Landschaftsökologie: Herausgegeben:Haas, Hans-Dieter; Cyffka, Bernd; Schmude, Jürgen 3534236858, 9783534236855

Die Landschaftsökologie untersucht die ökologischen Zusammenhänge innerhalb eines Ausschnittes der Erdoberfläche in ihre

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German Pages 164 [165] Year 2016

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Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
1. Landschaftsökologie – Wie ist Landschaft und Ökologie verbunden? – Eine Einführung
2. Räumliche Skalen und Horizontalstruktur
2.1 Horizontalstruktur der Landschaft
3. Die Vertikalstruktur der Landschaft und die komplexe Standortanalyse
4. Die Differentialanalyse – Prinzipien zur Erfassung der Horizontalstruktur der Landschaft
5. Die landschaftsökologische Komplexanalyse
6. Ökologische Funktionen und Prozesse
6.1 Der vertikale Höhengradient im Gebirge – Höhenstufen des tropischen Bergregenwaldes
6.2 Der horizontale Feuchtigkeitsgradient in Patagonien im Steppen-Waldökoton
6.3 Regionale Muster der Biomasseproduktion und Kohlenstoffspeicherung
7. Landschaftshaushalt und Bilanzen (Wasser- und Stoffumsatz)
7.1 Beispiel Stadtklima – anthropogen veränderter Strahlungs- und Wärmehaushalt
7.2 Landschaftswasserhaushalt: Wasserhaushalt und Wasserbilanz in einem Einzugsgebiet
7.3 Stoffhaushalt und Stoffbilanz – Nährstoffumsatz in einem Einzugsgebiet
7.4 Wasser- und Stoffumsatz im Uferökoton Belauer See
8. Modelle in der Landschaftsökologie
8.1 Ökologische Systemanalyse und Modelle – Prinzipien
8.2 Beispiel – fluviale Bodenerosionsmodellierung
9. GIS-gestützte Habitatmodellierung
9.1 GIS-gestützte Habitatmodellierung – Grundlagen
10. Landschaftsstruktur
10.1 Landschaftsstrukturmaße
10.2 Datengrundlage und -software
10.3 Beispiele zu Landschaftsstruktur und ökologischen Funktionen
11. Störungen und Landschaftsentwicklung
11.1 Störungen und Störungsregime – Grundlagen
12. Angewandte Landschaftsökologie
12.1 Regenwaldrodung durch Brandrodungsfeldbau und Habitatveränderung
12.2 Landnutzungsentwicklung in Ostbolivien – Ursachen der Entwaldung und zukünftige Entwicklung
12.3 Landschaftstruktur und Biotopschutz – Bsp. Heidelerche
12.4 Landnutzungsmanagement – eine komplexe interdisziplinäre Aufgabe
Literaturverzeichnis
Register
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Landschaftsökologie: Herausgegeben:Haas, Hans-Dieter; Cyffka, Bernd; Schmude, Jürgen
 3534236858, 9783534236855

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GEOWISSEN KOMPAKT Gerhard Gerold war Leiter der Abteilung Landschaftsökologie am Geographischen Institut der Georg-August-Universität in Göttingen. Er beschäftigt sich mit anthropogenen Veränderungen der Wasser- und Stoffhaushalte, mit den Schwerpunkten Boden und Wasser. Seine regionalen Forschungsschwerpunkte sind Waldökosysteme in den Tropen und Subtropen Südamerikas, Westafrikas sowie SE-Asiens. Herausgegeben von Bernd Cyffka und Jürgen Schmude Begründet von Hans-Dieter Haas

GEOWISSEN KOMPAKT

Gerhard Gerold

Landschaftsökologie

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. i 2016 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Einbandabbildung: Herbstlandschaft i EinBlick-Fotolia.com Einbandgestaltung: schreiberVIS, Bickenbach Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-23685-5 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-74141-0 eBook (epub): 978-3-534-74142-7

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Landschaftsökologie – Wie ist Landschaft und Ökologie verbunden? – Eine Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Räumliche Skalen und Horizontalstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Horizontalstruktur der Landschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Die Vertikalstruktur der Landschaft und die komplexe Standortanalyse . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Die Differentialanalyse – Prinzipien zur Erfassung der Horizontalstruktur der Landschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Die landschaftsökologische Komplexanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. Ökologische Funktionen und Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Der vertikale Höhengradient im Gebirge – Höhenstufen des tropischen Bergregenwaldes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Der horizontale Feuchtigkeitsgradient in Patagonien im Steppen-Waldökoton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Regionale Muster der Biomasseproduktion und Kohlenstoffspeicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7. Landschaftshaushalt und Bilanzen (Wasser- und Stoffumsatz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Beispiel Stadtklima – anthropogen veränderter Strahlungs- und Wärmehaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Landschaftswasserhaushalt: Wasserhaushalt und Wasserbilanz in einem Einzugsgebiet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Stoffhaushalt und Stoffbilanz – Nährstoffumsatz in einem Einzugsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Wasser- und Stoffumsatz im Uferökoton Belauer See . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8. Modelle in der Landschaftsökologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 8.1 Ökologische Systemanalyse und Modelle – Prinzipien. . . . . . . . . . . . . . . . 95 8.2 Beispiel – fluviale Bodenerosionsmodellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 9. GIS-gestützte Habitatmodellierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 9.1 GIS-gestützte Habitatmodellierung – Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

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Inhaltsverzeichnis

10. Landschaftsstruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Landschaftsstrukturmaße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Datengrundlage und -software . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Beispiele zu Landschaftsstruktur und ökologischen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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11. Störungen und Landschaftsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 11.1 Störungen und Störungsregime – Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 12. Angewandte Landschaftsökologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 Regenwaldrodung durch Brandrodungsfeldbau und Habitatveränderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Landnutzungsentwicklung in Ostbolivien – Ursachen der Entwaldung und zukünftige Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Landschaftstruktur und Biotopschutz – Bsp. Heidelerche. . . . . . . . . . . . 12.4 Landnutzungsmanagement – eine komplexe interdisziplinäre Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

1. Landschaftsökologie – Wie ist Landschaft und Ökologie verbunden? – Eine Einführung Überblick

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egrifflichkeiten und Definitionen von „Landschaftsökologie“ werden im zeitlichen Entwicklungskontext seit Troll beschrieben. Unterschiede in der theoretischen Betrachtung und Ableitung des Landschaftsverständnisses zwischen deutschsprachigem und englischsprachigem Raum werden angesprochen. Landschaftsökologie stellt einen Querschnittsbereich in der Geographie und

Ökologie dar mit der Verschneidung von geographisch-räumlicher Landschaftsanalyse und des ökologisch-funktionalen Ansatzes der Ökosystemforschung. Behandelt wird, was den landschaftsökologischen Ansatz charakterisiert und was Prinzipien landschaftsökologischen Arbeitens sind. Beispielhaft werden Hauptthemen der Landschaftsökologie angeführt.

Der Begriff Landschaftsökologie wurde erstmalig eingeführt und angewandt vom Biogeographen Carl Troll (1968) mit der Verknüpfung von Regionaler Geographie (Landschaft) und Vegetationsökologie. Troll sah die Landschaft als ein Mosaik von belebten Landschaftszellen, die eine funktionale („vor allem ökologische“) Einheit bilden. Damit werden bereits methodische Grundprinzipien der Landschaftsökologie angesprochen: (1) Die Beschäftigung mit der Landschaft als heterogene Raumeinheit, geographisch-räumlich aus Landschaftselementen zusammengesetzt, die man nach ihrer räumlichen Anordnung und hierarchischen Struktur analysieren kann (horizontale Muster und vertikale Struktur, s. Abb. 8, 11). (2) Die Analyse funktionaler Prozesse wie Energie-, Wasser- und Stoffflüsse zwischen Landschaftselementen, die man mit geoökologischen beziehungsweise biogeochemischen Methoden analysieren kann (s. Kap. 7). Betrachtet man „Landschaft“ außerhalb der Wissenschaft, so ist das Landschaftsverständnis äußerst heterogen und geprägt von einer kulturhistorisch ganzheitlich-ästhetischen Sicht mit Begriffen wie beispielsweise „Parklandschaft, Stadtlandschaft, Heidelandschaft“. Daran wird deutlich, dass im Begriff Landschaft bereits die kulturelle sozio-ökonomische Prägung von Teilen der Erdoberfläche (Biogeosphäre) enthalten ist, was bedeutet, dass ein drittes wichtiges Grundprinzip in der Landschaftsökologie existiert: (3) Die Analyse menschlicher Eingriffe in die Landschaft, ihre Auswirkungen auf Entwicklung und Veränderung der Landschaft („Landschaftsentwick-

Begriff und Definition Landschaftsökologie

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1.

Landschaftsökologie – Wie ist Landschaft und Ökologie verbunden? – Eine Einführung

lung“) und auf ökologische Prozesse mit ihrer Dynamik im Landschaftsmosaik. Ein großer Teil landschaftsökologischer Arbeiten umfasst diesen Bereich der Analyse von Nutzungseingriffen in die Natur (Ökosystem) und der zeitlich-räumlichen wie funktionalen Änderung von Landschaftseinheiten durch die anthropogenen Eingriffe. Dies wird häufig unter dem Begriff „Angewandte Landschaftsökologie“ zusammengefasst (Schneider-Sliwa et al. 1999). Zu berücksichtigen ist ferner eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung in der Inhaltsbestimmung und damit Definition von Landschaftsökologie zwischen dem deutschsprachigen und angelsächsischen Raum. Ein Vergleich der Einführungskapitel zur Landschaftsökologie von Steinhardt et al. (2005), Leser (1997) und Turner et al. (2001) macht dies deutlich. Im deutschsprachigen Raum besteht ein stärker kausalanalytisch-genetisches Landschaftsverständnis (Landschaft als Teil des Ökosystems), im angelsächsischen Raum ein pragmatisch räumlich-strukturelles Verständnis (Landschaft als „cluster“ von Landschaftselementen = „patches“). Eine festgefügte einheitliche Definition von Landschaftsökologie ist nicht möglich, aufgrund unterschiedlicher wissenschaftshistorischer und -theoretischer Ansätze. Zur kritischen Diskussion von Landschaftsbegriff und Landschaftsökologie wird verwiesen auf Haber (1996) und Hard (1983). Vor dem Hintergrund der Begriffe von „Landschaft“ und „Ökologie“ sind folgende Definitionen der Landschaftsökologie zu sehen: Stichwort „Landschaftsökologie ist das Studium des gesamten in einem bestimmten Landschaftsausschnitt herrschenden Wirkungsgefüges zwischen den Lebensgemeinschaften und ihren Umweltbedingungen. Die Landschaftsökologie geht … von dem funktional-ökologischen Zusammenhang von Boden, Wasser, Luft und Lebewelt aus.“ C. Troll (1968, S. 17/18) in: Pflanzensoziologie und Landschaftsökologie, Den Haag „Landschaftsökologie ist jener Fachbereich, der sich mit den Wechselwirkungen zwischen jenen Faktoren beschäftigt, die im Landschaftsökosystem zusammenwirken und die sich funktional in der Landschaft repräsentieren.“ H. Leser (1997, S. 446) in: Wörterbuch Allgemeine Geographie, Westermann-Verlag „Ein Ökosystem ist ein Wirkungsgefüge von Lebewesen und deren anorganischer Umwelt, das zwar offen, aber bis zu einem gewissen Grad zur Selbstregulation befähigt ist.“ H. Ellenberg (1973, S. 1) in: Ökosystemforschung. Ziele und Stand der Ökosystemforschung. Berlin „Landscape ecology focuses on the spatial relationships among landscape elements or ecosystems; the flows of energy, mineral nutrients and species among the elements; and the ecological dynamics of the landscape mosaic through time.“ Forman (1983) in Turner et al. (2001, S. 2): Landscape Ecology. Springer-Verlag

Landschaftsökologie – Wie ist Landschaft und Ökologie verbunden? – Eine Einführung

Vereinfacht verbindet die Landschaftsökologie den ökologisch-funktionalen Ansatz der Ökosystemforschung (s. Definition Ellenberg) mit dem geographisch-räumlichen Ansatz (s. Definition Troll „Landschaftsausschnitt“ und Forman „spatial relationships“) auf ganz unterschiedlichen Skalen (Abb. 1, s. Kap. 2). Sowohl in der Landschaftsökologie wie Ökosystemforschung wird das Wirkungsgefüge zwischen Lebewesen und deren anorganischer Umwelt betrachtet. In der Landschaftsökologie wird jedoch explizit auf den Raum (Landschaftsausschnitt, „landscape element“) verwiesen, während in der Ökosystemdefinition auf die von der Ökosystemtheorie herkommende Eigenschaft „der Selbstregulation“ und „offenes System“ im Vordergrund steht. Zur Diskussion „Landschaft als offenes System“ und „Selbstregulation“ s. Kap. 3 (Landschaft als offenes System) in Steinhardt et al. (2005). Was unterscheidet landschaftsökologisches Arbeiten dann vom ökosystemaren Arbeiten („Ökosystemanalyse“)? (1) Landschaftsökologie betrachtet primär den Landschaftsraum und nicht ein Umweltmedium mit seiner räumlichen Struktur („pattern“) in Bezug auf dort ablaufende und/oder dominante ökologische Prozesse. Dahinter steht, dass Zusammensetzung und Form eines Landschaftsausschnittes ökologische Prozesse und damit das Ökosystem selbst beeinflusst. Ökologische Studien mit Fokus auf naturnahe Ökosysteme oder Ökosystemteile (z.B. Salzwiesenökosystem, Buchenwaldökosystem) untersuchen die Pflanze/Tier-Umweltinteraktionen und zugrundeliegenden ökologischen Prozesse in meist experimenteller, standörtlicher oder kleinräumlicher Perspektive mit der Prämisse einer Extrapolation der Erkenntnisse auf ähnliche homogene Flächen (Ökotopprinzip s. Kap. 2). Der landschaftsökologische Ansatz berücksichtigt die Heterogenität z.B. der Salzwiesenlandschaft nicht nur im Hinblick auf die klassische Differenzierung in Quellerwatt, untere (Andelzone) und obere Salzwiese (Rotschwingelzone) in Abhängigkeit von Überflutungshäufigkeit, Salzgehalt und Pflanzenzusammensetzung, sondern betrachtet auch Zerschneidung durch Priele, Größe der Salzwiesentypen und gegebenenfalls die anthropogene Nutzung (früher und heute) in Relation zu den geoökologischen Prozessen.

9 Abb. 1 Landschaftsökologie als Querschnittsbereich (n. Troll 1966)

Prinzipien landschaftsökologischen Arbeitens

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1.

Landschaftsökologie – Wie ist Landschaft und Ökologie verbunden? – Eine Einführung

(2) Landschaftsökologie betrachtet Landschaftsräume in ganz unterschiedlicher Ausdehnung, vom Salzwiesenökotop bis zum Nationalpark Wattenmeer oder vom Landschaftselement („patch“) Regenwald-Brandrodungsfeld bis zur Regenwaldzone der Inneren Tropen. Die Raumgröße in der Landschaftsökologie ist jedoch nicht absolut zu sehen und hängt meist von der Fragestellung und räumlichen Heterogenität ab. Abb. 2 Salzwiesen auf Spiekeroog – ökologische Heterogenität bei landschaftlicher Homogenität: Wattkante (mTHw) mit Quellerwatt (überflutet) und untere Salzwiesengesellschaft (Andelgras)

(3) Landschaftsökologie bezieht a priori den wirtschaftenden Menschen mit seinen verursachenden Auswirkungen auf die Landschaftsentwicklung wie umweltverändernden Auswirkungen mit ein. Damit verbunden sind Veränderung und Steuerung biogeochemischer Prozesse in der Landschaft. Als Ergebnis haben wir es mit anthropogen gestalteten oder veränderten Ökosystemen (z.B. Agrarökosystem, Forstökosystem) oder räumlich manifestierten Umweltproblemen (z.B. Versiegelung und Bodenverdichtung, Gewässereutrophierung) zu tun, die von der Angewandten Landschaftsökologie vielfach bearbeitet werden (Schneider-Sliwa et al. 1999). Landschaftsökologie als wissenschaftshistorisch junges Lehr- und Forschungsgebiet stellt einen breit angelegten interdisziplinären Arbeitsbereich dar, der die Rolle des Menschen als Bestandteil der räumlichen Heterogenität wie auch als Faktor und Prozess der darin ablaufenden ökologischen Prozesse betrachtet. Nach Mosimann (1999) und Turner et al. (2001) gelten als Prinzipien landschaftsökologischen Arbeitens: Stichwort 1. Landschaftsökologie betrachtet Zusammenhänge, Prozesse und Wirkungen im heterogenen Landschaftsraum kompartimentübergreifend. 2. Landschaftsökologie versucht Entwicklung und Dynamik der räumlichen Ausprägung ökologischer Prozesse, die Rolle von Störungen und anthropogenen Eingriffen in Ökosysteme und charakteristische raum-zeitliche Skalen ökologischer Ereignisse zu verstehen. 3. Landschaftsökologie behandelt unterschiedlichste Skalen von der Parzelle bis zur Region mit der Rückkopplung von Landschaftsstruktur und ökologischen Prozessen. 4. Landschaftsökologie entwickelt Modelle und Theorien zur Erklärung und Analyse von Raumstrukturen und deren Prozessfeldern. 5. Landschaftsökologie beschäftigt sich mit Landnutzung, Landschaftsmanagement und ökologischer Planung und liefert wichtige Grundlagen für die Regional- und Landschaftsplanung.

Landschaftsökologie – Wie ist Landschaft und Ökologie verbunden? – Eine Einführung

Betrachtet man landschaftsökologische Arbeiten in Forschung und Anwendung, so beschäftigen sich die meisten Arbeiten mit Teilsystemen (wie Boden oder Vegetation) und Einzelprozessen des Wasser-, Stoff- und Energiehaushaltes. Daher gibt es sowohl methodisch wie inhaltlich vielfältige Überschneidungen seitens der Landschaftsökologie mit den stärker ökologisch spezialisierten Wissenschaftsdisziplinen, was in Anlehnung an Mosimann (2011) für den Bereich des Umweltschutzes schematisch dargestellt ist. Leser (1997, S. 40) konstatiert: „Die anthropogenen Beeinflussungen der Lebensumwelt des Menschen sind global anzutreffen und zum Teil von globalen Auswirkungen. Insofern ist der Arbeitsgegenstand der Landschaftsökologie die gesamte Biogeosphäre vom lokalen bis globalen Maßstab. Daraus leitet sich die Fülle der Betrachtungsgegenstände ab und erklärt die Vielfalt im Fachgebiet Landschaftsökologie.“ Stichwort „Landschaftsökosysteme sind der Lebensraum schlechthin.“ Leser 1997, S. 42

Aus der Entwicklung der Landschaftsökologie in den letzten 20–30 Jahren können einige Kernthemen ohne Anspruch auf Vollständigkeit genannt werden. Die historische Entwicklung der Landschaftsökologie wird ausführlich in Leser (1997; s. Abb. 4) beschrieben. Stichwort

Kernthemen in der Landschaftsökologie – Konsequenzen anthropogener Eingriffe in das Ökosystem – Landnutzungsmanagement und ökologische Planung – Natürliche Strukturelemente in der Landschaft und ihre Bedeutung für Flora, Fauna und Landschaftshaushalt – Abschätzung und Bewertung landschaftsökologischer Funktionen im räumlichen Kontext – Räumlich explizite Modelle geoökologischer Prozesse (z.B. Habitatmodellierung, Bodenerosionsmodellierung) – Umweltmonitoring, Risikoanalyse und ökologische Planung

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Abb. 3 Stellung der Landschaftsökologie im Bezugsfeld von Umweltschutzbereichen (aus Mosimann 2011 in Gebhardt, Glaser, Radke, Reuber (Hrsg.): Lehrbuch Geographie) Kernthemen und jüngere Entwicklungen

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1.

Landschaftsökologie – Wie ist Landschaft und Ökologie verbunden? – Eine Einführung

Die zunehmende Bedeutung der Landschaft als Subjekt landschaftsökologischen Arbeitens hat durch drei Entwicklungen deutlich zugenommen: (1) Zunahme von Umwelt- und Landmanagementproblemen, die einen nichtsektoralen räumlichen Lösungsansatz erfordern. (2) Entwicklung neuer raumbasierter Konzepte, Methoden und Modelle in der Ökologie. (3) Technologisch-methodischer Fortschritt mit digital räumlichen Erfassungssystemen (wie Satellitenbildauswertung) und Verarbeitung großer räumlicher Datenmengen (z.B. über GIS) und Verfügbarkeit digitaler Datenbanken. Turner et al. (2001, S. 22) schreiben: „Problemstellungen von Landschaftsökologen verknüpfen typischerweise die Analyse, dass Landschaftsmosaike eine räumliche Struktur haben, mit ökologischen Inhalten, die seit Entwicklung der ökologischen Wissenschaften untersucht wurden“ (s. Wörterbuch der Ökologie, Schaefer 2003). n Wissens-Check

1. Ergänzen Sie den Satz „Landschaftsökologie ist in einem Landschaftsausschnitt ein Wirkungsgefüge zwischen …“ 2. Definieren Sie Landschaftsökologie als Querschnittsbereich von … 3. Benennen Sie einen Unterschied zwischen landschaftsökologischem Arbeiten und ökosystemarem Arbeiten. 4. Nennen Sie drei Prinzipien landschaftsökologischen Arbeitens. 5. Benennen Sie beispielhaft drei Kernthemen aus der Landschaftsökologie.

Literaturhinweise Ellenberg, H. (1973): Ziele und Stand der Ökosystemforschung. In: Ellenberg, H. (Hrsg.) (1973): Ökosystemforschung. Ergebnisse von Symposien der Deutschen Botanischen Gesellschaft und der Gesellschaft für Angewandte Botanik in Innsbruck, Juli 1971. Berlin. 1–31. – Grundlegender Beitrag zur Definition und Zielen der Ökosystemforschung unter Berücksichtigung eines umfassenden komplexen prozessualen Ökosystemansatzes. Kirchhoff, T., Trepl, L., Vicenzotti, V. (2012): What is Landscape Ecology? An Analysis and Evaluation of Six Different Conceptions. In: Landscape Research 38/1. DOI: 10.1080/01426397.2011.640751 – Aktuelle Diskussion über die Ausrichtung der Landschaftsökologie je nach Disziplin mit Diskussion von sechs unterschiedlichen Konzeptionen. Gute anschauliche tabellarische Zusammenfassung dieser Konzeptionen. Leser, H. (1997): Landschaftsökologie. UTB 521, 644 S. – Erstes umfassendes deutschsprachiges Lehrbuch zur Landschaftsökologie, das die wissenschaftsmethodische Entwicklung in Europa umfangreich behandelt. Ferner wird die grundlegende Methodik der Landschaftsökologie mit der landschaftsökologischen Komplexanalyse detailliert vorgestellt.

Literaturhinweise Mosimann, T. (2011): Einführung in die Landschaftsökologie. In: Gebhardt, H., Glaser, R., Radtke, U., Reuber, P. (Hrsg.): Geographie. Physische Geographie und Humangeographie. Spektrum Verlag Heidelberg, 1330 S. – Im Rahmen des Lehrbuches Geographie eine kurzgefasste Einführung mit Kap. 14.1 in Aufgaben und Konzeption der Landschaftsökologie. Schneider-Sliwa, R., Schaub, D., Gerold, G. (Hrsg.) (1999): Angewandte Landschaftsökologie. Springer Verlag, Heidelberg 560 S. – Umfangreiche Zusammenstellung grundlegender Themenbereiche der Angewandten Landschaftsökologie mit aktuellen Forschungsfeldern. Insbesondere wird die Verknüpfung von Umweltproblemen, Umweltschutz mit der landschaftsökologischen Methodik dargestellt. Steinhardt, U., Blumenstein, O., Barsch, H. (2005): Lehrbuch der Landschaftsökologie. Spektrum Verlag Heidelberg, 294 S. – Das Lehrbuch bezieht den Systemansatz (Landschaft als offenes System) mit ein und behandelt grundlegende Strukturen und Funktionen der Landschaftsökologie. Aspekte von Nutzungsproblemen und der Landschaftsbewertung werden mit angesprochen. Troll, C. (1968): Landschaftsökologie. In: Tüxen, R. (Hrsg.) (1968): Pflanzensoziologie und Landschaftsökologie. Bericht über das 7. internationale Symposium in Stolzenau/Weser 1963 der internationalen Vereinigung für Vegetationskunde. Den Haag. 1–21. – Erste grundlegende Konzeption und Diskussion der Aufgaben unter Aspekten der Geobotanik und der Landschaftsanalyse. Turner, M.G., Gardner, R.H., O’Neill, R.V. (2001): Landscape Ecology. Springer Verlag, 401 S. – Umfassendes Lehrbuch aus den USA mit Betonung der dortigen Entwicklung der Landschaftsökologie. Dabei werden Raumstrukturen, die Skalenfrage und geoökologische Prozesse (pattern and process) in den Mittelpunkt gestellt und sowohl Modellierungskonzepte wie quantitative Landschaftsstrukturanalysen mit vorgestellt. In jedem Kapitel werden zur theoretischen Einführung praktische Forschungsbeispiele angegeben. Jedes Kapitel endet mit spezifischen Literaturempfehlungen und Diskussionsfragen.

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2. Räumliche Skalen und Horizontalstruktur Überblick

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andschaftsökologisches Arbeiten findet in sehr unterschiedlichen räumlichen Skalen statt. Daher werden Raumeinheiten mit ihren räumlichen Dimensionen definiert und zugehörige Hauptprozesse erläutert. Dabei findet in der Landschaftsökologie das Homogenitätstheorem als funktionale

Skalenbegriffe und räumliche Hierarchien

Grundeinheit Anwendung. Ferner wird die Bedeutung der skalenabhängigen horizontalen Differenzierung in der Landschaft (Landschaftsmosaik) erläutert. An Beispielen wird der Zusammenhang von räumlicher Skala und wissenschaftlicher Fragestellung erläutert.

Landschaft begegnet uns überall als Ausschnitt der Erdoberfläche (Biogeosphäre) und besitzt damit neben der zeitlichen Dimension seiner Entwicklung (Landschaftsgenese) immer eine räumliche Dimension (Skala). Warum ist die Skalenfrage – in welcher räumlichen Auflösung und in welcher Gesamtgröße ist mein Untersuchungsobjekt adäquat zu analysieren – in der Landschaftsökologie grundlegend und bedeutsam? Wie heterogen ist eine Landschaft und gibt es eine kleinste homogene funktionale Einheit? Theoretische und praktische Gründe sind dafür anzuführen. Ökologische Grundlagenforschung basiert vielfach auf der Ökosystemdefinition von Ellenberg mit der Fragestellung nach dem funktionalen Wirkungsgefüge im Ökosystem (s. Ökosystemforschung, Schaefer 2003). Um dies quantitativ untersuchen zu können, konzentriert man sich auf repräsentative kleine Areale (z.B. Minimumareal pflanzensoziologischer Aufnahmen (zur floristisch-ökologischen Analyse mit Analyse und Bewertung ökologischer Artengruppen, Zeigerwerte nach Ellenberg s. Ellenberg 1992, Ellenberg & Leuschner 2010; zur Methodik der Vegetationskunde/Geobotanik s. Dierschke 1994, Pott 2005) – und/oder funktionale Verknüpfungen wie Tiernahrungskette oder Habitatanalyse (s. Kap. 9) oder vereinfachende Experimente (Labor- und Freilandexperimente), um deren Ergebnisse auf größere Gebiete zu übertragen (Extrapolationsproblem). Auch in der Landschaftsökologie nutzt man diese Vorgehensweise zur Erfassung vor allem der vertikalen Wirkungsgefüge in der Landschaft („Ökotopprinzip“ s. STICHWORT – Raumeinheiten-Begriffe). Andererseits verlangten und verlangen viele Umweltprobleme eine Analyse über größere Areale (makroskalig s. STICHWORT Skalenbegriffe), wie „Saurer Regen mit Waldschäden, Habitatfragmentierung, Gewässereutrophierung, Biodiversitätsschutz, climate change“. So liefert die „m2-Analyse“ z.B. detaillierte Erkenntnisse zu den Pflanze-Umweltbedingungen einer Strandhafergesellschaft in den Weißdünen

Räumliche Skalen und Horizontalstruktur

einer Nordseeinsel (s. Abb. 6), zur Erklärung von Verbreitung und Entwicklung des Weißdünenökotops sowie seiner Gefährdung z.B. durch TourismusTrittschäden ist die Betrachtung der gesamten Strand-Dünenregion unter Berücksichtigung der jahreszeitlich klimatisch-marinen Bedingungen (Wind und Sturmfluten) und Materialbilanz (Sandan- und -abfuhr) erforderlich. Ein Beispiel aus der Xeroserie der Dünenlandschaft auf den Ostfriesischen Inseln (s. Abb. 6) verdeutlicht die Skalenfrage und Heterogenität in der Landschaft als Skalenproblem. Betrachtet man vom Luftbild aus die Insel Spiekeroog, so erkennt man leicht bei mittlerem Tidehochwasser drei farblich klar unterschiedliche Regionen im Nord-Süd-Profil, den trockenen Strand mit Weißdünenstreifen, den Braundünenbereich und die grünen Salzwiesen. Zoomt man in den Braundünenbereich hinein, so fällt ein grün-grau/braunes mosaikartiges Muster auf, das nach Feldbeobachtung und Vegetationsaufnahme als Krähenbeeren- und Silbergrasökotop mit einer gewissen Regelhaftigkeit charakterisiert werden kann. Fragt man nach der ökologischen Charakteristik der beiden Ökotope, so erfolgte eine Analyse der Vegetations- und Bodenverhältnisse mit z.B. Kartierung der Pflanzenzusammensetzung, Struktur und Deckungsgrad nach Braun-Blanquet (1964) und der Aufnahme eines Bodenprofils (n. AG Bodenkunde) im Maßstab von 2 m × 2 m Probeflächen mit 3facher Wiederholung. Als wichtiger Indikator des Stoffumsatzes würde man die Bruttoprimärproduktivität (BPP) der Pflanzendecke über z.B. die Erntemethode bestimmen. Die Auswertung der dominanten Pflanzenarten über die Zeigerwerte nach Ellenberg liefert dann erste Hinweise auf die Unterschiedlichkeit der abiotischen Standortbedingungen beider Ökotope. Das räumliche Muster im Braundünenbereich, was die Dünenlandschaft charakterisiert, kann damit jedoch nicht erklärt werden. Erst die Erfassung der Verteilung von Krähenbeeren- und Silbergrasökotop im Braundünenbereich offenbart eine Abhängigkeit von der Strahlungsexposition (Krähenbeerenökotop auf den N-exponierten Dünenhängen, Silbergrasökotop auf den S-exponierten Hängen). Weitere ökofunktionale Parameter wie die Analyse der unterschiedlichen Bodentemperaturen, Streuzersetzung, N-Mineralisation und Bodenfeuchtegang könnten dann gezielt zur Erfassung des ökosystemaren Wirkungsgefüges mit standörtlichen Messverfahren angesetzt werden. Das einfache Beispiel zeigt: (1) Quantitativ-ökologische Methoden reichen aus zur Erklärung standörtlicher ökologischer Wirkungsgefüge und werden vielfach im Feldexperiment und/oder Messplots mit statistisch auswertbarem regelmäßigem Muster eingesetzt. (2) Zur Erfassung und Erklärung des Landschaftsmosaiks muss aber die reale räumliche Anordnung an sich mit berücksichtigt werden. Im Beispiel ist

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Analyse eines Landschaftsmosaiks – Skalenfrage

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2.

Räumliche Skalen und Horizontalstruktur

dies ein Ergebnis übergeordneter Klimaparameter in Kombination mit der Dünengenese über die letzten 100–300 Jahre. (3) Das Landschaftsmosaik mit seiner horizontalen Differenzierung liefert uns wertvolle Hinweise für eine zielgerichtete Auswahl von Untersuchungsstandorten, um das ökologische Wirkungsgefüge zu analysieren (s. Kap. 3 komplexe Standortanalyse). (4) Die gewählte Skala für Messungen und quantitative Auswertungen mit Rasterzellengröße, Transektlänge, Größe des Monitoringgebietes beeinflusst das quantitative Ergebnis. (5) Die Begriffe heterogen/homogen sind relativ in Bezug auf die jeweilige Betrachtungsdimension zu sehen. In Abb. 4 erscheint die Braundünenregion homogen, bei größerem Maßstab (kleinere Skala) wird der räumliche Zusammenhang (Expositionsabhängigkeit) deutlich, bei noch größerem Maßstab (z.B. plot-Experiment zum Wasser- und Nährstoffumsatz, 1m2) geht das charakteristische Landschaftsmosaik verloren. Beachte, in der geographisch-kartographischen Bezeichnung bedeutet großmaßstäbig einen kleinen Erdoberflächenausschnitt (z.B. Maßstab 1 : 5000), in der Ökologie wäre dies mikroskalig! (s. STICHWORT Raumeinheiten – Begriffe) Skalenkonzept

Räumliche Skala und wissenschaftliche Fragestellung bedingen einander. Das bedeutet, welche räumliche Skala ist angemessen, um meine Frage-/Problemstellung adäquat zu beantworten? Ferner, welche räumliche Auflösung (z.B. Rasterzellengröße bei der Satellitenbildauswertung) und welche Arealgröße benötige ich, um meine Fragestellung bearbeiten zu können? Konkret am Beispiel der Braundünenregion: Eine Landsat-Satelliten-Rasterauflösung von 30 m wäre zu grob, um das Krähenbeeren-Silbergrasmosaik ausreichend detailliert zu erfassen. Notwendig wären höherauflösende Satellitensysteme wie Quick Bird mit 1m Resolution. Mit zunehmender Größe des Untersuchungsgebietes wird im Allgemeinen der Grad an Detailliertheit von Informationen, der sich in der Dichte des Messpunktnetzes widerspiegelt (z.B. Satellitenbildauflösung) abnehmen. Der Verlust an Detailinformationen wird durch einen Gewinn an Überblicksinformationen ersetzt. Die Überblicksinformation kann über das Landschaftsmosaik („pattern“; s. Beispiel Braundünen) eine neue Qualität der Interpretation liefern, die über die untergeordnete Detailebene (m2-Maßstab) hinausgeht (holistisches Axiom: zum Prinzip des ganzheitlichen ökologischen Ansatzes s. Leser 1997: S. 64, 544). Angemerkt sei jedoch, dass die neuen wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten (z.B. Satellitenaufnahmesysteme) mit ihrer Fülle an Datengenerierung vielfach ein Problem der Datenbewältigung und zeitangemessenen Verarbeitung besitzen. Das Skalenkonzept besitzt vielfältige Bedeutung für die gezielte Anlage von Freilandexperimenten, Auswahl repräsentativer Messstandorte, verglei-

Räumliche Skalen und Horizontalstruktur

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chende Studien und Interpretation von Beobachtungen und Monitoring von Erdoberflächenparametern. Was charakterisiert die Skala als räumliche Dimension und macht sie damit auch quantitativ im landschaftsökologischen Arbeiten verwertbar? Die räumliche Skala wird charakterisiert durch ihre Zellengröße (z.B. Raster- oder Vektorzellen bei GIS-Verarbeitung) und Flächengröße des Untersuchungsgebietes. Die Frage des Verhältnisses zueinander und die Frage der Anordnung der inhaltlich klassifizierten Zellen zueinander stellt wichtige methodische Herausforderungen für die Charakterisierung des Landschaftsmosaiks dar (zur quantitativen Analyse der Horizontalstruktur – Analyse von Landschaftsmustern s. Walz 2013, Abb. 53, Tab. 23). Ein einfaches Beispiel soll dies verdeutlichen (Abb. 4, 6). Abb. 4 Spiekeroog als Landschaftsökosystem – heterogene Struktur mit homogenen Teilbereichen (n. Google Earth vom 22.8.2015)

Das Beispiel Spiekeroog zeigt, dass je nach Betrachtungsmaßstab (Skala) unterschiedliche landschaftliche Organisationsebenen existieren, vom Pflanzenmosaik des Krähenbeerenökotops über das Braundünenmosaik (Abb. 6) bis zum Landschaftsmosaik der Insel Spiekeroog (Abb. 4), wobei die Komplexität von der Vegetationseinheit bis zur Insellandschaft zunimmt. In der deutschsprachigen Landschaftsökologie hat man seit den Arbeiten von Neef (1967), Haase (1967) und Leser (1997) ein räumlich-hierarchisches Ordnungsprinzip entwickelt, das bis heute für Fragen der Verknüpfung von Horizontaldifferenzierung der Landschaft und ökofunktionaler Analyse einen wertvollen methodischen Rahmen darstellt. Wie groß muss/darf ein Landschaftsausschnitt sein, um ihn als Grundbaustein der Landschaft zu charakterisieren? Geht man vom terrestrischen Ökosystem als oberste Organisationseinheit in der Ökologie aus, wobei sowohl in der nordamerikanischen Landschaftsökologie („cluster of interacting ecosystems“ – Turner et al. 2001) wie deutschsprachigen Landschaftsökologie (Definition „Landschaftsökosystem“ in Leser 1997, S. 187) Landschaft zusammengesetzt aus Ökosystemen ge-

Betrachtungsmaßstab am Beispiel Spiekeroog

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2.

Räumliche Skalen und Horizontalstruktur

dacht werden kann, so wären die biotisch ausgerichteten räumlichen Hierarchien vom komplexen zum einfacheren: Ökosysteme (z.B. Heideökosystem), Lebensgemeinschaften (Zönosen, z.B. Heidelerchehabitat), Organismen (Heidelerche, Callunaheide), Organe (Blätter), Zellen (Zelleigenschaften), Moleküle (Chlorphyllgehalt). Mehr abiotisch ausgerichtete Hierarchien wären: Ökosysteme, Relief-Vegetation-Bodeneinheit, Substrat-Bodentyp, Bodentextur, Minerale (weitere Ausführungen s. Kap. 3 Vertikalstruktur der Landschaft). Jede Organisationsebene besitzt ihre eigene Struktur (Anordnung ihrer Elemente) und Funktionen, die sowohl horizontal (innerhalb der Ebene) wie vertikal (zwischen den Ebenen) miteinander verknüpft sind. Aus der Reichweite der raumbezogenen Strukturen und Funktionen ergibt sich die räumliche Dimension der Organisationsebene und damit der betrachteten Landschaft. Bei der Frage nach der kleinsten Einheit im Raum kann man theoretisch vom km-Maßstab (Ökosystem) bis in den nm-Bereich (Molekül, Mineralkristallgitter) gehen, da z.B. der Aufbau des Zweischichttonminerals Kaolinit die Austauschkapazität an der Tonmineraloberfläche für Nährstoffionen mit bestimmt oder die chemische Verwitterung die Nährionenfreisetzung. Erkenntnisse dazu werden genutzt (z.B. Frage der Bodenfruchtbarkeit, Kationenaustauschkapazität als Kenngröße des Bodens), jedoch macht es wenig Sinn, dies im Landschaftsmaßstab anzuwenden. Basierend auf dem Hierarchitätsprinzip, den praktischen Anforderungen (Umweltprobleme – s. Angewandte Landschaftsökologie Kap. 12) und dem holistischen Prinzip einer homogenen kleinsten Raumeinheit als Grundbaustein jeden Ökosystems wurden Dimensionsstufen der topischen, chorologischen bis zonalen Dimension definiert. Stichwort

Raumeinheiten – Begriffe Econ: „Econ ist ein konkreter Teil der Landschaft mit einer spezifischen Vertikalstruktur der Landschaftskomponenten. Diese Komponenten bedingen spezifische Prozesse zwischen den Kompartimentsphären der Landschaft.“ Ökotop: „Räumlicher Repräsentant verschiedener Econs gleichartiger Struktur und gleichen Prozessgeschehens.“ (Steinhardt et al. 2004) „Die räumliche Ausprägung des Ökosystems, das von tendenziell einheitlich verlaufenden stofflichen und energetischen Prozessen bestimmt wird, so dass man den Ökotop als „quasi homogen“ betrachtet und damit eine abgrenzbare ökologische Raumeinheit darstellt.“ (Leser 1997) Landschaftszone/-region: Sie werden von planetarisch wirksamen Prozessen bestimmt (z.B. Atmosphärische Zirkulation) und unterliegen Kategorien des geographischen Formenwandels (polar-äquatorial, maritim-kontinental, vertikal, paläogeographisch) sowie der Landschaftsgenese.

Räumliche Skalen und Horizontalstruktur

Nach Löffler (2002) ist das Econ der gedachte kleinste quasi homogene Landschaftskörper, der die strukturellen und prozessualen vertikalen Zusammenhänge aller Landschaftskomponenten beschreibt und damit als Grundbaustein der Landschaft aufgefasst werden kann. Die wesentlichen ökologischen Prozesse laufen zwischen dem oberen Grundwasserleiter und der Obergrenze der bodennahen bzw. vegetationsnahen Luftschicht ab (Abb. 5). Im Unterschied zu anderen Naturwissenschaften, die sich mit der Wasserspannung im Bodenporensystem (Bodenkunde) oder zellulären Prozessen (Photosynthese-Biologie) beschäftigen, dient das Econ als räumlich kleinste Einheit mit der Annahme einer horizontalen Homogenität und einer stets gegebenen vertikalen Heterogenität (Analyse der vertikalen Energie-, Wasser- und Stoffumsätze; s. Abb. 5, 8, 10). Zwar ändert sich die Landschaft streng genommen von Punkt zu Punkt, jedoch gibt es in der Umgebung jeden Punktes andere Punkte, die diesem stärker ähneln als entferntere (Ähnlichkeitsprinzip). Damit geht man in der Horizontalen parallel dem „pattern-patch“ Konzept der angloamerikanischen Landschaftsökologie mit: Stichwort Patch is a „nonlinear surface area differing in appearance from its surroundings“ (Turner et al. 2001).

Übertragen auf die GIS-Verarbeitung mit Rasterzellenalgorithmen bedeutet dies: „A contiguous group of cells of the same mapped category“, zum Beispiel bei der Nordseeinsel Spiekeroog die Vegetationskategorien Krähenbeerengesellschaft und Silbergrasgesellschaft. Die horizontale Homogenität könnte jedoch auch durch ähnliche Bodeneigenschaften definiert werden (z.B. Moderhumus-Braunerde Bodentyp), der unterschiedliche Pflanzengesellschaften besitzt und im Sinne des Homogenitätstheorems zur „Pedotopdifferenzierung“ der Landschaft gehört (Begriff s. Leser 1997, S. 147–148, STICHWORT

19 Econ als Grundbaustein Abb. 5 Econ – Grundbaustein zur standörtlichen Untersuchung in der Landschaftsökologie (verändert n. Steinhardt et al. 2005)

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2.

Topische Dimension mit Ökotop

Räumliche Skalen und Horizontalstruktur

–Begriffe in der topologischen Dimension). Dies zeigt, Econs wie auch „patches“ sind keine absoluten Landschaftselemente, jedoch sinnvolle Konstrukte zur räumlichen horizontalen Gliederung, Quantifizierung räumlicher Heterogenität (s. Kap. 4) und grundlegender Methodik der „landschaftsökologischen Komplexanalyse“. Turner et al. (2001, S. 107) formulieren daher: „Patches are not fixed elements of the landscape, but are useful spatial constructs that vary with the objectives of a given study.“ Aus der Verknüpfung von „horizontaler Homogenität“ und ökofunktionalem Ansatz (ähnliche energetische und stoffliche Prozesse in einer Raumeinheit) resultiert die Charakterisierung der topischen Dimension in der landschaftsökologischen Methodik mit dem Ökotop als Grundbegriff (s. Mosimann 1990). Das Ökotop setzt sich somit aus verschiedenen Econs mit gleichartiger horizontaler Verknüpfung zusammen (gleichartige Struktur und ähnliche ökologische Prozesse). So ist das Ökotop der Braundüne gekennzeichnet durch eine ähnliche Dünengenese mit Entkalkung, Substrat/Bodenversauerung und festgelegte Dünenoberfläche durch die dichte Vegetationsdecke, ausgestattet mit hoch sickerungsaktiven sauren Braunerden oder schwach podsolierten Braunerden und Nährstoffarmut (Abb. 6). Die in der Pflanzenzusammensetzung erkennbare mikroklimatische Differenzierung (über Strahlungsexposition) kann als Econ mit Krähenbeerengesellschaft und Econ mit Silbergrasgesellschaft aufgefasst werden. Die innerhalb des Braundünenökotops verlaufenden vertikalen Prozesse wie vertikaler Wasserumsatz (hoch sickerungsaktiv), bodenbildende Prozesse mit Entwicklung des Humushorizontes, Stoffumsatz (z.B. gehemmte Mineralisation) liegen in ähnlicher Größenordnung, auch wenn im Detail natürlich die Verdunstung (Transpirationsunterschied Krähenbeere, Silbergras) unterschiedlich ausfällt. Entscheidend ist, dass zu benachbarten Landschaftseinheiten wie den Weißdünen- oder Salzwiesenökotopen (s. Abb. 6) vertikale wie laterale Prozesse deutlich verschieden sind (laterale Sand- und Salzzufuhr, initiale Bodenbildung bei den Weißdünen; marine Prozesse bei den Salzwiesen). Dies zeigt, die horizontale Ausdehnung von Ökotopen wird vielfach durch die Reichweite lateraler Prozesse gekennzeichnet (hier im Braundünenökotop mit Entkalkung, Versauerung, Humushorizontbildung, N-Anreicherung). Die Größenordnung von Ökotopen (topische Dimension) variiert je nach Reichweite gleichartiger vertikaler Umsatzprozesse sowie lateraler Prozesse sehr stark vom Meter- (z.B. Primärdüne am Trockenen Strand) bis Hundertemeterbereich (Salzwiesen Ostplate Spiekeroog). Die als topische (auch topologische) Dimension bezeichnete Betrachtungsebene besitzt in der Landschaftsökologie eine grundlegende methodische Bedeutung (Steinhardt et al. 2005, S. 35):

Räumliche Skalen und Horizontalstruktur

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Stichwort

Topische Dimension 1) Top stellt eine nach Inhalt und Funktion gedachte homogene Grundeinheit dar und kann mit Einzelgeofaktoren verknüpft werden (z.B. Pedotop = Bodeneinheit mit gleicher Pedogenese und bodenökologischen Prozessen wie „sickerungsaktive, wechselfeuchte saure Braunerde“). 2) In der topischen Dimension werden wesentliche ökologische Prozesse der Landschaft strukturell wie funktionell erfasst. 3) Das funktionale Wirkungsgefüge ist in der topischen Dimension erkennbar und messtechnisch erfassbar.

Die zugehörige grundlegende Methodik für die topische Dimension erfolgt über die komplexe Landschaftsanalyse (s. Kap. 5). Zur Analyse größerer Landschaftsausschnitte wurde in Anlehnung an das hierarchische Ordnungsprinzip für die horizontale Landschaftsstruktur eine systematische Abfolge räumlicher Einheiten definiert (s. Leser 1997, Kap. 5), die von der chorischen bis zur globalen Dimension reicht. Mit der chorischen Dimension verlässt man das Prinzip der quasi homogenen Raumeinheit und Fragen nach dominanten Prozessen in der Ökochore oder Region werden gestellt. Im angelsächsischen Sprachraum (s. Turner et al. 2001) wird die räumliche Dimension („scale“) ganz pragmatisch über das betrachtete Objekt (z.B. Waldkategorie) oder Prozess (z.B. fluviale Bodenerosion) mit seiner Reichweite und elementaren Auflösung („extent and grain“) einbezogen. Bei der Abgrenzung größerer heterogener Landschaftsteile folgt man dem Prinzip der dominanten Ähnlichkeit der nächst kleineren Raumeinheiten (bei der Ökochore das Mosaik der Ökotope) sowie dem Dominanzprinzip lateraler Prozesse und Prozesse der Landschaftsgenese, die die Ökotope miteinander verbinden bzw. charakterisieren. So lässt sich die Ökotopabfolge einer ostfriesischen Düneninsel vom Strand bis zu den Braundünen als Xeroserie über die Dünengenese (Alter) und dominanten äolischen lateralen Prozess der Sandakkumulation mit einer typischen Bodenvergesellschaftung als Dünenökochore charakterisieren (s. Abb. 6). In der Horizontalstruktur wird der Dünenbereich abgegrenzt durch den Trockenen Strand zur Nordsee hin und durch die Salzwiese mit dominantem marinen Einfluss ihrer Entwicklung, Struktur und Ökofunktionen. Auf der Ökotopebene ist die Boden-Pflanzenvergesellschaftung mit ihren jeweiligen Wasser- und Stoffumsatzprozessen charakteristisch, auf der chorischen Ebene die äolischen Prozesse über die Zeit mit der Dünenabfolge. Die räumliche Anordnung der Ökotope ändert am Charakter der einzelnen Ökotope nur wenig, kann aber zu einer neuen Einheit auf dem höheren Betrachtungsniveau führen. So führten in der Vergangenheit vor Gründung des Nationalparks Wattenmeer Trittschäden durch den Tourismus im Braundünenökotop zur Wiederbelebung

Chorische bis globale Dimension

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2.

