischen Radiusfraktur. Im Rausch läßt sich die Verrenkung durch Zug und Druck leicht beseitigen. Isolierte Verrenkungen der Ulna gegen die Handwurzelknochen kommen vor, sie neigen zum Habituellwerden. Von den isolierten Verrenkungen der Handwurzelknochen ist am häufigsten die Lunatumluxation. Sie wird sehr oft auch nach Anfertigung von Röntgenbildern übersehen. Dies führt durch die Verlagerung des Knochens neben der Funktionsbehinderung des Handgelenkes selbst und einer Behinderung des Faustschlusses zu Druckschädigungen am Nervus medianus. Daher muß die Luxation unbedingt beseitigt werden. Die klinischen Zeichen der frischen Luxation sind Bewegungsbehinderung und Bewegungsschmerz im Handgelenk bei Tastbarkeit des stets nach der Beugeseite zu luxierten Lunatum. Das seitliche Röntgenbild des Handgelenkes zeigt deutlich, daß die Hohlfläche des Lunatum nicht

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Chirurgie der Gliedmaßen

nach den Mittelhandknochen zu, sondern um 90° gedreht nach der Beugeseite zu zeigt. Die Reposition hat in tiefer Narkose durch Druck auf den luxierten Knochen (nicht zu stark, um den darüber liegenden Nervus medianus nicht zu zerquetschen) bei gleichzeitigem Zug an der Hand und wechselnder Stellung derselben zu geschehen. Bei frischen Luxationen gelingt die Reposition fast immer, bei veralteten nur selten. Dann muß man operativ vorgehen. Gelingt auch dabei die Reposition nicht, was häufig der Fall ist, so soll das luxierte Lunatum exstirpiert werden. Mittelhandbrüche entstehen meist durch direkte Gewalteinwirkung und sind sehr häufig kompliziert. Es kommen Querbrüche, Torsionsbrüche und Schrägbrüche vor. Die Symptome sind aus den allgemeinen Frakturzeichen abzuleiten. Auffallend ist die (allerdings nicht immer vorhandene) Verkürzung des betroffenen Fingers. Der umschriebene Schmerz wird am besten durch Auslösung des Stauchungsschmerzes an den einzelnen Fingern geprüft. Man kann die Mittelhandbrüche durch komplizierte Extensionsverbände auch mit Drahtzug behandeln, jedoch sollte man dies auf seltene Einzelfälle beschränken. Mir hat sich in der überwiegenden Zahl der Fälle der „Faustverband" bewährt. Dabei werden die Finger über einer Bindenrolle passender Dicke gebeugt und bei günstiger Frakturstellung durch Verband fixiert. Der Verband kann an allen 4 Fingern

Abb. 325. B e ti n e t sehe Fraktur des 1. Mittelhandknochens

Abb. 324

Abb. 324. Faustverband zur Behandlung von Mittelhandfrakturen

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oder auch an einzelnen angelegt werden. Ist durch ihn die richtige Stellung der Bruchstücke erreicht, bleibt er 2—3 Wochen liegen, es folgen Bewegungsübungen in den Fingergelenken. Wenn die Einrichtung des Mittelhandbruches wegen Weichteilunterposition nicht gelingt, ist operative Behandlung nach R u s h (Marknagel) zu empfehlen. Extensionsbehandlung ist wegen Gefahr der Fingerversteifung abzulehnen. Die Heilungsaussichten sind sehr günstig. Am ersten Mittelhandknochen wird bei einem Bruch in der Mitte eine den Verhältnissen angepaßte biegsame Metallschiene angewickelt. An der Basis des ersten Mittelhandknochens beobachten wir eine besondere Bruchform, die allgemein als B e n n e t sehe Fraktur bezeichnet wird. Ein Teil des Knochens wird schräg gegen das Multangulum majus abgestemmt, der Daumen dadurch etwas verkürzt und dorsal verschoben. Weiterhin bestehen Gewebsschwellung, örtlicher Druckschmerz, Behinderung der Opposition des Daumens. Die Behandlung erfolgt durch Reposition der Fraktur mittels Zuges und Anlegung einer genau anmodellierten Gipsschiene, welche 4 Wochen liegen bleibt. Brüche und Verrenkungen der Finger Die Brüche der Finger kommen bei den mannigfaltigsten Gelegenheiten als Quer- und Schrägbrüche sowie auch als Absprengungen kleiner Knochenteile an den Gelenken vor. Es kann zu starken Verschiebungen der Bruchenden kommen. Begleitende Weichteilwunden sind häufig vorhanden. Die Diagnose ist durch Deformität, abnorme Beweglichkeit mit Krepitation und örtliche Schwellung sowie Druckschmerzhaftigkeit leicht zu stellen. Bei der Behandlung vermag man mit einfachsten Mitteln auszukommen. Komplizierte Extensionsverbände sind durchaus nicht notwendig. Mit Vorteil läßt sich der schon erwähnte Faustverband (Abb. 324) auch zur Behandlung der Fingerfrakturen anwenden. Sonst kann man die Fraktur mittels biegsamer Metallschienen in der gewünschten Stellung bis zur Konsolidierung ruhigstellen. Alle nicht betroffenen Finger sind nicht in den Verband einzubeziehen und vom ersten Tage an zu bewegen. Verrenkungen der Fingergelenke sind ohne Schwierigkeit an der Fehlstellung zu erkennen. Ihre Beseitigung gelingt auch ohne Betäubung leicht durch Zug und Druck. Mitunter können aber auch Kapselteile, Sehnen oder Sesambeine ein Repositionshindernis bilden, welches zu blutiger Stellung zwingt. Vorwiegend bei der Luxation des Daumens in seinem Grundgelenk ist dies der Fall. Sie erfolgt durch Uberstreckung des abgespreizten Daumens. Die Gelenkkapsel reißt an der Beugeseite. Der Daumen steht im Grundgelenk in einem nach dorsal stumpfen Winkel abgeknickt und federnd fixiert, gleichzeitig ist das Endgelenk durch Zug der Sehne des Flexor pollicis longus, die sich auch einklemmen kann, leicht gebeugj. Die Einrenkung erfolgt durch Uberstreckung des Daumens unter gleichzeitigem Schieben seines Grundgliedes nach vorn und anschließender Beugung. Der Pfannengrundbruch im Hüftgelenk Streng genommen, gehört dieser Bruch in den Abschnitt des Beckens. Aber wegen der funktionellen Einheit mit dem Bein soll er hier besprochen, werden. Wenn eine Gewalt seitlich in ungefährer Richtung des Schenkelhalses auf den Körper einwirkt, kann der Schenkelhals den Pfannengrund sprengen und in ausgesprochenen Fällen in das Beckeninnere hinein verlagert werden.

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Man spricht daher auch von einer „Luxatio centralis". Von der leichten Verschiebung des Pfannengrundes bis zur völligen Verlagerung des Hüftkopfes, der dann vom Mastdarm aus tastbar ist, in das Beckeninnere hinein, kommen zahlreiche Ubergangsformen vor. Jede Bewegung im Hüftgelenk ist schmerzhaft, vielleicht ist die Wölbung des großen Rollhügels etwas abgeflacht, die Abspreizungsbewegung in der Hüfte ist besonders schmerzhaft. Die Röntgenaufnahme zeigt etwa nebenstehende Abb. 326. Die Behandlung erstrebt die Wiederherstellung der normalen anatomischen Form. Bei schweren Verlagerungen wird man also zunächst den Hüftgelenkskopf durch Zug und Hebelwirkung aus dem Beckeninneren herausbringen und dann bis zur Heilung des knöchernen Pfannengrundes das Hüftgelenk im Extensionsverband entlasten. Dies geschieht am besten durch den bei der Oberschenkelfraktur beschriebenen Extensionsverband (Abb. 333). In leichten Fällen wird durch die Extensionsbehandlung an sich die Beposition erreicht.

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Die traumatische Hüftgelenks Verrenkung ist eine nicht sehr häufige Verletzung, zu deren Zustandekommen große Gewalteinwirkungen notwendig sind, denn die an und für sich schon tiefe Gelenkpfanne ist durch starke Bänder und große Muskelmassen noch weiter geschützt. Das Ligamentum capitis femoris zerreißt bei der Luxation, das Ligamentum iliofemorale bleibt jedoch unverletzt. Uberfahrungen, Verschüttungen und ähnliche Gelegenheiten bilden meist die Entstehungsursache der Verrenkung. Auch doppelseitige Verrenkungen kommen vor, sind aber abnorm selten. Man kann je nach der Stellung des Hüftgelenkkopfes zur Pfanne nachstehende Formen unterscheiden: 1. Luxatio coxae posterior retrocotyloidea (Verrenkung nach hinten) a) Luxatio iliaca (häufigste Verrenkungsart) b) Luxatio ischiadica;

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2. Luxatio coxae anterior praecotyloidea (Verrenkung nach vorn) a) Luxatio suprapubica b) Luxatio infrapubica a) Luxatio obturatoria b) Luxatio perinealis. Eine gute schematische Ubersicht über die wichtigsten Formen gibt Abb. 327. Bei der Hüftgelenksluxation nach hinten tritt der am vorderen Pfannenrand sich anstemmende Kopf oberhalb der Sehne des Musculus obturator internus auf das Os ilii (Luxatio iliaca) oder unterhalb desselben zum oberen Teil des Sitzbeines (Luxatio ischiadica). Der Kapselriß liegt dementsprechend hinten. Innenrotiert! I aussenrotwrt!

gebeugt!

Abb. 327. Schema der Gelenkluxationen (nach O r a t o r )

Die klinischen Zeichen bestehen in einer Beinverkürzung mit Hochstand des Trochanters über der R o s e r - N e l a t o n s e h e n Linie, Stellung des Beines in Innenrotation, Abduktion und Flexion und federnder Fixation in dieser Stellung. Als Nebenverletzungen werden Abbruche eines Teiles des Pfannenrandes oder des großen Rollhügels, mitunter auch ein Schenkelhalsbruch und stets Druck oder Zerrung des Nervus ischiadicus beobachtet. Die Beseitigung der Verrenkung erfolgt in tiefer Narkose, indem man den Verletzten auf die Erde legt und sich neben ihn hinkniet. Eine Hilfsperson hält das Becken fest. Am im Knie und Hüftgelenk rechtwinklig gebeugten Bein wird zunächst ein Zug nach oben ausgeübt. Durch Adduktion in Innenrotation des Beines wird der Hüftgelenkskopf am hinteren Pfannenrand mobilisiert, so daß er bei anschließendem starken Zug am Bein nach oben unter Abspreizung und Außenrotation durch den Kapselriß von hinten her in die Pfanne einschnappt. Ist R o s t o c k , Lehrbuch der speziellen Chirurgie. 3. Aufl.

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dieses erfolgt, kann man das Bein mühelos strecken und in die normale Lage bringen. Ist der Kapselschlitz sehr klein, so umklammert er den Schenkelhals und bildet ein Repositionshindernis, das nur operativ beseitigt werden kann. Veraltete Luxationen lassen sich nur operativ beheben. Nach gelungener Reposition werden die Beine durch einen Handtuchverband für einige Tage zusammengebunden. Nach 2—3 Tagen kann der Verletzte eigentätige Bewegungsversuche im Bett machen, nach 8—10 Tagen kann er aufstehen. Habituelle Hüftgelenksverrenkungen kommen nicht vor. Das funktionelle Heilungsergebnis ist zunächst recht gut, wenn nicht Schädigungen des Nervus ischiadicus oder fibularis zurückgeblieben sind. Im Laufe der Jahre pflegt sich aber eine an Stärke zunehmende Arthrosis deformans des Hüftgelenkes einzustellen, die zu Beschwerden und Bewegungsbehinderungen Anlaß gibt. Die Hüftgelenksluxation nach vorn ist erheblich seltener als die nach hinten und tritt in den schon erwähnten verschiedenen Stellungen auf. Allen Formen ist die Stellung des Beines in federnd fixierter Außenrotation, Abduktion und Flexion gemeinsam. Der sonst fühlbare vorstehende Rollhügel ist nicht deutlich zu tasten. Bei der Luxatio suprapubica ist der Hüftgelenkskopf unter dem nach vorn gedrängten und angespannten Femoralgefäßbündel in der Leistenbeuge zu tasten. Die Luxatio infrapubica führt zu einer Verlängerung des Beines. Bei der Luxatio obturatoria kann der Verletzte das Bein unter Schmerzen belasten, da der Schenkelkopf an der Membrana obturatoria einen Widerhalt findet. Da außerdem die Abduktion des Beines nicht sehr hochgradig ist, so wird die Verrenkung mitunter nicht diagnostiziert. Die Reposition erfolgt durch Zug am Bein bei Innenrotation und Abduktion. Bei der Luxatio obturatoria muß eine Beugebewegung dazukommen, um das Ligamentum ileofemorale und den Musculus ileopsoas zu entspannen. Ein Krankheitsbild, welches mitunter mit einer Hüftluxation oder Subluxation verwechselt wird, aber genau genommen nichts mit ihr zu tun hat, soll doch in diesem Zusammenhang besprochen werden. Es handelt sich um die schnappende Hüfte. Bei bestimmten Bewegungen und Stellungen kann sowohl bei der Vorwärts- als auch bei der Rückwärtsbewegung ein deutlich fühlbares, mitunter auch hörbares Schnappen der Hüfte auftreten, welches den Eindruck erweckt, als würde der subluxierte Hüftkopf in die Pfanne zurückgleiten. Man fühlt und sieht mitunter auch, wie ein dicker Gewebsstreifen, der zunächst hinter dem Rollhügel lag, bei Bewegungen des Beines ruckartig über ihn hinweggleitet. Hervorgerufen wird das Phänomen durch ein abnormes Verhalten des M a i s s i a t sehen Streifens (Tractus iliotibialis), bei dem durch Lockerung der Spannung oder durch Verdickungen in der Gegend des großen Rollhügels (Bursitiden, Periostitiden, Reste von Frakturen und anderes) sowie durch bewußt oder unbewußt erfolgte Ausschaltung der Innervation der Glutäusmuskulatur diese abnorme Beweglichkeit und damit das ruckartige Schnappen hervorgerufen werden. Leichte Fälle bedürfen keiner besonderen Therapie. In schweren Fällen, bei denen die Erscheinung sehr lästig empfunden wird, können eine Raffung des Tractus iliotibialis mit Anheftung am großen Rollhügel und die Beseitigung der dort eventuell vorhandenen abnormen Zustände in Frage kommen.

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Die Schenkelhalsbrüche sind Verletzungsarten, welche für höhere Lebensalter typisch sind, soweit es sich nicht um Epiphysenlösungen handelt. Wir unterscheiden je nach der Lage der Bruchlinien eine mediale von einer lateralen Schenkelhalsfraktur (vgl. Abb. 328 und 329). Je weiter medial die Bruchlinie liegt, um so ungünstiger sind die Ernährungsbedingungen des körpernahen Bruchstückes und um so häufiger sind die Störungen der Knochenbruchheilung (Pseudarthrose), da die Blutversorgung des Schenkelkopfes, welche vom Periost und hauptsächlich vom Schenkelhals, dagegen so gut wie gar nicht durch das Ligamentum capitis fenroris erfolgt, unterbrochen ist. Die laterale Schenkelhalsfraktur ist sehr häufig einge-

Abb. 328. Mediale Schenkelhalsfraktur

keilt. Die Unterscheidung beider Bruchformen ist nur auf dem Böntgenbild möglich, da sie sich in ihren klinischen Erscheinungen weitgehend gleichen. Die Schenkelhalsbrüche entstehen durch Abscherung infolge mittelbarer Gewalteinwirkungen, z. B.Fall auf die Füße, manchmal auch durch Torsion (Ski), bei altenLeuten durch einfaches Hinfallen im Sinne der Adduktionsfraktur. Der Fall seitlich auf den Trochanter kann zu eingekeilten Kompressionsfrakturen führen. Die Symptome der Schenkelhalsbrüche bestehen in der Auswärtsdrehung des Beines (besonders deutlich sichtbar bei Rückenlage des Verletzten), in Funktionsunfähigkeit im Hüftgelenk im Sinne der eigentätigen Beugung, Abduktion und Adduktion. Bei eingekeilten Brüchen und bei Epiphysenlösungen jugendlicher Personen kann dieses Zeichen fehlen. Ferner sind vorhanden ein Bewegungsschmerz und eine verschieden große Beinverkürzung. Bei bestehender Einkeilung fehlen die Krepitation, die Verkürzung und Auswärtsdrehung, oder sie sind nur angedeutet vorhanden. Auch eigentätige Bewegungen sind unter Schmerzen möglich, mitunter besteht noch eine geringe Belastungsmöglichkeit des Beines. Wenn die Diagnose Schenkelhalsbruch gestellt ist, muß man mit Rücksicht auf die einzuschlagende Behandlungsart ermitteln, an welcher Stelle des 35*

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Schenkelhalses der Bruch sitzt und ob er eingekeilt ist oder nicht. Handelt es sich um einen lateralen eingekeilten Bruch ohne nennenswerte Deformität, soll die Einkeilung unter keinen Umständen gelöst werden, weil sie die beste Gewähr für eine knöcherne Heilung bietet. Bettruhe und Lagerung des Beines zwischen Sandsäcken bei guter Körper- und Hautpflege (besonders wichtig bei älteren Leuten, Gefahr des Dekubitus) sind dafür die notwendigen Maßnahmen. Auch eine Fixierung im Gipsverband kann in Frage kommen. Zur Behandlung der nicht eingekeilten Schenkelhalsfraktur hat W h i t m a n eine Methode angegeben, bei der durch starke Abduktion und Innenrotation

A b b . 329. L a t e r a l e S c h e n k e l h a l s f r a k t u r

A b b . 330. G e n a g e l t e S c h e n k c l h a l s f r a k t u r

des Beines die Bruchenden einander gegenübergestellt und dann durch einen großen Gipsverband vom Fuß bis zum Thorax für 12 Wochen ruhiggestellt werden. Mit diesem Verband und Krücken konnten nicht allzu schwächliche Leute sich ganz kurze Strecken fortbewegen. Nach Abnahme des Verbandes wurde noch für ein halbes bis dreiviertel Jahr das Hüftgelenk durch Schienenapparat entlastet. Die Heilungsaussichten waren nicht schlecht, die Behandlung selbst aber wegen des lange liegenden Gipsverbandes sehr anstrengend und hinderlich. Heutzutage beginnt die primär operative Behandlung des Schenkelhalsbruches sich durchzusetzen. Sie läßt sich auch bei alten Leuten in Lumbalanästhesie durchführen. Auf geeignetem Operationstisch werden durch Extension die Bruchstücke unter Böntgenkontrolle in die richtige Lage gebracht. Dann wird ein dünner Draht in den Schenkelhals eingebohrt. Zahlreiche Hilfsapparate sind hierzu konstruiert worden. Die richtige Lage des Drahtes wird durch während der Operation ausgeführte Böntgenuntersuchung in zwei Ebenen kontrolliert, gegebenenfalls verändert. Liegt der Draht richtig, wird

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ein flügeiförmiger, dreikantiger, mit zentraler Durchbohrung versehener Nagel aus rostfreiem Stahl über ihn hinweg als Leitsonde durch den großen Rollhügel und den Schenkelhals über die Bruchstelle in den Schenkelkopf getrieben. Durch diese Nagelung werden eine' feste Vereinigung der Bruchstücke in normaler Stellung und damit günstige Bedingungen für die Knochenbruchheilung erzielt. Außerdem wird die Belastungsfähigkeit des Beines wiederhergestellt, so daß die Verletzten sogar nach wenigen Tagen das Bett verlassen können. Da es sich meist um alte Leute handelt, ist dies von ganz besonderem Wert. Das Verfahren, welches besondere technische Vorkehrungen erfordert, kann empfohlen werden. Bei der lateralen und pertrochanteren Schenkelhalsfraktur ist die operative Verschraubung des Bruches anzuraten. Diese Methode erspart den Patienten das lange Liegen im Streckverband, und die Patienten können bald nach der Operation das B e t t verlassen, dürfen aber das operierte Bein nicht zu früh belasten. Wenn bei konservativer Behandlung irgendwelcher Art die knöcherne Heilung ausbleibt und eine Schenkelhalspseudarthrose sich entwickelt, ergibt sich daraus eine Standunfähigkeit des Beines; durch die Belastung rutscht der Oberschenkelschaft immer mehr am Becken hoch. Die Beinverkürzung und der hinkende, unbeholfene Gang nehmen zu. Handelt es sich noch um Anfangsformen, dann kann man die vorstehend beschriebene Nagelung ausführen. Wenn sie keine günstigen Ergebnisse erzielt, was besonders bei starker Atrophie und Schwund des Schenkelkopfes der Fall zu sein pflegt, ist seine Exstirpation und Einstellen des großen Rollhügels in die Hüftgelenkspfanne immer noch empfehlenswert. Man kann auch nach dem Vorschlag von P a u w e 1 s durch eine dreieckige Knochenresektion subtrochanter am Oberschenkel die normalerweise senkrecht stehende Pseudarthrosenlinie, an der bei jedem Schritt Schubkräfte auftreten, waagerecht verlagern, so daß sie bei der Belastung unter Druckkräfte gesetzt und dadurch zur Ausheilung gebracht wird. Die Epiphysenlösungen im Hüftgelenk Jugendlicher können spontan ohne ein Trauma erfolgen (vgl. Coxa vara), kommen aber gelegentlich auch einmal als echte traumatische Fraktur vor. Die klinischen Erscheinungen gleichen denen des Schenkelhalsbruches. Bei der Behandlung wird man die operative Nagelung unter gar keinen Umständen anwenden. Entweder man legt einen Gipsverband bei Innenrotation und Abduktion des Beines an, oder man gleicht

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die Verkürzung durch Extensionsbehandlung aus. Im Anschluß an die Heilung muß aber das Hüftgelenk noch für mindestens y 2 Jahr durch einen Schienenapparat von der Belastung ausgeschaltet werden. Der Bruch des großen Rollhügels (Fractura femoris pertrochanterica) entsteht meist als Biegungsbruch und hat daher ein sogenanntes drittes Fragment. Die Dislokation pflegt, da häufig der Periostschlauch wenigstens teilweise erhalten ist, nicht sehr hochgradig zu sein, es kann aber auch durch Zug der Glutäusmuskulatur beachtliche Dislokation der Bruchenden eintreten. Die Symptome ähneln denen des Schenkelhalsbruches. Dazu kommt noch der sehr ausgesprochene und leicht prüfbare, umschriebene Druckschmerz an der Bruchstelle. Die Brüche heilen stets knöchern aus, Pseudarthrosen sind unbekannt. Die Behandlung erfolgt durch Extension in der Art, wie sie bei der Oberschenkelschaftfraktur beschrieben ist, mit sehr geringem Zug, welcher nur gerade eben das Bein in der Schwebe hält. Der mitunter als Rißbruch durch Zug des Musculus vorkommende Bruch des kleinen Rollhügels wird außer röntgenologisch an dem Druckschmerz in der Fossa ileopectinea und an der Unfähigkeit, im Sitzen den Oberschenkel über den rechten Winkel hinaus zu heben, erkannt. Zur Behandlung genügt meist Fixierung des Beines für vier Wochen in leichter Beugestellung mit Außenrotation. Nur wenn eine sehr erhebliche Dislokation des Trochanter minor besteht, soll man ihn operativ an seiner richtigen Stelle annageln. Die Oberschenkels«haftbrüclie Man kann sie je nach ihrem Sitz einteilen in 1. Fractura subtrochanterica 2. Fractura femoris (etwa in der Mitte) 3. Fractura supracondylica. Diese Einteilung ist berechtigt durch die verschiedene und meist typische Stellung der Bruchstücke zueinander. In bezug auf Zustandekommen, Symptome und auch Behandlungsmaßnahmen sind die verschiedenen Formen einander sehr ähnlich.

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Die Oberschenkelbrüche entstehen durch mittelbare oder unmittelbare Gewaltein Wirkungen, welche aber schon eine erhebliche Größe haben müssen, wenn sie den doch recht dicken Knochen zerbrechen sollen. Wir beobachten alle möglichen Formen wie Querbrüche, Biegungsbrüche, Torsionsbrüche, Stückbrüche und Zertrümmerungsbrüche. Die Verletzungen kommen in allen Lebensaltern vor. Nebenverletzungen der umgebenden Weichteile besonders der Muskulatur und dementsprechend starke Blutergüsse sind die Regel. Auch Interposition von Weichteilen zwischen die Bruchenden tritt häufig auf. Die Symptome der Oberschenkelschaftbrüche bestehen in der Standunfähigkeit, der Beinverkürzung, der Außenrotation des Beines bei liegendem Verletzten und vor allen Dingen in der leicht festzustellenden abnormen Beweglich-

wir, daß bei der Fractura subtrochanterica das kurze obere Bruchstück durch den Zug des Musculus glutaeus medius und Musculus iliopsoas in Flexion und Abduktion steht. Je tiefer die Bruchstelle liegt, desto mehr wird das obere Bruchstück durch den Musculus adductor magnus in Adduktionsstellung gebracht. Bei der Fractura supracondylica wird das kurze untere Bruchstück durch den Zug der Wadenmuskulatur in mitunter starke Beugestellung im Knie gebracht. Die Behandlung der Oberschenkelfrakturen erfolgt fast schematisch durch Extension. Hierdurch kann man am besten und schonendsten für den Kranken die durch den Zug der starken Muskeln häufig sehr erhebliche Verkürzung ausgleichen und andererseits leicht die erforderliche Achsenstellung herstellen, denn beides muß einwandfrei sein, wenn man ein gutes Ergebnis erzielen will. Die alte Methode der Heftpflasterextension reicht bei muskelstarken Männern nicht aus, um durch entsprechend große Belastung die Verkürzung zu beseitigen. Daher ist heutzutage die Methode der Wahl die Drahtextension, welche gleichermaßen bei Erwachsenen und Kindern angewandt werden kann. Sie wird bei Frakturen des unteren Drittel meist an der Tuberositas tibiae angelegt; die Durchbohrung oberhalb des Kniegelenkes bietet keine Vorteile, sondern ist nur schwieriger und nachteiliger. Bei Kindern ist die Drahtextension unterhalb der Epiphysenlinie durch die Vorderkante des Schienbeines anzulegen. Wenn sie in dieser Weise angebracht ist, ist der Bruch manuell zu reponieren. Das Bein ist

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in H ü f t - und Kniegelenken in Semiflexion zu lagern und außerdem so, daß das periphere Bruchstück in Richtung des zentralen gestellt wird. Am einfachsten erreicht man dies durch die auf Abb. 333 gezeigte Weise. Durch Klemmschrauben und Stahlrohre mit Rollen kann man jede gewünschte Lagerung erzielen. Der Fuß wird mit Mastix bestrichen, über ihn wird ein Trikotschlauch gezogen, der am Extensionsseil befestigt wird. Man kann bei dieser Behandlungsart Achsenrichtung und Beinlänge durch Betrachtung und Messung stets leicht kontrollieren. Trotzdem sollte man nicht unterlassen, die richtige Stellung der Bruchstücke durch bei liegender Extension im Bett ausiT* '. geführte Röntgenuntersuchung zu kontrollieren. Ein Vorteil der Methode ist noch, daß in großem Umfang Hautpflege und gegebenenfalls Wundbehandlung möglich sind, ohne daß sie mit den Belangen der Frakturbehandlung kollidieren. Die Höhe der Belastung wird so gewählt, daß sie gerade die Spannung der Muskulatur ausgleicht, so daß die Bruchstücke aufeinander stehen. Es ist unmöglich, Zahlen in kg anzugeben, denn diese richten sich stets nach dem Einzelfall.

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Wenn nach etwa 6—8 Tagen die Spannung der Muskulatur nachläßt, muß man dementsprechend auch mit der Belastung heruntergehen, weil man sonst Distraktionen an der Bruchstelle und damit eine Vorbedingung zur Ausbildung einer Pseudarthrose erzeugt. Damit durch die Extension der Verletzte nicht im Bett nach dem Fußende zu gezogen wird, stellt man das letztere etwas höher, so daß der Mann auf einer schiefen Ebene liegt und auf ihr durch die Extension gehalten wird. Bei der Fractura supracondylica kann man zunächst versuchen, durch starke Beugung des Unterschenkels das distale Oberschenkelfragment nach oben zu hebeln. Gelingt dies nicht, legt man oberhalb des Knies durch das periphere Fragment einen

zweiten Drahtzug, an welchem in Richtung nach oben ein Zug ausgeübt wird, durch den man dann das widerspenstige Fragment bei^Obeischen^eischaWraktur ^ gewünschte Stellung bringen kann. in Die Drahtextension bei der Oberschenkelfraktur bleibt so lange liegen, bis sicher keine abnorme Beweglichkeit an der Bruchstelle mehr festzustellen ist, was durchschnittlich nach etwa 10 Wochen der Fall zu sein pflegt. Der Verletzte darf aufstehen, wenn er aus der liegen, Rückenlage Aufeine diese verkürzungsfreie heraus Weisedasvermag Bein Heilung gestreckt man, wenn in erheben guter nicht Achsenstellung kann. besondere Komplikationen zu erreichen. Wenn vor-

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aus irgendwelchen Gründen der Oberschenkelbi uch mit einer Verkürzung ausgeheilt ist, soll man sie durch Erhöhung der Sohle ausgleichen, und zwar auch Verkürzungen von 2—3 cm, obwohl sie durch Senkung der betreffenden Beckenhälfte ausgleichbar sind. Aber durch diese Beckensenkung muß zwangsmäßig die Statik der Wirbelsäule verändert werden, so daß Umformungen an den kleinen Wirbelgelenken mit ihren Folgen eintreten, welche man durch das einfache und äußerlich nicht auffallende Mittel der Sohlenerhöhung verhüten kann. Bei Oberschenkelschaftfrakturen kann die Marknagelung nach Küntscher in klassischer Form angewandt werden, weil vom Trochanter major aus der Marknagel in gerader Achse ohne besondere Schwierigkeiten in die Markhöhle des Femur eingeführt werden kann und weil alle komplizierten Verbandsarten, seien es Gipsverbände, seien es Extensionsverbände, bei der Anwendung dieses Verfahrens in Fortfall kommen können. Bei Oberschenkelbrüchen kleiner Kinder bis etwa zum 10. Lebensjahr kann man die Extensionsbehandlung in der Weise abändern, daß das Bein senkrecht nach oben gezogen wird, so daß das Gesäß des Kindes gerade das Bett berührt. Auf diese Weise ist die Pflege am besten möglich. In diesem Falle genügt auch ein Heftpflasterextensionsverband. Die Knochenbruchheilung pflegt je nach dem Alter des Kindes in 4—6 Wochen zu erfolgen. Die Küntschernagelung des frakturierten Femur ist auch hier relativ leicht ausführbar und bietet große Vorteile. Als Komplikationen der Oberschenkelfrakturen seien die relativ häufig zu beobachtenden Fettembolien erwähnt. Bei der Fractura supracondyloidea kann das stark gebeugte untere Bruchstück das Gefäßnervenbündel oberhalb der Kniekehle verletzen. Die Folge sind Durchblutungsstörungen und Gefühlsstörungen am Unterschenkel. Wenn man den Verdacht hat, daß eine Arterienverletzung vorliegt, ist die Bruchstelle freizulegen und die Gefäßverletzung zu nähen. Bei hoher Teilung der Arterie kann auch ein Ast unterbunden werden. Die Unterbindung der Arteria poplitea führt aber sehr häufig zur Gangrän des Unterschenkels. Wenn man die Bruchstelle zur Versorgung der Arterienverletzung freigelegt hat, soll man auch gleich die Knochennaht mit geeigneter Methodik anschließen. Die Brüche der Kniegelenkskondylen Die Brüche der Oberschenkelknorren können entweder - jeder für sich oder auch beide zusammen erfolgen. In letzterem Falle entsteht eine Y-förmige Bruchlinie. Sie kommen als Meißelfrakturen bei direkter Gewalteinwirkung zustande, z. B. Fall auf die Füße bei gestrecktem Kniegelenk. Kombiniert sind die Brüche ebenso wie die gleichsinnigen am Unterschenkel mit einer Zerrung oder Zerreißung eines Seitenbandes des Kniegelenkes. Eine besondere Form der Seitenbandzerreißung am Kniegelenk soll hier besprochen werden, welche nicht ganz zu Recht den Namen der Stiedaschen Fraktur führt. Nach Seitenbandzerreißungen am Knie findet man nach einigen Wochen auf dem Röntgenbild einen schalenförmigen Schatten (vgl. Abb. 335) etwas abgesetzt, aber gleichlaufend mit dem Rand des Femurkondylus. Es handelt sich dabei um Verknöcherungsvorgänge an der Rißstelle, welche vielleicht dadurch gefördert werden, daß bei dem Bandabriß auch Teile des Periost mit betroffen wurden. Die Symptome des Oberschenkelkondylenbruches bestehen in einem stets sehr erheblichen Erguß im Kniegelenk, der die übrigen Zeichen teilweise verdecken

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kann und der sich bei der Punktion als Bluterguß erweist, da die Bruchlinien stets ins Gelenk hineinreichen. Es findet sich weiter eine abnorme Beweglichkeit an der Bruchstelle, gegebenenfalls verbunden mit einer seitlichen Wackelbeweglichkeit im Kniegelenk und schließlich die Abweichung der Achse im Kniegelenk im X- oder O-Sinne je nach dem Sitz des Bruches. Die Brüche der Schienbeinkondylen sind ebenfalls Stauchungsbrüche und können wie die gleichsinnigen Frakturen am Oberschenkel je einen oder beide Kondylen zusammen betreffen. Den Entstehungsmechanismus kann man aus

Abb. 335 S t i e d a scher Schatten am Knie

Abb. 336 Schienbeinkopfbruch

dem Röntgenbild direkt ablesen. Die Symptome gleichen denen der Brüche der Femurkondylen. Hinzu kommt eine fast stets vorhandene Verbreiterung des Schienbeinkopfes, die deutlich tastbar ist. Abnorme Beweglichkeit und Krepitation können fehlen, da die Brüche manchmal eingekeilt sind. Bei der Behandlung der Kniegelenksbrüche soll zunächst einmal der unter starkem Druck stehende Kniegelenkserguß punktiert werden, um die Kniegelenkskapsel von der Spannung zu entlasten. Gegebenenfalls muß die Punktion nach einigen Tagen wiederholt werden. Weiterhin ist die normale Form des Kniegelenkes wiederherzustellen. Am besten gelingt dies durch Zug am Bein bei gleichzeitiger seitlicher Kompression am Gelenk selbst. Die Anwendung mechanischer Hilfsmittel wird oft hierzu notwendig sein. Wenn die Reposition erreicht ist, legt man eine steigbügelförmige Gipsschiene an, welche am Oberschenkel bis zur Gesäßfalte reicht und am oberen Ende ringförmig zu einem zirkulären Gipsverband vervollständigt wird. Das Kniegelenk ist dabei in einer Beugestellung von 170° zu halten. Die richtige Stellung der Bruchstücke ist im Röntgenbild zu kontrollieren, nötigenfalls ist die Reposition zu wiederholen. Nach 6—8 Tagen, wenn die Weichteilschwellung zurückgegangen ist, muß eine neue Gipsschiene angefertigt werden, die am Knie besonders sorgfältig anmodelliert wird, um ein nachträgliches Abrutschen der Bruchstücke zu verhindern. Mit diesem Gipsverband muß

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der Verletzte 4—6 Wochen liegen. Eine Belastung ist erst nach dieser Zeit bei noch liegender seitlicher Gipsschiene zulässig. Wenn die Reposition der Bruchstücke nicht in ausreichendem Umfang gelingt, kann eine operative Behandlung notwendig werden, bei welcher die Bruchstücke durch Drahtumschlingung oder durch Annageln oder durch Verschrauben an ihrer richtigen Stelle zu halten sind. Auch die operative Knochenbruchbehandlung nach R u s h leistet bei der Condylenfraktur des Oberschenkels und beim Schienbeinkopfbruch gute Dienste. Die Heilungsaussichten der Kniegelenksfrakturen hängen davon ab, wie weit die Wiederherstellung der normalen Form der Gelenkflächen gelang und wie alt der Verletzte war. Weiterhin ist von Bedeutung, ob und inwieweit ein gleichzeitig vorhandener Seitenbandriß zu einer abnormen seitlichen Wackelbeweglichkeit (Schlottergelenk) geführt hat. Bei zu kurzdauernder Fixierung ist dieser Ausgang häufig. Im ganzen genommen,ist jedeKniegelenksfraktur als eine sehr ernste Verletzung zu betrachten, welche auch bei bester Behandlung nur in der Jugend folgenlos ausheilt. Bei älteren Menschen ist fast stets mit Zurückbleiben einer Bewegungsbehinderung und Beschwerden, hervorgerufen durch eine sich entwikkelnde Arthrosis deformans, zu rechnen. Der

Abrißbruch

der

Kreuzbandansalz-

punkte am Schienbein ist eine Verletzung, welche praktisch dem Riß der Kreuzbänder gleichzusetzen ist. Er entsteht durch direkte Gewalteinwirkungen auf das Kniegelenk, welche Verschiebungen zwischen den Gelenkflächen zur Folge hatten. Kombinationen mit anderen Gelenkverletzungen (Seitenbänder, Meniskus) sind häufig. Wir Abrißbruch der Eminentia finden stets einen Erguß im Kniegelenk mit Abb. 337.intercondylica tibiae teilweise aufgehobener Funktion des Gelenkes. Das sicherste Symptom ist eine abnorme Beweglichkeit im Sinne der „Schubladenbeweglichkeit". Man versteht darunter, daß man senkrecht zur Beinachse die Gelenkflächen von Oberschenkel und Unterschenkel in der Richtung von vorn nach hinten gegeneinander verschieben kann. Dies ist nur möglich, wenn die Kreuzbänder zerrissen oder gelockert sind. Haben sie ihren Ansatzpunkt am Schienbein ausgerissen, sehen wir auf dem Röntgenbild, daß (fle Eminentia intercondylica durch einen Spalt von der Tibia getrennt ist (s. Abb. 337). Die Behandlung sollte stets zunächst konservativ sein. Nach Punktion des Gelenkergusses wird das Kniegelenk in einer Reugestellung von 170° für 4 bis 5 Wochen in einem Gipsverband ruhiggestellt, wie es bei den Kniegelenksfrakturen beschrieben ist. Man kann auf diese Weise sehr befriedigende Heilungsergebnisse erzielen. Nur wenn nach Versagen der konservativen Behandlung eine sehr erhebliche Standunfähigkeit im Kniegelenk durch Zerreißen der Kreuzbänder zurückgeblieben ist, kommt ihre Naht oder ihr plastischer Ersatz durch einen Meniskus oder durch Faszienstreifen in Frage.

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Chirurgie der Gliedmaßen

Die Patellafrakturen entstehen durch direkte oder indirekte Gewalteinwirkungen. Es kann irgendein Trauma (z. B. Hufschlag, Stoß u. dgl.) direkt die Kniescheibe treffen. Sie zerbricht dann in mehrere, häufig sternförmig angeordnete Bruchstücke.



Diese sind so gut wie nie gegeneinander verschoben. Auch der seitliche Streckapparat ist erhalten. Verwechslungen mit einer mitunter vorkommenden Fehlbildung, der Patella partita, sind möglich. Die Kniescheibe entwickelt sich aus mehreren Epiphysenkernen. Aus nicht bekannter Ursache bleibt manchmal an einigen Stellen die Verknöcherung aus, so daß bei der Röntgenuntersuchung Bilder ähnlich einer Patellafraktur entstehen. Die andere Möglichkeit, wie es zu einem Bruch der Kniescheibe kommen kann, besteht darin, daß durch abnorm starken und plötzlichen Zug der Quadrizepsmuskulatur (etwa bei dem Versuch, den Sturz des Körpers aufzuhalten) das in ihre Sehnen eingelagerte Sesambein der Patella und meist dann auch der seitliche Streckapparat durchgerissen werden. Es entstehen so zwei ungleich große BruchAbb. 339. P a t e l l a r i ß f r a k t u r stücke, welche durch den Zug der Muskulatur um Fingerbreite und mehr voneinander entfernt werden. Außerdem wird das untere kleinere Bruchstück etwas gegen das obere verkantet. Die Symptome der Kniescheibenbrüche sind je nach der vorliegenden Bruchart verschieden. Beiden gemeinder Kombination Patella besteht mit Wunden als auffallendstes ist bei dieser Symptom sam in klumpen. unter scheibe stets Streckfähigkeit weglichkeit schriebenen stellbar, Bruchart dem blutig ist Schmerzen ist die Gelenk die der Beim und verbreitert, ist. Druckschmerz häufig. Unfähigkeit, Kniescheibe Kniegelenkserguß, Krepitation des Mitunter auch erhalten. Sternbruch Knies Beim größere abnorme finden weist Die das allerdings sind auf. Rißbruch istKnieBlutBein festumsich Die Beder die Abb. 338. Sternfraktur der Patella

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gestreckt von der Unterlage zu erheben. Nur in Beugestellung des Knies ist dies möglich. Dazu kommt noch der stets leicht zu führende Nachweis der Diastase zwischen den beiden Bruchenden. Die Behandlung der Kniescheibenbrüche ist ebenfalls verschieden je nach ihrer Form. Beim Sternbruch kann man sich darauf beschränken, den Kniegelenkserguß durch Punktion zu entleeren, das Gelenk kurze Zeit (etwa 10 bis 12 Tage) auf einer V o 1 k m a n n sehen Schiene ruhigzustellen und dann mit Bewegungen zu beginnen. Die Quadrizepsmuskulatur, die schnell zur Atrophie neigt, ist vom ersten Tage an durch Massage und Anreizung zur Kontraktion zu kräftigen. Beim Rißbruch der Patella muß die normale Spannung der Muskulatur wiederhergestellt werden, d. h. es müssen die auseinandergewichenen Bruchstücke wieder vereinigt werden. Durch Verbände und andere konservative Maßnahmen ist dieses nicht in befriedigendem Umfang möglich. Einzig und allein die Operation kann zu dem erstrebten Ziele führen. Die Bruchstelle ist mit einem Bogenschnitt freizulegen, das Blut aus der Gelenkhöhle zu entfernen. Der Riß in der seitlichen Streckmuskulatur ist durch Seidennähte zu verschließen. Dann sind die Bruchenden der Patella von Periostfetzen zu säubern und aneinander zu legen. Sie können in dieser Stellung durch Periostseidennähte festgehalten werden. Sicherer aber ist die temporäre feste Umschlingung der Patella mit rostfreiem Draht (Cerclage). Sie ermöglicht einen frühzeitigen Beginn der Bewegungsübungen im Kniegelenk. Ist der Bruch verheilt, wird der Draht wieder entfernt. Auch die gekreuzten Bohrdrähte leisten beim klaffenden Kniescheibenbruch gute Dienste. Die Kniescheibenbrüche neigen zur pseudarthrotischen Heilung. Wenn diese ohne erhebliche Diastase der Bruchstücke, also bei erhaltener normaler Spannung der Muskulatur erfolgt, so ist es belanglos. Wichtiger ist die Verhinderung der Verwachsungen im Gleitraum der Kniescheibe. Sie wird am besten durch Vermeidung langdauernder Fixierung erreicht. Mitunter kommt es statt zum Querbruch der Patella zum Abriß der Tuberositas tibiae, zumal dieselbe sich aus einem gesonderten Epiphysenkern entwickelt. Auch hier können erhebliche Verlagerungen vorkommen, welche das Annageln des abgerissenen Knochenstückes an normaler Stelle erfordern. Unabhängig von einem Trauma gibt es im Wachstumsalter an dieser Stelle eine Lösung der Epiphyse, welche meist als Schlattersche Krankheit bezeichnet wird. Sie tritt mitunter nach stärkeren Anstrengungen im Sport oder ähnlichem auf und äußert sich in Schwellung, Druckschmerzen und leichter lokaler Temperatursteigerung im Bereich der Tuberositas tibiae, verbunden mit Bewegungsschmerz besonders beim Gehen und Treppensteigen. Auf dem Röntgenbild sieht man eine gegen die Norm etwas verbreiterte Epiphysenlinie. Die Behandlung ist stets konservativ mit Bettruhe und feuchten Umschlägen. Auch Vitaminpräparate werden empfohlen. Operative Behandlung ist unter keinen Umständen angezeigt. Die Luxationen im Kniegelenk Man muß unterscheiden zwischen den Verrenkungen des Schienbeines gegen den Oberschenkelknochen, also der eigentlichen Verrenkung des Kniegelenkes einerseits und den Verrenkungen der Kniescheibe allein andererseits. Die eigentlichen Verrenkungen des Kniegelenkes sind selten und erfordern zu ihrer Entstehung sehr erhebliche Gewalteinwirkungen. Die Luxation kann

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vollständig oder unvollständig sein und kann nach vorne, hinten und nach den Seiten erfolgen. Subluxationen sind häufiger als vollständige Verrenkungen. Letztere sind fast stets verbunden mit ausgedehnten Weichteilwunden (Platzen des Hautschlauches durch die starke Verschiebung der Knochen) und auch mit der Zerreißung der Blutgefäße der Kniekehle. Die Diagnose macht durch die sichtbare und tastbare Formveränderung keine Schwierigkeiten, die Reposition gelingt leicht in Narkose durch Zug und Druck. Waren die Blutgefäße zerrissen, muß die Gefäßnaht versucht werden, weil sonst die Gefahr der Gangrän des Unterschenkels sehr groß ist. Die Heilungsaussichten der Kniegelenksluxation sind in bezug auf die spätere Standfestigkeit des Beines zweifelhaft, denn da eine vollständige Verrenkung nur dann eintreten kann, wenn erhebliche Bandzerreißungen vorangegangen sind, muß es ja eigentlich stets zu einem Schlottergelenk kommen. Primäre Naht der zerrissenen Kreuz- und Seitenbänder ist daher durchaus zu erwägen. Auf jeden Fall ist das luxiert gewesene Kniegelenk mehrere Wochen im Gipsschienenverband ruhigzustellen. Gegebenenfalls müssen nach dieser Behandlung noch Bänderplastiken vorgenommen werden. Die Verrenkungen der Kniescheibe treten in Form der Luxation und auch der Subluxation auf. Sie kann nach außen erfolgen (häufigste Form) oder nach innen (wesentlich seltener). Weiterhin vermag sich die Kniescheibe um ihre Achse zu drehen (Luxatio verticalis), und zwar um 90° (dann steht sie senkrecht zum Kniegelenk) oder ganz selten sogar um 180°, so daß ihre Knorpelfläche nach der Haut zu gerichtet ist (Luxatio inversa). Bei der Achsendrehung um 90° ist die Knorpelfläche entweder nach innen (Luxatio interna) oder nach außen (Luxatio externa) gerichtet. Das Auftreten einer Luxation wird durch zahlreiche Momente begünstigt, von denen unter Verzicht auf Vollständigkeit, nur beispielsweise einige aufgezählt werden sollen: X-Beinstellung, Abflachung des äußeren Kondylus, die anlagemäßig bedingt oder traumatisch erworben sein kann, angeborener Hochstand der Kniescheibe, Mißverhältnis der Größe von Kniescheibe und Facies intercondylica femoris, Erschlaffung der Kniegelenkskapsel, chronische Gelenkergüsse, Atrophie der Quadrizepsmuskulatur oder Dehnung ihres Sehnenapparates. Auf diese Weise vermag schon ein relativ leichtes Trauma die Verrenkung hervorzurufen, dieses um so mehr, als gerade die Patellaluxation am meisten dazu neigt, habituell zu werden, so daß mitunter schon die Beugung des Kniegelenkes zu ihrer Auslösung genügt. Die Diagnose ist stets leicht aus der durch die Verlagerung der Patella bedingten Formveränderung des Kniegelenkes zu stellen. Mitunter kommt es vor, daß die Reposition bei irgendeiner Bewegung der Verletzten spontan erfolgt und daß der Arzt nur noch den Zustand einer starken Distorsion des Kniegelenkes vorfindet. Die Behandlung der frischen Patellaluxation gelingt durch seitlichen Druck auf die Patella bei gleichzeitig gebeugtem Hüftgelenk und gestrecktem Kniegelenk sehr leicht, oft sogar ohne Betäubung. Der durch den Kapselriß immer vorhandene Gelenkerguß muß frühzeitig punktiert werden. Das Kniegelenk soll 3—4 Wochen fixiert werden, um eine feste Vernarbung des Kapselrisses zu erzielen. Weit schwieriger ist die Behandlung der gewohnheitsmäßigen Verrenkung. Mit Bandagen und den verschiedenartigsten Verbänden wird für gewöhnlich nichts erreicht. Weit besser sind die operativen Behandlungsverfahren, wenngleich auch sie nicht immer erfolgreich sind. Das geht schon daraus hervor, daß sehr viele verschiedenartige Verfahren angegeben

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sind. Von ihnen seien nur erwähnt: Kapselraffung, Faszienplastiken verschiedenster Art, Verlagerung des Ansatzpunktes des Ligamentum patellae an der Tibia nach innen, Schaffung eines knöchernen Widerlagers am Condylus lateralis durch Knochentransplantation, Beseitigung eines vorhandenen X-Beines durch Osteotomie. Die Meniskuszerreißung Im Inneren des Kniegelenkes liegen zur Ausfüllung des Raumes zwischen den inkongruenten Gelenkflächen des Femur und der Tibia zwei keilförmige Knorpelscheiben, die Meniszi. Sie bestehen aus Faserknorpel, sind nur an ihrer Basis von Blutgefäßen durchsetzt und werden nur zum Teil auf diesem Wege, zum Teil durch Resorption der Synovia ernährt. Diese C-förmigen Knorpelscheiben führen beim Gehen und auch beim Drehen im Kniegelenk nicht unerhebliche Gleitbewegungen aus. Durch starke, von außen auf das Kniegelenk einwirkende Gewalten, besonders wenn sie mit Drehung zwischen Schienbein und Femur verbunden sind, können diese Knorpelscheiben reißen. Daneben kommt es auch vor, daß chronische berufliche oder sportliche Beanspruchung, wenn sie das normale Maß überschreitet, zu Degenerationsherden im schlecht ernährten Knorpelgewebe, besonders nahe seinem Ansatz, führt. Diese Herde konfluieren langsam und veranlassen eine Gewebstrennung im Meniskus, die so weit gehen kann, daß der Meniskus seitlich völlig von seiner Basis gelöst ist und nur vorn und hinten ihr anhaftet. Eine Selbstheilung dieser akut oder chronisch entstandenen Meniskusrisse ist nur dann möglich, wenn die Gewebstrennung in dem Teil liegt, welcher von Blutgefäßen durchströmt ist, die ihrerseits heilendes und vernarbendes Granulationsgewebe ausbilden können. Bei den Degenerationsrissen ist diese Voraussetzung nie erfüllt, bei den echten traumatischen Rissen mitunter. Man kann aus Form und Lage der Risse mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit entnehmen, ob es sich um traumatische Risse oder um Gewebstrennungen auf degenerativer Basis handelt. Solange der abgelöste Meniskusteil an seiner normalen Stelle liegt, bestehen fast keine Beschwerden und keine Funktionsbehinderungen. Dies wird sofort anders, wenn' das gelöste Knorpelstück in das Gelenk hineinluxiert (die Verlagerung nach außen unter die Haut ist sehr selten). Dann kommt es zu dem charakteristischen Symptom der Einklemmung oder der Gelenksperre. Plötzlich bleibt das Knie unter gleichzeitig stechendem Schmerz in leichter Beugestellung stehen und vermag nicht durchgedrückt und auch nicht ganz gebeugt zu werden. Nach kürzerer oder längerer Zeit, mitunter während des Schlafes oder nach Wackelbewegungen bei erschlaffter Muskulatur löst sich diese Einklemmung ebenso plötzlich, wie sie aufgetreten ist, und das Gelenk ist wieder frei beweglich. Nur ein Reizerguß im Kniegelenk kann vorhanden sein. Wenn dieses Ereignis sich mehrfach wiederholt hat und wenn das Röntgenbild nicht das Vorhandensein von Gelenkmäusen zeigt, so ist allein aus diesem Symptom mit erheblicher Sicherheit die Diagnose auf Gewebstrennung im Meniskus zu stellen. Diese Trennungen sitzen in etwa 90% im inneren Meniskus, nur in etwa 10% im äußeren Meniskus. Als weiteres diagnostisches Zeichen finden wir einen umschriebenen Druckschmerz am inneren (oder äußeren) Gelenkspalt und ein sogenanntes positives S t e i n m a n n sches Zeichen. Es besteht darin, daß bei gebeugtem Kniegelenk die Drehbewegung des Unterschenkels gegen den Ober-

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Chirurgie der Gliedmaßen

Schenkel nach außen einen Schmerz in der Gegend des inneren Gelenkspaltes erzeugt und umgekehrt. Das Zeichen ist sehr wertvoll, leider aber nicht stets nachweisbar, so daß die einwandfreie Diagnose der Gewebstrennung im Meniskus nicht leicht ist. Bei der Behandlung des Meniskusrisses muß man einen Unterschied machen zwischen dem soeben traumatisch entstandenen Riß und dem alten Riß, der schon mehrfach zu Einklemmungserscheinungen geführt hat. Die Entstehungsweise des Risses, ob akut traumatisch oder chronisch durch Degeneration, spielt keine ausschlaggebende Rolle. Bei dem akuten Riß wird man in Narkose die Einklemmung zwischen den Gelenkflächen beseitigen und dann das Gelenk im Schienenverband für 3 Wochen ruhigstellen. Wenn der Riß im blutgefäßhaltigen Teil des Meniskus lag, kann er heilen. Ist aber eine Heilung nicht erfolgt und Abb. 340. Degenerative Meniskuslösung (rechts) sind mehrfach Einklemmungserscheinungen aufgetreten muß und traumatischer Meniskusriß (links) operativ das abgerissene Knorpelstück entfernt werden. Die Heilungsergebnisse sind bei richtiger operativer Technik gut. Der Versuch der Naht des abgerissenen Knorpelstückes ist wegen der Aussichtslosigkeit der Selbstheilung des Körpers zu unterlassen. Die Unterschenkelschaftfrakturen Meist sind beide Knochen befallen, wenngleich auch isolierte Frakturen des Schienbeines und Wadenbeines vorkommen. Wir beobachten alle Formen des Biegungsbruches, des Torsionsbruches, des Querbruches durch direkte Gewalteinwirkung, des Stückbruches, ja sogar des Kompressionsbruches. Meist liegen die Bruchstellen in Tibia und Fibula etwa in derselben Höhe. Nur beim Torsionsbruch können sie weit voneinander entfernt sein, und beim Biegungsbruch kann eine Bruchstelle mit drittem Fragment zwei entfernt liegenden Bruchstellen in der Fibula entsprechen, so daß das Ubersehen dieser Brüche schon oft vorgekommen ist. Die Diagnose des Unterschenkelbi uches ist einfach aus der Beinverkürzung, Belastungsunfähigkeit, der abnormen Beweglichkeit mit Krepitation und der so herzustellenden Achsenknickung zu stellen. Auch ohne Röntgenuntersuchung kann man sich ein sehr genaues Bild von der Form und Lage der Bruchstücke verschaffen, trotzdem wird man die Röntgenaufnahme stets anfertigen. Die Behandlung des Unterschenkelbruches muß die Wiederherstellung der normalen Form und Funktion, d. h. die Heilung ohne Verkürzung und ohne Achsenknickung, erstreben. Sie ist auch, wenn es sich nicht gerade um eine komplizierte Fraktur handelt oder wenn andere Komplikationen nicht vorliegen, stets zu erreichen. Besonders Heilungen mit Achsenknickungen müssen

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unbedingt vermieden werden, weil sie durch die daraus sich ergebende dauernde falsche Belastung der Gelenke Anlaß zu erheblichen Beschwerden geben. Bei der Behandlung können sowohl der Gipsverband als auch der Streckverband zur Anwendung gelangen. Welchem von beiden im Einzelfalle der Vorzug zu geben ist, hängt von der Lage der Bruchstelle und von den \ Komplikationen wie Wun- \ j \ *"',•»'" ' « P H ^ den, starken Gewebsschwel- \ / \ hingen u. dgl. ab. Bei letzte\ j \ W I ren ist zum mindesten zu( ( \ ^ nächst die Extensionsbe\ ¡ ¡ ^ / % % handlung angezeigt. Wenn — \ % ^ die Bruchstelle im unteren ¿' / \A m l Drittel des Unterschenkels § p , mk % | sitzt und wenn keine K o m H V \ \ I ImL a I plikationen vorhanden sind, wird der Bruch in Narkose reponiert und eine U-förmige Gipsschiene angelegt, welche nur bis zu denTibiakondylen reicht, an ihnen aber besonders gut anmodelliert ist. Ergibt die Röntgenkontrolle eine gute Stellung der Bruchstücke, kann der Verletzte nach etwa 8 Tagen aufstehen und das Bein im Gipsverband belasten. Man m u ß darauf achten, daß beim Nachlassen der Gewebsschwellung neue Gipsschienen angelegt werden, weil sonst die Gefahr besteht, daß die Bruchenden sekundär abrutschen. Nach 4 Wochen wird die Gipsschiene vorübergehend zur H a u t Abb. 341. U-GipsAbb. 342. Marknagelung pflege, Massage usw. abgeschiene bei Unterbei Tibiafraktur nommen, zum Gehen aber schenkelbruch im noch getragen. Ist der Bruch unteren Drittel klinisch fest, kann auch der Gipsverband fortgelassen werden. Torsionsfrakturen im unteren Drittel des Unterschenkels sind oft sehr schwer zu reponieren. Dann ist mit einem ganz kleinen Schnitt durch eine Drahtumschlingung eine tadellose Stellung zu erreichen. Der D r a h t wird wieder entfernt, wenn der Bruch verheilt ist. Sitzt die F r a k t u r in den beiden oberen Dritteln des Unterschenkels oder sind sonstige Komplikationen vorhanden, t r i t t die Drahtextension in ihr Recht. Das Bein wird in Semiflexion auf die B r a u n s c h e Schiene gelegt, der Kalkaneus mit einem D r a h t durchbohrt und an ihm mittels Spannbügel extendiert. R o s t o c k , Lehrbuch der speziellen Chirurgie. 3. Aufl.

36

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Chirurgie der Gliedmaßen

Der Fuß wird durch Trikotschlauch, der mit Mastix angeklebt wurde, an der Schiene aufgehängt und der Oberschenkel am schrägen Teil der Schiene mittels Binde festgewickelt. Der Unterschenkel kann, wenn es erforderlich ist, frei bleiben, kann aber auch an die Schiene leicht angewickelt werden. Stellung der Bruchstücke ist durch Betrachtung, Messung und Röntgenaufnahme zu kontrollieren, Belastung und Lage der Extremität so lange zu ändern, bis eine einwandfreie Stellung erzielt worden ist. Die Extension wird bei Brüchen in den beiden oberen Dritteln des Unterschenkels fortgesetzt, bis knöcherne Konsolidierung und Belastungsfähigkeit hergestellt sind. Wenn der Bruch im unteren

Abb. 343. Drahtextension beim Unterschenkelbruch

Drittel sitzt und die Komplikationen, welche die sofortige Anwendung des Gipsverbandes verhinderten, beseitigt sind, kann auch bei nicht völliger Festigung der Drahtzug entfernt und sekundär durch einen Gipsschienenverband ersetzt werden. Die intramedialläre Osteosynthese nach K ü n t s c h e r oder R u s h eignet sich für viele Fälle von Unterschenkelbruch und erspart den Streck- und Gipsverband. Die Knöchelbrüche Ebenso wie die Schienbeinkopfbrüche verlangen sie wegen der Mitbeteiligung eines Gelenkes gesonderte Besprechung. Die von mancher Seite als besondere Form abgegrenzte Supramalleolar-Fraktur ist in bezug auf die Therapie nichts anderes als eine Unterschenkelfraktur im unteren Drittel. Die Knöchelbrüche selbst können sowohl den äußeren oder inneren Knöchel allein als auch beide gemeinsam betreffen. Sie stellen die häufigsten Brüche der unteren Gliedmaßen dar und sind von großer praktischer Bedeutung. Der Entstehungsmechanismus der Knöchelbrüche besteht darin, daß beim Umknicken der Talus die Knöchelgabel in irgendeiner Form sprengt. Dabei kann es in seltenen Fällen zum Auseinanderweichen von Schienbein und Wadenbein ohne Fraktur kommen. Das Sprungbein steht dann zwischen beiden Knochen, die um die Breite des Talus auseinandergewichen sind. Es handelt sich dann also, streng genommen, um eine Luxation. Viel häufiger ist es jedoch, daß beim Umknicken einer oder beide Unterschenkelknochen brechen, daß also eine typische Knöchelfraktur entsteht.

