Anthropologie des Alten Testaments, mit zwei Anhängen neu herausgegeben von Bernd Janowski: Mit zwei Anhängen neu herausgegeben von Bernd Janowski 9783641310806

In seinem Klassiker, 1973 in der 1. Auflage erschienen, analysiert Hans Walter Wolff die Vielzahl der Vorstellungen vom

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German Pages 414 Year 2018

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Table of contents :
Ein elementares Lehr- und Lesebuch Zur Neuausgabe von H.W.Wolffs »Anthropologie des Alten Testaments«
Vorwort
Vorwort zur vierten Auflage
Inhalt
§1 Einleitung
I. Des Menschen Sein. Anthropologische Sprachlehre
Vorbemerkungen
§2 næpæš – der bedürftige Mensch
§3 bāśār – der hinfällige Mensch
§4 rûaḥ – der ermächtigte Mensch
§5 leb(āb) – der vernünftige Mensch
§6 Das Leben des Leibes
§7 Das Innere des Leibes
§8 Die Gestalt des Leibes
§9 Das Wesen des Menschen
II. Des Menschen Zeit. Biographische Anthropologie
§10 Der alttestamentliche Zeitbegriff
§11 Schöpfung und Geburt
§12 Leben und Tod
§13 Jungsein und Altern
§14 Wachen und Arbeiten
§15 Schlafen und Ruhen
§16 Krankheit und Heilung
§ 17 Des Menschen Hoffnung
III. Des Menschen Welt. Soziologische Anthropologie
§18 Gottes Bild – der Weltverwalter
§19 Mann und Frau
§20 Eltern und Kinder
§21 Brüder, Freunde, Feinde
§22 Herren und Knechte
§23 Weise und Toren (Lehrer und Schüler)
§24 Der Einzelne und die Gemeinschaft
§25 Die Bestimmung des Menschen
Literatur
Abkürzungen
Register der hebräischen Wörter
Register der Sachen und Begriffe
Register der Bibelstellen (Nur die übersetzten Texte werden aufgeführt)
Nachwort zur dritten Auflage
Anhang I Ausgewählte Rezensionen
Anhang II »Anthropologie des Alten Testaments« vor und nach H. W. Wolff Eine forschungs- und problemgeschichtliche Skizze
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Anthropologie des Alten Testaments, mit zwei Anhängen neu herausgegeben von Bernd Janowski: Mit zwei Anhängen neu herausgegeben von Bernd Janowski
 9783641310806

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Hans Walter Wolff

Anthropologie des Alten Testaments Mit zwei Anhängen neu herausgegeben von Bernd Janowski

Der University of Aberdeen gewidmet in Dankbarkeit für die Verleihung des Honorary Degree of Doctor of Divinity

2. Auflage, 2018, 2023 Copyright © 2010 by Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber an den aufgeführten Zitaten ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall nicht gelungen sein, bitten wir um Nachricht durch den Rechteinhaber. Umschlagmotive: Links: Ein nur mit einem Lendenschurz bekleideter Mann und eine nackte Frau halten gemeinsam eine Blüte, Skarabäus aus Palästina / Israel, 1700–1600 v. Chr.; © Stiftung BIBEL + ORIENT, Freiburg / Schweiz. Mitte: Figur der Aschera, die stolz ihre Weiblichkeit präsentiert, gebrannter Ton mit Spuren weißer, rotbrauner, gelber und schwarzer Bemalung, Palästina / Israel 8. / 7. Jh. v. Chr.; © Stiftung BIBEL + ORIENT, Freiburg / Schweiz. Rechts: Medaillon im Fußbodenmosaik der Synagoge von Jericho, mit Menora zwischen Lulaf und Schofar, Palästina / Israel, 6. / 7. Jh. n. Chr.; © der Bildvorlage akg-images / Suzanne Held. Satz: SatzWeise, Bad Wünnenberg ISBN 978-3-641-31080-6 www.gtvh.de

Ein elementares Lehr- und Lesebuch Zur Neuausgabe von H. W. Wolffs »Anthropologie des Alten Testaments«

Es ist mir eine große Freude, die »Anthropologie des Alten Testaments« von Hans Walter Wolff in einer Neuausgabe vorlegen und damit für die theologische Wissenschaft wieder zugänglich machen zu können. Welche Bedeutung dieses Buch für die neueren Forschungen zur alttestamentlichen Anthropologie hat, wird in Anhang II (unten S. 373 ff.) ausführlicher skizziert. H. W. Wolff, der am 17. 12. 1911 in Wuppertal geboren wurde und am 22. 10. 1993 in Heidelberg starb 1, studierte in den 1930er Jahren Theologie und Orientalistik in Bethel, Göttingen und Bonn 2. Schon früh griff er das kritische Anliegen der Dialektischen Theologie auf und verband es mit seinem späteren wissenschaftlichen Lebensthema: der altisraelitischen Prophetie. So wurde sein erster Aufsatz »Die Begründungen der prophetischen Heils- und Unheilssprüche« von 1934 3 sein alttestamentlicher Beitrag zum Streit um den »Anknüpfungspunkt« (Kontroverse zwischen E. Brunner und K. Barth). Der Prophet, so seine These, kündet das göttliche Gerichtswort, tut dies aber so, dass er mit seiner Begründung bei der 1.

2.

3.

Anlässlich der Trauerfeier am 29. 10. 1993 in der Friedenskirche in Heidelberg-Handschuhsheim wurde von R. Weth und V. Hampel im Neukirchener Verlag ein Begleitheft herausgegeben, das auch die eingangs abgebildete Fotographie von H. W. Wolff enthält. Zur Biographie von H. W. Wolff s. R. Bohren, … dem sollen die Tage jung bleiben, in: Die Botschaft und die Boten (FS H. W. Wolff ), hg. von J. Jeremias und L. Perlitt, Neukirchen-Vluyn 1981, 1–8; S. Kreuzer, H. W. Wolff, BBKL 12 (2003) 1556–1563; J. Jeremias, Jörg Jeremias, in: S. Grätz / B. U. Schipper (Hg.), Alttestamentliche Wissenschaft in Selbstdarstellungen (UTB 2920), Göttingen 2007, 251–263 und W. H. Schmidt, Erinnerungen an unseren gemeinsamen Lehrer, in: Kontexte. Biografische und forschungsgeschichtliche Schnittpunkte der alttestamentlichen Wissenschaft (FS H. J. Boecker), hg. von Th. Wagner u. a., Neukirchen-Vluyn 2008, 273–282. Die Begründungen der prophetischen Heils- und Unheilssprüche (1934), in: ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament (TB 22), München 2 1973, 9–35.

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Ein elementares Lehr- und Lesebuch

Situation der Angeredeten ansetzt. Jener Erstlingsarbeit des 23jährigen, die eine Wende in der Prophetenforschung einleitete, folgten die berühmten Propheten-Auslegungen im »Biblischen Kommentar« 4, die seinen internationalen Ruf begründeten. Die Studie »Der große Jesreeltag (Hosea 2,1–3)« von 1952/53 5 skizzierte die Methodik, auf der dann das von ihm mitherausgegebene Kommentarwerk des »BK« – trotz mancher Neuerungen und Ergänzungen – seither basiert. Der Weg, den H. W. Wolff nach dem 2. Weltkrieg vom Pfarramt in Solingen-Wald (1946–1949) an die Kirchliche Hochschule Wuppertal (Dozentur 1947, volle Stelle 1949, hauptamtliche Professur 1951–1959) und danach an die Universitäten Mainz (1959–1967) und Heidelberg (seit 1967, emeritiert 1978) führte, war keine Einbahnstraße. Auch als Professor blieb er dem Leben der Gemeinde verbunden, weil er wissenschaftliche Exegese immer als theologische Aufgabe verstand. Das belegen unzählige Vorträge und Predigten in Gemeindegottesdiensten sowie auf Pfarrkonventen, Synoden, Kirchentagen und im Rundfunk6, Anlässlich seines 70. Geburtstages hat ein mit ihm befreundeter Kollege diesen Zug seiner Persönlichkeit zutreffend charakterisiert: »Er scheint mir als Exeget und Lehrer der Heiligen Schrift deshalb von exemplarischem Rang zu sein, weil er als Theologe die vorwissenschaftlichen Voraussetzungen der Theologie in hohem Maße erfüllt. Spiritualität ist nicht ein donum superadditum theologischer Wissenschaft, sondern deren Voraussetzung, nicht ein Adiaphoron, sondern Basis.« 7 Das ist es wohl, was ihn den Geist der alten Texte aufspüren und für die Gegenwart erschließen ließ, wo andere nur am Buchstaben kleben. Gleichwohl hat er sich nie dazu verstiegen, das Wort gegen die Wörter auszuspielen und Theologie auf Kosten der Philologie zu treiben. »Die Botschaft und die Boten« – so lautet der treffende Titel der 4. 5.

6. 7.

Kommentare zu den Büchern Hosea, Amos, Micha, Obadja, Jona und Haggai. Der große Jesreeltag (Hosea 2,1–3). Methodologische Erwägungen zur Auslegung einer alttestamentlichen Perikope (1952/53), in: ders., aaO 151–181. Hier findet sich zum ersten Mal das Gliederungsprinzip (Text – Form – Ort – Wort – Ziel), das für den Biblischen Kommentar verbindlich wurde. S. dazu die Hinweise bei Schmidt, Erinnerungen (oben Anm. 2), 279 f. Bohren, Tage (oben Anm. 2), 3.

Ein elementares Lehr- und Lesebuch

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ihm zum 70. Geburtstag gewidmeten Festschrift 8, der zugleich eines der Hauptthemen H. W. Wolffs umreißt. Dazu kam 1973, vorbereitet durch die kleine Schrift »Menschliches« von 1971 9, die »Anthropologie des Alten Testaments«. Dieses Buch, dessen Erscheinen wie schon die Dissertation »Jesaja 53 im Urchristentum« von 1942/ 4 1984 10 von seinem Lehrer und späteren Nachbarn in Heidelberg, G. von Rad, angeregt war 11, ist eine Fundgrube für die Frage, wie der Mensch im Alten Testament zur Erkenntnis seiner selbst gelangt, dabei aber immer intensiver vor die Frage nach Gott gestellt wird. Auch in den späteren Arbeiten zur Prophetie, besonders in dem knappen, aber gehaltvollen Aufsatz »Die eigentliche Botschaft der klassischen Propheten« von 1977 12, tritt als Kehrseite der prophetischen Sozialkritik immer deutlicher die Gottesfrage in den Vordergrund. Dies war, wie er im Nachwort zur dritten Auflage der »Anthropologie« bekundet, sein zentrales exegetisches Interesse: »Mir liegt allein daran, darzustellen, wie im Alten Testament der Mensch 8. Die Botschaft und die Boten (FS H. W. Wolff ), hg. von J. Jeremias und L. Perlitt, Neukirchen-Vluyn 1981. Dazu kam eine zweite Festschrift zum 70. Geburtstag: Das Alte Testament als geistige Heimat (EHS.T 177), hg. von M. Augustin und J. Kegler, Frankfurt a. M. / Bern 1982 / 2 1984. Zum 80. Geburtstag erschien dann die Festschrift: Was ist der Mensch … ? Beiträge zur Anthropologie des Alten Testaments, hg. von F. Crüsemann, Chr. Hardmeier und R. Kessler, München 1992. 9. Menschliches. Vier Reden über das Herz, den Ruhetag, die Ehe und den Tod (Kaiser Traktate 5), München1971. Themen der Anthropologie kündigen sich schon früh an, z. B. in dem Vortrag für Erstimmatrikulanden 1952: »Der Tag des Theologen«, in: H. W. Wolff, Wegweisung. Gottes Wirken im Alten Testament. Vorträge zum Bibelverständnis, München 1965, 114–133, hier: 116 ff. (»Schlafen und Wachen«), s. dazu auch Bohren, Tage (oben Anm. 2), 2. 10. Jesaja 53 im Urchristentum. Mit einer Einführung von P. Stuhlmacher, Gießen 4 1984. Wolff schrieb seine Dissertation während eines sechsmonatigen Studienurlaubs und nach »unvergessliche(n) erste(n) Beratungen zum Thema mit Gerhard von Rad in Jena« (Vorwort zur 4. Aufl., aaO 12). 11. Im Jahr 1971 hat H. W. Wolff die Festschrift zum 70. Geburtstag von G. von Rad herausgegeben, zu der er als »Schüler und Freund, Nachfolger und Nachbar«(648) ein von großer Empathie getragenes Gespräch mit von Rad beigesteuert hat: H. W. Wolff, Gespräch mit Gerhard von Rad, in: Probleme biblischer Theologie (FS G. von Rad), hg. von H. W. Wolff, München 1971, 648–658. 12. Die eigentliche Botschaft der klassischen Propheten (1977), in: ders., Studien zur Prophetie – Probleme und Erträge. Mit einer Werkbibliographie von J. Miltenberger (TB 76), München 1987, 39–49.

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Ein elementares Lehr- und Lesebuch

– auf vielfältige Weise – angeleitet wird, sich selbst zu verstehen, und wie sich dieses Verstehen seiner selbst bekundet« (Nachwort unten S. 351). Dieses Selbst-Verständnis des alttestamentlichen Menschen kommt bündig in den anthropologischen Leitsätzen von Gen 2,18, Mi 6,8 und Ps 8,5 zum Ausdruck, die auf dem Buchumschlag zu lesen sind und die so etwas wie der rote Faden der Wolff ’schen Anthropologie sind. Der vorliegenden Neuausgabe von H. W. Wolffs »Anthropologie des Alten Testaments« liegt der Text der vierten Auflage von 1984 zugrunde 13. Für den Druck wurde dieser Text nicht nur neu erfasst, sondern in den Anmerkungen und im Literaturverzeichnis auch redaktionell vereinheitlicht. Darüber hinaus wurden die ab der 3. Aufl. (dort S. 12) notierten Corrigenda eingearbeitet und die Paragraphengliederung durch Wiederholung der Abschnittsüberschriften etwas übersichtlicher gestaltet; außerdem wurden die hebräischen Termini konsequent ausgeschrieben und nach den Regeln der ZAW transkribiert. Neu hinzugekommen ist außer dem schon genannten Anhang II ein Anhang I, der die Rezensionen von O. H. Steck, E. Zenger, W. Brüggemann, B. S. Childs, H. P. Müller und J. W. Rogerson enthält (unten S. 355 ff.), auf die H. W. Wolff in seinem Nachwort zur dritten Auflage auch eingeht. Bei den editorischen Arbeiten bin ich tatkräftig von Frau stud. theol. et phil. Sara Misterek, Frau stud. theol. Carmen Hoffmann, Frau stud. theol. Mirjam Schenk und Herrn Nikita Artemov unterstützt worden. Ihnen sowie Frau Tanja Scheifele und Herrn Diedrich Steen vom Gütersloher Verlagshaus, die die Gestaltung der Neuausgabe mit mir beraten und auf den Weg gebracht haben, bin ich zu großem Dank verpflichtet. Wolffs Anthropologie, die in der Zeit zwischen 1962 14 und 1972 13. Während die Auflagen 1 bis 5 im Christian Kaiser Verlag München erschienen sind (1973; 1974; 1977; 1984; 1990), wurden 1994 die 6. Auflage und 2002 die 7. Auflage (in neuer Ausstattung) vom Gütersloher Verlagshaus publiziert. Im Jahr 1980 gab es in der Evangelischen Verlanganstalt Berlin einen Nachdruck der 3. Auflage »nur zum Vertrieb in der DDR und im sozialistischen Ausland«. Übersetzungen erschienen in der französischsprachigen Schweiz (Genf 1974), in Italien (Brescia 1975), in Brasilien (Sao Paulo 1975 und Sao Paulo 2007), in Korea (Waegwan 1976), in Japan (Tokio 1983), in den USA (Mifflintown / PA 1996), in Spanien (Salamanca 1997) und in Ungarn (Budapest 2001). 14. Wie H. W. Wolff in seinem Vorwort selber schreibt, begann »die Arbeit …

Ein elementares Lehr- und Lesebuch

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entstanden ist und zu deren Publikation ihn nach eigenem Bekunden der am 31. 10. 1971 verstorbene G. von Rad »im letzten Semester seines Lebens« (Vorwort unten S. 11) ermunterte 15, wollte von Anfang an ein »Lesebuch« sein, »das jedem, den anthropologische Probleme beschäftigen, auch ohne fachwissenschaftliche Voraussetzungen den Zugang zu den biblischen Dokumenten eröffnet. Darüber hinaus möchte die Verarbeitung der umfangreichen Spezialliteratur die theologische Forschung im Detail und im Grundsätzlichen fördern« (Vorwort unten S. 11). Diesen Charakter eines elementaren Lehr- und Lesebuchs wird die »Anthropologie des Alten Testaments« von H. W. Wolff auch in Zukunft behalten. Tübingen, im Frühjahr 2010

Bernd Janowski

mit einem Mainzer Seminar, an dem Werner H. Schmidt wesentlich beteiligt war« (unten S. 11). 15. Im Anschluss an G. von Rad plädiert Wolff für »ein theologisches Begreifen der anthropologischen Phänomene« (unten S. 25 f., vgl. auch unten S. 25 Anm. 17). Im Übrigen ist unverkennbar, daß zwischen dem letzten Buch G. von Rads – Weisheit in Israel, Neukirchen-Vluyn 1970 – und der Anthropologie von H. W. Wolff in methodischer Hinsicht eine geistige Verwandtschaft besteht. So wenig wie dieser kam es jener auf »kompendiarische Vollständigkeit«, sondern vielmehr auf »Grundfragen (an), die hier angegangen werden«: »Das Verständnis der didaktischen Literatur Israels ist entscheidend davon abhängig, wie weit es uns gelingt, uns ihre spezifischen Fragestellungen zu vergegenwärtigen und ihre Denkvoraussetzungen nachzuvollziehen; denn Israel mußte das Abenteuer der Freisetzung der Vernunft auf eine ganz eigene Weise bestehen« (von Rad, aaO 8), s. dazu auch H. Timm, »Das weite Herz«. Religiöses Philosophieren in Israel. Zu Gerhard von Rads Weisheits-Buch, ZThK 74 (1977) 224–237 und ders., Ein Geschichtsbuch? Zu Gerhard von Rads Unionslektüren des Alten Testaments, ZThK 99 (2002) 147–161, hier: 155 ff.

Vorwort

Dieses Buch ist im letzten Jahrzehnt herangewachsen. Wie wurden Menschen in dieser Zeit aufgestört! Die Arbeit begann mit einem Mainzer Seminar über die anthropologischen Grundbegriffe, an dem Werner H. Schmidt wesentlich beteiligt war. Eine Heidelberger Vorlesung im Sommersemester 1971 führte zum vorliegenden Aufriss. Damals hat mich Gerhard von Rad – im letzten Semester seines Lebens – zu einer solchen Veröffentlichung ermuntert. Den Gesprächen des unvergesslichen Lehrers mit mir verdankt der Leser weit mehr, als die Literaturhinweise erkennen lassen. Gastvorlesungen in Süd- und Nordamerika im Frühjahr 1972 und Vortragsreihen in Deutschland leiteten Diskussionen ein, die die Darstellung bereicherten. Mein Interesse ist durch die Frage bestimmt, wie im Alten Testament der Mensch zur Erkenntnis seiner selbst angeleitet wird. Ich war bemüht, die charakteristischen Texte vorzuführen und keine irgendwie wesentlichen Aussagen zu übergehen. So sollte ein Lesebuch entstehen, das jedem, den anthropologische Probleme beschäftigen, auch ohne fachwissenschaftliche Voraussetzungen den Zugang zu den biblischen Dokumenten eröffnet. Darüber hinaus möchte die Verarbeitung der umfangreichen Spezialliteratur die theologische Forschung im Detail und im Grundsätzlichen fördern. Nicht selten werden die alttestamentlichen Einsichten bis zum Neuen Testament hin verfolgt; doch wird damit eine umfassende biblische Anthropologie allenfalls vorbereitet; eigentlich bringen diese Hinweise nur den Wunsch nach einer neutestamentlichen Ergänzung und Korrektur zum Ausdruck. Eine systematische Anthropologie kann jedoch schon durch die Untersuchung des Alten Testaments in ihren Fragestellungen erweitert, in ihren Einsichten angeregt und vertieft werden. Zur Eigenart der meisten biblischen Zeugnisse gehört es, dass sie ihre Leser unmittelbar ansprechen. Ich hoffe, mit meiner Darstellung solche Anstöße zur Selbsterkenntnis des Menschen weniger verdeckt als aufgezeigt zu haben. Alles Wesentliche, Klärende, Vorwärtsweisende verdankt diese An-

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Vorwort

thropologie dem alten Buch selbst und dem, den es bezeugt. Möchte sie darum die Entdeckerfreude am Buch der Bücher in vielen aufs neue beleben. Denn ich weiß, dass die Fülle seiner Auskünfte über den Menschen auch in dieser Arbeit nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft ist. Heidelberg, Epiphanias 1973

Hans Walter Wolff

Vorwort zur vierten Auflage

Mancherlei kleine Korrekturen und Ergänzungen wurden eingebracht. Im Nachwort (unten S. 351 ff.) gehe ich auf kritische Rezensionen ein. Es hat mich überrascht und beglückt, wieviele Freunde dieses kleine Buch innerhalb eines Jahrzehnts gefunden hat. Das bezeugen mir vor allem die Übersetzungen ins Englische, Französische, Italienische, Spanische, Brasilianisch-Portugiesische, Koreanische und Japanische, und nicht zuletzt auch eine – leider leicht gekürzte – Ausgabe »nur zum Vertrieb in der DDR und im sozialistischen Ausland«. So widme ich dieses Buch nunmehr in Dankbarkeit der Universität Aberdeen. Heidelberg, Epiphanias 1984

Hans Walter Wolff

Inhalt

Ein elementares Lehr- und Lesebuch Zur Neuausgabe von H. W. Wolffs »Anthropologie des Alten Testaments« . . . . . . . . . . . . B. Janowski

5

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 1 Einleitung . . 1. Fragen . . . 2. Vorarbeiten 3. Methode . 4. Plan . . . .

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Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Des Menschen Sein Anthropologische Sprachlehre

§ 2 næpæsˇ – der bedürftige Mensch 1. Kehle . . . . . . . . . . . . . 2. Hals . . . . . . . . . . . . . . 3. Begehren . . . . . . . . . . . 4. Seele . . . . . . . . . . . . . 5. Leben . . . . . . . . . . . . . 6. Person . . . . . . . . . . . . . 7. Pronomen . . . . . . . . . .

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56 56 59 60 62

§ 3 ba¯´sa¯r – der hinfällige Mensch 1. Fleisch . . . . . . . . . . 2. Körper . . . . . . . . . . 3. Verwandtschaft . . . . . . 4. Schwäche . . . . . . . . .

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16

Inhalt

§ 4 rûah – der ermächtigte Mensch 1. ˙Wind . . . . . . . . . . . . . 2. Atem . . . . . . . . . . . . . 3. Lebenskraft . . . . . . . . . . 4. Geist(er) . . . . . . . . . . . 5. Gemüt . . . . . . . . . . . . 6. Willenskraft . . . . . . . . .

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64 64 65 67 69 70 72

§ 5 leb(a¯b) – der vernünftige Mensch 1. Herz . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gefühl . . . . . . . . . . . . . 3. Wunsch . . . . . . . . . . . . . 4. Vernunft . . . . . . . . . . . . 5. Willensentschluss . . . . . . . . 6. »Herz« Gottes . . . . . . . . .

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75 76 80 82 84 90 97

§ 6 Das Leben des Leibes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Atem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 2. Blut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 § 7 Das Innere des Leibes 1. Eingeweide . . . . . 2. Leber . . . . . . . . 3. Galle . . . . . . . . 4. Nieren . . . . . . .

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108 108 109 110 111

§ 8 Die Gestalt des Leibes 1. Gliedmaßen . . . . 2. Größe . . . . . . . . 3. Schönheit . . . . . .

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113 113 116 117

§ 9 Das Wesen des Menschen 1. Sehen und Hören . . . 2. Ohr . . . . . . . . . . . 3. Mund . . . . . . . . . . 4. Sprache . . . . . . . . .

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Inhalt

II. Des Menschen Zeit Biographische Anthropologie . . . . . .

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131 131 134 136 138 140

§ 11 Schöpfung und Geburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Erschaffung des Menschen beim Jahwisten . . . . 2. Die Erschaffung der Menschheit in der Priesterschrift 3. Die Geburt des Menschen nach Ps 139 . . . . . . . . 4. Die Geburt des Menschen nach Hi 10 . . . . . . . .