Räumliche Skalen und Horizontalstruktur

äolischer Erosion, Dünenumlagerung und Neuakkumulation (Übersandung), was im Extremfall zur Bildung einer Wanderdüne führte. Gekennzeichnet durch den lateralen Prozess der Sandumlagerung in Vergesellschaftung mit Weiß- und Braundünen stellt dies eine eigene Ökochore dar. Es ist und bleibt eine spannende Frage in der Landschaftsökologie, wie und in welchem Umfang mit der räumlichen Aggregation (vom Top zur Chore und Region, s. Kap. 6) Strukturen und Prozesse erhalten bleiben oder qualitativ neue Prozesse bestimmend sind („Upscaling-Problem“). Geht man über die chorische Dimension hinaus (regionische Dimension), so wechselt die Vorgehensweise der räumlichen Gliederung zur deduktiven und Parameter von Relief, Klima, Vegetation wie auch stoffliche Umsatzgrößen (z.B. C-Speicherung, BPP = Bruttoprimärproduktivität der Vegetation) können zur Differenzierung herangezogen werden. In unserem Beispiel der Nordseeinsel Spiekeroog könnte die Nordseeküste als Region angesprochen werden. Kategorien des geographischen Formenwandels nach Lautensach (1952) (Kategorien sind: polar-äquatorial, maritim-kontinental, hypsometrisch, paläogeographisch) können zur Erklärung von Ökoregionen wie Ökozonen herangezogen werden. Die zonale Gliederung nach Landschaftszonen oder Ökozonen stellt eine klassische deduktive Vorgehensweise in der Geographie dar. Eine ausführliche Charakterisierung der Ökozonen der Erde ist in Schultz (2008) zu finden. Primär planetarisch wirksame Prozesse wie die Atmosphärische Zirkulation, breitenabhängige Globalstrahlung und Energiebilanz, Wasserhaushaltsbilanz (Niederschlag-Verdunstungsverhältnis mit Aridität/Humidität) oder Produktivitätsparameter (z.B. oberirdische Biomasse mit Bruttoprimärproduktivität) können zur Gliederung der Erde herangezogen werden. Tab. 1 fasst die geographischen Raumdimensionen mit Beispielen zusammen und STICHWORT Skalenbegriffe ordnet dem Betrachtungsmaßstab typische Strukturen und Prozesse zu. Tab. 1 Hierarchien geographischer Raumdifferenzierung

Dimensionen

Raumeinheit

Beispiele

Global

Erde

Zonal

Zone, Gürtel

Zone der gemäßigten Breiten, Laubmischwald

Regionisch

Makro-, Meso-, Mikroregion

Nordseeküste, Nordwestdeutsches Tiefland, Geestregion

Chorisch

Chore MakroMesoMikro-

Geest-Moorlandschaft Geestinsel Sander u. Dünen

Topisch

Top

Braundünenökotop Flugsanddeckenökotop

Subtopisch

Tessera Econ

Heide-Sander-Podsol-Econ; Krähenbeerenecon

Räumliche Skalen und Horizontalstruktur Stichwort

Skalenbegriffe landschaftlicher Einheiten mit dominanten Prozessen 1. topologische Dimension (Mikroskala) Anspruch funktioneller und struktureller Homogenität mit einheitlichem stofflichen Haushalt. Bsp. Bodenfeuchteregime, biotische Aktivität … Bsp. Ökotop: Talterrasse, Quellmulde, Weißdüne … 2. chorologische Dimension (Mesoskala) heterogene Räume durch aktual-dynamische oder genetisch einheitliche Merkmale bestimmt. Bsp. Dünenlandschaft, Salzmarschwiesen, Endmoränenbereich 3. regionische Dimension (Makroskala) großräumiger Ausschnitt der Erdoberfläche (Geosphäre) durch einheitliche Merkmale der Ausstattung (z.B. Schichtstufe, Regenwald), Genese (Moränenlandschaft, Puna-Hochgebirge) oder Kategorien des geographischen Formenwandels charakterisiert (z.B. Sahel, alpine Mattenstufe) 4. zonale Dimension (Megaskala) Zonaler Ausschnitt der Erdoberfläche (Geosphäre) durch planetarisch wirksame Prozesse differenziert und charakterisiert. Grundlage sind primär klimatische Prozesse mit der Atmosphärischen Zirkulation (z.B. Klimazonen, Vegetationszonen, Ökozonen) 5. geosphärische Dimension (Gigaskala) Globale Prozesse: C-Kreislauf, Wasserhaushalt, Strahlungs- und Wärmehaushalt

Räumliche und zeitliche Skalen (s. z.B. Abb. 2.2.-13 in Steinhardt et al. 2005) dienen der Raum- und Zeitgliederung nach Größenklassen, um sich über die Dimension des Untersuchungsgegenstandes Klarheit zu verschaffen und danach Arbeitsmethoden, Modellansätze und Lösungsansätze auszuwählen. Zwischen der topischen und chorischen Dimension und der regionisch-zonalen Dimension existiert ein grundlegender Wandel in der Betrachtungsweise: einmal mehr der „bottom-up“-Ansatz, ausgehend vom Wirkungsgefüge der kleinsten homogenen Einheit mit Ableitung der räumlichen Vergesellschaftung, zum anderen der deduktive „top-down“-Ansatz mit räumlicher Differenzierung nach augenscheinlichen Landschaftsmustern (z.B. Vegetation und Landnutzung) oder übergeordneten Prozessen (z.B. Gebirgshöhenstufung). Der topische Ansatz findet inzwischen vielfache Verwendung in den naturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen der Geographie, wie die Verwendung der Begriffe Biotop, Hydrotop, Pedotop zeigen. Stichwort

Fachwissenschaftliche Begriffe in der topologischen Dimension Biotop: Durch abiotische Umweltbedingungen geprägter Lebensraum einer spezifischen Artengemeinschaft von Pflanzen oder Tieren (Biozönose) Habitat: Lebensraum einer Tierart, einer Population oder eines Individuums

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2.

Räumliche Skalen und Horizontalstruktur Morphotop: Elemente des Reliefs mit einheitlichen Neigungs- und Wölbungsverhältnissen Pedotop: Bodeneinheit, bei der die Merkmale eines Bodentyps weitgehend einheitlich ausgebildet sind Pedohydrotop: Bereich eines einheitlichen Bodenfeuchteregimes, das durch Art, Ausmaß und Jahresgang der Durchfeuchtung gekennzeichnet wird Hydrotop: Hydrogeographische Basiseinheit mit einheitlicher Ausprägung von Merkmalen des vertikalen(Sickerung) und lateralen Wasserumsatzes (Abfluss) Klimatop: Klimatische Basiseinheit mit einheitlicher Ausprägung geländeklimatischer Merkmale Patches: Areale, die nach ihrem Erscheinungsbild sich von ihrer Umgebung deutlich unterscheiden Matrix: Hintergrundareal einer Landschaft, charakterisiert durch hohen Bedekkungsgrad und Konnektivität

2.1 Horizontalstruktur der Landschaft Horizontalstruktur der Xeroserie

Abb. 6 Topologische Dimension: Ökotopabfolge der Xeroserie auf einer Ostfriesischen Insel

Die Horizontalstruktur der Landschaft kann eindimensional als Muster der Oberflächeneigenschaften (z.B. Differenzierung nach der Oberflächenbedeckung wie Wald, Ackerfläche), zweidimensional als Abfolge von Econs (z.B. Heide-Podsol, Heide-Braunerde, Heide-Regosol Abfolge entlang einer Hangcatena) oder dreidimensional als Ökotopdifferenzierung oder Landschaftsdifferenzierung in der chorischen Dimension erfasst werden. Das Nord-Südprofil durch eine Nordseeinsel (s. Abb. 6) zeigt die typische Horizontalstruktur der Xeroserie mit der Ökotopabfolge Trockener Strand/Primärdünen – Weißdünen – Graudünen – Braundünen, gekennzeichnet durch die Struktur des jewei-

Literaturhinweise

ligen Pflanzen-Bodenkomplexes und durch jeweils relativ einheitliche Wasserund Stoffumsätze. Ein weiteres Beispiel wäre die Glaziale Serie im Jungmoränengebiet Norddeutschlands mit der Abfolge von Grundmoräne, Endmoräne, Sander und Urstromtal als chorische Einheiten, die in sich über den Vegetation-Bodenkomplex weiter in Ökotope differenziert sind (s. Abb. 5.1-3 in Steinhardt et al. 2005). In der chorologischen Dimension geht es somit vor allem um die Untersuchung horizontaler Muster und Prozesse innerhalb heterogener Raumeinheiten wie auch zwischen unterschiedlichen Raumeinheiten. Dabei kann vielfach die Entwicklung einer Raumeinheit (Ökotop) nur aus der Vergesellschaftung mit anderen Raumeinheiten und den dazwischen existenten lateralen Prozessen erklärt werden. Einfaches Beispiel dazu wäre Lage und Entwicklung der Weißdüne, die abhängig ist von der positiven Materialbilanz des Strandes mit äolischer Sandzufuhr (Akkumulation) und Pionierpflanzenbesiedlung (Strandhafer). Wie die Definition zu Econ und Ökotop gezeigt hat, kann der Anspruch der „Homogenität“ bezüglich funktionaler Wirkungsgefüge nur über die vertikale Betrachtung erfolgen. Hier setzt die Methodik der „Kompartimentierung“ der Landschaft über die Vertikalstruktur und Charakterisierung der zwischen den Kompartimenten ablaufenden vertikalen Prozesse an (Prinzip der „komplexen Standortanalyse“, Kap. 3). Dieses Prinzip spielt auch in der Modellierung landschaftshaushaltlicher Prozesse eine grundlegende Rolle (s. Kap. 8). n Wissens-Check

1. Charakterisieren Sie den Unterschied zwischen Econ und Ökotop. 2. Warum stellt die räumliche Skala ein Problem in der Landschaftsökologie dar? 3. Wählen Sie sich einen Ihnen bekannten Landschaftsausschnitt, definieren Sie die dort ablaufenden wichtigsten ökologischen Prozesse und bestimmen Sie deren räumliche Reichweite. 4. Was bedeutet „topologische Dimension“? 5. Welche Prozesse bedingen die Ökotopabfolge der Xeroserie einer Düneninsel?

Literaturhinweise Ellenberg, H., Weber, H.E., Düll, R., Wirth, V., Werner, W., Pauließen, D. (1992): Zeigerwerte von Pflanzen in Mitteleuropa. Scripta Geobotanica, Bd. 18. – Geobotanisches Standardwerk zur Bestimmung abiotischer ökologischer Standorteigenschaften anhand von Indikatorpflanzen. Haase, G. (1967): Zur Methodik großmaßstäbiger landschaftsökologischer und naturräumlicher Erkundung. Wiss. Abh. Geogr. Ges. DDR 5, 35–128. – Abhandlung der Prinzipien der landschaftsökologischen Differenzierung (topologische Dimension) und Darstellung zugehöriger Erfassungsmethodiken.

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2.

Räumliche Skalen und Horizontalstruktur Löffler, J. (2002): Vertical landscape structure and functioning. In: Bastian, O., Steinhardt, U. (Hrsg.): Development and Perspectives of Landscape Ecology. Kluwer Academic Publ. Dordrecht, 49–58. – Darstellung des Prinzips der kleinsten homogenen Einheit mit Econ und zugehöriger vertikaler Prozesse. Mosimann, T. (1990): Ökotope als elementare Prozesseinheiten der Landschaft. Konzept zur prozessorientierten Klassifikation von Geosystemen. Geosynthesis Bd. 1, 56 S. – Umfassende methodische Darstellung des Gliederungsprinzips nach Ökotopen und Ableitung ihrer prägenden Hauptprozesse. Pott, R. (1995): Farbatlas Nordseeküste und Nordseeinseln. Ausgewählte Beispiele aus dem südl. Nordseebereich in geobotanischer Sicht. E. Ulmer Verlag, 228 S. – Umfangreich bebilderte Darstellung der Landschaften und ihrer Vegetationsdifferenzierung nach geobotanischen Prinzipien sowie zahlreicher typischer Pflanzenarten. Schultz, J. (2008): Die Ökozonen der Erde. UTB 1514, E. Ulmer Verlag, 368 S. – Umfangreiche sehr gut illustrierte Darstellung der landschaftsökologischen Kompartimente und ihrer Hauptprozesse nach den einzelnen Ökozonen (zonale Gliederung der Erde).

3. Die Vertikalstruktur der Landschaft und die komplexe Standortanalyse Überblick

E

rläutert werden die Grundlagen der vertikalen Kompartimentierung der Landschaft. Aus den USA kommend wird das Prinzip der „earth’s critical zone“ als wichtiger Landschaftsausschnitt, der die biogeochemischen Austauschprozesse zwischen den Kompartimenten bestimmt, dargestellt. Zudem ist es der Bereich mit der stärksten Beeinflussung aller biogeochemischen Pro-

zesse durch den Menschen. Beispielhaft sind Landschaftselemente mit ihren zugehörigen geoökologischen Prozessen erläutert. Zur Analyse der Vertikalstruktur der Landschaft und ihrer Hauptumsatzprozesse wurde das Konzept der „komplexen Standortanalyse“ entwickelt. Unterschieden werden kann dabei in Grund- und Prozessgrößen des Naturhaushaltes.

In jeder räumlichen Dimension lässt sich der Landschaftskomplex vertikal in verschiedene Stockwerke bzw. Kompartimente unterteilen. Die grundlegenden Kompartimente leiten sich von der Zusammensetzung der Geosphäre ab, mit: Gestein, Boden, Relief, Wasser, Bios (Flora und Fauna) und Klima/Luft (s. Abb. 7). Für den Lebensraum von Pflanze, Tier und Mensch ist die Vernetzung von bodennaher Luftschicht, Vegetation, Boden/Substrat und oberflächennahem Grundwasserkörper der Hauptaktionsraum für den Wasser-, Stoff- und Energieumsatz. Da dieser Schnittstellenbereich vom Menschen stark in An-

Vertikalgliederung der Landschaft

Abb. 7 Die Vertikalstruktur der Landschaft (am Beispiel eines Waldökosystems, verändert n. Abb. 5.1-1 und 5.1-2 in Steinhardt 2005)

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3. earth’s critical zone

Abb. 8 Biogeochemische Austauschprozesse in der „Entscheidenden Zone“ (Earth Critical Zone) (verändert n. NRC 2001)

Die Vertikalstruktur der Landschaft und die komplexe Standortanalyse

spruch genommen bzw. verändert wird, wurde im angelsächsischen Raum in jüngerer Zeit der Begriff „earth’s critical zone“ eingeführt („die Zone, die das Leben auf der Erde bestimmt“, Abb. 8), was mit der „landschaftsökologischen Komplexanalyse“ in der topologischen Dimension bereits seit den 1980er Jahren begründet wurde (Leser 1997). Wie bei der horizontalen Gliederung hängt die vertikale Abgrenzung zur Atmosphäre und zur Lithosphäre von der Fragestellung ab, die es zu bearbeiten gilt. Dabei bedingt die vertikale Ausdehnung der Vegetationsdecke oder die anthropogene Oberflächengestalt (wie Stadtarchitektur) mit die zu betrachtende Reichweite der Austauschprozesse. So wurde in der Stadtklimatolo-

Die Vertikalstruktur der Landschaft und die komplexe Standortanalyse

gie der „urban layer“ definiert, jener atmosphärische Bereich der Lufthülle, der durch Reibung und den vertikalen Strahlungs- und Wärmehaushalt der Stadt über den Häusern beeinflusst wird. Betrachtet man Pflanzenzusammensetzung und Produktivität des Weißdünenökotops mit Strandhaferbewuchs, so kann nach unten hin (Lithosphäre) die Untersuchung mit der Durchwurzelungstiefe in der ungesättigten Bodenzone abgegrenzt werden. Betrachtet man jedoch die Grundwasserneubildung der Süßwasserlinse unter der Insel Spiekeroog im Dünenbereich, so sind Wasserspeicherung und Tiefensickerung bis zur Grundwasseroberfläche zu analysieren. Lässt sich in der topischen Dimension (s. Definition Ökotop) der Anspruch der Gleichartigkeit der Struktur über die Erfassung der Kompartimente und ihrer Grundelemente meist noch gut analysieren, so führt der gleiche Anspruch in Bezug auf das Prozessgeschehen (ökofunktionales Wirkungsgefüge) zu einer enormen Komplexität im vertikalen Umsatzraum und praktisch (messtechnisch) zum Problem der zeitlichen Variabilität und Frage der Repräsentanz sowohl von Messpunkten wie Messdauer. Ganz allgemein läßt sich ein Strukturmodell für ein Econ oder abstraktes Ökotop aufstellen, wie es in Anlehnung an Richter (1968) in Leser (1997, Abb. 62) abgebildet ist. Die Kompartimente der Geosphäre sind durch die Umsatzprozesse von 1) Strah-

29

Allgemeines Strukturmodell

Abb. 9 Allgemeines Strukturmodell am landschaftsökologischen Standort (aus Leser 1997, S. 258) 1. Umsatz von Strahlungsenergie und Wärme durch physikalische Prozesse; 2. Umsatz von Wärmeenergie durch biochemische Prozesse; 3. Umsatz von Wasser; 4. Umsatz von gasförmiger und gelöster anorganischer Substanz; 5. Umsatz von organischer Substanz; 6. Prozesse gleicher Richtung; 7. Umsatz von klastischer anorganischer Substanz; 8. Grenzen des topischen Systemelements (Standort) im Strukturmodell des homogenen Naturraums; 9. Kompartiment des landschaftsökologischen Standorts

30

3.

Landschaftselemente und Merkmale

Tab. 2 Reliefelemente und ihre prozessuale Relevanz (verändert n. Dikau & Schmidt 1999)

Die Vertikalstruktur der Landschaft und die komplexe Standortanalyse

lungsenergie und Wärme 2) biochemische Prozesse 3) Wasserumsatz 4) gelöster und gasförmiger anorganischer Stofftransport 5) organischer Stofftransport und -umsatz 6) Umsatz klastischer anorganischer Substanz miteinander verknüpft. Alle Kompartimente enthalten Landschaftselemente, die durch Beobachtungen und Messungen erfasst werden können. Auch hier gilt, die zu erfassenden Merkmale sind abhängig vom betrachteten Landschaftsausschnitt („Topos“) und der landschaftsökologischen Fragestellung. Die Elemente können Ausstattungsmerkmale (z.B. Hangneigung, Bodentextur, Humusgehalt, Temperatur) wie auch Prozessmerkmale (z.B. Niederschlag, Verdunstung, biotische Zersetzung) sein. Streng genommen im Hinblick auf die Entwicklung und Anwendung von Modellen zum Landschaftshaushalt (s. Kap. 8) sollte man unter Elementen nur Ausstattungsmerkmale verstehen, die über Beziehungen (Prozesse) untereinander vernetzt sind. Es gilt, je höher die Zahl der Elemente und ihrer Verknüpfungen (vor- und rückwärtskoppelnde Prozesse), desto vielfältiger ist die Landschaft und desto stabiler ist das System (Ökosystem). Der Stabilitätsbegriff der Landschaft wird in Steinhardt et al. (2005, Kap. 3.4) und Kap. 11 erläutert. Landschaftselemente an sich besitzen daher in ihrem räumlichen Kontext eine spezifische Bedeutung für das Prozessgeschehen und können zur quantitativen Beschreibung von Prozessen herangezogen werden. In Tab. 2 sind beispielhaft Reliefelemente in ihrer Bedeutung für bestimmte geoökologische Prozesse angeführt. Leser (1997) unterscheidet in stabile und labile Merkmale (Landschaftselemente) oder Merkmalsgruppen des Landschaftsökosystems auf der Grundlage ihrer Veränderung über die Zeit, die noch in anorganische und organische Merkmale untergliedert werden können. Dies spielt eine wichtige Rolle bei der Planung praktischer Messkampagnen vertikaler oder lateraler Umsatzprozesse. Reliefelement

Prozessrelevanz

Höhe hi (m ü.M.)

Potentielle Energie

Neigung bi ( )

Geschwindigkeit des ober- und unterirdischen Abflusses

o

Sekundärwirkung auf Einstrahlung

Exposition Ei Wölbung vertikal xv ( ) o

Beschleunigung Wasserabfluss

Wölbung horizontal xh ( )

Konvergente, divergente Wasserflüsse

Lokale Einzugsgebietsgröße Ai (m2)

Abflussvolumen

ln (Ai/tanbi)

Bodenwassergehalt, Abflusskonzentration

o

Die Vertikalstruktur der Landschaft und die komplexe Standortanalyse

Merkmalsgruppe Zeitspanne

Merkmal

Kennzeichnet Eigenschaften von

Stabile anorganische Merkmale

Jahre

Textur

Bodenwasserumsatz, Erosionresistenz

Jahre

Mineralzusammensetzung

Nährstoffnachlieferung

Jahre

Bodenneubildung

Verwitterungsprozess u. Ausgangsgestein

Labile anorganische Merkmale

Stabil – langsam sich ändernde organische Merkmale

Labil – schnell sich ändernde organische Merkmale

Minuten – Stunden Bodentemperatur

Mikroklima

Minuten – Tage

Infiltrationsrate

Bodenwasserumsatz

Minuten – Tage

Bodenfeuchte

Bodenfeuchteregime

Minuten – Tage

Nährstoffgehalt

Nährstoffumsatz

Monate – Jahre

Vegetationsstruktur u. -zusammensetzung

Indikator der geoökologischen Standortsbedingungen (Zeigerwerte), Indikator des Ökosystemzustandes (Bioindikation)

Monate – Jahre

Oberirdische Biomasse

Vegetationsproduktivität

Jahre

Humusgehalt

C-Umsatz und Speicherung

Minuten

Transpiration

Pflanzenwasserumsatz, Verdunstung

Minuten – Tage

Org. Zersetzungsrate Bodenmineralisationsbedingungen

Minuten

Respirationsrate

31

Tab. 3 Stabile und labile Merkmale des landschaftlichen Ökosystems (verändert n. Leser 1997)

Mikroklima und Pflanzenphysiologie

Zur Analyse der Vertikalstruktur der Landschaft benutzt man das Konzept der Kompartimentierung und Analyse der wichtigsten vertikalen Umsatzprozesse. Leser (1997) und Mosimann (1984) haben methodisch dafür das Konzept der „komplexen Standortanalyse“ eingeführt. Da es um die Erfassung der vertikalen Wasser-, Stoff- und/oder Energieumsätze eines Ökosystems geht, kommt nur die topologische Dimension (Econ, Ökotop) dafür in Frage. Dieses Prinzip spielt auch in der Ökosystemforschung (s. Ellenberg et al. 1986, Müller & Fränzle 1991) eine wichtige Rolle, da damit methodisch verbunden ist: (1) Auswahl repräsentativer Messstandorte (Abb. 18), (2) Auswahl der zu analysierenden Kompartimente und Prozesse bzw. Flüsse zwischen den Kompartimenten und (3) zeitliche Differenzierungsdimension der zu analysierenden Prozesse/Flüsse. (1) erfolgt über die Differentialanalyse der Geokomponenten (s. Kap. 4) mit Erfassung der Horizontalstruktur der Landschaft (Abb. 19), (2) und (3) in Abhängigkeit von der Fragestellung über die komplexe Standortanalyse.

Komplexe Standortanalyse

32

3.

Die Vertikalstruktur der Landschaft und die komplexe Standortanalyse Stichwort

Fachbegriff KSA Die komplexe Standortanalyse (KSA) ist ein Verfahren, bei dem unter Einbeziehung von Messdaten am Standort an ausgewählten flächenrepräsentativen Messund Aufnahmepunkten (s. Abb. 15) der vorwiegend vertikale Zusammenhang zwischen den Geokomponenten (Substrat, Boden, Wasserregime, Bios, Geländeklima, s. Abb. 8) ermittelt wird. Die Untersuchungsmethodik zielt auf die Erfassung des stofflichen und energetischen Umsatzes am Standort in der topischen Dimension. Die Untersuchungsmethodik besteht aus einer an den Standort angepassten vielfältigen Kombination geoökologischer Arbeitstechniken (s. z.B. Barsch et al. 2000).

Es besteht dabei der Anspruch, am Standort/Messplatz die strukturellen Grundgrößen des Landschaftshaushaltes mit seinen wichtigsten Prozess- und Bilanzgrößen zu erfassen. Was versteht man dabei unter Grundgrößen, Prozess- und Bilanzgrößen? (s. dazu Steinhardt et al. 2005, Kap. 5.2.4) Unter Grundgrößen versteht man die strukturellen Ausstattungsgrößen, die sich im Normalfall nur langsam verändern und sich aus stabilen Einzelmerkmalen oder Kombinationen von Einzelmerkmalen zusammensetzen (Tab. 4). Wichtige im Landschaftshaushalt zu betrachtende Prozesse beschreiben den Umsatz von Energie, Wasser, gasförmigen, gelösten und festen Stoffen in der Landschaft. Die Prozesse in ihrem Ausmaß (Quantität) und Zeitablauf (Variabilität) bestimmen die ökologischen Funktionen wie Lebensraumfunktion (z.B. biotische Produktivität), Regulationsfunktion (z.B. Bodenfilterfunktion gegenüber Schadstoffen) und die Entwicklung (Evolution) von Ökosystemen. Prozesse lassen sich in ihrer Einzelwirkung (z.B. Infiltration/Tiefensickerung und Grundwasserneubildung) oder in ihrem Prozessgefüge (z.B. Nettoprimärproduktivität NPP der Pflanze aus Bruttoprimärproduktivität (Photosynthese) und Pflanzenrespiration (CO2-Abgabe)) betrachten. Bilanzgrößen erfassen das zeitliche Integral ökologischer Prozessgefüge, die Teile des Landschaftshaushaltes ausmachen (z.B. NPP des immergrünen Regenwaldes = 2200 g m -2 a-1; Nettobiomproduktivität Regenwald = 0; jährliche C-Speicherung des immergrünen Regenwaldes = 0,5 Mg C ha -1 a-1; vertikale Wasserbilanz des immergrünen Regenwaldes mit Verdunstung = 1800 mm pro Jahr aus 3000 mm Niederschlag minus 1200 mm Tiefensickerung). Stichwort

Fachbegriffe bei Landschaftshaushalt und „Earth Critical Zone“ Grundgröße: Strukturelle Ausstattungsgröße aus stabilen Einzelmerkmalen (s. Tab. 4), sich nur langsam verändernd. Prozessgröße: Beschreiben den Umsatz von Energie, Wasser, gasförmigen, gelösten und festen Stoffen in der Landschaft. Bilanzgröße: Zeitliches Integral verknüpfter ökologischer Prozesse (z.B. Wasserbilanz).

Die Vertikalstruktur der Landschaft und die komplexe Standortanalyse

33

Earth Critical Zone: Entscheidende Zone horizontaler und vertikaler biogeochemischer Austauschprozesse in der Landschaft. Intensive biogeochemische Umsatzprozesse („hot spot“): Dreidimensionaler Landschaftsausschnitt, in dem zeitlich variabel biogeochemische Austauschprozesse ein relatives Maximum gegenüber der Umgebung besitzen. Biogeochemische Prozessbarriere: Dreidimensionaler Landschaftsausschnitt, an dem zeitlich variabel biogeochemische Austauschprozesse stark vermindert bzw. der Energie-/Wasser- oder Stofffluss gestoppt wird.

Grundgrößen

Reliefmerkmale

Höhe, Neigung, Exposition, Wölbung, Höhe über Vorfluter

Substrat und Boden

Textur, Skelettgehalt, Gründigkeit, Humusgehalt, pH-Wert, Carbonatgehalt, Porenvolumen, Nährstoffgehalt, Bodentyp

Vegetation

Schichtung, Deckungsgrad, Pflanzenzusammensetzung, Zeigerwerte, Lebensform

Klima

Langjährige Klimaelementmittelwerte und ihr Jahresgang: Globalstrahlung, Temperatur, Luftfeuchte, Niederschlag

Wasser

Grundwasserstand, Hydrochemische Charakteristik-Trophiegrad

Prozessgrößen

Relief

Wasser-, Winderosion, Rutschungen, Solifluktion

Substrat und Boden

Zersetzungs- und Mineralisationsrate, C- und N-Umsatz, Nährstoffauswaschung, Nährstofffixierung, Treibhausgasemissionen

Vegetation

Brutto- (BPP) und Nettoprimärproduktion (NPP), Photosynthese, Respiration

Klima

Einstrahlung, Wärmeausstrahlung, Albedo, fühlbarer und latenter Wärmestrom (Verdunstung), Windstärke, Niederschlag

Wasser

Oberflächenabfluss, Infiltration, Bodenfeuchte

Bilanzgrößen

Relief

Sedimentbilanz, Deltaentwicklung, Kolluvialbildung

Substrat und Boden

C-Bilanz, Nährstoffbilanz, Bodenfeuchtebilanz

Vegetation

Pflanzliche Produktivität, C-Bilanz

Klima

Strahlungs- und Wärmebilanz

Wasser

Wasserhaushaltsbilanz, Bodenwasserbilanz

Die komplexe Standortanalyse erfasst am Standort/Messplatz die strukturellen Grundgrößen und analysiert die wichtigsten Prozessgrößen in ihrer zeitlichen Varianz, um daraus Bilanzen zur Charakterisierung des naturhaushaltlichen Wirkungsgefüges des Ökotops abzuleiten. Während die eher statischen Grundgrößen (stabile Merkmale) einmalig erfasst werden können, stellt sich immer bei den Prozessgrößen im Verhältnis von Zeitaufwand und Ergebnisaussage die Frage nach der Messhäufigkeit (Messintervalle) und Messdauer.

Tab. 4 Strukturelle Grundgrößen, Prozessund Bilanzgrößen des Naturhaushaltes (Beispiele n. Steinhardt et al. 2005)

34

3.

Die Vertikalstruktur der Landschaft und die komplexe Standortanalyse

Aus Gründen der Praktikabilität (Zeitbudget, Finanzierung) muss meist ein Kompromiss zwischen Aussagegenauigkeit und Messgenauigkeit getroffen werden. Es ist jedoch nicht nur eine Praktikabilitätsfrage, sondern auch einzuordnen in die zeitliche Dimension der Prozesse mit ihrer Varianz, Intensität, Frequenz und Andauer/Reichweite pro Zeiteinheit. Landschaftshaushaltliche Prozesse sind in Bezug auf die Zeit in eine zeitliche Hierarchie der Prozesse einzuordnen (kurzfristige oder längerfristige Prozesse), nach der sich die Messhäufigkeit mit bestimmt (zeitliches Skalenkonzept s. Tab. 5). Tab. 5 Zeitkategorien und Messprinzipien (verändert n. Lang 1984)

Ziel der KSA

Zeitkategorie

Messprinzip

Beispiel

Problematik und Abhilfe

Zeitproportionale Veränderung

Kontinuierlich mit Intervallen

Temperatur, Nie- Hohe Datenmenge, Auswerteroutinen derschlag (0,2 mm programmieren Auflösung); 10 min. Messintervall

Diskontinuierlich und periodisch

Temperatur Mannheimer Std., Tagesniederschlag

Eingeschränkte Verwendbarkeit; z.B. Tages-N für physikalisch basiertes Erosionmodell nicht verwendbar; für Abschätzung Jahreserosion (über ABAG) möglich

Zeitunabhängige Veränderung

Diskontinuierliche Messungen; ereignisgesteuerte Messungen

Kaltluftbildung und -abfluss mit Messfahrten/ Messgängen; Schwebstofftransport im Gerinne

Geeignete Ereignisauswahl, wieviele Ereignisse? Abhilfe Schwebstoff: a) manuelle Beprobung unterschiedlicher Hochwasserstände oder indirekte Ableitung über Trübungsmessung b) Korrelation mit Niederschlag und zeitinvarianten Parametern wie Relief-, Boden-, Nutzungsparametern

Langjährige Messreihen

Klimatische und hydrologische Messreihen

Temperatur, Niederschlag, Abfluss

Einordnung der eigenen Messperiode; Korrelation mit Langzeitdatenreihe und Differenzverfahren mit zeitlicher Extrapolation

Die komplexe Standortanalyse (KSA) ist somit eine zentrale Methodik geoökologischer und landschaftsökologischer Feldforschung an einem ausgewählten Standort, der im Rahmen der Differentialanalyse (Kap. 4) oder Vorerkundung der landschaftsökologischen Komplexanalyse (Kap. 5, Tab. 7) ausgewählt wird. Ziel der KSA ist die Erfassung der geoökologischen Prozessgrößen in deren vertikalem Funktionszusammenhang. An entsprechenden Messpunkten oder Messfeldern (s. Abb. 15) werden Stoffeinträge und -austräge sowie die grundlegenden Umgebungsbedingungen (z.B. Bodenprofileigenschaften) und die klimatologischen und hydrologischen Prozesse (Strahlung, Wind, Niederschlag, Verdunstung etc.) gemessen. Die einzelnen Messreihen werden im Hinblick auf wechselseitige Beziehungen und Abhängigkeiten analysiert („korreliert“), um dieses Wirkungsgefüge als Prozess-Response-System abbilden zu

Abb. 10. Kompartimente, Parameter, Instrumentierung zur Bestimmung der vertikalen Wasser- und Nährstoffflüsse von Agroökosystemen im ecuadorianischen Amazonastiefland (n. Lanfer 2003, s. auch Abb. 14.2.3 farbig in Gebhardt et al. 2011)

Die Vertikalstruktur der Landschaft und die komplexe Standortanalyse 35

36

3.

Die Vertikalstruktur der Landschaft und die komplexe Standortanalyse

können (Bsp. Abb. 35). Mittels dieser Modellierung sollen die Ergebnisse auf die repräsentierte räumliche Einheit (Ökotop) übertragen werden. Ein ganz entscheidendes methodisches Problem besteht darin, die gewonnenen punkthaften Daten auf die Fläche zu übertragen und den räumlichen Bereich abzugrenzen, für welchen diese Daten Gültigkeit besitzen. Somit kommt der Auswahl des repräsentativen Standortes eine entscheidende Bedeutung zu (zu KSA s. auch Martin & Eiblmaier (Hrsg.) 2003, Lexikon der Geowissenschaften; www.spektrum.de/lexikon/geowissenschaften/). Im Unterschied zur ökosystemaren Grundlagenforschung steht bei der komplexen Standortanalyse nicht unbedingt das Detailwissen um den Einzelprozess im Vordergrund, sondern der Versuch, im standörtlichen Vergleich die wichtigen Prozessgrößen zu erfassen und über ökologische Funktionen oder Bilanzgrößen die Unterschiede zwischen den Landschaftseinheiten (Ökotope) oder deren Veränderung durch anthropogene Eingriffe abzuschätzen. Dabei werden und müssen spezifische Methoden der ökologischen Grundlagenwissenschaften zum Teil in vereinfachter Form mit angewandt werden. Grundlage für die In-/Outputbilanzierung von Nährstoffumsätzen ist der vertikale Wasserumsatz. Dabei sind die in Abb. 11 dargestellten Einzelprozesse zu erfassen, die für die vertikalen Nährstoffflüsse entscheidend sind: Abb. 11 Wasser- und Nährstoffumsatz in Regenwaldökosystemen (verändert nach Proctor 1987 und Nicklas 2006)

Literaturhinweise

Bestandsniederschlag, Bodeninfiltration, Tiefensickerung über die Durchwurzelungszone hinaus, atmosphärischer Wasseraustrag über Evapotranspiration (Summe aus Interzeptionsverlust und Transpiration). Abb. 10 zeigt den prinzipiellen Aufbau von Messstandorten mit der Erfassungsmethodik der vertikalen Kompartimentierung für Messung, Berechnung und Abschätzung vertikaler Wasser- und Stoffflüsse. Zusammenfassend lässt sich die komplexe Standortanalyse in Anlehnung an die ersten Definitionen von Haase (1967, 1979) charakterisieren als: „Von einer komplexen Standortanalyse wird gesprochen, wenn an einem Geländepunkt die Geoökofaktoren Relief, Boden, Bodenwasser, Mikroklima, Vegetation messend und beschreibend unter besonderer Berücksichtigung des zeitlichen Ganges untersucht werden, um die Art und das Maß ihrer Korrelation festzustellen.“ Das bedeutet, die vertikalen Strukturen und Prozesse werden nach kausalen Beziehungen überprüft. Dies geschieht an vorher durch die Differentialanalyse ausgewählten Standorten der zu untersuchenden Landschaft. n Wissens-Check

1. Betrachten Sie das Beispiel eines Buchenwaldökosystems (Landschaftsausschnitt Buchenwald in Plateaulage) und geben Sie stichwortartig an, welche Kompartimente und vertikalen Flüsse zur Analyse des Wasserumsatzes im Sinne der KSA zu erfassen sind. 2. Warum stellt die Pedosphäre eine komplexe Veerschneidung der Umweltkompartimente dar? 3. Überlegen Sie anhand von Abb. 8 und Abb. 30, wo ein „hot-spot“ des Wasser- und Stoffumsatzes sich befindet und warum? 4. Welche vertikalen Nährstoffflüsse bedingen im Regenwaldökosystem eine positive Nährstoffbilanz?

Literaturhinweise Barsch, H., Billwitz, K., Bork, H.R. (Hrsg.) (2000): Arbeitsmethoden in Physiogeographie und Geoökologie. KlettPerthes, Gotha, 612 S. – Gut verständliche Einführung in die wichtigsten Feld- und Labormethoden. Schröder, W., Fränzle, O., Müller, F. (Hrsg.) (1997 fortlaufend): Handbuch der Umweltwissenschaften. Wiley VCH, 2442 S. – Umfangreiche Loseblattsammlung zu Grundlagen der Ökosystemforschung mit Darstellung von Konzepten und praktischen Umsetzungen der Ökosystemforschung. Gerold, G. (2011): Landschaftsökologische Datenerfassung (Kap. 14.2) In: Gebhardt, H., Glaser, R., Radtke, U., Reuber, P. (Hrsg.): Geographie. Physische Geographie und Humangeographie. Spektrum Verlag Heidelberg, 1330 S. – Im Rahmen des Lehrbuches Geographie eine kurzgefasste Einführung mit Kap. 14.2 zu Messmethoden in der Landschaftsökologie. Jungkunst, H.F. (2011): Analyses of biogeochemical fluxes at the landscape ecosystem scale. GEO-ÖKO, 3-4, 97–142. – Behandelt biogeochemische Prozesse des C- und N-Umsatzes in unterschiedlichen Skalen vor dem Hintergrund von Klimawandel und dem Konzept von „Earth’s Critical Zone“.

37

38

3.

Die Vertikalstruktur der Landschaft und die komplexe Standortanalyse Mosimann, Th. (1984): Landschaftsökologische Komplexanalyse. Steiner Verlag, Wiesbaden, 115 S. – Grundlegende Darstellung der Konzeption und Methodik von komplexer Standortanalyse und landschaftsökologischer Komplexanalyse. Turner, M.G.; Gardner, R.H. (Hrsg.) (1991): Quantitative Methods in Landscape Ecology. Springer New York, 536 S. – Standardwerk, das quantitative Methoden zur Analyse und Interpretation der Landschaftsheterogenität darstellt. Beinhaltet patch-pattern Analyse, räumliche statistische Verfahren, räumliche Modellierung und Extrapolationsverfahren über Skalen hinweg.

4. Die Differentialanalyse – Prinzipien zur Erfassung der Horizontalstruktur der Landschaft Überblick

M

ethoden der Differentialanalyse stellen Grundlagentechniken zur Erfassung der horizontalen Differenzierung der Landschaft nach ihren stabilen Kompartimenten und Ausstattungsmerkmalen dar (Landschaftsgefüge). Angesprochen wird die chorologische Dimension mit ihrer räumlichen Heterogeni-

tät. Sie ist vielfach Grundlage für die Auswahl repräsentativer Messstandorte im Sinne der komplexen Standortanalyse sowie mittels GIS-Techniken zur Ableitung von Räumen mit gleicher landschaftlicher Merkmalsausstattung (kleinste gemeinsame Geometrien) und von Landschaftsbewertungen.

Wie in Kap. 2.1 deutlich wird, bestehen methodisch die ersten Arbeitsgänge in der Erfassung der aktuellen Landschaftsdifferenzierung nach stabilen flächenhaften Merkmalen. Der Blick von oben, heute mit Satellitenaufnahmen und über Google Earth für jeden verfügbar, zeigt vor allem ein Muster der Infrastruktur (Siedlung, Verkehrswege), Gewässer, Landnutzung und Vegetation. Zur landschaftlichen Grundausstattung gehören ferner das Relief, der Boden und das Klima (Makroklima). Durch die Kombination dieser Kompartimente an der Erdoberfläche entsteht ein Landschaftsgefüge, das über seine Merkmalskombination (naturräumliche Ausstattung), sein Anordnungsmuster und seine Nachbarschaftsbeziehungen charakterisiert werden kann. Die Kenntnis der Horizontalstruktur der Landschaft mit der Methodik der Differentialanalyse (s. Leser 1997, S. 353) ist eine Grundbedingung in der Auswahl repräsentativer Standorte für die „komplexe Standortanalyse“, für die Analyse von Nachbarschaftsbeziehungen (z.B. Bodenerosion am Hang) wie auch Festlegung von Ökotonen (s. Kap. 6.2) und Analyse der Raumheterogenität. Untersucht werden horizontale Muster und Prozesse innerhalb heterogener Raumeinheiten (Landschaftsgefüge) bzw. zwischen unterschiedlichen Raumeinheiten. Die Abb. 6 zeigte die typische Ökotopabfolge auf der Nordseeinsel Spiekeroog, geprägt durch die einheitlichen Boden-Vegetationsbedingungen und zeitliche Genese der Dünen. Das Landschaftsgefüge kann mit seinem Inventar aufgenommen und typisiert werden. Dabei hängt die Analyse der landschaftlichen Merkmale wiederum von der räumlichen Skala ab (s. Kap. 2 – Bsp. Spiekeroog).

Horizontalstruktur der Landschaft-Differentialanalyse

40

4.

Abb. 12 Landschaftskompartimente in der chorologischen Dimension – Differentialanalyse

Methodik der Differentialanalyse

Die Differentialanalyse – Prinzipien zur Erfassung der Horizontalstruktur der Landschaft

Kleinmaßstäbig (makroskalig) wird das Landschaftsgefüge quasi von oben („top down Ansatz“) über Fernerkundungsdaten, Luftbilder oder aus Karten (z.B. 3D-Relief, Vegetationskarte, Bodenkarte) deutlich. Im mittleren Maßstab (Mesoskala) kann aus den stabilen Merkmalen der Landschaftsstruktur mit morphologischen, bodenkundlichen und vegetationskundlichen (bzw. Landnutzung) Parametern das Landschaftsgefüge abgeleitet werden. Das Ökotoptypengefüge der Xeroserie auf der Nordseeinsel Spiekeroog ist dafür ein Beispiel (Abb. 6). Bei einer Typisierung werden im mittleren Maßstab strukturelle Eigenschaften hervorgehoben (z.B. mobile Dünenbildung mit Strandhaferbewuchs beim Weißdünenökotop), während in der topischen Dimension (mikroskalig) die prozessuale Charakterisierung vor allem der vertikalen Umsatzprozesse maßgebend ist (z.B. Weißdüne: Dünenregosol mit Sickerwasserbodenfeuchteregime, Sandzufuhr und Strandhaferbewuchs). In der Mikroskala (großmaßstäbig) spielt die detaillierte Merkmalserfassung über Kartierung und Profilanalysen immer noch die wichtigste Rolle in der Landschaftsökologie. Die Erstellung einer detaillierten Bodenkarte (z.B. im Maßstab 1 : 50000; BUEK50) zur flächenhaften Darstellung der Bodentypen (Pedotope) ist dafür ein Beispiel (s. NIBIS http://nibis.lbeg.de/). Mittels vorhandener Raumdifferenzierungen nach strukturellen Grundgrößen (Geologische Karte, Vegetation/Landnutzungskarte, digitales Geländemodell, Klimacharakteristik) und software-Programmen wie SAGA (Conrad et al. 2015) wird eine Bodenkonzeptkarte entwickelt, nach der die Bodenprofilfeldaufnahmepunkte für die Bodenprofilerfassung (Beschreibung n. AG Bodenkunde) und Bodenprobennahme (Laboranalytik) festgelegt werden. Die Differentialanalyse (Ergebnis Bodenkonzeptkarte) ermöglicht eine fachgerechte Auswahl der Feldbodenprofilaufnahmen und nach Auswertung der Bodenprofile eine räumliche Festlegung der Bodentypenareale (Bodentypenkarte mit Leitbodenprofilen). Während es von den einzelnen Fachdisziplinen räumliche Differenzierungen über ihre Hauptkompartimente gibt (wie Biotope, Klimatope, Hydrotope) und Karten mit zugehöriger Inhaltsbeschreibung (Listen) erstellt wurden (wie Biotoptypen in Deutschland), muss eine Ökotopdifferenzierung oder Gliederung nach Ökoregionen von jedem Bearbeiter selbst vorgenommen werden. Die Methodik der Differentialanalyse spielt für die Landschaftsplanung, den Umweltschutz und Naturschutz eine wichtige Rolle, um in zeitlich und finanziell vertretbarem Aufwand Aussagen zur ökologischen Landschaftsdifferenzierung zu bekommen, ohne größeren Aufwand mittels Prozessmessungen im Sinne der komplexen Standortanalyse. Trotz zunehmender Datenverfügbarkeit und Detailgrad (z.B. Satellitenbildsysteme) bleibt die Frage, inwieweit mit

Die Differentialanalyse – Prinzipien zur Erfassung der Horizontalstruktur der Landschaft

41

der Erfassung der Landschaftsstruktur (Grundgrößen s. Tab. 4) ökologische Prozesse indirekt mit erfasst sind, um z.B. Nutzungseingriffe des Menschen in das Ökosystem für die Planung bewerten zu können. So lässt sich zwar indirekt aus dem Landschaftsmosaik nach Regenwaldrodung mit seinen Landnutzungsarten anhand von Fragmentierung, Arealgröße der Restregenwaldfläche, Vegetationsstruktur mit Analogieschlüssen (anhand der Literatur) auf den potentiellen Artenverlust (z.B. Fauna) schließen, die Frage der Bodendegradation und Nachhaltigkeit des Nutzungssystems je nach Nutzungstyp erfordert jedoch die Quantifizierung der vertikalen Nährstoffumsätze. Die Differentialanalyse stellt die Grundmethodik zur Erfassung der Landschaft in ihrer Horizontalstruktur anhand stabiler Grundgrößen dar und kann sowohl in der chorischen wie topischen Dimension angewandt werden. Stichwort

Fachbegriffe Differentialanalyse: „Verfahren der landschaftsökologischen Arbeit zur Erfassung jener Partialkomplexe, die im Geoökosystem als Schichten erfasst werden können (Bodennahe Luftschicht, Vegetation, Relief, Boden, Substrat, Wasser).“ (Leser 1997, S. 353) Kleinste Gemeinsame Geometrien: Räume mit gleicher landschaftlicher Ausstattung als Ergebnis der GIS-Verschneidung von Geokomponenten. (s. auch Steinhardt et al. 2005, S. 208) Hydrological Response Units (HRUs): „HRUs are distributed, heterogeneously structured entities having a common climate, land use and underlying pedotopo-geological association controlling their hydrological transport dynamics.“ (Flügel 1995) Patch-Matrix-Konzept: Beschreibt die räumliche Konfiguration von Landschaftsteilen mit Ableitung von funktionalen Zusammenhängen. (s. Kap. 2 Patch u. Matrix; Kap. 10) Geoökologische Kartierung: Kartierung der Geokomponenten und Aggregierung der Einzelparameter einschließlich typischer Prozesskennwerte zu geoökologischen Raumeinheiten (z.B. Ausweisung von Ökotopen). (vgl. Definitionen in Lexikon der Geowissenschaften und Lexikon der Kartographie und Geomatik, Beispiele mit GÖK 25)

Die Arbeitsschritte umfassen damit die klassischen Instrumentarien der Kartierungs- und Geländeaufnahmemethoden der jeweiligen Fachdisziplinen, zunehmend ergänzt oder teilweise ersetzt (z.B. Geländeklima, Reliefmerkmale) durch digitale Fernerkundungs- und GIS-Methoden. Eine Zusammenstellung der verschiedenen Methoden zur Erfassung der Kompartimente ist zu finden in Marks et al. (1992), Bastian & Schreiber (1994) und Barsch et al. (2000). So wurde die geoökologische Basiskarte (GÖK 25) aus der Verschneidung der Geokomponenten Boden/Bodenwasser, Vegetation, Topographie und Morphographie und Klima erzeugt. Die zugehörigen Merkmalsdateien

Arbeitsschritte Differentialanalyse

42

4. Prozesskennwerte

Tab. 6 Arbeitsschritte zur Differentialanalyse der horizontalen Landschaftsstruktur (n. Steinhardt et al. 2005)

Die Differentialanalyse – Prinzipien zur Erfassung der Horizontalstruktur der Landschaft

wurden nach der Kartieranleitung Geoökologische Karte 1:25000 aufgenommen. Ziel der geoökologischen Kartierung war die Differenzierung der Landschaft über geoökologische Raumeinheiten in der chorischen Dimension, die aufgrund der Kartierung der Geokomponenten, Aggregierung ihrer Einzelparameter und Kennzeichnung von Prozesskennwerten gebildet wurden (s. Leser et al. 1988). Bei den Prozesskennwerten handelt es sich um klima-, wasser- und stoffhaushaltliche Größen (z.B. Energiedargebot, Wasserversorgung, Nährstoffdargebot, Feststofftransport), mit denen ausgegliederte Ökotoptypen inhaltlich gekennzeichnet sind. Die Raumgliederung kann als Grundlage zur Bewertung des Leistungsvermögens des Landschaftshaushaltes eingesetzt werden. Tab. 6 gibt einige klassische Arbeitsschritte für die Differentialanalyse an. Landschaftsökologische Komplexanalyse – Differentialanalyse Floristisch-vegetationskundliche Geländeaufnahme Physiognomisch-ökologische Vegetationsanalyse Kennzeichnung von Biotoptypen (z.B. Kartier(n. Ellenberg u. Müller-Dombois 1967) schlüssel u. Einstufung in Niedersachsen n. Drachenfels 2011, 2012) Floristisch-soziologische Analyse (n. Braun-Blanquet 1964)

Ableitung Pflanzenassoziationen, Diversitätsmaße, pot. nat. Vegetation

Floristisch-ökologische Analyse (n. Ellenenberg 1992)

Analyse und Bewertung ökologischer Artengruppen, Zeigerwerte der Pflanzen

Floristisch-physiognomische Analyse (n. Raunkiaer 1934)

Analyse und Bewertung von Lebensformspektren

Bodenkundliche Geländeaufnahme Bodenprofilanalyse n. bodenkundlicher Kartieranleitung (BGR: AG Boden 2005, WRB 2014)

Charakterisierung der Böden und Ableitung der Bodentypen (ggf. Bodenform)

Reliefanalyse und geologisches Substrat

Aufnahme von Reliefformen

Kennzeichnung von Relieftypen und Reliefpara- Aufnahme der oberflächennahen Gesteine metern (z.B. über SARA = System zur automatischen Reliefanalyse, s. Köthe et al. 1996) Kennzeichnung von Substrattypen

Erfassung des Geländeklimas

Aufnahme von Strahlungsgunst, Windoffenheit und Frostgefährdung

Kennzeichnung des Geländeklimas und seiner Besonderheiten (Abweichung von Klimastation)

Geoökologische Erfassungsmethoden s. auch: Marks et al. 1992, Zepp 1999

Als Grundlage der landschaftsökologischen Erfassung (Differentialanalyse und Kennzeichnung wichtiger geoökologischer Prozesse) kann das Methodenbuch „Landschaftsökologische Erfassungsstandards“ herangezogen werden (Zepp & Müller 1999). Wie Tab. 6 zeigt, sind es vielfältige Methoden der Kartierung, der digitalen Reliefanalyse und der Luftbild- sowie Satellitenbildaus-

Die Differentialanalyse – Prinzipien zur Erfassung der Horizontalstruktur der Landschaft

wertung, die zur Kennzeichnung der Landschaftsdifferenzierung wie auch zur Ableitung von Ausstattungsmerkmalen der Geokomponenten (s. Tab. 4, strukturelle Grundgrößen) herangezogen werden. Dabei stellt die digitale Reliefanalyse mit Erzeugung eines digitalen Geländemodells (DGM) wie auch der ständig sich mit höherer Auflösung und Multispektralkanälen erweiternde Satellitenbilddatensatz ein enormes Datenpotential zur Ableitung raster- oder vektorbasierter Merkmale von Landschaftspixeln dar (i.S. von „patch-Analyse“) (s. Albertz 2016, Lillesand & Kiefer 2015; z.B. Tab. 12 NDVI). In der jüngeren Entwicklung der geoökologischen Raumgliederung erfolgte eine stärkere Prozessbetonung, insbesondere zum Wasser- und Stoffhaushalt mit digitaler Verarbeitung (Mosimann 1990, Kap. 7) bis hin zum Aufbau von Geoökologischen Informationssystemen für eine prozessorientierte Landschaftsanalyse (z.B. Duttmann 1993). Geographische Informationssysteme (GIS) ermöglichen eine vielfältige und umfangreiche Datenspeicherung und -verarbeitung im Sinne der Differentialanalyse (s. Bill 2010, Ehlers & Schiewe 2012, Kappas 2012). In der Landschaftsökologie werden die Geokomponenten (Abb. 16) vielfach als Attributdaten (Geoökologische Flächendaten Abb. 13) im GIS gespeichert und je nach Fragestellung für die Landschaftsstrukturanalyse (Kap. 10, „landscape

43

GIS-Einsatz zur Flächendatenverarbeitung

Abb. 13 GIS-gestützte Verschneidung landschaftlicher Geokomponenten zur Ableitung „kleinster gemeinsamer Geometrien“

44

4.

