Langfristige Energielieferverträge und Wettbewerbsrecht: Zur Leitbildfunktion der Schirm-GFVO für das deutsche Kartellverbot [1 ed.] 9783428506552, 9783428106554

Seit der wettbewerblichen Öffnung der Energiemärkte im Jahre 1998 steht die Wirksamkeit langfristiger Energieliefervertr

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Langfristige Energielieferverträge und Wettbewerbsrecht: Zur Leitbildfunktion der Schirm-GFVO für das deutsche Kartellverbot [1 ed.]
 9783428506552, 9783428106554

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FRANZ JÜRGEN SÄCKER I JÖRG JAECKS

Langfristige Energielieferverträge und Wettbewerbsrecht

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 149

Langfristige Energielieferverträge und Wettbewerbsrecht Zur Leitbildfunktion der Schirm-GFVO für das deutsche Kartellverbot

Von

Franz Jürgen Säcker und Jörg Jaecks

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Säcker, Franz Jürgen: Langfristige Energielieferverträge und Wettbewerbsrecht : zur Leitbildfunktion der Schirm-GFVO für das deutsche Kartellverbot / Franz Jürgen Säcker ; Jörg Jaecks.Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zum Wirtschaftsrecht ; Bd. 149) ISBN 3-428-10655-5

Alle Rechte vorbehalten

© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 3-428-10655-5 Gedruckt auf aIterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

Vorwort Die wettbewerbsrechtlich erzwungene Öffnung der Energiemärkte im April 1998 hat die Gültigkeit langfristiger Lieferverträge über Strom und Gas in Frage gestellt. Im Mittelpunkt der Problematik stehen dabei die in der Vergangenheit zwischen regionalen Energieversorgungsunternehmen und lokalen Weiterverteilern abgeschlossenen Energielieferverträge. Diese sehen in der Regel Laufzeiten von bis zu 20 Jahren vor und enthalten Gesamtbedarfsdeckungsklauseln und Gebietsschutzabreden. Ob diese Klauseln kartell- und zivilrechtlich wirksam sind und welche zivilrechtlichen Rechtsfolgen sich aus einer Unwirksamkeit für den Liefervertrag ergeben, beschäftigt seit drei Jahren die Instanzgerichte. Der Kartellsenat des Oberlandesgerichtes Düsseldorf hat in einem Urteil vom 7. November 2001 solche Lieferverträge als unwirksam angesehen. Zu dem Thema sind zahlreiche Aufsätze erschienen, in deren Mittelpunkt die §§ 1 und 16 GWB sowie Art. 81 EG stehen. Der Schwerpunkt der vorliegenden Untersuchung liegt auf dem europäischen Kartellrecht und hier insbesondere auf der neuen, am 1. Juni 2000 in Kraft getretenen Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen Nr. 2790/1999 und den dazu ergangenen Leitlinien sowie den Leitlinien über horizontale Zusammenarbeit. Zudem haben sich die Verfasser um mehr Klarheit bei der Ermittlung der zivilrechtlichen Rechtsfolgen, v. a. bei der Frage der Vertragsanpassung, bemüht. Für viele Gespräche und förderliche Hinweise danken wir Herrn Prof. Dr. Kurt Markert, Frau Dr. Andrea Lohse und Herrn Wiss. Mit. Thomas Dörmer. Herrn Prof. Dr. jur. h. c. Norbert Simon danken wir für die Aufnahme in die Reihe "Schriften zum Wirtschaftsrecht". Berlin, im Februar 2002

Franz Jürgen Säcker Jörg Jaecks

Inhaltsverzeichnis A. Einführung......................................................... I. Gegenstand der Untersuchung. .. ... . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. II. Kartell- und zivilrechtlich fragwürdige Vertragsklauseln . . . . . . . . . . . . .. III. Das Verhältnis von Kartell- und Zivilrecht: "Wettbewerbsorientiertes" Vertragsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. IV. Einzel- statt Gesamtbetrachtung wettbewerbsbeschränkender Vertragsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. B. Alleinbezugsverpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Kartellrechtliche Würdigung gemäß Art. 81 Abs. 1 EG. . . . . . . . . . . . . .. 1. Tatbestandliche Wettbewerbsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Horizontale und vertikale Vereinbarungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit Dritter. . . . . . . . . . . . . . .. c) Spürbarkeit............................................... d) Schirm-GFVO als Maßstab für Art. 81 Abs. 1 EG. . . . . . . . . . . .. aa) Überblick............................................. bb) Grundsätzliche Anwendbarkeit der Schirm-GFVO auf Energielieferverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Rückschlüsse aus der Schirm-GFVO. . . . .. . . . . . . .. . . . . . .. e) Funktionsnotwendigkeit der Alleinbezugsbindung bzw. wettbewerbliche Vorteile des Liefervertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Zwischenstaatlichkeitsklausel................................... 3. Freistellung von Neuverträgen nach der Schirm-GFVO. . . .. . . . . . .. a) Vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern. . . . . . . . . . .. b) Marktanteilsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Entzug der Freistellung und Nichtanwendbarkeit der SchirmGFVO ................................................... 4. Einzelfreistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5. Zwischenergebnis............................................. II. Kartellrechtliche Würdigung nach den §§ 1, 16 GWB................ 1. Horizontales Kartellverbot und vertikale Vereinbarungen . . . . . . . . .. 2. Wettbewerbsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Ausstrahlungswirkung der Schirm-GFVO auf das "anzuerkennende Interesse" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Berücksichtigung der Wertungen der Schirm-GFVO bei § 16 Nr. 2 GWB ....................................................... III. Kartellrechtliche Würdigung gemäß Art. 82 EG, §§ 20 Abs. 1, 19 Abs. 1 GWB....................................................

13 13 15 17

18 21 21 22 23 24 26 28 29 30 32

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8

Inhaltsverzeichnis IV. Zwischenergebnis................................................ V. Leitbildfunktion der Schirm-GFVO auch für die zivilrechtliche Würdigung ........................................................... 1. Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB ...................... 2. Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG ............... . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Zwischenergebnis.............................................

53 53 54 57 58

C. Eigenerzeugungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 59 D. Kundenschutzvereinbarungen .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Kartellrechtliche Würdigung nach Art. 81 EG. . . .. . . . . . . . . . .. . . .. . .. 1. Tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkung. . . . .. . . . . . . . . . . . . .. 2. Pauschale Freistellung von Kundenschutzzusagen in Energielieferverträgen nach der Schirm-GFVO? .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Einzelfreistellung von Gebietsschutzzusagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Kartellrechtliche Würdigung nach §§ 1, 16 GWB ................... III. Art. 82 EG, §§ 20 Abs. I, 19 Abs. 1 GWB . . . . . . .. . . .. . . . . . .. . . . . .. IV. Zwischenergebnis ............................................... E. Rechtsfolgen ....................................................... I. Gesamtnichtigkeit ............................................... 11. Aufrechterhaltung des Liefervertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Nichtigkeit der Kundenschutzvereinbarungen .................... 2. Gesamtnichtigkeit nach § 139 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Geltungserhaltende Reduktion bzw. Teilnichtigkeit der Alleinbezugsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Neuverhandlungs- und Vertragsanpassungspflichten . . . . . . . . . . . . . .. 5. Eigenerzeugungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 6. Schicksal des Liefervertrages im Übrigen ....................... 7. Zeitpunkt des Verstoßes und Restlaufzeit des Liefervertrages ......

61 61 61 62 65 68 70 70

71 71 72 73 73 75 78 81 82 83

F. Ergebnis........................................................... 87 Literaturverzeichnis ................................................... 89

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. AbI. Abs. AcP a.F. AG AGB AGBG a.M. Anh. Art. Aufl. Az. BAG BB BGB BGBL BGH BGHLM BGHZ BKartA BT-Drucks. bzw. DB ders. EEG EG EGV EnWG ET EuG EuGH EuZW

anderer Ansicht am angegebenen Ort Amtsblatt Absatz Archi v für ci viiistische Praxis alte Fassung Die Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen am Main Anhang Artikel Auflage Aktenzeichen Bundesarbeitsgericht Betriebs-Berater Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Nachschlagwerk des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, hrsg. v. Lindenmaier, Möhring, u. a. Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundeskartellamt Bundestagsdrucksache beziehungsweise Der Betrieb derselbe Gesetz für den Vorrang Emeuerbarer Energien Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Amsterdamer Vertrages Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Energiewirtschaftsgesetz Energiewirtschaftliche Tagesfragen Europäisches Gericht erster Instanz Europäischer Gerichtshof Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

10 EVU EWG EWiR EWS

e. v. f. FamRZ ff. Fn. FS GFVO ggfs. GVO GWB Hrsg. i. Erg. i.S.d. i.S. v. i.V.m. Kart. KfH KG KWKG Lfg. LG lit. m.w.N. Nachw. n.P. NJW NJW-RR Nr. OLG OLG-NL RdE Rn. Rs. S. Slg. sog. st. StrEG

Abkürzungsverzeichnis Energieversorgungsuntemehmen Europäische Wirtschafts gemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht eingetragener Verein folgende Zeitschrift für das gesamte Familienrecht fortfolgende Fußnote Festschrift Gruppenfreistellungsverordnung gegebenenfalls Gruppenfreistellungsverordnung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Herausgeber im Ergebnis im Sinne der, des im Sinne von in Verbindung mit Kartellsache Kammer für Handelssachen Kammergericht Kraft-Wärrne-Kopplungsgesetz Lieferung Landgericht litera mit weiteren Nachweisen Nachweis neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report Nummer Oberlandesgericht Entscheidungssammlung der Oberlandesgerichte der Neuen Bundesländer Recht der Energiewirtschaft Randnummer Rechtssache Seite Sammlung sogenannte ständige Stromeinspeisungsgesetz

Abkürzungsverzeichnis TB u.a. u.U. v. v.a. VDEW Verf. vgl. Vorbem WM WRP WuW WuW/E WuW/E DE-R WuW/E EU-R WuW/E EU-V WuW/E EV

z.B. ZHR Ziff. ZIP ZNER ZUR

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Tätigkeitsbericht (des Bundeskartellamts) unter anderem unter Umständen vom, von vor allem Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke Verfasser vergleiche Vorbemerkung Wertpapier-Mitteilungen Wettbewerb in Recht und Praxis Wirtschaft und Wettbewerb Wirtschaft und Wettbewerb, Entscheidungssammlung zum Kartellrecht Wirtschaft und Wettbewerb, Entscheidungssarnmlung Deutsche Rechtsprechung Wirtschaft und Wettbewerb, Entscheidungssarnmlung Europäische Union Rechtsprechung Wirtschaft und Wettbewerb, Entscheidungssammlung Europäische Union Verwaltung Wirtschaft und Wettbewerb, Entscheidungssarnmlung Europäische Verwaltung zum Beispiel Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Neues Energierecht Zeitschrift Umweltrecht

A. Einführung I. Gegenstand der Untersuchung Seit der Aufhebung der kartellrechtlichen Sondernonnen für die Energiewirtschaft (§§ 103, 103a GWB a.F.) und der Neuregelung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) 1 steht die Wirksamkeit früher abgeschlossener Energielieferverträge auf dem Prüfstand, und es fragt sich, welche rechtlichen Grenzen beim Abschluss von Neuverträgen zu beachten sind. Demarkations- und Konzessionsverträge von Versorgungsunternehmen der Energiewirtschaft waren nach den §§ 103, 103a GWB a.F. vom Kartellverbot und der Missbrauchsaufsicht über vertikale Vereinbarungen freigestellt, sofern die Laufzeit der Verträge 20 Jahre nicht überschritt. Vor diesem Hintergrund schlossen regionale Energieversorgungsunternehmen (EVU) die Lieferverträge mit den lokalen Weiterverteilern langfristig, zumeist mit Laufzeiten zwischen 10 und 20 Jahren ab. Viele dieser Altverträge enden erst mehrere Jahre nach der Liberalisierung der Energiewirtschaft. Die Verträge zwischen den Liefer-EVU und den Weiterverteilern (in der Praxis zumeist die Stadtwerke) enthalten Gesamtbedarfsdeckungsklauseln und Kundenschutzvereinbarungen. Die so gebundenen Abnehmer sind seit der wettbewerblichen Öffnung der Energiemärkte bestrebt, mit Hilfe der Durchleitungsansprüche (§ 6 EnWG, § 19 GWB) Energie statt von ihren bisherigen Lieferanten von günstigeren Anbietern zu beziehen und verweigern die Zahlung für nicht abgenommene, in Altverträgen kontrahierte Liefennengen. Das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts enthält keine Übergangsregelungen für die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes abgeschlossenen Energielieferverträge. Art. 4 § 1 des Neuregelungs-Gesetzes bestimmt lediglich, dass laufende Konzessionsverträge trotz Wegfalls der Ausschließlichkeit im Übrigen unberührt bleiben. Auch Altverträge unterliegen daher den allgemeinen kartell- und zivilrechtlichen Regelungen2 . Die Landgerichte Mannheim3 sowie Stuttgart4 haben entschieden, dass eine 1996 für I Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts v. 24.04.1998, BGBl. I, 730 ff. 2 Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, BT-Drucks. 13/7274, S. 24 ff., 36. Zur Frage des Zeitpunktes eines etwaigen kartell- oder zivilrechtlichen Verstoßes siehe unten E. 11. 1. und 7. 3 LG Mannheim WuW/E DE-R 298 ff. - Stromversorgung.

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A. Einführung

10 Jahre vereinbarte Gesamtbedarfsdeckungsklausel und die Demarkationsabrede nach Aufhebung der §§ 103, 103a GWB a.F. gegen § 1 GWB verstoßen und zur Nichtigkeit des betroffenen Stromliefervertrages insgesamt führen. Das Landgericht Stuttgart hat an seiner Rechtsauffassung im Falle eines ebenfalls 1996 abgeschlossenen 20jährigen Gaslieferungsvertrages festgehalten 5 . In ähnlicher Weise hat das Landgericht Köln geurteilt, dass eine feste Vertragsmengenregelung in einem Gaslieferungsvertrag aus dem Jahre 1984 mit einer Laufzeit von insgesamt 19 Jahren ebenso wie die als unzulässig einzustufenden Gesamtbedarfsdeckungsklauseln gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoße und die Nichtigkeit des gesamten Vertrages nach sich ziehe. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat dieses Urteil bestätigt und zusätzlich einen Verstoß gegen § 1 GWB und § 19 GWB angenommen 6 . Ebenso hat schließlich das Landgericht Frankfurt am Main im Hinblick auf die in einem langfristigen Gaslieferungsvertrag aus dem Jahre 1995 enthaltenen Demarkationsabreden entschieden7 . Schwierigkeiten bereitet die Beurteilung der Wirksamkeit langfristiger Energielieferverträge vor allem deshalb, weil klare Maßstäbe für die Festlegung der nach Kartell- und Zivilrecht zulässigen Höchstlaufzeit fehlen. Die nachfolgenden Ausführungen dienen dazu, diese Frage zu klären, und zwar unter Berücksichtigung der Bedeutung der EG-Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen (Schirm-GFVO)8 als Leitbild sowohl für die nach europäischem und deutschem Recht vorzunehmende kartellrechtliche als auch für die zivilrechtliehe Würdigung. Gegenstand der Untersuchung sind langfristige Lieferverträge über Strom und Gas zwischen den überregionalen und den regionalen Liefer-EVU sowie zwischen diesen und den lokalen Verteilerunternehmen; außer Betracht bleiben die Lieferverträge mit den Endkunden (Sonder- und Kleinkunden)9.

4 LG Stuttgart, Urteil v. 8.01.2001 - 11 KfH 0 46/00 (noch nicht veröffentlicht), Berufung ist eingelegt. 5 LG Stuttgart, Teil-Urteil v. 22.06.2001 - 11 KfH 0 158/00 (bislang unveröffentlicht), Berufung ist eingelegt. 6 LG Köln ZNER 2000, 132 ff.; OLG Düsseldorf ZNER 2001, 255 ff. 7 LG Frankfurt a.M., Urteil v. 28.07.2000 - 3/12 0 94/00 (noch nicht veröffentlicht). Zu nennen sind des weiteren die Urteile des LG Leipzig RdE 2001, 29 ff., des LG Rostock RdE 2001, 237 ff. sowie des LG Frankfurt a.M. v. 27.06.2001 3/8 0 102/00. 8 Verordnung (EG) Nr. 2790/1999 der Kommission v. 22.12.1999 über die Anwendung von Art. 81 Abs. 1 des Vertrages auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, AbI. EG 1999 L 336, S. 21. 9 Siehe dazu etwa Köhler, WuW 1999, 445, 455 f.; Büdenbender, Schwerpunkte der Energierechtsreform 1998, 1999, Rn. 473 ff.; Gent, WRP 2000, 706 ff.; sowie LG Frankfurt a.M., Urteil v. 27.06.2001 - 3/8 0 102/00 (noch nicht veröffentlicht); vgl. auch noch LG Düsseldorf RdE 2000, 83 f.

11. Kartell- und zivilrechtlich fragwürdige Vertragsklauseln

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11. Kartell- und zivilrechtlich fragwürdige Vertragsklauseln

In den vor der Liberalisierung der Energiemärkte abgeschlossenen Energielieferverträgen haben sich die Weiterverteiler regelmäßig verpflichtet, ihren gesamten Bedarf an Energie für das näher bezeichnete Versorgungsgebiet ausschließlich von dem Vertragspartner zu beziehen 10. Diese sog. Gesamtbedarfsdeckungsklausel verbietet dem Abnehmer Energie sowohl von dritten Erzeugern wie Weiterverteilern zu beziehen (ausschließliche Bezugsbindung, Alleinbezugsbindung oder Drittbezugsverbot) als auch - umfassend oder unter Gestattung einer bestiminten Menge - selbst zu erzeugen (Eigenerzeugungsverbot oder Kapazitätsklausel)ll. Teilweise wird die eingangs formulierte Klausel zwar ebenfalls als Gesamtbedarfsdeckungsklausel bezeichnet, darunter aber nur die ausschließliche Bezugsbindung verstanden und das Eigenerzeugungsverbot davon getrennt 12. Legt man die Klausel aber nur als Alleinbezugsbindung aus und verlangt man, dass ein Eigenerzeugungsverbot ausdrücklich vereinbart werden muss, so ist durch die Bezeichnung als Gesamtbedarfsdeckungsklausel nichts gewonnen. Da in diesem Fall rechtlich nur das Drittbezugsverbot zu würdigen ist, sollte man dies der Klarheit halber auch so nennen l3 • Im Übrigen ist dieser Auslegung nicht zu folgen. Verpflichtet sich der Abnehmer, seinen gesamten Bedarf bei dem Vertragspartner zu decken, ist ihm auch die Eigenerzeugung untersagt, sofern sie ihm nicht ausdrücklich gestattet ist. Dies legt schon der Wortlaut der Klausel (Deckung des gesamten Bedarfs und nicht nur des Fremdbedarfs) nahe. Entscheidend ist darüber hinaus, dass nur diese Auslegung den hinter der Vereinbarung einer Gesamtbedarfsdeckungsklausel stehenden Parteiinteressen gerecht wird. Im Schrifttum wird der Grund für die Vereinbarung von Gesamtbedarfsdeckungsklauseln teilweise in den spezifi10 Solche Klauseln lagen den Entscheidungen der LG Mannheim (Fn. 3), LG Stuttgart (Fn. 4 und 5), LG Köln bzw. OLG Düsseldorf (Fn. 6) und LG Frankfurt a. M., Urteil v. 28.07.2000 - 3/12 0 94/00 (bislang unveröffentlicht), zugrunde. II Lukes, BB 1999, Beilage 8, S. 9; Köhler, WuW 1999, 445, 451; wohl auch Würzberg/Bartsch, Sicherung der Ausschließlichkeit, in VDEW (Hrsg.), Energierechtsnovelle und Stromlieferungsverträge, 1998, S. 9 ff. 12 BKartA, TB 1997/98, S. 120; Wiedemann/Zinow, Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 34 Rn. 193 f.; Bunte in Langen/Bunte, Kartellrecht, 9. Auf!. 2001, Anhang zum 5. Abschnitt Rn. 45 ff. l3 Über eine besondere Vertragsgestaltung hat jüngst das LG Rostock (Fn. 7) entschieden. In dem Vertrag hatte sich der Abnehmer zwar zur ausschließlichen Deckung seines "gesamten Bedarfs" verpflichtet, jedoch nahm die anschließende Definition dieses gesamten Bedarfs die Eigenerzeugung (die 48 % des gesamten Bedarfs ausmachte) davon aus. Zu Recht hat es das Gericht abgelehnt, hier von einer Gesamtbedarfsdeckungsklausel zu sprechen. Allerdings hat das LG Rostock das in der ausschließlichen (Fremd-)Bezugsbindung liegende Drittbezugsverbot nicht hinreichend gewürdigt, dazu unten B.

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A. Einführung

sehen energie wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gesehen: Zum einen schwankt der Energiebedarf der Endverbraucher und damit indirekt auch derjenige der Weiterverteiler aus konjunkturellen oder saisonalen Grunden oder aufgrund der Witterung, zum anderen ist Strom nicht und Gas nur begrenzt speicherbar. Gesamtbedarfsdeckungsklauseln sollen insofern als Ersatz für die angeblich mangelnde Fixierbarkeit exakter energiewirtschaftlicher Abnahmemengen dienen 14 . In erster Linie sind es aber die Interessen des Lieferanten, die zur Vereinbarung einer Gesamtbedarfsdeckungsklausel führen: Es geht um das Interesse des Lieferanten, seinen Absatz langfristig zu sichern, seine Investitionen zu amortisieren und - vor allem auf dem Gassektor - um die Weiterreichung langfristiger Festbezugsverpflichtungen von Importgesellschaften gegenüber den ausländischen Förderunternehmen 15 . Das Interesse des Abnehmers besteht vor allem in dem durch die langfristige Bindung erreichbaren Preisnachlass. Wäre dem Abnehmer trotz der Gesamtbedarfsdeckungsverpflichtung eine unbegrenzte Eigenerzeugung erlaubt, wären die vorstehend geschilderten Interessen des Lieferanten in vielen Fällen nicht gesichert 16. So verstandene Gesamtbedarfsdeckungsklauseln können in Form einer allgemeinen Verpflichtung zur Deckung des gesamten Bedarfes ohne die Pflicht zur Abnahme einer bestimmten Vertragsmenge oder (zusätzlich) mit einer festen Mengenregelung vereinbart werden. Auch die isolierte Vereinbarung einer jährlichen (Mindest-)Menge, die im wesentlichen dem gesamten Bedarf des Abnehmers entspricht, wirkt wie eine ausschließliche Bezugsbindung 17 . Eine besondere Form der Mengenregelung ist die auf dem Gassektor vor allem zwischen Gasproduzenten und Ferngasunternehmen, 14 So Böwing/Rosin, ET 2000, 249; Büdenbender, ET 2000, 359, 361. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass die Liefer-EVU in ihrer Kapazitätsplanung den Kundenbedarf quantifizieren, sich der jährliche Durchschnittsbedarfs also durchaus abschätzen lässt. 15 Vgl. Kühne, FS Sandrock, 2000, S. 537, 539 ff.; Wiedemann/Zinow (Fn. 12), § 34 Rn. 194; LG Frankfurt a.M. (Fn. 9); OLG Düsseldorf ZNER 2001, 255, 256. 16 So betrug der Anteil der Eigenerzeugung im Fall LG Rostock (Fn. 7) 48%. 17 Lukes, BB 1999, Beilage 8, S. 9; Schulte-Beckhausen in Ludwig/Odenthal, Recht der E1ektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, Bd. 2, 58. Lfg. 12/1999, Art. 81 EGV Rn. 19; vgl. Bunte (Fn. 12), Anhang zum 5. Abschnitt Rn. 45. Das LG Köln ZNER 2000, 132, 133, spricht in diesem Fall von einer "wirtschaftlichen Gesamtbedarfsdeckungsverpflichtung" in Abgrenzung zur "rechtlichen Gesamtbedarfsdeckungsverpflichtung" . Bei der Frage, wie hoch der Bedarfsdeckungsanteil der Bezugsbindung gemessen am gesamten Bedarf sein muss, um von einer Gesamtbedarfsdeckung zu sprechen, bietet sich eine Orientierung an der Legaldefinition des Art. 1 lit. b) der Schirm-GFVO (über 80%) an, dazu unten B. I. 1. d). Zutreffend hat das LG Leipzig RdE 2001, 29, 30, eine Bezugsbindung mit einem Bedarfsdeckungsanteil von nur 70% nicht als eine Gesamtbedarfsdeckungsverpflichtung angesehen.

III. Das Verhältnis von Kartell- und Zivilrecht

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aber auch zwischen Ferngasgesellschaften und lokalen Verteilerunternehmen vereinbarte sog. "take-or-pay"-Klausel, nach der der Abnehmer sich zur Bezahlung der vereinbarten Mindestabnahme verpflichtet, unabhängig davon, ob er diese Menge tatsächlich abnimmt 18 • Bei einer festen, seinen Bedarf im wesentlichen deckenden Gesamtmengenregelung ist der Abnehmer zwar nicht rechtlich, wohl aber wirtschaftlich am Drittbezug und an der Eigenerzeugung gehindert. In Kundenschutzvereinbarungen (Gebietsschutzabreden oder Demarkationen) verpflichtet sich mindestens eine der Vertragsparteien, in einem bestimmten Gebiet eine öffentliche Versorgung mit Strom oder Gas zu unterlassen. Kundenschutzzusagen, die in Lieferverträgen zwischen EVU und Weiterverteilern getroffen werden, bezeichnet man als sog. vertikale oder unselbständige Demarkation 19. Die Gebietsschutzabrede kann gegenseitig (wechselseitig) oder einseitig vereinbart werden 2o .

IH. Das Verhältnis von Kartell- und Zivilrecht: "Wettbewerbsorientiertes" Vertragsmodell Gesamtbedarfsdeckungsklauseln sind zum einen kartellrechtlich, zum anderen zivilrechtlich von Relevanz, so dass sich die Frage nach dem Verhältnis der beiden Rechtsgebiete stellt. In der Literatur findet sich die Auffassung, Gesamtbedarfsdeckungsklauseln in Dauerschuldverhältnissen seien der kartellrechtlichen Kontrolle entzogen, soweit sie eine Wettbewerbsbeschränkung enthielten, die nicht über die "normale" zivilrechtliche Verbindlichkeit von Verträgen hinausgehe. Nur wenn sich der Bezieher bereits für den Fall weiteren Bedarfs an seinen bisherigen Lieferanten binde, ohne die Lieferung vertraglich zu konkretisieren, sei eine kartellrechtliche Prüfung statthaft21 . Gesamtbedarfsdeckungsklauseln ließen sich daher inhaltlich in 18 Soweit im Folgenden von Gesamtbedarfsdeckungsklauseln die Rede ist und keine weitere Differenzierung erfolgt, sind damit alle im Text bezeichneten Arten und sowohl das Drittbezugs- als auch das Eigenerzeugungsverbot gemeint. Die Ausführungen zu ausschließlichen Bezugsbindungen gelten auch für die Vereinbarung einer an dem tatsächlichen Bedarf orientierten Festmenge. 19 Als horizontale Demarkationen werden demgegenüber Gebietsschutzverträge zwischen EVU der selben Marktstufe bezeichnet, siehe zum Ganzen Wiedemannl Zinow (Fn. 12), § 34 Rn. 49 f. Für die rechtliche Einordnung nach § 1 bzw. § 16 GWB hat diese nicht-juristische Terminologie keine Bedeutung. 20 Der Entscheidung des LG Mannheim WuW/E DE-R 298 ff. - Stromversorgung lagen gegenseitige Demarkationen zugrunde. Zu besonderen Demarkationsabreden wie Grenzmengen- oder Grenzleistungsabkommen siehe Klaue in Immenga/ Mestmäcker, GWB, 2. Auf!. 1992, § 103 Rn. 16 ff. 21 Büdenbender. ET 2000, 359, 361 ff., 364 ff.; zustimmend Raabe. ET 2000, 770, 772 f., für die Vereinbarung einer festen Jahresmenge. 2 Säcker/Jaecks

A. Einführung

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eine zivilrechtliche und eine kartellrechtliche Bindung aufteilen 22 . Diese Ansicht grenzt damit aber keineswegs nur diejenigen Fälle aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen aus, die üblicherweise im Wege teleologischer Restriktion (lmmanzengedanke, ancillary restraints) dem Kartellverbot entzogen werden, sondern geht weit darüber hinaus; sie postuliert einen generellen Vorrang des Zivilrechts vor dem Kartellrecht. Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass Gesamtbedarfsdeckungsklauseln als Ausschließlichkeitsbindungen im europäischen wie im deutschen Recht (§ 16 Nr. 2 GWB) kartellrechtlich relevant sind23 und allenfalls Vertragsmengenregelungen, die sich nicht als Bezugsbindung erweisen, einer kartellrechtlichen Kontrolle entzogen sein könnten 24 . Im Anwendungsbereich des EG-Kartellrechts ist die These vom Vorrang des deutschen Zivilrechts aufgrund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalem Recht ohnehin nicht haltbar25 • Aber auch im nationalen Recht gebührt dem Zivilrecht kein Vorrang gegenüber dem Kartellrecht. Da das Kartellrecht - in Ergänzung zu § 138 BGB - den Missbrauch der zivilrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zur Beeinträchtigung des Wettbewerbs gerade verhindern soll, kann die Vertragsfreiheit nur im Rahmen der geltenden Rechtsordnung - also auch des Kartellrechts - bestehen ("kompetitives Vertragsmodell ,,)26. IV. Einzel- statt Gesamtbetrachtung wettbewerbsbeschränkender Vertragsklauseln

Die Untersuchung der einzelnen Klauseln auf ihre kartell- und zivilrechtliehe Wirksamkeit erfolgt jeweils getrennt. Gebietsschutzabreden und Gesamtbedarfsdeckungsklauseln bilden grundsätzlich keine untrennbare Einheit27 , sondern lassen sich nach Funktion und Auswirkung unterscheiBüdenbender, ET 2000, 359, 366 ff. Vgl. Emmerich in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, § 16 Rn. 50; vgl. Bunte (Fn. 12), § 1 Rn. 143. 24 Allerdings ist auch in diesen Fällen zu diskutieren, ob nicht allein schon die langfristige Vertragsbindung zur kartellrechtlichen Relevanz führen kann, vgl. Kühne, FS Sandrock, 2000, S. 537, 538 m. w.N.; RothlAckermann, in Frankfurter Kommentar, Stand: 11/1999, Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag, Grundfragen Rn. 232; Bunte (Fn. 12), Anhang zum 5. Abschnitt Rn. 50. 25 Markert, EuZW 2000, 427, 430 Fn. 37; vgl. auch SchwintowskilKlaue, BB 2000, 1901,1902ff. 26 Vgl. dazu näher Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, 1972, S. 205 ff.; vgl. ferner Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, Rn. 2 f.; RothiAckermann (Fn. 24), Rn. 257; Markert, EuZW 2000, 427, 430 Fn. 37 und 431 Fn. 43.; Keul, Kartellverbot und Lieferverträge, 2000, S. 252; SchwintowskilKlaue, BB 2000, 1901, 1902, 1904; vgl. auch MünchKomm/ Säcker, BGB, 4. Aufl. 2001, Einl. Rn. 191 f. 22 23

IV. Einze1betrachtung wettbewerbsbeschränkender Vertragsklause1n

19

den28 . Verpflichtet sich der Abnehmer, seinen gesamten Bedarf bei dem Lieferanten zu decken, so ist er in der Regel nicht gehindert, in das Kundengebiet seines Lieferanten zu liefern; erst die Gebietsschutzabrede untersagt ihm dies. Eine einheitliche Gesamtbetrachtung ist nur ausnahmsweise geboten: Wenn für die Durchführung des Liefervertrages ausnahmsweise ein Wettbewerbsverbot funktionsnotwendig ist, sind auch dessen Auswirkungen bei der kartellrechtlichen Würdigung der Gesamtbedarfsdeckungsklausel mit zu berücksichtigen29 . Eine Gesamtbetrachtung von Demarkationsabrede und Gesamtbedarfsdeckungsklausel, wie sie etwa das Oberlandesgericht Düsseldorf sowie die Landgerichte Mannheim und Stuttgart vorgenommen haben 3o, ist ohne vorherige Würdigung der Wirkung der einzelnen Klauseln für die Vertikalvereinbarung unangemessen 31 • Zwar würdigt die Rechtsprechung bei horizontalen Abstimmungen den Gesamtzusammenhang aller Vertragsbestimmungen 32 . Wettbewerbsbeschränkende Abreden in Lieferverträgen können aber zur Durchführung des Austauschzwecks sachlich geboten und damit wettbewerbspolitisch einem legitimen Interesse entsprechen. Um die nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen unbedenklichen, durch legitime Interessen gerechtfertigten Absprachen zu erfassen, ist es geboten, die einzelnen Absprachen zunächst isoliert zu würdigen33 • Eine Gesamtbetrachtung, die über ein Verbot der vertikalen Demarkation eine Gesamtbedarfsdeckungsklausei in dieses Verbot mit einbezieht, führt zu willkürlichen Ergebnissen, je nach dem, ob die Vertragsparteien die Demarkation aufgehoben haben oder niche 4 . Die Befürchtung, auf diesem Weg solche Wettbewerbsbeschränkungen nicht erfassen zu können, die sich erst aufgrund einer Kombination isoliert unbedenklicher Abreden ergeben, ist unbegründet. Im 27

So aber LG Mannheim WuW/E DE-R 298,300 ff. - Stromversorgung.