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144 144 147 148 150

§ 12 Leben und Tod . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Worte von Sterbenden . . . . . . . . . . . 2. Grab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entmythisierung des Todes . . . . . . . . 4. Definition des Totseins . . . . . . . . . . . 5. Jahwe und das Vakuum des Todes . . . . . 6. Stufen des Sterbens . . . . . . . . . . . . . 7. Vergehen und Vergänglichkeit . . . . . . . 8. Der Tod des Einen und der Tod der Vielen

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§ 13 Jungsein und Altern . . . . . . . . 1. Lebenserwartung . . . . . . . . 2. Lebensabschnitte . . . . . . . . 3. Kennzeichen der Jugend . . . . 4. Kennzeichen des Alters . . . . . 5. Umsturz der biologischen Regel

§ 10 Der alttestamentliche Zeitbegriff 1. Jahwist . . . . . . . . . . . . . 2. Priesterschrift . . . . . . . . . . 3. Deuteronomium . . . . . . . . 4. Deuterojesaja . . . . . . . . . . 5. Kohelet . . . . . . . . . . . . .

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178 178 180 182 183 187

§ 14 Wachen und Arbeiten . . . . . . . . . . . 1. Arbeit beim Jahwisten . . . . . . . . . . 2. Fleiß und Faulheit in der Spruchweisheit 3. Fragwürdiger Erfolg der Arbeit . . . . .

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190 190 192 195

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Inhalt

§ 15 Schlafen und Ruhen . . . . . . . . 1. Schlaf und Ruhe . . . . . . . . 2. Sabbat . . . . . . . . . . . . . . a) Bekenntnis der Befreiung . . b) Freude an der Schöpfung . . c) Freiheit für Abhängige . . . d) Lösung vom Leistungszwang e) Vorspiel endgültiger Freiheit

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§ 16 Krankheit und Heilung . . 1. Krankheiten . . . . . . 2. Arzt und Arznei . . . . 3. Der Herr der Krankheit

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§ 17 Des Menschen Hoffnung . . . . 1. Erwartung von Zukunft . . . 2. Verschlossenheit von Zukunft 3. Jahwe, die Hoffnung . . . . . 4. Die Gabe der Hoffnungen . .

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III. Des Menschen Welt Soziologische Anthropologie § 18 Gottes Bild – der Weltverwalter . . . 1. Gottesebenbildlichkeit des Menschen 2. Mensch und Menschheit . . . . . . . 3. Herrschaft über die Schöpfung . . .

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§ 19 Mann und Frau . . . . . . . 1. Grundzüge des Eherechts 2. Das Liebesverhältnis . . . 3. Störungen der Liebe . . . § 20 Eltern und Kinder 1. Gabe Jahwes . 2. Erziehung . . . 3. Spannungen . 4. Verantwortung

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Inhalt

§ 21 Brüder, Freunde, Feinde . . . . 1. Leibliche Brüder . . . . . . . 2. Bruderschaft des Gottesvolkes 3. Nächstenliebe . . . . . . . . . 4. Feindesliebe . . . . . . . . . .

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§ 22 Herren und Knechte . . . . . . . . . . . 1. Kritik am Königtum . . . . . . . . . . a) Jotams Fabel . . . . . . . . . . . . . b) Rehabeam . . . . . . . . . . . . . . c) Ahab . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Jojakim . . . . . . . . . . . . . . . e) Das deuteronomische Königsgesetz f ) Psalm 72 . . . . . . . . . . . . . . . g) Der Gottesknecht . . . . . . . . . . 2. Kritik des Sklavenrechts . . . . . . . . a) Entlassung des Sklaven . . . . . . . b) Körperverletzung von Sklaven . . . c) Recht der Sklavin . . . . . . . . . . d) Deuteronomisches Sklavenrecht . . e) Der Sklave im Heiligkeitsgesetz . . f ) Lohnarbeiter . . . . . . . . . . . . . g) Große Freilassung . . . . . . . . . . 3. Unterwegs zur Freiheit . . . . . . . . .

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§ 24 Der Einzelne und die Gemeinschaft . . . . . . . . 1. Der Einzelne in der Gesellschaftsordnung Israels 2. Der Einzelne als Verstoßener . . . . . . . . . . 3. Der Einzelne als Berufener . . . . . . . . . . . .

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§ 23 Weise und Toren (Lehrer und Schüler) 1. Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lebensführung . . . . . . . . . . . . 3. Weisheit und Macht . . . . . . . . . 4. Erkenntnis und Gottesfurcht . . . .

§ 25 Die Bestimmung des Menschen . . . . . . . . . . . . . . 310 1. zum Leben in der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 2. zum Lieben des Mitmenschen . . . . . . . . . . . . . . 313

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Inhalt

3. zum Beherrschen der Schöpfung . . . . . . . . . . . . 314 4. zum Loben Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Register der hebräischen Wörter . . . . . . . . . . . . . . . 335 Register der Sachen und Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Register der Bibelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Nachwort zur dritten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351

Anhang I Ausgewählte Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Anhang II »Anthropologie des Alten Testaments« vor und nach H. W. Wolff Eine forschungs- und problemgeschichtliche Skizze . . . . . . 373 B. Janowski

§ 1 Einleitung 1. Fragen – 2. Vorarbeiten – 3. Methode – 4. Plan

1. Fragen Wird jede Generation neu aufbrechen, den Menschen zu suchen und zu erkennen? Wohl kann die Aufgabe lange Zeit verdrängt werden, weil die Welt ringsum als Gegenstand der Forschung alle Kräfte zu fordern scheint. Des Menschen Frage nach sich selbst mag dabei mit der Erkundung seiner Vergangenheit und seiner Zukunft beschwichtigt werden. Muss der Mensch erst erkranken, um sich selbst als Gegenstand notwendiger Forschung zu entdecken? Muss eine menschliche Gesellschaft erst äußerste Gefährdungen gewahren, um zu bemerken, dass der gegenwärtige Mensch neben allen anderen Bereichen am wenigsten erforscht ist? Warum stößt der Fortschritt der Wissenschaften und der Technik nicht nur ins Helle vor, sondern auch in immer neue Dunkelheiten hinein? Warum nimmt der Missbrauch wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden nicht nur im Praktizieren von Naturwissenschaft, sondern auch von sogenannter Humanwissenschaft bedrohliche Formen an? Warum arbeiten Forschungen, die doch für den Menschen aufgeboten sind, wie die der Medizin, der Chemie und der Pharmazie, der Soziologie, der Psychologie und der Theologie plötzlich am Menschen vorbei? Problemzwänge, Gewinnchancen, Spezialfragen, Totalpläne, Statistiken, Traditionen verstellen den Blick für den gegenwärtigen Menschen. Und unversehens bricht im Massenkonsum von Instrumenten und Medikamenten, von Utopien und Psychoanalysen ein elementarer Hunger nach versäumter Anthropologie auf: Wer ist das, der Mensch? Wo ist er zu erkennen im Dickicht kluger Pläne und verirrter Triebe, unterwegs von jugendlicher Hitze zu eisigem Alter, zwischen Angriffslust und Unterdrückungsleid? Was weiß er von seinem Beschaffensein, von seiner Zeit und seinem Ort in der Welt? Ist dem Menschen in seiner Wissensfülle sein ureigenstes Wesen am Ende das fremdeste geworden?

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Einleitung

Unabweisbar ist die Frage, wie die Aufgabe einer verlässlichen Lehre vom Menschen wissenschaftlich überhaupt lösbar ist. Denn hier steht der Forscher vor jenem äußersten Grenzfall, bei dem das Problem der Nichtobjektivierbarkeit schlechterdings nicht zu bewältigen ist. So wenig ein Mensch sich selbst gegenübertreten und rundum betrachten kann, so wenig ein Heranwachsender aus sich selbst weiß, wessen Kind er ist, so gewiss bedarf der Mensch grundsätzlich der Begegnung mit einem anderen, der ihn erforscht und erklärt. Doch wo ist der andere, den das Wesen Mensch fragen könnte: Wer bin ich?

2. Vorarbeiten Während und nach der bösen Verkennung des Menschen im Nationalsozialismus haben einige Forscher diesen anderen neu im Dialog mit der Bibel angetroffen. Unerhört gründlich und überzeugend wies K. Barth 1 auf den Ort hin, an dem der Mensch sich wahrhaft verstanden wissen und seine eigentliche Menschlichkeit erkennen könne. Die alttestamentlichen Schriften als Wegbereiter und die neutestamentlichen als Zeugendokumente führen zur Begegnung mit dem Gott, der »in Jesus vollständig definiert« ist 2. Die junge Generation beginnt die Konsequenzen aus Barths Erkenntnissen zu ziehen, in denen bereits jene Alternative zwischen Theismus und Atheismus, zwischen Metaphysik und Nihilismus überwunden ist, in der der Mensch sich selbst überlassen blieb. Dort war Gott bejaht oder verneint als das »Oben, worin der Mensch nicht vorkommt« 3, die biblischen Zeugen aber kennen »keine Menschenlosigkeit Gottes«. Schon im Alten Testament erweist Jahwe seine Gottheit eben darin, dass er dem Menschen in Wort und Tat verbunden ist. So tritt der andere in die menschliche Geschichte ein, der jede Generation neu fragt: »Mensch, wo bist du?« 4 und vor dem jede Generation neu fragen kann: »Was ist der Mensch?«5 »Wer bin ich?« 6. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Vgl. vor allem den 1948 erschienenen Band III/2 der Kirchlichen Dogmatik. Vgl. auch zum Folgenden Jüngel, Menschenlosigkeit Gottes, 376 ff. Bloch, Atheismus, 98, dazu Jüngel, aaO 378. Gen 3,9. Ps 8,5; Hi 7,17. Ex 3,11; 2 Sam 7,18, vgl. Gen 18,27.

Vorarbeiten

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K. Barth klagte 1948 bei seinen biblischen Überlegungen zur Anthropologie: »Die Zeit scheint noch nicht da zu sein, wo der Dogmatiker sich mit gutem Gewissen und Vertrauen auf die Ergebnisse seiner alt- und neutestamentlichen Kollegen beziehen können wird.« 7 Gewiss gab es längst gelehrte Untersuchungen zur biblischen Anthropologie 8. Überfielen sie für Barths Verständnis die Fragen der biblischen Zeugen zu sehr mit ihren eigenen Fragen oder gar Thesen? Die frühen Nachkriegsjahre brachten zunächst kleine, äußerlich recht unscheinbare exegetische Studien 9. Ihre Autoren hatten den Zeitgenossen vor Augen, für den eine unmenschliche Entartung den Menschen zum Rätsel gemacht hatte. Auf der Suche nach einem Maßstab stellten sie sich dem Verbindlichkeitsanspruch der biblischen und insbesondere der grundlegenden alttestamentlichen Aussagen, ohne ihren geschichtlichen Charakter zu verkennen10. Bald folgten umfangreichere Untersuchungen. Sie gingen den eigentümlichen Grundzügen des alttestamentlichen Denkens über den Menschen nach 11, fragten anhand der anthropologischen Grundbegriffe nach der Natur des Menschen12 oder suchten das leibliche und geistige Bild des Hebräers und seines Lebenslaufs zu erkennen13. Im Zuge allgemein wachsender Spezialisierung stellten sich dann umfangreiche Monographien zu Einzelproblemen der Anthropologie ein; Begriffe wie Seele, Geist, Fleisch und Themen wie der Tod, das Erlebnis der Einsamkeit oder die Stellung von Mann und Frau wurden ausführlich behandelt 14. Die Voraussetzungen zu einer neuen umfassenderen biblischen Anthropologie scheinen gegeben. Nach ihr wird auch gefragt. Denn schon müssen sich systematisch-theologische Entwürfe einer Anthropologie den Problemen gegenwärtiger philosophischer Anthropologie 7. Jüngel, aaO VII. 8. Literatur: Delitzsch, Psychologie; Koeberle, Natur und Geist und Pedersen, Israel. 9. Literatur: Galling, Bild vom Menschen; Eichrodt, Menschenverständnis und Zimmerli, Menschenbild. 10. Vgl. Galling, aaO 6 f.; Zimmerli, aaO 3 f. 11. Vgl. Johnson, Vitality. 12. Vgl. Pidoux, L’homme. 13. Vgl. Köhler, Mensch. 14. Vgl. die in den jeweils ersten Anmerkungen der folgenden Paragraphen genannten Monographien und Aufsätze, auch Maass, ’a¯da¯m, 81 f.

24

Einleitung

sowie der Psychologie, der Soziologie und der Politologie stellen 15, ohne dass die gegenwärtigen exegetischen Erkenntnisse im Zusammenhang bereitgestellt wären.

3. Methode Wie kann das heute geschehen? Dem Alten Testament liegt weder eine einheitliche Lehre vom Menschen zugrunde noch sind wir in der Lage, eine Entwicklung des biblischen Menschenbildes nachzuzeichnen. Die Tatsache, dass jedes Einzeldokument eine bestimmte Sicht des Menschen voraussetzt, könnte zu einer eigenen Systematik biblischer Anthropologie herausfordern. Umgekehrt drängt sich der Wunsch auf, eine aktuelle Auswahl oder auch die »Gesamtheit der Möglichkeiten«16 gegenwärtigen Fragens an die Quellen heranzutragen. In beiden Fällen würden wir weder der Aufgabe geschichtlicher Interpretation der alten Texte noch der Eindringlichkeit gegenwärtiger Fragen gerecht. Biblische Anthropologie als wissenschaftliche Aufgabe wird ihren Einsatz dort suchen, wo innerhalb der Texte selbst erkennbar nach dem Menschen gefragt wird. Die ganze Weite der Kontexte ist heranzuziehen, um die spezifischen Antworten zu erarbeiten. Es wird sich zeigen, dass die wesentlichen Beiträge DialogCharakter tragen und dass der Konsens im Zeugnis über den Menschen bei allem Wandel sprachlicher Formen geistesgeschichtlich erstaunlich ist. Vor allem im Gespräch mit Gott sieht der Mensch sich in Frage gestellt, erforscht und damit viel weniger festgestellt als vielmehr zu Neuem berufen. Der Mensch ist, so wie er ist, alles andere als das Maß aller Dinge. Damit ist im Methodischen schon ein Grundzug von vornherein ins Auge zu fassen: Anthropologische Probleme können hier nicht unter Abblendung von Theologie, sondern nur in voller Offenheit für das Gotteszeugnis der Bibel geklärt werden. In Korrektur einer modischen Anthropologisierung von Theologie wird der Forscher vielmehr aufgeschlossen werden müssen für ein theologisches Begreifen der an15. Literatur: Pannenberg, Mensch?; Müller-Schwefe, Mensch; Gollwitzer, Holz und Moltmann, Mensch; weitere Literatur dort 171 f. Anm. 14. 16. Köhler, aaO 2.

Plan

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thropologischen Phänomene 17. Er entdeckt die Chance, in den Dialog mit dem anderen einzutreten, ein Dialog, über dem er sein Menschsein zu verstehen beginnt.

4. Plan Im Ganzen und im Einzelnen wird erst die Erkundung der Texte die Funktion einer biblischen Anthropologie klären. Je mehr es gelingt, die Fragen, Einsichten und Erwartungen der Verfasser der alttestamentlichen Schriften zu erkennen, desto mehr werden sie den heutigen Gefahren verengter Fragestellungen oder der Verfehlung konkreter Probleme wehren können und dazu beitragen, das wesentlich Menschliche zu bemerken. In drei großen Abschnitten hoffen wir, alle wichtigen Antworten auf die bei den biblischen Zeugen selbst aufbrechenden Fragen nach dem Wesen des Menschen, seiner Lebenszeiten und seiner Bestimmung in seiner Umwelt aufnehmen zu können. Zunächst werden uns die Aussagen über die Erschaffung des Menschen anregen, die anthropologischen Grundbegriffe des Alten Testaments zu untersuchen; sie klären die verschiedenen Aspekte und dominierenden Züge menschlichen Seins. Die Weisheit sowie Klage- und Danklieder des Psalters sind von der Frage nach des Menschen Zeit in allen wichtigen Phasen zwischen Geburt und Tod bewegt. Hinter vielen Rechtstexten und Prophetensprüchen steht die Frage nach der eigentlichen Bestimmung des Menschen in seiner Welt. Auf diesem Weg der Untersuchung sind wir bemüht, uns nicht von Fragen, die dem Alten Testament selbst fremd sind, leiten zu lassen. Nur so können zugleich das Verständnis neutestamentlicher Aspekte der Anthropologie gefördert und gegenwärtige anthropologische Entwürfe in ihrem Ansatz und ihrer Durchführung kritisch befragt werden. 17. Von Rad hat schon betont, dass Israels Vorstellungen vom Menschen »nur von der Besonderheit seines Gottesglaubens her zu begreifen« sind (Theologie des AT II, 369), vgl. dazu den Entwurf einer christlichen Anthropologie von Moltmann, Mensch, als »Theologie in Aktion«; schon in der Einleitung kündigt er an, dass »das Buch über ›den Menschen‹ denn insgeheim ein Buch über Gott werden« wird (9, vgl. 33).

I. Des Menschen Sein Anthropologische Sprachlehre

Vorbemerkungen

Gegenstand der Untersuchung sind hier die hebräischen Benennungen für die Organe des Menschen, die Glieder seines Leibes und seine Erscheinung im Ganzen. Wir gehen dabei von den einzelnen Begriffen aus. So erarbeiten wir eine biblisch-anthropologische Sprachlehre. Wenn die häufigsten Hauptwörter in der Regel mit »Herz«, »Seele«, »Fleisch« und »Geist« übersetzt werden, so sind damit folgenschwere Missverständnisse erzeugt worden. Sie gehen schon auf die altgriechische Übersetzung der Septuaginta zurück und verführten zu einer dichotomischen oder trichotomischen Anthropologie, in der der Körper und die Seele und der Geist in Gegensatz zueinander geraten 1. Es bleibt zu prüfen, wie hier mit der griechischen Sprache eine griechische Philosophie semitisch-biblische Anschauungen überfremdet und verdrängt hat 2. Der alttestamentliche Sprachgebrauch muss dazu geklärt werden. Diese Aufgabe erfordert Einsicht in die semitischen Vorstellungsund Denkvoraussetzungen. Zwei davon haben grundlegende Bedeutung. Sie seien darum allen speziellen Betrachtungen vorangestellt. 1. Begriffe wie Herz, Seele, Fleisch, Geist, aber auch Ohr und Mund, Hand und Arm sind in der hebräischen Dichtung nicht selten untereinander austauschbar. Im Parallelismus der Glieder können sie wechselweise fast wie Pronomina für den ganzen Menschen stehen (Ps 84,3): Meine Seele lechzt, ja sehnt sich nach Jahwes Vorhöfen, mein Herz und mein Fleisch jubeln dem lebendigen Gott zu.

Die Varianten deuten in einer zuweilen kaum noch erkennbaren Weise verschiedene Aspekte des einen Subjekts an. So können denn auch 1. 2.

Vgl. z. B. zu der Trennung von Seele und Leib im Tode nach Platons Phaidon die Ausführungen von Jüngel, Tod, 61 ff.68 ff. Vgl. vorläufig Hessen, Platonismus, 98 ff.; Boman, Denken, 11 ff. und Barr, Bibelexegese, 15 ff.

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Vorbemerkungen

die Organe oder Glieder des Menschen bruchlos von Pronomina abgelöst werden (Spr 2,10 f.): Die Weisheit wird in dein Herz kommen und die Erkenntnis die Lust deiner Seele sein. Die Besonnenheit wird über dir wachen, die Vernunft dich behüten.

In Ps 6,3–5 stehen in Parallele: ich – meine Gebeine – meine Seele – ich. Mit »Stereometrie des Gedankenausdrucks«3 ist dieser Sachverhalt treffend gekennzeichnet. »Die Lehrer glauben ihre Gegenstände … nicht durch die Verwendung sauber voneinander abgegrenzter Begriffe sachgerechter darstellen zu können, sondern durch das Gegenteil, nämlich durch die Nebeneinanderstellung sinnverwandter Wörter.« 4 Dieses stereometrische Denken steckt den Lebensraum des Menschen durch Nennung charakteristischer Organe ab und umschreibt so den Menschen als ganzen (Spr 18,15): Ein verständiges Herz erwirbt Erkenntnis, und das Ohr der Weisen sucht Erkenntnis.

Verschiedene Körperteile umstellen mit ihrer wesentlichen Funktion den Menschen, der gemeint ist. 2. So setzt das stereometrische Denken zugleich eine Zusammenschau der Glieder und Organe des menschlichen Leibes mit ihren Fähigkeiten und Tätigkeiten voraus. Es ist das synthetische Denken 5, das mit der Nennung eines Körperteils dessen Funktion meint. Ruft der Prophet aus (Jes 52,7): Wie schön sind auf den Bergen die Füße des Freudenboten!,

so meint er nicht deren graziöse Gestalt, sondern ihre hurtige Bewegung:

3. 4. 5.

Landsberger, Eigenbegrifflichkeit, 17; von Rad, Weisheit, 42 f., vgl. ferner »Seele« in Parallele zu »Hals« (Spr 3,22) oder »Hand« neben »Kehle« (Ps 143,6). Von Rad, aaO 75 f. Fahlgren, sedaqa¯h, 126 hat als »synthetisch« zunächst jene Lebensanschauung ˙ die in Religion, Ethik, Volkswirtschaft nicht völlig selbständige bezeichnet, Erscheinungen, sondern nur verschiedene Seiten derselben Sache sieht.

Vorbemerkungen

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Wie schön ist, dass der Bote über die Berge heraneilt!

»Füße« sagt der Hebräer, aber er denkt an das sprunghafte Nahen. In Ri 7,2 kommt der befürchtete Selbstruhm Israels in dem Satz zur Sprache: Meine Hand hat mir geholfen.

Gemeint ist natürlich das eigene Zupacken, die eigene Kraft. Das Glied und sein wirksames Handeln werden zusammengeschaut. Der Hebräer kann und muss mit einem verhältnismäßig kleinen Wortschatz, mit dem er die Dinge und gerade auch die menschlichen Körperteile benennt, eine Fülle feiner Nuancen zum Ausdruck bringen, indem der Satzzusammenhang die Möglichkeiten, Tätigkeiten, Eigenarten oder Widerfahrnisse des Benannten heraushebt6. So wird unsere biblisch-anthropologische Sprachlehre den Bedeutungsreichtum der Wörter, die den Menschen beschreiben, ins Licht zu heben haben. Synthetisch-stereometrisches Denken ist in unsere analytisch-differenzierende Sprache zu übertragen. Es wird sich zeigen, dass die stereotype Übersetzung eines hebräischen Terminus mit dem gleichen Wort das Verständnis in den meisten Fällen notwendig in die Irre führt; sie verfehlt allzu oft die eigentliche Aussage über den Menschen. Die Erschließung der semantischen Weiträumigkeit der anthropologischen Hauptbegriffe ist hingegen geeignet, einen ersten Zugang zum biblischen Menschenbild freizulegen, da mit den wesentlichen Organen zugleich kennzeichnende Fähigkeiten und Eigenarten des Menschen und damit typische Aspekte des Menschlichen ins Blickfeld treten. Gemeint ist damit in diesem ersten Teil die »Hominitas als Conditio sine qua non für Humanitas« 7, d. h. die »Menschhaftigkeit« als Voraussetzung der »Menschlichkeit« des Menschen8.

6. 7. 8.

Vgl. Koeberle, Natur und Geist, 84 ff.178 ff.; Pedersen, Israel, 106 ff.; Johnson, Vitality, 1 f. Plessner, Anthropologie, 412. Moltmann, Mensch, 23.

§ 2 næpæsˇ – der bedürftige Mensch 1 1. Kehle – 2. Hals – 3. Begehren – 4. Seele – 5. Leben – 6. Person – 7. Pronomen

Mit »Seele« übersetzt die traditionelle deutsche Bibel in der Regel ein Grundwort alttestamentlicher Anthropologie: næpæsˇ. Wie französisch âme und englisch soul geht sie damit zurück auf die häufigste Wiedergabe von næpæsˇ in der griechischen Bibel mit psyché und in der lateinischen mit anima. næpæsˇ erscheint 755 mal im Alten Testament; 600 mal übersetzt die Septuaginta psyché 2. Diese statistische Differenz kündigt an, dass schon den Alten der Unterschied der Wortbedeutung an nicht wenigen Stellen auffiel. Heute kommen wir zu dem Ergebnis, dass nur in ganz wenigen Texten die Übersetzung »Seele« den Sinn von næpæsˇ trifft. Dabei ist eine fast definitorische Verwendung des hebräischen Wortes für das Verständnis menschlichen Seins von vornherein nicht zu bestreiten. Der jahwistische Schöpfungsbericht benutzt es so (Gen 2,7): Jahwe Gott gestaltete den Menschen aus Staub vom Ackerboden und blies in seine Nase Lebensodem; so wurde der Mensch eine lebendige næpæsˇ.