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Geschieht dasUmknicken nach außen im Sinne der Pronation, wird durch den Zug des sehr starken Ligamentum deltoide die Spitze des inneren Knöchels abgerissen. Der fallende Körper drückt das Sprungbein gegen den äußeren Knöchel, so daß das Wadenbein meist etwas oberhalb der Fußgelenkslinie durch Biegung bricht. Aus dem Röntgenbild dieses typischen Knöchelbruches kann man die Entstehungsweise direkt ablesen (vgl. Abb. 344). Wenn dagegen das Umknicken nach innen erfolgt, was lange nicht so häufig ist, reißt meist das Gelenkband an der Spitze des äußeren Knöchels ab und der innere Knöchel wird durch den Druck des Talus abgesprengt. Wenn der Mechanismus des Umknickens verbunden ist mit einer Verschiebung des Sprungbeines in der Knöchelgabel in der Richtung von vorn nach hinten und in senkrechter Richtung, kann auch ein Teil der Tibiagelenkfläche, das sogenannte Volkmannsche

Dreieck,

abbrechen

Abb. 344. Typischer Knöchelbruch (Pronationsfraktur)

und

nach oben verschoben werden; das ist dann immer mit einer Subluxation des Talus im oberen Sprunggelenk verbunden. Die

Symptome

der

Knöchel-

brüche sind natürlich je nach Sitz und Dislokation verschieden. Beim Pronationsbruch steht der Fuß nach außen abgewichen, beim Supinationsbruch nach innen. Ist das V o l k m a n n sehe Dreieck abgebrochen, kann eine in die Augen fallende Deformität fehlen (daher wird dieser Bruch auch mitunter sogar trotz Röntgenuntersuchung übersehen), oder der Fuß steht leicht in Spitzfußstellung nach hinten abgewichen. Bei mittelschweren und schweren Knöchelbrüchen ist die Stand fähigkeit des Beines aufgehoben, bei leichten Knöchelbrüchen,

Abb. 345 Abbruch des Vo 1 k m a n n sehen Dreiecks 36*

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besonders nur des Wadenbeines, braucht dieses aber keineswegs der Fall zu sein. Sehr typisch ist bei vorhandener Dislokation der umschriebene Druckschmerz. Der Bluterguß in den Weichteilen und die seröse Gewebsschwellung können erheblich sein und sind in der Lage, geringe Formabweichungen zu verdecken. Die Behandlung der Knöchelbrüche hat in einer in ausreichender Betäubung vorzunehmenden restlosen Wiederherstellung der anatomischen Form zu bestehen. Auch kleinste Abweichungen müssen beseitigt werden, wenn nicht der Funktion des Fußes schwerster Schaden zugefügt werden soll. Es ist nicht angängig, sich mit nur teilweise gelungenen Repositionen zufrieden zu geben. Eine Reposition bis zur Erreichung einer Uberkorrektur ist schädlich und keineswegs notwendig, wenn man eine ausreichend sichere Fixation in der normalen Stellung erreichen kann. Am besten gelingt dies durch Anlegung einer U-förmigen Gipsschiene (vgl. Abb. 341). Dieselbe muß bei bestehender Weichteilschwellung je nach dem Stande des Abschwellens mehrfach erneuert werden. Durch Röntgenkontrollaufnahme muß man sich von der Stellung der Bruchstücke überzeugen. Belastet werden darf das Bein in der Schiene nur dann, wenn sie tadellos anmodelliert und nicht zu weit geworden ist. Handelt es sich um einen Abbruch des V o 1 k m a n n sehen Dreiecks, muß auch dieser Bruch vollkommen reponiert werden. Gelingt dies durch Gipsverband in Hackenfußstellung nicht, ist frühzeitig die operative Korrektur mit Annageln des Bruchstückes auszuführen. Bleibt eine Dislokation an dieser Stelle bestehen, so ergibt sich daraus eine schwere Beeinträchtigung der Funktion des Fußes, manchmal verbunden mit dauernder Subluxationsstellung des Sprungbeines. Ist erst der Bruch in fehlerhafter Stellung verheilt, so ist eine Korrekturoperation sehr viel schwieriger auszuführen, und außerdem kann man nicht mehr damit rechnen, eine vollständige Wiederherstellung der Funktion zu erzielen. Wenn die Festigung des Knöchelbruches so weit fortgeschritten ist, daß ein Gipsverband nicht mehr getragen zu werden braucht, dann soll man stets vorsorglich und vorübergehend für etwa % Jahr (nicht etwa für dauernd) eine nach Gipsabdruck angefertigte sogenannte Plattfußeinlage verordnen, auch wenn der Bruch tadellos verheilt ist und kein Plattfuß besteht. Da die Bänder des Fußes durch den Unfall vielleicht gezerrt, in der Zeit der Bruchheilung aber sicher etwas erschlafft sind, soll die Einlage in der ersten Zeit der Belastung das Fußgewölbe stützen und sein Einsinken verhindern. Sind Muskulatur und Bandapparat wieder gekräftigt, haben die Einlagen ihren Dienst getan und können fortgelassen werden. Als Komplikation nach Knöchelbrüchen erleben wir mitunter die Pseudarthrose vorwiegend des inneren Knöchels. Sie kann manchmal nur geringe Beschwerden verursachen und bedarf dann nur der Verordnung festen Schuhwerkes, welches über das Fußgelenk hinausreicht. Wird jedoch durch die Pseudarthrose eine abnorme seitliche Beweglichkeit des Sprungbeines in der Knöchelgabel bedingt oder bildet sich die Neigung zum Umknicken heraus, muß ihre operative Beseitigung vorgenommen werden. Die Bohrung eignet sich mehr zur Behandlung der Pseudarthrosen während ihrer Entwicklungszeit. Beim voll ausgebildeten Krankheitsbild führt nur die Resektion der Pseudarthrose am besten in Verbindung mit einer Knochentransplantation zum Ziel.

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Frakturen und Luxationen im Bereich des Fußes Von den Brüchen der Fußwurzelknochen sind die des Talus und des Kalkaneus relativ am häufigsten und praktisch am wichtigsten. Zwar können auch die anderen Knochen gelegentlich brechen, wenn, dann meist durch direkte Gewalt als Kompressionsbrüche; aber dies geschieht doch recht selten, so daß eine besondere Besprechung nicht notwendig erscheint. Der Bruch des Sprungbeines (Fractura tali) entsteht durch Kompression oder durch Absprengung, meist sind es Querbrüche im Hals. Kombinationen mit Fersenbeinbrüchen kommen vor. Wenn es sich um Zertrümmerungsbrüche handelt, werden auch Subluxationen einzelner Bruchstücke beobachtet. Als Symptome des Bruches finden wir Schwellung vornehmlich des Fußrückens, aber auch des ganzen Fußes, Abflachung des Fußgewölbes, Druckschmerz und Stauchungsschmerz an der Bruchstelle, Behinderung der Beweglichkeit, besonders der Dorsalflexion. Die BeAbb. 346. Kalkaneusfraktur handlung hat in Reposition des Bruches, besonders in Wiederherstellung der normalen Stellung des Fußes und Anlegen eines Gipsverbandes zu bestehen. Zu frühzeitige Belastung auch in gut sitzendem Verband ist zu vermeiden. Die Verletzten müssen mindestens 6 Wochen im Bett liegen. Die Belastung des Fußes nach Abnahme des Gipsverbandes darf erst erfolgen, wenn eine nach Abdruck hergestellte Einlage geliefert ist. Sie muß %—1 Jahr getragen werden. Der Bruch des Fersenbeines (Fractura calcanei) kann sowohl als Rißbruch durch die Achillessehne und die Wadenmuskulatur (seltener) als auch als Kompressionsbruch (häufiger) — z. B. bei Fall auf die Füße oder ähnlicher Verletzungsart — vorkommen. Im ersten Falle pflegt eine einzige Bruchlinie den Knochen zu durchsetzen und das eine Bruchstück nach oben verschoben zu sein. Beim Zertrümmerungsbruch sind mehrere Bruchstücke vorhanden, welche ineinander eingekeilt sind. Das Vorkommen eines Fersenbeinbruches gleichzeitig an beiden Beinen ist häufig. Die klinischen Erscheinungen bestehen in einer Verbreiterung des Fersenbeines in der Gegend unter der Achillessehne, Achsenknickung des Fußes bei der Betrachtung von hinten, Abflachung der Fußwölbung. Diese Zeichen werden

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Chirurgie der Gliedmaßen

sehr häufig durch Weichteilschwellung und den begleitenden Bluterguß, die sehr hochgradig werden können, verdeckt, so daß ein Röntgenbild in zwei Ebenen auch nur bei dem Verdacht auf Vorliegen eines Fersenbeinbruches unbedingt erforderlich ist. Dazu kommen der Bewegungsschmerz, der örtliche Druckschmerz, die Belastungsunfähigkeit. Die Behandlung hat die normale Form des Kalkaneus und damit des Fußgewölbes wiederherzustellen. Es kommen hauptsächlich zwei Verfahren in Frage, welche je nach der Lage des Einzelfalles ausgewählt werden müssen. Einmal kann man durch das Fragment, welches an der Achillessehne sitzt, in der üblichen Weise einen Extensionsdraht legen, das Bein auf eine B r a u n sehe Schiene lagern und in einem Winkel von etwa 45° zum Erdboden (je nach der Verschiebung der Bruchstücke mehr oder weniger) extendieren. Durch Röntgenbilder in seitlicher Richtung ist die Stellung der Bruchstücke zueinander zu kontrollieren. Andererseits kann man auch die normale Form des zusammengepreßten Fersenbeines mittels einer seitlich einwirkenden Schraubenzwinge wiederherstellen und dann einen Gipsverband anlegen. In den ersten Tagen ist genaue Überwachung auf Schnüren oder Drücken des Verbandes unerläßlich. Bei den geringsten Anzeichen (starker Schmerz !) ist der Verband sofort aufzuschneiden. Die Fersenbeinbrüche brauchen sehr lange zur Heilung. Auch bei leichten und nicht stark verschobenen Bruchstücken soll man nicht vor Ablauf der 10. Woche den Fuß belasten lassen und auch dann nur nach Verabfolgung einer nach Gipsabdruck hergestellten Einlage, die für % — 1 Jahr getragen werden soll. Nach Fersenbeinbrüchen bleiben häufig recht lang unliebsame Beschwerden zurück. Die operative Behandlung der Fersenbeinbrüche sollte auf ganz besonders seltene Ausnahmefälle beschränkt werden. Die Brüche der Mittelfußknochen (Fracturae metatarsi) entstehen meist durch direkte Gewalteinwirkungen (Uberfahrungen, Fall schwerer Gegenstände auf den Fuß). Der gleichzeitige Bruch mehrerer Knochen pflegt die Regel zu sein. Komplizierte Frakturen sind häufig. Die Erscheinungen bestehen in der örtlichen Gewebsschwellung, dem Druckschmerz und dem Stauchungsschmerz sowie abnormer Beweglichkeit mit Krepitation. Die Belastungsfähigkeit des Fußes braucht nicht aufgehoben zu sein. Die Behandlung besteht in manueller Ausgleichung der mittels Röntgenbildes sichtbar gemachten Abweichung der Bruchstücke und Anlage eines die Fußwölbung voll ausfüllenden Gipsverbandes, der in leichten Fällen die Form eines Halbschuhs haben kann. Nach 4 Wochen pflegt die Knochenbruchheilung so weit fortgeschritten zu sein, daß eine Belastung des Fußes nach Verabfolgung einer Einlage möglich ist. Durch chronische Überbelastung nach langem Marschieren oder durch besonders eifriges oder fehlerhaftes Üben des Exerziermarsches kommt es zu typischen Ermüdungsbrüchen der Mittelfußknochen, die häufig erst aus der sich entwickelnden Kallusmasse, der sogenannten „Fußgeschwulst der Soldaten", erkannt werden. Durch mehrwöchige Bettruhe und Schonung wird der Zustand behandelt. Die Brüche der Zehen haben keine große Bedeutung und bedürfen auch nur selten ärztlicher Maßnahmen. Nur an der Großzehe ist mitunter die Anlage eines dorsal gelegenen Schienenverbandes notwendig. Bei den übrigen Zehen ist die Heilung in Hammerzehenstellung zu vermeiden. Ist sie eingetreten, kann die Exartikulation der Zehe ratsam sein.

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Die Verrenkungen im oberen Sprunggelenk können nach vorn und nach hinten und, wie schon bei der Knöchelfraktur erwähnt, auch in die gesprengte Malleolengabel hinein erfolgen. Seitliche Verrenkungen sind immer mit der Fraktur eines Knöchels verbunden. Die Formveränderung bei eingetretener Luxation ist in die Augen springend. Bei der Verrenkung nach vorn erscheint der Fuß verlängert, die Achillessehne springt nicht so deutlich vor wie beim Normalen. Bei der Verrenkung nach hinten erscheint der Fuß verkürzt, die Achillessehne springt abnorm stark nach hinten vor. In beiden Fällen ist die federnde Fixation im oberen Sprunggelenk sehr deutlich. Die Einrenkung geschieht bei der Luxation nach hinten durch Zug in Plantarflexion mit Druck auf den Kalkaneus von hinten her, bei der Luxation nach vorn in Druck auf den Fuß nach hinten bei gleichzeitiger Dorsalflexion. Eine typische Verrenkungsstelle ist das Gelenk zwischen Talus und den übrigen Fußwurzelknochen. Man pflegt die Verrenkung als Luxatio pedis sub talo zu bezeichnen. Sie entsteht durch Verschüttungen, Uberfahrungen oder Umknicken bei fixiertem Fußgelenk, wenn es zur Übertreibung der Pronationsoder Supinationsbewegung kommt. Daher erfolgen die Verrenkungen sowohl nach innen als auch nach außen. Kenntlich sind sie an der entstehenden Deformierung des Fußes. Man sieht und fühlt die innere oder äußere Ecke des Kopfes des Sprungbeines dicht unter der Haut liegen, während der Vorfuß nach der anderen Seite abgewichen ist. Die federnde Fixation ist deutlich. Die Belastungsfähigkeit ist wegen sehr starker Schmerzen aufgehoben. Die Reposition in Narkose gelingt durch gleichzeitigen Zug am Fuß und direkten Druck auf den abgewichenen Vorfuß. Manchmal wird eine blutige Reposition notwendig. Isolierte Verrenkungen des Talus sind selten. Häufig sind sie kompliziert mit Wunden. Das am besten stereoskopisch angefertigte Röntgenbild ergibt Aufschluß über die Lage des Sprungbeines zu den umgebenden Knochen. Wenn die unblutige Reposition nicht gelingt, was relativ oft vorkommt, ist sie sofort auf blutigem Wege vorzunehmen. Sollte auch dies nicht gelingen, ist das Sprungbein zu entfernen und die obere Gelenkfläche des Fersenbeines in die Knöchelgabel einzustellen. Die durch diesen Eingriff zurückbleibenden Funktionsbehinderungen pflegen gering zu sein. Die Verrenkungen im Chopartschen Gelenk und Lisfrancschen Gelenk sind selten. Formveränderungen und Röntgenbilder ermöglichen eine sichere Diagnose. Die Reposition, die durch Zug und Druck auszuführen ist, kann mitunter auf unblutigem Wege nicht gelingen. Dann ist sie operativ zu erzwingen, denn wenn nach einem solchen Eingriff auch eine Versteifung der betreffenden Gelenke zurückbleiben sollte, so ist dies immer noch besser als die nicht beseitigte Luxation, welche stets Beschwerden verursacht und dem Menschen nicht erlaubt, Laden-Schuhwerk zu tragen. Die Verrenkungen der Zehen sind in Form von Subluxationen durch Tragen zu engen Schuhwerkes häufig und werden von zahllosen Menschen dauernd mit mehr oder weniger großen Beschwerden ertragen. Akute traumatische Verrenkungen können durch Zug und Druck leicht reponiert werden.

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Erkrankungen der Weichteile der Gliedmaßen Erkrankungen der Körperbedeckungen Furunkel und Karbunkel Als Furunkel bezeichnet man die umschriebene Staphylokokkeninfektion der Haut und besonders ihrer Haarbälge sowie der Schweiß- und Talgdrüsen. Die Infektionserreger können sowohl von außen als auch von innen her auf dem Wege der Ausscheidung in die H a u t eindringen. Letzteres pflegt beim Bestehen multipler Furunkel, also bei der Furunkulose, der Fall zu sein. An und für sich kann der Furunkel an jeder Hautstelle sitzen, bevorzugt sind Nacken und Rücken, Achselhöhle, Handrücken, Unterarm, Oberschenkel. Es bildet sich ein kleines, rundliches Knötchen, das Gewebe wird hart und schmerzhaft. Auf der Kuppe entsteht ein gelblicher Pfropf, welcher das durch die Infektion zugrunde gegangene Körpergewebe und Eiter enthält. Dieser Pfropf demarkiert sich langsam und wird nach außen abgestoßen. Es kann aber auch der Eiterungsprozeß in die Nachbarschaft vordringen und also zu einer Phlegmone führen. Die Größe der Furunkel schwankt zwischen Stecknadelkopfgröße und erheblichem Umfang. Wenn viele gleichartige Herde an einer Körperstelle vereinigt sind, dann pflegt man auch von einem Karbunkel zu sprechen. Neben den örtlichen Erscheinungen besteht ein sehr starkes allgemeines Krankheitsgefühl mit Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, erhöhter Körpertemperatur. Die Menschen können sich schwer krank fühlen und sind es auch. Lymphangitis und Lymphadenitis sind häufig bei Furunkeln zu finden. Metastasierungen der Eitererreger auf dem Blut- und Lymphwege (z. B. Osteomyelitis, paranephritischer Abszeß) kommen ebenso vor wie lokale infektiöse Thrombophlebitiden. Kachektische Menschen und Diabetiker werden besonders häufig von Furunkeln befallen und sind auch stärker durch die Infektion gefährdet. Die Behandlung des Furunkels als örtliches Leiden soll nie schematisch erfolgen. Wenn der Entzündungsprozeß zur Einschmelzung neigt und nicht in die Nachbarschaft fortschreitet, kann man unter Salbenbehandlung die Demarkierung der zentralen Nekrose abwarten und sie dann mittels Pinzette entfernen. Das Ausdrücken des Furunkels (von Laien und leider auch von Ärzten angewandt) ist in jedem Falle verwerflich, auch wenn es nicht stets zu ernsten Komplikationen führt. Die Behandlung mit feuchten Verbänden ist weniger ratsam als die Salbenbehandlung, da durch die Mazeration der H a u t bei gleichzeitig vorhandener Eiterabsonderung der Bildung neuer Furunkel in der Nachbarschaft Vorschub geleistet wird. Breitet sich der Eiter mehr unter der Haut aus, so ist es möglich, den sich bildenden Abszeß mit einer kleinen Stichinzision zu eröffnen. Wenn aber aus dem Furunkel eine Phlegmone wird, ist dieselbe zu spalten und der zentrale Entzündungsherd sicher zu eröffnen. Aber auch bei einem vorhandenen Karbunkel sollte man sich nicht lange mit konservativen Behandlungsmaßnahmen aufhalten, sondern ausgiebig das infizierte Gewebe durch Kreuzschnitt mit Unterminierung der Ränder oder doppelten T-Schnitt freilegen. In schweren Fällen, besonders bei vorhandener oder drohender Allgemeininfektion, kann auch die völlige Exstirpation des Furunkels in Frage kommen. Durch frühzeitige Einleitung einer antibiotischen Behandlung kann der Entzündungsprozeß günstig beeinflußt und wesentlich abgekürzt werden.

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Eine besondere Form des Furunkels stellt die Schweißdrüsenentzündung in der Achselhöhle (Hidradenitis) dar. Die in dieser Gegend besonders stark entwickelten Schweißdrüsen beherbergen, wenn sie einmal infiziert sind, die Eitererreger sehr lange, so daß es zu häufig rezidivierenden Entzündungen und Infiltraten kommt, welche erhebliche Größe annehmen können. Einfache Inzisionen führen nur selten zum Ziel, meist wird die Ausräumung des gesamten infizierten Gewebes notwendig. Auch die Röntgenbestrahlung kann besonders in den subakuten Stadien von Nutzen sein. Weit schwieriger als die lokale Versorgung ist die Behandlung der allgemeinen Furunkulose. Wohl nur höchst selten wird es gelingen, gleich durch den ersten Behandlungsweg eine Heilung zu erzielen. Wichtig ist natürlich die Ermittlung einer Ursache wie Diabetes, versteckter Eiterherd, Obstipation und vieles andere. Aber nicht immer wird man eine zentrale Ursache feststellen, so daß man mehrere Behandlungsarten durchprobieren muß. Regelung des Stuhlgangs ist eine unbedingte Notwendigkeit bei der Behandlung der Furunkulose. Die schlagartige Umstellung der Diät leistet manchmal Ausgezeichnetes. Für die innerliche Behandlung sind zahlreiche Mittel (Schwefel, Hefepräparate, Autovakzine u. a. m.) angegeben worden. Von ihnen kann man Gebrauch machen. Bäderbehandlung (Schwefel) in geeigneten Badeorten ist ratsam. Daneben sollen aber die allgemeine Hautpflege und die Vermeidung von Schmierinfektionen in der Nachbarschaft bestehender Furunkel nicht vergessen werden. Auch die örtliche Behandlung progredienter Furunkel wird notwendig werden. Das Penicillin leistet bei jeder Form der Furunkulose sehr gute Dienste. Der Milzbrandkarbunkel (Pustula maligna) entsteht durch den spezifischen Erreger, welcher sich an Fleisch, Fell, Haaren milzbrandkranker Tiere und den daraus hergestellten Gegenständen findet. Daher beobachten wir die Erkrankung vorwiegend bei Fleischern, Lederarbeitern usw. Es entwickelt sich zunächst in einem Hautbezirk eine nicht sehr starke Entzündung mit einem Bläschen serösen Inhaltes, welches in wenigen Tagen sich in eine tiefschwarz aussehende Borke (daher der Name Anthrax !) umwandelt. Die Entzündung der Umgebung weicht einem Ödem. Die Schmerzhaftigkeit pflegt geringer zu sein als bei dem gewöhnlichen Furunkel. Charakteristisch für das Leiden ist die tiefschwarze zentrale Nekrose. Die richtige Erkennung des Leidens ist im Hinblick auf die einzuschlagende Therapie ganz besonders wichtig, denn beim Milzbrand ist jede Inzision unbedingt zu unterlassen, da sie meist von der tödlich endigenden Allgemeininfektion gefolgt ist. Absolut konservative Behandlung durch Verbände mit indifferenten Salben ist angezeigt. Unter ihnen stoßen sich die Nekrosen ab und überhäuten sich die Granulationsflächen. Erysipel Die Streptokokkeninfektion der Haut (Rose) und des Unterhautzellgewebes pflegt meist an Kopf und Rumpf sich zu entwickeln und kann von dort aus auch auf die Gliedmaßen übergreifen. Entsteht sie primär an ihnen, nimmt sie meist von alten Geschwüren und Fisteln, aber auch von ganz kleinen Wunden ihren Ursprung. Charakteristisch für die Erkrankung ist das plötzlich einsetzende hohe Fieber, verbunden mit starkem Krankheitsgefühl, welches von der flammenden, scharf begrenzten, zackigen Rötung und Schwellung der Haut gefolgt wird, die Neigung zum raschen Fortschreiten hat. Es kann zu Drüsenanschwellungen und subkutanen Abszessen kommen, die Entzündung vermag

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aber auch im Verlauf einiger Tage abzuklingen. In besonders schweren Fällen hebt sich die Oberhaut in Blasen ab wie bei einer Verbrennung (Erysipelas bullosum), auch zur Gangrän der H a u t und Teilen des Unterhautzellgewebes kann es kommen. Leider neigt das Erysipel dazu, mehr oder weniger häufig zu rezidivieren. Die Behandlung der Rose ist zunächst konservativ. Kühlende Umschläge mit Kamillentee oder dünnem Borwasser werden angenehm empfunden. Ob die Bestrahlungsbehandlung mit Röntgen oder Höhensonne tatsächlich gute Wirkung hat, ist umstritten. Da Schäden bei richtiger Dosierung nicht zu erwarten sind, ist diese Behandlungsart anwendbar. In Sulfonamiden und Penicillin besitzen wir neuerdings recht wirksame Mittel gegen die Streptokokkeninfektionen. Sie werden vorwiegend peroral oder parenteral angewendet, seltener in Form von Salben und Pudern lokal. Während der Erkrankung ist für regelmäßiges Abführen zu sorgen; es soll eine leichte, eiweißarme Kost verabfolgt werden. Alkohol in größeren Mengen innerlich gegeben ist ein gutes Mittel gegen die Allgemeininfektion. Die Herzfunktion ist sehr genau zu überwachen, vorbeugend und rechtzeitig sind analeptische Mittel zu geben. Eine aktive chirurgische Therapie ist nur angezeigt, wenn sich irgendwo deutliche Abszesse gebildet haben. Sie sind durch kleine Inzisionen zu eröffnen. Das Erysipeloid Wir bezeichnen mit diesem Namen eine vorwiegend an den Fingern und Händen, gelegentlich auch einmal an den Unterarmen auftretende Entzündung, welche durch den Erreger des Schweinerotlaufes hervorgerufen wird. Meist tritt die Erkrankung bei Fleischern, Fischhändlern, Köchinnen auf. An der Haut, ausgehend von kleinen, häufig kaum sichtbaren Wunden, bilden sich nach einer Inkubationszeit von 2—4 Tagen eine fleckige, umschriebene Rötung sowie Schwellung mit leicht bläulichem Unterton, welche deutlich Juckreiz erzeugt und die Neigung zum Fortschreiten hat. Eine Störung des Allgemeinbefindens tritt nicht ein, gelegentlich entwickeln sich schmerzhafte Schwellungen der Fingergelenke. Für gewöhnlich klingen die Erscheinungen in 1—2 Wochen ab, aber auch ein rezidivierender Verlauf ist beobachtet worden. Als Behandlung sind Verbände mit indifferenten Salben zu empfehlen. Röntgenbestrahlung bewirkt mitunter schlagartiges Verschwinden der Rötung, auch der Injektion von Rotlaufserum oder Penicillin wird eine günstige Wirkung nachgesagt. Panaritium Mit diesem Namen, dessen sprachliche Bedeutung unklar ist, bezeichnen wir die Entzündungen der Finger und der Hand, und zwar aller ihrer Gewebe. Sie nehmen meist von der Greiffläche ihren Ausgang. Dabei ist es gleichgültig, ob die Eitererreger durch eine nicht sichtbare Schrunde der Arbeitshand oder durch eine deutlich sichtbare Wunde in das Gewebe eindringen. Als Erreger werden Staphylokokken, Streptokokken, Bacterium coli, Proteus u. a. gefunden. Die Hand des körperlich arbeitenden Menschen, welche oft kleinsten Verletzungen ausgesetzt ist, wird vorwiegend von der Fingereiterung befallen. Alle Panaritien haben eine ungeheure praktische Bedeutung, da sie die Ursache weit fortschreitender Phlegmonen und tödlich endigender Allgemeininfektionen werden können. Sehr häufig führen sie bei nicht sachgemäßer Behandlung zu verschiedener hochgradiger Behinderung der Gebrauchsfähigkeit der Finger und

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der Hand und damit zu einer leider oft nicht mehr zu beseitigenden schweren Schädigung der Arbeitsfähigkeit. Am besten teilt man die Panaritien nach anatomischen Gesichtspunkten ein und unterscheidet: 1. Das Panaritiura subepidermoidale. 2. Das Panaritium subunguale (Sonderform von 1). 3. Das Panaritium subcutaneum.

4. Das Panaritium (Sonderform von 5. Das Panaritium 6. D a s Panaritium 7. D a s Panaritium

paraunguale 3). tendinosum. ossale. articulare.

Meist pflegen die drei zuletztgenannten Arten die Folge eines verschleppten, gar nicht oder falsch behandelten subkutanen Panaritiums zu sein. Obwohl von vielen Seiten die Nagelbettentzündungen (Ziffer 2 und 4) nicht zu den Panaritien gerechnet werden, erscheint es mir aus Gründen der anatomischen Lokalisation und der gleichen entzündlichen Genese angezeigt, sie an dieser Stelle mit abzuhandeln. Das Panaritium subepidermoidale ist eine harmlose Erkrankung, welche meist ärztliche Behandlung nicht notwendig macht. Sie besteht in einer zwischen Oberhaut und Lederhaut gelegenen, deutlich gelblich durchschimmernden Eiterblase ohne Entzündung der Nachbarschaft. Ist daneben noch ein furunkelartiger, kleiner umschriebener Nekroseherd in der Lederhaut vorhanden, dann spricht man von einem Panaritium cutaneum. Die Behandlung besteht in Abtragen der abgehobenen Epidermisblase mit der Schere und Bedecken der freiliegenden Kutis mit einem Salbenlappen. In wenigen Tagen pflegt sich der Epitheldefekt wieder überhäutet zu haben. Mitunter verbirgt sich hinter einem subepidermoidalen Panaritium eine tiefer gelegene Eiterung, welche durch ein kleines Loch in der Kutis mit der oberflächlichen Eiterblase kommuniziert („Kragenknopf-Abszeß"). Hierauf muß man achten. Das Panaritium subunguale (Nagelbettentzündung) gleicht dem vorstehend geschilderten Krankheitsbild mit dem Unterschied, daß der Eiter zwischen Nagelbett und Nagel sitzt und durch diesen gelblich hindurchschimmert. Der primäre Eiterherd findet sich meist seitlich am Nagelbett. Die rationelle Behandlung ist die totale Entfernung des ganzen Nagels, die man in Leitungsanästhesie an der Fingerbasis vollkommen schmerzlos ausführt. Mitunter können auch Trepanationen des Nagels vorgenommen werden. Wenn aber der Eiter einen großen Teil des Nagelbettes bespült hat, stößt sich der Nagel doch ab. Teilentfernungen des Nagels etwa nur auf einer Seite sind zu unterlassen, da der dann nachwachsende Nagel häufig eine unschöne Form annimmt. Das Panaritium subcutaneum pflegt häufig an der Fingerbeere aufzutreten. Es führt zu umschriebener seröser Schwellung des Unterhautzellgewebes an Beuge- und Streckseite des Fingergliedes. Gleichzeitig treten klopfende Schmerzen in dieser Gegend und ein charakteristischer örtlicher Druckschmerz auf. Diese Symptome sind schon vorhanden, ehe die Entzündungsrötung der Haut sichtbar ist, mitunter auch bevor eine Schwellung nachweisbar ist. Frühzeitige ausgiebige Eröffnung des Eiterherdes muß unbedingt gefordert werden. Wird sie unterlassen oder wird allzu lange mit Bädern, Salbenverbänden und ähnlichen konservativen Maßnahmen kostbare Zeit verloren, werden durch den Entzündungsdruck bei intakter, straffer Haut die Eitererreger in die benachbarten Sehnenscheiden, Knochen und Gelenke gepreßt. Damit ist aus der

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relativ harmlosen umschriebenen Eiterung des Unterhautzellgewebes ein sehr viel schwereres Krankheitsbild entstanden. B a h n t sich der Eiter selbst einen Weg nach außen, so erfolgt der Durchbruch an der Seite des Fingers. An dieser Stelle kann man auch zweckmäßig die Inzisionsschnitte anbringen. Funktionell und kosmetisch am besten, wenn auch zunächst sehr eingreifend erscheinend, ist der Fischmaulschnitt, dessen Lage aus Abb. 347 ersichtlich ist. Durch ihn ist am besten und gründlichsten der Eiterherd zu eröffnen. Ist die Eiterung abgeklungen, heilt der nach der Beugeseite abgeklappte Lappen ohne störende Narbe an der richtigen Stelle wieder an. Eine Sonderform des subkutanen Panaritiums ist der an der Fingerbasis sitzende Schwielenabszeß, der bei fehlender oder unrichtiger Behandlung bald zur Interdigitalphlegmone und auch zum Ubergreifen der E n t z ü n d u n g auf

A b b . 3 4 7 . F i s c h m a u l s c h n i t t bei P a n a r i t i u m eines

Fingerendgliedes

Sehnenscheiden und Knochen führen kann. Er n i m m t seinen Ursprung von den Schrunden der Arbeitshand oder von Blasen der H a u t nach ungewohnter Arbeitsleistung. Die klinischen Erscheinungen entsprechen denen des subkutanen Panaritiums. Sorgfältige P r ü f u n g des örtlichen Druckschmerzes unter Benutzung nicht des Fingers, sondern etwa der K u p p e einer Arterienklemme oder eines ähnlichen Instrumentes f ü h r t leicht zur Erkennung des Leidens und zur Ermittlung seiner Ausdehnung. Die auf diese Weise systematisch unter Berücksichtigung der Anatomie der H a n d P u n k t für P u n k t ausgeführte P r ü f u n g des örtlichen Druckschmerzes ist das beste Mittel zur richtigen Erkennung des P a n a r i t i u m s und seiner einzelnen Formen. Das P a n a r i t i u m paraunguale, auch Paronychie oder Nagelbettentzündung genannt, stellt eine oberflächlich gelegene kutane und subkutane Entzündung des seitlichen Nagelfalzes dar. Meist wird sie hervorgerufen durch unsachgemäß ausgeführte Nagelpflege oder durch kleine Verletzungen dieser Gegend. In Frühfällen kann das dicke Auftragen von grauer Quecksilbersalbe f ü r mehrere Tage zum Rückgang der E n t z ü n d u n g führen. Wenn diese aber um den Nagel herumgegangen ist, kann mitunter lockere Tamponade des Nagelfalzes zur Heilung führen, meist läßt sich die Entfernung, wie schon auseinandergesetzt des ganzen Nagels nicht umgehen. Das P a n a r i t i u m tendinosum oder die Sehnenscheidenphlegmone stellt die wichtigste und in ihren praktischen Auswirkungen schwerwiegendste Komplikation der Fingereiterung dar. Wer das Leiden richtig erkennen und behandeln will, m u ß eine klare Vorstellung von dem Verlauf der Beugesehnen-

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scheiden an der Hand haben. Wichtig zu wissen ist, daß die Sehnenscheiden des 2.—4. Fingers in der Gegend des Mittelhandknochens enden und miteinander nicht in Verbindung stehen. Die Sehnenscheiden des 1. und 5. Fingers dagegen kommunizieren stets mit den gemeinsamen Sehnenscheiden aller Finger über dem Handgelenk und also auch miteinander. Aus diesem Grunde sind die Sehnenscheidenentzündungen des 1. und 5. Fingers ungleich gefährlicher als die der anderen Finger. Die Sehnenscheidenentzündung entsteht entweder dadurch, daß durch eine offene Verletzung (Stich, Schnitt, Platzwunde und anderes) Bakterien in die Sehnenscheide gelangen oder daß die Eitererreger eines subkutanen Panaritiums durch den Entzündungsdruck bei nicht rechtzeitiger operativer Eröffnung oder auch durch äußeren Druck die Sehnenscheide selbst ergreifen. Die Ausbreitung in ihr ist dann durch die anatomische Form vorgezeichnet. Wenn also ein Eitereinbruch in die Sehnenscheide des 5. Fingers erfolgt ist, befällt der Entzündungsprozeß die Sehnenscheide der Hohlhand und die des Daumens. Er breitet sich also V-förmig aus, und wir sprechen von einer VPhlegmone. Die Sehnenscheidenentzün-

dungen des 2.—4. Fingers bleiben auf den betreffenden Finger beschränkt. Für die Diagnose ist wichtig zu wissen, daß die entzündliche Rötung der Haut fehlen kann, besonders wenn die 348. Sehnenscheiden der Hohlhand schwielige Hand eines Arbeiters be- Abb. und Schnitte zur Eröffnung v o n Panaritien fallen ist. Auch die Schwellung braucht und Hohlhandphlegmonen wegen der straffen Bindegewebsstruktur des Unterhautzellgewebes der Hohlhand nicht sehr deutlich sein. Wohl aber klagen die Kranken über ein mehr oder weniger starkes Spannungsgefühl in den betroffenen Teilen der Hand. Dazu kommt ein sehr charakteristisches Klopfen, in fortgeschrittenen Fällen, besonders wenn der Entzündungsprozeß auf die Umgebung der Sehnenscheide übergegriffen hat, ein sichtbares und fühlbares Gewebsödem. Auch der Handrücken kann kissenartig anschwellen. Die befallenen Finger stehen in leichter Beugestellung, der Versuch der Streckung erzeugt Schmerzen. Sehr ausgesprochen pflegt der umschriebene Druckschmerz im Bereich der befallenen Sehnenscheide zu sein. Seine sorgfältige Prüfung durch den untersuchenden Arzt ist unbedingt notwendig. Als Allgemeinerscheinungen treten stets Fieber sowie eine erhebliche Störung des Allgemeinbefindens mit starkem Krankheitsgefühl auf. Lymphangitis und Lymphadenitis können vorhanden sein. Wenn dem Eiter in der entzündeten Sehnenscheide nicht rechtzeitig und nicht ausgiebig genug Abfluß verschafft wird, greift die Entzündung auf die

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Nachbarschaft über, und es kommt zunächst zur Hohlhandphlegmone. Dann schwillt die ganze Hand an, die Schmerzen werden unerträglich, alle Finger stehen krampfhaft in halber Beugestellung, das Fieber steigt an, die Temperaturkurve zeigt septischen Charakter, eine Allgemeininfektion ist fast unausbleiblich. Die vom Eiter umspülten Beugesehnen werden nekrotisch und stoßen sich später ab. Die Entzündung kann auf Knochen, Fingergelenke, das Handgelenk sowie auf den Vorderarm übergreifen. Sie kriecht vorwärts in den Muskelinterstitien an der Beugeseite (seltener Streckseite) des Ligamentum interosseum und zwischen dem Musculus flexor digitorum profundus und sublimis. Die Behandlung solcher Phlegmonen hat möglichst frühzeitig mit hohen Dosen antibiotischer Mittel zu erfolgen. Es gelingt dadurch meist, die Ausbreitung der Phlegmone zu verhindern und die Sehne vor der Nekrose zu bewahren. Wenn die antibiotische Behandlung im Frühstadium unterblieben ist und die Phlegmone sich ausgebreitet hat, so ist das Ziel der Behandlung, dem Eiter in den Sehnenscheiden sicher Abfluß zu verschaffen, und zwar ohne daß die gegen Austrocknung sehr empfindliche Sehne frei in der Wunde zutage liegt. Am besten erreicht man dies durch Anlegen mehrerer seitlicher Inzisionen an Stelle des am besten ganz zu verlassenden langen Einschnittes in der Mitte der Beugeseite. Der Schnitt muß aber sicher bis in die Sehnenscheide gehen. Besonders Anfängern ist es daher dringend zu raten, den Eingriff stets in Blutleere auszuführen, damit man schrittweise exakt präparieren kann und nicht durch die diffuse Blutung aus den entzündeten Weichteilen in der Ubersicht gehindert wird. Je zwei Schnitte sind durch die Sehnenscheide hindurch mittels eines schmalen Gummistreifens (aus einem alten Handschuh) zum Zwecke der Drainage zu verbinden. Solange der Eiterungsprozeß nicht sicher beherrscht ist, müssen Finger und Handgelenk in Mittelstellung auf einer Schiene fixiert werden. Die Kunst der Behandlung des Panaritiums liegt einmal in der rechtzeitigen Diagnose, dann in der ausgiebigen operativen Eröffnung des Eiterherdes und schließlich in dem feinfühligen Ermitteln des richtigen Zeitpunktes, zu dem die Fixation zugunsten einer aktiven und passiven Bewegungsbehandlung aufgegeben werden soll. Genaue Beobachtung des Fieberverlaufes ist notwendig, um bei ansteigender Körpertemperatur rechtzeitig nach einem Fortschreiten des Prozesses suchen und auch ihn eröffnen zu können. Verbandwechsel sollen bei beherrschter Eiterung nicht zu häufig vorgenommen werden. Bei Wohlbefinden, normaler Körpertemperatur und Nichtvorhandensein von örtlichen Schmerzen besonders klopfenden Charakters soll der Verband einige Tage ruhig liegen bleiben. Beim Verbandwechsel sind Bäder in warmem Seifenwasser ratsam. In ihnen können auch die ersten eigentätigen Bewegungsübungen ausgeführt werden. Der Verlauf einer Sehnenscheidenphlegmone ist sehr wechselnd. Stets muß sich der Arzt klar darüber sein, daß er eine Erkrankung vor sich hat, die nicht nur die Hand, sondern auch das Leben des Menschen gefährden kann, denn leider hat die Sehnenscheidenphlegmone die Neigung, auf das umgebende Gewebe der Hand und des Unterarmes überzugreifen. Dann entwickelt sich aus ihr die Hohlhandphlegmone und bei weiterem Fortschreiten die Unterarmphlegmone. Die schon vorher geschilderte peinliche Überwachung des Krankheitsverlaufes und der Temperaturkurve ist notwendig. Wenn es aber einmal zu diesen Phlegmonen gekommen ist, dann hilft nur ausgiebige Inzision gegebenenfalls an mehreren Stellen, um die Eiterherde sicher zu er-

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öffnen. Besonders gern sitzen sie in der Nähe und unter dem Ligamentum carpí volare, am Unterarm in dem lockeren Gewebe zwischen den Muskeln und über dem Ligamentum interosseum. Auf diesem entlang kann die Eiterung fortschreiten, um erst in der Gegend des Ellenbogens oberflächlich zutage zu treten. Die Mitbeteiligung von Lymphgefäßen und Lymphknoten pflegt bei Hohlhand- und Unterarmphlegmone die Regel zu sein. Bei den notwendig werdenden Inzisionen muß man sich vor den Verletzungen des Nervus medianus hüten. Ganz besonders schwierig gestaltet sich die Nachbehandlung dieser Phlegmonen. Frühzeitige Bewegungen wären notwendig, um die Hand und Finger wieder beweglich zu machen. Andererseits kann durch diesen Bewegungsreiz die Eiterung wieder aufflackern. Tastendes Vorgehen unter steter Beobachtung der Körpertemperatur ist notwendig. Leider stellen sich gerade nach Panaritien und Handphlegmonen nicht selten Störungen auf dem Gebiet des sympathischen Nervensystems ein, welche zu Gewebsatrophien, Glanzhaut, Störungen der Schweißabsonderung (meist Vermehrung) und des Nagelwachstums (meist Verzögerung) sowie der Gewebsdurchblutung (blaurote Stauung), zur Knochenatrophie und zu Bewegungsstörungen der Gelenke führen. Ihre Behandlung ist sehr schwierig. Bisher sind wir eigentlich über eine rein symptomatische Therapie noch nicht hinausgekommen. Die manchmal nicht ganz vermeidbaren Bewegungsbehinderungen in Finger- und Handgelenken bedürfen einer sehr energischen Behandlung durch den Arzt. Es genügt nicht, daß er „Heißluftbäder und Massage" verordnet, sondern selbst muß er den Fortschritt der Bewegungsfähigkeit überwachen und unterstützende Heilmaßnahmen wechselnd mit den Anforderungen des Zustandsbildes anwenden. Am wichtigsten ist aber der eigene Wille des Kranken, seine Gelenke zu bewegen. Ist dieser nicht vorhanden (z. B. bei zu großer Ängstlichkeit und bewußter oder unbewußter Rentensucht), dann wird den Bemühungen des besten Arztes der Erfolg versagt bleiben. Das Panaritium ossale stellt eine Osteomyelitis einer Fingerphalanx dar, bei welcher die Erreger meist nicht metastatisch auf dem Blutwege, sondern von Schrunden der Haut her in Knochen und Knochenhaut gelangen. Häufig entwickelt es sich aus einem nicht oder nicht genügend behandelten subkutanen Panaritium. Kenntlich ist es an der prallen, knolligen Schwellung und hohen Schmerzhaftigkeit des befallenen Gliedes. Von seitlichen Einschnitten aus oder beim Endglied vom Froschmaulschnitt aus kann man dem Eiter Abfluß verschaffen und so das Fortschreiten der Eiterung auf Sehnenscheiden oder tiefere Gewebsschichten der Hohlhand verhindern. Nicht immer braucht es zu einer Sequestrierung zu kommen. Schließen sich die Inzisionswunden über längere Zeit hinaus nicht und zeigt das Röntgenbild einen Sequester, so muß er operativ entfernt werden. Auch bei Totalsequestern ist die Regeneration der Fingerphalanx meist erstaunlich gut. Häufig bleibt das Fingerglied verkürzt und manchmal auch etwas in seiner Form verändert. Als Vorläufer des Panaritium articulare beobachten wir mitunter leichte Reizerscheinungen in den Fingergelenken, wenn in ihrer Nähe Entzündungsprozesse spielen. Werden die letzteren operativ eröffnet, können die Reizerscheinungen folgenlos zurückgehen. Kommt es jedoch zur Eiterung des Gelenkes, so muß auch sie operativ eröffnet werden. Leider pflegt die Folge häufig eine totale Versteifung des befallenen Gelenkes zu sein. Sie ist ganz besonders bei Handarbeitern störend, da ein versteifter Finger nicht nur die Gebrauchs-

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fähigkeit der Hand erheblich behindert, sondern auch für seinen Träger eine stete Gefahr darstellt. Häufig wird man daher auch nach Abheilung der Eiterung genötigt sein, den Finger ganz oder teilweise abzusetzen. Es ist nicht immer ganz leicht, den Betroffenen das klar zu machen, und oft hört man den Einwand, warum der notwendige Eingriff nicht schon früher ausgeführt worden sei. Eine gewisse Berechtigung kann man dieser Auffassung nicht absprechen. Wenn der Arzt daher im akuten Stadium der Eiterung (und dieses gilt auch für das Sehnenscheidenpanaritium) mit ausreichender Sicherheit voraussagen kann, daß der Finger steif bleiben wird, weil z. B. die Beugesehne herausgeeitert ist oder durch die Eiterung die Gelenkflächen zerstört wurden, dann soll schon in diesem Stadium dem Kranken die Absetzung des Fingers meist im Mittelgelenk, seltener im Endgelenk, vorgeschlagen werden. Man kann dadurch den Krankheitsverlauf sehr erheblich abkürzen.

Phlegmone Mit diesem Wort bezeichnet man eine diffuse, meist durch Staphylokokken, seltener durch andere Bakterien hervorgerufene Eiterung des Unterhautzellgewebes mit der Neigung zum Fortschreiten in die Umgebung. Die Entstehungsursachen sind Verletzungen der Haut, Furunkel oder andere Eiterungen. Der Verlauf kann äußerst verschieden sein. Von harmlosen, leicht zu beherrschenden Entzündungen bis zu schwersten, sich in wenigen Stunden entwickelnden Phlegmonen mit hochvirulenten Eitererregern und schneller Entstehung einer Allgemeininfektion kennen wir alle Ubergänge. Abgesehen von der Natur und Bösartigkeit der Eitererreger wird der Verlauf der Erkrankung von ihrem Sitz und von der Besonderheit des anatomischen Baues der betreffenden Körpergegend beeinflußt. Die subkutanen Phlegmonen sind wegen ihres oberflächlichen Sitzes an der teigigen Schwellung und Rötung der Haut, verbunden mit Fieber, klopfenden und bohrenden Schmerzen, einer Drüsenschwellung und vielleicht Lymphangitis, unschwer zu erkennen. Häufig kommt es zu örtlicher Einschmelzung, also zur Bildung eines Abszesses. Dann ist an dieser Stelle mehr oder weniger deutlich eine Fluktuation zu fühlen. In selteneren Fällen kann die Ausheilung ohne Abszeß vor sich gehen. Die Behandlung soll bei sicher erkanntem fortschreitendem Charakter in frühzeitiger Inzision gegebenenfalls an mehreren Stellen bestehen, auch wenn noch keine Fluktuation feststellbar ist. Wer auf die Entwicklung dieses Symptoms warten wollte, würde sehr häufig zu spät kommen und seinen Kranken schweren Schaden zufügen. Auch wenn die Inzision nur in sulziges, ödematöses Gewebe führt, so hat sie doch einen großen therapeutischen Wert, denn sie bewirkt eine Entlastung des Gewebes von dem Entzündungsdruck und verhindert es, daß durch ihn die Eitererreger in bisher gesundes Gewebe gepreßt werden. Zahlreiche kleine Inzisionen, welche unter Umständen subkutan verbunden werden können, sind wegen der späten Heilung der großen Inzision vorzuziehen. Je weniger Eiter eine Phlegmone bildet, desto gefährlicher pflegt sie zu sein, und desto häufiger führt sie zu einer Allgemeininfektion. Einige besondere Phlegmonenformen bedürfen der Erwähnung. Subkutane Phlegmonen können durch ein oder mehrere Löcher in der Faszie in Verbindung mit einer subfaszialen Phlegmone stehen, welche ihrerseits zwischen den

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Muskeln fortschreiten und so zur intramuskulären Phlegmone werden kann, die dann das lockere Bindegewebe zwischen den einzelnen Muskelgruppen ödematös oder eitrig durchsetzt und zur Nekrose, besonders auch der Faszien selbst, führt. Sorgfältige frühzeitige Eröffnung und sichere Drainage (nicht Tamponade !) dieses von der Entzündung befallenen Raumes ist erforderlich. In ganz bösartigen Fällen wird auch einmal, wenn sich durch örtliche Inzisionen der Eiterungsprozeß nicht beherrschen läßt, die Amputation einer Extremität notwendig werden. Besonders gefürchtet wegen ihrer schweren Komplikationen (Pleuraempyem, Allgemeininfektion) sind an der oberen Extremität die unter dem Brustmuskel fortschreitenden und mitunter schwer zu erkennenden Subpektoralphlegmonen. In einem leider relativ hohen Prozentsatz der Fälle führen sie zum Verlust des Armes oder auch zum Tode. Durch antibiotische Mittel im Beginn der Erkrankung läßt sich die Ausbreitung der Phlegmone meist verhindern. Phlegmone mit Gas Sie stellt eine Sonderform der Phlegmone dar und ist besonders auch in therapeutischer Hinsicht von der eigentlichen „Gasphlegmone" zu trennen. Charakterisiert ist sie dadurch, daß die sie hervorrufenden Bakterien, welche vorwiegend der Koli-Gruppe und verwandten Arten sowie Proteus und Bacillus fusiformis angehören, im Gewebe Gas erzeugen. Dieses Gas ist meist ein Produkt der Bakterien selbst oder entwickelt sich bei einer besonderen Autolyse des Körpereiweißes. Nachweisbar ist es bei uneröffneter Haut durch einen tympanitischen Klopfschall, den man am besten durch leichtes Beklopfen mit einem Holzspatel oder Bleistift feststellen kann. Die Infaktionsform entwickelt sich weniger mit Eiterbildung als vielmehr als putride Infektion mit mehr oder weniger ausgedehnten Gewebsnekrosen, besonders des Unterhautzellgewebes und der Faszien. Bei der Inzision findet man im sulzigödematös veränderten Gewebe Gas in Form von kleineren oder größeren Blasen, welches gelegentlich mit einem leicht pfeifenden Geräusch entweichen kann. Die Therapie besteht in frühzeitigem Anlegen multipler, kleiner Inzisionen. Durch sie werden am besten das Fortschreiten des Entzündungsprozesses und die Ausbildung größerer Gewebsnekrosen, besonders der Faszien, verhindert. Gasphlegmone (Gasödem) Sie ist in jeder Beziehung streng von der soeben beschriebenen, relativ ungefährlichen Phlegmone mit Gas zu trennen, denn sie stellt ein Krankheitsbild dar, welches auch heute noch trotz radikalster Therapie leider sehr viele Todesopfer fordert. Besonders bei Kriegswunden, aber auch bei erdbeschmutzten Zertrümmerungswunden des Friedens ist sie eine gefürchtete Komplikation. Hervorgerufen wird die Erkrankung durch mehrere anaerobe Bakterienarten wie z. B. den F r a e n k e l s e h e n Bazillus oder den Bazillus des malignen Ödems und andere. Der Sitz der Erkrankung ist das Muskelgewebe, besonders des Unterschenkels, des Oberschenkels und des Gesäßes, aber auch des Armes. Von hier aus kann der Prozeß auch auf die Muskulatur des Rumpfes übergreifen. Unter der Einwirkung der Bakterien bildet sich ein schmieriges Ödem der Muskeln aus, die bald zu einem marmeladeähnlichen, von Gasblasen durchsetzten Brei zerfallen. Gleichzeitig entsteht in den Muskelinterstitien ein ebenfalls mit Gas durchsetztes grünlich-schmieriges Sekret. Die Extremität R o s t o c k , Lehrbuch der speziellen Chirurgie. 3. Aufl.

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schwillt prall an, die Haut wird glänzend, nimmt einen bronzefarbenen Ton an, in welchem die blauen, stark gefüllten Venen besonders gut sichtbar sind. Bei der Beklopfung hört man deutlich Tympanie. Das Krankheitsbild des Gas Ö d e m s entwickelt sich im Laufe weniger Stunden und pflegt rasend schnell fortzuschreiten. Als erstes Symptom, welches leider mitunter nicht beachtet oder falsch gedeutet wird, klagen die Verletzten über immer ganz besonders heftigen konstanten Schmerz in der Extremität, der schon nach kurzer Zeit nachläßt und einer fast völligen Schmerzlosigkeit Platz macht. Gleichzeitig sieht der Mensch blaß aus und verfällt sehr schnell. Der Puls wird klein, eine Steigerung der Körpertemperatur pflegt nicht vorhanden zu sein. Der Röntgenuntersuchung bedarf es zur Diagnose nicht, obwohl man auf dem Film in ausgeprägten Fällen die Gasblasen im Gewebe nachweisen kann. Durch die Röntgenuntersuchung wird die so dringend notwendige frühzeitige Behandlung nur hinausgezögert, zumal sie uns in Frühfällen im Stich läßt. Die Behandlung hat in rücksichtsloser Spaltung mittels großer und tiefer Schnitte zu erfolgen. Multiple kleine Inzisionen sind zwecklos. Durch die Inzisionen müssen die Faszien breit eröffnet und die erkrankten Muskeln freigelegt werden. Schwer veränderte Muskelteile sind zu entfernen. Sind mehrere Muskelgruppen befallen, so ist die Amputation des Gliedes im Gesunden mit breitem Offenlassen des Stumpfes angezeigt. Leider ist auch diese radikale Maßnahme nicht immer in der Lage, das Fortschreiten der Erkrankung, welches meist gleichbedeutend mit dem tödlichen Ausgang zu sein pflegt, aufzuhalten. Injektion von polyvalentem Gasbrandserum ist angezeigt, obgleich man sich von seiner Wirksamkeit nicht zu viel versprechen soll. Aber immerhin kann es in Grenzfällen das Schicksal zum Günstigen wenden. Als alleiniges Heilmittel ist es gänzlich unzureichend und wirkungslos. Geschwüre Unter Geschwür verstehen wir durch Zelltod hervorgerufene, umschriebene Gewebsverluste des Deckgewebes (Epithel), welche keine oder nur geringe Neigung zur Heilung haben. Sie kommen besonders an der unteren Extremität relativ häufig vor. Die Entstehungsursache kann sehr verschieden sein. Die Gefahren eines Ulkus bestehen darin, daß sich bei seinem langen Vorhandensein zu jeder beliebigen Zeit aus ihm eine Phlegmone mit anschließender Allgemeininfektion entwickeln kann. Chronisch rezidivierende Erysipele pflegen von einem Ulkus auszugehen. Auch die chronische Infektion und der Eiweißverlust sind nicht gleichgültig für den Körper und können in schweren Fällen zur Amyloidose führen. Und schließlich droht jedem längere Zeit bestehenden Geschwür die Gefahr der karzinomatösen Umwandlung, die wir besonders vom Röntgengeschwür, aber auch vom gewöhnlichen Ulcus cruris varicosum kennen. Wohl am häufigsten sind die Narbengeschwüre. Wenn nach irgendeinem Trauma thermischer, chemischer oder mechanischer Art ausgedehnte Narbenflächen in der Haut des Körpers zurückgeblieben sind oder wenn diese Narben abnorm stark beansprucht werden, beispielsweise über Gelenken oder vorspringenden Knochenpunkten, neigen die primär mit zartem Epithel bedeckten und aus gefäßarmem Gewebe bestehenden Narben zum sekundären

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Zerfall. Es bildet sich also ein Geschwür oder Ulkus. Besonders häufig ist dies bei Verbrennungs- oder Erfrierungsnarben der Fall. Auch Starkstrom und chemisch wirkende Mittel hinterlassen Narben, in denen sich schwer beeinflußbare Ulzera entwickeln. Am gefürchtetsten sind die Geschwüre nach Röntgenverbrennungen. Auch bewußte Schädigung des normalen Heilverlaufes bei Neurotikern, Hysterischen und Rentenjägern kommt vor. Die einwandfreie Entlarvung derartiger Leute ist keineswegs immer leicht und erfordert mitunter die Anwendung kriminalistischer Methoden. Die Diagnose des Vorhandenseins eines Geschwürs an sich macht nicht die geringsten Schwierigkeiten.

Abb. 3 4 9 . H a u t t r a n s p l a n t a t i o n (nach

Reverdin)

Zur Behandlung der Narbengeschwüre wird man zunächst immer konservative Mittel wie Ruhigstellung, Umschläge, Salbenverbände anwenden. Eine Unzahl von adstringierenden Mitteln, Salben u. dgl. ist angegeben worden. Die meisten von ihnen sind zum mindesten überflüssig. Es ist nicht so wichtig, welche Salbe man anwendet, als vielmehr, daß man die Mittel wechselt und ihre Wirkung auf den gerade vorliegenden Fall beobachtet. Es ist unmöglich, in diesem Rahmen auch nur die wichtigsten Behandlungsmethoden zu schildern. Sind die Granulationen schmierig und auch durch feuchte Umschläge nicht zu reinigen, dann verätze ich den Geschwürsgrund mit dem Höllensteinstift und bestrahle ihn anschließend 5—10 Minuten mit der Quarzlampe. Hat man das in zwei Wochen dreimal wiederholt, pflegt sich der Geschwürsgrund gereinigt zu haben. Behandlung mit möglichst reizlosen Salben ist dann ratsam. Eine die Epithelisierung stark anregende Wirkung wird der Scharlachrotsalbe (Pellidol) oder der schwarzen Salbe [Argentum nitricum (1,0), Perubalsam (10,0), Vaseline (100,0)] nachgesagt. Beide Salben sind gut. In zahlreichen Fällen wird man wohl auf diese Weise das Geschwür zum Ausheilen bringen, aber die Gefahr des Rezidivs ist doch sehr groß, da die 37*

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von der Seite über große Flächen her erfolgende Epithelisierung nur einen dünnen Uberzug hervorzubringen imstande ist. Man muß zu wirksameren Mitteln greifen, und diese bestehen in Transplantationen. Man kann die freie Transplantation von Hautstücken anwenden entweder in der von T h i e r s c h angegebenen Form, daß man einen hauchdünnen, meist vom Oberschenkel entnommenen Epithellappen auf die frische Granulation des Ulkus legt, besser nach Reverdin, bei welcher dicke rundliche, linsengroße Hautstückchen auf die Granulationen gelegt werden. Auf diese Weise erzielt man sehr viel widerstandsfähigere Narben. Voraussetzung für das Gelingen ist jedoch, daß die Granulationen frisch rot sind und wenig absondern. Ist noch eine starke Wundabsonderung vorhanden, kann man mit großem Vorteil die Hautpfropfung nach Braun anwenden, bei der ein T h i e r s c h - Lappen in linsengroße Stückchen zerschnitten wird und diese mittels einer feinen Sonde in die Granulationen hineingedrückt werden, so daß sie dort in der Tiefe anheilen können. Von diesen Epithelpunkten aus geht dann die Uberhäutung vor sich. Die besten Ergebnisse erzielt zweifellos die Deckung des Ulkus durch Verschiebung von Hautlappen aus der Nachbarschaft. Die offenbleibenden Spendestellen werden durch Hauttransplantation nach T h i e r s c h gedeckt. Die technische Ausführung derartiger Eingriffe, welche recht groß sein können, ist je nach Sitz und Art der zu behandelnden Geschwüre verschieden. Druckgeschwüre (Dekubitus) können bei gesunden Menschen infolge drückender Verbände, meist Gipsverbände, auftreten. Bei bettlägerigen Kranken, welche in ihrem Allgemeinbefinden stark heruntergekommen sind, oder bei solchen mit Lähmungen, beispielsweise nach Rückenmarksverletzungen, treten Druckgeschwüre über vorspringenden Knochenpunkten vorwiegend über dem Kreuzbein und an den Fersen auf. Bevor es zum nekrotischen Zerfall der Haut kommt, bestehen zunächst Ernährungsstörungen im Unterhautzellgewebe, welche ihrem Umfang nach stets ausgedehnter sind als der Defekt der Haut. Infolgedessen liegt das Charakteristikum des Dekubitalgeschwürs darin, daß es stark überhängende Hautränder besitzt. Die Nekrosen pflegen bis auf den Knochen, der auch befallen werden kann, zu reichen. Von dem Dekubitus geht gar nicht selten eine zum Tode führende Allgemeininfektion aus. Besonders wichtig ist die Prophylaxe. Sie muß in sorgfältigster Hautpflege (Abwaschen mit alkoholhaltigen Mitteln), peinlicher Sauberkeit, Vermeidung von Falten und Unebenheiten der Unterlage, häufigem Lagewechsel, Anwendung von Luftringen und Wasserkissen bestehen. Wenn einmal das Dekubitalulkus entstanden ist, muß man durch Kamillenumschläge oder ähnliche Mittel die Abstoßung der Nekrosen beschleunigen. Ist dies geschehen, soll unter Salbenverbänden und Druckentlastung das Geschwür zur Heilung gebracht werden. Die ischämischen Geschwüre, welche ein Vorstadium der Gangrän bilden, treten bei Diabetikern und Arteriosklerotikern auf; auch chronische Vergiftungen und Lues können als Ursachen in Betracht kommen. Es kommt zum Absterben von Haut und Unterhautzellgewebe an umschriebenen Stellen, vorwiegend an den Zehen. Die verminderte Widerstandsfähigkeit der Gewebe des Diabetikers, verbunden mit einer recht großen Empfänglichkeit für Infektionen, erhöht die Gefahr. Neben der Behandlung des Grundleidens hat örtlich eine solche mit antiseptischen Pudern zu erfolgen, um möglichst lange eine trockene Nekrose zu erzielen.