28

Büdenbender, ET 2000, 359, 372. Siehe dazu unten D. I. 1.

29

30 OLG Düsseldorf ZNER 2001, 255, 256 f.; LG Mannheim WuW/E DE-R 298, 300 ff. - Stromversorgung; LG Stuttgart (Fn. 4 und 5); insoweit zustimmend Rottnauer, BB 1999,2145,2148; Markert, EuZW 2000, 427, 431. 31 J. F. Baur, FS Sandrock, 2000, S. 35, 37; Büdenbender, ET 2000, 359, 372; Raabe, ET 2000, 770, 772. 32 Vgl. BGH WuW/E 1367, 1369 ff. - ZVN. 33 J. F. Baur, FS Sandrock, 2000, S. 35, 37; K. Schmidt, Kartellverbot und "sonstige Wettbewerbsbeschränkungen", 1978, S. 10 f.; Keul (Fn. 26), S. 53 ff., 57 m. w. N. Auch die neuere Rspr. des BGH hat sich dieser Position angenähert, vgl. BGH WuW/E 3115, 3118 ff. - Druckgussteile; 3121, 3125 f. - Bedside-Testkarten; 3137,3138 f. - Solelieferung; BGH WuW/E DE-R 131, 133 - Eintritt in Gebäudereinigungsvertrag; vgl. auch LG Leipzig RdE 2001, 29, 30; LG Rostock (Fn. 7). 34 Büdenbender, ET 2000, 359, 372. In dem Fall LG Köln ZNER 2000, 132 ff., hatten die Parteien die Demarkation aufgehoben. 2*

A. Einführung

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Rahmen der Abwägung der wettbewerblichen Vor- und Nachteile auf einer zweiten Prüfungsstufe ist Raum, auch die Wirkung anderer Absprachen mit zu berücksichtigen. Auch bei der Würdigung der Gesamtbedarfsdeckungsklausel ist die ausschließliche Bezugsbindung von dem Eigenerzeugungsverbot zu trennen, da sich beide in ihren wettbewerblichen Auswirkungen nur zum Teil decken. Allerdings ist auch die Wechselwirkung zwischen beiden zu berücksichtigen: Eine Alleinbezugsverpflichtung beschränkt den Wettbewerb umso geringer, je höher der Anteil der Eigenerzeugung des Abnehmers gemessen an dessen gesamten Bedarf ist. Das Verbot oder die Beschränkung der Eigenerzeugung dient der Sicherung der ausschließlichen Bezugsbindung. Während das Drittbezugsverbot durchaus auch ohne Eigenerzeugungsverbot Sinn machen kann, trifft dies auf ein isoliertes Eigenerzeugungsverbot nicht ZU 35 •

35

Siehe dazu unten B., v. a. I. 1. b) und 11. 2.

B. Alleinbezugsverpflichtungen Entsprechend den vorstehenden Ausführungen werden Gesamtbedarfsdeckungsklausein und Gebietschutzabreden im Folgenden im Grundsatz getrennt untersucht. Die in der Gesamtbedarfsdeckungsklausel enthaltene ausschließliche Bezugsbindung und das Eigenerzeugungsverbot werden zwar ebenfalls jeweils zunächst einzeln geprüft, wobei die Alleinbezugsverpflichtung im Vordergrund steht. Auf die unterschiedlichen Auswirkungen von Drittbezugs- und Eigenerzeugungsverbot und deren Wechselwirkung wird aber hingewiesen. J. Kartellrechtliche Würdigung gemäß Art. 81 Abs. 1 EG Nach Art. 81 Abs. 1 EG sind Vereinbarungen (horizontaler und vertikaler Art) verboten, wenn sie spürbar den Wettbewerb beschränken und geeignet sind, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen. Die Anwendbarkeit der Art. 81, 82 EG auf die Energiewirtschaft war auch schon vor der Liberalisierung der Energiewirtschaft nicht durch Art. 86 Abs. 2 EG (Art. 90 Abs. 2 EGV a.F.) ausgeschlossen, da die EVU in Deutschland nicht mit einer Dienstleitung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse durch Hoheitsakt betraut waren 36 • Im Übrigen wäre auch im Falle der Bejahung einer "Betrauung" nicht zu erkennen, dass Alleinbezugsverpflichtungen mit einer 15-20jährigen Laufzeit erforderlich wären, um die Versorgungsaufgabe zu erfüllen37 . In der Energiewirtschaft wurden ausschließliche Bezugsbindungen typischerweise in längerfristigen Lieferverträgen vereinbart, bei denen das Recht zur ordentlichen Kündigung ausdrücklich oder konkludent ausge36 BKartA WuW/E 2778, 2786 f. - Ruhrgas-Thyssengas III; 2859, 2867 f. Stadt Nordhorn; BGH EuZW 1997, 381, 383 f. - WINGASIStadt Detmold, vgl. auch die entsprechenden Vorabentscheidungsverfahren der EG-Kommission (Rs. C-395196, Rs. C-34/97, Rs. C-187/97); Mestmäcker in Immenga/Mestmäcker, EGWbR 11, 1997, S. 1587; Klaue (Fn. 20), § 103a Rn. 91; tendenziell auch Niederleithinger, in Lukes (Hrsg.), Ein EWG-Binnenmarkt für Elektrizität, 1988, S. 63, 66 ff.; a.A. B. Börner, Frankreichstrom nach Deutschland?, 1990, S. 67; J. F. Baur, RdE 1992, 41, 46 f.; Scholz/Langer, Europäischer Binnenmarkt und Energiepolitik, 1992, S. 162. Für die Anwendbarkeit nach der Liberalisierung siehe nur LG Köln ZNER 2000, 132 ff.; bestätigt durch OLG Düsseldorf ZNER 2001, 255, 258; Markert, EuZW 2000, 427, 433 f. 37 Markert, EuZW 2000, 427, 434 m. w.N.

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B. Alleinbezugsverpflichtungen

schlossen war. Hier besteht ein untrennbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der Alleinbezugsverpflichtung einerseits und der Laufzeit der Verträge andererseits, der es verbietet, beide kartellrechtlich isoliert zu analysieren 38 . Eine ausschließliche Bezugsbindung, die den Abnehmer nur kurzfristig (d.h. weniger als zwei Jahre) bindet, ist kartellrechtlich ebenso irrelevant wie ein langfristiger (Rahmen-) Vertrag, der keine Alleinbezugsbindung enthält. Erst die langfristige ausschließliche Bezugsbindung kann spürbare Auswirkungen auf den Wettbewerb haben. 1. Tatbestandliehe Wettbewerbsbeschränkung

Die europäische Praxis gibt für die Frage, ab welcher Laufzeit ausschließliche Bezugsbindungen im Energiesektor gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstoßen, bislang wenig her. In dem Fall "Electrabel" hat die Europäische Kommission die Prüfung ausgesetzt, nachdem die Laufzeit der Alleinbezugsbindung auf 15 Jahre verkürzt und für die letzten 5 Jahre nur noch mit einer Reduzierung der Bezugsbindung auf 75 % des Bedarfs aufrechterhalten wurde 39 • Eine förmliche Entscheidung wurde nicht getroffen. Die übrigen von der Kommission entschiedenen Fälle, in denen regelmäßig Laufzeiten bis zu 15 Jahren als unbedenklich angesehen wurden ("Scottish Nuclear", "REN/Turbogas" und "ISAB Energy") betrafen keine ausschließlichen Bezugsbindungen, sondern Bezugsbindungen, die weniger als 50 % des Bedarfes des Abnehmers abdeckten. In dem Fall "Electricidade de Portugal/Pego-Projekt" ging es um eine ausschließliche Lieferverpflichtung4o . Als Orientierungspunkt kann aber das Urteil des Europäischen Gerichts erster Instanz im Fall "Langnese-Iglo" dienen, das in einer Alleinbezugsbindung mit einer Laufzeit von zweieinhalb Jahren, die von einem Lieferanten mit einem Marktanteil von über 45 % vereinbart wurde, einen Verstoß gegen Art. 81 EG gesehen hat41 • Im Schrifttum wurden ausschließliche Bezugsbindungen in Energielieferverträgen teilweise generell bis zu einer 38 Vgl. Markert, EuZW 2000, 427, 431 Fn. 43; OLG Düsse1dorf ZNER 2001, 255, 258 f.; vgl. auch EuGH WuW/E EU-R 381, 383 - Neste Markkinointi Oy/ Yötuuli Ky. Demgegenüber haben die LG Köln ZNER 2000, 132 ff., und Rostock (Fn. 7) Mengenregelung und Laufzeit jeweils getrennt als Wettbewerbsbeschränkung geprüft. Die Frage, ob längerfristige Verträge mit Vertragsmengenregelungen, die nicht als Bezugsbindung (i.S. v. § 16 GWB) anzusehen sind, wegen ihrer Laufzeit kartellrechtlich relevant sein können, bedarf hier keiner Erörterung, siehe dazu die Nachw. oben in Fn. 24. 39 27. Bericht über die Wettbewerbspolitik, 1997, Rn. 94. 40 Ausführlich zu diesen Fällen Metzenthin, Rechtliche Maßstäbe für die Laufzeit von Stromlieferungsverträgen, in VDEW (Hrsg.), Energierechtsnovelle und Stromlieferungsverträge, 1998, S. 57, 69 ff.; Lukes, EWS 1999, 441, 444 f.; Markert, EuZW 2000, 427, 428 f.

I. Würdigung gemäß Art. 81 Abs. 1 EG

23

Dauer von 15 Jahren als unbedenklich angesehen42 . Andere Autoren hielten eine derartige Laufzeit nur dann für gerechtfertigt, wenn sie im Einzelfall nachweisbar zur Amortisation von Investitionen in Kraftwerke oder Netze erforderlich sei43 . Im Folgenden sollen die Kriterien herausgearbeitet werden, anhand derer zu entscheiden ist, ob eine Bezugsbindung eine tatbestandliche Wettbewerbsbeschränkung i. S. v. Art. 81 Abs. 1 EG darstellt. Die Verfasser orientieren sich dabei an der Untersuchungsmethode der neuen Leitlinien der EG-Kommission für vertikale Beschränkungen und der über horizontale Zusarnmenarbeit44 . Zunächst ist zu klären, ob es sich um eine horizontale oder vertikale Vereinbarung handelt. Anschließend ist zu prüfen, ob und inwieweit die Handlungsfreiheit Dritter beeinträchtigt wird. Danach ist die Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung anhand der Marktstellung der Parteien und der Wettbewerber zu ermitteln. Schließlich ist zu untersuchen, ob trotz einer Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit Dritter eine tatbestandliche Wettbewerbsbeschränkung im Wege teleologischer Restriktion ausnahmsweise zu verneinen ist.

a) Horizontale und vertikale Vereinbarungen Anders als das deutsche Kartellrecht, das tatbestandlich zwischen horizontalen (§ 1 GWB) und vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen (§ 16 GWB) unterscheidet, ist Art. 81 Abs. 1 EG diese Unterscheidung fremd. Die Norm erfasst sowohl horizontale als auch vertikale Vereinbarungen. Gleichwohl ist auch bei der Prüfung des Art. 81 Abs. 1 EG zunächst zu klären, ob die Parteien in einem Wettbewerbsverhältnis oder auf unterschiedlichen Produktions- oder Vertriebsstufen stehen, um das Ausmaß der Beeinträchtigung des Wettbewerbs sachgerecht erfassen zu können45 • 41 EuG Slg. 1995, 11-1533, 1571 ff. - Langnese-Igl0. VgI. auch die Entscheidung EuGH WuW/E EU-R 381, 383 - Neste Markkinointi Oy/Yötuuli Ky, in der das Gericht feststellt hat, dass die von einem langfristigen Tankstellenvertrag bewirkte Marktabschottung nur dann mit Art. 81 Abs. 1 EG vereinbar ist, wenn er jederzeit mit einer kurzen Frist gekündigt werden kann. Im konkreten Fall wurde angesichts der Investitionen des Lieferanten eine Kündigungsfrist von einem Jahr als angemessen befunden. 42 Salje, ET 1999, 768, 770 Fn. 16; vgI. auch LG Frankfurt a.M. (Fn. 9) für einen Vertrag mit einem Sonderkunden. 43 Säcker, Ordnungsrahmen der leitungsgebundenen Energieversorgung, in Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft e. V., Tätigkeitsbericht 1992-1994, 1995, S. 33, 36; U. Scha/z, RdE 1998, 209, 211; Schulte-Beckhausen (Fn. 17), Art. 81 EGV Rn. 20; L. Ritter, FS Lieberknecht, 1997, S. 495, 504 ff. 44 Leitlinien für vertikale Beschränkungen, AbI. EG C 291 v. 13.10.2000, Ziff. 120-133; Leitlinien zur Anwendbarkeit von Art. 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, AbI. EG 2001 C 3, S. 2 v. 6.01.2001, Ziff. 139-150.

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B. Alleinbezugsverpflichtungen

Aktuelle oder zumindest potentielle Wettbewerber können EVU und Weiterverteiler zum einen auf der Nachfrageseite, zum anderen auf der Absatzseite sein. In ihrem Nachfrageverhalten sind die Parteien Wettbewerber, soweit das EVU Strom bzw. Gas nicht nur selbst erzeugt, sondern (auch) von Dritten bezieht46 . Teilweise wird dies allerdings mit der Begründung verneint, dass Lieferant und Weiterverteiler ihren Strombedarf auf unterschiedlichen Spannungsebenen deckten47 . Bereits aus diesem Grund potentiellen Wettbewerb zu verneinen, erscheint indes nicht überzeugend. Potentieller Wettbewerb setzt die Fähigkeit und Bereitschaft des Unternehmens zum Eintritt in den Wettbewerb voraus 48 . Technisch ist es ohne weiteres möglich, Umspannungen bzw. Druckänderungen vorzunehmen49 . Ob dies wirtschaftlich zweckmäßig und kaufmännisch vernünftig 50 ist, hängt vom Einzelfall ab. Auf der Absatzseite können EVU und Weiterverteiler aktuelle oder zumindest potentielle Wettbewerber gegenüber den Endverbrauchern sein, wenn das EVU Endverbraucher im Kundengebiet des Weiterverteilers beliefert bzw. beliefern kann oder der Weiterverteiler Abnehmer außerhalb seines bisherigen Gebiets versorgt51 . Allerdings ist es eine Frage des Einzelfalls, ob die Lieferung in das Kundengebiet des Weiterverteilers überhaupt im Interesse des EVU liegt52 .

b) Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit Dritter Die in längerfristigen Gesamtbedarfsdeckungsklauseln enthaltene ausschließliche Bezugsbindung hindert den gebundenen Abnehmer daran, 45 Vgl. RothlAckermann (Fn. 24), Rn. 240; siehe auch die Leitlinien über horizontale Zusammenarbeit (Fn. 44), deren Anwendbarkeit grundsätzlich die Bejahung eines Wettbewerbs verhältnisses zwischen den Parteien voraussetzt (Ziff. 11). 46 So werden etwa 80% des Erdgases aus dem Ausland beschafft. In diesem Fall können EVU und Weiterverteiler zudem Wettbewerber auf der Nachfrageseite des Marktes für Netzzugang sein, dazu (bejahend) Lukes, BB 1999, Beilage 8, S. 10. 47 Rottnauer, BB 1999, 2145, 2149; Lückenbach, RdE 2000, 101, 105. 48 BGH WuW/E 2050, 2051 - Bauvorhaben Schramberg. 49 Vgl. Büdenbender, ET 2000, 359, 370. 50 Zu diesen Kriterien allgemein Keul (Fn. 26), S. 164 ff., zusammenfassend auf S. 217 f. 51 Aktueller Wettbewerb liegt vor, wenn man annimmt, durch den Wegfall der horizontalen Demarkationen und der Möglichkeit, Kunden im Wege der Durchleitung zu versorgen, sei der räumlich relevante Markt nicht mehr auf das Versorgungsgebiet begrenzt, sondern auf das Bundesgebiet auszudehnen, dazu im Anschluss unten B. I. 1. c). Kritisch dazu Bunte (Fn. 12), Anhang zum 5. Abschnitt Rn. 46. 52 Generell verneinend Rottnauer, BB 1999, 2145, 2148. Ein etwaiges aus dem Liefervertrag folgendes ungeschriebenes Wettbewerbsverbot (siehe dazu unten D. I. 1.) hat bei der Frage, ob die Parteien Wettbewerber sind, außer Betracht zu bleiben.

I. Würdigung gemäß Art. 81 Abs. 1 EG

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seinen Bedarf von (günstigeren) Konkurrenten des Lieferanten zu beziehen und führt so zur Abschottung der Absatzgebiete gegenüber lieferbereiten Konkurrenten 53 . Legt man die im europäischen Kartellrecht praktizierte Unterscheidung zwischen Alleinbezugsverpflichtung (die nur den Drittbezug von Vertragswaren, nicht aber von Konkurrenzprodukten ausschließt) und Wettbewerbs verbot (das nur den Drittbezug von Konkurrenzprodukten, nicht aber von Vertragswaren untersagt) zugrunde, umfasst das Drittbezugsverbot in Energielieferverträgen angesichts der homogenen Güter Strom und Gas beide Arten der Wettbewerbsbeschränkung. Auch eine Öffnungsklausel, die dem Abnehmer erlaubt, Vertrags ware von günstigeren Wettbewerbern zu beziehen, hebt die wettbewerbsbeschränkende Wirkung der Gesamtbedarfsdeckungsklausel nicht auf, wenn der Lieferant sich das Recht zum Eintritt in das günstigere Angebot vorbehält (sog. "englische Klausel,,)54. Das Drittbezugsverbot kann den Abnehmer darüber hinaus selbst auf der Absatzseite beeinträchtigen und dadurch die Auswahlmöglichkeiten der Verbraucher beschränken55. Die vorstehend beschriebenen wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen einer Alleinbezugsbindung sind zwar umso geringer, je höher der Anteil der Eigenerzeugung des Abnehmers gemessen an dessen gesamten Bedarf ist. Trotz eines hohen Eigenerzeugungsanteil kann das - den übrigen Bedarf betreffende - Drittbezugsverbot aber zur Abschottung der Absatzmärkte beitragen; fraglich ist dann jedoch die Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung. Die Beeinträchtigung des Abnehmers bei seiner Angebotskalkulation und damit die Beeinträchtigung der Verbraucherauswahl wird durch ein Eigenerzeugungsverbot noch verstärkt. Folgt aus der Ausgestaltung des Liefervertrages ausnahmsweise ein Gebiets- bzw. Kundenschutz, da andernfalls die Durchführung des Vertrages gefährdet ist56, werden die Verbraucher ebenfalls in ihren Auswahlmöglichkeiten beeinträchtigt.

53 Vgl. EuGH Slg. 1994, 1-1477, 1518 Rn. 36 - Almelo; vgl. EuG Slg. 1995, 11-1533, 1571 Rn. 94 - Langnese-Iglo; LG Köln ZNER 2000, 132, 135. Ausgenommen vom Drittbezugsverbot sind die nach § 3 Abs. 1 EEG (früher § 2 StrEG) aufzunehmenden emeuerbaren Energien und der nach dem § 3 KWKG aufzunehmende Strom aus Kraft-Wänne-Kopplungsanlagen. Sofern die Verträge entsprechende Ausnahmen nicht sowieso ausdrücklich vorsehen, folgt dies aus ergänzender Vertragsauslegung. 54 Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 152; Köhler, WuW 1999,445,452 f. 55 Vgl. auch die Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 107, 114, 138, 172; ausführlich dazu unten B. 11. 2. 56 Siehe dazu unten D. I. 1.

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B. Alleinbezugsverpflichtungen

c) Spürbarkeit

Ausschließliche Bezugsbindungen in Energielieferverträgen können wegen ihrer Verbreitung im ganzen Bundesgebiet nach der sog. "Bündeltheorie" auch eine spürbare Verhinderung bzw. Beschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bewirken57 • Bei der Feststellung der kumulativen Wirkung vergleichbarer Verträge sind nicht nur Verträge des Lieferanten mit anderen Abnehmern, sondern auch die parallelen Vertragsnetze anderer Lieferanten zu berücksichtigen58 • Ist danach der Marktzutritt für potentielle Wettbewerber erschwert, ist die Marktabschottungswirkung zwar nicht sämtlichen, aber denjenigen Lieferanten zuzurechnen, die mit ihren Bezugsbindungen einen "erheblichen Beitrag" leisten59 . Dies hängt vor allem von dem Marktanteil des Lieferanten und der Dauer der Bezugsbindung ab. Die in der Bagatell-Bekanntmachung der Europäischen Kommission vorgesehenen Marktanteilsschwellen von 5 % bei horizontalen und 10% bei vertikalen Vereinbarungen gelten insofern nicht6o • Die Ermittlung des Marktanteils des Lieferanten erfordert die Bestimmung des sachlich und räumlich relevanten Marktes. Ausgangspunkt ist, dass die Märkte für Strom und Gas eigene sachliche Märkte bilden, da die spezifischen Eigenschaften der heiden Energieträger hinsichtlich Lieferung, Speicherung und Verbrauch nicht mit den entsprechenden Eigenschaften der fossilen Energieträger Erdöl/Kohle vergleichbar sind61 . Vor dem Hintergrund der geschlossenen Versorgungsgebiete wurden in sachlicher Hinsicht deshalb die Märkte der Erzeugung, der Weiterverteilung und die der Endkunden abgegrenzt62 . Der räumliche relevante Markt war durch das jewei57 VgI. LG Köln ZNER 2000, 132, 133 f.; bestätigt durch OLG Düsseldorf ZNER 2001, 255, 259; Köhler, WuW 1999, 445, 452; Lukes, EWS 1999, 441, 443 f.; Markert, EuZW 2000, 427, 430. 58 EuGH Slg. 1991, 1-935, 985 Rn. 19 ff. - Delimitis; 1994, 1-1477, 1519 Rn. 37 ff. - Almelo; EuG Slg. 1995, 11-1533, 1572 Rn. 99 ff. - Langnese-Iglo; WiedemannlKirchhojf (Fn. 12), § 9 Rn. 15; Lukes, EWS 1999, 441, 443; Markert, EuZW 2000, 427, 430; Bunte (Fn. 12), § 1 Rn. 156 f.; a.A. LG Rostock (Fn. 7), das sich insoweit zu Unrecht auf Bunte, a. a. 0., beruft, da dieser nur für das deutsche Kartellrecht anderer Meinung ist (Bunte, a.a.O., § 1 Rn. 157, Rn. 180, Rn. 192, siehe dazu unten Fn. 161); a.A. wohl auch WiedemannlWiedemann (Fn. 12), § 2 Rn. 4. 59 VgI. EuGH Slg. 1991, 1-935, 985 Rn. 19 ff. - Delimitis; EuG Slg. 1995, 11-1533, 1572 Rn. 99 - Langnese-Iglo; WiedemannlKirchhojf (Fn. 12), § 9 Rn. 16. 60 AbI. EG 1997 C 372/13 v. 9.12.1997, Ziff. 18. Anders wohl Lukes, EWS 1999,441,442 f., der aber dann vorschlägt, die Spürbarkeitsgrenze statt anhand der Marktanteile nach den Marktöffnungskriterien der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie zu bestimmen. 61 VgI. BGH NJW 1998, 2444, 2446 - Stadtwerke Garbsen; vgI. auch EuGH Slg. 1994,1-1477, 1518 ff. - Almelo; a.A. Giefers, ET 1999, 177, 178.

1. Würdigung gemäß Art. 81 Abs. 1 EG

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lige Versorgungsgebiet begrenzt63 . Nach Wegfall der horizontalen Demarkationen und der nunmehr eröffneten Möglichkeit, Kunden im Wege der Durchleitung zu versorgen, erscheint diese Abgrenzung nicht mehr zwingend. Da für die Marktabgrenzung aber allein die tatsächlichen Verhältnisse ausschlaggebend sind, ist ein bundesweiter Markt allerdings nicht schon mit der Schaffung eines Anspruchs auf Netzzugang gegeben. Entscheidend ist vielmehr, ob das praktizierte Durchleitungssystem auch tatsächlich zu funktionsfähigem Wettbewerb führt. Hier ist zwischen dem Strom- und dem Gasmarkt zu unterscheiden. Auf dem Gasmarkt existiert mangels eines normierten Durchleitungsanspruchs (§ 6 EnWG gilt bislang nur für Stromversorgungsnetze, auf Gasleitungen ist nur § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB anwendbar) bis auf die Angebote der über ein eigenes Leitungsnetz verfügenden Wingas GmbH kein effektiver bundesweiter Gas-zu-Gas-Wettbewerb. Gegenwärtig besteht ganz überwiegend noch die Marktabgrenzung anband des Versorgungsgebiets64 • Zwar wird § 6 EnWG bzw. ein neuer § 6a EnWG nach der Umsetzung der Erdgasbinnenmarkt-Richtlinie demnächst auch auf Gasleitungen anwendbar sein. Angesichts der Erfahrungen auf dem Stromsektor und der geringen Verfügbarkeit freier Gasmengen ist aber auf dem Gasmarkt wohl noch nicht damit zu rechnen, dass bereits ab diesem Zeitpunkt das Durchleitungssystem auch tatsächlich funktionsfähig sein wird. Zur Zeit stocken die Verhandlungen um eine operational handhabbare verbesserte Verbändeübereinkunft. Auf dem Strommarkt funktioniert die Durchleitung zu den Kleinkunden auch gegenwärtig noch immer nur sehr schleppend. Durchleitungspetenten wird die Durchleitung vor allem durch die Verweigerung von standardisierten Lastprofilen für Kleinkunden und durch die Berechnung hoher Durchleitungsentgelte erschwert65 . Vielfach wird die Bearbeitung von Durchleitungsanträgen mit dem Hinweis auf technische Schwierigkeiten verzögert66 . Von Endkunden werden Wechselgebühren erhoben, deren kartellrechtliche 62 Eine weitere Aufteilung nach Spannungsebenen (Nieder-, Mittel- und Hochspannung) ist vereinzelt früher schon und jüngst wieder von Böwing/Rosin, ET 2000,249,251, gefordert worden, hat aber zu Recht keine Zustimmung gefunden. 63 BGH WuW /E DE-R 24, 27 - Stromversorgung Aggertal. 64 LG Köln ZNER 2000, 132, 135; Markert, EuZW 2000, 427, 432; a.A. wohl Büdenbender, ET 2000, 359, 373 f. 65 Markert, ET 2000, 355 f.; vgl. auch BKartA, Entscheidung v. 3.07.2000 RWE/VEW, Rn. 78 ff., http://bundeskartellamt.de/fusion.htm; EG-Kommission, Entscheidung v. 13.06.2000, Sache Nr.: COMP/M. 1673 - VEBAIVIAG, Rn. 42, http://europa.eu.int./commlcompetition/mergers/cases/decisions/m 1673_de.pdf.; siehe auch den Bericht der Arbeitsgruppe Netznutzung Strom der Kartellbehörden des Bundes und der Länder v. 19.04.2001, http://bundeskartellamt.de/Abschlussbericht.pdf; Pi/tz, WuW 2001, 552 ff.

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B. Alleinbezugsverpflichtungen

Zulässigkeit streitig ist67 . Die im Hinblick auf § 6 EnWG bedenkliche Regelung der Elektrizitäts-Verbändevereinbarung 11, wonach der wechselwillige Kunde neben dem Stromliefervertrag mit dem neuen Versorger einen separaten Netzanschluss- und einen Netznutzungsvertrag mit dem Netzbetreiber abschließen muss, erweist sich als weitere Hemmschwelle für einen Lieferantenwechsel68 . Gleichwohl ist der Durchleitungswettbewerb durch die Verbändevereinbarung 11 belebt worden, weshalb bei der Bestimmung des räumlich relevanten Strommarktes mittlerweile wohl schon von einem bundesweiten Markt ausgegangen werden kann 69 . d) Schirm-GFVO als Maßstab für Art. 81 Abs. 1 EG Rückschlüsse für den Maßstab, anhand dessen die zulässige Laufzeit von Alleinbezugsbindungen im Hinblick auf Art. 81 Abs. 1 EG zu beurteilen ist, können sich heute aus der neuen Schirm-GFVO ergeben. Jedenfalls im Hinblick auf die Laufzeit muss die Schwelle für die Bejahung des Tatbestands des Art. 81 Abs. 1 EG bei teleologischer Betrachtung niedriger sein als für die Freistellung gemäß Art. 81 Abs. 3 EG70 . Zwar gilt die Schirm66 Siehe dazu Fischer-ZeminIEnde, ZUR 1999, 205 ff.; P. Becker, ZNER 2000, 114 ff.; TheobaldlZenke, WuW 2001, 19 ff. 67 Die Bayrische Landeskartellbehörde hat Wechselgebühren in einer Missbrauchsverfügung v. 10.11.2000 nach § 20 Abs. 1 GWB untersagt (noch nicht veröffentlicht); i. Erg. ebenso LG Hamburg RdE 2001, 31, 33 f.; a.A. LG Hamburg RdE 2001, 157, 158 f.; Gründel, RdE 2001, 129 ff. 68 Zum Netzanschluss- und Netznutzungsvertrag siehe OLG Schleswig ZNER 2001, 55 f.; LG Leipzig ZNER 2001, 57 ff.; Theobaldlde WyllDeschler, ZNER 2001,24 ff. 69 So Büdenbender, ET 2000, 359, 373, mit dem Hinweis auf einen unveröffentlichten Auflagenbeschluss des KG v. 5.05.1999 - Az. Kart. 11196 anlässlich des Zusammenschlussvorhabens VEBA/Stadtwerke Bremen; ebenso wohl U. Schotz, RdE 1998, 209, 212. Anders - zum damaligen Zeitpunkt - noch Lukes, BB 1999, Beilage 8, S. 13; Markert, ET 2000, 355 f.; ders., EuZW 2000, 427, 432. Vgl. auch die Entscheidung der EG-Kommission, WuW/E EV 2139, 2141 f. - VIAG/Bayernwerk. Für einen westdeutschen Markt BöwinglRosin, ET 2000, 249, 251, solange die Durchleitung in den neuen Bundesländern noch problematisch ist. Die Gerichte legen die Braunkohleklausel (Art. 4 § 3 des Neuregelungsgesetz) eng aus, siehe LG Potsdam ZNER 2000, 139 ff.; LG Berlin ZNER 2000, 142 ff. 70 Vgl. BöwinglRosin, ET 2000, 249, 253; Markert, EuZW 2000, 427, 429 f.; SchwintowskilKlaue, BB 2000, 1901, 1904 f.; vgl. auch OLG Düsseldorf ZNER 2001,255,259. A.A. J. F. Baur, RdE 2001,81,86, der meint, der Schirm-GFVO könnten keine entsprechenden Anhaltspunkte entnommen werden. Die von ihm zur Begründung genannten Urteile EuG Sig. 1992,11-1931, 1970 Rn. 98, und EuGH Slg. 1966, 457, 483, tragen die Schlussfolgerung in dieser Absolutheit aber nicht. In ihnen heißt es lediglich, dass Vereinbarungen, die zwar zu der von der GFVO beschriebenen Gruppe gehören, aber nicht nach Art. 81 Abs. 3 EG freigestellt sind, nicht notwendigerweise vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG erfasst würden. Zutref-

I. Würdigung gemäß Art. 81 Abs. 1 EG

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GFVO nach Art. 2 Abs. 1 nur für vertikale Vereinbarungen, setzt also voraus, dass die Parteien auf unterschiedlichen Ebenen der Produktionsoder Vertriebskette tätig sind. Ist dies der Fall, so kann die Schirm-GFVO aber (unter gewissen weiteren Voraussetzungen) auch dann Anwendung finden, wenn die Parteien auf einer Marktstufe auch Wettbewerber sind (Art. 2 Abs. 4 Schirm-GFVO). Es ist dann zwar zunächst anband der Leitlinien über horizontale Zusammenarbeit zu prüfen, ob die Vereinbarung gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstößt 71 . Daneben sind aber auch die Leitlinien für vertikale Vereinbarungen zu beachten72 . Auch bei der Beurteilung einer horizontal wirkenden Alleinbezugsbindung lässt die Schirm-GFVO also Rückschlüsse für deren Tatbestandsmäßigkeit i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG zu. aa) Überblick Die ab Juni 2000 anwendbare neue Schirm-GFVO löst die bisherigen Gruppenfreistellungsverordnungen für Alleinvertriebs-, Alleinbezugs- und Franchisevereinbarungen73 ab. Anders als die genannten Gruppenfreistellungsverordnungen gilt die Schirm-GFVO nicht mehr nur für einzelne Sektoren oder Branchen, sondern erfasst nach Art. 2 Abs. 1 Schirm-GFVO grundsätzlich alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, von denen jedes zwecks Durchführung der Vereinbarung auf einer unterschiedlichen Produktions- oder Vertriebsstufe tätig ist (vertikale Vereinbarungen). Voraussetzung für die Freistellung ist gemäß Art. 3 Abs. I Schirm-GFVO, dass der Marktanteil des Lieferanten 30% nicht überschreitet. Nach Art. 5 lit. a) SchirmGFVO gilt die Freistellung außerdem nicht für Wettbewerbsverbote, die für eine Dauer von mehr als fünf Jahren vereinbart werden. Als Wettbewerbsverbote gelten gemäß Art. 1 lit. b) Schirm-GFVO u. a. die Verpflichtung des Käufers, selbst keine Waren oder Dienstleistungen herzustellen, die mit den Vertragswaren oder -dienstleistungen in Wettbewerb stehen, oder solche zu beziehen sowie die Verpflichtung des Käufers, mehr als 80% seiner gefend ist, dass in diesen Fällen ein Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EG nicht impliziert ist, da (selbstverständlich) auch die Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung zu prüfen ist, vgI. Ackermann, EuZW 1999, 741, 745. Eine ganz andere Frage ist aber, ob sich den Wertungen der Schirm-GFVO Anhaltspunkte für die Beurteilung der zulässigen Laufzeit von Gesamtbedarfsdeckungsklauseln entnehmen lassen. 71 Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 26; Leitlinien über horizontale Zusammenarbeit (Fn. 44), Ziff. 11, 140. Für die Beurteilung von Bezugsbindungen enthalten die letztgenannten Leitlinien wenig konkrete Aussagen (Ziff. 139 ff.). Bei einem gemeinsamen Marktanteil von weniger als 15% ist allerdings eine Wettbewerbsbeschränkung unwahrscheinlich (Ziff. 149). 72 Siehe Fn. 71 und unten B. I. 3. a). 73 Verordnung (EWG) 1983/83, AbI. EG 1983 L 173, S. 1; Verordnung (EWG) 1984/83, AbI. EG 1983 L 173, S. 5; Verordnung (EWG) 4087/88, AbI. EG 1988 L 359, S. 46.