Was heißt hier næpæsˇ? Sicher nicht »Seele«. næpæsˇ will zusammengesehen werden mit der gesamten Gestalt des Menschen und insbesondere mit seinem Atem; dabei hat der Mensch nicht næpæsˇ, sondern er ist næpæsˇ, er lebt als næpæsˇ. Welcher Aspekt des Menschseins ist damit gesehen? Einstweilen kann uns der Definitionstext nur auffordern, den Raum des Menschlichen, den næpæsˇ umstellt, in seiner ganzen Weite zu umschreiten.

1.

2.

Literatur: Dürr, næpæsˇ; Pedersen, Israel, 99–259; Becker, Nefesj; Seligson, nps mt; Widengren, Review; Pidoux, L’homme, 10–19; Murtonen, Soul; Lys, Nèphèsh; Schmidt, Anthropologische Begriffe, 377–382; Johnson, Vitality, 2–22 und Scharbert, Fleisch. KBL 626; nach Lys, Nèphèsh (119) 757 mal.

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næpæsˇ – der bedürftige Mensch

Ein Zugang zu der Bedeutungsfülle, die mit dem synthetischen Denken gegeben ist 3, mag unserem analytischen Verstehen eröffnet werden, wenn wir fragen, mit welchem Körperteil das mit næpæsˇ bezeichnete menschliche Sein und Verhalten identifiziert werden kann. Methodisch werden wir bei der Beobachtung der Texte zu fragen haben, ob der Kontext wirklich auf ein bestimmtes leibliches Organ schließen lässt; weiter ist dann zu prüfen, wo die Topik bestimmte Funktionen und Eigenarten des Körperteils heraushebt und wie das Wort schließlich einen bestimmten Aspekt des Menschseins überhaupt mehr oder weniger deutlich herausstellt. Zu beachten bleibt immer, dass damit unser Weg des Verstehens skizziert ist und nicht etwa das Modell einer historischen Semasiologie. Die Bedeutungsgeschichte kann nur spezielle Abwandlungen für eine begrenzte Sprachphase herausstellen 4. Im Allgemeinen sieht das stereometrisch-synthetische Denken ein Körperglied zusammen mit seinen speziellen Tätigkeiten und Fähigkeiten und diese wiederum sind als Kennzeichen des ganzen Menschen vorgestellt. Es ist also immer festzuhalten, dass der Hebräer ein und dasselbe Wort spricht, wo wir sehr verschiedenartige Wörter benötigen. Der jeweilige Textzusammenhang des Vorkommens entscheidet.

1. Kehle Wir gehen von der Bildrede Jes 5,14 aus: Die Unterwelt reißt ihre næpæsˇ auf, sperrt auf ihr Maul ohne Maß.

Die synonyme Parallele spricht vom Maul; von der næpæsˇ selbst wird ausgesagt, dass sie weit aufgerissen wird; damit ist eindeutig angezeigt, dass næpæsˇ hier Schlund, Rachen, Kehle bedeutet. So kann denn auch Hab 2,5 vom räuberischen Menschen gesagt werden: er reißt seine næpæsˇ weit auf wie die Unterwelt und ist wie der Tod und wird nie satt.

næpæsˇ bezeichnet demnach das Organ der Nahrungsaufnahme und der Sättigung. Die große Dankliturgie Ps 107 spricht in ihrer ersten Stro3. 4.

S. oben S. 30. Der Versuch von Lys, Nephesh, 194 ff., die Texte mit næpæsˇ historisch zu ordnen und so eine Bedeutungsentwicklung zu erkennen, hat kein nennenswertes Ergebnis erbracht; neben kleinen Varianten zeigt sich von den ältesten bis zu den jüngsten literarischen Schichten im Alten Testament eine »polysémie«.

Kehle

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phe von den »Hungrigen und Durstigen, deren næpæsˇ verschmachtete« (V. 5), und die Jahwe danken sollen (V. 9), weil er die ausgetrocknete næpæsˇ gesättigt und die hungrige næpæsˇ mit Gutem gefüllt hat.

Die Topik im Umkreis von næpæsˇ nennt ihren Hunger und Durst, ihr Verschmachten und Sattwerden, ihr Austrocknen und Erfülltwerden und zeigt damit unzweideutig, dass nicht von der »Seele«, sondern von der »Kehle« die Rede ist. Alles Mühen des Menschen ist für seinen Mund, aber die næpæsˇ wird nicht gefüllt,

sagt Pred 6,7. »Mund« in der Parallele und die Aussage vom Gefülltwerden (vgl. Ps 107,9) lassen wieder an die »Kehle« denken, allerdings als an das immer neu bedürftige und vom menschlichen Mühen nicht zu befriedigende Organ. Deshalb lehrt der Prediger (Pred 6,9): Besser das Schauen der Augen als das Schweifen der næpæsˇ,

wobei die nicht zu stillende Gier der Kehle gemeint ist. Wenn also mit dem Organ dessen Eigenart zusammengedacht wird, so scheint es zunächst vor allem die begierige Bedürftigkeit zu sein. Ps 143,6 vergleicht die næpæsˇ mit dem lechzenden Land. Jes 29,8 spricht von einem Hungrigen und einem Durstigen, der zu essen und zu trinken träumt, aber beim Erwachen ist seine næpæsˇ leer und trocken, vgl. Jes 32,6bb. In seiner næpæsˇ spürt der Mensch, dass er aus sich selbst nicht leben kann (Spr 10,3): Nicht lässt Jahwe hungern des Gerechten næpæsˇ, aber die Gier des Gottlosen stößt er zurück.

Wieder zeigt die Topik deutlich, dass die Kehle gemeint ist, zugleich aber, dass das Wort für den bedürftigen Menschen schlechthin steht. Die gesättigte næpæsˇ des Gerechten kann in Antithese zu dem leeren Bauch des Frevlers stehen (Spr 13,25). Und was heißt rehab-næpæsˇ, wenn sie nach Spr 28,25 »Zank erregt«, während der, »der˙ auf Jahwe traut, gut ernährt wird«? Es ist doch wohl der »weite Rachen« gemeint, welcher für den Menschen steht, der seinen Bedarf in über-

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næpæsˇ – der bedürftige Mensch

mäßiger Habgier decken will (vgl. Hab 2,5). »Ihr Brot (dient) ihrer næpæsˇ«, d. h. »ihrem Schlund« (Hos 9,4). næpæsˇ als Organ des bedürftigen Menschen zeigt sich auch darin, dass sie die »schmachtende Kehle« heißt, die Jahwe labt und sättigt »wie einen bewässerten Garten« (Jer 31,12.25). Durst, Wasser und næpæsˇ gehören oft zusammen (Spr 25,25): Kühles Wasser für eine durstige Kehle ist eine gute Botschaft aus fernem Land. 5

Gerade als Organ, das Hunger und Durst zu spüren hat, ist næpæsˇ auch der Sitz des Geschmacksinns (Spr 27,7): Eine satte næpæsˇ tritt Honig mit Füßen, aber einer hungrigen næpæsˇ ist alles Bittre süß.

Natürlich ist die hungrige næpæsˇ (V. 7b), der alles Bittre süß schmeckt, die Kehle, mit der Zungenbasis und Gaumen als Geschmacksorgane zusammengesehen werden. Doch es »tritt« nicht die »Kehle« (V. 7a), sondern der Mensch, dessen Verhalten durch Sattsein der Kehle bestimmt ist. Der durch synthetisches Denken ermöglichte Parallelismus von satter und hungriger næpæsˇ muss wegen der verschiedenen Aussagen differenziert übersetzt werden: »der satte Mensch« ist der »hungrigen Kehle« gegenüberzustellen (Spr 16,24!). Freundliche Reden sind Honig, süß für die næpæsˇ und Heilung fürs Gebein.

næpæsˇ neben Gebein und mit der Empfindung des Süßen sollte wieder eindeutig auf das Geschmacksorgan hinweisen, und doch ist im Gleichnis für die »freundlichen Reden« auch schon der bedürftige Mensch als ganzer im Blick, auf dessen Empfindsamkeit und Verwundbarkeit angespielt wird. Nicht nur Angenehmes, sondern auch Widerliches schmeckt die næpæsˇ 6. Israel murrt (Num 21,5b):

5. 6.

Vgl. Ps 42,2 f. und die »trockene Kehle« in Num 11,6. Zu Spr 23,7 »Wie ›etwas Grässliches in der Kehle‹, so ist er [der Missgünstige V. 6], und wie ›Bitteres für den Hals‹«, vgl. die Lehre des Amenemope Kap. XI (ANET 423a; AOT 42), Widengren, Review, 100 f. und Gemser, HAT I/16, 86 f.

Kehle

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Kein Brot und kein Wasser gibt es, und unsere næpæsˇ empfindet Ekel vor dieser elenden Kost,

wobei næpæsˇ den Menschen hinsichtlich seines Hungers und seines Geschmacksempfindens benennt, vgl. Sach 11,8bb. Bezeichnend ist es in diesem Zusammenhang, dass, wenn von Jahwes Abscheu gesprochen wird, dann von seiner næpæsˇ gesprochen wird (Spr 6,16) 7. Nun gilt aber die næpæsˇ nicht nur als Organ der Nahrungsaufnahme, sondern auch der Atmung. Bei der Kamelstute in Jer 2,24 ist das ganz deutlich: in der Gier ›ihrer‹ 8 næpæsˇ schnappt sie nach Luft.

Wiederholt wird nph = blasen, atmen, keuchen von der næpæsˇ aus˙ Kehle einer ohnmächtig umsinkenden Mutter gesagt. So keucht die schwer (Jer 15,9); der Gottlosen »Hoffnung ist das Aushauchen der næpæsˇ« (Hi 11,20), wobei das Organ der Atmung und der Atem selbst zusammengesehen werden; so auch in Hi 41,13, wo die næpæsˇ des Krokodils Glühkohlen anfacht9. Wenn von der sterbenden Rahel (Gen 35,18) gesagt wird, dass ihre næpæsˇ »ausging«, so kann nur an den Atem gedacht werden. In 1 Kön 17,21 f. kehrt die næpæsˇ in das Kind der Witwe zu Zarpat zurück, von dem V. 17 berichtet hatte, dass kein Atem (neˇsa¯ma¯h) mehr in ihm war. Die Kehle steht somit in jener archaischen Anatomie ohne begriffliche Unterscheidung zugleich für die Luftröhre und für die Speiseröhre. So sagt noch unsere volkstümliche Rede: »etwas in die falsche Kehle bekommen«, wenn Nahrung in die Luftröhre gerät. Kommen »Wasserfluten bis zur næpæsˇ«, dann besteht die Gefahr des Ertrinkens (Jon 2,6; Ps 69,2, vgl. Ps 124,4 f. und sawwa¯’r in Jes 8,8; ˙ 30,28). Allein næpæsˇ als Organ der Atmung macht die nur dreimal verbal 7.

8. 9.

Insgesamt spricht das Alte Testament nur 21 mal von Jahwes næpæsˇ (Johnson, Vitality, 8 Anm. 1); wenn Jahwe nach Am 6,8 bei seiner næpæsˇ schwört, so klingt in dieser Wendung wahrscheinlich ein alter Schwurritus mit, bei dem der Schwörende seine Kehle berührte, dazu Wolff, BK XIV/2, 326; auch in Am 6,8 verbindet sich mit der Rede von Jahwes næpæsˇ sein Abscheu, s. unten S. 54. Lies napsˇa¯h mit BHS. Vgl. den verwandten Zusammenhang von ’ap für Nase und Schnauben: Johnson, ’a¯nap, 375.

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vorkommende Verwendung der Wurzel npsˇ (ni.) verständlich. Von David wird 2 Sam 16,14 erzählt, dass er nach anstrengender Flucht erschöpft war, dann aber am Jordan »aufatmete« (wayyinna¯pesˇ), »Atem schöpfte«, »sich erholte«. »Aufatmen« und von der Arbeit ruhen soll nach Ex 23,12 der Sohn der Sklavin und der Fremdling an jedem siebenten Tage, wie nach Ex 31,17 auch Jahwe nach sechs Tagen der Schöpfung aufhörte und »aufatmete«. Zu erwägen ist, ob die Wurzel npsˇ nicht ursprünglich bilitteral war (mit nachträglich vorgesetztem n wie vielleicht auch in nph) und so als psˇ heftig zischendes ˙ Atmen lautmalend darstellte 10. Auch im Akkadischen heißt napasˇu blasen, schnauben, aufatmen 11, und napisˇtu bedeutet in erster Linie die Kehle, und zwar von Menschen wie Tieren, sodann Leben, Lebensgrundlage und Lebewesen 12; im Ugaritischen heißt npsˇ auch wiederholt Rachen, Kehle, Schlund, dann Appetit, Begehren, Gemüt und Lebewesen 13. Arab. nafsun kann ebenso Atem wie Appetit bedeuten, dann Leben, Gemüt und die Person bezeichnen14. Die Semasiologie des hebr. næpæsˇ zeigt über diese Andeutungen hinaus breite Parallelen in den verwandten semitischen Sprachen. J. H. Becker, Nefesj hat die von L. Dürr, näpäsˇ15 vertretene Grundbedeutung »Kehle« bestritten und »Atem« als ältere Grundbedeutung angenommen (ähnlich M. Seligson, nps mt). Dieser Streit ist wahrscheinlich müßig, da sich für die Semiten in der Kehle Essen, Trinken wie Atmen vollzog; so war sie der Sitz der elementaren Lebensbedürfnisse schlechthin.

10. Vgl. von Soden, Grundriß § 73b und Schmidt, Anthropologische Begriffe, 378. 11. Vgl. von Soden, AHw, 736 und Lys, Nèphèsh, 119, s. zur Sache unten S. 47. 12. Vgl. von Soden, aaO 738. 13. Vgl. Aistleitner, Wörterbuch, 211 mit Gordon, Ugaritic Textbook, 446 und Widengren, Review, 98 ff. 14. Vgl. Johnson, Vitality, 7.13. 15. Vgl. vorher schon Dhorme, L’emploi métaphorique, 18 f., später vor allem Johnson, Vitality, 4 ff.

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Hals

2. Hals Neben den reichen Belegen für das Innere des Halses und den darin sich vollziehenden vitalen Vorgängen könnte die seltenere Verwendung von næpæsˇ für den äußeren Hals sekundär sein. Wie leicht der Übergang für hebräisches Denken ist, zeigte uns schon die parallele Verwendung von sawwa¯’r (Hals) und næpæsˇ in den Wendungen von ˙ den bedrohlich ansteigenden Wasserfluten 16. Ausschließlich an den äußeren Hals denkt Ps 105,18: Sie zwangen in Fesseln seine Füße, ›in‹ 17 Eisen kam seine næpæsˇ.

Dass dies der Hals und nicht »seine Seele« 18 ist, drängt sich sowohl vom »Eisen« wie von der parallelen Aussage über die Füße her auf. Wenn in Jes 51,23 die Peiniger Israels sagen: Bücke dich, dass wir darüber hinschreiten,

dann ist mit der angeredeten næpæsˇ der Nacken gemeint, zumal die Fortsetzung fordert: Mache deinen Rücken wie Erde, wie eine Straße für Wanderer!

In Ps 44,26 ist dann auch wohl næpæsˇ der »Hals«, der »in den Staub gebeugt« ist, da daneben »der Leib an der Erde klebt«. Demnach dürfte auch in Ps 119,25 næpæsˇ der Hals sein, der am Staube klebt, und also der ganz und gar zu Boden geworfene Mensch, der die Belebung nach Jahwes Wort erfleht. Was hat man sich unter den »Häusern der næpæsˇ« in der Aufzählung der Schmuckstücke der »Töchter Zions« in Jes 3,20 vorzustellen? Sie sind nicht selten nach den Körperteilen benannt, die sie zieren. So wird man noch eher an eine Art Halskrause zu denken haben 19 als an Amulette, die als hohle Gegenstände in Form eines

16. 17. 18. 19.

S. oben S. 38 f. S. BHS. So noch Kraus, BK XV, 716. Vgl. von Soden, ZAW 53 (1935), 291 f.

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kleinen »Häuschens am Halse« vorzustellen wären 20. Geschmückt wird, was gefährdet ist. Sollte die Wendung »die næpæsˇ schlagen« (Gen 37,21; Dtn 19,6.11; Jer 40,14 f. u. ö.) noch konkreter gemeint sein als »ans Leben gehen«, nämlich »den Hals abschlagen«21? Fraglos ist næpæsˇ in Jer 4,10 so gemeint: Das Schwert sitzt uns am Halse.

Sollte das Wort an Maria in Lk 2,35 Ein Schwert wird durch deine Seele dringen

in psyché einen Semitismus aufbewahren, der auf næpæsˇ = Hals zurückgeht22? Neben dem Schwert gefährdet die Schlinge den Hals. Die Totenbeschwörerin zu En-Dor fragt Saul (1 Sam 28,9): Warum willst du meiner næpæsˇ eine Schlinge legen, dass ich getötet werde?

Mag næpæsˇ auch als Personalpronomen verstanden worden sein, so lässt hier doch die Bildrede noch im Hintergrund an einen konkreten Körperteil denken. Ähnlich in Ps 124,7: Unsere næpæsˇ entkam wie ein Vogel aus dem Netz der Fänger.

Vgl. Spr 18,7b! So zeigt auch næpæsˇ als Hals den Menschen, der als geduckter und gefährdeter ein Hilfsbedürftiger ist.

20. Dürr, næpæsˇ, 268; auch mahmal næpæsˇ in Ez 24,21.25 könnte als das, »was ˙ man am Halse trägt«, ein Schmuckstück und Juwel sein, vgl. Spr 3,22. 21. Dürr, aaO 267, der 264 an Enuma elisˇ IV 31 erinnert, wo Marduk bei seiner Belehnung mit dem Schwert den Befehl erhält: »Geh, der Tiamat schlage den Hals ab!« – a-lik-ma nap-sˇá-tu-asˇ pu-ru-2-ma. Der Jahwist und das Deuteronomium verwenden hikka¯h mit doppeltem Akk: jem. hinsichtlich der næpæsˇ schlagen (Gen 37,21; Dtn 19,6.11), ferner Jer 40,14 f. wobei næpæsˇ den genauen lebensgefährlichen Ort nennt, an dem der Schlag die Person trifft. Erst die Formulierungen mit einfachem Akk. verstehen næpæsˇ als »Person« bzw. »Leben« (Lev 24,17 f. und Num 35,11.15.30, dazu unten. S. 46), vgl. Scharbert, Fleisch, 24.43.64. 22. Vgl. Dürr, aaO 264, auch Ps 22,21a.

Begehren

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3. Begehren Klingt bei der Erwähnung des Körperteils Kehle oder Hals häufig die Sicht des Menschen als des Bedürftigen und Gefährdeten mit, der eben mit seiner næpæsˇ nach Lebensmitteln und Lebensbewahrung lechzt, so kann dann auch bei der Nennung der næpæsˇ solches vitale Verlangen, Begehren, Trachten oder Sehnen selbst die Vorstellung beherrschen. Das ist eindeutig dort der Fall, wo die næpæsˇ eines Menschen außerhalb seiner eigenen Person liegt. Im Klagelied Ps 35,25 zitiert der Beter seine Feinde, die schon von ihm sagen: »Haha! Unsere næpæsˇ !«, und die bald von ihm sagen möchten: »Wir haben ihn verschlungen!« Wenn hier ein Mensch zur næpæsˇ seiner Gegner wurde, so kann er nicht deren Kehle oder Hals, sondern nur deren Begehren oder Verlangen, hier geradezu deren »Genuss« sein, wobei auch an næpæsˇ als Geschmacksorgan 23 zurückzudenken ist. Wenn Spr 13,2b die næpæsˇ der Treubrüchigen als »Gewalttat« definiert, so meint auch hier næpæsˇ nur noch deren Trachten und Begehren. Spr 23,2 belehrt: Du setzt dir ein Messer an die Kehle, wenn du ein ba2al næpæsˇ bist.

Im Zusammenhang ist damit an den »Besitzer von Gier« gedacht, also an den Menschen, dessen Verhalten ganz und gar vom Trieb der Kehle, vom Heißhunger oder vom esslustigen Appetit bestimmt ist. Auffallend häufig wird næpæsˇ mit Worten der Wurzel ’wh verbunden, die im Pi2el und Hitpa2el wünschen, begehren, gelüsten bedeutet. Wenn das Gelüst der næpæsˇ sich auf die Frühfeige (Mi 7,1), auf Essen von Fleisch (Dtn 12,15.20; 1 Sam 2,16) oder darüber hinaus auf das Trinken von Wein (Dtn 14,26) bezieht, dann mag noch die Kehle als Sitz des Begehrens mitgemeint sein. Doch wenn das Böse (Spr 21,10), das Königtum (2 Sam 3,21; 1 Kön 11,37) oder Gott (Jes 26,9) zum Objekt der Wünsche werden oder wenn jedes Objekt fehlt (Spr 13,4.19), dann kennzeichnet næpæsˇ das Verlangen als solches, den menschlichen Wunschtrieb als Subjekt des Begehrens (’wh). Ähnlich verhält es sich mit der Phrase ns´’ næpæsˇ, »die næpæsˇ erheben«. Sie mag der Anschauung des Menschen entstammen, der 23. S. oben S. 36.

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gierig seine Kehle reckt. Diese Vorstellung scheint noch in Hoseas Wort über die Priester (4,8) lebendig zu sein: Meines Volkes Sünde essen sie, nach ihrer Schuld erheben sie die næpæsˇ.

Ist hier an Sünd- und Schuldopfer gedacht, so kann das Erheben der næpæsˇ in Parallele zu »essen« das begehrliche Ausstrecken des Halses veranschaulichen. Aber zumeist bezieht sich die Wendung auf das Verlangen nach Objekten, die nicht im engeren Sinne genießbar sind, wie auf das Land (Jer 22,27), auf das Eitle (Ps 24,4), auf Söhne und Töchter (Ez 24,25), so dass ns´’ næpæsˇ in der Regel bedeutet: das Verlangen richten auf, sich sehnen nach. So tritt auch sonst das Organ mit seinen spezifischen Regungen hinter den ganzen Menschen und dessen entsprechendes Verhalten zurück. Von Sichem und Dina heißt es (Gen 34,2 f.): Er sah sie, nahm sie, legte sich zu ihr, tat ihr Gewalt an und seine næpæsˇ klebte an Dina und er liebte das Mädchen und redete ihr zu.

»Klebt« die næpæsˇ an ihr, so ist es offenbar das heftige Verlangen nach dauerhafter Verbindung. Auch Vaterliebe (Gen 44,30) und Freundesliebe (1 Sam 18,1) wird von der næpæsˇ vollzogen 24. Næpæsˇ ist in der Regel das noch ungestillte Begehren, das zur Aktion treibt. So ist die merkwürdige Sentenz möglich (Spr 16,26): Die næpæsˇ des Arbeiters müht sich für ihn, denn sein Mund treibt ihn an.

næpæsˇ ist, parallel zu Mund, die Kehle in Aktion, der Hunger, der zur Arbeit treibt. Dtn 23,25: Wenn du in den Weinberg deines Nächsten kommst, so darfst du Trauben essen entsprechend deiner næpæsˇ, bis du satt bist.

Mit der Sättigung ist der næpæsˇ als dem ungestillten Begehren die Grenze gesetzt. Die næpæsˇ als solche steht für das unbegrenzte Begehren. Wenn einer sich von einer kriegsgefangenen Frau trennen will, dann darf er sie nach Dtn 21,14 nur entlassen »entsprechend ihrer næpæsˇ« (l enapsˇa¯h), d. h. ganz nach ihrem freien Wunsch und Willen; ebenso 24. Doch vgl. dazu unten S. 53.

Seele

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waren die Sklaven nach Jer 34,16 freigelassen »nach ihrer næpæsˇ« (l enapsˇa¯m), d. h. nach ihrem eigenen Belieben. Wie geläufig næpæsˇ im Sinne freien Wünschens verwendet wird, zeigt die Phrase: ’im yesˇ napsˇ ekæm, d. h. »wenn es euch beliebt« (Gen 23,8; 2 Kön 9,15). Doch häufiger noch meint næpæsˇ den Menschen in seinem brennenden Begehren, das dem Lechzen des Verdurstenden entspricht. So dürstet in Ps 42,2 f. die næpæsˇ, d. h. das sehnsüchtige Verlangen des Klagenden nach dem lebendigen Gott. Und so schüttet nach 1 Sam 1,15 die kinderlose Hanna ihre næpæsˇ, also ihre ungestillte Sehnsucht, vor Jahwe aus. Die deuteronomische Mahnung, Jahwe mit ganzer næpæsˇ zu lieben (Dtn 6,5 u. ö.), besagt demnach, dass der Mensch die ganze Vitalität seiner Wünsche und all sein sehnsüchtiges Begehren in die Liebe zu dem einen Gott Israels hineinnehmen möchte, vgl. Mk 12,30. »Für den Glauben an das Evangelium kämpfen mit einer psyché« (Phil 1,27) heißt: »in gemeinsamem Streben«.