E r k r a n k u n g e n der Weichteile der Gliedmaßen

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Das praktisch wichtigste und auch häufigste Geschwür ist das Ulcus cruris varicosum. Es ist besonders bei Frauen weit verbreitet. Dadurch, daß in den Krampfadern mit schlußunfähigen Klappen das nicht arterialisierte venöse Blut in umgekehrter Stromrichtung durch die Vena saphena wieder in das Kapillargebiet des Unterschenkels gelangt, wird dem Gewebe an dieser Stelle zu wenig Sauerstoff zugeführt. Der Erfolg ist, daß sich die Haut ekzematös verändert, dünn wird, mit Schuppen bedeckt und bräunlich verfärbt und schließlich an einer oder mehreren Stellen geschwürig zerfällt. In der Umgebung der Geschwüre finden wir häufig ödematöse Schwellungen des Unterhautzellgewebes. Als Folge der Infektion, ausgehend von den Geschwüren, entstehen mehr oder weniger blande Thrombophlebitiden in den Krampfadern, die intermittierend chronisch verlaufen und zur Bildung von Venensteinen (Phlebolithen) führen können, die zu fühlen und auch auf einem Röntgenbild darzustellen sind (vgl. Abb. 351). Stehende Lebensweise erleichtert das Auftreten der Ulzera. Aus der Tatsache, daß in beachtlichem Prozentsatz die Geschwüre bei WmWS J, w Frauen erstmalig nach einem Wochenbett auftreten, A b b . 350. Ulcus cruris v a r i c o s u m kann man schließen, daß vielleicht auch hormonale Störungen bei der Entstehung eine Rolle spielen. Unsere Kenntnisse hierüber sind aber noch nicht ausreichend genug, um eine sinngemäße Therapie darauf aufbauen zu können. Das typische Krampfadergeschwür sitzt zunächst an der Innenseite des unteren Drittels des Unterschenkels. Die Geschwüre sind flach und unregelmäßig geformt und haben nur bei längerem Bestehen verdickte Ränder, der Geschwürsgrund ist mit schlaffen, schmierigen, stinkenden Granulationen bedeckt. Die Größe kann von Pfennigstück- bis Handtellergröße schwanken. In schweren Fällen kann ein noch größeres Geschwür zirkulär den ganzen Unterschenkel umgreifen. Narbenschrumpfung führt zu Bewegungseinschränkungen im oberen Sprunggelenk, zu Lymphstauung sowie harten Ödemen mit sekundärer Induration des Unterhautzellgewebes. Stets besteht die Gefahr der Infektion von dem Geschwür aus. Die Behandlung des Krampfadergeschwürs ist äußerst langwierig. Man sollte annehmen, daß die Beseitigung des abnormen Kreislaufes in den Krampf-

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ädern das Leiden zur Heilung bringen müßte. Leider ist dieses nicht immer der Fall. Aber man wird doch vorhandene Krampfadern ganz oder teilweise exstirpieren oder unterbinden oder durch Injektion veröden (vgl. S. 589). Zur Be» handlung des Geschwürs an sich ist zunächst strenge Bettruhe mit Hochlagern des Beines notwendig. Dadurch wird der Rückfluß von kohlensäurereichem Blut verhindert und der Abfluß der gestauten Gewebsflüssigkeit erleichtert.

Abb. 351 Venensteine am Unterschenkel

Abb. 352 M a l u m p e r f o r a n s pedis

Durch konsequent durchgeführte Bettruhe kann man die größte Zahl der Unterschenkelgeschwüre zur Heilung bringen. Leider ist diese Behandlung bei sehr vielen Kranken aus äußeren Gründen nicht durchführbar. Daher muß man auch Behandlungsverfahren anwenden, welche sich ambulant durchführen lassen und bei denen der Kranke seinem Beruf nachgehen kann. Am besten hat sich das straffe Wickeln der Beine bewährt. Es läßt sich durch elastische Dauerverbände, welche mehrere Wochen lang liegen bleiben können, durchführen. Das Geschwür selbst ist mit indifferenten Salben zu behandeln. Jeder Arzt wird sich im Laufe seiner Praxis seine eigene Technik der Behandlung entwickeln. Bevor man sich aber mit rein symptomatischer Therapie

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zufrieden gibt, sollte man durch Verödung der Krampfadern und durch Hauttransplantation auf die gereinigten Granulationen des Ulkus mittels der Methoden von B r a u n oder R e v e r d i n oder einer Kombination von beiden, versuchen, eine dauerhafte Narbe zu erzielen. Trophoneurotische Geschwüre auf neuropathischer Grundlage treten auf nach Rückenmarks- und Nervenverletzungen, bei Neuritis, Tabes, Syringomyelie (Malum perforans pedis). Die aufgehobene Sensibilität in den betreffenden Hautbezirken bringt es mit sich, daß Druckstellen nicht rechtzeitig durch den Schmerz gemeldet werden, daß heiße Gegenstände berührt werden und daß es so zu Verbrennungen kommt. Auch vasomotorische Störungen setzen die Widerstandsfähigkeit der Gewebe herab. Der Lieblingssitz derartiger Geschwüre ist die Fußsohle und dort besonders unter einem Mittelfußköpfchen oder am Endglied der Großzehe oder über dem Fersenbein. Die Geschwüre selbst sind kreisrund und meist nicht sehr groß. Sie erscheinen lochartig ausgestanzt und sind von verdickter, schwieliger Haut umgeben. Am Grunde des Geschwürs liegen schlaffe, stinkende Granulationen. Mitunter reichen sie bis in ein Gelenk (Zehengrundgelenk) hinein. Die Behandlung ist äußerst schwierig und langdauernd. Mitunter gelingt es überhaupt nicht, die Geschwüre zur Heilung zu bringen. Zahlreiche Methoden sind versucht worden. Örtlich kann man durch Fernhalten von traumatischen Schäden, durch Bäder und Salben versuchen, die Geschwüre zum Verschluß zu bringen. Wenn es gelingt, sind Rezidive leider die Regel. Auch die Exstirpation im Gesunden und die Deckung des Defektes durch Hautplastik evtl. unter Opferung einer Zehe können angeraten werden. Desgleichen ist Dehnung oder Vereisung der in Frage kommenden Nervenstämme (Nervus tibialis, saphenus, fibularis, cutaneus surae) versucht, auch die periarterielle Sympathektomie an den zugehörigen großen Arterienstämmen ausgeführt worden. Lepra Sie ist in Deutschland selten und kommt in östlichen Provinzen und den angrenzenden Staaten sporadisch vor. In der Haut führt die Erkrankung zu knötchenförmiger Infiltration, über der sich rotbraunes Pigment ablagert. Die Infiltrate bilden knötchenförmige und wulstige Verdickungen (Lepra tuberosa). Bei einer anderen Erscheinungsform fallen die Haare aus, und es bilden sich flächenhafte unempfindliche Narben (Lepra maculo-anaesthetica). Sehr langsam mit oft jahrelangen Remissionen pflegt die Krankheit sich schubweise unter gleichzeitigen Fieberanfällen auszubreiten. Erst nach jahrelangem Siechtum erliegen die Kranken dem Leiden. Bei einer dritten Form sind besonders periphere Nerven befallen (Lepra nervorum), welche zu dicken spindelförmigen Strängen umgewandelt werden und in deren Ausbreitungsgebiet sich motorische Lähmungen und schwere trophische Störungen mit Gewebsverlusten ausbilden (Lepra mutilans). Die Erkennung der Lepra ist in den Anfangsstadien nicht leicht. Der Nachweis der Erreger im Sekret etwa vorhandener Geschwüre oder im Nasenschleim ist zu versuchen. Nach gestellter Diagnose sind die Kranken abzusondern. Eine sichere Behandlungsart ist bisher nicht bekannt. Zahlreiche Präparate sind versucht worden. Im Augenblick steht das Chaulmoogra-Öl im Mittelpunkt des Interesses.

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Tuberkulose Die Hauttuberkulose, über welche Näheres in den Lehrbüchern der Dermatologie nachzulesen ist, kann als Lupus oder Skrophuloderma oder Tuberculosis verrucosa auftreten. Den Lupus beobachten wir vorwiegend an der Gesichtshaut (siehe diesen Abschnitt), aber auch an der Streckseite von Hand und Unterarm und am Fuß sowie in der Umgebung tuberkulöser Fisteln bei Senkungsabszessen oder bei fistelnder Gelenktuberkulose. Das Skrophuloderma sitzt vorwiegend am Hals, seltener an den Gliedmaßen. Ein Musterbeispiel für die Knötchenform ist der sogenannte „Leichentuberkel", den man bei Ärzten (Anatomen), Tierärzten, Fleischern, Abdeckern usw. findet. Auch echte Impftuberkulosen durch Gebrauch unreiner Punktionsnadeln sind beobachtet worden. Die knötchenförmige Tuberkulose stellt sich dar als flache, entzündliche, warzenförmige Infiltrate mit blaurotem Rand, welche sich langsam über die H a u t ausbreiten und in der Mitte geschwürig zerfallen können. Bestrahlungsbehandlung oder auch Exstirpation im Gesunden evtl. mit anschließender Hautplastik sind erfolgversprechende Behandlungsarten. Aktinomykose Diese Erkrankung kann primär nach Verletzungen mit den die Erreger tragenden Getreidegrannen, Holzsplittern oder dgl. auftreten. Es bilden sich dann entzündliche, knötchenförmige Infiltrationen, die sich nach der Seite und der Tiefe in Form eines brettharten Infiltrates ausbreiten, an einzelnen Stellen einschmelzen und zu Fisteln führen. Im frischen Abszeßeiter kann man meist die Erreger nachweisen, nicht so sicher im Fistelsekret. Nach gesicherter Diagnose wird man die Infiltrate am besten röntgenbestrahlen oder mit Jodjontophorese behandeln. Erkrankungen der Nägel und des Nagelbettes Die Entzündungen des Nagelbettes (Paronychie) sind an den Fingern meist als Folge zu intensiver Nagelpflege häufig. Sie stellen eine Sonderform des Panaritium dar und sind auch in diesem Abschnitt erwähnt. An der seitlichen Begrenzung des Nagelbettes sitzt die Entzündung, welche bei chronischen Formen in einem Granulationswall besteht, von dem aus Eiter auch unter den Nagel vordringen kann. Mitunter gelingt es durch Einschieben eines feinen Gazestreifens zwischen Nagel und Nagelbett, verbunden mit täglich zu wiederholenden Handbädern in warmem Seifenwasser, die Entzündung zur Ausheilung zu bringen. In fortgeschritteneren Fällen kommt man um die Entfernung des Fingernagels nicht herum, welche man in O b e r s t scher Leitungsanästhesie an der Basis des Fingers vollkommen schmerzlos ausführen kann. Nicht ratsam ist es, nur einen Teil des Nagels z,u entfernen, weil dann nämlich der nachwachsende Nagel häufig eine unschöne Form annimmt. An den Zehen, meist der Außenseite der ersten Zehe, beobachten wir das Krankheitsbild des Unguis incarnatus. Es stellt eine am Nagelrand sich ausbreitende, mit Granulationsbildung einhergehende, chronische Entzündung dar, welche dadurch begünstigt wird, daß durch den Druck unzweckmäßigen Schuhwerks der seitliche Nagelrand senkrecht gestellt und in das Gewebe der Zehe gepreßt wird. Unsachgemäßes Beschneiden der Zehennägel mit Verletzung des Nagelbettes pflegt der erste Anstoß zur Ausbildung des Leidens zu

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sein. Konservative Behandlung mit Fußbädern und Einschieben von Gazestreifen zwischen Nagel und Nagelbett vermag nur selten die Entzündung auszuheilen. Die Behandlungsmethode der Wahl ist die E m e t sehe Operation. Dabei werden das Nagelbett und ein mehrere Millimeter breiter Streifen an dem seitlichen Rande des Nagels bis in die Matrix hinein exstirpiert, so daß auf diese Weise die Form des Nagels abgeflacht wird. Die Ergebnisse der Behandlung sind gut. Bei alten Leuten bilden sich die Nägel meist an der Großzehe, seltener an den Fingern krallenförmig um, verdicken sich und können auch die normale, gerade Wachstumsrichtung verlassen. Man bezeichnet diesen Zustand

Abb. 353. Onychogryphosis der Großzehen

als Onychogryphosis. Die Nägel können so stark werden, daß sie sich mit den gewöhnlichen Instrumenten nicht mehr beschneiden lassen und das Tragen des Schuhwerkes erschweren. Behandlung mit erweichenden Bädern ist nur in leichten Fällen anwendbar. Bei starken Graden und besonders bei krallenförmiger Yerbiegung der Nägel ist ihre radikale Entfernung zusammen mit ihrer Bildungsstätte auszuführen. Die Haut am seitlichen Nagelbett ist zu glätten und die gesamte Wundfläche mit einem T h i e r s c h sehen Hautlappen zu bedecken. Erkrankungen der Blutgefäße Entzündungen der Gefäße. Thrombose Die akute Entzündung der Blutgefäße pflegt vorwiegend die Venen zu befallen. Der Entzündungsprozeß kann dabei von der Nachbarschaft her oder auch vom Blut selbst aus auf die Venenwand übergreifen. Es kommt an der Entzündungsstelle stets zur Ausbildung eines Gerinnsels (Thrombophlebitis), das auch eitrig zerfallen kann. Hierdurch wird Eiter auf dem Blutwege ver-

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schleppt (Metastase), und es bilden sich Abszesse und Phlegmonen aus. Andererseits pflegt in der Mehrzahl der Fälle die entzündliche Komponente der Thrombose eine untergeordnete Rolle zu spielen. Alle Formen der Thrombophlebitis befallen bevorzugt die varikös erweiterten Venen der Beine; aber auch die Vena femoralis, aufsteigend bis zur Vena ilica und übergreifend auf die andere Vena femoralis, sind oft der Sitz einer Thrombose. Die Thrombose der Vena saphena führt zu einer umschriebenen, strangartigen Verdickung des entsprechenden Venenabschnittes, ohne daß nennenswerte Stauungserscheinungen vorhanden zu sein brauchen. Bei der reinen Thrombose ist die Schwellung auf die Vene beschränkt, handelt es sich aber um eine Thrombophlebitis, wird auch das umgebende Gewebe befallen, die Haut wird heiß und gerötet, es kann ein Abszeß auftreten, dessen Perforation sogar nach außen möglich ist. Eine Erhöhung der Körpertemperatur pflegt stets, allerdings in wechselndem Maße, vorhanden zu sein. Die Thrombose der Vena femoralis bietet dieselben Symptome, nur kann man wegen des tiefen Sitzes des Gefäßes den verdickten Venenstrang nicht so deutlich fühlen. Hinzu treten aber als auffallendstes Symptom die in Form eines starken Ödems sich kundtuenden Kreislaufstörungen. Bei drohender, eben beginnender Thrombose besteht häufig ein Fußsohlenschmerz oder ein Wadenschmerz. Gerade in diesem Stadium sollte die Behandlung der Thrombose bereits einsetzen, da hier noch die besten Ergebnisse zu erwarten sind. Eine besondere Form der Thrombophlebitis, welche nach puerperalen Erkrankungen aufzutreten pflegt, bezeichnet man als Phlegmasia alba dolens. Sie zeichnet sich häufig dadurch aus, daß das harte Ödem in einen Zustand der Elephantiasis übergeht und dann leider sehr schlecht beeinflußbar ist. Die Behandlung der Thrombosen muß sich nach der gerade vorliegenden Form richten. Bei allen hat sich das Ansetzen von 8—10 und auch mehr Blutegeln sehr bewährt. Je stärker die aus den Blutegelbissen einsetzende, bis zu 24 Stunden anhaltende Sickerblutung ist, desto besser ist die Wirkung der Behandlung, sie besteht in einer sehr deutlichen Verminderung des Ödems und des Spannungsgefühls. In den allerersten Stadien der Behandlung (Fußsohlen- und Wadenschmerz) vermag man sogar das Auftreten der Thrombose zu coupieren. Die Behandlung kann nach einigen Tagen mehrmals wiederholt werden. Die früher so gefürchtet gewesenen schweren, langdauernden Ödeme sind auf diese Weise stets sehr günstig zu beeinflussen. Im übrigen bedürfen alle Thrombosen der Vena femoralis der Bettruhe, bis sich der Thrombus ausreichend bindegewebig organisiert hat und die Gefahr der Lungenembolie gebannt ist. Ganz sicher vermeidbar ist die Komplikation leider nicht. Die Thromboseprophylaxe durch gerinnungshemmende Mittel (Thrombocit, Dicumarol u. a.) scheint aussichtsreich zu sein. Auch zur Behandlung des manifesten Leidens werden sie angewendet. Die operative Behandlung der Thrombose mit Ausräumung der Blutgerinnsel aus der Vene hat sich nicht durchsetzen können. Handelt es sich um einen eitrigen Zerfall des Thrombus mit Verschleppung des infektiösen Materials auf dem Blutwege, dann ist die Unterbindung (oder besser Resektion) der Vene zentral von dem Entzündungsherd ratsam. Leider läßt sich hierdurch nicht immer eine Lokalisierung desselben erreichen. Handelt es sich um eine nur in der Vena saphena lokalisierte Thrombose, sitzt sie nicht in unmittelbarer Nachbarschaft der Einmündungsstelle in die

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Vena femoralis und tritt die entzündliche Komponente in den Hintergrund, dann kann man einen von den Zehen bis über die Mitte des Oberschenkels reichenden, zirkulären, mild wirkenden Druckverband (Zinkleim, Varikosan oder dgl.) anlegen und die Kranken damit sogar aufstehen und herumgehen lassen. Der Verband bleibt mehrere Wochen, bis zu zwei Monaten liegen. Die eitrige Entzündung der Arterienwand ist selten und tritt nach Verletzungen in der Umgebung mit Entzündung der Wunde auf. Die Lokalisation pflegt vorwiegend an Stellen zu erfolgen, an denen eine nicht aseptische Unterbindung sitzt oder ein Drain der Arterienwand dicht anliegt. Es kommt zur Arrosion der Wand und damit zu einer Nachblutung, welche sehr stark sein, ja sogar zum Tode führen kann. Sie macht nach provisorischer Blutstillung die Aufsuchung und Unterbindung des blutenden Gefäßes in der Wunde notwendig. Dies ist operationstechnisch meist äußerst schwierig, so daß die Unterbindung der zuführenden Arterie am Orte der Wahl außerhalb des entzündeten Wundgebietes notwendig werden kann. Aneurysmen Die traumatisch entstandenen falschen Aneurysmen sind bereits im Abschnitt der Verletzungen behandelt worden (siehe Seite 485). Die wahren Aneurysmen bestehen in der Ausbuchtung einer Arterienwand und haben als Ursache eine Erkrankung derselben meist auf luetischer oder arteriosklerotischer Grundlage. Vorwiegend betroffen ist die Aorta. Hier ist jede chirurgische Therapie aussichtslos. Behandlung des Grundleidens kann Linderung der Beschwerden, aber kaum eine Änderung oder Besserung des einmal erreichten anatomischen Zustandes bringen. In seltenen Fällen entwickeln sich mehrere Aneurysmen in großen peripheren Arterien, die vielleicht chirurgisch angegangen werden können (Unterbindung, Resektion, Drosselung durch Faszie). Sehr befriedigend sind die Erfolge nicht. Die Entwicklung derartiger Aneurysmen erfolgt sehr langsam. Es bilden sich pulsierende Anschwellungen aus, welche ein schwirrendes Geräusch aufweisen und die periphere Pulswelle verlangsamen. Durch Druck auf Nervenstämme können Parästhesien hervorgerufen werden. Varizen Eine weit verbreitete, typische, sich langsam ausbildende Erkrankung der Venen stellen die Krampfadern (Varizen) dar. Im Grunde genommen kennen wir ihre Ursache nicht. Eine auf verschiedene Art verursachte Blutabflußbehinderung wie Gravidität, Tumoren im Bauchraum, langes ununterbrochenes Stehen und ähnliches ist sicher nicht die Ursache, nur verschlimmernd kann sie wirken, wenn bei dem Menschen angeboren und auch mitunter vererbt eine Schwäche der Venenwand bei konstitutioneller Bindegewebsschwäche vorhanden ist. Gleichzeitiges Vorkommen von Plattfüßen, Hernien, Enteroptose usw. ist häufig. Jugendliche Personen sind nur ausnahmsweise betroffen, mit zunehmendem Alter werden auch die Varizen häufiger. In der Venenwand kommt es langsam zum Schwund der elastischen Fasern und damit zur Ausweitung des Gefäßrohres, eine weitere Folge ist dann die eintretende Schlußunfähigkeit der Venenklappen. Durch sie wiederum wird die auf den einzelnen Gefäßabschnitten lastende Blutsäule vergrößert. Gleichzeitig schlängelt sich die Vene, auch sackartige Ausbuchtungen bilden sich an ver-

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schiedenen Stellen aus. Mitunter sind diese Veränderungen an mehreren Stellen lokalisiert, so daß man einzelne Varizenpakete beobachten kann, häufig jedoch ist die gesamte Vena saphena befallen. Besonders stark sind die Veränderungen an den Teilen, die oberhalb der Unterschenkelfaszie liegen, wenngleich das Befallensein der unter der Faszie liegenden Venenteile wohl keine sichtbaren Varizen hervorruft, aber mit sehr viel stärkeren Beschwerden und auch mit den noch zu besprechenden Kreislaufstörungen verbunden sein kann. Die Erweiterung des Venenlumens und die Schlußunfähigkeit der Klappen führen beim stehenden Menschen noch zu einer praktisch sehr wichtigen Umkehrung des Kreislaufes. Es fließt nämlich in den Varizen mit schlußunfähigen Venenklappen nur im Liegen das Blut zentripetal zum Herzen. Im Stehen fließt das Blut aus der Vena femoralis, ohne daß es seine Kohlensäure abgeben konnte, in die Vena saphena, in ihr abwärts zum Unterschenkel, von dort wieder in die Vena femoralis usw. in einem nicht unterbrochenen Kreislauf. Dadurch bekommt das Gewebe besonders an der Innenseite des Unterschenkels nicht genug Sauerstoff, es erstickt in seinen eigenen Stoffwechselprodukten. Die Schlußunfähigkeit der Venenklappen kann man durch das Trendelenburg sehe Zeichen prüfen. Man streicht bei liegendem Kranken das Blut aus den Varizen aus, komprimiert dann die Vena saphena dicht unter ihrer Mündung in die Femoralis, stellt den Menschen auf und hebt plötzlich die Kompression auf. Besteht eine Schlußunfähigkeit der Venenklappen, dann schießt das Blut deutlich sichtbar von oben in die Vene hinein und füllt sie im Verlaufe einer Sekunde vollkommen an (positives T r e n Abb. 354. d e l e n b u r g s c h e s Zeichen). Bei SchlußfähigVarizen u n d Varikozele links k e j t der Venenklappen füllt sich die Vene langsam von unten her. Die Folge des Sauerstoffmangels ist die Ausbildung von Ödemen, ferner wird die Haut atrophisch, glänzend, verfärbt sich bräunlich und bedeckt sich mit Schuppen. Schließlich zerfällt sie, und es bildet sich ein Ulcus cruris varicosum aus. Dieses verläuft chronisch rezidivierend und kann bei langem Bestehen auch karzinomatös entarten. In den Varizen kommt es häufig zu wiederkehrenden, leicht entzündlichen Thrombosen, welche hartnäckig Entzündungserscheinungen unterhalten können, die zu Gewebsschwellungen, Vernarbung der Lymphspalten mit anschließendem hartem Ödem und Bindegewebswucherungen im Unterhautzellgewebe führen. Dazu treten ziehende und bohrende Schmerzen im Bein, welche ähnlich denen bei Ischias sein, aber durch den Sauerstoffmangel der Gewebe hervorgerufen werden können und krampfartigen Charakter (daher die Bezeichnung „Krampfadern") annehmen.

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Die Behandlung der Varizen müßte eigentlich am besten durch ihre Exstirpation erfolgen. Und tatsächlich h a t auch dieser Eingriff, den man zweckmäßig von mehreren Schnitten ausführt, durchaus seine Berechtigung. Die Unterbindung der Vena saphena oder ihre Resektion auf kurze Strecken f ü h r t wegen der zahlreichen Anastomosen m i t tiefer gelegenen Gefäßgebieten nicht zum Ziele. Will man den Eingriff verkleinern, kann man an zahlreichen Stellen durch Resektion einzelner Venenstücke den perversen Kreislauf unterbrechen. Eine Menge Kranker kann sich zu derartigen Eingriffen nicht entschließen. Dann t r i t t die Behandlung mit komprimierenden Verbänden in ihr Recht. Sie wirkt aber nur symptomatisch und auch nur vorübergehend. Es ist möglich, durch feste Verbände mittels Zinkleim oder Varikosan, bei nicht ekzematös geschädigter H a u t auch Elastoplast, oder besser durch das Tragen von Trikotbinden, Strümpfen aus Gummigeweben oder elastischem Gewebe (z. B. Okkultastrümpfe) eine Kompression und damit zum mindesten eine sehr erhebliche Einschränkung des schädlichen perversen Kreislaufes zu erzielen. Die beste Methode dürfte aber die Injektionsbehandlung der Varizen darstellen. Durch Einspritzen hochkonzentrierter Salz- oder Zuckerlösungen (mehrere Firmen bringen zweckmäßige P r ä p a r a t e in den Handel) erzielt man in den Varizen aseptische Thrombosen, welche den Blutstrom unterbrechen und sehr schnell zu bindegewebiger Schrumpfung und damit zu praktischer Beseitigung des Krampfaderleidens führen. Als Zwischenstadium entsteht eine chemisch bedingte Phlebitis. Die Behandlung soll ambulant durchgeführt werden. Ob man die Injektion in die völlig leere Vene oder in die ganz oder teilweise gefüllte Vene macht, ist von untergeordneter Bedeutung. Paravenöse Injektionen sind auf jeden Fall zu vermeiden, da sie zu sehr lästigen und hartnäckigen Gewebsnekrosen führen. Beim Vorhandensein ausgedehnter Varizen sollte man nacheinander in mehreren Sitzungen die einzelnen Pakete veröden. Die Erfolge dieser Behandlung sind sehr gut. Nicht auszuführen ist sie bei bestehenden infektiösen Thrombosen, bei Herzfehlern, Nephritis, Hypertonie und Gravidität. Die Behandlung des Ulcus cruris varicosum m u ß zunächst einmal das Ulkus selbst zur Heilung bringen, aber darüber hinaus sein Wiederauftreten zu verhüten suchen. Das erste Ziel kann man allein durch streng durchgef ü h r t e Bettruhe in Verbindung m i t antiseptischer Salbenbehandlung des Geschwürsgrundes erreichen. Wenn das Geschwür einen Durchmesser von etwas über 5 cm hat, sollte man, sobald die Granulationen einigermaßen frisch aussehen, eine H a u t t r a n s p l a n t a t i o n nach R e v e r d i n hinzufügen und dabei das Geschwür lückenlos m i t den Hautläppchen bedecken. Der Verband m u ß mindestens 14 Tage liegenbleiben, d a m i t die H a u t fest anheilen kann. Bei sezernierenden Geschwürsflächen ist die B r a u n s c h e P f r o p f u n g auszuführen. Wenn man sich mit dieser Behandlung begnügte, würde nach dem Aufstehen das Geschwür sicher wieder auftreten, da die Ursache, nämlich die lokale Kohlensäureüberladung des Blutes, durch den abnormen Kreislauf im Stehen nicht beseitigt wurde. Infolgedessen müssen unbedingt die bestehenden K r a m p f adern behandelt werden. Man kann dies durch Injektionsbehandlung vor und nach der eigentlichen Ulkusbehandlung und auch durch Operation während der Ulkusbehandlung durchführen. Es gibt aber auch typische Unterschenkelgeschwüre, ohne daß äußerlich sichtbare K r a m p f a d e r n vorhanden sind. Hier müssen wir uns m i t sympto-

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matischen Behandlungsmaßnahmen behelfen, die aber leider nicht immer erfolgreich sind. Trotzt ein Unterschenkelgeschwür jeglicher Behandlung, bekommt es einen harten, wallartigen Rand, muß man unbedingt eine Probeexzision machen, denn es besteht der Verdacht, daß eine karzinomatöse Umwandlung des Geschwürs stattgefunden hat. Wurde der Verdacht durch mikroskopische Gewebsuntersuchung bestätigt, müssen der Unterschenkel amputiert und die Leistenlymphknoten ausgeräumt werden. Gangrän der Gliedmaßen Eine Reihe von Gefäßerkrankungen verschiedenster Art kann zum Absterben von Gliedmaßenteilen führen. Das Symptom, nämlich der entstehende Gewebsbrand, ist allen gemeinsam, die auslösende Ursache ist sehr verschieden. Vorwiegend befallen werden die Zehen, sehr viel seltener die Finger. Der Gewebsbrand zeichnet sich dadurch aus, daß die Haut und das darunterliegende Gewebe schwarz werden. Zwei verschiedene Formen können sich entwickeln. Beim trockenen Brand wird das Gewebe hart, es mumifiziert. Die Abgrenzung gegen das lebende Gewebe pflegt scharf zu sein. Allgemeinreaktionen des Körpers, hervorgerufen durch die Aufsaugung giftiger Eiweißzerfallsprodukte, fehlen oder sind so gering, daß sie klinisch nicht in Erscheinung treten. Sekundäre Infektionen spielen keine Rolle. Der feuchte Brand hingegen zeichnet sich dadurch aus, daß das schwarz gewordene, abgestorbene Gewebe faulig zerfällt, also weich bleibt und Flüssigkeit absondert. Die Ubergänge zum normalen Körpergewebe sind unscharf. Infolgedessen resorbiert der Körper Eiweißzerfallsprodukte, so daß es zu Steigerungen der Körpertemperatur und zu Schädigungen des Kreislaufsystems (kleiner, schneller Puls) kommt. Gleichzeitige bakterielle Infektionen mit ihren Folgen pflegen die Regel zu sein. Aus dieser Schilderung ergibt sich, daß der Arzt mit allen Mitteln die Ausbildung der trockenen Form der Gangrän zu erreichen versuchen muß. Daher sind sterile Verbände oder solche mit austrocknenden Pudern anzuwenden, auf keinen Fall aber Bäder, feuchte Verbände oder ähnliches. Wenn es zum trockenen Brand gekommen ist, soll man abwarten, bis der Körper den abgestorbenen Gliedteil völlig demarkiert hat. Seine vollkommene Entfernung ist dann ein sehr leichter Eingriff. Bei der feuchten Gangrän dagegen muß man frühzeitig amputieren, um die Gefahren der Infektion und Giftresorption auszuschalten. Die Ursachen einer Extremitätengangrän können sehr verschiedenartig sein. Im Alter führt die Arteriosklerose für sich allein oder in Verbindung mit einem Diabetes und einer Thrombose zur Verlegung des Gefäßlumens und damit zum Absterben von Zehen (Gangraena senilis). Es ist dadurch gekennzeichnet, daß es im Anschluß an belanglose Verletzungen bei der Nagelpflege oder beim Hühneraugenschneiden oder ganz geringen Quetschungen auftreten kann. Die Gangrän beginnt an einer Zehe, neigt aber dazu fortzuschreiten. Besonders ist dies nach unzureichenden chirurgischen Eingriffen der Fall. Häufig haben vorher jahrelang typische Erscheinungen bestanden, die man als Gefäßkrämpfe deuten kann und als „intermittierendes Hinken" bezeichnet. Beim Gehen treten Kältegefühl, Parästhesien, heftige krampfartige Schmerzen auf, welche den Menschen veranlassen, zu hinken oder stehenzubleiben, bis die Erscheinungen vorüber sind. Auch bei den noch zu schildernden anderen Gangränformen ist dieses Symptom vorhanden.

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Entwickelt sich ein trockener Brand, kann man lange konservativ behandeln und erst die völlig demarkierten Zehen entfernen. Bei feuchter Gangrän erhebt sich die schwierige Frage, in welcher Höhe amputiert werden muß. Die Entscheidung wird erleichtert durch die Anstellung des M o s k o w i c z schen Versuches. Man legt an dem Bein eine Blutleere an und beobachtet nach Abnehmen derselben, bis zu welcher Stelle das Blut sofort in das Bein einschießt. An der lebhaften Hautröte ist dies erkennbar. Bis dahin ist das Gewebe gut ernährt. Von dort aus schreitet die Hautrötung nur sehr langsam fort. Die beste Amputationsstelle i^^^BHipi ^^ liegt also etwas oberhalb der Linie, bis zu welcher das Blut einschießt. Leider liegt sie sehr häufig am Oberschenkel, und es ist keineswegs leicht, dem Kranken klarzumachen, warum bei der Gangrän einer oder mehrerer Zehen am Oberschenkel amputiert werden müssen. Wenn man sich aber verleiten ™ . Jflr läßt, tiefer zu amputieren, wird man fast stets erleben, daß sich an der Amputationsstelle wieder eine Gangrän ausbildet, so daß wiederum amputiert wer-

den muß, bis man schließlich

Jg^i'. V

evtl. nach mehrfachen Amputationen doch am Oberschenkel anlangt. Abb Ein besonderes Krank- 3 55 - Arteriosklerotische Gangrän heitsbild stellt die spontane jugendliche Gangrän dar, die erstmalig von dem deutschen Chirurgen v. W i n i w a t e r beschrieben worden ist. Es wird behauptet, daß sie bei den russischen und polnischen Juden besonders weit verbreitet sei. Die Ursache der Erkrankung liegt in allergischen Gewebsprozessen. Ubermäßiger Tabakgenuß, besonders das Zigarettenrauchen, scheint zum mindesten bei den zu Angiospasmen neigenden Menschen für den Ausbruch der Erkrankung verantwortlich zu sein. Lues scheint keine Rolle zu spielen. Es kommt zu einer Endangiitis obliterans, welche für sich allein oder in Verbindung mit einer sekundären Thrombose zum Gefäßverschluß führt. Die Krankheitserscheinungen, die sich über viele Jahre hinziehen und langsam, aber kontinuierlich an Intensität zunehmen, bestehen in Kältegefühl, Kribbeln, dem schon beschriebenen intermittierenden Hinken, Blaßwerden von einzelnen Zehen und starken krampfartigen Schmerzen. Sie können unerträglich werden. Das Auftreten einer Gangrän stellt erst das letzte Stadium des Krankheitsbildes dar.

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Chirurgie der

Gliedmaßen

Genaue Tastuntersuchung der Arterien in verschiedenen Höhen sowie graphische Darstellung der Arterienpulsationen mittels des Oszillogramms sind notwendig (Abb. 355a). Die Erkrankung befällt vorwiegend die Gefäße der unteren Extremitäten bis zum Becken („Beckentyp" nach R a t s c h o w ) , kann aber auch in anderen Gefäßgebieten (z. B. Gehirn) sich etablieren. Die Behandlung kann zunächst in physikalischen Mitteln wie Wechselbädern, Diathermie und ähnlichem bestehen. Auch durch eine Kombination von Blutleere und Stauung, die nach einem Schema in immer längeren Zeiträumen durchgeführt werden, sind Erfolge zu erzielen. Daneben sind zahlreiche chemische Mittel, z. B. Jod in kleinen Dosen, Eupaverin, Acetylcholin und andere rechts:

Oberschenkel

inks:

Unterschenkel

Fußgelenk

mumm

WJÜ Abb. 355a r e c h t s : O s z i l l o g r a m m bei h o c h g r a d i g e r E n d a n g i i t i s links: Normales

obliterans

Oszillogramm

gefäßerweiternde Mittel empfohlen worden. Auch die chirurgische Behandlung des Leidens, selbst wenn es noch nicht zur Gangrän geführt hat, ist versucht worden. Zunächst hat man nach dem Vorschlag von L e r i c h e die periarterielle Sympathektomie ausgeführt, d. h. man hat an der operativ freigelegten Arteria femoralis oder brachialis das Sympathikusgeflecht der Adventitia auf eine Strecke von mehreren Zentimetern sorgfältig entfernt. Der Eingriff bewirkt eine starke Erweiterung der Gefäße peripher der Operationsstelle und damit eine Hyperämie. Leider pflegt die Wirkung nach mehreren Monaten nachzulassen, so daß es zum Rezidiv kommt. Vorübergehende Besserungen kann man aber sicher erzielen. Die besten Heilungsaussichten bietet die Exstirpation der sympathischen Ganglien, und zwar für den Arm am Hals des Ganglien cervicale caudale und hinter der Bauchhöhle neben der Lendenwirbelsäule für das Bein des Lumbaiganglien I—IV. Mitunter genügt auch die Durchtrennung der Rami communirantes. Die Leute, denen man diesen Eingriff vorschlägt, sind fast stets mit seiner Durchführung einverstanden, da die bei der Erkrankung vorhandenen anfallsweisen Schmerzen unerträglich sind und schon so manchen Kranken zum Suizid getrieben haben. Durch die Raynaud sehe Erkrankung, deren Wesen unbekannt ist, kommt es ebenfalls zu ähnlichen Erscheinungen, wie sie vorstehend beschrieben sind. Vorwiegend werden die Finger, seltener die Zehen befallen. Charakteristisch ist das Aussehen der weißen wachsartigen Finger im Vergleich zu der normal geröteten Hand. Zur Erkrankung neigen nervöse anämische Menschen.

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Erkrankungen der Weichteile der Gliedmaßen

Auch längere Darreichung von Gynergen (beispielsweise bei der Basedowbehandlung) oder der Genuß von Ergotin (Mutterkorn), das im Mehl Osteuropas vorhanden sein kann oder das auch zum Zwecke der Abtreibung genommen wird, führt zu spontaner Gangrän oder ihren Vorstadien. Die Therapie deckt sich mit der der spontanen jugendlichen Gangrän. Die weitere Ursache für eine Gangrän ist die embolische Verstopfung einer Arterie beim Abreißen endokarditischer Thromben des linken Herzens oder bei offenem Foramen ovale und einer Thrombose irgendwo im Körper. Während die bisher besprochenen Gangränformen sich langsam aus einem jahrelang bestehenden Prodromalstadium entwickeln, handelt es sich hierbei um einen ganz anderen Verlauf. Schlagartig, so daß die Kranken den Zeitpunkt auf die Sekunde angeben können, setzt ein sehr heftiger Schmerz in der Extremität ein. Er wird gefolgt von einer Pulslosigkeit des peripher gelegenen Arterienabschnittes und Anämie, die dann in ein Ödem und leichte Zyanose übergeht. Ein Embolus ist irgendwo in der Arterie, häufig an Teilungsstellen, stecken geblieben. Mitunter können sich die Erscheinungen im Laufe von 2—3 Stunden dadurch zurückbilden, daß der Gefäßkrampf um den Embolus sich löst und die Blutbahn wenigstens teilweise wieder freigegeben wird, oder dadurch, daß der Kollateralkreislauf vermehrt in Anspruch genommen wird. Durch Injektion von Eupaverin (1 Ampulle intravenös und eine zweite intramuskulär) kann man die Lösung des Gefäßkrampfes beschleunigen. Geht aber im Verlauf von 3—4 Stunden die Blutlosigkeit des Gliedes nicht zurück, kann nur die operative Entfernung des Embolus aus dem Gefäßrohr zur Heilung führen. Wird der Eingriff nach 10—12 Stunden ausgeführt, dann sind die Aussichten auf einen günstigen Ausgang in bezug auf Erhaltung der Extremität sehr schlecht. Die Anämie hat zu lange gedauert, so daß der Gewebstod schon eingetreten ist. Schließlich sei noch erwähnt, daß Injektionen von Arzneimitteln, welche versehentlich von Unkundigen in die Nähe großer Gefäße gemacht oder welche statt in die Vene neben dieselbe ausgeführt wurden, Anlaß zu Gangränen und dann auch stets zu sehr unerfreulichen Schadenersatzansprüchen an den Arzt geben können. Erkrankungen der Lymphgefäße und Lymphknoten Uberall im menschlichen Gewebe findet sich ein dichtes Netz von Lymphspalten, welches sich an zahlreichen Stellen zu größeren Lymphgefäßen teilweise mit einer Wand aus Endothel und auch Klappen vereinigt. Durch das Lymphsystem können korpuskuläre Körper, Geschwulstzellen, Bakterien, Leukozyten, Toxine usw. durch den Körper transportiert werden. Sie werden abgefangen in den gleich Filtern in die Bahn eingeschalteten Lymphknoten. Die akute Entzündung der Lymphgefäße (Lymphangitis) ist eine häufige und praktisch wichtige Erkrankung. Beim oberflächlichen Sitz, z. B. an der Beugeseite des Armes, treten die in ihrer Wand entzündeten Lymphgefäße als deutliche rote, schmerzhafte Stränge hervor. Noch ehe dieses Symptom nachweisbar ist, pflegt ein Schüttelfrost das Eindringen der Infektionserreger über den primären Ansiedlungsort hinaus in den Gesamtkörper anzuzeigen. Auch die regionären Lymphknoten schwellen an. In schweren Fällen geht von den entzündeten Lymphgefäßen eine Phlegmone des umgebenden Gewebes aus, die sich, wenn sie zum Stehen gebracht wird, in ein umschriebenes Infiltrat umwandelt, was sich mitunter nur langsam zurückbildet, aber auch zur Abszedierung R o s t o c k , Lehrbuch der speziellen Chirurgie. 3. Aufl.

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führen kann. Die Behandlung der Lymphangitis erfolgt durch Ruhigstellung auf Schiene, feuchte Verbände und vor allen Dingen sachgemäße Versorgung der primären Infektionsquelle (also z. B. Spaltung eines Panaritiums oder einer Phlegmone, Eröffnung einer vernähten infizierten Wunde, Behandlung eines intertriginösen Ekzems). Nach 1—2 Tagen pflegt dann meist die Lymphangitis behoben zu sein. Es gibt aber auch eine chronische Lymphangitis, welche sich besonders nach häufigen rezidivierenden Lymphgefäßentzündungen entwickeln kann, auch das chronische Erysipel wird oft als Ursache angetroffen. Es kommt zu einer Wucherung des Bindegewebes mit dadurch bedingter Verlagerung der

Abb. 356. A k u t e L y m p h a n g i t i s am Arm

Lymphbahnen. Dies führt zunächst zur Lymphstauung und dann weiterhin infolge Organisation der Lymphansammlung durch Bindegewebe zu einer erheblichen Vermehrung desselben, so daß die Gliedmaßen sehr stark anschwellen und ein hartes teigiges Ödem aufweisen. Man spricht dann von einer Elephantiasis. Die Schwellung des Unterhautzellgewebes kann so hochgradig werden, daß von tiefen Furchen getrennte Lappen sich bilden. Chronische Entzündungen der Haut, intertriginöse Ekzeme, Dekubitalgeschwüre können das Krankheitsbild komplizieren. Sonderformen der Elephantiasis werden durch Karzinomrezidive in operativ ausgeräumten Achselhöhlen (bei Mammakarzinom) erzeugt. Nicht die Ausräumung der Lymphknoten und Lymphbahnen an sich, sondern die Verstopfung des Lymphstromes durch das Krebsgewebe ist die Ursache der Lymphstauung. In den Tropen ist die Elephantiasis besonders häufig und vermag monströse Grade anzunehmen und neben den Extremitäten auch die Mamma sowie Penis und Skrotum zu befallen. Die Ursache liegt meist in dem Eindringen von Parasiten in das Lymphsystem. Die Behandlung der Elephantiasis kann sich in leichten Fällen auf Bäder, Massage, Wickeln der Beine mit elastischen Binden, Tragen von Gummistrümpfen und dgl. beschränken. In schweren Fällen sollte man mehrere lange Seidenfäden, welche von den vergrößerten Extremitäten bis in das subkutane Gewebe des Rumpfes reichen, einheilen lassen. Durch kapillare Drainage und Neubildung von Lymphgefäßen entlang den Seidenfäden wird wenigstens ein

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Erkrankungen der Weichteile der Gliedmaßen

Teil des Lymphstromes wiederhergestellt. Auch große, bis über die Faszie hinaus reichende Exzisionen von H a u t und Unterhautzellgewebe sind ausgeführt worden. Nicht immer ist der Erfolg dieser Eingriffe befriedigend. Aber dennoch sollten sie stets versucht werden, um den sehr störenden Zustand zu beseitigen. Die akute Lymphknotenenlzündung (Lymphadenitis) entsteht dadurch, daß die in die Lymphgefäße gelangten Bakterien in den Lymphknoten abgefiltert und zurückbehalten werden. So kommt es zu schmerzhaften Schwellungen mit seröser Durchtränkung der Lymphknoten an den typischen Stellen wie Ellenbeuge,Achselhöhle, subpektoral oder in der Leistenbeuge. Die Entzündung kann auf die Nachbarschaft des Lymphknotens übergreifen und hier zu Phlegmonen führen. Auch Abszedierungen sind häufig. Gleichzeitig steigt die Körpertemperatur an, die Menschen fühlen sich matt und krank, der Appetit läßt nach. Die Behandlung muß sich nach dem Grad der Entzündung richten. Auf jeden Fall ist die Ruhigstellung des betroffenen Körperabschnitts, also meist strenge Bettruhe, notwendig. Bei leichten Formen, wenn sich die Entzündung auf die Lymphknoten selbst beschränkt, kann man unter feuchten Verbänden abwarten, ob sie von selbst zurückgeht oder ob sich ein Abszeß bildet, der durch eine kleine Inzision eröffnet werden muß. Wenn aber eine Phlegmone des umgebenden Gewebes sich entwickelt, so soll sie frühzeitig gespalten und der primäre Eiterungsherd sicher eröffnet werden. Bei chronischen Lymphknotenentzündungen, die sich durch ihr langes Bestehenbleiben bei gleichzeitig vorhandener leichter Knotenschwellung und nur geringer Schmerzhaftigkeit auszeichnen, hat sich mir das Auftragen der bekannten grauen Quecksilbersalbe in dicker Schicht für mehrere Tage sehr bewährt. Erkrankungen der Nerven Neuralgien; Ischias Mit diesem Sammelnamen belegt man Schmerzzustände, welche die allerverschiedensten Ursachen haben können. Ihre richtige Ermittlung verlangt großes ärztliches Können. Sie ist aber unerläßlich zur Einleitung der richtigen Therapie. Wenn man nur das Symptom an sich behandelt, dann kann höchstens ein Glückszufall es mit sich bringen, daß die richtige Heilweise gewählt wurde. Als Ursachen der Neuralgien am Arm seien angeführt der Druck von Halsrippen, Tumoren (meist maligner Natur), deforme Verheilung von Frakturen der Wirbelkörper, manchmal spondylarthrotische Randwülste, Neuritiden rheumatischer und syphilitischer Natur. Dagegen sind die Beschäftigungskrämpfe bei Schreibern, Klavierspielern, Schustern, Melkern usw. nicht auf eine Erkrankung der Nervenstämme, sondern auf eine Uberanstrengung der Muskelsubstanz selbst, auf die Reizung der Muskelansatzstellen am Periost (z. B. Arbeiten mit Preßluftwerkzeugen) oder des Gleitapparates der Sehnen zurückzuführen. Auch eine psychische Komponente, nämlich die Einbildung des körperlichen Versagens oder die Furcht vor demselben, kann eine Rolle spielen, selbst wenn Rentenbegehrungsvorstellungen nicht in Frage kommen. Lähmungen der Armnerven sind in letzter Zeit im Gefolge von Seruminjektionen beobachtet worden (Plexusneuritis). Am Medianus kennen wir eine aufstei38»

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Chirurgie der G l i e d m a ß e n

gende Neuritis nach septischen Erkrankungen, am Nervus radialis pflegt sich die Bleineuritis zu lokalisieren. Die einwandfreie Diagnose und die Behandlung derartiger Leiden gehören weniger in das Aufgabengebiet des Chirurgen als in das des Neurologen. Bei den Neuralgien am Bein sind außer den bereits im vorhergehenden Abschnitt genannten Ursachen noch vasomotorische Störungen (intermittierendes Hinken), Druck auf Nervenstämme bei Formveränderungen der Wirbelsäule (z. B. Wirbelgleiten), Druck einer Hernia obturatoria oder eines tuberkulösen Senkungsabszesses, die lanzinierenden Schmerzen bei Tabes, Reizerscheinungen bei vorhandener Koxitis, Schmerzen bei Plattfuß anzuführen. Die Ischias (Neuralgia ischiadica) ist die praktisch wichtigste und häufigste Neuralgie am Bein. Auch der Chirurg hat sowohl in diagnostischer als auch in therapeutischer Hinsicht mit ihr zu tun. Die klinischen Erscheinungen bestehen in Schmerzen wechselnden Charakters im Ausbreitungsgebiet des Nerven, verbunden mit einer erheblichen Druckempfindlichkeit des Nervenstammes. Das Rumpfvorwärtsbeugen bei gestrecktem Bein ( K e r n i g sches Zeichen) und das Strecken des Knies bei gebeugter Hüfte ( L a s e g u e s c h e s Zeichen) sind sehr schmerzhaft und infolgedessen nicht ausführbar. Der Gang ist hinkend. Eine Muskelatrophie ist häufig vorhanden. Der Achillessehnenreflex fehlt. Als Ursachen, besonders der Ischias, kommen außer den schon genannten in Frage infektiöse Prozesse auch fern vom Nerven wie chronische Eiterungsprozesse an den Zahnwurzeln, den Nasennebenhöhlen, den Tonsillen, rheumatische Erkrankungen oder chronische Vergiftungen, z. B. durch Blei, Quecksilber oder Alkohol, und dann Stauungen im Bereich des Beckens und besonders der Venen in der Umgebung des Nerven. Unter Voranstellung klinischer Gesichtspunkte kann man daher die nachstehenden drei Formen der Ischias unterscheiden. Die Stauungsischias hat ihren Ursprung in stark gefüllten Varizen des Beckeninneren und der Umgebung des Nerven. Durch alle möglichen Tumoren des Beckens, durch chronische Obstipation, durch abnorm langes Stehen wird sie hervorgerufen. Die Erscheinungen bestehen in dumpfen, ziehenden, in ihrer Intensität wechselnden Schmerzen am Bein, die nur beim Stehen vorhanden sind und im Liegen sofort verschwinden. Der Nervenstamm ist nicht druckempfindlich. Die rheumatische Ischias beginnt oft ganz plötzlich mit einem Hexenschuß, also einem schmerzhaften Kontraktionszustand in der Muskulatur und greift sekundär auf den Nerven über. Ursachen sind der Aufenthalt im Feuchten, das Sitzen auf kalten Flächen, lokale Abkühlungen an umschriebener Körperstelle. Der Nervenstamm ist sowohl am Foramen ischiadicum als auch in der Kniekehle und unterhalb des Wadenbeinköpfchens sehr stark druckempfindlich. Der Gang ist hinkend, jede Bewegung des Beines schmerzhaft. Muskelatrophien pflegen auch nach längerer Dauer des Leidens sich nicht zu entwickeln. Die Wurzelischias (Neuralgia ischiadica) im eigentlichen Sinne kann aus der Erkältungsischias hervorgehen, aber auch andere Ursachen haben. Sie stellt die schwerste Form des Leidens dar. Die Schmerzen treten akut und äußerst heftig auf. Schnell entwickelt sich eine erhebliche Muskelatrophie, der Achillessehnenreflex verschwindet. Sensibilitätsstörungen können sich einstellen. Vergl.

E r k r a n k u n g e n der W e i c h t e i l e der G l i e d m a ß e n

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auch Diskusprolaps. Bei doppelseitiger Ischias liegt als Ursache oft ein Tumor im Becken vor. Bei der Behandlung der Ischias ist die richtige Ermittlung der Ursachc von ausschlaggebender Bedeutung. Nicht immer wird dies nach einmaliger oder mehrmaliger noch so gründlicher Untersuchung möglich sein. Auch die Reaktion auf eine eingeschlagene Therapie kann zur Diagnose verwertet werden. Bei der Stauungsischias sind die Regelung der Diät (Beseitigung der Obstipation) sowie eine zweckentsprechende Körpergymnastik ratsam und führt dann zum Verschwinden der Beschwerden, wenn die Blutstauung im Becken beseitigt wurde. Bei der rheumatischen Ischias sind zunächst Bettruhe und Medikamente mit Salizyl und Chinin sowie Vitamin B angezeigt, weiterhin örtliche Wärmeeinwirkungen (Heißluftbäder, Heizkissen, Fangopakkungen), dann Diathermie und Kurzwellendurchflutungen, heiße Vollbäder, russisch-römische Bäder, Dampfstrahlduschen und ähnliches. Und schließlich sind Badekuren in Schlammbädern, Radiumbädern und Thermalquellen erfolgreich. Die Heilerfolge sind bei der Anwendung der genannten Mittel bei diesen beiden Ischiasformen durchaus gut. Anders ist es leider mit der Behandlung der veralteten Fälle von Wurzelischias. Auch bei ihnen wird man zunächst die geschilderten Therapiearten in Anwendung bringen. Sie müssen aber intensiver und über längere Zeit hinaus fortgesetzt werden. In hartnäckigen Fällen kann man den Nerven und seine Umgebung durch Injektion von 100—200 ccm Normosallösung mit Zusatz von Novokain (0,2 g auf 100 ccm) aufschwemmen. Dieses muß etwa 2 — 3mal mit je 10 Tagen Zwischenraum wiederholt werden. Auch die in Narkose auszuführende Dehnung des Nerven (mehrmalige maximale Erhebung des gestreckten Beines) führt mitunter zu überraschenden Besserungen und Heilungen. Die neuropathischen Geschwüre können sich im Gefolge zahlreicher Nervenerkrankungen entwickeln. Vorwiegend betreffen sie die untere Extremität. Sie entstehen auf trophoneurotischer Grundlage durch die Ausschaltung der trophischen Nerveneinflüsse und die dadurch bedingten vasomotorischen Störungen und Herabsetzung der Widerstandsfähigkeit der Gewebe. Auch die Herabsetzung oder der völlige Schwund der Sensibilität spielt eine Rolle. Dazu kommen äußere Einflüsse wie chronischer Druck, z. B. beim Stehen oder Liegen. Als auslösende Ursachen seien genannt: Nervenverletzungen, Tabes, Syringomyelie, Neuritiden und Myelitiden, neuritische Form der Lepra, Spina bifida u. a. m. Die Geschwüre haben meist kreisrunde Form, wie mit dem Locheisen gestanzt, seltener eine unregelmäßige Begrenzung. Die umgebende Haut pflegt verdickt und schwielig zu sein und den Geschwürsgrund zu überragen. Er selbst weist schlaffe und schmierige Granulationen auf. Die Geschwüre reichen oft bis auf den Knochen und können in ihm zu Sequestrierungen führen. Die Beschwerden sind nicht sehr hochgradig, da meist eine Gefühllosigkeit dieser Gegend besteht. Nur wenn die Entzündung in Form einer Phlegmone auf die Nachbarschaft übergreift, kann es zu stärkeren klinischen Erscheinungen kommen. Vorwiegend sitzen die Geschwüre an der Fußsohle über dem Mittelfußköpfchen (meist 1 oder 5), an der Unterfläche des Fersenbeines, an der Spitze der Großzehe, an der Greiffläche der Hand und am Zeigefinger.

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Die Behandlung ist eigentlich nur dann aussichtsreich, wenn man die Ursache sicher und dauerhaft beseitigen kann. Leider ist dies aber nur selten möglich. So muß man sich dann mit einer symptomatischen Behandlung begnügen. Durch Bäder, Abtragen des Hornhautrandes, Behandlung mit Bettruhe (Ausschaltung des Druckes), Puder und Salben vermag man mitunter ein Geschwür zur Ausheilung zu bringen. Leider sind Rezidive sehr häufig. Auch die Exzision des Geschwürs und der plastische Ersatz der H a u t sind versucht worden. Nervendehnung und die periarterielle Sympathektomie können wirksam sein. Leider bleibt häufig nur die Amputation des betreffenden Gliedabschnittes übrig. Der Wundstarrkrampf sei an dieser Stelle kurz abgehandelt, da er auf dem Wege über das Nervensystem seine Toxine in den Körper verbreitet. Die Erreger des Wundstarrkrampfes befinden sich im Straßenschmutz, in der Erde, besonders des Acker- und Gartenlandes, aber auch des Waldbodens, man kann sagen, daß sie praktisch allgegenwärtig sind. Infolgedessen gelangen sie auch in fast alle Gelegenheitswunden, brauchen aber nicht die Erkrankung selbst herbeizuführen. Unter Kriegsverhältnissen geschieht dies häufiger als in Friedenszeiten. Begünstigt wird die Entwicklung des Wundstarrkrampfes durch tiefe, buchtenreiche Wunden mit Fremdkörpern und zerquetschtem nekrotischem Gewebe und dann, wenn die in die Wunde gelangten Erreger unter Sauerstoffabschluß auskeimen können. Die Prophylaxe spielt beim Wundstarrkrampf eine besonders große Rolle. Am wirksamsten ist die kunstgerechte Wundversorgung, d. h. die restlose Exstirpation der Wunde innerhalb der 8-Stunden-Grenze, wenn sie nach der Lage der Wunde ausführbar ist, oder, wenn dies nicht möglich ist, eine weitgehende Wundtoilette mit Entfernung aller Fremdkörper und des nekrotischen Gewebes sowie sicherer Eröffnung und Drainage aller Wundbuchten. Alle Menschen mit Wunden, welche nicht restlos exzidiert werden konnten und in denen die Bedingungen zum Auskeimen des Tetanus gegeben sind, sollten noch am Tage der Verletzung mit der Injektion der Schutzdosis von Tetanusantitoxinserum behandelt werden. Seine Wirksamkeit ist fast absolut, seine Schädigungen (Serumkrankheit, Anaphylaxie, Plexusneuritis) sind harmlos und selten. Die unbegründete Unterlassung dieser Behandlung stellt einen Kunstfehler dar. Die aktive Immunisierung gegen Tetanus h a t leider immer noch nicht die Bedeutung erlangt, welche ihr zukommt. Der klinische Verlauf des Tetanus geht so vor sich, daß die Erreger in der Wunde verbleiben und ihre Toxine entlang der Nerven zum Zentralnervensystem gelangen. Bei einer Inkubationszeit von 1 Tag bis 8 Wochen bilden sich dann mehr oder weniger stürmische Krankheitserscheinungen aus. J e früher der Wundstarrkrampf auftritt, um so geringer sind die Aussichten, daß der Mensch die Erkrankung übersteht. Zunächst entwickelt sich eine Starre und Kontraktion der Muskeln der Wundumgebung. Dann greift dieser Zustand auf die Gesichtsmuskulatur und die Kaumuskulatur über. Der Erfolg sind ein lächelnder, maskenhafter, krampfhafter, ängstlicher Gesichtsausdruck (Risus sardonicus), den man mit dem Gesicht eines Menschen vergleichen kann, der unvermutet in eine Zitrone gebissen hat, und eine starke, nicht zu überwindende Kiefersperre.