Die Differentialanalyse – Prinzipien zur Erfassung der Horizontalstruktur der Landschaft

pattern“ Kap. 5 in Turner et al. 2001) und für Modellierungen zum Landschaftshaushalt (Kap. 7, 8) eingesetzt. Dabei bedient man sich vielfach der „GIS-Verschneidungsfunktion“ (Overlay-Verfahren, Abb. 13) mit der Erzeugung neuer räumlicher Struktureinheiten, die als „kleinste gemeinsame Geometrien“ bezeichnet werden. Das Abbild jedes Pixels (Raster- oder Vektorfläche je nach layer-Differenzierung) stellt ein additives Bild mit jeweils einheitlicher Merkmalskombination dar. ACHTUNG, sie entsprechen nicht automatisch dem topologischen Prinzip mit dem Theorem der kleinsten quasi homogenen Fläche als Ökotop, da das Prozessgeschehen zwischen Flächen mit gleicher struktureller Ausstattung unterschiedlich sein kann. In der Anwendung muss je nach Fragestellung sorgfältig ausgewählt werden, welche Geokomponenten mit welchen Merkmalen notwendig sind. Ferner liefert das Verfahren beim multi-layer Verfahren eine in Kleinsträume zerstückelte Landschaft, sodass wiederum entsprechend der Fragestellung eine Aggregierung zu Landschaftseinheiten notwendig ist (z.B. Pedohydrotop). Für die Anwendung von Wasser- und Stoffumsatzmodellen (s. Kap. 7, 8) muss neben der Modellparametrisierung eine räumliche Gliederung nach Flächen ähnlichen Wasserumsatzes im Sinne der funktionalen Homogenität („Hydrological Response Units“) erfolgen.

Abb. 14 Schema: Ableitung quasi homogener räumlicher Struktureinheiten für die Anwendung von Wasser- und Stoffumsatzmodellen (WASMOD und STOMOD, Kenkel 1999)

Literaturhinweise Wissens-Check

1. Welche Ziele verfolgt die Differentialanalyse? 2. Beschreiben Sie beispielhaft das Verfahren zur Bildung von „kleinsten gemeinsamen Geometrien (KKG)“. 3. Wozu wird die Ableitung von HRUs eingesetzt? Erläutern Sie dies beispielhaft. 4. Nennen Sie je ein Analysebeispiel im Sinne der Differentialanalyse aus dem Bereich Vegetation, Substrat/Boden und Relief. 5. Erläutern Sie an einem Beispiel, wie GIS (z.B. ARC/INFO) für die Differentialanalyse und Modellierung eingesetzt werden kann.

Literaturhinweise Albertz, J. (2016): Einführung in die Fernerkundung. Grundlagen und Interpretation von Luft- und Satellitenbildern. WBG, Geowissen Kompakt, 254 S. – Neuauflage mit umfassender Einführung in die Fernerkundung. Gewinnung, Bearbeitung und Interpretation von Luft- und Satellitenbildern mit Hinweisen auf neueste technische Verfahren werden behandelt. Conrad, O., Bechtel, B., Bock, M., Dietrich, H., Fischer, E., Gerlitz, L., Wehberg, J., Wichmann, V., and Böhner, J. (2015): System for Automated Geoscientific Analyses (SAGA) v. 2.1.4, Geosci. Model Dev., 8, 1991–2007, doi:10.5194/gmd-8-1991-2015. – Umfangreiche Erläuterung der GIS-tools des SAGA Geoinformationssystems mit direkten Hinweisen zur Anwendung und Internetverweisen auf Modellarchitektur und Anwendung für geoökologische digitale Bearbeitungen umfangreicher Datenbanken. Das Anwendungspotential von SAGA wird erläutert. GIS- und Geoinformatikvorkenntnisse erforderlich. Duttmann, R. (1993): Prozessorientierte Landschaftsanalyse mit dem Geoökologischen Informationssystem GOEKIS. Experimentelle Untersuchungen und Aufbau des geoökologischen Informationssystems GOEKIS im Repräsentationsgebiet Hagen (Nienburger Geest). Geosynthesis 4, 194 S. – Eine der ersten methodisch konsequenten Arbeiten zur Umsetzung der „Landschaftsökologischen Komplexanalyse“ mit der Differentialanalyse über den Aufbau eines geoökologischen Informationssystems. Ehlers, M., Schiewe, J. (2012): Geoinformatik. WBG, Geowissen Kompakt, 122 S. – Kompakter Überblick über Konzepte und Verfahren der Geoinformatik. Zeigt Methoden der Verarbeitung von Geoinformationen und zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten. Flügel, W.A. (1995): Delineating Hydrological Response Units (HRUs) by Geographical Information System analysis for regional hydrological modelling using PRMS/MMS in the drainage basin of the river Bröl, Germany. Hydrological Processes, Vol. 9, 423–436.– Eine der ersten grundlegenden Anwendungen des HRU-Prinzips im deutschsprachigen Raum. Zeigt die HRU-Konzeption und ihre Verwendung für die hydrologische Modellierung von Einzugsgebieten. Schröder, W., Schmidt, G. (2000): Raumgliederung für die ökologische Umweltbeobachtung des Bundes und der Länder. Z.Umweltchem. Ökotox. 12(4), 236–243. – Zeigt für die chrologische Dimension unter Nutzung ökosystemarer Konzepte eine konsequente statistische Methode zur Ableitung von 20 Klassen von Ökoregionen der Bundesrepublik Deutschland. Aus Boden, Klima, Relief und Vegetation wird über ein GIS-/Statistikbasiertes Instrumentarium die ökologische Raumgliederung abgeleitet.

45

5. Die landschaftsökologische Komplexanalyse Überblick

D

efinition, Ziele und grundlegende Verfahrensweise der landschaftsökologischen Komplexanalyse werden als eine Grundmethodik in der topischen Dimension der Landschaftsökologie erläutert. Schematisch wird der Arbeitsgang sowie Grundsätze der mehr-

Landschaftsökologische Komplexanalyse

stufigen Arbeitsweise aufgezeigt. Ferner wird die Anlage von Untersuchungseinheiten in der Landschaft illustriert. Ein Verweis auf umfangreiche Forschungsarbeiten ermöglicht das Detailstudium zur Methodik der landschaftsökologischen Komplexanalyse.

Verknüpft man die vertikale komplexe Standortanalyse mit der horizontalen Differentialanalyse, so erhält man die Methodik der landschaftsökologischen Komplexanalyse. Sie wurde als allgemeine Systematik von Leser (1997) ausführlich beschrieben und von Mosimann (1984) auf der Grundlage seiner geoökologischen Arbeiten bei Basel und der Tundrenzone (Mosimann 1985) in einem Methodenheft zusammengefasst. Mit der landschaftsökologischen Komplexanalyse wird an repräsentativen Standorten der vertikale Energie-, Stoff- und Wasserumsatz gemessen, um zwischen den Ausstattungskompartimenten (s. Abb. 10) dominante geoökologische Prozesse zu erfassen, die sich signifikant zwischen den Landschaftsstandorten („Tessera“) unterscheiden. Diese Messdaten und Prozesse werden anhand der geoökologischen Differentialanalyse auf gleichartig strukturell ausgestattete benachbarte Landschaftsbereiche übertragen. Die Prozessgrößen (manifestiert über Messvariablen) und daraus abgeleitete landschaftshaushaltliche Bilanzen (s. Kap. 7) unterliegen witterungs- und nutzungsbedingten Schwankungen (z.B. jahreszeitlich unterschiedliche Wasserbilanz eines Laubwaldes). Mit der Methodik der komplexen Standortabfolge (s. Kap. 3) ergibt sich für den Arbeitsgang der landschaftsökologischen Komplexanalyse zwangsläufig die topische Dimension als Landschaftseinheit (s. Kap. 2). Das Ziel der landschaftsökologischen Komplexanalyse besteht somit in der Erfassung standörtlicher Energie- oder Stoffumsätze mit Übertragung der quantitativen Standortverhältnisse auf Landschaftseinheiten, die als quasi homogene Räume (z.B. Ökotop, Physiotop) aufgrund stoffhaushaltlicher Umsätze und Bilanzen betrachtet werden können. In Kap. 3. wurde das Prinzip der komplexen Standortanalyse erläutert. Es stellt sich die Frage, wonach die Messstandorte ausgewählt werden und für welche Landschaftseinheit die erfassten Prozesse und Nährstoffbilanzen gelten? Als Teil der landschaftsökologischen Komplexanalyse kann dafür die Methodik der Differentialanalyse angewendet werden (Kap. 4).

Die landschaftsökologische Komplexanalyse

47

Stichwort

Fachbegriffe Catena: Reliefsequenz oder Toposequenz ist die spezielle Abfolge von Bodenprofilen entlang eines Reliefschnittes (z.B. Hangcatena), verläuft vom höchsten zum niedrigsten Geländepunkt (Bsp. Abb. 18). Tessera: Landschaftsausschnitt am Messplatz (vertritt ein Econ, s. Abb. 15). Einzugsgebiet: Hydrologisch auch Entwässerungsgebiet; ist die Fläche, aus der ein Gewässersystem seinen Abfluss bezieht (an der Oberfläche innerhalb der Wasserscheiden = oberirdisches Einzugsgebiet; ACHTUNG unterirdisches Einzugsgebiet kann davon abweichen). Repräsentativer Standort: Die am Messplatz ermittelten Daten können auf die gleichartig ausgestatteten Bereiche seiner Umgebung übertragen werden (s. z.B. Bodendauerbeobachtungsflächen der Bundesländer). Landschaftsökologische Komplexanalyse: Sie ist eine Arbeitsmethode der landschaftsökologischen Grundlagenforschung in der topischen Dimension. Untersucht und gekennzeichnet werden die vertikalen Funktionen und Struktur von Landschaftsteilen an einem repräsentativen Messplatz anhand der komplexen Standortanalyse und der Differentialanalyse (s. Abb. 16). Landschaftsökologische Hauptmerkmale (ÖHM): Sie integrieren verschiedene Umweltparameter und erlauben damit Rückschlüsse auf Umweltzustände. Die wichtigsten sind Bodenform/Bodenzustand, Bodenwasserhaushalt/Feuchteregime, Vegetation/Pflanzenzeigerwerte zur Charakterisierung des Landschaftshaushaltes (s. Kap. 7).

Ein Beispiel: Basierend auf einer Satellitenbildauswertung (Landsat-ETM) und Geländekartierung wurde im Regenwaldgebiet von Ecuador (Coca) das Untersuchungsgebiet für den Vergleich von Regenwald und Anbaukulturen (Kakao, Kaffee, Weide) zum Nährstoffumsatz ausgewählt (s. Lanfer 2003). Ferner erfolgte über Transekte von der Hügelzone bis zum Rio Napo Fluss eine Substrat- und Bodenkartierung mit Ableitung der typischen Relief- und Bodendifferenzierung. Aus diesen strukturellen Grundgrößen (Relief, Substrat/ Boden, Vegetation, Makroklima) resultiert als eine Landschaftseinheit die „Höherliegende Terrasse mit andic Dystropept (Bodentyp n. USDA)“, auf der alle standörtlichen experimentellen Messeinrichtungen pro Nutzungstyp aufgebaut wurden. Die Nährstoffbilanzen zur Bewertung der Nachhaltigkeit der typischen Agroökosysteme gelten somit für diese Landschaftseinheit (Übertragung der Standortbedingungen in die Fläche). Ferner wird deutlich, dass der Schritt der horizontalen Differentialanalyse auch am Anfang für die Auswahl „repräsentativer Standorte“ erforderlich ist. Je nach Untersuchungsziel erfolgt eine Kompartimentierung der Vertikalstruktur sowie horizontale Differenzierung der Landschaft nach ihren Ausstattungsgrundgrößen (Landschaftsstruktur, s. Abb. 16).

Arbeitsgang Landschaftsökologische Komplexanalyse

48

5.

Tab. 7 Der Arbeitsgang der Landschaftsökologischen Komplexanalyse (n. Leser 1997, Mosimann 1984)

Die landschaftsökologische Komplexanalyse

Arbeitsschritte Arbeitseinheit

Arbeiten

Vorerkundung

Übersichtsaufnahme mit Ausstattungsmerkmalen

Auswertung vorhandenen Materials Literatur, Karten, Geodatenbank, Satelliten- u. Luftbildinformation, Begehung

Konzeptphase

Konzeptmodell, Standortregelkreis, ggf. Modellauswahl, GIS-DatenbankKonzeption; Arbeitsplanung

Formulierung Untersuchungsziele u. Hypothesen, Kriterien zur Standortauswahl, Kleineinzugsgebietsauswahl, Messparzellen u. Messparameter etc.; ggf. GIS-layer-Verschneidungskonzeption (z.B. HRU’s); Arbeits- und Zeitplan

Feld- und Laborarbeiten

Partialkomplexanalyse mit flächenhafter Analyse der Geokomponenten u. vertikalen Energie-, Wasser- u. Stoffumsätzen; Analyse lateraler Wasser- u. Stoffumsätze; Laborarbeiten

Komplexe Standortanalyse

Einzugsgebietsanalyse

Geoökologische Prozessanalyse mit GIS-gestützter Analyse räumlicher Flächentypisierung/-extrapolation; Typenbildung (z.B. Bodentyp/ Substrattyp) mit Funktionsparametern

Geoökologische Datenbank u. statistische Datenauswertung, Flächenausweisung (ggf. mit GIS) und Parameterattributdatei zuordnen; Ableitung von Prozessindikatoren

Funktionsanalyse

Abhängigkeiten zwischen Ausstattung (Landschaftsmuster) und Prozessgrößen; ggf. Eignungs- oder Gefährdungsanalyse

Analyse Landschaftshaushaltsfunktionen, Ableitung Modellparameter, Landschaftsindikatoren, Standortbilanzen und/oder Kenngrößen des Wasser- und Stoffkreislaufs in Einzugsgebieten

Synthese

Extrapolation komplexer Standortanalyse oder repräsentativer Messstandorte (Ergebnisse) in die Fläche; Ökotopausscheidung, Funktionsbeschreibung/-interpretation

Verknüpfung (vielfach GIS-gestützt) Prozesskenngrößen Standortanalyse mit flächenhafter Differentialanalyse; Ökotopcharakterisierung, Ableitung von Teilbilanzen des Landschaftshaushaltes

Die Auswahl der Untersuchungsstandorte bei Felduntersuchungen kann nach ganz verschiedenen Prinzipien erfolgen, die vom Untersuchungsgegenstand (Fragestellung, Skala, Heterogenität, Datenauswertemethodik) sowie Zeit- und Kostenaufwand abhängig sind. Rasterorientierte Messverfahren mit hohem Zeit- und Kostenaufwand, die meist bei Umweltmonitoringverfahren eingesetzt werden (z.B. n. TA Luft mit 1 km Raster Luftschadstoffmessung) stehen mehr qualitativ angelegte Standortschemata gegenüber. Diese sind in Abb. 15 schematisch dargestellt. Die Auswahl repräsentativer Standorte folgt dem Prinzip der horizontalen Differentialanalyse mit der Verschneidung der strukturellen Grundgrößen

Die landschaftsökologische Komplexanalyse

(s. Tab. 4) und kann bei ausreichenden flächendeckenden Informationen der Geokomponenten (z.B. DGM, Bodenkarte, Vegetations-/ Landnutzungskarte, Klimakarte) über die GIS-Verarbeitung (s. Kap. 4) erfolgen. Häufig fehlen flächendeckende Informationen, sodass man in Anlehnung an die Steuerungsfunktion des Reliefs für zahlreiche laterale Prozesse (z.B. Abfluss, Bodenerosion) Hangcatenen als Standortsabfolge anlegt. Das Catenaprinzip kann jedoch nicht nur auf das Relief (wie Hang- oder Terrassendifferenzierung) angewendet werden, sondern auf jeden lateral dominant sich verändernden Prozess. So führt Überflutungshöhe und -dauer im Wattenmeer mit Ebbe und Flut zur charakteristischen Salzwiesenzonierung (s. Kap. 2). Bei landschaftsökologischen Untersuchungen zu Entwicklung, landschaftlicher Differenzierung und anthropogener Belastung der Salzwiesen können die Untersuchungsstandorte mit dem Catenaprinzip vom MTNw bis zum Dünenrand ausgewählt werden. Auf der Grundlage eines Höhenschichtenmodells und der hydrographischen Informationen zur Häufigkeit von Flutwasserständen kann eine Auswahl von Salzwiesenstandorten für detaillierte ökologische Analysen (z.B. Biotopcharakterisierung in Relation zu abiotischen Umweltfaktoren) erfolgen. Eine klassische Untersuchungseinheit, in der vertikale und laterale Umsatzprozesse zusammenwirken, ist das hydrologisch abzugrenzende Einzugsgebiet. Viele angewandte Fragestellungen der Wasserbewirtschaftung, der Gewässerqualität (z.B. Eutrophierungsproblematik) und der Sedimentfracht im Gewässer sowie Auswirkungen von Klimawandel oder Landnutzungswandel auf den Wasserhaushalt erfordern eine flächendifferenzierte Betrachtung von Wasser- und Stoffumsätzen innerhalb eines Einzugsgebietes mit Verknüpfung der vertikalen Wasser- und Stoffumsätze mit den lateralen Flüssen, um das Outputintegral am Gewässerpegel erklären zu können. Ebenso Fragen zu Auswirkungen von z.B. Waldrodung, Landnutzungsänderung, mineralische Düngung auf Wasserhaushaltskomponenten und Wasserqualität verlangen nach einer repräsentativen Standort- oder Plotauswahl bzw. Generierung hydrologisch einheitlich reagierender Flächen (Prinzip der HRUs – „hydrological response units“).

49

Abb. 15 Untersuchungseinheiten der landschaftsökologischen Komplexanalyse (verändert n. Mosimann 1984)

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5.

Die landschaftsökologische Komplexanalyse Stichwort Die landschaftsökologische Komplexanalyse ist durch mehrstufige Arbeitsweisen gekennzeichnet, mit: – Statische oder wandernde Messnetze zur flächenhaften Datengewinnung – Messungen nach dem Catenaprinzip (Transekte) – Messungen an repräsentativen Standorten mit Extrapolation in die Fläche – Verknüpfung punktueller und integraler Messungen im Einzugsgebiet – Kartierung und Verschneidung struktureller Grundgrössen der Landschaft (wie Relief, Vegetation, Substrat/Boden) (GIS-gestützte Verfahren)

Die landschaftsökologische Komplexanalyse trägt zur Grundlagenforschung bei mit: – – – – –

Abb. 16 Landschaftsökologische Komplexanalyse: Standortanalyse und Differentialanalyse

Analyse und Erklärung dominanter Stoffumsatzprozesse (vertikal, horiziontal, zeitlich) Ableitung von Indikatoren für Stoffhaushaltsprozesse und -bilanzen Extrapolation standörtlicher Prozessdaten in die Fläche (Repräsentanzproblem) Anwendung von Prozessmodellen zur Zustands- oder Prognosesimulation Analyse natürlicher oder anthopogener Störungen auf den Landschaftshaushalt

Grundlegende Arbeiten im Sinne der landschaftsökologischen Komplexanalyse sind z.B. zu finden bei: Mosimann (1985, Tundrenökosystem), Löffler (2002, 2007 Hochgebirgsökosystem Skanden), Lanfer (2003, Agroökosysteme Ecuador), Gerold et al. (2008, Yungas Höhengradient s. Kap. 6.1). Das Untersuchungsdesign des Ökosystemforschungsprojektes Bornhöveder Seenkette (Fränzle 2014) verfolgte die Methodik der landschaftsökologischen Komplexanalyse mit repäsentativen Messplätzen und dem Catenaprinzip für die Fragestellungen zu Landschaftshaushalt und Umweltdynamik (s. auch Kap. 7.4).

Literaturhinweise Wissens-Check

1. Beschreiben Sie beispielhaft eine Catena. 2. Sie haben die Aufgabe an der alpinen Waldgrenze ein Monitoring zu Auswirkungen des Klimawandels (Climate Change) einzurichten. Welche Prinzipien der landschaftsökologischen Komplexanalyse sind zu berücksichtigen? 3. Wie wurde die Methodik der landschaftsökologischen Komplexanalyse im langjährigen Ökosystemforschungsprojekt Bornhöveder Seenkette eingesetzt? 4. Nennen Sie zwei Beispiele, wie die landschaftsökologische Komplexanalyse zur Grundlagenforschung beiträgt.

Literaturhinweise Bastian, O., Steinhardt, U. (Hrsg.) (2002): Development and Perspectives of Landscape Ecology. Kluwer, Dordrecht, 498 S. – Sammelwerk mit Beispielen zur komplexen landschaftsökologischen Grundlagenforschung, unter anderem „Landscape complexes“ von Löffler, J. Fränzle, O. (2014): Ökosystemforschung im Bereich der Bornhöveder Seenkette. In: Schröder, W., Fränzle, O., Müller, F. (Hrsg.): Handbuch der Umweltwissenschaften. 3:1–36. DOI: 10.1002/9783527678525. hbuw1998010 Aus fortlaufende Loseblattsammlung, Wiley-VCH. – In Kap. V-4.3 (S. 1–36) sehr gute Darstellung der Grundlagen zur Ausweisung repräsentativer Forschungsgebiete sowie Hypothesenbildung für die Ökosystemforschung. Sowohl theoretische Fundierung wie umfangreiche Forschungsmethoden mit den erzielten Ergebnissen aus dem interdisziplinären Forschungsprogramm sind im Handbuch dargestellt. Lanfer, N. (2003): Landschaftsökologische Untersuchungen zur Standortbewertung und Nachhaltigkeit von Agroökosystemen im Tieflandsregenwald Ecuadors. In: EcoRegio 9: 226 S. – Gutes Beispiel zur Anwendung der Methodik der „Landschaftsökologischen Komplexanalyse“ zur Charakterisierung von Wasser- und Stoffumsatz von tropischen Agroökosystemen. Mosimann, T. (1985): Untersuchungen zur Funktion subarktischer und alpiner Geoökosysteme (Finmark-Norwegen und Schweizer Alpen). Physiogeographica Bd. 7, Basel, 488 S. – Detailliertes Beispiel zur Anwendung und Umsetzung im Feld und Labor des Arbeitsganges der „Landschaftsökologischen Komplexanalyse“.

51

6. Ökologische Funktionen und Prozesse Überblick

N

ach der Erläuterung, was unter Ökosystemfunktionen zu verstehen ist, wird anhand von Beispielen die räumliche Heterogenität ökosystemarer Prozesse aufgezeigt und der Frage nachgegangen, wie man Gesetzmäßigkeiten mit dominanten Prozessen ableitet. Dabei sind Beispiele von der chorologischen Dimension (vertikaler Höhengradient) bis zur regional/zonalen Dimension (Steppenzone) beschrieben. Mit dem tropischen Bergregenwaldökosystem wird die Relation Artendiversität und Bo-

Ökosystemfunktionen

den-/Klimawandel mit der Höhe aufgezeigt, wobei vor allem Feld- und Labormethoden in Anlehnung an den Verfahrensgang der landschaftsökologischen Komplexanalyse eingesetzt wurden. Mit dem Beispiel zu oberirdischer Biomasse und C-Vorrat in Steppen Eurasiens wird methodisch die Verknüpfung von GIS, Satellitenbildinformationen, empirischen Felddaten und Modellanwendung als komplexes Instrumentarium der landschaftsökologisch-regionalen Analyse gezeigt.

Ökosystemprozesse sind primär Bestandteile der Ökosystemforschung (s. Kap. 1, Stichwort) und umfassen daher die Relation von Energie- und Stoffflüssen von und in Organismen und ihrer Umwelt. Ökosystemprozesse in der Landschaft umfassen z.B. die Biomasseproduktion (NPP), den C-Umsatz oder biogeochemische Prozesse wie den N- und P-Umsatz. Unter Ökosystemfunktionen kann man daher eine Vielzahl von Prozessen verstehen (Ökosystemprozesse), die sich im Zusammenhang mit dem Transport, der Umwandlung und der Speicherung von Energie, Stoffen und von Information aus den Interaktionen zwischen Organismen und den abiotischen Ökosystemteilen ergeben. Wenn in der Landschaftsökologie ökosystemare Prozesse analysiert werden, so stehen Ursachen und Konsequenzen der räumlichen Heterogenität (z.B. NPP, C-Speicherung), der Einfluss von Lage, Nutzung und Nachbarschaftseffekten (z.B. Auenwald und Landnutzung im Umfeld) und Lateralflüssen (Wasser, Nährstoffe, Sediment/Bodenerosion) im Vordergrund. Räumliche Bezugsgrößen zur Erfassung ökosystemarer Prozesse sind daher vielfach Einzugsgebiete, Landschaftskomplexe (z.B. ostfriesische Düneninsel s. Kap. 2) oder Teile der Biosphäre (z.B. Buchenwaldökosystem). Ökosystemfunktionen (s. Jax 2005) können allgemein verstanden werden:

Ökologische Funktionen und Prozesse

53

Stichwort

Ökosystemfunktionen 1. Abstrakt-formal als Interaktion zwischen Komponenten des Ökosystems (Objektrelation, z.B. Photosynthese); d.h. vielfach Synonym für Prozess 2. Netzwerk ökologischer Prozesse und ihre Änderung über Zeit und Raum (z.B. NPP) wie auch Interaktion von Organismus/-gruppen mit anderen oder abiotischen Umweltfaktoren. Welche Komponenten besitzen welche Funktionen für das Ganze? (Komponenten, die die NPP bestimmen?) – Systembezug 3. Im Sinne der Ökosystemdefinition; Funktionen im System, die zur Regulierung und Selbsterhaltung des Ökosystems beitragen: So erhält und beeinflusst die pflanzliche Stoffproduktion den Gasaustausch (Assimilation u. Respiration), den C-Umsatz (Stoffzuwachs und Zersetzung/Mineralisation) und Wasserumsatz (Bodenwasseraufnahme, Transpiration). Welches Teilsystem erfüllt eine bestimmte Funktion zum Systemerhalt? (z.B. Produzenten, Konsumenten, Zersetzer in der Nahrungskette) – Rollenzuweisung, Regeln 4. Anthropozentrisch, d.h. konkret auf die Bedürfnisse des Menschen bezogen (praktischer Nutzen), bezeichnet man Ökosystemfunktionen als Ökosystemserviceleistungen oder Umweltdienstleistungen („Ecosystem Services“, ESS) (z.B. Regulationsfunktion Grundwasserneubildung).

Dazu zählen zum Beispiel generelle globale Ökosystemleistungen wie: Steuerung von Klima, Gashaushalt und Wasserhaushalt der Erde, Aufrechterhaltung der Nährstoffkreisläufe, C-Speicherung, Produktion von Biomasse, Regulation von Wasserhaushalt, Bodenbildung und Erosionskontrolle. Zur kritischen Begriffsdiskussion und deren Verwendung in der Ökologie s. Jax (2005).

Räumliche Heterogenität ökosystemarer Prozesse und die Frage nach Gesetzmäßigkeiten – Beispiele Ökosystemprozesse variieren in der Landschaft (räumlich) durch eine Vielzahl biotischer und abiotischer Faktoren. Neben der großräumigen zonalen Differenzierung nach Ökozonen (s. Schultz 2008) gehört der vertikale Höhengradient mit dem Wandel wichtiger Klimaparameter (wie Temperatur, Strahlungsintensität, Bewölkung, Niederschlag) in den Gebirgen der Erde mit der Ausprägung charakteristischer Klima-Vegetationshöhenstufen zu den klassischen Beispielen des gesetzmäßigen Landschaftswandels. Neben dem Klima bestimmen abiotisch die Relief- und Bodenverhältnisse den räumlichen Wandel ökosystemarer Prozesse. Mit zwei Beispielen in der Meso- (Landschaft) und Makroskala (Region) soll die Bedeutung von Ökosystemfunktionen im Sinne von (1 – Prozess) und (2 – Systembezug) erläutert werden.

Vertikaler Wandel ökosystemarer Prozesse – Höhenstufen

54

6.

Ökologische Funktionen und Prozesse

6.1 Der vertikale Höhengradient im Gebirge – Höhenstufen des tropischen Bergregenwaldes Tropische Hochgebirge sind gekennzeichnet durch einen typischen Höhengradienten, der im Vegetationskomplex wie auch im agrarischen Nutzungspotential zum Ausdruck kommt. Für die tropischen Anden Südamerikas existiert die in Tab. 8 aufgezeigte Abfolge typischer Höhenstufen (tierra caliente – tierra helada). Innerhalb der vielfältigen Ökoregionen Boliviens (n=43, Ibisch & Mérida 2004) beinhalten klimatisch-vegetationsgeographisch die Yungas die humide Höhenstufung der tierra templada und tierra fria mit den montanen und hochmontanen Bergregen- und Bergnebelwäldern der Andenostabdachung (Tab. 8). Die Kernzone umfasst damit nach Beck (1998) eine Höhendifferenz von 1200 m ü.M. bis 3400 m ü.M. (bosque hfflmedo montañoso u. bosque nublado) mit den angrenzenden Vegetationsstufen der Präpuna (Polylepiswald u. Paramo: páramo yungueño 3500–4200 m ü.M.) und des Tieflandsregenwaldes (tierra caliente). Tab. 8 Humide Höhenstufung der Andenostabdachung in den Yungas

Höhe ü. NN. Klima (Jahresmittel T, N) thermisch hygrisch tierra helada 4000 m

3000 m

Frostwechseltage A 100 10/128

500–900 mm

tierra fria

Landnutzung

Feuchtpuna

Extensive Weidewirtschaft

Präpuna/Polylepis

Bitterkartoffel, Oca, Quinoa, Gerste

Nebel-Bergwald subalpin

Getreide- und Obstanbau

16/188

Wolken- u. Nebelbildung 1500–2800 mm

tierra templada

1800–2300 mm

hochmontaner u. montaner Bergregenwald

22/248

2000–2700 mm

Kaffee, Coca, Orangen, Mais, Maniok, Bohnen, Mango, Papaya, Zuckerrohr

tierra caliente

1500–2000 mm

Tieflandsregenwald u. Beni-Feuchtsavanne

Reis, Mais, Maniok, Bohnen, Bananen, Zitrusfrüchte, Zuckerrohr, Pfeffer

2000 m

1000 m

Vegetation

(aus Gerold 2003)

Die Yungas gehören mit ca. 10.000 Gefäßpflanzenarten zu den artenreichsten Waldregionen der Erde („hot spot“ der Biodiversität, Barthlott et al. 1996, Myers et al. 2000). Generell verändert sich mit der Höhe gegenüber dem immergrünen Tieflandsregenwald: die Bestandshöhe nimmt ab (15–25 m, hochmontane Stufe bis 18 m, subalpine Stufe bis 10 m), Emergenten fehlen, Kauliflorie ist selten, Mikrophyllie der Blätter in der hochmontanen Stufe, sehr ho-

6.1 Der vertikale Höhengradient im Gebirge – Höhenstufen des tropischen Bergregenwaldes

her Epiphytenbesatz mit Orchideen, Bromelien u. Farnen im Kronenraum, epiphytische Nichtgefäßpflanzen im Bergnebelwald sehr häufig, deutliche Zunahme der Farnarten (ca. 1500), Zunahme des Endemismus (allein 20–30 Orchideenarten) (n. Beck 1998). Insgesamt ist eine Abnahme der Biomasse zur subalpinen Stufe hin gegeben. Ab 2600–2800 m (obere hochmontane Waldstufe) kommt es nach Bach (2004) zu einer deutlichen Veränderung in der Vegetationsstruktur und Vegetationszusammensetzung (Bestandshöhe von 18 m auf 5–10 m, Abnahme der Artenzahl, Ausfall von Pflanzenfamilien wie Araceae und Palmae, Abb. 17). Die Waldgrenze wird in ca. 3100 m ü.M. erreicht. Die Vegetationszusammensetzung, -struktur und ökologische Funktionen tropischer montaner Bergregenwälder ist im Zusammenhang mit zahlreichen abiotischen und biotischen Einflussfaktoren zu sehen, viele ökofunktionale Zusammenhänge sind bisher kaum bekannt und werden weltweit diskutiert (s. Beck et al. 2008). Im Rahmen eines interdisziplinären Projektes in den montanen Bergregenwäldern der Yungas Boliviens wurden die Zusammenhänge von Klima, Boden und Vegetation entlang eines Höhengradienten untersucht (Bach 2004, Gerold 2008b, Schawe 2005). Bei gleichen geologischen (Ausgangsgestein) und topographischen Bedingungen (Hangneigung, Exposition) stellt sich die Frage nach dem Einfluss klimatischer und pedologischer Faktoren auf den Höhenwandel von Waldstruktur und Artendiversität und ob damit klare Vegetationsgrenzen (Biodiversitätswandel) einhergehen. Stichwort

Ökosystemprozesse Tropischer Bergregenwald – Fragen/Begriffe 1. Wie ist der Wandel der Biodiversität der Pflanzengruppen mit dem Höhengradienten? 2. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Vegetationswandel und Klima- und Bodenparametern? 3. Existieren dominante Ökosystemfunktionen mit dem Höhengradienten? Yungas: Die Yungas sind in Bolivien eine Region parallel zum Ostrand der Cordillera Real und bilden den Übergang zwischen dem Hochland der Anden (Altiplano) (über 4000 m ü.M.) und dem tropischen Tiefland mit dem Amazonas-Regenwald (ca. 500 m). Biodiversität: Biodiversität ist die Vielfalt aller lebenden Organismen in allen Lebensräumen, terrestrische, marine, und andere aquatische Habitate, und der ökologischen Komplexe zu denen sie gehören, inklusive der Vielfalt innerhalb von Arten, zwischen Arten und zwischen Ökosystemen. a-Diversität: (Punktdiversität) beschreibt die Anzahl der in einem Habitat oder Biotop vorkommenden Arten (Artenreichtum). Zur Berechnung s. Shannon-Index, Evenness. b-Diversität: Ein Maß für den Unterschied in der Artenvielfalt zwischen verschiedenen in der Landschaft benachbarten Lebensgemeinschaften (Habitaten). Charakterisiert die Artenzahl im Vergleich von Lebensräumen entlang eines ökologischen Gradienten. Zur Berechnung s. Wilson-Shmida-Index.

55

56

6.

Ökologische Funktionen und Prozesse Endemische Arten: Arten, die nur in einer bestimmten, begrenzten Region vorkommen. BPP (Bruttoprimärproduktion): Bezeichnet in der Ökologie die Produktion von Biomasse durch die Produzenten, also Pflanzen, Blaualgen und autotrophe Bakterien mit Hilfe von Licht oder chemischer Energie aus anorganischen Substanzen. NPP (Nettoprimärproduktion): Repräsentiert die gesamte Biomasse, die von Pflanzen durch Photosynthese gewonnen wurde. Die Bruttoprimärproduktion abzüglich der Respiration der autotrophen Organismen ergibt die NPP. Litterproduktion: Bestandsabfall der Vegetation pro Zeiteinheit, der weitestgehend unzersetzt dem Boden aufliegt (Streuschicht, L-Horizont). C/N-Verhältnis: Beschreibt das Verhältnis der Gewichtsanteile von C und N (Pflanze, Boden) und ist ein Indikator für die N-Verfügbarkeit (Pflanze) oder Mineralisationsintensität (Boden). N-Mineralisation: Überführung von Stickstoff (N) aus organischen Verbindungen (z.B. Streu) in pflanzenverfügbare anorganische N-Verbindungen (NH4+, NO3–). Koi-Koeffizient: Quotient von Jahresstreueintrag (Bestandsabfall Laub und Holz) durch Gesamtmenge des OL-Horizontes (wenig zersetzte organische Auflage) (Zersetzungsrate). PCA-Analyse: Die Hauptkomponentenanalyse oder englisch Principal Component Analysis (PCA) ist ein Verfahren der multivariaten Statistik. Sie dient dazu, umfangreiche Datensätze zu strukturieren, zu vereinfachen und zu veranschaulichen, indem eine Vielzahl statistischer Variablen durch eine geringere Zahl möglichst aussagekräftiger Linearkombinationen (die „Hauptkomponenten“) genähert wird.

Abb. 17 Hypsometrischer Vegetationswandel mit ausgewählten Indikatorfamilien in den Yungas Boliviens (n. Bach 2004)

Nach den Ergebnissen von Bach (2004) geht zwar die Pflanzenartenzahl insgesamt mit der Höhe zurück (a-Diversität, Maximum in 1.900 m), viele Arten besitzen jedoch ein breites ökologisches Spektrum mit breiten höhenmäßigen Übergängen. Phytosoziologisch (qualitative Auswertung) und mittels Clus-

6.1 Der vertikale Höhengradient im Gebirge – Höhenstufen des tropischen Bergregenwaldes

57

teranalyse lassen sich jedoch drei Höhenstufen ausgliedern, die mit der Abfolge montaner, hochmontaner und subalpiner Bergregenwald übereinstimmen (1700–2400/2350–2850/A 2800 m ü.M.). Der Artenwandel (b-Diversität) wurde für 100 m- und 200 m-Höhendistanzen über den WILSONSHMIDA Index geprüft, mit zahlreichen Pflanzenartenhöhengrenzen (100 mDistanz). Nur wenige Höhen erwiesen sich jedoch übereinstimmend für alle Pflanzengruppen und im Vergleich zwischen den Methoden als Grenze einer signifikanten Änderung im Artengefüge. Unterhalb von 2300 m trat ein erhöhter Artenwandel auf. In der Hochlage (2700–3100 m) traten mehrere signifikante Grenzen nebeneinander auf (breite Übergangszone hochmontan/subalpin). Die b-Diversität erwies sich damit als abhängig vom räumlichen Maßstab der Aufnahmeintervalle (Einfluss kleinräumiger Varianz wie Auflichtung durch umgestürzte Bäume, Alter von Hangschutt und Boden). Die für alle Pflanzenartengruppen signifikante Höhengrenze in 2300 m ü.M. korreliert mit dem Kondensationsniveau (Maximum Flechten, Moose, Epiphyten im Übergang zur hochmontanen Stufe 2200–2400 m) und Übergang von den Bodentypen Braunerde (Humic Dystrudept) zu Podsol-Braunerden (spodic Dystrudept) und Pseudogley-Podsolen (Placaquods) (s. Schawe 2005).

Abb. 18 Hypsometrischer Bodenwandel und Kohlenstoffvorräte in den Yungas Boliviens (verändert n. Schawe 2005, Gerold 2008b)

Der Wandel von Vegetationsstruktur und Artenzusammensetzung sowie der Bodentypen mit der Höhe sind zwar integraler Ausdruck einer Vielzahl ökologischer Prozesse, die im Sinne der Differentialanalyse auf strukturellen Grundgrößen des Bergregenwaldökosystems beruhen; die Frage nach wichtigen ökologischen Funktionen im System kann jedoch nur im Sinne der komplexen Standortanalyse über die Quantifizierung geoökologischer Prozesse und deren

58

6.

Ökologische Funktionen und Prozesse

Zusammenhänge im Sinne des Systembezugs erfolgen. Für die Auswahl der zu analysierenden ökologischen Prozesse (hier Bezug hypsometrischer Vegetation-Bodenwandel) sind die aus aktuellem Forschungsstand und Literatur bekannten Zusammenhänge zunächst zu berücksichtigen, um daraus falsifizierbare Hypothesen für vermeintliche ökologische Schlüsselfunktionen (funktionale Kenngrößen) abzuleiten. Am Beispiel der tropischen Bergregenwälder wären dies (Auswahl, s. auch Beck et al. 2008): a)

biotische Interaktionen (Flora, Fauna) zwischen Organismen und Pflanzen-/Tiergemeinschaften (z.B. funktionaler Indikator Bestäubung, Samenverbreitung und Naturverjüngung, Rolle der Mykorrhizen im Nährstoffkreislauf) b) Wasser- und Stoffumsätze, dabei insbesondere biogeochemische Ökosystemprozesse mit: Biomasseproduktion (NPP), Kohlenstoffumsatz und -speicherung, Litterzersetzung und Mineralisation, Humus- und Bodennährstoffumsatz, Kernnährstoffcycling von N und P, Nährstoffbilanz Ökosystemforschung unter Berücksichtigung der räumlichen Varianz heißt immer Beschränkung auf Teilsysteme bzw. Netzwerke ökologischer Prozesse mit Berücksichtigung des landschaftlichen Rahmens (welcher Landschaftsausschnitt, wie strukturiert? Kap. 2, 4) und der anthropogenen Veränderung/Einflussfaktoren. Dabei bleibt vielfach offen, ob man im Sinne des „Funktionierens“ eines Ökosystems (Prinzip der Selbsterhaltung und Evolution) (s. Jax 2005) die richtigen Fragen und richtige Auswahl an Prozesskenngrößen getroffen hat. Das nicht ganz so komplexe Forschungsbeispiel zum hypsometrischen Klima-Vegetations-Bodenwandel in den Yungas (Gerold et al. 2008b, Schawe et al. 2010) folgte den Leitlinien: (1) Analyse der Struktur/Bestandteile des Bergregenwaldökosystems mit Klima, Vegetation, Boden und (2) Analyse ausgewählter funktioneller Kenngrößen und Interaktionen zur Ableitung ökologischer Schlüsselfunktionen.

Hypsometrischer Wandel ökologischer Kenngrößen

In großen Ökosystemforschungsverbünden (s. zum tropischen Bergregenwald Homepages von DFG-FOR 402 und DFG-PAK 823–825) kommen Feldexperimente, die Kopplung von Ökofunktionen mit der Bestandsstruktur über Modellierung und Fragen der nachhaltigen Nutzung oder Renaturierung gestörter Ökosystemteile dazu. Tab. 9 zeigt einige ausgewählte einfache Kenngrößen, die anhand der Klima- (T, rF, N/pET) und Bodenkenngrößen (pH, C-Vorrat) klar den hypsometrischen Wandel aufzeigen. Auf den Bereich vertikaler Wasserumsatz und

6.1 Der vertikale Höhengradient im Gebirge – Höhenstufen des tropischen Bergregenwaldes

59

Nährstoffbilanzen als ökologische Schlüsselfunktionen wird in Kap. 7 (Landschaftshaushalt) eingegangen. Mit dem vertikalen Temperaturgradienten (feuchtadiabatische Abnahme mit der Höhe) geht eine starke Zunahme der Niederschläge sowie Abnahme der Verdunstung in den innertropischen Bergregenwäldern einher (Tab. 9), was zu einem ganzjährig hohen Wasserüberschuss und damit wassergesättigte Oberböden im hochmontanen und subalpinen Bergregenwald führt (Gerold et al. 2008b). Kohlenstoff (C)- und Nährstoffumsatz sind gekennzeichnet durch eine deutliche Zunahme der Boden-C-Vorräte in der hochmontanen und subalpinen Stufe aufgrund der Mächtigkeit der organischen Auflage (s. Abb. 18) und Abnahme der Mineralisationsintensität mit der Höhe, sichtbar an der Zunahme des C/N-Verhältnisses. Altitudinal belt

LMF

UMCF I

UMCF II

SCF

Alitude (m a.s.l.)

a 2100

2100–2600

2600–3150

3150–3400

18

13

5–10

Mean canopy height 20 (m) Typical plant species

Elaphoglossum yungense, Miconia staphidioides

Hymenophyllum Terpsichore semihirsuta, verecundum Ceradenia miconia sp. comosa

Elaphglossum squamipes

Soil types (a. USDA 1998)

Humic Dystrudept

Typic Placaquod

Typic Durorthod

Typic Placaquod

pH (Ah) 0,01 M CaCl2

4,0

3,4

3,0

2,6

C/N (Ah)

12

12

25

28

Quotient Littervorrat 0,46 und Littereintrag 0,30 (koi -Jahre) für C/N/P 0,36

1,02 0,77 0,73

1,20 0,98 0,94

ECEC (Ah) cmol/kg

6,4

1,5

2,8

Rainfall/pET (mm/y)

2310/1190

3970/462

5150/403

Temperature (yearly average) Daily T-amplitude (average,oC)

16,8 9,8

12,8 6,6

10,0 5,9

Humidity (rF) (yearly average %) Daily rF-amplitude (average, %)

90,1 15,0

96,5 9,2

97,5 5,1

2,7

Obwohl die Litterproduktion bei montanem und hochmontanem Regenwald ähnliche Größenordnungen besitzt (s. Giambelluca & Gerold 2011), verlangsamen sich die Stoffumsatzprozesse im Oberboden (organische Auflage,

Tab. 9 Höhenwandel ausgewählter biotischer und abiotischer Kenngrößen in den Yungas (Bolivien, zusammengestellt aus Gerold 2008b, Bach 2004, Schawe 2005)

60

6.