4. Seele Ein kleiner Schritt führt von der næpæsˇ als spezifischem Organ und Akt des Begehrens zu der erweiterten Bedeutung, bei der næpæsˇ Sitz und Akt auch anderer seelischer Empfindungen und Gemütszustände wird. Ex 23,9 weist Israel an: Einen Fremden sollst du nicht quälen; ihr kennt die næpæsˇ des Fremden, denn Fremde wart ihr im Lande Ägypten.

Hier ist der Ort, an dem wir næpæsˇ erstmalig mit »Seele« wiedergeben könnten. Denn es ist nicht nur an die Bedürfnisse und Wünsche des Fremden gedacht, sondern an die ganze Skala seiner Empfindungen, die mit der Fremde und der Gefahr der Bedrückung in der Abhängigkeit gegeben ist. An die Seele als das Zentralorgan des leidenden Menschen denkt auch Hiob, wenn er seine »Freunde« fragt (Hi 19,2): Wie lange wollt ihr meine næpæsˇ quälen?

Die næpæsˇ ist damit auch das typische Organ des Mitgefühls mit dem Bedürftigen (Hi 30,25). Als die vor allem leidende Seele und als das

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gequälte Gemüt ist die næpæsˇ das genaue Subjekt der Klagelieder des Psalters; sie ist erschrocken (6,3), sie verzweifelt und ist unruhig (42,6 f.12; 43,5), sie fühlt sich schwach und verzagt (Jon 2,8), sie ist erschöpft und fühlt sich wehrlos (Jer 4,31), sie leidet unter Bedrängnissen (Ps 31,8, vgl. Gen 42,21), unter Mühsal (Jes 53,11). Oft wird von der næpæsˇ gesagt, sie sei »bitter« (mar), d. h. verbittert wegen Kinderlosigkeit (1 Sam 1,10), bekümmert wegen Krankheit (2 Kön 4,27), empört, weil gekränkt (Ri 18,25; 2 Sam 17,8) oder sonstwie betrübt (Spr 31,6); die Wortwahl »bitter« erinnert wohl an næpæsˇ als Geschmacksorgan (Spr 27,7, s. oben S. 36), aber der Kontext in den eben genannten wie in mehreren ähnlichen Fällen zeigt deutlich an, dass hier die seelische Stimmung gemeint ist. Auch andere Emotionen werden vornehmlich von der næpæsˇ ausgesagt; sie ist Subjekt des Hasses (2 Sam 5,8; auch bei Jahwe: Jes 1,14), doch ebenso der Liebe (Hhld 1,7; 3,1.2.3.4; auch bei Jahwe: Jer 12,7). Die næpæsˇ empfindet Trauer und weint (Jer 13,17), aber sie freut sich auch und jubelt über Jahwe (Ps 35,9), wobei zu fragen ist, ob in solchen Fällen der Sitz der seelischen Stimmungen und Gemütswallungen noch zusammengesehen wird mit der Kehle als dem Ort vitaler Bedürfnisse und deren Schluchzen, Hecheln und Jauchzen. Die nicht seltene Wendung vom Kurzwerden (qsr) der næpæsˇ ˙ 11,8) und (Num 21,4; Ri 16,16; auch von Jahwe: Ri 10,16; Sach dann auch von ihrem Langmachen (’rk hi. Hi 6,11) entstammt sicher der Vorstellung vom kurzen und langen Atem der Kehle, ist aber nun ein solch geläufiger Ausdruck für Ungeduld und Geduld, dass unser Verstehen auch hier das Subjekt næpæsˇ mit Seele wiedergeben muss. So weit sich auch damit der Bedeutungsgehalt von næpæsˇ ausgedehnt hat, über den Bereich emotionaler seelischer Regungen geht er nicht hinaus; dabei hat sich nicht selten die Erinnerung an das körperliche Organ und seine speziellen Funktionen eingestellt.

5. Leben Diese Erinnerung wird noch deutlicher in einem erheblich ausgedehnten Sektor des Vorkommens von næpæsˇ. Bezeichnet die næpæsˇ das Organ der vitalen Bedürfnisse, ohne deren Stillung der Mensch nicht weiterleben kann, so ist für synthetisches Denken ohne weiteres

Leben

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einsichtig, dass næpæsˇ weithin das Leben selbst bedeutet. In Spr 8,35 f. nötigt die Topik zu dieser Übersetzung; die Weisheit spricht: Wer mich findet, hat Leben (hayyîm) gefunden und Wohlgefallen erlangt ˙von Jahwe. Wer mich verfehlt, vergewaltigt seine næpæsˇ; alle, die mich hassen, lieben den Tod (ma¯wæt).

In der Antithese zur vorangehenden Periode erscheint næpæsˇ exakt synonym zu »Leben«, und in der Parallele zum folgenden Stichos bildet næpæsˇ das Kontrastwort zu »Tod«. In Ps 30,4 heißt es: Jahwe, du hast meine næpæsˇ aus der Unterwelt heraufgeführt.

Die synonyme Fortsetzung sagt: du hast mich ins Leben gerufen (hiyyîtanî) ˙

und bestätigt damit, dass næpæsˇ im Voraufgehenden nicht weniger als das Leben des Beters selbst meint. Auch in Spr 19,8 will keine der früher genannten Bedeutungen passen: Wer Verstand erwirbt, liebt seine næpæsˇ, wer Einsicht bewahrt, ›findet‹ 25 Gutes.

Ähnlich wie in Spr 8,35 f. wird die Weisheit auf das Leben selbst als das schlechthin Gute bezogen. Auch in Spr 7,23: wie ein Vogel zur Schlinge eilt, ohne dass er weiß, dass es um seine næpæsˇ geht,

meint næpæsˇ nicht mehr den Hals (vgl. 1 Sam 28,9; Ps 124,7; Spr 18,7), sondern das Leben, da dieses Gleichnis innerhalb der großen Warnlehre auch nur dazu dient, zum »Leben« anzuleiten (7,2a) und vor dem »Tode« zu bewahren (V. 27). Dass sich die Bedeutung »Leben« im Unterschied zum letzten Beispiel völlig trennen kann von der Vorstellung des Halses oder der Kehle, beweist überraschend die Definition in Dtn 12,23: Das Blut, das ist die næpæsˇ.

Damit ist nichts anderes als die Identifikation von Blut und Leben vollzogen, zur Begründung der Vorschrift, dass mit dem Fleisch nicht 25. S. BHK.

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næpæsˇ – der bedürftige Mensch

auch das Blut, nämlich das Leben, verzehrt werden soll. Lev 17,11 formuliert fast noch deutlicher: die næpæsˇ des Fleisches, im Blut ist sie.

Ebenso verbindet die Priesterschrift in Gen 9,4 f. die næpæsˇ als das Leben mit dem Blut, vgl. Spr 1,18 und s. unten S. 104. Diese sekundäre Zuordnung der næpæsˇ als des Lebens zum Blut statt zur Kehle macht einige vom Vorgang des Atmens her schwer verständliche Wendungen begreiflich, die vom »Ausleeren der næpæsˇ« (2rh hi. und pi. Ps 141,8; Jes 53,12: »zum Tode«!) wie von einer Flüssigkeit (vgl. Gen 24,20) oder vom »Ausschütten der næpæsˇ« (sˇpk hitp. Klgl 2,12: »auf den Schoß ihrer Mütter« haben die Kinder Jerusalems ihre næpæsˇ ausgeschüttet, vgl. Hi 30,16) sprechen. Schon die Blutdefinition belegte, dass næpæsˇ Leben schlechthin, das tierische wie das menschliche, meint (Dtn 12,23; Gen 9,4 f.). In klarer Zuordnung erklärt Lev 24,17 f.: Wenn ein Mann irgendeine næpæsˇ von Menschen erschlägt, muss er mit dem Tode bestraft werden. Wer die næpæsˇ von Vieh erschlägt, muss es erstatten.

Beides folgt aus der Grundregel: »næpæsˇ anstatt næpæsˇ« (V. 18b). Das kann hier nur heißen: Leben tritt für Leben ein, das eigene bei Tötung eines Menschen, ein lebendes Stück Vieh für ein erschlagenes Stück Vieh. Schon die ältere Rechtsprechung kennt diese Bedeutung von »Leben« für næpæsˇ in der Talionsregel 26, wie das Bundesbuch belegt (Ex 21,23 f.): Wenn ein Unfall geschieht, sollst du geben næpæsˇ für næpæsˇ, Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß.

Auch im militärischen Leben haftet der Wachtposten mit seinem Leben für den Mann, der ihm zur Bewachung übergeben ist: »deine næpæsˇ für seine næpæsˇ«, wird 1 Kön 20,39 verfügt (vgl. V. 42). Dtn 24,6 ordnet an:

26. Vgl. Wagner, Rechtssätze, 4; dagegen denkt Oelsner, Körperteile, 13 ff. an »Kehle«.

Leben

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Nicht soll einer Mühle und Mühlstein pfänden, denn er würde die næpæsˇ zum Pfande nehmen.

Wer die Geräte, die zum täglichen Lebensunterhalt unentbehrlich sind, einem Menschen fortnimmt, der nimmt ihm das Leben selbst. Diese Verwendung von næpæsˇ in den gesetzlichen Ordnungen zur Sicherung des Lebens entspricht einem Gebrauch in weiten Bereichen der Sprache. Wenn einer um sein oder anderer Menschen Leben bittet, so bittet er um die næpæsˇ: 2 Kön 1,13; Est 7,3; 1 Kön 3,11; bittet er um den Tod, so sagt er: »Nimm meine næpæsˇ von mir!« (Jon 4,3, vgl. 1 Kön 19,4). So entstehen feste Phrasen: »jemandes næpæsˇ suchen« (biqqesˇ næpæsˇ) heißt: jemandem nach dem Leben trachten (Ex 4,19; 1 Sam 20,1; 22,23; 23,15; 25,29; 2 Sam 4,8; 16,11; 1 Kön 19,10.14; Jer 4,30; 11,21; 38,16; Ps 40,15); millet næpæsˇ: jemandem ˙ das Leben retten (2 Sam 19,6; 1 Kön 1,12, vgl. Gen 19,17; 32,31). Wer knapp dem Tode entronnen ist, hat »seine næpæsˇ als Beute« davongetragen (Jer 21,9; 39,18; 45,5). Der Satan weiß (Hi 2,4): Alles, was ein Mensch hat, gibt er für seine næpæsˇ

d. i. für sein Leben. Damit ist das unversehrte, gesunde Leben gemeint. Gibt Jahwe jedoch Gebein und Fleisch des Hiob in Satans Hand, so setzt er ihm zugleich die Grenze: »bewahre seine næpæsˇ«, d. i. sein nacktes Leben. Die nicht seltene Wendung »seine næpæsˇ in die eigene Hand legen« (s´îm napsˇô bekappô: Ri 12,3; 1 Sam 19,5; 28,21; Hi 13,14, vgl. Ps 119,109) besagt die Bereitschaft, sein Leben selbst der Gefahr auszusetzen. Bei dieser überaus reichen Verwendung von næpæsˇ für Leben bleibt zu beachten, dass der næpæsˇ nie die Bedeutung eines im Unterschied zum leiblichen Leben unzerstörbaren Daseinskerns zukommt, der auch getrennt von ihm existieren könnte. Wenn vom »Ausgang« (Gen 35,18) der næpæsˇ aus einem Menschen oder von ihrer »Rückkehr« (Klgl 1,11) gesprochen wird, so liegt dem die konkrete Vorstellung vom Aufhören und Wiedereinsetzen der Atmung zugrunde, wie wir oben S. 38 sahen. Führt Jahwe die næpæsˇ aus der Unterwelt herauf (Ps 30,4; 86,13), so ist an die Rückkehr des ganzen, in seiner Krankheit schon der Todesmacht ausgesetzten Menschen in das gesunde Leben gedacht 27. So viel von næpæsˇ als dem Leben gesagt wird, 27. S. unten S. 167 ff.

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so fehlt doch jeglicher Lebens- oder Todeskult und damit auch jede Spekulation über die Schicksale der »Seele« über die Todesgrenze hinaus 28. Hingegen bekennen Beter, dass die næpæsˇ als das Leben des Menschen in der Verfügungsgewalt und unter der Befreiungsmacht Jahwes bleibt (Ps 16,10): Du lässt mein Leben der Unterwelt nicht.

Ps 49,16: Ja, Gott wird mein Leben lösen aus der Unterwelt Gewalt, ja er entreißt mich.

Anschaulich erbittet Abigail für David (1 Sam 25,29): Das Leben (næpæsˇ) meines Herrn möge eingebunden sein in den Beutel des Lebens (serôr hahayyîm) bei Jahwe, deinem Gott. Das Leben (næpæsˇ) ˙ er fortschleudern mit der Schleuderpfanne. deiner Feinde˙ aber soll

Im »Beutel« werden Kostbarkeiten wie Silber aufbewahrt (Gen 42,35; Spr 7,20). Der »Beutel des Lebens« schützt vor dem Verlust der næpæsˇ.

6. Person Noch einmal tritt ein neuartiger Sinn von næpæsˇ vor uns hin, wenn vorausgesetzt wird, dass der Mensch næpæsˇ ist und nicht, wie bisher, dass ihm næpæsˇ eignet 29. Die Differenz zeigen uns am klarsten solche Texte, die sich zum Verhältnis von næpæsˇ und Leben (hayyîm) äußern. ˙ und næpæsˇ als Haben wir soeben Sprüche kennengelernt, die hayyîm ˙ Synonyma behandeln (z. B. Spr 8,35 f. und oben S. 45), so heißt es Spr 3,22: (… Umsicht und Klugheit) sie werden Leben (hayyîm) sein für deine næpæsˇ ˙ und Anmut deinem Halse.

28. S. unten S. 156 ff. 29. Vgl. Scharbert, Fleisch, 23.

Person

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Die Übersetzung »Leben« für næpæsˇ ist hier ausgeschlossen, da ihr erst »Leben« zugesprochen wird. Næpæsˇ sagt also nicht, was einer hat, sondern wer der ist, dem da Leben (hayyîm) zukommt: Person, Individuum, Wesen 30. Rechtstexte aus ˙dem Heiligkeitsgesetz verdeutlichen dieses Verständnis. Lev 17,10: Ein jeder Mann …, der irgendwelches Blut genießt, (für ihn gilt, dass) ich mein Angesicht richte gegen die næpæsˇ, die das Blut genießt.

Notwendig wird næpæsˇ hier mit »Person« übersetzt31, wenn auch zu beachten ist, dass die Person hier eben als Essende næpæsˇ heißt (vgl. 17,15). Doch häufiger fehlt diese Beziehung. Lev 20,6 spricht von der næpæsˇ als der Person, die sich an Totengeister wendet, 22,4 von einer »unreinen Person«; in Lev 23,30 heißt es: Jede næpæsˇ, die an eben diesem Tage irgendwelche Arbeit tut, diese næpæsˇ will ich aus der Mitte ihres Volkes austilgen.

Næpæsˇ meint so generell die Einzelperson, das Individuum im Gegenüber zum Volksverband, vgl. auch Lev 19,8; 22,3; Num 5,6; 9,13 u. ö. Nicht zufällig wird der Israelit næpæsˇ – als die Kehle, die mit Essen und Atmen die Lebensbedürfnisse des je Einzelnen befriedigt, – eben auch als die angemessene Benennung des Einzelwesens angesehen haben. Damit wird aber auch eine Pluralbildung nepa¯ˇsôt möglich, wenn eine Mehrzahl von Individuen gemeint ist. Wir finden sie konsequent inmitten der soeben angeführten Rechtstexte in Lev 18,29: Für jeden, der etwas von diesen Greueltaten tut, gilt, dass die nepa¯ˇsôt, die so handeln, aus der Mitte ihres Volkes ausgerottet werden sollen.

Wenn Jer 43,6 den Personenkreis aufzählt, der nach Ägypten gebracht wird, dann spricht der Text zuerst speziell von »Männern, Frauen,

30. Die Parallele næpæsˇ – garga¯rôt (Hals) erinnert daran, dass noch hier in der Bezeichnung des angesprochenen Menschen als Person mit næpæsˇ die Sicht der »Kehle« für den Israeliten durchschimmert. – Gerleman, hyh, 553 betont, ˙ innewohnt«, dass dem Begriff hayyîm ein »höherer Grad von Objektivierung ˙ oder richtiger eine Heilsgabe« bezeichnet, während næpæsˇ also »ein Besitztum »als ein inhärentes, leibgebundenes Lebensprinzip betrachtet« wird, vgl. weiter 555 f. 31. Z. B. von Noth, ATD, 6.

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næpæsˇ – der bedürftige Mensch

Kindern und Königstöchtern« und fährt fort: »auch die ganze næpæsˇ, die Nebusaradan … bei Gedalja … gelassen hatte, auch Jeremia und Baruch«. Hier ist næpæsˇ kollektiv für einen ganzen Kreis von Einzelpersonen verwendet, ebenso in Gen 12,5, wo die Priesterschrift aufzählt, was Abram aus Haran nach Kanaan mitnahm: Sarai, Lot, alle Habe und die næpæsˇ, womit hier »das Personal« zusammengefasst wird. Dieser kollektive Gebrauch von næpæsˇ zeigt sich sehr deutlich in Verbindung mit Zahlenangaben: die Nachkommen der Lea ergeben 33 næpæsˇ (Gen 46,15), der Silpa 16 næpæsˇ (V. 18), der Rahel 14 næpæsˇ (V. 22) und der Bilha 7 næpæsˇ (V. 25), alle Nachkommen Jakobs, die nach Ägypten kamen, waren 66 (V. 26) bzw. 70 næpæsˇ (V. 27). Die Übersetzung der Lutherbibel, die auch hier der Septuaginta und der Vulgata folgt, hat dazu geführt, in kirchlichen Statistiken bei Personenzählungen von der »Seelenzahl« zu sprechen. Dieser kollektive Gebrauch von næpæsˇ wie der des Plurals ist vor allem in der späteren Literatur belegt. Bei 44fachem Vorkommen werden 20 priesterschriftliche Texte gezählt (KBL 626). Wenn Gen 9,5 formuliert: euer Blut, nämlich eure nepa¯ˇsôt, will ich aus der Hand jeden Lebewesens fordern,

so werden damit ausdrücklich die menschlichen Individuen geschützt (vgl. V. 6). Nach Num 19,18 soll das Reinigungswasser auf das Zelt, »auf alle Gefäße und auf alle nepa¯ˇsôt, die darin waren«, gespritzt werden, d. h. ausdrücklich auf alle Einzelpersonen. Ez 13,19 unterscheidet nepa¯ˇsôt, die nicht sterben sollten, von solchen, die nicht leben sollten. Diese Aussage deutet eine Ablösung des Begriffs næpæsˇ vom Lebensbegriff an; der Akzent liegt auf dem Einzelwesen als solchem. Damit wird die extreme Möglichkeit verständlich, von einer næpæsˇ met (Num 6,6) zu sprechen. Dabei ist weder an eine »tote Seele« noch an »getötetes Leben« gedacht, sondern eben an eine verstorbene Person, ein totes Individuum, eine Leiche; zu ihr darf sich ein Nasiräer während der ganzen Zeit seines Geweihtseins nicht hinbegeben. Noch auffälliger ist, dass næpæsˇ in Einzelfällen sogar ohne Beifügung von met (tot) die Leiche einer menschlichen Einzelperson bezeichnen kann (Num 5,2; 6,11, vgl. Num 19,11.13; Hag 2,13). Erst diese Möglichkeit, næpæsˇ zu verwenden, zeigt uns, dass die

Pronomen

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Wendung næpæsˇ hayya¯h kein überflüssiges Beiwort enthält. Die Pries˙ so Wassertiere (Gen 1,20 f.; auch Lev 11,10.46; terschrift bezeichnet Ez 47,9), Landtiere (1,24), Tiere überhaupt (Gen 9,10.12.15) 32 und Menschen und Tiere zusammen (Gen 9,16) als Lebewesen. (Nach Gen 1,30 ist die næpæsˇ hayya¯h »in« den Tieren, so dass hier an den ˙ Lebensatem zu denken ist). Im jahwistischen Schöpfungsbericht (Gen 2,7) sahen wir den Menschen ausdrücklich als næpæsˇ hayya¯h definiert; er ist es nicht schon ˙ dem Staub der Ackererde, sondern auf Grund seiner Gestaltung aus wird es erst dadurch, dass Jahwe Gott den Lebensatem in seine Nase bläst. Erst die vom Schöpfer bewirkte Atmung macht ihn zu einer lebendigen næpæsˇ, d. h. dann, zu einem Lebewesen, einer lebendigen Person, einem lebendigen Individuum. Unter diesem Aspekt also wird der Mensch hier näher bestimmt. næpæsˇ hayya¯h führt nach dem ˙ Gefälle der Aussagen in Gen 2,7 keine differentia specifica zu tierischen Lebewesen ein; dann wäre die nachträgliche Bestimmung auch des tierischen Wesens als næpæsˇ hayya¯h in 2,19 kaum möglich. Wohl ˙ Begabung mit dem Lebensatem aber wird der Mensch durch die durch Gott als lebendiges Individuum von der næpæsˇ met als einem leblosen Gebilde oder einem Leichnam unterschieden.

7. Pronomen Bezeichnet næpæsˇ ohne Beiwort in den aufgeführten Zusammenhängen nicht mehr als die einzelne Person, so kann es leicht dazu kommen, dass es nur noch die Stelle des Personal- oder Reflexivpronomens einnimmt. Die Übergänge sind fließend. Der moderne Mensch wird geneigt sein, den pronominalen Charakter auch schon dort zu sehen, wo für die Alten die nominale Füllung noch stark zu hören war. So schwankt denn auch die heutige Interpretation zwischen 123 und 223 Belegen für die pronominale Bedeutung 33. Wichtiger als eine genaue Grenzziehung erscheint mir auch hier die Beachtung der Eigen-

32. In Gen 2,19 scheint næpæsˇ hayya¯h in diesem Sinne innerhalb des jahwistischen Textes nachgetragen zu˙ sein. 33. Vgl. Johnson, Vitality, 15 Anm. 3.

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næpæsˇ – der bedürftige Mensch

art synthetisch-stereometrischer Denkweise, die das weitgehende Miteinander verschiedener Bedeutungsnuancen in Rechnung stellt. Der Jahwist lässt in Gen 12,13 Abram zu Sarai sagen: Sag doch, du seist meine Schwester, damit es mir (lî) deinetwegen gut gehe und durch dich meine næpæsˇ am Leben bleibt.

Der Parallelismus der beiden letzten Sätze legt nahe, »meine næpæsˇ« als Variante zum Personalpronomen »ich« zu verstehen (»damit ich durch dich am Leben bleibe«). Wenn wir auch in aller Regel so übersetzen, sollte doch die Sachdifferenz des Hebräischen klar bleiben: Das Ich wird durch næpæsˇ mit seinem Personzentrum herausgehoben, um dessen Leben es dem Jahwisten seit der Definition von Gen 2,7 geht 34. Typisch für die Bedeutungsschwere dieses Pronomens ist der Wechsel mit einfachem pronominalem Suffix oder präformativ bzw. afformativ gebildetem Verbsubjekt in den Worten Lots beim Jahwisten (Gen 19,19 f.): Du hast mir ( 2imma¯dî) große Gunst erwiesen, mich (meine næpæsˇ !) am Leben zu erhalten; aber ich kann mich nicht ins Gebirge retten … ; siehe, diese Stadt da ist nahe …, dahin möchte ich mich retten …, dass ich (meine næpæsˇ !) am Leben bleibe.

Da, wo vom Leben die Rede ist, tritt als »Pronomen« næpæsˇ auf. Selbst ein ferner Nachklang der lebensdurstigen Kehle ist nicht ganz zu überhören. Die Bitte: »Lass mich doch leben!« heißt hebräisch nicht von ungefähr: »Lass meine næpæsˇ leben!« (1 Kön 20,32). Dementsprechend geht es beim Sterben um die næpæsˇ. So ruft Simson, als er die Säulen des Philisterhauses einreißt (Ri 16,30): Möchte ich mit den Philistern sterben!

wobei das Pronomen »ich« wieder »meine næpæsˇ« heißt. Bileam schließt seinen Spruch (Num 23,10): Möge ich (meine næpæsˇ ) einen Tod der Aufrechten sterben!