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Weiterhin entwickelt sich eine Starre der Nackenmuskulatur und der Rumpfmuskulatur, an die sich schmerzhafte, tonische Zuckungen der gesamten Körpermuskeln anschließen, welche durch leichteste Reize (Licht im Krankenzimmer, leichte Erschütterungen des Bettes, Versuch der Nahrungsaufnahme und anderes) ausgelöst werden. Fieber bis über 40° kann bestehen, kann in leichteren Fällen aber auch fehlen. Schließlich greift die Muskelstarre auch auf die Atemmuskulatur über, so daß die Kranken sozusagen ersticken. Wer jemals eine Erkrankung an Wundstarrkrampf erlebt hat, wird das furchtbare Krankheitsbild nie vergessen. Es gibt aber auch leichter verlaufende Fälle, welche auf einige Körperabschnitte, beispielsweise den Kopf oder eine Extremität, beschränkt bleiben können. Während des Starrkrampfes kann es zu Wirbelkörperfrakturen kommen. D i e Behandlung

des

ausgebrochenen

Tetanus hat weit weniger Erfolgsaussichten als die rechtzeitig durchgeführte Prophylaxe. Wir werden bei der Behandlung versuchen, das im Körper vorhandene Tetanustoxin durch mehrfach wiederholte Injektion großer Mengen hochwertigen Heilserums (intramuskulär oder intravenös) zu binden. Daneben ist durch die Exstirpation der Wunde, auch wenn sie nur mit verstümmelnder Operation möglich ist, der Produktionsort des Toxins aus dem Körper zu entfernen. Eine weitere ätiologische Therapie ist nicht möglich. Neben rein krankenpflegerischen Maßnahmen (Absonderung der Kranken in verdunkeltem Zimmer, Fernhalten jeden Reizes, Einlage eines Holzkeils zwischen die Zähne, um die Ernährung am besten durch Magendauersonde zu ermöglichen) soll man die Krämpfe an sich rein symptomatisch behandeln. Man kann dies durch subkutane Injektion von 50 ccm einer 20%igen Magnesiumsulfatlösung 1—2mal täglich oder durch eine unter Umständen über mehrere Tage fortgesetzte Dauernarkose am besten mit Avertin bzw. potenzierte Narkose erreichen. Leider stirbt trotz aller Behandlung der größte Teil der Tetanuskranken. Menschen, welche den Wundstarrkrampf überstanden haben, sind äußerst geschwächt und bedürfen für viele Monate sorgfältigster Pflege. Erkrankungen der Muskeln, Sehnen, Faszien und Schleimbeutel Myositis purulenta In das Muskelgewebe gelangen Eitererreger in der Regel von Entzündungsherden in der Nachbarschaft, seltener auf metastatischem Wege. Meist ist auch nicht die eigentliche Muskelsubstanz, sondern sehr viel häufiger das interstitielle Gewebe befallen. Die klinischen Erscheinungen bestehen neben den allgemeinen Entzündungszeichen in einer schmerzhaften Schwellung und in einer je nach Sitz der Erkrankung verschiedenen Kontraktursteilung der be-

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Chirurgie der

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nachbarten Gelenke. Die Behandlung deckt sich mit der einer Weichteilphlegmone: man wird also vorhandene Abszesse oder Phlegmonen spalten. Es kann zu erheblicher Nekrose des Muskelgewebes kommen, an deren Stelle sich dann eine schrumpfende Narbe bildet, welche zu Kontraktursteilungen führt. Schon wegen der Gefahr der Muskelnekrose sollte man den Eiterherd nicht zu spät eröffnen. Nur mehr chronisch verlaufende Entzündungen, welche über das Stadium der Infiltration nicht hinausgehen, dürfen konservativ mit hyperämisierenden Mitteln behandelt werden. Die gefährliche Gasphlegmone, welche besonders in der bösartigen Form ihren Sitz in der Muskulatur hat, wurde bereits auf S. 577 besprochen. Muskeltuberkulose Sie stellt fast immer eine sekundäre Ansiedlung, ausgehend von Knochenund Gelenktuberkulosen, tuberkulösen Fisteln, Senkungsabszessen und dergl., dar. Das Muskelgewebe kann dabei chronisch entzündet werden, verknöchern und einschmelzen. Die Behandlung gleicht der des Primärherdes. Die seltene primäre Muskeltuberkulose führt zu einem zunächst kleinen Knoten in der Muskulatur, welcher leicht mit einem Gumma verwechselt wird. Von hier aus kann sich der Entzündungsprozeß in die Nachbarschaft ausbreiten, zu Verkäsungen, Einschmelzungen und Fisteldurchbrüchen führen. Bei frühzeitiger Diagnose ist eine Exstirpation des Knotens ratsam, in späteren Stadien die sonst übliche Allgemeinbehandlung. Lues der Muskeln Im Tertiärstadium der Erkrankung entwickeln sich Gummaknoten in den Muskeln als anfangs derbe, später weicher werdende Knoten von Haselnußgröße und darüber. Bevorzugt sind der Sternokleidomastoideus, die Wadenmuskulatur, der Masseter und die Zunge. Die schmerzlos entstehenden Knoten erweichen oder verkäsen und können in diesem Stadium auch abszedieren. Genaue Allgemeinuntersuchung und die W a s s e r m a n n sehe Reaktion klären die Diagnose. Seltener ist eine diffuse Myositis luetica, welche sich in einer fibrösen Infiltration des Muskelbindegewebes äußert. Das Leiden verursacht Schmerzen bei der Bewegung, in der Ruhe verschwinden sie. Die Gleitfähigkeit der Muskelbündel gegeneinander und damit die Bewegungsmöglichkeit der Gelenke vermindern sich. Der Lieblingssitz ist die Muskulatur der Waden und Oberarme. Die zweckmäßige Therapie beider Erscheinungsformen ist eine Allgemeinbehandlung der Grundkrankheit. Myositis ossificans progressiva Die Ursache des bald nach der Geburt oder in früher Jugend einsetzenden Leidens, welches häufiger Jünglinge als Mädchen befällt, ist unbekannt. In den intramuskulären Gewebsspalten wuchert ein zellreiches Keimgewebe, das die Muskelsubstanz verdrängt, zum Schwund bringt und sich in straffes Bindegewebe und Knochen umwandelt. Beginnend an der Rücken- und Nackenmuskulatur schreitet das Leiden schubweise unter fieberhaften Anfällen unaufhaltsam fort. Nach anfänglicher Schmerzhaftigkeit schwellen die betroffenen Muskelteile an und verknöchern langsam. Nach und nach kann fast die gesamte Muskulatur mit Ausnahme von Kehlkopf, Zunge, Zwerchfell, Herz und Sphinkter-

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muskeln befallen werden. In schweren Fällen spricht man mit Recht von „versteinerten Menschen". Allgemeiner Marasmus oder Pneumonien führen zum Tode der bewegungsunfähig gewordenen, bedauernswerten Menschen. Eine wirkungsvolle Behandlung ist unbekannt. Akute eitrige Schleimbeutelentzündung Die Entzündungen entstehen meist durch das direkte Eindringen der Erreger bei Verletzungen oder fortgeleitet von Entzündungsherden aus der Nachbarschaft oder seltener hämatogen metastatisch. Die Entzündungsformen können verschieden sein von den akutesten, welche zur Ausbildung eines Empyems im Schleimbeutel führen, bis zu milder verlaufenden Formen, die alle Ubergänge zu chronischen Entzündungen serösen oder fibrösen Charakters aufweisen. Bei den akuten Formen kommt es schnell zu einer schmerzhaften Auftreibung des befallenen Schleimbeutels, verbunden mit Rötung und Schwellung der umgebenden Weichteile, besonders der Haut, Bewegungsstörungen der betroffenen Körperabschnitte, geringer Kontraktursteilung der Gelenke sowie Phlegmone der umgebenden Gewebe mit Fieber und Allgemeinstörungen. Die Behandlung der akuten Formen wird in einer Inzision des entzündeten Schleimbeutels unter Auswahl einer nach der Körpergegend verschiedenen zweckmäßigen Schnittführung bestehen. Nur bei milden Infektionen kann man gelegentlich mit Ruhigstellung und mehrfachen Punktionen auskommen. In letzter Zeit sind gute Erfolge mit Injektionen von Hydrocortison in die erkrankte Bursa erzielt worden. Auf diese Weise kann in geeigneten Fällen ein operativer Eingriff vermieden werden. Am häufigsten finden wir die akute eitrige Schleimbeutelentzündung in Form der Bursitis praepatellaris und der Bursitis olecrani. Aber auch alle anderen Schleimbeutel, welche am Schluß des nächsten Abschnittes aufgeführt werden, können sich akut entzünden und vereitern. Chronische Schleimbeutelentzündung Sie tritt uns sowohl in der serösen als auch in der fibrinösen Form und außerdem in allen nur denkbaren Kombinationen entgegen, wobei man berücksichtigen muß, daß auch die einzelnen Erscheinungsarten nacheinander und abwechselnd vorhanden sein können. Ursache sind einmalige Traumen, welche zu Blutungen in den Schleimbeutel oder seine Umgebung führen, ferner chronische kleine Traumen mechanischer Art und auch leichte Infektionen. Zunächst pflegt es meist zur Ansammlung einer serösen Flüssigkeit in dem Schleimbeutel zu kommen, welcher dadurch an Volumen zunimmt, ohne daß Wandverdickungen einzutreten brauchen. Durch Ausfall von Fibrin und Organisation der so entstandenen Gerinnsel entwickeln sich einmal Wandverdickungen und bandartige Verbindungen von einzelnen Kapselteilen durch das Lumen hindurch, so daß das Innere eines solchen Schleimbeutels wie ein Irrgarten mit vielen Säulen und Nischen aussieht. Auch Verkalkungen des Schleimbeutels und seiner Wand kommen vor. In der Umgebung des Schultergelenkes ist dies besonders häufig (vgl. Abb. 358). Das klinische Bild der chronischen Schleimbeutelentzündung wird also dementsprechend wechselnd sein. Bei der serösen Form tritt eine prall elastische, stets mehr oder weniger deutlich fluktuierende Schwellung des Schleimbeutels in Erscheinung. Gleichzeitig besteht ein Spannungsgefühl. Je mehr der fibröse

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Charakter des Leidens überwiegt, desto deutlicher fühlen wir eine Verdickung der Wand des Schleimbeutels, welcher ja an und für sich in normalern Zustande überhaupt nicht tastbar ist, oder man fühlt die in ihm ausgebildeten, unregelmäßig geformten Bindegewebsstränge, welche mitunter recht druckschmerzhaft sein können und dementsprechend Beschwerden machen. Die Behandlung der chronischen Schleimbeutelentzündung besteht am schnellsten oder sichersten in der Exstirpation der zu seröser oder fibrinöser Exsudation neigenden Schleimbeutelwand. An allen oberflächlich gelegenen Schleimbeuteln sollte man diesen Weg wählen. Durch konservative, antiphlogistische Maßnahmen kann man wohl einen einmalig vorhandenen, meist

A b b . 358. Bursitis c a l c a r e a am S c h u l t e r g e l e n k

auf Infekt beruhenden akuten Reizzustand günstig beeinflussen, wird der Zustand aber chronisch, führt diese Behandlungsart wohl zu Besserungen, aber nicht zu dauernden Heilungen. In letzter Zeit ist der Verödung der Schleimbeutel durch chemisch differente Mittel wie Jodtinktur, Clauden und viele andere das Wort geredet worden. Handelt es sich um vorwiegend seröse Entzündungen, dann kann dieser Weg beschritten werden und führt auch häufig zu guten Ergebnissen. Sind aber harte fibröse Stränge im Schleimbeutel vorhanden, sollte man die Verödungsbehandlung unterlassen, weil häufig die unregelmäßig geformten Bindegewebsstränge auch in verödeten Schleimbeuteln druckschmerzhaft bleiben und erhebliche Beschwerden verursachen können. Der Sitz der Schleimbeutel im menschlichen Körper ist variabel. Ganz allgemein kann man sagen, daß dort ein Schleimbeutel als Gleitlager besteht oder sich entwickelt, wo über vorspringenden harten Gewebsteilen, meist Knochenpunkten, andere Gewebsteile, meist Muskeln, Sehnen oder Haut, gleiten. Es können also bei Änderungen der anatomischen Verhältnisse wie deform verheilten Frakturen, Ausbildung von Tumoren, Tragen von Prothesen und Stützapparaten usw. Schleimbeutel an Körperstellen entstehen, an welchen

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sie normalerweise nicht vorhanden sind. Nachstehend seien die wichtigsten Schleimbeutel und die durch ihre chronische Entzündung erzeugten Krankheitsbilder kurz zusammengestellt. Zwischen Schulterblatt und Thorax und in der Bursa subserrata entsteht manchmal durch chronische Reizung eine fibrinöse Bursitis, welche bei Bewegungen der Schulter zu dem Symptom des Skapularkrachens führt, bedingt durch das Reiben der fibrinösen Stränge gegeneinander. Das Geräusch kann so laut werden, daß es von nebenstehenden Menschen gehört wird. Wenn die Beschwerden stark sind und das Symptom den Träger stark belästigt, ist die verursachende Bursa zu exstirpieren. Die Bursitis subdeltoidea kommt häufig vor und führt zu plötzlich auftretendem schmerzhaftem Versagen des Arms besonders bei Innenrotationsbewegungen. Im unteren Drittel des Deltamuskels, meist an seinem Innenrand, pflegt ein umschriebener Punkt stark druckschmerzhaft zu sein. Die Schmerzen strahlen in den gesamten Muskel aus. Bei der Behandlung sind vorwiegend hydrotherapeutische Maßnahmen anzuwenden. Die Exstirpation sei nur hartnäckigsten Fällen vorbehalten, und auch sie führt keineswegs immer zu einem befriedigenden Ergebnis. In der direkten Umgebung des Schultergelenkes kennen wir acht und mehr größere Schleimbeutel. Sie neigen, zumal bei alten Leuten, nach Ruhigstellung des Gelenkes, besonders nach Traumen wie Frakturen, Luxationen oder Prellungen, die gar nicht einmal sehr hochgradig zu sein brauchen, zur fibrösen Verödung und auch zu sekundärer Kalkablagerung oder Verknöcherung. Das so entstehende Krankheitsbild, welches sich vorwiegend in einer Adduktionskontraktur der Schulter äußert, wird mit dem Namen Periarthritis humeroscapularis belegt. Die Behandlung kann nur im Anfangsstadium konservativ sein. Bei fortgeschrittenen und veralteten Fällen muß man durch unblutige Mobilisation in Narkose die Verklebungen lösen, durch Abduktionsverbände, frühzeitig beginnende Bewegungsübungen, welche sehr schmerzhaft sein können, Unterwassermassage, rhythmische Galvanisierung u. a. das Wiederauftreten der Verwachsungen zu verhüten suchen. Auch Exstirpationen von verkalkten Schleimbeuteln sind mit gutem Erfolg ausgeführt worden. Nicht immer jedoch erreicht unsere Behandlung das gewünschte Ziel, nämlich die Wiederherstellung der normalen Beweglichkeit. Die Bursitis olecrani ist eine der häufigsten chronischen Bursitiden. Meist ist sie die Folge chronischer kleiner Traumen beruflicher Art. Sie führt zu prallen, fluktuierenden, halbkugelförmigen Anschwellungen über dem Ellenhöcker, welche die Beweglichkeit des Gelenkes nicht wesentlich behindern. Fibröse Stränge sind in der Bursa sehr häufig und verursachen Druckschmerzen, welche die Menschen den Arzt aufsuchen lassen. Die Gefahr der Ausbildung subakuter und akuter Entzündungen ist bei dieser Bursitis besonders groß. Das zweckmäßigste Heilverfahren ist die Exstirpation. An der Hüfte kann die Bursa ileopedinea zwischen horizontalem Schambeinast und Musculus iliopsoas sich chronisch entzünden. Sie liegt dem Hüftgelenk dicht an und kommuniziert manchmal auch mit ihm. Ist sie entzündet, so bildet sie eine schmerzhafte Anschwellung an der Vorderseite des Schambeines, welche durch Reizung des Nervus cruralis zu mehr oder weniger heftigen Schmerzen in der Gegend des Kniegelenks und zu einer Zwangshaltung

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der Hüfte in Flexion, Abduktion und Außenrotation (wie bei der akuten Koxitis, jedoch nicht ganz so charakteristisch) führt. Verwechslungen mit tuberkulösen Senkungsabszessen sind häufig. Bei der Behandlung sind Punktion und Ruhigstellung der Hüfte in korrigierter Stellung anzuwenden. Die Bursitis trochanterica profunda zwischen großem Rollhügel und Musculus glutaeus maximus bewirkt eine Schwellung am oberen äußeren Rand des Trochanters sowie die eben beschriebene Zwangshaltung im Hüftgelenk. Im Gegensatz zu der Koxitis fehlt der Stauchungsschmerz in der Längsachse des Beines. Die Bursitis trochanterica superficialis erzeugt eine gut sichtbare und fühlbare Anschwellung unter der Haut über dem großen Rollhügel. Die häufigste Schleimbeutelentzündung sehen wir in der Kniegelenksgegend in Form der Bursitis praepatellaris (vgl. Abb. 359), die zwischen Haut und Vorderfläche der Patella gelegen ist. Auch subfaszial zwischen Faszie und Vastusaponeurose und unter dem Ligamentum patellae liegen Schleimbeutel, welche erkranken können. Bei typischem Sitz finden wir vor der Kniescheibe eine halbkugelige,ovale, kissenartige, fluktuierende Anschwellung mit oder ohne verdickter Wand und mit oder ohne fibröse Stränge im Innern. Chronische, abnorm starke Druckbeanspruchungen dieser Körpergegend, z. B. bei Bergleuten, Scheuerfrauen usw., sind die Entstehungsursachen der Veränderungen. Auch die Bursitis praepatellaris neigt sehr zu subakuter und akuter Entzündung mit anschließender Phlegmone. EntzünA b b . 359. Bursitis p r a e p a t e l l a r i s dungen in den übrigen Schleimbeuteln in der Umgebung des Kniegelenkes sind seltener. Nur in der Kniekehle treffen wir sie öfter. Ihre Unterscheidung von einem Ganglion ist meist erst durch Punktion oder bei der operativen Freilegung möglich. In der Gegend des Fußes gibt es zahlreiche Schleimbeutel entsprechend den vielen Knochenvorsprüngen. Schuhdruck, durch besondere Berufe bedingte typische Haltungen der Füße und ähnliches können sehr verschiedenartige Befunde hervorrufen. Von besonderer Häufigkeit sind die Bursitis achillea anterior und posterior zwischen Achillessehne und Kalkaneus resp. Haut. Sie führen zu Schwellungen der Achillessehne entweder tiefer oder mehr oberflächlich gelagert mit Schmerzen in der ganzen Wade beim Gehen und der Neigung, den Fuß in Spitzfußstellung zu belasten, weil bei dieser Stellung der Druck auf die Schleimbeutel vermindert ist. Die Bursitis subcalcanea entwickelt sich im Schleimbeutel zwischen Haut und Kalkaneus besonders häufig, wenn ein Kalkaneussporn vorhanden ist. Bei allen diesen Erkrankungen wird man zunächst konservative, physikalisch-therapeutische Maßnahmen anwenden, und erst wenn sie versagen, zur Exstirpation der Bursa schreiten.

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Akute, eitrige Sehnenscheidenentzündung Am häufigsten kommt die Erkrankung in den Sehnenscheiden der Finger vor und ist bereits im Abschnitt über das Panaritium tendinosum (Seite 570) besprochen worden. Die Ausbildung durch direkte Einimpfung der Bakterien bei einer Verletzung ist am häufigsten. Dann folgen das Einwandern von einem Entzündungsherd in der Nachbarschaft und schließlich unendlich viel seltener die hämatogen-metastatische Entstehungsweise. Das klinische Bild deckt sich mit dem einer lokalisierten Entzündung (Schwellung, Druckschmerz, Funktionsbehinderung) entsprechend dem Sitz der betroffenen Sehnenscheide. Bei Fortschreiten der Entzündung auf die Nachbarschaft kommt es zur Phlegmone. Operative Eröffnung des Eiterherdes ohne Bloßlegung der Sehnen selbst von mehreren Schnitten aus, ist die zweckmäßigste Therapie. Frühzeitige Einleitung vorsichtiger Bewegungen unter genauer Überwachung des Allgemeinzustandes (Fieber) und des örtlichen Befundes durch den Arzt ist für die spätere Funktion von ausschlaggebender Bedeutung. Chronische Sehnenscheidenentzündungen unspezifischer Art sind die Folge akuter oder chronischer Uberbeanspruchung oder milder Infekte. Auch sie können in seröser, fibrinöser oder serofibrinöser Form auftreten. Die fibrinöse Form pflegt an Häufigkeit zu überwiegen. Seröse Entzündungen nicht bakterieller Art führen zu prallen Ergüssen in die Sehnenscheiden oder, wenn sie nicht vorhanden sind, zur Durchtränkung des peritendinösen Gewebes mit Schwellung und Bewegungsschmerz. Unter kurzdauernder Ruhigstellung und antiphlogistischer Behandlung heilen sie ohne Funktionsstörungen aus. Die trockene, nicht infektiöse Form der Sehnenscheidenentzündung führt dadurch zu dem typischen Krankheitsbild der Tendovaginitis crepitans, daß sich Fibrinfäden auf Sehnen und Sehnenscheiden auflagern, welche bei Bewegungen gegeneinander zu einem fühlbaren Knirschen führen. Gleichzeitig entwickeln sich ein Bewegungsschmerz, eine Anschwellung an der betroffenen Körperstelle, eine Erwärmung der Haut über derselben, eine Schwäche in der betreffenden Muskelgruppe ohne nennenswerte Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens. Der Lieblingssitz sind die Strecksehnen an der radialen Seite der Hand und des Vorderarmes. Die Ursache ist meist in Uberanstrengung durch ungewohnte Arbeit zu suchen. Bei sofortiger Ruhigstellung für einige Tage kann der Anfall schnell vorübergehen. Bei Fortsetzung des Reizes entsteht leider oft eine sehr lästige, schmerzhafte chronische Form, welche zu häufigen Rezidiven, die therapeutisch sehr schwer zu beeinflussen sind, führt. Es kommt dann mitunter zu einer stenosierenden Tendovaginitis, welche wir besonders am Extensor pollicis brevis und Abductor pollicis longus beobachten und die mitunter mit dem irreführenden Namen Styloiditis radii belegt wird. Mit diesem Knochen hat sie nichts zu tun. Das Leiden äußert sich in einem Bewegungsschmerz und einer Bewegungsbehinderung des Daumens, verbunden mit Reibegeräuschen in den Sehnenscheiden. Mitunter finden wir das Leiden bei Menschen, welche viel schreiben. Keineswegs sind die Bewegungsgeräusche ein Maßstab für die Schwere der klinischen Erscheinungen, denn auch hörbares Knirschen und Knacken braucht nicht die geringsten Beschwerden zu verursachen, während umgekehrt starke Schmerzen ohne

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Bewegungsgeräusche vorhanden sein können. Führen konservative Maßnahmen, z. B. Injektion von Hydrocortison lokal nicht zum Ziel, kann die Spaltung der Sehnenscheide Besserung bewirken. Der schnellende Finger ist eine Sonderform der stenosierenden hyperplastischen Tendinitis. Hauptsächlich beobachten wir sie an den Beugesehnen, seltener an den Strecksehnen der Finger. Ihr Wesen besteht darin, daß die normale eigentätige Bewegung des Fingers an einer bestimmten Stelle gebremst und nach kurzer Zeit ruckartig fortgesetzt wird, weil an einer Stelle eine Verdickung der Sehnenscheide, welche zur Lichtungsveränderung führt, vorhanden ist und außerdem auch an der Sehne selbst eine solche Verdickung besteht. Stoßen beim Bewegungsvorgang diese beiden Verdichtungen aneinander, tritt die Bewegungshemmung ein, welche erst bei großer Kraftanstrengung ruckartig überwunden wird, wenn die verdickte Sehne durch den Engpaß der Sehnenscheide hindurchgezwängt wird. Es ist einleuchtend, daß nur die operative Beseitigung des Hindernisses, also Abtragung der Verdickung an der Sehne selbst und Spaltung der Sehnenscheiden an der Stelle der Verengerung, den Zustand beseitigen kann. Ganglien der Sehnenscheide, auch „Uberbein" genannt, sind Degenerationszysten mit bindegewebiger Wand und gallertigem Inhalt. Ihre Entstehungsweise ist noch nicht sicher geklärt. Sie stellen halbkuglige, schmerzlose, prall elastische, auf der Unterlage verschiebliche Anschwellungen von glatter Oberfläche dar, über denen die Haut verschieblich ist. Wenn sie Beschwerden durch Spannung bei Bewegungen verursachen, sollen sie beseitigt werden. Bei absolut sicherer Diagnose ist die einfachste Behandlungsart die Zertrümmerung des Ganglions durch einen kurzen, kräftigen Schlag mit eiA b b . 360. S e h n e n s c h e i d e n g a n g l i o n an der H a n d nem Holzhammer. Die Zyste platzt, der gallertige Inhalt verteilt sich in die Gewebe der Nachbarschaft und wird dort resorbiert. Mißlingt diese Behandlung, dann kann man das Ganglion in örtlicher Betäubung exstirpieren. Tuberkulose der Sehnenscheiden und Schleimbeutel Da es sich bei Sehnenscheiden und Schleimbeuteln um wesensähnliche Gebilde handelt, können ihre chronischen, spezifischen Entzündungen gemeinsam besprochen werden.

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Die Tuberkulose der Sehnenscheiden tritt meist hämatogen metastatisch auf, seltener entsteht sie fortgeleitet aus Herden der Nachbarschaft. Bei Fleischern beobachten wir mitunter auf dem Wege der Impfmetastase durch den Tuberkelbazillus des Typus bovinus hervorgerufene Sehnenscheidenentzündungen an den Händen. Wenn die Infektion, die einen besonders chronischen Verlauf zu nehmen pflegt, erfolgt ist, dann verdicken sich die Wandungen der Sehnenscheiden in erheblichem Umfang, gleichzeitig bildet sich ein seröser Erguß in ihnen, und in dem Erguß entwickeln sich aus Fibrin bestehende, wie gekochter Reis aussehende, freie Körper, die daher auch seit altersher den Namen „Reiskörperchen" führen. Vorwiegend die Beugesehnenscheiden der Finger sind von der Tuberkulose befallen. Hier beobachten wir die typische Form des Zwerchsackhygroms, welches dadurch zustande kommt, daß durch das straffe Ligamentum carpi volare die Anschwellung der Sehnenscheide scheinbar in 2 Teile geteilt wird und nur in der Hohlhand und an der Beugeseite des Unterarmes in Erscheinung tritt (vgl. Abb. 361). Die Verdickung der Sehnenscheide und ihre Anfüllung mit Reiskörperchen führt zu einer Kontraktur der Finger mit Bewegungsbehinderung neben der Anschwellung. Der Verlauf der Erkrankung ist chronisch und kann sich über viele Monate und Jahre hinziehen. Aber schließlich kommt es doch zum Durchbruch des Prozesses nach außen, Fistelbildung, Mischinfektion der Sehnenscheiden mit dann meist eintretender Verödung und entsprechender Versteifung der Finger. Die beste Behandlungsaxt ist die radikale Exstirpation der gesamten tuberkulös erkrankten Sehnenscheide, so daß am Ende der Operation die Sehnen wie bei einem sauber angefertigten anatomischen Präparat isoliert sind. Bei frühzeitiger Einleitung einer richtig dosierten Bewegungsbehandlung sind auch die funktionellen Ergebnisse günstig. Kom-^aLai.1)^ bination mit AllgeAbb. 361. Tuberkulöses Zwerchsackhygrom an der Hand meinbehandlung des Leidens und auch Anwendung von Röntgentiefenbestrahlungen können nützlich sein. Auch an den Strecksehnen des Handrückens und an den Fibularissehnen des Fußes kommen tuberkulöse Sehnenscheidenentzündungen vor. Die Tuberkulose der Schleimbeutel ist nicht so häufig, verläuft in derselben Erscheinungsform und befällt vorwiegend die Bursa olecrani, subiliaca, trochanterica und poplitea. Gonorrhoische Entzündung der Sehnenscheiden und Schleimbeutel Die gonorrhoische Sehnenscheidenentzündung zeichnet sich dadurch aus, daß sie ebenso wie die entsprechende Gelenkentzündung schlagartig mit sehr heftigen Schmerzen einsetzt. Das serofibrinöse Exsudat, welches sich zu Beginn der Erkrankung entwickelt, hat einen gelblich-grünen Farbton, den auch

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die serös durchtränkte Sehnenscheide annimmt. Das Ödem breitet sich schnell auf die Nachbarschaft aus, so daß die Gelenkgegend (vorwiegend befallen sind Hand- und Fußgelenk) diffus geschwollen erscheint. Die Behandlung besteht wie bei der gonorrhoischen Gelenkerkrankung in Arthigoninjektionen und B i e r scher Stauung. Daneben muß selbstverständlich der Primärherd energisch behandelt werden. Die gonorrhoische Entzündung eines isolierten Schleimbeutels ist sehr selten.

Erkrankungen der Knochen und Gelenke Wachstumsstörungen der Knochen Man kann die Wachstumsstörungen der Knochen zunächst einmal einteilen in Wachstumssteigerungen und Wachstumshemmungen und beide Gruppen in eine partielle und allgemeine Form. Die einzelnen klinischen Formen und ihre Beziehungen zur Allgemeinpathologie sind äußerst verschiedenartig und weit verzweigt. Nachstehend soll eigentlich nur stichwortartig auf die wichtigsten Krankheitsbilder eingegangen werden. Der partielle Riesenwuchs ist fast immer angeboren und Folge abnormer Keimanlage, kommt vorwiegend an Fingern und Zehen vor und vermag zu grotesken Formveränderungen führen. — Durch Reizung der Epiphysenfugen während des Wachstumsalters, durch blande Infektionen oder Lues kann es ebenfalls zur Verlängerung einzelner Knochen des Skeletts und bei den zweiknochigen Extremitätenteilen infolgedessen zu Formverbiegungen kommen. Die Trommelschlägelfinger sind, wie ihr lateinischer Name „Osteoarthropathia hypertrophicans pneumonica" besagt, fast ausschließlich die Folge chronischer Lungenerkrankungen wie Bronchiektasen, Empyemresthöhlen oder von Herzfehlern mit starker venöser Stauung. Sie stellen symmetrische Auftreibungen der Endphalangen mit Vergrößerung der Nägel dar. Mittlere Lebensalter sind bevorzugt. Unter Marmorknochenkrankheit versteht man eine in früher Kindheit einsetzende Osteosklerose, welche den spongiösen Knochen in kompakten umwandelt. Trotzdem besteht die Neigung zu schmerzlosen Spontanfrakturen. Auch Störungen der Dentition sind beobachtet worden. Eine sicher erfolreiche Therapie ist nicht bekannt. Der allgemeine Riesenwuchs, bei welchem Körpergrößen von über 2 m erreicht werden, ist meist mit Störungen der Drüsen innerer Sekretion mit Uberwiegen der Hypophysenfunktion verbunden. Das männliche Geschlecht ist häufiger befallen als das weibliche. Das Wachstum, welches hauptsächlich die Extremitäten betrifft, während Rumpf und Kopf relativ klein zu bleiben pflegen, kann bis zum 30. Lebensjahr anhalten. Die geistigen Eigenschaften bleiben dem Körperwachstum gegenüber erheblich zurück. Auch Störungen der Geschlechtsfunktion sind beobachtet worden. Bei den allgemeinen Wachstumshemmungen (Zwergwuchs), kennt man zunächst solche mit Wahrung der Körperproportionen. Hierzu ist der echte angeborene Zwergwuchs (Nanosomia•), der sporadisch oder familiär auftreten kann, zu rechnen. Alle Funktionen sind normal, nur die Körpergröße ist stark herabgesetzt. Anders ist es bei denjenigen Zwergen, bei welchen durch Ausfall der Funktion des Hypophysenvorderlappens, der Thymus oder der Schilddrüse die Hemmung des Körperwachstums bewirkt wurde. In diesen Fällen können wir stets irgendwelche Defekte finden. Unter Infantilismus versteht man das

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Fortbestehen kindlicher Merkmale bei Erwachsenen. Alkoholismus der Eltern, hereditäre Lues, schlechte Ernährung, Herzfehler, chronische Tuberkulose und andere chronische Leiden können die Ursache sein. Bei anderen Formen des Zwergwuchses sind die Körperproportionen nicht gewahrt. Hierher gehört die Chondrodystrophia foetalis, die auf einer mangelhaften Wucherung der Wachstumsknorpel und frühzeitigem Aufhören der enchondralen Ossifikation beruht. Im Gegensatz zum Rumpf sind die Extremitäten verkürzt, so daß die Körpergröße nur 1,20 m und weniger erreicht. Auch Verkrümmungen der Glieder und Verdickungen der Gelenke kommen vor. Die geistige Entwicklung pflegt nicht gehemmt zu sein, manchmal liegt sie sogar über dem Durchschnitt (z. B. Hofnarren früherer Zeiten!). Die Osteogenesis imperfecta congenita ist durch unvollkommene Bildung fester Knochensubstanz bei geringer Störung des Längenwachstums ausgezeichnet. Die Knochen brechen außerordentlich leicht bei den geringsten Traumen und einer alltäglichen Beanspruchung. Dabei zeigen die Frakturen eine sehr gute Heilneigung, sie wiederholen sich aber sehr oft, so daß bis zu 100 Knochenbrüche bei derartigen Kranken beobachtet worden sind. Manchmal tritt das Leiden erst nach einer gewissen Latenzzeit auf, so daß wir von einer Osteogenesis imperfecta tarda sprechen. Sie kann verbunden sein mit einer auffallenden Blaufärbung der Skleren und Schwerhörigkeit. Eine ätiologische Heilweise ist nicht bekannt. Man muß sich auf gute Heilung der vorhandenen Frakturen beschränken oder bei eingetretener Bruchheilung in schlechter Stellung korrigierende Eingriffe ausführen. Glücklicherweise neigt die Erkrankung zum spontanen Verschwinden nach beendetem zweiten Lebensjahrzehnt. Die partiellen Wachstumshemmungen bestehen in völligem oder teilweisem Defekt einiger Knochen oder ganzer Extremitätenstrahlen, z. B. der Ulna mit 4. und 5. Finger und ähnlichem. Eine ungeheuere Vielzahl von Zustandsbildern gibt es auf diese Weise, die nicht alle geschildert werden können, da außerdem oft Defekte an einer Körperstelle, Mehrbildungen (z. B. überzählige Finger) an anderen Körperstellen gegenüberstehen. Die Knochenatrophie befällt beispielsweise im Greisenalter oder bei chronisch Kranken, welche dauernd zu Bett liegen, das gesamte Skelettsystem. Wir finden sie auch bei Menschen, bei denen wegen Verschlusses der Gallenausführungsgänge eine Gallenfistel angelegt wurde, somit also die Galle nicht in den Darm gelangt und dem Körper entzogen wird. Lokale Atrophien betreffen Körperabschnitte, welche gelähmt sind (z. B. nach Plexusausreißungen am Arm) und infolgedessen zur Inaktivität verurteilt wurden. Ihre therapeutische Beeinflussung ist schwer möglich und auch nicht notwendig. Praktisch am wichtigsten ist die akute Inaktivitätsatrophie, welche meist den Namen Sudecksche Knochenatrophie führt und mit der neben den Veränderungen am Knochen auch eine mehr oder weniger starke allgemeine Gewebsdystrophie verbunden ist. Das Zustandekommen dieser äußerst hartnäckigen und mitunter sehr schwer zu beeinflussenden Erkrankung ist noch keineswegs in wünschenswerter Weise geklärt. Wir wissen nur, daß Ruhigstellung der Extremität nach Traumen sowie Entzündungsprozesse (z. B. Panaritien, Phlegmonen), aber auch vollkommen aseptische Eingriffe (z. B. Meniskusexstirpationen) R o s t o c k , Lehrbuch der speziellen Chirurgie. 3.Aufl.

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dazu führen können. Alle diese Dinge erklären das Zustandekommen aber nicht restlos, es muß noch immer eine uns im einzelnen unbekannte Konstitution dazutreten. Neben vegetativen Störungen an den Weichteilen wie Abnormitäten der Schweißabsonderung, meist im Sinne der Vermehrung, Ausbildung einer dünnen, glänzenden Haut, Schwund des Unterhautzellgewebes, Verminderung der Durchblutung (Kältegefühl), kommt es zu einem exzentrisch, d. h. vom Knocheninneren aus einsetzenden Kalkschwund der Knochen, welche mitunter einen relativ dichteren, dünnen Randsaum aufweisen, den man auf dem Röntgenbilde sehr gut erkennen kann. (Siehe Abb. 291 und 292, S. 509.) Ein weiteres charakteristisches Zeichen besteht darin, daß an den Röhrenknochen die Atrophie vorwiegend die Enden befällt und der Schaft selbst infolgedessen durch besonders starke Röntgenschatten auffällt. Abb. 362 zeigt diesen Zustand. Bei weiterem Fortschreiten der Krankheit werden aber auch die Diaphysen befallen, wie es auf Abb. 362 am 3. Mittelfußknochen zu erkennen ist. Im Anfangsstadium pflegt die Aufhellung ungleichmäßig und fleckig zu sein. .Bei histologischer Untersuchung von Probeexzisionen kann man eine Verminderung der normalen Knochenapposition bei gesteigerter lakunärer Knochenresorption feststellen. Die Behandlung der Knochenatrophie ist in ihren senilen und marantischen Formen aussichtslos, wenn man nicht das Grundleiden zu heilen vermag. Dasselbe gilt bei der örtlichen Atrophie infolge Lähmungen. Auch lokale dystrophische Knochenatrophien können sehr schwer beeinflußbar sein. Man wird zunächst die Inaktivität des Gliedes zweckmäßig behandeln, den etwa vorhandenen Entzündungsprozeß zur Ausheilung bringen. Und trotzdem können Knochenatrophie und Durchblutungsstörungen der Weichteile lange Zeit unbeeinflußt bleiben. Alle nur denkbaren Mittel wie Zuführung von Kalk und Phosphor, von Hormonen undVitaminen sind versucht worden. Gelegentlich hat das eine oder andere von ihnen in dem einen oder anderen Falle genützt. Und so wird man sie eben durchprobieren. Daneben wird man Bewegungsübungen aktiver und passiver Art sowie zahlreiche physikalische Heilmethoden anwenden. Bei der Wärmeapplikation muß man äußerst vorsichtig sein, da die Weichteile sehr leicht verbrennen und die so gesetzten Ulzera schwer heilen. Die beste Behandlung besteht in einer lange Zeit fortgesetzten Gefäßgymnastik, verbunden mit eigentätigen Bewegungsübungen. Auch die Uberwindung von Ängstlichkeit und mangelndem Gesundungswillen der Kranken durch geeignete psychische Beeinflussung ist von nicht zu unterSudecksche Atrophie am Fuß

schätzender W i c h t i g k e i t .

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Die aseptischen Knochennekrosen Unter diesem Sammelnamen fassen wir heute Krankheitsbilder an den verschiedensten Körperstellen zusammen, welche allein schon durch ihre Lokalisation verschiedene Symptome verursachen, aber alle in ihrem Wesen dadurch bedingt sind, daß Knochengewebe zugrunde gegangen ist. Häufig spielen sich diese Prozesse in der Nähe der Gelenkfläche ab; in dem Kapitel der Osteochondritis dissecans (S. 636) wird näher darauf eingegangen werden. Der Grund für das Auftreten einer teilweisen Knochennekrose ist sehr verschieden. Infektion in Form einer Embolie avirulenter Bakterien in Endarterien kann es ebenso sein wie Gefäßverschlüsse durch einmalige Traumen, welche Fissuren hinterlassen haben, die weder klinische Erscheinungen zu machen brauchen noch auf einem Röntgenbild darstellbar sind. Und schließlich können nach unserer Erkenntnis in den letzten Jahrzehnten auch Beanspruchungen, die durchaus im Rahmen des Normalen liegen oder nur sehr wenig über ihn hinausgehen, zu denselben Vorgängen führen. So sind dann körperliche Belastung in der Jugend oder starke Arbeitsbeanspruchungen (z. B. bei der Bedienung von Preßluftwerkzeugen) ebenfalls Ursache derartiger Nekrosen. Der Verlauf ist stets so, daß sich im Knochen durch Störung der Blutversorgung Nekroseherde bilden, welche zu Nekrosezonen verschmelzen können. Liegen diese nahe einem Gelenk, so kommt es zur sekundären Beeinflussung des Gelenkknorpels (Osteochondritis dissecans). In gelenkfernen Knochenteilen vermögen fortschreitende Defekte mit folgender Spontanfraktur (z. B. Schipperkrankheit oder Marschfraktur) sich auszubilden oder der Körper kapselt mit einem knochendichten Regenerationswall die einzelnen Herde ab, so daß wir als belanglose Nebenbefunde röntgenologisch vorwiegend in den kurzen Knochen des Handgelenkes stecknadelkopfgroße Aufhellungszonen, häufig multipel, beobachten. Bei jungen Soldaten findet man an zahlreichen Stellen des Skelettsystems schleichend fortschreitende Gewebstrennungen, welche zu periostalen Kallusauflagerungen, mitunter auch zu echten Spontanfrakturen führen. Schon vor dem Weltkriege war dieses Leiden z. B. als ,,M o m b u r g sehe Fußgeschwulst" bekannt. Hauptsächlich kommen diese Veränderungen an Mittelfußknochen und an der Tibia, seltener an Schenkelhals, Beckenknochen und anderen vor. Örtliche konservative Behandlung und Abstimmung der geforderten körperlichen Leistung auf den Zustand des Individuum heilen den Schaden und verhüten sein Wiederauftreten. Am Hüftgelenk begegnen wir den aseptischen Nekrosen in Form der Osteochondritis coxae juvenilis (Perthessche Erkrankung). Sie besteht in einer Formverbildung und Abflachung des Hüftgelenkkopfes, meist verbunden mit einer Coxa vara-Stellung. Die Kinder hinken, klagen über Schmerzen in dem betroffenen Hüftgelenk (das Leiden kommt auch doppelseitig vor). Die Bewegungsmöglichkeit des Gelenkes wird eingeschränkt. Ein Röntgenbild zeigt die fleckige Formveränderung des Hüftkopfes. Entlastung des Gelenkes mit Extensionsverbänden, in schweren Fällen auch das Verordnen eines entlastenden H e s s i n g sehen Apparats für 1—2 Jahre sowie allgemeine Körperkräftigung und Verordnung von Vitaminpräparaten sind zweckmäßige Heilmaßnahmen. Am Schienbein beobachtet man am Ende der Wachstumsperiode eine schmerzhafte Verdickung der Apophyse an dem Ansatzpunkt des Ligamentum 39*

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patellae. Daneben bestehen Spontanschmerzen wechselnden Grades und verschiedener Natur an dieser Stelle. Das Röntgenbild zeigt eine fleckige, sägeartige Formveränderung der Wachstumsfuge. Man bezeichnet den Zustand meist als Schlattersche Erkrankung. Kurze Ruhigstellung des Gelenkes mit Ausschaltung übermäßiger Beanspruchung (Turnen, Sport) und Allgemeinbehandlung führt zur Ausheilung ohne Dauerschaden. Am Fußskelett finden wir an zwei Knochen diese Veränderungen, und in beiden Fällen wird das Leiden als „Köhlersche Erkrankung" bezeichnet. Am Navikulare des Fußes kann eine Nekrose zum Einsinken des Knochens, wie wir sie in besonders typischer Weise am Lunatum der Hand beobachten, und so zu einer Formveränderung führen. Verbunden sind damit stets reaktive Randwulstwucherungen besonders auf der Streckseite des Fußgewölbes und ein Einsinken des Gewölbes selbst und infolgedessen die Ausbildung eines Plattfußes. Die Beschwerden decken sich weitgehend mit denen dieses Leidens. Im S adium der Erweichung des Knochens muß man durch Verpassen von Einlagen nach Gipsabdruck das Einsinken des Fußgewölbes verhindern. Ist dieses einmal geschehen, läßt es sich kaum mehr beseitigen. Am Kalkaneus kommt eine sklerosierende Form der Knochennekrose, die Apophysitis calcanei, vor, welche klinisch Spontanschmerz und Belastungsschmerz und eine Gewebsschwellung aufweist. Das Röntgenbild zeigt die dift'erente Kalkdichte von Apophyse und Körper des Knochens. Auch an den Köpfchen der Mittelfußknochen, besonders des 2.—4., kommen aseptische Nekrosen vor, welche zu örtlichen Verdickungen, Ruhe- und Belastungsschmerzen führen und mitunter irrtümlich als Spreizfußbeschwerden gedeutet werden. Bei dieser Lokalisation pflegt eine schonend ausgeführte teilweise Gelenkresektion sicherer und schneller die Beschwerden zu beseitigen als eine langwierige konservative Behandlung. An den Sesambeinen, besonders der Großzehen, kommen Nekrosen vor, welche zur Spaltung der Knochen führen. Häufig werden sie fälschlicherweise für Frakturen gehalten. Im Bereiche der Hand stellt die Lunatumnekrose die typische aseptische Knochennekrose dar. Daß sie sich als Folge eines Bruches dieses Knochens zu entwickeln vermag, wurde schon früher ausgeführt. Häufiger wird sie durch chronische Überbeanspruchung bei der Arbeit (z. B. Preßluftwerkzeugarbeit) hervorgerufen, aber auch in manchmal multiplen embolischen Infekten kann ihre Ursache liegen. Unter zunehmenden, zunächst unbestimmten und wechselnden Bewegungs- und Druckschmerzen an diesem Orte stellen sich eine Bewegungsbehinderung im Handgelenk und eine schnell fortschreitende Kraftlosigkeit der Hand mit objektiv nachweisbarem Muskelschwund am Unterarm ein. Gleichzeitig entwickelt sich ein Reizzustand des Handgelenkes mit Kapselverdickung und Gelenkerguß. Das Röntgenbild zeigt Befunde, wie sie Abb. 321 S. 540 zeigt. Bewegungs- und Wärmetherapie sowie Massage, welche leider immer noch im Frühstadium dieses Leidens angewandt werden, nützen sicher nicht viel, bestenfalls schaden sie nicht, meist tun sie es aber. Zur Beseitigung des Reizzustandes ist Ruhigstellung notwendig. Erst wenn der akute Knochenprozeß zur Ausheilung gebracht worden ist, kann man andere Heilmaßnahmen zur Anwendung bringen. Die operative Behandlung des Leidens erreicht schneller einen befriedigenden Funktionszustand der Hand als die sehr lange, konservative Behandlung. Ist das ganze Lunatum stark verändert, kann es

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von einem dorsalen Schnitt aus total exstirpiert werden. Sind die nekrotischen Prozesse in ihm nicht sehr stark, soll man die dorsale Knorpelplatte des Knochens abmeißeln, die nekrotischen Knochenmassen auslöffeln und in die so geschaffene Höhle einen kleinen Weichteillappen einschlagen, welcher die Vaskularisierung des Knochens und damit seine Regeneration wesentlich unterstützt. Wesensgleiche Erkrankungen kommen auch an anderen Handwurzelknochen vor, ohne meist den am Mondbein üblichen Umfang zu erreichen. Am Navikulare führen aseptische Nekrosen durch starke Arbeitsbeanspruchung zur Ausbildung von Navikularepseudarthrosen. Durch perkutane Bohrung mit nachfolgender langdauernder Ruhigstellung des Handgelenkes können sie zur Ausheilung gebracht werden. Im Gegensatz zum Lunatum darf ein Navikulare nie exstirpiert werden, da dieser Eingriff zu einer starken Störung der Statik des Handgelenkes und einer erheblichen Funktionsbehinderung führt. Ostitis fibrosa Die Erkrankung kommt in zwei verschiedenen Erscheinungsformen vor, und zwar entweder „generalisiert" an zahlreichen Stellen des Skelettsystems oder „lokalisiert" nur an einer einzigen Stelle. Es handelt sich dabei zum mindesten in einem Teil der Fälle um wesensverschiedene Erkrankungen, welche nur zu demselben oder ähnlichen Symptomenbild führen. Die Ostitis fibrosa generalisata, auch R e c k l i n g h a u s e n sehe Erkrankung genannt, hat ihre Ursache in der Störung des Kalkstoffwechsels auf innersekretorischer Grundlage. Die primäre Schädigung scheint in den Nebenschilddrüsen lokalisiert zu sein. Mitunter hat man Adenome dieser Drüse gefunden und nach ihrer Exstirpation eine Heilung des Leidens beobachten können. Man muß also nach derartigen Tumoren fahnden. Das Wesen des pathologischen Prozesses im Knochen besteht darin, daß häufig unter Volumenvermehrung an sich die eigentliche Knochensubstanz abgebaut und durch gallertartiges oder straffes Bindegewebe ersetzt wird, jedoch bleiben überall kleine Reste von Knochensubstanz zurück, so daß man beispielsweise auf dem Röntgenbild eine Verdünnung der Kortikalis des Knochens und in ihm verschieden geformte Herde mit wabiger Struktur findet (vgl. Abb. 363). Da hierdurch die Festigkeit des Knochens naturgemäß leiden muß, so treten häufig Spontanfrakturen auf, in zahlreichen Fällen sind sie es überhaupt, welche auf die Krankheit aufmerksam machen. Von dem Leiden werden sowohl die langen Röhrenknochen als auch die Abb. 363. Ostitis fibrosa

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platten Knochen, z. B. des Schädels oder Beckens, aber auch die Wirbelsäule befallen. Die Prognose der Ostitis flbrosa generalisata ist nicht sehr günstig, sofern es nicht gelingt, durch Exstirpation eines Nebenschilddrüsentumors das Leiden ätiologisch zu behandeln. Die Knochenherde neigen außerdem in erheblichem Umfang zur malignen Degeneration. Die richtige Erkennung dieses Vorganges auch im histologischen Bilde kann sogar dem erfahrenen Fachpathologen sehr große Schwierigkeiten bereiten. Eine eingetretene Spontanfraktur braucht nicht eine bedauerliche Verschlimmerung des Zustandes zu bedeuten. Eher könnte man von dem Gegenteil sprechen, denn diese Spontanfrakturen heilen keineswegs schlechter als andere Knochenbrüche und können sogar an der Frakturstelle zur umschriebenen Heilung der Ostitis fibrosa selbst führen. Die Behandlung des Allgemeinleidens ist bisher außer der schon erwähnten Exstirpation eines Nebenschilddrüsenadenoms nicht aussichtsreich gewesen. Die Behandlung örtlicher Herde hat in ihrer schonenden operativen Eröffnung mit Auskratzen der fibrösen Massen und evtl. in Knochentransplantationen zu bestehen. Ein solches Vorgehen erscheint aber nur dann aussichtsreich, wenn die Knochenherde nicht zu ausgedehnt sind. Die Ostitis fibrosa localisata kann man als örtlich beschränkte generalisierte Form und somit als endokrin bedingt ansehen. Wir beobachten das Krankheitsbild des umschriebenen fibrösen Knochenherdes aber auch nach örtlichen Schädigungen, sei es durch Embolie avirulenter Bakterien (häufig Staphylococcus albus) oder nach Traumen (Schlag, Stoß und dgl.), welche umschrieben eingewirkt und durch Markblutung zu Zirkulationsstörungen an den betroffenen Stellen geführt haben. Diese Entstehungsweise ist nicht sehr häufig, aber sie kommt zweifellos vor. Und bei dieser Art der Erkrankung ist naturgemäß die örtliche operative Behandlung in der vorher beschriebenen Weise durchaus angebracht und führt auch sicher zur Heilung des Leidens. Rachitis und Osteomalazie Die Rachitis, welche auch den Namen,,Englische Krankheit" führt, ist ausgesprochen eine Erkrankung des Kleinkindes, welche meist gegen Ende des 1. Lebensjahres beginnt und sich bis zum 3. Lebensjahr hinzieht. Keineswegs ist nur das Knochensystem befallen, sondern der Gesamtorganismus. Dies tritt dadurch besonders hervor, daß gerade während einer Rachitis die Kinder sehr anfällig sind und dann an anderen Krankheiten, z. B. Erkältungen, Keuchhusten, Masern usw., zugrunde gehen, welche sie sonst wahrscheinlich überstanden hätten. Aber diese Unstimmigkeiten im intermediären Stoffwechsel und die Anfälligkeit gegenüber Infekten treten für gewöhnlich nicht so eklatant in Erscheinung wie die anatomischen Veränderungen am Knochensystem, welche wir beobachten. Und daher ist es gerechtfertigt, die Erkrankung in diesem Abschnitt zu besprechen. Die Natur der Rachitis ist heute als „Mangelkrankheit" erkannt. Und da wir die Vitamine, deren Fehlen zur Rachitis führt, kennen, so sind wir in der Lage, eine wirksame Therapie einzuleiten. Auch früher schon war bekannt, daß der Mangel an Sonnenbestrahlung, der sich bei den Kleinkindern zunächst der englischen (daher der Name !), dann aber auch anderer europäischer Arbeiterviertel auswirkte, eine Ursache der Erkrankung war. Dazu

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tritt noch eine unzweckmäßige Ernährung, und zwar sowohl mengenmäßig als auch qualitätsmäßig (infolge der Armut) sowie in bezug auf falsche Zusammensetzung und falsche Zubereitung der Säuglings- und Kleinkindernahrung. Beim Zusammenwirken dieser Entstehungsursachen kommt es zu einer Störung im Knochenaufbau, die dadurch gekennzeichnet ist, daß nebeneinander eine vermehrte „lakunäre Resorption" von festem und entkalktem halisteretischen Knochen und eine mangelhafte Anlagerung von Kalksalz an den epiphysären und metaphysären Wachstumszonen stattfinden. Somit ist der verkalkte Knochen von einem weichen, schwammigen, aber nicht verkalkten oder verknöcherten osteoiden Gewebe umgeben, die Epiphysenlinien sind verbreitert und unregelmäßig begrenzt, die Knochen in ihrem Bereich aufgetrieben, das Mark blutreich, der gesamte Knochen weich und biegsam. Dementsprechend finden wir als klinische Symptome eine Auftreibung der Knorpelfugen an den Gliedmaßen, eine Verbiegung derselben verschiedenen Grades, Deformierungen der Wirbelsäule und des Beckens, Zurückbleiben des Längenwachstums (rachitischer Zwergwuchs). Diese Erscheinungen treten natürlich erst auf, wenn das Kind sich aufsetzt oder anfängt zu gehen. Somit pflegt beim Aufsetzen zunächst eine Kyphoskoliose sich auszubilden, beim Gehen dann die Verbiegung der Beine. Aber auch während der Säugling noch liegt, kann der rachitische Schädelknochen sich abflachen, so daß das bekannte „Caput quadratum" entsteht. Die Schwellung der Wachstumszonen kann man an Knien und Handgelenken, aber ganz besonders eindrucksvoll an der Knorpel-Knochengrenze der Rippen („Rachitischer Rosenkranz") beobachten. Am Brustkorb selbst sinken infolge des Zuges des Zwerchfelles die seitlichen Teile ein, so daß das Brustbein stärker hervortritt und die Deformität der Hühnerbrust erzeugt. Der normale Zahndurchbruch ist gestört, und zwar setzt er bis zu einem halben Jahr später ein und dauert bis zu einem Jahr länger als normal. Der harte Gaumen nimmt eine spitzbogenförmige Gestalt an, die Zähne selbst weisen in ihrem Schmelz charakteristisch ringförmige und streifenförmige Defekte auf. Die abnorme Knochenweichheit macht die Kinder unlustig zu jeder körperlichen Bewegung, sie lernen daher auch sehr viel später laufen als ein normales gesundes Kind. Die Produktion und Rückresorption von Liquor cerebrospinalis befinden sich nicht in dem normalen Gleichgewichtszustand, so daß wir sehr häufig einen Hydrozephalus beobachten. Auch Spasmophilie mit Krämpfen, Darmkatarrh, Neigung zu Bronchitis und Pneumonie können bei der starken Anfälligkeit des Allgemeinkörpers verhängnisvoll werden. Alle diese Erscheinungen können in sehr verschiedenem Grade auftreten. In leichten Fällen und bei frühzeitig einsetzender zweckmäßiger Behandlung gehen sie schnell vorüber und hinterlassen nur geringe Restzustände. Die monateund jahrelang bestehende Erkrankung, die nur selten über das 4. Lebensjahr hinaus vorhanden ist, führt zu sehr schweren Formveränderungen des Knochensystems, welche sich später nur mühsam, teilweise überhaupt nicht korrigieren lassen. Der Schwerpunkt der Bekämpfung der Rachitis liegt bei der früh einsetzenden Prophylaxe. Durch Belehrung der Mütter ist dafür zu sorgen, daß die Ernährung der Kleinkinder zweckmäßig erfolgt, daß sie nicht von Licht und Luft abgeschlossen werden. Durch Besserung der Wohnungsverhält-

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nisse wird man weiterhin einen Teil der drohenden Erkrankungen im Keime ersticken. In allen diesen Richtungen ist in Deutschland in den letzten Jahren sehr viel Segensreiches geschehen. Gefährdeten Kindern wird man in den Wintermonaten Strahlung durch die „künstliche Höhensonne" zuführen und die fehlenden Vitamine durch Lebertranpräparate und Vigantol ersetzen. Aber nie sollen Ärzte und Eltern vergessen, daß die natürliche Sonne besser ist als künstliche Höhensonne und daß zweckmäßige Ernährung (richtig gekochtes Gemüse, Obst, Fruchtsäfte) besser ist als chemische Präparate. Die Behandlung der ausgebrochenen Rachitis muß sowohl den Vitaminmangel des Organismus beheben, als auch die weitere Deformierung des Knochensystems verhindern. Wir werden also den Kindern eine vitaminreiche Nahrung (Obst, Gemüse) geben, von Lebertranpräparaten und Vigantol Gebrauch machen (einmalige Gabe von 5-—10 mg Vigantol) und den Gesamtkörper in vorsichtig dosierter Form der natürlichen Besonnung oder der Bestrahlung durch künstliche Höhensonne aussetzen. Solange die Knochen noch weich sind und dem Druck der aufrechten Körperhaltung nachgeben, ist eine Liegebehandlung durchzuführen, welche einer Behandlung mit steigender körperlicher Belastung zu weichen hat, wenn die Knochenfestigung ausreichend fortgeschritten ist. Außer der Rachitis des Kindesalters kennen wir noch ein als Rachitis tarda adolescentium bezeichnetes Leiden. Es pflegt Menschen in der 2. Hälfte des 2. Lebensjahrzehnts zu befallen, also in einem Zeitpunkt, in welchem sie sich in der Berufsausbildung befinden. Das Leiden ist fast ausschließlich auf die Knochen der Beine beschränkt, an denen sich durch die funktionelle Beanspruchung Verbildungen wie Coxa vara, O-Beine, X-Beine, Plattfüße ausbilden. Es ist noch nicht einmal sicher, ob das Leiden mit der Rachitis tatsächlich etwas zu tun hat. Das Röntgenbild zeigt in solchen Fällen verbreiterte Epiphysenfugen, deren Begrenzung sägeförmig ausgefranst ist, häufig verbunden mit einer stärkeren Randsklerose. Auch schubweises Auftreten der Erkrankung ist beobachtet worden, so daß diese Randsklerosen in parallelen Linien (wie die Jahresringe eines Baumes) auf dem Röntgenbilde zu erkennen sind. Klinisch beobachtet man eigenartige ziehende Schmerzen in den Gelenken, die sowohl bei der Arbeit als auch in der Ruhe auftreten können. Neben einer Allgemeinbehandlung im vorher skizzierten Sinne muß der Arzt (ganz besonders der Werkarzt) die Arbeitstätigkeit des jungen Menschen seiner Körperkonstitution anpassen und besonders langdauernde, gleichartige Beanspruchungen ausgleichen (Ausgleichsport!). Die Osteomalazie ist eine Erkrankung, welche in ihrer Erscheinungsform dem Zustandsbild dei Rachitis ähnelt, ohne daß damit gesagt ist, daß die beiden Erkrankungen wesensgleich sind. Beiden gemeinsam ist die Tatsache, daß das Knochensystem erweicht und so den Anlaß zu starken Deformierungen geben kann mit dem Unterschied, daß die Rachitis den wachsenden Knochen befällt, also im frühen Kindesalter auftritt, während die Osteomalazie am voll ausgebildeten Knochen des Erwachsenen zur Entwicklung kommt. Bevorzugt befallen werden von der an und für sich nicht sehr häufigen Erkrankung Frauen in den letzten Monaten der Schwangerschaft oder bei lange fortgesetztem Stillen. In manchen Gegenden kommt das Leiden fast endemisch vor, ohne daß man letzten Endes den eigentlichen Grund angeben könnte. Auch pathologisch-anatomische Untersuchungen am Knochensystem und die Verfolgung der an ihm einsetzenden Resorptionsvorgänge

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haben die Ätiologie nicht sicher klären können. Es muß eine Disharmonie im Zusammenwirken von Ovar, Schilddrüse, Epithelkörperchen und dem chromaffinen System bestehen, über deren Natur wir im einzelnen noch nichts aussagen können. Der Krankheitsverlauf ist zunächst sehr unbestimmt. Es treten Schmerzen neuralgischen und rheumatischen Charakters im Kreuz und in den Beinen auf, welche meist zunächst nicht richtig gedeutet werden. Dann folgen die Formveränderungen im Knochensystem, als erstes meist die Kyphoskoliose und die Coxa vara (watschelnder Gang!), dann die Deformierung der Beine. Sie können so hochgradig werden, daß ein Aufstehen und eine Fortbewegung unmöglich sind und die elenden Kranken gezwungen sind, dauernd zu Bett zu liegen, bis sie an Entkräftung oder an interkurrenten Erkrankungen sterben. Wenn die Schwangerschaft sicher als Ursache erkannt ist, ist ihre Unterbrechung und Verhütung notwendig. Auch ein Eingriff in das Zusammenspiel der innersekretorischen Drüsen durch Röntgenbestrahlung oder Exstirpation der Ovarien kann zweckmäßig sein. Auf jeden Fall empfiehlt sich aber eine lange Zeit durchgeführte Behandlung mit Vigantol. Zu Ende des Weltkrieges und in der Nachkriegszeit hat man in einigen Ländern Europas (Deutschland, Österreich, Rußland) besonders bei jugendlichen, aber auch bei älteren Personen endemisch auftretende Knochenerweichungen beobachtet, welche man als Hungerosteopathien bezeichnete. Es handelte sich um elende Kranke in sehr stark reduziertem Allgemeinzustand, bei denen wechselnd starke Schmerzen sowohl bei der Belastung als auch in der Ruhe an den verschiedensten Körperstellen bestanden. Auch Spontanfrakturen wurden beobachtet. Hauptsächlich befallen waren Brustkorb, Wirbelsäule, Becken, Knie. Die klinischen Erscheinungen an den Knochen entwickeln sich langsam und sind vergesellschaftet mit einer Anämie, Muskelatrophie, leichter Ermüdbarkeit, manchmal auch Spasmophilie und Tetanie. Als Ursache ist unzureichende Ernährung, besonders das Fehlen von ausreichenden Mengen Fett neben dem Mangel an Vitaminen, erkannt worden. Daraus ergeben sich die zweckmäßigen Heilmaßnahmen, welche in allen leichten und mittelschweren Fällen auch zu vollem Erfolg führen. Einmal eingetretene Knochendeformierungen bleiben natürlich bestehen und bedürfen gegebenenfalls operativer Korrektur. Akute hämatogene eitrige Osteomyelitis Wenn wir von der Osteomyelitis (also Knochenmarksentzündung) sprechen, so hat sich dieser Ausdruck nicht nur für die Entzündung des Knochenmarks selbst, sondern auch für die der eigentlichen Knochensubstanz und des Periosts eingebürgert, und es besteht kein Anlaß, von dieser Gewohnheit abzuweichen. Die auf dem Blutwege entstandene akute eitrige Osteomyelitis ist eine Erkrankung des jugendlichen Wachstumsalters (97%), während sie nach Abschluß des Knochenwachstums, also nach Verschwinden der Epiphysenfugen, ausgesprochen selten (3%) ist. Die Osteomyelitis kommt durch Verschleppung von Eitererregern (meist Staphylokokken) auf dem Blutwege und ihre Ansiedlung in dem Knochen zustande. Das Eindringen der Erreger in den Knochen von außen her durch eine Wunde (Schuß, Stich, komplizierte Fraktur) bedingt eigentlich eine wesensverschiedene Erkrankung, welche zwar auch zur Entzündung