Ökologische Funktionen und Prozesse

O-Hor. Zersetzung und Mineralisation) mit der Höhe, was an der mittleren Verweilzeit der Kernnährstoffe deutlich wird (koi). In den Yungas steigt der koi-Koeffizient um das 2,5–3,5-fache vom montanen zum subalpinen Bergregenwald an, was für Südecuador auch vor allem für N, P und S gefunden wurde (Wilcke et al. 2002). In anderen tropischen Bergregenwäldern wurde eine Abnahme von Litterzersetzung und organischem Bodenmaterialumsatz sowie Stickstoffmineralisation gefunden (Giambelluca & Gerold 2011), einhergehend mit Abnahme der Biomasse mit der Höhe. Dies gilt jedoch nicht für den P-Umsatz, der zwar auch mit der Höhe sich verlangsamt und die P-Blattgehalte mit der Höhe abnehmen, aber in den Gehalten im Oberboden kein Unterschied zwischen den Höhenstufen auftritt. So können die C/N-, C/P- und C/S-Verhältnisse (Stoffkonzentrationen) im O-Horizont als Indikator für die Humusbildungsprozesse als ökologische Funktion herangezogen werden (Giambelluca & Gerold 2011). In Südecuador und Bolivien erweitert sich das Verhältnis mit der Höhe für C/N, C/S signifikant, für C/P jedoch nicht. Aus den bisherigen Studien zum Nährstoffumsatz in tropischen Bergregenwäldern kann abgeleitet werden, dass sich die organisch gebundenen Makronährstoffelemente mit ansteigender Höhe bis zum subalpinen Bergregenwald verringern, ohne an absolute Mangelgrößenordnungen zu kommen. Dies geht einher mit einer Abnahme der Litter- und Bestandsniederschlagsnährstoffeinträge von N, S und P (Gerold 2008b). Um Indikatoren für den Zusammenhang von Biodiversität (Höhenwandel der Pflanzenartengruppen, Abb. 17) und Klima- und Bodenprozessen aufzudecken, wurden Korrelationen und eine PCA-Analyse zwischen Artendiversität (a-Div.) und zahlreichen abiotischen Parametern durchgeführt (Bach 2004, Schawe 2005). Tab. 10 Korrelation Artendiversität, Klimaund Bodenparameter im Höhenstufentransekt der Yungas (Gerold 2008b)

Parameter T (Mittel in 2m)

Pflanzenarten gesamt

epiphytisch

terrestrisch

0,96**

0,90**

0,9**

rF (Minimum)

–0,85*

–0,91**

–0,62

Bodenwassergehalt (O-Hor.)

–0,97***

–0,90**

–0,95**

0,84**

0,83**

0,79**

–0,71*

–0,67*

–0,72*

0,88**

0,88**

0,80**

–0,75*

–0,72*

–0,74*

Organische Auflage Nt C/N St C/S A-Hor. (PCA 1) Faktor Podsolierung

0,94***

Signifikanzniveau p = *** a 0,005; ** a 0,01; * a 0,05

0,92***

0,81**

6.1 Der vertikale Höhengradient im Gebirge – Höhenstufen des tropischen Bergregenwaldes

Die Tabelle zeigt im Ergebnis die hoch signifikanten Einflussgrößen mit bekannten (wie Temperatur) und neu erkannten Parametern (S t, C/S-Verhältnis, Bodenwassergehalt). So wird mit zunehmender Bodenwassersättigung im Oberboden im hochmontanen und subalpinen Bergregenwald (Gerold et al. 2008b) die Nährstoffaufnahme über die Wurzeln behindert, was mit der von Soethe et al. (2006, 2008) für Südecuador festgestellten Reduktion des Feinwurzelwachstums der Bäume mit der Höhe einhergeht. Bereits Leuschner et al. (2007) führte das exponentiell ansteigende Verhältnis von oberirdischer Biomasse zu unterirdischer Wurzelmasse mit der Höhe in Ecuador (1000–3000 m Höhengradient) auf eine Zunahme der Nährstofflimitierung zurück und das Erreichen der Wald-/Baumgrenze auf ein immer ungünstiger werdendes Verhältnis von oberirdischer zu unterirdischer C-Allokation. Bodenwassergehalt und der komplexe Faktor Podsolierung (Tab. 10) in den Yungas weisen auf die große Bedeutung des Bodenwasserhaushaltes als Ökosystemfunktion in Verbindung mit Temperaturabnahme und Verringerung der Nährstoffverfügbarkeit für den Höhenwandel von Waldstruktur, Biomasseabnahme und Artendiversität hin.

FAZIT: Stichwort

Wichtige ökologische Funktionen im tropischen Bergregenwald (Boden) Humifizierung über Indikatoren der C/N-, C/P-, C/S-Verhältnisse Zersetzung und Mineralisation – Intensität über koi-Quotient und C/N-Verhältnis C-Allokation – Indikation über Verhältnis oberirdische Biomasse zu unterirdischer Wurzelmasse (Zuwachs pro Jahr) Bodenwasserhaushalt über Andauer Staunässebedingungen (anaerob) im Jahr und Podsolierungsprozesse

Beispielhaft sind damit wichtige Ökosystemfunktionen des tropischen Bergregenwaldes im hypsometrischen Wandel (wie C-Umsatz u. -speicherung, Litterzersetzung u. -mineralisation, Bodennährstoffumsatz, Bodenwasserhaushalt) angesprochen und die Frage, welche Komponenten welche Funktionen für das Bergregenwaldökosystem besitzen, zum Teil beantwortet. Damit ist man aber immer noch weit entfernt von der Antwort, welche Ökosystemteile und/oder ökologischen Prozesse entscheidend für den Erhalt (i.S. der Selbstregulation) des Bergregenwaldes sind (s. STICHWORT – Ökosystemfunktionen 3.). Um dies weiter einzugrenzen, werden z.B. große Feldexperimente im südecuadorianischen Bergregenwald (wie Düngungs- und Aufforstungsexperimente) im Rahmen des Verbundprojektes PAK 823–825 (NUMEX) durchgeführt. Ferner können bei verfügbarer Parameterdatenbasis Modelle wie das

61 Ökologische Funktionen tropischen Bergregenwaldes

62

6.

Ökologische Funktionen und Prozesse

Kohlenstoffumsatzmodell (Century) zur Erklärung der räumlichen Varianz (hier Höhenstufenwandel) von NPP, C-Bodenvorrat, Stickstoffmineralisation eingesetzt werden (Heitkamp et al. 2012).

6.2 Der horizontale Feuchtigkeitsgradient in Patagonien im Steppen-Waldökoton Begriff Ökoton

Höhenstufen im Gebirge zeigen den hypsometrischen Wandel, wobei neben ausgeprägten Landschaftsgrenzen (wie Wald- und Baumgrenze) vielfach Übergänge als Grenzsäume existieren (s. Pflanzenartendiversitätsgrenzen Yungas Bolivien). Grenzsäume zwischen benachbarten Landschaftseinheiten oder Ökosystemen werden als Ökoton bezeichnet. Stichwort

Definition „Ökotone (Saum- oder Randbiotop) sind Zonen des Übergangs zwischen benachbarten Ökosystemen oder Landschaften, die besondere Eigenschaften aufweisen, welche von den Wechselwirkungen zwischen den benachbarten Systemen definiert werden“. (n. Steinhardt et al. 2005)

Zonal und regional bestimmen vielfach Feuchtigkeitsgradienten (Niederschlag und Bodenfeuchte) in den Trockengebieten der Erde ökologische Prozesse und Lebensformtypen der Vegetation und deren Übergang. Ein Beispiel für einen kontinuierlichen Übergang wie auch prägnanten Wechsel in ökologischen Parametern von der Halbwüste zum Nothofaguswald zeigt Abb. 19 mit einem Niederschlagsgradienten von 125 mm bis 770 mm Jahresniederschlag in Patagonien. Zwar steigt Biomasse und NPP aufgrund der Zwergsträucher Abb. 19 Der horizontale Feuchtigkeitsgradient und NPP in Patagonien (verändert n. Austin & Sala 2002)

6.3 Regionale Muster der Biomasseproduktion und Kohlenstoffspeicherung

63

von der Halbwüste zur Steppe hin deutlich an, die jedoch deutlich erhöhte Gesamtbiomasse (ober- und unterirdisch 2,66 kg m -2), das Wurzel/Sprossverhältnis und der Sprung im anorganisch pflanzenverfügbaren Stickstoffgehalt zeigen einen prägnanten Landschaftswandel von Halbwüste/Zwergstrauchsteppe zum Steppengrasland (Pampa, Jahresniederschlag 290 mm). Die nächste deutliche Ökosystemgrenze wird an allen Parametern zwischen Steppe und Waldsteppe und Nothofagus-Wald (Jahresniederschlag 770 mm) deutlich. Das heißt, die Zwergstrauchsteppe kann mehr als Ökoton zwischen Halbwüste und Steppengrasland interpretiert werden, während zwischen Steppe und Waldsteppe/Wald eine klare Grenze existiert, die wahrscheinlich durch Feuer, Beweidungseinfluss und historische Landnahme so scharf entstanden ist (Pfadenhauer & Klötzli 2014, Kasten 6-6).

FAZIT: Ökotone können dort ausgegliedert werden, wo die Veränderung von Landschaftsmerkmalen oder ökologischen Prozessen am größten ist. Dabei führt der interökosystemare Austausch (meist über laterale Prozesse mit charakteristischer Reichweite (Feuchtegradient in Abb. 19)) zu einer spezifischen Merkmalsausprägung im Ökoton, die sich von angrenzenden Ökosystemen unterscheidet. Eine zusammenfassende Diskussion zu Begriffsentwicklung und Merkmalen in der Verwendung des Ökotonbegriffes in heterogenen Landschaften ist gut in Schröder et al. (1997, IV-2.4 Kap. 2.2) dargestellt.

6.3 Regionale Muster der Biomasseproduktion und Kohlenstoffspeicherung Global (Ökozonen) und regional (Mesoskala, z.B. Steppen Eurasiens) sind Muster und Unterschiede in der terrestrischen Biomasseproduktion seit langem bekannt. Vor dem Hintergrund von anthropogen verursachter und z.T. klimatisch verstärkter Landschaftsdegradation (z.B. Sahelsyndrom, WBGU 1994, Kap. 2) wie der globalen Bedeutung der Nettoprimärproduktion der Vegetationsdecke (NPP) für den C-Kreislauf und CO2-Fixierung in Pflanzenwelt und Boden stehen verstärkt die Ökosystemprozesse NPP und C-Umsatz im Fokus zahlreicher Forschungsarbeiten (s. auch Turner et al. 2001, Schulze et al. 2010). Mit dem Einsatz der Satellitentechnik (AVHRR-täglich; 1,1 km Auflösung; SPOT-VGT-Daten10-tägig; ca. 1 km Auflösung; MODIS-10-tägig; 1 km Auflösung) erfolgten weltweit zahlreiche Arbeiten auf Basis des NDVI und Modellanwendungen (wie GloPEM, Prince & Goward 1995; MOD17A3, Running et al. 2004; BETHY-DLR, Niklaus 2013) zur räumlich-zeitlichen Entwicklung der NPP der Vegetation. So liefert das GloPEM-Modell auf der Basis von MODIS weltweite Daten zur NPP

Globale und regionale Dimension von NPP und C-Speicher

64

6.

Ökologische Funktionen und Prozesse

für den Zeitraum 1981–2000 (Prince & Goward 1995) und 2000–2010 (Numerical Terradynamic Simulation Group, Univ. Montana s. Zhao et al. 2006). Basierend auf MODIS ist die globale Verteilung der NPP interaktiv über das NASAErdobservatorium abrufbar (http://earthobservatory.na sa.gov/global). Diese über den NDVI-Index abgeleiteten Informationen über die photosynthetisch aktive Vegetationsdecke der Erde liefert nicht nur wertvolle Informationen und abgeleitete Parameter (wie LAI leaf area index, FPAR fraction of absorbed photosynthetically active radiation) für globale Modellierungen (z.B. Klimamodelle), sondern ermöglichte neue Erkenntnisse zur räumlichen Variation von Ökosystemstrukturen und -prozessen wie Pflanzenproduktion und organischer Kohlenstoffumsatz (s. z.B. Propastin et al. 2012). Die Kombination von Satellitendateninformation in Verbindung mit GIS (meist Rasterzellen) und Modellanwendung mit ergänzenden biophysikalischen Parametern ermöglicht eine großräumige detaillierte Darstellung von Ökosystemparametern (wie LAI, FPAR global, Zhu et al. 2013). Im globalen Maßstab wird die Übereinstimmung zwischen hoher oberirdischer Phytomasse, hohen LAI-Werten und hoher NPP der natürlichen Vegetation deutlich (s. Abb. 5.12 in Schultz 2008). Vergleicht man jedoch mit räumlich höher auflösenden Satelliten- (SPOT Vegetation) wie insbesondere Felddaten, so besteht zwar eine gute Korrelation, für einige Biome jedoch erhebliche Abweichungen (Tab. 11). Dies gilt insbesondere für die natürlichen Vegetationseinheiten Immergrüner Laubwald (Regenwälder), Savanne und temperierte Grasländer (Steppen). Gerade diese Biome stellen jedoch bedeutsame Landschaftsregionen für die C-Speicherung und Regulierung des regionalen wie globalen Kohlenstoffkreislaufes dar. Tab. 11 LAI, NPP und oberirdischer C-Vorrat ausgewählter Biome der Erde

Biom

GIMMS LAI3g

SPOT-Veg. LAI

NPP (kg m-2 Jahr)

C-Vorrat (kg m-2)

Immergrüner Laubwald

4,19

3,16

2,0–2,5

12–16

Trop. Savanne

1,51

1,17

0,5–3,0

4–12

Temp. Grasland

0,60

0,45

0,5–2,0

4–14

n. Schultz 2008, USDA Soil Organic Carbon Map 2007, Zhu et al. 2013 Satelliten- und modellgestützte Verfahren

Die Spannweite in der NPP und die Unterschiede im LAI (Tab. 11) machen deutlich, dass sowohl Sensortechnik wie räumliches Auflösevermögen der satellitengestützten Daten wie auch modellgestützter Verfahren (wie LAI3g) zu einer erhöhten Komplexität durch die beeinflussenden räumlichen Parameter führt (horizontale Differentialanalyse). Die seit den 1990er Jahren verstärkt durchgeführten empirischen Studien zur NPP und organischem Bodenkohlenstoffgehalt in Landschaftsregionen der Erde (z.B. Tab. 2 in WBGU 2009, Dixon et al. 1994) zeigen den Einfluss abiotischer Gradienten (wie Topographie, Bodentextur, pflan-

6.3 Regionale Muster der Biomasseproduktion und Kohlenstoffspeicherung

zenverfügbares Bodenwasser) auf die Ökosystemprozesse NPP und organischer C-Umsatz. Während der Einfluss makroklimatischer Parameter (wie Temperatur, Niederschlag) über NDVI-gestützte NPP-Modelle großräumig gut abgebildet wird, trifft dies bei landschaftsökologisch größeren Maßstäben nur noch eingeschränkt zu. Dazu ein Beispiel mit der Anwendung des Modelles BETHY/DLR zur großräumigen Bestimmung der NPP in Südafrika (Niklaus 2013). Das Modell selbst wie viele SVAT-Modelle berechnet die NPP (C-Assimilationsrate der Vegetation) als Funktion von: Niederschlag, Temperatur, Windgeschwindigkeit, PAR, LAI-Phänologie, pflanzenphysiologische Konstanten.

Stichwort

Fachbegriffe NDVI: (Normalized Differenced Vegetation Index) – Ein Vegetationsindex, berechnet auf Basis von Satellitendaten (z.B. NOAA-AVHRR-Sensor). Er korreliert mit der Bedeckung und Vitalität der Vegetation an der Erdoberfläche (s. auch EVI – Enhanced Vegetation Index). LAI: (Leaf area index, Blattflächenindex BFI) – Definiert als Blattfläche (m2) pro Bodenoberfläche (m2) (z.B. Buche im Sommer 6–8, Grasland 1–2). PAR: Photosynthetisch aktive Strahlung fPAR: Anteil der absorbierten PAR wetness index: (TWI = topographic wetness index) – Beschreibt den Einfluss des Reliefs (Hangneigung und Abflussareal oberhalb eines Reliefpunktes oder Rasterzelle) auf Abflussprozesse und Durchfeuchtung (s. Beven & Kirkby 1979). SVAT: (Soil-Vegetation-Atmosphere-Transfer Models) – Beschreiben physikalischdeterministisch die vertikalen Flüsse und den Austausch zwischen Boden, Vegetation, Wasseroberfläche und Atmosphäre (meist Umsatz von Energie und/oder Wasser). BETHY/DLR: Ein Biosphären-Energie-Transfer-Modell, das auf Rasterzellenbasis die BPP (Bruttoprimärproduktivität) und NPP (Nettoprimärproduktivität) der Vegetation simuliert (z.B. für Südafrika s. Niklaus 2013). MAXENT: Ein Modell zur Vorhersage der Verbreitung von Tier- oder Pflanzenarten auf der Grundlage punkthafter Verbreitungsangaben und zugehöriger Umweltparameter (Basis Maximuim-Entropie-Methode) (Habitatmodellierung s. Kap. 9).

65

Abb. 20 Vergleich des LAI3g mit gemittelten Feldmessungen von 6 Biomen nach GLCF (Global Land Cover Facility; Zhu et al. 2013)

66

6.

Ökologische Funktionen und Prozesse

Bei einem Vergleich in der Landschaftsskala (Mesoskala) von modellierten räumlich verteilten NPP-Werten und anhand von 236 Plot-Messungen (50660 m) ermittelten Biomassewerten im Krüger-Nationalpark Südafrikas existieren jedoch erhebliche Abweichungen (überwiegend Überschätzung der NPP) aufgrund der unterschiedlichen Bodenwasserspeicherung zwischen tief- und flachgründigen Böden (geringe Korrelationskoeffizienten, Niklaus 2013). Als Ursachen wird auch auf den Einfluss von Buschbränden, Beweidung durch die Tierwelt und nicht erfassten Bedeckungsgrad höherer Baumvegetation verwiesen. Tab. 12 Mittlere Parameter der Vegetationseinheiten im Zentraliran und Korrelation Niederschlag – NDVI (n. Hosseini 2013)

Vegetationstyp

Alpine Veg.

Sagebrush

Gypsophyte Halophyte

Mittlerer Jahresniederschlag (mm)

231,33

159,50

121,75

53,50

0,12

0,09

0,07

0,08

12,78

8,48

7,60

4,30

4,28

3,28

8,10

14,81

16,09

15,50

17,60

Mittlerer jährlicher NDVI Mittlere Vegetationsbedeckung % Mittlerer Bodenfeuchtegehalt (Vol. %) Mittlerer topographischer Feuchteindex (wetness index) Korrelation Jahresniederschlag-NDVI

24

0,64*

0,61*

0,55*

-0,34

*stat. signifikant auf p a 0,05

Wie in vielen Forschungen zu Trockengebieten der Erde konnte in einer Arbeit zum Weidepotential zentraliranischer Steppengebiete (Hosseini 2013) der dominante Einfluss des Niederschlags auf den Deckungsgrad der Vegetation (abgleitet über den NDVI) nachgewiesen werden (Tab. 12). Vegetationsbedeckung und Biomasse der Vegetation folgt dabei einem Relief-Niederschlagsgradienten von NO (350 mm) nach SW (50 mm) mit den Vegetationseinheiten alpine Steppe, Zwergstrauchsteppe zu gips- und salztoleranten Steppenformationen. Trotz geringer Niederschläge (ca. 50 mm, Halbwüste) beträgt die Vegetationsbedeckung im SW 10–15%, was nur über die edaphischen (Relief und Boden) Faktoren mit höherer Bodenwasserspeicherung und lateralem Zuschuss bei Niederschlag in den Gebirgsfußflächen erklärt werden kann (Hosseini 2013). Während der NDVI (abgeleitet aus NOAA AVHRR) die räumliche Verteilung von Vegetationsdeckung und Biomasse in der zeitlichen annuellen Varianz gut wiederspiegelt, liefert erst die Berücksichtigung abiotischer Gradienten mit Relief- und Bodenparametern (s. BWS, FRP) eine ausreichende Simulation des Verbreitungsgebietes zweier wichtiger Steppenweidearten der Artemisia-Gattung (Habitatmodellierung mit MAXENT) (Prinzipien der Habitatmodellierung s. Kap. 9).

6.3 Regionale Muster der Biomasseproduktion und Kohlenstoffspeicherung

Die Verknüpfung von GIS, Satellitenbildinformation, empirischer Felddaten (ground check) und Modellanwendung (LUE-Modell) zeigt die großräumige NPP- und C-Sequestrierungsmodellierung für die asiatischen Steppengebiete Kasachstans (Propastin et al. 2012). Die Analyse basiert auf folgenden Schritten (s. Abb. 21):

67 Methodik NPP- und C-Modellierung Steppen

Stichwort

Methodik zur NPP- und C-Modellierung (Steppenökosystem) 1. Ableitung des NDVI aus den Spektralinformationen der Satellitendaten von SeaWiFS/AVHRR 2. Verknüpfung von Landsat ETM+ Daten mit Plotmessungen im Feld zur Eichung und räumlichen Extrapolation von LAI- und fPAR-Daten 3. Pixelbasierte Modellierung der PAR in Relation zu Globalstrahlung, Bewölkung, Topographie 4. Pixelbasierte Berechnung der fPAR-Werte auf Basis von NDVI und fPAR-Plotdaten 5. Ableitung des regionalspezifischen LUE-Modellparameters en aus den Daten von NPP (Biomassefeldmessungen), fPAR und PAR 6. Die räumlich verteilte NPP (= Oberirdische Biomasse + Litterbiomasse + Wurzelbiomasse) wurde dann über die spezifischen Konstanten für Temperatur und Sättingungsdefizit der Luft (Klimadaten) vegetationsspezifisch variiert.

Abb. 21 Schema der NPP-Modellierung – Steppengebiet in Kasachstan n. Propastin et al. (2012)

Der jährliche Biomassenzuwachs (Trockengewicht) wurde mit dem Faktor 0,47 in Kohlenstoffäquivalent umgerechnet (g C m-2; s. Abb. 21). Der Jahresgang von gemessenen und modellierten NPP-Daten zeigte für eine Versuchsstation in der Trockensteppe Kasachstans eine gute Übereinstimmung (Propastin et al. 2012). Betrachtet man die Größenordnung global (wie MODIS oder GLOPEM) ermittelter oberirdischer C-Jahresspeicherdaten (z.B. Prairien mit AVHRR-Advanced Very High Resolution Radiometer; SeaWiFS-Sea-viewing Wide Field-of-View Sen400–500 g C m-2 yr-1, Turner et al. sor; NDVI-Normalized Difference Vegetation Index; NPP-Nettoprimärproduktion; PAR-Photosynthetisch aktive Strahlung; fPAR-Anteil der absorbierten PAR; en – LUE (Light Use Efficiency) in der 2006) im Vergleich mit den regional NPP; T-Temperatureffekt; dVP-Sättigungsdefiziteffekt geeichten und an Umweltparameter räumlich explizit angepassten NPP- bzw. C-Speicherraten in Kasachstan, wird die Überschätzung und Ungenauigkeit gerade inTrockengebieten gegenüber regional multifaktorieller Ansätze deutlich.

68

6.

Abb. 22 Jährliche C-Allokation für 2004 in Kasachstan mit (a) 4,63 km SeaWiFSDaten und (b) 30 m-Pixel Landsat ETM+ -Daten (aus Propastin et al. 2012)

Ökologische Funktionen und Prozesse

Fazit: Der Einsatz von GIS, Satellitenbildmonitoring und SVAT-Modellen liefert heute vielfache Methoden zur räumlichen Differenzierung wichtiger Ökosystemprozesse (wie NPP, oberirdischer C-Vorrat) und Simulation von Auswirkungen von Klimaänderungen (z.B. Niederschlagsänderung) auf die Biomasseentwicklung oder den Kohlenstoffkreislauf. Analyse und Vorhersage der Vegetationsverteilung, ihrer NPP und der C-Speicherung unter „Global Change“ (Klima- und Landnutzungsänderung) erfordert jedoch nach wie vor eine Falsifizierung und Kalibrierung der Modelle anhand räumlich distributiver Felddaten und Analyse geoökologischer Prozesse im regionalen Maßstab (Landschaftsskala) und damit der Landschaftsheterogenität (s. Propastin et al. 2012). n Wissens-Check

1. Beschreiben Sie mit je einem Forschungsbeispiel zwei übergeordnete Bedeutungen des Begriffes Ökosystemfunktion. 2. Erläutern Sie den Begriff Ökoton am Beispiel. 3. Erläutern Sie den Unterschied zwischen a-Diversität und b-Diversität. 4. Nennen Sie beispielhaft zwei wichtige Ökosystemfunktionen im tropischen Bergregenwald, die sich mit dem Höhengradienten deutlich ändern. 5. Welche methodischen Möglichkeiten gibt es zur großräumigen Bestimmung der NPP der Vegetation an der Erdoberfläche und was sind kritische Fehlermöglichkeiten? 6. Was ist unter einem SVAT-Modell zu verstehen?

Literaturhinweise Beck, E., Bendix, J., Kottke, I., Makeschin, F., Mosandl, R. (Hrsg.) (2008): Gradients in a Tropical Mountain Ecosystem of Ecuador. Ecological Studies 198, Springer-Verlag, 525 S. – Umfassende Darstellung der Ergebnisse aus dem interdisziplinären Forschungsprojekt zur Ökologie der tropischen Bergregenwälder in Ecuador. Inhalte zur Methodik der Erfassung von Ökosystemfunktionen und ihrer Rolle für die Selbstregulation des Ökosystems sowie zahlreiche disziplinäre geoökologische Feldmethoden und Ergebnisse zu einzelnen Prozessen sind dargestellt.

Literaturhinweise Jax, K. (2005): Function and „functioning“ in ecology: what does it mean? OIKOS 111:3, 641–648. – Sehr interessante Diskussion zu Definition und Bedeutung von „ecological functions“, wodurch zahlreiche Probleme bei der Begriffsverwendung in empirischen Studien resultieren. Ebenso werden Folgerungen für die Begriffsanwendung für die Praxis (messen von Ökosystemfunktionen) vorgestellt. Levia, D.F., Charlyle-Moses, D., Tanaka, T. (Hrsg.) (2011): Forest Hydrology and Biogeochemistry. Ecological Studies 216, Springer Series, 740 S. – Moderne Darstellung von Feldmethoden und Ergebnissen biogeochemischer Wasser- und Nährstoffflüsse in den Waldbiomen der Erde. Myers, N., Mittermeier, R.A., Mittermeier, C.G., da Fonseca, G.A.B., Kent, J., (2000): Biodiversity hotspots for conservation priorities. Nature 403, 853–858. – Grundlegende erste weltweite Bestandsaufnahme und Ausweisung von „hotspots“ der Pflanzen- und Tierdiversität einschließlich der endemischen Arten als Grundlage für weltweiten Naturschutz. 25 hotspots (1,4% der Landfläche, 44% aller Landpflanzen) sind gekennzeichnet durch eine hohe Konzentration endemischer Arten und hohe Verlustraten. Tropische Anden mit 6,7% aller endemischen Arten weltweit (ca. 20.000) gehören mit zu den wichtigsten hotspots. Zhu, Z., Bi, J., Pan, Y., Ganguly, S., Anav, A., Xu, L., Samanta, A., Piano, S., Nemani, R.R., Myneni, R.B. (2013): Global Data Sets of Vegetation Leaf Area Index (LAI)3g and Fraction of Photosynthetically Active Radiation (FPAR)3g Derived from Global Inventory Modeling and Mapping Studies (GIMMS) Normalized Difference Vegetation Index (NDVI3g) for the Period 1981 to 2011. Remote Sensing 5, 927–948. – Wissenschaftlicher Artikel zur Bedeutung und Anwendung langjähriger globaler Satellitenbilddatensätze für Vegetationsparameter (LAI, fPAR), die für biogeochemische Modellierungen eingesetzt werden (weltweite Verteilung von LAI und fPAR aufgezeigt). Diskutiert wird auch die Methodenkombination von GIMMS-, NDVI- und MODIS-Daten.

69

7. Landschaftshaushalt und Bilanzen (Wasserund Stoffumsatz) Überblick

W

as ist unter Landschaftshaushalt zu verstehen und welche Prozesse sind dabei zu betrachten? Anhand dreier komplexer Beispiele werden die Grundlagen der Erfassung von Landschaftshaushaltsprozessen und der Erstellung landschaftshaushaltlicher Bilanzen aufgezeigt. Dabei geht es um den Strahlungsund Wärmehaushalt (Stadtklima), den Wasserhaushalt in Einzugsgebieten und den Stoffumsatz in Einzugsgebieten und Uferökoton. Sowohl hydrologische Grundlagen (Was-

Betrachtung Landschaftshaushalt

serhaushaltsgleichung, hydrologische Prozesse) in Relation zur Raum-Zeitskala wie auch Prinzipien der Regionalisierung als Grundlage zahlreicher Modellanwendungen sind beschrieben. In 7.2 und 7.3 wird der Zusammenhang von Wasserumsatz und Stoffumsatz für das Prinzip der Bilanzierung am Beispiel erläutert. Die Bedeutung lateraler Wasser- und Stoffumsätze in der Landschaft wird am Beispiel eines Uferökotons in Schleswig-Holstein erklärt (7.4).

Überträgt man die Kompartimente und geoökologischen Prozesse (s. Tab. 4, Strukturelle Grundgrößen und Prozessgrößen) mit der Methodik der komplexen Standortanalyse (Kap. 3) auf Landschaftsareale, so kommt man zur sogenannten landschaftshaushaltlichen Betrachtung, die über die Bilanzierung wichtiger Umsatzprozesse im Landschaftskomplex Möglichkeiten ihrer Gesamtbilanzierung und damit Charakterisierung im Ökosystem eröffnet. Energetische und biogeochemische Prozesse im Landschaftshaushalt beschreiben den Umsatz von Energie, Wasser und Stoffen (gasförmig, gelöst, fest), wobei Bilanzen In-/Outputrelationen und Integrale des Prozessgefüges von Teilsystemen (z.B. Wasserhaushalt) erfassen. Stichwort

Definition Landschaftshaushalt kann definiert werden als: „Ein- und Austrag sowie vertikale und laterale Transporte von Energie, Wasser und Stoffen in einem Gebiet einschließlich der dabei stattfindenden Stoffumwandlungsprozesse. Diese Prozesse werden in ihren Abhängigkeiten von der geoökologischen Struktur (Relief, Boden, Vegetation, Gesteinsuntergrund) und der Nutzung betrachtet. Wichtig sind dabei Wechselwirkungen zwischen den Prozessen selbst und ihren beeinflussenden Faktoren“ (n. Martin et al. Lexikon der Geographie 2005).

7.1 Beispiel Stadtklima – anthropogen veränderter Strahlungs- und Wärmehaushalt

71

Als eine kleine räumliche Einheit des Landschaftshaushaltes kann ein lokales Einzugsgebiet betrachtet werden (s. Abb. 26). Bereits Leser (1997) bezeichnete hydrologische Einzugsgebiete als ideale geoökologische Raumeinheiten. Auch größere Landschaftsräume (wie z.B. Dünenökosystem, Steppen- oder Regenwaldökosystem) bis hin zum urbanen Stadtökosystem können haushaltlich betrachtet werden (s. Meso- u. Makroskala Kap. 2). Mit größer werdendem Bezugsraum ändern sich meist Art und Umfang der betrachteten Prozesse. Ob der Raum nach qualitativen Kriterien (z.B. Flussauenlandschaft – dominanter Parameter Überflutung; Differenzierung in Uferwall, Feuchtwiesen und Flutmulden, Weichholz-/Hartholzauenwald) oder statistisch-quantitativ (Rasterzellenhierarchie wie von 30 m Landsat ETM+, oder 4,63 km SeaWiFS-Satellitenpixel, Abb. 40) gegliedert ist, die Frage der Vergröberung („upscaling“) im regionalen Maßstab ist weiterhin eine Herausforderung landschaftsökologischer Forschung und betrifft insbesondere auch die Parameterwahl bei Modellanwendungen zum Landschaftshaushalt. Wichtige Prozesse des Landschaftshaushaltes sind: Stichwort

Landschaftshaushaltsprozesse – Strahlungs- und Wärmehaushalt – Wasserhaushalt einschließlich Bodenwasserhaushalt – Feststoffhaushalt mit Wasser- und Winderosion sowie kolluvialer Ablagerung – Laterale Stoffumlagerung einschließlich Stofftransporte in Oberflächengewässer (z.B. Eutrophierung) – Vertikaler Nähr- und Schadstofftransport in den Untergrund (z.B. Grundwassergefährdung) – Nähr- und Schadstoffverteilung in der Landschaft – Biotische Stoffproduktion (GPP und NPP) und C-Umsatz

Landschaftshaushaltliche Bilanzen (Energie-, Wasser-, Stoffbilanz) können eingesetzt werden, um den Zustand eines landschaftlichen Ökosystems zu beschreiben. Dazu notwendig sind meist die Arbeitsschritte Konzeptmodell, quantitative Analyse im Sinne der landschaftsökologischen Komplexanalyse und Modellierung (s. Analyse der NPP in der Trockensteppe Kasachstans, Abb. 21).

7.1 Beispiel Stadtklima – anthropogen veränderter Strahlungsund Wärmehaushalt Weltweit nimmt die Verstädterung und damit Veränderung natürlicher Landoberflächen zu. Damit verbunden ist eine seit den 1980er Jahren verstärkt untersuchte anthropogene Veränderung des Stadtklimas und der Lufthygiene

Strahlungs- und Wärmehaushalt

72

7.

Landschaftshaushalt und Bilanzen (Wasser- und Stoffumsatz)

(Schadstoffbelastung der Luft) in städtischen Ballungsgebieten (Endlicher 2012), die in ihren Auswirkungen (z.B. Wärmeinselphänomen, urbane Grenzschicht mit Schadstoffanreicherung wie Smog) auf einen veränderten Strahlungs- und Wärmehaushalt gegenüber dem Umland zurückgeht (Abb. 23). Abb. 23 Wirkung der städtischen Bebauung auf das Klima (Stadtklima) mit Aufbau der Stadtatmosphäre (verändert n. Breuste in Gebhardt et al. 2011)

Strahlungsbilanz

Vor allem bei Strahlungswetterlagen verändern die Faktoren Trübung, Baukörperstrukturen, Versiegelung, geringer Vegetationsbestand und anthropogene Wärmeenergieerzeugung die Komponenten der Strahlungs- und Wärmebilanzgleichung, sodass aufgrund veränderter Strahlungsflüsse plus anthropogener Energieerzeugung ein deutlich veränderter Wärmehaushalt gegenüber dem Umland gegeben ist. Abb. 24 zeigt dies schematisch für den Tagesgang der drei Wärmehaushaltskomponenten. Die verfügbare Strahlungsenergie (Q) wird in der Stadt vor allem in den Strom fühlbarer Wärme (Q H) und damit Temperaturerhöhung der bodennahen Luftschicht umgesetzt, während sie über einer feuchten Wiese vor allem über die Verdunstung (Strom latenter Wärme QE) verbraucht wird. Welche Komponenten der Strahlungsbilanzgleichung ändern sich vor allem in der Stadt und in welche Richtung (positiv Energiegewinn, negativ Energieverlust)? In der Tab. 13 wird deutlich, dass vor allem die langwellige atmosphärische Gegenstrahlung aufgrund von Trübung der Stadtatmosphäre (Aerosole) zunehmen, die langwellige Ausstrahlung in die freie Atmosphäre vor allem nachts und Reflektion der langwelligen Strahlung geringer ist und damit die atmosphärische Gegenstrahlung (langwellige Wärmestrahlung) deutlich zunimmt. Dieser Strahlungsbilanzüberschuss gegenüber dem Umland wird dann aufgrund der versiegelten Flächen mit Wärmespeicherung im Baukörper und

7.1 Beispiel Stadtklima – anthropogen veränderter Strahlungs- und Wärmehaushalt

73

verringertem Vegetationsbestand im Wärmehaushalt (Q = L + V + B) vor allem in den sensiblen Wärmestrom (L) mit Erwärmung der bodennahen Luftschichten umgesetzt (Temperatureffekt). Dazu kommt die anthropogene Wärmeenergieproduktion, was insgesamt zu dem sogenannten Wärmeinseleffekt der Stadt gegenüber dem Umland führt (s. Endlicher 2012). Faktoren der städtischen Energiebilanz

Städtische Einflussgrößen

Verringerte Globalstrahlung (I + D) (Direkte Son- Dunstglocke, Luftverunreinigung mit Trübung nenstrahlung + Diffuse Himmelsstrahlung) –20% Erhöhte langwellige Gegenstrahlung (G) +10%

Luftverunreinigung, größere Absorption und Reemission

Erhöhte Absorption kurzwelliger Strahlung (verringerte Albedo-kurzwellige Rückstrahlung RK)

Luftverunreinigung, Straßengeometrie mit Mehrfachreflexion

Verringerte langwellige Ausstrahlung (A) und langwellige Reflexion (RL)

Straßenschluchtgeometrie und Wärmespeicherung Baumaterialien

Anthropogene Wärmequellen – (Qa)

Siedlungs- und Verkehrsabwärme

Erhöhte Speicherung sensibler Wärme (L)

Baumaterialien – große Oberfläche und Wärmespeicherkapazität

Verminderte Evapotranspiration (latenter Wärmestrom V)

Baukörper, Oberflächenversiegelung

Erhöhung des sensiblen Wärmetransportes von unten und oben (L)

Wärmefluss innerstädtischer Flächen in der Stadthindernisschicht; Wärmeinsel der Stadtgrenzschicht

Tab. 13 Veränderung der Komponenten des Stadtklimas gegenüber dem Umland (Strahlungsbilanz Q = I + D –RK – A + G – RL + Qa) führen zum Wärmeinselphänomen

Verändert n. Kuttler in Sukopp & Wittig (1998) Abb. 24 Komponenten der Energiebilanz über einer Wiese und einem Stadtgebiet (Q = Strahlungsbilanz, QB = Bodenwärmestrom (B), QE = latenter Wärmestrom (V), QH = fühlbarer Wärmestrom (L)) (n. Hupfer & Kuttler 1998)

74

7.

Landschaftshaushalt und Bilanzen (Wasser- und Stoffumsatz)

Der Vergleich der Energiebilanzkomponenten am Beispiel der Stadt Vancouver (Bonan 2008) zeigt, wie die etwas höhere Strahlungsbilanz in einen deutlich höheren Anteil des fühlbaren Wärmestroms (QH = L) gegenüber dem latenten Wärmestrom (QE = V) und damit Temperaturerhöhung der bodennahen Luftschichten und weniger Verdunstung mit Wärmeenergieverbrauch (Abkühlung) umgesetzt wird. Abb. 25 Vergleich der Energiebilanzkomponenten zwischen Stadt und Umland (Sommertag Vancouver, n. Bonan 2008)

7.2 Landschaftswasserhaushalt: Wasserhaushalt und Wasserbilanz in einem Einzugsgebiet Landschaftswasserhaushalt

Energie-, Wasser- und Stoffumsatz kann standörtlich im Sinne der komplexen Standortanalyse (s. Kap. 3, topische Dimension) oder gebietsmäßig (chorische Dimension) betrachtet werden. Zu der gebietsmäßigen Betrachtung gehört die Analyse und Bilanzierung des Wasserhaushaltes von Einzugsgebieten, Seen und Grundwasserkörpern. Ziel ist es dabei, den Gebietswasserhaushalt zu quantifizieren und Gebietswasserbilanzen aufzustellen. Dabei stellt der Wasserumsatz die Grundlage für die Betrachtung von Stofftransport und Stoffumsatz dar. Die Gebietswasserbilanz ergibt sich aus der Bilanz der Hauptkomponenten Niederschlag (N), Verdunstung (V), und Abfluss (A) sowie der Speicheränderung (DS) bezogen auf ein Gebiet und einen Zeitraum. Je nach Zeitbezug ergibt sich die Wasserhaushaltsgleichung zu: (1) Mehrjährig/langfristig: N = V + A (R – B oder DS mehrjährig = 0) (2) Kurzfristig (z.B. 1 Jahr): N = EB + T + EP + AO + AI + AG + DS* * für DS vielfach auch DBf (Bodenfeuchteänderung) oder (R-B) (Rücklage – Aufbrauch)

7.2 Landschaftswasserhaushalt: Wasserhaushalt und Wasserbilanz in einem Einzugsgebiet

75

Der wichtige Prozess der Bodenwassersickerung ergibt sich aus der Differenz Niederschlagsinput und Verdunstungsaustrag plus Oberflächenabfluss und Interflow und bestimmt wesentlich die Bodenfeuchteänderung mit dem Basisabfluss (Grundwasserabfluss) als Austrag. Abb. 26 Konzeptschema eines Einzugsgebietes mit Wasserhaushaltskomponenten (verändert n. Wohlrab et al. 1992)

N – Freilandniederschlag, NB – Bestandsniederschlag, AET – Aktuelle Evapotranspiration, T – Transpiration, Ep – Pflanzeninterzeptionsevaporation, EL – Streuinterzeptionsevaporation, EB – Bodenevaporation, AS – Infiltration, AK – Kapillarer Wasseraufstieg, AO – Oberflächenabfluss, A – Gesamtabfluss, AI – Interflow (Zwischenabfluss), AG – Grundwasserabfluss, AUZ – Unterirdischer Zustrom, AUA – Unterirdischer Abstrom

Dargestellt sind die hydrologischen Prozesse in einem Wassereinzugsgebiet. Diese können nur zum Teil messtechnisch am Standort direkt erfasst werden, wie Niederschlag, Infiltration, Abfluss; während andere Prozesse wie AET, T, AI, AUZ und AUA nur mit sehr aufwendigen Methoden (wie Lysimetermessung für AET) oder physikalischen Berechnungsmethoden (AET über die pET – Penman & Monteith; AI aus bodenphysikalischen Modellansätzen) analysiert werden können. Bewährt hat sich die Differenzierung in In-/Output- und Transfergrößen, wie Freiland- und Bestandsniederschlag (Eintrag) und AET und Abfluss (Austrag). Infiltration kann sowohl als Transfergröße im Boden wie auch als Inputgröße (z.B. bei Betrachtung Tiefensickerung für Grundwasserneubildung) je nach Systemgrenzziehung betrachtet werden. Auch mit umfangreicher Geräteausstattung ist es kaum möglich, alle Prozesse des Wasserumsatzes im Gelände messend zu erfassen. Daher wird bei Wasserhaushaltsuntersuchungen zur Charakterisierung der Wasserbilanz oder einzelner hydrologischer Prozesse (wie Abflussentstehung – Hochwassergefährdung) vielfach ein Methodenmix mit Messung wichtiger In-/Outputgrößen (Grundgrößen z.B. Niederschlag und Abfluss), Strukturmerkmale bzw. Speichergrößen (z.B. Bodenwasserspeicherung, Interzeptionsspeicher) und Modellparametern (z.B. Interflowanteil) eingesetzt. Standörtlich kann der vertikale Wasserumsatz über ein Konzeptmodell mit den wichtigsten Kompartimenten und Wasserflüssen zwischen den Komparti-

Hydrologische Prozesse

76

7.

Landschaftshaushalt und Bilanzen (Wasser- und Stoffumsatz)

menten nach Wohlrab et al. (1992) dargestellt werden. Die Kompartimente stellen zeitvariante Wasserspeicher dar, die jeweils von hydroökologischen Prozessen gesteuert werden (Abb. 26; Wohlrab et al. 1992, S. 279). In der Tab. 14 sind die wichtigsten Prozesse aufgeführt. Zu den Messmethoden der Hauptkomponenten des Landschaftswasserhaushaltes mit Niederschlag, Verdunstung, Sickerung und Abfluss siehe die Tabellen in Wohlrab et al. (1992) (meteorologisch-hydrologische Messverfahren s. Foken 2006, Dyck & Peschke 1995). Tab. 14 Wasserhaushaltskompartimente (Speicher) und deren Prozesse

Kompartiment

Speicher

Prozess

Vegetationsdecke

Interzeptionsspeicher

Benetzung, Evaporation

Bodenoberfläche

Relief (Mulden etc.)

Oberflächenzu- und -abfluss und Durchlässigkeit

Wurzelraum

Ungesättigte Durchwurzelungszone/ Bodenspeicher

Infiltration, Bodenwasserspeicherkapazität, gesättigte Wasserleitfähigkeit

Undurchwurzelte Zone

Substratspeicher

Tiefensickerung, Porenraum, gesättigte Wasserleitfähigkeit

Grundwasserraum

Grundwasserleiter

Grundwasserneubildungsrate, Porenwasserleitfähigkeit, Grundwassergefälle, Zu- und Abstrom

Zusammengestellt nach Wohlrab et al. 1992

In der Wasserwirtschaft spielten z.B. für die Frage der Hochwassergefährdung wie auch hydrologischen Charakterisierung des Einzugsgebietes lange Zeit relativ einfache In-/Outputansätze für die Modellierung („Black Box Modellansatz“, s. Kap. 8.1) wie auch Wasserbilanz (N – A = Gebietsverdunstung mehrjährig) eine wichtige Rolle. Inzwischen werden verstärkt physikalisch basierte Prozessmodelle (deterministisches Modellkonzept) eingesetzt. Das Grundproblem bleibt jedoch in Verbindung mit dem landschaftsökologischen Konzept bestehen, wie man von vertikaler Prozesserfassung und Wasserumsatzbilanzierung (s. Kap. 3) zur flächendiskreten Aussage unter Einbezug der lateralen Wasserbewegungen kommt. Für die Einzugsgebietsbilanzierung erfolgt dies häufig über die Extrapolation vertikaler Umsatzwerte anhand statischer Ausstattungsgrößen (Differentialanalyse) wie Vegetation/Landnutzung und Bodendifferenzierung (s. Kap. 4). Je größer der Bezugsraum wird (z.B. von Mikro- zur Mesoskala) desto höher wird der Einfluss lateraler Wasserbewegungen und Verweilzeiten in den hydrologischen Speichern. Während in der Hydrologie die Analyse und Modellierung der Abflussprozesse einschließlich der Verweilzeiten und Speicherung des Wassers im Vordergrund steht, geht es in der Landschaftsökologie um die Analyse landschaftshaushaltlicher Prozesse (hier Wasserhaushalt), die auf der Grundlage

7.2 Landschaftswasserhaushalt: Wasserhaushalt und Wasserbilanz in einem Einzugsgebiet

Prozessanalyse

Prozess+Raum+Bilanz

Wasserbilanz

Raum/Zeit

Stunden-Tag

Tage-Jahre

> 20 Jahre

on-site

Bodeneigenschaften steuern vertikale Prozesse

Bodengesteuerte Wasserbilanz von Referenzflächen

Punktbezogene klimatische Wasserbilanz

Hang

unterirdisches Relief/ Substrat steuert laterale Prozesse

Bodenbeeinflusste Klimatische Wasserbilanz Wasserbilanz von Hängen von Hängen

Gewässer und Situation im EinzugsEinzugsgebiet gebiet (z.B. Relief, Landnutzung) und Uferbereich steuert Abflussprozesse

Relief, Vegetation/ Klimatische Wasserbilanz Nutzung und Boden be- von Einzugsgebieten einflusst die Wasserbilanz von Einzugsgebieten

Beispiel

Lysimeter, Hangeinzugs- V = N – A gebiet, Abflusskomponenten (z.B. Basisabfluss), Grundwasserneubildung

Tiefensickerung, Interflow, Hochwasser

einer bestimmten Raumausstattung (Kompartimente der Differentialanalyse) Raummuster, Landschaftsstrukturen und Landschaftszustände bestimmen. Beschreibung, Analyse und Modellierung von Prozessen, die großräumig in Landschaften wie hydrologischen Einzugsgebieten beim Wasser- und Stoffhaushalt ablaufen, ist Aufgabe und Herausforderung in der Landschaftsökologie. Die Nutzung von Detailinformationen/Daten von einer hochauflösenden Raumeinheit (wie Rasterzelle, Hydrotop mit standörtlichem vertikalen Wasserumsatz) für eine größere übergeordnete Raumeinheit (wie Einzugsgebiet) ist nicht nur eine Frage der Datenextrapolation, sondern beinhaltet Kernfragen der „Regionalisierung“ in der Landschaftsökologie (s. Steinhardt & Volk 1999). Ein Beispiel für die Regionalisierung zur Anwendung von Wasser- und Stoffumsatzmodell über die Aggregierung ist in Kap. 4 (Abb. 14) schematisch dargestellt. Stichwort

Regionalisierung in der Physischen Geographie Regionale Übertragung: Die regionale Übertragung oder die räumliche Verallgemeinerung einer Größe (Variablen), einer (Modell-) Funktion oder der Parameter einer (Modell-) Funktion. Sie zielt darauf ab, die räumliche Verteilung der für die Modellierung landschaftsökologischer, geomorphologischer, hydrologischer und meteorologischer Prozesse erforderlichen Modelleingabegrößen, Randbedingungen und Modellparameter in Abhängigkeit vom jeweils betrachteten Skalenbereich (mathematisch-physikalisch) zu beschreiben. Dies schließt den Transfer von Daten zwischen verschiedenen räumlichen Skalen mit ein. Haupttypen Interpolation: Generierung flächenhafter Datenfelder auf der Grundlage punktförmig verteilter Daten (z.B. Bestimmung der Temperaturverteilung in einem Gebiet auf der Basis von Messdaten eines Klimastationsnetzes) mithilfe von Interpo-

77 Abb. 27 Raum – Zeitskala und der Wasserumsatz – Wasserbilanz

Regionalisierung

78

7.