34. Vgl. Schmidt, Anthropologische Begriffe, 381: »nephesch ist der Mensch als einzelner, soweit er auf etwas aus ist«.

Pronomen

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Næpæsˇ steht für die Person, deren Leben auf dem Spiele steht. Von hier aus kann næpæsˇ in der Dichtung fast gleichsinnig in Parallele zum gewöhnlichen Pronomen stehen (Ps 54,6): Siehe, Gott hilft mir, der Herr als einziger stützt mich (meine næpæsˇ).

Spr 18,7: Der Mund des Toren ist sein Untergang, seine Lippen sind seine Falle (die Falle seiner næpæsˇ).

Und doch bleibt es für das Sprachgespür wichtig, die ganze Bedeutungsskala von »Hals« (in der Schlinge, s. oben S. 40) bis »Leben« und »Person« im Sinn zu behalten. Wie ist es zu erklären, dass in der Erzählung von der Erlistung des Segens durch Jakob das Subjekt des Segens Isaaks regelmäßig seine næpæsˇ ist? Gen 27,4: … bringe mir (das Wildpret) herein, dass ich esse, damit meine næpæsˇ dich segne, bevor ich sterbe! 35

Nichts in der nachgewiesenen Bedeutungsfülle von næpæsˇ berechtigt, hier an eine besondere Kraft und Begabung der Seele zu denken, wobei sich magische Vorstellungen erhalten haben sollen 36. Man wird hier viel eher an den einfachen pronominalen Gebrauch zu denken haben; seine Füllung erhält er ausreichend vom Kontext; an allen vier Stellen ist unmittelbar vorher vom Essen des erwünschten Wildprets die Rede und beim ersten Mal unmittelbar nachher von Isaaks Tod. Das segnende Ich Isaaks ist als næpæsˇ die begehrliche und befriedigte Person, die eben noch lebt, aber schon den Tod vor sich hat. Hiob sagt (16,4): Auch ich vermöchte wohl wie ihr zu reden, wenn ihr für mich hier stündet.

Die Pronomina des letzten Stichos lauten: »eure næpæsˇ statt meiner næpæsˇ«, womit die Lebensnot anklingt. So sollte beim pronominalen Gebrauch jeweils nach den mitschwingenden Unter- und Obertönen gefragt werden, ob nun »meine Verfehlung« in Mi 6,7 die »Verfeh35. V. 19: »… dass mich deine næpæsˇ segne!«, ebenso V. 25 und V. 31. 36. Vgl. Stendebach, Mensch, 130 f.

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næpæsˇ – der bedürftige Mensch

lung meiner (begehrenden) næpæsˇ« heißt (»mein verfehltes Leben« parallel zu »mein Aufbegehren« = pisˇ 2î) oder ob Jonatan David liebt »wie sich selbst«, d. h. »wie seine næpæsˇ« (wie sein eigenes Leben) (1 Sam 18,1), oder ob in Jesajas (3,9) »weh ihnen«! in der Form von »weh ihrer næpæsˇ!« noch das »weh ihrem begierigen Leben!« anklingt. Am stärksten ist die Bedeutung von næpæsˇ zum Personalpronomen da verallgemeinert, wo das Wort in synonymem Parallelismus zu »Fleisch«, »Geist« und »Herz« erscheint. Jedoch selbst in diesen Fällen kann man beobachten, dass über den Menschen als næpæsˇ z. B. spezifische Aussagen emotioneller Lust (Spr 2,10) oder der Sehnsucht des Bedürftigen (Ps 84,3) gemacht werden 37. Überschauen wir den weiten Zusammenhang, in dem die næpæsˇ des Menschen und der Mensch als næpæsˇ betrachtet werden, so sehen wir darin vor allem den Menschen als das einzelne Lebewesen gekennzeichnet, das das Leben weder aus sich selbst gewonnen hat noch erhalten kann, sondern das in vitalem Begehren auf Leben aus ist, wie das die Kehle als Organ der Nahrungsaufnahme und des Atmens und der Hals als der besonders gefährdete Körperteil verdeutlichen. Zeigt so næpæsˇ vor allem den Menschen in seiner Bedürftigkeit und Begehrlichkeit, so schließt das seine emotionale Erregbarkeit und Verletzlichkeit ein. Das Bedeutungselement des Vitalen, das auch dem Tier zukommt, hat wesentlich dazu beigetragen, dass næpæsˇ die Person und das abzählbare Individuum bezeichnen kann, woraus dann im Extremfall die Bedeutung »Leichnam« folgt. Subjekt spezifisch geistiger Tätigkeiten wird næpæsˇ nie. Dass næpæsˇ vornehmlich auf den bedürftigen, nach Leben trachtenden und insofern lebendigen Menschen hinweist, womit er auch an die Seite des Tieres gerückt ist, wird indirekt dadurch bestätigt, dass breite Schichten des Alten Testaments es vermeiden, von Jahwes næpæsˇ zu sprechen38, so alle älteren Pentateuchschichten bis einschließlich dem Deuteronomium. Wo später vor allem die prophetische und dichterische Sprache Jahwes næpæsˇ erwähnt, da hebt sie seine Erregung (Ri 10,16; Sach 11,8) im Zorn und Abscheu (Jes 1,14; Ps 11,5; Spr 6,16; Lev 26,11.30; Jer 6,8; 9,8; 14,19; Ez 23,18) wie in der Liebe (Jer 12,7), sein freies Verlangen (Hi 23,13; Jer 15,1; 37. S. oben S. 29. 38. Zur Statistik s. oben S. 37.

Pronomen

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32,41; 1 Sam 2,35) oder sein lebendiges Selbst (Am 6,8; Jer 51,14, s. oben S. 43) hervor. Zum Schluss sei darauf hingewiesen, dass vor Jahwe der Dialog des Menschen mit seiner næpæsˇ, d. h. mit sich selbst entsteht. In Ps 103,1 fordert er sich zum Lobpreis heraus: Lobe, meine næpæsˇ, Jahwe, all mein Innres seinen heiligen Namen.

Denkt man an das Organ des Lobens und an den Kontrast zum Inneren, so übersetzt man: Lobe, meine Kehle, Jahwe!

Sieht man die Gesamtheit des Inneren betont und bedenkt den Anlass zum Lob in den den ganzen Menschen betreffenden Wohltaten Jahwes, so übersetzt man: Lobe, mein Leben, Jahwe!

In jedem Fall befreit die Erkenntnis der Heilstaten Jahwes dazu, dass ein verständiger Mensch sein vitales, emotionales, bedürftiges und begehrliches Selbst zum beglückten Jubel anleitet. Der vor Jahwe entstehende Dialog zwischen dem hellhörig gewordenen Menschen und seinem vegetativen Selbst kann im Klagelied auch die Form des Selbstzuspruchs annehmen (Ps 42,6.12; 43,5): Was bist du so aufgelöst, meine næpæsˇ, und so erregt in mir? Harre auf Gott, denn ihm werde ich noch danken.

Hier ist die næpæsˇ das Selbst des bedürftigen, in Sehnsucht verschmachtenden (vgl. 42,2 f.) Lebens. So erkennt der Mensch des Alten Testaments sich nicht nur vor Jahwe als næpæsˇ seiner Bedürftigkeit, sondern er führt auch sein Selbst zum Hoffen und Loben weiter.

§ 3 ba¯´sa¯r – der hinfällige Mensch 1 1. Fleisch – 2. Körper – 3. Verwandtschaft – 4. Schwäche

Wird næpæsˇ wenigstens in knapp drei Prozent seines Vorkommens Gott im Alten Testament zugesprochen, so ist das bei ba¯´sa¯r nicht ein einziges Mal der Fall. Dafür wird vom ba¯´sa¯r der Tiere ungleich häufiger als von deren næpæsˇ gesprochen. Kommt ba¯´sa¯r insgesamt 273 mal vor 2, so ist es davon 104 mal auf Tiere bezogen 3, d. h. in mehr als einem Drittel der Fälle. Schon daran wird deutlich, dass ba¯´sa¯r etwas bezeichnet, das dem Menschen weithin wie dem Tier eignet. Es empfiehlt sich daher methodisch, an dieser Stelle einzusetzen.

1. Fleisch Jes 22,13 beschreibt Jerusalems Leichtsinn: Sieh da, Freude und Frohsinn, Rindertöten und Schafeschlachten, ba¯´sa¯r-essen und Wein-trinken! »Essen wir und trinken wir! Denn morgen sterben wir.«

Klar ist, dass ba¯´sa¯r das Fleisch der geschlachteten Rinder und Schafe meint. Jes 44,16 spricht vom ba¯´sa¯r als Fleisch, das als Braten verzehrt wird. In erster Linie meint ba¯´sa¯r das Fleisch lebender Tiere. So heißt es Hi 41,15 vom ba¯´sa¯r des Krokodils:

1. 2. 3.

Literatur: Pidoux, L’homme, 18 f.; Hulst, kol-bas´ar; Schweizer / Baumgärtel / Meyer, sarx; Schmidt, Anthropologische Begriffe, 382; Scharbert, Fleisch; Lys, Bâsâr, Gerleman, ba¯´sa¯r und Bratsiotis, ba¯´sa¯r. Lys, Bâsâr, 18. Lys, aaO 131. Ausnahmsweise wird ba¯´sa¯r einmal zusammen mit næpæsˇ von der Pflanzenwelt ausgesagt; nach Jes 10,18 wurden Wald und Weinberg vernichtet minnæpæsˇ we 2ad ba¯´sa¯r, womit wohl gesagt sein soll, dass nicht nur das (grünende) Leben, sondern auch noch das abgestorbene (Holz-)Material vernichtet wird.

Fleisch

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Seines Fleisches Wampen kleben zusammen, fest liegt es ihm an und unbewegt.

Am häufigsten ist vom Fleisch der Opfertiere in Ritualvorschriften die Rede (Lev 4,11; 7,15–21; Num 19,5 u. ö.). Bezeichnend dafür ist, dass ba¯´sa¯r in keinem Buche auch nur annähernd so häufig erscheint wie in Leviticus4. Wie von tierischem Fleisch kann auch von menschlichem ba¯´sa¯r als Nahrungsmittel gesprochen werden. Zu den Flüchen über ein ungehorsames Israel gehört Lev 26,29: Ihr werdet das Fleisch eurer Söhne essen und das Fleisch eurer Töchter essen müssen.

Von denen, die sich an Israel vergingen, heißt es (Jes 49,26a): Deinen Peinigern gebe ich ihr Fleisch zu essen, sie trinken wie Most ihr Blut.

Vom ba¯´sa¯r als einem Stück Fleisch des menschlichen Körpers im Unterschied zu Knochen spricht der jahwistische Bericht von der Erschaffung der Frau aus einer der Rippen des Mannes (Gen 2,21bb): und er schloss die Stelle mit Fleisch zu.

In Beschreibungen des ganzen menschlichen Körpers bildet ba¯´sa¯r einen Teil. Es wird neben den Knochen ( 2æsæm) erwähnt (Hi 2,5): ˙ rühre an sein Gebein und sein Fleisch,

wobei neben den Knochen als der inneren Struktur ba¯´sa¯r vor allem das äußerlich Sichtbare meint. Die Haut ( 2ôr) wird als drittes besonders genannt Klgl 3,4: Schwinden ließ er mein Fleisch und meine Haut, er zerbrach meine Gebeine.

Hi 10,11 fügt als viertes die Sehnen (gîdîm) hinzu: Mit Haut und Fleisch hast du mich überkleidet, mit Knochen und mit Sehnen mich durchwirkt.

Um den lebendigen Menschen darzustellen, muss schließlich als fünftes der Atem als Lebensgeist (rûah) hinzukommen (Ez 37,5 f.): ˙ 4.

Nach Gerlemann, ba¯´sa¯r, 377 61 mal.

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ba¯´sa¯r – der hinfällige Mensch Jahwe spricht zu diesen Gebeinen Ich schaffe Sehnen an euch und bringe Fleisch über euch und ziehe Haut über euch und gebe Atem in euch …

So kann ba¯´sa¯r als Fleisch in verschiedenem Maße differenziert einen Teil der menschlichen Körpermasse bezeichnen. Speziell kann von dem »ba¯´sa¯r der Vorhaut« die Rede sein (Gen 17,11.14). Stellt man die Frage, ob mit ba¯´sa¯r als »Stück Fleisch« ohne direkte nähere Bestimmung auch ein ganz bestimmtes Organ oder Glied des Leibes benannt werden kann, so ist bemerkenswert, dass dafür mit Sicherheit nur das männliche Glied, der Penis, in Frage kommt. Wahrscheinlich ist ba¯´sa¯r schon in Lev 152 f.7 5 das männliche (in V. 19 dann auch entsprechend das weibliche) Geschlechtsorgan (Lev 15,2): Wenn jemand einen Ausfluss an seinem ba¯´sa¯r bekommt, so ist sein Ausfluss unrein.

Unbestritten ist die Bedeutung in Ez 16,26, wo die untreue Frau Jerusalem angesprochen wird: Du hurst mit den Ägyptersöhnen, deinen Nachbarn mit dem großwerdenden Glied (ba¯´sa¯r)

und noch eindeutiger in Ez 23,20, wo es von Jerusalem als der treulosen Oholiba ebenfalls in ihrem Verhältnis zu den Ägyptern (V. 19!) heißt: Sie trug Verlangen nach ihren Lüstlingen, deren Penis (ba¯´sa¯r) wie ein Penis (ba¯´sa¯r) der Esel ist und deren Erguss dem der Hengste gleicht.

zirma¯h für die Ejakulation (vgl. zæræm Wolkenbruch, Regenguss) sichert, dass ba¯´sa¯r hier das männliche Glied bezeichnet. Ein kräftigeres Bild für die Geilheit als Hinweis auf »die Kraft des politischen Konspirierens« ist kaum zu denken 6. Man beachte für die weitere Bedeutungsentwicklung, dass diese prägnant euphemistische Verwendung von ba¯´sa¯r nicht etwa im positiven Sinne zur Darstellung der Zeu5. 6.

Vgl. Elliger, HAT I/4, 191 ff. gegen Scharbert, Fleisch, 49, aber vgl. Lev 15,19, wo vom weiblichen ba¯´sa¯r die Rede ist, s. unten S. 108 Anm. 5. Vgl. Zimmerli, BK XIII, 547.

Körper

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gungskraft erfolgt, sondern nur der Verdeutlichung der Untreue und der Unreinigkeit dient.

2. Körper Da ba¯´sa¯r vor allem für den sichtbaren Teil des Leibes steht, kann es dann auch den menschlichen Körper im Ganzen bezeichnen7. Nach Num 8,7 soll man im Zuge der Levitenweihe ein Schermesser über ihren ganzen ba¯´sa¯r gehen lassen,

d. h. über ihren ganzen Körper. Elifas sagt im gleichen Sinne (Hi 4,15): Es sträubt sich das Haar an meinem ba¯´sa¯r.

Lev 13,2 ff. unterscheidet bei der Anweisung zur Behandlung eines Aussätzigen genauer »die Haut seines Körpers« ( 2ôr be´sa¯rô) und »das Haar darauf« (V. 4). Aber in Lev 19,28 meint ba¯´sa¯r wieder den Körper mit seiner Haut: Eine Ritzung sollt ihr nicht an eurem Leibe (ba¯´sa¯r) anbringen, und ein Ätzmal sollt ihr nicht an euch machen. 8

Wenn Ps 102,6 die Abmagerung beschreibt: es klebt mein Gebein an meinem ba¯´sa¯r,

so bringt der Beter damit sachlich zum Ausdruck, dass er »nur noch Haut und Knochen« ist. Legt Ahab nach dem Zerreißen seiner Kleider das Bußgewand um seinen ba¯´sa¯r (1 Kön 21,27), so ist damit sein »bloßer Leib« gemeint. Nicht nur der äußerlich sichtbare, sondern der ganze Körper steht in Ps 38,4a in Frage: Nichts Heiles ist an meinem ba¯´sa¯r wegen deines Zorns. 9

Dementsprechend gilt die Arznei dem ganzen Körper (Spr 4,22):

7. 8. 9.

Nach Gerlemann, ba¯´sa¯r (377) etwa 50 mal. ba¯´sa¯r verblasst hier schon als Synonym zum Personalpronomen. Hier synonym zu »Knochen« in V. 4b.

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ba¯´sa¯r – der hinfällige Mensch (Die Weisheitsworte) sind Leben ›dem, der‹ 10 sie findet, und seinem ganzen ba¯´sa¯r eine Arznei.

Wieder rückt der Parallelismus ba¯´sa¯r in die Nähe zum Personalpronomen, vgl. auch Ps 119,120: In Furcht vor dir erschaudert mein ba¯´sa¯r, ich fürchte deine Gerichte.

Ähnlich næpæsˇ weist also ba¯´sa¯r auf den Menschen als solchen hin, nun unter dem Aspekt des Körperlichen. Gen 2,24 kann vom Manne sagen, er werde »an seiner Frau kleben, und sie werden zu einem ba¯´sa¯r«, d. h. zu einem gemeinsamen Körper, zu einer »Lebensgemeinschaft«11.

3. Verwandtschaft Hier tritt ba¯´sa¯r als »Fleisch« im Sinne dessen auf, was Menschen miteinander verbindet und was dann geradezu Rechtsterminus für »Verwandtschaft« werden kann. So stellt Juda gegenüber seinen Brüdern von Josef fest (Gen 37,27): er ist unser Bruder, unser ba¯´sa¯r

d. h. unser (nächster) Angehöriger (vgl. Neh 5,5: »wie der ba¯´sa¯r unserer Brüder ist unser ba¯´sa¯r«). Häufiger steht als »Verwandtschaftsformel« 12 »mein Gebein und mein Fleisch«: Gen 29,14, vgl. Gen 2,23; Ri 9,2; 2 Sam 5,1; 19,13 f. 13. Lev 18,6 fasst das Verbot allen geschlechtlichen Verkehrs mit Blutsverwandten zusammen: Keiner von euch darf sich dem Fleisch (sˇ e’er) seines ba¯´sa¯r nähern, um die Scham zu entblößen.

10. 11. 12. 13.

S. BHK. Steck, Paradieserzählung, 95. Reiser, Verwandtschaftsformel. Dagegen wird da¯m (Blut) im Alten Testament nicht wie im Akkadischen (von Soden, AHw, 158) zur Bezeichnung der (»Bluts-«)Verwandtschaft verwendet.

Verwandtschaft

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Hier wird ˇs e’er als physiologischer Begriff für das durchblutete Fleisch von ba¯´sa¯r als dem juridischen Begriff für den Familienangehörigen deutlich abgehoben 14. Der Umkreis der leiblich Verwandten (ba¯´sa¯r) wird Lev 25,49 als die Sippe (misˇpa¯ha¯h Großfamilie) bestimmt. In ˙ Heimatlosen, dem Nackten Jes 58,7 ist neben dem Hungrigen, dem von dem die Rede, »der dein ba¯´sa¯r ist«, und von dem einer, der recht »fasten« will, sich nicht zurückziehen soll; der Zusammenhang legt es nahe, bei ba¯´sa¯r nicht nur an den Verwandten im rechtlichen Sinne, sondern an den Mitmenschen als den Artverwandten überhaupt zu denken. kål-ba¯´sa¯r heißt jedenfalls bei Deuterojesaja (40,5.6; 49,26b) ebenso wie Ps 136,25; 145,21 »die ganze Menschheit«. Das ist vornehmlich auch in der priesterschriftlichen Fluterzählung der Fall, wie Gen 6,12 (neben 6,5 J) zeigt 15. Allerdings schließt die Priesterschrift in Gen 6,17 und 9,16 f. mit kål-ba¯´sa¯r Menschen- und Tierwelt zusammen als die, die das Flutgericht trifft, und als Bundespartner Gottes, vgl. auch Num 18,15. Die Priesterschrift bestimmt ba¯´sa¯r näher als das Lebendige, »in dem Atem ist« (Gen 6,17) bzw. als »lebendige Wesen« (9,16 næpæsˇ hayya¯h) 16. ba¯´sa¯r bezeichnet nicht den Leichnam, der in der Regel ˙nebela¯h heißt und nicht selten »Knochen«, »Gebeine« (2 asa¯mîm, ˙ 2 asa¯môt Am 6,10; Ez 6,5; Gen 50,25; Ex 13,19). ˙ Wenn ba¯´sa¯r die Artverwandtschaft alles Lebendigen unterstreicht, so wird von da aus die merkwürdig positive Bedeutung verständlich, die ba¯´sa¯r in der Verheißung in Ez 11,19b (36,26b) gewinnt: Ich will das steinerne Herz aus ihrem Körper (ba¯´sa¯r) entfernen und ihnen ein Herz von ba¯´sa¯r (d. h. ein fleischernes Herz) geben.

Das fleischerne Herz ist hier im Gegensatz zum steinernen eindeutig das lebendige Herz 17. Diese Verwendung von ba¯´sa¯r im Sinne einer positiven Wertung menschlichen Verhaltens ist schlechterdings einmalig.

14. 15. 16. 17.

Vgl. Dhorme, L’emploi métaphorique, 9. Vgl. Hulst, kol-bas´ar, 29.64. S. oben S. 51. Vgl. weiter unten S. 95.

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ba¯´sa¯r – der hinfällige Mensch

4. Schwäche Sonst charakterisiert ba¯´sa¯r das menschliche Leben im Allgemeinen als in sich selbst schwach und hinfällig. Ps 56,5 bekennt: Auf Gott hoffe ich, nicht fürchte ich mich. Was kann mir ba¯´sa¯r tun?

In V. 12 steht im gleichen Wortlaut statt ba¯´sa¯r »ein Mensch«. Danach beschreibt ba¯´sa¯r das menschliche Wesen im Gegensatz zu dem Gottes als kraftlos und unzuverlässig. Hiob fragt Gott (Hi 10,4): Hast du denn Augen aus Fleisch (ba¯´sa¯r)? Schaust du, wie ein Mensch schaut?

So wird denn nie von Gottes ba¯´sa¯r gesprochen; dagegen steht ba¯´sa¯r sehr oft als etwas typisch Menschliches im Gegensatz zu dem Gott Israels. Jeremia 17,5.7 stellt in Antithese: Verflucht ist der Mann, der auf Menschen vertraut und ba¯´sa¯r zu seinem Arme macht … Gesegnet der Mann, der auf Jahwe traut.

Selbst von dem mächtigen König von Assur, Sanherib, sagt 2 Chr 32,8: Mit ihm ist nur ein Arm aus ba¯´sa¯r, mit uns aber ist Jahwe, unser Gott, uns zu helfen.

Immer beschreibt in diesen Fällen ba¯´sa¯r die begrenzte, unzulängliche menschliche Macht im Gegensatz zu der allein vertrauenswürdigen überlegenen Macht Gottes. »Fleisch« ist auf die Lebenskraft Gottes, auf seinen Odem angewiesen; entzöge er ihn den Geschöpfen, »dann würde alles Fleisch (ba¯´sa¯r) zugleich verscheiden, zum Staube kehrte auch der Mensch zurück« (Hi 34,14 f.). ba¯´sa¯r an und für sich ist der Mensch als der in sich selbst Hinfällige (vgl. auch Gen 6,3). Eben darum aber setzt Gott seinem Zorn Grenzen (Ps 78,38 f.): Er gedachte, dass sie nur Fleisch (ba¯´sa¯r) sind.

Schwäche

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Vor dem heiligen Gott ist aber der Mensch als ba¯´sa¯r nicht nur der Hinfällige, sondern auch der für die Sünde Anfällige, der darum vor der Stimme des lebendigen Gottes nicht bestehen kann (Dtn 5,26): Wer unter allem ba¯´sa¯r, der wie wir die Stimme des lebendigen Gottes aus dem Feuer gehört hätte, wäre am Leben geblieben?