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B. Alleinbezugsverpflichtungen

samten Einkäufe von Vertragswaren sowie ihrer Substitute auf dem relevanten Markt vom Lieferanten zu beziehen74. Der erste Fall erfasst das Eigenerzeugungsverbot. Der zweite Fall entspricht in der europarechtlichen Terminologie, die zwischen Wettbewerbs verbot (das nur den Drittbezug von Konkurrenzprodukten, nicht aber von Vertragswaren untersagt) und Alleinbezugsverpflichtung (die nur den Drittbezug von Vertragswaren, nicht aber von Konkurrenzprodukten ausschließt) unterscheidet, dem Wettbewerbsverbot75 . Der dritte Fall stellt sich als Kombination von nicht ausschließlichem Wettbewerbs verbot und Bezugsbindung dar, mit der Besonderheit, dass bereits eine Bindung von mehr als 80% des Gesamtbedarfs ausreicht. Demgegenüber ist die reine Alleinbezugsverpflichtung nicht erfasst, also nach Art. 2 Abs. 1, Unterabsatz 1 Schirm-GFVO zeitlich unbefristet freigestellt76 • Das in der Gesamtbedarfsdeckungsklausel enthaltene Drittbezugsverbot in Energielieferverträgen umfasst angesichts der homogenen Güter Strom und Gas beide Arten der Wettbewerbsbeschränkung. Unter den genannten Voraussetzungen sind sowohl Alleinbezugsverpflichtungen als auch Eigenerzeugungsverbote in Energielieferverträgen für eine Dauer von bis zu fünf Jahren nach Art. 81 Abs. 3 EG freigestellt, wenn die neue Schirm-GFVO auch auf Energielieferverträge Anwendung findet. bb) Grundsätzliche Anwendbarkeit der Schirm-GFVO auf Energielieferverträge Nach ihrem Wortlaut fallen auch Energielieferverträge in den Anwendungsbereich der neuen Schirm-GFVO, da diese grundsätzlich alle vertikalen Vereinbarungen erfasst. Allerdings unterscheiden sich Energielieferverträge von anderen Lieferverträgen dadurch, dass es sich bei Strom und Gas 74 Aus Wortlaut und Systematik der Art. 1 lit. b) und 5 lit. a) Schirm-GFVO sowie den Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44, Ziff. 58) ergibt sich, dass die Freistellung unter den genannten Voraussetzungen - entgegen anders lautender Stimmen - Bezugsbindungen nicht nur mit einem Bedarfsdeckungsanteil von bis zu 80%, sondern bis zu 100% erfasst. Handelt es sich beim Abnehmer um ein Unternehmen eines Konzerns oder um einen Betrieb eines Unternehmens, ist fraglich, ob für die Feststellung des Bedarfsdeckungsanteils von mehr als 80% der Konzern insgesamt, das Unternehmen oder der jeweilige Betrieb, der die Energie tatsächlich abnimmt, entscheidend ist. Um Sinn und Zweck der Norm nicht auszuhöhlen, sollte man auf den Betrieb, für den der Vertrag abgeschlossen ist, abstellen und zwar unabhängig davon, wer formell Vertragspartner ist. 75 Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 106, 119/4, 138 ff. (insoweit ist auch von Markenzwang die Rede). 76 Veelken in Immenga/Mestmäcker, EG-WbR, Erg-Bd, 2. Lfg. 2001, V. GFVO Rn. 260 und 73.

1. Würdigung gemäß Art. 81 Abs. 1 EG

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(noch) um homogene Massengüter handelt, die sich in der Qualität nicht und im Produktimage (noch) wenig unterscheiden77 • Einige Autoren meinen, die Schirrn-GVFO sei vorrangig mit Blick auf. die spezielle Interessenlage beim Vertrieb von Markenwaren konzipiert und gelte deshalb nicht für Energielieferverträge78. Während die früheren Gruppenfreistellungsverordnungen in den Erwägungsgründen deutlich machten, dass sie ausschließlich den Vertrieb von Markenartikeln konkurrierender Hersteller im Auge haben, lassen sich solche Erwägungen der neuen Schirrn-GFVO aber nicht entnehmen. Zwar ist in den Leitlinien bei den positiven Effekten vertikaler Vereinbarungen vor allem die Rede von markenartikelspezifischen Gesichtspunkten (etwa von der Ausschaltung des "Trittbrettfahrer-Problems", der Etablierung einer neuen Marke oder der Schaffung eines Qualitätsstandardsf9 . Der Schluss, die Schirrn-GFVO gälte nur für den Vertrieb von Markenartikeln, überzeugt gleichwohl nicht8o. Anders als die früheren Gruppenfreistellungsverordnungen gilt diese nämlich nicht mehr nur für Waren, sondern auch für Dienstleistungen; in diesem Bereich spielt der Markenvertrieb aber seit jeher eine geringere Rolle als beim Warenverkauf!l. Im Übrigen ist auch auf dem Stromsektor die Herausbildung heterogener Produkte, etwa des nicht durch Atomenergie erzeugten "grünen Stroms"82 und der Versuch der Markenetablierung (z. B.: "Yello", "Avanza", "Duo-Plus", "E.ON") zu beobachten 83 . Zwar ist der Verbraucher gegenwärtig in erster Linie an den Produkten Strom und Gas als solchen interessiert. Auch verkaufen die weiterverteilenden Stadtwerke nicht in fremden Interesse, sondern im eigenen Namen und auf eigene Rechnung weiter. Angesichts der Marktentwicklung ist es aber wahrscheinlich, dass die EVU schon bald Interesse am Aufbau spezieller (Allein-) Vertriebssysteme mit Kundenberatungs- und sonstigen Serviceleistungen zeigen werden84 . 77 Vgl. Köhler, WuW 1999, 445, 446; Rottnauer, BB 1999, 2145, 2149; Kühne, FS Sandrock, 2000, S. 537, 555. 78 So wohl Lukes, EWS 1999, 441, 445; vgl. auch Ebel, WuW 1998, 448, 455, der aus diesem Grund generell keine Rechtfertigungsgründe für Gesamtbedarfsdeckungsklauseln anerkennen möchte. 79 Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 116. 80 Aus den Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44) ergibt sich das Gegenteil, Ziff. 119/5. 81 Vgl. Büdenbender, ET 2000, 359, 379. 82 Vgl. Köhler, WuW 1999,445,446 Fn. 5. 83 Rottnauer, BB 1999, 2145, 2149; Schulte-Beckhausen (Fn. 17), Art. 81 EGV Rn. 34 u. 37. 84 Rottnauer, BB 1999, 2145, 2149; Schulte-Beckhausen (Fn. 17), Art. 81 EGV Rn. 37; Kühne, FS Sandrock, 2000, S. 537, 552 f.; vgl. auch Köhler, WuW 1999, 445,446 f.; Lückenbach, RdE 2000, 101, 106.

B. Alleinbezugsverpflichtungen

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Fehl geht schließlich auch der Einwand, durch die Freistellung von Gesamtbedarfsdeckungsklauseln im Rahmen des Art. 5 Schirrn-GFVO werde die durch die Liberalisierung der Energiewirtschaft gerade angestrebte Marktöffnung verhindert85 . Durch die Aufhebung der §§ 103, 103a GWB a. F. soll das allgemeine Kartellrecht zur Rahmenordnung auch für die Energiewirtschaft werden und diese mit allen übrigen Wirtschaftsbereichen gleichstellen. Wettbewerb in der Energiebranche setzt zum einen die Möglichkeit des freien Leitungsbaus voraus, weshalb der bisherige Schutz der geschlossenen Versorgungsgebiete beseitigt worden ist. Da zusätzlich die Möglichkeit zur Durchleitung erforderlich ist, sind Durchleitungsansprüche geschaffen worden (§ 6 EnWG, § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB)86. Es besteht deshalb kein Grund, Gesamtbedarfsdeckungsklauseln in Energielieferverträgen einer im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbranchen strengeren kartellrechtlichen Kontrolle zu unterwerfen87 . Wäre dies gewollt, so hätte ein Hinweis der EG-Kommission über die Nichtanwendbarkeit der Schirrn-GFVO auf den Energiesektor - zumindest in den Leitlinien - nahegelegen. Die SchirrnGFVO findet also auf Energielieferverträge grundsätzlich Anwendung 88 . cc) Rückschlüsse aus der Schirrn-GFVO Die in der Schirrn-GFVO genannten Kriterien (Marktanteil des Lieferanten, Umfang der Bezugsbindung im Verhältnis zum Bedarf und Laufzeit) lassen Rückschlüsse auf die Beantwortung der Frage zu, unter welchen Voraussetzungen eine Bezugsbindung - vorbehaltlich einer genauen Würdigung der besonderen Umstände jedes Einzelfalls unter Berücksichtigung etwaiger wettbewerblicher Vorteile (dazu im Anschluss e) - eine Wettbewerbsbeschränkung darstellen kann. Ist der Lieferant marktbeherrschend, so stellt die Alleinbezugsbindung stets eine tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkung dar. Liegt der Marktanteil des Lieferanten über 30%, aber unterhalb der Marktbeherrschung, kann bereits eine einjährige Bezugsbindung, die mehr als 80% des Bedarfs des Abnehmers deckt, tatbestandsmäßig sein 89 . Bezugsbindungen So aber Lukes, EWS 1999,441,445. Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts (Fn. 2), S. 9 f., 23, 30; Böwing/Rosin, ET 2000, 405, 410. 87 Vgl. auch Kühne, FS Sandrock, 2000, S. 537, 556; U. Scho/z, RdE 1998, 209, 216 ff. 88 Böwing/Rosin, ET 2000, 249, 253; Büdenbender, ET 2000, 359, 379; Markert, EuZW 2000, 427, 429 f.; J. F. Baur, FS Sandrock, 2000, S. 35, 47; Klaue, BB 2000, Beilage 6, S. 20, 22 ff.; Raabe, ET 2000, 770, 775; Veelken in Immengal Mestmäcker, EG-WbR, Erg-Bd, 2. Lfg. 2001, V. GFVO Rn. 62; tendenziell auch Schulte-Beckhausen (Fn. 17), Art. 81 EGV Rn. 37. 89 Vgl. Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 141. 85

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I. Würdigung gemäß Art. 81 Abs. 1 EG

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unterhalb der 80 %-Schwelle sind auch von Lieferanten mit einem Marktanteil von über 30% mit einer längeren Laufzeit zulässig, wobei man sich als grobe Leitlinie an der Fünf-Jahres-Grenze orientieren kann. Beträgt der Marktanteil des Lieferanten hingegen nicht mehr 30%, so sind Bezugsbindungen, die über 80% des Bedarfs decken, erst ab einer Laufzeit von etwa drei bis vier Jahren bedenklich. Da Bezugsbindungen erst ab einem Bedarfsdeckungsanteil von über 80% als Wettbewerbsverbot definiert werden, scheint die EG-Komrnission Bezugsbindungen unterhalb dieser Schwelle nicht als tatbestandsmäßig i. S. d. Art. 81 Abs. 1 EG anzusehen9o, sofern der Marktanteil des Lieferanten 30% nicht überschreitet. e) Funktionsnotwendigkeit der Alleinbezugsbindung bzw. wettbewerbliehe Vorteile des Liefervertrages

Lässt die Schirm-GFVO im konkreten Fall zunächst einen Rückschluss auf eine tatbestandliche Wettbewerbsbeschränkung zu (insbesondere wegen einer übermäßig langen Laufzeit des Liefervertrages), so fragt sich, ob diese gleichwohl aus anderen Gründen zu verneinen ist. Bei ausschließlichen Bezugsbindungen kommen vor allem zwei Fallgruppen in Betracht. Zunächst kann die Alleinbezugsverpflichtung funktionsnotwendig für die Durchführung eines im Übrigen kartellrechtlich zu billigenden (wettbewerblich neutralen) Austauschvertrages sein. Erweist sich das Drittbezugsverbot zwar nicht als funktionsnotwendig, ist aber der Liefervertrag so ausgestaltet, dass er (insgesamt) wettbewerbsfördernd wirkt, ist zu prüfen, ob diese wettbewerblichen Vorteile die isoliert betrachtet wettbewerbshemmenden Wirkungen der Alleinbezugsbindung überwiegen91 . Ausschließliche Bezugs bindungen können im Rahmen von Vertriebsvereinbarungen vorteilhaft Raabe, ET 2000, 770, 775. Fälle der ersten Gruppe, bei denen die Zulässigkeit bestimmter Wettbewerbsbeschränkungen allgemein anerkannt ist, sind "echte" Handelsvertreter- und Unternehmensveräußerungsverträge (Stichwort: "Immanenzgedanke"), Emmerich in Immenga/Mestmäcker, EG-WbR I, 1997, S. 190 ff. Hingegen sind Zulässigkeit und Reichweite einer einzelfallbezogenen Interessenbewertung bereits im Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG angesichts des Freistellungstatbestands (Art. 81 Abs. 3 EG) umstritten (Stichworte: "nicht schutzwürdiger Wettbewerb", "bilan econornique", "europäische rule of reason"). EG-Komrnission und EuGH sind jedenfalls grundsätzlich bereit, die wettbewerblichen Vorteile einer Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit bereits im Tatbestand zu berücksichtigen, dazu RothiAckermann (Fn. 24), Rn. 254 ff. m.w.N.; a.A. EuG WuW/E Eu-R 469, 472; ablehnend auch Emmerich, a.a.O., S. 163 f., 190. Die Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44) lassen eine restriktive Haltung erkennen (vgl. Ziff. 5, 134-136). Nach den Leitlinien über horizontale Zusammenarbeit (Fn. 44) kann jedenfalls der "Arbeitsgemeinschaftsgedanke" zur Vemeinung einer tatbestandlichen Wettbewerbsbeschränkung führen (Ziff. 147). 90 91

3 Säcker/Jaecks

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B. Alleinbezugsverpflichtungen

sowohl für den Lieferanten (Absatzgarantie, Effizienz der Vertriebsorganisation) als auch für den Wiederverkäufer (günstigere Bezugsbedingungen, Sicherung von Qualität und Kundendienst) sein92 • Die sich daraus ergebenden wettbewerblichen Vorteile können auch dann überwiegen, wenn sich die wettbewerblichen Nachteile des Drittbezugsverbots durch ein ausnahmsweise damit einhergehendes Wettbewerbsverbot des Lieferanten oder Abnehmers, Kunden des anderen nicht abzuwerben oder zu beliefern, verstärken93 . Zu beachten ist allerdings, dass die meisten dieser Gesichtspunkte in der pauschalierenden Bewertung der wettbewerblichen Vor- und Nachteile der Schirm-GFVO Eingang gefunden haben; dies ergibt sich aus den Leitlinien für vertikale Beschränkungen. Vertikale Vereinbarungen, die nicht die Kriterien für die Freistellung nach der Schirm-GFVO erfüllen, gelten gleichwohl keineswegs automatisch als rechtswidrig; die Schirm-GFVO stellt also keine abschließende Regelung dar94 . Nicht zu folgen ist der Auffassung, spezifische energie wirtschaftliche Aspekte (fehlende Fixierbarkeit konkreter energiewirtschaftlicher Größen) erforderten die Verwendung von Alleinbezugsverpflichtungen. Teilweise wird gesagt, die ausschließliche Bezugsbindung stelle das Pendant zur ständigen Lieferbereitschaft dar95 . Weshalb längerfristige Drittbezugsverbote pauschal mit der bloßen Bereitschaft, die Hauptleistungspflicht aus einem Vertrag zu erfüllen, notwendig sein sollen, um den Vertragsschluss zu ermöglichen, leuchtet nicht ein96 . Auch im Hinblick auf die Wertungen, die sich aus der Schirm-GVFO ergeben, ist die Erforderlichkeit der Klausel nicht plausibel. Grundsätzlich gilt, dass es das ureigenste Interesse eines EVU ist, lieferbereit zu sein, da es sich andernfalls wegen Nichterfüllung schadensersatzpflichtig macht97 . Anerkannt ist, dass Absatzmittler den Wettbewerb fördern können. Dies trifft vor allem auf Vertragshändler zu, die zum Alleinvertrieb berechtigt sind, ist aber auch bei einem einfachen Eigenhändler nicht ausgeschlossen. Entscheidend ist, ob der Absatzmittler die Marktchancen des Herstellers zu92 EuGH Slg. 1991, 1-935, 983 Rn. 11 f. - Delimitis; Sauter in Immenga/Mestmäcker, EG-WbR I, 1997, S. 370; RothiAckermann (Fn. 24), Rn. 246. 93 Siehe dazu unten D. I. 1. 94 Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 62, 116. 95 Vgl. zum deutschen Recht BGH WuW/E 1458, 1459 f. - Fertigbeton; 3115, 3118 - Druckgussteile; LG Frankfurt a.M. (Fn. 9); Rottnauer, BB 1999, 2145, 2149. Auch in BGH WuW/E 3121, 3125 - Bedside-Testkarten, findet sich diese Begründung, allerdings stützt sich das Gericht dann auf einen anderen Gesichtspunkt, siehe dazu sogleich im Text. 96 Ebel, WuW 1998, 448, 454; Köhler, WuW 1999, 445, 453; ebenso Lückenbach, RdE 2000, 101, 106. 97 Es sei denn, etwaige Schadenersatzansprüche sind in den Lieferverträgen ausgeschlossen oder modifiziert.

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mindest in einem Teil des gemeinsamen Marktes fördert und dadurch den Marktzutritt für seine Produkte verbessert. Das Wettbewerbsverbot verpflichtet den Händler, keine Produkte zu führen, die mit denen des Lieferanten im Wettbewerb stehen. Dadurch wird gewährleistet, dass der Händler bei der Vertrags ware seine Bemühungen auf die Erzeugnisse des Herstellers konzentriert. Dies kann zu einer Steigerung der Marktchancen des Herstellers führen 98 . Bei Strom und Gas handelt es sich jedoch - jedenfalls gegenwärtig - noch um homogene Massengüter und nicht um Markenware. Die Altverträge sind nicht als spezifische Vertriebssysteme mit besonderen Absatzförderpflichten ausgestaltet; die Weiterverteiler haben keine besonderen Bemühungen zum Aufbau und zur Betreuung eines Kundenstammes unternommen. Alleinbezugsbindungen in längerfristigen Altverträgen können insofern nicht anerkannt werden 99 . Aber auch wenn Neuverträge als spezielles Vertriebssystem ausgestaltet sind und der Absatzmittler besondere Verkaufsbemühungen unternimmt, vennag dies nicht zu ändern, dass die übennäßig lange ausschließliche Bezugsbindung gegen Art. 81 Abs. 1 EG verstößt. Bei der generalisierenden Abwägung der wettbewerblichen Vorund Nachteile, die der Schinn-GFVO zugrunde liegt und zur pauschalen Freistellung von Wettbewerbsverboten für die Dauer von bis zu fünf Jahren geführt hat, ist dieser Fall berücksichtigt worden 1OO • Es kommt also nur eine Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG, nicht aber schon die Verneinung einer tatbestandsmäßigen Wettbewerbsbeschränkung in Betracht. Aus dem gleichem Grund können auch die nonnalen Vorhaltekosten nicht zur Anerkennung einer ausschließlichen Bezugsbindung dienen. Problematisch ist, ob im Rahmen des Art. 81 Abs. 1 EG eine tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkung zu verneinen ist, wenn der Lieferant besonders umfangreiche Investitionen im Interesse des konkreten Weiterverteilers tätigt (Erschließung von Gasquellen, Bau neuer Kraftwerke oder Transportleitungen). Sind diese Investitionen Voraussetzung für den Markteintritt und damit für die Förderung des Wettbewerbs, muss der Lieferant diese Kosten auch wieder erwirtschaften können (Amortisationsinteresse), was durch eine Bezugsbindung gewährleistet werden kann 101. Im Schriftturn sind insoweit im Einzelfall Alleinbezugsbindungen mit Laufzeiten bis 98 Vgl. EuGH Slg. 1966, 281, 304; Fritzsche, ZHR 160 (1996), 31, 46; vgl. auch Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 171, 174. Zur entsprechenden Frage im Rahmen von § 1 GWB vgl. BGH WuW/E 3121, 3125 f. - BedsideTestkarten; Ebel, WuW 1998, 448, 454; Bunte (Fn. 12), Anhang zum 5. Abschnitt Rn. 46. 99 Ebel, WuW 1998, 448, 454; Köhler, WuW 1999, 445, 453; vgl. Markert, EuZW 2000, 427, 431. lOO Vgl. Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 141, 158, 172. lOl Vgl. Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 116/4, 119/9, 155; vgl. auch Köhler, WuW 1999,445,452 ff. 3*

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zu 15 Jahren als zulässig erachtet worden 102. Weder die Kommissionspraxis noch die europäische Rechtsprechung lassen bislang aber den Schluss zu, dass das Amortisationsinteresse des Lieferanten im Einzelfall zur Verneinung einer tatbestandlichen Wettbewerbsbeschränkung führen kann 103. Dass die frühere GFVO über Alleinbezugsvereinbarungen bei Bierlieferungs- und Tankstellenverträgen die Gegenleistung des Lieferanten als Voraussetzung für die Freistellung angesehen hat (Art. 6, 10)104, spricht dafür, auch bei Energielieferverträgen das Amortisationsinteresse des Liefer-EVU nur im Rahmen einer Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG zu würdigen (speziell zu "take-or-pay"-Klauseln vgl. auch Art. 23 der EG-Gasrichtlinie). Hat sich der Lieferant seinerseits - vor allem auf dem Gassektor - gegenüber dem Produzenten durch langfristige Abnahmegarantien ("take-orpay"-Klausel) gebunden bzw. binden müssen und reicht er diese weiter, kann dies im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen ebenfalls nicht mit der ständigen Lieferbereitschaft gerechtfertigt werden, wenn der Abnehmer dadurch seinen Bedarf zu mehr als 80% bei dem Lieferanten decktlOs. Auch hier kommt nur eine Freistellung in Betracht. 2. Zwischenstaatlichkeitsklausel

Einigkeit besteht heute darüber, dass auch Bezugsbindungen zwischen deutschen EVU geeignet sein können, den zwischenstaatlichen Handel spürbar zu beeinträchtigen 106. Streitig ist hingegen, seit welchem Zeitpunkt Art. 81 EG anwendbar ist. Die Annahme einer "gewissen Wahrscheinlichkeit" für die Beeinträchtigung eines grenzüberschreitenden Handels scheidet dann aus, wenn schon die tatsächliche Möglichkeit zu zwischenstaatlichem Austausch überhaupt nicht besteht. Während die Möglichkeit des grenzüberschreitenden Handels in grenznahen Versorgungsgebieten schon vor der Liberalisierung bejaht werden konnte 107 , ist dies für das übrige BundesgeSiehe die Nachw. in Fn. 43; vgl. auch LG Köln ZNER 2000, 132, 135. In dem Fall EuGH Slg. 1986, I-374, 384 Rn. 24 - Pronuptia, hat das Gericht eine Kundenschutzzusage im Hinblick auf das Amortisationsinteresse des Händlers nur als freistellungsfähig angesehen. Auch die Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 11919, 141, 155, scheinen nur von einer Freistellungsfähigkeit auszugehen. 104 Fundstellennachw. in Fn. 72. 105 Vgl. dazu auch OLG Düsseldorf ZNER 2001, 255, 256 und 258; anders aber wohl Köhler, WuW 1999, 445, 452, 453 Fn. 32; J. F. Baur, FS Sandrock, 2000, S. 35, 40 f.; vgl. auch Raabe, ET 2000, 770, 773 f. 106 LG Köln ZNER 2000, 132, 133; Schulte-Beckhausen (Fn. 17), Art. 81 EGV Rn. 12. 107 BKartA WuW/E 2778, 2785 f. - Ruhrgas-Thyssengas III; 2859, 2866 f. Stadt Nordhom; J. F. Baur, RdE 1992,41,46. 102 103

I. Würdigung gemäß Art. 81 Abs. 1 EG

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biet im Hinblick auf die durch die §§ 103, 103a GWB a.F. legitimierten Konzessions- und Demarkationsverträge sowie dem Fehlen von Durchleitungsansprüchen von der herrschenden Lehre abgelehnt worden 108. Der Europäische Gerichtshof stellt jedoch nur geringe Anforderungen an die Bejahung der Zwischenstaatlichkeitsklausel. Die Möglichkeit des zwischenstaatlichen Handels hat er nur in einem Fall verneint, in dem durch staatliche Regelungen (v. a. Einfuhrabgabe und Festsetzung eines nationalen Höchstpreises) der nationale Markt vollkommen abgeschottet war 109 . Selbst bei rechtlichen oder technischen Importhindernissen, die einen Import weitgehend ausschließen, hat der Europäische Gerichtshof die Möglichkeit des grenzüberschreitenden Handels angenommen l1 o. Im Übrigen ist zu bedenken, dass sich die EVU durch die Verweigerung der Durchleitung durch ihr Netz u. U. selbst nicht wettbewerbskonform verhalten haben (Art. 82 EGli I ) und dieses Verhalten nicht durch die Nichtanwendbarkeit des Art. 81 Abs. 1 EG belohnt werden darf. Es ist daher wenig überzeugend, die Anwendbarkeit des Art. 81 Abs. 1 EG für den Zeitraum vor der Liberalisierung per se an der Zwischenstaatlichkeitsklausel scheitern zu lassen. Jedenfalls aber seit der Schaffung des rechtlichen Rahmens zur wettbewerblichen Öffnung der Energiemärkte sind die Voraussetzungen der Zwischenstaatlichkeitsklausel erfüllt. Bereits mit der Verabschiedung der Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt Ende 1996 (und nicht erst seit dem Inkrafttreten des Energiewirtschaftsgesetzes und der Abschaffung der §§ 103, 103a GWB a. F. Ende April 1998 112) ist ein europäischer Wettbewerbsmarkt auf sämtlichen Handelsstufen im Entstehen begriffen, der nicht auf einzelne Mitgliedsstaaten begrenzt ist. Seit Anfang 1997 besteht nicht nur die Möglichkeit zu grenzüberschreitendem Handel, sondern ist dieser auch im gesamten Bundesgebiet hinreichend wahrscheinlich l13 • Unerheb108 Lukes, DB 1987, 1925, 1929 (für Demarkationsabreden); J. F. Baur, RdE 1992, 41, 46 f. m. w.N.; a.A. freilich schon Markert, RdE 1993, 134, 135; ders., ZNER 2001,260,262. 109 EuGH Slg. 1975, 1663, 1944 Rn. 36 ff. - Zucker; Rehbinder in Immenga/ Mestmäcker, EG-WbR I, 1997, S. 58 f. 110 EuGH Slg. 1980, 3125, 3275 Rn. 172 - van Landewyck; RothlAckermann (Fn. 24), Rn. 314. 111 Nach J. F. Baur, RdE 1992,41, 47 f., konnte die Verweigerung der Durchleitung allerdings nur ausnahmsweise gegen Art. 82 EG verstoßen. 112 So aber LG Köln ZNER 2000, 132, 133; wohl auch OLG Düsseldorf ZNER 2001,255,259. 113 Zurückhaltender LG Köln ZNER 2000, 132, 133 f.; Schulte-Beckhausen (Fn. 17), Art. 81 EGV Rn. 12, die verlangen, dass die Wahrscheinlichkeit des grenzüberschreitenden Handels in jedem Einzelfall anhand konkreter Anhaltspunkte unter Berücksichtigung der tatsächlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen in dem betroffenen Gebiet dargelegt wird.

B. Alleinbezugsverpflichtungen

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lieh ist insoweit, dass ein tatsächlich funktionsfahiger Durchleitungswettbewerb auf dem Gasmarkt noch gar nicht existiert und für Strom erst seit der Verbändevereinbarung 11 im Jahre 2000 angenommen werden kann, da auch der potentielle Wettbewerb geschützt wird. Alleinbezugsbindungen können wegen ihrer Verbreitung im ganzen Bundesgebiet nach der "Bündeltheorie" auch eine spürbare Verhinderung bzw. Beschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bewirken l14 • 3. Freistellung von Neuverträgen nach der Schinn-GFVO

Angesichts der 1O-20jährigen Laufzeit verstoßen ausschließliche Bezugsbindungen in Altverträgen gegen Art. 81 Abs. 1 EG, ohne die Möglichkeit, in den Genuss der Schirm-GFVO zu kommen. Auch die Übergangsregelung in Art. 12 Abs. 2 Schirm-GFVO kann nicht zur Zulässigkeit von Alleinbezugsbindungen in solchen Altverträgen führen, deren Laufzeit vor dem 1. Januar 2007 endet. Nach richtiger Ansicht waren nämlich die früheren GFVO über Alleinvertriebsvereinbarungen (Nr. 1983/83) und über Alleinbezugsvereinbarungen (Nr. 1984/83) auf Energielieferverträge nicht anwendbar. Anders als die Schirm-GFVO passten die beiden genannten GFVO nicht auf die Lieferung von Energie 115. Für Neuverträge, die mit kürzeren Laufzeiten (nicht über fünf Jahre) abgeschlossen werden, kommt hingegen eine Freistellung nach der Schirm-GFVO in Betracht. a) Vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern

Grundsätzlich gilt die neue Schirm-GFVO nach Art. 2 Abs. 1 nur für vertikale Vereinbarungen, während auf Wettbewerber die neuen Leitlinien über horizontale Zusammenarbeit anzuwenden sind" 6 • In einem Wettbewerbsverhältnis können Liefer-EVU und Weiterverteiler können sowohl auf der Nachfrageseite (wenn das EVU ebenfalls Strom oder Gas nachfragt) als auch auf der Anbieterseite (im Falle von Direktbelieferung von Endkunden durch das EVU) stehen 117. Eine Vereinbarung, die zwischen den Parteien auf unterschiedlichen Ebenen der Produktions- oder Vertriebskette getroffen wird (was beim Liefervertrag zwischen Liefer-EVU und Weiterverteiler der Fall ist), bleibt aber eine vertikale, auch wenn die Vertragspartner zugleich Zur Bündeltheorie siehe oben B. I. 1. c) mit Fn. 57-60. Veelken in Immenga/Mestmäcker, EG-WbR I, 1997, S. 443; Köhler, WuW 1999, 445, 447, 452; a.A. GleisslHirsch, EG-Kartellrecht, Bd. I, 4. Aufl. 1993, Rn. 1450; U. Scholz, RdE 1998,209,211. 116 Fundstellennachw. in Fn. 44. 117 Siehe oben B. I. 1. a). 114 ll5

I. Würdigung gemäß Art. 81 Abs. 1 EG

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auf einer Marktstufe aktuelle oder potentielle Wettbewerber sind. Die Leitlinien über horizontale Zusammenarbeit sprechen hier von einer vertikalen Vereinbarung zwischen Wettbewerbern, deren Wirkungen mit denen von horizontalen Vereinbarungen vergleichbar sein können (Ziff. 11). In diesen Fällen ist aber zunächst nach Art. 2 Abs. 4 der Schirm-GFVO zu prüfen, ob die Schirm-GFVO Anwendung findet. Wird dies verneint, ist zuerst eine Kontrolle anhand der Leitlinien über horizontale Zusammenarbeit und nach deren Unbedenklichkeit (erneut) eine Überprüfung anband der SchirmGFVO vorzunehmen. Insoweit findet also eine Art Doppelkontrolle statt 118. Für vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern gilt die SchirmGFVO gemäß Art. 2 Abs. 4 nur, wenn diese eine nichtwechselseitige vertikale Vereinbarung betreffen und der jährliche Gesamtumsatz des Käufers 100 Mio. EUR nicht überschreitet (lit. a) oder der Lieferant zugleich Hersteller und Händler von Waren, der Käufer dagegen ein Händler ist, der keine mit den Vertrags waren im Wettbewerb stehenden Waren herstellt (lit. b). Sofern der Umsatz der Stadtwerke unter 100 Mio EUR. liegt, ist lit. a) einschlägig 1 19. Die Voraussetzungen von lit. b) sind hingegen selten gegeben: Auf dem Stromsektor können die Stadtwerke regelmäßig als Produzenten angesehen werden; auf dem Gassektor sind die Liefer-EVU keine Produzenten, wenn sie Gas nur importieren. Besteht zwischen Liefer-EVU und Weiterverteiler ein Wettbewerbsverhältnis, ohne dass die (Rück)ausnahmen des Art. 2 Abs. 4 vorliegen, so findet die Schirm-GFVO zunächst keine Anwendung. In diesem Fall ist anhand der Leitlinien über horizontale Zusammenarbeit (Ziff. 11, 140 ff.) zu prüfen, ob eine Wettbewerbs beschränkung vorliegt. b) Marktanteilsgrenze

Die Schirm-GFVO gilt gemäß Art. 3 Abs. 1 allerdings nur, wenn der Marktanteil des Lieferanten 30% nicht überschreitet 120. Auf Altverträge kann die Schirm-GFVO keine Anwendung finden, da im Zeitpunkt des Vertragsschlusses der räumlich relevante Markt sowohl auf dem Gasmarkt als auch auf dem Strommarkt durch das jeweilige Versorgungsgebiet begrenzt wurde und die Liefer-EVU damit einen Marktanteil von 100% hatten. Auf dem Gasmarkt hat sich an dieser Beurteilung gegenwärtig noch nichts geändert. Deshalb können auch Neuverträge über Gaslieferung nicht in den Genuss der Schirm-GFVO gelangen. Neuverträgen über die Lieferung von 118 Leitlinien über horizontale Zusammenarbeit (Fn. 44), Ziff. 11, 140; Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 26. 119 Nach Klaue, BB 2000, Beilage 6, S. 20, 22, ist davon auszugehen, dass etwa die Hälfte der Stadtwerke diese Schwelle nicht überschreitet. 120 Zur Bestimmung des relevanten Marktes siehe oben B. I. 1. c).