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im Knochen und damit zu einer Osteomyelitis führt, aber doch von der hämatogenen eigentlichen Osteomyelitis streng abgesondert werden sollte. Die Eintrittspforte, aus welcher die Erreger stammen und von der aus sie auf dem Blutwege verschleppt werden, ist nicht immer mit Sicherheit zu ermitteln. Erwähnt seien vor allen Dingen Anginen, Furunkel, Aknepusteln, Nebenhöhlenentzündungen, Ekzeme, eitrige Wunden, aber auch Allgemeinerkrankungen wie Pneumonie, Scharlach, Darmkatarrh, Erkältungskrankheiten, chronische Fisteleiterungen usw. Der Einfluß eines Traumas auf die Lokalisation der Eiterung ist früher ungebührlich überschätzt worden. Oft sucht das Kausalitätsbedürfnis des Menschen nach einer Ursache für die schwere Erkrankung, und der Betroffene selbst oder seine Angehörigen erinnern sich an irgendeinen längere oder kürzere Zeit zurückliegenden Unfall, welcher dann als Ursache beschuldigt wird. Das Ergebnis der ungeheuer großen Erfahrung der Unfallmedizin geht dahin, daß eine traumatisch hämatogene Osteomyelitis eine ausgesprochen seltene Erkrankung ist. Wenn man ihr Vorliegen anerkennen will, muß eine erhebliche Gewalteinwirkung die Körperstelle getroffen haben, an welcher die Osteomyelitis zur Entwicklung kam. Das Wort „erheblich" ist dabei so zu definieren, daß das Trauma nach Richtung und Stärke geeignet gewesen sein muß, eine Blutung im Knochen hervorzurufen. Weiterhin muß zwischen dem Zeitpunkt der Einwirkung des Traumas und dem Ausbruch der Erkrankung ein angemessener Zeitraum liegen, der in Ubereinstimmung gebracht werden kann mit dem Charakter der Entzündung in dem vorliegenden Einzelfall. J e länger der Zeitraum ist, desto unwahrscheinlicher ist der Zusammenhang. Eine Spanne von 2 Wochen dürfte die Höchstgrenze darstellen. Aber auch ein Mindestzwischenraum von 1—2 Tagen darf nicht unterschritten werden. Die Lokalisation der Eiterung pflegt in der Mehrzahl der Fälle typisch zu sein. Vorwiegend betroffen sind die Metaphysen der langen Röhrenknochen und unter ihnen besonders Schienbein, Oberschenkelknochen und Oberarmknochen. Nach den Untersuchungen von L e x e r ist die Gefäßverteilung im wachsenden Knochen mit den zahlreichen bäumchenförmig sich auffasernden Endarterien an den Knochenwachstumszonen die Ursache dafür, daß es nach der Bakterienembolie zur Ausbreitung der Eiterung kommen kann, weil durch die Embolie an sich eine umschriebene Gewebsnekrose hervorgerufen wird, welche das Angehen der Eiterung begünstigt. Der pathologisch-anatomische Verlauf der Erkrankung kann je nach der Virulenz der eingedrungenen Bakterien verschieden sein, grundsätzlich spielen sich stets dieselben Erscheinungen nur unterschieden in Heftigkeit und Ausdehnung ab. Nach der Ansiedlung der Bakterien beginnen eine Hyperämie und ödematöse Durchtränkung des umgebenden Gewebes vorwiegend des Knochenmarks. Von hier aus wird in mehr oder weniger großem Umfang manchmal das ganze Knochenmark von dem Entzündungsprozeß ergriffen, wir sprechen von der Markphlegmone. Handelt es sich um weniger giftige Erreger, dann kann der Körper des Entzündungsprozesses Herr werden und ihn abkapseln, so daß ein umschriebener Herd entsteht, den wir meist als Brodieschen Knochenabszeß bezeichnen. Er kann jahrelang in derselben Größe bestehen bleiben, braucht nicht immer klinisch sofort erkennbare Erscheinungen zu machen, unterhält aber häufig unbestimmte ziehende Beschwerden in dem betroffenen Gliedabschnitt. Daneben vermag er aber auch Anlaß zu Rückwir-

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kungen auf den Allgemeinkörper zu geben, indem rheumatische Affektionen an den verschiedensten Stellen unterhalten werden. Daher sind die operative Eröffnung und Auslöffelung des Herdes in jedem Falle angezeigt. Für gewöhnlich greift die Markphlegmone auf die eigentliche Knochensubstanz über, durchdringt sie auf dem Wege über die H ä v e r s sehen Kanäle und gelangt unter die Knochenhaut, welche zunächst ebenfalls hyperämisch und ödematös wird. Die sich bildenden Entzündungsprodukte, also der Eiter, gelangen in den Spalt zwischen Knochenoberfläche und Periost und heben dieses in mehr oder weniger großen Bezirken ab. Durch Fortschreiten dieses Prozesses gelenkwärts vermag auch ein Durchbruch des Eiters in die Gelenkhöhle zu erfolgen, eine Komplikation, welche wir nicht allzu selten sehen. Durch den Entzündungsprozeß in der Nähe eines Gelenkes kann sich in demselben auch ein Reizerguß bilden, welcher zunächst bakteriologisch steril ist, sich im Laufe der Zeit aber ebenfalls mit Bakterien infizieren kann. Die Epiphysenlinie setzt vorübergehend dem Fortschreiten der Infektion einen Widerstand entgegen, der jedoch durchbrochen werden kann, so daß dann dem Übergreifen der Entzündung nach dem Gelenkinnern und der Ausbildung eines Gelenkempyems nichts mehr im Wege steht. Schließlich führen auch primär in der Epiphyse gelegene Herde zur Gelenkvereiterung. Da bei den großen Gelenken (Schulter, Hüfte und Knie) die Umschlagfalten der Gelenkkapsel über die Epiphysenlinie hinaus bis zur Metaphyse reichen, so entsteht bei ihnen das Gelenksempyem meist durch Übergreifen des subperiostalen Abszesses direkt auf das Gelenk. Der im und unter dem Periost gelegene Eiterungsprozeß beteiligt natürlich auch die umgebenden Weichteile, breitet sich in den Muskelinterstitien aus, befällt die Muskulatur selbst und vermag sich im Laufe der Zeit auch nach der Körperoberfläche durchzuarbeiten und hier Fisteln hervorzurufen, durch welche der Eiter abfließen kann. Da der Grundvorgang bei der Entstehung der Osteomyelitis eine Bakterienembolie ist, so ist es nicht verwunderlich, daß das Leiden entweder zu gleicher Zeit oder auch nacheinander an verschiedenen Stellen auftritt. Hin und wieder macht man dabei die Beobachtung, daß die einzelnen Herde in ihrer Virulenz merkwürdig verschieden sind. Neben dem örtlichen Knochenherd der Osteomyelitis besteht aber selbstverständlich immer auch noch eine Allgemeininfektion. Sie kann häufig vollkommen im Vordergrund des gesamten klinischen Bildes stehen. Und diese Fälle pflegen meist mit oder ohne operative Eröffnung des Knochenherdes in wenigen Tagen tödlich zu enden. Das Zahlenverhältnis dieser mit tödlicher Allgemeininfektion vergesellschafteten Fälle zu den weit gutartigeren lokalen Infektionen ist geographisch verschieden. Sicher spielt auch der Vorzustand, nämlich ob das Kind kräftig und gut genährt oder elend und abgemagert ist, eine erhebliche Rolle, in welcher Form sich die Osteomyelitis entwickelt. Mit der Ausbildung des subperiostalen Abszesses ist sozusagen das erste Stadium im Ablauf der Erkrankung beendet, und es folgt das sehr viel länger dauernde zweite Stadium, welches gekennzeichnet ist durch die Ausbildung von Knochennekrosen und die durch sie hervorgerufenen Komplikationen. Der Eiter, welcher die Knochensubstanz von ihrem Periost trennt und welcher auch die Knochenkanälchen durchsetzt, verhindert einmal eine ordnungs-

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gemäße Blutversorgung und vergiftet außerdem die Knochenzellen selbst. So kommt es zu einem Gewebstod, d. h. zur Ausbildung eines Knochensequesters. Die Größe des der Nekrose verfallenden Knochenteils ist verschieden, mitunter kann er die gesamte Diaphyse betreffen, welche dann als „Totalsequester'' zugrunde geht. Es ist verständlich, daß Sorge für rechtzeitigen Eiterabfluß die Größe des Nekroseprozesses verringert. Je nach dem Sitz kann man zentrale Sequester oder periphere, kortikale Sequester unterscheiden, ohne daß diese Differenzierung besondere praktische Bedeutung hat. Die Abgrenzung des abgestorbenen vom lebenden Knochen besorgen die Leukozyten durch die „lakunäre Knochenresorption". Der Vorgang geht recht langsam vor sich und pflegt erst in 8—10 Wochen so weit fortgeschritten zu sein, daß die Gewebstrennung überall eingetreten ist und der Sequester allseitig abgelöst und beweglich geworden ist. Gleichzeitig mit dem Absterben und Demarkieren des Knochens setzt ein Prozeß des Wiederaufbaues ein, der von der Knochenhaut ausgeht. Sie bildet in erheblicher Schnelligkeit neuen Knochen, welcher schalenartig den abgestorbenen Teil umgreift, so daß dieser wie ein Leichnam im Sarge liegt. Man nennt diesen neugebildeten Knochen daher seit altersher die „Totenlade". Dieser neugebildete Knochen besteht aus bimssteinartigem, zunächst weichem, später erst hartem Knochen mit rauher Oberfläche, durchsetzt von zahlreichen Löchern („Kloaken" genannt), durch welche sich der Eiter nach außen entleeren kann. Wenn das Periost durch eine besonders stürmische primäre Eiterung zugrunde ging oder durch unzweckmäßige operative Eingriffe zerstört wurde, bleibt die Regeneration des Knochens teilweise aus. Die Folge ist das Auftreten von Spontanfrakturen mit den dadurch sich ergebenden Komplikationen und der Verzögerung und Verschlechterung des Heilungsergebnisses. Ist der Sequester nur klein, so vermag der Körper ihn in mühsamer Arbeit durch Resorption der Leukozyten weiter zu zerkleinern, so daß die einzelnen Stücke durch die Kloaken und Fistelgänge sich nach außen abstoßen können. Dieser Vorgang kann sich in Monaten und Jahren abspielen, bei auch nur einigermaßen großen Sequestern ist er unmöglich. Die lange Zeit bestehenden Fisteleiterungen führen zu Allgemeinschädigung der parenchymatösen Organe des Körpers, zur Amyloidose, ganz abgesehen davon, daß der Eiterherd im Körper an sich stets eine nicht zu unterschätzende Gefahrenquelle darstellt. Ekzeme der Haut in der Umgebung der Fistelmündungen, von dort ausgehende, häufig rezidivierende Erysipele, ja sogar die Ausbildung eines Fistelkarzinoms sind die wichtigsten drohenden Komplikationen. Wenn die Eiterung bei der Osteomyelitis nicht sehr virulent war, aber doch große Teile des Knochens ergriff, und dann der Körper ihrer Herr wurde, braucht es nicht zur Ausbildung von sichtbaren Knochennekrosen zu kommen, sondern der befallene Knochen verdickt seine Kortikalis manchmal in erheblichem Umfang, bringt die Markhöhle zum Verschwinden und verhärtet die Knochensubstanz hochgradig. Wir sprechen dann von einer sklerosierenden Osteomyelitis. Man glaube aber nicht, daß dieses Ereignis prognostisch günstiger als die Sequestierung ist. Gerade das Gegenteil kann der Fall sein, denn die sklerosierende Osteomyelitis neigt zu dauernden Beschwerden und häufigen Rezidiven des Eiterungsprozesses. Wenn der Entzündungsprozeß sich der Epiphysenlinie nähert, so kann es durch Reizung derselben zu einem vermehrten Längenwachstum des Knochens kommen. Dagegen hat teilweise Zerstörung der Wachstumslinie eine Änderung

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der normalen Wachstumsrichtung, also eine Verbiegung des Knochens, zur Folge. Bei operativen Eingriffen sind daher die Epiphysenlinien peinlichst zu schonen. Der klinische Verlauf der akuten Osteomyelitis ist durch einen überraschenden Beginn gekennzeichnet. Nach geringen Prodromalerscheinungen wie Ziehen in dem betroffenen Körperteil setzen starke Schmerzen ein verbunden mit einer Funktionshemmung (also beim Bein Hinken oder Belastungsunfähigkeit) unter gleichzeitiger schwerer Störung des Allgemeinbefindens in Form von hohem Fieber, oft mit Schüttelfrost beginnend. Nicht nur die dem Entzündungsherd benachbarten Gelenke, sondern auch entferntere, verursachen dumpfe, unbestimmte Beschwerden, so daß zu Beginn der Erkrankung eine Verwechslung mit dem akuten Gelenkrheumatismus vorkommt. Im Laufe der ersten 2—3 Tage entwickeln sich eine Schwellung und Druckschmerzhaftigkeit des betroffenen Gliedabschnitts, bald auch eine blasse, dann blaßbläuliche und erst sehr viel später eine rötliche Verfärbung der Haut der betreffenden Gegend. Die Schmerzen, die meist sehr heftig sind und bohrenden, klopfenden Charakter haben, halten längere Zeit an und pflegen erst, ebenso wie das Fieber, dann nachzulassen, wenn ein Eiterdurchbruch nach außen erfolgt ist. Die Röntgenuntersuchung läßt im akuten Stadium der Osteomyelitis vollkommen im Stich. Wer mit seinen therapeutischen Maßnahmen auf einen positiven Röntgenbefund wartet, kommt zu spät. Erst wenn nach Abhebung des Periosts die Bildung der Totenlade beginnt und der nekrotische Knochen sich zu sequestrieren beginnt, kann man von einem Röntgenbild Aufschluß in diagnostischer Hinsicht erwarten. Bei schweren, meist tödlich endenden Fällen treten die lokalen hinter den Allgemeinerscheinungen so stark zurück, daß es nicht leicht, mitunter sogar unmöglich ist, den Entzündungsherd zu entdecken. Unter Schüttelfrösten, sehr hohem Fieber, starker Steigerung der Pulsfrequenz, septischen Durchfällen, trockener rissiger Zunge entwickelt sich ein Zustand der Teilnahmlosigkeit und Benommenheit, der durch kein Mittel zu beeinflussen ist und zum Tode führt. Der pathologische Anatom demonstriert uns dann Eiterungen in zahlreichen Knochen, aber auch in Lunge, Pleura, Hirnhaut sowie toxische Schädigungen der parenchymatösen Organe, besonders der Nieren. Im chronischen Stadium der Demarkation des Knochensequesters und der Ausbildung der Totenlade haben die akuten Erscheinungen nachgelassen. Aber immer noch bestehen unregelmäßige Temperatursteigerungen, welche den Wechsel der Intensität der Eiterung mit ihrem Aufhören an einer Stelle und Wiederaufflackern an einer anderen, den Durchbruch des Eiters und den Abschluß einer umschriebenen Entzündungshöhle widerspiegeln. Das akute Ödem bildet sich in eine derbe bindegewebige Verdickung um. Der operativ herbeigeführte oder spontan entstandene Durchbruch des Eiters nach außen führt zu multiplen Fisteln, aus welchen sich reichlich gelblicher Eiter entleert. Der Knochen selbst wird, was mitunter durch Betasten festzustellen ist, dicker und härter durch die Ausbildung der Totenlade. Kleine Knochensplitterchen können sich aus den Fisteln abstoßen. Größere Sequester sind mit der Sonde zu tasten (rauher Knochen I) oder im Röntgenbild nachweisbar. Dieser örtlich sich ausbreitende Prozeß kann zu einer Reihe von Komplikationen führen, welche noch kurz geschildert werden sollen. Wenn die Entzündung in der Nähe eines großen Gelenkes sich abspielt, und das t u t sie oft, entwickelt sich ein sympathischer Reizerguß des Gelenkes, den wir uns als Reaktion auf die Giftwirkung der Bakterien und nicht als eine Entzün-

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d u n g der Gelenkinnenhaut selbst vorstellen müssen. Der E r g u ß ist steril, h a t serösen und serofibrinösen Charakter und verschwindet beim Nachlassen des E n t zündungsprozesses von selbst. Dennoch ist es zweckmäßig, ihn unter allen Vorsichtsmaßregeln der Asepsis zu punktieren, um sich von seiner Harmlosigkeit und seinem Charakter zu überzeugen. Dazu gehört nicht nur die bloße B e t r a c h t u n g des in der P u n k Lionsspritze angesaugten Gelenkexsudats, sondern auch seine chemische, morphologische und bakteriologische Untersuchung. Dieses ist schon aus dem Grunde wichtig, weil sich der sterile E r g u ß durch Einwanderung oder D u r c h b r u c h des E n t z ü n d u n g s prozesses in ein Gelenkempyem umwandeln kann, welches eine Behandlung durch P u n k tion und Spülung oder in schwereren Fällen durch operative E r ö f f n u n g und Drainage des Gelenkes erfordert. Ist einmal das Gelenkinnere vereitert, so ist die Versteifung des Gelenkes so gut wie unausbleiblich. Daher m u ß m a n durch entsprechende Verbände und Lagerung d a f ü r sorgen, d a ß diese Versteifung in der für die spätere Verwendung optimalen Stellung erfolgt. Bei ausgedehnter Knochennekrose und mangelhafter periostaler Knochenneubildung der Totenlade können Spontan frakturen vorkommen, deren Heilungsaussichten aber keineswegs schlecht sind. Einwandfreie Fixierung in günstiger Stellung f ü h r t meist zur knöchernen und auch ausreichend festen Konsolidierung.

Die Prognose der Osteomyelitis muß m a n in den ersten Tagen sehr vorsichtig stellen, wenn m a n noch nicht übersehen kann, ob es sich um die tödlich endende F o r m m i t Uberwiegen der Allgemeininfektion handelt. W e n n aber die erste Woche der E r k r a n k u n g überstanden und der K r a n k h e i t s h e r d festgestellt und therapeutisch angegangen werden konnte, sind die A b b . 364 Sequestrierende Osteomyelitis Aussichten f ü r das Leben wesentlich besser (85—90%) geworden. Das Verhalten des Pulses l ä ß t wichtige Schlüsse zu. Steigt die Pulszahl steil an und bleibt hoch, d a n n ist stets Gefahr vorhanden, je mehr sie sinkt, desto besser sind die Heilungsaussichten. Aber wenn m a n auch in bezug auf die E r h a l t u n g des Lebens eine günstige Prognose stellen konnte, so ist die Gefahr für den

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weiteren Verlauf doch vorsichtig zu bewerten, auch wenn der erste Anfall gut ausheilte, denn abgesehen von den schon besprochenen Komplikationen bleiben stets in dem Knochenherd abgekapselt Staphylokokken zurück, die immer wieder, mitunter nach einem Zwischenraum von vielen Jahren, sogar Jahrzehnten, zu einem Aufflackern des Entzündungsprozesses führen können. In dieser Gefahr befindet sich jeder, der eine Osteomyelitis durchgemacht hat. Dieses soll der Arzt dem Kranken aber nicht besonders sagen, um ihm nicht eine unnötige Krankheitsfurcht einzuimpfen. Bei der Behandlung der Osteomyelitis muß man das akute von dem chronischen Stadium trennen. Trotzdem hin und wieder immer einmal der konservativen Behandlung des akuten Anfalls der Osteomyelitis das Wort geredet wird, gilt doch der Satz zu Recht, daß man jede akute Eiterung so frühzeitig und so schnell operativ eröffnen soll, wie es irgend geht. Dies ist gerade bei der Osteomyelitis verständlich, denn der Entzündungsdruck preßt ja die Bakterien immer weiter in bisher normale Gebiete des Knochens. Dadurch wird die Ausdehnung der Entzündung im Knochen selbst ebenso vergrößert wie die Gefahr der Ausbildung einer Allgemeininfektion bei zunächst lokalem Krankheitsherd. Mitunter gelingt es, durch eine Penicillinbehandlung eine Osteomyelitis im Frühstadium zu koupieren. Man wird diese Behandlungsart stets auch in späteren Stadien zur Unterstützung der operativen Therapie zur Anwendung bringen. Die frühzeitige Behandlung mit ausreichenden Dosen von Penicillin ist bei Verdacht auf akute Osteomyelitis unbedingt notwendig. Gelingt es ausnahmsweise nicht, die Erkrankung durch Behandlung mit antibiotischen Mitteln aufzuhalten, so warte man nicht sichere Zeichen etwa auf dem Röntgenbilde oder das Auftreten einer Fluktuation oder gar einer Hautrötung ab, sondern lege den Knochen frei und trepaniere ihn an umschriebener Stelle, wenn man nicht schon unter dem Periost auf Eiter stößt. Hat man auf diese Weise eine Osteomyelitis eröffnet, erhebt sich die Frage, welche verschieden beantwortet wird, ob man sich damit begnügen soll, nur den periostalen Abszeß zu spalten, oder ob man außerdem noch die Markhöhle aufmeißeln, also die Markphlegmone breit eröffnen soll. Ich halte den letzten Weg für den richtigen, wenn man vor der Aufmeißelung des Knochens das Periost sorgfältig abschiebt und keineswegs mit entfernt. Die breite Eröffnung der Markhöhle schafft die besten Verhältnisse für den Abfluß der Entzündungsprodukte aus dem Knochen. Es ist nicht notwendig, die Markhöhle in ihrer ganzen Ausdehnung aufzumeißeln, sondern es genügt die Entfernung eines etwa je nach Art und Länge des Knochens 3—10 cm längen Stückes der Kortikalis. Das Ziel der Operation muß stets sein, den reibungslosen Abfluß des Eiters zu gewährleisten. Nach diesem Eingriff ist die Entwicklung der prognostisch so sehr viel ungünstigeren sklerosierenden Osteomyelitis seltener als beim Bestehenbleiben des Entzündungsdruckes bei uneröffneter Markhöhle. Das vollkommene Auskratzen des phlegmonös entzündeten Markes ist ebenso unnötig wie die primäre totale Resektion des befallenen Knochens, wenn man nicht beides sogar als schädlich bezeichnen will. Die Operation selbst soll man in Äthernarkose und Blutleere ausführen. Den freigelegten Knochen muß man vor der Austrocknung bewahren. Man kann dies dadurch erreichen, daß man die Weichteile darüber mit einigen Situationsnähten, zwischen denen ausreichend große Lücken mit Drains liegen, vernäht oder indem man die Wundhöhle vollbluten läßt oder mit einem

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tierischen Fett, z. B. Lebertran oder ähnlichen Präparaten, ausfüllt. Die Wahl des Mittels ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Weiterhin muß man die erkrankte Extremität ruhigstellen. Am besten geschieht dies in einem Gipsverband, welcher die beiden benachbarten Gelenke mit einbezieht. Wiederum ist es minder wichtig, ob man den Gipsverband mit Fenster versieht oder nicht. Ich persönlich bevorzuge das erstere. Wenn nach einer derartigen Behandlung sich das Allgemeinbefinden nicht wesentlich bessert, Puls und Temperatur nicht deutlich sinken, so ist dies ein Zeichen dafür, daß man den Eiterherd entweder nicht ausreichend genug eröffnet hat oder daß auch in einem anderen Knochen eine Osteomyelitis sich abspielt. Man muß nach ihr suchen. Im chronischen Stadium der Osteomyelitis, wenn sich ein Sequester gebildet hat, kommt es darauf an, ihn operativ zu entfernen (Nekrotomie). Dieser Eingriff ist nicht so dringlich. Man kann mit ihm längere Zeit warten, und soll dies tun, bis der Sequester sich deutlich demarkiert hat. Durch Sondenuntersuchung und durch Anfertigung von Röntgenbildern (vgl. Abb. 364) kann man den günstigsten Zeitpunkt feststellen. Er wird je nach der Größe des Sequesters 2—5 Monate nachdem akuten Stadium liegen. Ander aus dem Röntgenbild zu ermittelnden Stelle wird die Totenlade aufgemeißelt, und zwar in dem kleinsten notwendigen Umfang, um den Sequester zu entfernen. Dann werden die in der alten Markhöhle befindlichen Granulationen ausgekratzt, die Höhle selbst wird durch Abmeißeln der Ränder in einen flachen Graben verwandelt, soweit dies unter Berücksichtigung der Wandstärke und der Tragfähigkeit der zurückbleibenden Totenlade möglich ist. Dann werden die Weichteile in der Umgebung so weit mobilisiert, daß sie sich ohne Spannung in die Höhle einschlagen lassen. Schließlich kann man dann, trotzdem dieses Wundgebiet ja keineswegs aseptisch ist, die Wundränder locker vernähen. In sehr vielen Fällen wird man eine fast primäre Heilung erzielen, kommt es an irgendeiner Stelle zur Infektion, so wird dort ein Faden entfernt und ein dünnes Drain eingeschoben. Nach dieser allgemeinen Schilderung des Krankheitsbildes, welche ohne Berücksichtigung der Lokalisation an einzelnen Skelett-Teilen erfolgte, bleibt nur noch übrig, kurz zu registrieren, was über die Osteomyelitis der einzelnen Extremitätenknochen zu sagen ist. In y 5 der Gesamtfälle sind die oberen Gliedmaßen befallen. An Schulterblatt und Schlüsselbein ist die Erkrankung selten. Der Humerus ist mit 10 % an der Gesamtzahl beteiligt. Vereiterung der Gelenke besonders des Schultergelenkes sind nicht häufig, wohl aber die Ausbildung einer Schulterkontraktur infolge der notwendig werdenden langen Fixation. Daher sollte der Verband stets in Abduktion des Oberarmes angelegt werden. Bei der operativen Eröffnung und bei der Nekrotomie muß man sich vor Verletzungen des Nervus radialis hüten. Die Speiche wird meist in der unteren Hälfte nahe dem Handgelenk, die Elle in der oberen Hälfte nahe dem Ellenbogengelenk befallen. Gerade an diesen beiden Knochen ist die Ausbildung des avirulenten B r o d i e sehen Abszesses relativ häufig. Während des chronischen Stadiums der Osteomyelitis beider Knochen muß durch entsprechende Übungen die Beweglichkeit der Finger gewährleistet werden, wenn nicht die Erkrankung mit einer totalen Funktionsunfähigkeit des gesamten Vorderarmes enden soll. Das Abwägen, welches Bewegungsausmaß man den Fingern in den einzelnen Stadien der Entzündung gewähren und zumuten darf, ohne den Heilungsprozeß an

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sich schädlich zu beeinflussen, stellt hohe Anforderungen an die Kunst des Arztes. Etwa 4 / 5 aller Osteomyelitisfälle betreffen die untere Extremität. Vorwiegend, und zwar fast in der Hälfte der Fälle, ist der Oberschenkelknochen in seinem unteren Drittel befallen. Das Ubergreifen der Entzündung auf das Kniegelenk mit all ihren schädlichen Folgen, besonders der Versteifung des Gelenkes, ist leider fast die Regel. Andererseits ist die planmäßige Überwachung dieses Gelenkes durch den Arzt leicht. Der tiefe Sitz der Osteomyelitis im „Planum popliteum" erschwert die Nekrotomie an dieser Stelle, erhöht die Gefahr der Arrosionsblutung aus den großen Gefäßen der Kniekehle, kann besonders bei unzweckmäßiger Lagerung des erkrankten Gliedes durch Muskel- und Sehnenschrumpfung zur Beugekontraktur im Knie führen und erschwert auch die Deckung des durch die Sequestrierung des Knochens bedingten Defektes mit Haut. So bleiben gerade an dieser Stelle häufig mit Ulzerationen bedeckte Knochenmulden übrig. Auch die sklerosierende Form der Osteomyelitis ist häufig im Femur lokalisiert. Im oberen Teil des Femur ist die Osteomyelitis seltener, meist befällt sie hier den Schenkelhals, häufig wird das Hüftgelenk mit ergriffen. Die Erkennung und Behandlung der Erkrankung an dieser versteckten Stelle des Körpers sind schwierig. Das Schienbein ist in etwa y a der Gesamtfälle befallen. Der Sitz in der Diaphyse des Tibiakopfes ist vorherrschend. Für ihn gelten dieselben Komplikationen, wie sie bei der Osteomyelitis des Femur im Planum popliteum geschildert wurden. Das Wadenbein wird ebenso wie die meisten Fußwurzelknochen selten befallen. Am häufigsten findet man noch zentrale osteomyelitische Herde im Kalkaneus, welche auch bei anatomisch leidlicher Ausheilung doch zu Störungen der Statik des Fußes und damit zu dauernden Beschwerden trotz passender Schuheinlagen führen. Von den Mittelfußknochen wird der erste auffallend viel häufiger befallen als alle anderen. Typhöse Osteomyelitis Auch Typhuserreger können in den Kreislauf kommen und zu einer Osteomyelitis führen. Der Verlauf ist ausgesprochen langsam und uncharakteristisch. Vorwiegend befallen sind die Rippen, das Schlüsselbein, ein Wirbelkörper und dann erst die übrigen Knochen. In den Knochenherden können sich noch nach Jahren lebensfähige Typhusbazillen finden. Wenn das Leiden auf Grund des Röntgenbildes richtig erkannt ist, sind an Rippe und Schlüsselbein subperiostale Knochenresektionen im Gesunden angezeigt. Das Angehen eines Herdes im Wirbelkörper durch die Kostotransversektomie ist sehr zu überlegen und nur bei progredienten Erscheinungen ratsam. Operative Versteifung der Wirbelsäule an dieser Stelle als zusätzlicher Eingriff durch Transplantation eines Knochenspans zwischen die Dornfortsätze (nach HenleAlbee) ist zu erwägen. Knochentuberkulose Die Tuberkulose kann sich ebenso wie die eitrige Osteomyelitis auf hämatogenem Wege im Knochen ansiedeln. Meist liegt der Ausgangsherd, obwohl er klinisch keineswegs in Erscheinung zu treten braucht, in den Lymphknoten des Lungenhilus oder der Mesenterialwurzel oder auch in ganz kleinen Herden der Lungenspitze selbst. Von diesen Stellen aus kommt es zur bakteriellen Embolie in die Knochen. Im Gegensatz zur eitrigen Osteomyelitis sind aber R o s t o c k , Lehrbuch der speziellen Chirurgie. 3. A u f l .

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vorwiegend die Epiphysen und die kurzen spongiösen Knochen befallen. Die primäre Tuberkulose eines Röhrenknochens ist eine sehr große Seltenheit, nur an Mittelfußknochen, Mittelhand und Fingerknochen kommt sie in der Form der Spina ventosa vor. Disponierende Erkrankungen für die Ausbildung einer Knochen- und Gelenktuberkulose sind allgemein erschöpfende Krankheiten wie Infektionen, Masern, Scharlach, Erkältungskrankheiten. Aber auch unzweckmäßige und ungenügende Ernährung sind hier zu erwähnen. Die Erfahrungen Deutschlands in und nach dem Weltkrieg mit dem starken Ansteigen der Zahlen der chirurgischen Tuberkulose haben dies eindeutig bewiesen. Dagegen wird der Einfluß eines örtlichen Traumas auf die Lokalisation der Tuberkulose an einer bestimmten Stelle erheblich überschätzt. Wenn man einen solchen Zusammenhang als gegeben annehmen will, muß die Körperstelle, an welcher sich die Tuberkulose entwickelte, von einem erheblichen Trauma betroffen worden sein, welches geeignet war, Blutungen in den Knochen zu setzen. Und weiterhin muß zwischen Trauma und klinischer Nachweisbarkeit der Tuberkulose ein Zeitraum liegen, welcher dem Charakter der Erkrankung entspricht, also mindestens 6 Wochen bis höchstens 6 Monate. Andererseits kann auch eine bereits bestehende Knochentuberkulose durch ein auf den befallenen Körperherd einwirkendes Trauma verschlimmert werden. Wenn man dieses als gegeben annehmen will, dann muß sich im unmittelbaren Anschluß an das Trauma der Charakter des Krankheitsverlaufs deutlich zum Schlechteren verändert haben, und es darf sich nicht nur um den schicksalsmäßigen Verlauf des Grundleidens handeln. Die Knochentuberkulose ist eine Erkrankung der Jugend etwa zwischen 5 und 20 Jahren. Erst im Greisenalter tritt wieder eine Erhöhung der Erkrankungsziffer auf. Das gleichzeitige Bestehen einer Lungentuberkulose ist häufig, besonders bei Kleinkindern unter 10 Jahren und bei Erwachsenen jenseits des 35. Lebensjahres. Wenn bei diesen Leuten der Knochenherd radikal entfernt wird, so können zirrhotisch-indurierende Lungenherde ausheilen, nicht jedoch kavernöse Formen. Die Tuberkulose an sich ist nicht vererbbar, wohl aber eine schwächliche Körperkonstitution und ungünstige Körperform, welche das normalerweise übliche Uberstehen der Erstinfektion hindern kann. Alle Kinder werden in den ersten Lebensjahren durch Einatmung oder bei der Nahrungsaufnahme mit Tuberkelbazillen infiziert. Die meisten überstehen diese leichte Erkrankung, und ihr Körper entwickelt Abwehrstoffe, welche sie gegen spätere Infektionen gefeit macht. Bei anderen Menschen werden die Erreger örtlich abgekapselt (z. B. in der Lunge oder in Lymphknoten). Von hier aus vermögen sie immer .wieder einmal Anlaß zu einer Verschleppung der Tuberkelbazillen an andere Stellen des Körpers zu geben, also auch in die Knochen, und damit zum Wiederaufflackern der Erkrankung zu führen. Die Tuberkulose der Knochen — und auch der Gelenke — tritt uns vorwiegend in zwei verschiedenen Erscheinungsformen entgegen. In der lokalisierten käsigen Form bildet sie umschriebene Herde im Knochen, welche mit einem lockeren, bröckligen Gewebe angefüllt sind und mitunter auch einen Knochensequester enthalten. Die Abgrenzung der Herde gegen den gesunden Knochen ist nicht scharf. Der Prozeß pflegt auch nach den Rändern langsam fortzuschreiten. Der alte Name Caries sicca bezeichnet in glücklicher Weise den Charakter des Leidens.

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Die zweite disseminierte, fungöse Form greift über den primären Ansiedlungsort auf die Nachbarschaft über und befällt besonders auch die dort liegenden Weichteile. Sie bildet schlaffe Granulationen und ödematöse Infiltrationen besonders der Weichteile. Beide Formen der Tuberkulose haben deutliche Auswirkungen auf benachbarte an und für sich gesunde Knochenteile. Es kommt zu einer hochgradigen Atrophie der Knochen mit Abbau der Knochenbälkchen und der Kortikalis sowie Verflüssigung des Marks. Der Knochen wird so weich, daß er mit dem Messer schneidbar ist. Auf dem Röntgenbild kann man diese Knochenatrophie erkennen. Der Verlauf der Knochentuberkulose ist ganz ausgesprochen chronisch und zieht sich über Jahre und Jahrzehnte hin. Der Beginn des Leidens ist sehr uncharakteristisch. Unbestimmte, ziehende, manchmal als rheumatisch gedeutete Beschwerden, leichtere Temperatursteigerungen, die meist unbeobachtet bleiben, leichte Ermüdbarkeit sowohl des betroffenen Körperteils als auch des Gesamtorganismus, langsame Verschlechterung des Allgemeinbefindens sind die ersten Erscheinungen. Dann folgen teigige Schwellungen der Weichteile in dem befallenen Gliedabschnitt. Die Haut wird dünn und gespannt, nimmt eine bläuliche Verfärbung an, und schließlich kann der tuberkulöse Herd durch die Haut durchbrechen. Es entleert sich aus den so entstandenen Fisteln ein dünnflüssiger, gelblicher, nicht riechender tuberkulöser Eiter. Die Fisteln weisen unterminierte Ränder auf, die überhängenden Hautränder sind bläulich verfärbt. Die Auskleidung der Fisteln besteht aus glasigen, schlaffen, speckig belegten Granulationen, in welchen man bei histologischer Untersuchung die typischen Riesenzellen finden kann. Wenn einmal der Durchbruch eines tuberkulösen Herdes durch die Haut erfolgt ist, bedeutet dieses eine sehr wesentliche Verschlechterung des Gesamtzustandes, denn die Mischinfektion des tuberkulösen Herdes ist unvermeidlich geworden und die Heilungsaussichten sind verschlechtert. Der Durchbruch eines tuberkulösen Knochenprozesses nach außen entsteht dadurch, daß sich der tuberkulöse Eiter zunächst in der Umgebung des Knochens ansammelt, dann sich in den Muskelinterstitien als „Senkungsabszeß" ausbreitet und schließlich durch die Haut durchbricht. Dieses kann entfernt von der primären Ansiedlungsstelle des Leidens geschehen. Bei der Besprechung der Wirbeltuberkulose ist hierüber das Notwendige gesagt worden. Die Prognose der Knochentuberkulose hängt im wesentlichen von der Widerstandsfähigkeit des Körpers des Kranken ab, daneben auch von der Giftigkeit der Tuberkelbazillen, die verschieden groß sein kann. Kleinere Herde können resorbiert werden und mit bindegewebiger Narbe oder auch mit regeneriertem Knochen ausheilen. Auch Abkapselungen des tuberkulösen Herdes mit glatter, bindegewebiger Narbe, die von einer Zone sklerosierten Knochens umgeben ist, werden beobachtet. Bei dieser Art der Heilung besteht aber noch nach vielen Jahren die Gefahr des Wiederaufflackerns des krankhaften Prozesses. Jugendliche Menschen pflegen die tuberkulöse Infektion leichter zu überstehen als Erwachsene oder gar Greise, bei denen die Erkrankung besonders schnell und bösartig zu verlaufen pflegt. Eine sehr wichtige Rolle für die Vorhersage des Leidens spielen die äußeren Lebensumstände des Kranken und die Möglichkeit, eine langdauernde Behandlung durchführen zu können. Die Behandlung der Knochentuberkulose hat in den letzten Jahrzehnten erhebliche Wandlungen durchgemacht. Während man früher ausgesprochen 40*

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Gliedmaßen

örtlich operativ vorging, ist diese Therapie später zugunsten der Allgemeinbehandlung fast vollständig verlassen worden. Aber dies ist nicht richtig. Die Kunst des Arztes beruht darin, beide Behandlungsmöglichkeiten zu richtiger Zeit in Anwendung zu bringen. Die Allgemeinbehandlung hat als wesentlichstes Ziel, den Gesamtkörper zu stärken, damit er der Infektion Herr wird. Die örtlich operative Behandlung hat das Ziel, mit einem Schlage die giftigen Krankheitserreger aus dem Körper zu entfernen und ihm damit schwierige und langwierige Heilungsarbeit abzunehmen. Hieraus ergibt sich, daß man am besten beide Behandlungsmethoden kombinieren soll. Es ist aber ebenfalls klar, daß die operative Behandlungsart durchaus zu Recht besteht, zumal wenn ihr Ziel ohne wesentliche Verstümmelung des Körpers zu erreichen ist. Wenn also Aussicht besteht, daß wir durch einen operativen Eingriff den Knochenherd sicher entfernen können, dann wird man diesen Weg gehen, welcher in wenigen Wochen zur Heilung führt und den Menschen wieder arbeitsfähig macht. Man wird nicht dem Körper diese Arbeit überlassen, der dasselbe Ziel, wenn überhaupt, frühestens in Monaten und Jahren erreicht. Arbeitsunfähigkeit und große Geldopfer werden dem Patienten so erspart. Einen isolierten Knochenherd, beispielsweise in einer Rippe oder in der Epiphyse eines großen Gelenkes, werden wir daher sicher chirurgisch angehen. Aber auch wenn es sich z. B . darum handelt, ein schon schwerer tuberkulös erkranktes Kniegelenk zu behandeln, kann man bewußt die verstümmelnde Operation der Kniegelenksresektion vorschlagen und ausführen. Wir erzeugen dadurch ein etwas verkürztes Bein und ein versteiftes Kniegelenk und benötigen zum Heilverlauf vielleicht 3—4 Monate. In diesem Zeitraum haben wir aber aus einem schwerkranken Menschen einen praktisch gesunden und mit geringer Einschränkung arbeitsfähigen Menschen gemacht. Bei der Anwendung rein konservativer Behandlungsmethoden würde derselbe Heilungsvorgang vielleicht 2—3 Jahre in Anspruch nehmen, und es wäre noch nicht einmal sicher, ob eine praktisch ins Gewicht fallende Beweglichkeit des Gelenkes erreicht würde oder ob es bei Abschluß der Behandlung nicht auch versteift wäre. Die Allgemeinbehandlung der Tuberkulose bedient sich der Bestrahlung und der Ernährung als Heilfaktoren. Freiluft und Sonne spielen die wesentlichste Rolle. Das Höhenklima und Seeklima sind besonders geeignet. Aber auch im Flachland sind solche Behandlungen durchführbar, wie. B i e r in Hohenlychen zeigen konnte. Eine geschützte Höhenlage in etwa 1200—1600 m hat in doppelter Beziehung Vorteil, denn einmal kann man bei geeigneter Ortsauswahl dort auch im Winter Liege- und Besonnungskuren durchführen und außerdem ist das Sonnenlicht dort im Gegensatz zur Tiefebene sehr viel reicher an ultravioletter Strahlung, der mit Recht ganz besondere Heilkraft zugeschrieben wird. Die Wirkung der Strahlung besteht wohl weniger in der an sich experimentell nachgewiesenen Abtötung lebender Tuberkelbazillen als in der durch sie bedingten allgemeinen Abwehrsteigerung des Körpers und seiner Gewebe gegen den eingedrungenen Feind, den Tuberkelbazillus. Der Organismus wird in die Lage versetzt, mit sehr viel besseren Erfolgsaussichten den Kampf aufzunehmen. Die Erkenntnis, daß die ultraviolette Strahlung besonders heilkräftig ist, hat dazu geführt, daß man die künstliche Höhensonne konstruierte, bei der mittels der Quecksilber-Quarzlampe eine solche Strahlung jederzeit be-

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liebig erzeugbar ist. Die Abwendung dieser Lampe, besonders bei Kuren in der Ebene m i t ihrem an sich schon verminderten Gehalt des Sonnenlichtes an ultravioletten Strahlen und besonders m i t den vielen Wolken- und Regentagen, ist sehr segensreich. Die Durchführung der Preiluft- und Sonnenkuren ist keineswegs einfach und bedarf stetiger ärztlicher Überwachung, wenn nicht schwere Schäden angerichtet werden sollen. In langsam steigender Dosierung unter steter Beobachtung des Allgemeinbefindens, der zunehmenden Bräunung der H a u t , der Puls- und Temperaturkurve, des Blutbildes und der Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit sind sowohl die Luftbäder als auch die Besonnung anzuwenden, und es ist von Teilbädern zu denen des ganzen Körpers vorzuschreiten. Daneben ist für Ruhigstellung der erkrankten Gliedabschnitte durch geeignete Verbände Sorge zu tragen. Selbstverständlich sind derartige Kuren am besten in dafür spezialisierten Heilanstalten durchführbar. Aber auch m i t Behelfsmitteln lassen sich auf einer Liegewiese, einem Dachgarten oder auch auf einem Großstadtbalkon eventuell in Verbindung mit einer künstlichen Höhensonne ähnliche Heilwirkungen erzielen, wenn die Überf ü h r u n g des Kranken in eine Heilanstalt nicht möglich sein sollte. Der Zusammenarbeit zwischen dem Chirurgen und dem Hausarzt bieten sich hier segensreiche Ausblicke. U n t e r s t ü t z t werden kann diese Allgemeinbehandlung außerdem noch durch Solbadekuren, bei denen ebenfalls Konzentration und Temperatur des Badewassers sowie die Dauer seiner Einwirkung dem Einzelfalle und dem Stadium der Behandlung angepaßt werden müssen. Auch die alte Schmierseifenkur soll nicht in Vergessenheit geraten. Sie besteht darin, daß man etwa dreimal wöchentlich ein walnußgroßes Stück Schmierseife in regelmäßigem Wechsel auf der H a u t einer E x t r e m i t ä t oder des Rumpfes mit etwas Wasser etwa 10 Minuten lang verreibt, sie dort etwa y 2 Stunde bis eine Nacht einwirken läßt und dann m i t einem H a n d t u c h abreibt. Man erreicht dadurch eine Hebung des Allgemeinbefindens. Die medikamentöse Behandlung der Knochentuberkulose erscheint mir nicht sehr aussichtsreich, obwohl eine Unzahl von Mitteln in Vorschlag gebracht worden ist. Eisenpräparate, Arsen, Chinin, Kreosot, Lebert r a n und zahlreiche moderne Vitaminpräparate seien genannt. Man kann sie unterstützend anwenden, zumal wenn der Kranke die Verordnung eines Medikaments erwartet. Das zweite große Heilmittel der konservativen Tuberkulosebehandlung besteht in der Umstellung der Ernährung. Die ausgearbeiteten und erprobten Diätvorschriften gehen auf G e r s o n , H e r m a n n s d ö r f e r und S a u e r b r u c h zurück. Die Kost soll kochsalzfrei oder doch kochsalzarm sein, der Kohlehydratverbrauch zugunsten von Eiweiß und F e t t eingeschränkt werden. Reichliche Beigabe von Obstpreßsäften, frischen Gemüseextrakten, Lebertran, Vitaminpräparaten ist notwendig. Eine Reihe Diätvorschriften und Kochbücher ermöglichen es, diese zunächst für den gewöhnlichen Menschen ungewohnte Kost schmackhaft und damit auch bekömmlich zu machen. Die beste örtliche Behandlung der Knochentuberkulose ist die operative E n t f e r n u n g des gesamten Knochenherdes. Stets sollte die Möglichkeit ihrer Ausführung eingehend geprüft werden. Aber noch eine Reihe anderer Verfahren ist erwähnenswert. Am wichtigsten ist die Anlegung entlastender und ruhigstellender Verbände. Sie stellen eine sehr wesentliche Heilmaßnahme dar. Angewandt werden sie in Form der Extensionsverbände, besonders beim H ü f t -

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gelenk, oder des gefensterten Gipsverbandes. Auch die tägliche Anwendung der Stauungshyperämie nach B i e r für die Dauer von 12 Stunden ist wirksam. Örtliche Anwendung der Röntgenbestrahlung wirkt als Reiz, der sinnvoll in den Gesamtbehandlungsplan eingebaut werden kann. In neuerer Zeit sind gute Erfolge durch lokale Behandlung mit Streptomycin erzielt worden. In geeigneten Fällen wird dadurch ein operativer Eingriff erspart. Haben sich kalte Abszesse gebildet, welche die Neigung haben, größer zu werden, so sind sie mit allen Kautelen der Asepsis mit mehrfach geänderter Punktionsrichtung, um Ventilverschlüsse des Punktionskanals zu erzielen, zu punktieren und soweit als möglich zu entleeren. Die Injektion von etwa 5 bis 10 ccm einer 10%igen Jodoformglyzerinmischung soll einen günstigen Einfluß auf den tuberkulösen Prozeß und die Ausheilung des Abszesses haben. Die Inzision eines kalten Abszesses ist als Kunstfehler zu bezeichnen, da sie zur Mischinfektion und damit zur Verschlimmerung des Leidens führt. Erlaubt ist eine Inzision nur dann, wenn eine Mischinfektion vorhanden ist. Abb. 365. Spina ventosa

Dann

ist

der

Eingriff

aber nicht indiziert zur Behandlung des tuberkulösen, sondern zur Bekämpfung des eitrigen Abszesses. Nach der allgemeinen Besprechung der Knochentuberkulose muß noch auf die Lokalisation in den einzelnen Knochen der Gliedmaßen eingegangen werden. Am Schulterblatt pflegt der Herd im Hals desselben zu sitzen, Neigung zu haben, ins Gelenk durchzubrechen und Senkungsabszesse zu bilden. Das Schlüsselbein ist meist an seinem sternalen und akromialen Ende befallen. Die Resektion des Herdes ist hier das gegebene Verfahren. Im Humerus pflegt sich der Herd im Schultergelenkskopf anzusiedeln, und zwar besonders häufig in der Form der Caries sicca. Auch hier kann operatives Vorgehen mit Erhaltung der Gelenkkonturen angezeigt sein. Geachtet werden muß auf die Anlegung von Verbänden in Abduktion des Oberarmes, damit eine etwa eintretende Gelenkversteifung in dieser Stellung erfolgt. An der Ulna sitzen die Herde meist im Olekranon und neigen zum Durchbruch in das Ellenbogengelenk, an der Speiche nahe dem Handgelenk. Die Handwurzelknochen erkranken besonders häufig an Tuberkulose, welche manchmal auch von einem Herd in der Sehnen-

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scheide auf Gelenk und Knochen übergreifen kann. Das konservative Verfahren ist bei der Handwurzeltuberkulose die überlegene Behandlungsart. Am Mittelhandknochen und Finger begegnen wir einer besonderen und typischen Form der Knochentuberkulose, nämlich der Spina ventosa (Winddorn) (vgl. Abb. 365). Sie kann gleichzeitig an mehreren Stellen auftreten. Fast ausschließlich begegnen wir ihr im frühen Kindesalter. Der Knochen wird unter Freilassung der Gelenke spindelförmig aufgetrieben. Die Kortikalis wird durch das tuberkulöse Granulationsgewebe stark verdünnt, so daß Spontanfrakturen vorkommen. Auch größere tuberkulöse Sequester werden beobachtet. Das Leiden pflegt einen gutartigen Verlauf zu nehmen. Wenn eine Spontanheilung eintritt, erfolgt sie meist unter Verkürzung und Verkrümmung des betroffenen Gliedabschnittes. Die Behandlung mit Besektion des Herdes und primärer freier Knochentransplantation kann aussichtsreich sein. Tuberkulöse Herde im Schenkelhals pflegen der Ausgangspunkt einer tuberkulösen Hüftgelenksentzündung zu sein, diejenigen des großen Rollhügels neigen zur Ausbildung subperiostaler Abszesse mit Übergreifen auf die Schleimbeutel der Nachbarschaft. Derartige Erstansiedelungen sollten frühzeitig radikal operativ entfernt werden. Herde in der Epiphyse des Femur und auch der Tibia am Kniegelenk sind sehr häufig, während in beiden Knochen die Diaphysentuberkulose sehr selten ist. Wenn das Wadenbein ergriffen ist, so sitzt die Erkrankung meist an seinem unteren Ende. Von den Fußwurzelknochen sind das Fersenbein, das Sprungbein und das Kuboid besonders häufig befallen. Im Fersenbein kann die Erkrankung extraartikulär bleiben, bei den beiden andern Knochen pflegt dies nicht der Fall zu sein. An Mittelfußknochen und Zehen kommt, allerdings nicht so häufig wie an der Hand, die Spina ventosa vor. Lues des Knochens Die angeborene Lues führt zu vorzeitiger und unregelmäßiger Verknöcherung der Epiphysenfugen, und zwar nicht an allen, sondern wahllos an einigen. Infolgedessen ist das Längenwachstum gestört. Es braucht dies keineswegs seitengleich der Fall zu sein. An den zweiknochigen Extremitätenteilen führt das ungleiche Wachstum zu Deformierungen (z. B. Säbelscheidentibia) der Glieder. Auch Achsenknickungen infolge ungleichmäßigen Wachstums in den Epiphysenfugen kommen vor. Die erworbene Lues kann im Periost der Knochen, besonders häufig symmetrisch an beiden Schienbeinen, Gummen mit periostischer Schwellung erzeugen, welche besonders in der Nacht starke Schmerzen hervorrufen. Meist sitzt diese Periostitis luelica uhrglasförmig dem Knochen auf, fühlt sich etwas elastisch an und ist druckschmerzhaft. Die Anschwellungen können aber auch ebenso wie die zentralen Knochengummen sich vergrößern, zerfallen und unter Entleerung stinkenden Eiters und nekrotischer Gewebsmassen nach außen durchbrechen. Da die reaktive periostale Knochenneubildung gering zu sein pflegt, so sind Spontanfrakturen häufig. Vorwiegend befallen sind Humerus, Femur und Tibia. In anderen Fällen kommt es meist an der unteren, seltener an der oberen Extremität zu einer diffusen Sklerosierung des Knochens, welche auch mit einer erheblichen Dickenzunahme einhergehen kann. Während der Entwicklung des Leidens bestehen Schmerzen, welche nach Abschluß des Sklerosierungsprozesses zu verschwinden pflegen.

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Die Differentialdiagnose der Knochenlues, besonders gegenüber bösartigen Tumoren, kann sehr schwierig sein. Selbstverständlich wird man die W a s s e r m a n n sehe Reaktion mit den Nebenreaktionen im Serum und auch im Liquor anstellen. Auch die Einleitung einer Therapie ex juvantibus vorwiegend mit Jodkali und die sorgfältige Beobachtung der Reaktion der Knochenherde auf diese Heilweise kann in diagnostischer Beziehung verwertet werden. Die Behandlung der Knochenlues ist vorwiegend antisyphilitisch. Nur gelegentlich einmal kann die Auskratzung eines Gummas mit Entfernung der Sequester und noch seltener eine Knochentransplantation notwendig sein. Die sklerosierende Form bedarf keiner besonderen Behandlung und ist auch nicht rückbildungsfähig. Toxische Gelenkerkrankungen Unter diesem Sammelbegriff pflegen wir die verschiedenen rheumatischen Gelenkaffektionen zusammenzufassen. Dieses ist um so zweckmäßiger, als Ursache und Erscheinungsweise des „Rheumatismus" keineswegs so geklärt sind, wie es wünschenswert wäre. Gerade auf diesem Gebiet befindet sich augenblicklich die medizinische Forschung sehr stark im Fluß. Auf Streitfragen, soweit sie noch nicht ausreichend genug geklärt sind, kann hier nicht eingegangen werden. Der akute Gelenkrheumatismus (Polyarthritis rheumatica acuta) wird heute als eine Infektionskrankheit aufgefaßt, bei welcher von irgendeinem primären Infektionsherd der Erreger selbst oder seine toxischen Stoffwechselprodukte sich in der Gelenkinnenhaut ansiedeln und dort zu krankhaften Veränderungen führen. Ein besonderer Erreger konnte nicht ermittelt werden, so daß von verschiedenen Seiten angenommen wird, es handle sich um ein Virus. Als Ursprungsorte, von denen aus die Erreger oder ihre Toxine in die Gelenke gelangen, kommen nach klinischer Erfahrung die Tonsillen, die Schädelnebenhöhlen, unbehandelte Zahnwurzeleiterungen oder schlecht ausgeführte Zahnfüllungen mit Granulomen an den Wurzelspitzen oder Entzündungen der Herzklappen in Frage. Es ist wohl nicht so, wie man früher annahm, daß die Leute nach oder während des Gelenkrheumatismus leicht eine Endokarditis bekommen, sondern umgekehrt, daß die vielleicht lange versteckt gebliebene Endokarditis das primäre und der Gelenkrheumatismus das sekundäre Leiden ist. Aber auch ausgesprochen allergische Vorgänge wie die Uberempfindlichkeitsreaktionen nach Seruminjektionen haben in ihrem Ablauf viel Ähnlichkeit mit dem Krankheitsbild des Rheumatismus an der Gelenkinnenhaut nur mit dem Unterschied, daß die Erscheinungen in diesen Fällen flüchtiger zu sein pflegen. So ist es berechtigt, den Rheumatismus als toxische allergische Gewebsreaktion aufzufassen, welche durch die verschiedenartigsten Eiweißkörper, sei es eingespritztes artfremdes Serum, seien es im Körper erzeugte Bakterientoxine der verschiedensten Art, hervorgerufen wird. Der in seiner Intensität differente Verlauf der Einzelfälle läßt sich durch die Annahme an und für sich verschiedenartiger Eiweißstoffe als auslösendes Agens gut erklären. Auch das schubweise Auftreten des Leidens in verschiedener, meist zunehmender Stärke paßt mit der Annahme einer anlagemäßigen Bereitschaft und einer Sensibilisierung des Körpers durch die verschiedenen Gifteinbrüche in diesen Rahmen. Und schließlich kann es neben der reinen Eiweißwirkung der Toxine ja auch einmal zur Verschleppung und Metastasierung der Erreger selbst kommen.

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Der Krankheitsverlauf des akuten Gelenkrheumatismus beginnt meistens plötzlich mit einem starken Fieberanfall, an welchen sich ein remittierendes Fieber für Tage bis viele Wochen von 39,5° und mehr anschließt. Starke und häufige Schweißausbrüche schwächen den Körper. Unter erheblichen Schmerzen werden ein oder mehrere Gelenke gleichzeitig oder schubweise nacheinander befallen. Die Gelenkkapsel und das periartikuläre Gewebe schwellen an. Es bildet sich eine seröse und serofibrinöse Durchtränkung der Gewebe, welche von der Gelenkinnenhaut ihren Ausgang nimmt, in der die Veränderungen am stärksten ausgebildet sind. Die Synovialis wird hyperämiscji verdickt, bekommt ein düsterrotes Aussehen, wandelt sich mitunter in eine Art Granulationsgewebe um, das dazu neigt, mit den gegenüberliegenden Teilen der Gelenkkapsel zu verschmelzen. Im Gelenkinneren findet sich meist ein seröser und serofibrinöser Erguß, welcher rein mengenmäßig bei den schweren Erkrankungsformen nicht sehr hochgradig zu sein pflegt. Die Gelenke, die durch das kollaterale Ödem eine leicht spindelförmige Auftreibung zeigen, stellen sich zur Entlastung des Gelenkinnendruckes in eine mittlere Beugestellung, die Haut über ihnen ist gerötet und fühlt sich heiß an. Jede Bewegung in den Gelenken ist sehr schmerzhaft und wird peinlichst vermieden, aber auch Spontanschmerzen bestehen. Im Laufe der Erkrankung klingen die stürmischen klinischen Erscheinungen ab, gleichzeitig stellt sich eine Versteifung der Gelenke durch narbige Schrumpfung der Gelenkkapsel und Verlötung gegenüberliegender Teile derselben ein. Dieser Tatsache muß vom ersten Tage an bei der Behandlung der Erkrankung Rechnung getragen werden. Langsam geht der akute Gelenkrheumatismus in sein chronisches Stadium über. Die Behandlung des akuten Gelenkrheumatismus beruht auf einer Kombination physikalischer Heilmethoden mit Medikamenten, von denen Salizyl, Irgapyrin und Cortison zu nennen sind. Bei der Behandlung des akuten Anfalles bilden Schwitzkuren mit oder ohne Salizyl das beherrschende Verfahren, welches meist in Form hydrotherapeutischer Schwitzpackungen unter gleichzeitiger Verabreichung heißer alkoholischer Getränke und salizylhaltiger Mittel erfolgt. Die Überwachung der Herztätigkeit ist bei der gesamten Behandlung wichtig. Gleich von Anfang an muß man durch geeignete Verbände die Gelenke in diejenige Stellung bringen, in welcher eine Versteifung am wenigsten störend ist. Selbstverständlich muß es aber das Ziel der Behandlung sein, diese Versteifung zu verhüten und bewegliche Gelenke zu erhalten. Im subakuten Stadium treten die physikalischen Behandlungsarten wie Heißluftbäder, Diathermie, Kurzwellendurchflutungen, Moor- und Fangopackungen, Solbäder und vor allem Badekuren in Thermal- und Radiumbädern in ihr Recht. Auf diese Weise können erstaunliche Heilerfolge erzielt werden. Trotzdem neigt ein recht beträchlicher Teil der vom Rheumatismus befallenen Gelenke zur bindegewebigen und auch zur knöchernen Versteifung. Wenn mehrere Jahre seit dem Abklingen der akuten Erscheinungen vergangen sind, sind diese Fälle recht geeignet zur Ausführung einer operativen Gelenkmobilisation, bei deren Anzeigestellung der Beruf des Erkrankten zu berücksichtigen ist und außerdem sein Gesundungswille und seine Bereitschaft zu aktiver Mitarbeit bei der langdauernden, mühsamen und meist schmerzhaften Nachbehandlung nach Ausführung des operativen Eingriffes an sich.