Unter dem sengenden Gerichtswind Gottes verdorrt aller ba¯´sa¯r wie Gras (Jes 40,6). In der Priesterschrift ergeht über kål-ba¯´sa¯r das Flutgericht, weil »alles Fleisch« als solches »seinen Weg auf Erden verdorben hatte« (Gen 6,12). Darum ist es auch »alles Fleisch«, das der Sünden Lasten vor Gott bringt (Ps 65,3 f.). So meint schon innerhalb des Alten Testaments ba¯´sa¯r nicht nur die Kraftlosigkeit des sterblichen Geschöpfs, sondern auch seine Schwäche in der Treue und im Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes 18. Zur kreatürlichen Hinfälligkeit kommt die ethische. Nicht erst die Texte von Qumran, die vom »schuldigen Fleisch« (be´sa¯r ’asˇmæ 1 QM 12:12) und vom »Fleisch des Unrechts« (be´sa¯r ’æwæl 1 QS 11:9) sprechen, befinden sich auf dem Weg zu der paulinischen Erkenntnis, dass »in meinem Fleische das Gute nicht wohnt« (Röm 7,5.18). Zu diesem »Fleisch« steht der »Geist« in vollendetem Gegensatz (Jes 31,3), aber er ist auch seine Hoffnung (Jo 3,1).

18. Vgl. Ez 16,26; 23,20 und oben S. 59f. Auch bei Paulus bezeichnet »das Fleisch« die menschliche Schwäche: 2 Kor 5,16 f.; 11,18. Zur ethischen Anfälligkeit des ba¯´sa¯r vgl. Bratsiotis, ba¯´sa¯r, 863.

§ 4 rûah – der ermächtigte Mensch 1 ˙ 1. Wind – 2. Atem – 3. Lebenskraft – 4. Geist(er) – 5. Gemüt – 6. Willenskraft

Schon ein Blick in die Statistik zeigt, dass rûah sich in doppelter Hin˙ ersten bezeichnet rûah sicht von næpæsˇ und ba¯´sa¯r unterscheidet. Zum ˙ in erheblichem Umfang eine Naturkraft, den Wind, und zwar bei einem Gesamtvorkommen von 389 (378 hebr., 11 aram.) in nicht weniger als 113 Fällen 2. Zum anderen wird rûah öfter auf Gott ˙ mal) bezogen, (136 mal 3) als auf Menschen, Tiere und Abgötter (129 d. h. in etwa 35 Prozent des Gesamtvorkommens, während næpæsˇ nur in knapp drei Prozent des Gesamtvorkommens 4 und ba¯´sa¯r nie in Bezug auf Gott Verwendung finden. Als typisch vermerke ich, dass im Buche Leviticus rûah niemals erscheint, während man ba¯´sa¯r in kei˙ nem anderen biblischen Buche so oft wie in Leviticus antrifft 5. Man a wird füglich rû h von vornherein als einen theo-anthropologischen ˙ müssen 6. Begriff bezeichnen

1. Wind Doch zunächst ist es auch für die Anthropologie nicht unwichtig, den meteorologischen Sinn von rûah zu verdeutlichen. ˙ solche, sondern die bewegte Luft. So Er bedeutet nicht die Luft als weht die rûah in Gen 1,2 über den Wassern, dem schwebenden Adler gleich (Dtn ˙32,11), so beben die Bäume vor der rûah in Jes 7,2, so ist ˙ 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Literatur: Koeberle, Natur und Geist; Pidoux, L’homme, 19–22; Bieder, Geist; Scheepers, gees; Lys, Rûach; Johnson, Vitality, 23–37.83–87; Schmidt, Anthropologische Begriffe, 382–383 und Scharbert, Fleisch. Vgl. Lys, Rûach, 152; nach Scheepers, gees, in 144 Fällen. Vgl. Lys, ebd. S. oben S. 37 Anm. 7. S. oben S. 57. 10 mal wird rûah auch auf Tiere (Gen 6,17; 7,15.22; Ez 1,12.20 f.; 10,17; Pred 3,19.21; ˙Jes 31,3), 3 mal auf Götzen bezogen (Jer 10,14 = 51,17; Hab 2,19, vgl. Jes 41,29). Vgl. Lys, Rûach, 336.

Atem

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in Gen 3,8 die »rûah des Tages« die frische, belebende Brise, in der ˙ man sich nach der Mittagshitze in Palästina gern ergeht. Der Jahwist a kennt die rû h vor allem als die Kraft, die Veränderungen bewirkt: in ˙ der Ostwind Heuschrecken herbei; in V. 19 treibt sie Ex 10,13 bringt ein kräftiger Seewind ins Schilfmeer; in Ex 14,21 legt ein starker Ostwind das Schilfmeer trocken; in Num 11,31 führt der Wind Wachteln herbei. Immer ist dabei die rûah ein Werkzeug Jahwes. Auch in ˙ die rûah über die Erde wehen, der Priesterschrift (Gen 8,1) lässt Gott ˙ so dass die Wasser der Flut abnehmen. a Nur ausnahmsweise erscheint rû h in Parallele zum (sterblichen) ba¯´sa¯r im Sinne des ganz schwachen˙ Windhauchs, »der unwiederbringlich vergeht« (Ps 78,39, vgl. auch Jes 41,29); in der Regel spricht Israel in solchem Fall vom hæbæl als dem Hauch, der vergänglich, ja nichtig ist (Ps 62,10; 144,4; Pred 1,2 u. ö.). Hingegen ist charakteristisch, dass rûah als das göttlich Kraftvolle im Kontrast zu ˙ Schwächlichen steht (Jes 31,3a; Gen 6,3). ba¯´sa¯r als dem menschlich So bricht die stürmische rûah mit strömendem Regen und Hagelstei˙ Jahwes los (Ez 13,13). Der Prophet nen als Werkzeug des Zornes wird durch die rûah ergriffen, emporgehoben und an einen anderen ˙ Ort versetzt (Ez 3,12.14; 11,1, vgl. 1 Kön 18,12; 2 Kön 2,16). Festzuhalten ist, dass rûah gerade als Wind im Unterschied zu hæbæl und ba¯´sa¯r in der Regel˙ ein machtvolles Phänomen bezeichnet, das in der Verfügungsgewalt Jahwes steht.

2. Atem Der »Wind« (rûah) des Menschen ist zunächst sein Atem. Nicht selten steht daher rû˙ah in Parallele zu neˇsa¯ma¯h (z. B. Jes 42,5): ˙ So spricht Jahwe …, der die Erde ausbreitete …, der dem Volke auf ihr den Atem (neˇsa¯ma¯h) gibt, die rûah denen, die auf ihr wandeln. 7 ˙

Auch diesen »Wind« als die Lebenskraft des Menschen »gibt« Jahwe; er »gestaltet« (ysr) die rûah im Inneren des Menschen (Sach 12,1). Im ˙ ˙ 7.

Vgl. ferner Jes 57,16; Hi 34,14, auch Gen 7,22.

rûah – der ermächtigte Mensch ˙

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Inneren der hölzernen oder steinernen Götzen gibt es keinerlei rûah, ˙ d. h. keinen Atem und damit keine Lebenskraft, die allererst ein Erwachen und Aufstehen ermöglichen würde (Hab 2,19, vgl. Jer 10,14 = 51,17). Erst wenn Jahwe in die mit Sehnen, Fleisch und Haut überzogenen Gebeine die rûah als den Atem gibt, werden die Leiber lebendig (Ez 37,6.8–10.14). ˙ Geht seine rûah heraus, ˙ Mensch) in seine Ackererde zurück (Ps 146,4). kehrt er (der

Nach Pred 12,7 kehrt die rûah ihrerseits zu dem Gott zurück, der sie ˙ es Ri 15,19, dass er zu verdursten gegeben hat. Von Simson heißt drohte, bis Gott eine Quelle aufbrechen ließ; Simson trank aus ihr, »da kehrte seine rûah zurück und er lebte auf«, vgl. 1 Sam 30,12. ˙ Zurückkehren der rûah kann also ganz ähnVom Hinausgehen und lich wie bei der næpæsˇ gesprochen werden 8 (vgl.˙ die Synonymität von næpæsˇ und rûah in Hi 12,10). Hier zeigt sich die Stereometrie synthe˙ tischen Denkens, die ein Phänomen von verschiedenen Seiten her ˇ angeht. In næpæs werden das Organ der Atmung und der Atemvorgang selbst zusammengesehen. In rûah jedoch ist es der »Wind«, der ˙ von Jahwe ausgeht und zu Jahwe zurückkehrt, der zugleich den Lebensodem des Menschen ausmacht. Hi 34,14 f.: Wenn er seine ›‹ 9 rûah zu sich holte und seinen Odem˙ (neˇsa¯ma¯h) an sich zöge, dann würde alles Fleisch verscheiden, zum Staube kehrte auch der Mensch zurück.

Ähnlich Ps 104,29 mit der Fortsetzung in V. 30 Du sendest deine rûah aus, ˙ so werden sie erschaffen.

Wie rûah als Atemluft und næpæsˇ als Atmungsorgan zusammenzusehen und˙ doch zu unterscheiden sind, zeigt das Bild der Kamelstute in Jer 2,24: Mit der Gier ›ihrer‹ 10 Kehle (næpæsˇ) schnappt sie nach (Atem-) Luft (rûah). ˙ 8. S. oben S. 37 f. und S. 47. 9. S. BHK. 10. S. BHS.

Lebenskraft

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An der rûah hängt Leben und Tod. In der priesterschriftlichen Fluterzählung ˙heißen darum die Lebewesen »Fleisch, in denen Lebensatem (rûah hayyîm) ist« 11. Konkret kann der individuelle Atemgeruch ˙ ˙ wenn etwa der todkranke Hiob klagt (19,17): gemeint sein, Mein Atem (rûah) ist zuwider meinem Weibe, ˙ ich den eignen Söhnen. und übel rieche

An das Tempo des Atmens wird man denken müssen, wenn der Jahwist mit knappen Strichen psychologisch gekonnt einen Stimmungsumschwung in Jakob schildert, der eintrat, nachdem die Söhne aus Ägypten zurückgekehrt waren und berichteten, dass Josef lebe (Gen 45,26 f.): Sein Herz aber blieb kalt 12, denn er glaubte ihnen nicht. Aber als sie alles erzählten und er die Wagen sah, die Josef geschickt hatte, ihn abzuholen, da lebte die rûah Jakobs, ihres Vaters, auf. ˙

Das heißt doch: da wurde seine Atmung wieder lebhaft, da atmete er auf 13.

3. Lebenskraft Wir sahen, wie rûah als Atem des Menschen vielfach nicht zu trennen ˙ ist von der rûah Jahwes (Hi 34,14 f.; Ps 104,29 f.) 14. Nun ist jedoch ˙ zu bedenken, dass die rûah Jahwes aufs Ganze gesehen noch mehr ˙ »Wind«, der zum »Atem« des Menschen bedeutet als den belebenden wird. Die Übergänge sind auch hier fließend, wie Ps 33,6 zeigen kann: Vom Wort Jahwes sind die Himmel erschaffen, von der rûah seines Mundes all ihr Heer. ˙

rûah steht insofern synonym zum »Wort«, als beides aus dem Mund ˙ hervorgeht. Dabei ist jedoch rûah mehr als bewegte Luft: Jahwes ˙ 11. Gen 6,17; 7,15.22. Die Tiere haben den gleichen Atem wie die Menschen, betont Pred 3,19.21. 12. Dazu s. unten S. 80 f. 13. Vgl. Ri 15,19; 1 Sam 30,12 und oben S. 66. 14. S. oben S. 65 f.

rûah – der ermächtigte Mensch ˙

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Atem ist schöpferische Lebenskraft. Jahwes rûah bestimmt als Lebens˙ 6,3). Sie überwältigt kraft auch die Lebensdauer des Menschen (Gen ferner Naturgewalten. Ex 15,8 besingt sie: Vor dem Schnauben (rûah!) deiner Nase türmten sich die Wasser, ˙ auf wie ein Wall. stellten die Wogen sich

Wo Jahwes rûah über die großen Richter kommt, bewirkt sie, dass ˙ zum Kampf auszieht und Israel rettet; sie befähigt Otniel (Ri 3,10) Simson, einen Löwen in Stücke zu zerreißen (14,6, vgl. 13,25); slh ˙˙ (wirksam werden) wird dabei von der rûah Jahwes als einer äußerst ˙ aktivierenden Kraft ausgesagt, auch wo sie Saul packt und »in einen anderen Mann verwandelt« (1 Sam 10,6). Neben diesen Krafttaten bewirkt die rûah Jahwes andere Fähigkeiten, vor allem das Charisma der Prophetie, ˙so bei Bileam in Num 24,2 f.; das gilt jedoch nur für gewisse Erzählschichten, nicht dagegen in der vorexilischen klassischen Prophetie, wo sich nach Hos 9,7 der Prophet als Mann der rûah verspottet sieht. Sucht der Pharao in Gen 41,38 ˙ einen Mann, in dem die rûah Gottes ist, ˙

so meint er einen (in wirtschaftspolitischer Hinsicht) »klugen und weisen« Mann (V. 33.39). Mit der rûah Gottes wird dem Menschen ˙ also eine außerordentliche Begabung zuteil. Fällt die rûah Jahwes auf ˙ Ezechiel (11,5), so vollzieht sich damit Anrede und Auftrag, Jahwes Wort zu verkünden; Bevollmächtigung ereignet sich mit dem »Niederfallen der rûah Jahwes« auf den Propheten, wie sie sonst mit dem ˙ »Kommen der Hand Jahwes über« ihn dargestellt wird (1,3) 15. So lässt sich in Jes 42,1 Jahwes Anrede des Knechtes verstehen: Ich gebe ihm meine Vollmacht (rûhî), ˙ dass er zu den Völkern meine Rechtsordnung bringe.

Nur wenn man bei der rûah Jahwes das Moment der Kraft mithört ˙ und also in Jes 11,2 beim Ruhen dieser rûah auf dem Spross Isais an ˙ seine Ermächtigung denkt, werden die verschiedenartigen näheren Distinktionen verständlich, in denen ja nicht nur von der rûah der ˙ ist, Weisheit, des Verstandes, des Rats und der Erkenntnis die Rede a sondern auch von der rû h der Stärke und der Furcht Jahwes, so dass ˙ 15. Vgl. Zimmerli, BK XIII, 244. Nach Lk 4,14 zieht Jesus »in der Kraft des Geistes« nach Galiläa.

Geist(er)

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man rûah in allen Fällen besser mit »Kraft« oder »Vollmacht« übersetzt als ˙mit »Geist«. Auch wo »die gute rûah Jahwes« hervorragend der Einsicht dient, ist sie eben als rûah doch˙ zunächst »Gabe«, eine ˙ Überwältigung von Schwäche und Unvermögen, wie sie auch durch Manna und Wasser geschieht (Neh 9,20). Sehr häufig heißt es, dass Jahwe seine rûah Menschen »gibt« (ntn) 16 oder dass er einen Men˙ schen mit der Gottesrûah anfüllt (ml’ pi.); dies kann auch künstleri˙ (Ex 31,3; 35,31, vgl. 28,3). Joel (3,1) versche Begabungen bewirken heißt die Ausschüttung des Geistes Jahwes auf alles Fleisch, d. h. auf jedermann in Israel 17. Damit wird eine rückhaltlose Bevollmächtigung und Ausstattung mit prophetischen Gaben für Menschen beiderlei Geschlechts, aller Altersstufen, ja aller sozialen Schichten angekündigt. Das höchste Privileg der Erkenntnis Gottes soll gerade als etwas, das kein Mensch (als »Fleisch«!) von sich aus hat, allen Schichten in gleicher Weise zuteil werden (vgl. Gal 3,28). So wird der Begriff eben als theologischer zugleich ein anthropologischer. Der bevollmächtigte Mensch ist ohne die Energie der rûah Gottes nicht zu ˙ verstehen.

4. Geist(er) Nun kann aber auch von der rûah als einem unsichtbar selbständigen ˙ Wesen die Rede sein, das nicht unbedingt als Jahwes rûah gedacht ist, aber doch ganz seiner Verfügung untersteht. So sagt˙ Jahwe nach 2 Kön 19,7: Ich werde in ihn (den König von Assur) eine rûah geben, dass er ein Gerücht vernimmt und in sein Land zurückkehrt. ˙

rûah als ein von Jahwe geschicktes, im Menschen vor allem durch Reden˙ operierendes Wesen ist dann auch jene Lügen- rûah, die die Pro˙ Ansammpheten Ahabs betört (1 Kön 22,21–23). rûah ist wie eine ˙ lung von Kräften, die auf viele Personen verteilt werden können. In diesem Sinne spricht Jahwe denn auch in Num 11,17 von der rûah, ˙

16. Vgl. Lys, Rûach, 336 u. ö. und unten S. 73. 17. S. oben S. 61 und Wolff, BK XIV/2, 80, zum Folgenden 78.

rûah – der ermächtigte Mensch ˙

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die auf Mose ruht, und von der er Anteile wegnimmt, um sie auf die 70 Ältesten zu geben. Der Erfolg ist, dass nicht nur sie (Num 11,25), sondern unerwartet auch abseitige Leute wie Eldad und Medad in prophetische Ekstase geraten (V. 26). Den Protest Josuas wehrt Mose mit dem Wunsch ab (V. 29): Möchte doch Jahwe das ganze Volk zu Propheten machen! Dass doch Jahwe seinen Geist auf sie alle legen möge!

Hier erscheint also die Ekstase als eine Anteilgabe an der auf Mose ruhenden rûah, ohne dass Mose selbst Ekstatiker wäre. Die Vorstel˙ Geistanleihe gehört wohl in jene Kreise, in denen lung von einer auch Elisa bitten kann, es möge ihm ein doppelter Anteil von Elias Geist zufallen (2 Kön 2,9 f.15) 18. Die Bestallung Josuas als des Nachfolgers Moses erfolgt in der Priesterschrift unter Anrufung dessen, der »Gott der Lebensgeister (rûhôt) allen Fleisches« heißt (Num ˙ die rûah als Lebenskraft jedes 27,16, vgl. 16,22). Er verfügt über Menschen wie über ungewöhnliche Gaben ˙und Vollmachten. Das haben gerade auch jene Texte gezeigt, die von den rûhôt wie von selb˙ ständigen Wesen sprechen.

5. Gemüt Wenden wir uns der Frage nach der Bedeutung der menschlichen rûah ˙ zu, so können wir den Weg vom »Atem« 19 bis zum »Geist« als Organ des Erkennens, Verstehens und Urteilens nicht weit genug denken. Mit dem Wehen des Atems ist nämlich zunächst die Bewegung des Gemüts zusammenzusehen. Als die Königin von Saba die Weisheit Salomos sah, den Palast, die Speisen, die Beamten, deren Kleidung, die Brandopfer im Tempel (1 Kön 10,5), da war in ihr keine rûah mehr. ˙

D. h.: da stockte ihr der Atem, sie verlor die Fassung, sie geriet außer sich. »Das Fehlen von rûah charakterisiert den Zustand der Ohn˙

18. Vgl. Perlitt, Mose, 601–603. 19. S. oben S. 65f.

Gemüt

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macht, des fassungslosen Erstaunens«20. In der rûah dokumentiert sich die Mentalität. Elifas bezichtigt Hiob (15,13): ˙ dass gegen Gott du deine rûah wendest, ˙

womit die Erregung, der Unmut (LXX: thymós) gemeint ist. Wenn die rûah über gutem Zureden »schlaff wird« (Ri 8,3), dann lässt damit die˙ zornige Erregung nach. Isebel beobachtet nach 1 Kön 21,5, dass Ahabs rûah »sich abwendet«; damit sagt sie, dass er missmutig ˙ wurde. Wenn Jahwe Sihons rûah »hart macht« (Dtn 2,30), dann hat er sein Verhalten unnachgiebig˙ gemacht. Wie næpæsˇ und rûah sich beim Vorgang des Atmens begegnen 21, so können mit beiden˙ Worten gleichartige Erregungszustände umschrieben werden. Wie vom Kurz- und Langwerden der næpæsˇ, so wird vom Kurz- und Langwerden der rûah gesprochen, so in Spr 14,29: ˙ Der Langmütige ist reich an Einsicht, aber der Ungeduldige macht Dummheit groß. 22

Hier steht qesar-rûah (der Kurzatmige als der Aufgeregte) dem ’æræk ’appayim als˙ dem, ˙der den langen Atem hat, gegenüber, vgl. Spr 14,17; Hi 21,4 (von Jahwe: Mi 2,7). Wird von dem in Ägypten bedrängten Israel qôsær rûah ausgesagt, so ist mit dieser »Kürze der ˙ des ˙Lebensmutes angesprochen, also Kleinmut rûah« das Schwinden ˙ und Verzagtheit. Aber mit rûah werden auch noch andere Einstellun˙ gen des Gemüts beschrieben. Pred 7,8 sagt: Besser ein Langmütiger als ein Hochmütiger.

Der Mensch mit »langer rûah« wird dem mit »hoher rûah« vorgezo˙ weit entfernt von »Geistesgröße«; ˙ gen. Die »Größe der rûah« ist sie ˙ ist vielmehr jene Haltung des Hochmuts, die nach Spr 16,18 »vor dem Fall kommt«. Hiob spricht (7,11) aus der »Enge« seiner rûah, ˙ d. h. aus der Bedrängnis seines Gemüts, und gleich danach von der Bitternis, d. h. dem Kummer (mar) seiner næpæsˇ. In Gen 26,35 kann ebenso die morat rûah, also das bittere Herzeleid von Isaak und Re˙ In Jes 26,9 entspricht das sehnsüchtige Bebekka berichtet werden. gehren der næpæsˇ dem suchenden Verlangen der rûah. So kann rûah ˙ ˙ 20. Koeberle, Natur und Geist, 204. 21. S. oben S. 66f. 22. Vgl. oben S. 36.

rûah – der ermächtigte Mensch ˙

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vielfältig die seelische Disposition des Menschen bezeichnen (Spr 18,14): Eines Mannes Haltung (rûah!) vermag eine Krankheit zu ertragen, ˙ Gemüt (rûah!) – wer erträgt es? aber ein niedergeschlagenes ˙

Hat Jahwe nach Jes 19,14 unter den Ägypterfürsten eine »rûah des Schwindels« angerichtet, so ist damit ein Gemütszustand des ˙Rausches beschrieben. Was aber ist gemeint, wenn Josua in der Priesterschrift kurz als »ein Mann, in dem rûah ist« (Num 27,18), genannt wird? Ein Mann mit ˙ (verlässlicher) Haltung? Ein begabter und bevollmächtigter Mann? Ein Mann mit Geist? Die Priesterschrift interpretiert sich selbst in Dtn 34,9, indem sie ihn »voll von rûah der Weisheit« nennt, »denn Mose hatte ihm die Hände aufgelegt«. ˙Der Mann, »in dem rûah ist«, ˙ beweist also hier auf den hin, der mit der Lebenskraft der Weisheit gabt ist.

6. Willenskraft Damit sind wir über den Sinn von rûah als Gemütseinstellung hi˙ nausgeführt, in dem das Wort sich weitgehend bedeutungsverwandt mit næpæsˇ zeigte. Das Besondere der menschlichen rûah eröffnet sich ˙ des Winvon dem Befund her, dass rûah zumeist das kräftige Wehen ˙ des und die belebende und bevollmächtigende Wirksamkeit Jahwes bedeutet. So ist rûah nicht nur geeignet, Gemütsbewegungen dar˙ noch, Träger energischer Aktionen des Wilzustellen, sondern mehr lens zu sein. Spricht Esr 1,5 von jenen Exulanten, deren rûah Gott aufgeweckt hatte, hinaufzuziehen, ˙ Haus in Jerusalem zu bauen, um Jahwes

so steht rûah hier für den Willen. Dass neben dem Willensentschluss ˙ genau so der zur Zerstörung gemeint sein kann, zeigt zum Aufbau Jer 51,11: Jahwe hat die rûah des Königs von Medien erweckt; ˙ denn auf Babels Verderben ist sein Plan gerichtet, es zu zerstören.