B. Alleinbezugsverpflichtungen

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Strom, die gegenwärtig abgeschlossen werden, steht Art. 3 Abs. 1 SchirmGFVO hingegen in der Regel nicht entgegen (vorbehaltlich der vorstehend unter a) genannten Voraussetzungen). Da heute von einem bundesweiten Strommarkt auszugehen ist, liegt der Marktanteil der Liefer-EVU auf dem Weiterverteilermarkt regelmäßig unter 30%. c) Entzug der Freistellung und Nichtanwendbarkeit

der Schinn-GFVO

Die EG-Kommission kann im Einzelfall die Freistellung entziehen, wenn eine an sich freigestellte vertikale Vereinbarung Wirkungen hat, die mit den Voraussetzungen des Art. 81 Abs. 3 EG unvereinbar sind (Art. 6 SchirmGFVO). Das ist insbesondere der Fall, wenn der Wettbewerb durch die kumulative Wirkung nebeneinander praktizierter gleichartiger vertikaler Beschränkungen in erheblichem Maße beschränkt wird. Liegen diese Voraussetzungen im Gebiet eines Mitgliedsstaates oder einem Teil desselben vor, der alle Merkmale eines gesonderten räumlichen Marktes aufweist, kann nach Art. 7 Schirm-GFVO die nationale Behörde, also das Bundeskartellamt, die Schirm-GFVO für unanwendbar erklären. In Fällen, in denen mehr als 50% des betroffenen Marktes von nebeneinander bestehenden Netzen gleichartiger vertikaler Beschränkungen erfasst werden, kann die Kommission zudem per Verordnung erklären, dass die Schirm-GFVO keine Anwendung findet (Art. 8 Schirm-GFVO). Sollten Alleinbezugsverpflichtungen in Neuverträgen flächendeckend im gesamten Bundesgebiet verwendet werden, dürften die genannten Voraussetzungen für den Entzug der Freistellung bzw. die Nichtanwendbarkeit der Schirm-GFVO erfüllt sein 121. 4. Einzelfreistellung

Kommt eine Freistellung nach der Schirm-GFVO nicht in Betracht, bleibt noch die Möglichkeit eines Antrags auf Einzelfreistellung der ausschließlichen Bezugsbindung. Gerechtfertigt sein kann die Alleinbezugsbindung vor allem zur Amortisation besonderer, umfangreicher Investitionen des Lieferanten (Erschließung von Gasquellen, Bau neuer Kraftwerke oder Transportleitungen) 122. Dem stehen weder die Schirm-GFVO noch das mit der Liberalisierung der Energiewirtschaft verfolgte Ziel der Öffnung der Märkte entgegen. Die Schirm-GFVO hat das Amortisationsinteresse an besonderen, umfangreichen Investitionen in die Interessenabwägung, die zur 121 122

Vgl. Klaue, BB 2000, Beilage 6, S. 20, 23. Siehe dazu auch oben B. I. 1. e).

I. Würdigung gemäß Art. 81 Abs. 1 EO

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Billigung von Wettbewerbsverboten von Laufzeiten bis zu fünf Jahren geführt hat, nicht abschließend mit eingestellt. Die Möglichkeit einer Einzelfreistellung längerer Laufzeiten aus diesem Grunde ist also durch die pauschale Freistellung nicht "verbraucht" 123. Die Regierungsbegründung zur Energie- und Kartellrechtsnovelle lässt den Schluss zu, dass die Amortisation besonderer Investitionen weiterhin grundsätzlich als berechtigtes Interesse anerkannt werden soll. Eine strengere Anwendung des Kartellrechts in der Energiebranche im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen ist insofern nicht beabsichtigt 124. Zu betonen ist aber, dass es nicht Aufgabe des Kartellrechts sein kann, Bindungen zu ermöglichen, die einen existenzsichemden Umsatz garantieren 125 oder das Risiko unternehmerischer Fehlentscheidungen auf den Vertragspartner abwälzen 126. Aus diesem Grund sind bei der Anerkennung des Amortisationsinteresses zwei Einschränkungen geboten. Zunächst ist das Amortisationsinteresse nur zu berücksichtigen, wenn die Investition einer "versorgungswirtschaftlich rationellen Betriebsführung" entspricht 127. Eine zweite - erheblich einschneidendere - Einschränkung ergibt sich aus den Leitlinien für vertikale Demarkationen, nach denen zu Recht nur "vertragsspezifische" Investitionen anerkannt werden. Vertragsspezifisch sind nur langfristige Investitionen in solche Anlagen oder Leitungen, die nach Vertragsablauf nicht zur Belieferung anderen Kunden genutzt und nur mit hohem Verlust verkauft werden können 128 . Die danach zulässige Laufzeit soll sich den Leitlinien für vertikale Beschränkungen zufolge nach der für die Abschreibung der Investition erforderlichen Zeit richten 129 . Entsprechendes gilt für die Einzelfreistellung von "take-or-pay"-Klauseln. Auch hier ist Voraussetzung, dass die langfristige Bindung konkret erforderlich zur Erschließung und Nutzung eines Vorkommens sind 130, es sich um eine vertragsspezifische Investition handelt und ihre Weiterreichung unverzichtbar ist.

123 Vgl. Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 141, 119/9, 155; vgl. J. F. Baur, RdE 2001, 81, 87. 124 Regierungsbegründung (Fn. 2), S. 25; Scholz, RdE 1998,209, 216 f. 125 Vgl. BOH WuW/E 2399, 2405 - Krankentransporte; U. Scholz, RdE 1998, 209, 217; Markert, EuZW 2000, 427, 430. 126 Vgl. BOH WuW/E 2855, 2857 - Flaschenkästchen; U. Scholz, RdE 1998, 209,217. 127 Vgl. Regierungsbegründung (Fn. 2), S. 25; U. Scholz, RdE 1998,209,217. 128 Vgl. Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 116/4; ebenso bereits Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, 1994, S. 534. 129 Vgl. Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 116/4, 119/9, 155. 130 Vgl. Regierungsbegründung (Fn. 2), S. 25.

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B. Alleinbezugsverpflichtungen

5. Zwischenergebnis

Alleinbezugsverpflichtungen in langfristigen Altverträgen verstoßen seit Vertragsschluss, jedenfalls aber seit der Elektrizitätsbinnemarkt-Richtlinie Ende 1996 gegen Art. 81 Abs. 1 EG, ohne dass die Möglichkeit einer Freistellung nach der Schirm-GFVO bestünde. Eine Einzelfreistellung kommt nur in Betracht, wenn die konkrete Laufzeit zur Abschreibung besonders umfangreicher vertragsspezifischer Investitionen des Lieferanten, ohne die der Markteintritt nicht oder nicht so schnell erfolgen könnte, erforderlich ist. Für (Neu-) Verträge, die mit kürzeren Laufzeiten abgeschlossen werden, kommt zwar eine Freistellung nach der Schirm-GFVO in Betracht. Die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Schirm-GFVO werden aber in vielen Fällen nicht gegeben sein. Stehen die Parteien in einem Wettbewerbsverhältnis - was regelmäßig der Fall ist -, sind die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 4 lit. a) und b) Schirm-GFVO zu beachten. Darüber hinaus darf der Marktanteil des Lieferanten 30% nicht übersteigen (was gegenwärtig in der Regel nur auf dem Strommarkt, nicht aber auf dem Gasmarkt möglich ist) und die Laufzeit des Vertrages nicht länger als fünf Jahre sein.

11. Kartellrechtliche Würdigung nach den §§ 1,16 GWB Unterfallt die Alleinbezugsverpflichtung Art. 81 EG, so wird dadurch die Anwendung des nationalen Kartellrechts de lege lata nicht ausgeschlossen 131. Kommt es allerdings zum Konflikt zwischen europäischem und deutschem Kartellrecht, so gilt nach Rechtsprechung und überwiegender Literatur der Vorrang des Gemeinschaftsrecht 132 • 1. Horizontales Kartellverbot und vertikale Vereinbarungen

Ob die in Gesamtbedarfsdeckungsklauseln enthaltene Alleinbezugsbindung zwischen Liefer-EVU und Weiterverteiler unter das Kartellverbot 131 Die EG-Kommission beabsichtigt, unter Berufung auf Art. 83 Abs. 2 lit. e) EG in der neuen Durchführungsverordnung zu den Art. 81, 82 EG deren ausschließliche Anwendbarkeit bei Erfüllung der Zwischenstaatlichkeitsklausel vorzuschreiben, Art. 3 des Verordnungsentwurfes v. 27.09.2000, KOM (2000) 582 endg. Das deutsche Kartellrecht fände dann nur noch Anwendung auf rein nationale Sachverhalte. Zur Kritik daran vgl. etwa Mäschel, JZ 2000, 61 ff. und Fikentscher, WuW 200 1, 446 ff. 132 Vgl. EuGH Slg. 1969, 1, 13 f. - Walt Wilhelm; 1980,2327,2374 - Guerlain; BGH WuW/E 2869, 2872 - Pauschalreisen-Vermittlung 11; Wiedemann/Wiedemann (Fn. 12), § 6 Rn. 3; Bunte (Fn. 12), Einführung zum EG-Kartellrecht Rn. 74, 75; Mestmilcker in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, S. 61 ff.; anders die früher praktizierte sog. Zwei-Schranken-Theorie, begründet von Koch, BB 1959, 241 ff. Zum Konfliktfall siehe unten B. 11. 3. mit Fn. 168.

11. Würdigung nach den §§ 1, 16 GWB

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nach § 1 GWB faIlt 133 oder nur der Missbrauchsaufsicht gemäß § 16 Nr. 2 GWB unterliegt J34 , ist nach wie vor heftig umstritten. Bezugsbindungen, die zwischen Parteien auf unterschiedlichen Marktstufen vereinbart werden, unterfallen als typische vertikale Vereinbarungen im deutschen Recht an sich nur der Missbrauchsaufsicht nach § 16 GWB. Sofern sie aber zwischen aktuellen oder potentiellen Wettbewerbern vereinbart werden, kommt auch die Anwendung des § 1 GWB n. F. in Betracht. Die dem deutschen Kartellrecht zugrundeliegende Unterscheidung von verbotenen horizontalen Absprachen zwischen Wettbewerbern und grundsätzlich erlaubten vertikalen Austauschverträgen mit Ausschließlichkeitsbindungen wirft die schwierige Frage nach der Abgrenzung auf. Die darüber bis heute anhaltende Diskussion ist ohne einen knappen Überblick über ihre Entwicklung nicht verständlich. Früher wurde die Abgrenzung anband des Tatbestandsmerkmals "Vertrag zu einem gemeinsamen Zweck" des § 1 GWB a. F. vorgenommen. In der wechselhaften Geschichte der Interpretation dieses Merkmals durch den Bundesgerichtshof lassen sich drei Entwicklungsstufen unterscheiden. Mitte der 70er Jahre gab der Bundesgerichtshof seinen ursprünglichen, zu eng an § 705 BGB orientierten, organisationsrechtlichen Ansatz zur Bestimmung des gemeinsamen Zwecks auf und entwickelte stattdessen ein funktionales Verständnis. Ein gemeinsamer Zweck wurde bejaht, wenn die Parteien einen "Vertrag zur Verfolgung gleichgerichteter Interessen" geschlossen hatten J35 . Rund ein Jahrzehnt später stellte die Rechtsprechung darauf ab, ob die einzelne Abrede ein aktuelles oder potentielles Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien betreffe ohne erforderlich zu sein, um den kartellrechtsneutralen Hauptzweck des Vertrages zu erreichen J36 • Diese sog. Lehre von der horizontalen Wettbewerbsbeschränkung begann sich seit Anfang der 80er Jahre in der Literatur immer mehr durchzusetzen 137. In einer Reihe von Entscheidungen in den Jahren 1997/98 bejahte der Bundesgerichtshof schließlich das Vorlie133 LG Mannheim WuW/E DE-R 298, 299 f. - Stromversorgung; vgl. auch LG Berlin RdE 2001, 237, 241; tendenziell Köhler, WuW 1999,445,453 f.; Lukes, BB 1999, Beilage 8, S. 10; A.-R. Bömer, ET 1999, 405, 407 ff.; Marken, EuZW 2000, 427,430 f.; vgl. auch BKartA TB 1997/98, S. 120; Emmerich, Kartellrecht, 9. Aufl. 2001, S. 349 f. 134 LG Rostock (Fn. 7); WürzberglBartsch (Fn. 11), S. 11 f.; U. Scholz, RdE 1998, 209, 214 f.; ders., RdE 1999, 161, 162; Salje, ET 1999, 768, 770 f.; Rottnauer, BB 1999, 2145, 2149 f.; Wiedemann/Zinow (Fn. 12), § 34 Rn. 193; Büdenbender, ET 2000, 359, 369 ff.; Raabe, ET 2000, 770, 771 ff.; Bunte (Fn. 12), § 1 Rn. 143, Anhang zum 5. Abschnitt Rn. 46; ebenso noch BGH WuW/E 1049, 1050 - Überlandwerk I; tendenziell auch BöwinglRosin, ET 2000, 249, 252 f. 135 BGH WuW/E 1458, 1459 f. - Fertigbeton. 136 BGH WuW/E 2285, 2287 f. - Spielkarten. 137 Siehe etwa K. Schmidt, Kartellverbot und "sonstige Wettbewerbsbeschränkungen", 1978, S. 55 ff.; 79 ff.; Immenga in Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl.

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B. Alleinbezugsverpflichtungen

gen eines "gemeinsamen Zwecks" und damit die Anwendbarkeit des § 1 GWB a. F. im Wege einer funktionalen Auslegung nur noch, wenn "für die Wettbewerbs beschränkung im Hinblick auf die Freiheit des Wettbewerbs ein anzuerkennendes Interesse nicht besteht" 138. Welche Rolle die horizontale Wettbewerbsbeschränkung spielt, blieb unklar. Mit der 6. GWB-Novelle ist das Merkmal "zu einem gemeinsamen Zweck" durch das Merkmal "miteinander im Wettbewerb stehende Unternehmen" ersetzt worden. Auch die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes seit dem Jahre 1999 zeigt, dass § 1 GWB die Regelung eines Wettbewerbsverhältnisses voraussetzt 139 . Allerdings besteht auch Einigkeit darüber, dass der Abgrenzungsformel der neueren BGH-Entscheidungen seit dem Jahre 1997 weiterhin Bedeutung zukommen SOll140. Die §§ I und 16 GWB stehen nach ständiger Rechtsprechung und der überwiegenden Literatur in einem Ausschließlichkeitsverhältnis {"Tatbestandslösung,,)141. Nach anderer Ansicht ist demgegenüber eine doppelte Kontrolle sowohl nach § 1 GWB als auch gemäß § 16 GWB vorzunehmen l42 . Zwar legen die Leitlinien über horizontale Zusammenarbeit und die Schirm-GFVO eine solche Doppelkontrolle nahe l43 . Die Diskussion um das Verhältnis zwischen den §§ 1 und 16 GWB ist allerdings für die praktische 1992, § 1 Rn. 152 ff.; Emmerich in Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl. 1992, § 18 Rn. 33 ff. 138 BGH WuW/E 3115, 3118 - Druckgussteile; 3121, 3125 - Bedside-Testkarten; 3137 f. - Solelieferung; WuW/E DE-R 131, 133 - Eintritt in Gebäudereinigungsvertrag; ausführlich zur alten und neuen Rechtsprechung und deren Interpretation durch die Literatur Lohse, Kartellverbot und Schirm-GVa, 2001, S. 16-42. 139 BGH WuW/E DE-R, 289, 294 - Lottospielgemeinschaft; BGH, Beschluss v. 28.09.1999, KVR 28/96, S. 2 f., 11 ff. und BGH, Beschluss v. 28.09.1999, KVR 29/96, S. 2 ff., 13 ff. - Verbundnetz; BGH, Urteil v. 14.03.2000, KZR 8/99, S. 3, 5 - Subunternehmervertrag 11; Bunte (Fn. 12), § 1 Rn. 98 ff.; Lohse (Fn. 138), S. 34 ff., 36 m. w. N. in Fn. 66. 140 K. Schmidt, AG 1998, 551, 559; Bechtold, GWB, 2. Aufl. 1999, § 1 Rn. 20; Huber in Frankfurter Kommentar, Stand: 5/1999, Kurzdarstellung § 1 GWB n.F., Rn. 17; Bunte (Fn. 12), § 1 Rn. 141; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, § 1 Rn. 275. Der neue Freistellungstatbestand des § 7 GWB n.F., der nur zum Teil Art. 81 Abs. 3 EG nachempfunden ist, zwingt keineswegs dazu, den Immanenzgedanken nunmehr aus dem Tatbestand des § 1 GWB zu verbannen, zutreffend Köhler, WuW 1999,445,449 f. Entscheidend ist, dass § 7 GWB n.F. nicht die Möglichkeit einer Gruppenfreistellung vorsieht und bei einer Anmeldung zur Einzelfreistellung die Vorteile des EG-Rechts (Bußgeldfreiheit, Möglichkeit der rückwirkenden Freistellung) nicht gegeben sind. 141 BGH WuW/E 1458, 1460 f. - Fertigbeton; 3115, 3117 - Druckgussteile; Huber (Fn. 140), Rn. 86 ff.; Rittner, WuW 2000, 696, 698 f.; Zimmer in Immenga/ Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, § 1 Rn. 164, 271; Emmerich in Immenga/ Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, § 16 Rn. 18, 45. 142 Vgl. dazu auch K. Schmidt, AG 1998, 551, 559 f.; ders., FS Sandrock, 2000, S. 833, 845 f.; zustimmend SchwintowskilKlaue, BB 2000, 1901.

11. Würdigung nach den §§ 1, 16 GWB

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Rechtsanwendung kaum relevant; zudem unterscheiden sich beide Meinungen in der Sache nur geringfügig: Neuere Rechtsprechung und Literatur prüfen bei der Anwendbarkeit des § 1 GWB n. F., ob die Parteien in einem Wettbewerbsverhältnis stehen, ob eine durch Vertrag bewirkte spürbare Wettbewerbsbeschränkung vorliegt und ob dafür ein anzuerkennendes Interesse besteht l44 , also sämtliche Voraussetzungen des Tatbestandes. Handelt es sich um eine vertikale Vereinbarung zwischen Wettbewerbern und wird das die Anwendung des § 1 GWB ausschließende legitime wettbewerbliche Interesse anerkannt, folgt eine Prüfung des § 16 GWB. Im Ergebnis stellt sich dies als Doppelkontrolle dar. Von einer "Tatbestandslösung" i. S. einer konkurrenz ausschließenden Norm könnte nur die Rede sein, wenn § 16 GWB überhaupt nicht mehr eingreift, sofern die erste Tatbestandsvoraussetzung des § 1 GWB (Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses) vorliegt. Für dieses Verständnis spricht auch, dass nach Bejahung eines anzuerkennenden Interesses i. S. von § 1 GWB eine Kontrolle nach § 16 GWB entbehrlich erscheint, da in diesem Fall eine wesentliche Wettbewerbsbeschränkung wohl kaum mehr angenommen werden kann 145 . Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 1 GWB ist also ein (aktuelles oder potentielles) Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien. Der Tatbestand erfordert, dass die Parteien eine nicht bloß theoretisch vorstellbare, sondern eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken. Ist diese ausnahmsweise wettbewerblich anerkennenswert, ist der Tatbestand des § I GWB zu verneinen. 2. Wettbewerbsbeschränkung

Liefer-EVU und Weiterverteiler können aktuelle oder zumindest potentielle Wettbewerber sein (auf der Nachfrageseite, wenn das EVU ebenfalls Strom oder Gas nachfragt; auf der Anbieterseite im Falle von Direktbelieferung von Endkunden durch das EVU) 146. Die in der GesamtbedarfsdeckungsklauseI enthaltene ausschließliche Bezugsbindung bewirkt eine Be143 Siehe dazu oben B. I. 3. a); ausführlich Lohse (Fn. 138), S. 97 ff., 131 ff., 138 ff. Das von Rittner, WuW 2000, 696, 697, gegen die Doppelkontrolle vorgebrachte Argument, das europäische Recht differenziere nunmehr ebenfalls zwischen horizontalen und vertikalen Vereinbarungen, greift insofern zu kurz. 144 So BGH WuW/E DE-R 289 ff. - Lottospielgemeinschaft; BGH, Beschluss v. 28.09.1999, KVR 28/96, S. 2 f., 11 ff. und BGH, Beschluss v. 28.09.1999, KVR 29/96, S. 2 ff., 13 ff. - Verbundnetz; BGH, Urteil v. 14.03.2000, KZR 8/99, S. 3, 5 - Subunternehmervertrag 11; LG Mannheim WuW/E DE-R 298,299 ff. - Stromversorgung; Bunte (Fn. 12), § 1 Rn. 140 f.; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, § 1 Rn. 293. 145 Keul (Fn. 26), S. 107 ff., 111,314. 146 Siehe oben B. I. 1. a); dies hat das LG Rostock (Fn. 7) verkannt.

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B. Alleinbezugsverpflichtungen

schränkung des Nachfragewettbewerbs. Der gebundene Weiterverteiler darf bzw. kann Energie nicht VOn Anderen beziehen (was ihm nach dem Wegfall der horizontalen Demarkationen und der Schaffung von Durchleitungsrechten möglich wäre) und scheidet deshalb als Nachfrager aus 147 . Andere Wettbewerber können dadurch spürbar in ihren Absatzmöglichkeiten beeinträchtigt werden. Teilweise wird diese Wettbewerbsbeschränkung für die Anwendbarkeit des § 1 GWB nicht als ausreichend erachtet, weil hierin nur die Kehrseite einer jeden Bezugsbindung liege und § 16 GWB andernfalls leer liefe 148 . Außerhalb der Energiebranche können aber die Einzelhändler aus marktstrukturellen Gründen regelmäßig gar nicht direkt von den Herstellern, sondern nur von den Großhändlern beziehen. Mangels Nachfragewettbewerbs unterliegt die Mehrzahl der Bezugsbindungen also weiterhin nicht dem Kartellverbot, sondern nur der Missbrauchsaufsicht; von einer Aushöhlung des § 16 GWB kann demnach keine Rede sein. Als Korrektiv kann im Übrigen die Voraussetzung der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung dienen. Zu prüfen bleibt, ob die Alleinbezugsverpflichtung (zusätzlich) auch geeignet ist, eine Beschränkung des Wettbewerbs auf der Anbieterseite zu bewirken und deshalb geeignet ist, die Auswahlmöglichkeiten der Verbraucher zu beeinträchtigen 149. Eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung kommt hier VOn vornherein nur für das bisherige Versorgungsgebiet, nicht aber im Hinblick auf eine Expansion des Gebietsversorgers in Betracht 150 • Denn ausschließliche Bezugsbindungen sind entweder ausdrücklich oder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung räumlich auf die durch das Netzeigentum definierten räumlichen Aktivitäten des Weiterverteilers begrenzt 151 . Der Ausschluss des Drittbezugs hindert den Weiterverteiler zwar nicht daran, den vom Lieferanten bezogenen Strom bzw. das gelieferte Gas anzubieten. Allerdings ist es wahrscheinlich, dass die Preisgestaltung des Liefe147 Ebel, WuW 1998,448,455; Lukes, BB 1999, Beilage 8, S. 10; Köhler, WuW 1999,445,453; Markert, EuZW 2000, 427, 430. 148 Salje, ET 1999, 768, 770; Rottnauer, BB 1999 2145, 2149 f.; Büdenbender, ET 2000, 359, 371 f. Da eine Wettbewerbsbeschränkung inter partes vorliegt, kommt es auf die vor der Neufassung des § 1 GWB umstrittene Frage, ob auch eine Beeinträchtigung des Drittwettbewerbs für die Anwendung des § 1 GWB genügt (zu Recht verneinend Huber, Fn. 140, Rn. 47 ff. m. w.N.), hier nicht an, zutreffend Markert, EuZW 2000, 427, 430 Fn. 40. Anders wohl Rottnauer, BB 1999, 2145, 2149 f.; Raabe, ET 2000, 770, 772. 149 Bejahend Köhler, WuW 1999, 445, 453; Markert, EuZW 2000, 427, 430; a. A. Büdenbender, ET 2000, 359, 370. 150 Auf die Frage der kommunal- und verfassungsrechtlichen Grenzen kommunaler Wirtschaftstätigkeit kann hier nicht eingegangen werden, siehe dazu den Überblick bei Oebbecke, ZHR 164 (2000), 375, 381 ff. 151 Böwing/Rosin, ET 2000, 249, 249, 252; Büdenbender, ET 2000, 359, 360 f.

H. Würdigung nach den §§ I, 16 GWB

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ranten, von der der Weiterverteiler aufgrund des Ausschlusses des Bezugs von Drittanbietern abhängig ist, diesen bei seiner Angebotskalkulation und damit bei seinen Absatzmöglichkeiten beeinträchtigt 152. Darin liegt zwar keine formelle Handlungsbeschränkung, wohl aber eine Beeinflussung der durch § 1 GWB geschützten materialen Entschließungsfreiheit l53 . Weder die Missbrauchskontrolle nach den §§ 19, 20 GWB noch die Möglichkeit über sog. Wirtschaftsklausein bzw. bei deren Fehlen über die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage die infolge des Wettbewerbsdrucks fallenden Preise weiterzugeben, beseitigen die Wettbewerbsbeschränkung 154 . Die Missbrauchskontrolle trifft zum einen nur marktbeherrschende bzw. marktstarke Unternehmen, zum anderen hat sie sich im Bereich der Preiskontrolle als "stumpfes Schwert" erwiesen i55 . Wirtschaftsklausein bzw. die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage greifen in der Regel erst bei Überschreitung einer relativ hohen Schwelle ein (Unzumutbarkeit) und ändern nichts an dem grundsätzlich bestehen bleibenden Abhängigkeitsverhältnis. Die Bejahung einer Wettbewerbsbeschränkung nach § 1 GWB scheitert auch nicht daran, dass diese letztlich in der Preisgestaltung liegt, die aber selbst wiederum nicht Gegenstand der Vereinbarung der Parteien ist l56 . Es ist ausreichend, dass die Vereinbarung der Parteien eine Wettbewerbsbeschränkung "bewirkt", diese also aus ex-ante Sicht überwiegend wahrscheinlich ist 157 • Das ist hier der Fall, da das Verbot des Drittbezugs, das den Weiterverteiler zunächst (unmittelbar) auf dem Nachfragewettbewerb betrifft, (mittelbar) auch auf die Absatzseite "durchschlägt" ("Durchschlagswirkung") 158. Weder ist erforderlich, dass die Beschränkung des Wettbewerbs Gegenstand der Vereinbarung der Parteien ist, noch dass sie von ihnen bezweckt wird l59 . Es zeigt sich also, dass EVU und Weiterverteiler regelmäßig Wettbewerber i. S. d. § 1 GWB sind und die Alleinbezugsverpflichtung den Wettbewerb beschränkt 160. Diese durch die ausschließliche Bezugsbindung bewirkte Wettbewerbsbeschränkung kann aufgrund der "Bündeltheorie" auch spürbar den Wettbewerb beeinträchtigen 161. 152 Markert, EuZW 2000, 427, 430; dies räumt auch Büdenbender, ET 2000, 359, 370, ein. 153 Vgl. Bechtold (Fn. 140), § 1 Rn. 27. 154 AA Büdenbender, ET 2000,359,371 f. 155 BKartA TB 1997/98, BT-Drucks. 14/1139, S. 21; vgl. BGH WuW/E 1445 ff. - Valium; 1678 ff. - Valium II; WuW/E DE-R 375 ff. - Flugpreisspaltung. 156 So aber Büdenbender, ET 2000, 359, 371. 157 Huber (Fn. 140), Rn. 59 ff. 158 A A Lohse (Fn. 138), S. 79 ff. 159 Huber (Fn. 140), Rn. 59 ff. 160 Siehe die Nachw. in Fn. 133. 161 Vgl. dazu oben B. I. 1. c) mit Fn. 57-60. Entgegen Bunte (Fn. 12), § 1 Rn. 157, ist dabei auch im deutschen Kartellrecht nicht nur auf gleichartige Ver-

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B. Alleinbezugsverpflichtungen

3. Ausstrahlungswirkung der Schinn-GFVO auf das "anzuerkennende Interesse"

Ist § 1 GWB nach den vorstehenden Ausführungen anwendbar (die Parteien sind Wettbewerber) und sind die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt (die Alleinbezugsverpflichtung bewirkt eine spürbare Beschränkung des Wettbewerbs), so ist weiter zu prüfen, ob die Wettbewerbsbeschränkung zur Erreichung eines kartellrechtsneutralen Hauptzwecks sachlich geboten ist, weil für sie bei wertender Betrachtungsweise im Hinblick auf die Freiheit des Wettbewerbs ein anzuerkennendes Interesse besteht l62 . Bei dieser wertenden Interessenabwägung können die in der Schirm-GFVO niedergelegten Maßstäbe (Unbedenklichkeit einer Bezugsbindung und eines Eigenerzeugungsverbots unter folgenden Voraussetzungen: Umsatz des Abnehmers unter 100 Mio. EUR, Marktanteil des Lieferanten nicht über 30%, Laufzeit nicht länger als fünf Jahre) als Leitbild berücksichtigt werden 163 . Um Missverständnissen vorzubeugen, ist zu betonen, dass hier nicht einer direkten träge des Lieferanten mit anderen Abnehmern, sondern auch auf die parallelen Vertragsnetze anderer Lieferanten abzustellen, vgl. BGH WuW/E 2000, 2002 - Beistand bei Kostenangeboten. Ein sachlicher Grund, die "Bündeltheorie" im deutschen anders als im europäischen Kartellrecht zu handhaben, ist insbesondere im Hinblick auf die Bestrebungen zur Angleichung des deutschen an das europäische Kartellrecht nicht erkennbar. 162 Siehe die Nachw. in Fn. 138. Diese Formel der neueren Rechtsprechung mit dem Etikett der sog. Immanenztheorie zu versehen, ist wenig hilfreich, da ihr Anwendungsbereich gegenüber dem Vertrag unbedingt notwendigen, nämlich aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) folgenden Nebenabreden, hinausgeht und auch solche Abreden berücksichtigt, die nicht funktionsnotwendig zur Vertragsdurchführung, sondern nur wettbewerblieh nützlich ("sachlich geboten") sind, zutreffend Huber (Fn. (40), Rn. 18 f., 71; Lohse (Fn. 138), S. 22 Fn. 34; a.A. Zimmer in Immenga/ Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, § I Rn. 274 ff., 279, unter Zugrundelegung eines wettbewerb lieh orientierten Immanenzverständnisses. Der angebliche Unterschied zwischen "herkömmlicher zivilistischer" und "wettbewerbsrechtlicher" Immanenztheorie wird oft überbetont. So wird als vermeintlicher Vertreter der "herkömmliehen" Immanenztheorie SteindorJf zitiert, obwohl dieser bereits festgestellt hat: "Die Immanenztheorie darf sich (... ) nicht am überkommenen Bestand rechtlicher Institute allein orientieren; sie muss die Wertungen des GWB einbeziehen" (BB 1977, 569, 571). Gleiches gilt für K. Schmidt, der ebenfalls darauf hingewiesen hat, dass "diese Vertragsnebenpflichten ihrerseits im Lichte des § I GWB zu sehen" sind (Kartellverbot und "sonstige Wettbewerbsbeschränkungen", 1978, S. 81 ff.). Die Diskussion um die Immanenztheorie betrifft also tatsächlich weniger die Frage ob, sondern vielmehr wie wettbewerbliehe Gesichtspunkte die Anerkennung zivilrechtlieh funktionsnotwendiger Nebenabreden im Rahm~n von § I GWB begrenzen. Auf den Streit um die dogmatisch-systematische Einordnung (außerhalb des Tatbestandes, teleologische Reduktion der Merkmale des Wettbewerbsverhältnisses, der Wettbewerbsbeschränkung oder des Tatbestandes insgesamt, so BGH WuW/E DE-R 289 ff. - Lottospielgemeinschaft) kann hier nicht eingegangen werden, siehe dazu den Überblick bei Lohse (Fn. 138), S. 36 ff., insbes. Fn. 66.