Landschaftshaushalt und Bilanzen (Wasser- und Stoffumsatz) lationsmethoden und geostatistischen Verfahren (z.B. Kriging, Thiessen-PolygonVerfahren, Inverse Distanzgewichtung). Bei der Interpolation erfolgt kein Skalenwechsel, da die Eigenschaften und der räumliche Bezug der lokalen Eingangsvariablen nicht verändert werden. Analogieschluss: Einfache Übertragung der an einer Lokalität erfassten Größe auf andere merkmalsgleiche Orte sowie auf Bezugsflächen mit ähnlichen Eigenschaften und gleichartigem prozessualen Verhalten durch Analogieschluss. Aggregation: Der für eine höhere Raumskala („upscaling“, z.B. Mesoskala) zu bestimmende Variablenwert wird aus räumlich stärker differenzierten Daten einer niedrigeren Raumskala (z.B. Mikroskala) erzeugt. Beispiele für einfache Aggregierungsmethoden sind Mittelwert- oder Summenbildung, ferner statistische Verfahren wie Clusteranalyse. Disaggregation: Der für eine niedrigere Raumskala („downscaling“, z.B. Mikroskala) zu bestimmende Variablenwert wird aus räumlich weniger detaillierten Daten einer höheren räumlichen Skala (z.B. Mesoskala) abgeleitet. Die Disaggregierung erfordert in der Regel zusätzliche Informationen über solche Größen, von denen die Verteilung und die Ausprägung der Werte einer auf niedrigerem Skalenniveau liegenden Zielvariablen abhängig sind (z.B. Rasterzelle bei Satellitenbildauswertung proportional auf Vegetation/nackter Boden aufgeteilt). Aggregierung und Disaggregierung sind mit einem Wechsel der Raumskala verbunden. (n. Martin et al. Lexikon der Geographie, 2005)

So erfordert die Analyse des Wasserumsatzes am Standort (Abb. 11, onsite) eine bodenhydrologische Bearbeitung mit bodenhydrologischen Kennwerten und Zustandsgrößen (wie Bodenwassergehalt, pF-Charakteristik, gesättigte und ungesättigte Wasserleitfähigkeit) und bei Modellanwendung mathematisch-physikalische Berechnung des vertikalen Bodenwasserflusses über die Darcy- oder Richards-Gleichung (s. Zepp 1999). Beim Übergang in die Raumdimension eines Hanges oder gar Einzugsgebietes steigt der Aufwand für die Gewinnung solcher bodenhydrologischen Kenngrößen vor dem Hintergrund der hohen kleinsträumlichen Variabilität von Zustandsgrößen (Bodenwassergehalt) und bodenhydrologischen Prozessgrößen (wie Infiltrationsrate) in Abhängigkeit von Topographie, Nutzung, Bodentyp, Bodenfauna enorm an. Daher nutzt man entweder sogenannte Pedotransferfunktionen, die anhand statischer Bodenkennwerte (Textur, Lagerungsdichte, Humusgehalt) z.B. über van Genuchten wichtige bodenhydrologische Prozessparameter wie Wasserleitfähigkeit für eine Bodenwasserhaushaltsmodellierung bereitstellen; oder generiert entsprechend dem Prinzip der horizontalen Differentialanalyse aus der GIS-Verschneidung von Relief, Boden und Vegetation sogenannte bodenhydrologisch relativ homogen reagierende Flächeneinheiten (Pedohydrotop, HRUs = Hydrological Response Units), für die dann repräsentative Parameterfunktionen zur Berechnung des vertikalen Bodenwasserumsatzes zugeordnet werden können (s. Kap. 8 Modelleinsatz und Bsp. Kap. 4).

7.2 Landschaftswasserhaushalt: Wasserhaushalt und Wasserbilanz in einem Einzugsgebiet

79

Dies löst noch nicht das Problem der Quantifizierung von Lateralabflüssen im Hang bzw. Einzugsgebiet, was über vereinfachte Ansätze (wie Bodenspeicherkaskaden mit Wasserleitfähigkeit und Hang- oder Grundwassergefälle) zur Abschätzung des Lateralabflusses (Interflow) bei Wasserhaushaltssimulationsmodellen zum Teil durchgeführt wird (Zepp 1999, Bronstert 1999). Ein konzeptionell ganz anderer Ansatz beim Skalensprung vom Punkt/ Parzelle (on-site) zum Einzugsgebiet (Abb. 26) beschreibt Zepp (1999) mit der empirischen Ableitung von Bodenfeuchteregimetypen zur Charakterisierung des Bodenwasserhaushaltes aufgrund von Geländekartierung und/oder Schätztabellen. Diese empirische Bodenfeuchteregimedifferenzierung erfordert Expertenwissen, ist nicht übertragbar, kann jedoch, ergänzt über digitale Reliefanalyse und/oder punktbezogene Bodenfeuchtemessungen, für die Anwendung von Wasserhaushaltssimulationsmodellen zur Berechnung längerfristiger Wasserbilanzen (Jahreszeiten, Jahre) genutzt werden (s. auch Peschke 1999 und Gerold et al. 1999).

Einfluss der Regenwaldrodung auf den Wasserhaushalt – ein Bilanzierungsbeispiel Als hydrologische Konsequenzen der Landnutzungsänderung mit Waldkonversion wird vielfach ein Rückgang der Niederschlagsspeicherung in der Vegetation (Interzeption) und der Verdunstung (Interzeptionsverlust und Transpiration) mit Erhöhung des Abflusses beschrieben. Dabei wird von einer erhöhten Abflussvariabilität, Zunahme des Oberflächenabflusses mit Hochfluten und des fluvialen Sedimenttransportes ausgegangen (z.B. Laurance 1998). In einer umfangreichen Literaturauswertung zu hydrologischen Konsequenzen der Regenwaldrodung hat Bruijnzeel (2004) die widersprüchlichen quantitativen Ergebnisse bisheriger Einzugsgebietsuntersuchungen beschrieben (Änderung der Wasserhaushaltskomponenten von Niederschlagsänderung?, Verdunstungsverringerung?, Abflusszunahme?). Die vor allem in außertropischen kleinen Einzugsgebieten (Australien, USA) festgestellte Korrelation zwischen Änderung der Waldbedeckung (%) und Jahresabflusssumme (Brown et al. 2005) kann von Bruijnzeel (2004) für die Tropen nicht generell bestätigt werden. Beim Landschaftswasserhaushalt stellt sich weiterhin die Frage, welchen Beitrag die unterschiedlichen Boden-/Vegetations-/Landnutzungsareale im Einzugsgebiet auf die Wasserhaushaltskomponenten haben (s. Gerold 2012a, Volk & Steinhardt 2004). Indonesien besitzt in den letzten Jahren weltweit mit -2,0%/a die höchsten Regenwaldentwaldungsraten durch Brandrodung. Im Rahmen des SFB STORMA (s. www.storma.de) wurden von 2000 bis 2009 die Auswirkungen fortschreitender Regenwaldrodung zugunsten von Kakao- und annuellen Kulturen (vor allem Mais) sowohl in Kleineinzugsgebieten (Mikroskala: Nopu 2,6 km2) wie auch in der Mesoskala (Gumbasa-Einzugsgebiet 1275 km2) sowohl experimentell (Messungen i.S. der landschaftsökologischen Komplexanalyse)

Regenwaldkonversion und Wasserhaushalt

Forschungsbeispiel Indonesien Wasserhaushalt

80

7.

Landschaftshaushalt und Bilanzen (Wasser- und Stoffumsatz)

wie auch mit Modellsimulationen (Anwendung WASIM-ETH, s. Kap. 8) untersucht (Gerold & Jungkunst 2011). Entsprechend dem Modell zum Wasserumsatz (s. Kap. 8, Abb. 32) wurde Instrumentierung, Messung der Parameter und Modellierung über WASIM-ETH durchgeführt (im Detail s. Kleinhans 2003). Die geoökologische Instrumentierung zur kontinuierlichen Messung und Analyse der Hauptwasserhaushaltskomponenten mit den Prozessgrößen von Niederschlag (Ombrometer), Verdunstung (über Berechnung über Meteorologieparameter Klimastation), Abfluss (3 Pegelstationen) und Bodenwasserspeicherung bzw. Sickerung (Bodenfeuchtemessung, Bodeneinstichlysimetermessung) ist in Abb. 28 dargestellt. Zu den Messmethoden und Datenauswertung sind die Details in Gerold (2012) und Kleinhans (2003) dargestellt. Das Unter-

Abb. 28 Untersuchungsgebiet Kleineinzugsgebiet Nopu mit Instrumentierung (o = Plotmessungen mit Niederschlag und Sickerwasser/Bodenlösungssammler) (n. Kleinhans 2003 u. Gutzler 2011)

7.2 Landschaftswasserhaushalt: Wasserhaushalt und Wasserbilanz in einem Einzugsgebiet

81

suchungsdesign folgt einem abgewandelten „paired catchment“-Ansatz mit dem Vergleich eines noch intakten oberen Regenwaldeinzugsgebietes (W3 in Tab. 15) und eines in Konversion (Regenwald zu Mais- und Kakaokulturen) befindlichen mittleren Teileinzugsgebietes (W2 in Tab. 15). Im Einzugsgebiet Nopu fallen ganzjährig hohe Niederschläge mit 2090 mm (trockenes Jahr) bis 3190 mm (Messzeitraum 2002–2009), die Jahresmitteltemperatur liegt bei 24,5 8C. In maximal 1–2 Monaten unterschreiten die Monatsniederschläge 100 mm. Ziele der experimentellen Untersuchungen im Einzugsgebiet Nopu waren (Gerold 2012): 1. 2.

Wie beeinflusst die Waldkonversion die Wasserbilanzkomponenten und den Abfluss? Welche Auswirkungen hat eine zukünftig fortschreitende Umwandlung von Regenwald in Kakaoplantagen auf den Abfluss (Landnutzungsszenarien)?

Bedingt durch die Kontrollschwäche und fehlendes Durchsetzungspotential der Nationalparkverwaltung nahmen am Rande des Lore Lindu Nationalparks die slash & burn-Aktivitäten ab 2003/2004 deutlich zu. Anhand von Satellitenbildern und der Vor-Ort-Detailkenntnis seit 2001 wurde die Entwicklung der Landnutzungsänderung von 2001 über 2004 bis 2007 quantitativ erfasst (Tab. 15). Jahr Landnutzung

W3

2001 W2

2004

Regenwald ha %

80,6 100

83,7 82,1

76,5 94,9

39,4 38,7

62,8 77,9

15,4 15,1

Sekundärwald ha %

5,0 4,9

3,0 3,7

30,5 29,9

8,5 10,5

22,0 21,6

Mosaik1 ha %

3,5 3,4

1,0 1,3

21,1 20,7

3,0 3,7

27,5 27,0

Kakao-Pflanzung ha %

7,4 7,3

0,03

7,0 6,9

1,4 1,7

23,0 22,6

Annuelle Kult.2 ha %

2,2 2,2

0

1,9 1,9

0,8 1,0

10,5 10,3

W3

2007 W2

W3

W2

Quelle: IKONOS 7.1.2001, Quick Bird 23.6.2004, Quick Bird 27.5.2007 1 Mischung aus Kakao, annuelle Kultur, Naturwaldflecken und Sekundärwald 2 Mischung aus annuellen Kulturen – meist Mais, Cassava, Erdnuss

Von 2001 bis 2004 nahm die naturnahe Regenwaldfläche bereits um 52% ab, sodass der Landnutzungsanteil am Teileinzugsgebiet W2 von 12,9% auf 29,5% anstieg. Nach 2004 erfolgte nochmals eine Abnahme von über 50% auf

Tab. 15 Waldkonversion und Landnutzungsentwicklung in den Nopu-Teileinzugsgebieten W2 und W3 von 2001 bis 2007 (W2 = 101,9 ha; W3 = 80,6 ha) (Gerold 2012)

82

7.

Landschaftshaushalt und Bilanzen (Wasser- und Stoffumsatz)

einen Regenwaldanteil von nur noch 15%, wobei nach 2004 vor allem die Umwandlung in junge Kakaopflanzungen stattfand. Mit der Abflusserfassung seit 2002 für die Teileinzugsgebiete W2 und W3 kann der Einfluss der Landbedeckung (Zunahme der Waldrodung) nicht als alleinige Ursache für Änderungen interpretiert werden. Bei in den ersten Jahren weiterhin hohen Infiltrationsbedingungen der Braunerden (Cambisols n. WRB-FAO 2006) auf den Brandrodungsflächen bedingen vor allem veränderte Interzeptions- und Transpirationsbedingungen mit Erhöhung des Bestandsniederschlags und der Bodenfeuchte die Abflussveränderungen. Zu berücksichtigen ist ferner die hohe Varianz der tropischen Jahresniederschläge mit einer Spanne von 2090 mm (W3-Teileinzugsgebiet; leichtes El Niño-Jahr 2004) und 3193 mm in 2007. Betrachtet man die Jahre mit ähnlich hohen Niederschlägen (2002, 2003, 2005, 2006, 2008), so steigt der Abflusskoeffizient in Teileinzugsgebiet W2 von 44% (2002/2003) auf 52% (2005) mit +240 mm, um dann noch einmal auf 63% (2008) anzusteigen (+340 mm) (Tab. 16). Dem steht im Teileinzugsgebiet W3 ein Anstieg von ca. 31–35% (2003/2005) auf 37% (2008) gegenüber. Bei vergleichbarem Jahresniederschlag (2005, 2006, 2008) ist absolut der Abfluss kaum angestiegen (Tab. 16). Damit liegt die absolute Abflusszunahme bei einer Reduktion der Regenwaldbedeckung von 82% auf 39% (2001–2004/2005 Tab. 15) im Bereich der Angaben von Bruijnzeel (2004, Fig. 2) mit 100–300 mm. Die weitere Waldkonversion auf 15% Deckungsanteil mit Abflussänderung von +580 mm (2003 zu 2008) befindet sich im oberen Wertebereich von Bruijnzeel (2004). Bei hohen Jahresniederschlägen (2005–2007) bleibt im Waldeinzugsgebiet der Hochflutabfluss mit 10 mm d–1 (Q5) stabil, während er im Konversionsgebiet ansteigt (Tab. 16). In niederschlagsreichen Jahren wie 2007 werden hohe Tagesniederschläge auch im Waldeinzugsgebiet aufgrund gesättigter Böden rasch in direkte schnelle Abflusskomponenten (oberflächennaher Interflow) umgesetzt (s. Gerold 2012a). Betrachtet man die Entwicklung der Hochflutereignisse (F 5 mm d–1) in beiden Teileinzugsgebieten, so wird die Tendenz erhöhter Abflüsse bei W2 durch die Waldkonversion bestätigt. Von 44–62 Tagen (2003, 2005) erhöhten sich die Hochwassertage pro Jahr auf 102 (W2, 2008), während W3 einen Anteil von 54 Tagen aufzeigt (2008) (Tab. 16). Betrachtet man die Gebietsverdunstung als Komponente der Wasserhaushaltsbilanz, so reduziert sich für das Konversionsgebiet mit heterogener Vegetationsbedeckung (s. Tab. 16) die Verdunstung gegenüber dem Regenwald (5 mm d–1) um ca. 1,5 mm d–1. Von 2005/2006 zu 2008 reduziert sich die Gebietsverdunstung noch einmal deutlich auf 2,8 mm d–1, was mit der verstärkten Umwandlung von Sekundärbuschflächen und annuellen Kulturen (Mais) in neue Kakaopflanzungen zusammenhängen kann (offene Bodenflächen mit geringer Vegetationsbedeckung).

7.3 Stoffhaushalt und Stoffbilanz – Nährstoffumsatz in einem Einzugsgebiet

83

FAZIT: Die Niederschlagsvarianz bestimmt als steuernder Inputparameter das Abflussgeschehen. Bei ähnlichen Jahresniederschlägen resultiert mit Waldrodung über die hydroökologischen Prozesse „Interzeptionsverdunstung, Transpiration, Bodenwasserspeicherung“ eine Zunahme des Abflusses (Abflusskomponenten) mit Erhöhung der Hochwassergefährdung. Die Jahresvarianz der Wasserbilanzkomponenten macht deutlich, dass bei landschaftshaushaltlichen Untersuchungen (hier Landschaftswasserhaushalt) möglichst mehrjährige Zeiträume für eine Bilanzierung notwendig sind. Jahr/Pegel Gebietsniederschlag N (mm)

Abfluss Q (mm)

aET (mm)

Qc Q5 Hochfluten (% von N) (mm d–1)* (n)**

2002/W3

2550

729

1821

28,6

9,2

33

2002/W2

2542

1138

1404

44,8

5,0

32

2003/W3

2734

849

1885

31,1

7,1

33

2003/W2

2579

1133

1446

43,9

4,4

44

2004/W3

2090

353

1737

16,8

2,2

0

2004/W2

2081

830

1251

39,9

2,8

0

2005/W3

2942

1032

1910

35,1

10,8

44

2005/W2

2645

1376

1269

52,0

5,2

62

2006/W3

2843

1049

1794

36,9

10,6

56

2006/W2

2682

1455

1227

54,3

5,3

113

2007/W3

3193

1356

1837

42,4

10,0

75

2007/W2

3013

1512

1501

50,2

6,8

74

2008/W3

2950

1096

1854

37,2

0,2

54

2008/W2

2726

1719

1007

63,1

7,2

102

Tab. 16 Wasserbilanzkomponenten Gebietsniederschlag (N), Abfluss (Q), Verdunstung (aET) und hydrologische Kennzahlen (Qc, Q5, Hochfluten) im Vergleich beider Teileinzugsgebiete W3 (Naturwald) und W2 (Waldkonversion) von 2002–2008 (Gerold 2012a)

* 5% der Tage im Jahr besitzen einen gleichen oder größeren Tagesabfluss ** Hochfluten bemessen am Pegelstand W3 = 0,10 m (4030 m3 d-1) und W2 = 0,13 m (9120 m3 d-1)

7.3 Stoffhaushalt und Stoffbilanz – Nährstoffumsatz in einem Einzugsgebiet Vielfach mit den Wasserflüssen verbunden sind die Umsätze mineralischer und organischer Stoffe, sowohl Nähr- wie Schadstoffe. Stoffbilanzen kennzeichnen daher den Umsatz (interne Transformation, In-/Outputbilanz) von Nährund Schadstoffen sowohl mit vertikalem Umsatz (s. Kap. 3) wie lateralem Um-

Nährstoffumsatz und Stoffbilanz

84

7.

Landschaftshaushalt und Bilanzen (Wasser- und Stoffumsatz)

satz (laterale Umlagerung mit Stofftransport in Oberflächengewässer, Seen) sowie den Feststoffhaushalt (z.B. fluviale Bodenerosion und -deposition, s. Kap. 8). Alle Stoffbilanzen setzen sich aus zahlreichen In-/Outputrelationen und Umsatzprozessen zusammen. Im globalen Maßstab stellt der Wasserkreislauf ein geschlossenes System dar (s. Gerold 2011, Kap. 14 in Gebhardt et al. Lehrbuch der Geographie, Schlesinger & Bernhardt 2013). Zu den wichtigsten globalen Stoffkreisläufen gehört der C-, N- und P-Kreislauf, wobei die biogeochemischen Nund P-Umsätze mit relativ kurzer Umsatzzeit (pro Jahr) nur einen sehr kleinen Teil der großen globalen Speicher mit langsamer Umsatzzeit (geologischer Zeitraum) darstellen. Dem steht die relativ starke Veränderung der labilen Kohlenstoffspeicher (Boden, Vegetation, Atmosphäre) mit der anthropogenen CO2Anreicherung (Treibhauseffekt) seit der Industrialisierung gegenüber (s. Schemata globaler C- und N-Kreislauf, Glatzel 2011 Kap. 14.3 in Gebhardt et al. Lehrbuch der Geographie; Schlesinger & Bernhardt 2013). Für die Umsatzprozesse von Energie, Wasser, Gas und Feststoffen im Landschaftshaushalt gilt in der regionalen Skala (Landschaft) eine hohe räumliche und zeitliche Variabilität in Abhängigkeit von Witterung, Jahreszeiten, stofflicher Ausstattung der Kompartimente und deren anthropogener Beeinflussung (z.B. Düngungsinput über Landnutzung, Veränderung der Landoberflächenbedeckung). Stoffbilanzen zur Bewertung der Stabilität von Ökosystemen (s. Definition Kap. 1, Fähigkeit zur Selbstregulation) müssen daher im Kontext der Zeitskala und Unsicherheiten bzw. Varianz der zugehörigen biogeochemischen Prozesse gesehen werden. Beispielhaft zeigt das Prozess-Korrelationssystem der Abflussbildung und Wassererosion die wichtigsten Wirkungsbeziehungen und Kapazitätsregler (Prozesse) sowie In- und Outputparameter (Abb. 35, s. auch Kap. 8). Als Bodenabtragsbilanz (Wassererosion) ist der Austrag ER (erodierter Boden) zu betrachten, was vielfach unter Annahme einer zeitlichen Invarianz der Bodenmächtigkeit als negative Verlustgröße (Austrag in t/ha, stofflicher Eintrag = 0) der Feststoffbilanz (on-site Verlust) betrachtet wird. Längerfristig (Zeitskala 101–103 Jahre) wäre Bodenneubildung (über Verwitterungsprozesse) und eventuell Staubeintrag als Input zu betrachten. Betrachtet man nur den Wasserpfad vom Niederschlagsinput (NI, NII) bis zum Feststoffaustrag (erodierter Boden, ER), so wird deutlich, dass für die Bodenabtragsbilanz die folgenden Hauptprozesse zu quantifizieren sind: IZ (Interzeptionsverlust – abhängig von Niederschlagsintensität und Vegetationsparametern), IK (Infiltrationskapazität Oberboden – abhängig von Bodenwassergehalt, bodenphys. Parametern), AOI (Oberflächenabflussintensität mit kinetischer Energie – abhängig von Bodenoberflächenparametern wie Rauigkeit), LÖ (Partikelablösung – abhängig von BEW = Erosionswiderstand), TRK (Transportkapazität Oberflächenabfluss – abhängig von AOI). Graphische Strukturmodelle zu einzelnen Teilsystemen des landschaftlichen Ökosystems sind in Leser (1997, Kap. 4.3 – wie z.B. Wirkungsgefüge

7.3 Stoffhaushalt und Stoffbilanz – Nährstoffumsatz in einem Einzugsgebiet

85

Klimasystem) dargestellt. Grundlage und Anforderung der Stoffbilanzierung ist die mengenmäßige Quantifizierung der In-/Output- und Transportprozesse pro Flächen oder Volumen und Zeiteinheit, wie zum Beispiel die Energiebilanzkomponenten in Watt oder Joule pro m 2 (s. Abb. 25), der Feststofftransport (Bodenerosion in kg pro m2 und Nährstofftransport in mg pro l (Nährstoffkonzentration), welche mit der Volumenmenge (z.B. Oberflächenabfluss in l) pro Zeiteinheit zu multiplizieren ist (= Nährstofffracht pro Zeiteinheit).

Fallbeispiel: Änderung der Nährstoffbilanz durch Regenwaldrodung im Einzugsgebiet Ähnlich wie bei der Wasser- oder Energiebilanz kann die Stoffbilanzierung in jeder Skala mit zunehmender Komplexität durchgeführt werden vom Punkt oder plot über Hangparzellen (Hangcatena) bis zum Einzugsgebiet (s. z.B. Kap. 7.2 – Regenwaldrodung und Wasserhaushaltsbilanzierung). Am Beispiel der Wasserhaushaltsbilanzierung mit dem Regenwaldeinzugsgebiet Nopu kann über die dort mehrjährig durchgeführten Konzentrationsmessungen im Abfluss des Teileinzugsgebietes Regenwald (Pegel W3) und Waldkonversionsteileinzugsgebiet (Pegel W2) (s. Tab. 17) der Nährstoffaustrag bestimmt werden. Auf Basis der abflussgewichteten Konzentrationen der Nährstoffe und der Abflussmengen (10-min. Auflösung) wurden die jährlichen Austragsmengen berechnet (Gutzler 2011, Tab. 17). Basierend auf den Freiland- und Bestandsniederschlagsdepositionsmessungen (Regenwald, Kakao) entsprechend der Methode der komplexen Standortanalyse für den vertikalen Nährstoffumsatz (s. Kap. 3) wurde der flächennutzungsgewichtete Nährstoffeintrag in das jeweilige Teileinzugsgebiet berechnet (Tab. 17). Damit ist mit dem Integral der Abflussinformation (Nährstoffkonzentration in Relation zu Abflussmenge, Tagesabflussmengen) und der Extrapolation der punkthaften Nährstoffdeposition in Bezug zum Vegetations-/Nutzungstyp-Flächenanteil auf den Flächeneintrag (Freiland- und Bestandsniederschlag) eine einfache In-/Outputbilanz für die beiden Teileinzugsgebiete möglich. Teileinzugsgebiet/Element

Ca

K

Mg

Na

NO3-N

PO4-P

Regenwald W3- Eintrag

49,0 (1,6)

169,2 (8,2)

14,1 (0,5)

28,9 (0,7)

0,6 (0,2)

21,2 (0,6)

W3-Austrag

167,4 (16,5)

34,3 (3,4)

44,6 (4,4)

35,8 (3,5)

1,0 (0,05)

0,6 (0,06)

Konversion W2-Eintrag*

16,1 (0,5)

61,6 (1,2)

5,9 (0,14)

20,7 (0,55)

0,6 (0,05)

7,5 (0,08)

W2-Austrag

388,6 (20,7)

90,0 (4,8)

111,0 (5,9)

155,1 (8,2)

4,1 (0,22)

2,1 (0,11)

* Flächengewichtet berechnet entsprechend der Nutzungstypen (s. Tab. 16) n. Gutzler 2011, Köhler 2013

Regenwaldrodung und Nährstoffbilanz

Tab. 17 Externe Nährstoffbilanz im Vergleich von Regenwald- (W3) und Regenwaldkonversionsteileinzugsgebiet (W2) in Nopu (Sulawesi-Indonesien) (Zeitraum 2007–2009, kg*ha-1*a-1) (in Klammern Nährstoffkonzentrationen volumengewichtetes Mittel in mg l-1)

86

7.

Landschaftshaushalt und Bilanzen (Wasser- und Stoffumsatz)

Vergleicht man die Abflusskonzentrationen zwischen W3 und W2, so wird deutlich, dass zwar die mittleren Nährelementkonzentrationen im gerodeten Regenwaldteileinzugsgebiet höher liegen, markante Unterschiede im Nährstoffaustrag ergeben sich jedoch über den Wasserhaushalt mit Zunahme des Abflusses nach Regenwaldrodung (vgl. Tab. 16) über die Frachten. Aus einer einfachen In-Outputbilanz („Black-Box-Methode“) lassen sich durchaus Rückschlüsse auf wichtige Prozesse des Landschaftshaushaltes (hier Nährstoffumsatz) ziehen. Während im Regenwaldteileinzugsgebiet nur für Ca und Mg die Austräge die Einträge deutlich übersteigen, haben sich im Konversionsgebiet (W2) vor allem die biotisch bestimmten Austräge in hohem Umfange gesteigert (K, N), sodass mit einer fortschreitenden Verarmung der Bodennährstoffreserven über die Tiefensickerung und den Abfluss gerechnet werden muss. Zur Vervollständigung der Nährstoffumsatzprozesse müsste der Eintragspfad Litterinput sowie Bodenaustrag über die Wurzelnährstoffaufnahme sowie Ernteverluste mitbetrachtet werden. Dazu kommen kompartimentinterne Translokations- und Speicherprozesse (z.B. Nährionenaufnahme und -abgabe (leaching) im Kronenbereich; Stickstoffumsatz im Boden), die die Flüsse (Bestandsniederschlagsan- bzw. abreicherung; Auswaschung von Nmin, Speicherung von org. N) verändern. Stichwort

Anforderungen an die Erstellung landschaftshaushaltlicher Bilanzen

FAZIT: – Bilanzen (Energie-, Wasser-, Stoffbilanz) erfordern eine sorgfältige konzeptionelle Planung über Strukturmodelle, Schemata von Wirkungsgefügen, ProzessKorrelationsysteme zur Ableitung der wichtigsten In-Output-Parameter und zu messenden Prozesse. – Bilanzen erfordern aufgrund der hohen zeitlichen Variabilität der biogeochemischen Umsatzprozesse, unterschiedlicher Verweilzeiten und steuernder Klimaparameter eine möglichst langfristig angelegte Messreihe (mehrjährig) und Auswahl von ökofunktional bedeutenden Prozessen je nach Untersuchungsgegenstand und -raum. – Vielfalt und Variabilität der geoökologischen Prozesse zwingt zur Vereinfachung und Bilanzierung über Schätzgrößen und Näherungswerten. – Bilanzen können gut im relativen Vergleich eines naturnahen und anthropogen veränderten Landschaftshaushaltes zur Abschätzung der Auswirkungen des menschlichen Eingriffs eingesetzt werden (s. Bsp. Regenwaldkonversion). – Immer mehr und detaillierter zeitlich und räumlich aufgelöst zu messen, ist meist aus finanziell-zeitlichen Gründen kaum möglich und führt auch inhaltlich vielfach nicht zu verbessertem Prozessverständnis und ökosystemaren Ergebnissen (s. kritische Betrachtungen von Hauhs & Lange 1996).

7.4 Wasser- und Stoffumsatz im Uferökoton Belauer See

87

Auch heute gilt immer noch (Neef (1967, S. 45): „Aber innerhalb eines so kompliziert aufgebauten Systems, wie es die Landschaft darstellt, ist die Ermittlung von Größenordnungen, Trends usw. schon ein gewaltiger Fortschritt der Erkenntnis.“

7.4 Wasser- und Stoffumsatz im Uferökoton Belauer See Landschaftshaushaltliche Bilanzen mit ihren wichtigsten ökologischen Prozessen werden vielfach über die Betrachtung ökosystemar interner In-Outputrelationen und Umsatzprozessen aufgestellt (s. Kap. 7.2). Dabei wird angenommen, dass Wechselwirkungen zwischen benachbarten Ökosystemen eine untergeordnete Rolle spielen. Landschaften sind jedoch vielfach heterogen zusammengesetzt und insbesondere durch anthropogene (wie Siedlungen, Straßen, Landnutzung, Emissionsquellen) wie auch natürliche Störungen (Extremereignisse, Sturmschäden, Hochfluten, Erosionsschäden) permanent oder zeitlich befristet geprägt. Damit treten laterale stoffliche und energetische Austauschprozesse zwischen Landschaftseinheiten auf, die in den Rand- oder Übergangszonen (s. Konzept der Ökotone 6.2) zu eigenständigen ökologischen Funktionen führen (z.B. Filter- und Pufferfunktion der Auenwälder gegenüber Nähr- und Schadstoffeintrag aus der Landwirtschaft ins Gewässer). Analyse und Berücksichtigung lateraler energetischer, hydrologischer und stofflicher Wechselwirkungen spielen insbesondere in der Angewandten Landschaftsökologie eine große Rolle als Grundlage für ökologische Planung, Landnutzungsmanagement, Wassereinzugsgebietsmanagement und Analyse landschaftsökologischer Funktionen (vgl. Mosimann Kap. 14.1 in Gebhardt et al. 2011). Im Rahmen des Verbundökosystemforschungsprojektes „Bornhöveder Seenkette“ in Schleswig-Holstein (Fränzle in Schröder et al. 1997) erfolgten umfangreiche Untersuchungen zu den Wasser- und Stoffflüssen zwischen forst- und landwirtschaftlich genutztem Einzugsgebiet und dem Belauer See. Messkonzept, -verfahren und Datenauswertung zur Ökohydrologie sind in Fränzle & Hörmann (in Schröder et al. 1997) dargestellt. Aufgrund der Gewässereutrophierungsproblematik stand insbesondere der Stickstoffumsatz im Vordergrund. Der Gewässer- oder Seezustand (Trophiegrad) ist dabei von der Einzugsgebietshydrologie mit den Wasserflüssen, vom Stoffhaushalt im Einzugsgebiet wie von den Transformations- oder Zwischenspeicherprozessen im Uferökoton (z.B. ungesättigte Bodenzone, oxische Grundwasserzone, Abb. 29) abhängig. Eine Charakterisierung der wichtigsten Wasserpfade vom terrestrischen Ökosystem (Wald- und Agrarökosystem) zum aquatischen Ökosystem (Belauer See) hinsichtlich stofflicher Umsatzprozesse ist in Kluge et al. (in Schröder et al. 1997) detailliert beschrieben. Für die Analyse der hydrologisch-stofflichen Funktion des Uferökotons sind folgende Wasserpfade zu betrachten (s. Abb. 29):

Laterale Stoffaustauschprozesse

Wasser- und Stickstoffumsatz im Uferökoton

88

7.

Landschaftshaushalt und Bilanzen (Wasser- und Stoffumsatz)

1. 2. 3. 4. 5.

Abb. 29 Funktionale Gliederung eines Uferökotons mit seinen Wasserpfaden (Belauer See) (verändert n. Kluge in Schröder et al. 1997)

Abb. 30 Mittlere Wasserflüsse im Uferökoton Belauer See (in 103 m3 a-1) (verändert n. Kluge in Schröder et al. 1997)

Stoffverlagerung an der Bodenoberfläche (Oberflächenabfluss) Stoffverlagerung durch Interflow und Sickerwasser Stoffverlagerung im Grundwasser Stoffaustauschprozesse im Feuchtgebiet/Uferökoton (Litoral) Stoffverlagerung in den See (Grundwasserspeisung).

7.4 Wasser- und Stoffumsatz im Uferökoton Belauer See

Die horizontale Landschaftsdifferenzierung (i.S. der Differentialanalyse Kap. 4) lässt sich anhand der Abb. 29 wie folgt beschreiben: Sublitoral und Litoral mit eine Flachwasserzone (Sublitoral – Schilfzone) mit dem Austritt von Grundwasserquellen, turbulenter diffuser Stoffaustausch Wasser-Sediment und uferparallele wellenbedingte Stoffverlagerung; und der Wechselwasserbereich mit lateraler Stoffzufuhr, diffusiver Stoffaustausch und wellenbedingte Stoffverlagerung; Feuchtzone mit nassem Uferfeuchtgebiet mit Grundwasserflurabständen a 0,3 m u. GF mit hydromorphen Böden, damit bei geringem Redoxpotential eine Nitratreduktion mit erhöhter Abgabe gasförmigen Stickstoffs (wie N2, N2O); und das wechselfeuchte Uferfeuchtgebiet mit Grundwasserflurabständen A 0,3 m u. GF mit stark schwankendem Grundwasserspiegel, Wechsel oxidativer und reduktiver Prozesse und Mischung vertikaler und lateraler Transportprozesse; der Hangfußbereich mit Stauwassermulden, lokaler Quellaustritte und „return flow“ (temporäre Wasseraustrittsstellen des Interflow bei intensiven Niederschlägen). Oberhalb schließt das durch vertikale Stoffumsatzprozesse gekennzeichnete ackerbaulich genutzte grundwasserferne Agrarökosystem an (Quellgebiet diffuser Stoffeinträge – wie Nitrat – und Bodenerosionsmaterial). Die semiterrestrische Uferzone wird durch landseitige Stoffeinträge sowie in Abhängigkeit von Grundwasser- und Seespiegelstand durch hydromorphe Bedingungen geprägt. Dabei besitzt sie eine hohe Puffer-, Filter- und Transformationsfunktion im Landschaftshaushalt mit: Bodensedimentfracht des Oberflächenabflusses (s. Abb. 30) wird durch Knickwälle am Hangfuß und lokalen Mulden zurückgehalten, damit verbunden auch partikulär gebundener Phosphor; biogeochemische Wirkung als Transformations- und Retentionsraum (z.B. für Nitrat mit Nitratreduktion). Eine Bilanzierung des Stoffaustausches zwischen Bellauer See und seinem Umland (hier entlang der Hangcatena Abb. 30) setzt die Erfassung der Wasserflüsse voraus. Mittels komplexer Auswertungen der Feldmessstationen (s. Fränzle u. Hörmann in Schröder et al. 1997) und Modellanwendungen (genutzte Modelle s. Kluge et al. in Schröder et al. 1997) konnten die Wassermengen der Abflusspfade (Oberflächenabfluss, Interflow, tiefes und flaches Grundwasser) berechnet bzw. abgeschätzt werden. Abb. 30 stellt für das Ostufer mit landwirtschaftlicher Nutzung die ausgetauschten Wassermengen (Zeitraum 1989–1993) dar. Der gesamte laterale Wasserzustrom in den See (Pelagial) wird von den oberflächennahen Grundwasserleitern (oxisches GW) mit Grundwasserquellaustritten im ufernahen Litoral und anoxischen tieferen Grundwassleitern (Direktzufluss in den See) geprägt (58% des Wasserzustroms ins Pelagial). Oberflächenabfluss und lateraler Zufluss aus der ungesättigten Bodenzone (Interflow, Drainagen), die vor allem den partikulären Stofftransport bestimmen, sind nur zu 2,5% am landseitigen Wasserzustrom beteiligt. Der Anteil von 40% am Wasserzufluss zum Seeufer (Litoral) aus dem Uferfeuchtgebiet zeigt die große Bedeutung des Uferökotons als Zwischenspei-

89

90

7.

Landschaftshaushalt und Bilanzen (Wasser- und Stoffumsatz)

cher und Puffer im Wasserhaushalt des Belauer Sees mit Einzugsgebiet. Mit 58% Anteil ist dies im breiten mit Erlenbruchwald bestandenen westlichen Uferfeuchtgebiet sogar noch größer (vor allem Kleingewässer und Entwässerungsgräben). Zur Ermittlung der Stoffflüsse (hier Stickstoff) vom oberen Einzugsgebiet zum See plus Eintrag über die vertikale Deposition (Atmosphärenpfad Niederschlag = bulk deposition) für eine landschaftshaushaltliche Bilanzierung müssen die Stoffkonzentrationen über einen längeren Zeitraum in den einzelnen Wasserpfaden und Kompartimenten (wie Bodenschichten) gemessen werden. Zwischen raum-zeitlichem Detailgrad zur Prozesserfassung (Messintensität, zeitliche Messintervalle) und dem Aussageziel (mittlere Stoffflussraten und ihre Varianz) müssen immer element- und raumspezifische Kompromisse getroffen werden, unter Berücksichtigung des Kosten- und Zeitaufwandes (charakteristische Häufigkeitsverteilung der Daten und raumspezifische Messstandortauswahl). Zur Beprobungsstrategie bei Landschaftsökosystemen (räumliche Repräsentanz, Hierarchiekonzept der Skalen, Datenextrapolationsmöglichkeit) siehe z.B. für das Ökosystemprojekt Bornhöveder Seenkette Fränzle & Hörmann (in Schröder et al. 1997). Tab. 18 gibt beispielhaft die Stickstoffkonzentrationen für Hauptwasserpfade mit ihren räumlichen und zeitlichen Variationskoeffizienten an. Betrachtet man die Wasserpfade mit höheren Stickstoffgehalten (wie Tiefensickerung, oxisches Grundwasser), so wird die hohe zeitliche und räumliche Varianz (45–60%) deutlich. Haupteinflussfaktoren sind die Landnutzung (Art und Düngungsinput) und der Grundwasserabstand. Ein Mittel zur Verdeutlichung der Schwankungsbreite der Stoffumsätze wären z.B. neben Häufigkeitsdiagrammen Box-plots. Gegenüber dem vertikalen Eintrag (Bodenwasser Acker 1,4 m Tiefe) und lateralen Eintrag (oxisches Tab. 18 Mittlerer jährlicher Stickstoffumsatz im Uferökoton Belauer See (in kg N a-1 und Mittlere Konzentrationen in mg l-1; verändert n. Tab. 9 und Abb. 11 in Kluge et al. in Schröder et al. 1997)

Stickstoffpfad

Fracht (kg N a–1)

N-Konz. (mg l–1)

CVs (%)*

CVt (%)**

80

1,7



30

Oberflächenabfluss

270

3,0

90

150

Interflow/Dränage

170

5,2

90

50

6700

16,2

40

35

20

15,2

50

50

17000

2,3

200

35

7200

17,2

60

45

320

0,9

200

125

Niederschlagsdeposition

Quellzuflüsse/Dränage (s. Abb. 30) Sickerwasser Durchfluss oxisches Grundwasser Hangfuß Durchfluss oxisches Grundwasser Feuchtzone Durchfluss anoxisches Grundwasser Feuchtzone * mittlerer räumlicher Variationskoeffizient ** mittlerer zeitlicher Variationskoeffizient

7.4 Wasser- und Stoffumsatz im Uferökoton Belauer See

Grundwasser) vom landseitigen oberen Einzugsgebiet (18000 kg N a -1) reduzieren sich die N-Konzentrationen im Uferökoton aufgrund der hydromorphen Böden mit N-Reduktion und der Verweilzeit (Transformationsprozess über die Zeit) im oberflächennahen Grundwasser und Dränagewasser erheblich (s. Tab. 18). Die höchsten Konzentrationen besitzen lokale Quellen, gespeist aus schnellem Interflow und oberstem schnellen Grundwasserleiter. Für das ältere anoxische Grundwasser mit minimalster N-Konzentration wurde eine Verweilzeit von ca. 20 Jahren ermittelt. Die Einzugsgebietsanalysen der Wasserpfade zeigten für die ungesättigten terrestrischen Kompartimente (ungesättigte Bodenzone, oxische obere Grundwasserleiter s. Abb. 29) und Wasserflüsse im Uferökoton (Abb. 30) hohe mikroskalige Variabilitäten in den NKonzentrationen (s. Tab. 18). Räumliche Ausdehnung, Landnutzung bzw. Naturnähe des Uferökotons (wie Erlenbruchwald mit angrenzendem Buchenwald auf der Westseite) bestimmen die Retentionswirkung gegenüber dem Stickstoffeintrag in das Litoral des Belauer Sees. Im schmalen Uferökoton erreichen 70% (Seewestseite) bis 80% (Seeostseite) der landseitigen N-Einträge ins Uferökoton das Seeufer (Litoral). Dabei sind die aus Wasserfluss und Konzentration ermittelten Frachten deutlich unterschiedlich mit 18000 kg N a-1 (landwirtschaftlich geprägte Ostseite) und 1900 kg N a-1 (Westseite). Mit 95% Anteil an den Eintragspfaden dominiert am Ostufer das oxische Grundwasser (Abb. 30). Es tritt im Uferökoton als Sickerwasseraustritte, lokale Quellen und Dränagewasser auf. Basierend auf den ermittelten Stickstofffrachten und den Standortbilanzen der repräsentativen Messfelder (i.S. der komplexen Standortanalyse) konnte die N-Bilanz für die Uferökotone erstellt werden (Tab. 18). Es überwiegt die Dominanz des lateralen Stoffumsatzes mit landseitigem Eintrag aus dem Einzugsgebiet gegenüber dem vertikalen N-Umsatz, sodass unter Berücksichtigung der internen Stickstoffumsätze im Uferökoton ca. 15,5 t N pro Jahr in den See (Litoral) eingetragen werden, während der See für seine Primärproduktion im Litoral (Schilfzone) nur ca. 1,5 t pro Jahr benötigt (n. Kluge et al. in Schröder et al. 1997). Stichwort

Ökotonkonzept und lateraler Stofftransport

FAZIT: – Die landschaftliche Vernetzung terrestrischer und fluvialer oder limnischer Ökosysteme (über z.B. Talauen, Seeuferökotone) führt zu vielfältigen lateralen Austauschprozessen, die über den Wasserpfad als laterale Stofftransporte analysiert werden. – Das Ökotonkonzept kann dabei zur raum-zeitlich geeigneten horizontalen Differenzierung der Landschaft eingesetzt werden, um repräsentative Messnetze auszuwählen und flächenbezogene Bilanzierung durchzuführen.

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92

7.

Landschaftshaushalt und Bilanzen (Wasser- und Stoffumsatz) – Räumliche Dimension (Arealgröße) und Lokalisierung wie Vernetzung der Wassertransportpfade bestimmen Verweilzeiten und Transformationsprozesse im terrestrischen Ökosystem und Uferökoton, und damit die resultierenden lateralen Frachten (hier z.B. Stickstofffracht). – Es existiert eine hohe mikroskalige wie zeitliche Variabilität in den Stoffkonzentrationen sowie Anzahl beteiligter ökologischer Prozesse, sodass je nach Problemstellung neben geostatistischen Verfahren der Datenauswertung auch mit plausiblen Schätzwerten gearbeitet werden muss. – Die pfadbezogene Bilanzierung (hier Wasserpfade) des Stoffumsatzes ermöglicht eine Bewertung, welche Umsatzprozesse und Eintragspfade dominant sind und gibt damit Hinweise zu Strategien der Vermeidung schädlicher Umweltauswirkungen (hier Seeeutrophierung) (Pfad-Bilanz-Analyse).

Die Beispielstudie hat die große Bedeutung eines naturnahen Uferökotons (mit Erlenbruchwald und Schilfgürtel) für die Reduktion des N-Eintrages in den See gezeigt. Durch entsprechende Renaturierungsmaßnahmen (Uferfeuchtgebiete mit naturnahen Erlenwäldern) und Einschränkung der schnellen Entwässerung sowie Aufgabe der intensiven Landnutzung im Randbereich des Sees mit Verminderung der Stickstoffüberschüsse (s. landseitiger Eintrag Abb. 30, Tab. 18 Quellzuflüsse/Dränage) könnten nach Kluge et al. (in Schröder et al. 1997) ca. 50% der Stickstoffeinträge reduziert werden. Zur Abschätzung der Wirkung möglicher Renaturierungsmaßnahmen oder Extensivierungsmaßnahmen in der Landwirtschaft werden vielfach Modellanwendungen in der Landschaftsökologie durchgeführt. n Wissens-Check

1. Begründen Sie, warum ein Einzugsgebiet eine gut geeignete räumliche Einheit für die Analyse von Wasser- und Stoffumsatzprozessen darstellt. 2. Benennen Sie drei in allen Skalen auftretende bedeutende Landschaftshaushaltsprozesse. 3. Welche Komponenten in der Strahlungsbilanzgleichung werden maßgeblich durch die Stadt verändert (geben Sie die Richtung der Veränderung an)? 4. Welche Hauptkomponenten in der kurzfristigen Wasserhaushaltsgleichung werden wie durch Waldrodung zugunsten von Ackerland verändert (Zunahme/Abnahme)? 5. Was ist unter der klimatischen Wasserbilanz eines Einzugsgebietes zu verstehen? 6. Nennen und erläutern Sie zwei Verfahren der Regionalisierung in der Physischen Geographie – wozu wird es eingesetzt (beispielhaft)? 7. Was ist bei der Bilanzierung von Energie-, Wasser- oder Stoffflüssen kritisch zu beachten? 8. Welche Wasserpfade sind bei einem Uferökoton zwischen See und angrenzendem terrestrischen System (Landnutzung mit Düngung) zu berücksichtigen und welche Wasserpfade bedingen den höchsten Stickstoffeintrag in den See (Stickstofffracht)?

Literaturhinweise

Literaturhinweise Bronstert, A., Carrera, J., Kabat, P., Lütkemeier, S. (Hrsg.) (2005): Coupled models for the Hydrological Cycle. Integrating Atmosphere, Biosphere and Pedosphere. Springer Verlag, 345 S. – Eine umfassende Zusammenstellung aktueller Forschungserkenntnisse zum globalen Wasserkreislauf, zu upscaling und downscaling für die Modellierung, zu Modellkopplungen und ihren „feedbacks“, zur Parametrisierung komplexer hydrologischer Systeme, zu SVAT’s und deren Validierung und zur Kopplung von Wasser- und Energieflüssen. Endlicher, W. (2012): Einführung in die Stadtökologie: Grundzüge des urbanen Mensch-Umwelt-Systems. UTBStuttgart, 272 S. – Das Mensch-Umwelt-System in der Stadt mit der Veränderung von Klima, Wasserhaushalt und Boden werden anschaulich dargestellt. Ferner werden Anforderungen der Stadtplanung aufgrund des globalen Wandels behandelt. Gerold, G. (2012): Wasserhaushalt in Regenwaldeinzugsgebieten – regionale Folgen von Landnutzungsänderung und „climate change“. In: Fassmann, H./Glade, Th. (Hrsg.) Geographie für eine Welt im Wandel. 57. Dt. Geogr.Tag Wien, 255–281. – Anhand von Forschungsergebnissen Darstellung der Konsequenzen von Regenwaldrodung für den Wasserkreislauf mit Feldanalyse und Modellierung. Kleeberg, H.B., Mauser, W., Peschke, G., Streit, U., Becker, A., Diekkrüger, B., Schwarze, R., Schumann, A.H. (1999): Hydrologie und Regionalisierung: Ergebnisse eines Schwerpunktprogrammes 1992–1998. WileyVCH, 477 S. – Generelle Darstellung des Regionalisierungsproblems und zahlreiche Beispiele seiner Lösung auf Modellebene, empirisch-statistischer Ebene, qualitatives Repräsentanzproblem und Anwendung der Regionalisierung für verschiedene hydrologische Modelle. Schlesinger, W.H., Bernhardt, E.S. (2013): Biogeochemistry. An analysis of Global Change. Academic Press, 688 S. – Lehrbuch zu den Grundlagen biogeochemischer Prozesse, zu den beteiligten Hauptkompartimenten Atmosphäre, Lithosphäre, Biosphäre und den globalen Wasser-, C-, N-, P- und S-Kreisläufen. Steinhardt, U., Volk, M. (1999): Regionalisierung in der Landschaftsökologie: Forschung-Planung-Praxis. Teubner Verlag, 404 S. – Dieses Buch behandelt das aktuelle, transdisziplinäre Thema der Regionalisierung in den folgenden fünf Themenblöcken: Upscaling von Prozessen und Standorteigenschaften, Ableitung dimensionsspezifischer Indikatoren für die Landschaftsbewertung, Regionale Bewertungs- und Bezugseinheiten, Landschaftsbewertungsverfahren auf regionaler Ebene, Akzeptanz regionaler Landschaftsbewertungsverfahren aus der Forschung bei relevanten Behörden. Darin auch Gerold: Regionalisierung und upscaling des Wasserumsatzes in Einzugsgebieten. Wohlrab, B., Ernstberger, H., Meuser, A., Solollek, V. (1992): Landschaftswasserhaushalt. Paul Parey, Hamburg, 352 S. – Immer noch aktuelle gut verständliche Grundlage zum Landschaftswasserhaushalt und seinen Komponenten.