Willenskraft

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Die rûah als Triebkraft im Menschen ist zunächst ethisch neutral. ˙ Num 5,14.30 spricht von der rûah der Eifersucht, die über einen Mann kommen kann. Hosea klagt ˙Israel an wegen der rûah der Hu˙ rerei als dem verführerischen Wunschtrieb, der zur Abwendung von Gott führt (4,12), oder als der fesselnden Kraft, die die Rückkehr zu Gott nicht gestattet (V. 54). Der Jahwist unterscheidet von der aufsässigen Wüstengeneration jenen Kaleb, bei dem »eine andere rûah ˙ war«, so dass er völlig Jahwe nachfolgte (Num 14,24). Die Rede vom »anderen Willen« ist bezeichnend für die ethisch-religiöse Neutralität des anthropologischen Begriffes rûah. Preist Ps 32,2b den Menschen ˙ glücklich, in dessen rûah keine Schlaffheit ist, ˙

so ist vorausgesetzt, dass der Wille sowohl lässig wie tatkräftig sein kann. Ps 51 bittet zuerst um einen standhaften, beständigen Willen (V. 12b) und dann um einen freien, bereiten Willen (V. 14b); zwischen diesen Sätzen steht die Bitte, Gott möge die rûah seiner Heilig˙ keit, d. h. seine unvergleichliche Lebenskraft 23 nicht vom Beter wegnehmen (V. 13b). Kraft und Freiheit menschlichen Willens sind demnach abhängig vom Wirken der Energie Jahwes. In der Verheißung Ezechiels ist die »neue rûah« (36,26, vgl. 11,19) die rûah Jahwes ˙ Willen selbst (36,27). Wie in Ps 51,12˙der Bitte um den standhaften die um das reine Herz vorausgeht, so sind in Ez 11,19; 36,26 die Gabe des neuen Herzens und des neuen Willens verbunden, vgl. auch 18,31. Geht es beim neuen Herzen um die lautere Gewissensorientierung 24, so bei der rûah um die ausdauernde Willenskraft, danach zu handeln. Die übliche˙ Übersetzung, die vom neuen, beständigen »Geist« spricht, bringt das nicht genügend zum Ausdruck. Nur selten entspricht rûah dem, was wir »Geist« nennen25. In Jes ˙ 29,24 könnte der Kontext darauf hinweisen: Die irrenden Geistes (rûah) waren, lernen Einsicht, ˙ und die murrten, nehmen Belehrung an.

Das Ziel der Einsicht auf dem Wege der Erkenntnis lässt für rûah an ˙ den »Geist« denken. Ähnlich in Jes 19,3: 23. S. oben S. 68. 24. S. unten S. 95. 25. Vgl. schon oben S. 72 zu Dtn 34,9.

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rûah – der ermächtigte Mensch ˙ Verstört wird der Geist (rûah) Ägyptens in seinem Innern, sein Plan wird verwirrt. ˙

Die Parallele zu »Plan« weist für rûah auf den erkennenden und urtei˙ lenden »Geist«. Doch ist auch in diesen beiden Fällen das Moment des Willens gerade nicht ausgeschlossen, wie denn in Jes 29,24 »die Menschen irrenden Geistes« »die Murrenden« sind und in Jes 19,3 der Geist, der verstört wird, Pläne schmiedet. Beide Texte zeigen zudem noch einmal, wie sehr der Mensch als rûah nur aus der Kommunikation Gottes mit ihm recht verstanden ˙ werden kann. Es bleibt festzuhalten, dass rûah doppelt so oft für ˙ für des Menschen Wind und für die Lebenskraft Gottes steht als Atem, Gemüt und Willen. Die meisten Texte, die von Gottes oder der Menschen rûah handeln, zeigen Gott und Mensch in dyna˙ mischer Relation. Dass ein Mensch als rûah lebendig ist, das Gute ˙ ihm selbst. will und in Vollmacht wirkt, kommt nicht aus

§ 5 leb(a¯b) – der vernünftige Mensch 1 1. Herz – 2. Gefühl – 3. Wunsch – 4. Vernunft – 5. Willensentschluss – 6. »Herz« Gottes

Das für die Sprachlehre alttestamentlicher Anthropologie wichtigste Wort wird in der Regel mit »Herz« übersetzt. In der geläufigsten Form leb kommt es im hebräischen Alten Testament 598 mal, in der Form leba¯b 252 mal vor, dazu aramäisch im Danielbuch leb einmal und l eba¯b 7 mal 2; insgesamt also findet es sich 858 mal und ist somit der häufigste anthropologische Begriff. Zudem ist er im Unterschied zu den anderen Hauptbegriffen fast ausschließlich dem Menschen zugeordnet. Meint ba¯´sa¯r in mehr als einem Drittel der Fälle tierisches Fleisch, so ist leb(a¯b) nur fünfmal auf Tiere bezogen, davon viermal im Vergleich mit dem menschlichen Herzen (2 Sam 17,10; Hos 7,11; Dan 4,13; 5,21) und nur einmal ausschließlich (Hi 41,16); und während rûah öfter von Gott als von Menschen ausgesagt wird und in fast einem˙Drittel der Fälle den Wind meint, wird nur 26 mal vom Herzen Gottes, 11 mal vom »Herzen des Meeres«, einmal vom »Herzen des Himmels« und einmal vom »Herzen« des Baumes 3 gesprochen. So bleiben 814 Stellen, die ausschließlich vom menschlichen »Herzen« handeln, also noch mehr als für næpæsˇ überhaupt (755 mal). Doch ist zu befürchten, dass die gängige Übersetzung »Herz« für leb(a¯b) gegenwärtiges Verstehen in die Irre führt. Die hohe Relevanz des Wortes für die Anthropologie fordert eine semasiologische Überprüfung auf Grund der jeweiligen Topik, d. h. hier der Aussageverbindungen, heraus.

1.

2. 3.

Literatur: Delitzsch, Psychologie, 248–265; Koeberle, Natur und Geist, 211– 228; Dhorme, L’emploi métaphorique, 112–128; Baumgärtel, le¯b; von Meyenfeldt, Hart; Pidoux, L’homme, 24–28; Johnson, Vitality, 75–87; Schmidt, Anthropologische Begriffe, 383–386 und Stolz, le¯b. KBL, vgl. Stolz, le¯b, 861 nach von Meyenfeldt, Hart. S. unten S. 78f.

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leb(a¯b) – der vernünftige Mensch

1. Herz Für unser analytisches Verstehen der synthetischen Vorstellungsweise empfiehlt es sich wieder, von der Frage auszugehen, welche Ansichten vom körperlichen Organ leb(a¯b) im Alten Testament zu finden sind. Am interessantesten erscheint mir der Bericht von Nabals Tod in 1 Sam 25,37 f.: Es erstarb ihm sein Herz (leb) in seinem Inneren, und er wurde zu Stein. Etwa zehn Tage danach schlug Jahwe den Nabal, so dass er starb.

Die Aussagen verwirren den modernen Leser. Beim ersten Satz denkt er, nach dem Herzstillstand sei mit der Leichenstarre der Tod eingetreten. Doch dann erfährt er, dass Nabal weitere zehn Tage lebt. leb(a¯b) stirbt also zehn Tage vor dem Tod des Menschen. Der Mensch Nabal überlebt zehn Tage den Tod seines Organs leb(a¯b). Das zeigt, dass an einen Herzstillstand im heutigen medizinischen Sinne nicht gedacht ist; denn das würde den sofortigen Tod des Menschen bedeuten. Das Alte Testament gibt weder hier noch anderwärts 4 zu erkennen, dass es um einen Zusammenhang zwischen dem Pulsschlag und dem leb(a¯b) weiß. In unserem Text wird mit dem Sterben des leb(a¯b) eine Versteinerung des Körpers in Verbindung gebracht; dabei kann im Blick auf die Tatsache, dass Nabal in diesem Zustande noch weitere zehn Tage lebt, nur an Lähmung gedacht werden. Das aber weist den Mediziner auf einen Schlaganfall mit Gehirnblutung hin. Danach kann ein Mensch durchaus noch zehn Tage leben. Der alte Erzähler dachte also das »Herz« hier als ein zentrales Organ, das die Beweglichkeit der Glieder ermöglichte. Das »Klopfen« des Herzens wird dabei ebensowenig beobachtet, wie der altisraelitischen Anatomie Gehirn, Nerven oder Lungen bekannt sind. leb(a¯b) entspricht demnach an unserer Stelle seiner Funktion nach bestimmten Gehirnpartien. Das ist festzuhalten für unsere spätere Frage nach den wesentlichen Funktionen, die der Hebräer dem »Herzen« am häufigsten zuspricht. Dabei ist deutlich, dass schon 1 Sam 25,37 leb(a¯b) nicht im Kopf, 4.

Zu Ps 38,11 s. unten S. 78, vgl. Hempel, Heilung, anders Stolz, le¯b, 861.

Herz

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sondern im »Leibesinneren« (beqirbô) suchte. Genauer wird Hosea (13,8), wenn er als Drohung seines Gottes gegen Israel verkündet: Ich falle sie an wie eine Bärin, die der Jungen beraubt ist, und zerreiße den Verschluss ihres Herzens.

Dabei meint »Verschluss« wohl das korbförmige Gerüst der Rippen, das das Herz einschließt. Eindeutig bestimmt 2 Kön 9,24 den anatomischen Ort des Herzens, wenn der Pfeil Jehus Joram »zwischen seinen Armen trifft, so dass der Pfeil aus seinem Herzen wieder hervortritt«. »Zwischen seinen Armen« heißt hier soviel wie »zwischen seinen Schulterblättern«. An den Brustkorb als die Herzgegend ist in 2 Sam 18,14 gedacht, wo Joab dem Absalom drei Speere »ins Herz« stößt, woraufhin er aber doch noch lebend an der Eiche hängt, bis zehn Waffenträger ihn totschlagen. Auch sonst steht »Herz« für »Brust«, so wenn Aaron die Rechtsspruch-Tasche auf seinem leb(a¯b) trägt (Ex 28,29 f.). Einen weiteren Beitrag zur Anatomie des Herzens liefert allein noch Jeremia, wenn er einmal von den »Wänden des Herzens« spricht (4,19). Im Zusammenhang ist berichtet, dass der Prophet nahendes Kriegsgeschrei vernimmt. Er soll eine kommende Katastrophe ansagen. Da überkommt ihn ein Herzanfall. Denn anders sind die Worte nicht zu verstehen, die er ausstößt: Mein Inneres! Mein Inneres! Ich winde mich. Wände meines Herzens! Es tobt mir mein Herz. Ich kann nicht stillhalten.

Offenbar ruft hier heftiger Schmerz oder Druck in der Herzgegend beklemmende Angstgefühle hervor. So werden im Krankheitsbild der angina pectoris Herzkrämpfe beschrieben. Vielleicht ist daher bei den »Wänden« des tobenden Herzens weniger an den Brustkorb als an den Herzbeutel im »Inneren« zu denken, der beim geängsteten Herzjagen das Gefühl auslöst, er wolle zerspringen. Angesichts des mehr als 800fachen Vorkommens des menschlichen Herzens im Alten Testament wundert es uns, dass zur Anatomie des Herzens nicht mehr als die genannten Stellen etwas beitragen. Auch von der Physiologie des Herzens erfahren wir über das Bis-

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herige hinaus nur wenig und zwar immer nur anlässlich von Störungen. Jeremia stöhnt noch einmal unter dem Ansturm der Worte Jahwes auf (23,9): Es bricht mein Herz in der Brust, es zittern all meine Gebeine.

Der wahre Prophet muss im Unterschied zum falschen selbst seine Gesundheit aufs Spiel setzen (vgl. 8,18). In Ps 38,11 klagt ein Schwerkranker: Mein Herz flattert. Es verlässt mich die Kraft. Meiner Augen Licht entschwindet mir.

Das »Flattern« des Herzens beschreibt das lautmalende Wort seharhar, ˙ son˙ das gerade nicht ein regelmäßiges Klopfen des Herzens meint, dern ein Jagen oder Schweben (shr q. heißt umherschweifen). ˙ durch heftiges und unregelSchwarz vor Augen wird es dem, der mäßiges Pochen seines Herzens zu Tode geängstet ist. So also hat Israel das Herz als das zentrale und entscheidende Lebensorgan vor allem in Krankheiten kennengelernt, vgl. noch Jes 1,5; 57,15; Ps 37,15. Aber auch bei Überanstrengungen. Einem erschöpften Wanderer einen Bissen Brot zu essen geben und ihn dadurch stärken heißt daher hebräisch: »sein Herz stützen« (Gen 18,5; Ri 19,5.8) 5. Isebel schreit den verdrossen auf seinem Bett liegenden Ahab an: »Steh auf! Iss Brot! Dass dein Herz gebessert wird!« (1 Kön 21,7, vgl. Apg 14,17; Jak 5,5; Lk 21,34). Immer weiß man um das Herz als ein unzugängliches, verborgenes Organ im Inneren des Körpers. Nur von daher wird die verhältnis5.

Ein neuassyrischer Prophetenspruch spricht von den »Balken des Herzens«, was im Akkadischen durchaus ungewöhnlich ist: »Ich, die Herrin (= Isˇtar von Arba’il), spreche mit dir. Ich wache über die Balken deines Herzens.« Demnach rührt Furcht daher, dass die Balken des Herzens zusammenbrechen und also das Haus des Herzens nicht mehr »stützen«. Den Text (Department of Western Asiatic Antiquities: The British Museum, London WC 1: K. 4310 = 4R 68 = 4R2 61 II 16–40) verdanke ich K. Deller, der ihn in seiner Bearbeitung der Neu-Assyrischen Propheten-Sprüche NASP ld beziffert. Im übrigen hat akk. libbu eine ähnliche Bedeutungsbreite wie hebr. leb(a¯b), vgl. von Soden, AHw, 549 f.

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mäßig häufige bildliche Rede vom »Herzen des Meeres« verständlich. Spr 30,18 f. heißt es: Drei Dinge sind mir unfasslich, vier begreife ich nicht: den Weg des Adlers am Himmel, den Weg der Schlange auf Felsgestein, den Weg des Schiffes im Herzen des Meeres und den Weg des Mannes bei der jungen Frau.

Damit sind vier nicht zuvor gebahnte und also auch nicht vorweg erkennbare Wege genannt. »Das Herz des Meeres« meint dabei die hohe See, das unerforschte, freie Meer (ebenso Spr 23,34; Ez 27,4.25–27; 28,2, vgl. Ex 15,8). Im Unterschied zur Küstenschiffahrt, deren Routen durch die sichtbaren Ufer vertraut sind, führt die Fahrt aufs offene Meer ins Unbekannte. Wenn es Jona 2,4 heißt: Du hast mich ins Herz der Meere geworfen –

dann ist dabei noch zusätzlich an die unergründliche »Tiefe« der »hohen See« gedacht (ebenso Ez 28,8; Ps 46,3). Entsprechend meint »das Herz des Himmels« dessen dem Menschen unerreichbare Höhe; so erinnert Mose in Dtn 4,11 an das Horeb-Erlebnis: Ihr standet am Fuß des Berges, während der Berg mit Feuer aufloderte bis ins Herz des Himmels hinein.

Nach 2 Sam 18,14 hängt Absalom »im Herzen« der Eiche, d. h. im dunklen, innersten Geäst der Baumkrone. Akk. libbu kann den »Vegetationskegel der Palme« bezeichnen6. »Herz« steht also in all diesen Fällen für das unzugänglich Unerforschliche, für das unergründlich Verborgene schlechthin. Diese vom anatomischen Ort des Herzens aus gewonnene Anschauung setzen zahlreiche Worte über den Menschen voraus. So heißt es in der Erzählung von Davids Salbung in 1 Sam 16,7, dass Jahwe Samuel im Blick auf den zuerst auftretenden ältesten Sohn Isais, Eliab, warnt: Nicht auf sein Aussehen und seinen hohen Wuchs sollst du schauen. Der Mensch sieht, was vor Augen liegt, Jahwe aber sieht auf das Herz.

6.

Von Soden, AHw, 550.

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Das Herz steht also im Gegensatz zur äußeren Erscheinung. Wiewohl es dem Menschen verborgen ist, fallen hier die Lebensentscheidungen. Spr 24,12 stellt leb(a¯b) als Ort unerkennbarer Gesinnung in Gegensatz zum äußerlich vernehmbaren Wort: Wenn du sagst: »Wir haben doch nichts davon gewußt!« – der die Herzen prüft, der durchschaut es.

Nur vor Gott kann das dem menschlichen Blick Verborgene nicht versteckt werden (Spr 15,11): Vor Jahwe liegen offen selbst Unterwelt und Totenreich, wievielmehr die Herzen der Menschenkinder.

Ps 44,22: Er weiß um des Herzens Geheimnisse. 7

Wenn auch alle diese Texte eine bestimmte Vorstellung vom körperlichen Organ leb(a¯b) voraussetzen, so haben sie doch alle – ausgenommen allein die Nabalerzählung – weit mehr als den anatomischen Befund und die physiologischen Funktionen des Herzens vor Augen. Die wesentlichen Tätigkeiten des menschlichen Herzens sind in der Bibel von geistig-seelischer Art. Welche Akte werden dem Herzen zugesprochen?

2. Gefühl Sie betreffen zunächst die Sensibilität und Emotionalität, entsprechen also dem, was wir dem Gefühl und dem Gemüt, den irrationalen Schichten des Menschen zusprechen. Das mag von den Erregungszuständen des kranken Herzens her verständlich sein. In Ps 25,17 betet ein Leidender: Löse meines Herzens Bedrängnisse! Aus meinen Nöten führe mich heraus.

Der erste Satz (sa¯rôt l eba¯bî harheb 8) besagt wörtlich: ˙ ˙ 7. 8.

Vgl. Ps 139,23; Jer 17,9 f. S. BHS.

Gefühl

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Weite die Verengungen meines Herzens!

Hier fallen noch anginöse Beschwerden und Angstzustände zusammen. Doch schon in Ps 119,32 lässt die Rede vom »Weiten« des Herzens, d. h. von der Krampflösung, den Gedanken an die körperliche Genesung ganz hinter sich: Den Weg deiner Verheißungen laufe ich, denn du weitest mein Herz.

tarhîb libbî heißt hier im umfassenden Sinne: ˙ Du befreist mich 9.

Der Gesundheit des ganzen Lebens dient das gelassene Herz (Spr 14,30): Des Leibes Leben ist ein gelassenes Herz, aber Obereifer ist Knochenfraß.

leb(a¯b) ist hier die Gemütsverfassung, die Stimmung des Menschen, sein Temperament. In diesem Sinne mahnt Spr 23,17: Nicht ereifre sich dein Herz über die Sünder, vielmehr bleibe in Jahwes Furcht alle Tage!

Das sich ereifernde Herz ist der Mensch, sofern er emotional reagiert, sich aufregt. Zucht zum Gehorsam und ein sich selbst überschlagender Sinn werden einander entgegengestellt. Weiter ist das Herz Sitz bestimmter Gemütsstimmungen wie Freude und Kummer. Man spricht in dieser Bedeutung vom Gutsein (ytb) und vom Schlechtsein (r22) des Herzens, wenn einer guten Mutes˙ (Ri 18,20; 19,6.9; Dtn 28,47; Spr 15,15) oder wenn er missmutig ist (Dtn 15,10). Ist Hanna wegen ihrer Kinderlosigkeit zunächst »bekümmerten Herzens« (1 Sam 1,8), so jubelt sie nach Samuels Geburt (1 Sam 2,1): Mein Herz frohlockt über Jahwe.10

9.

Vielleicht schließt die Aussage sogar ein: »Du weitest meine Erkenntnis«, wie 1 Kön 5,9 die »Weite des Herzens« Salomos im Sinne seiner umfassenden Kenntnisse und Fähigkeiten rühmt, s. unten S. 85. rehab leb steht im Sinne ˙ von Hochmut, Anmaßung (d. h. leb im Sinne von Selbstbewusstsein) in Spr e 21,4; Ps 101,5 (neben »Stolz der Augen«), vgl. r hab næpæsˇ in Spr 28,25. ˙ 10. Vgl. Ps 13,6.

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Das Herz ist der Ort der Heiterkeit, die der Wein auslöst (Ps 104,15): Der Wein erfreut des Menschen Herz. 11

Der Hochzeitstag ist »der Tag der Freude des Herzens« (Hhld 3,11). Die Verfassung des Herzens beherrscht alle Lebensäußerungen (Spr 15,13): Ein fröhliches Herz macht das Antlitz heiter, doch Herzenskummer schlägt den Lebensmut (rûah!) nieder. ˙

Spr 17,22 lehrt sogar: Ein fröhliches Herz fördert die Gesundheit, doch ein gedrücktes Gemüt (rûah) zehrt den Körper aus. ˙

Auch Mut und Angst vollziehen sich in bestimmten Bewegungen des Herzens. Weicht der Mut, so »zittert das Herz wie Laub im Winde« (nw2 Jes 7,2), es wird weich (rkk Jes 7,4; Dtn 20,8), es zerfließt (mss Dtn 20,8) wie Wachs (Ps 22,15) oder zerrinnt wie Wasser (Jos 7,5), vgl. Jos 2,11; 5,1; Jes 13,7; 19,1. Überfällt den Menschen die Angst, so sagt der Hebräer, sein Herz gehe heraus (Gen 42,28), es verlasse ihn (Ps 40,13) und falle hin (1 Sam 17,32). Diese Wendungen zeigen, wie wenig noch an das körperliche Organ gedacht ist und wie leb(a¯b) geradezu die Bedeutung »Mut« angenommen hat (vgl. 2 Sam 17,10). Wer auf Jahwe hofft, der »stärkt sein Herz«, d. h. er gewinnt Mut (Ps 27,14). Der Jahwist erzählt vom Herzen Jakobs, dass es nach den Berichten der Brüder über Josef »schlaff, kraftlos wurde« (pwg beschreibt die Mattigkeit eines Niedergeschlagenen Ps 38,9; Ps 77,3 die Schwäche einer erhobenen Hand, vgl. Hab 1,4), d. h. Jakobs Mut war matt geworden 12.

3. Wunsch Ähnlich wie von der næpæsˇ kann auch vom leb(a¯b) Verlangen und Begehren ausgesagt werden. Ps 21,3 spricht den Dank für den König aus: 11. Vgl. Sach 10,7. 12. S. oben S. 67 zu Gen 45,27.

Wunsch

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Du hast ihm erfüllt seines Herzens Begehren, ihm nicht versagt, was seine Lippen erbaten.

Wenn hier (statt næpæsˇ!) 13 das Herz neben den Lippen genannt wird, so wird an die inneren, heimlichen Wünsche gedacht sein. Ebenso denkt Spr 6,25 an verstecktes Verlangen nach der Frau des Nächsten: Begehre nicht im Herzen nach ihrer Schönheit.

Die Kraft eines sehnsüchtigen Herzens darf nicht überspannt werden (Spr 13,12): Hingezogene Hoffnung macht das Herz krank, doch ein Lebensbaum ist erfülltes Verlangen.

Mit einer merkwürdigen Wendung bestreitet Hiob in seinem Reinigungseid (31,7), dass je »sein Herz seinen Augen nachgelaufen sei«, d. h. dass je sein heimliches Gelüst sich von dem bestimmen ließ, was ihm in den Blick fiel. Wie in diesem Satz die Augen für das Geschaute stehen, so das Herz für das verborgene Begehren, vgl. auch Hi 31,9. Num 15,39 spricht von den Quasten an den Kleiderzipfeln, die für die Israeliten folgende Bedeutung haben sollen: Wenn ihr sie anseht, sollt ihr euch an all die Gebote Jahwes erinnern, um nach ihnen zu handeln und nicht hinter euren Herzen und hinter euren Augen herzulaufen, wenn ihr ihnen in Untreue folgt.

Hier sind die Gelüste der heimlichen Vorstellungen (der Herzen) neben die sichtbaren Verlockungen (der Augen) gestellt. Wie das Herz in Mutlosigkeit »fallen« kann (1 Sam 17,32), so vermag es auch, sich in Hochmut zu erheben (rwm Dtn 8,14; Hos 13,6, vgl. Dan 5,20–22). »Großtun« des Herzens heißt der Übermut (godæl leba¯b Jes 9,8), »Überheblichkeit« des Herzens Vermessenheit (zedôn leb Jer 49,16) 14. Dieser Sprachgebrauch ist als Hintergrund der einzigen neutestamentlichen Stelle zu beachten, die vom Herzen Jesu spricht (Mt 11,29): Ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.

Die alttestamentlichen Gegenbilder der Hybris schärfen die Nachfolge Jesu ein. 13. S. oben S. 41 ff. 14. S. oben S. 71f.

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Die in diesen Abschnitten behandelten Textgruppen haben das proprium von leb(a¯b) noch nicht zur Sprache gebracht. Als Organ emotionaler Regungen fanden wir es in unmittelbarer Nähe von næpæsˇ und rûah. Wie jene Worte kann es zuweilen zum Personal˙ pronomen verallgemeinert sein, können doch manche seelischen Vorgänge wie das Erbeben, Zergehen und Unruhigsein auch ohne leb(a¯b) beschrieben werden 15. Doch bleibt die Stereometrie des Ausdrucks vor allem im Parallelismus von leb(a¯b), næpæsˇ und rûah zu be˙ achten. Wir sahen etwa beim »Begehren des Herzens« deutlicher als bei dem der »Seele« die verborgenen Wünsche und Vorstellungen angesprochen (Ps 21,3; Num 15,39). Die bedrückte rûah, die den Körper auszehrt (Spr 17,22, vgl. 15,13), mag neben dem ˙fröhlichen Herzen mehr an die schwindende Lebenskraft 16 erinnern. Doch was ist das Spezifische des »Herzens«, das noch in jenen Aussagen über Freude und Kummer, Mut und Angst, Verlangen und Hochmut und in den fast nur noch pronominalen Verwendungen mitschwingt?