11. Würdigung nach den §§ 1, 16 GWB

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oder analogen Anwendung der europäischen Schirm-GFVO auf das deutsche Kartellrecht das Wort geredet werden soll. Ebensowenig soll auf diesem Wege die im deutschen System bestehende Unterscheidung zwischen horizontalen und vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen eingeebnet werden. Es geht allein darum, die Wertungen, die ja selbst aus den nationalen Rechtsordnungen stammen und in der Schirm-GFVO zu einem europäischen Konsens gefunden haben, im Wege einer europarechtsfreundlichen, harmonisierenden Auslegung in die Interessenabwägung mit einzustellen ("systemkonforme Wertungskongruenz zwischen europäischem und deutschem Kartellrecht,,)l64. Dies liegt umso mehr nahe, als die Neufassung des § 1 GWB im Zuge der 6. GWB-Novelle das Ziel verfolgt, das deutsche Kartellrecht mit dem europäischen Wettbewerbsrecht zu harmonisieren 165 . Angesichts des Entziehungsvorbehalts in Art. 6 Schirm-GFVO kann die Erfüllung der Freistellungsvoraussetzungen natürlich nur als Indiz für die Unbedenklichkeit der Alleinbezugsverpflichtung auch im deutschen Recht wirken, die im Einzelfall widerlegt werden kann. Sind die Kriterien der Schirm-GFVO nicht erfüllt, kann entsprechend den zu Art. 81 EG genannten Gründen eine ausschließliche Bezugsbindung nur ausnahmsweise (zur Abschreibung besonders umfangreicher, vertragsspezifischer Investitionen des Lieferanten) kartellrechtlich anzuerkennen sein 166. Relevant wird die positive und negative Ausstrahlungswirkung der Schirm-GFVO auf das deutsche Kartellrecht, wenn die Alleinbezugsverpflichtung nur dem nationalen Kartellrecht unterliegt. Findet hingegen Art. 81 EG Anwendung, ist eine divergierende nationale Entscheidung schon aufgrund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts ausgeschlossen1 67 . Nach ganz überwiegender Meinung gilt dieser Vorrang auch, wenn eine Abrede einer Gruppenfreistellungsverordnung unterfällt 168 . Auch wenn das 163 So wohl auch Markert, EuZW 2000, 427, 430 f. Allgemein zur Ausstrahlungswirkung der früheren GFVO auf das deutsche Kartellrecht Oetker (Fn. 128), S. 537 ff. m.w.N. 164 Ausführlich Lohse (Fn. 138), S. 144 ff. 165 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des GWB, BT-Drucks. 13/9720, S. 30. 166 Siehe oben B. I. 1. d) dd) und 4. 167 Siehe die Nachw. oben in Fn. 132. 168 WiedemannlWiedemann (Fn. 12), § 6 Rn. 6; Huber (Fn. 140), Rn. 91 und § 1 a.F. Rn. 701 ff.; Ackermann, EuZW 1999, 741, 744; Bunte (Fn. 12), Einführung zum EG-Kartellrecht Rn. 79; Veelken in Immenga/Mestmäcker, EG-WbR, Erg-Bd, 2. Lfg. 2001, V. GFVO Rn. 52; Emmerich, Kartellrecht, 9. Aufl. 2001, S. 378. Nach a. A. gilt der Vorrang demgegenüber nur, wenn die Freistellung im Einzelfall Ausdruck einer positiven Gestaltung ist und die Anwendung des deutschen Rechts die Wirksamkeit der Freistellung auf dem Gemeinsamen Markt beeinträchtigen würde, Mäschel, Recht der WeUbewerbsbeschränkungen, 1983, Rn. 136, 138;

4 Säcker/Jaecks

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B. Alleinbezugsverpflichtungen

europäische Kartellrecht nicht zur Anwendung gelangt, bietet sich aber jedenfalls für die Beurteilung der Alleinbezugsverpflichtung nach deutschem Kartellrecht eine Orientierung an den Kriterien der Schirm-GFVO an 169 . Die positive Ausstrahlungswirkung verhindert, dass die kleineren Fälle, die nicht die Hürde der Zwischenstaatlichkeitsldausel überwinden, strenger als die Abreden größerer Unternehmen beurteilt werden. Wäre im umgekehrten Fall die ausschließliche Bezugsbindung nach der Schirm-GFVO nicht freigestellt, ist kein sachlicher Grund erkennbar, eine hilfreiche, weil einen Maßstab vorgebende Indizwirkung für das deutsche Kartellverbot zu verneinen. 4. Berücksichtigung der Wertungen der Schinn-GFVO bei § 16 Nr. 2 GWB

Unterliegt die Alleinbezugsverpflichtung nach den vorstehenden Ausführungen nicht dem Verbotstatbestand des § 1 GWB, sondern nur der Missbrauchsaufsicht nach § 16 Nr. 2 GWB, kommt es darauf an, wann die Eingriffsvoraussetzung der wesentlichen Beeinträchtigung des Wettbewerbs zu bejahen ist. Erforderlich ist, dass die Funktionsfabigkeit des Wettbewerbs auf dem Markt beeinträchtigt wird. Da Schutzgegenstand der Wettbewerb als Institution ist, muss die Gesamtheit aller Bindungen auf dem jeweils relevanten Markt geprüft und in ihren Auswirkungen auf den Wettbewerb gewürdigt werden. Eine wertende Berücksichtung der Interessen der Unternehmen ist daneben weder erforderlich noch zulässig 170. Die Eingriffsschwelle ist nach der Rechtsprechung sehr hoch; selbst wenn einer oder wenige Wettbewerber vom Markt ausgeschlossen werden, sind die Eingriffsvoraussetzungen nicht zwingend zu bejahen 17l. Auch hier bietet es sich aber an, die Maßstäbe der Schirm-GVFO zumindest bei der Würdigung der Auswirkungen auf den Wettbewerb zu berücksichtigen. So könnte man erwägen, eine wesentliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs dann als indiziert anzusehen, wenn auf dem relevanten Markt Netze gleichartiger Bezugsbindungen, die nach der Schirm-GFVO nicht freigestellt wären, zusammenwirken.

Mestmäcker in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, S. 66 f. Ausführlich zum Streitstand Rehbinder in Immenga/Mestrnäcker, EG-WbR I, 1997, S. 105 ff. 169 Vgl. Oetker (Fn. 128), S. 538 f., zu den früheren GFVO. 170 BGH WuW/E 2668, 2672 f. - Pauschalreiseveranstalter. 171 BGH WuW/E 2668, 2674 - Pauschalreiseveranstalter; vgl. auch Emmerich in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, § 16 Rn. Rn. 1 ("Missbrauchsaufsicht der Kartellbehörden, die sich bisher als wenig effektiv erwiesen hat").

III. Würdigung gemäß Art. 82 EG, §§ 20 Abs. 1, 19 Abs. 1 GWB

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III. Kartellrechtliche Würdigung gemäß Art. 82 EG, §§ 20 Abs. 1, 19 Abs. 1 GWB Ist ein EVU marktbeherrschend, so kann die Vereinbarung einer Alleinbezugsbindung als unangemessene Vertragsbedingung ein missbräuchliches Ausnutzen (Ausbeutung bzw. unbillige Behinderung anderer Unternehmen) darstellen, die nach Art. 82 EG bzw. §§ 20 Abs. 1, 19 Abs. 1 GWB verboten ist und gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit der entsprechenden Abrede führt 172. Wesentliche Voraussetzung für die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung ist ein hoher Marktanteil und ein Marktanteilsvorsprung vor den folgenden Konkurrenten. Im Zeitpunkt des Abschlusses der Altverträge waren sämtliche Liefer-EVU sowohl auf dem Strom- als auch auf dem Gasmarkt marktbeherrschend, da der räumlich relevante Markt durch das jeweilige Versorgungsgebiet begrenzt wurde. Auf dem Gasmarkt, wo der räumlich relevante Markt gegenwärtig noch durch das jeweilige Versorgungsgebiet begrenzt wird und Wettbewerb nur durch das eigene Leitungsnetz der Wingas GmbH stattfindet, haben die Liefer-EVU auch heute noch eine marktbeherrschende Stellung. Demgegenüber kommt auf dem Strommarkt, bei dem mittlerweile von einem bundesweiten Markt auszugehen ist, eine marktbeherrschende Stellung der Liefer-EVU im Hinblick auf Art. 82 EG nicht mehr in Betracht. Ausschließliche Bezugsbindungen verhindern, dass der Abnehmer seinen Bedarf bei anderen Lieferanten deckt, und behindern die Wettbewerber auf dem Absatzmarkt. Im Rahmen des Art. 82 EG werden längerfristige Alleinbezugsverpflichtungen teilweise unter Hinweis auf das Amortisationsinteresse des Lieferanten an getätigten Investitionen pauschal für die Dauer von 10 173 bis zu 15 Jahren l74 für zulässig erachtet. Diese Ansicht war in dieser Allgemeinheit schon vor der früheren Rechtsprechung der europäischen Gerichte nicht haltbar 175 ; im Hinblick auf die Wertungen der Schirm-GFVO 172 Dass § 19 GWB seit der 6. GWB-Novelle (01.01.1999) ein Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB ist, hat das LG Rostock (Fn. 7) verkannt. Bei der Fallgruppe der unbilligen Behinderung nach § 20 Abs. 1 GWB handelt es sich um eine Konkretisierung des allgemeinen Missbrauchstatbestands des § 19 Abs. 1 GWB, Möschel in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, § 19 Rn. 255; Markert in Immenga/ Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, § 20 Rn. 239. Auf das Verhältnis von § 20 und § 19 GWB kommt es wegen der identischen Rechtsfolgen allerdings nicht an, Bechtold (Fn. 140), § 20 Rn. 2. 173 Metzenthin (Fn. 40), S. 75. 174 U. Scholz, RdE 1998,209,213; wohl auch Büdenbender, ET 2000,359,374 f. 175 Vgl. EuGH Slg. 1979, 461, 550 f. Rn. 118-120 - Hoffmann-La Roche; 1994, 1-1477, 1520 Rn. 44 - Almelo; EuG Slg. 1995, 11-1533, 1571 ff. - Langnese-Iglo; Köhler, WuW 1999,445,452; ausführlich Markert, EuZW 2000, 427, 433.

4*

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B. Alleinbezugsverpflichtungen

ist sie es noch weniger. Da in jedem Fall die Frage der zulässigen Höchstlaufzeit vom Marktanteil des Lieferanten und dem Bedarfsdeckungsanteil des Abnehmers abhängig ist, können allgemeine Aussagen kaum getroffen werden. Angesichts der europäischen Rechtsprechung und den Maßstäben der Schirm-GFVO kann lediglich festgestellt werden, dass ein Verstoß gegen Art. 82 EG bei einer Laufzeit von mehr als zwei Jahren in Betracht kommt l76. Hinsichtlich der weiter erforderlichen Eignung der Alleinbezugsverpflichtung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels kann auf die obigen Ausführungen zu Art. 81 EG verwiesen werden 177. Auf dieser Linie liegen auch die Ansichten des Bundeskartellamts und des Landgerichtes Düsseldorf, das in einer Alleinbezugsverpflichtung, deren Laufzeit mehr als zwei Jahr betrug, eine unbillige Behinderung nach § 20 Abs. 1 GWB gesehen hat 178. Daran ist kritisiert worden, dass im Hinblick auf die Schirm-GFVO eine Laufzeit bis zu fünf Jahren unbedenklich sei l79 . Die Schirm-GFVO ist aber nur auf Unternehmen anwendbar, deren Marktanteil unter 30 % liegt, die also gerade nicht marktbeherrschend sind. Die Maßstäbe der Schirm-GFVO stehen dem Urteil des Landgerichtes Düsseldorf also nicht entgegen, sondern stützen es vielmehr. Auch die heutige Praxis, Energielieferverträge oftmals nur noch mit einer Laufzeit von einem bis höchstens drei Jahren abzuschließen, spricht dafür, diesen Zeitraum als angemessen zu betrachten. Längere Laufzeiten von Alleinbezugsbindungen marktbeherrschender Unternehmen können auch nicht per se mit Blick auf das Amortisationsinteresse des Lieferanten bei besonderes umfangreichen, vertragsspezifischen Investitionen gerechtfertigt werden; hier sind strenge Maßstäbe anzulegen l80 . Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat einen Ver-

176 Strenger Markert, EuZW 2000, 427, 433 und Schwintowski/Klaue, BB 2000, 1901, 1905, die die kritische Grenze bereits bei Bezugsbindungen mit einem Bedarfsdeckungsanteil von mehr als 50% und einer Laufzeit von über zwei Jahren ansiedeln. Dem dürfte allerdings eine Orientierung an der nicht zutreffenden Auffassung zugrunde liegen, die Schinn-GFVO lasse generell nur Bezugsbindungen bis 80% zu, siehe dazu aber oben Fn. 74. l77 Vgl. oben B. I. 2. und 1. c) mit Fn. 57-60. 178 BKartA TB 1997/98, BT-Drucks. 14/1139, S. 30; LG Düsseldorf RdE 2000, 83, 84; vgl. auch Markert, ZNER 1998, Heft 4, S. 3, 5 f., ders. in Immenga/Mestrnäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, § 20 Rn. 198; vgl. Lukes, BB 1999, Beilage 8, S. 13 f.; a. A. Böwing/Rosin, ET, 2000, 249, 252; Büdenbender, ET 2000, 359, 374 ff.; Raabe, ET 2000, 770, 774 f. 179 Böwing/Rosin, ET 2000, 249, 252. Zur Kritik von Büdenbender, ET 2000, 359, 374 ff., vgl. oben A. III. 180 Vgl. Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 141; Markert, EuZW 2000, 427, 432 f. So rechtfertigt auch die Auslastung einer Produktionsanlage nicht Laufzeiten von fünf Jahren, EuGH Slg. 1979, 461, 548 f. Rn. 112-115 Hoffmann-La Roche. Vgl. aber auch U. Schoh, RdE 1998,209,215 ff.

V. Leitbildfunktion der Schirm-GFVO

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stoß gegen § 19 Abs. 1 GWB jedenfalls bei einer Vertragslaufzeit von über 5 Jahren angenommen 181. IV. Zwischenergebnis Alleinbezugsverpflichtungen in längerfristigen AItverträgen verstoßen grundsätzlich nicht nur gegen Art. 81 Abs. 1 EG, sondern auch gegen § 1 GWB, wenn zwischen den Parteien ein Wettbewerbsverhältnis besteht. Ist die konkrete Laufzeit zur Abschreibung besonders umfangreicher, vertragsspezifischer Investitionen des Lieferanten erforderlich, so kommt eine Einzelfreistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG in Betracht. Im Rahmen von § 1 GWB ist die Bezugsbindung dann sachlich geboten, weil ein anzuerkennendes Interesse besteht. Da die Liefer-EVU im Zeitpunkt des Abschlusses der AItverträge sowohl auf dem Strom- als auch auf dem Gasmarkt marktbeherrschend waren, kann auch ein Verstoß gegen Art. 82 EG und die §§ 20 Abs. 1, 19 Abs. 1 GWB vorliegen. Neuverträge sind hingegen im Hinblick auf die genannten Vorschriften unbedenklich, wenn die Kriterien der Schirrn-GFVO erfüllt sind. Ist das Liefer-EVU marktbeherrschend, sind Laufzeiten, die zwei Jahre überschreiten, problematisch. V. Leitbildfunktion der Schirm-GFVO auch für die zivilrechtliche Würdigung Während das Kartellrecht Beschränkungen des Wettbewerbs als Institution und der wettbewerblichen Handlungsfreiheit Dritter verhindern soll, geht es bei der zivilrechtlichen Kontrolle in erster Linie um den Schutz der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit des gebundenen Vertragspartners. Längerfristige Alleinbezugsverpflichtungen, bei denen auch eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist, führen dazu, dass sich der Abnehmer zukünftig nicht mehr den für ihn günstigsten Vertragspartner aussuchen kann l82 . Die Anwendung des europäischen Kartellrechts schließt die des deutschen Zivilrechts nicht aus. Anders als das deutsche Kartellrecht bleibt das nationale Zivilrecht aufgrund seines anders gelagerten Schutzzwecks auch im Kollisionsfall anwendbar 183. Eine Ausstrahlungswirkung der Schirrn-GFVO auf das deutsche Zivilrecht wäre also in jedem Fall relevant. OLG Düsseldorf ZNER 2001, 255, 257 f. Köhler, WuW 1999, 445, 455; vgl. Staudinger/Sack, BGB, 13. Aufl. 1996, § 138 Rn. 273. 183 Veelken in Immenga/Mestmäcker, EG-WbR, Erg-Bd, 2. Lfg. 2000, V. GFVO Rn. 52. 181

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B. Alleinbezugsverpflichtungen

Auch für die Frage, ab welcher Dauer eine längerfristige Alleinbezugsverpflichtung sittenwidrig i. S. d. Generalklausei des § 138 Abs. 1 BGB ist bzw. den Vertragspartner nach § 9 Abs. 1 AGBG unangemessen benachteiligt, bietet sich zunächst eine Orientierung am Leitbild der Schirm-GFVO an 184 . Bei der pauschalierenden Bewertung, dass Bezugsbindungen, die zwischen Parteien unterschiedlicher Produktions- oder Vertriebsstufe vereinbart werden, bis zu einer Laufzeit von fünf Jahren unbedenklich sind, wenn der Marktanteil des Lieferanten 30 % nicht übersteigt, haben nämlich nicht nur wettbewerbliche Aspekte, sondern gerade auch die Interessen des Lieferanten und des Abnehmers Eingang in die Abwägung gefunden I 85. Sofern Alleinbezugsbindungen die Kriterien der Schirm-GFVO erfüllen, besteht kein Anlass, sie als sittenwidrig bzw. unangemessen anzusehen ("systemkonforme Wertungskongruenz zwischen europäischem Kartellrecht und deutschem Zivilrecht"). Ist die Laufzeit hingegen länger als fünf Jahre oder liegt der Marktanteil des Lieferanten über 30%, so entfaltet die SchirmGFVO eine negative Fernwirkung und kann als Indiz für die auch zivilrechtliche Unzulässigkeit angesehen werden. Es fragt sich dann, ob Energielieferverträge aus anderen Gründen dem Verdikt der Sittenwidrigkeit bzw. der Unangemessenheit entgehen können. 1. Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB

Bei der Prüfung von Individualvereinbarungen lassen sich Beurteilungsmaßstäbe aus der Rechtsprechung zu den längerfristigen Bierlieferungsver184 Allgemein zur Fernwirkung der GFVO auf zivilrechtliche GeneralklauseIn von Hoyningen-Huene, Die Inhaltskontrolle nach § 9 AGB-Gesetz, 1991, Rn. 225; Oetker (Fn. 128), S. 540 ff.; Veelken in Immenga/Mestmäcker, EG-WbR I, 1997, S. 407 f. (siehe aber auch ders. nunmehr in Fn. 184); PalandtlHeinrichs, BGB, 60. Aufl. 2001, § 9 AGBG Rn. 70. Für eine positive Ausstrahlungswirkung auf einen KFZ-Vertragshändlervertrag siehe BGH WM 1995, 1636, 1640; eine negative Fernwirkung für einen Tankstellenbelieferungsvertrag hat der BGH in WM 2000, 629, 633, offengelassen. Für Franchiseverträge widersprüchlich H. Schmidt in U1mer/BrandnerlHensen, AGBG, 9. Aufl. 2001, Anh. §§ 9-11 Rn. 359 (einerseits sei eine Leitbildfunktion der Schirm-GFVO im Ansatz verfehlt, andererseits komme ihr eine Indizwirkung im Rahmen der Interessenabwägung zu). Ackermann, EuZW 1999, 741, 744, ist sogar der Meinung, eine Leitbildfunktion verbiete sich. Jedenfalls im Hinblick auf die Beurteilung der Laufzeiten von Alleinbezugsverpflichtungen ist aber ein sachlicher Grund nicht erkennbar, weshalb es verboten sein sollte, sich an den Maßstäben der Schirm-GFVO zu orientieren. 185 Dies ergibt sich aus den Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 115 ff. Zur Interessenlage der Parteien siehe oben A. 11. Sehr zurückhaltend gegenüber einer Leitbildfunktion nunmehr Veelken in Immenga/Mestmäcker, EGWbR, Erg-Bd, 2. Lfg. 2001, V. GFVO Rn. 52, mit dem Hinweis, die Interessen der Parteien hätten im Vergleich zu den früheren GFVO nur wenig Berücksichtigung gefunden.

V. Leitbildfunktion der Schirrn-GFVO

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trägen, Tankstellen-Stationärsverträgen und Fernwärrnelieferverträgen gewinnen l86 . Der Bundesgerichtshof hält Bierlieferverträge zwischen Brauerei und Gastwirt mit Laufzeiten bis 15 Jahren (u. U. 20 Jahren) für zulässig. Die Brauerei habe ein berechtigtes Interesse an der längerfristigen Bezugsbindung, wenn sie zusätzliche Leistungen erbringe, wobei die folgenden Gesichtspunke in Betracht kommen: Art und Umfang der kostenlosen Überlassung von Inventar, von Biergläsern und Außenreklame, besonders günstige Darlehen oder Rabatte und Kaufpreisermäßigungen für das Gaststättengrundstück l87 . Bei den Tankstellen-Stationärsverträgen verpflichtet sich der Tankstelleninhaber zum ausschließlichen Bezug von Treib- und Schmierstoffen, während die Mineralölgesellschaft die Tankstelle entweder selbst errichtet oder dem Stationär ein langfristiges Darlehen einräumt. Die Rechtsprechung erkennt hier Laufzeiten von 10 bis zu 25 Jahren an und berücksichtigt dabei vor allem das Amortisationsinteresse aufgrund der hohen Investitionen 188. Fernwärrnelieferverträge, die vor der gesetzlichen Beschränkung der Laufzeit auf höchstens 10 Jahre 189 abgeschlossen wurden, sind dem Bundesgerichtshof zufolge bei Laufzeiten von 20 bis 25 Jahren mit § 138 BGB vereinbar. Maßgeblich seien auch hier die hohen Investitionen in Leitungsnetz und Verteilungsanlagen, die laufenden Unterhaltungskosten, sowie die Besonderheit, dass die kommunalen Satzungen regelmäßig einen unbefristeten Anschlusszwang vorsähen. Gegenüber den Bierlieferverträgen sei eine längere Laufzeit gerechtfertigt. Während sich nämlich dort einerseits die Konsumgewohnheiten ändern könnten und andererseits die Brauerei ihr Bier auch an andere Gaststätten verkaufen könnte, ändere sich bei Fernwärrnelieferverträgen weder der Bedarf noch verfüge der Lieferant beim Absatz über beliebige Ausweichmöglichkeiten 190. Ob diese Grundsätze auf Energielieferverträge übertragen werden können, wird unterschiedlich beurteilt l9l . Der Rechtsprechung lässt sich 186 Ausführlicher dazu Metzenthin (Fn. 40), S. 60 ff.; Lukes, BB 1999, Beilage 8, S. 14 ff. 187 BGH NJW 1970, 2243; 1972, 1459 f.; WM 1973, 357; 1360; NJW 1985, 2693, 2695; 1992, 2145. 188 BGHZ 52, 171, 176; BGH NJW 1982, 1692 f.; BGH WM 1997, 1403, 1406; 2000, 629, 633. 189 § 32 Abs. 1 Satz 1 AVBFernwärmeVO. 190 Vgl. BGH NJW 1987, 1622, 1624; Metzenthin (Fn. 40), S. 64. 191 Grundsätzlich bejahend Kühne, FS Sandrock, 2000, S. 537, 553; Köhler, WuW 1999, 445, 455; kritisch Metzenthin (Fn. 40), S. 62; verneinend Lukes, BB 1999, Beilage 8, S. 14 f., der darauf hinweist, dass der Stromabnehmer bei Vertragsschluss in seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit von vornherein stärker als in anderen Fällen beschränkt war, da er einem Monopolisten gegenüber stand. Die Aufrechterhaltung der Bindung widerspräche daher der im Zuge der Liberalisierung beseitigten Monopolstruktur. Auch nach der Energie- und Kartellrechtsnovelle wird

56

B. Alleinbezugsverpflichtungen

verallgemeinernd lediglich entnehmen, dass vor allem besonders umfangreiche Investitionen des Lieferanten eine längere Laufzeit bei Lieferverträgen rechtfertigen können. Pauschale Aussagen über die danach maximal zulässige Laufzeit sind aber nicht möglich, da es in jedem Einzelfall auf die jeweilige Amortisationsdauer für die konkret getätigte Investition ankommt 192. Zudem sollten ebenso wie im Kartellrecht auch zivilrechtlich nur vertrags spezifische Investitionen als Rechtfertigung für langfristige AIleinbezugsbindungen anerkannt werden. Es zeigt sich, dass die Gründe, die kartellrechtlich zur Anerkennung einer langfristigen Vertragslaufzeit führen, auch zivilrechtlich zur Rechtfertigung dienen; es besteht also Deckungsgleichheit zwischen der kartell- und der zivilrechtlichen Kontrolle. Zu beachten ist jedoch, dass bei der zivilrechtlichen Kontrolle für die Frage eines Verstoßes gegen § 138 BGB auf den Zeitpunkt des· Vertragsschlusses abzustellen ist. Andernfalls bliebe die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts in der Schwebe, was zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen würde. Dies gilt nach ganz überwiegender Meinung auch für noch nicht erfüllte Verträge und Dauerschuldverhältnisse. Ist der Vertrag bei Vertragsschluss nicht sittenwidrig, ändern sich später aber die Wertanschauungen oder die tatsächlichen Umstände, ist dies für § 138 BGB unbeachtlich; der Vertrag bleibt insoweit wirksam 193. Da im Zeitpunkt des Abschlusses der Altverträge angesichts der §§ 103, 103a GWB a. F. Laufzeiten in Energielieferverträgen von bis zu 20 Jahren nach deutschem Kartellrecht zulässig waren bzw. zumindest toleriert wurden, bleiben die Lieferverträge danach auch nach der wettbewerblichen Öffnung der Energiemärkte im Hinblick auf § 138 BGB wirksam 194. Jedoch ist anerkannt, dass eine spätere Änderung der tatsächlichen Umstände, die nunmehr zur Sittenwidrigkeit der noch vom Schuldner zu erbringenden Leistung führen würde, diesen nach § 242 BGB zur Verweigerung berechtigt. Das Bestehen des Gläubigers auf der Erfüllung stellt sich dann als unzulässige Rechtsausübung dar. Werden die Rechte des Gläubigers nachträglich in sittenwidriger Weise verkürzt, ist eine Anpassung des Vertrages aus ergänzender Vertragsauslegung geboten (§§ 157, 242 BGB)195. Würde die übermäßig lange Laufzeit des Altvertradas Amortisationsinteresse des Lieferanten aber vom Gesetzgeber anerkannt, siehe dazu oben B. I. 4. 192 Zu pauschal daher MünchKomm/Mayer-Maly/Annbrüster, BGB, 4. Aufl. 2001, § 138 Rn. 76 (,,Laufzeiten bis zu 15 Jahren unbedenklich"). 193 BGHZ 7, 111, 114; BGH NJW 1993,3193 f.; vgl. BGH WM 1997, 1403, 1407; Staudinger/Sack, BGB, 13. Aufl. 1996, § 138 Rn. 79 ff. 194 So das LG Leipzig RdE 2001, 29, 31. 195 BGHZ 20, 71, 75; BGH NJW 1983, 2692, 2693; 1993, 3193 f.; BGHZ 126, 226, 241 ff.; Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 18, 6; Medicus, NJW 1995, 2577,2578 f.; Staudinger/Sack, BGB, 13. Aufl. 1996, § 138 Rn. 82 f. m.w.N. Dies hat das LG Leipzig RdE 2001, 29, 31, übersehen.

V. Leitbildfunktion der Schinn-GFVO

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ges nach den obigen Ausführungen im Beurteilungszeitpunkt Ende April 1998 gegen die guten Sitten verstoßen, ist danach eine Anpassung der Laufzeit des Liefervertrages auf die nunmehr angemessene Laufzeit geboten l96 . 2. InhaltskontroUe nach § 9 AGBG

Sind ausschließliche Bezugsbindungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten, so kommt es nach der GeneralklauseI des § 9 Abs. 1 AGBG darauf an, ab welcher Laufzeit eine unangemessene Benachteiligung anzunehmen ist 197 • § 11 Nr. 12 AGBG, wonach ein Dauerschuldverhältnis ohne Kündigungsmöglichkeit keine längere Vertragslaufzeit als zwei Jahre haben darf, findet auf die Lieferverträge mit den Weiterverteilern keine Anwendung, da es sich um Kaufleute handelt, § 24 AGBG. Die längerfristige Alleinbezugsverpflichtung stellt eine Benachteiligung dar, da nach der wettbewerblichen Öffnung der Energiemärkte jeder Abnehmer seinen Lieferanten grundSätzlich frei wählen können soll. Ab welcher Laufzeit diese Benachteiligung unangemessen ist, entscheidet sich anband einer Interessenabwägung. Für die Frage der zulässigen Laufzeit von Alleinbezugsverpflichtungen existieren keine dispositiven Vorschriften i. S. d. § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG. Im Allgemeinen setzt die Wirksamkeitsschranke des § 9 Abs. 1 AGBG zwar deutlich vor der des § 138 BGB ein 198 • Im Hinblick auf den mit der zivilrechtlichen Kontrolle verfolgten Zweck des Schutzes der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit des langfristig gebundenen Abnehmers besteht aber in der vorliegenden Fallkonstellation kein Grund, bei der AGBKontrolle strengere Maßstäbe als bei der Sittenwidrigkeitsprüfung anzulegen. Die vorstehenden Ausführungen zu § 138 BGB können also sinngemäß herangezogen werden. Auch im Rahmen von § 9 AGBG ist zwar für die Beurteilung grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen; spätere Änderungen der tatsächlichen Umstände sind nicht zu berücksichtigen 199 . Jedoch Zu den Einzelheiten vgl. unten E. 11. 3.-7. Lukes, BB 1999, Beilage 8, S. 17, bejaht einen Verstoß, wenn die nach § 11 Nr. 12 AGBG zulässige Laufzeit von zwei Jahren "deutlich" überschritten wird. Bei Bierlieferverträgen wurden früher Laufzeiten von 10-15 Jahren für zulässig erachtet (Götz, BB 1990, 1217, 1218), heute wird die Grenze überwiegend bei 10 Jahren gezogen (Hensen in U1mer/Brandner/Hensen, AGBG, 9. Aufl. 2001, Anh. §§ 9-11 Rn. 250; von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Bierlieferungsvertrag, Stand: 411999, II. Rn. 14; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 4. Aufl. 1999, § 9 Rn. B 105). 198 Siehe etwa BGH ZIP 1996, 957, 961; Staudinger/M. Coester, BGB, 13. Aufl. 1998, § 9 AGBG Rn. 34; PalandtlHeinrichs, BGB, 60. Aufl. 2001, Vorbem v § 8 AGBG Rn. 17. 196

197

58

B. Alleinbezugsverpflichtungen

gelten wie bei § 138 BGB auch hier die Schranken der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) bzw. die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 242 BGB)200. 3. Zwischenergebnis

Die Wertungen der Schinn-GFVO können auch bei der zivilrechtlichen Kontrolle der Altverträge als Leitbild herangezogen werden. Die längerfristigen Altverträge, die den Abnehmer zum Alleinbezug verpflichten, sind seit der wettbewerblichen Öffnung der Energiemärkte im Jahre 1998 als sittenwidrig bzw. als unangemessene Benachteiligung anzusehen, sofern nicht ein dem Abnehmer im wirtschaftlichen Ergebnis zugute kommendes Amortisationsinteresse des Lieferanten an besonders umfangreichen vertragsspezifischen Investitionen besteht. Zwar führt dies nicht zur Nichtigkeit nach § 138 BGB bzw. § 9 AGBG, da insoweit allein auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen ist. Jedoch ist eine Vertragsanpassung an die nunmehr angemessene Laufzeit über die im Vertrag enthaltenen Ersetzungs- bzw. Wirtschaftsklauseln, sonst im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geboten. Hingegen sind Neuverträge, deren Laufzeit insbesondere mit Blick auf die Kriterien der Schinn-GFVO - kartellrechtlich zulässig ist, auch zivilrechtlich nicht zu beanstanden.