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Chirurgie der Gliedmaßen

Der chronische Gelenkrheumatismus (Polyarthritis rheumatica chronica) läßt sich nicht scharf von dem akuten Stadium abgrenzen. Nicht immer braucht ein akutes Stadium vorausgegangen zu sein, in der Mehrzahl der Fälle tritt das Leiden schleichend mit geringem Fieber gegebenenfalls im Anschluß an eine Erkältungskrankheit auf. Häufige Erkältungen, naßkalte Witterung, öfter sich wiederholende Durchnässungen der Kleidung, jäher Temperaturwechsel bei erhitztem Körper sind disponierende Ereignisse. Auffallend bevorzugt sind Frauen mittleren Lebensalters, besonders wenn sie in ungünstigen sozialen Verhältnissen leben. Fast immer sind mehrere Gelenke und vorwiegend Finger-, Zehen-, Hand-, Ellenbogen-, Schulter- und, Kniegelenke befallen. Das Leiden entwickelt sich schubweise unter mittelstarken Schmerzattacken und nicht sehr hochgradigen Temperatursteigerungen; die sich im Laufe der Zeit einstellende Gelenkverdickung und Beugekontraktur fallen besonders an den Fingergelenken auf. Die Spontanschmerzen in den Gelenken sind oft abhängig vom Witterungswechsel. Die Differentialdiagnose gegenüber anderen Erkrankungen, besonders der gewöhnlichen Arthrose, kann recht schwierig sein. Der schubweise chronische Verlauf, die meist starke Muskelatrophie, die Gelenkverdickung mit Versteifung in verschieden starker Beugestellung pflegen charakteristisch für die rheumatische Erkrankung zu sein. Die Behandlung hat die bereits im vorigen Abschnitt erwähnten physikalischen und balneologischen Kuren zu verwenden. Um die vor einigen Jahren mit überschwänglichen Worten gelobte „unspezifische Proteinkörpertherapie" durch Injektion von Milch, Kaseosan und ähnlichen Präparaten ist es in letzter Zeit sehr viel stiller geworden. Zeitweise und auch heute noch sind Behandlungen mit Bienengift und Ameisengift empfohlen worden, ein Versuch mit diesen Mitteln ist ratsam. Völlige Ruhigstellung der Gelenke ist zu vermeiden. Bei großen Gelenken, besonders dem Knie, kann die Exstirpation der entzündlich veränderten Synovialis angezeigt sein. Bei richtiger Auswahl der Fälle führt der Eingriff zu guten Heilerfolgen. Unter der Bezeichnung Pseudorheumatismus kann man eine Reihe von flüchtigen Erscheinungen an den Gelenken zusammenfassen, die im Verlauf anderer Erkrankungen als deren Komplikationen auftreten. Hier wären zu nennen: Das Scharlachrheumatoid: Es kann in der 2.—4. Woche der Erkrankung auftreten und führt zu einer Schwellung und Rötung meist der Handgelenke, seltener der Schulter-, Knie- und Fußgelenke, welche in 1—2 Tagen abklingen. Auch hier sind Bakterientoxine wohl die auslösende Ursache. Ähnlich verhält sich das Erysipelrheumatoid, nur pflegt es in seinem Verlauf wesentlich hartnäckiger zu sein. Auch Staphylokokkenerkrankungen wie Furunkel, osteomyelitische, paranephritische Abszesse können analoge Erscheinungen verursachen, ebenso, in allerdings selteneren Fällen, Pneumonien, Dysenterien Typhus und Meningitis. Die Arthritis urica (Gicht) Die Stoffwechselerkrankung der Gicht befällt vorwiegend Männer im mittleren und höheren Lebensalter. Die Entwicklung der Erkrankung ohne ererbte Anlage ist kaum denkbar, langdauernder reichlicher Genuß von Alkohol und Fleisch fördert aber sicher den Ausbruch der Erkrankung. Als Begleiterschei-

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nungen finden wir mitunter eine chronische Obstipation, Diabetes, Arteriosklerose mit oder ohne Beteiligung der Nieren. Dem Krankheitsbild liegt die Ausscheidung von Uratsalzen in Form krümeliger, weißlicher Massen zugrunde. Die Ablagerung kann im Gelenkknorpel, besonders an den seitlichen Knorpelknochengrenzen und in der Gelenkkapsel, bevorzugt an ihren Ansatzstellen, erfolgen, aber bekanntermaßen auch an anderen Körperstellen wie dem Ohrknorpel oder unter der Kopfhaut. Diese Salzablagerung führt zur örtlichen Nekrose des benachbarten Gewebes mit Bildung von Granulationsgewebe, bindegewebigen, als Verdickungen imponierenden Narben, Reizergüssen in den befallenen Gelenken, Auffaserung der Gelenkflächen selbst. Die Uratablagerungen bilden über dem Gelenk selbst höckerförmige Vorbuckelungen, sogenannte Tophi. Diese können durch Sehnenscheiden und Schleimbeutel der Nachbarschaft oder auch durch die Haut nach außen durchbrechen, so daß sich die krümeligen Uratmassen entleeren und es zur Sekundärinfektion der Höhle kommt, die aber meist ohne ernstere Komplikation ausheilt. Der klinische Verlauf ist charakterisiert durch den Gichtanfall, der zuweilen angekündigt durch leichte Prodromalerscheinungen mit stärksten Schmerzen unter gleichzeitiger Schwellung und Rötung der betreffenden Gelenke einsetzt. Besonders häufig wird das Grundgelenk der Großzehe befallen (Podagra). Während des Anfalls, der nach einigen Stunden langsam nachläßt, bestehen eine leichte Temperaturerhöhung und dyspeptische Erscheinungen verschiedenen Grades und Charakters. Meist pflegt dem Anfall ein nicht so heftiger Rückfall in den nächsten Nächten zu folgen, bis im Verlauf von 1—2 Wochen die Anfälle langsam abklingen, um jedoch nach einer längeren Pause wieder von neuem aufzutreten. Es gibt aber mitunter auch eine chronische Form der Gicht, die ohne akute Anfälle einhergeht und zu einer langsamen Verdickung der Gelenke, besonders der Finger und des Handgelenks, mit fortschreitender Kontraktursteilung ohne wesentliche Schmerzanfälle führt. Es ist noch nicht ganz sicher, ob es sich hierbei tatsächlich um eine echte Gicht handelt oder um einen chronisch verlaufenden Gelenkrheumatismus. Die Diagnose des Gichtanfalls ist nicht schwierig. Am ehesten bestehen noch Verwechslungsmöglichkeiten mit dem akuten Gelenkrheumatismus oder mit der gonorrhoischen Gelenkinfektion. Eine kurzdauernde Beobachtung des Verlaufs und der Wirkungsweise der eingeleiteten Behandlungsmaßnahmen wird aber die Sachlage bald klären. Bei älteren Fällen zeigt das Röntgenbild an den Knorpelknochengrenzen der Gelenke lochförmige, kreisrunde Buchten entsprechend den Uratablagerungen, die selbst nicht darstellbar sind. Die Behandlung des Gichtanfalls besteht in Ruhe, Hochlagerung und Einpackung des befallenen Gliedes in warme Tücher. Alkoholverbot, Nahrungsverbot für 2—3 Tage, gründliche Entleerung des Magendarmkanals durch pflanzliche Abführmittel und Einläufe. Mitunter kommt man ohne Verordnung leichter narkotischer Mittel in den ersten 2—3 Tagen nicht aus. Atophan erhöht die Harnsäureausscheidung aus dem Körper, darf aber wegen der zu erwartenden Leber- und Nierenschädigung nicht längere Zeit hintereinander gegeben werden. Wenn der akute Anfall überstanden ist, dann ist die zweckmäßige Regelung der Diät vordringlich. Das Verbot oder aber zum mindesten die wesentliche Einschränkung des Genusses alkoholischer Getränke ist notwendig. Die Ernährung hat das Hauptgewicht auf Kohlehydrate und Fette zu legen.

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Chirurgie der Gliedmaßen

Fleisch ist erheblich einzuschränken. Nahrungsmittel m i t starkem Zellkerngehalt wie Leber, Nieren, Kalbsmilch, Gehirn sind ganz zu verbieten. Eine Bäderbehandlung z. B. in Gastein, Salzschlirf, Kreuznach, Münster a. Stein u a, ist ratsam. Die Osteochondritis der Gelenke Sie stellt ein typisches Leiden dar, welches zur Abstoßung von Teilen der Gelenkflächen und damit zur Bildung freier Gelenkkörper f ü h r t . Seine anatomische Grundlage besteht darin, daß die Arterien, welche den Knochen unter dem Gelenkknorpel versorgen, Endarterien sind. Wenn also in ihnen der Blutstrom auf irgendeine Weise gesperrt wird, k o m m t es zur Nekrose des versorgten Knochenteils. Der zugehörige Knorpelüberzug wird noch vom Gelenkinnern her ernährt. Allmählich löst er sich aber auch ab, so daß in der Gelenkfläche ein keilförmiger Defekt, entsprechend dem früheren Ausbreitungsbezirk des befallenen Gefäßes, entsteht. In diesem Defekt liegt zunächst noch der entsprechende Knorpelteil m i t einem ganz kleinen Rest von Knochengewebe. Dieses überzieht sich von der Seite her ebenso wie der dem Knochen selbst zugewandte Teil des Nekroseherdes mit einer bindegewebigen Narbe. Langsam stößt sich der Abb. 366. Schema der Entwicklung einer Osteochondritis dissecans

K n o r p e l ab, ein Vorgang, welcher d e m Leiden den N a m e n „Osteochondritis

dissecans" gegeben hat. Und im E n d sladium verläßt die so gebildete „ G e l e n k m a u s " ihr „Mausbett" in der Gelenkfläche und fällt als freier Körper in die Gelenkhöhle hinein. Als Ursachen für die primäre Unterbrechung des Blutstroms in den Endarterien kommen kleine Embolien oder Fissuren durch an umschriebener Stelle einwirkende Traumen oder Endothelwucherungen durch chronische Traumen in Frage. Die schematische Abb. 366 zeigt bei a den embolischen Gefäßverschluß, bei b den durch Fissur, bei c die beginnende Knorpel-Knochen Nekrose, bei d die langsame Loslösung der Gelenkmaus und bei e das leere Mausbett mit dem freien Körper im Gelenkinneren. Während dieser Vorgang in der Gelenkfläche abläuft, finden wir Reizerscheinungen an der Synovialis, die sich pathologisch anatomisch in einer Hyperämie, Leukozyteninfiltration und Bindegewebsvermehrung, klinisch in einer tastbaren Wandverdickung der Gelenkkapsel und einem häufig rezidivierenden Erguß äußern, der auch durch Punktionsbehandlung schwer zu beeinflussen ist. Die Osteochondritis dissecans ist meist im Kniegelenk lokalisiert, dann folgt der Häufigkeit nach das Ellenbogengelenk und dann erst in weitem Abstand die übrigen großen Gelenke des Körpers. Das männliche Geschlecht pflegt öfter befallen zu sein als das weibliche.

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Die klinischen Erscheinungen sind zu Beginn des Leidens gering. Der Gefäßverschluß und der nachfolgende Nekrosebeginn entziehen sich unserer Beobachtung. Während des Demarkierungsprozesses bestehen höchstens unbestimmte, ziehende Schmerzen in den Gelenken. Die „reizempfindliche Synovialis" verursacht einen Gelenkerguß, welcher vom Arzt beobachtet werden kann und dem Kranken dadurch auffällt, daß er Bewegungsbehinderungen in den äußersten Graden erzeugt, wenn er eine gewisse Größe erreicht hat. Das Bild ändert sich von dem Augenblick an, in welchem die Gelenkmaus sich teilweise oder vollkommen aus dem Mausbett entfernt. Dann kann nämlich der freie Körper zwischen die gleitenden Gelenkflächen gelangen und sich dort einklemmen. Bei diesem Ereignis tritt plötzlich ein heftiger Schmerz in dem Gelenk auf, die Bewegung wird gehemmt oder ist plötzlich unmöglich geworden, das Gelenk steht in einer leichten Beugestellung. Der Arzt stellt einen Bewegungsausfall sowie einen federnden Widerstand verbunden mit Schmerzen bei dem Versuch weiterer Bewegung fest. Der Eindruck einer derartigen „Gelenksperre" pflegt so charakteristisch zu sein, daß er nur selten übersehen oder falsch gedeutet werden wird. Der Laie bezeichnet den Vorgang mitunter als Verrenkung. Röntgenuntersuchung läßt die osteochondritischen Gelenkmäuse mehr oder weniger gut erkennen je nachdem, ob sie viel oder wenig Knochensubstanz enthalten. Nach einigen schüttelnden Bewegungen oder auch spontan ohne dieselben kann der eingeklemmte Gelenkkörper wieder in das Gelenkinnere zurückfallen und die normalen Bewegungen freigeben. Ereignet sich dies nicht spontan, so wird der Arzt in einem leichten Rausch, der aber die reflektorisch gespannte Muskulatur vollkommen zur Erschlaffung bringen muß, diese Einklemmung durch Bewegungen des Gelenkes lösen. Damit ist aber keineswegs das Leiden behoben, sondern nur ein Symptom zum Verschwinden gebracht und auch dieses nur vorübergehend, denn in jedem Augenblick kann sich der Vorgang wiederholen. Die Behandlung der Osteochondritis dissecans ist ausschließlich eine operative und muß den freien Körper aus dem Gelenk entfernen. Jede konservative Behandlung vermag höchstens Symptome vorübergehend zu bessern, nie jedoch das Grundleiden zuverlässig zu heilen. Von einem möglichst kleinen Schnitt aus wird man den freien Körper entfernen, was mitunter technisch keineswegs leicht ist. Das mit Bindegewebe überkleidete Mausbett bedarf keiner Behandlung. Aber nicht nur in dem Stadium, in welchem die Gelenkmaus sich völlig gelöst hat, soll man operativ eingreifen, sondern auch dann, wenn man auf dem Röntgenbild Art und Sitz der Erkrankung sicher erkannt hat, wenn es sich also etwa um die Stadien c und d der Abb. 366 handelt. Wir können dann in einem frühen Zeitpunkt, ohne daß es durch häufige Einklemmungen zu Knorpelschädigungen an anderen Gelenkstellen oder zur Ausbildung eines starken Reizzustandes der Synovialis gekommen ist, das Leiden beseitigen. Die histologische Untersuchung der entfernten Gelenkmaus ergibt einen schmalen knöchernen Kern, der entsprechend der Entstehungsweise auf einer Seite von hyalinem Knorpel, auf der anderen von straffem, dem Faserknorpel ähnlichen Bindegewebe überzogen ist. Jede operativ entfernte Gelenkmaus soll mikroskopisch untersucht werden, da man hierbei Rückschlüsse auf ihre Entstehungsweise ziehen kann, denn noch auf anderem Wege vermögen sich

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freie Gelenkkörper zu bilden. Durch Traumen, besonders wenn sie in tangentialer Richtung auf die Gelenkllächen wirken, können Knorpelstückchen abgesprengt werden und in das Gelenkinnere fallen. An der Hinterfläche der Kniescheibe tritt dies häufiger ein, als man annimmt. Auch Randwülste bei der Arthrosis deformans brechen gelegentlich ab und fallen in das Gelenk. Nach traumatischen und entzündlichen Ergüssen kann sich Fibrin zu Klumpen zusammenballen, sich bindegewebig organisieren und so zu weichen fibrogenen freien Gelenkkörpern werden, die auch sekundär verkalken oder verknöchern können. Degenerationen und Verletzungen des Meniskus (s. S. 559) und die Gelenkchondromatose (s. S. 661) sind ebenfalls häufige Ursachen der Ausbildung freier Gelenkkörper. Schließlich klemmen sich hypertrophische Gelenkzotten ebenfalls gelegentlich zwischen die Gelenkflächen ein und geben so zu Verwechslung mit freien Gelenkkörpern Veranlassung. Die Gelenkerkrankungen bei Blutern Auf die Bluterkrankheit an sich kann hier nicht näher eingegangen werden. Die Kranken neigen dazu, daß bei ihnen aus belanglosen Ursachen meistens im Anschluß an einen ganz leichten Stoß erhebliche Blutungen in das Gelenkinnere auftreten. Besonders häufig befallen ist das Kniegelenk. Akut treten ein praller Gelenkerguß mit Zwangsstellung, Schmerzen und Temperatursteigerung ein. Langsam saugt sich der Erguß wieder auf, um jedoch meist spontan oder nach weiteren banalen Traumen zu rezidivieren. Dieser Vorgang kann sich häufig wiederholen. Wenn der Bluter das 30. Lebensjahr überschritten hat, pflegt die Gefahr der Gelenkblutungen beseitigt zu sein. Inzwischen haben sich aber unter dem dauernden Reiz des Blutergusses irreparable Gelenkveränderungen ausgebildet. Zunächst verdickt sich die Synovialis, ihre normalerweise nur in geringem Umfang vorhandenen Zotten nehmen an Volumen zu. Die Synovialis und auch der Knorpel werden durch Resorption des Blutpigments gelblich bis braun gefärbt. Die Synovialis bedeckt sich mit Fibrin, der Gelenkknorpel wird weich und aufgefasert. Das um das Gelenk außerhalb der Kapsel gelegene Gleitgewebe wird zunächst ödematös, später bindegewebig verdickt. Hierdurch und durch Verwachsungen von Gelenkkapselteilen untereinander kommt es zu teilweisen Versteifungen der Gelenke, mitunter in Kontrakturs^ellungen. Die Diagnose ist bei bekannter Grundkrankheit leicht. Eine operative Behandlung verbietet sich wegen der zum Tode führenden Blutungsneigung von selbst. Nur konservative Mittel können die Resorption der Blutergüsse beschleunigen, Verbände die Ausbildung von Kontrakturen verhindern. Arthrosis deformans Alle Gewebe des menschlichen Körpers unterliegen im Laufe des Lebens der Abnutzung, also auch die Bestandteile der Gelenke. Beschleunigt kann dieser Vorgang werden durch eine Reihe von Erkrankungen sowohl der Gelenke selbst als auch allgemeiner Natur. Es ist eine jedem Laien bekannte Tatsache, daß die Menschen und damit auch ihre Gelenke verschieden schnell altern. Recht frühzeitig setzen Abnutzungserscheinungen in den Gelenken ein, wenn ihre Beanspruchung durch besonders schwere körperliche Arbeit (z. B. Bedienung von Preßluftwerkzeugen) oder besonders eintönige Arbeitsverrich-

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Erkrankungen^der Knochen und Gelenke

tungen, welche immer wieder zur Ausführung derselben Bewegung (z. B. Terrazoarbeiten) zwingen, weit über das normalerweise zu verlangende Maß hinausgeht, mit anderen Worten also, wenn ein Mißverhältnis zwischen geforderter und nach dem Körperbau ausführbarer Arbeitsleistung über geraume Zeit hinweg bestanden hat. Die bei weitem häufigste U r s a c h e d e r A r throsis

d e f o r m a n s ist also d a s chronische

Trauma

in jeder

Form.

Demgegenüber spielt das einmalige, akute, große Trauma für die Entstehungsweise eine sehr viel geringere Rolle, als Laien und auch manchmal Ärzte wahr haben wollen. Selbstverständlich kann eine Gelenkfraktur, zumal wenn sie deform verheilte, eine deformierende Arthrose zur Folge haben, aber weniger durch das einmalige Trauma an sich, sondern dadurch, daß bei der neu einsetzenden abnormen Belastung des Gelenkes die ungleichmäßige Beanspruchung zur vorzeitigen Abnutzung der Gelenkflächen führt. Also auch hierbei ist das einmalige Trauma nur der Anlaß, die ihm folgende chronische Fehlbelastung die eigentliche Ursache der Arthrosis. Auch an entzündliche Erkrankungen des Gelenkes kann sich eine Arthrosis anschließen. Darauf wird bei den einzelnen Sonderabschnitten eingegangen werden. Ebenso spielen Witterungseinflüsse und unzweckmäßige Ernährung bei der Entwicklung der Arthrose zweifellos eine Rolle. Das W e s e n d e r A r t h r o s i s d e f o r m a n s besteht immer in einer Gewebsdegeneration. Daher sollte der alte Ausdruck Arthritis deformans als unrichtig und irreführend endlich aus dem ärztlichen Sprachschatz verschwinden. Die Degeneration kann in der Gelenkinnenhaut sitzen, zumal im Anschluß an echte entzündliche Veränderungen derselben. Bei der Besprechung der „reizempfindlichen Synovialis" ist hierauf schon eingegangen worden. Die Hauptveränderungen der Arthrosis deformans spielen sich jedoch in dem Gelenkknorpel und den darunter gelegenen Knochenteilen ab. Kombinationen mit den Veränderungen, wie sie im Abschnitt über die Osteochondritis dissecans beschrieben wurden, sind besonders am Hüftgelenk und Ellenbogengelenk häufig. Die Degeneration des Knorpels beginnt damit, daß er ödematös aufquillt, weich wird, sich gelblich verfärbt und dann Sprünge und Risse bekommt, so daß er aussieht wie „ein frisch und schlecht gepflügtes Ackerfeld". Gleichzeitig schilfern sich freie Knorpelschuppen ab, welche in das Gelenk hineinfallen. Die Folge ist eine Substanzverminderung des Knorpels, welche allgemein oder an umschriebenen Stellen so weit fortschreiten kann, daß überhaupt kein Knorpelgewebe mehr vorhanden ist, sondern ein „Knorpelulkus", an dessen Grund der Knochen frei zutage liegt. Als Zwischenstadium können wir in dem morsch gewordenen Knorpelgewebe „Schleiffurchen" in der vorherrschenden Bewegungsrichtung beobachten. Gleichzeitig reagiert der Knochen auf den in seiner Nachbarschaft sich abspielenden Degenerationsprozeß. Im Gegensatz zu dem gefäßlosen Knorpel hat der blutgefäßreiche Knochen sehr viel weitgehendere Heilungsmöglichkeiten. An der Stelle, an welcher der Knorpel zugrunde geht, bildet der Knochen überschüssiges Gewebe, und zwar an der Gelenkfläche in Form einer sklerotischen Zone, die man auf dem Röntgenbild mitunter sehr gut erkennen kann und in den Randbezirken in Form von „Randwülsten", die ebenfalls auf dem Röntgenbild zu erkennen (s. Abb. 369) und bei geeignetem Sitz (z. B. am Kniegelenk) auch zu tasten sind.

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Chirurgie der G l i e d m a ß e n

Die klinischen Erscheinungen beginnen langsam und zunächst unbemerkt im mittleren Lebensalter. Männer sind häufiger befallen als Frauen, aber auch bei letzteren kann das Leiden sehr unangenehme Formen annehmen, zumal in einer Zeit, in welcher bei Sport und Arbeit auch von der Frau gegenüber früher wesentlich vermehrte körperliche Arbeit geleistet wird. Knie, Schulter, Hüfte und Ellenbogen sind am häufigsten beteiligt, daneben natürlich auch alle anderen Gelenke des Körpers. Meist pflegen mehrere Gelenke gleichzeitig betroffen zu sein. Das klinische Bild ist sehr vielgestaltig. Stets muß sich der Arzt dessen bewußt sein, daß objektiver Befund am Gelenk und tatsächlich vorhandene Beschwerden häufig in einem starken Mißverhältnis zueinander stehen können. Beispielsweise können in einem Kniegelenk starke Reibegeräusche bei Bewegungen bestehen, auf dem Röntgenbilde große Randwülste sichtbar sein und doch braucht der Mensch keine Beschwerden von seinem Kniegelenk zu haben, braucht also nicht an der anatomisch bei ihm bestehenden Arthrose krank zu sein. Und andererseits können sehr starke Beschwerden vorhanden sein, ohne daß objektiv ein nennenswerter anatomischer und funktioneller krankhafter Befund nachweisbar ist. Zu Beginn der Arthrosis stellen sich ziehende Schmerzen in den befallenen Gelenken ein, welche besonders bei Witterungswechsel (und zwar häufiger vom guten zum schlechten Wetter als umgekehrt) stärker zu werden pflegen. Dazu kommen Schmerzen bei längere Zeit anhaltender Belastung der Gelenke in derselben Stellung, also z. B. beim Stehen in derselben Kniehaltung oder beim Sitzen mit stark gebeugtem Knie oder bei der Haltung des Ellenbogens in starker Beugestellung. Eine Änderung der Gelenkstellung bewirkt ein fast momentanes Nachlassen des Schmerzes. Weiter t r i t t ein Steifigkeitsgefühl auf, wenn die Gelenke längere Zeit in derselben Stellung gehalten worden sind. Bei Bewegungen der Gelenke fühlt und hört man sogar mitunter feines Reiben und Knirschen bis zu grobem Knacken. Später stellen sich rezidivierende Reizergüsse verbunden mit Gelenkkapselschwellungen sowie Behinderungen des Bewegungsausmaßes der Gelenke ein. Bei der Röntgenuntersuchung braucht man zunächst lange Zeit hindurch überhaupt keine krankhaften Veränderungen zu erkennen. Die Substanzverminderung des Knorpels erzeugt eine Verschmälerung des Gelenkspaltes, ein Zeichen, welches diagnostisch zu verwerten ist. Die reaktive Knochenwucherung kann man an der Kortikalissklerose längs der Gelenkfläche und besonders an den Randwülsten erkennen. Sie können so hochgradig werden, daß sie pilzförmig überhängen. Bei der A u f s t e l l u n g e i n e s B e h a n d l u n g s p l a n e s müssen wir von der Tatsache ausgehen, daß wir den einmal zerstörten Knorpel nicht wieder herstellen können und daß wir überhaupt kein Mittel halsen, den Degenerationsprozeß an sich zu beeinflussen, es sei denn, daß wir abnorme Arbeitsbeanspruchung unterbinden oder fehlerhafte Gelenkbelastung korrigieren können. Es wird sich also im wesentlichen darum handeln, die Beschwerden zu beseitigen oder wenigstens zu bessern. Hierzu stehen dem Arzt zahlreiche Mittel zur Verfügung, die er mit weiser Beschränkung anwenden soll, um im Laufe einer langen Behandlungszeit von der Möglichkeit des Wechseins der Heilmittel reichlich Gebrauch machen zu können, denn jedes Heilmittel versagt in seiner Wirkung, wenn es über einen längeren Zeitraum hinweg angewandt worden ist.

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Erkrankungen der Knochen und Gelenke

Selbstverständlich wird man jede stärkere Beanspruchung der erkrankten Gelenke unterbinden müssen. Ebenso schädlich ist aber auch die völlige Ruhigstellung. Eine nicht übertriebene Bewegung muß auch dem arthrotischen Gelenk zugemutet werden und wird auch von ihm geleistet. Von den meist üblichen Heilmitteln sollen nur die wichtigsten genannt werden. Örtliche Wärmeeinwirkung in jeder Form ist beliebt und auch wirksam, wenn sie mit Unterbrechung und möglichst auch mit Wechsel der Applikationsart angewandt wird. Am bekanntesten sind Heißluftbäder, Glühlichtbäder, Auflegen eines elektrischen Heizkissens mit oder ohne darunter liegendem feuchtem Verband, einfache warme Bäder, Packungen mit Moor, Fango, Paraffin, Heilschlamm und zahlreiche ähnliche Mittel, Anwendung von Diathermie und Kurzwellendurchflutungen, B i e r sehe Stauung, aber auch allgemeine Schwitzbäder (russich-römisches Bad, Sauna). Sehr wirkungsvoll sind Badekuren, z. B. in Wildbad, Baden-Baden, Wiesbaden, Oberschlema, Polzin und zahlreichen anderen Badeorten. Auch die Röntgenbestrahlung in kleinen Dosen kann Gutes bewirken und besonders schmerzstillend sein. Demgegenüber treten die medikamentösen Behandlungsarten an Wirksamkeit etwas zurück, wenngleich man nicht ganz auf sie verzichten kann. Überhaupt muß man durch vorsichtiges Ausprobieren ermitteln, welche Behandlungsart im Einzelfalle wirksam ist und welche nicht, und demnach seine Anordnungen treffen. Die Tatsache, daß nach Einwirkung irgendeines Heilmittels sich zunächst die örtlichen Beschwerden verstärken, ist nicht Grund dafür, das Mittel abzusetzen, sondern im Gegenteil ein Zeichen dafür, daß es zu wirken beginnt. Man soll dies dem Kranken sagen. Von den zahlreichen Mitteln zum Einnehmen ist vielleicht das Jod in seinen verschiedenen Darreichungsarten und in sehr geringer Dosierung das wertvollste. Mittel zur parenteralen Injektion (z. B. Knorpelextrakt, Schwefelpräparate und andere) sind zeitweise sehr viel verwandt worden. Man kann ihre Wirkung versuchen. Dasselbe gilt von der Injektion künstlicher Gelenkschmieren und ähnlicher Mittel in die betroffenen Gelenke. Nicht immer haben sie die ihnen nachgerühmte Wirkung. Bei der Besprechung der A r t h r o s e d e r e i n z e l n e n G e l e n k e will ich mich auf die wesentlichsten beschränken. Am Hüftgelenk beobachten wir die Arthrosis deformans in einer Frühform bei Kindern von 3—15 Jahren. Die Ursache des Leidens, welches als Osteochondropathie!,

deformans

juvenilis

coxae oder a u c h als Perthes

sehe

Er-

krankung bezeichnet wird, ist nicht vollkommen geklärt. Erbliches Vorkommen ist oft beobachtet worden, doppelseitiges Vorhandensein und wesensgleiche Veränderungen auch in anderen Körpergelenken werden viel gesehen. Auch an die an und für sich geglückte Behandlung einer kongenitalen Hüftluxation kann sich das Leiden anschließen. Die Ursache scheint in einer Ernährungsstörung in der Kopfkappe des Oberschenkelknochens etwa im Sinne einer aseptischen Nekrose zu liegen. Manchmal kann man auch den Eindruck haben, daß sich an dieser Stelle eine ganz leichte Osteomyelitis abspielt. Das Knochengewebe der Kopfkappe geht teilweise zugrunde, wird in eine weiche, formbare Masse von osteoidem Gewebe umgebildet, welches zusammengedrückt wird und pilzartig überquillt. Das Restgewebe erscheint auf dem Röntgenbild zuweilen kalkdichter als der normale Knochen. Die Begrenzung der Gelenklinie ist gewellt und unregelmäßig geformt. Im abgeheilten Zustand ist der Hüftgelenkskopf abgeflacht (Coxa plana). R o s t o c k , Lehrbuch der speziellen Chirurgie. 3. Aufl.

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Chirurgie d e r G l i e d m a ß e n

Die klinischen Erscheinungen bestehen in zunehmenden, allerdings nicht sehr starken Schmerzen in den befallenen Hüftgelenken, deutlich hinkendem Gang, fortschreitender Behinderung der Gelenkbeweglichkeit besonders in bezug auf die Abspreizung des Oberschenkels, Hochstand des großen Rollhügels mit dadurch bedingter Insuffizienz der Gesäßmuskulatur und Entwicklung eines T r e n d e l e n b u r g sehen Zeichens, bei Einseitigkeit des Leidens Ausbildung einer geringen Beinverkürzung. Das Röntgenbild (vgl. Abb. 367) zeigt die Natur des Leidens. Der Hüftgelenkskopf erscheint verschmälert, unregelmäßig strukturiert, teilweise ist auch der Schenkelhals verkürzt und verdickt je nach Grad und Stadium der Erkrankung.

A b b . 367. P e r t h e s sehe E r k r a n k u n g der H ü f t e

Die Behandlung ist sehr langwierig, denn die Konsolidierung des einmal erweichten Schenkelkopfes pflegt bis zu 2 Jahre in Anspruch zu nehmen. In Frühfällen wird man durch entlastende Extensionsverbände die Deformierung des Kopfes zu verhindern suchen, obwohl sie auch auf diese Weise nicht ganz zu vermeiden ist. Durch eine intensive Allgemeinbehandlung (Ernährung, Vitamine, Bestrahlungen mit natürlicher und künstlicher Sonne) sowie Massage der gesamten Körpermuskulatur und Bewegungsbehandlung der übrigen Körpergelenke ist der Allgemeinzustand zu kräftigen. Die Belastung der Hüftgelenke hat sehr vorsichtig zu erfolgen. Längeres Gehen, Springen, Rasenspiele sind noch lange Zeit zu verbieten. Die vorübergehende Verordnung von Stützapparaten, welche das Hüftgelenk entlasten, kann zweckmäßig sein. Das Endergebnis des Leidens pflegt in funktioneller Hinsicht nicht einmal sehr schlecht zu sein. Wohl stets bleibt eine Abduktionsbehinderung zurück, während die Schwäche der Gesäßmuskulatur sich ausgleichen kann. Mit zunehmendem Lebensalter neigen diese Gelenke zur frühzeitigen Ausbildung einer

E r k r a n k u n g e n der K n o c h e n u n d Gelenke

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Arthrosis deformans. Dies ist auch der Grund, warum die Erkrankung in diesem Abschnitt besprochen wurde, obwohl sie entstehungsmäßig mit der eigentlichen Arthrosis nichts zu tun hat, sondern eher den aseptischen Nekrosen zuzurechnen ist. Aber auch als typische Alterserkrankung finden wir die Arthrosis deformans an der Hüfte und bezeichnen sie mit einem alten Namen als Malum coxae senile.

A b b . 368. M a l u m coxae senile

A b b . 369. A r t h r o s i s d e f o r m a n s des Knie^ gelenkes

Betroffen werden vorwiegend Männer nach einem Leben voll schwerster Arbeit, bei der sie in hohem Maße den Unbilden der Witterung ausgesetzt waren. Aber nicht nur bei diesen Menschen, sondern auch bei allen anderen kann das Leiden sich entwickeln. Die zunächst unbestimmt beginnenden Beschwerden werden häufig als rheumatisch bedingt angesehen oder als Ischias gedeutet. Ziehende Schmerzen stehen im Vordergrunde, auch Bewegungsschmerzen stellen sich ein. Dazu entwickelt sich eine Bewegungsbehinderung im Hüftgelenk, die besonders das Abspreizen und die Drehbewegungen betrifft. Im weiteren Verlauf kommt es zu einer Adduktions-Flexionskontraktur im Hüftgelenk mit der dadurch bedingten Beinverkürzung, der Gang wird infolgedessen hinkend. Gleichzeitig nehmen auch die Schmerzen an Heftigkeit zu, die Muskulatur wird atrophisch. Das Röntgenbild zeigt, die Verunstaltung der Gelenkflächen und die Verschmälerung des Gelenkspaltes infolge Substanzverlust des Knorpelüberzuges. Das Leiden pflegt langsam aber stetig fortzuschreiten und schließlich zu fast völliger Versteifung des Hüftgelenkes zu führen. 41*

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Chirurgie der G l i e d m a ß e n

Aber auch kürzere und längere Remissionen, besonders nach Badekuren, sind beobachtet worden. Die Arthrosis deformans des Kniegelenkes stellt die häufigste Lokalisation dieses Leidens dar. Die Symptome sind anfangs schon geschildert worden. Besonders die Reibegeräusche bei Bewegungen, die Schmerzen bei längerem Sitzen mit gebeugtem Knie (Theater, Kino, Vortragssaal), welche vorwiegend unter der Kniescheibe angegeben werden, in fortgeschrittenem Stadium die Schwellung der Gelenkkapsel und die rezidivierenden Gelenkergüsse sind die hauptsächlichsten Erscheinungen. Solange sich die krankhaften Prozesse auf die Kniescheibe beschränken und dort das Krankheitsbild der fissuralen Knorpeldegeneration hervorrufen, kann man durch operative Glättung des degenerierten Knorpelbezirks gute Erfolge erzielen. In späteren Stadien des Leidens ist ein derartiges Vorgehen nicht sehr aussichtsreich. Nur bei sehr starken Beschwerden kann eine Gelenkplastik mit Resektion der erkrankten Knorpelteile und Interposition eines Fettfaszienlappens angezeigt sein. Indiziert ist ein solcher Eingriff, wenn Bewegungsbehinderung und subjektive Beschwerden außerordentlich stark sind. Bei der Röntgenuntersuchung sieht man am Kniegelenk ganz besonders gut die typischen Randwülste (vgl. Abb. 369). Die Arthrosis

deformans

des Schultergelenkes

pflegt röntgenologisch

gar

keine oder nur ganz geringfügige Erscheinungen hervorzurufen. Sie ist meist die Folge von Luxationen oder Frakturen. Die in ihrem Gefolge auftretenden Gelenkversteifungen sind weniger im Gelenk selbst lokalisiert, sondern betreffen den sehr ausgedehnten und vielgestaltigen Gleitapparat um das Schultergelenk herum (siehe S. 521). Die Abduktion und Rotation des Oberarmes pflegen am stärksten behindert zu sein. Die Arthrosen des Ellenbogengelenks sind sehr häufig durch anstrengende Berufsarbeit hervorgerufen. Handelt es sich dabei um die Bedienung von Preßluftwerkzeugen, dann stellt der Zustand eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit im Sinne der deutschen Sozialversicherung dar. Charakterisiert sind diese Veränderungen durch starke Knochenwucherungen an den Ansatzstellen der Muskulatur, Deformierungen der Gelenkfläche der Ulna und starke Randwülste am Radiusköpfchen. Kombinationen mit osteochondritischen Prozessen sind häufig. Das klinische Bild wird beherrscht durch die Beuge- und Streckbehinderung im Ellenbogengelenk bei erhaltener Drehfähigkeit des Vorderarmes, den Ruheschmerz und den Schmerz zu Beginn der Arbeit und Bewegung sowie die Muskelatrophie. Durch chronische oder gelegentlich durch einmalige starke Anstrengungen wird ein eigenartiger Schmerzzustand am Ellenbogen erzeugt, welchen man mit dem Namen ,,Tennisellenbogen" oder auch „Epikondylitis" zu belegen pflegt. Er besteht in einem sehr lästigen, bei Ruhe und Bewegung vorhandenen Schmerz in den seitlichen Gelenkteilen, verbunden mit einem umschriebenen Druckschmerz in dieser Gegend. Hervorgerufen werden die Erscheinungen durch Zerrungen der Muskelansätze oder der Gelenkbänder. Im Laufe einiger Wochen können sich an diesen Stellen auf dem Röntgenbilde nachweisbare, kleine Knochenwucherungen bilden. Die Behandlung erfolgt durch Ruhigstellung im Gipsverband und später physikalische Heilmaßnahmen. Die Gelenkganglien sind Degenerationszysten, welche sich langsam aus den bindegewebigen Kapselteilen entwickeln. Es sind rundliche, mitunter uhrglasförmige, zystische Anschwellungen mit einer bindegewebigen Kapsel und

Erkrankungen der Knochcn und Gelenke

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einem glasklaren, gallertigen Inhalt, welcher unter erheblicher Gewebsspannung steht, so daß die Anschwellungen klinisch eine prall-elastische Konsistenz aufweisen. Die H a u t über ihnen ist stets verschieblich, mit der Unterlage sind sie verwachsen. Hauptsächlich kommen sie an der Streckseite des Handgelenkes (Ganglion carpale, Überbein) oder in der Kniekehle vor. Hier können sie mitunter die Größe einer Kinderfaust erreichen. Am Handgelenk ist die einfachste Behandlungsmethode, einmal bei leicht gebeugtem Handgelenk mit einem Holzhammer kräftig auf das Ganglion zu schlagen. Dadurch platzt die Wand, der gallertige Inhalt wird durch leichte Massage im Unterhautzellgewebe verteilt und dort resorbiert. Allerdings kommen bei dieser Behandlung Rezidive vor, die mühelos mehrmals derselben einfachen Zertrümmerung unterworfen werden können. Man kann auch die Ganglien, und in der Kniekehle wird man es in der Regel tun, operativ entfernen. Die Regeln der Asepsis müssen dabei peinlich eingehalten werden, denn es handelt sich ja um die Eröffnung eines Gelenkes. Die neuropathischen Gelenkerkrankungen Bei Rückenmarksverletzungen, besonders aber bei Tabes und Syringomyelie, kommt es infolge Aufhebung der Tiefensensibilität und trophoneurotischer Störungen zu teilweiser Resorption von Knochen- und Knorpelgewebe und infolge der schmerzfreien Bewegung bei abnormer Belastung zu schweren Deformierungen einzelner oder mehrerer Gelenke. Verstärkt wird diese Deformierung noch dadurch, daß gleichzeitig ungezügelte Regenerationsprozesse ablaufen. Auch die Umgebung der Gelenke wird zunächst durch

Abb. 370. Tabisches Sprunggelenk

Abb. 371. Röntgenbild zu Abb. 370

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Chirurgie der Gliedmaßen

ödematöse Durchtränkung, dann durch Bindegewebsvermehrung verändert. Frakturen in den weich und brüchig gewordenen Gelenkteilen sind häufig. Und da durch sie keine nennenswerten Schmerzen hervorgerufen werden, verheilen sie ebenfalls deform. Durch Nachgeben der Gelenkbänder kommt es zu Subluxationen oder sogar zu totalen Luxationen der Gelenke. Mitunter bilden diese Gelenkveränderungen die ersten Zeichen des sich entwickelnden Grundleidens und keineswegs ein vorgeschrittenes Stadium desselben. Die Syringomyelie bevorzugt die Gelenke der Arme, die Tabes die Gelenke der Beine. Aber auch Ausnahmen von dieser Regel kommen vor. Typisch für eine neuropathische Gelenkerkrankung sind die Hochgradigkeit der Formveränderungen, wie sie die klinische Untersuchung und das Röntgenbild zeigen (vgl. Abb. 370 und 371), die teigigen Schwellungen der umgebenden Gewebe, die Schmerzlosigkeit der Gelenke bei allen (auch bei abnormen) Bewegungen und die das Grundleiden kennzeichnenden Ausfallserscheinungen. Die örtliche Behandlung der Gelenkveränderungen soll möglichst konservativ sein. Meist ist man nicht in der Lage, den Prozeß aufzuhalten. Bei starken Subluxationsstellungen, besonders an den unteren Extremitäten, können Schienenhülsenapparate notwendig werden. Mit der Ausführung von Gelenkresektionen, auch zum Zwecke der Versteifung, sei man zurückhaltend, da nicht allzuselten die knöcherne Heilung an der Resektionsstelle ausbleibt. Die pyogene Gelenkentzündung Die Wege, auf denen Eitererreger in ein Gelenk kommen, sind sehr verschiedenartig. Perforierende Verletzungen wie Stich-, Schuß- oder Quetschwunden können es ebenso sein wie der Durchbruch eines Eiterungsprozesses der Nachbarschaft, z. B. einer Phlegmone oder Osteomyelitis. Aber auch metastatisch vermögen sich Eitererreger im Gelenk anzusiedeln, und zwar bei allen bakteriellen Allgemeininfektionen. Angina, Furunkel, Osteomyelitiden, Erysipele, Puerperalinfektionen sind die häufigsten auslösenden Krankheiten. Das krankhafte Geschehen der auf allen diesen verschiedenen Wegen hervorgerufenen Gelenkeiterungen pflegt, wenn man von den perforierenden Verletzungen an sich absieht, ziemlich ähnlich zu sein, so daß eine gemeinsame Schilderung am Platze ist. Das Krankheitsbild ist besonders bei den metastatischen Formen äußerst schwer. Die Bakterien siedeln sich in den zahlreichen Gefäßen der Gelenkkapsel an, bringen sie zur Entzündung, deren Produkt sich in die Gelenkhöhle ergießt. Die Erreger sind vorwiegend Staphylokokken oder Streptokokken, seltener Pneumokokken oder Bacterium coli. Schlagartig mit heftigen Schmerzen, starkem Krankheitsgefühl und bald sich verschlechterndem Allgemeinbefinden, verbunden mit den Erscheinungen der Allgemeininfektion (siehe dieses), tritt die schwere und häufig zum Tode führende Erkrankung auf. Je nachdem sich der Prozeß mehr im Gelenkinnern unter Ansammlung einer größeren Menge Eiters oder in der Gelenkkapsel selbst abspielt, sprechen wir von einem Gelenkempyem oder einer Gelenkkapselphlegmone, wobei die letzte Form das prognostisch ungünstigere Krankheitsbild darstellt. Schüttelfröste mit hohem, remittierendem Fieber, kleiner, beschleunigter, toxischer Puls, Benommenheit, trockene, bräunlich belegte, borkige Zunge, Durchfälle, schnell einsetzender Kräfteverfall sind die An-

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zeichen des schweren Krankheitszustandes. Die befallenen Gelenke und ihre Umgebung schwellen an, das periarticuläre Gewebe wird ödematös durchtränkt, blaue, prallgefüllte Venen zeichnen sich deutlich in ihm ab. Die Haut fühlt sich heiß an und kann gerötet sein. Jede, auch die kleinste Bewegung ist schmerzhaft. Dieses Zeichen ist schon ausgebildet, wenn eine Gelenkschwellung noch nicht nachweisbar ist. Nur die im Kindesalter mitunter auftretenden Pneumokokkenempyeme pflegen nicht so stürmisch zu verlaufen und auch eine weit günstigere Prognose zu haben. Das Weichteilödem in der Gelenkumgebung ist bei der Kapselphlegmone sehr viel stärker als beim Gelenkempyem. Unter dem Einfluß des Eiters wird der Gelenkknorpel aufgefasert, er zerfällt und kann sich auch in größeren Bezirken als nekrotische Platten abstoßen. Wenn dem Eiter nicht Abfluß verschafft wird, dringt er besonders in die Muskelinterstitien vor, bildet in ihnen Röhrenabszesse und kann auch durch die Haut nach außen perforieren, wenn nicht die schwere Allgemeininfektion das Leben vorher beendet. Die Gelenke stellen sich unter dem Druck des Eiters in die jeweils typische Entlastungsstellung, meist in mittlerer Beugung. Die Prognose ist, wie schon erwähnt, mit Ausnahme des Pneumokokkenempyems der Kinder sehr ernst, und zwar in bezug auf die Bedrohung des Lebens als auch in bezug auf die Erhaltung der Funktion des Gelenkes. Durch das Absterben des Knorpels unter Einwirkung des Eiters und durch die Schrumpfung der entzündet gewesenen Gelenkkapsel kommt es auch nach Überstehen der Infektion fast immer zu einer Versteifung des Gelenkes. Die Behandlung muß in erster Linie möglichst früh mit antibiotischen Mitteln parenteral und lokal erfolgen (Erregernachweis!). Gleichzeitig muß man aber für absolute Ruhigstellung des Gelenkes, am besten in einem gefensterten Gipsverband, Sorge tragen. Tritt jedoch in wenigen Tagen keine deutliche Besserung ein, so muß das Gelenk von mehreren kleinen Einschnitten aus eröffnet und drainiert werden. Bei Kapselphlegmonen sind breitere Inzisionen notwendig. Stets ist aber für absolute Ruhigstellung der Gelenke zu sorgen. Hat auch diese Behandlung nicht den gewünschten Erfolg, muß das Gelenk breit aufgeklappt und reseziert werden. Auch Amputationen können zur Erhaltung des Lebens notwendig werden. Häufig wird ihre Ausführung zu lange hinausgeschoben. Die Ruhigstellung des Gelenkes ist so lange durchzuführen, bis die Entzündungserscheinungen abgeklungen sind. Nur ganz vorsichtig und unter steter Kontrolle der Körpertemperatur und des Lokalbefundes kann mit Bewegungen wieder begonnen werden. Die gonorrhoische Gelenkentzündung Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß sie etwa in den ersten 2—3 Wochen nach der Infektion metastatisch erfolgt und so gut wie stets nur ein Gelenk, und zwar hauptsächlich das Kniegelenk oder das Handgelenk, befällt. Das Leiden beginnt schlagartig mit heftigsten Schmerzen und starker Temperatursteigerung bei relativ geringer Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens (im Gegensatz zur eitrigen Gelenkentzündung). In dem Gelenk sammelt sich ein serofibrinöser Erguß von charakteristisch leicht grünlicher Farbe an, in welchem sich die Erreger oft kulturell und durch Färbung nachweisen lassen. Gleichzeitig bildet sich ein Ödem des periartikulären Gewebes aus, welches die

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Ursache der klinisch nachweisbaren diffusen Schwellung des Gelenkes ist. Jede Bewegung in ihm ist sehr schmerzhaft und wird durch reflektorische Spannung der Muskulatur zu verhindern gesucht. Langsam klingen die akuten Erscheinungen ab. Eine Muskelatrophie entsteht ziemlich rasch. Die Diagnose ist bei dem typischen, schlagartigen, mit starken Schmerzen verbundenen Beginn in einem Körpergelenk und der schnell sich ausbildenden diffusen Infiltration relativ leicht. Der Nachweis der Erreger im Gelenkpunktat und auch im Urethralabstrich ist beweisend. Die Prognose ist in bezug auf die Erhaltung des Lebens günstig, wenn nicht gleichzeitig eine Ansiedlung der Erreger auf den Herzklappen erfolgt und die sich dann ausbildende spezifische Endokarditis das Krankheitsbild schwer kompliziert. Die Aussichten für die Erhaltung der Funktion des Gelenkes sind ungünstiger, denn sehr häufig heilt das Leiden mit einer fibrösen Ankylose aus. Sie läßt sich aber besonders am Kniegelenk nach einem Intervall von mehreren Jahren durch Gelenkplastik beseitigen. Die Behandlung der akuten, gonorrhoischen Gelenkentzündung soll bestehen in der Injektion spezifischer Mittel wie Arthigon, einer Dauerstauungsbehandlung nach B i e r und einer entlastenden Streckbehandlung. Eine Behandlung mit Penizillin wird man stets einleiten. Nicht zu spät sollte mit Bewegungen begonnen werden, auch wenn dieselben anfangs sehr schmerzhaft sind. Unterstützende Maßnahmen sind Massage der Muskulatur, nicht des Gelenkes selbst, heiße Bäder, Schlammpackungen, Kurzwellendurchflutungen. Die tuberkulöse Gelenkentzündung Die in einem früheren Abschnitt besprochene Knochentuberkulose und die Gelenktuberkulose stellen eine Einheit dar, da beide Leiden besonders in ihren etwas vorgeschrittenen Stadien kombiniert vorkommen. Beide entstehen metastatisch, wie bei der Knochentuberkulose geschildert. Erfolgt die Ansiedlung der Erreger im Knochen in Gelenknähe, so besteht für eine relativ kurze Zeit eine isolierte Knochentuberkulose. Stets wird der Prozeß bei seiner weiteren Ausbreitung die Neigung haben, in das Gelenk durchzubrechen, und führt dann zwangsläufig zur Gelenktuberkulose. Aber wenn auch die Ansiedlung der Tuberkelbazillen primär in der Gelenkkapsel erfolgt, wird doch über kurz oder lang der in Gelenknähe befindliche Knochen mit ergriffen werden und sei es auch nur in Form der bei jeder Gelenktuberkulose sich frühzeitig ausbildenden Knochenatrophie. Aus dieser kurzen Schilderung der Entstehungsweise ergibt sich, daß mehrere Erscheinungsformen der Gelenktuberkulose, die sich nicht immer scharf voneinander trennen lassen, bestehen müssen. Am zweckmäßigsten ist es aber, wenn man nicht den Ausbreitungsweg der Infektion sondern die pathologisch-anatomische Form, in welcher uns der Krankheitsprozeß vor Augen tritt, zur Grundlage einer Einteilung macht. Demgemäß unterscheiden wir: 1. den tuberkulösen Gelenkerguß (Hydrops tuberculosus), 2. die abszedierende Form, 3. die granulierende Form (Fungus). Der

tuberkulöse

Gelenkerguß

(Hydrops

tuberculosus)

stellt die

leichteste

Form der Erkrankung dar, welche auch die günstigsten Heilungsergebnisse aufweist. Wir begegnen ihm besonders häufig am Kniegelenk. Seitdem wir aber

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wissen, daß an dieser Körperstelle die unspezifische Erkrankung des „reizempfindlichen Kniegelenkes", welche ebenso wie die tuberkulöse mit Kapselschwellung und Gelenkerguß einhergeht, recht oft vorkommt, ist es ganz sicher, daß ein Teil der früher als tuberkulös angesprochenen Erkrankungen, die mit erstaunlich gutem funktionellen Ergebnis ausheilten, keine Tuberkulose, sondern derartig reizempfindliche Kniegelenke waren. Der tuberkulöse Gelenkerguß ist stets mit einer Gelenkkapselschwellung verbunden. Seine Diagnose ist aber nur dann als gesichert zu betrachten, wenn der Erregernachweis im Gelenkpunktat durch Kultur oder Tierversuch geführt werden konnte oder wenn eine Probeexzision aus der Gelenkkapsel bei mikroskopischer Untersuchung sicher tuberkulöse Veränderungen zeigt. Der echte tuberkulöse Kniegelenkserguß pflegt unbehandelt fast stets in die abszedierende oder die granulierende Form überzugehen. Die abszedierende Form der Gelenktuberkulose kann entweder durch den Einbruch eines tuberkulösen Knochenherdes in das Gelenk entstehen oder sich auch aus einer granulierenden Form weiterentwickeln. Sie stellt wohl den schwersten Grad der tuberkulösen Gelenkentzündung dar, der gekennzeichnet ist durch einen relativ schnell einsetzenden Zerfall von Knochen und Knorpelgewebe unter Bildung käsiger, bröckliger Massen und des typischen, dünnflüssigen, tuberkulösen Eiters, der in sehr großer Menge produziert werden und zu weitverzweigten Senkungsabszessen führen kann. Demgegenüber tritt die Entwicklung von Granulationsgewebe in den Hintergrund, welches nur zur Auskleidung der sich entwickelnden kalfen Abszesse erzeugt wird. Da frühzeitig Knorpel- und Knochengewebe zugrunde geht, kommt es schon zu Beginn der Erkrankung zu einer zunächst reflektorisch-muskulären, später narbigen Kontraktur der Gelenke. Hüft- und Kniegelenk werden vorzugsweise von dieser Erkrankungsform befallen. Eine besondere Form stellt die meist an der Schulter vorkommende Caries sicca dar, bei welcher der Gelenkkopf ohne nennenswerte Eiterbildung völlig resorbiert wird, bis das Gelenk mit bindegewebiger Narbe ohne Senkungsabszesse versteift. Die granulierende Form der Tuberkulose (Fungus), mit alter Bezeichnung Tumor albus genannt, stellt die häufigste Erscheinungsform der Erkrankung dar. Es bilden sich im Gelenk, ausgehend von der Gelenkkapsel, graurote bis düsterrote, schwammige, schlaffe Granulationen, welche das Gelenkinnere fast vollkommen ausfüllen, so daß für einen Gelenkerguß kaum Platz bleibt. Die Granulationen zerstören die Gelenkkapsel und die Gelenkbänder. Der Gelenkknorpel selbst wird zwar von dem tuberkulösen Prozeß an sich nicht ergriffen, verfällt aber aus Mangel an Ernährungsstoffen und vielleicht auch durch Giftwirkung langsam der Degeneration, er wird gelblich, aufgefasert und löst sich schließlich von der Knochenunterlage. Durch die Ansammlung von Granulationsgewebe im Gelenk, verbunden mit dem stets frühzeitig einsetzenden und erhebliche Grade annehmenden Muskelschwund, entsteht die charakteristische spindelförmige Auftreibung des Gelenkes. Durch das Ödem des Unterhautzellgewebes wird die H a u t selbst weißglänzend und leicht durchscheinend. Daneben kommt auch eine Form vor, bei welcher die Granulationen weicher sind, die Neigung haben, schneller in die Umgebung einzuwuchern und auch nach außen durch die Haut zu brechen. Die Unterscheidung von einem Erguß kann schwierig sein, da das weiche, matschige Granulationsgewebe das Symptom der Pseudofluktuation zeigt. Die befallenen Gelenke stellen

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sich in eine Entlastungsstellung, die dann durch muskuläre, später narbige Kontraktur fixiert wird. Mit fortschreitendem Zerfall der Gelenkflächen und Ausbildung des Granulationsgewebes nehmen Bewegungsbehinderung und Bewegungsschmerzen zu. Die Zerstörung der Gelenkbänder führt zu Subluxationsstellungen. Die Entwicklung der Gelenktuberkulose pflegt langsam und in den Anfangsstadien häufig unbemerkt vor sich zu gehen. Vielfach handelt es sich um schwächliche, blasse, schlecht genährte, heruntergekommene Kinder, deren Eltern tuberkulöse Erkrankungen überstanden hatten oder noch an ihnen leiden. Wer nach dem Weltkrieg eine Tuberkulosestation betreuen mußte, wird das Elend nie vergessen, welches sich damals seinen Augen bot. Andererseits kann aber die Erkrankung gesund und frisch aussehende, kräftige Menschen befallen. Zu Beginn des Leidens klagen die Kranken über Müdigkeit, Unlustgefühle, Unfähigkeit zu auch nur leichten Anstrengungen, bevor örtliche Erscheinungen an den befallenen Gelenken auftreten. Die stets vorhandenen leichten Temperatursteigerungen pflegen nicht beachtet oder falsch gedeutet zu werden, bis langsam hektische Fieberformen sich einstellen. Die Gelenke beginnen zu schmerzen und weniger beweglich zu werden sowie anzuschwellen, sei es infolge eines Ergusses oder durch die Ausbildung der Kapselgranulationen. Eine Muskelatrophie ist frühzeitig nachweisbar. Es folgt dann die Ausbildung der Gelenkkontrakturen durch Muskelanspannung oder Narbenzug. Besonders häufig ist die Erkrankung im Kindesalter und bei Erwachsenen bis zum 30. Lebensjahr, dann erst wieder im Greisenalter. Die Prognose ist sehr wechselnd. Eine Reihe von Fällen erliegt dem Leiden, besonders wenn es sich um durch Fistelbildung mischinfizierte Gelenktuberkulosen, vielleicht noch an mehreren Gelenken, gehandelt hat, sowohl der Infektion selbst als auch der sich ausbildenden Amyloidose der großen parenchymatösen Organe. Ich habe den Eindruck, als wenn blonde Menschen mit der Tuberkulose schlechter fertig werden als dunkle, ohne es statistisch einwandfrei beweisen zu können. In bezug auf die Gelenkfunktion ist leider die völlige Ausheilung auch heute noch eine Seltenheit. Fast stets muß man mit einer mehr oder weniger großen Funktionsbehinderung, oft sogar mit einer völligen Versteifung der Gelenke rechnen. Die Diagnose bietet nur in den Frühstadien gewisse Schwierigkeiten, wenn die typischen Erscheinungen des Fungus noch nicht sehr ausgeprägt sind. Genaue Erhebung der Vorgeschichte und auch der Familienanamnese, besonders eingehende Untersuchung der Lungen sowie des gesamten Körpers sind wichtig. Auch die Anstellung von Tuberkulinproben durch Beobachtung von Herdreaktionen kann von Vorteil sein. Genaue Temperaturmessungen, immer wieder morphologische Blutuntersuchungen und die Prüfung der Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit sind unerläßlich. Wertvoll ist eine genaue Röntgenuntersuchung. Zunächst wird man eine auffallende Knochenatrophie beobachten. Die Knochen erscheinen sehr wenig kalkdicht, die Kortikalis ist verschmälert. Tuberkulöse Herde wird man unschwer erkennen können. In späteren Stadien stellen sich Usuren der Gelenklinien ein. Bei unklarer Diagnose sollte man aber rechtzeitig an die Ausführung einer Probeexzision aus der Gelenkkapsel mit anschließender histologischer Untersuchung denken. Der kleine Eingriff läßt sich stets in örtlicher Betäubung

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ausführen und verspricht doch eine sehr wertvolle Klärung des Krankheitsbildes. Wenn erst multiple Fisteln an dem betroffenen Gelenk aufgetreten sind, dann kommt man mit der richtigen Diagnose viel zu spät, denn die vorhandene Mischinfektion bedeutet eine so schwere Komplikation, daß durch sie die Prognose des Leidens sehr erheblich verschlechtert wird. Letztere hängt von der Möglichkeit ab, über längere Zeit eine Allgemeinbehandlung durchführen zu können. Das Befallensein mehrerer Gelenke sowie floride Herde in Lunge, Darm oder Urogenitalsystem verschlechtern naturgemäß die Heilaussichten sehr erheblich. Man kann annehmen, daß etwa %—% der an chirurgischer Tuberkulose erkrankten Menschen sterben. Von dem Rest wird der größte Teil auch bei klinisch vollkommener Ausheilung des Leidens Funktionsbehinderungen und Gelenkversteifungen zurückbehalten. Die Behandlung der Gelenktuberkulose hat zunächst in Form der auf S. 625 beschriebenen Allgemeinbehandlung zu erfolgen. Daneben erfordern die erkrankten Gelenke selbst eine Reihe von besonderen Maßnahmen. Ruhigstellung des Krankheitsherdes ist während der Behandlung ein unbedingtes Erfordernis. Das überlegene Mittel hierzu ist der zirkuläre Gipsverband mit oder ohne Fenster über dem erkrankten Gelenk. Er muß das letztere sicher entlasten und dem Körper so gut anmodelliert werden, daß er an keiner Stelle drückt und viele Monate hindurch liegen bleiben kann. Die Technik seiner Ausführung ist keineswegs leicht. Wenn das Leiden ausgeheilt ist, soll man zur Entlastung vorübergehend Stützapparate geben, welche zeitweise, z. B. während der Nachtruhe, abgelegt werden können. Neuerdings sind durch Streptomycin gute Erfolge erzielt worden. Die Behandlung

einer tuberkulösen

Fistel ist ebenfalls vorwiegend konser-

vativ. Nur durch Allgemeinbehandlung vermag sie zur Ausheilung gebracht zu werden. Mittels örtlicher Maßnahmen läßt sich dieser Vorgang aber beschleunigen. Durch Auskratzung der Fistel mit scharfem Löffel kann man zunächst einmal die an ihrem Grunde vorhandenen tuberkulösen Sequester entfernen und durch Wegschaffung der schlaffen Granulation der Fistelwand frische Wundflächen schaffen, die eine größere Neigung zur Verheilung zeigen als das alte, tuberkulöse Gewebe. Die Gelenkresektion, welche vor vielen Jahren fast das Normalverfahren der Behandlung war, ist in ihrer Bedeutung durch die Allgemeinbehandlung sehr in den Hintergrund gedrängt worden. Ganz verlassen sollte man sie aber nicht, denn durch diesen Eingriff können wir in relativ kurzer Zeit den gesamten Krankheitsherd radikal aus dem Körper entfernen und das Leiden heilen. Bei ungünstigen sozialen Verhältnissen, die eine längere Kurdauer nicht gestatten, und bei der Notwendigkeit, den Menschen frühzeitig wieder einer Arbeitstätigkeit zuzuführen, bleibt die Resektion eine durchaus diskutierbare und auch erfolgversprechende Heilbehandlung. Wir werden sie nicht bei Kindern, gelegentlich aber bei Erwachsenen ausführen. In seltenen Fällen ist auch die Amputation einer Extremität erforderlich, nämlich vorwiegend bei älteren Leuten dann, wenn es sich darum handelt, bei bestehender, schwer, beeinflußbarer Lungentuberkulose einen gleichzeitig vorhandenen, besonders fistelnden Gelenkherd, welcher für eine Resektion ungeeignet ist, aus dem Körper zu entfernen. Der Eingriff dient also dem Versuch der Erhaltung des Lebens, wenn man die Uberzeugung hat, daß der Körper nicht die Kraft aufbringen wird, zwei schwere Krankheitsherde zu heilen, wohl aber mit einem derselben fertig zu werden.