93

8. Modelle in der Landschaftsökologie Überblick

M

odelle zum Landschaftshaushalt bis hin zur Modellierung des Klimasystems und gesamten Erdsystems werden zunehmend entwickelt und komplexer und decken einen weiten Bereich der Landschaftsökologie und Angewandten Landschaftsökologie ab. Dargestellt werden Modellkategorien und ihre Merkmale sowie Prinzipien der Modellentwicklung in der Landschaftsökologie. Beispielhaft wird das Prinzip eines Konzeptmodells am Wasserumsatz und dem Prozess-Response-System der Oberflächenabflussbildung und Boden-

Landschaft als abstrahiertes Modell

erosion aufgezeigt. Methodische Schritte von der Forschungsfrage bis hin zum Modell sind behandelt, einschließlich der Modellgütemasse. Am Beispiel der fluvialen Bodenerosion wird der Aufbau eines empirischen Modells mit der USLE/ABAG und eines deterministisch-physikalisch basierten Modells EROSION 3D behandelt. Letztendlich wird auf die Probleme der Kopplung von geoökologischen und sozio-ökonomischen Modellen mit der Entwicklung sogenannter dynamischer Landschaftsmodelle eingegangen.

Umsatz- und Bilanzuntersuchungen zum Energie-, Wasser- und Stoffhaushalt gehören zum methodischen Grundgerüst der Landschaftsökologie zur Erfassung des Landschaftshaushaltes in seiner räumlichen Ausprägung. Ein weiteres methodisches Grundprinzip resultiert aus dem Systemverständnis mit der Betrachtung der Landschaft als abstrahiertes Modell der komplexen Realität (gute Einführung zum System- und Modellbegriff in der Ökosystemanalyse s. Peters 1999). Dabei unterscheidet Mosimann (2011, S. 609, 610) in drei Gruppen: Holistische Modelle: Überblicksmodelle zu „was wird untersucht mit welchen grundlegenden Wechselwirkungen?“, z.B. Strukturmodell des homogenen Naturraumes, bioökologisches Ökosystemmodell (Leser 1997, Abb. 62 u. 44), Konzeptmodell Wasser- u. Stoffumsatz im terrestrisch-aquatischen Ökosystem (n. Müller 1999, Abb. 43). Kybernetische Konzeptmodelle: formuliert einen landschaftsökologischen Systemausschnitt mit seinen Abhängigkeitsrelationen zwischen den Systemelementen, z.B. Prozess-Korrelationssystem der Abflussbildung und Bodenerosion (Abb. 35). Diese Modelle bilden die Basis zur Quantifizierung landschaftshaushaltlicher Prozesse und Grundlage rechenbarer Simulationsmodelle. Ein Prozess-Korrelationssystem des Geoökosystems ist von Mosimann in Leser (1997, Abb. 63) erläutert. Teilprozesse sind vielfach quantifizierbar und als graphische Strukturmodelle in Leser (1997, Abb. 34, 37) abgebildet.

8.1 Ökologische Systemanalyse und Modelle – Prinzipien

95

Mathematische Modelle: Simulationsmodelle berechnen einzelne Prozesse und Systemzustände, leiten Prozessgrößen aus Basisdaten ab (Berechnungsalgorithmen) und simulieren Systemoutputgrößen (wie Abfluss) auf Grundlage von Inputparametern (wie Niederschlag) und systeminternen Regelungsprozessen (wie Interzeptionsverdunstung, Infiltrationskapazität u.a.) (s. Bronstert et al. 2005, Modelleinsatz in der Hydrologie). Simulationsmodelle werden in der Landschaftsökologie meist auf den jeweiligen Landschaftsausschnitt (z.B. Einzugsgebiet) angepasst und für Abschätzungen von Auswirkungen anthropogener Eingriffe in die Landschaft eingesetzt (z.B. Auswirkung von Waldrodung aufs Abflussgeschehen, s. Kap. 7, WASIM-ETH Modell).

8.1 Ökologische Systemanalyse und Modelle – Prinzipien Als zentrales methodisches Problem in der Landschaftsökologie gilt die Komplexität der Landschaft mit ihren vielfältigen ökologischen Wechselwirkungen und anthropogenen Eingriffen, sodass mit der Umweltmodellierung immer reduktionistische Ansätze (Verminderung der Parametervielzahl, Konzentration auf systemrelevante ökologische Prozesse) in Verbindung mit synthetisierenden (ganzheitlicher Ansatz) Funktionszusammenhängen verknüpft werden, um ein Gesamtbild der Systemeinheit zu liefern (s. Müller 1999, Hauhs et al. 2000). Allgemein kennzeichnen drei Hauptmerkmale den Modellbegriff (n. Peters 1999), hier bezogen auf das landschaftliche Ökosystem: 1. 2.

3.

Das Abbildungsmerkmal: Modelle sind Abbildungen oder Repräsentationen eines Landschaftsausschnittes bzw. eines Landschaftsökosystems. Das Verkürzungsmerkmal: Modelle erfassen nicht alle Attribute des Originals, wobei Modellentwickler und/oder -nutzer die für sie auf Basis des Wissenschaftsstandes relevanten Attribute (Auswahl von Systemelementen mit ihren Beziehungen, s. Abb. 31) auswählen. Es muss daher nachvollziehbar sein, für welche Zielsetzung das Modell definiert wurde und welche Eigenschaften (Elemente, Subsysteme, Relationen) im Modell abgebildet werden. Dabei tritt in der Ökologie jedoch das Dilemma auf, dass nicht unbedingt alle Eigenschaften des zu modellierenden Umweltsystems bekannt sind, d.h. Simulationsergebnisse von realen Umweltauswirkungen sich deutlich unterscheiden oder kausal abgeleitete Zusammenhänge auf unbekannte Prozesseinflüsse zurückgehen. Das pragmatische Merkmal: Modelle sind per se subjektiv (s. Punkt 2. – zielorientiert) und erfüllen für modellbenutzende Subjekte (z.B. Forscher) systemanalytische Funktionen, die nur für bestimmte Zeitintervalle, Ska-

Modellbegriff

96

8.

Modelle in der Landschaftsökologie

len und Funktionsbereiche Gültigkeit haben. Bei der Beurteilung von Modellen und Modellergebnissen gilt daher: „Was wird modelliert, für wen, für wann (Zeitraum) und wozu?“ Modelle dienen zur Vereinfachung der Realität für eine systemtheoretisch basierte formulierte Analyse komplexer Zusammenhänge (s. Steinhardt et al. 2005 S. 214). Die Modellperspektive in der Landschaftsökologie umfasst daher die ökologische Betrachtungsweise „Organismus – Beziehung – Umwelt“ (s. Odum 1998) in Verbindung mit dem räumlichen Ansatz des Landschaftshaushaltes, wobei Umwelt den Menschen mit seiner Nutzung mit beinhaltet. Stichwort

Aufgaben und Zweck der Landschaftsmodellierung – Formale Organisation und Strukturierung von Ideen, Daten und konkreten Landschaften (z.B. Konzeptmodell – Abb. 32, Vereinfachung der komplexen Realität) – Formaler Rahmen zum Vergleich zwischen Systemen und des experimentellen Designs von landschaftsökologischen Feldstudien (z.B. „Komplexe Standortanalyse“ Kap. 3) – Zum Verständnis von Interpolation, Parameterübertragung sowie up- und downscaling zwischen räumlichen Skalen – Analyse von realen oder hypothetischen Szenarien („was ist wenn?“, z.B. Klimaszenarien) – Prognose über Modellsimulation ausgewählter Szenarien oder Reanalysen (z.B. Klimaentwicklung je nach SRES-Szenario, IPCC 2013) – Abschätzung der Entwicklung von Landschaftsstruktur (z.B. Landnutzungswandel) und/oder Landschaftshaushalt (z.B. Wasserhaushalt) – Beitrag zum Verständnis komplexer ökologischer Systeme, insbesondere über längere Zeitskalen und größere Räume – Zur Unterstützung von Landmanagement und Landschaftsplanung

Abb. 31 Systembegriff und Eigenschaften von Systemen (n. Müller 1999)

Arbeitsschritte zur Modellbildung Neben empirischen Analysen („landschaftsökologische Komplexanalyse“) sind Modelle wichtige Instrumente der Ökosystemanalyse. Im Sinne der Systemtheorie (s. Steinhardt et al. 2005) behandeln Modelle Landschaftssysteme, die aus Teilsystemen mit ihren Elementen und deren Relationen auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen bestehen. Abb. 31 gibt schematisch strukturelle Grundlagen des Systembegriffs wieder.

8.1 Ökologische Systemanalyse und Modelle – Prinzipien

97

Die abstrakte Darstellung der Wechselbeziehungen im System, insbesondere bei der Gruppe der Konzeptmodelle (Prozess-Korrelationssystem, ProzessResponse-System), folgt vielfach den graphischen Symbolen, wie sie in Klug & Lang (1983) für die Geosysteme erläutert sind (zahlreiche Beispiele für Geo- und Biosysteme in Leser 1997, Kap. 4.3). Abb. 32 Systemdarstellung über graphische Symbole (verändert n. Klug & Lang 1983) und Modell zum Wasserumsatz (Hydrosystem)

Abb. 32 zeigt ein einfaches Konzeptschema zum Wasserumsatz, auf dem viele Wasserhaushalts- und Abflussmodelle basieren (wie SWAT, WASMOD, WASIM-ETH u.a.). Der Weg von der abstrakten funktionalen Darstellung (Konzeptmodell) zum rechenbaren, auf mathematisch-physikalischen Gleichungen basierenden Simulationsmodell führt über die Zusammenstellung notwendiger und bekannter Gleichungen, Formulierung neuer Gleichungen für die Modellelemente und Relationen zur Programmierung und Aufbau des Simulationsmodells. So wird im deterministischen Wasserhaushaltsmodell WASIM-ETH die Infiltration (Abb. 32) pro Bodenschicht in Anlehnung an die Theorie von Green & Ampt (1911) nach Dyck & Peschke (1995) wie folgt berechnet:   wf ls N na NI=ðKs1 Þ F¨ur NI A Ks gilt ts ¼ ¼ NI NI mit ts = Zeit des Sättigungsdefizits ab Beginn des Zeitintervalls (h); ls = Sättigungstiefe (mm); na füllbare Porosität (na = hs – h) (–); wf = Effektive Saugspannung an der Feuchtefront (~ 1000 na) (mm); NI = Niederschlagsintensität (mm · h-1); Ks = Hydraulische Leitfähigkeit bei Sättigung (mm · h-1)

98

8.

Modelle in der Landschaftsökologie

Die Infiltrationshöhe zum Zeitintervall ts ist: f(t) = ls N na = ts · NI (mm · h-1) Nach Bodenschichtsättigung erfolgt die Berechnung der kummulativen Infiltration für einen Zeitschritt t mit F(t): sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi   A ANA FðtÞ ¼ þ þ AB þ f ðtÞ N f ðtÞ 2 4 mit A = Ks (t – ts) B = f(t) + 2 · na · wf Schritte der Modellbildung

Allgemeine Schritte von der Forschungsfrage bis zur Modellbildung wurden von Müller (1999) in einer Graphik zusammengefasst (Abb. 33). Der Schritt zum Konzeptdiagramm beinhaltet die räumliche und zeitliche Definition der Systemgrenzen und die Identifikation der internen Struktur (Gliederung in Kompartimente oder Subsysteme, Definition der Speicher, Regler und Relationen/Prozesse) sowie der antreibenden Kräfte (Inputparameter) und die gewünschten Ausgabegrößen (Output). Mit dem Einsatz des Simulationsmodells (Computerlauf) nach der Parameter- und Datenaufbereitung ist zunächst eine Verifikation und Sensitivitätsanalyse notwendig, zum Test, dass Modellannahmen, Parameterauswahl und Parameterwertezuweisung plausibel sind und keine logischen Fehler enthalten. In Abhängigkeit von Modelltyp, Parameterund Datenverfügbarkeit ist die raum-zeitliche Auflösung und Datengenauigkeit zur Modellanwendung zu definieren. Mit der Sensitivitätsanalyse werden vielfach modellsensitive Parameter (z.B. Ks bei Wasserhaushaltsmodellen) oder nur über Schätzfunktionen ableitbare Parameter über einen breiten Wertebereich im Hinblick auf ihren Einfluss auf den Modelloutput getestet. Hier kommt zum Teil die Monte-Carlo-Simulation zum Einsatz. Die Kalibrierphase stellt einen meist sehr zeitaufwendigen Schritt dar (iterativer Prozess), da Modellparameter in ihrer Wertezuweisung angepasst/verändert werden, um eine möglichst gute Übereinstimmung von simulierten zu gemessenen Outputdaten (z.B. Abfluss) zu erreichen (Tests anhand von Messwerten/Daten, Abb. 33). Um die Güte der Modellanwendbarkeit zu testen, muss dann mit einem unabhängigen Datensatz (z.B. über den „split sample test“) die Prognosegüte getestet werden, wobei das kalibrierte Modell ohne Änderung seiner Parametereinstellungen getestet wird. Unterschiedliche Modellgütemaße kommen je nach Modelltyp und -inhalt beim Schritt der Kalibrierung und Validierung zum Einsatz. Dies kann z.B. bei der Wasserhaushaltsmodellierung (Abflussprognose) über den graphischen Vergleich der Abflussganglinie, die Modelleffizienz nach Nash & Sutcliffe (1970) mit dem Korrelationskoeffizienten R2 und Übereinstimmungsindex d durchgeführt werden. Entsprechend der Problemstellung erfolgt als letzter Schritt die Simulation entsprechend der Szenarien bzw. veränderter Inputparameter (z.B. welche Wasserhaushalts-

8.1 Ökologische Systemanalyse und Modelle – Prinzipien

änderung und Abflussänderung nach Waldrodung?) mit Ausgabe der Simulationsergebnisse. Auch hier sind Testmethoden wie z.B. die „Prognose-Unsicherheits-Analyse“ (Doherty 2004) einsetzbar, um zu bewerten, ob und wie die Modellsimulation unterschiedliche Schlüssel-Outputgrößen für verschiedene optimierte Parameterdateien liefert. Modelle beschreiben somit die Organisation funktionaler Prozesse und struktureller Veränderungen, die aufgrund von Wissensstand und Annahmen (Hypothesensysteme) gebildet werden (z.B. Wasserhaushaltsmodell). Um formulierte Zusammenhänge (z.B. „Regenwaldrodung führt zu stärkerem Abfluss und Hochwassergefährdung“) prüfen zu können, müssen Modelle quantifizierbar sein oder entscheidbare qualitative Aussagen liefern. Ein Vergleich zwischen real gemessenen Verhältnissen und simulierten Abläufen ermöglicht erst die Hypothesenprüfung. Simulationsergebnisse auf der Grundlage von Szenarien (z.B. Klimaänderung aufgrund des Treibhauseffektes bei unterschiedlichen sozio-ökonomischen Szenarien – SRES n. IPCC 2013) stellen daher immer plausible Wahrscheinlichkeitsaussagen dar.

Modellkategorien: Je nach verfügbarem Datenbestand, Wissen und gewünschtem Differenzierungsniveau sowie räumlicher Skala werden ganz unterschiedliche Modelltypen eingesetzt. Dabei kann nach den Kriterien Durchschaubarkeit, deterministisch-statistischer oder konzeptioneller Hintergrund gegliedert werden (Steinhardt et al. 2005, Tab. 5.8-2). Komplexe Prozessmodelle wie zum Beispiel Wasserhaushaltsmodelle (SWAT, WASIM-ETH) oder Bodenerosionsmodelle (EROSION 3D) stellen meist eine Kombination aus den Kategorien der Modelltypen in Tab. 19 dar. So besitzt das weltweit angewandte SWAT-Wasserhaushaltsmodell (s. Gassmann et al. 2007), das zur Abschätzung des Einflusses von Landnutzungsänderungen und Bewirtschaftung auf Wasser, Boden und Nährstoffaustrag in Einzugsgebieten entwickelt wurde, die folgenden Eigenschaften: Distributive Parameter (räumlich differenziert auf Vektor- oder Rasterbasis), konzeptionell (systemtheoretisch) mit aufgebaut (HRUs = Hydrologic

99

Abb. 33 Schema der Modellbildung – vom Forschungsziel zum Simulationsmodell (verändert n. Müller 1999)

Modelltypen

100

8.

Tab. 19 Modelltypen und ihre konzeptionellen Grundlagen (verändert n. Steinhardt et al. 2005)

Modelle in der Landschaftsökologie

Modelltyp

Modellkonzeption

Modellbeispiel

Deterministisch

Beschreibung der Ursache-Wirkungsbeziehung, die räumlich und zeitlich genau definiert ist: mathematisch-physikalisch oder algebraisch (Logikregeln) formuliert

Horton „overland flow“: NiederschlagInfiltration-Oberflächenabfluss Beziehung; DNDC-Modell zur Simulation des C- und N-Umsatzes im Boden

Statistisch

Über statistische Verfahren abgeleitete Ursache-Wirkungsbeziehung; Wahrscheinlichkeitsbeziehungen

Statistisch-stochastische Generierung von Niederschlagsfeldern aus Wetterlagen; PARETO-Optimierungsverfahren (z.B. NSGA-II); Monte-Carlo-Simulation

Empirisch

Erfahrungswerte und/oder Messungen; nicht übertragbar

USLE/ABAG = Allg. Bodenabtragsgleichung n. Wishmeier-Smith; Surface Runoff Curve Number SCS (Oberflächenabfluss aufgrund hydrologischer BodenVeg.-Gruppen)

Physikalisch

Prozessbeschreibung auf Basis physikalischer Gesetze und math-phys. Formeln

DARCY-Gleichung (Durchfluss ist proportional zum hydraulischen Gradienten); kritischer Impulsstrom im Erosionsmodell E2D/E3D; Wasserhaushaltsmodell WASIM-ETH

SystemMesswerte für Modelleingangs- u. theoretisch -ausgangsgrößen gegeben oder Übertragungsmethoden bekannt

Einheitsganglinie für NiederschlagsAbflussbeziehung (Unit-Hydrograph)

Response Units), deterministisch (Prozess-Wechselwirkungsbeschreibung Niederschlag – Abflussbildung). Vielfach wird bei Modellen noch nach der Art der Systemerfassung unterschieden, mit: Black Box Modell: Gesamtsystem wird als Einheit betrachtet, lediglich die In- und Outputgrößen werden erfasst (z.B. N-A-Modell; Abfluss wird als Reaktion auf Niederschlagsinput für einen Einzugsgebietstyp berechnet). Grey Box Modell: Teile der systeminternen Parameter sind prozessmäßig beschrieben (physikalisch) und in Beziehung zu In- und Output des Systems gesetzt (fast alle landschaftsökologisch orientierten Modelle). White Box Modell: Alle Systemelemente und ihre Relationen (s. Abb. 31) mit ihren In- und Outputgrößen sind erfasst (nur in technischen eindeutig formulierbaren Systemen erreichbar). Stichwort

Fachbegriffe Modelltypen Landschaftsmodell: Beschreibt mathematisch-physikalisch basiert den funktionalen Zusammenhang von Landschaftsstruktur („pattern“) und ausgewählten ökologischen Prozessen („landscape pattern – process relationship“). Statisch: Relation der Elemente oder Teilsysteme sind konstant. Dynamisch: Relation der Elemente oder Teilsysteme verändern sich mit der Zeit (diskrete Zeitschritte oder kontinuierlich).

8.2 Beispiel – fluviale Bodenerosionsmodellierung

101

Mechanistisch: Repräsentierte Elementrelationen entsprechen dem realen Vorkommen. Prozessbasiert: Elementrelationen und/oder spezifische ökologische Prozesse sind über mathematisch-physikalische Gleichungen erfasst. Empirisch: Modellkomponenten und Relationen von realen Daten bzw. experimentellen Daten abgeleitet. Räumlich implizit: Räumlicher Bezug einer Variablen/Parameter ist indirekt gegeben, aber geographisch nicht verortet (z.B. %-Anteil Landnutzungsart in Rasterzelle Satellitenbild). Räumlich explizit: Modellvariablen, Inputgrößen und Prozesse sind räumlich verortet und Prozessmodellierung an Raumlokalität gebunden (fast alle landschaftsökologischen Modelle explizit).

8.2 Beispiel – fluviale Bodenerosionsmodellierung Der durch Wasser oder Wind verursachte Bodenabtrag (fluviale oder äolische Bodenerosion) stellt weltweit ein verbreitetes Umweltproblem mit Degradierung der Bodenressourcen dar. Zur Definition und Prozess der Bodenerosion ist eine umfangreiche Forschung und Literatur verfügbar, unter anderem ist auf die Sammelbände von Richter (2001) und Schmidt (2000) zu verweisen. Einen Überblick über Bodenerosionsmodelle und deren Anwendung geben auch Morgan & Nearing (Hrsg.) (2011) und eine Liste von Modellen in http://soilerosion.net/doc/models_menu.html. Bei den Bodenerosionsschäden wird unterschieden in On-Site-Schäden und Off-Site-Schäden, mit direkten (am Ort des Erosionsprozesses) und indirekten (über den Wassertransportprozess Austrag von der Fläche und Eintrag in benachbarte Landschaftsteile) Schäden.

– –





On-Site-Schäden: Verlust an Oberbodenmaterial mit reduzierter Bodenwasserspeicherung und Filterkapazität des Bodens Verlust an organischer Substanz, Tonmineralen und Nährstoffen (damit Verlust an Bodennährstoffspeicherung) Degradierung der Bodenstruktur, damit Verschlechterung bodenhydrologischer Eigenschaften und bei Kolluvialsedimentation (Ablagerung des erodierten Bodenmaterials) reduzierte Wasser- und Luftpermeabilität Zunahme Heterogenität der Bodeneigenschaften auf dem Feld

Beispiel Bodenerosionsmodellierung

Abb. 34 Oberflächenabflussbildung und Bodenabspülung vom Ackerland

102

8.

Modelle in der Landschaftsökologie



– – –

Abb. 35 Konzeptmodell (Prozess-ResponseSystem) der Abflussbildung und Bodenerosion (aus Mosimann 2007 in: Gebhardt et al. 2011)

Verringerung der Ernteerträge (z.B. Saatkulturen) durch Verschlechterung der Durchwurzelung, Staunässe, Kontamination und Überlagerung mit Bodensediment Off-Site Schäden: Eutrophierung, Verschlämmung und Kontamination (z.B. Schwermetalle) von Stillgewässern (Seen) und Stauseen Unterhaltungskosten z.B. bei der Entwässerungsinfrastruktur Verschlämmung von Wegen, Straßen und Verschlechterung limnischer Lebensräume (erhöhte Sedimentfracht)

8.2 Beispiel – fluviale Bodenerosionsmodellierung

Im Mulde-Einzugsgebiet mit 90% Ackerbau landen nach den Untersuchungen von Schindewolf (2012) 15% des Sedimentumsatzes im BaderitzStausee, sodass nach 10 Jahren ein Sedimenteintrag von 63505 t mit einem Anteil von 49,9 t Gesamtphosphor eingetragen wird (s. Abb. 37, Abtragssimulation mit EROSION 3D). Das Konzeptmodell zeigt, dass bei der Modellierung des Wassererosionsprozesses und des Transportes von Bodenmaterial komplexe Prozesse mit einer Vielzahl von Strukturvariablen, Kapazitätsreglern und In-/Outputgrößen auftreten. Zwei Prozessbereiche sind dabei abzubilden: a) Niederschlagsinput mit Infiltration und Oberflächenabflussbildung und b) Bodenpartikelablösung, Transport und Sedimentation von Bodenerosionsmaterial. Von zahlreichen Bodenerosionsmodellen haben sich zwei ganz unterschiedliche Modelltypen etabliert: Das empirisch abgeleitete Modell der Allgemeinen Bodenabtragsgleichung (ABAG) (s. Schwertmann et al. 1990) und das deterministisch physikalisch begründete Prozessmodell wie EROSION 2D/3D (Schmidt et al. 1996). Das international vielfach angewandte Modell zur Berechnung des Bodenabtrages von Parzellen oder Hangbereichen (USLE bzw. ABAG) nach Wischmeier & Smith (1978) basiert auf langjährigen Parzellenbodenabtragsmessungen in den USA mit Ableitung der Bodenabtragsfaktoren auf statistischem Wege. Die Allgemeine Bodenabtragsgleichung (ABAG) lautet: A = R * K * L * S * C * P mit A = mittlerer jährlicher Bodenabtrag (t ha-1) R = Niederschlagserosionsvermögen (Erosivität) (kJ m-2 mm-1 h-1) K = Erodierbarkeit des Bodens (Erodibilität) bezogen auf eine Standardparzelle (Schwarzbrache im Saatbettzustand) von 22,13 m Länge und 9% Neigung (t ha1 kJ-1 m2 mm-1 h) L = Hanglänge S = Hangneigung C = Bewirtschaftungs-/Bewuchsfaktor (C = 1 für Schwarzbrache) P = Erosionschutzfaktor Mittels Rechenvorschriften, Tabellen und Nomogrammen lässt sich mit der ABAG/USLE der langfristige mittlere Jahresabtrag ohne Berücksichtigung der Sedimentation und von Einzelereignissen (Starkregen) ableiten. Obwohl vielfach gemacht, ist die Übertragbarkeit des empirischen Modells auf andere Klima-Boden-Regionen immer problematisch, ferner können lokale Einzelstarkregenereignisse mit hohem Bodenabtrag wie Zwischenakkumulation von Bodensediment und damit der Sedimenteintrag in die Vorfluter mit Differenzierung in on-site und off-site Schäden nicht bestimmt werden. Das deterministisch-physikalisch entwickelte Bodenerosionsmodell E2D/ E3D kann Erosionseinzelereignisse im Hangprofil (E2D) wie für Einzugsge-

103

ABAG und EROSION 2D/3D im Vergleich

104

8.

Abb. 36 Teilmodule des Bodenerosionsmodells EROSION 2D/3D (verändert n. Schmidt 2000) Tab. 20 Eingabegrößen für das EROSION 3D-Modell (n. Schmidt 2000)

Modelle in der Landschaftsökologie

biete erfassen. Der Erosionsteil basiert auf der mathematisch-physikalischen Berechnung des „kritischen Impulsstroms“ zur Loslösung der Bodenpartikel aus dem Aggregatverband (N m-2) aus dem Verhältnis von Energieinput (Regentropfenaufprall, Oberflächenabflussenergie) und Bodenerosionsresistenz (Aggregatstabilität, Scherwiderstand) (s. Schmidt 1996). Über das Teilmodul Transportkapazität/Deposition kann sowohl die Reichweite des Bodenabtrages, seine korngrößenselektive Wirkung sowie Areale der Sedimentation (Kolluvialbildung) bestimmt werden. Abb. 36 zeigt den konzeptionellen Modellaufbau und in Tab. 20 sind die Haupteingabegrößen, die das Modell benötigt, aufgeführt. Reliefparameter

Bodenparameter

Klimaparameter

Digitales Geländemodell mit (x,y,z-Koordinaten)

Textur (%) Lagerungsdichte (kg m-3) Anfangsbodenfeuchte (V.-%) Org. Substanzgehalt (M.-%) Erosionswiderstand (N m-2) Bodenoberflächenrauigkeit (s m-1/3) Bodendeckungsgrad (%) Skin Faktor (–)

Niederschlagsdauer (min) Niederschlagsintensität (mm min-1) Niederschlagsdatum OPTIONAL: Lufttemperatur (8C) Windgeschwindigkeit (ms-1)

Prozessbasierte Modelle besitzen den Vorteil einer möglichst quantitativen Beschreibung landschaftshaushaltlicher Prozesse mit Simulationsmöglichkeit unterschiedlichster Szenarien (z.B. Simulation eines 100-jährigen Starkregens) sowie Übertragbarkeit auf verschiedene Landschaften (z.B. Einzugsgebiete). Andererseits erfordern sie eine aufwendige detaillierte Datenbasis, Parametrisierung zahlreicher Einzelprozesse und Modellkalibrierung über eine hohe raum-zeitliche Varianz. Um für die Praxis anwendbar zu sein, kann nicht jeder Teilprozess in der Landschaft simuliert werden, d.h. die Prinzipien der komplexen Landschaftsanalyse mit Analyse der wesentlichen Prozesse und Verknüpfung standörtlicher Detailanalyse mit GIS-gestützter räumlicher Diskretisierung und Erfassung der Landschaftsstruktur sollte bei der komplexen Modellierung beachtet werden. Inzwischen hat man große Fortschritte in der Entwicklung zahlreicher sektoraler Modelle zur Simulation landschaftshaushaltlicher Prozesse gemacht, wie zu Wasserhaushalt, N- und C-Umsatz, Bodenerosion, Klimaänderung. In den

8.2 Beispiel – fluviale Bodenerosionsmodellierung

105 Abb. 37 Sedimentbilanz und -transport im Mulde-Einzugsgebiet (90% ackerbaulich genutzt, Jahresmittel über 10 Jahre; EROSION 3DModellierung, Schindewolf 2012)

1990er Jahren hatte man noch die Hoffnung, ganzheitliche landschaftliche Ökosystemmodelle entwickeln zu können. Bald wurde aber deutlich, dass die landschaftliche Heterogenität und Vielzahl von Rückkopplungsprozessen deutliche Grenzen setzt, sodass man konzeptionelle Modelle mit Teilmodellkopplungen unter Berücksichtigung vor allem von Landschaftsstrukturen mit räumlich diskretisierten Landoberflächendifferenzierungen (wie Landnutzung u. Vegetation) zur Reduktion von Datensätzen und Parameterdateien nutzt. So wurde z.B. für das Regenwaldökosystem in Bezug auf Bestandsentwicklung das Modell FORMIND entwickelt (s. Dislich et al. 2009 und Lehmann & Huth 2015). Neben der Modellierung von Partialkomplexen des Erdsystems (wie Klima, Vegetation) und Prozessen des Landschaftshaushaltes (wie Wasserhaushalt, C-Umsatz, Bodenerosion) entwickeln große Forschungszentren über die Kopplung von Modellen umfangreiche komplexe Erdsystemmodelle (z.B. ESM, POEM), um die Auswirkungen anthropogener Eingriffe (wie Emissionen, Wasserverbrauch, Entwaldung und Landnutzung) auf die Geosphäre abbilden und simulieren zu können. Die exakte Erfassung der vielfältigen Rückkopplungen (feedbacks) zwischen Prozessen der Teilmodelle wie auch die konkrete Modellanwendung für Erdteile und Landschaften (downscaling) stellt weiterhin eine große Herausforderung dar (s. dazu beispielhaft für Wasserkreislauf Bronstert et al. 2005).

Übersicht Modelle Landschaftshaushalt

106

8.

Modelle in der Landschaftsökologie

Die Herausforderung in der Modellierung für die Angewandte Landschaftsökologie liegt nach wie vor in der Kopplung geeigneter Kompartimentmodelle mit sozialökonomischen Entscheidungsmodellen, wie es z.B. mit der dynamischen Landschaftsmodellierung (s. Wenkel 1999, „Integrierendes Entscheidungsunterstützungsmodell ELANUS“ und LandCaRe Wenkel et al. 2013) und der Kopplung von Agrarökosystemmodellen (wie MONICA, Nendel et al. 2011; monica.agrosystem-models.com) mit dem multiagentenbasierten agrarökonomischen Entscheidungsmodell MP-MAS (Berger et al. 2006, mp-mas.unihohenheim.de) im Verbundprojekt „carbiocial“ (Gerold et al. 2014) zum Landnutzungsmanagement in Südamazonien (Brasilien) geschieht. Unter dem Begriff „Dynamisches Landschaftsmodell“ wird ein Instrumentarium zur Analyse und Bewertung der mittel- bis langfristigen ökologischen und sozioökonomischen Konsequenzen anthropogener Eingriffe in den Landschaftshaushalt und damit Landschaftsveränderungen gesehen (Wenkel 1999, S. 129). Komplexe Landschaftsmodelle sind meist als Verbundsystem von Teilmodulen (spezifische Fachmodelle) mit einer GIS-gestützten gemeinsamen Benutzeroberfläche und Datenbank aufgebaut (z.B. Wenkel 1999, Abb. 38). Abb. 38 Struktur des dynamischen Landschaftsmodells MLM (ZALF, n. Wenkel 1999)

Das am ZALF entwickelte „Land, Climate and Resources-Decision Support System“ (LandCaRe-DSS, Abb. 39) zeigt beispielhaft die Kopplung zahlreicher Teilmodelle zu einer modellbasierten Wissensplattform (Wenkel et al. 2011, 2013): LandCaRe-DSS ist eine modellbasierte Wissensplattform, die der Entscheidungsunterstützung dient. Sie entwickelt interaktiv Szenarien und bietet damit Anpassungs- und Nutzungsoptionen für ländliche Räume oder einzelne

8.2 Beispiel – fluviale Bodenerosionsmodellierung

107

landwirtschaftliche Betriebe unter Einflüssen des regionalen Klimawandels und sozioökonomischer Rahmenbedingungen. Abb. 39 Land, Klima und Ressourcennutzungsmodell als Entscheidungsunterstützungssystem („Decision Support System“) (n. ZALF 2013)

Nach einer Auswertung des Web of Science (2010–2015: 2099 Aufsätze und review-papers) findet man den Modelleinsatz in der Landschaftsökologie vor allem in den Zeitschriften: Landscape Ecology, Plos One, Ecological Modelling, Biological Conservation, Ecological Applications (19% von 2099). Haupthemen dabei sind: Habitatmodellierung (1386), Landnutzung und Landnutzungswandel (1022), Populationsdynamik (434), Klima (425). Mit der schnellen Zunahme der Leistungsfähigkeit der Computer und digitalen Verarbeitung nimmt die Komplexität von Umweltmodellen immer mehr zu. Theorie und analytische Kenntnisse (ökologische Funktionen) der Umweltsysteme bleiben in vielen Bereichen jedoch begrenzt und jeweils mit Validierung vielfach nur lokal/regional gültig. Ökosystem- und Umweltmodellierung wird daher weiterhin auf die Fortentwicklung von Umweltkonzepten (Strukturmodelle), Datengewinnung und Modellvalidierung angewiesen sein, was von Informatikern und Modellierern nicht allein geleistet werden kann.

108

8.

Modelle in der Landschaftsökologie

Modellentwicklung und Simulationen müssen daher eng mit den wissenschaftlichen Inhalten von Landschaftsökologie, Populationsökologie, Ökohydrologie etc. verbunden sein, um praktische Lösungen für die regionalen wie globalen Umweltprobleme zu erarbeiten (interessante Diskussion dazu s. Seppelt et al. 2009). n Wissens-Check

1. Beschreiben Sie die Aufgabe von Modellsimulationen zum Landschaftshaushalt anhand zweier Beispiele. 2. Wozu dient die Erstellung eines Konzeptmodells? Erläutern Sie es am Beispiel der Bodenerosionsmodellierung. 3. Beschreiben und begründen Sie zu welchen Modellkategorien die Modelle USLE/ABAG und EROSION 3D gehören. 4. Was ist der Unterschied zwischen On-site- und Off-site-Schäden bei der Bodenerosion? 5. Diskutieren Sie anhand von Abb. 35 und 36 welches sind die Input- und Outputgrößen im Modell EROSION 3D?

Literaturhinweise Eastman, J.R. (2005): Transition Potential Modeling for Land-Cover Change. In Maguire D., Batty M., und Goodchild M. (Hrsg.): GIS Spatial Analysis and Modeling. ESRI press. – Übersicht über Modelltypen zum Landschaftswandel in Bezug auf Landnutzungswandel (LUC) und Landoberflächenbedeckungswandel (LUCC). Lünich, K., Steinl, C., Schwarze, R. (2011): KliWES – Kernkomponente. Schriftenreihe Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie in Sachsen, H.44, 67 S. – Im Rahmen des KliWES-Projektes guter Vergleich von vier Wasserhaushaltsmodellen, die zur Simulation der Auswirkungen von Klimaänderung auf den Wasserhaushalt eingesetzt werden (kurzgefasste Modellbeschreibung). Morgan, R.P.C., Nearing, M.A. (Hrsg.) (2011): Handbook of Erosion Modelling. Wiley-Blackwell Pub., 398 S. – Umfangreiche Darstellung von Bodenerosionsmodellen und deren Einsatzmöglichkeiten in Forschung und Praxis. Mosimann, T. (2002): Modellierung des Landschaftshaushaltes. Geogr. Rdsch. 54, 45–50. – Kurzgefasste Übersicht zum methodischen Wandel der landschaftsökologischen Raumanalyse mit Modellierung landschaftshaushaltlicher Prozesse. Schmidt, J. (Hrsg.) (2000): Soil Erosion. Application of Physical Based Models. Springer Verlag, 318 S. – Vierzehn Beiträge von Bodenerosionsspezialisten mit der Anwendung prozessbasierter Modelle für den praktischen Bodenschutz in unterschiedlichen Klimaregionen.

9. GIS-gestützte Habitatmodellierung Überblick

A

ls methodisches Beispiel der GIS-gestützten landschaftsbezogenen Modellierung wird die Habitatmodellierung erläutert. Sie ist weit verbreitet in der Biogeographie, in der Landschaftsökologie und im Natur-

schutz. Zunächst werden Grundlagen der GIS-gestützten Habitatmodellierung vermittelt, mit den Zielen einer Habitatanalyse bei der Landschaftsbewertung anhand von Zielarten.

Geographische Informationssysteme sind gekennzeichnet durch ihre Fähigkeit, raumbezogene Daten in großer Menge zu speichern, zu verwalten und zu verarbeiten und in beliebiger Form miteinander zu verknüpfen und kartographisch darstellen zu können (Duttmann 1999). Basierend auf der horizontalen Differentialanalyse für ganz unterschiedliche Skalen in der Landschaftsökologie (s. Kap. 4) ist die GIS-Anwendung für Fragen raumwirksamer ökologischer Prozesse wie für die landschaftsbezogene Modellierung ein Grundbestandteil in der Angewandten Landschaftsökologie geworden. GISAnwendungen in der Landschaftsökologie umfassen eine große Bandbreite von Landschaftsinventaren, Landschaftsanalyse und -bewertung, Modellierung von Landschaftshaushaltsprozessen (s. z.B. Wasser- und Stoffumsatz in Einzugsgebieten), Aufbau geoökologischer Informationssysteme (Duttmann 1999a) bis hin zur Analyse, Monitoring und Modellierung von Landschaftsentwicklung (Duttmann 1999b u. Abb. 40). Durch die Verknüpfung landschaftshaushaltlicher Prozessmodelle mit der raumbezogenen Datenbasis eines GIS ist es nach Duttmann (1999b, S. 185) möglich: – – –

– –

Geoökologische Prozesse und Zustandsänderungen flächendifferenziert abzubilden und in Karten darzustellen (s. Abb. 37). Zentrale Prozessgrößen des Landschaftshaushaltes zu berechnen, deren flächenhafte Erfassung enorm aufwendig wäre (s. Kap. 7.2). Prozesskennwerte zeitschrittbezogen zu ermitteln und diese als Eingangsgrößen für Modelle zu verwenden (z.B. Abb. 21 in 6.3 – NDVI als Basis für die NPP der Vegetation). Das Verhalten ökologischer Systeme kennenzulernen (z.B. Tab. 18). Auswirkungen anthopogener Eingriffe in das Systemverhalten vorherzusagen und GIS-gestützte Prognose- und Managementsysteme für die Umweltplanung aufzubauen (s. LandCaRe-DSS Abb. 39).

GIS und landschaftshaushaltliche Prozesse

110

9.

GIS-gestützte Habitatmodellierung

Die Kopplung dynamischer Prozessmodelle mit der Raumausstattung (z.B. Landnutzung) geschieht in GIS meist über rasterorientierte Verfahren, da gegenüber den in der Realität vorliegenden Vektordifferenzierungen rechenbare Auswerteverfahren und vor allem Aggregierungsverfahren einfacher in GIS durchführbar sind (Abb. 40; s. dazu Duttmann 1995 sowie Lang & Blaschke 2007). Abb. 40 Schema der rasterorientierten Kopplung von Prozessmodellen mit Raumeinheiten (n. Wenkel 1999)

9.1 GIS-gestützte Habitatmodellierung – Grundlagen Habitatmodellierung

Für den Naturschutz wie in der Landschaftsplanung stellen Methoden der Habitatmodellierung geeignete Instrumente zur Berücksichtigung der „Tierarten-Lebensraumbedingungen“ in der Landschaftsgestaltung, Planung von Ausgleichsmaßnahmen (UVP) und im Biodiversitätsschutz dar. Aus biotischer Sicht (Fauna) formalisieren Habitatmodelle die funktionalen Beziehungen zwischen Organismen, Artenvorkommen und Umweltbedingungen und liefern Erkenntnisse über die Bindungsintensität von Arten an bestimmte Umweltfaktoren (Quantifizieren die Qualität des Habitats) (Schröder & Reineking 2004). In der Habitatmodellierung werden vor allem zwei miteinander verbundene Fragestellungen verfolgt:

9.1 GIS-gestützte Habitatmodellierung – Grundlagen

111

a) Verständnis der Art–Habitat-Beziehung mit: Analyse und Quantifizierung von Habitatansprüchen von Arten, Formalisierung der Beziehung zwischen Umweltfaktoren und der Verteilung der Art, Charakterisierung der realisierten Nische einer Art (Schröder & Reineking 2004) b) Prognose der räumlichen Verteilung von Organismen mit: Vorkommensprognosen von Arten in nicht kartierten Gebieten, Prognose von Auswirkungen der Landschafts- und Habitatveränderungen auf die Habitateignung, Auswahl von geeigneten Schutzgebieten für die ausgewählten Zielarten, Ableitung optimaler Schutzstrategien für ausgewählte Zielarten (Lutze et al. 1999) Allgemein bedeutet Habitat „charakteristischer Wohn- und Standort einer Art“ (Schaefer 2003) und wird nach Morrison et al. (1998) definiert als: Stichwort

Fachbegriff „Habitat ist ein Areal, das eine Kombination von Ressourcen und Umweltbedingungen aufweist, das den Individuen einer Art oder einer Population das Überleben sichert und es ihnen erlaubt, sich zu reproduzieren.“

Die Habitatanalyse geht dabei von folgenden Grundannahmen aus (n. Schröder 2000): – – – –

Die Habitatwahl dient der Maximierung der Fitness der jeweiligen Art (=Anzahl der Nachkommen). Habitate höherer Qualität werden proportional häufiger genutzt als Habitate geringerer Qualität. Man geht davon aus, dass sich die Arten in einem „Quasi-Gleichgewicht“ mir ihrer Umwelt befinden. Analysiert wird die in der Landschaft „realisierte Nische“ von Arten.

In Bezug auf die jeweilige Tierart verfolgt die Habitatanalyse das Ziel, Habitatansprüche von Arten an ihren Standorten beziehungsweise Verbreitungsgebieten zu analysieren und zu quantifizieren. Weiterhin sollen die Beziehungen zwischen den Umweltfaktoren und der Verteilung der Art formalisiert werden. Ein drittes Ziel ist vielfach die Charakterisierung der Vorkommensnische einer Art („Nischenökologie“). Im Landschafts- und Naturschutz besitzen vor allem Prognoseaspekte bei der Habitatanalyse eine große Bedeutung. Dabei handelt es sich um folgende Bereiche (n. Lutze et al. 1999):

Grundananahmen Habitatanalyse

112

9.

GIS-gestützte Habitatmodellierung Stichwort

Habitatanalyse Prognoseaspekt – Vorkommensprognose von Arten in nicht kartierten Gebieten. – Prognose der Auswirkungen von Landschafts- und Habitatveränderungen auf die Habitateignung. – Auswahl von geeigneten Schutzgebieten für ausgewählte Zielarten. – Ableitung optimaler Schutzstrategien für ausgewählte Zielarten.

Abb. 41 Wirkungszusammenhänge zwischen Umweltparametern und Organismen (verändert n. Rudner et al. 2004)

Als besonders geeignet für die Habitatanalyse haben sich Arten gezeigt, die enge Habitatansprüche haben oder Habitatspezialisten sind (z.B. Birkhuhn, Zauneidechse, Sandlaufkäfer). Für den praktischen Naturschutz mit der Frage der Ausweisung von Schutzgebieten spielen natürlich die sogenannten Zielarten (z.B. Rote Liste Arten) eine besondere Rolle. Ferner sollten es Arten sein, die auch eine hohe Findungsrate im Gelände aufweisen, sodass für die statistische Analyse die Fallzahlen hoch genug sind und Fehlkartierungen gering bleiben. Um Habitateignungsprognosen oder Schutzstrategien mit der Ausweisung geeigneter Schutzgebiete für Zielarten im Naturschutz duchzuführen, haben sich Verfahren der Habitatmodellierung etabliert. Dabei werden Umweltparameter mit dem Vorkommen (Beobachtungs-/Kartierdaten) von Pflanzen- oder Tierarten formal verknüpft und in Beziehung gesetzt. Da die realen Beziehungen von Organismen zu ihrer Umwelt weit komplexer und derzeit bestenfalls für einzelne Organismen vollständig abbildbar sind, stellen Habitatmodelle eine unvollständige Abbildung der Beziehungen zwischen Organismus und „einfach“ zu erhebenden abiotischen und biotischen Umweltfaktoren dar. Dabei geht es um die quantitative korrelative Erfassung der Wirkungszusammenhänge zwischen Umweltparametern und Vorkommen oder Leistung von Organismen (Art), wie sie schematisch in Abb. 41 dargestellt sind (n. Rudner et al. 2004). Die erklärenden Parameter können nach Schröder & Reineking (2004) in direkte (z.B. Temperatur, pH-Wert, Pflanzenvorkommen, Vegetationsdichte), indirekte (z.B. Geländehöhe, Exposition, Vegetationstyp, Bodentyp) und Ressourcenvariablen (z.B. Wärme, Wasser, Nährstoffangebot) unterschieden werden. Potentiell sind eine Vielzahl von Faktoren dazu geeignet, das Vorkommen von Arten in einem Untersuchungsraum zu erklären, z.B. topographische, edaphische und geologische Faktoren, klimatische Faktoren, Landschaftsstruk-

9.1 GIS-gestützte Habitatmodellierung – Grundlagen

turmaße, Landschaftsheterogenitätsmaße (s. Kap. 10), die Landnutzung in ihrer Entwicklung, gleichwohl biotische Faktoren wie z.B. Prädation, Parasiten, Konkurrenz, sowie quantitative Maße für die Verbundenheit und Erreichbarkeit geeigneter Habitate, z.B. in verinselten Landschaften (Schröder & Reineking 2004). Statistische Habitatmodelle werden auf der Grundlage von PräsenzAbsenz-Daten und relevanten messbaren Habitateigenschaften (Habitatfaktoren) für jeweils abgegrenzte homogene Untersuchungseinheiten aufgestellt, sodass die Vorkommenswahrscheinlichkeit oder die Inzidenz, d.h. Vorkommen oder Nichtvorkommen, der Art im Raum prognostiziert werden kann (Kleyer et al 1999/2000). Eine grundsätzliche Modellannahme bei der Modellierung von Tierhabitaten ist, dass die Tiere die Habitate derart nutzen, dass ihre Fitness optimiert wird, was bedeutet, dass Habitate höherer Qualität proportional häufiger genutzt werden als Habitate geringerer Qualität (Mühlenberg (1993), Schröder & Reineking (2004)). Die Modellbildung beruht zudem auf der Prämisse, dass die ausgewählten Schlüsselfaktoren diejenigen sind, welche für die Habitatwahl der Arten wichtig sind und den Anspruch der Arten an ihren Lebensraum hinreichend gut charakterisieren, d.h. dass entscheidende Faktoren für die Habitateignung bei der Auswahl der Variablen zumindest indirekt enthalten sind (Schröder 2000). Die Gewichtung der Habitatfaktoren erfolgt im Zuge der Modellentwicklung durch die Auswahl jener Variablen, die sich im Zuge der Modellbildung statistisch signifikant zwischen Vorkommen und Nichtvorkommen der Art trennen lassen. Neben statistischen Habitatmodellen existieren noch wissensbasierte Habitatmodelle (Kleyer et al. 1999/2000). Diese fassen die langjährige Geländeerfahrung von Experten zusammen und formalisieren diese, indem sie regelbasiert, z.B. unter Einbezug von Fuzzy-Logik und Neuronalen Netzen, die Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen landschaftlichen Faktoren, welche die Habitateignung beeinflussen in Flussdiagrammen abbilden (Lutze et al. 1999). Über Geographische Informationssysteme und deren Raum- und Sachdatenbasis wird anschließend der notwendige reale Raumbezug hergestellt. Habitatmodelle mit statistischen Verfahren sind dabei stets korrelative Verfahren, aus denen sich zwar funktionale Zusammenhänge in der Art– Habitat-Beziehung erkennen lassen (Austin & Sala 2002), aus denen sich aber prinzipiell keine Kausalität ableiten lässt (Schröder & Reineking 2004). Geeignet sind korrelative Verfahren allerdings, um neue Hypothe-

113

Statistische Habitatmodelle

Abb. 42 Schritte zur Habitatmodellierung mit der logistischen Regression (verändert n. Schröder 2000)

114

9.