199 Wolf (Fn. 197), § 9 Rn. 55, 165; Brandner in Uimer/Brander/Hensen, AGBG, 9. Aufl. 2001, § 9 Rn. 74a m. w. N. 200 Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl., 2001, § 9 AGBG Rn. 2; vgl. auch Staudinger/Mo Coester (Fn. 198), § 9 AGBG Rn. 76.

c. Eigenerzeugungsverbote Das in der Gesamtbedarfsdeckungsklausel enthaltene Verbot bzw. die Beschränkung der Eigenerzeugung dient dazu, die Alleinbezugsverpflichtung abzusichern. Geht man entgegen der hier vertretenen Ansicht davon aus, dass die ausschließliche Bezugsbindung nur § 16 GWB unterliegt, so ist es konsequent, auch auf das Eigenerzeugungsverbot § 1 GWB nicht anzuwenden und darin nur eine zulässige Absicherung der Alleinbezugsbindung zu sehen20I . Liefer-EVU und Weiterverteiler sind aber regelmäßig aktuelle oder potentielle Wettbewerber auf der Absatzseite. Das Eigenerzeugungsverbot verstärkt die durch das Drittbezugsverbot bewirkte Beeinträchtigung des Abnehmers auf der Absatzseite und die daraus resultierende Einschränkung der Auswahlmöglichkeiten der Verbraucher. Nur wenn die ausschließliche Bezugsbindung in längerfristigen Altverträgen zur Abschreibung besonders umfangreicher, vertragsspezifischer Investitionen des Lieferanten freistellungsfähig bzw. wettbewerblieh anerkennenswert ist, gilt dies auch für das Eigenerzeugungsverbot. Andernfalls sind die Eigenerzeugungsverbote nach § 1 GWB verboten 202 (Im Falle der Marktbeherrschung kommt auch ein Verbot gemäß § 19 Abs. 1 GWB - Ausbeutungsmissbrauch -, bei Erfüllung der Zwischenstaatlichkeitsklausel ein Verbot nach Art. 81 EG bzw. Art. 82 EG in Betracht). Folgt man dem nicht, ergibt sich die Nichtigkeit des Eigenerzeugungsverbotes im Übrigen als Folge der aus dem Verstoß gegen das europäische Kartellrecht bzw. das deutsche Kartell- und Zivilrecht resultierenden Nichtigkeit der Alleinbezugsbindung203 . Die isolierte Vereinbarung eines Eigenerzeugungsverbotes ohne eine ausschließliche Bezugsbindung macht keinen Sinn. Bei Individualvereinbarungen folgt dies aus § 139 BGB, im Falle Allgemeiner Geschäftsbedingungen dürfte diesem Ergebnis auch § 6 AGBG nicht entgegenstehen. 201 So noch der BGH WuW/E 1049, 1050 - Überlandwerk I; Büdenbender, ET 1982, 43, 49; WürzberglBartsch (Fn. 11), S. 13 ff.; BöwinglRosin, ET 2000, 249, 254; Wiedemann/Zinow (Fn. 12), § 34 Rn. 194; Bunte (Fn. 12), Anhang zum 5. Abschnitt Rn. 48. 202 Für die Anwendung von § 1 GWB: Kartellreferentenentschließung des Bundes und der Länder v. 9.10.1981, TB 1981182 BT-Drucks. 10/243, S. 86; vgl. auch TB 1987/88 BT-Drucks. 1114611, S. 109; Klaue (Fn. 20), Rn. 19; Lukes, BB 1999, Beilage 8, S. 10, 12 f. 203 Dazu unten E. 11. 3.-6.

60

C. Eigenerzeugungsverbote

Sofern die kurzfristige Alleinbezugsbindung in Neuverträgen dagegen nach der Schirrn-GFVO freigestellt ist, erfasst die Freistellung auch das Eigenerzeugungsverbot (Art. 5 lit. a) i. V. ffi. Art. 1 lit. b), 1. Fall SchirrnGFVO).

D. Kundenschutzvereinbarungen I. Kartellrechtliche Würdigung nach Art. 81 EG 1. Tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkung

Gebietsschutzabreden dienen der Marktaufteilung und verhindern den Wettbewerb der Vertragspartner um Kunden, wodurch die Verbraucher spürbar in ihren Auswahlmöglichkeiten beeinträchtigt werden können204 • Zweifelhaft ist, ob eine tatbestandliche Wettbewerbsbeschränkungen verneint werden kann, weil Kundenschutzzusagen als funktionsnotwendig anzuerkennen sind oder die wettbewerblichen Vorteile des Liefervertrages im Ganzen überwiegen. Kundenschutzzusagen sind zur Erschließung der Elektrizitätsmärkte heute nicht (mehr) erforderlich205 • Ob die Behauptung zutrifft, Weiterverteiler könnten die Verbraucher generell preiswerter, sicherer oder vorteilhafter als die Liefer-EVU versorgen206 , ist unerheblich. Angesichts des mit der Liberalisierung verfolgten Ziels der Öffnung der Energiemärkte können Kundenschutzzusagen aus diesem Grund jedenfalls nicht anerkannt werden. Geboten sein könnten die Kundenschutzzusagen des Lieferanten wie des Händlers bei besonderen Verkaufsförderungsbemühungen des Händlers im Rahmen eines Absatzmittlungsverhältnisses ("Trittbrettfahrerproblem") oder zur Amortisation besonders umfangreicher Investitionen des Lieferanten (Erschließung einer Gasquelle, Bau von Kraftwerken oder Transportleitungen) oder des Weiterverteilers (Leitungsbau). Beide Fälle können allerdings nach der europäischen Praxis nur zu einer Freistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG führen 207 • Dementsprechend haben die Beson204 Vgl. Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 178, 180. Auch die Übergangsregelung in Art. 12 Abs. 2 Schirm-GFVO kann nicht zur Zulässigkeit von Kundenschutzzusagen in solchen Altverträgen führen, deren Laufzeit vor dem 01.01.2007 endet, siehe dazu oben B. I. 3. 205 Ehel, WuW 1998,448,455; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl. 2001, § 1 Rn. 298. 206 Verneinend Köhler, WuW 1999,445,446 f.; vgl. auch LG Mannheim WuW/ E DE-R 298, 301 - Stromversorgung. Bejahend aber A.-R. Bömer, ET 1999, 405, 409, der die Funktion des Ortsversorgers als Absatzmittler darin sieht, dass dieser als Verteiler den Lastgang optimiert und damit dem Vorlieferanten ermöglicht, den Gesamtbedarf mit optimierten eigenen Kosten und deshalb preisgünstig zu decken; zustimmend insoweit Kühne, FS Sandrock, 2000, S. 537, 555 Fn. 76. 207 Vgl. EuGH Slg. 1986, 1-353, 383 f. Rn. 24 - Pronuptia; EG-Kommission WuW/E EV 1193, 1198 - Yves Rocher. Demgegenüber scheint Schwintowski,

62

D. Kundenschutzvereinbarungen

derheiten dieser Fallkonstellationen in der generalisierenden Abwägung der wettbewerblichen Vor- und Nachteile von Kundenschutzzusagen in der Schirm-GFVO Berücksichtigung gefunden 208 • Hinsichtlich der Eignung der Gebietsschutzabreden zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden 209 . 2. Pauschale Freistellung von Kundenschutzzusagen in Energielieferverträgen nach der Schirm-GFVO?

Die vertikalen Kundenschutzzusagen könnten nach Art. 81 Abs. 3 EG i. V. m. der Schirm-GFVO vom Verbot des Art. 81 Abs. 1 EG freigestellt sein. Oben wurde ausgeführt, dass die neue Schirm-GFVO grundSätzlich auch auf Energielieferverträge Anwendung findet 21o • Fraglich ist aber, ob dies auch für Gebietsschutzzusagen gilt. So könnte man bereits daran zweifeln, ob Liefer-EVU und Weiterverteiler im Hinblick auf die Kundenschutzklauseln "zwecks Durchführung der Vereinbarung" auf einer unterschiedlichen Produktions- oder Vertriebsstufe tätig sind, ob es sich also überhaupt um eine vertikale Vereinbarung i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Schirm-GFVO handelt. Dagegen spricht, dass sich die Parteien im Hinblick auf die Gebietschutzabrede nicht auf unterschiedlichen Marktstufen gegenüberstehen, da sie aktuelle oder zumindest potentielle Wettbewerber auf der Absatzseite sind. Allerdings regelt die Schirm-GFVO in Art. 4 lit. b) den Fall der Beschränkung des Verkaufsgebiets bzw. des Kundenkreises des Käufers. Dies legt nahe, bei der Frage nach dem Vorliegen einer vertikalen Vereinbarung i. S. d. der Schirm-GFVO nicht auf die einzelne Abrede (hier die Kundenschutzvereinbarung), sondern auf den gesamten (Liefer-) Vertrag abzustellen, da man andernfalls gar nicht mehr zur Anwendung des Art. 4 lit. b) käme211 . Nach Art. 2 Abs. 4 findet die Schirm-GFVO auch auf vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern Anwendung, wenn diese eine nichtwechselseitige vertikale Vereinbarung treffen und der jährliche Gesamtumsatz des Käufers 100 Mio. EUR nicht überschreitet (lit. a) oder der Lieferant zugleich Hersteller und Händler von Waren, der Käufer dagegen ein HändWuW 1997, 769, 776 f., davon auszugehen, dass insoweit bereits der Tatbestand des Art. 81 Abs. 1 EG zu verneinen ist. Vgl. auch oben B. I. 1. e) und 4. 208 Vgl. Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 116/1, 2, 4, 141,

155.

Vgl. oben B. I. 2. Siehe oben B. I. 1. d) bb). 211 Vgl. Veelken in Immenga/Mestmäcker, EG-WbR, Erg-Bd, 2. Lfg. 2001, V. GFVO Rn. 64. 209

210

I. Würdigung nach Art. 81 EG

63

ler ist, der keine mit den Vertrags waren im Wettbewerb stehenden Waren herstellt (lit. b). Würde es sich bei gegenseitigen Gebietsschutzzusagen um "wechselseitige" vertikale Vereinbarungen im Sinne dieser Bestimmung handeln, fände die Schirm-GFVO keine Anwendung. Auch für die Frage, ob eine "nichtwechselseitige" vertikale Vereinbarung vorliegt, wird man auf die vertragliche Beziehung insgesamt und nicht auf die einzelne Abrede (Kundenschutzabrede) abzustellen haben 212 • Für dieses Verständnis spricht das Beispiel in den Leitlinien über vertikale Vereinbarungen, wonach eine nichtwechselseitige vertikale Vereinbarung vorliegt, wenn ein Hersteller zum Absatzmittler des anderen Herstellers, letzterer aber nicht auch der Absatzmittler des Ersteren werde (Ziff. 27). Die Formulierung dürfte aus der früheren GFVO über Alleinvertriebsvereinbarungen (Nr. 1983/83) stammen, die in Art. 3 lit. a) "wechselseitige" Alleinvertriebsvereinbarungen von der Freistellung ausnahm und in lit. b) davon eine (Rück-)Ausnahme für "nichtwechselseitige" Alleinvertriebsvereinbarungen vorsah, wenn der Gesamtumsatz einer der Vertragspartner 100 Mio. ECU nicht überschritt213 • Voraussetzung für eine Freistellung nach Art. 3 Schirm-GFVO ist, dass der Marktanteil des jeweils Bindenden 30% nicht übersteigt. Die Freistellung gilt zwar gemäß Art. 4 lit. b) Schirm-GFVO nicht für Beschränkungen des Gebietes oder des Kundenkreises, in das oder an den der Käufer Vertragswaren oder -dienstleistungen verkaufen darf. Jedoch gibt es eine (Rück-)Ausnahme für Beschränkungen des aktiven Verkaufs in Gebiete oder an Gruppen von Kunden, die der Lieferant sich selbst vorbehalten oder ausschließlich einem anderen Käufer zugewiesen hat, sofern dadurch Verkäufe seitens der Kunden des Käufers nicht begrenzt werden214 . Fraglich ist, ob Art. 5 lit. a) Schirm-GFVO auch auf Kundenschutzzusagen des Abnehmers anzuwenden ist, diese also für die Dauer von bis zu fünf Jahren freigestellt sind. Art. 5 lit. a) Schirm-GFVO gilt nur für Wettbewerbsverbote i.S.d. Art. 1 lit. b) Schirm-GFVO. Als Wettbewerbsverbot definiert die Schirm-GFVO jedoch nur Beschränkungen, die den Weiterverkauf von Konkurrenzprodukten betreffen, während sich die Gebietsschutzabrede gemäß Art. 4 lit. b) Schirm-GFVO nur auf Beschränkungen des Verkaufs der Vertragsware bezieht. Oben wurde allerdings festgestellt, dass im 212 So wohl auch Roniger, Das neue Vertriebskartellrecht, 2000, Art. 2 Rn. 12; Veelken in Immenga/Mestmäcker, EG-WbR, Erg-Bd, 2. Lfg. 2001, V. GFVO Rn.117. 213 Verordnung (EWG) Nr. 1983/83 der Kommission v. 22.06.1983 über die Anwendung von Art. 85 Abs. 3 des Vertrages auf Gruppen von Alleinvertriebsvereinbarungen, Abi. EG 1983 L 173, S. l. 214 Nach den Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44) gilt als passiver Verkauf grundsätzlich auch die Werbung im Internet, sofern sie nicht speziell dazu bestimmt ist, hauptsächlich Kunden anzusprechen, die einem anderen Händler zugewiesen sind (Ziff. 50 f.).

D. Kundenschutzvereinbarungen

64

Falle von Energie die Abgrenzung zwischen Konkurrenzprodukten und Vertragswaren nicht möglich ist, da Strom bzw. Gas homogene Massengüter sind 215 . Konsequenz ist also eine Freistellung der Gebietschutzabrede des Abnehmers für die Dauer von bis zu fünf Jahren gemäß Art. 5 lit. a). Die Kundenschutzzusage des Lieferanten ist sogar zeitlich unbegrenzt freigestellt. Auch wenn systematisch betrachtet auffällt, dass die Schirm-GFVO kein Wort über Beschränkungen des Lieferanten enthält, sondern ausschließlich von den Beschränkungen des Käufers die Rede ist, gilt die Schirm-GFVO auch für Beschränkungen des Verkäufers216. Da nur Beschränkungen des Käufers, nicht aber des Lieferanten als "Wettbewerbsverbote" in Art. 1 lit. b) definiert werden, ist die Kundenschutzzusage des Lieferanten unbegrenzt zulässig 217 . Dieses sich bei einer Wortlautinterpretation unvermeidlich aufdrängende Ergebnis ist mit dem Sinn der EG-Richtlinien Strom und Gas allerdings nur schwer vereinbar. Nach der Aufhebung der §§ 103, l03a GWB a. F. soll die Versorgung der Bevölkerung mit Energie nicht mehr innerhalb geschlossener Gebiete, sondern im Wettbewerb erfolgen. Die Aufrechterhaltung des Gebietsschutzes steht hierzu in krassem Widerspruch218 , da sie den freien Leitungsbau und die Durchleitung behindert. Horizontale Demarkationen zwischen Liefer-EVU sind vor diesem Hintergrund unzulässig. Daraus folgt zwar nicht, dass Kundenschutzzusagen auch in Energielieferverträgen per se nicht mehr anerkannt werden können 219 ; andernfalls würde der Liefervertrag u. U. nicht mehr abgeschlossen bzw. durchgeführt. Um aber die wettbewerbliche Öffnung der Energiemärkte nicht zu behindern, sollten Gebietsschutzabreden jedenfalls de lege ferenda nicht pauschal, sondern nur im Einzelfall und in engen Grenzen freigestellt werden (dazu im Anschluss unter 3.)220. Wünschenswert wäre die Festschreibung der Nichtanwendbar215

85.

Vgl. oben B. I. 1. b) und d) aa); i. Erg. wohl auch J. F. Baur, RdE 2001, 81,

216 Nach Art. 2 Abs. 1 Schirrn-GFVO gilt die Freistellung für "Vereinbarungen, ( ... ) welche die Bedingungen betreffen, zu denen die Parteien (Hervorhebung der Verf.) bestimmte Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen". 217 So Veelken in Immenga/Mestmäcker, EG-WbR, Erg-Bd, 2. Lfg. 2001, V. GFVO Rn. 183. 218 V gl. die Regierungsbegründung (Fn. 2), S. 9 ff., 23, 30; Markert, ZNER 1998, Heft 4, S. 3, 7; Ebel, WuW 1998, 448, 449; Köhler, WuW 1999, 445, 446 ff.; ff.; J. F. Baur, FS Sandrock, 2000, S. 35, 39 f. Vgl. zum deutschen Recht LG Mannheim WuW/E DE-R 298, 302 f. - Stromversorgung; zustimmend Büdenbender, EWiR 1999, 609, 610. Siehe aber auch A.-R. Bömer, ET 1999, 405, 408 ff.; Schwintowski, WuW 1997, 769, 776 ff. 219 So aber Ebel, WuW 1998,448,455. 220 Dass die generelle Freistellung von Gebietsschutzzusagen das Ziel der wettbewerblichen Öffnung der Energiemärkte konterkariert, scheint bei Erlass der Schirrn-

I. Würdigung nach Art. 81 EG

65

keit der Schinn-GFVO auf Kundenschutzzusagen in Energielieferverträgen in Art. 4 oder 5 der Schinn-GFVO. Kundenschutzzusagen des Abnehmers in Altverträgen können freilich von vornherein nicht in den Genuss der Schinn-GFVO kommen, da die Laufzeit der Verträge die Fünf-Jahres-Frist des Art. 5 lit. a) der SchinnGFVO überschreitet. 3. Einzelfreistellung von Gebietsschutzzusagen

Wenn auch die generelle Freistellung von Kundenschutzzusagen in neu abgeschlossenen Energielieferverträgen nach der Schinn-GFVO verfehlt ist, so können wechselseitige Kundenschutzzusagen im Rahmen eines Absatzmittlungsverhältnisses im Einzelfall gleichwohl funktionsnotwendig und deshalb nach Art. 81 Abs. 3 EG freizustellen sein. Absatzmittler bewirken in der Regel eine Belebung des Wettbewerbs, wenn sie nicht unerhebliche Aufwendungen für verkaufs- und imagefördernde Maßnahmen tätigen, um die Marktchancen des Herstellers zu fördern. Die Übernahme dieses Risikos kann aber nur erwartet werden, wenn der Händler die Chance hat, die Kosten auch wieder zu erwirtschaften, ohne hierbei vom Hersteller oder von anderen Vertragshändlern behindert zu werden ("Trittbrettfahrerproblem,,)221. Bei der Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf Energielieferverträge sind aber Einschränkungen geboten. Für Altverträge greift dieser Gesichtspunkt von vornherein nicht. Bei Strom und Gas handelt es sich jedenfalls gegenwärtig noch - um homogene Massengüter, die sich in Qualität und Produktimage nicht unterscheiden. Der Weiterverteiler erbringt keine über den Verkauf hinausgehende verkaufsfördernde Leistung, die als Ausgleich die zu seinen Gunsten wirkende Gebietsschutzabrede rechtfertigen könnte 222 . Aber auch beim Abschluss von Neuverträgen ist zu differenzieren. Da die Weiterverteiler mittlerweile auf den Energiemärkten dem GFVO nicht bedacht worden zu sein. Der denkbare Ausweg einer entsprechenden teleologischen Reduktion der Schirrn-GFVO erscheint verperrt. Angesichts der Möglichkeiten des Entzugs der Freistellung bzw. der Nichtanwendbarkeit der SchirrnGFVO nach den Art. 6-8 ist kein Raum für eine teleologische Reduktion, die zu einer nicht tragbaren Rechtsunsicherheit führen würde. 221 Vgl. EuGH Slg. 1986, 1-353, 383 f. Rn. 24 - Pronuptia; EG-Kommission WuW/E EV 1193, 1198 - Yves Rocher. 222 Ebel, WuW 1998,448,452; vgl. auch Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 115/2, Rn. 182. Zum deutschen Recht: LG Mannheim WuW/E DE-R 298, 301 f. - Stromversorgung; Köhler, WuW 1999, 445, 446 f.; Büdenbender, EWiR 1999, 609, 610; J. F. Baur, FS Sandrock, 2000, S. 35, 39; vgl. Zimmer in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. AufI. 2001, § 1 Rn. 295, 298; vgl. auch Kühne, FS Sandrock, 2000, S. 537, 555. A.A. wohl Schwintowski, Ordnung und Wettbewerb auf deregulierten Erdgasmärkten, 1998, S. 103 f.; ders., WuW 1997, 769, 776 f.; 5 SäckerlJaecks

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D. Kundenschutzvereinbarungen

Wettbewerb anderer Lieferanten und Händler ausgesetzt sind, erscheint zwar das Verbot des aktiven Abwerbens von Kunden des Lieferanten oder anderer Händler, nicht aber auch das Verbot der passiven Belieferung funktionsnotwendig223 . Bei der Frage der Angemessenheit der Laufzeit sollte man sich an dem Maßstab der Schirm-GFVO orientieren (Fünf-Jahres-Frist des Art. 5 lit. a). Eine Einzelfreistellung der Kundenschutzzusagen kommt im Übrigen vor allem zur Amortisation besonders umfangreicher, vertragsspezifischer Investitionen des Lieferanten (Erschließung einer Gasquelle, Bau eines Kraftwerks oder von Transportleitungen) in Betracht224 . Den Leitlinien für vertikale Beschränkungen lässt sich entnehmen, dass die Laufzeitbegrenzung auf fünf Jahre in Art. 5 lit. a) Schirm-GFVO insoweit nicht abschließend ist225 . Auch die Regierungsbegründung zur Energie- und Kartellrechtsnovelle zeigt, dass dem Amortisationsinteresse an besonders umfangreichen Investitionen auch nach der Liberalisierung der Energiewirtschaft weiterhin Rechnung getragen werden so1l226. Zu berücksichtigen ist freilich, dass der Lieferant die Amortisation seiner besonderen Investitionen in erster Linie durch die Gesamtbedarfsdeckungsklausel sichert227 . Soweit man daneben überhaupt noch die Kundenschutzzusage des Abnehmers für erforderlich hält, erscheint diese - auch im Hinblick auf die Wertungen des Art. 4 lit. b) erster Spiegelstrlch der Schirm-GFVO - allenfalls in Form des Verbotes des aktiven Abwerbens, nicht aber auch des passiven Belieferns geboten, da das Liefer-EVU auf dem Strom- und Gasmarkt sowieso dem Wettbewerb anderer Lieferanten uhd Händler ausgesetzt ist. Tätigt der Weiterverteiler besonders umfangreiche vertragsspezifische Investitionen (Leitungsbau), so kann eine Kundenschutzzusage des Liefer-EVU anzuerkennen sein. Da auch die Weiterverteiler im Wettbewerb mit anderen Lieferanten und Händlern stehen, sollte aber auch in diesem Fall nur das Verbot des aktiven Abwerbens freigestellt werden. Die zulässige Laufzeit richtet sich nach der Abschreibungsdauer der Investition. vgl. auch A.-R. Bömer, ET 2000, 405, 408, mit dem Hinweis auf die anerkannt über Absatzmittler vertriebenen genormten Kraftstoffe. 223 Für die Kundenschutzzusage des Lieferanten vgl. OLG München WuW/E 5520, 5523 f. - Druckgussteile. Kritisch zur Differenzierung zwischen dem Verbot des aktiven und passiven Wettbewerbs Bomkamm, FS Geiß, S. 539, 552 Fn. 55. Zur Gebietsschutzzusage des Abnehmers vgl. Art. 4 lit. b) erster Spiegelstrich der Schirm-GFVO und die Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 50 ff. I. Erg. wie hier auch Schwintowski, WuW 1997, 769, 777. 224 Vgl. Köhler, WuW 1999,445,447. 225 Leitlinien für vertikale Beschränkungen (Fn. 44), Ziff. 155. 226 Vgl. Regierungsbegründung (Fn. 2), S. 25; Köhler, WuW 1999, 445, 447; Büdenbender, EWiR 1999,609,610. 227 Siehe dazu oben B. I. 1. e) und 4.

I. Würdigung nach Art. 81 EG

67

Zweifelhaft ist schließlich, ob eine Freistellung der Kundenschutzzusage des Lieferanten geboten ist, weil das Liefer-EVU den Weiterverteiler durch eine Gesamtbedarfsdeckungsklausel gebunden hat. In diesem Fall kann aus § 242 BGB eine ungeschriebene vertragliche Treuepflicht des Lieferanten folgen, Kunden seines Abnehmers nicht direkt zu beliefern228 . Problematisch erscheint, dass auf diesem Weg die Zulässigkeit einer Wettbewerbsbeschränkung (Kundenschutzzusage) mit dem Vorhandensein einer weiteren wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung (Gesamtbedarfsdeckungsklausel) gerechtfertigt würde. Zunächst einmal wird man ein Wettbewerbsverbot allerdings nicht schon aus der (allgemeinen) Gesamtbedarfsdeckungsklausel als solcher herleiten können. Nur wenn der Abnehmer auch zur Abnahme einer seinen Bedarf im wesentlichen (zu mehr als 80% ausschöpfenden) festen Menge verpflichtet ist, ist das Eindringen des Lieferanten in den Kundenkreis des Abnehmers treuwidrig?29 Insoweit steht der Anerkennung eines geschriebenen oder ungeschriebenen Wettbewerbsverbotes auch nicht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entgegen. Diese stellt in Fällen, in denen es sowohl um die Zulässigkeit einer Bezugsbindung als auch einer Kundenschutzzusage des Lieferanten geht, bei der Frage der Anerkennung der Gebietsschutzvereinbarung nicht auf die Bezugsbindung, sondern allein auf den Gedanken der Absatzförderung im Vertriebssystem ab 230 . Der Schluss, auch in Energielieferverträgen könne die Kundenschutzzusage des Lieferanten nicht im Hinblick auf die Bezugsbindung, sondern nur mit Blick auf ein Vertriebssystem anerkannt werden231 , überzeugt in dieser Allgemeinheit nicht. Im Falle der zulässigen Verpflichtung des Abnehmers, eine Festmenge abzunehmen, ist der Wettbewerb durch den Lieferanten nur dann hinnehmbar, wenn der Abnehmer auch die Möglichkeit hat, Kunden außerhalb seines Versorgungsgebietes zu gewinnen und Absatzverluste dadurch zu kompensieren. In der Energiewirtschaft ist dies aber nicht immer der Fall. Soweit es sich bei den Abnehmern um Stadtwerke handelt, kann die Versorgung von Kunden außerhalb des Gemeindegebietes darüber hinaus aus kommunalwirtschaftsrechtlichen Gründen unzulässig sein232 . Funktionsnotwendig erscheint in diesem Fall nicht nur das Verbot des aktiven Abwerbens, sondern auch das Verbot der passiven Belieferung. Zulässig ist die Kundenschutzzusage dann für die Dauer der - zulässigen - Laufzeit der Gesamtbedarfsdeckungsklausel. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das Liefer-EVU bei einer Direktbelieferung von Endkunden des Wei228 Vgl. Rottnauer, BB 1999, 2145, 2149; Kühne, FS Sandrock, 2000, S. 537, 555; Bunte (Fn. 12), Anhang zum 5. Abschnitt Rn. 43 und 46. 229 Köhler, WuW 1999,445,451 f., 453 Fn. 32. 230 BGH WuW/E 3115, 3119 - Druckgussteile; 3121, 3125 f. - Bedside-Testkarten. 231 Vgl. Büdenbender (Fn. 9), Rn. 428 f. 232 Siehe allgemein dazu Oebbecke, ZHR 164 (2000), 375, 381 ff. 5*

D. Kundenschutzvereinbarungen

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terverteilers auf dessen Leitungswege angewiesen ist, sofern es nicht Stichleitungen für Großkunden baut. Der Weiterverteiler kann den Kundenverlust dann durch die an ihn zu zahlenden Durchleitungsentgelte jedenfalls teilweise kompensieren, so dass die Vertragsdurchführung nicht gefährdet sein muss 233 , es sei denn, er müsste die nicht absetzbaren, aber kontrahierten Energiemengen gleichwohl bezahlen. Es zeigt sich, dass auch im Falle der Verpflichtung des Abnehmers zur Gesamtbedarfsdeckung eine Kundenschutzzusage des Lieferanten keineswegs generell, sondern nur fallweise nach den Gesamtumständen anerkannt werden kann. Davon, ob die Kundenschutzzusage generell für ein Gebiet oder individuell unter Nennung der Kunden formuliert ist, kann ihre Zulässigkeit allerdings nicht abhängen234 . Es kommt vielmehr stets darauf an, ob und inwieweit der letztlich erzielte Kundenschutz wettbewerblieh anerkennenswert ist. 11. Kartellrechtliche Würdigung nach §§ 1,16 GWB Die Beurteilung vertikaler Demarkationen in Energielieferverträgen nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist immer noch kontrovers. Der überwiegenden Meinung zufolge sind sie sowohl· auf dem Markt für Strom als auch auf dem für Gas grundsätzlich nach § I GWB verboten und nur ausnahmsweise anzuerkennen 235 . Vereinzelt wird dabei noch zwischen verbotenen generellen und ausnahmsweise anzuerkennenden individuellen Kundenschutzklauseln unterschieden236 • Nach anderer Ansicht ist zu differenzieren zwischen zweiseitigen, unter § 1 GWB fallenden und einseitigen, ausschließlich § 16 Nr. 3 GWB unterliegenden Demarkationen237 • Wieder Lohse (Fn. 138), S. 46 f. Fn. 87, S. 61 Fn. 108, S. 68 Fn. 118, S. 72 Fn. 126. Vgl. aber Köhler, WuW 1999, 445, 450 f. Diese Differenzierung ist im Übrigen schon deshalb ungeeignet, weil sie zu Umgehungsmöglichkeiten einlädt. 235 Ebel, WuW 1998, 448, 449 ff. (der keine Ausnahmen anerkennen möchte); U. Scholz, RdE 1999, 161, 162; grundsätzlich auch Büdenbender, EWiR 1999, 609, 610; wohl auch Salje, ET 1999, 768, 770 ff.; Lukes, BB 1999, Beilage 8, S. 7, 9; J. F. Baur, FS Sandrock, 2000, S. 35, 39 f.; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Auf!. 2001, § 1 Rn. 298; Emmerich in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Auf!. 2001, § 16 Rn. 22; tendenziell auch Klaue (Fn. 20), Rn. 13 ff. Für den Strommarkt LG Mannheim WuW /E DE-R 298, 299 f. - Stromversorgung; vgl. auch BGH WuW/E 1405 - Grenzmengenabkommen; KG Berlin WuW/E OLG 5642, 5648 f. - Demarkation Gasversorgung; vgl. auch die neuere Entscheidung des BGH WuW/E DE-R 399, 402 f. - Verbundnetz, in der das Gericht die Frage zwar nicht entschieden hat, aber deutlich in die diese Richtung tendiert. Anders noch BGH WuW/E 1049, 1050 - Überlandwerk I. 236 Köhler, WuW 1999, 445, 449 ff. 237 Kühne, BB 1997, Beilage 19, S. 5 ff. 233

234

II. Würdigung nach §§ 1, 16 GWB

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andere unterscheiden zwischen dem Strom- und dem Gasmarkt238 • Schließlich werden vertikale Demarkationen als bloße Absicherung einer Austauschbeziehung im Sinne des § 16 Nr. 3 GWB angesehen 239 . Wie oben dargestellt, sind EVU und Weiterverteiler in der Regel als Wettbewerber anzusehen 24o • Für das Vorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung nach § 1 GWB kommt es nicht darauf an, ob es sich um eine einseitige oder um eine wechselseitige Kundenschutzvereinbarung handelt. Fraglich ist allein, ob die Kundenschutzzusagen funktionsnotwendig oder wegen anerkennenswerter Interessen sachlich geboten im Sinne der Druckgussteile- und Bedside-Testkarten-Rechtsprechung sind241 • Wettbewerbsverbote in Energielieferverträgen, die nicht funktionsnotwendig für die Durchführung des Vertrages sind, können auch nicht wettbewerblieh vorteilhaft für die wettbewerbliehe Öffnung der Energiemärkte erscheinen242 • Nur in den Fällen, in denen vorstehend unter I. 3. die Einzelfreistellungsfähigkeit der Kundenschutzzusagen bejaht worden ist, können diese auch im Rahmen von § 1 GWB anerkannt werden. A.-R. Bömer, ET 1999, 405, 408. So wohl Rottnauer, BB 1999, 2145, 2149; grundsätzlich auch Bunte (Fn. 12), Anhang zum 5. Abschnitt Rn. 44. Unklar Schwintowski, Ordnung und Wettbewerb auf deregulierten Erdgasmärkten, 1998: Einerseits sollen horizontale Demarkationen zwischen EVU und Gebietskörperschaft dem Kartellverbot unterliegen (S. 101), andererseits soll es sich bei vertikalen Demarkationen (ebenfalls zwischen EVU und Stadtwerk) um typische Verwendungsbeschränkungen i. S. v. § 18 GWB a. F. handeln (S. 102 f.). Sodann sollen vertikale Lieferverträge sowohl horizontale als vertikale Wirkung "im hier gemeinten Sinne" entfalten (S. 102 Fn. 310). Schließlich ist vom Wegfall der vertikalen Demarkation die Rede (S. 104). Ebenso ders. in WuW 1997, 769, 775 ff. 240 Siehe oben B. I. 1. a). 241 BGH WuW/E 3115, 3118 f. - Druckgussteile; 3121, 3126 - Bedside-Testkarten; LG Mannheim WuW/E DE-R, 298, 301 - Stromversorgung. Entgegen Bomkamm, FS Geiß, 2000, S. 539, 548 ff., stellt nicht nur die Bedside-Testkarten-, sondern auch und vor allem die Druckgussteile-Entscheidung eine Erweiterung gegenüber der alten, an Immanenzgesichtspunkten orientierten Rechtsprechung dar. In bei den Fällen hat der BGH festgestellt, dass für eine Kundenschutzvereinbarung (auch wenn sich nicht funktionsnotwendig i.S. v. § 242 BGB für die Durchführung des Vertrages ist, siehe dazu die Vorinstanzen OLG München WuW/E 5520, 5523 f. - Druckgussteile und OLG Karlsruhe WuW/E 5478, 5483 - Bedside-Testkarten) ein anerkennenswertes Interesse bestehen kann, weil Absatzmittler generell (auch einfache Eigenhändler wie im Fall Druckgussteile und nicht nur ein Alleinvertriebsoder Vertragshändler wie im Fall Bedside-Testkarten) durch ihre Bemühungen für den Lieferanten in der Regel eine Belebung des Wettbewerbs bewirken. Entscheidend war in beiden Fällen, dass die Kundenschutzzusage als Voraussetzung für die Bemühungen des Absatzmittlers wegen dessen berechtigtem Amortisationsinteresse angesehen wurde. Zur Interpretation der BGH-Rechtsprechung siehe auch Zimmer in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Auf!. 2001, § 1 Rn. 293 ff. 242 Vgl. auch Büdenbender (Fn. 9), Rn. 429. 238

239

70

D. Kundenschutzvereinbarungen IH. Art. 82 EG, §§ 20 Abs. 1, 19 Abs. 1 GWB

Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, das Kundenschutzzusagen des Abnehmers auch gegen Art. 82 EG bzw. §§ 20 Abs. 1, 19 Abs. 1 GWB verstoßen können, wenn das Liefer-EVU marktbeherrschend ist. Etwas anderes gilt nur in den vorstehend unter I. 3. aufgeführten Fällen. IV. Zwischenergebnis Kundenschutzvereinbarungen des Lieferanten wie des Abnehmers verstoßen regelmäßig gegen Art. 81 EG und § 1 GWB. De lege lata sind Gebietsschutzzusagen in Neuverträgen, soweit nicht die Art. 82 EG, §§ 20 Abs. 1, 19 Abs. 1 GWB eingreifen, durch die Schirm-GFVO generell freigestellt, sofern der Marktanteil des jeweils Bindenden 30% nicht übersteigt. Kundenschutzzusagen des Abnehmers sind gemäß Art 5 lit. a) Schirm-GFVO für die Dauer von bis zu fünf Jahren, die des Lieferanten zeitlich sogar unbefristet freigestellt. Die Anwendung der Schirm-GFVO auf die Gebietsschutzzusagen in Energielieferverträgen ist verfehlt, da sie dem mit der Liberalisierung verfolgten Ziel der Öffnung der Energiemärkte zuwiderläuft. Kundenschutzzusagen sollten nur im Einzelfall nach Art. 81 Abs. 3 EG freigestellt bzw. im Rahmen von § 1 GWB wettbewerblich anerkannt werden. So können gegenseitige Kundenschutzzusagen bei besonderen Verkaufsbemühungen des Weiterverteilers oder besonders umfangreichen, vertragsspezifischen Investitionen geboten sein. In diesen Fällen ist das Verbot des aktiven Abwerbens von Kunden des Vertragspartners erforderlich zur Durchführung des Liefervertrages. Ist der Weiterverteiler zur Abnahme einer festen seinen Gesamtbedarf im wesentlichen deckenden Bezugsmenge verpflichtet und ist es ihm aus rechtlichen und/oder tatsächlichen Gründen nicht möglich, neue Kunden zu gewinnen, so ist auch ein Verbot des Lieferanten zur passiven Belieferung der Kunden funktionsnotwendig und kartellrechtlich anzuerkennen.