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Chirurgie der G l i e d m a ß e n

Das Ziel der Behandlung der Gelenktuberkulose muß sein, stets die Gelenke in eine solche Stellung zu bringen, daß sie später auch bei eingetretener Versteifung in optimaler Form gebrauchsfähig sind. Aber mitunter kommen Kranke zur Beobachtung, bei denen infolge ungenügender oder überhaupt nicht durchgeführter Behandlung die Gelenke in ungünstiger Stellung stehen, so daß Operationen zur Stellungskorrektur ausgeführt werden müssen. Handelt es sich um fibröse Kontrakturen, dann kann man durch langsam wirkende Extensionsverbände die Glieder in die gewünschte Stellung bringen. Es ist untunlich, dies durch einmalige, gewaltsame Bewegung (Brisement forcé) erreichen zu wollen, denn sehr häufig ist diese Maßnahme von einem heftigen Aufflackern des tuberkulösen Prozesses gefolgt. Auch tödlich endende Miliartuberkulosen sind hiernach beobachtet worden. Handelt es sich um knöcherne Versteifungen in ungünstiger Stellung, soll man die notwendigen Osteotomien aus demselben Grunde lieber extraartikulär als im Bereich des alten Entzündungsprozesses ausführen. Dieser Allgemeinbetrachtung folge eine kurze Besprechung der Tuberkulose der großen Körpergelenke. Die Schultergelenkstuberkulose ist nicht sehr häufig. Meist tritt sie in der Form der schon besprochenen Caries sicca mit Schwund des Schultergelenkkopfes und Versteifung auf. Männer im 2. und 3. Lebensjahrzehnt sind vorwiegend befallen. In seltenen Fällen kommt aber auch eine granulierende und abszedierende Tuberkulose vor, deren Senkungsabszesse dann am hinteren Deltarand oder vorne neben dem Bizeps zutage treten. Das Leiden beginnt mit der Ausbildung einer Schulterkontraktur in Adduktionsstellung, verbunden mit häufig zunächst rheumatisch gedeuteten, ziehenden Beschwerden. Bald fällt eine Schwäche des betroffenen Armes auf. Bei der Caries sicca besteht eine starke Deltaatrophie, welche die Schulter eckig erscheinen läßt, bei der fungösen Form erscheint die Schultergegend im Vergleich mit der gesunden Seite verdickt. Verwechslungen mit Sarkomen sind in diesem Stadium denkbar. Die Prognose bei der Caries sicca ist günstiger als bei der fungösen Form. Therapeutisch soll man zunächst durch langsam wirkende Extension eine Abspreizung des Oberarmes um nicht ganz einen rechten Winkel vom Körper erreichen, um dann in dieser Stellung die Behandlung fortzusetzen und evtl. das Gelenk versteifen zu lassen. Die Ellenbogengelenkstuberkulose ist bei Kindern männlichen Geschlechts häufig. Der Ausgangspunkt liegt meist in den Gelenkflächen, sehr viel seltener in der Gelenkkapsel. Daher stellen schwere Deformierungen des Gelenkes die Regel dar. Die spindelförmige Auftreibung der Gelenkgegend ist bei dieser Lokalisationsart besonders eindrucksvoll, die Diagnose daher relativ leicht. Da das Gelenk nur von einem dünnen Weichteilmantel umgeben ist, pflegen Fisteln oft und auch schon frühzeitig aufzutreten. Trotzdem sind die Heilungsaussichten als relativ günstig anzusprechen. Der ruhigstellende Gipsverband ist die Behandlungsmethode der Wahl. Aber gerade an diesem Gelenk hat bei schon bestehenden schweren Zerstörungen, die unter Anwendung konservativer Behandlungsmethoden doch mit einer Versteifung ausheilen würden, die Gelenkresektion ihre Berechtigung. Die Handgelenkstuberkulose nimmt durch den buchtenreichen und sehr komplizierten Bau des Gelenkes eine besondere Stellung ein. Die Herde pflegen meist in den Handwurzelknochen, sehr viel seltener in Radius und

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Ulna zu sitzen. Der verwickelte anatomische Bau ist der Anlaß dafür, daß an einer Stelle der Krankheitsprozeß zur Ausheilung neigt, an anderer Stelle des Gelenkes dagegen Neigung zum Fortschreiten haben kann. Weiterhin ist wichtig zu wissen, daß gerade die Handgelenkstuberkulose bei Männern jenseits des 50. Lebensjahres nicht allzu selten beobachtet wird. Pathologisch-anatomisch finden wir stets eine Kombination von ossaler und synovialer Form. Das Handgelenk schwillt an, wird meist in Mittelstellung oder ganz leichter Beugung steif gehalten. Die Bewegungen der Finger verursachen Schmerzen, auch sie werden langsam in ihrer Beweglichkeit behindert. Der Durchbruch des tuberkulösen Prozesses in die benachbarten Sehnenscheiden ist häufig und führt natürlich zu einer weiteren erheblichen Funktionsbehinderung derselben. In den Anfangsformen des Leidens ist eine Verwechslung mit dem chronischen Gelenkrheumatismus möglich. Die Ausheilung der Gelenkserkrankung erfolgt auch bei frühzeitiger Diagnose und richtiger, konsequenter Behandlung wohl immer mit einer Versteifung des Handgelenkes. Um so wichtiger ist die Erhaltung der Beweglichkeit der Finger. Mit der operativen Behandlung sei man sehr zurückhaltend. Die Handgelenksresektion ist wegen des durch die Verkürzung der Hand bedingten Spannungsverlustes der Fingersehnen nicht angezeigt. Die Handgelenkstuberkulose ist so gut wie stets konservativ zu behandeln. Die Röntgenbestrahlung soll bei ihr besonders gute Ergebnisse erzielen. Die Tuberkulose der Fingergelenke ist nicht sehr häufig. Mitunter sind mehrere Gelenke gleichzeitig von einem vorwiegend fungösen Prozeß befallen. Konservative Behandlungsmethoden sind anzuwenden. In schweren Fällen kommt eine Fingerexartikulation in Frage. Die Hüftgelenkstuberkulose ist die häufigste der großen Körpergelenke, in % der Fälle nimmt sie ihren Ausgang von einem Knochenherd, der sowohl im Schenkelkopf als auch im Schenkelhals oder in der Gelenkpfanne sitzen kann. Ausgedehnte Zerstörungen dieser Knochen oder eine Erweiterung und Verschiebung der Pfannenwölbung nach oben (Pfannenwanderung) und dadurch bedingter Spannungsverlust der Gesäßmuskulatur sind nach eingetretener Ausheilung des Entzündungsprozesses die Folge. Pathologisch-anatomisch handelt es sich vorwiegend um granulierende und abszedierende Tuberkulose, die zu Senkungsabszessen und Fisteln in der Leistengegend, in der Gesäßfalte und an der Innenseite des Oberschenkels entsprechend dem Adduktorenschlitz führt. Auch Durchbruch des tuberkulösen Prozesses in das Beckenbindegewebe mit nachfolgenden Fisteln am Damm oder in Blase und Mastdarm kommt vor. Das Leiden befällt vorwiegend Kinder. Doppelseitigkeit und Vorhandensein einer Gelenkstuberkulose auch an anderer Stelle sind selten. Der Verlauf der Hüftgelenkstuberkulose bietet wegen der wechselnden Gelenkstellungen einige Besonderheiten. Der Beginn ist dadurch gekennzeichnet, daß die Kinder anfangen zu hinken und daß ein Druck gegen das Hüftgelenk (z. B. Umdrehen im Bett) Schmerzen verursacht und zu Schmerzäußerungen veranlaßt. Recht häufig wird über Schmerzen an der Innenseite des Oberschenkels oder des Knies geklagt. Dies hat seine Ursache in der Reizung des Stammes des Nervus obturatorius durch den sich entwickelnden tuberkulösen Prozeß bei seinem Verlauf in der Nähe des Hüftgelenkes. Die dann entstehende tuberkulöse Koxitis erzeugt Zwangs-

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Stellungen des Gelenkes, welche nicht etwa für die Tuberkulose an sich, sondern nur für die Koxitis charakteristisch sind. Zu Beginn der Hüftgelenksentzündung stellt sich das Gelenk in Flexion, Abduktion und Außenrotation (also eine Beinstellung wie bei Apollo von Belvedere). In diesem Stadium ist das Hinken sehr auffallend. Jede Belastung und jede Bewegung des Hüftgelenkes verursachen Schmerzen, aber auch Spontanschmerzen sind vorhanden. Das Gelenk ist (in der Inguinalgegend sichtbar) angeschwollen. Mit fortschreitender Erkrankung wird die soeben geschilderte Gelenkstellung aufgegeben. Durch Schrumpfung der Gelenkkapsel begibt sich das Hüftgelenk langsam in eine Stellung von Flexion, Adduktion und Innenrotation, wobei besonders die Flexion recht erhebliche Grade annehmen

Abb. 372 und 373. Flexionskontraktur der H ü f t e bei Goxitis tuberculosa

kann. Dem sachunkundigen Beobachter kann diese Zwangsstellung nicht zum Bewußtsein kommen, da sie durch eine Wirbelsäulenverbiegung ausgeglichen werden kann, wie die obenstehenden Bilder zeigen. Es ist also notwendig, daß man bei jeder Untersuchung des Hüftgelenkes zunächst die Wirbelsäule in Streckstellung bringt, um sich eine etwa vorhandene Kontraktur der Hüfte zu Gesicht zu bringen. Das langsame Entwickeln der Adduktionskontraktur der Hüfte aus der Abduktionsstellung und der Ubergang der Außenrotation in Innenrotation erzeugen naturgemäß sehr viele Ubergangsstadien, die im Einzelfalle das typische Krankheitsbild verwischen können. Die Beugekontraktur ist aber stets vorhanden und hat die Neigung, an Intensität zuzunehmen. Der Heilverlauf pflegt sich bei der Hüftgelenkstuberkulose recht lange hinzuziehen, er dauert etwa 3—5 Jahre. Das Allgemeinbefinden kann erheblich in Mitleidenschaft gezogen sein. Die Kombination mit florider Lungentuberkulose ist in etwa y 5 der Fälle vorhanden. Die Sterblichkeit des Leidens

Erkrankungen der Knochen und Gelenke

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ist recht hoch, etwa 1 / 3 der Kranken können nicht gerettet werden. Je älter der Mensch ist, desto höher ist die Mortalität. Wenn die Erkrankung ausheilt, so bleibt doch in 90°/o eine Funktionsbehinderung in Form von Hinken zurück. Leidliche Heilungsergebnisse erzielt man bei konservativer Behandlung etwa in 60%, bei operativer in 50%. Die Notwendigkeit, während des größten Teils der Heilbehandlung im Bett liegen zu müssen, stellt eine weitere sehr wesentliche Komplikation dar. Bei der Behandlung wird man in Frühformen zunächst durch langsam wirkende Extensionsverbände die Gelenkkontraktur beseitigen müssen. Ist dies nach mehreren Wochen erreicht, dann tritt der Gipsverband vom Fuß bis zum Thorax in sein Recht. In ihm kann unter günstigen äußeren Verhältnissen gelegentlich auch eine ambulante Behandlung durchgeführt werden. Mit fortschreitender Heilung ist der Gipsverband zu einem Gehverband umzuwandeln. Die operative Behandlung tritt demgegenüber in den Hintergrund. Nur bei schweren Zerstörungen des Gelenkes kann die Resektion angezeigt sein. Die Kniegelenkstuberkulose nimmt ebenfalls meist ihren Ausgang von einem Knochenherd im Oberschenkel oder in den Tibiakondylen. Das Wadenbein wird nur äußerst selten befallen. Obwohl der Primärherd also im Knochen sitzt, ist doch der Gelenkerguß häufig das erste objektive klinische Zeichen. Bei der fungösen Form wandelt sich die sonst nicht tastbare Synovialis bis zu 1 cm und mehr dicken Gebilden um, welche besonders an der Umschlagsfalte am oberen Gelenkrezessus auch schon bei eben beginnender Verdickung gut tastbar sind. Durch Zerstörung der Gelenkbänder, besonders auch der Kreuzbänder durch das tuberkulöse Gewebe, kommt es leicht zu Subluxationsstellungen im Kniegelenk, meist in der Form des Durchsinkens des Unterschenkels nach hinten. Bei der eitrig-käsigen Form der Tuberkulose zeigt uns das Röntgenbild mitunter Sequester erheblichen Umfangs aus den Gelenkflächen. Auch Senkungsabszesse nach der Kniekehle und der Wade und Durchbruch durch die Haut finden sich. Die Spindelform des Gelenkes bei granulierender Tuberkulose ist gerade auch am Kniegelenk deutlich erkennbar, zumal eine Muskelatrophie frühzeitig einzutreten pflegt. Infolge des zunächst bestehenden Gelenkergusses nimmt das Knie eine mittelstarke Beugekontraktur an, die sich später durch Uberwiegen der Kraft der Beugemuskulatur noch vermehren kann. Die Prognose des Leidens ist nicht ungünstig, obwohl bei konservativer Behandlung mit einer Dauer von mehreren Jahren gerechnet werden muß. Die Behandlung wird in den beginnenden Fällen vorwiegend konservativ sein. Ist es aber zur Zerstörung der Gelenkbänder und besonders der Kreuzbänder gekommen, so muß man mit dem Auftreten von Subluxationsstellungen und einem Wackelknie rechnen. Um dies zu verhindern, ist die Resektion angezeigt, denn ein versteiftes und etwas verkürztes Bein ist für den Menschen wertvoller als ein belastungsunfähiges Schlottergelenk im Knie. Die Fußgelenkstuberkulose kann sich an allen Teilen dieses komplizierten Gelenkes ausbilden. Es gilt hier dasselbe, was vorstehend von dem Handgelenk gesagt wurde. Die Tuberkulose des Talokrural-Gelenkes nimmt ihren Ausgang von einem Herd im Schienbein oder Sprungbein, selten im Wadenbein. Auch ein Herd im Fersenbein vermag die Ursprungsstelle zu sein. Die anderen .Fußwurzelknochen können ebenfalls befallen sein, wenn auch sei-

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Chirurgie der Gliedmaßen

tener. Die ersten Erscheinungen bestehen in leichter Ermüdbarkeit, Hinken, Neigung zum Umknicken, Schmerzen, Muskelatrophie am Unterschenkel. Verwechslung mit Plattfußbeschwerden kommt oft vor. Dann bilden sich langsam Kapselschwellungen und ein Erguß im Fußgelenk aus, der aber nicht sehr leicht nachzuweisen ist. Durchbruch der Granulationen in die Sehnenscheiden des Fußes und nach außen durch die Haut ereignen sich an dieser Körperstelle relativ häufig. Fast stets ist mit der Fußgelenkstuberkulose eine erhebliche Zerstörung der Fußwurzelknochen verbunden, besonders wenn die Extremität bei bestehendem Leiden noch weiter belastet wird. Die Diagnose bietet keine besonderen Schwierigkeiten, das Röntgenbild ist für die Erkennung der Lokalisation unerläßlich. Die Prognose ist bei Kindern und jüngeren Menschen relativ gut, bei Erwachsenen oder gar bei alten Leuten sehr viel ungünstiger. Die Behandlung sei vorwiegend konservativ im entlastenden Gipsverband, sie dauert Monate und Jahre. Die operative Behandlung der Sprungbeintuberkulose ist besonders aus dem Grunde aussichtsreich, weil sie auch funktionell ein gutes Ergebnis zeitigt. Bei schweren Formen der Fußgelenkstuberkulose, besonders bei älteren Leuten, sollte man mit der Amputation nicht zurückhaltend sein. Bei dem heutigen Stand der Prothesentechnik sind die Leute besser daran als mit einem bestenfalls versteiften Fußgelenk, welches mehrere Jahre zur Heilung brauchte, wenn eine solche überhaupt erzielt werden konnte. Die Lues der Gelenke Sowohl die angeborene als auch die erworbene Lues kann zu häufig rezidivierenden, meist doppelseitigen und besonders im Kniegelenk auftretenden Gelenkergüssen führen. In derartigen Fällen fahnde man stets nach der Grundkrankheit und stelle die W a s s e r m a n n sehe Reaktion im Blute und im Gelenkpunktat an. Verwechslungen eines syphilitischen Gelenkergusses mit einer beginnenden Tuberkulose sind häufig, zumal da in beiden Fällen Verdickungen der Gelenkkapsel vorhanden zu sein pflegen. Wenn die Diagnose gestellt ist, ist die Behandlung des Grundleidens mit Jodkali oder Quecksilber oder Salvarsanpräparaten notwendig. Daraufhin schwinden die Gelenkergüsse langsam. Luetische Narben in den Gelenkkapseln können einmal zu Bewegungsbehinderungen und Kontrakturen führen, sehr häufig ist dies jedoch nicht. Die Narben pflegen der Restzustand von Gumma-Knoten zu sein, welche gelegentlich auch einmal die Neigung zum Zerfall und zum ulzerösen Durchbruch nach außen haben.

Tumoren der Weichteile der Gliedmaßen Papillome Hypertrophische Epithelwucherungen in Form harter oder weicher Warzen finden sich an allen Stellen der Extremitäten. Ihr Kommen und Vergehen haben mitunter etwas Geheimnisvolles, denn einmal entstehen sie ohne ersichtlichen Grund manchmal schlagartig und vergehen auch ebenso wieder. Und außerdem hat vielfältige Erfahrung gezeigt, daß sie psychischen Einflüssen unterliegen und durch ,,Besprechen" zum Verschwinden gebracht werden

T u m o r e n der W e i c h t e i l e der

Gliedmaßen

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können. Die hierbei im Körper spielenden Vorgänge sind uns heute noch nicht voll verständlich. Für einige Warzen konnte die Entstehung durch ein Virus nachgewiesen werden. Wenn die Warzen nicht von selbst verschwinden, kann man sie entfernen. Am besten geschieht dies heutzutage durch Koagulation auf elektrischem Wege. Die früher üblich gewesene Ätzung mit rauchender Salpetersäure wird immer mehr verlassen. Auch die Abtragung der Warzen mit der Schere sollte nicht mehr ausgeführt werden. Wenn man sich schon zu chirurgischem Vorgehen entschließt, sollte man in örtlicher Betäubung das Papillom mit seiner Basis aus der Haut ausschneiden und die kleine Wunde vernähen. Mitunter sind die Epithelwucherungen stark mit Pigmentzellen durchsetzt (Pigmentmäler, Leberflecken), auch Haare können an ihnen in erheblichem Umfang vorkommen (Naevus pigmentosus pilosus). Hohlhand und Fußsohle bleiben stets von ihnen frei. Mitunter können sie sich auch in jungen Jahren zu dem sehr bösartigen Melanosarkom umwandeln. Wenn diese Pigmentmäler daher kosmetisch stören oder gar zu wachsen beginnen, soll man sie durch chirurgische Eingriffe radikal entfernen, von einer Behandlung, welche einen Reiz darstellt, wie Ätzen, Vereisen, Koagulation usw. aber absehen. Epithelzysten Die in der Kopfhaut häufigen Atherome kommen auch an den Extremitäten mit Ausnahme der Handfläche und Fußsohlen vor. Außerdem beobachten wir besonders an der Hand mit Einschluß der Handfläche traumatische Epithelzysten, welche dadurch entstehen, daß bei Verletzungen meist stichartigen Charakters Epithelzellen in das subkutane Bindegewebe verpflanzt werden. Hier entwickeln sich aus ihnen zystische Hohlräume, welche mit Epithelschuppen und Talg, also einem atheromähnlichen Brei, angefüllt sind. Diese Zysten erreichen Erbsen- bis Haselnußgröße. Mitunter erkennt man in der Haut über ihnen noch eine winzige Narbe. Die Behandlung erfolgt durch Exstirpation in örtlicher Betäubung. Hämangiome Häufig findet man an den verschiedensten Stellen der Haut Erweiterungen des Kapillarnetzes oder kleine, mit Blut gefüllte Kavernome. Stören sie, so kann man sie durch Erfrierung mit Kohlensäureschnee oder durch Radiumbestrahlung oder auch mit dem Messer entfernen. Daneben gibt es aber auch ausgedehntere kavernöse Hämangiome, welche in Haut oder Unterhautzellgewebe liegen, aber auch auf tiefere Weichteile, besonders auf die Muskulatur, übergreifen können. Ihre operative Behandlung bereitet zuweilen technische Schwierigkeiten. Lymphangiome pflegen in der Mehrzahl der Fälle angeboren zu sein und daher schon im Kindesalter zur Behandlung zu kommen. Sie stellen zystische, schwammige, meist nicht deutlich abgrenzbare Anschwellungen von kissenartig-flächenhafter Ausdehnung dar. Besonders häufig finden wir sie an der Schulter und in Achselhöhle und Leistenbeuge. Sind sie klein und unscheinbar, lassen sie sich im Zusammenhang exstirpieren. Zur Behandlung größerer Lymphangiome bedient man sich zweckmäßig des elektrischen Hochfrequenzstromes. R o s t o c k , Lehrbuch (1er speziellen Chirurgie. 3. Aufl.

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Chirurgie der G l i e d m a ß e n

Lipome entstehen vorwiegend im Unterhautzellgewebe, mitunter aber auch unter der Ferse, welche sie zwerchsackähnlich durchbrechen können. Sie bilden stets durch eine Kapsel gut abgegrenzte, mitunter ausgesprochen gelappte Anschwellungen aus reinem Fettgewebe, welches in wechselndem Umfange von Bindegewebssträngen durchsetzt sein kann. Die Geschwülste erreichen oft bedeutende Größe und vermögen sich, wenn sie dicht unter der Haut gelegen sind, zu stielen und zum Lipoma pendulum zu werden. Lieblingssitze sind Schulter und Oberarm. Symmetrisches Auftreten an beiden Extremitäten wird oft beobachtet. Die einzig erfolgversprechende Behandlungsweise besteht in der Exstirpation der Geschwülste. Fibrome

A b b . 374. F i b r o m a p e n d u l u m a m Gesäß

Weiche oder weniger harte Bindegewebsgeschwülste vermögen sich an allen Körperstellen zu entwickeln. Sie bilden meist spindelförmige oder mandelkernartige Anschwellungen verschiedener Größe. Mitunter enthalten sie im Innern kleine Fremdkörper wie Splitter aller Art, chirurgisches Nahtmaterial und ähnliches. In diesem Falle sind sie also Abkapselungsvorgänge des Körpers gegen eingedrungene

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Fremdkörper. Operative Entfernung in örtlicher Betäubung ist meist leicht. Die echten Fibrome können maligne entarten. Eine Reihe von Menschen, z. B. Neger, neigen dazu, daß in Narben das Bindegewebe sehr stark wuchert und verschieden harte, geschwulstartige Verdickungen hervorruft, die man als Keloide bezeichnet; sie wirken kosmetisch sehr unschön. Man kann den Versuch machen, sie mit schärfstem Messer glatt zu exstirpieren und die Wunde nicht zu nähen, sondern nach exaktester Adaptierung durch Heftpflaster oder Schnürverbände zur Heilung zu bringen. Aber auch hierbei erlebt man mitunter Rezidive. Das beste Heilverfahren pflegt die Exstirpation in Kombinierung mit bald ausgeführten Röntgen- oder Radiumbestrahlungen zu sein. Neurome und Neurofibromatose Nervengeschwülste kommen vor als seltene echte Neurome oder GanglioNeurome mit neugebildeten Nervenfasern und Ganglienzellen, sie finden sich besonders am Hirn, Rückenmark und sympathischen Nervensystem. Häufiger gibt es Neurinome oder Neurozyiome, Geschwülste, die im wesentlichen aus

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Tumoren der Weichteile der Gliedmaßen

charakteristisch palisaden- und wirbeiförmig angeordneten zahlreichen Kernen, Abkömmlingen der ektodermalen Neurilemmzellen, bestehen. Solche Neurinome stellen auch den histologischen Typus dar bei den Geschwülsten der Recklinghausenschen Neurofibromatose. Diese unregelmäßig dominant vererbbare Entwicklungsstörung äußert sich als Systemerkrankung mit multiplen, oft sehr vielgestaltigen, in der Haut liegenden oder der Haut aufsitzenden Geschwülsten (sogenannte Fibroma molluscum und pendulum) Pigmentanomalien, Störungen der Knochen, der endokrinen Drüsen und der Psyche. Außer diesen vom Ektoderm abgeleiteten Nervengeschwülsten gibt es falsche Neurome, die vom bindegewebigen Anteil des Nerven stammen, es sind Fibrome, Myxome und Sarkome. Praktisch wichtig sind die Amputationsneurome, Fehlbildungen durch regellose Regenerationsvorgänge am durchschnittenen Nerven. Bindegewebe und Nervenfasern durchflechten sich knäuelartig und bilden knollige Verdickungen. Sie stellen sehr druckschmerzhafte Anschwellungen dar, die der Anlaß zu erheblichen Beschwerden werden können, wenn sie äußerem Druck ausgesetzt oder in der Narbe des Stumpfes fixiert sind. Bei der Palpation fühlt man an umschriebenster Stelle, welche einem der Verletzte selbst genau zeigen kann, die sehr druckempfindliche, knollige Anschwellung am Ende des Nervenstammes. Die beste Behandlung besteht in der Exstirpation des Neuroms mit Durchtrennung des Nerven soweit oben, als es nur möglich ist. Auf diese Weise verlagert man ein Rezidiv, welches häufig ist, soweit in schützende Weichteile hinein, daß die klinischen Erscheinungen durch Druck weitgehend verringert werden. Die Versuche, durch eine besondere Technik der operativen Versorgung des Nervenstumpfes das Auftreten von Rezidiven zu verhüten, sind nicht sehr erfolgreich gewesen. Durch stumpfe Quetschungen eines Nervenstammes kann es in seinem Innern zur Entwicklung eines sogenannten endoneuralen Neuroms kommen, welches den Nerven spindlig auftreibt, zu teilweiser Unterbrechung der Leitungsfähigkeit führt und auch spontane und Druckschmerzen an der Stelle erzeugt. Das sorgfältige Herauspräparieren der neuromartigen Narbenmassen aus den noch leitungsfähigen Nervenfasern, ohne sie zu verletzen, stellt eine sehr schwierige Aufgabe der Operationstechnik dar. Sarkome An den Gliedmaßen beobachten wir Sarkome in allen nur denkbaren Formen, ausgehend von den verschiedensten Weichteilen. Sie sind alle mehr oder weniger bösartig und neigen zu früher Metastasierung und auch zu örtlichen Rezidiven. Am relativ gutartigsten ist noch das von den Faszien ausgehende Fibrosarkom, das zunächst wenig infiltrativ wächst, und bei dem man im Frühstadium die örtliche Exstirpation ausführen kann. In der Regel pflegen die Kranken mit Sarkomen in einem Stadium in die Hand des Chirurgen zu kommen, in dem nur noch eine Amputation Aussicht auf Erhaltung des Lebens bietet. Leider ist sehr oft kostbare Zeit mit einer wirkungslosen Behandlung verschiedenen Charakters wie Umschlägen, Einreibungen, medikamentösen Verordnungen und ähnlichem vertan worden. Wir haben zwar in der Röntgenbestrahlung ein Mittel, das besonders die Sarkome in manchmal überraschend kurzer Zeit zum Verschwinden bringt. Leider lassen sich das Auftreten von 42*

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Chirurgie der Gliedmaßen

Metastasen und damit der tödliche Ausgang des Leidens nicht so oft verhindern, wie gemeinhin angenommen wird. Auch heute noch bietet die operative Entfernung des Sarkoms einer Extremität, wenn sie radikal durch einen verstümmelnden Eingriff (Amputation) vorgenommen wird, auf die Dauer gesehen die besseren Heilaussichten in bezug auf die Erhaltung des Lebens als die Bestrahlungsbehandlung. Karzinome entstehen an den Gliedmaßen meist an Stellen lange Zeit bestehender Fisteln oder auf dem Boden von Unterschenkelgeschwüren oder eines Lupus, eines Röntgenulkus oder auch durch maligne Umwandlung einer Warze (Papilloms). Meist handelt es sich um langsam wachsende Plattenepithelkarzinome, die in ihrem klinischen Verlauf relativ gutartig sind und erst nach langer Zeit durch Metastasierung zum Tode führen. Ist aber in Ausnahmefällen ein Hautkarzinom aus tieferen Zellschichten entstanden, so pflegt es ganz besonders bösartig zu sein und frühzeitig sowie ausgedehnt zu metastasieren. Kleine Hautkarzinome, die rechtzeitig diagnostiziert wurden, kann man durch Exstirpation weit im Gesunden und Deckung des gesetzten Defektes durch Hauttransplantation behandeln. Die gleichzeitige Ausräumung der regionären Lymphknoten, auch wenn sie klinisch nicht befallen erscheinen, dürfte stets zweckmäßig sein. Oberflächliche, nicht mehr im Gesunden exstirpierbare Karzinome soll man am besten der Strahlenbehandlung zuleiten, denn in diesen Fällen bliebe als chirurgische Maßnahme nur eine verstümmelnde Operation übrig.

Tumoren der Knochen und Gelenke Die pathologische Anatomie der Knochengeschwülste ist ein ganz schwieriges Kapitel, welches in den letzten Jahren in zunehmendem Umfang bearbeitet worden ist, ohne daß besonders auch in bezug auf die Fragestellungen des Klinikers überall befriedigende Ergebnisse erzielt wurden. Wie bei wohl keinem anderen Gebiet der Geschwulstlehre sind gerade die Ubergänge zwischen Gutartigkeit und Bösartigkeit so fließend und wenig klar, und zwar sowohl bei der Untersuchung des histologischen Schnittpräparats als auch bei der klinischen Beobachtung. Bei der Entscheidung der Frage, ob ein vorliegender Knochentumor benigne oder maligne ist, und bei der sich daraus ergebenden Indikationsstellung (meist handelt es sich darum, ob eine Amputation ausgeführt werden muß oder nicht) ist der Arzt vor sehr schwerwiegende Entschlüsse gestellt. Leider können ihm auch mitunter die Röntgenologie und pathologische Anatomie nicht entscheidend helfen. Immerhin ist die mikroskopische Untersuchung einer Probeexzision aus dem Tumor nicht zu entbehren und in allen Zweifelsfällen heranzuziehen. Man muß nur ein nicht zu kleines Stück des Tumors entfernen, und es muß aus Grenzgebieten des Tumors stammen, also auch sicher normales Gewebe der Umgebung enthalten. Primäre Man kann die Geschwülste den spezifischen Formelementen sprung nehmen, und in andere, Knochenmark) abstammen.

Tumoren des Knochens des Knochens in solche einteilen, welche von des Knochens und Knorpels selbst ihren Urwelche von Begleitgewebe (z. B. Gefäßgewebe,

Tumoren der Knochen und Gelenke

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Die halbseitige, multiple Chondromatose, auch als Olliersche Wachstumsstörung bezeichnet, stellt eine angeborene, nicht besonders oft vorkommende Systemerkrankung dar, die zu erheblichen Skelettdeformierungen führt. Sie kann verbunden sein mit anderen Mißbildungen, besonders der Gefäße. Die Chondrome, welche nur Knorpelgewebe enthalten, sind relativ selten, meist kommen sie in Kombination mit Knochengewebe vor. Es handelt sich um knollige Geschwülste von Erbsengröße bis mitunter Kindskopfgröße, die von einer straffen, bindegewebigen Kapsel umgeben sind, in ihrem Innern mehrere bindegewebige Septen besitzen und aus bläulichweißem Gewebe von hyalinem Knorpel bestehen. Wir finden sie meist in der Mehrzahl an Fingerund Mittelhandknochen oder den entsprechenden Stellen des Fußes. Auch an der Skapula werden sie öfter beobachtet. Ihr langsames Wachstum, welches meist erst nach dem 20. Lebensjahr beginnt, führt zu erheblichen Verunstaltungen der befallenen Glieder. Beim Sitz in der Nähe von Gelenken kann es mechanisch zur Behinderung ihrer Beweglichkeit, bei Druck auf Nerven und Gefäße zu neuralgischen Schmerzen oder zu Blutumlaufstörungen kommen. Meist haben die Tumoren gutartigen Charakter, wenngleich auch hin und wieder einmal maligne Degenerationen beobachtet worden sind. Die Behandlung erfolgt durch Ausschälung einschließlich der umgebenden bindegewebigen Membran. Werden Teile des Knorpelgewebes oder auch der Kapsel zurückgelassen, ist mit dem Auftreten von Rezidiven so gut wie sicher zu rechnen. Mitunter muß man bei dem Eingriff den Ursprungsknochen sehr stark verdünnen, wenn man radikal operiert, so daß eine Spontanfraktur droht oder während der Operation schon eintritt. Dann soll man sofort eine Knochentransplantation (Span aus Schienbein, Beckenkamm oder Rippe) anschließen. Kartilaginäre Exostosen Sie stellen pathologisch-anatomisch Osteochondrome dar, nehmen ihren Ursprung aus der osteogenetischen Schicht des Periost und treten vorwiegend multipel und symmetrisch an den Enden langer Röhrenknochen nahe der Epiphysenlinie auf, besonders am Oberschenkel nahe dem Knie, am Schienbein und am Oberarmknochen, gelegentlich auch einmal am Schulterblatt. Das Leiden ist dominant vererblich. Längere Zeit pflegen sie unbemerkt zu bleiben, bis sie durch ihre Größenzunahme sichtbare Anschwellungen bilden oder durch Druck Beschwerden verursachen. Mit Abschluß des Knochenwachstums hört auch das Wachstum der Exostosen auf. Über der mit einer freien Knorpelschicht bedeckten Spitze der Exostose pflegt sich oft ein Schleimbeutel auszubilden. Wenn die Exostosen an Vorderarm oder Unterschenkel sitzen und sich in den Zwischenknochenraum hineinentwickeln, können sie der Anlaß zu erheblichen Deformierungen und Verbiegungen der Knochen und damit auch zu Funktionsstörungen sein. Die Diagnose ist durch die Betastung leicht zu stellen und durch Röntgenaufnahme (vgl. Abb. 375) zu ergänzen. Genaue Absuchung des Skeletts wird dann auch meist an anderen Stellen derartige Tumoren entdecken lassen. Bei kosmetischer Entstellung der Körperform und bei Vorhandensein von Beschwerden ist die operative Freilegung der Geschwülste und die Abmeißelung an ihrer Basis ein leicht auszuführender Eingriff. Mit Rezidiven braucht man im allgemeinen nicht zu rechnen, wenn an der Basis sorgfältig das Periost mitentfernt wird.

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Chirurgie der Gliedmaßen

Osteome sind gutartige Geschwülste, welche aus ausgereiftem Knochengewebe bestehen. Vorzugsweise kommen sie an Schädel und Wirbelsäule sowie am Becken vor, an den Extremitäten sind sie sehr viel seltener. Eine eigenartige, typische Stelle für ihre Entwicklung ist die Endphalanx der Großzehe. Hier entwickelt sich nach dem Nagelbett zu eine subunguale Exostose, welche das Zehenendglied verdickt und den Nagel abhebt. Durch die Formveränderung

A b b . 375. K a r t i l a g i n ä r e E x o s t o s e

A b b . 376. Z e n t r a l e Riesenzellengeschwulst im F e m u r

und den dadurch unvermeidlichen Druck des Schuhwerks können beträchtliche Beschwerden verursacht werden. AbmeiI3elung der Exostose nach Entfernung des Nagels ist am Platze. Die Ostitis deiormans, auch Pagetsche Erkrankung genannt, besteht in einer chronisch und meist sehr langsam sich entwickelnden Verdickung und Verkrümmung der langen Röhrenknochen, deren Festigkeit vermindert wird, so daß es mitunter zu Spontanfrakturen kommt. Im Röntgenbild sieht man neben Bezirken, in welchen der Kalkgehalt deutlich und manchmal sogar erheblich vermehrt ist, andere mit stark vermindertem Kalkgehalt. Die Ursache der Erkrankung ist unbekannt. Tumorartige Veränderungen der Nebenschilddrüsen bestehen nicht. Der Kalkstoffwechsel des Körpers zeigt weder im Kalkund Phosphorgehalt des Blutes noch in der Ausscheidung dieser Stoffe durch den Urin Abweichungen von der Norm. Auf dem Boden einer Ostitis deformans kann sich in etwa 2% der Fälle ein Sarkom entwickeln.

T u m o r e n der K n o c h e n

nnd

Gelenke

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Die Ostitis fibrosa localisata und generalisata, welche von einer Reihe von Autoren auch zu den echten Geschwülsten gerechnet wird, ist schon in einem früheren Abschnitt (siehe S. 613 ff.) besprochen worden. Die Riesenzellengeschwülste der Knochen bestehen aus einem Netz von Spindelzellen und vielkernigen Riesenzellen mit dazwischen gelegenen Resten von Blutungen. Makroskopisch sieht das Gewebe rötlichrostbraun aus. Es hat schwammige Konsistenz und ist mit einer dünnen fibrösen und knöchernen Schale umgeben. Wir begegnen den Geschwülsten meist bei Menschen im 2. und 3. Lebensjahrzehnt. Der Lieblingssitz ist das Zentrum der langen Röhrenknochen nahe den Epiphysen. Durchbrüche in ein Gelenk oder nach außen durch die Haut werden nicht beobachtet. Lange Zeit bewirkt die Entwicklung des Leidens keinerlei Beschwerden, später treten Schwächegefühl sowie ziehende Schmerzen, manchmal rheumatischen Charakters, auf. Durch Substanzverminderung des tragfähigen Knochens kann es zu langsam sich ausbildenden Verbiegungen oder auch zum Eintreten einer Spontanfraktur kommen. Mitunter ist diese überhaupt das erste klinische Zeichen des Vorhandenseins der Geschwulst. Das Röntgenbild zeigt deutlich Form, Lage und Ausdehnung des krankhaften Prozesses. DifTerentialdiagnostisch sind Verwechslungen mit einer Ostitis fibrosa, einem B r o d i e sehen Knochenabszeß und gelegentlich auch einmal mit einem allerdings selten vorkommenden Knochenechinokokkus möglich. Die histologische Untersuchung und die charakteristische Braunfärbung der Tumormassen sichert die Diagnose. Ob sich aus dem Tumor ein echtes Sarkom entwickeln kann, ist nicht ganz sicher, Umwandlung in Knochenzysten ist jedoch möglich. Die Behandlung der Riesenzellengeschwülste besteht in einer gründlichen Auskratzung aller Tumormassen nach Aufmeißelung an der dünnsten Stelle der Kortikalis. Spontanfrakturen sind bei diesem Eingriff mitunter nicht vermeidbar. Sie bedürfen zunächst keiner Knochentransplantation, sondern nur einer genügend lange durchgeführten Fixation der Extremität in richtiger Stellung. Dann heilen sie meist von selbst. Rezidive der Riesenzellengeschwülste kommen vor. Zu ihrer Behandlung ist die Resektion des Tumors mit sofort anzuschließender plastischer Uberbrückung des gesetzten Knochendefekts notwendig.

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Chirurgie der Gliedmaßen

Die osteogenen K n o c h e n s a r k o m e wurden früher als periostale Sarkome bezeichnet. Ihr Ursprungsgewebe ist in der Lage, unreifen Knochen in jeder Form hervorzubringen. Der histologische Bau kann dabei äußerst verschieden sein. Wir kennen Formen, bei denen die Knochenzerstörung (osteolytische Sarkome) die Knochenbildung an Umfang übertrifft, und im Gegensatz hierzu andere (osteoblastische Sarkome), bei denen die Bildung unfertigen Knochengewebes im Vordergrunde des Tumorwachstums steht. Weiterhin gibt es Tumoren, die vorwiegend aus Knorpelgewebe bestehen (chondroblastische Sarkome), und schließlich noch Chortdromyxosarkome. Kombinationen dieser Grundformen sind möglich und kommen oft genug vor. Die Geschwülste können in jedem Lebensalter (Jugendliche werden bevorzugt befallen) und an jedem Körperteil auftreten, wenngleich die Gegend beiderseits des Kniegelenkes der Lieblingssitz zu sein pflegt. Das Wachstum des Tumors geht meist schnell vor sich, das Auftreten von Spontanfrakturen ist häufig. Während zu Beginn der Geschwulstentwicklung das Allgemeinbefinden nicht sichtbar gestört zu sein pflegt, t r i t t in späteren Stadien immer eine Tumorkachexie ein. Im Röntgenbilde sieht man zunächst Aufhellungen, die rasch die umgebende Knochensubstanz zerstören. Bei den vom Periost ausgehenden Knochengeschwülsten sieht man auf dem Röntgenbilde mitunter eine auffallende, charakteristische Streifung. Die Prognose der Knochensarkome ist sehr schlecht, am relativ günstigsten noch bei den osteoblastischen Formen. Auch wenn eine radikale E n t f e r n u n g des Tumors durch Amputation zu einer Zeit erfolgt, in welcher Metastasen auch bei eingehendster Untersuchung nicht nachweisbar waren, so geht doch noch eine sehr große Zahl dieser Kranken daran zugrunde. Auch die Röntgenbestrahlung h a t die Erfolgsaussichten nicht wesentlich bessern können. Wenn die Diagnose des bösartigen Knochensarkoms gestellt und erhärtet ist, haben nur radikalste Eingriffe wie Amputationen und Exartikulationen Aussicht auf Erfolg. Bei den schonenderen Resektionen ist die Gefahr des Rezidivs zu groß, so daß man diese Operationen nicht empfehlen kann. Die primären K n o c h e n t u m o r e n nicht knöchernen Ursprungs Als seltene Geschwülste kommen im Knochen einmal Hämangiome und Lipome vor. Häufiger als die Extremitätenknochen werden die Wirbelkörper von ihnen befallen. Auch bei einer Reihe von lymphatischen Erkrankungen wie Lymphogranulomatose, Lymphosarkom sowie der S c h ü l l e r - C h r i s t i a n sehen E r k r a n k u n g werden Knochenbeteiligungen beobachtet. Eine typische tumorartige E r k r a n k u n g des Knochensystems stellen die multiplen M y e l o m e dar. Von den blutbildenden Knochenmarkzellen, am häufigsten von den Plasmazellen ausgehend, bilden sie abgegrenzte, grauweiße bis dunkelrote Knoten im Markraum, welche im histologischen Bau dem R u n d zellensarkom ähneln, jedoch nicht eigentlich maligne sind. Durch den Druck ihres Größenwachstums zerstören sie langsam die Kortikalis der Knochen und können zu Spontanfrakturen führen. Vorwiegend befallen von der E r k r a n k u n g sind die platten Knochen von Männern etwa um das 50. Lebensjahr. Beim Bestehen dieser Geschwulstart finden wir im H a r n des Menschen meist den eigentümlichen Bence- Jonesschen Eiweißkörper. Er ist dadurch gekennzeichnet, daß beim Erhitzen des Urins auf 60° eine Trübung oder ein flockiger Nieder-

Tumoren der Knochen und Gelenke

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schlag sich bildet, der bei weiterem Erhitzen verschwindet, um beim Erkalten wieder aufzutreten. Das Ewingsche Knochensarkom. Es stellt eine sehr bösartige Geschwulstform dar, welche im Kindes- und Jünglingsalter die Diaphysen langer Röhrenknochen ebenso wie die platten Knochen befallen kann. Die klinischen Erscheinungen beginnen mit ziehenden Schmerzen in den befallenen Gliedabschnitten, die mit vollkommen schmerzfreien Intervallen abwechseln. Auch Temperatursteigerungen können mitunter vorhanden sein. Gleichzeitig bildet sich eine Verdickung des Knochens. Das Röntgenbild zeigt unregelmäßig geformte, meist exzentrisch wachsende Aufhellungen ausgehend vom Markraum, die die Kortikalis des Knochens verdünnt oder in vorgeschrittenen Fällen zerstört haben. Spontanfrakturen kommen daher vor. Das E w i n g sehe Knochensarkom gilt als sehr empfindlich gegen Röntgenstrahlen, trotzdem sind Heilungen auf diese Weise leider sehr selten. Daher ist auch bei dieser Tumorform die radikale Beseitigung durch Amputation das beste Heilverfahren. Metastatische Tumoren im Knochen Das Knochensystem ist zuweilen der Sitz von Metastasen bösartiger Tumoren anderer Körperstellen. Besonders das Prostatakarzinom und das Mammakarzinom neigen zu dieser Metastasierungsart. Aber auch Knochenmetastasen von (der ungefähren Häufigkeit nach geordnet) Hypernephromen, Schilddrüsenkarzinomen, Uteruskarzinomen, Rektumkarzinomen, Magenkarzinomen und Ösophaguskarzinomen werden beobachtet. Neben den Wirbelknochen und dem Becken werden besonders auch die langen Röhrenknochen von diesem Ereignis befallen. Die Metastasierung erfolgt fast Abb. 378. Knochenmetastase eines immer auf dem Blutwege in die Kapillaren Hypernephroms in der u i n a des Knochenmarks, in denen sich dann die Tochtergeschwulst ansiedelt, wächst und von innen her das Gefüge des Knochens zerstört, so daß es zur Spontanfraktur kommen kann. Das normale Periost bildet als Abwehrvorgang im Bereich des Tumors neuen Knochen, so daß der Knochen nach außen zu verdickt, und so der Termin der Spontanfraktur etwas hinausgeschoben wird. Selten ist die Spontanfraktur das erste Zeichen der Metastasierung. Fast stets haben vorher Schmerzen wechselnden Charakters und

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Chirurgie der G l i e d m a ß e n

m a n c h m a l erheblicher Intensität bestanden, die aber vielleicht vom K r a n k e n und gelegentlich einmal vom Arzt nicht richtig gedeutet worden sind. Die Röntgenuntersuchung wird dann die N a t u r des Leidens klären. Wenn der P r i m ä r t u m o r bisher nicht b e k a n n t war, m u ß nach ihm gesucht werden. Nicht immer wird er auffindbar sein. Die Behandlung der Knochenmetastasen k a n n leider nur durch Bestrahlung erfolgen, wenn nicht in sehr seltenen Fällen einmal P r i m ä r t u m o r und Metastase radikal im Gesunden resezierbar sein sollten.

Geschwülste der Gelenke Lipome, Fibrome und Angiome der Gelenkkapsel können n a t u r g e m ä ß vork o m m e n , sind aber doch seltene Befunde. Die Synovialis des Kniegelenks k a n n sich besonders in der Gegend des H o f f a sehen F e t t k ö r p e r s zu lipophagen Tumoren umwandeln, welche durch ihre eigenartig b r a u n e Konsistenz makroskopisch kenntlich sind und durch mikroskopische Untersuchung im polarisierten Licht in ihrer N a t u r e r k a n n t werden. Eine typisch gutartige E r k r a n k u n g der Gelenkkapsel stellt die Gelenkchondromalose (vgl. Abb. 379) dar. Bei ihr entstehen als echte Tumoren, vielleicht ausgehend von versprengten Keimen unizentrisch oder multizentrisch, in der Synovialis rundliche Knorpelgeschwülste, die entweder zu erheblicher Größe anwachsen oder, was häufiger ist, in sehr großer Zahl im Gelenk sich ansammeln. D a b e i können die Tumoren sich von der Gelenkkapsel stielen und auch als vollkommen freie Körper in der Gelenkhöhle befinden. Meist v e r m a g m a n an einem Gelenk alle Stadien

A b b . 379. M u l t i z e n t r i s c h e

Gelenkchondromatose

Tumoren der Knochen und Gelenke

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dieses Vorgangs von der Einbettung der Knorpelgeschwulst in der Tiefe der Synovialis bis zum freien Gelenkkörper zu beobachten. Die klinischen Erscheinungen des Leidens bestehen in Bewegungsbehinderung der Gelenke durch die in ihnen befindlichen Knorpelgeschwülste und in gelegentlich auftretenden Einklemmungserscheinungen und Gelenksperren durch die freien Gelenkkörper. Die Behandlung kann nur in der Exstirpation der Tumoren mitsamt der krankhaft veränderten Synovialis bestehen, welche sich bei geeigneter Nachbehandlung aus dem umgebenden Bindegewebe regeneriert. Die histologische Untersuchung der exstirpierten Tumoren ergibt im Gegensatz zu den osteochondritischen Gelenkmäusen eine allseitige Begrenzung mit hyalinem Knorpelgewebe. Als bösartige Tumoren kommen die zahlenmäßig nicht sehr häufigen Sarkome der Gelenkkapsel vor, welche zu umschriebener exzentrischer Gelenkschwellung mit blutigem Gelenkerguß führen. Zunächst wachsen sie relativ langsam und erzeugen nur geringe Beschwerden. Bald aber zerstören sie die Gelenkbänder und greifen auch auf die Knochen des Gelenks über. In Frühfällen kann vielleicht noch eine ausgedehnte Gelenkresektion in Frage kommen, vorgeschrittenere Stadien der Erkrankung erfordern die Amputation.

Sachregister Abnorme Beweglichkeit 505 Abszeß appendizitischer 339 Brodiescher Knochen618, 663 Douglas- 339 Gallenblasen- 284 Hirn- 28, 29 —, metastatischer 30 —, otitischer 30 —, rhinogener 30 Ileoinguinal- 339 Uiakal- 193 Leber- 290 Lumbal- 339 Lungen- 212 Mesozoeliakal- 339 Nieren- 393 paranephritischer 396 periproktitischer 361 Peritonsillär- 68 perityphlitischer 284 Psoas- 193 retromammärer 230 retropharyngealer 69 Schwielen- 572 Senkungs- 168, 177, 627 subperitonealer 194 subphrenischer 283, 339 Accretio pericardii 223 Achsendrehung des Darmes 353 Adamantinom 84 adenoide Vegetation 71 Akromegalie 35 Aktinomykose 50, 65, 79, 105, 130, 178, 203, 213, 233, 336, 363, 584 akuter Gelenkrheumatismus 632 Amastie 227 Amnesie, retrograde 22 amniotische Abschnürung 448 Amöbendysenterie 290 Amputationsneurom 659 Amyloidose 620 Analfissur 366 Analflstel 364 Analkarzinom 370 Analprolaps 369 Analstriktur 364 Aneurysma 101, 484, 587 Aneurysma racemosum 18 Angina Ludovici 66 Angina phlegmonosa 68 Angina tonsillaris lacunaris 68 Angioma arteriale racemosum 55 Anorchidie 438

Aortenisthmusstenose 225 aphthöse Geschwüre 64 Apophysitis calcanei 612 Apoplexia renum 383 Appendektomie 343 Appendixtumor 344 Appendizitis 337 Arachnodaktylie 449 Arachnoidalzysten 183 Arteria aberrans 380 Arteria carotis 100 Arteria cerebralis media 26 Arteria meningica media 24 arteriosklerotische Gangrän 590 arterio-venöse Fistel 485 Arthritis urica 634 Arthrodese 515 arthrogene K o n t r a k t u r 477 Arthrosis deformans 638 aseptische Knochennekrose 470, 611 Askariden 334 Astrozytom 33 Aszites 287 Atherom 18, 52, 657 Atresia ani 359 — auris 92 — recti 359 , Aufsplitterung nach Kirschner 513 Aura 39 Aurikularanhang 92 Ausscheidimgspyelographie 377 Balantitis 429, 433 Balkenblase 422 Balkenstich 20, 40 Bantische Krankheit 297, 309 Basalflbroid 73, 74 Basalzellenkarzinom der H a u t 56 Basedowsche Erkrankung 117, 120 Bassini-Naht 262 Bauchdecken-Entzündung 274 Fistel 241 Geschwulst 275 Spannung 280 Bauchfelladhäsion 344 Bauchfellentzündung 276 Bauchnarbenbruch 269 Bauchwassersucht 287 Bechterewsche Erkrankung 181 Beckenabszeß 193

Beckenfistel 193 Beckenfraktur 190 Beckenluxation 191 Beckenrandbruch 189 Beckenringbruch 190 Beckentumor 194 Bellocqsche Tamponade 72 Bennetsche F r a k t u r 543 Beschäftigungskrämpfe 595 Bettnässen 406 Beweglichkeit, abnorme 505 Biegungsbruch 10, 502 Billroth, Magenresektion nach 329 Bizepssehnenriß 494 Blasenkarzinom 417 papillom 417 Rektumfistel 406 ruptur 407 Scheidenfistel 406 spalte 404 steine 414 Blepharoplastik 58 Blumbergsches Zeichen 340 blutende Mamma 229 Blutergelenk 638 Blutgruppen 487 Blutstillung 482 Bluttransfusion 487 Blutverlust 486 Brachydaktylie 449 branchiogenes Karzinom 112 Braunsche P f r o p f u n g 498 Brisement 633 Brodiescher Knochenabszeß 618, 663 Bronchiektasen 213 Bronchographie 212 Bronchusfistel 212 Bruch siehe F r a k t u r oder Hernie Bruchband 255 Bruchbehandlung 252 Brucheinklemmung 245, 247, 353 Brustbeiniraktur 197 Brustwandaktinomykose 203 Brustwandverletzung 199 Bubo 447 Bülausche Heberdrainage 211 Bursa ileopectinea 603 Bursitis achillea 604 — calcarea 602 — olecrani 603 — praepatellaris 601 — subcalcanea 604 — subdeltoidea 603 — trochanterica profunda 604

Sachregister Cachexia s t r u m i p r i v a 119 Callus l u x u r i a n s 508 Cancer en cuirasse 237 Caput obstipum 97 — succedaneum 3 Carcinom siehe Karzinom Caries sicca 626 Cheiloplastik 58 Cheiloschisis 42 Cholangitis 293 Choledochoduodenostomie 307 Choledochotomie 302 Choledochus-Stein 298 Cholelithiasis 292 Cholesterinstein 293 Cholezystektomie 301 Cholezystitis 297 Cholezystostomie 301 Cholezystotomie 301 Chondritis des Kehlkopfes 130 chondroblastisches Sarkom 664 Chondrodystrophia foetalis 609 Chondrom 661 Chondromatose 661 Chopartsches Gelenk 567 Circulus vitiosus 330 Cisterna cerebello-medullaris 40 Cioquetsche Hernie 263 Colitis ulcerosa 335 Commotio cerebri 21 — des R ü c k e n m a r k s 163 Compressio cerebri 23 — des R ü c k e n m a r k s 163 Concretio pericardii 223 Condylomata l a t a 363 Contusio cerebri 24 — des R ü c k e n m a r k s 163 Corona mortis 264 Courvoisiersches Zeichen 298, 303 Coxa valga 459 Coxa vara 457 Cubitus valgus 452 Cubitus varus 452 Darm einklemmung 247 fistel 347 prolaps 242 steifung 349 Verschluß 349 w a n d b r u c h 248 Décollement t r a u m a t i q u e 481 D e f e k t p s e u d a r t h r o s e 77, 508 D e k a n u l e m e n t 135 Dekortikation 218 D e k u b i t u s 580 Dentitio difflcilis 75 dermatogene K o n t r a k t u r 473 Dermoid 1, 194 Descensus testis 438

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desmogene K o n t r a k t u r 473 Desmoid 275 Diabetes mellitus 102 — —, G a n g r ä n bei 590 Diametralschüsse 8 Dickdarm fistel 348 Diphtherie 69, 128 Diskusprolaps 156, 181 Dislocatio ad axim 504 — ad l a t u s 504 — ad longitudinem 504 — ad peripheriam 504 Distorsion 514 Dittrichsche P f r o p f e 213 Divertikel der Blase 404 —, epibronchiales 144 —, epiphrenales 144 — des Magens 312 —, Meckelsches 241, 331, 352, 357 — des Ösophagus 142 —, Pulsions- 142 —, Traktions- 142 Doppelblase 405 D o r n f o r t s a t z f r a k t u r 157 Dottergangsfistel 241 Douglasabszeß 339 Druckgeschwür 580 Ductus Botalli 224 — parotidicus (Stenonis) 88 — thoracicus 101 Duodenalgeschwür 313, 318 Dupuytrensche Kontraktur 474 Durchwanderungsperitonitis 350 Dysostosis cleidocranialis 448

endogene K e i m v a r i a t i o n 448 englische K r a n k h e i t 614 E n t b i n d u n g s l ä h m u n g e n 451 E n t e r o p t o s e 309 Enuresis n o c t u r n a i n f a n t u m 147, 406 Enzephalozele occipitalis 1 — sincipitalis 1 Enzephalozystomeningozele 1 Enzephalozystozele 1, 2 epibronchiales Divertikel 144 E p i d i d y m i t i s 441 epidurales H ä m a t o m 24 Epikondylitis 529, 644 Epilepsie 38 epiphrenales Divertikel 144 Epiphysenlösung, allg. 501 — a m Oberarmkopf 524 — im H ü f t g e l e n k 549 Epispadie 404, 428 Epithelzysten 657 Epulis 81 E r b s c h e L ä h m u n g 102, 451 E r f r i e r u n g e n 47, 499 * Erysipel 15, 49, 569 Erysipeloid 570 Erysipelrheumatoid 634 E s m a r c h s c h e Blutleere 438 essentielle T h r o m b o p e n i e 309 Ewingsches K n o c h e n s a r k o m 665 Exerzierknochen 494 Exostose, kartilaginäre 661 E x t e n s i o n s b e h a n d l u n g 510 E x t e n s i o n s f r a k t u r 527 extrapleurale Plombierung 216 — T h o r a k o p l a s t i k 217

E c h i n o k o k k u s des Gehirns 33 — der Leber 291 — der Lunge 219 — der Niere 401 Ecksche Anastomose 287 E c t o p i a testis 438 — vesicae 404 E i s e n m e n g e r - K o m p l e x 224 Elektrencephalographie 39 elektrische Verletzungen 499 Elektroresektion der Pros t a t a 425 Elephantiasis, allg. 594 — des Penis 433 — scroti 447 Ellenbogengelenksluxation 531 Ellenbogengelenkstuberkulose 652 Embolie der Mesenterialgefäße 348 E m p y e m a necessitatis der Pleura 209 E m p y e m der Gallenblase 298 — der Gelenke 622, 646 Resthöhle 211 Endangiitis obliterans 591

Facies abdominalis 350 — H i p p o c r a t i c a 277 Fallotsche Tetralogie 224 Faszienriß 494 F a u s t v e r b a n d 542 Femoralhernie 263 F i b r o a d e n o m der M a m m a 233 Fibrom 658 F i b u l a r i s l ä h m u n g 490 Fischmaulschnitt 572 flssurale Knorpeldegeneration 644 Fissuren 10, 502 Fistel, Anal- 364 —, arteriovenöse 485 —, Bauchdecken- 241 —, Becken- 193 —, B l a s e n r e k t u m - 406 —, Blasenscheiden- 406 —, Bronchus- 212 —, D a r m - 347 —, Dickdarm- 348 —, Dottergangs- 241 —, Hals- 59 —, Magen- 330 —, Milch- 228

670 Fistel —, Pankreas- 307 Speichel- 89 —, Urachus- 405 Fixation, federnde 516 Flexionsfraktur 502 Follikularzyste 83 Förstersche Operation 187 F r a k t u r , Allg. 500 — des Beckens 189 —, Bennetsche 543 —, Biegungs- 10, 502 — des Brustbeines 197 —, Dornfortsatz- 157 —, Ellenbogengelenks- 528 —, Extensions- 527 —, Fersenbein- 565 — der Finger 543 —, Flexions- 502 —, Grünholz- 502 — der Handwurzelknochen 539 — der Hüftgelenkspfanne 543 —, Humerus-, suprakondyläre 527 —, Impressions- 3, 11, 12 — des Kahnbeines 539 — des Kehlkopfes 126 — des Kniegelenkes 554 —, Knöchel- 562 —, Kompressions- 502 —, Kondylen- am Oberarm 528 —, Kondylen- am Oberschenkel 553 —, Kreuzbein- 189 —, Luxations- 517 — der Mittelfußknochen 566 — der Mittelhandknochen 542 —, Nasenbein- 94 —, Oberarmhals- 524 —, Oberarmkopf- 523 —, Oberarmschaft- 526 —, Oberkiefer- 75 —, Oberschenkelhals- 547 —, Oberschenkelschaft- 550 —, Olekranon- 533 —, Parier- 536 —, Patella- 556 — des Penis 431 —, Pronations- 563 —, Querfortsatz- 157 —, Radius-, typische 537 —, Radiusschaft- 535 —, Rippen- 197 Riß- 502 —, Schädel- 5, 7, 9 —, Schädelbasis- 13 —, Scherungs- 502 —, Schlüsselbein- 517 —, Schulterblatt- 519 —, Spontan- 501, 622 —, Sprungbein- 565 —, Steißbein- 189 —, Tibiakopf- 554