GIS-gestützte Habitatmodellierung

sen hinsichtlich der Art-Habitat-Beziehung zu generieren. Bei den statistischen Verfahren wird häufig die einfache oder multiple Regression eingesetzt. Abb. 42 beschreibt schematisch die Schritte der logistischen Regression zur Habitatmodellierung (n. Schröder 2000). n Wissens-Check

1. Erläutern Sie, wozu man GIS (raumbezogene Daten) mit landschaftshaushaltlichen Prozessen koppeln kann (Beispiele). 2. Welche Fragestellungen verfolgen GIS-gestützte Habitatmodellierungen? 3. Welche Grundannahmen sind bei quantitativen Habitatanalysen meist gegeben? 4. Erläutern Sie, warum Zielarten (wie z.B. Wachtelkönig) sich für eine Habitatmodellierung (Habitateignungsprognose) gut eignen. 5. Welches Ziel hat die logistische Regression bei der Habitatmodellierung?

Literaturhinweise Duttmann, R. (1999b): Geographische Informationssysteme (GIS) und raumbezogene Prozessmodellierung in der Angewandten Landschaftsökologie. In: Schneider-Sliwa, D., Schaub, D., Gerold, G. (Hrsg.): Angewandte Landschaftsökologie. 181–199. – Die Anwendung von GIS für eine geoökologische raumdifferenzierte Prozessanalyse wird in seinem allgemeinen Anwendungsspektrum sowie mit einem Beispiel zur Modellierung der Bodenfeuchte erläutert. Gutzwiller, K. (Hrsg.) (2002): Applying Landscape Ecology in Biological Conservation. Springer Verlag, 581 S. – Umfangreiche Zusammenstellung von landschaftsökologischen Konzepten für den Naturschutz mit Artendiversität, Habitatnetzwerke, invasive Arten, Landnutzungswandel und Naturschutz, Naturschutzplanung. Just, P. (2006): Entwicklung eines statistischen Habitateignungsmodells zur räumlichen Vorhersage der Vorkommenswahrscheinlichkeit des Wachtelkönigs (Crex crex L.) im Nationalpark Unteres Odertal. EcoRegio Bd. 16, Göttingen, 196 S. – Ausführliche Darstellung der Parametererfassung und Erstellung eines Habitateignungsmodells mittels der logistischen Regression. Lang, S., Blaschke, T. (2007): Landschaftsanalyse mit GIS. UTB Stuttgart, 405 S. – Umfassende Darstellung der quantitativen Landschaftsstrukturanalyse als Arbeitsmethodik. Insbesondere wird die Erfassung von Lebensräumen und die Habitatcharakterisierung für die planerische Modellierung beschrieben. Mühlenberg, M. (1993): Freilandökologie. UTB 595, Stuttgart, 214 S. – Systematische Darstellung der Feldmethoden zur Parametererfassung in der biotisch ausgerichteten Ökologie. Schröder, B. (2000): Zwischen Naturschutz und Theoretischer Ökologie: Modelle zur Habitateignung und räumlichen Populationsdyanmik für Heuschrecken im Niedermoor. Diss. TU Braunschweig. – Grundlegende Arbeit zur Habitatmodellierung mit detaillierter Erläuterung von Modellgrundlagen und statistischen Verfahrensweisen. Schröder, B., Reineking, B. (2004): Modellierung der Art-Habitat-Beziehung. – Ein Überblick über die Verfahren der Habitatmodellierung. In: Dormann, C. F., Blaschke, T., Lausch, A., Schröder, B., Söndgerath, D. (Hrsg.): Habitatmodelle – Methodik, Anwendung, Nutzen. UFZ-Berichte 9, 2004. – Übersicht über Habitatmodelle und deren Anwendungsspektrum.

10. Landschaftsstruktur Überblick

I

n Kap. 10 erfolgt eine Einführung in den Zusammenhang von funktionalen Prozessen und Landschaftsstruktur, welche über Landschaftsstrukturmaße abgeleitet werden. Grundlagen der GIS-gestützten Analyse der Landschaftsstruktur mit wichtigen messbaren Parametern sind dargestellt. Zusam-

menfassend werden wichtige Datenbasen in Deutschland und verfügbare Auswertungssoftware benannt. An einem Beispiel erfolgt die Beschreibung des Zusammenhanges von Landschaftsstruktur und Biodiversitätsbewertung.

Mit der dargestellten Habitatanalyse wird GIS-gestützt die räumliche Verteilung von Habitaten sowie die Art-Habitat-Beziehung über die Ausprägung der Umweltfaktoren erfasst. Dies sagt jedoch nur wenig über die Landschaftsstruktur mit ihrer Größe, Anordnung und Form der Habitate aus. Die „Landschaftsstruktur“, oder das „Muster“ einer Landschaft, ergibt sich nach einem in der Landschaftsökologie inzwischen weit verbreiteten Ansatz aus der Zusammensetzung und Anordnung diskreter Landschaftselemente („patches“) (Turner et al. 2001). Mit Zusammensetzung (composition) ist dabei die Anzahl und Art der einzelnen Landschaftselemente gemeint, während der Begriff Anordnung (configuration) die Lage der einzelnen Landschaftselemente zueinander beschreibt (Li & Reynolds 1995, Walz 2013). Dabei wird postuliert, dass die Struktur der Landschaft in enger Beziehung zu Funktionen der Landschaft steht und einer Dynamik und zeitlichem Wandel unterworfen ist (Blaschke 2000, Walz 2013). Die in Kap. 4 erläuterte Differentialanalyse in Verbindung mit dem topologischen Prinzip (Ökotop, „patch“) dient unter anderem der Ableitung quasi homogener Landschaftseinheiten, die z.B. für räumlich diskrete Modellanwendungen eingesetzt werden (s. Kap. 8, HRU’s für die Wasserhaushaltsmodellierung). Der Zusammenhang zwischen Landschaftsstruktur und funktionalen Prozessen in der Landschaft wird zur Charakterisierung und dem Monitoring von Landschaftswandel vielfach eingesetzt, wobei Landschaftsstrukturmaße als Indikatoren Verwendung finden (Walz 2004). Dieser Zusammenhang ist jedoch vielfach unklar, insbesondere auf der Ebene von Ökosystemen und bleibt Gegenstand aktueller Forschung. Landschaftsstrukturmaße werden eingesetzt:

Landschaftsstruktur

116

10.

Landschaftsstruktur Stichwort

Einsatz von Landschaftsstrukturmaßen – zur Charakterisierung des Landschaftswandels über die Zeit (z.B. Waldrodung und Landnutzungswandel) – zum Vergleich zweier Landschaftseinheiten innerhalb eines Ökosystems zur Erfassung des Unterschiedlichkeitsgrades und der Heterogenität (z.B. Buchenwaldökosystem mit Nationalpark Hainich und benachbarte Agrarlandschaft; Salzwiesenökosystem und Vergleich untere und obere Salzwiese s. Kap. 2) – zur Analyse der Anordnung von Landschaftselementen in ihrer Bedeutung für geoökologische Prozesse (z.B. Biotopvernetzung mit Austausch von Organismen, laterale stoffliche Verlagerung wie bei Bodenerosion am Hang)

10.1 Landschaftsstrukturmaße Räumliche Analyse mit Landschaftsstrukturmaßen

Landschaftsstrukturmaße („landscape metrics“) beschreiben im Sinne von Maßzahlen u.a. die Größe, Form, Anzahl, Art und Anordnung der Landschaftselemente. Durch die räumliche Analyse mit solchen Indizes kann die Struktur einer Landschaft auf der Basis von flächen-, form-, randlinien-, diversitäts- und topologiebeschreibenden mathematischen Kennzahlen quantitativ erfasst werden. Die erhobenen Messgrößen können beispielsweise als Eingangsparameter für landschaftsökologische Simulationsmodelle (z.B. Habitatmodelle, Kap. 9) dienen, im Falle einer wiederkehrenden Erhebung die Landschaftsdynamik für ein Monitoring dokumentieren oder unterschiedliche Landschaften vergleichbar machen (s.a. Werder 1999; Hoechstetter et al. 2006). Das Konzept der Landschaftsstrukturanalyse hat inzwischen auch in der Praxis weite Verbreitung gefunden (wie Raumplanung, Naturschutz) (Lang & Blaschke 2007). Die Analyse der Landschaftsstruktur ist nur mittels der Funktionalitäten von Geographischen Informationssystemen (GIS) effektiv und für größere Raumausschnitte möglich. Zum einen wird eine große Menge an flächendeckenden Rauminformationen benötigt, zum anderen muss die räumliche Bezugseinheit (Raumausschnitt) georeferenziert groß genug sein, damit die räumliche Auflösung (Rasterzellengröße) und die Größe des Untersuchungsgebietes im auswertbaren Verhältnis steht. Nach Turner et al. (2001) sollte die Rasterzellengröße 2–5-fach kleiner als die kleinste Landschaftskategorie und die Kartengröße (Größe des Untersuchungsgebietes) 2–5-fach größer als die größte Landschaftseinheit („patch“) sein, um zu hohe Fehlzellenklassifikation („bias“) und damit Fehlkalkulation von Messgrößen zu vermeiden. Generell sind folgende Regeln zu beachten:

10.1 Landschaftsstrukturmaße

117

Stichwort

Regeln der Landschaftsstrukturanalyse – Die Wahl der Landschaftskategorie (Klassifikation der zu analysierenden Inhalte wie Vegetationstyp, Landnutzung) und ihre Differenzierung sind essentiell für die Landschaftsstrukturanalyse. – Jede Entscheidung im Kartier- und Klassifizierungsverfahren bestimmt die Analyse der räumlichen Struktur; d.h. ein Vergleich von Landschaften kann nur auf der Basis gleicher Kategorien und Flächenskalen (Maßstab) erfolgen. – Landschaftseinheiten („patches“) sind keine feststehenden Elemente der Landschaft, jedoch nützliche räumliche Abstraktionen, die je nach Zielsetzung einer Analyse variieren können.

Praktische Konsequenz ist, dass Landbedeckungs- oder Habitatkarten je nach Inhalt, Pflanzen- oder Tierart wie ökologischem Prozess jeweils neu zu klassifizieren sind um die Grundlage für landschaftsmetrische Analysen zu bilden. Es gibt inzwischen eine fast unübersehbare Anzahl an Landschaftsstrukturmaßen. Zusammenstellungen sind zu finden in in O’Neill et al. (1988), McGarigal & Marks (1995) und Walz (2004). Weiterhin existiert eine Datenbank zu Landschaftsstrukturmaßen (IDEFIX Indicator Database for Scientific Exchange) (Lang et al. 2004). Auf der Ebene der einzelnen Landschaftselemente beziehen sich die Maße (‚patch indices‘) meist auf Größe und Gestaltparameter des jeweiligen Patches, z.B. die Form, das Umfang-FlächenVerhältnis, den Kernflächenanteil oder den Verlauf der Ränder (z.B. fraktale Abb. 43 Beispiel eines Landschaftsmosaiks mit messbaren Parametern (verändert n. Walz 2013)

118

10.

Landschaftsstruktur

Dimension) (Abb. 43) (Walz 2013, S. 16). Zu den Lagebeziehungen gehören Informationen, wie beispielsweise zur Isolation einzelner Patches oder zur Art und Unterschiedlichkeit der angrenzenden Patches (Kontext bzw. Kontrast). Die Berechnung von Landschaftsstrukturmaßen kann auf verschiedenen Ebenen erfolgen (Tab. 21). Wird das Landschaftsmosaik in seiner Gesamtheit beschrieben, dann geht es im Wesentlichen um Auswertungen zur Gesamtanzahl der Nutzungsklassen (Reichtum), zur Vielfalt der Nutzungseinheiten, ihrer räumlichen Verteilung (z.B. gleichmäßig oder geklumpt) sowie zur Anordnung linienhafter Elemente. Walz (2013, S. 17) führt aus: „Die auf der Landschaftsebene berechneten Indizes sind häufig Mittelwertbildungen der Indizes auf Landschaftselement- bzw. Klassenebene oder relative Anteile an bestimmten Maximalwerten. Zu nennen sind beispielsweise der Index ‚Mean Patch Size‘, der Aussagen zur mittleren Flächengröße liefert, während der ‚Mean Shape Index‘ die mittlere Kompaktheit der Flächen beschreibt und der ,Mean Nearest Neighbor Distance Index‘ die durchschnittlichen Abstände zwischen den Landschaftselementen errechnet. Eine eigene Gruppe innerhalb der ‚Landschafts-Indizes‘ bilden die Maße aus der Informationstheorie (z.B. ‚Shannon’s Diversity‘, ‚Simpson’s Diversity‘) sowie der ‚Contagion Index‘, der anhand der vorhandenen Grenzdichte den ‚Klumpungsgrad‘ der Patches ermittelt. Der ‚Interspersion and Juxtaposition Index (IJI)‘ macht Aussagen zur Verteilung der Flächen und deren Anordnung.“ Tab.21 Gliederung und Auflistung von Landschaftsstrukturmaßen (n. Walz 2013, S. 18)

Maße für einzelne Landschaftselemente Fläche Größe

Patchgröße, Standardabweichung der Patchgröße

Größte Einzelfläche

Fläche einer Klasse

Form Umfang-Flächen-Verhältnis

Zusammenhang zwischen Fläche und Umfang

Form-Indizes

Vergleich zu einer Standardform (z.B. Kreis)

Kante Form der Ränder

Breite (Saum), Kontinuität, Linearität, Länge

Lagebeziehung Flächenausrichtung

Position relativ zu gerichtetem Prozess (z.B. Wasserabfluss)

Kontext

Matrix der Nachbarschaftsbeziehungen eines Flächentyps

Konnektivität

Grad der Vernetzung (z.B. Korridore)

Isolation

Distanz zum nächsten Nachbarn

10.1 Landschaftsstrukturmaße

119

Kernflächenmaße Anzahl Kernflächen

Anzahl

Anteil Kernfläche

Gesamtkernfläche einer Klasse, Kernflächenindex

Abstandsflächenmaße Pufferzonen

Analyse der Pufferzonen um Objekte (Breite, Länge, Fläche etc.)

Kontraste Höhendifferenz

Absolute oder relative Höhendifferenz

Differenz Naturnähe

Differenz der Merkmalsausprägung bzw. Wertigkeit Nachbarfläche

Maße für Landschaftsmosaike Grenz-/Kantenmaße Randdichte

Häufigkeit bzw. Dichte von Rändern

Diversitätsmaße Reichtum

Anzahl der verschiedenen Flächentypen

Shannon-Diversität

Anzahl und Fläche der verschiedenen Flächentypen

Proportion

Prozentualer Anteil der Klassen

Verteilungsmaße Dispersion

Verteilungsmuster von Flächentypen im Raum

Gleichmäßigkeit

Gleichwertigkeit der Anzahl von Flächentypen

Zerschneidungsmaße Größe, Anzahl

Größe u. Anzahl unzerschnittener Flächen

Unterteilung

Landscape Division Index (Landschaftszerteilungsindex) Effective Mesh Size (Effektive Maschenweite)

Vorhandene Software (wie FRAGSTAT) und bisherige Anwendungen haben vielfach die 3. Dimension (3D: Relief, Höhenunterschiede) nicht berücksichtigt, was zu Fehlkalkulationen führen kann (z.B. reale Oberfläche, Randlängen von Landschaftselementen). Walz (2013, S. 21) gibt ein einfaches Beispiel mit: Aus einem geneigten Hang mit 308, Hanglänge und Hangbreite 100 m resultiert real eine Fläche von 1 ha, als projizierte 2D-Fläche jedoch nur von 0,86 ha bei 86,6 m Hanglänge. Nach Walz (2013) sind folgende Bereiche denkbar, für die eine 3D-Analyse sinnvoll ist: –

Berechnung der „realen“ Flächen und Umfänge von Landschaftselementen bzw. Distanzen zwischen Objekten auf der Grundlage von Digitalen Geländemodellen (DGM),

3D-Analyse in der Landschaftsstrukturanalyse

120

10.

Landschaftsstruktur



– –

Abb. 44 Integration von 3D-Aspekten in die Landschaftsstrukturanalyse (verändert n. Walz 2013)

Berücksichtigung von Oberflächen (einschl. Vegetation, Gebäude …) auf der Grundlage von Digitalen Oberflächenmodellen (DOM), z.B. aus Airborne-Laserscanning-Daten, Höhendifferenzen zwischen den einzelnen Landschaftselementen, Höhenstrukturen innerhalb der Nutzungsklassen bzw. einzelnen Patches (Struktur der Kontraste, z.B. über Texturfilter auf Grundlage des DOM).

10.2 Datengrundlage und -software

121

Berechnungsmethoden und Analyseverfahren über Rasterdaten eines Höhenmodells (DGM) sowie zu Oberflächenstrukturen (z.B. mittlere Rauigkeit Waldoberfläche, Stadtoberfläche) sind in Walz (2013) aufgeführt. Die Wahl der geeigneten Bezugseinheit wie die räumliche Auflösung zur Analyse sind wesentliche Vorbedingungen für eine quantitative Landschaftsstrukturanalyse. Als klar definierte Bezugseinheiten, die als Raster- oder Vektordaten vorliegen können, werden eingesetzt: –

– –

Verwaltungseinheiten (z.B. Landkreis, Gemeinde) oder naturräumliche Einheiten (z.B. NP Hainich – Buchenwaldökosystem, Biotoptypen); vor allem für die Praxis regelmäßige Gitternetze wandernde geometrische Fenster („Moving Windows“)

So kann zum Beispiel mit der Rasterfrequenzanalyse (Gitternetz als Grundlage) für eine Biotoptypencharakterisierung die Frequenz (Biotoptypen je Zelle) und Heterogenität (Varianz im Untersuchungsgebiet) bestimmt werden.

10.2 Datengrundlage und -software Die Analyse der Landschaftsstruktur und Landschaftsvielfalt erfordert eine umfangreiche Datengrundlage. Sie basiert vielfach auf den verfügbaren Flächendaten zur Landoberflächenbedeckung („land cover“) oder Lebensräumen von Pflanzen oder Tieren (Biotopkartierungen). Basierend auf der INSPIRERichtlinie der EU wird für vergleichende Umweltanalysen eine europäische Datenbasis (Metadatenbank) mit Geodaten aufgebaut, die für Deutschland unter „Geodateninfrastruktur Deutschland – GDI-DE“ firmiert (www.geopor tal.de/…). Nach Walz (2013) werden die wichtigsten derzeitigen Datengrundlagen zusammengefasst (im Detail s. Walz 2013, Kap. 3.4.1, 3.4.2) und in Tabellenform wiedergegeben. Als Datenbasen zur Landbedeckung („land cover“) werden Luft- und vor allem Satellitenbilder, die inzwischen eine immer höhere Auflösung erreichen, eingesetzt. Sie besitzen den Vorteil, dass sie im GIS mit anderen Vektor- und Rasterdaten kombiniert werden können. Im Detail kann auf Albertz (2016) verwiesen werden. Digitale Geländedaten stehen in Deutschland in hoher räumlicher Auflösung für DGMs zur Verfügung und können von den jeweiligen Landesvermessungsämtern bezogen werden. Höhenangaben zu Vegetation und Gebäuden kann diesen Quellen nicht entnommen werden. Zusätzlich stehen zum Teil Höhendaten aus flugzeuggestützten Laseraufnahmen (LIDAR) und Radardaten aus Satellitenaufnahmen zur Verfügung.

Datenbasen

122

10. Software

Landschaftsstruktur

Auswertungssoftware zur Analyse der Landschaftsstruktur: Da die im weit verbreiteten Geoinformationssystem ARC-GIS (ESRI) implentierten Standardwerkzeuge nur in Teilen eine Landschaftsstrukturanalyse erlauben, stehen speziell entwickelte Software-Produkte zur Berechnung von Landschaftsstrukturmaßen zur Verfügung. Einen umfangreichen Überblick gibt z.B. Lang et al. (2004). Im Folgenden werden nur sehr kurz gefasst die Möglichkeiten aufgezeigt: Stichwort

Software zur Landschaftsstrukturanalyse FRAGSTATS: Landschaftsstrukturmaße auf patch-, Klassen- und Landschaftsebene (Daten im Rasterformat, vielfach eingesetzt) PatchAnalyst: Erweiterung zu ARCGIS10.x, auch mit Analyse von Vektor-Formaten V-LATE/IDEFIX: Verarbeitung von Vektordaten mit ARCGIS10, vor allem für Monitoring von Naturschutzflächen (mit IDEFIX-Datenbank ergänzt) GUIDOS: Morphologische Musteranalyse mit Rasterdaten (z.B. für Waldmonitoring u. Biotopverbund) LandMetrics-3D: Im IÖR entwickelte Software mit Infos zu Höhe und Relief mit Vielzahl von Landschaftsmaßen (z.B. Oberflächenrauigkeit)

10.3 Beispiele zu Landschaftsstruktur und ökologischen Funktionen Indizes und ökologische Funktionen

Landschaftsökologische Prozesse oder Funktionen stehen über landschaftsstrukturellen Parametern wie Flächengröße, Form der Fläche, Heterogenität und räumliche Konnektivität zwischen Landschaftselementen („patches“) zum Teil in enger Beziehung. Daher untersucht ein landschaftsökologischer wie auch biologischer Forschungsbereich (z.B. in der Agrarökologie, Naturschutz- und Biodiversitätsforschung), inwieweit Landschaftsstrukturmaße über quantitative Indizes diese Prozesse oder Funktionen beschreiben und bewerten können (z.B. Blaschke 2000, Baguette & Van Dyck 2007). Walz (2013) hat Indizes zur Beschreibung der räumlichen Ausprägung von landschaftsökologischen Funktionen zusammengestellt. Da Biotope und Habitate in ihrer räumlichen Ausprägung von einer Vielzahl abiotischer Umweltbedingungen abhängen und der Mensch mit seiner Nutzung (Kulturlandschaft) die Landschaftsstruktur formt und stark verändert, werden Landschaftsstrukturmaße zum Monitoring von Landschaftswandel und Analyse von Artenvielfalt genutzt (s. Uuemaa et al. 2009, Duelli 1997, Honnay et al. 2003).

10.3 Beispiele zu Landschaftsstruktur und ökologischen Funktionen

Aufgabe

Index

Vorhersage und Bewer- (1) Lebensraumvielfalt (Anzahl Biotoptypen je Landschaftseinheit) tung von Biodiversität in (2) Lebensraumheterogenität (Anzahl Habitat-Patches und Ökotonlängen Landschaftsmosaiken der je Landschaftseinheit) Agrarlandschaft (3) Flächenanteile von natürlichen, halbnatürlichen und intensiv genutzten Flächen Vorhersage, Zusammenhang mit der Artenvielfalt insgesamt

Flächengröße naturnaher Ökosysteme grobe Auflösung: Patch Density (PD), Largest Patch Index (LPI); mittlere Auflösung: Simpson’s Diversity Index (SIDI), Proximity (PR), Nearest Neighbour (NN), Edge Density (ED), Euclidean Nearest, Neighbour Distribution (ENNCV), Proximity Index Distribution, (PROXMN), Related Circumscribing Circle Distribution (CIRCN); feine Auflösung: Simpson’s Diversity Index (SIDI); Patch Richness (PR) Habitatfläche Landschaftsdiversität (LCDI), Intensität der landwirtschaftlichen Nutzung (Agricultural intensity Ia)

Vorhersage, Zusammenhang mit dem floristischen Artenreichtum (in Kulturlandschaften)

Entfernung (Isolation) von Waldflächen (Summe der Waldflächen innerhalb einer bestimmten Distanz) topographische und edaphische Variablen, insbesondere Aspekt und Wasserhaushalt Largest Patch Index (LPI), Patch Size Coefficient of Variation (PSCV) Vielfalt der Patches (Shannon Diversity Index SHDI) Formkomplexität (Mean Shape Index MSI) Flächengröße der Landnutzung geometrische Landschaftskomplexität (number of shape characterising points, NSCP), Saumlänge

Vorhersage, Zusammenhang mit dem faunistischen Artenreichtum

Straßendichte, Waldfläche, Abstand zum nächsten bebauten Bereich, Dichte menschlicher Siedlungen, Versiegelungsgrad

Vorhersage bedrohter Pflanzenarten

Mean Proximity Index (MPI)

Biotopverbundplanung

Proximity Index (PR) (Bewertung der funktionalen Vernetzung von Flächen mit Lebensräumen der Umgebung)

Bewertung von Schutz- Total Core Area (TCA), Total Class Core Area (TCCA), Number of Core gebieten, Habitatansprü- Areas (NCA), Core Area Index (CAI), Cority che von Arten der Kernflächen bzw. Säumen Bewertung von Biotop- Shannon Diversity Index (SHDI), Edge Density (ED) vielfalt, Kleinteiligkeit und Strukturreichtum der Landschaft für die Landschaftsplanung Bewertung der naturräumlichen Vielfalt

Länge der Höhenlinien (in m/ha) Gemeindefläche, Höhendifferenz zwischen höchster und niedrigster Höhenlinie in der Gemeinde, Fließgewässerlänge und Gewässerfläche

Bewertung der Vielfalt der Flächennutzung

Vielfalt der Hauptnutzungstypen, Länge der Waldränder, Schlaggrößen

123

Tab.22 Landschaftsstrukturmaße zur Bewertung von Biodiversität auf Landschaftsebene (n. Walz 2013, S. 50)

124

10. Landschaftsmuster und Biodiversität

Landschaftsstruktur

Nach Duelli (1997) hängt im Rahmen des Mosaikkonzeptes die Biodiversität mit von strukturellen Parametern wie der Vielfalt bzw. Heterogenität der Landschaft ab. Walz (2013) hat in Tab. 22 einige dieser Landschaftsindizes zur Bewertung regionaler Biodiversität zusammengestellt. In der Literatur werden folgende Eigenschaften des Landschaftsmusters genannt, die einen positiven Effekt auf die Biodiversität haben: – – – – – –

Hoher Anteil naturnaher Biotoptypen Hohe Biotopvielfalt Hohe Strukturvielfalt Große Flächengrößen Hoher Grad an Vernetzung Hohe Vielfalt an abiotischen Standortbedingungen

Einen Überblick über Indikatorsysteme zur Biodiversität auf der Basis von Landschaftsstrukturmaßen gibt Walz (2013). Stachow (1995) hat zur Erfassung des Agarlandschaftswandels ein Indikatorsystem vorgeschlagen, in dem zahlreiche Landschaftsstrukturmaße wie Diversitätsindex, Reliefenergie, Länge Waldränder, Schlaggröße Verwendung finden (s. Abb. 45). Abb. 45 Indikatorsystem zum Monitoring des Agrarlandschaftswandels (n. Stachow 1995)

Als ein Indikator zur Bewertung der Landschaftsstruktur für den Naturschutz in Deutschland (s. Tab. 22, Zusammenhang zu Artenvielfalt) zählt die Flächengröße und der Zerschneidungsgrad naturnaher Ökosysteme. In seiner umfangreichen Bearbeitung zur Charakterisierung der Landschaftsstruktur

10.3 Beispiele zu Landschaftsstruktur und ökologischen Funktionen

125

Deutschlands für ein Landschaftsmonitoring hat Walz (2013) zum Beispiel den Parameter unzerschnittene Waldfläche über 50 km 2 aus den amtlichen ATKIS-Daten berechnet und dargestellt (Abb. 46). Die Karte zeigt, dass es nur noch ca. 150 unzerschnittene Einzelwaldflächen dieser Größenordnung gibt, die sich auf wenige Gebiete wie Brandenburg, Mittelgebirge und Alpenraum konzentrieren. Überlagert man diese Karte mit der abgeleiteten Karte des Hemerobieindexes (Abb. 8.22 in Walz 2013), die auf der Zuordnung von Landnutzungsformen (n. ATKIS-DLM) beruht, wird deutlich, wie wenige oligohemerobe (schwach kulturbeinflusst) Wälder noch vorhanden sind (z.B. Harz, Schwarzwald, Bayrischer Wald). Abb. 46 Der Indikator „Unzerschnittene Waldfläche“ größer 50 km2 in Deutschland (verändert n. Walz 2013 S. 179)

Die Anwendung von Landschaftsstrukturmaßen über Indikatorsysteme basiert auf statischen flächen- oder linienhaften Rauminformationen mit klassifizierten Informationen (Attributdateien, z.B. Nutzungsklasse). Nicht berücksichtigt werden kann die Intensität der Nutzung, ihre zeitliche Dynamik und Innere Struktur (wie vertikaler Stockwerkbau Wald). Allerdings betont Walz (2013, S. 185): „Allerdings ist es aber auch gerade der Ansatz des Landschaftsmonitorings, mit möglichst wenig oder ganz ohne Felderhebungen Aussagen zum Zustand der Landschaft bzw. der Biodiversität abzuleiten.“ Nach Turner et al. (2001) bleibt eine Herausforderung in der Landschaftsstrukturanalyse zu verstehen, wann bei Veränderung quantitativer statistischer Eigenschaften („landscape metrics“) von Landschaftseinheiten dann auch signifikante Änderungen zugeordneter ökologischer Funktionen oder Prozesse stattfinden. In Bezug auf Landschaftsvielfalt oder Biodiversität nennt Walz (2013, S. 187) folgende Einschränkungen in der Anwendung von Landschaftsstrukturmaßen:

126

10.

Landschaftsstruktur Stichwort

Einschränkungen in der Anwendung von Landschaftsstrukturmaßen – Die Software ermöglicht die Generierung vieler Zahlenwerte zahlreicher Landschaftsstrukturmaße, die jedoch in hohem Umfang untereinander korrelieren. – Die Ergebnisse der Landschaftsstrukturanalyse hängen von der Qualität der Datenquellen und der subjektiven Merkmalsklassifikation ab. – Räumliche Muster der Biodiversität sind nicht allein von Landschaftstrukturmaßen abhängig – artspezifische Umweltreaktionen, Ausbreitungsverhalten und Konkurrenzverhalten sind z.B. mitbestimmend. – In ökologischen Modellen (z.B. Habitatmodellierung) kann die vertikale Landschaftskomponente wichtig sein (z.B. Vogelarten). – Die zeitliche Dynamik wird meist nicht berücksichtigt, die historische Entwicklung der Landschaftsstruktur bestimmt vielfach heutige ökologische Verhältnisse. – Es gibt keinen Standardsatz von Landschaftsstrukturmaßen – was die Vergleichbarkeit von Untersuchungen erschwert; beim Landschaftsmonitoring mit Zeitvergleich muss mit gleicher Klassifizierung und Landschaftsstrukturmaßen gearbeitet werden.

Wissens-Check

1. Benennen Sie mindestens drei Landschaftsstrukturmaße zur Charakterisierung eines Landschaftsmosaiks. 2. Nenne Beispiele, wo eine 3D-Landschaftsstrukturanalyse sinnvoll ist. 3. Benenne Landschaftsstrukturindizes, die sich für eine Biotopcharakterisierung eignen. 4. Welche Landschaftsstrukturmaße könnte man für eine Biotopverbundplanung (z.B. Trittsteinbiotope) heranziehen?

Literaturhinweise Blaschke, T. (2000): Landscape metrics: Konzepte eines jungen Ansatzes der Landschaftsökologie und Anwendungen in Naturschutz und Landschaftsforschung. – Archiv für Naturschutz und Landschaftsforschung, 39: 267–299. – Vorstellung von „landscape metrics“ mit Anwendungsbeispielen für Naturschutz und Landschaftsplanung. Lang, S., Klug, H. & Blaschke, T. (2004): Software zur Analyse der Landschaftsstruktur. – In: Walz, U., Lutze, G., Schultz, A., Syrbe, R.-U. (Hrsg.): Landschaftsstruktur im Kontext von naturräumlicher Vorprägung und Nutzung – Datengrundlagen, Methoden und Anwendungen. – IÖR-Schriften, 43: 29–46; Dresden (IÖR – Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung Dresden). – Übersicht über die Software zur Analyse der Landschaftsstruktur. Walz, U. (2004): Landschaftsstrukturmaße – Indizes, Begriffe und Methoden. – In: Walz, U., Lutze, G., Schultz, A., Syrbe, R.-U. [Hrsg.]: Landschaftsstruktur im Kontext von naturräumlicher Vorprägung und Nutzung – Datengrundlagen, Methoden und Anwendungen. – IÖR-Schriften, 43: 15–27; Dresden (IÖR – Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung Dresden). – Übersicht über die Indizes und Methoden der Erfassung von Landschaftsstrukturmaßen.

Literaturhinweise Walz, U. (2013): Landschaftsstrukturmaße und Indikatorsysteme zur Erfassung und Bewertung des Landschaftswandels und seiner Umweltauswirkungen. Habil.-Schrift Rostock, 259 S. – Eine umfassende Darstellung zur Verwendung von Landschaftsstrukturmaßen für die Analyse von Landschaftswandel, Biotopentwicklung und Naturschutz mit Auflistung und Erläuterung der messbaren Landschaftsstrukturindizes. www.geoportal.de/… GDI-DE: Suchmaschine für Geodaten aus Deutschland mit Landkarten, Luftbildern, Themenkarten (z.B. BÜK 200). Service von Bund, Ländern und Kommunen.

127

11. Störungen und Landschaftsentwicklung Überblick

N

atürliche und anthropogen ausgelöste Störungen (z.B. Feuer) sind Bestandteil zahlreicher terrestrischer Ökosysteme und beeinflussen die Landschaftsentwicklung bis hin zur Landschaftsdegradation in hohem Maße. Zum Teil werden Störungen bewusst vom Menschen für ein Landschaftsmanagement eingesetzt. Dargelegt werden die Grundlagen zu Definition und

Störung als Ökosystembestandteil

Ereignischarakterisierung mit ihren Komponenten. Ferner wird der Zusammenhang von Störung und Landschaftsheterogenität, Sukzession und Diversität erläutert. Die Raum-Zeit-Dimension des Einflusses von Störungen auf die Landschaftsentwicklung wird aufgezeigt, ebenso der Einfluss auf die Entwicklung von Biomasse und Artendiversität.

Sowohl natürliche (z.B. Feuer, Windwurf) wie anthropogen ausgelöste Störungen (z.B. Brandrodung, forstlicher Kahlschlag) sind integraler Bestandteil fast aller Ökosysteme auf der Erde und weitflächig verbreitet. Auswirkungen des menschlichen Nutzungseingriffes in die Landschaft werden vielfach durch die Methodik des Vergleichs von „naturnahen Systemen“ mit „genutzten Systemen“ oder „degradierten Systemen“ analysiert (z.B. Regenwald und Brandrodungsfeld, s. Kap. 3). Dabei muss man sich bewusst sein, dass sogenannte naturnahe Ökosysteme (z.B. Waldökosystem) vielfach eine Nutzungsgeschichte mit langfristig involvierten Störungen besitzen. Manche Ökosysteme sind ohne die natürlichen Störungen in ihrem Landschaftsmosaik und ihren Prozessen nicht erklärbar, wie der boreale Nadelwald oder Savannen mit ihrem Feuerregime. Störungen erhalten sowohl Ökosystemstrukturen (Bestandteil der Ökosystemstabilität; Hurricanes in Mittelamerika tragen zur Regenwalddiversität bei), verursachen jedoch auch die Landschaftsheterogenität und tragen zur Verjüngung mit veränderten Energie-, Wasser- und Nährstoffumsätzen sowie Pflanzensukzession bei (z.B. Hangrutschungen im tropischen Bergregenwald mit Bodenneubildung und Pflanzensukzession, Beck et al. 2008). Für den Erhalt alter Kulturlandschaften wie die Heidelandschaft in Norddeutschland sind periodische Störungen (wie Heidemahd, Plaggen, Feuer) im Rahmen des Landschaftsmanagements unerläßlich (Keienburg & Prüter 2004).

11.1 Störungen und Störungsregime – Grundlagen

129

11.1 Störungen und Störungsregime – Grundlagen Natürliche Störungen können ausgelöst werden zum Beispiel durch: abiotisch Hurricanes, Sturm, Vulkaneruptionen, Feuer wie auch biotisch mit Insektenbefall, Pilzbefall etc. Unterschieden wird dabei in kurzfristige Ereignisse in Raum und Zeit (wie Windwurf, Feuer) oder langfristig wiederkehrende Ereignisse, die die Landschaft über lange Zeiträume prägen (z.B. Savanne, Kiefernwälder im Westen der USA mit Pinus ponderosa) und als Störungsregime bezeichnet werden. Vale (1982) hat sogar KlimaVegetationsregionen der USA mit prekolonialen Feuerregimen korreliert (Fig. 4.7 in Bailey 2009). Definitionen zu Störungen müssen skalenabhängig betrachtet werden, insbesondere in ihrer landschaftsökologischen Wirksamkeit. Auf Ökotopebene stellt der Brand an der Baumgrenze einzelner Bäume eine intensive Störung dar, während dies auf Landschaftsebene (Ökoton subalpin/alpine Stufe) normaler Bestandteil der Landschaftsstruktur und der ökologischen Prozesse ist.

Grundlagen Störungsregime

Stichwort

Definition Störung Eine Störung ist „ein einzelnes, zeitlich abgrenzbares Ereignis, das in ein Ökosystem, die Biozönose oder Populationsstruktur eingreift und die Ressourcen, Verfügbarkeit von Substrat oder das abiotische Umfeld verändert. Eine Störung in diesem Sinne ändert den Zustand struktureller und physikalischer Variablen des Ökosystems, auch wenn diese Änderungen ihrerseits Funktionen und Prozesse des Ökosystems ändern“. (White & Picket 1985)

Im Ergebnis werden Störungen als solche Ereignisse definiert, die in einem kurzen, abgrenzbaren Zeitraum abrupt Einflüsse von mehr als nur geringem Umfang auf messbare Parameter des Ökosystems haben (Abb. 47). Unterschieden werden kann in endogene (wie Baumzusammenbruch im geschlossenen Wald) und exogene Störungen (wie Sturm, Feuer, Entwaldung durch den Menschen), wobei die Wirkungen auf das Ökosystem als skalenabhängig zu betrachten sind. So kann Beweidung selektiv auf den Ausfall einzelner Pflanzenarten wirken, jedoch systemimmanent (erhaltend) für die ganze Wiesengesellschaft. Bei Betrachtung der Auswirkungen von Störungen in der Landschaft müssen folgende Komponenten in ihrem raum-zeitlichen Auftreten beachtet werden:

Abb. 47 Störung als abruptes Ereignis mit begrenzter Dauer und Intensität (n. White & Jentsch 2001)

Störungskomponenten, Sukzession

130

11.

Tab.23 Komponenten von Störungen und Störungsregimen (n. Turner et al. 2001)

Landschaftsheterogenität und Störung

Störungen und Landschaftsentwicklung

Begriff

Definition

Häufigkeit

Median oder Mittelwert eines Ereignisses an einem Ort und pro Zeiteinheit; oder Anteil (%, Quotient) des Ereignisses pro Jahr

Intensität

Energiebetrag des Ereignisses pro Gebietseinheit und Zeit (z.B. Wärmeenergie-Feuer oder Windstärke-Sturm); Ereignischarakteristik

Residuen

Organismen oder Diasporen, die eine Störung überleben (biotisches Erbe)

Wiederkehrintervall

Median oder Mittelwert des Zeitintervalls zwischen den Störereignissen; Varianz bedeutsam – bestimmt die Prognosefähigkeit

Erholungsintervall (Sukzessionsperiode)

Mittlerer Zeitraum der benötigt wird, um den Zustand vor dem Störungsereignis wieder zu erreichen

Ausmaß

Auswirkungen der Störung auf Organismus, Gesellschaft oder Ökosystem; korreliert eng mit Intensität

Größe

Gestörtes Flächenareal, mittlere Flächengröße pro Ereignis, pro Zeitperiode oder prozentualer Anteil pro Zeiteinheit am Untersuchungsgebiet

Nach einem Störungsereignis setzt auf den gestörten Flächen eine dauerhafte, gerichtete Folgeentwicklung von Flora and Fauna (z.T. auch Boden wie nach Hangrutschungen oder kurzzeitigem Bodenerosionsereignis) ein, die in der Ökologie und Geobotanik als Sukzession bezeichnet wird und im Idealfall wieder zur Klimaxgesellschaft führt. Sukzessionale Entwicklungen sind somit normale Bestandteile von Störungsregimen (z.B. Savannenentwicklung nach Brand). White & Jentsch (2001) haben die Bedeutung von Störungen für die Ökosystementwicklung zusammenfassend diskutiert. Danach besitzen Störungen eine besondere Bedeutung für: Landschaftsmosaik und Heterogenität, Biodiversität und organismische Adaption („life-history“) mit funktionaler Stabilität von Organismen, im Naturschutz mit Störungsmanagement, Habitatfragmentierung, Erhalt traditioneller Kulturlandschaften (z.B. Heide), exotische Arteneinwanderung. Inwieweit beeinflusst die Heterogenität der Landschaft die Ausbreitung der Störung? Denkt man an homogen gestaltete Landoberflächen wie monotone Forstkulturen oder Agrarlandschaften (z.B. Maisanbauflächen), so erscheint einsichtig, dass Landoberflächen mit geringer heterogener Landschaftsstruktur störungsempfindlicher sind, was insbesondere das Flächenausmaß angeht (Waldbrand in homogenen Kiefernwäldern, Raupenentwicklung und Fraß durch den Kiefernspanner – Bupalus piniaria). Andererseits hängt es auch von der Größe der Habitate (patch size) ab, wie störungsempfindlich sie sind (z.B. bei Windwurf). So nimmt mit ansteigendem Waldrodungsanteil im Douglasientannenwald der USA die Störanfälligkeit gegenüber Windwurf, Waldbrand und Schädlingsbefall deutlich zu.

11.1 Störungen und Störungsregime – Grundlagen

131

Generell gilt: eine höhere Landschaftsheterogenität verbessert die Sukzessionsentwicklung über die Faktoren der schnelleren Wiederbesiedlung von den Störrändern her und vermehrtem Erhalt von Habitatrefugien. Homogene artenarme Landbedeckungen besitzen meist ein hohes Ausbreitungspotential für Störungen. Ist dabei der Anteil störungsempfindlicher Habitate hoch (über 60%), so ist auch trotz geringer Störungsfrequenz ein hoher zerstörter Flächenanteil bei Eintritt der Störung gegeben. Ist der Anteil störungsempfindlicher Habitate gering (unter 40%), so bleibt der Zerstörungsgrad bei geringer Störungsfrequenz auch bei hoher Ausbreitungswahrscheinlichkeit gering (Franklin & Forman 1987). In einer Studie in Ontario (Kanada) in der borealen Nadelwaldzone korrelierte die Dauer der Raupenplage (Jahre) mit der Waldranddichte (Waldrand in km/km2) als Maß für die Landschaftsheterogenität (Abb. 7.6 in Turner et al. 2001). Natürlich hängt es von der Art des Schadereignisses und bei Schädlingskalamitäten von der Schadart ab. Hohe Baumdichte, homogenes Bestandsalter und Konnektivität des Bestandes in der Landschaft (damit geringere Heterogenität) begünstigt eine hohe Ausbreitungswahrscheinlichkeit.





Fazit: Inhaltliche Landschaftsheterogenität (wie Mischwald) vermindert die Ausbreitungsgefahr bei Störung innerhalb der gleichen Landbedeckung (z.B. leichter Waldbrand). Räumliche Heterogenität (wie Waldmosaik mit einer Baumart, z.B. Fichte) erhöht jedoch die Störungsempfindlichkeit bei hoher Waldranddichte (edge-Effekt bei Windwurf).

Störungen verursachen heterogene Landschaftsstrukturen und fördern die Sukzession: Viele Landschaftsstrukturen sind ohne eine Erkenntnis über aktuelle oder historisch abgelaufene Störungsereignisse kaum erklärbar. Das heterogene Landschaftsmosaik ist vielfach ein Ergebnis von Ausmaß, Intensität und Häufigkeit von Störereignissen. Störungen erhöhen die Heterogenität im Raum. Aufgrund der Störungswirkungen entsteht ein Landschaftsmosaik (landscape pattern). Die Landschaftsteile (patches) besitzen eine unterschiedliche Ressourcenausstattung z.B. für die Artenentwicklung und Sukzessionstadien und verändern sich über die Zeit innerhalb des ökologischen Systems (patch-dynamics) (Jax 1998/1999). Ein klassisches Beispiel ist der historische Nutzungseingriff in das Ökosystem der Immergünen mediterranen Hartlaubvegetation (Eichenwälder) mit den Degradationsstufen (Ersatzgesellschaften) von Macchie, Garrigue und Felstrift/Felsheide (s. Abb. 48). Sowohl Nutzungsintensität von Holzentnahme über Beweidung bis zur ackerbaulichen Rodung wie auch Frequenz der Nutzungseingriffe bedingen die Entwicklung der verschiedenen Er-

Degradationsstufen mediterraner Wald

132

11.