E. Rechtsfolgen Als Rechtsfolge kommen Totalnichtigkeit der Kundenschutzvereinbarung und der Alleinbezugsverpflichtung sowie des Eigenerzeugungsverbotes oder deren geltungserhaltende Reduktion auf ein gerade noch zulässiges Höchstmaß bzw. deren Teilnichtigkeit in Betracht. Auch wenn man von einer Totalnichtigkeit der Klauseln ausgeht, folgt daraus aber keineswegs zwingend auch die Gesamtnichtigkeit des Liefervertrages. Möglich ist nämlich eine Anpassung der Gesamtbedarfsdeckungsklausel auf ein angemessenes Maß und die Aufrechterhaltung des Liefervertrages im Ganzen. Da Energielieferverträge häufig Erhaltungs-, Ersetzungs- und Wirtschaftsklauseln enthalten, sind deren Auswirkungen mitzuberücksichtigen. I. Gesamtnichtigkeit Dem Oberlandesgericht Düsseldorf sowie den Landgerichten Mannheim und Stuttgart zufolge verstoßen Alleinbezugsbindung und Demarkationsabrede bei einer Gesamtbetrachtung gegen § 1 GWB. Dies führe nicht nur gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit der beiden Klauseln, sondern zur Nichtigkeit des Liefervertrages insgesamt243 . Der Fall des Landgerichts Mannheim lag aber insofern besonders, als die essentialia negotii (Strommengen und -preise) in einer Zusatzvereinbarung enthalten waren, die bereits gekündigt war244 • Das Gericht war zu Recht der Ansicht, nach Wegfall von Demarkation und ausschließlicher Bezugsbindung verbliebe für den restlichen Rahmenvertrag (Bezug von Strom) kein sinnvoller Inhalt, der als selbständiger Teil aufrechterhalten werden könne 245 . Auf die in dem Vertrag enthaltene salvatorische Erhaltungs- und Ersetzungsklausel komme es deshalb 243 OLG Düsseldorf ZNER 2001, 255, 259 f.; LG Mannheim WuW/E DE-R 298, 302 (zustimmend A.-R. Bömer, ET 1999,405,408 ff.; Markert, EuZW 2000, 427, 431; ablehnend Salje, ET 1999, 768, 771 f.; Rottnauer, BB 1999, 2145, 2150 ff.; Raabe, ET 2000, 770, 772 ff.; Bunte (Fn. 12, Anhang zum 5. Abschnitt Rn. 46); LG Stuttgart (Fn. 4 und 5). 244 Den Einzelfallcharakter betonen zu Recht U. Scholz, RdE 1999, 161, 162, und J. F. Baur, FS Sandrock, 2000, S. 35,41 f. 245 Teilweise ist dagegen eingewendet worden, die verbleibende Rahmenvereinbarung sei in der Energiebranche durchaus üblich und könne jederzeit durch Einzelvereinbarungen konkretisiert werden, so Salje, ET 1999, 768, 771; Rottnauer, BB 1999, 2145, 2151. In dem zugrundeliegenden Fall stand aber fest, dass die Parteien eine Einzelvereinbarung nicht mehr treffen würden; eine Aufrechterhaltung der

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E. Rechtsfolgen

nicht mehr an. In dem Fall des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat die Vorinstanz, das Landgericht Köln, aus der Nichtigkeit der Vertragsmengenregelung, die wie eine Gesamtbedarfsdeckungsklausel wirke, die Gesamtnichtigkeit des Vertrages gefolgert 246 . Die Verpflichtung zur Abnahme einer festen Vertragsmenge und die Vertragslaufzeit seien als essentielle Teile des Gaslieferungsvertrages anzusehen, da sie die Amortisation der getätigten Investitionen sichern sollten und der Gaspreis aufgrund der Laufzeit entsprechend günstig kalkuliert werden konnte. Aus diesem Grunde könne die sich aus § 139 BGB ergebende Nichtigkeit des Liefervertrages im Ganzen auch nicht durch die salvatorische Erhaltungsklausel abgewendet werden. Schließlich hat das Landgericht Frankfurt am Main aus der Nichtigkeit der Demarkationsabreden auf die Nichtigkeit des gesamten Liefervertrages geschlossen, da diese in die Kalkulation der Vorrats- und Bestellmenge sowie in die Preiskalkulation eingegangen seien 247 .

II. Aufrechterhaltung des Liefervertrages Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat den Antrag auf Vertragsanpassung im Ergebnis abgelehnt248 • Die Landgerichte Köln und Stuttgart haben nicht in Erwägung gezogen, den Liefervertrag auch ohne ausdrückliches Anpassungs- bzw. Ersetzungsverlangen einer Partei mit einer zulässigen Laufzeit aufrechtzuerhalten, obwohl dies angesichts der vereinbarten Ersetzungsbzw. WirtschaftsklauseIn nahe lag. Energielieferverträge enthalten in der Regel eine salvatorische Klausel, der zufolge der Vertrag trotz unwirksamer Abreden fortbestehen soll. Regelmäßig wird diese Erhaltungsklausel mit einer Ersetzungsklausel kombiniert, wonach die unwirksame Bestimmung durch eine zulässige zu ersetzen ist, die dem Inhalt der ursprünglichen im wirtschaftlichem Ergebnis möglichst nahe kommt249 . Darüber hinaus (oder stattdessen) finden sich in Energielieferverträgen häufig sog. Wirtschaftsklauseln. Diese unterscheiden sich von den Ersetzungsklauseln dadurch, dass sie nicht nur speziell die Ersetzung einzelner Klauseln regeln, sondern weiter gefasst sind und auch eine Anpassung des Vertrages an wesentliche keine Rechte und Pflichten begründenden Rahmenvereinbarung wäre insofern in der Tat sinnlos gewesen. 246 LG Köln ZNER 2000, 132, 135. 247 Nachw. siehe oben in Fn. 10. 248 OLG Düsseldorf ZNER 2001, 255, 259 f. 249 Der Begriff der salvatorischen Klausel wird nicht einheitlich verwendet. Teilweise werden damit nur Erhaltungsklauseln bezeichnet, so Kühne, BB 1997, Beilage 19, S. 10 ff. Da aber in der Praxis Erhaltungsklauseln regelmäßig durch Ersetzungsklausel ergänzt werden (nach J.-u. Beyer, Salvatorische Klauseln, 1988, S. 56, in über 80% der Fälle) werden beide auch unter dem Oberbegriff salvatorische Klausel zusammengefasst, so J. F. Baur, FS Sandrock, 2000, S. 35, 42.

11. Aufrechterhaltung des Liefervertrages

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Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse vorsehen. Wirtschaftsklausein stellen eine vertragliche Regelung des allgemeinen Instituts des Wegfall der Geschäftsgrundlage dar und gehen diesem vor. 1. Nichtigkeit der Kundenschutzvereinbarungen

Die in den längerfristigen Altverträgen enthaltenen Kundenschutzzusagen sind gemäß Art. 81 Abs. 1 EG bzw. § 1 GWB regelmäßig verboten 250 . Angesichts der Freistellung in den §§ 103, 103a GWB a.F. kann ein Verstoß gegen § 1 GWB allerdings erst seit deren Aufhebung Ende April 1998 angenommen werden. Demgegenüber ist das europäische Kartellrecht (bis zum 1. Januar 1999 Art. 85 EGV a. F., seitdem Art. 81 EG) jedenfalls seit Ende 1996 anwendb~51. Rechtsfolge ist nach Art. 85 Abs. 2 EGV a.F. (Art. 81 Abs. 2 EG) bzw. § 134 BGB die Nichtigkeit der jeweiligen Abreden. Eine Aufrechterhaltung der Gebietsschutzabreden kommt in der Regel nicht in Betracht. Sind die Kundenschutzzusagen nicht freigestellt oder funktionsnotwendig und deshalb kartellrechtlich anzuerkennen, existiert ein Maßstab, der eine Anpassung der Vereinbarung erlaubt nicht; die Abreden sind dann nicht teilb~52. 2. Gesamtnichtigkeit nach § 139 BGB

Gemäß § 139 BGB hat die Nichtigkeit eines Teils im Zweifel die Nichtigkeit des Vertrages insgesamt zur Folge. Die Vorschrift wird aber in Energielieferverträgen regelmäßig durch die salvatorische Erhaltungsklausel, nach denen der Vertrag trotz unwirksamer Abreden im Übrigen fortbestehen soll, abbedungen. Da es sich um eine dispositive Norm handelt, ist die Abbedingung durch die Erhaltungsklausel zulässig; das gilt für auch den Fall der Nichtigkeit von wettbewerbsbeschränkenden Abreden 253 . Obwohl die Zu den Ausnahmen siehe oben B. I. 1. Vgl. oben B. I. 2. 252 Vgl. Raabe, ET 2000, 770, 776. Eine Teilbarkeit ist nur ausnahmsweise denkbar, wenn das Amortisationsinteresse des Lieferanten in einer kürzeren als der vereinbarte Laufzeit befriedigt werden kann oder, wenn nur das Verbot des aktiven Abwerbens, nicht aber auch das des passiven Belieferns anzuerkennen ist. Sofern es um diese Ausnahmefälle geht, gelten die im Text folgenden Ausführungen zur Gesamtbedarfsdeckungsklausel entsprechend. 253 Vgl. BGH WuWJE 2909, 2913 f. - Pronuptia 11; Kühne, BB 1997, Beilage 19, S. 10 f. In der obergerichtlichen Rechtsprechung findet sich die Tendenz, Erhaltungsklauseln bei wichtigen Vertragsbestimmungen nicht anzuwenden und deren Anwendungsbereich damit unnötig zu verkürzen, so OLG Frankfurt WuW JE OLG 3427, 3435; OLG Düsseldorf WuWJE OLG 3221, 3225 f. - Belieferung von Sonderabnehmern; OLG Hanun WuWJE OLG 2187, 2189 f. - Gaststättenunterpacht; OLG Hamburg NJW-RR 1987, 179, 181; OLG Stuttgart ZIP 1989,60,63 f. Dage250 251

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E. Rechtsfolgen

Kundenschutzabrede Einfluss auf die Vertragspreise und -mengen haben kann254 , ist sie in der Regel als abtrennbarer Teil des einheitlichen Rechtsgeschäfts "Energieliefervertrag" (Mengen, Preise, Gesamtbedarfsdeckungsklausel) anzusehen. Dies zeigt sich auch daran, dass die Gebietsschutzzusagen teilweise in separaten Abreden vereinbart wurden und dass die Parteien nach dem Wegfall der §§ 103, 103a GWB a. F. in der Praxis oftmals selbst die Demarkationen aufgehoben haben, ohne die Wirksamkeit des Vertrages im Übrigen in Frage zu stellen255 • Allein die Nichtigkeit der Gebietsschutzabrede des Liefer-EVU führt also weder zur Nichtigkeit der GesamtbedarfsdeckungsklauseI noch zur Nichtigkeit des Vertrages im Ganzen 256 . Enthält der Energielieferungsvertrag keine Erhaltungsklausel, ist zu prüfen, ob die Vermutung des § 139 BGB - Gesamtnichtigkeit infolge der Nichtigkeit der Demarkation des Lieferanten - gleichwohl widerlegt ist, weil der im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu ermittelnde hypothetische Partei wille auf den Fortbestand des Liefervertrages gerichtet ist. Die vorstehenden Erwägungen sprechen dafür, auch dies zu bejahen. Auch die Rechtsprechung tendiert zudem dazu, einen Vertrag im Zweifel fortbestehen zu lassen, wenn die Teilnichtigkeit aus einer späteren Änderung des geltenden Rechts resultiert257 . Regelmäßig dürfte daher auch beim Fehlen einer salvatorischen Erhaltungsklausel vom Fortbestand des Liefervertrages auszugehen sein 258 . Ist die Demarkation in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten, schließt bereits § 6 Abs. 1 AGBG die Anwendung des § 139 BGB aus; auf eine Erhaltungsklausel kommt es dann nicht mehr an 259 . gen zu Recht BGH WuW/E 2909, 2913 - Pronuptia 11; J. F. Baur, FS Vieregge, 1995, S. 31, 37 f.; Kühne, a.a.O.; Rottnauer, BB 1999,2145,2150 f. 254 Siehe dazu unten E. 11. 6. 255 So etwa in den Fällen LG Rostock (Fn. 7) und LG Leipzig RdE 2001, 29. 256 Insoweit zutreffend LG Rostock (Fn. 7); LG Leipzig RdE 2001, 29, 30; KunthlSlabschi, RdE 1997, 174, 176; Schwintowski, WuW 1997, 769, 778 f.; Kühne, BB 1997, Beilage 19, S. 8 f.; Rottnauer, BB 1999, 2145, 2151; J. F. Baur, FS Sandrock, 2000, S. 35, 41 f. (teilweise anders ders., RdE 1997,41,43 ff.); a.A. LG Frankfurt a.M. (Fn. 10); wohl auch Markert, EuZW 1999,427,431. Nichts anderes würde gelten, wenn Gebietsschutzabreden nach § 16 Nr. 3 GWB für unwirksam erklärt würden. Die Frage, worauf genau sich die Abbedingung bezieht (auf § 139 BGB insgesamt oder nur auf dessen Vermutung?) kann mangels unterschiedlicher Ergebnisse offen bleiben, dazu Kühne, a. a. 0., S. 11 m. w. N. 257 Vgl. BGHZ 17,41,42; BGH NJW 1952, 299; ausführlich dazu Kühne, BB 1997, Beilage 19, S. 8 f. 258 So Kunth/Slabschi, RdE 1997, 174, 176; Kühne, BB 1997, Beilage 19, S. 1,7 ff; Salje, ET 1999, 768, 772 f.; Büdenbender (Fn. 9), Rn. 489; a.A. J. F. Baur, RdE 1997,41,43; ders., FS Sandrock, 2000, S. 35,43. 259 Kühne, BB 1997, Beilage 19, S. 10. Soweit es im Schrifttum heißt, salvatorische Klauseln in AGBG seien nach § 9 AGBG unwirksam, kann sich dies nur auf

11. Aufrechterhaltung des Liefervertrages

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3. Geltungserhaltende Reduktion bzw. Teilnichtigkeit der Alleinbezugsverpflichtung

Langfristige, nicht durch legitime Interessen gerechtfertigte Alleinbezugsverpflichtungen verstoßen, wie dargelegt, gegen Art. 81 Abs. 1 EG bzw. § 1 GWB, u. U. auch gegen Art. 82 Abs. 1 EG bzw. gegen die §§ 20 Abs. 1, 19 Abs. 1 GWB. Grundsätzlich führt dies zu ihrer Nichtigkeit (Art. 81 Abs. 2 EG bzw. § 134 Abs. 1). Übermäßig lange Neuverträge können auch gegen die § 138 BGB bzw. § 9 AGBG verstoßen, was gleichfalls zur Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit führt. Die genannten Vorschriften richten sich aber nicht per se gegen ausschließliche Bezugsbindungen, sondern nur gegen das Ausmaß der zeitlichen Bindung, die den Wettbewerb beeinträchtigt. Alleinbezugsverpflichtungen bewirken weder generell eine Wettbewerbsbeschränkung noch sind sie stets sittenwidrig oder benachteiligen den Vertragspartner in jedem Fall unangemessen. Derartige Wirkungen ergeben sich erst aus einer übermäßig langen Laufzeit des Vertrages; unterhalb dieser höchstzulässigen Vertragsdauer sind ausschließliche Bezugsbindungen zulässig. Deutlich zum Ausdruck kommt dies in Art. 5 lit. a) Schirm-GFVO, wonach Gesamtbedarfsdeckungsklauseln mit einer Laufzeit von bis zu fünf Jahren unbedenklich sind, sofern der Marktanteil des Lieferanten 30% nicht übersteigt. Wie oben ausgeführt, kommt diesem Maßstab als Leitbild auch im deutschen Kartellrecht bei der Würdigung nach den §§ 1, 16 GWB und im Rahmen der zivilrechtlichen Kontrolle (§ 138 BGB bzw. § 9 AGBG) Indizwirkung zu. Es fragt sich daher, ob nicht eine Aufrechterhaltung des Liefervertrages mit einer an die höchstzulässige oder angemessene Laufzeit angepassten Alleinbezugsverpflichtung in Betracht kommt. Dass eine Aufrecherhaltung des Vertrages auch bei einem Verstoß gegen § 138 BGB und § 1 GWB grundsätzlich möglich und rechtlich zulässig ist, zeigt u. a. die Rechtsprechung zu den langfristigen Bierlieferverträgen mit Ausschließlichkeitsbindungen für Fassbier260, zu den "Mätressentestamenten"261 sowie zu den nachvertraglichen Wettbewerbsverboten262 . Das Oberlandesgericht Jena hat Ersetzungsklauseln, nicht aber auf Erhaltungsklauseln beziehen, Kunth/Slabschi, RdE 1997, 174, 176; H. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 9. Auf!. 2001, § 6 Rn. 39. 260 Der BGH hat die übermäßig lange Laufzeit von 20 Jahren auf eine angemessene Laufzeit von 15 Jahren analog § 139 BGB zurückgeführt, BGH NJW 1972, 1459 f.; WM 1973, 357, 358; 1360, 1362; NJW 1985, 2693, 2695; 1992, 2145, 2146. 261 BGH FamRZ 1963, 287, 289 f; BGHZ 52, 17, 23 f. In diesen Fällen hat der BGH die alleinige Erbeinsetzung der Geliebten trotz Verstoßes gegen die guten Sitten als nur teilweise nichtig angesehen, mit der Folge der Einsetzung der Geliebten als testamentarische Erbin zur Hälfte und der Ehefrau sowie der ehelichen Kinder als gesetzliche Erben zur anderen Hälfte.

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E. Rechtsfolgen

diese Rechtsprechung auch auf langfristige Energielieferverträge angewendet263 . Die von der Rechtsprechung in diesen Fällen aufgestellten Voraussetzungen für eine Aufrechterhaltung des Vertrages sind hier regelmäßig gegeben: Der Verstoß der langfristig eingegangenen Bezugsbindung gegen kartell- und/oder zivilrechtliche Vorschriften ist auf einen abtrennbaren Teil, nämlich die übermäßig lange Laufzeit, beschränkt264 . Einer Anpassung auch des Umfanges der Bezugsbindung bedarf es daneben nicht. 265 Gegen das Zustandekommen des Vertrages bestehen im Übrigen keine Bedenken 266 . Das Argument des Oberlandesgerichtes Düsseldorf, eine Vertragsanpassung, die zur Aufrechterhaltung der Bezugsbindung mit einer zulässigen Laufzeit führt, verstoße gegen Sinn und Zweck der Energierechtsreform 267 , überzeugt nicht. Durch die Aufhebung der §§ 103, 103 a GWB a. F. soll das allgemeine Kartellrecht zur Rahmenordnung auch für die Energiewirtschaft werden. Diese wird den übrigen Wirtschaftsbereichen gleichgestellt, eine strengere kartellrechtliche Kontrolle ist dagegen nicht beabsichtigt268 , was auch die Anwendbarkeit der Schirm-GFVO zeigt. Schließlich ist zu klären, ob der tatsächliche oder mutmaßliche Wille der Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bei Kenntnis der Unwirksamkeit der übermäßig langen Bezugsbindung auf die Aufrechterhaltung der Alleinbezugsverpflichtung mit einer zulässigen Laufzeit gerichtet ist. Dies ist eine Frage des Einzelfalls. 262 BGH WuW/E 1898, 1900 - Holzpaneele; 2090,2095 - Stadler-Kessel; OLG Stuttgart WuW/E 5780, 5783 f. - Geltungserhaltende Reduktion; BGH NJW 1994, 384, 385 f. - Ausscheidender Gesellschafter. Zurückhaltender OLG Celle NJW 1959, 1971, 1972. Zur geltungserhaltenden Reduktion bei einem Verstoß gegen § 1 GWB vgl. Nassall, BB 1988, 1264, 1266 f.; Melullis, WRP 1994, 686, 691 f.; Traub, WRP 1994, 802, 805 f.; Metzenthin (Fn. 40), S. 75; Raabe, ET 2000, 770, 776. 263 OLG Jena OLG-NL 1998, 38, 40; zustimmend Metzenthin (Fn. 40), S. 75; vgl. auch LG Rostock (Fn. 7). 264 Die Teilbarkeit des Rechtsgeschäfts hat die Rechtsprechung bei wucherischen Kreditverträgen verneint und eine Aufrechterhaltung sowohl mit dem höchstzulässigen als auch mit dem marktüblichen Zins abgelehnt, vgl. BGH LM BGB § 139 Nr. 14; BGHZ 44, 158, 162; 68, 204, 207 f. In diesen Fällen sei auch eine Umdeutung nach § 140 BGB ausgeschlossen. Gleich, ob man den Grund dafür in einem § 138 BGB beiwohnenden Präventions- oder Strafcharakter sieht oder der Ansicht ist, eine geltungserhaltende Reduktion im Rahmen von § 138 BGB sei ausgeschlossen, wenn die Gegenleistung unwirksam sei, - auf längerfristige Gesamtbedarfsdeckungsklauseln in Energielieferverträgen trifft keiner der beiden Gesichtspunkte zu. 265 In dem Fall des OLG Düsseldorf ZNER 2001, 255 ff., hat die Klägerin allerdings sowohl eine Anpassung der Laufzeit als auch der Vertragsmenge beantragt. 266 Da die Demarkationsabrede ebenfalls vom Liefervertrag abtrennbar ist, hat ihre Nichtigkeit außer Betracht zu bleiben. 267 OLG Düsseldorf ZNER 2001,255,259 f. 268 Vgl. auch die Nachweise in Fn. 87.

H. Aufrechterhaltung des Liefervertrages

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In dogmatischer Hinsicht kommen für eine Aufrechterhaltung des Vertrages verschiedene Wege in Betracht: (1) Teilnichtigkeit der ausschließlichen Bezugsbindung m entsprechender Anwendung des § 139 BGB,

(2) deren Umdeutung gemäß § 140 BGB, (3) Wegfall der Zeitbestimmung bzw. die Einräumung eines Sonderkündigungsrechts, (4) Vertragsanpassung mit Hilfe vereinbarter Ersetzungs- oder WirtschaftsklauseIn oder im Wege ergänzender Vertragsauslegung bzw. nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage 269 • Das in diesem Zusammenhang gebrauchte Schlagwort von der geltungserhaltenden Reduktion wird in einer schillernden Bedeutungsvielfalt verwendet. Während der Bundesgerichtshof darunter die (automatische) quantitative Rückführung der Klausel auf den gerade noch zulässigen Umfang versteht270 , bezeichnen andere damit auch die Teilnichtigkeit nach § 139 BGB oder die Umdeutung gemäß § 140 BGB. Wieder andere verstehen die geltungserhaltende Reduktion als Oberbegriff für alle Arten der Teilaufrechterhaltung - unabhängig von den vorstehend genannten dogmatischen Wegen -, die auch eine geltungserhaltende Rückführung auf den angemessenen (im Gegensatz zum höchstzulässigen) Umfang zulässt271 . Legt man das Begriffsverständnis des Bundesgerichtshofs zugrunde, kommt eine geltungserhaltende Reduktion von vornherein nur im Hinblick auf § 1 GWB und § 138 BGB in Betracht. Bei einem Verstoß gegen § 9 AGBG scheidet eine geltungserhaltende Reduktion aus, da diese nach Rechtsprechung und herrschender Lehre in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unzulässig ist272 • Im Rahmen des europäischen Kartellrechts ist zu beachten, 269 Dazu, dass sich die Fälle der Vertragsanpassung wegen Störungen der Geschäftsgrundlage weitestgehend durch ergänzende Vertragsauslegung lösen lassen, siehe Medicus, FS Flume 1,1978, S. 629, 636 ff. m.w.N. 270 So BGHZ 90,69, 81 f. 271 Canaris, FS Steindorff, 1990, S. 519, 550 ff. m.w.N. 272 BGHZ 84, 109, 114 ff.; H. Schmidt (Fn. 259), Rn. 14 ff. m. w.N. Begründung: Eine geltungserhaltende Reduktion würde den Klauselverwender vom Risiko der Gesamtunwirksamkeit befreien und wäre mit dem Transparenzgebot unvereinbar; a.A. MünchKommlKötz, BGB, 3. Aufl. 1993, § 6 AGBG Rn. 8. Für eine ausnahmsweise Zulässigkeit bei Gutgläubigkeit des Verwenders, vgl. LG Hamburg NJW 1986, 262, 263; Canaris (Fn. 271), S. 557. Auch Ersetzungsklauseln können nach der ganz überwiegenden Meinung nicht zu einer geitungserhaltenden Reduktion führen; sie verstoßen gegen § 9 AGBG, H. Schmidt (Fn. 259), Rn. 39 m. w. N.; a.A. Baumann, NJW 1978, 1953, 1954 f. Generell kritisch gegenüber einer geltungserhaltenden Reduktion bzw. Teilnichtigkeit in entsprechender Anwendung des

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E. Rechtsfolgen

dass der Europäische Gerichtshof bisher eine geltungserhaltende Reduktion einzelner Klauseln nicht vorgenommen 273 , sondern sich auf die Feststellung der Nichtigkeit der Klausel wegen Verstoßes gegen die Art. 81, 82 EG beschränkt hat. 4. Neuverhandlungs- und Vertragsanpassungspflichten

Dogmatisch überzeugender erscheint es 274 , zunächst von der Totalnichtigkeit der Alleinbezugsverpflichtung auszugehen, die Parteien sodann aber als zu Neuverhandlungen und zur Vertragsanpassung verpflichtet anzusehen. Diese Pflichten folgen aus den regelmäßig vereinbarten Ersetzungsbzw. Wirtschaftsklauseln 275 . Fehlen diese Klauseln, können sich die Neuverhandlungs- und Vertragsanpassungspflichten im Wege ergänzender Vertragsauslegung (§§ 157, 242 BGB) oder aus Störungen der Geschäftsgrundlage ergeben (§ 242 BGB)276. Gegenüber einer geltungserhaltenden Reduktion im Sinne der Rechtsprechung erweist sich diese Methode in zweifacher Hinsicht als vorteilhaft. Zunächst stößt dieser Weg weder bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen 277 noch im Hinblick auf Art. 81 EG auf Probleme278 • Darüber hinaus ist sichergestellt, dass die Interessen beider Par§ 139 BGB bei einem Verstoß gegen § 138 BGB - auch im Falle von Individualvereinbarungen - Zimmennann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit?, 1979, S. 60 ff., 80 ff.; MünchKomm/Mayer-Maly/Armbrüster, BGB, 4. Aufl. 2001, § 138 Rn. 161 m. w.N. 273 Deren Zulässigkeit bejahen J. F. Baur/Weyer in Frankfurter Kommentar (Fn. 24), Art. 81 Zivilrechtsfolgen Rn. 126. Unklar ist, ob das "Alles-oder-nichts-Prinzip" der früheren GFVO über den Alleinvertrieb und Alleinbezug (Fn. 73), vgI. Ziff. 17 der entsprechenden Bekanntmachung der Kommission vom 22.06.1983, AbI. EG 1983 C 101, S. 2 (dazu jüngst BGH RIW 2001, 610, 611), auch einer geltungserhaltenden Reduktion der überschießenden Klausel selbst auf das zulässige Maß entgegenstand, verneinend J. F. Baur/Weyer, a. a. O. Nach der Schirm-GFVO gilt dieses Prinzip aber nicht mehr pauschal, sondern nur noch für Kernbeschränkungen i.S.d. Art. 4, Veelken in Immenga/Mestmäcker, EG-WbR, Erg-Bd, 2. Lfg. 2001, V. GFVO Rn. 31. Für die von Art. 5 Schirm-GFVO erfassten langfristigen Alleinbezugsverpflichtungen und Eigenerzeugungsverbote kommt es auf diese Frage also nicht mehr an. K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, EG-WbR I, 1997, S. 310, hält zwar ebenfalls eine geltungserhaltenden Reduktion auch im Rahmen von Art. 81 Abs. 1 EG für zulässig, geht dabei aber von dem Begriffsverständnis von Canaris (Fn. 271) aus: Er bejaht lediglich die Möglichkeit der Vertragsanpassung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung. 274 Zur Kritik an einer auf § 139 BGB gestützten geltungserhaltenden Reduktion vgI. Zimmennann (Fn. 272), S. 60 ff., 80 ff.; Ulmer, NJW 1981,2025,2028. 275 VgI. Steindorff, BB 1983, 1127, 1128 ff.; Horn, NJW 1985, 1118, 1123 ff.; Kühne, BB 1997, Beilage, S. 19, S. 1, 11 ff.; vgI. K. Schmidt (Fn. 273), S. 312; Lukes, BB 1999, Beilage 8, S. 18 f.; J. F. Baur, FS Sandrock, 2000, S. 35, 42. Grundlegend zu Neuverhandlungspflichten Horn, AcP 181 (1981),255 ff. 276 Siehe die Nachw. in Fn. 275.