Sachregister Fraktur —, Torsions- 502 —, Ulna- 536 —, Unterarm- 534 —, Unterkiefer- 75 —, Unterschenkelschaft560 —, Wirbelbogen- 159 —, Wirkelkörper 158 — der Zehen 566 Frakturmechanismus 502 F r a k t u r s y m p t o m e 502 Fremdkörper im Darm 333 — in der Harnblase 413 — im Magen 310 — im Rektum 361 Fremdkörperileus 352 Frostbeulen 499 Functio laesa 503 Fungus 627, 648 Furunkel, allg. 568 — des Gesichts 28, 47 — der Kopfschwarte 15 Fußgelenkstuberkulose 655 Fußgeschwulst der Soldaten 566 Gallenblasenabszeß 284 Gallenblasenempyem 298 Gallenblasenhydrops 298 Gallensteinkolik 297 Gallensteinleiden 292 Ganglion der Sehnenscheide 606 Ganglion carpale 645 Gangrän der Extremitäten 590 — der Kopfschwarte 6 — der Lunge 212 Gasödem 577 Gasphlegmone 577 Gastrektasie 311 Gastrektomie 329 Gastritis 314 Gastroenterostomie 329 Gaumenspalte 44 Geburtshämatom 1, 3 gedeckte Perforation 322 Gefäßverletzungen 481 Gehirnwunden 21 Gelenkchondromatose 666 Gelenkempyem 622, 646 Gelenkentzündung, gonorrhoische 647 —, pyogene 646 —, tuberkulöse 648 Gelenkganglion 644 Gelenkkapselphlegmone 646 Gelenkmaus 636 Gelenkrheumatismus 632 Gelenksperre 559, 637 Genu valgum 459 Genu varum 460 Geschlechtsorgane 375 Geschwulst, siehe Tumor Geschwüre, allg. 578 —, aphthöse 64

Geschwüre —, Druck- 580 —, Duodenal- 313, 318 —, ischämische 580 —, Krampfader- 581 —, Magen- 313 —, Narben- 578 —, neuropathische 597 —, Rektal- 363 —, trophoneurotische 583 —, Typhus- 335 Gesichtsfurunkel 28, 47 Gesichtsphlegmone 28, 48 Gewebsdystrophie 609 Gibbus 167 Gicht 634 Glabella 1 Glioblastom 33 Glossitis phlegmonosa 66 Glottisverschluß 205 Gnathoschisis 74 Goltzscher Klopfversuch 355 Gonokokkenperitonitis 286 Gonorrhoe des R e k t u m 363 gonorrhoische Gelenkentzündung 647 Graefesches Zeichen 122 Granulationsgeschwulst 33 Grawitzscher Tumor 402 Grünholzfraktur 502 Gynaekomastie 228 Hackenfuß 463, 469 Hallux rigidus 472 Hallux valgus 471 Halslymphknotentuberkulose 107 Halsfistel 95 Halslymphknoten 106 Halsphlegmone 104 Halsrippen 96, 149, 595 Halszyste 95 Hämangiom 54, 657 H ä m a t o m , epidurales 24 —, Geburts- 1, 3 —, Kephal- 1, 3 —, Ot- 93 —, pulsierendes 482 —, subdurales 25 H ä m a t o t h o r a x 200 Hämatozele 439, 445 Hämaturie 382 Hammerzehe 471 hämolytischer Ikterus 297, 309 Hämoptoe 200 Hämorrhoiden 366 Handgelenkstuberkulose 652 Handwurzelknochenbruch 539 Harnblasenbruch 405 Harnorgane 375 Harnröhre 428 Harnröhrenstriktur 410, 434, 435 Harnröhrenzerreißung 432 Harnverhaltung 422

Sachregister Hasenscharte 42 Haudecksche Nische 316 Hautemphysem 4, 198 Hautkarzinom 55 H a u t t r a n s p l a n t a t i o n 579 Headsche Zonen 280 Hemikranie 63 Hepatoptose 289 Herdsymptome 34 Hernia bursae omentalis 273 — cerebri 1 — coecalis 273 — diaphragmatica 272 — epigastrica 268 — femoralis 263 — giutaea 271 — inguinalis 256 — intersigmoidea 273 — ischiadica 271 — lumbalis 271 — obturatoria 270 — pectinea 263 — perinealis 271 — perivesicalis 273 — permagna 252 — retrovascularis 263 — semilunaris Spiegeli 269 — umbilicalis 265 Hernie, Cioquetsche 263 —, Littresche 248 —, Nucleus pulposus 156, 181 —, Treitzsche 273 Hernien 243 Hernien, innere 273 Hernieninkarzeration 251 Herzbeutelerkrankungen 222 Herzfehler 224 Herzverletzung 221 Hexenschuß 179 Hirnabszeß 28, 29 Hirnblutleiter 25 Hirnbruch 1 Hirndruck 23 Hirnerschütterung 21 Hirnhautbruch 1 Hirnhautentzündung 1 Hirnphlegmone 29 Hirnprolaps 31 Hirnpulsation 1 Hirnpunktion 40 Hirnquetschung 24 Hirnschädel 1 H i r n t u m o r 32 Iiirschsprungsche Krankheit 332, 356 Hodeneinklemmung im Leistenkanal 249 Hodengeschwülste 445 Hodenprolaps 439 Hodensackphlegmone 446 Hodgkinsche Krankheit 109 Hoflascher Fettkörper 666 Hohlfuß 469 Hohlhandphlegmone 574 Hohlwarze 228 Hohnsche Kultur 398

Hornerscher Symptomenkomplex 102, 112, 489 Hufeisenniere 379 Hüftgelenkstuberkulose 653 Hüftgelenksverrenkung 544 —, angeborene 543 Hühnerbrust 196, 613 Hungerosteopathie 617 Hydradenitis 569 Hydrocele bilocularis 444 — funiculi spermatici 440 testis 444 Hydronephrose 381, 390 Hydrops der Gallenblase 298 — tuberculosus 648 Hydrozephalus 20, 37 Hypernephrom 402 Hyperthermie 22 Hyperthyreoidose 117 Hypertrophie der Rachenmandel 71 — der Tonsillen 70 H y p o p h y s e n t u m o r 35 Hypospadie 428 Hypothyreoidismus 120

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Karotisdrüse 111 kartilaginäre Exostose 661 Karzinom, AnaJ- 370 —, Basalzellen- 56 — der Bauchdecken 275 —, branchiogenes 112 —, Bronchial- 220 — der Brustdrüse 234 — des Darmes 346 —, Gallenblasen- 302 — des Gesichts 57 — der Gliedmaßen 660 — der Harnblase 417 — der H a u t 55 —, Hoden- 446 — des Kehlkopfes 132 — der Kiefer 83 —, Lupus- 55 —, Magen- 324 —, Mamma- 234 —, Ösophagus- 144 —, Pagetsches- der Brust 234 — des Pankreas 307 — des Penis 437 —, Plattenepithel- 58 — der Prostata 427 I k t e r u s 297 — des Rachens 73 —, hämolytischer 309 —, R e k t u m - 371 Ileoinguinalabszeß 339 — der Schilddrüse 124 Ileus, allg. 349 —, Skrotum- 447 —, paralytischer 355 — der Speicheldrüse 92 —, spastischer 355 — der Tonsillen 73 —, Strangulations- 352 — der Zunge 67 Iliakalabszeß 193 Impressionsfraktur 3, 11, 12 —, Zylinderzellen- 65 Incarceratio stercoralis 247 katarrhalischer Ikterus 297 Induratio penis plastica 433 Kavernensaugdrainage 216 Infantilismus 608 Kehlkopf 126 Inkarzeration, retrograde ödem 128 249 Keilwirbel 149 Keimvariation, endogene Inkontinenz 423 448 innere Hernien 273 i Jnterdigitalphlegmone 572 j Keloide 53, 658 K e p h a l h ä m a t o m 1, 3 Interkostalneuralgie 203 Kernigsches Zeichen 596 intermittierendes Hinken Kieferbruch 75 590 klemme 80 Intertrigo 362, 446 Juxation 77 Intubation 133 Intubationsnarkose 212 Osteomyelitis 78 Invagination 353 sperre 598 ischämische MuskelkontrakKittniere 397 tur 476, 528 Kjeldahl, Reststickstoffischämisches Geschwür 580 bestimmung nach 377 Ischias 595 Kleinhirnbrückenwinkel 33 Ischuria paradoxa 423 Klippel-Feilsche E r k r a n k u n g Isthmusstenose der Aorta 225 97 Klippel-Feilsches Syndrom 149 Jodbasedow 117 K l u m p f u ß 463 Kahnbeinbruch 537 Klumpkesche L ä h m u n g 451 Kahnbeinmalazie 470 Knickplattfuß 463, 465 Kalkaneusfraktur 565 Kniegelenksluxation 557 Kalkaneussporn 469 —, angeborene 461 Karbonatsteine 414 Kniegelenksfraktur 554 Karbunkel 568 Kniegelenkstuberkulose 655 Kardiospasmus 141 Kniescheibenbruch 556 Karies 81 Knöchelbruch 562

672 Knochen-Atrophie 609 bruch 500 bruchbehandlung 509 bruchheilung 506 gummen 631 lues 6 3 1 métastasé 665 — -nekrose, aseptische 470,

611

s e q u e s t e r 6, 6 2 0 transplantation 513 — -tuberkulöse 625 — -tumor 664 — -zyste 663 Knorpeldegeneration, flssurale 6 4 4 Köhlersche K r a n k h e i t 470, 612 Kollapstherapie 214 komplizierte L u x a t i o n 517 Kompressionsbruch 502 K o n d y l e n f r a k t u r des F e m u r 553 — des H u m e r u s 5 2 8 K o n d y l o m e , s p i t z e 3 6 3 , 437 Konglomeratsteine 293 Konglomerattuberkel 33 K o n t r a k t u r , allg. 4 7 3 —, —, —, —, —,

arthrogene 477 dermatogene 473 desmogene 473 Dupuytrensche 474 ischämische Muskel476, 528 —, m y o g e n e 4 7 5 —, n e u r o g e n e 4 7 7 —, p a r a l y t i s c h e 4 7 7 —, r e f l e k t o r i s c h e 4 7 7 —, s p a s t i s c h e 4 7 7 —, t e n d o g e n e 4 7 3 K o n t u s i o n eines G e l e n k e s 514 K o n v e x i t ä t s f r a k t u r des Schädels 10 Kopf-Blutgeschwulst 3 — -rose 15 Schwartenblutung 4 s c h w a r t e n p h l e g m o n e 15 schwartenwunde 5 K o s t o t r a n s v e r s e k t o m i e 186 Koterbrechen 279, 350 Kotstauung 247 Krampfadergeschwür 581 Krampfadern 587 Krepitation 505 Kreuzbandriß 461 Kropf 113 Kryptorchismus 438 Kümmellscher Punkt 340 K y p h o s e 151 Iiähmungen 489 Laminektomie 165, 186 Lanzscher Punkt 340 Laryngospasmus 131 Lasèguesches Zeichen 596 Leberabszeß 290

Sachregister Leberflecken 657 L e b e r p a r e n c h y m s c h ä d e n 297 Leberzirrhose 287, 290 Leistenbruch 243, 256 Leistenhoden 438 L e o n t i a s i s o s s e a 17 Lepra 583 Leptomeningitis 27 leukämische Lymphadenome 110 Leukoplakie 67 L e u k o t o m i e 42 Linitis plastica 323 Lipome 110, 658 lipophager T u m o r 666 Lippenspalte 42 Liquor cerebrospinalis 13 Lithotripsie 415 Littlesche Krankheit 463, 477 Littresche Hernie 248 Lobektomie 213 Loslaßschmerz 340 Lues congenita 20 — des D a r m e s 3 3 6 — der G e l e n k e 6 5 6 — des G e s i c h t s 5 2 — der H o d e n 4 4 3 — des K e h l k o p f e s 1 3 0 — der K i e f e r 7 9 — der K n o c h e n 6 3 1 — der M a m m a 2 3 3 — der M u n d s c h l e i m h a u t 6 4 — der M u s k e l n 6 0 0 — der N i e r e 3 9 9 — des R e k t u m 3 6 3 — der R i p p e n 2 0 2 — der S c h ä d e l k n o c h e n 1 6 Luftembolie 100 Lumbago 178 Lumbaiabszeß 339 Lumbalisation 149 Lumbalpunktion 185 Lunatumluxation 541 Lunatumnekrose 540, 612 Lungenabszeß 212 Lungenembolie 218 Lungen gangrän 212 kollaps 2 0 0 resektion 212, 216 tumor 220 zyste 220 Lupus 51 Lupuskarzinom 55 L u x a t i o centralis 544 — coxae 544 — coxae congenita 453 — inveterata 516 L u x a t i o n , allg. 5 1 5 — des B e c k e n s 1 9 1 — im C h o p a r t s c h e n G e l e n k 567 —, E l l e n b o g e n g e l e n k s - 5 3 1 — der F i n g e r 5 4 3 — der Handwurzelknochen 539

! Luxation ! —, h a b i t u e l l e 5 1 6 —, H ü f t g e l e n k s - 5 4 4 —, — a n g e b o r e n e 4 5 3 : —, K n i e g e l e n k s - 5 5 7 —, — a n g e b o r e n e 4 6 1 —, k o m p l i z i e r t e 5 1 7 — im L i s f r a n c s c h e n G e l e n k 567 ; —, L u n a t u m - 5 4 1 j —, N e r v e n - 4 9 0 — des S c h l ü s s e l b e i n e s 5 1 8 —, S c h u l t e r g e l e n k s - 5 2 0 —, — a n g e b o r e n e 4 5 2 — des S p r u n g b e i n e s 5 6 7 — des U n t e r k i e f e r s 77 — —, h a b i t u e l l e 7 8 j — des V o r d e r a r m e s 5 3 1 — der W i r b e l s ä u l e 1 6 1 , — der Z e h e n 5 6 6 L u x a t i o n s f r a k t u r 517 • Lymphadenitis 595 Lymphadenom, leukämi' sches 110 1 L y m p h a n g i o m a 53, 657 Lymphangitis 593 Lymhpknotenschwellung 106 Lymphogranulomatose 109 Lymphosarkom 288 MacBurneyscher Punkt 340 Madelungsche D e f o r m i t ä t 452 Madelungscher Fetthals 110 Magen 3 1 0 atonie 312 divertikel 312 erweiterung, chronische 311 fistel 3 3 0 — -geschwür 3 1 3 karzinom 324 Operationen 3 2 7 Perforation 3 2 1 resektion 323, 329 M a k r o g l o s s i e 67 M a l a z i e des K a h n b e i n s 4 7 0 — des M o n d b e i n e s 5 4 0 , 6 1 2 Malleus 5 2 M a l u m c o x a e senile 6 4 3 M a l u m p e r f o r a n s pedis 5 8 2 Mamma, blutende 229 —, F i b r o a d e n o m der 2 3 3 karzinom 234 marantische Thrombose 28 M a s t d a r m - K a t a r r h 362 Verletzungen 3 6 0 Vorfall 3 6 9 Mastitis 229, 230 Marknagelung nach K ü n t scher 512, 535, 562 Rush 513, 535, 543, 562 Markphlegmone 618 Marmorknochenkrankheit 608

Sachregister Mastodynie 229 M a s t o p t o s e 228 M e c k e l s c h e s D i v e r t i k e l 241, 331, 352, 357 M e d i a n u s l ä h m u n g 490 M e d i a s t i n a l f l a t t e r n 200, 205 M e d i a s t i n a l t u m o r 134, 2 2 6 M e d i a s t i n i t i s 225 M e g a k o l o n 332 M e g a Ö s o p h a g u s 141 M e g a s i g m a 332 Melaena 319 Melanosarkom 33 Meloplastik 59 M e n i n g i t i s 26 — e p i d e m i c a 28 — s e r o s a 28, 162 — — c i r c u m s c r i p t a 183 — s p i n a l i s p u r u l e n t a 183 — tuberculosa 28 Meningozele 1 — occipitalis inferior 2 — s u b a r a c h n o i d a l i s 148 — s u b d u r a l i s 148 M e n i n g o z y s t o z e l e 149 Meniskuszerreißung 559 Mesenterialvenenthrombose 348 M e s o z o e l i a k a l a b s z e ß 339 metastatischer Hirnabszeß 30 Meteorismus 279 Migräne 63 M i k r o g n a t h i e 74 M i k r o m a s t i e 227 M i k r o z e p h a l u s 19 M i k u l i c z s c h e E r k r a n k u n g 90 Milchfistel 2 2 8 Milchzyste 228 Milz 307 M i l z b r a n d k a r b u n k e l 50, 569 M i s c h g e s c h w u l s t 91 M i s e r e r e 279, 350 M i ß b i l d u n g e n des A n u s 3 5 9 — d e r B a u c h d e c k e n 241 — des B e c k e n s 188 — d e r B r u s t d r ü s e 227 — des B r u s t k o r b e s 196 — des D a r m e s 3 3 1 — des G e h i r n s 19 — des G e s i c h t s 42 — d e r G l i e d m a ß e n 448 — d e s H a l s e s 95 — der H a r n b l a s e 404 — d e r H a r n l e i t e r 380 — d e r H a r n r ö h r e 428 — der H i r n h ä u t e 1 — d e r K i e f e r 74 — des M a s t d a r m e s 359 — der Niere 379 — d e r O h r m u s c h e l 92 — des P e n i s 4 2 8 — des R e k t u m 3 5 9 — d e s R ü c k e n m a r k s 146 — d e r S c h i l d d r ü s e 113 — des T h o r a x 196 — d e r W i r b e l s ä u l e 146

, M i t t e l f u ß b r u c h 566 M i t t e l h a n d b r u c h 542 M ö b i u s s c h e s Zeichen 121 Momburgsche Fußgeschwulst 6 Ì 1 Monorchismus 438 M o r e s t i n p l a s t i k 474 M o r g a g n i s c h e H y d a t i d e n 445 M u m p s 89 M u s k e l h e r n i e 494 M u s k e l t u b e r k u l o s e 600 M u s k e l z e r r e i ß u n g 493 Myalgie 179 M y e l o m e , m u l t i p l e 664 M y e l o m e n i n g o z y s t o z e l e 149 Myelozele 146 M y e l o z y s t o z e l e 149 Myogelose 179 m y o g e n e K o n t r a k t u r 475 Myositis ossificans 493 — — p r o g r e s s i v a 600 — — p u r u l e n t a 599 M y x ö d e m 120

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673 I Nieren ! — - s t e i n k o l i k 387, 389 t u b e r k u l ö s e 396 z y s t e n 400 N o m a 49 | N o t o m e l i e 188 j Nucleus-pulposus-IIernie I 156, 181

O - B e i n 460 O b e r a r m k o p f b r u c h 523 O b e r a r m s c h a f t b r u c h 526 O b e r k i e f e r f r a k t u r 75 O b e r k i e f e r r e s e k t i o n 86 Oberschenkelkondylenbruch 553 Oberschenkelschaftbruch 550 O b t u r a t i o n s i l e u s 351 O d o n t o m 84 O h r m u s c h e l 93 O k z i p i t a l n e u r a l g i e 63 Olekranonfraktur 533 Oligodendrogliom 33 x a b e l b r u c h 243, 265 Olliersche W a c h s t u m s N a b e l s c h n u r b r u c h 265 s t ö r u n g 661 N a c k e n k a r b u n k e l 103 Onychogryphosis 585 N a e v u s p i g m e n t o s u s 53, 657 operative KnochenbruchN a g e l b e t t e n t z ü n d u n g 571, b e h a n d l u n g 511 584 Orchitis 441 Nanosomia 608 O s - n a v i c u l a r e - F r a k t u r 539 N a r b e n g e s c h w ü r 578 Ö s o p h a g o s k o p i e 136 N a r b e n s k o l i o s e 154 Ö s o p h a g u s 135 N a s e n r a c h e n f i b r o m 73 d i v e r t i k e l 142 Navikulare-Pseudarthrose k a r z i n o m 144 540, 613 Varizen 145 N e b e n h o d e n e n t z i i n d u n g 441 Osteoarthropathia hyperN e b e n h o d e n t u b e r k u l o s e 440, trophicans pneumonica 443 608 Nebenschilddrüsen I I I o s t e o b l a s t i s c h e s S a r k o m 664 N e k r o t o m i e 624 Osteochondritis coxae N e p h r i t i s 400 j u v e n i l i s 611, 641 N e p h r o p t o s e 380 N e r v e n l u x a t i o n 490 — d i s s e c a n s 611, 6 3 6 N e r v u s f a c i a l i s 46 Osteogenesis i m p e r f e c t a N e t z g e s c h w u l s t 288 congenita 609 N e t z e i n k l e m m u n g 249 o e s t e o l y t i s c h e s S a r k o m 664 N e u r a l g i e , allg. 595 O s t e o m 662 —, I n t e r k o s t a l - 203 O s t e o m a l a z i e 614, 616 —, I s c h i a s - 5 9 6 O s t e o m y e l i t i s , a k u t e 617 —, O k z i p i t a l - 63 — d e r B e c k e n k n o c h e n 192 —, T r i g e m i n u s - 61 — des Brustbeines 201 N e u r o f i b r o m a t o s e 658 — der Kiefer 78 n e u r o g e n e K o n t r a k t u r 477 — d e r R i p p e n 201 N e u r o m 658 — d e r S c h ä d e l k n o c h e n 16 n e u r o p a t h i s c h e Gelenk—, s k l e r o s i e r e n d e 620 e r k r a n k u n g 645 — des S t e r n u m 201 neuropathisches Geschwür —, t r a u m a t i s c h e 5 0 9 597 —, t y p h ö s e 625 Nierenabszeß 393 — d e r W i r b e l s ä u l e 167 Nieren l Osteosynthese, intramedule n t k a p s e l u n g 400 läre 521 g e s c h w u l s t 402 O s t i t i s d e f o r m a n s 17, 662 grieß 3 8 6 — fibrosa 17, 613, 6 6 3 karbunkel 393 O t h ä m a t o m 93 S e n k u n g 380 o t i t i s c h e r H i r n a b s z e ß 30 steine 384 O x a l a t s t e i n e 414

674 P a c h y m e n i n g i t i s 26

— cervicalis h y p e r t r o p h i cans 183 — spinalis 173 Pagetsche E r k r a n k u n g der Knochen 17, 662 Pagetscher B r u s t k r e b s 234 Palatoschisis 44 P a n a r i t i u m 570 — articulare 575 — ossale 575 P a n d y s c h e R e a k t i o n 27 P a n k r e a s 303 fistel 307 — -nekrose 304 Verletzung 303 zysten 306 P a n k r e a t i t i s 304 Panzerherz 223 Papillom 656 Papillom der Blase 417 papillöses H a u t k a r z i n o m 55 P a r a d i d y m i s 445 paralytischer Ileus 355 paralytisches Schlottergelenk der Schulter 452 P a r a n e p h r i t i s 395 p a r a n e p h r i t i s c h e r Abszeß 396 paranephritische E i t e r u n g 395 P a r a p h i m o s e 429 P a r i e r f r a k t u r 536 P a r o n y c h i e 584 P a r o t i s 88 P a r o t i s t u m o r 91 P a r o t i t i s 89 — epidemica 89 P a t e l l a f r a k t u r 556 Pendelluft 205 Penis 428 Peniskarzinom 437 P e r f o r a t i o n des Magens 321 Perforationsperitonitis 279 P e r g a m e n t k n i t t e r n 82 Periarthritis h u m e r o s c a p u l a ris 603 Pericarditis adhaesiva 223 — e x s u d a t i v a 223 — fibrinosa 223 — p u r u l e n t a 223 Pericholecystitis 297 Perichondritis 130 Periodontitis 81 periostale Sarkome des H i r n schädels 19 Periostitis luetica 631 peripankreatische Pseudozyste 306 Periproktitis 363 periproktitischer Abszeß 361 Peritonitis 276 —, Gonokokken- 286 —, P n e u m o k o k k e n - 286 —, tuberkulöse 284 Peritonsillarabszeß 68 perityphlitischer Abszeß 284

Sachregister Perniones 499 perniziöse Anaemie 309 P e r o n a e u s l ä h m u n g 490 Perthessche E r k r a n k u n g 611, 641 Pes calcaneus 463, 469 — equinus 463, 468 — e x c a v a t u s 469 — planus 465 — valgus 463, 465 — v a r u s 463 P f a n n e n g r u n d b r u c h 543 Phalloplastik 430 Phimose 429 Phlebolith 582 Phlegmone, allg. 576 —, Gas- 577 — mit Gas 577 —, Gelenkkapsel- 646 — des Gesichts 28, 48 —, Hals- 104 —, Hirn- 29 —, Hodensack- 446 —, H o h l h a n d - 574 —, Interdigital- 572 — des K n o c h e n m a r k s 618 —, K o p f s c h w a r t e n - 15 — der Magenwand 323 — der M a m m a 230 —, Sehnenscheiden- 574 —, Subpektoral- 577 - , V- 573 P h o s p h a t s t e i n e 414 Phrenikusexhairese 215 P i g m e n t m a l 657 Pigmentsteine 293 P l a t t e n e p i t h e l k a r z i n o m 58 P l a t t f u ß 465 P l a t z b a u c h 275 P l e u r a e m p y e m 208 Pleuritis e x s u d a t i v a 207 — sicca a d h a e s i v a 207 Plexus choroideus 20 Plexusneuritis 595 Plombierung, e x t r a p l e u r a l e 216 P n e u m a t o c e l e capitis 4 Pneumokokkenperitonitis 286 P n e u m o n e k t o m i e 213, 216, 221 Pneumonie, t r a u m a t i s c h e 206 P n e u m o p e r i k a r d 222 P n e u m o t h o r a x 200, 205, 215 P o d a g r a 635 P o l y a r t h r i t i s r h e u m a t i c a 632 Polydaktylie 450 P o l y m a s t i e 227 Polyposis ventriculi 327 Polythelie 227 Polyurie 399 postappendizitischer Abszeß 339 postdiphtherische L ä h m u n gen 70 Postikusparalyse 131 p r a e f r o n t a l e Leukotomie 42

Prellung 514 Progenie 74 P r o g n a t h i e 74 P r o k t i t i s 362 Prolaps, D a r m - 242 —, H i r n - 31 —, Hoden- 439 Prolapsus ani et recti 369 P r o n a t i o n s f r a k t u r 563 P r o s t a t a 419 atrophie 420 — - h y p e r t r o p h i e 410, 421 steine 419 P r o s t a t i t i s 419 P r u r i t u s ani 362 P s e u d a r t h r o s e 77, 507 — des Os naviculare 540, 613 —, straffe 508 Pseudoleukämie 109 P s e u d o r h e u m a t i s m u s 634 P s e u d o t a b e s 70 Pseudozyste, p e r i p a n k r e a tische 306 Psoasabszeß 193 Pulmonalstenose, angeborene 224 Pulpitis 81 pulsierendes H ä m a t o m 482 Pulsionsdivertikel 142 P u l s v e r l a n g s a m u n g 23 P u s t u l a maligna 50, 569 Pyelitis 393 Pyelographie 377, 399, 424 Pyelonephritis 393 P y l o r o s p a s m u s 331 Pylorusstenose 319 — der Säuglinge 313 pyogene G e l e n k e n t z ü n d u n g 646 P y o n e p h r o s e 393 P y o r r h o e alveolaris 64 Querfortsatzfraktur

157

Q u e r s c h n i t t s l ä h m u n g 163, 166 Q u e t s c h u n g 514 Rachenmandel

71

Rachischis 146 R a c h i t i s 614 rachitischer R o s e n k r a n z 615 rachitische V e r k r ü m m u n g der Beine 462 R a d i a l i s l ä h m u n g 490 radioulnare Synostose 449 R a d i u s f r a k t u r 537 R a d i u s s c h a f t b r u c h 535 R a n k e n a n g i o m 18 R a n u l a 65, 91 Raynaudsche Erkrankung 592 Recklinghausensche E r k r a n k u n g 613, 659 reflektorische Polyurie 398 Reiskörperchen 607 R e i t k n o c h e n 494

Sachregister Rektalgeschwür 363 Rektumkarzinom 371 Rektumoperationen 372 Rektusdiastase 268 Rekurrensparese 131 Ren mobilis 380 Reststickstoff 377 retrograde Amnesie 22 — Inkarzeration 249 — Pyelographie 377 retromammärer Abszeß 230 retropharyngealer Abszeß 69 retrosternale Struma 116 Reverdin, Hauttransplantation nach 498 rhinogener Hirnabszeß 30 Rhinophym 53 Rhinoplastik 60 Riesenwuchs 608 Riesenzellengeschwulst der Knochen 663 Rippenbuckel 152 Rippenfraktur 197 Rippenkaries 202 Rippenknorpelnekrose 202 Rippenresektion 210 Rißbruch 502 Risus sardonicus 80, 596 Roll-Lappen 61 Röntgendermatitis 499 ulkus 498 Verbrennung

498

Rose 569 Rosenmüllersche Drüse 263 Roser-N61atonsche Linie 455, 545 Rotz 52 Ruhr 335 Sakralisation 149 Samenblase 427 Samenleiter 440 Sanduhrmagen 315 Sarkom, allg. 659 — der Beckenknochen 195 — der Brustdrüse 234 —, chondroblastisches 664 — des Darmes 345 —, Ewingsches Knochen665 — der Gelenkkapsel 667 — der Halslymphknoten 112 — des Hirnschädels, periostales 19 — des Hodens 445 — des Kehlkopfes 132 — der Kiefer 82 —, Lympho- 288 — des Magens 327 —, Melano- 33 — der Milz 310 —, osteoblastisches 664 —, osteolytisches 664 — der Prostata 426 — der Schilddrüse 125 — der Tonsillen 73

j I l i i j ; j | j | 1

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Schädelbasisfraktur 13 Schädelfraktur 5, 7, 9 Schädelgrundbruch 13 Schädelplastik 42 Scharlachrheumatoid 634 Scheinreposition 253 Schenkelbruch 243, 263 Schenkelhalsbruch 547 Schenkelhalspseudarthrose 549 Scherungsbruch 502 Schiefhals 97 Schienbeinkopfbruch 554 Schilddrüse 112 Schipperkrankheit 157 Schlattersche Erkrankung 612 Schleim beutelentzündung 601 Schlottergelenk, allg. 515 — des Kniegelenkes 461 — der Schulter 452 schnappende Hüfte 546 schnellender Finger 606 Schornsteinfegerkrebs 447 Schrumpfgallenblase 298 Schubladenphänomen 461 Schüller-Christiansche Erkrankung 664 Schulterblattfraktur 519 Schulterblatthochstand 448, 451 Schultergelenkstuberkulose 652 Schulterluxation 520 —, angeborene 452 Schußverletzungen des Schädels 7 Schußwunden des Gesichts 46 Schweißdrüsenentzündung 569 Schwielenabszeß 572 Skrofuloderma 51 Seborrhoea senilis 56 Sectio alta 418 Segmentalschüsse 8 Segmentresektion 213 Sehnenscheidenentzündung 605 Sehnenscheidenphlegmone 574 Sehnenverletzungen 492 Sehnenzerreißungen 494 Sella turcica 36 Seminom 445 Senkungsabszeß 168, 177, 627 Sinus pericranii 1 Sinusverletzungen 26 Skalpierung 5 sklerosierende Osteomyelitis 620 Skoliose 152 Solbadekuren 629 Spalthand 450

675 Spannungspneumothorax 200 spastischer Ileus 355 Speichel — -drüsen 88 fistel 89 steine 91 Speiseröhre 135 Spermatozele 445 Spina bifida 147 — ventosa 630 Spitzfuß 463, 468 Splenektomie 287 Spondylarthrosis deformans 156, 179, 180 Spondylitis gummosa 168 — tuberculosa 168, 175 — typhosa 167 Spondylolisthesis 150 Spreizfuß 465 stabile Osteosynthese 512 Starkstromnekrose 7 Stauungshyperämie nach Bier 630 Stauungsischias 596 Stauungspapille 2 Steckschüsse 8 Steinmannsches Zeichen 559 Steinniere 386 Stellwagsches Zeichen 121 Stenosenperistaltik 355 stenosierende hyperplastische Tendinitis 606 — Tendovaginitis 605 Stiedascher Schatten 554 Stimmritzen krampf 131 Stomatitis mercurialis 64 — ulcerosa 64 straffe Pseudarthrose 508 Strahlendefekt 449 Strangulation 247 Strangulationsileus 352 Strikturen des Anus 364 — der Harnröhre 410, 434, 435 — des Rektum 364 Strommarken 500 Struma 113 — maligna 124 — retrosternale 116 Strumitis 124 Styloiditis radii 605 Subokzipitalpunktion 185 Subpektoralphlegmone 577 subperitonealer Abszeß 194 subphrenischer Abszeß 283, 339 Sudecksche Knochenatrophie 509, 609 suprakondyläre Humerusfraktur 527 Syndaktylie 450 Synostose, radioulnare 449 Syphilis siehe Lues Syringomyelie 162 Szirrhus der Mamma 237

676 Tangentialschüsse 8 T a x i s des i n k a r z e r i e r t e n Bruches 252 Teleangiektasien 54 Tendinitis 606 Tendovaginitis crepitans 605 — stenosans 605 Tennisellenbogen 529, 644 Teratom 194 Testis abdominalis 438 — inguinalis 4 3 8 Tetania parathyreopriva 119 Tetanus 80, 598 Antitoxinserum 598 Thelitis 229 Thiersch-Lappen 580 Thorakotomie 210, 213 Thorakoplastik 212, 217 Thoraxdrainage 210 Thorax-Lungenverletzung

Sachregister I Tuberkulose — der M a m m a 2 3 2 — der M u n d s c h l e i m h a u t 6 5 ' — der Muskeln 6 0 0 I — der N e b e n h o d e n 4 0 0 , 4 4 3 j — der Nieren 3 9 6 i — des P e r i t o n e u m 2 8 4 j — der P l e u r a 2 1 1 | — des R e k t u m 3 6 3 j — der S a m e n b l a s e n 4 2 8 j — der S c h ä d e l k n o c h e n 16 ] — der S e h n e n s c h e i d e n 6 0 6 i — der W i r b e l s ä u l e 1 6 8 i tuberkulöse Gelenkentzündung 6 4 8 — Peritonitis 284

i Tumor albus 649 j — des A n u s 3 7 4 I — der Appendix 3 4 4 | — der B a u c h d e c k e n 275 200 — des B e c k e n s 1 9 4 Thrombophlebitis 585 ! — der B r u s t d r ü s e 2 3 3 T h r o m b o p e n i e , essentielle ! — der B r u s t w a n d 2 0 3 309 j — des D a r m e s 3 4 5 Thrombose 585 i — der Gallenwege 3 0 2 —, m a r a n t i s c h e 2 8 j — des G e h i r n s 3 2 — der Mesenterialgefäße 3 4 8 i — der G e l e n k e 6 6 6 Thymushyperplasie 204 — des G e s i c h t s 52 Persistenz 2 0 4 —, Grarfulations- 3 3 tumor 205 ' —, G r a w i t z s c h e r 4 0 2 Thyreoiditis 124 — des H a l s e s 1 1 0 T h y r e o t o x i k o s e 117 — der H a r n b l a s e 4 1 6 Tic rotatoire 99 — der H i r n h ä u t e 3 2 Tonsille 70 — des H i r n s c h ä d e l s 1 9 Tonsillektomie 71 — des H o d e n s 4 4 5 Tonsillotomie 71 | —, H y p o p h y s e n - 3 5 Torsionsbruch 502 i —, K e h l k o p f - 1 3 1 T o r t i c o l l i s 97 — der K i e f e r 81 — spasticus 99 —, K l e i n h i r n b r ü c k e n Totenlade 620 winkel- 33 Tracheotomia 133 — der K n o c h e n 6 6 0 , 6 6 4 Traktionsdivertikel 142 — der K o p f s c h w a r t e 1 8 traumatische Pneumonie 206 — der L e b e r 2 9 0 Treitzsche Hernie 273 —, l i p o p h a g e r 6 6 6 Trendelenburgsche Opera— der L u n g e 2 2 0 tion 218 — des M a g e n s 3 2 4 , 3 2 7 T r e n d e l e n b u r g s c h e s Zeichen —, M a m m a - 2 3 3 454, 588 —, M e d i a s t i n a l - 1 3 4 , 2 2 6 T r e p a n a t i o n 3, 2 5 , 4 0 —, M e s e n t e r i a l - 2 8 8 Trichterbrust 196 — des M u n d e s 6 5 Trigeminusneuralgie 61 — der N e b e n n i e r e 4 0 4 T r i s m u s 80 — der N e b e n s c h i l d d r ü s e 1 1 1 Trommelschlägelfinger 212, — des N e t z e s 2 8 8 608 — der Niere 4 0 2 t r o p h o n e u r o t i s c h e s Ge—, Ö s o p h a g u s - 1 4 4 schwür 583 —, P a n k r e a s - 3 0 7 T u b e r k u l o s e der B e c k e n —, P a r o t i s m i s c h - 91 knochen 192 —, P e n i s - 4 3 6 — des D a r m e s 3 3 6 —, P r o s t a t a - 4 2 6 — der G e l e n k e 6 4 8 — des R a c h e n s 7 3 — der Gesichtshaut 51 — des R e k t u m 3 7 4 —, H a l s l y m p h k n o t e n - 107 —, R i e s e n z e l l e n - 6 6 3 —, H a u t - 5 8 4 — der S c h ä d e l k n o c h e n 1 9 —, K e h l k o p f - 1 2 9 — der Schilddrüse 124 — der K i e f e r 7 9 — des S k r o t u m 4 4 7 — der K n o c h e n 6 2 5 — der Tonsillen 73 — der L u n g e 2 1 6 — der Thymusdrüse 205

Tumor — der W i r b e l s ä u l e 1 8 3 — der Z a h n a n l a g e n 8 3 — der Z u n g e 6 6 Tumorstenose 351 Turmschädel 2 Typhusgeschwür 335 Überbein 606, 645 U l c u s cruris v a r i c o s u m 5 8 1 — duodeni 3 1 3 , 3 1 8 — pepticum jejuni 335 — ventriculi 313, 315 Ulnafraktur 536 Ulnarislähmung 490 Unguis incarnatus 584 Unterarm knochenfraktur 534 Unterschenkelschaftfraktur 560 U r a c h u s 241 fistel 4 0 5 zyste 405 IJratsteine 414 U r e t e r fissus 3 8 0 Ureterenkatheterismus 376 Ureterstein 388 Urethrotomia externa 432 Varikozele 440 Varizen 587 — des Ö s o p h a g u s 1 4 5 V e g e t a t i o n e n , a d e n o i d e 71 Venenstein 582 Ventilpneumothorax 206 V e r ä t z u n g 47 Verbrennung 47, 495 Verbrennungstod 496 V e r d o p p e l u n g e n der H a r n leiter 3 8 0 v e r l a g e r t e Nieren 3 7 9 Verletzungen, allg. 4 7 8 — des A n u s 3 6 0 — der B a u c h d e c k e n 2 4 1 — des B e c k e n s 1 8 8 — der B r u s t d r ü s e 2 2 8 — der B r u s t w a n d 1 9 9 — des D a r m e s 3 3 1 —, e l e k t r i s c h e 4 9 9 — der G e f ä ß e 4 8 1 — des G e h i r n s 2 1 — der G e l e n k e 5 1 4 — des G e s i c h t s 4 6 — der H a r n b l a s e 4 0 6 — der H a r n l e i t e r 3 8 4 — der H a r n r ö h r e 4 3 2 — des H e r z e n s 2 2 1 — der H i r n g e f ä ß e 2 4 — der H i r n s i n u s 2 6 — der H o d e n 4 3 9 — der K n o c h e n 5 0 0 —, K o p f - 3 — der L e b e r 2 8 9 — der L u n g e 2 0 5 — des M a g e n s 3 1 0 — des M a s t d a r m e s 3 6 0

Sachregister Verletzungen — der Milz 3 0 8 — der Nerven 4 8 8 — des Nervus facialis 46 — der Niere 382 — des P a n k r e a s 3 0 3 — des Penis 4 3 0 — der P r o s t a t a 4 1 9 — des R e k t u m 3 6 0 — des R ü c k e n m a r k s 162 — der Sehnen 492 — des S k r o t u m 4 3 9 — der Spinalnerven 163 — der Wirbelsäule 155 Verrenkung siehe L u x a t i o n V e r r u c a mollis 5 3 Verstauchung 514 Virchowsche Drüse 3 2 4 Vogelgesicht 74 V o l k m a n n s c h e s Dreieck 5 6 3 Volvulus des D a r m e s 3 5 3 — des Magens 3 1 1 Vorderseitenstrangdurchtrennung 187 Vormagen 141 V-Phlegmone 573

| Wackelknie 461 j Wallersches Gesetz 4 8 9 ' Wanderniere 3 8 0 Wangenbrand 49 Warzen 5 3 Wasserbruch 444 Wasser- und K o n z e n t r a tionsversuch 3 7 8 weiche L e i s t e 2 6 0 Weilsche K r a n k h e i t 297 Wirbelbandscheiben 156 W i r b e l b o g e n b r u c h 159 W i r b e l b u c k e l 167 i Wirbelgleiten 150 j Wirbelkaries 168 | W i r b e l k ö r p e r b r u c h 158 j Wirbelsäulenluxation 161 i Wirbeltuberkulose 168 j Witzelfistel 3 3 0 | Wundexzision n a c h Friedrich 4 7 9 Wundnaht 480 Wundstarrkrampf 598 ; Wurmfortsatzentzündung 337 ' Wurzelgranulom 81, 83 Wurzelischias 5 9 6 ; Wurzelzyste 8 3

Xanthinsteine X-Bein 459

414

Z a h n e x t r a k t i o n 85 Zahnzyste 8 3 Ziegenpeter 89 Zwerchsackhygrom 607 Zwergwuchs 6 0 8 Zwischenkiefer 42 Zysten, Arachnoidal- 1 —, E p i t h e l - 657 —, Follikulär- 8 3 —, Hals- 95 —, K n o c h e n - 6 6 3 —, L u n g e n - 2 2 0 —, Milch- 2 2 8 —, Nieren- 4 0 0 — des P a n k r e a s 3 0 6 —, peripankreatische Pseudo- 3 0 6 —, Urachus- 4 0 5 —, Wurzel- 8 3 —, Zahn- 8 3 Zystinsteine 4 1 4 Zystitis 3 9 3 , 4 0 8 — tuberculosa 4 1 0 Zystoskopie 3 7 6

Chirurgie in Einzeldarstellungen Monographien über aktuelle Fragen der Chirurgie Herausgegeben von Professor DR. P. ROSTOCK T

Band

4:

WERNER BLOCK, Die Durchblutungsstörungen der Gliedmafien. Groß-Oktav. Mit 104 z . T . farbigen Abbildungen. XII, 298 Seiten. 1951. Ganzleinen DM 38,—

Band 14:

HEINZ FLÖRCKEN, Die Chirurgie der Schilddrüse. Groß-Oktav. Mit 63 Abbildungen. VIII, 92 Seiten. 1951. Ganzleinen DM 12,—

Band 18:

H. HÄUPTLI, Die aseptischen Chondro-Osteonekrosen. Groß-Oktav. Mit 147 Abbildungen. VIII, 233 Seiten. 1954. Ganzleinen DM 42,—

Band 21:

FELIX JAEGER, Der Bandscheibenvorfall (Die Nucleuspulposus-Hernie, die Diskus-Hernie). Groß-Oktav. Mit 66 Abbildungen. VIII, 150 Seiten. 1951. Ganzleinen DM 16,80

Band 22:

GERHART JÖRNS, Arterielle Therapie. Groß-Oktav. Mit 15 Abbildungen. VII, 140 Seiten. 1950. Ganzleinen DM 14,—

Band 23:

GERHART JÖRNS, Die Chirurgie der Bauchspeicheldrüsen. Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. N. GULEKE. Groß-Oktav. Mit 34 Abbildungen. X, 144 Seiten. 1954. Ganzleinen DM 19,80

Band 26:

ERICH KÖNIG, Die Chirurgie der Speidieldrüse. Groß-Oktav. Mit 44 Abbildungen. VII, 123 Seiten. 1951. Ganzleinen DM 12,—

Band 32:

WOLFGANG KOHLRAUSCH, Krankengymnastik in der Chirurgie. Groß-Oktav. Mit 36 Abbildungen und 1 Tabelle. VIII, 101 Seiten. 1954. Ganzleinen DM 16,—

Band

34:

F R I E D R I C H M I C H E L S S O N u n d LUDGER RICKMANN, D i e a k t i v e B e h a n d l u n g d e r

Lun-

gentuberkulose. Groß-Oktav. Mit 112 Abbildungen. VIII, 328 Seiten. 1952. Ganzleinen DM 40,— Band 39:

REINHARD PERWITZSCHKY, Wiederherstellungschirurgie des Gesichts. Groß-Oktav. Mit 176 Bildreihen. XII, 228 Seiten. 1951. Ganzleinen DM 34,—

Band 40:

PAUL ROSTOCK, Tetanus. Groß-Oktav. Mit 18 Abbildungen. VI, 151 Seiten. 1950. Ganzleinen DM 12,50

Band 41:

PAUL ROSTOCK, Die Wunde. Groß-Oktav. Mit 35 Abbildungen. XII, 368 Seiten. 1950. Ganzleinen DM 28,—

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Chirurgie in Einzeldarstellungen Monographien über aktuelle Fragen der Chirurgie Herausgegeben von Professor DR. P. ROSTOCK t

Band 43:

A. RITTER, Thrombose und Embolie. Groß-Oktav. Mit 99 Abbildungen, XII, 245 Seiten. 1955. Ganzleinen DM 38,—

Band 44:

ERICH SONNTAG, Krampfadern (einschließlich Ekzem, Beingeschwür, Venenentzündung und Elephantiasis). Groß-Oktav. Mit 42 Abbildungen. VII, 76 Seiten. 1950. Ganzleinen DM 7,50

Band 46:

HELGE SJÖVALL, Die Chirurgie der Poliomyelitis. Groß-Oktav. Mit 52 Abbildungen. VIII, 98 Seiten. 1951. Ganzleinen DM 13,80

Band 48:

THEODOR SCHULTHEISS, Der unfreiwillige Harnabgang (Diagnose, Klinik und Therapie der Harninkontinenz). Groß-Oktav. Mit 46 Abbildungen. VIII, 109 Seiten. 1951. Ganzleinen DM 12,—

Band 49:

FRITZ STARLINGER, Die Relaparotomie. Groß-Oktav. Mit 45 Abbildungen, 10 Tabellen und 19 Tafeln. VIII, 229 Seiten. 1954. Ganzleinen DM 42,—

Band 50:

RUDOLF STICH, Der Darmverschluß und sonstige Wegstörungen des Darmes. Groß-Oktav. Mit 66 Abbildungen. VIII, 188 Seiten. 1952. Ganzleinen DM 16,80

Band 53:

KARL VOGELER, Chirurgie der Hernien. Groß-Oktav. Mit 102 Abbildungen. XI, 139 Seiten. 1951. Ganzleinen DM 18,—

Band 56:

A. WINKELBAUER, Die Chirurgie des Ösophagus. Groß-Oktav. Mit 38 Abbildungen. XI, 211 Seiten. 1955. Ganzleinen DM 36,—

Band 57:

ALFRED N. WITT, Die Behandlung der Pseudarthrosen (unter besonderer Berücksichtigung der autoplastischen Spantransplantationen bei Defektpseudarthrosen). Groß-Oktav. Mit 328 Abbildungen. X , 212 Seiten. 1952. Ganzleinen DM 36,—

Band 58:

OTTO WUSTMANN, Die Chirurgie des Ellbogengelenkes. Groß-Oktav. Mit 118 Abbildungen. X V I , 332 Seiten. 1954. Ganzleinen DM 58,—

Band 60:

BERNHARD JANIK, Kreuzbandverletzungen des Kniegelenkes. Groß-Oktav. Mit 83 Abbildungen. VIII, 97 Seiten. 1955. Ganzleinen DM 24,—

Band 61:

H. WILDEGANS und H. GUDERLEY, Blutstillung, Blutersatz und Bluttransfusion. Groß-Oktav. Mit 32 Abbildungen. VIII, 163 Seiten. 1955. Ganzleinen D M 2 6 , —

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Der Kliniker

EIN SAMMELWERK FÜR STUDIERENDE UND ARZTE. Gross Oktav. MAX BÜRGER Einführung in die Innere Medizin. Mit 50 Abbildungen und 8 farbigen Tafeln. XVI, 558 Seiten. 1952. Ganzleinen DM 34,50 HANS FRANKE — GUNTER HILGETAG Klinische Laboratoriumsmethoden. Mit 176 Abbildungen und 8 Farbtafeln. XVI, 530 Seiten. 1952. Ganzleinen DM 34,50 WILHELM GRUNKE Therapeutische Technik in der Inneren Medizin. Mit 81 Abbildungen. VIII, 161 Seiten. 1952. Ganzleinen DM 14,— EWALD GERFELDT Grundriß der Sozialhygiene. Mit 49 Abbildungen und vielen Übersichten. VIII, 256 Seiten. 1951. Ganzleinen DM 24,— GÜNTER KITZEROW Kleine Chirurgie. Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. H e i n r i c h K l o s e . Mit 95 Abbildungen. X I V , 254 Seiten. 1956. Ganzleinen DM 26,— HUGO GASTEIGER Augenheilkunde. Mit 252 z. T. färb. Abbildungen. X V , 296 Seiten. 1956. Ganzleinen DM 38,— GERHARD NEUMEYER Orthopädie. Mit 146 Abbildungen. XII, 236 Seiten. 1953.

Ganzleinen DM 26,—

WALTHER PAETZEL Urologie. Mit 63 Abbildungen. VIII, 144 Seiten. 1955.

Ganzleinen DM 26,—

ERICH HUTH Die Tuberkulose im Kindesalter. Mit 47 Abbildungen. VIII, 128 Seiten. 1956. Ganzleinen DM 23,— HEINRICH KLOSE — BERNHARD JANIK Frakturen und Luxationen. Mit 164 Abbildungen. XI, 163 Seiten. 1953. Ganzleinen DM 24,— HEINRICH KLOSE — GERHARD GRUNDMANN Chirurgie des Kopies. Mit 238 Abb. XVII, 300 Seiten. 1953. Ganzleinen DM 48,— HEINRICH KLOSE — GUNTHER WITTIG Narkose und Anästhesie. Mit 34 Abb. X, 109 Seiten. 1954. Ganzleinen DM 16,80 Verlangen

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ANTON

WALDEYER

Anatomie des Menschen Ein Grundriß für Studierende und Ärzte, dargestellt nadi systematischen, topographischen und praktischen Gesichtspunkten Zwei Teile. Groß-Oktav.

Is Allgemeine Anatomie / Rücken / Bauch / Becken / Bein 3., n e u b e a r b e i t e t e A u f l a g e . Mit 271, meist farbigen Abbildungen. XV, 369 Seiten. 1957. Ganzleinen DM 38,—

II: Kopf und Hals / Sehorgan / Ohr / Gehirn / Obere Gliedmaße / Brust Mit 354 Abbildungen. XVIII, 523 Seiten. 1950. Ganzleinen DM 24,— Beide Teile zusammen bezogen Ganzleinen DM 56,— „Wer es schätzt, sein Wissen einem in gedrängter Form geschriebenen Buch zu entnehmen, ist nicht schlecht beraten, wenn er zu dem neu aufgelegten Grundriß von WALDEYER greift. Es nimmt unter den deutsch geschriebenen Werken über Anatomie eine Sonderstellung ein, da es sich in der systematischen Beschreibung knapp hält, dagegen möglichst eingehend topographisch-praktische Gesichtspunkte berücksichtigt. Zusammengehöriges ist deshalb nahe beieinander zu finden." Therapeutische Umschau PAUL ROSTOCK

t

Unfallbegutachtung 4., n e u b e a r b e i t e t e A u f l a g e . Fortgeführt von S. I m h o i und R. W e g m a n n unter Berücksichtigung der Rentenneuregelungsgesetze vom 23. Februar 1957 Groß-Oktav. Mit 78 Abbildungen auf 6 Tafeln. VIII, 119 Seiten. 1957. Ganzleinen DM 14,80 Bei der Zunahme von Unfällen kommt jeder Arzt in die Lage, Gutachten erstellen zu müssen. Gerade dafür bietet das vorliegende Buch ein ausgezeichnetes Nachschlagewerk. Wer sich rasch und zuverlässig über alle wichtigen Fragen in der Unfallbegutachtung orientieren will, wird gern zu diesem kurzgefaßten und übersichtlichen Ratgeber greifen. L U D W I G H.

RASCH

Lehrbuch der Blutgruppenkunde Allgemeine und spezielle Serologie der Blutkörperchenmerkmale und ihrer Anwendungsgebiete Groß-Oktav. Mit 89 Abbildungen und 138 Tabellen. IX, 417 Seiten. 1954. Ganzleinen DM 30,— „Unnötig zu sagen, daß das Buch überall dort hingehört, wo Blutgruppenserologie getrieben wird, also vor allem in die Hand des C h i r u r g e n , Internisten und Gynaekologen... " Zentralblatt für Gynaekologie

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PAUL

DIEPGEN

Geschichte der Medizin Die historische Entwicklung der Heilkunde und des ärztlichen Lebens Ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte 3 Bände. Groß-Oktav. Erster Band:

Von den Anfängen der Medizin bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Mit 29 Abbildungen. 455 Seiten. 1949. Ganzleinen DM 18,—

Z w e i t e r B a n d : Von der Medizin der Aufklärung bis zur Begründung der Zellular1. H ä l f t e pathologie (1740 bis etwa 1858). Mit 22 Abbildungen. VIII, 271 Seiten. 1951. Ganzleinen DM 24,— Z w e i t e r B a n d : Die Medizin vom Beginn der Zellularpathologie zu den Anfängen der 2. H ä l f t e modernen Konstitutionslehre (etwa 1858 bis 1900). Mit einem Ausblick auf die Entwicklung der Heilkunde in den letzten 50 Jahren. Mit 33 Abbildungen. XII, 336 Seiten. 1955. Ganzleinen DM 34,— D r i t t e r B a n d : Bilderatlas. Herausgegeben von W a l t e r A r t e l t . In Vorbereitung „Mit der 2. Hälfte des II. Bandes, . . . ist der textliche Teil des zweibändigen Werkes abgeschlossen. . . . Der Schwerpunkt der vorliegenden Darstellung liegt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und, wie D i e p g e n schon für die früheren Teile mit soviel Erfolg aufgezeigt hatte, wiederum in der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Situation dieser Zeit verankert, insbesondere der Situation der Philosophie in ihrer Beziehung zu den Naturwissenschaften und zur Medizin, sowie der exakten Naturwissenschaften und der damaligen technischen Möglichkeiten in ihren Beziehungen zur Medizin. So erhalten wir in vorbildlicher Kürze und stilistischer Vollkommenheit den, wie man es heute zu nennen beliebt, ,Kulturfahrplan' der Epoche vorangestellt. Für solch ein weites Ausholen, in dem erst alles Spezielle das rechte Gesicht erhält, sind wir besonders dankbar. Die praktische Medizin und ihre Sonderfächer erfahren im Hinblick auf Diagnose und Therapie nebst ihren Methoden, schließlich die Spezialdisziplinen, auch die Hygiene, gerichtliche Medizin und sogar das ärztliche Leben in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre nicht nur vollendet sachverständige medizinhistorische, sondern auch künstlerische Beurteilung und Darstellung. So liegt also D i e p g e n s Geschichte der Medizin für Ärzte und Studierende nunmehr in 3 handlichen Stücken geschlossen und in würdiger Aufmachung preiswert vor. Es ist die schöne Gabe eines inzwischen weise gewordenen Mannes, der es als ein Meister seines Faches verstand, aus den unübersehbar gewordenen Fakten und Hypothesen alles Wesentliche zu erfassen und in eine besondere wohltuende Form zu gießen." Berichte der allgemeinen

und spez.

Pathologie

„Von nun an wird sie die Grundlage aller geschichtlichen Betrachtungen über die Entwicklung und die Situation der modernen Medizin sein. Das enorm dichte Buch kann jedem praktischen Arzt nur wärmstens zur Feierabendlektüre empfohlen werden. Für ihn, so betont Diepgen im letzten Satz ausdrücklich, ist dieses Werk geschrieben worden." Ärztliche Praxis

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vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp.

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EDUARD KAUFMANN *

Lehrbuch der speziellen pathologischen Anatomie Erster Band: 1. H ä l f t e :

Enthaltend: Die Kreislauforgane — Die Mißbildungen des Herzens und der großen Gefäße — Blut und blutbildende Organe. Mit Beiträgen von M. Staemmlei, W. Doerr, W. Rottet und W. Büngeler. Mit 300 Abbildungen und 1 Farbtafel. XVII, 834 Seiten. 1955. Halbleder DM 124,— Enthaltend: Verdauungsorgane — Krankheiten der Zähne und ihres Halteapparates — Normale Anatomie der endokrinen Drüsen — Der Thymus. Mit Beiträgen von H. Merkel, W. Meyer, E. Tonutti, H. G. Fassbender, H. Tesseraux. Mit 387 Abbildungen. XVIII, 808 Seiten. 1956. Halbleder DM 132,—

2. H ä l f t e :

Zweiter Band: 1. T e i l : L i e f e r u n g 3: L i e f e r u n g 4:

Dritter Band: 1. L i e f e r u n g ; 2. L i e f e r u n g :

Enthaltend: Geschlechtsorgane — H a r n o r g a n e . Beiträge von F. J. Lang und H. Gögl, M. Staemmler. Mit 452 zum Teil farbigen Abbildungen. XVI, 912 Seiten. 1957. Halbleder DM 167,— Leber. Von P. Kettler. Mit etwa 120 Abbildungen. Etwa 450 Seiten. 1957. In Vorbereitung Pankreas, Extrahepatale Gallenwege. Von H. Güthert. Etwa 20 Abbildungen. Etwa 250 Seiten. 1957. In Vorbereitung Weitere Teilbände des zweiten Bandes folgen. Hirn- und Rückenmarkhäute einschließlich Tuberkulose; Liquor- und Ventrikelsystem. Von W. Wepler. Mit 28 Abbildungen. 98 Seiten. 1957. Subskriptionspreis DM 16,— Allgemeine Reaktionen und »Degenerationen" — Stoffwechselstörungen und Pigmentablagerungen in Hirn und Rückenmark — Die entzündlichen Krankheiten des Zentralnervensystems. Von G. Peters und W. Volland. Mit 79 Abbildungen. 172 Seiten. 1957. Subskriptionspreis DM 27,50 Weitere Lieferungen des dritten Bandes folgen.

Die Abnahme einer Lieferung eines Bandes verpflichtet zur Abnahme des ganzen Bandes. Der Subskriptionspreis der L i e f e r u n g s a u s g a b e erlischt bei Vorliegen des betr. Bandes. „Diese neue, von Staemmler herausgegebene Auflage des alten, bewährten Kaufmannschen Lehrbuches der speziellen Pathologie wird sicher von allen Freunden dieses Buches sehr begrüßt werden. Die Darstellung, die sich in dien Grundzügen an den Text der letzten Auflage anschließt, ist jedoch stark erweitert, überall auf den Stand der heutigen Kenntnisse gebracht und durch zahlreiche, neue, gute Mikrophotographien und Abbildungen beträchtlich erweitert worden. Jedem Kapitel ist ein kleines Literaturverzeichnis, das alle wesentlichen neueren Arbeiten enthält, a n g e h ä n g t . . . " Anatomischer Anzeiget Lassen Sie sidi die Bände von Ihrem Buchhändler

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W. P S C H Y R E M B E L

Klinisches Wörterbuch Gegründet von Otto Dornblüth. 107.—116., mit einem neubearbeiteten und erweiterten Nachtrag versehene Auflage. Oktav. XVI, 1093 Seiten mit 763 Abbildungen. 1955. Ganzleinen DM 16,—• „Unter den medizinischen Terminologien hat das .Klinische Wörterbuch' von Dornblüth seit langem eine besondere Stellung eingenommen und sich seit Jahrzehnten großer Beliebtheit erfreut. Auf über 1000 Seiten mit 763 zum Teil neuen Abbildungen gibt es in handlicher Form erschöpfend Auskunft über alle Begriffe der medizinischen Fachsprache. Es wird sowohl dem Arzt als ausgezeichnetes Nachschlagewerk wertvolle Dienste tun, als auch dem Medizinstudenten, der Laborantin, Arztsekretärin und Krankenschwester ein guter Berater sein. Ihnen allen kann das auf neuesten Stand gebrachte .Klinische Wörterbuch' warm empfohlen werden." Hippokrates H. D Y C K E R H O F F

Wörterbuch der physiologischen Chemie Für Mediziner Oktav. IV, 175 Seiten. 1955.

Ganzleinen DM 18,50

„In dem vorliegenden Wörterbuch ist ein großer Teil der Erkenntnisse der physiologischen Chemie in über 1200 alphabetisch angeordneten Begriffen niedergelegt und definiert. Die gegebenen Erläuterungen haben mitunter durchaus lehrbuchmäßigen Charakter, so daß das Buch mehr als ein Wörterbuch ist. Die Schrift ist vor allem für vielbeschäftigte Arzte und Kliniker gedacht, denen es eine wirksame Hilfe zur schnellen Orientierung für diagnostische und therapeutische Schlüsse sein kann." Chemie Neuerscheinungen

C. H U N N I U S

Pharmazeutisches Wörterbuch 2., wesentlich erweiterte

und verbesserte

Auflage. Oktav. XII, 610 Seiten. 1955. Ganzleinen DM 18,40

„Den Apothekern wohlbekannt, ist das .Pharmazeutische Wörterbuch'; jedoch ein überaus nützliches Requisit auch für die ärztliche Bibliothek und sollte seinen Standort eigentlich neben dem .Klinischen Wörterbuch' haben. Neben zahlreichen pharmaziegeschichtlichen Angaben und Hinweisen für die chemische Arbeit ist das Buch durch ungewöhnlich reichhaltige Tabellen, z. B. Vergiftungen, unverträgliche Arzneimischungen u. a. m. ergänzt." Arzt und Apotheke

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