Störungen und Landschaftsentwicklung

satzgesellschaften. Theoretisch ist von jeder Degradationsstufe ausgehend eine Wiederentwicklung (Sukzession) zur nächst höheren Vegetationsgesellschaft möglich. Jedoch hängt es nach jeder Störung von den verbliebenen ungestörten Restflächen ab, von ihrem vererbten Entwicklungspotential (z.B. Samenbank, Stockausschlag) und den Folgeschäden (z.B. Bodenerosion) mit langfristiger Veränderung abiotischer Umweltbedingungen (wie Bodendegradation), ob die Sukzession eintritt. Abb. 48 Degradationsstufen (Ersatzgesellschaften) durch Störungseingriffe im mediterranen Wald (verändert n. Wagner 2001)

Sukzession

Nach Turner et al. (2001), White & Jentsch (2001) ist die Sukzessionsentwicklung der natürlichen Vegetation abhängig von: Größe der Vegetationsrestflächen (z.B. nach Brand oder Rodung), Entfernung zu den ungestörten Habitaten, heterogenem Landschaftsmosaik, Diasporenverfügbarkeit sowie Störungsanpassung und Pflanzenkonkurrenzverhältnisse. So breiten sich z.B. nach Brand im mediterrranen Ökosystem die feuertoleranten Arten wie das

11.1 Störungen und Störungsregime – Grundlagen

Brandkraut (Phlomis fruticosa) aus, das bei ungestörter Sukzession von Macchiensträuchern wieder verdrängt werden kann. Auch die Größe der zerstörten Fläche spielt eine wichtige Rolle, da im Zentrum häufig stärker verschlechterte biophysikalische Bedingungen als an den Rändern herrschen und die Wiederbesiedlung meist von den Rändern her beginnt. So werden kleine Brandrodungsfelder (0,1–10 ha) im Regenwald nach Nutzungsaufgabe schnell über das Stadium des Sekundärwaldes kolonisiert (s. gap model Waldentwicklung), während meist großflächig gerodete Flächen bei Nutzungsaufgabe häufig von artenarmen Ersatzgesellschaften (wie Grasland Imperata cylindrica) eingenommen werden. Wie in einer heterogenen Landschaft nach Störung die Sukzession ablaufen wird, ist sowohl theoretisch (Sukzessionsmodelle, s. z.B. Johnson & Miyanishi 2008) wie über empirische Studien (Problem der Langzeitentwicklung) weiterhin eine große Forschungsherausforderung. Turner et al. (2001) haben in einer Graphik den Einfluss von Flächengröße der Störung, Störungsintensität und Störungsfrequenz auf die Vorhersagbarkeit der Sukzessionsentwicklung schematisch dargestellt (s. Abb. 49). Daran wird deutlich, dass die Sukzessionsentwicklung klarer abläuft, wenn das Ausmaß der Störfläche und die Störintensität gering sind (zahlreiche Restflächen vorhanden, Heterogenität), während bei großer Störfläche mit hoher Intensität und Frequenz unvorhersehbare Sukzessionen eintreten können. Ebenfalls problematisch ist die Antwort auf die Frage, wie sich in der zeitlichen Entwicklung Änderungen im Störungsregime auf die Landschaftsentwicklung auswirken, was für das Management von störungsangepassten Ökosystemen von großer Bedeutung ist (z.B. Heidelandschaft: statt Plaggenbewirtschaftung Schafbeweidung; Feuerregime im Savannenökosystem – Nationalparks in Südafrika, s. auch Steward & White 1985). In einer Simulation der Waldentwicklung über 300 Jahre mit Wechsel von räumlich verteiltem dispersem Holzeinschlag (plot-Basis mit 10% Rodungsfläche pro 10 Jahre) zu aggregiertem Holzeinschlag (10% der Fläche kompakt gerodet) hat sich nach 20, 40 und 60 Jahren nur eine sehr geringe Änderung in Landschaftsstrukturmaßen (wie innere Waldflächengröße,

133

Abb. 49 Raum-ZeitDiagramm möglicher Sukzessionen nach Störungsereignissen (n. Turner et al. 2001)

134

11. Abb. 50 Einfluss von Störungsareal und Störungsfrequenz auf die Landschaftsentwicklung (n. Turner et al. Fig. 7.16)

Störung und Landschaftsmuster

Störungen und Landschaftsentwicklung

Waldranddichte) in Richtung Aggregatzustand ergeben (Abb. 7.13 in Turner et al. 2001). Unabhängig von der theoretischen Diskussion um Konzepte der Landschaftsentwicklung (s. Klimaxstadium, gap-Modell, Mosaik-Zyklustheorie) haben Turner et al. (2001) ein vereinfachtes Schema zum Einfluss der RaumZeitskala der Störung auf die Landschaftsdynamik entworfen (Abb. 50). Nimmt man als Beispiel die gap-Dynamik im Regenwald mit einem Ausmaß von 1% der Bezugsfläche (ha) und Häufigkeit von 1 Jahr und der Zeitdauer bis zur Reifephase (Klimaxstadium, ehemalige Regenwaldstruktur und -zusammensetzung erreicht) von 100 Jahren, dann ergibt sich als Zeitparameter Z = 0,01 und als Raumparameter R = 0,01 und nach dem Diagramm ein ausgesprochen stabiler Gleichgewichtszustand. Verändert man die Bezugsfläche auf einen Regenwaldrest von 500 m2 und 100 Jahre bis Reifephase, dann ergibt sich Z = 0,01 und R = 0,2 mit einem instabilen Waldmosaikzustand und Gefahr des Zusammenbruchs! Landschaften mit weitflächiger Störung, großer Störungshäufigkeit und langsamer Wiederentwicklung (Sukzession) sind danach potentiell instabile Systeme mit Entwicklungen hin zu anderen Systemzuständen (Bifurkation). So führt die wiederholte Brandrodung im Regenwald auf nährstoffarmen Böden ohne ausreichende Brachephase zur Vegetationsdegradation mit Entwicklung von Ersatzgesellschaften (Sekundärbusch, Grasland; Gerold 2009). Andererseits können störangepasste Ökosysteme wie z.B. der Miombowald in Afrika oder die Baumsavanne des Krüger Nationalparks stabile Entwicklungsstadien nur durch den extensiven Feuereinfluss bilden. Bei einer Feuerfrequenz (Blitzeinschlag – natürliche Brände) alle 3–7 Jahre mit Flächenanteil von 15% ergibt sich in Abb. 50 für Z = 3,5 und für R = 0,15 das Stadium A als stabiles Savannenmosaik.

Fazit: Störungen verursachen komplexe heterogene Landschaftsmuster. Das folgende Landschaftsmosaik kann eine anhaltende Persistenz über die Zeit zeigen. Niederfrequente und mit geringem Flächenanteil am Habitat erfolgte Störungen stellen für manche Ökosysteme (Bsp. Offene Baumsavanne) systemimmanente Bestandteile dar.

11.1 Störungen und Störungsregime – Grundlagen

Störung und Sukzession sind unmittelbar mit der Landschaftsentwicklung und der Ausprägung der Landschaftsmuster verbunden. Störungskonzepte sind eng mit Theorien der Sukzession verbunden (Jax 1998, White & Jentsch 2001). Störungen vermindern anfangs die Häufigkeit (Anzahl, Biomasse) oder die Vitalität lebender Organismen, machen zuvor gebundene Ressourcen verfügbar und schaffen so die Grundlage für neues Wachstum (z.B. Grasverjüngung in der Savanne). Häufig verändern sie damit die biotischen Interaktionen und Konkurrenzverhältnisse zwischen den Organismen, Standortgeschichte, Pflanzenphysiologie der Arten und ihre Wechselwirkungen untereinander und mit der abiotischen Umwelt und gestalten damit die Sukzessionsentwicklung als einen äußerst komplexen raum-zeitlichen Prozess. Über die Zeit in Abhängigkeit von Ökosystemtyp und Historizität (Lebensgeschichte der Tier- oder Pflanzengesellschaft, s. Jax 1998/1999) sowie Störungsintensität nimmt die Artendiversität wie auch die NPP (z.B. Biomasse) zu, um dann bei ungestörter Weiterentwicklung hin zum Klimaxstadium wieder abzunehmen (HBM-Modell, s. Abb. 51). Der Verlauf des Regenerationsprozesses ist daher vom Ausmaß der Veränderung der Lebensgemeinschaft, Standortveränderung sowie Größe, Form, Heterogenität und Zeitpunkt des Störereignisses abhängig. Die Bedeutung räumlicher Parameter wie Arealgröße, Form, Konnektivität und Konfiguration sowie Störfläche und -intensität nehmen mit Verringerung der Habitatflächen und Anstieg der Störfrequenz zu. Der Zusammenhang von wichtigen Störfaktoren und Sukzessionsursachen mit ihren bestimmenden Faktoren ist in Tab. 24 dargestellt.

135

Abb. 51 HBM-Modell zwischen Artendiversität, Biomasseentwicklung und Störungsintensität (n. Fraser et al. 2014)

136

11.

Tab.24 Ursachen und bestimmende Faktoren der Sukzession (verändert n. Johnson & Miyanishi 2008)

Störungen und Landschaftsentwicklung

Allgemeine Ursachen

Prozesse

Bestimmende Faktoren

Standortverfügbarkeit

Großflächige Störungen

Störungsdauer u. -intensität; Arealgröße, Form, Heterogenität, Zeitpunkt der Störfläche

Artenverfügbarkeit

Anwesende Arten

Störungscharakteristika, störungsspezifische Empfindlichkeit der Organismen, Existenz von Diasporen und Samenbanken

Einwanderung

Isolation des Standortes, Distanz zu Quellpopulationen, Durchdringbarkeit der Matrix

Ressourcenverfügbarkeit

Bodeneigenschaften, Mikro- und Mesorelief, Mikro- und Mesoklima, Heterogenität der Störfläche, Standortgeschichte

Ökophysiologie

Keimungsanforderungen, Assimilationsraten, Wachstumsraten, Populationsdifferenzierung

Lebensgeschichtliche Strategien

Allokationsmuster, Reproduktionszeit u. -weise

Stochastischer Umweltstress

Klimatische Variabilität, Standortgeschichte, Vorbesiedlung, menschliche Einflüsse

Konkurrenz

Anwesenheit von Konkurrenten oder ihrer Antagonisten, Störungsregime, Umweltheterogenität

Alleopathie

Bodeneigenschaften, Mikroben, benachbarte Pflanzen

Herbivorie, Prädation u. Krankheiten

Klimavariabilität, Konsumentenzyklen, Vitalität und Resistenz der Pflanze, Zusammensetzung der Gemeinschaft, Umweltheterogenität

Verhalten der Arten am Standort

Abb. 52 Landschaftsmanagement durch massive Störung

11.1 Störungen und Störungsregime – Grundlagen

137

Stichwort

Störungen, Landschaftsentwicklung und Artendiversität – Natürliche, wie auch vom Menschen verursachte Störungen führen in der Regel zu einer Erhöhung der landschaftlichen Heterogenität und damit zur Fragmentierung in zahlreiche Habitate. – Die damit mögliche Zunahme an Artendiversität hängt von Größe, Funktion und Ressourcenanspruch der Arten ab (Art – Areal – Beziehung). – Landschaftsstörungen mit Veränderung der biotischen und abiotischen Ressourcen ermöglichen Spezialisten (stenöke Arten) sowie Pionierarten das Überleben und spielen im Naturschutz (Erhalt seltener Arten) eine große Rolle. – Nach dem ökologischen Gleichgewichtsmodell oder der Mosaik-Zyklus-Theorie führt bei geringerem Störeinfluss (Umweltstress) eine schnelle und hohe Populationsentwicklung bzw. -größe einzelner Arten zur Verdrängung (Konkurrenzbedingungen) und damit Verringerung der Artendiversität (Abb. 54). Gleiches passiert bei geringer Populationsentwicklung bzw. -größe unter hoher Störungsintensität (Abb. 54).

Abb. 53 Truppenübungsplätze besitzen im Naturschutz eine große Bedeutung (n. Warren & Büttner 2008) (G-P, Region Garmisch-Partenkirchen; NBW, Nationalpark Bayerischer Wald; O, Region Obersdorf; NB, Nationalpark Berchtesgaden; M, Region Mittenwald; GTA, Grafenwöhr Training Area; HTA, Hohenfels Training Area)

Abb. 54 Entwicklung der Artendiversität in Abhängigkeit von Populationsentwicklung und Störungsintensität (n. Huston in Turner et al. 2001)

n

138

11.

Störungen und Landschaftsentwicklung Wissens-Check

1. Charakterisieren Sie kurz Störung als Kurzfristereignis in seinen Auswirkungen auf die Biomasseentwicklung. 2. Mit welchen Komponenten können Störungsregime charakterisiert werden? 3. Beschreiben Sie den Zusammenhang von Landschaftsheterogenität und Störungsempfindlichkeit. 4. Nennen Sie Beispiele für Landschaftsdegradation und Vegetationssukzession aufgrund von Störungsumfang, Störungsfrequenz und Störungsintensität. 5. Wie würden Sie ein natürliches und anthopogen verursachtes Störungsregime vergleichen? Welche Kriterien würden Sie heranziehen, ob eine anthropogen verursachte Störung mit der natürlichen Störung in einem Landschaftsausschnitt vergleichbar ist? 6. Welche Störungen können gezielt für ein Landschaftsmanagement eingesetzt werden? Diskutieren Sie kurz Vor- und Nachteile im Sinne von natürlicher Sukzession und Naturschutz.

Literaturhinweise Fraser, L.H., Jentsch, A., Sternberg, M. (2014): What drives plant species diversity? A global distributed test of the unimodal relationship between herbaceous species richness and plant biomass. Journal of Vegetation Science 25, 1160–1166. – Diskussion zur globalen Anwendung des HBM-Modells (Verhältnis Biomasse zu Artendiversität) sowie Fragen, was bedingt die Artendiversität. Jax, K. (1998/1999): Natürliche Störungen: ein wichtiges Konzept für Ökologie und Naturschutz? Zschr. f. Ökologie und Naturschutz 7, 241–253. – Kurzgefasste Darstellung zur Definition Störung, Störung als ökologisches Ereignis und Ursache für raum-zeitliche Heterogenität mit Bezug zum Naturschutz. Johnson, E.A., Miyanishi, K. (Hrsg.) (2007): Plant disturbance ecology. The process and the response. Elsevier Amsterdam, 673 S. – Umfangreicher Sammelband zu den Hauptstörungsprozessen (Überflutung, Feuer, Großwild, Insektenbefall) und ihren Auswirkungen auf Pflanzensukzession und -anpassung. Keienburg, T., Prüter, J. (Hrsg.) (2004): Feuer und Beweidung als Instrumente zur Erhaltung magerer Offenlandschaften in Nordwestdeutschland. NNA-Berichte 17, H.2, 221 S. – Ökologische und sozioökonomische Grundlagen des Heidemanagements auf Sand- und Hochmoorstandorten. White, P.S., Jentsch, A. (2001): The search for Generality in Studies of Disturbance and Ecosystem Dynamics. In: Esser, K., Lüttge, U., Kadereit, J.W., Bergschlag, W. (Hrsg.) Progress in Botany, Vol. 62, 400–450, Springer Verlag. – Guter Überblick über Störungsdefinitionen und Forschungskonzepte. Behandelt werden ferner Vegetationsdynamik und Störung, die Skalen- und Intensitätsfrage, raum-zeitliche Variationen und Anpassungsfragen des Ökosystems an Störungen sowie Probleme der Untersuchungsmethoden.

12. Angewandte Landschaftsökologie Überblick

E

s wird ein Überblick über die vielfältigen Themenbereiche der Angewandten Landschaftsökologie und die aktuelle Entwicklung der Forschungsthemen in der Landschaftsökologie gegeben. Beispiele zu Konsequenzen

von Habitat- und Landnutzungsänderung sowie zum Landschaftsschutz (Biotopschutz) werden erläutert. Abschließend erfolgt eine kurze Betrachtung zu Landnutzungsmanagement und Ökosystemservicefunktionen.

Die Angewandte Landschaftsökologie hat sich parallel mit der Theorie und Methodik der Landschaftsökologie entwickelt und war und ist bis heute eng mit ihr verknüpft. Aufgrund von regionalen, nationalen wie globalen Umweltproblemen (z.B. Bodendegradation/Bodenerosion, Wasserqualität mit Eutrophierung, Waldrodung, Klimawandel) und der Anforderung an eine möglichst nachhaltige Nutzung der Naturressourcen und damit Vermeidung/Verringerung negativer ökologischer Auswirkungen bei Anwendung im konkreten Raum (wie Landnutzungs- und Siedlungsentwicklung) rückte der Bereich des Landschaftsmanagements oder Ökosystemmanagements ins Zentrum angewandter landschaftsökologischer Arbeiten. Zum einen wurden und werden für die Schutzgüter Klima (Immissionschutz), Boden (Bodenschutz), Flora und Fauna (Naturschutz, Biotopschutz) und Wasser (Gewässerschutz) zahlreiche Landschaftsbewertungsverfahren entwickelt (s. Mosimann 1999, Steinhardt et al. 2005, Bastian & Schreiber 1994, Marks et al. 1992), zum anderen erfordern die Erkenntnisse über Rückkopplungsmechanismen zwischen Landschaftsstruktur, anthropogene Störungseingriffe und ökologische Prozesse (Ökosystemfunktionen) (s. Kap. 6, 10, 11) Analyse- und Bewertungsverfahren, die die Landschaftsentwicklung mit ihrer räumlichen Heterogenität berücksichtigen und über Modellanwendungen (Kap. 8) in den Auswirkungen für Planer und Entscheidungsträger nutzbar machen. Im Grundlagenkapitel zur Landschaftsökologie von Mosimann (1999) werden als wichtige Themenbereiche der Angewandten Landschaftsökologie genannt: – – –

Landschaftsstruktur, Landschaftswandel und Biodiversität (z.B. Schutzgebietsentwicklung) Landschaftshaushalt und -funktionen unter dem Aspekt des Ressourcenschutzes (z.B. Bodenerosionsschutz) Erfassung und Bewertung des Landschaftsbildes (z.B. Windkraft und Landschaftsschutz)

Angewandte Landschaftsökologie

140

12.

Angewandte Landschaftsökologie



Eingriffsbilanzierung (z.B. UVP, WRRL)

Während die letzten beiden Bereiche mehr direkt von Praktikern und Planern (z.B. Landschaftsplanung) bearbeitet werden, stehen die ersten beiden Bereiche nach wie vor im Zentrum der Angewandten Landschaftsökologie, allerdings erweitert und z.T. eingebettet in die globalen Herausforderungen von Landnutzungswandel und Klimawandel mit ihren regionalen geoökologischen Auswirkungen. Herausforderungen und Hauptthemen zahlreicher Arbeiten in der Angewandten Landschaftsökologie befassen sich daher mit (s. Nassauer & Opdam 2008, Wu & Hobbs 2002): –

– –

Siedlungsentwicklung (Stadtökologie) und Landnutzungswandel (Ausdehnung Flächennutzung, landwirtschaftliche Intensivierung, Konkurrenz Nahrungsmittel- und Bioenergieproduktion mit neuen Landnutzungstypen) in ihren Auswirkungen auf die Landschaft (Fragmentierung, Biodiversitätsverlust, Ressourcendegradierung) ökologisch verträglicher Landnutzungswandel (Nachhaltigkeit, Optimierung Landnutzungsmanagement) Erhalt von Landschaftsdienstleistungen (Ökosystemservicefunktionen, Seppelt et al. 2011)

In Abb. 55 sind nach Wu & Hobbs (2002) die 10 wichtigsten Forschungsfelder der Landschaftsökologie in Relation zu Theorie, Methodik und Anwendung dargestellt. Abb. 55 Forschungsthemen in der Landschaftsökologie (n. Wu & Hobbs 2002)

Die Bereiche 2, 7, 8 und 9 sind dabei ausgesprochen angewandte Forschungsfelder, die Turner (2005) mit zu den zentralen Forschungsaufgaben in der Landschaftsökologie rechnet: „persistente Eingriffe des Menschen in Ökosysteme, damit Veränderung räumlicher Muster und Prozesse in unterschied-

12.1 Regenwaldrodung durch Brandrodungsfeldbau und Habitatveränderung

141

lichen Skalen und Veränderung von Landschaftsfunktionen mit ihren Rückkopplungen“. Der Landnutzungswandel („land use change – LUC“) oder Landnutzungsbedeckungswandel („land use and cover change – LUCC“) und Verlust an Biodiversität beinhaltet daher wichtige landschaftsökologische Inhalte: Zeitliche Entwicklung, Interaktionen von Arten (Netzwerke), Standort/Ökotop/Habitat besitzt eine spezifische Artengemeinschaft mit ihren abiotischen Umweltbedingungen, Produktivitätsentwicklung, Störungen wirken sich auf Artengemeinschaft und Ökosystementwicklung aus, Änderung im Landschaftsmosaik („patches“) verändern Landschaftsstruktur und damit -funktionen (n. Turner et al. 2001). Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen.

12.1 Regenwaldrodung durch Brandrodungsfeldbau und Habitatveränderung Die Tropen mit den Immergrünen Regenwaldgebieten stellen seit 30–40 Jahren einen Schwerpunkt der Waldkonversion dar, mit einer jährlichen Rodungsrate von 0,43%, wobei die höchsten absoluten Flächenumwandlungen in Amazonien (Brasilien –0,6%/a) und Indonesien (–2,0%/a) (n. FAO 2005) stattfanden. Obwohl die Ökosystemservicefunktionen regional wie global mit Biodiversitätsschutz, Wasserversorgung und Kohlenstoffspeicherung seit den 1980er Jahren verstärkte internationale Bemühungen und Projekte zum Erhalt der Regenwälder mit sich brachten, geht die Waldkonversion unvermindert weiter. So werden weltweit jährlich ca. 13 Mio. ha Regenwaldfläche zerstört (FAO 2005), was zu einer C-Emission von 8,8 Gt (Pan et al. 2011) und Verlust von 14000–40000 Tier- und Pflanzenarten führt (Hughes et al. 1997). Rockström et al. (2009) zählen daher den Landnutzungswandel (LUC) zu den zehn wichtigsten globalen Parametern, die das planetarische Umweltsystem verändern und gefährden. In einer Studie von Dale et al. (1994) wurde der Prozess des Brandrodungsfeldbaues mit fortschreitender Kolonisation in Rondonia (Amazonasregenwald, Brasilien) untersucht und mit einem expliziten Modell der Entwaldung (Rodungsentwicklung) abgebildet. Mit dem Modell wurde der Verlust an Kohlenstoff (durch Brand und erhöhte Mineralisation der Biomasse am Boden), die räumliche Änderung der Vegetationsbedeckung sowie Auswirkungen auf die Tierwelt über Habitatverlust bzw. -fragmentierung abgebildet. Neben der zeitlichen Fortschreibung des IST-Zustandes über die jährlichen Rodungsraten (3 ha pro Jahr) wurde ein optimistisches (best-case Szenario) und ein pessimistisches (worst-case Szenario) bezüglich nachhaltigerer Landnutzungspraktiken (kaum Brandrodung, perenne Baumkulturen) und verstärkter Rodungstätig-

Regenwaldkonversion und Habitatentwicklung

142

12. Abb. 56 Entwicklung der Habitatfläche ausgewählter Regenwaldtierarten mit fortschreitender Brandrodung in Rondonia. (A) Flächenanspruch proportional zu „gap-Überwindungspotential“, (B) großer Flächenanspruch bei geringem „gap-Überwindungspotential“ (n. Dale et al. 1994; in Turner et al. 2001)

Angewandte Landschaftsökologie

keit abgebildet. In Abb. 56 ist die Veränderung der Regenwaldhabitatfläche für Tierarten, deren Flächenanspruch proportional zum Potential, Waldlücken zu überwinden (wie Bienen) (A) und Tierarten mit geringem Überwindungspotential und hohem Flächenanspruch (wie Affen, Baumfrösche) (B) dargestellt. Deutlich wird, dass bereits nach 7–15 Jahren mit der Waldfragmentierung ein erheblicher Verlust an Tierarten die Folge ist.

12.2 Landnutzungsentwicklung in Ostbolivien – Ursachen der Entwaldung und zukünftige Entwicklung Modell zur Landnutzungsentwicklung – Ostbolivien

Seit den 1970er Jahren gehört das Tiefland von Santa Cruz zu den frühen Kolonisationsschwerpunkten Boliviens und ist nach wie vor das Departamento mit dem stärksten wirtschaftlichen Wachstum (Gerold 2008a). Neben der Entwicklung einer technisierten, marktorientierten Landwirtschaft war und ist die Region ein Zuwanderungsgebiet der spontanen kleinbäuerlichen Kolonisation. Bis heute ist die Agrarstruktur geprägt durch den Dualismus technisierter, auf Industriekulturen (Soja, Sonnenblumen, Zuckerrohr) oder Viehzucht ausgerichteter Großbetriebe (2% der Betriebe mit über 63% der Fläche) und einer überwiegenden Mehrzahl von Kleinbetrieben (a 50 ha) mit fehlendem Betriebskapital und sehr niedrigem Betriebseinkommen, die weiterhin in Form des gebundenen Brandrodungsfeldbaues („chaqueado-System“) oder der einfach technisierten Wechselfeldwirtschaft wirtschaften. Als Folge eines Weltbankprojektes mit Infrastrukturerschliessung (Straßenausbau) erfolgte allein im Zeitraum von 1984–2001 eine Waldrodung (saisonierter Regenwald) in der Größenordnung von 1,3 Mio. ha vor allem für den beginnenden Sojaboom (Krüger 2006, Gerold 2008a). Aufgrund rein mechanischer Bodenbearbeitung ohne Humusbewirtschaftung degradierten die Böden in Abhängigkeit vom Rodungsalter im Alluvialtiefland von Santa Cruz zunehmend, womit neben Bodenverdichtung ein hoher Humusschwund (C-Verlust) zu verzeichnen war (vgl. Gerold 2008a). Der C-Vorratsverlust im Oberboden

Landnutzungsentwicklung in Ostbolivien

(0–20cm) betrug auf tonärmeren Böden 12–17 t/ha, damit waren nach 20 Jahren Nutzungsdauer ca. 40–50% der C-Vorräte und damit Humusvorräte mineralisiert und abgebaut worden. Zur Abschätzung der zukünftigen Entwicklung mit Gefahr weiterer Bodendegradation und großräumigen Biodiversitätsverlust wurde in einem Projekt die zukünftige Landnutzungsentwicklung über ein räumlich explizites Logitmodell abgeschätzt (Müller et al. 2011). Basierend auf der Landsat-Satellitenbildauswertung von 1976–2005 mit fünf Zeitschnitten erfolgte der Modellaufbau über elf unabhängige Variablen mit: Exzessiver Niederschlag, Dürrerisiko, fruchtbare Böden, nährstoffarme Böden, Hangneigung, Transportkosten zum Lokalmarkt, … zum Exportmarkt, Nationalpark, Gebiet Integrierter Landnutzung, Forstkonzession, Indigenes Schutzgebiet. Die in Modellen zur Entwaldungsprognose häufig eingesetzte Variable Entfernung zu früherer Rodungszelle wurde bewusst wegen Autokorrelation zu anderen Variablen nicht mit ins Erklärungsmodell hineingenommen (zur Methodik s. Müller et al. 2011a). Nach der Satellitenbildauswertung gehen 54% der Entwaldung auf das Agrobusiness (mechanisierte Großbetriebe mit cash crops) zurück (s. Abb. 57). Mittels des LUC-Modells konnte dann die Wahrscheinlichkeit der weiteren Waldrodung mit Entwicklung der Landnutzungsexpansion in Ostbolivien abgeleitet werden (Abb. 57). Deutlich wird, dass östlich der Stadt Santa Cruz und nördlich der Stadt Ascension de Guarayos aufgrund der Reliefverhältnisse (Ebene), noch relativ ausreichenden Niederschlägen und vor allem des Transport- und Vermarktungspotentials die mechanisierte Landwirtschaft sich weiter ausdehnen wird, während in den marktfernen Regionen der Chiquitania (s. Concepcion; auch extrem ungünstige Böden und Reliefverhältnisse) wie des Beni-Tieflandes (s. Cobija) die extensive Weidewirtschaft sich mit höherer Wahrscheinlichkeit kleinräumig ausbreiten wird. Betrachtet man die Entwicklung der Entwaldung in Bolivien, so trat mit dem gegenüber Brasilien deutlich verzögerten Prozess der globalen Marktexportausrichtung vor al-

143

Abb. 57 Wahrscheinliche Entwicklung der Landnutzungsexpansion in Ostbolivien durch mechanisierten Feldbau bis 2030 (n. Müller et al. 2011b)

144

12.

Angewandte Landschaftsökologie

lem mit Soja (Agrobusiness) und der internen Marktausweitung für Rindfleisch (extensive Weidebetriebe) eine deutlich verstärkte Entwaldung von 2001–2010 ein (s. Gerold 2008a, Müller et al. 2011b). Damit verbunden hatten sich die CO2-Emissionen über den Entwaldungsprozess stark erhöht, deren Summen für den Gesamtzeitraum 1976–2010 in Tab. 25 dargestellt sind (s. dazu Müller et al. 2014). Pro Jahr betrug der C-Verlust in Bolivien im Zeitraum 1976–2010 ca. 0,014 Gt, im Vergleich mit dem brasilianischen Amazonasgebiet mit 0,343 Gt C-Verlust in 2005, was 20% der globalen C-Emissionen durch Landnutzungsänderung (LUC) ausmacht. Tab.25 Entwicklung der Entwaldung und C-Verlust in Ostbolivien 1976–2010 (n. Müller et al. 2014 Tab. 10).

C-Verlust

CO2-Emission

(in Gg) 1976–2010

(in Gg) 1976–2010

Biomasseverlust (in Gg) 1976–1992

Biomasseverlust (in Gg) 1992–2001

Biomasseverlust (in Gg) 2001–2010

Beni u. Santa Cruz

111575

84735

197433

196872

722518

Chiquitania

107535

150680

172840

215528

790986

Bolivien

244522

277028

424238

472894

1735521

Gebiet

z. Vgl. CO2-Emission durch Regenwaldrodung in Brasilien 1970–2013 ca. 477953488 Gg; d.h. 14,2 t pro ha und Jahr und in Bolivien 7,5 t pro ha und Jahr (Regenwald Beni u. Santa Cruz)

12.3 Landschaftsstruktur und Biotopschutz – Bsp. Heidelerche Biotopschutz Zielart Heidelerche

Zahlreiche Themen der Angewandten Landschaftsökologie resultieren aus den Anforderungen des Landschafts- und Naturschutzes (s. Abb. 55). Zu den gefährdeten Vogelarten der Offenlandbiotope in Deutschland zählt nach Rote Liste D die Heidelerche (Lululla arborea). Ihre Habitatansprüche betreffen vor allem extensiv genutzte Offenlandbiotope mit lückigen Grasfluren, mageren Böden mit offenen Bodenstellen und vorhandenen Bäume oder Baumgruppen als Sing- und Sitzwarte. Geschlossene Waldbiotope wie Nadelforste werden gemieden. Mit der Landschaftsveränderung (Störungseingriff) durch den militärischen Übungsbetrieb auf den norddeutschen Heideflächen wurden Offenlandbiotope geschaffen, die potentiell für zahlreiche Tierarten Rückzugshabitate in Deutschland darstellen (wie Birkhuhn, Ziegenmelker, Kreuzotter), so auch für die Heidelerche. Mit dem Ziel der Renaturierung im Naturschutz der aufgelassenen militärischen Übungsflächen wurde am Beispiel der Heidelerche (Zielart) die Habitatqualität dieser Flächen untersucht, um Maßnahmen zum Erhalt präferierter Übungsflächen für den VNP (Verein Naturpark Heide) ableiten zu können.

12.3 Landschaftsstruktur und Biotopschutz – Bsp. Heidelerche

Für die Rote Fläche 3b (Ahrens 1998) wurden Methoden der Landschaftsökologie mit Biotoptypenkartierung, Auswertung der Revierkartierungen durch Ornithologen des VNP, GIS-Verarbeitung (overlay), statistische Analyse zu Korrelation Landschaftsstrukturmerkmale mit Reviervorkommen und -dichte sowie Ähnlichkeitsanalysen (wie Chi-Quadrat-Test, Clusteranalyse) eingesetzt. Von 27 Biotoptypen sind zusammengefasst die Gras-Kräuterfluren mit Calluna-Heideanteil (25–50%) sowie Gras-Kräuterfluren mit 25–75% Deckungsgrad flächenmässig die bedeutendsten für die Zielart Heidelerche (s. Abb. 58). Es handelt sich um stärker vom militärischen Übungsbetrieb gestörte Flächen in der Nachbarschaft zu lichten Waldrändern oder Baumgruppen mit einem Flächenanteil von knapp 20%, die einen hohen Anteil in den Vogelrevieren besitzen. Zwar haben auch vegetationsfreie Flächen einen höheren Anteil in den Revieren, ihr Nutzungsquotient ist aber deutlich schlechter (Abb. 59).

145

Abb. 58 Biotoptypen und Reviere der Heidelerche auf der Roten Fläche 3b (n. Ahrens 1998)

146

12.

Angewandte Landschaftsökologie

Abb. 59 Nutzung und Angebot an Biotoptypen für die Heidelerche (n. Ahrens 1998)

Für die Landschaftsplanung mit der Zielart Heidelerche stellvertretend für Biotoptypen der Offenlandschaft und deren Tierarten ergeben sich folgende zu erhaltende Landschaftsstrukturmerkmale: Stichwort

Strukturmerkmale Offenlandschaft Zielart Heidelerche – Einzelbäume und Baumgruppen, waldrandähnliche Strukturen in Kombination mit Offenflächen – Gras- und Pionierfluren (z.B. Sandrasen) mit Offenflächen oder geringem Deckungsgrad – Zur Erhaltung der Heidelerche in ihrer aktuellen Bestandsdichte ist es erforderlich, eine Bandbreite an Heide- und Trockenrasenbiotopen unterschiedlicher Sukzessionstadien zu erhalten!

Das bedeutet, auf Teilflächen müsste in zeitlichen Abständen eine Pionierphase der Heideentwicklung und Trockengrasgesellschaften eingeleitet werden bzw. durch Pflegemaßnahmen erhalten werden (= gesteuerte Landschaftsentwicklung).

12.4 Landnutzungsmanagement – eine komplexe interdisziplinäre Aufgabe Landnutzungsmanagement – Ökosystemservice

Als wichtige Forschungsbereiche in der Angewandten Landschaftsökologie sind in Abb. 55 unter 8) Optimierung des Landschaftsmosaiks im Sinne von Nachhaltigkeit und Erhalt von Ökosystemservicefunktionen sowie 9) In-

12.4 Landnutzungsmanagement – eine komplexe interdisziplinäre Aufgabe

147

tegration des menschlichen Handelns und seinen Aktivitäten in die Landschaftsökologie angegeben. Damit erweitert sich Theorie und Methodik der Landschaftsökologie in den sozio-ökonomischen, gesellschaftswissenschaftlichen Bereich hinein, was mit den Forschungsbereichen „Optimierung Landmanagement und Landschaftsdienstleistungen (Ökosystemservicefunktionen)“ umschrieben werden kann (Seppelt et al. 2011, Nasauer & Opdam 2008). Dabei wird das geographische holistische Prinzip „Mensch-Umwelt-Relationen“ („total human ecosystem“) sowie „nachhaltige Entwicklung von Ökosystemen“ aufgegriffen. Die Landschaftsökologie kann dazu vor allem beitragen mit der Analyse von: Landschaftsstruktur mit ihrer Heterogenität und -entwicklung, Störungsregime mit ihren Prozessen, Relation Landschaftsstruktur und ökologische Prozesse, Ökosystemfunktionen, räumlich diskrete Auswirkungen von Landnutzung auf Ökosystemfunktionen. Landnutzungsmanagement im ökologischen Sinne bedeutet, dass sowohl der ökonomische Anspruch des Menschen (wie Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte) mit den ökologischen Prinzipien des Erhalts wichtiger Landschaftsfunktionen (wie Gewässerqualität; Bodenschutz) verknüpft werden kann. In der Literatur wird vom „Trade-off“ zwischen Ökonomie und Ökologie gesprochen (s. Tilman 1990), indem man versucht, einen optimalen Abgleich zwischen z.B. Ressourcennutzung (Landnutzung) und Erhalt von Ökosystemfunktionen (wie Wasserhaushaltsregulation) zu erreichen. Ein optimaler Abgleich zwischen „n-Parametern“ kann mathematisch mit der „ParetoOptimierung“ erreicht werden, wenn alle Variablen in ihrem Merkmalsraum quantifizierbar sind. Dann kann jeder Parameter nicht mehr besser werden, ohne dass ein anderer schlechter wird (als Bsp. s. Lautenbach et al. 2014).

Beispiel: „Trade-off“ zwischen Kakao-Agroforstnutzung und Artendiversität Im Regenwaldökosystem auf Sulawesi (Indonesien) wurde in einem Nutzungsgradient vom ungestörten Regenwald hin zu Kakao-AF-Systemen mit abnehmendem Deckungsgrad der Schattenbäume der Zusammenhang zwischen Kakaoerträgen (ökonomischer Wert), Kohlenstoffspeicherung als Ökosystemdienstleistung und Erhalt von Artendiversität (4 Pflanzengruppen, 8 Tiergruppen) untersucht (Kessler et al. 2012, Steffan-Dewenter et al. 2007). Am Beispiel der Baumdiversität und der Wespengruppe wird deutlich, dass je nach Artengruppe der Verlust an Arten mit der Abnahme der Baumbedeckung, die einer Abnahme der Baumstammzahl pro ha entspricht (von 50 auf 15), sehr unterschiedlich ist. Während bei einem Baumbedeckungsgrad ab 80% und weniger die Baumartenzahl weiter drastisch abnimmt, tritt dies bei den Wespen erst ab 60% ein. Für die Waldvögel ergibt sich zwar eine Abnahme, jedoch nicht signifikant (hohe Streuung bei geringer und mittlerer Bedeckung) und für die Tagfalter eine klar signifikante Abnahme der Artendiversität mit Abnahme des Baumdeckungsgrades. Vergleicht man den Gesamtar-

Kakao-Agroforstsystem als „trade-off“ Beispiel

148

12.

Abb. 60 „Trade-offs“ in Kakao-Agroforstsystemen zwischen Nettoeinkommen (pro ha × Jahr) und Artendiversität (Bäume, Wespen) (n. SteffanDewenter et al. 2007) Abb. 61 Kohlenstoffvorrat im Vergleich von Regenwald und KakaoAgroforst-System mit unterschiedlichem Beschattungsgrad (n. Kessler et al. 2012)

Angewandte Landschaftsökologie

tenverlust Wald und Agroforstsystem, so ergibt sich ein Verlust an Waldarten von 60%, die Gesamtartendiversität (Zunahme Offenlandarten) geht jedoch nur wenig zurück. Auch bleibt der Biodiversitätsverlust bei Reduzierung des Deckungsgrades von 80% auf 40% Schattenbäume relativ gering mit Verdopplung des Farmeinkommens (Abb. 60). Schattentoleranter Qualitätskakaoanbau wäre daher eine Alternative zur Sicherung ausreichender Einkommen für die Kleinbauern und Erhalt eines gewissen Biodiversitätslevels. Vergleicht man die Agroforstsysteme mit dem natürlichen Regenwald bezüglich der Ökosystemservicefunktion Kohlenstoffspeicherung (ober- und unterirdischer C-Vorrat), so besitzen die hoch beschatteten Kakao-AF-Systeme noch 60–70% des Regenwaldvorrates, der jedoch bei gering beschattetem KakaoAF-System auf 30–40% herabfällt (Kessler et al. 2012, Abb. 61). Landnutzungsmanagement in Verbindung mit dem Ziel einer nachhaltigen Nutzung sowie des Erhalts von Ökosystemservicefunktionen (s. Termorshuizen & Opdam 2009) bedeutet für die Landschaftsplanung eine interdisziplinäre mehrstufige Arbeitsweise, die Methoden der landschaftsökologischen Analyse mit Modellierung der Landnutzungsänderung (LUC) auf Basis sozio-ökonomischer Landnutzungsentscheidungen und Analyse/ Simulation ihrer Auswirkungen auf Ökosystemservicefunktionen beinhaltet. Abb. 62 (n. Turner et al. 2001) veranschaulicht die Teilkomponenten und Ablaufplan eines solchen „Dynamischen Landschaftsmodells“ (Kap. 8) in Verbindung mit ökologischen Auswirkungen der Landnutzungsänderung.

12.4 Landnutzungsmanagement – eine komplexe interdisziplinäre Aufgabe

149 Abb. 62 Konzeptmodell der Systemkomponenten und Simulationsschritte für ein ökologisches Landnutzungsmanagementsystem (n. Turner et al. 2001, S. 300)

Abb. 63 Landschaftsökologie als Basis für nachhaltige Landschaftsentwicklung (n. Termorshuizen & Opdam 2009)

150

12.

Angewandte Landschaftsökologie

In der Angewandten Landschaftsökologie werden komplexe Fragen des ökologisch verträglichen Landnutzungswandels oder der Optimierung des Landnutzungsmanagements bearbeitet (Abb. 55, 8), die Aufgaben der klassischen Landschaftsökologie (geoökologische Raum-Prozess-Analyse, „pattern-process“) mit sozio-ökonomischen Bewertungen der Landschaftsfunktionen verknüpft (Abb. 63). Bei Einbezug des anthropogenen Entscheidungs- und Bewertungssystems verknüpft man nach Termorshuizen & Opdam (2009) das biophysikalische System (Ökosystem, Landschaft) mit der anthropogenen Produktions- und Werteebene (Güter und Dienstleistungen) und betrachtet damit Landschaft als service- und wertelieferndes System, womit man sich im aktuellen angewandten Forschungsbereich der Servicekonzepte und Funktionen mit „Landschaftsdienstleistungen (landscape services)“ (Termorshuizen & Opdam 2009) und Ökosystemservicedienstleistungen (ecosystem services) (n. Seppelt et al. 2011) befindet. Zu den Hauptkomponenten der Ökosystemserviceforschung gehören nach Seppelt et al. (2011): – –

– –

Messung, Modellierung und Monitoring von Ökosystemfunktionen (s. Kap. 6) „trade-offs“ zwischen ökologischen Prozessen und sozio-ökonomischen Erfordernissen oder Entscheidungen (z.B. zukünftige Auswirkungen von Landnutzungsänderungen – vgl. dieses Kapitel) „off-site“–Effekte (lokale, regionale oder globale Akteursentscheidungen haben räumlich differenzierte Auswirkungen auf Ökosystemservices „stakeholder-Einbezug“ (zur Fundierung und Ableitung realistischer Managementoptionen und Szenarien der Modellierung)

In einem Übersichtsartikel fasst Seppelt et al. (2011) kritische Fragen für ein Ökosystemservicebewertungssystem zusammen. Abb. 64 Konzeptschema „Landschaftswandel und sozioökonomisches System“

Literaturhinweise

Termorshuizen & Opdam (2009) entwickelten ein Schema für die Kette „Landschaftsstruktur – Landschaftsprozesse-Landschaftsbewertung“, um die Vernetzung von „Landschaftswandel“ (LUCC) und „Sozioökonomischem System“ zu verdeutlichen. Nach ihnen besitzt die Landschaftsökologie das Potential, eine wissenschaftliche Basis für eine „nachhaltige Landschaftsentwicklung“ zu werden: „Landscape ecology is in a position to become the scientific basis for sustainable landscape development“ (Termorshuizen & Opdam 2009, S. 1037). Wissens-Check

1. Welche Themenbereiche sind in der Angewandten Landschaftsökologie wichtige Forschungsfelder? Beantworten Sie stichwortartig unter dem Aspekt des globalen Landnutzungswandels und Ökosystemservicefunktionen. 2. Welche Habitatqualität benötigt die Naturschutzzielart Heidelerche und welche Rolle kann das Landschaftsmanagement (welche Maßnahmen?) zum Erhalt der Offenlandschaft spielen? 3. Was versteht man unter „Trade-Off“ zwischen Ökonomie und Ökologie? Geben Sie Beispiele dafür an. 4. Beschreiben Sie Komponenten eines Konzeptes „Ökologisches Landnutzungsmanagementsystem“.

Literaturhinweise Bastian, O., Schreiber, K.F. (1994): Analyse und ökologische Bewertung der Landschaft. Fischer Verlag, Jena, 502 S. – Grundlagen und Verfahren der Landschaftsanalyse sowie Bewertungsverfahren mit mehr qualitativen Auswertemethoden werden für die Kompartimente der Landschaft beschrieben. Grunewald, K., Bastian, O. (Hrsg.) (2013): Ökosystemdienstleistungen. Konzept, Methoden und Fallbeispiele. Springer Spektrum, 332 S. – Umfangreiche Darstellung zu konzeptionellem Rahmen, Indikatoren und Quantifizierung von ÖSD sowie Leistungen von Agrar- und Waldökosystemen. Marks, R., Müller, M.J., Klink, H.J., Leser, H. (Hrsg.) (1992): Anleitung zur Bewertung des Leistungsvermögens des Landschaftshaushaltes. Forsch. Z. Dt. Landeskunde 229, 222 S. – Zeigt grundlegende geoökologische Methoden zur Kartierung und Ableitung von Landschaftskompartimenten und strukturellen Grundgrößen sowie vereinfachte Verfahren zur Bestimmung von Naturpotential bzw. Ökosystemserviceleistungen (wie Bodenerosionsschutz, Biotopwert, Klimameliorationspotential). Schneider-Sliwa, R., Schaub, D., Gerold, G. (Hrsg.) (1999): Angewandte Landschaftsökologie. Grundlagen und Methoden. Springer Berlin, 560 S. – Theorie und ökosystemare Grundlagen sowie Methoden und Modelle in der Angewandten Landschaftsökologie werden behandelt. Ferner werden Beispiele zur Landschaftsbewertung dargestellt. Seppelt, R., Dormann, C.F., Eppink, F.V., Lautenbach, S., Schmidt, St. (2011): A quantitative review of ecosystem service studies: approaches, shortcomings and the road ahead. Journal of Applied Ecology, 630–636. Doi: 10.1111/j.1365-2664.2010.01952.x – Analysiert global, welche Hauptmethoden und Änderungskonzepte bei ES, wieviele ES in Studien berücksichtigt wurden und welche Fragen bei ES-Studien vor allem zu berücksichitgen sind.

151

152

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Register 3D-Analyse 119

Ersatzgesellschaften 131

a-Diversität 55

Feststoffhaushalt 84 FRAGSTATS 122 funktionale Kenngrößen 58 Fuzzy-Logik 113

ABAG 103 Abflussprozesse 76 Aggregation 78 Aggregierung 44 Angewandte Landschaftsökologie 8, 139 Ausstattungsmerkmale 30 Bergregenwald 59 Bifurkation 134 Bilanzgröße 32 Biodiversität 54–55, 124 Biomasse 62 Biotop 23 Biotopschutz 144 Black-Box-Methode 86 Bodenabtragsbilanz 84 Bodendegradation 143 Bodenerosion 101 Bodenerosionsmodell 103 Bodenwasserhaushalt 61 bottom-up 23 Bruttoprimärproduktion 56 Bruttoprimärproduktivität 15, 32

gap model 133 Gebietswasserbilanz 74 Geoökologische Kartierung 41 GIS 43, 109 Grundwasser 89 Habitat 23, 111 Habitatanalyse 14 Habitatmodelle 113 Habitatmodellierung 110 HBM-Modell 135 Höhenstufung 54 holistisches Axiom 16 Horizontalstruktur 24 hot spot 33 HRU’s 78 Hydrological Response Units 41 Hydrologische Prozesse 75 Hydrotop 24, 77

In-/Outputbilanz 83 C-Allokation 61 C-Umsatz 63 C-Verlust 144 C/N 56 Catena 47 chorologische Dimension 23

DGM 119 Differentialanalyse 31, 34, 37, 41 digitale Reliefanalyse 43 Disaggregation 78 downscaling 105

Earth’s critical zone 28, 33 Econ 18 Ecosystem Services 53 Einzugsgebiet 47, 71 Endemische Arten 56 EROSION 2D/3D 103

Interflow 89

Kleinste Gemeinsame Geometrien 41 Klimatop 24 Kohlenstoffspeicher 84 Kohlenstoffspeicherung 63, 65, 67, 141, 147–148 Kompartimente 27 Kompartimentierung 25 komplexe Standortanalyse 16, 31, 33 Konzeptmodell 75, 96

LAI 64 Landnutzungsmanagement 87, 146 Landnutzungswandel 141 landscape metrics 116 Landschaft 7 Landschaftsbewertungsverfahren 139 Landschaftsdegradation 63

Register Landschaftselemente 30, 115 Landschaftsgefüge 39 Landschaftsgenese 14 Landschaftshaushalt 11, 32, 59, 70 Landschaftsheterogenität 131 Landschaftsmodell 100, 106 Landschaftsmodellierung 96 Landschaftsmosaik 16, 118 Landschaftsökologie 7 Landschaftsökologische Hauptmerkmale 47 Landschaftsökologische Komplexanalyse 46–47 Landschaftsplanung 140 Landschaftsstruktur 41, 115 Landschaftsstrukturanalyse 116 Landschaftsstrukturmaße 113, 115 Landschaftswasserhaushalt 74 Lebensraumfunktion 32 Litterproduktion 56 Logitmodell 143

Matrix 24 Minimumareal 14 Modelle 11, 94 Modellierung 76 Morphotop 24 Mosaik-Zyklus-Theorie 137

Nährstoffbilanz 85 Nährstoffumsatz 83 Naturschutz 124 Nettoprimärproduktion 56 Nettoprimärproduktivität 32 Nischenökologie 111 NPP 63 Oberflächenabfluss 89 Off-Site Schäden 102 offenes System 9 Ökochore 21 Ökofunktionen 21 ökologische Funktionen 122 ökologische Planung 11, 87 Ökosystem 8 Ökosystemforschung 9 Ökosystemfunktionen 52 Ökosystemprojekt 90 Ökosystemprozesse 52 Ökosystemserviceforschung 150 Ökosystemservicefunktionen 141, 147

Ökosystemstabilität 128 Ökoton 62 Ökotop 18 Ökotopprinzip 9, 14 Ökozonen 22 On-Site-Schäden 101

paired catchment 81 Patch 19 patches 8 pattern 9, 16 PCA-Analyse 56 Pedohydrotop 24 Pedotop 21, 24 Pedotransferfunktionen 78 Pflanzenrespiration 32 Prozess-Korrelationssystem 84 Prozess-Response-System 34 Prozessgröße 32 Prozesskennwerte 42, 109 Prozessmerkmale 30 Prozessmodelle 76

Regenwaldkonversion 79 Regionalisierung 77 regionische Dimension 23 Regulationsfunktion 32 Reliefelemente 30 Renaturierung 144 Repräsentanz 29 Retentionswirkung 91 Selbstregulation 9 Sensitivitätsanalyse 98 Simulation 98 Simulationsmodelle 95 Skala 14, 16 Störungen 87, 128 Störungsfrequenz 131, 133 Störungsintensität 133 Störungsregime 129, 133 Stadtökosystem 71 Stadtklima 71, 73 Stickstoffumsatz 87 Stoffbilanz 83 Stoffbilanzierung 85 Stoffverlagerung 88 Strahlungsbilanz 72 Strukturmodell 29 Sukzession 129

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Register SVAT 65 Szenarien 99

Tessera 46–47 Top 21 top-down 23 topische Dimension 21 topologische Dimension 23 Trade-off 147

Uferökoton 87 Umweltmonitoring 11 Umweltplanung 109 Upscaling 22, 71 urban layer 29 Verdunstung 82 vertikale Höhengradient 53 vertikaler Wasserumsatz 36 Vertikalstruktur 27, 31

Wärmehaushalt 72 Wärmeinseleffekt 73 Wasser- und Nährstoffumsatz 36 Wasser- und Stoffumsätze 58 Wasserbilanz 75 Wassererosion 84 Wasserhaushalt 76, 79 Wasserhaushaltsbilanz 82 Wasserhaushaltsmodell 97 Wasserpfade 87 Wasserumsatz 97 Xeroserie 15 Yungas 54 Zeigerwerte 15 Zielart 144 Zielarten 112 zonale Dimension 23 zonale Gliederung 22