11. Aufrechterhaltung des Liefervertrages

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teien Berücksichtigung finden, also eine angemessene Vertragsanpassung gefunden wird und nicht eine Aufrechterhaltung der Gesamtbedarfsdeckungsklausel mit der höchstzulässigen Laufzeit erfolgt. Schließlich ist Raum, die Parteien zunächst als zu Neuverhandlungen verpflichtet anzusehen, was wiederum die Wahrscheinlichkeit für eine angemessene Regelung erhöht. Gerade im Energiebereich ist eine Verhandlungspflicht der Parteien angesichts der komplizierten Materie sinnvoll. Bei Scheitern der Verhandlungen kann der Richter an den Verhandlungsstand anknüpfen und die Lücke im Wege folgerichtigen zu-Ende-Denkens der vereinbarten zulässigen Regelungen vom Standpunkt immanenter Vertrags gerechtigkeit schließen. Können sich die Parteien nicht auf eine Vertragsanpassung einigen und enthält der Vertrag eine Schiedsklausel oder einen Verweis auf den ordentlichen Rechtsweg, ist ein Schiedsgericht (bzw. ein Schiedsgutachter) oder ein Zivilgericht zur Entscheidung über die Vertragsanpassung berufen. Aber auch wenn der Vertrag eine entsprechende Bestimmung nicht enthält, sind die Zivilgerichte zuständig. Zwar ist es grundSätzlich nicht Aufgabe der Gerichte, vertragsgestaltend tätig zu sein. Haben die Parteien eine Preisgleitoder eine Wirtschaftsklausei vereinbart, so entspricht es regelmäßig ihrem (ggfs. im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu ermittelnden) Willen, dass bei Scheitern der Verhandlungen der Anspruch auf Vertragsanpassung - nicht anders als sonstige vertragliche Ansprüche - auch durch die Zivilgerichte durchgesetzt werden so1l279. Die Gerichte sind zuständig, Vertragsanpassungen festzustellen, die im Wege ergänzender Vertragsauslegung oder aus Störungen der Geschäftsgrundlage ipso iure eintreten. Es 277 Nach § 6 Abs.2 AGBG tritt an die Stelle der nichtigen Bestimmung das dispositive Recht. Für Gesamtbedarfsdeckungsklauseln stehen dispositive Normen aber nicht zur Verfügung. Rechtsprechung und überwiegende Literatur greifen in diesem Fall auf die Regeln der ergänzenden Vertragsauslegung zurück, BGHZ 90, 69, 75 ff.; BGH NJW 1985, 2585, 2587; Lindacher in Wolf/Hom/Lindacher, AGBGesetz, 4. Auf!. 1999, § 6 Rn. 15; H. Schmidt (Fn. 259), Rn. 34 ff. Zweifelnd Markert ZNER 2001, 260, 263, der für eine Klärung durch den EuGH plädiert. 278 Da der EuGH nur einen Verstoß der Gesamtbedarfsdeckungsklausel (bzw. der Alleinbezugsverpflichtung und ggfs. des Eigenerzeugungsverbotes) gegen europäisches Kartellrecht feststellt, über das zivilrechtliche Schicksal des Vertrages im Ganzen aber die nationalen Gerichte zu befinden haben, sind diese nicht gehindert, den Vertrag aufrechtzuerhalten, st. Rspr., zuletzt EuGH Slg. 1999, 11-93, 111 Rn. 50 - Riviera Auto Service u. a.; J. F. BaurlWeyer (Fn. 273), Rn. 87 m. w. N. 279 Vgl. Steindorff, BB 1983, 1127, 1131; Horn, NJW 1985, 1118, 1125; Kunthl Slabschi, RdE 1997, 174, 181; Kühne, BB 1997, Beilage 19, S. 11 f.; vgl. auch Lukes, BB 1999, Beilage 8, S. 18; Gent, WRP 2000, 706, 712. Davon gehen auch LG Mannheim WuW/E DE-R 298, 302; LG Köln ZNER 2000, 132, 136; LG Frankfurt a.M. (Fn. 10) und LG Stuttgart (Fn. 4 und 5) aus. A.A. J. F. Baur, Vertragliche Anpassungsregelungen, 1983, S. 55 ff.; vgl. auch ders., RdE 1997, 41, 45 f.

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E. Rechtsfolgen

wäre kaum verständlich, ihnen diese Kompetenz zu versagen, wenn die Parteien die allgemeinen gesetzlichen Institute vertraglich speziell geregelt haben. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn der Richter die Vertragsanpassung - denkt man die vertragliche Erhaltungs- oder Wirtschaftsklausei hinweg - ebenso im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung oder nach den Grundsätzen über die Geschäftsgrundlage vornehmen könnte, die Vertragsanpassung also nicht gerade aufgrund einer weiter gefassten vertraglichen Anpassungsklausel stattfinden würde. Insoweit stellt sich die vertragliche Erhaltungs- oder Wirtschaftsklausei als bloße deklaratorische Regelung der bestehenden Gesetzeslage dar. Entgegen der Ansicht der Landgerichte Köln, Stuttgart und Rostock ist auch nicht erforderlich, dass der Kläger bei Scheitern der Neuverhandlungen ausdrücklich eine Gestaltungsklage, entweder auf Abgabe der Annahmeerklärung seines Angebots auf Vertragsanpassung oder aber auf Vertragsänderung nach billigem Ermessen des Gerichts analog § 315 Abs. 3 BGB, erhebt 28o. Im Bereich der ergänzenden Vertragsauslegung und bei Störungen der Geschäftsgrundlage ist anerkannt, dass es sich im Falle einer Vertragsanpassung nicht um eine Rechtsgestaltung im technischen Sinne handelt, sondern das Gericht nur die eingetretene Rechtslage ausspricht, was dann auch inzident im Rahmen einer Leistungs- oder Feststellungsklage geschehen kann281 . Gleiches muss dann auch im Falle von Ersetzungs- oder Wirtschaftsklausein gelten, soweit sich diese nur als eine (deklaratorische) vertragliche Ausgestaltung der gesetzlichen Institute der ergänzenden Vertragsauslegung bzw. der Geschäftsgrundlage erweisen282 . Selbst wenn man - entgegen der hier vertretenen Ansicht - die Vertragsanpassung über vertragliche Klauseln als Rechtsgestaltung im technischen Sinne ansehen würde, hätte das Gericht jedenfalls bei einer Leistungsklage auch ohne einen entsprechenden ausdrücklichen Antrag des Klägers aus prozessökonomischen Gründen darüber inzident zu befinden283 . 280 Im Falle des LG Köln ZNER 2000, 132 ff., hatte die Klägerin auf Feststellung des Bestehens des Liefervertrags geklagt; in den beiden Fällen des LG Stuttgart (Fn. 4 und 5) und des LG Rostock (Fn. 7) hatte sie Leistungsklage auf Zahlung erhoben. 281 So zur Vertragsanpassung bei Störungen der Geschäftsgrundlage: BGH WM 1969, 65, 66; vgl. auch BGH WM 1972, 216, 217; MünchKomm/H. Roth, BGB, 3. Aufl. 1994, § 242 Rn. 551 m. w.N. 282 Vgl. Soergel/Wolf, BGB, 12. Aufl. 1991, § 315 Rn. 32; Kühne, BB 1997, Beilage 19, S. 12 m.w.N.; vgl. Lukes, BB 1999, Beilage 8, S. 180. Auch in den Fällen der übermäßig langen Bierlieferverträge hatte der Lieferant auf Zahlung der nicht abgenommenen Menge geklagt, siehe die Nachw. in Fn. 187. 283 Vgl. Horn, AcP 181 (1981), 255, 280; KunthlSlabschi, RdE 1997, 174, 182 m. w.N. Dies hat das LG Rostock (Fn. 7) verkannt, da es - obwohl auf Wolf (Fn. 281) Bezug nehmend - für den Fall eines Verstoßes eine gerichtliche Vertragsanpassung mangels entsprechenden Klägerantrages ablehnt, dann aber den Vertrag gleich-

11. Aufrechterhaltung des Liefervertrages

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Bei der Frage, welche Laufzeit die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den Wegfall der §§ 103, 103a GWB a. F. bedacht hätten, können die Maßstäbe der Schirm-GFVO als Leitbild dienen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat insofern zwar zu Recht die hilfsweise beantragte Vertrags anpassung unter Aufrechterhaltung der Bezugsbindung für mehr als fünf Jahre abgelehnt, da der Marktanteil des Lieferanten im konkreten Fall 30% überstieg 284 . Allerdings schließt dies eine Aufrechterhaltung des Vertrages mit einer Laufzeit von bis zu 2 Jahren nicht aus 285 . Fraglich ist dann weiter, ob vernünftige Parteien eine Aufrechterhaltung der Gesamtbedarfsdeckungsklausel bis zur gerade noch zulässigen Höchstlaufzeit oder mit einer weniger langen, marktüblichen Laufzeit vereinbart hätten. Da bei der ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 157, 242 BGB die Interessen beider Parteien zu berücksichtigen sind, sollte man die zulässige marktübliche Laufzeit zugrunde legen286 . Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend für die bei den Altverträgen regelmäßig im Hinblick auf die § 138 BGB bzw. § 9 AGBG gebotene Vertragsanpassung. 5. Eigenerzeugungsverbot

Ist man der Ansicht, das Eigenerzeugungsverbot verstoße gegen § 1 GWB 287 , führt dies zu dessen Nichtigkeit nach § 134 BGB. Daraus folgt aber nicht die Gesamtnichtigkeit des Liefervertrages nach § 139 BGB, da wohl "trotz der damit gegebenen (zeitweiligen) Unbestimmtheit weiterhin als wirksam anzusehen" will. 284 OLG Düsseldorf ZNER 2001, 255, 260. 285 Der Ansicht des OLG Düsseldorf, eine Vertragsanpassung mit einer zulässigen Laufzeit verstoße gegen Sinn und Zweck des Art. 81 EG, da der Lieferant damit vom Risiko der Vertragsnichtigkeit entbunden werde, kann nicht gefolgt werden; tendenziell auch Markert ZNER 2001, 260, 263. 286 Siehe aber auch Oetker (Fn. 128), S. 560, der der Ansicht ist, im Falle der ergänzenden Vertragsauslegung entspreche die im konkreten Fall maximal zulässige Laufzeitbindung am ehesten dem hypothetischen Parteiwillen. Die von Oetker zitierte Rechtsprechung des BAG zu übermäßig langen Bindungen in Rückzahlungsklauseln betreffend die Gewährung von Gratifikationen und Ausbildungsbeihilfen lässt sich aber auf die vorliegende Fallkonstellation nicht übertragen. Anders als der Arbeitnehmer, der sich auf die höchstzulässige Laufzeit eingelassen hätte, um in den Genuss der Gratifikationen oder Ausbildungsbeihilfe zu gelangen, ist der Weiterverteiler nach der wettbewerblichen Öffnung der Energiemärkte nicht mehr auf den Vertragsschluss mit seinem regionalen Liefer-EVU zu dessen Konditionen angewiesen. Er muss sich bei einer vernünftigen Abwägung seiner Interessen vielmehr an den marktüblichen Konditionen orientieren, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. 287 Siehe dazu oben C. 6 Säckerl Jaecks

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E. Rechtsfolgen

das Eigenerzeugungsverbot sowohl von der Alleinbezugsbindung als auch vom Liefervertrag getrennt werden kann und die Parteien den Liefervertrag auch ohne das Eigenerzeugungsverbot abgeschlossen hätten. Hält man das Eigenerzeugungsverbot hingegen - isoliert betrachtet - für wirksam, ist dessen Wechselwirkung mit der ausschließlichen Bezugsbindung zu berücksichtigen. Da das Eigenerzeugungsverbot nur der Absicherung der Alleinbezugsverpflichtung dient, teilt es deren Schicksal. Ist die ausschließliche Bezugsbindung nach den vorstehenden Ausführungen zunächst einmal nichtig, so zieht dies die Nichtigkeit auch Eigenerzeugungsverbotes nach sich, da ein isoliertes Eigenerzeugungsverbot keinen Sinn macht. Soweit aber der Liefervertrag mit einer zulässigen Laufzeit angepasst werden kann, gilt dies auch für das Eigenerzeugungsverbot288 . 6. Schicksal des Liefervertrages im Übrigen

Fraglich ist, ob die Nichtigkeit der Kundenschutzvereinbarungen und die Anpassung der Laufzeit des Liefervertrages auch eine Anpassung der Hauptleistungspflichten erfordern. Der Wegfall der Gebietsschutzzusagen beeinflusst die Vertragspreise, da die Parteien bei Vertragsschluss davon ausgegangen sind, dass Preiswettbewerb nicht stattfinden werde und die Abnahmeverhältnisse sicher sind289 • Da die Parteien gegenüber dem Marktpreis erhöhte Entgelte vereinbart haben, wäre eine Reduzierung des Preises erforderlich. Eine Beeinflussung der Vertragsmenge kommt von vornherein nur in Betracht, wenn der Vertrag überhaupt die Verpflichtung zur Abnahme einer festen Menge und nicht bloß eine allgemeine Gesamtbedarfsdeckungsklausei enthält. Auch die Anpassung der Laufzeit des Vertrages kann die Preise beeinflussen, da diese regelmäßig umso günstiger sind, je länger die vertragliche Laufzeit dauert und in dieses Verhältnis eingegriffen wird. Zwar hat der Bundesgerichtshof in den Fällen übermäßig langer Bierlieferverträge klargestellt, dass die Vertragsanpassung allein zur Verringerung der Vertragsdauer unter unveränderter Aufrechterhaltung der übrigen Teile der beiderseitigen vertraglichen Verpflichtungen führt 29o . Diese Rechtsprechung ist aber durch die besondere Vertragsgestaltung bei Bierlieferungen bedingt, in denen die Brauerei eine Gegenleistung erbringt, die für die zulässige Vertragsdauer von wesentlicher Bedeutung ist. Sie kann insoweit auf langfristige Energielieferverträge nicht übertragen werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich der Preis vor allem an der vereinbarten Jahresmenge orientiert; ob die Laufzeit des Liefervertrages zwei, fünf oder Siehe dazu oben C. LG Frankfurt a.M. (Fn. 10); Schulte-Beckhausen (Fn. 17), § 103 GWB Rn. 27; J. F. Baur, FS Sandrock, 2000, 35, 42; a.A. Salje, ET 1999, 768, 772. 290 BGH NJW 1992,2145,2146. 288

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11. Aufrechterhaltung des Liefervertrages

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20 Jahre beträgt, beeinflusst den Preis dann weniger stark. Zumindest ist eine etwaig gebotene Preiserhöhung jahresabschnittsweise aber leichter quantifizierbar. Für die danach erforderliche Anpassung stehen regelmäßig die Instrumentarien der Preisgleit291 - oder Wirtschaftsklausein zur Verfügung; bei deren Fehlen kann auf die Regeln über die ergänzende Vertragsauslegung bzw. die Grundsätze zum Wegfall der Geschäftsgrundlage zurückgegriffen werden 292 . Scheitern die Anpassungsverhandlungen der Parteien, gelten die obigen Ausführungen entsprechend293 . 7. Zeitpunkt des Verstoßes und Restlaufzeit des Liefervertrages

Für die Frage, ab welchem Zeitpunkt die noch zulässige Laufzeit zu berechnen ist, kommt es darauf an, seit wann die Gesamtbedarfsdeckungsklauseln gegen deutsches oder europäisches Recht verstoßen. Im Hinblick auf die Altverträge ist problematisch, dass der Zeitpunkt des Verstoßes in der Regel weit vor Inkrafttreten der Schirm-GFVO am 1. Juni 2000 liegt294 . Die Kriterien der Schirm-GFVO können aber gleichwohl auch für Verträge herangezogen werden, die vor deren Inkrafttreten abgeschlossen worden sind. Es geht nicht um die direkte Anwendung der Schirm-GFVO mit dem Ziel einer Freistellung, sondern um eine Anpassung der Verträge über Ersetzungs- oder Wirtschaftsklauseln, im Wege ergänzender Vertragsauslegung bzw. nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Lichte der Maßstäbe der Schirm-GFVO. Die Wertungen, die der 291 Preisgleitklauseln sind spezielle Ausprägungen der (allgemeinen) Wirtschaftsklausei, die entweder automatisch zur Preisanpassung führen oder zu entsprechenden Verhandlungen verpflichten. 292 KunthlSlabschi, RdE 1997, 174, 179 f.; Büdenbender (Fn. 9), Rn. 493 ff.; Salje, ET 1999, 768, 771 f.; Rottnauer, BB 1999,2145,2151. 293 Vgl. oben E. 11. 4. A.A. J. F. Baur, RdE 1997,41,43, 45 f., der den Gerichten unter Bezugnahme auf BGHZ 51, 55, 58 und BGH NJW 1983, 159, 162, die Fähigkeit zur Preis-/Mengenanpassung abspricht und den Parteien deshalb bei Scheitern der Verhandlungen ein Sonderkündigungsrecht einräumt. Dagegen zutreffend KunthlSlabschi, RdE 1997, 174, 181. 294 J. F. Baur, RdE 2001, 81, 86, geht von einer vorläufigen Nichtigkeit der Altverträge und deren Freistellungsfahigkeit nach Inkrafttreten der Schirm-GFVO aus. Unklar bleibt, ob dies nur für solche Altverträge gelten soll, die die Kriterien der Schirm-GFVO bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses erfüllt haben oder auch für solche, bei denen nach Inkrafttreten der Schirm-GFVO (Rest-)Laufzeit und Marktanteil nunmehr den Vorgaben der Schirm-GFVO entsprechen. Da Altverträge durchweg längere Laufzeiten haben und die Liefer-EVU über eine marktbeherrschende Stellung verfügten, können die Voraussetzungen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses niemals vorliegen. Gegen diese Ansicht spricht im Übrigen, dass Art. 12 Abs. 2 Schirm-GFVO die Anwendbarkeit für Altverträge regelt. Danach gilt Art. 81 Abs. 1 EG für einen Übergangszeitraum bis zum 31.12.2001 nur dann nicht, wenn die Voraussetzungen der früheren GFVO erfüllt waren.

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E. Rechtsfolgen

Schirm-GFVO zugrunde liegen, sind nicht erst zu deren Inkrafttreten erfunden worden, sondern waren schon vorher zutreffend. Im Einzelnen ist wie folgt zu differenzieren: Die in den langfristigen Energielieferverträgen enthaltenen Gesamtbedarfsdeckungsklauseln sind im Hinblick auf die §§ 103, 103a GWB a. F. bis zu deren Aufhebung durch die Neuregelung des Energiewirtschaftsgesetzes Ende April 1998 nach deutschem Recht nicht in Frage gestellt worden, soweit es die Alleinbezugsverpflichtung betraf. Zwar galt die Freistellung der §§ 103, 103a GWB a. F. nur für Demarkationsabreden, nicht aber für Bezugsbindungen. Angesichts der Netzmonopole und mangels praktizierter und durchsetzbarer Durchleitungsrechte bestand allerdings auch gar keine Möglichkeit des Abnehmers, seinen Bedarf nicht bei seinem Gebietsversorger zu decken, so dass schon aus diesem Grunde allenfalls eine theoretisch vorstellbare, aber keine spürbare Wettbewerbs beschränkung vorlag. Im Hinblick auf die ausschließliche Bezugsbindung könnte daher erst seit Ende April 1998 ein Verstoß gegen § 1 GWB angenommen werden. Entsprechendes gilt für § 20 Abs. 1 GWB (§ 26 Abs. 2 GWB a.F.). Ein Verstoß gegen § 19 Abs. 1 GWB kann erst seit dem 1. Januar 1999 vorliegen, da die entsprechende frühere Vorschrift (§ 22 Abs. 4 GWB a.F.) nicht als Verbotstatbestand, sondern nur als Missbrauchsaufsicht ausgestaltet war. Da die EVU zu diesem Zeitpunkt mangels funktionierendem Durchleitungssystem über eine marktbeherrschende Stellung verfügten, kommt eine Aufrechterhaltung der Alleinbezugsverpflichtung regelmäßig nur für eine Laufzeit von zwei Jahren in Betracht, es sei denn es liegen besondere Rechtfertigungsgründe vor. Ausschließliche Bezugsbindungen in längerfristigen Lieferverträgen, die vor dem 1. Januar 1999 abgeschlossen wurden, dürften also spätestens seit Anfang 2001 wegen Verstoßes gegen die §§ 20 Abs. 1, 19 Abs. 1 GWB nichtig sein. Anders als im Falle der Alleinbezugsverpflichtungen haben die Kartellbehörden § 1 GWB auf die Eigenerzeugungsverbote bereits Anfang der 80er Jahre angewendet295 . Jedenfalls aber mit der Nichtigkeit der ausschließlichen Bezugsbindung ist auch das Eigenerzeugungsverbot nichtig geworden 296 . Bei der zivilrechtlichen Kontrolle sind die § 138 BGB bzw. § 9 AGBG auf Altverträge nicht direkt anwendbar, sondern ihre Wertungen können nur mittelbar über § 242 BGB berücksichtigt werden 297 . Erst mit der Aufhebung der §§ 103, 103a GWB a.F. Ende April 1998 ist eine Vertragsanpassung in Form der Aufrechterhaltung des Liefervertrages mit einer angemes295 296 297

Siehe die Nachw. oben in Fn. 202. Siehe oben E. 11. 5. Siehe oben C.

11. Aufrechterhaltung des Liefervertrages

85

senen Laufzeit geboten. Im Ergebnis besteht also Deckungsgleichheit zwischen der kartell- und der zivilrechtlichen Kontrolle. Sind die Voraussetzungen der Zwischenstaatlichkeitsklausel erfüllt wovon jedenfalls seit dem Inkrafttreten der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie Ende 1996 in der Regel auszugehen ist -, verstoßen die Alleinbezugsbindungen gegen die Art. 85, 86 EGV a. F. Die §§ 103, 103a GWB a. F. können insofern europarechtlich nicht entgegenstehen298 . Wegen der marktbeherrschenden Stellung der EVU kommt auch hier eine Aufrechterhaltung der Laufzeit nur bis zu zwei Jahren ab Vertragsschluss in Betracht. Gesamtbedarfsdeckungsklauseln in längerfristigen Lieferverträgen, die vor 1999 abgeschlossen wurden, sind also spätestens seit Anfang 200 1 nichtig. Sofern danach die in den Altverträgen enthaltenen Gesamtbedarfsdeckungsklauseln auch nach einer Aufrechterhaltung endgültig nichtig sind (je nach Zeitpunkt des Vertragsschlusses spätestens seit dem Jahre 2001), ist (erneut) zu prüfen, ob die Lieferverträge ab diesem Zeitpunkt auch ohne die Gesamtbedarfsdeckungsklausel weiter aufrecht zu erhalten sind. Übrig bliebe dann nur ein Rahmenvertrag, der die Lieferung von (einer unbestimmten Menge) Energie gegen Zahlung (eines unbestimmten Preises) zum Gegenstand hätte. Nach der Auslegungsregel des § 139 BGB läge zumindest im Falle einer Individualvereinbarung an sich die Gesamtnichtigkeit des Liefervertrages nahe, da die Parteien objektiv betrachtet einen solchen Vertrag vernünftigerweise nicht geschlossen hätten299 . Angesichts der besonderen Umstände (Dauerschuldverhältnis über Energielieferung) erscheint aber eine nach dem der Teilnichtigkeit nachfolgenden tatsächlichen Partei verhalten differenzierende Betrachtung geboten: Bezieht der Abnehmer nicht mehr vom Lieferanten, so ist der Liefervertrag insgesamt endgültig nichtig. Ersetzungs- oder Wirtschaftsklausein verpflichten die Parteien auch nicht erneut zu Verhandlungen über die Vertragsanpassung. Durch die aufgrund der Nichtigkeit von Kundenschutzzusage und Gesamtbedarfsdeckungsklausel (ggfs. durch Urteil) vorgenommene (erstmalige) Vertragsanpassung ist der entsprechende Anspruch erfüllt und damit erloschen. Bezieht der Weiterverteiler hingegen weiterhin Energie vom Lieferanten, so ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu beachten, die sich allgemein bei Dauerschuldverhältnissen und speziell im Falle der Energielieferung bemüht, die Annahme eines vertragslosen Zustands zu venneiden, um eine Rückabwicklung nach den für Dauerschuldverhältnisse wenig geeigneten Bereicherungsvorschriften (§§ 812 ff. BGB) zu verhindern. So ist der Bun298 Vgl. oben B. I. 2. Markert ZNER 2001, 260, 262 f. will die Art. 85, 86 EGV a. F. schon vor diesem Zeitpunkt anwenden. 299 Dazu, dass es bei § 139 BGB heute grundSätzlich auf den hypothetischen Parteiwillen ankommt und dieser objektiv zu bestimmen ist, MünchKomm/MayerMaly/Busche, BGB, 4. Aufl. 2001, § 139 Rn. 28 ff. m. w.N.

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E. Rechtsfolgen

desgerichtshof im Falle des (Weiter-)Bezugs des Sonderabnehmers oder des Weiterverteilers sowohl bei Nichtzustandekommen als auch bei Kündigung des Energieliefervertrages von der grundsätzlichen Geltung des Vertrages ausgegangen und hat den Kaufpreis entsprechend den §§ 315, 316 BGB nach billigem Ermessen bestimmt3OO • Bei einem Weiterbezug ist also keine Nichtigkeit des Liefervertrages, sondern ein sog. "Interimsverhältnis" anzunehmen 301 • Erfüllen Gesamtbedarfsdeckungsklauseln in Neuverträgen, die erst im Jahre 1999 oder später abgeschlossen worden sind, nicht die Kriterien der Schirm-GFVO (etwa weil der Marktanteil des Lieferanten über 30% liegt oder die Laufzeit länger als fünf Jahre ist), kann der Liefervertrag in den aufgezeigten Grenzen angepasst und insgesamt aufrecht erhalten werden.

300 BGH LM § 315 BGB Nr. 12; NJW 1983, 1777; RdE 1992, 74 ff.; vgl. dazu auch Hempel, Folgen einer Gesamtnichtigkeit des Liefervertrages, in VDEW (Hrsg.), Energierechtsnovelle und Stromlieferungsverträge, 1998, S. 77 ff. m.w.N. 301 Bei Kenntnis der Parteien von der Nichtigkeit bereitet die Begründung dieses Ergebnisses (kein vertrags loser Zustand) dogmatisch keine Probleme. Der Umstand, dass das Liefer-EVU Energie weiterhin vorhält und der Weiterverteiler diese bezieht, zeigt, dass der tatsächliche Parteiwille auf die Restgültigkeit des Liefervertrages zielt (vgl. allgemein zur Bedeutung des tatsächlichen Parteiwillens für den hypothetischen, Mayer-Maly, FS Flume I, 1978, S. 621 ff.). Selbst wenn man aber das Verhalten der Parteien nach Teilnichtigkeit (und den darin zum Ausdruck kommenden tatsächlichen Parteiwillen) im Rahmen des § 139 BGB nicht berücksichtigen und so zur Gesamtnichtigkeit des Liefervertrages gelangen würde, müsste man anschließend einen stillschweigenden erneuten Vertragsschluss durch Weiterbezug bejahen. Aber auch wenn den Parteien die Nichtigkeit des Vertrages gar nicht bewusst ist, ist der tatsächliche Partei wille bzw. das begleitende Erklärungsbewusstsein darauf gerichtet, den Leistungsaustausch nicht in einem vertragslosen Zustand vorzunehmen. Sieht man dies anders, verbliebe theoretisch die Annahme eines faktischen Vertrages bzw. eines Vertragsschlusses durch sozialtypisches Verhalten, die sich aber gerade nicht durchgesetzt hat. Ein vertragsloser Zustand lässt sich in diesem Fall also nur vermeiden, wenn man bei der Frage nach dem hypothetischen Parteiwillen auf die objektive Interessenlage der Parteien gerade im Falle des Weiterbezuges abstellt.

F. Ergebnis I. Gesamtbedarfsdeckungsklauseln in langfristigen Altverträgen verstoßen jedenfalls seit der Liberalisierung der Energiewirtschaft durch die Europäische Union Ende 1996 grundsätzlich gegen Art. 81 Abs. 1 EG, wenn der zwischenstaatliche Handel spürbar beeinträchtigt wird, bzw. gegen § 1 GWB, wenn zwischen den Vertragsparteien ein aktuelles oder potentielles Wettbewerbsverhältnis besteht. Aus den Kriterien der Schirm-GFVO lassen sich Rückschlüsse für die Bejahung einer tatbestandsmäßigen Wettbewerbsbeschränkung im europäischen Recht ziehen. Hinsichtlich des im Rahmen von § 1 GWB zu prüfenden wettbewerblich anzuerkennenden Interesses entfaltet die Schirm-GFVO eine negative Ausstrahlungswirkung und indiziert dessen Verneinung. Ist die konkrete Laufzeit ausnahmsweise zur Amortisation besonders umfangreicher, vertragsspezifischer Investitionen des Lieferanten erforderlich, kommt im Hinblick auf Art. 81 EG nur eine Einzelfreistellung nach Art. 81 Abs. 3 EG in Betracht. Bei § 1 GWB ist dann ein wettbewerblich anerkennenswertes Interesse zu bejahen.

11. Da die Liefer-EVU im Zeitpunkt des Abschlusses der Altverträge sowohl auf dem Strom- als auch auf dem Gasmarkt marktbeherrschend waren, liegt regelmäßig auch ein Verstoß gegen Art. 82 EG und § 20 Abs. 1 GWB sowie (seit dem 1. Januar 1999) auch gegen § 19 Abs. I GWB vor.

m. Seit der Aufhebung der §§ 103, 103a GWB a.F. Ende April 1998 sind die Altverträge aufgrund ihrer übermäßig langen Laufzeit regelmäßig an sich auch sittenwidrig bzw. benachteiligen den Abnehmer unangemessen. Die Schirm-GFVO entfaltet hier eine negative Fernwirkung. Ein Verstoß gegen § 138 BGB oder § 9 AGBG liegt gleichwohl nicht vor, da dafür nur auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen ist. Allerdings sind die Verträge nach den Ersetzungs- bzw. Wirtschaftsklauseln, sonst im Wege ergänzender Vertragsauslegung an die nunmehr angemessene Laufzeit anzupassen. IV. Gesamtbedarfsdeckungsklauseln in Neuverträgen sind hingegen im Hinblick auf die vorstehend genannten Vorschriften unbedenklich, wenn die Kriterien der Schirm-GFVO erfüllt sind. Im europäischen Recht sind sie freigestellt, während im deutschen Recht aufgrund der positiven Ausstrahlung der Schirm-GFVO ein wettbewerblich anerkennenswertes Interesse zu bejahen ist. Stehen die Parteien in einem Wettbewerbsverhältnis, sind allerdings die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 4 lit. a) und b) Schirm-GFVO

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F. Ergebnis

zu beachten. Darüber hinaus darf der Marktanteil des Lieferanten 30 % nicht übersteigen und die Laufzeit des Vertrages nicht länger als fünf Jahre sein. Ist das Liefer-EVU marktbeherrschend, sind Laufzeiten in der Regel nur bis zu zwei Jahren zulässig. V. Die vor allem in den Altverträgen enthaltenen Kundenschutzvereinbarungen des Lieferanten wie des Abnehmers verstoßen seit Aufhebung der §§ 103, 103a GWB a.F. Ende April 1998 regelmäßig gegen Art. 81 EG bzw. § 1 GWB. Ist das Liefer-EVU marktbeherrschend, stellt die Kundenschutzzusage des Weiterverteilers in der Regel auch einen Verstoß gegen Art. 82 EG bzw. § 20 Abs. 1 und (seit dem 1. Januar 1999) gegen § 19 Abs. 1 GWB dar. Sofern der Marktanteil des Lieferanten 30% nicht übersteigt, sind Gebietsschutzzusagen in neu abgeschlossenen Energielieferverträgen nach der Schirm-GFVO de lege lata generell freigestellt (die des Abnehmers für fünf Jahre, die des Lieferanten unbefristet). Die angestrebte wettbewerbliche Öffnung der Energiemärkte wird dadurch konterkariert. Nur im Hinblick auf besondere Verkaufsbemühungen des Weiterverteilers sowie besonders umfangreiche, vertragsspezifische Investitionen des Lieferanten (oder des Weiterverteilers) ist das Verbot des aktiven Abwerbens von Kunden - auch in Neuverträgen - einzelfreistellungsfähig bzw. funktionsnotwendig und kartellrechtlich anzuerkennen. Ist der Weiterverteiler zur Abnahme einer festen Menge verpflichtet, ohne die Möglichkeit zu haben, neue Kunden zu gewinnen, gilt dies auch für das Verbot der passiven Belieferung. VI. Der Verstoß der Kundenschutzvereinbarung und der Gesamtbedarfsdeckungsklausei gegen die genannten kartellrechtlichen Vorschriften hat zunächst deren Totalnichtigkeit zur Folge. Der Liefervertrag kann zwar in den Grenzen der Wertungen der Schirm-GFVO durch eine Vertragsanpassung über Ersetzungs- oder Wirtschaftsklauseln, im Wege ergänzender Vertragsauslegung bzw. nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage mit einer Gesamtbedarfsdeckungsverpflichtung für eine marktübliche Laufzeit aufrechterhalten werden. Zu berücksichtigen ist aber, dass bei Altverträgen aufgrund der marktbeherrschenden Stellung der Liefer-EVU regelmäßig nur Laufzeiten bis zu zwei Jahren zulässig sind.

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