4. Vernunft In den weitaus meisten Fällen werden vom Herzen intellektuelle, rationale Funktionen ausgesagt, also genau das, was wir dem Kopf und genauer dem Hirn zuschreiben, vgl. 1 Sam 25,37 17. Hier ist das Wort klar unterschieden von næpæsˇ und rûah. Wir werden sehen, dass so ˙ zur Hinfälligkeit des wie rûah eher »Lebenskraft« (im Gegensatz ˙ »Fleisches«) als »Geist« bedeutet, leb(a¯b) häufig besser mit »Geist« wiedergegeben wird als mit »Herz«. Es ist dem falschen Eindruck zu wehren, als sei der biblische Mensch mehr vom Gefühl als von der Vernunft bestimmt. Diese anthropologische Fehlorientierung gründet allzu leicht in einer undifferenzierten Wiedergabe von leb(a¯b). Die Bibel stellt den Menschen vor klare Alternativen, die zu erkennen sind. Höchst bezeichnend ist es, dass leb(a¯b) weitaus am häufigsten in der Weisheitsliteratur erscheint, allein in den Proverbien 15. Vgl. Hempel, Heilung, 253 f., vgl. z. B. nw2 in Jes 7,2 und 29,9. 16. S. oben S. 68 f. 17. Vgl. Pidoux, L’homme, 25 zählt dazu 400 Stellen, s. oben S. 76 f. zu 1 Sam 25,37.

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99 mal und bei Kohelet 42 mal, im stark lehrhaften Deuteronomium 51 mal 18. Geradezu definitorisch setzt Dtn 29,3 voraus, dass, wie die Augen zum Sehen und die Ohren zum Hören, so das Herz zum Verstehen (la¯da2at) bestimmt ist, vgl. 8,5. Es verfehlt seine ureigenste Funktion, wenn es in Verstockung die Einsicht (bîn) versagt (Jes 6,10). Spr 15,14 beschreibt das wesentliche Geschäft des Herzens im biblischen Sinne: Des Klugen Herz sucht Erkenntnis.19

Spr 16,23 sagt: Das Herz des Weisen macht seinen Mund klug.

Ps 90,12 nennt als Lebensziel: Unsere Tage zu zählen, das lehre uns, dass wir heimbringen ein weises Herz.

In Hi 8,10 führt Bildad die Weisheit der Väter mit den Worten ein: Sie lehren dich und sprechen zu dir, aus ihrem Herzen führen sie Sprüche heraus.

Gemeint ist: aus ihrem Erkenntnisvermögen und ihrem Wissensschatz, nicht etwa aus ihren Stimmungen und Gefühlsregungen. Solche Erkenntnisfülle kommt aus einem vernehmenden Hören. Darum besteht Salomos hohe Weisheit darin, dass er nicht um langes Leben, um Reichtum oder um das Leben seiner Feinde bittet, sondern um »ein hörendes Herz« (1 Kön 3,9–12). Genau als hörendes ist es das weise und einsichtige Herz 20. Es befähigt ihn zu der schweren Aufgabe, ein großes und schwieriges Volk recht zu regieren 21 und »zwischen gut und böse zu unterscheiden«. So gewinnt sein »Herz« dann auch die »Weite« (rohab leb), in der es die Fülle aller Weltphä˙ 22. In unserer Sprache ist hier genau nomene erfasst (1 Kön 5,9–14) 18. Vgl. Stolz, le¯b, 861. 19. Vgl. Spr 8,5; 18,15. 20. Auch die ägyptische Weisheit weiß um die hohe Bedeutung des Hörens, vgl. Brunner, Herz; ders., Erziehung, 110 ff.131 ff.: »Das Organ, mit dem der Mensch die Weisheit empfängt, nennt der Ägypter das Herz« (110). 21. Zur umfassenden Bedeutung von ˇspt vgl. Noth, BK IX, 51. 22. Vgl. von Rad, Weisheit, 376: »Was ˙er, der exemplarische Weise, sich wünsch-

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»Geist« zu setzen 23. Denn ihm eignet internationale Bildung, umfassende Gelehrsamkeit (Botanik, Zoologie, Recht, Politik, Pädagogik), treffendes Urteilsvermögen und die hohe Kunst dichterischer Sprache. Für die vernehmende Vernunft stehen »Herz« und »Ohr« parallel (Spr 18,15): Des Einsichtigen Herz erwirbt Erkenntnis, der Weisen Ohr sucht Erkenntnis.

Ohr und Herz werden oft nebeneinander genannt: Dtn 29,3; Jes 6,10; 32,3 f.; Jer 11,8; Ez 3,10; 40,4; 44,5; Spr 2,2; 22,17; 23,12. Im Herzen vollzieht sich die Einsicht. Deuterojesaja erinnert an Gottes vergebliches Zornesgericht über Jakob (42,25): Es flammte rings um ihn auf, aber er erkannte nicht. Es versengte ihn, aber er nahm es nicht zu Herzen.

Wörtlich lautet der letzte Satz: »Er setzte es nicht aufs Herz«; d. h. er brachte es nicht zur Einsicht24. In ähnlichem Sinne kann der Jahwist in Gen 31,20 vom Diebstahl des Herzens sprechen: Jakob stahl das Herz des Aramäers Laban, indem er ihm verheimlichte, dass er fliehen wollte.

»Das Herz stehlen« (gnb q.!) heißt also: jemanden um die Einsicht bringen, ihn täuschen25. In gleicher Bedeutung spricht das Alte Testament öfter vom »Mangel an Herz« (hasar-leb). Der Ausdruck meint nicht Gefühlskälte, ˙ sondern Gedankenlosigkeit. So ist Spr 10,13 zu verstehen: Auf des Verständigen Lippen findet sich Weisheit, aber der Stock gebührt dem, der zu wenig Herz hat.

te, war nicht die gesetzgebende, souverän über den toten Stoff der Natur verfügende Vernunft der modernen Bewusstseinseinstellung, sondern eine ›vernehmende‹ Vernunft, ein Gespür für die Wahrheit, die von der Welt herkommend den Menschen anspricht.« 377: »Der Salomo von 1 Kön 3 hätte auch – auf die Objektseite gesehen – sagen können: er erbäte sich von Jahwe, daß ihm die Welt nicht stumm bleibe, sondern ihm vernehmbar werde.« 23. Vgl. z. B. auch 2 Kön 5,26. 24. Vgl. Elliger, BK XI, 184 f. 25. Vgl. jedoch zu 2 Sam 15,6 unten S. 94.

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leb(a¯b) wäre hier exakt mit »Einsicht« wiederzugeben. Die gleiche Wendung findet sich Spr 24,30: Am Felde eines Faulen ging ich vorüber, und am Weinberg eines, der Mangel an Herz hat.

Damit mag hier nicht nur der Unvernünftige, sondern in Parallele zum Faulen geradezu der Dumme gemeint sein, vgl. auch Spr 6,32. timhôn leba¯b (Dtn 28,28) ist die Geistesverwirrung. Einsicht will zu dauerhaftem Bewusstsein führen. Wenn Dtn 6,6 mahnt: Es sollen diese Worte, die ich dir heute gebiete, auf deinem Herzen sein!

dann bedeutet das: Sie sollen dem Hörer »im Bewusstsein bleiben«. Anschaulich fordert Spr 7,3 hinsichtlich der Weisheitsworte: Binde sie dir an die Finger! Schreibe sie auf die Tafel deines Herzens!

So sollen sie ständig gegenwärtig bleiben. Wenn Jeremia 17,1 von der Sünde Judas sagt, sie sei mit eisernem Griffel eingeschrieben, ja mit diamantener Spitze eingegraben auf die Tafel ihres Herzens,

dann ist damit das Herz zu einem dauerhaften Mahnmal unauslöschlichen Bewusstseins geworden. Die Wendung »ins Herz hinaufsteigen« ( 2a¯la¯h 2al-leb) heißt soviel wie »zum Bewusstsein kommen«. So betont Jes 65,17 den überwältigenden Eindruck des neuen Himmels und der neuen Erde dadurch, dass demgegenüber vom Früheren gesagt wird, es werde seiner nicht mehr gedacht werden und es werde nicht mehr »aufs Herz steigen«, nämlich »ins Bewusstsein kommen« 26. Dasselbe sagt Jer 3,16 von der Bundeslade. Ähnlich schreibt Paulus von seinen Korinthern (2 Kor 3,2 f.): Unser Brief seid ihr, eingeschrieben in unser Herz, erkennbar und lesbar für alle Menschen, … ein Brief Christi, … geschrieben auf Herzenstafeln von Fleisch.

26. Auch beim hochmütigen Herzen ist an das »Selbstbewusstsein« zu denken, s. oben S. 83.

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So wird das Herz auch zur Schatzkammer des Wissens und der Erinnerungen. Behält Daniel (7,28) die Worte fest »in seinem Herzen«, so heißt das: im Gedächtnis, vgl. Ps 27,8. In der Geschichte Simsons kämpft die Frau Delila um das Geheimnis der Riesenkräfte jenes Israeliten. Sie macht die Lösung dieses Rätsels zum Prüfstein der Liebe. Nach Ri 16,15 spricht sie ihn an: Wie kannst du sagen, dass du mich liebst, wenn dein Herz nicht mit mir ist? Siehe, dreimal hast du mich angeführt und mir nicht gesagt, woher deine Kraft so groß ist.

Simson bezeugt demnach Delila seine Liebe, ohne dass »sein Herz« mit ihr ist. »Dein Herz ist nicht mit mir«, heißt also hier nicht: »du liebst mich nicht«, sondern: »du machst mich nicht zum Mitwisser deiner Geheimnisse«, »du lässt mich nicht am Schatz deines Wissens teilhaben«. Als Delila dem Simson alle Tage weiter mit solchem Vorwurf zusetzte, da wurde es ihm zum Sterben leid und (V. 17 f.) er tat ihr sein ganzes Herz kund und sagte: »Das Schermesser ist nie über mein Haupt gekommen …« Da erkannte Delila, dass er ihr sein ganzes Herz kundgetan hatte.

Eindeutig besagt also »sein ganzes Herz kundtun«: sein ganzes Wissen preisgeben. Weiter vollzieht sich im Herzen das Denken, das Durchdenken, Nachdenken und Überlegen. ´sîm ’æt-leb l e heißt: seine Aufmerksamkeit auf etwas oder jemanden richten (1 Sam 9,20; 25,25; Hag 1,5). Wenn in Ex 14,5 »das Herz« Pharaos auf das Volk gelenkt wird, so ist seine Aufmerksamkeit, sein Interesse gemeint. Hosea klagt Israel im Namen seines Gottes an (7,2): Sie sprechen nicht zu ihrem Herzen, dass ich um all ihre Bosheit weiß.

D. h. sie denken nicht darüber nach. 1 Sam 27,1 »sagt David zu seinem Herzen« – und nun werden unter diesem Vordersatz allerlei Überlegungen durchgeführt, Pläne gefasst und Erwägungen angestellt –: Ich werde doch eines Tages durch Saul hingerafft werden. So bleibt mir nichts Besseres übrig, als dass ich ins Land der Philister fliehe. Dann wird Saul davon ablassen, nach mir in ganz Israel zu fahnden.

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Eine ganze Strategie kann also durchdacht werden, wenn einer »zu seinem Herzen spricht«, vgl. Gen 24,45; 27,41 und in 1 Kön 12,26 f. die Überlegungen Jerobeams, die zu seinem Entschluss in V. 28 führen. In Gen 17,17 heißt es von Abraham, nachdem ihm der Sohn verheißen war: Er fiel auf sein Angesicht und lachte. Denn er sprach in seinem Herzen: »Einem Hundertjährigen soll ein Kind geboren werden?«

Statt »er sprach in seinem Herzen« würden wir sagen: »Beim vernünftigen Nachdenken sagte er sich«. Ebenso denkt der Tor, durchaus kluge Schlüsse zu ziehen, wenn er »in seinem Herzen sagt: Gott ist nicht« (Ps 14,1). In Spr 28,26 wird das Herz als Organ eigener Überlegungen der gesammelten Erfahrungsweisheit konfrontiert: Wer auf sein eigenes Herz vertraut, der ist ein Narr. Aber wer in der Weisheit wandelt, der ist gerettet.

Einen Schritt weiter auf dem Weg der intellektuellen Funktionen des Herzens führt Hos 7,11. Der Prophet sieht: Efraïm ist einer Taube gleich geworden, die sich verleiten lässt, ohne Herz.

»Ohne Herz« (’ên leb) – was soll das heißen? Die Fortsetzung erklärt es: Ägypten rufen sie, nach Assur laufen sie.

Der Staat Israel verfällt einer unbesonnenen Schaukelpolitik. Demnach bedeutet »ohne Herz«: ohne klares Orientierungsvermögen. In Hos 4,11 f. klagt der Prophet: Der Wein nimmt meinem Volk das Herz. Sein Holz befragt es. Sein Stock soll ihm verkünden.

Menschen, die auf eine geistlose Orakelpraxis setzen, ist das Herz weggenommen, d. h.: ihnen ist der Verstand geraubt, genauer: das Urteilsund Orientierungsvermögen ging ihnen verloren. Dabei ist der Räuber der Wein. Er nimmt bekanntlich nicht die Stimmung, aber den Verstand. Darum warnt der Spruchdichter (23,29 ff.):

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leb(a¯b) – der vernünftige Mensch Schau nicht auf den Wein, wie er rot erglüht … Am Ende beißt er wie eine Schlange … Deine Augen sehen Befremdliches, und Verkehrtes redet dein Herz.

Ganz allgemein kann »Herz« in solchen Zusammenhängen mit »Verstand« übersetzt werden, vgl. Pred 10,2 f.; Spr 19,8. Hiob wehrt sich gegen seine überklugen Freunde (12,3): Ich habe auch Verstand (leba¯b) wie ihr. Nicht stehe ich hinter euch zurück.

So heißen denn »Männer mit Verstand« ’anaˇsê leb (Hi 34,10), womit also nicht etwa »beherzte«, tapfere oder gemütvolle, sondern kluge Leute gemeint sind. Hi 34,34 steht denn auch »der weise Mann« synonym parallel zu dem »Mann mit Herz« 27. Hat diese Auslese von Texten andeuten können, wie breit und mit wieviel feinen Abstufungen das »Herz« im Hebräischen den Sitz und die Funktionen der ratio bezeichnet? Alles umfasst es, was wir Kopf und Hirn zusprechen: Erkenntnisvermögen, Vernunft, Verstehen, Einsicht, Bewusstsein, Gedächtnis, Wissen, Nachdenken, Urteilen, Orientierung, Verstand. Damit ist das eigentliche Bedeutungszentrum von leb(a¯b) umschrieben.

5. Willensentschluss Schon einige der letzten Texte, die vom urteilenden und orientierenden leb(a¯b) sprachen, geben zu erkennen, dass der Übergang von den Verstandesfunktionen zu den Tätigkeiten des Willens in der Verwendung von leb(a¯b) fließend ist. Der Israelit kann sprachlich schwer unterscheiden zwischen »erkennen« und »erwählen«, zwischen »hören« und »gehorchen«. Die sprachliche Schwierigkeit, die sich unserem differenzierenden Denken ergibt, folgt aus der sachlichen Unmög-

27. In diesem Sinne ist das denominative Verbum lbb ni. in Hi 11,12 gebildet: verständig werden, Einsicht gewinnen, zur Besinnung kommen. Sitz des Kunstverstandes als menschlicher Fähigkeit ist das Herz (Ex 35,25); als »Begabung« kommt künstlerisches Können von der rûah Gottes her (Ex 31,3), s. ˙ oben S. 69.

Willensentschluss

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lichkeit einer Trennung von Theorie und Praxis. So ist denn auch das Herz zugleich Organ des Verstehens und des Wollens. Mit dem Planen (hˇsb pi.) wird der Übergang vom Erwägen zum ˙ Vollzug und seine Grenzen lehrt Spr 16,9: Handeln bedacht. Seinen Des Menschen Herz plant seinen Weg, Jahwe aber lenkt seinen Schritt.

In Ps 20,5 steht leb(a¯b) synonym parallel zu »Plan« ( 2esa¯h): ˙ Er gebe dir deinem Herzen gemäß und erfülle dir jeglichen Plan.

Der Jahwist spricht in Gen 6,5 von der »Bildung der Planungen des Herzens«, die nur böse sind. Da im Herzen die Kriterien der Pläne und des Handelns zu bedenken sind, kommt es dazu, dass leb(a¯b) die Bedeutung »Gewissen« annimmt, etwa in 1 Sam 24,6: Hinterher schlug David das Herz, dass er den Zipfel vom Gewand Sauls abgeschnitten hatte.

Ebenso schlägt in 2 Sam 24,10 das Herz als Gewissen. Der im jeweiligen Kontext ausgesprochene Grund des »Herzschlagens« zeigt, dass weder Herzklopfen im physiologischen Sinne noch im Sinne einer Gemütserregung gemeint ist, sondern die Reaktion des ethischen Urteilsspruchs des Gewissens. Die Prophetin Hulda sagt dem König Josia in 2 Chr 34,27: Weil dein Herz weich geworden ist und du dich vor Gott gedemütigt hast, als du seine Worte hörtest, und geweint hast, so hörte ich darauf.

Vom Weichwerden des leb(a¯b) wird gesprochen, weil es nicht verhärtet blieb, sondern sich regte; es wird interpretiert als Selbstdemütigung auf Grund des Hörens auf Gottes Wort. Das Gewissen heißt biblisch leb, weil es ein vernehmendes Organ ist. Auch mit der Bitte um das »reine Herz« in Ps 51,12 wird vom Schuldigen die Neuschöpfung eines reinen Gewissens im Sinne einer gewissenhaften Lebensorientierung erfleht. Die anschließende Bitte um einen »beständigen Geist« fügt den Wunsch nach der Kraft zur entsprechenden dauerhaften Durchführung des gewissenhaft Erkannten hinzu 28. 28. S. oben S. 72f.

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leb(a¯b) – der vernünftige Mensch

Das Herz ist der Ort der Entschlüsse. In 2 Sam 7,27 sagt David, er habe »sein Herz gefunden«, sein Gebet an Gott zu richten. Wer versteht die wörtliche Übersetzung? »Seinen leb(a¯b) finden« will sicher nicht nur sagen, er habe Mut gefunden, sondern im Blick auf den folgenden Finalsatz, er sei zu dem Entschluss gekommen, und zwar auf Grund seiner Erkenntnis. Spr 6,18 zeigt das Herz als jenes Organ, das erdachte Pläne durch Entschlüsse zur Ausführung bringt: Jahwe verabscheut unter anderem ein Herz, das Unheilspläne verarbeitet, Füße, die eilends zum Bösen laufen.

Weil im Herzen die Entscheidung zwischen Verführung und weiser Mahnung erfolgt (Spr 4,20–27), darum will das Herz mit größter Vorsicht gehütet werden (V. 23): Mehr als alles bewache dein Herz, denn ihm entspringen die Quellen des Lebens.

Am Tatort der Willensentschlüsse ereignet sich auch die Verstockung: das Herz verhärtet sich, wird unempfindlich und unbeweglich (Ex 4,21; 7,3.14; 9,7; Dtn 2,30; Jes 6,10 u. ö.). In diesen Zusammenhang gehört die häufige Wendung dibbær 2alleb: »zu Herzen reden«, »aufs Herz einreden«. Sie gehört hauptsächlich zur Liebessprache; doch meint sie nicht absichtslose, schöne Worte, sondern einen Anspruch, durch den Willensänderung erstrebt wird (Hos 2,16 f.; Gen 34,3). Sie kann dann auch »ins Gewissen reden« bedeuten (Ri 19,3; Gen 50,21) 29. In jedem Falle soll ein Entschluss angeregt werden, vgl. Jes 40,2; 2 Chr 30,22; 32,6. »Zu Herzen reden« heißt mithin alttestamentlich: zum Entschluss bewegen. Von hier ist der Weg nicht weit zur Absicht als einem Vorgang im Herzen. Natan sagt zu David, als er den Tempelbau erwägt (2 Sam 7,3): Alles, was in deinem Herzen ist, geh und tue es!

Das heißt: richte aus, was in deiner Absicht steht. Zu Jonatan sagt sein Waffenträger, nachdem er ihm seinen militärischen Plan entwickelt hat (1 Sam 14,6 f.): 29. Vgl. Vollmer, Rückblicke, 87.

Willensentschluss

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Tue alles, was in deinem Herzen ist. Ich bin dabei. ›Wie dein Herz ist mein Herz‹ 30.

Damit erklärt er: Tue, was du beabsichtigst; ich entspreche deinem Vorhaben. Jes 10,7 urteilt über Assur: Zu vertilgen ist in seinem Herzen.

Die Verbindung mit dem finalen Infinitiv zeigt, dass das Vertilgen »in seiner Absicht« steht. Ps 24,4 antwortet auf die Frage, wer auf Jahwes Berg hinaufgehen dürfe: Der reine Hände hat und ein lauteres Herz.

Das könnte heißen: Wer Böses weder getan hat noch beabsichtigt, vgl. Ps 17,3; 139,23; Spr 21,2. Vom Herzen als dem Willensantrieb spricht die Priesterschrift in Ex 35,21; 36,2: die Mitarbeiter an der Herstellung des Zeltes der Begegnung werden als Leute bezeichnet, die ihr Herz dazu trieb.

So wird Freiwilligkeit beschrieben. Mose leitet nach der Schilderung des Jahwisten in Num 16,28 seine Strafandrohung gegen die aufsässigen Datan und Abiram mit den Worten ein: Daran sollt ihr erkennen, dass Jahwe mich gesandt hat, alle diese Taten zu vollbringen, und dass es nicht aus meinem Herzen geschieht.

lo’ millibbî bedeutet hier: nicht aus meinem eigenen (eigensinnigen) Antrieb. Die deuteronomischen Prediger legen wert darauf, dass die Liebe zu Gott aus eigenem Antrieb erfolgt, wenn sie in Dtn 6,5 mahnen: Du sollst Jahwe, deinen Gott, mit deinem ganzen leba¯b lieben und mit deiner ganzen næpæsˇ und mit allen deinen Kräften.

Wie næpæsˇ das echte Verlangen und Begehren bezeichnet, so leba¯b hier die bewusste Willenshingabe (vgl. Dtn 4,29; 10,12; 11,18 u. ö.). Die Momente des Bewussten und des Willentlichen sind dabei unbedingt zusammenzusehen. Denn die Hingabe kann Gegenstand der

30. Nach LXX, vgl. BHK.

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leb(a¯b) – der vernünftige Mensch

Prüfung sein. Dtn 8,2 erinnert an den Weg, den Jahwe Israel vierzig Jahre durch die Wüste geführt hat, um dich zu prüfen und zu erkennen, was in deinem Herzen sei, ob du seine Gebote halten würdest oder nicht.

»Im Herzen« wird hier der Gehorsam auf Grund der Erkenntnis der Gebote geprüft. Stiehlt Absalom »das Herz der Männer Israels« (2 Sam 15,6 gnb pi.), so raubt er deren bewusste Zuneigung, Gehorsam und Gefolgschaft, die seinem Vater David gelten sollten, vgl. 1 Kön 12,27. An Willenshingabe denkt auch das Mahnwort Spr 23,26: Gib mir, mein Sohn, dein Herz, und lass deinen Augen meine Wegweisungen gefallen.

Die Söhne Davids werden danach beurteilt, ob »ihr Herz ganz mit Jahwe ist« (leba¯b ˇsa¯lem 2im jhwh) wie das Davids (1 Kön 8,61; 11,4; 15,3.14; 2 Kön 20,3). Der Deuteronomist denkt dabei an den völligen und unbedingten Gehorsam 31. Zur Anschauung gebracht wird diese Sicht des Herzens in der prophetischen Aufforderung zur Beschneidung für Jahwe und zur Entfernung der »Vorhaut eures Herzens« (Jer 4,4). Sie verdeutlicht die neue Hinkehr zu Jahwe, ja die Übergabe an ihn. Dtn 10,16 erläutert den erwarteten Vorgang noch durch den Hinweis, dass damit die bisherige Halsstarrigkeit beendet wird: Beschneidet die Vorhaut eures Herzens und zeigt euch nicht weiter halsstarrig.

Jer 3,10 stellt einer trügerischen, heuchlerischen oder nur äußerlichen Umkehr (beˇsæqær) eine solche »mit ganzem Herzen« (bekål-leb) gegenüber, die eine aufrichtige Hingabe wäre, die auch einer Prüfung der verborgenen Absichten standhielte. So ruft Joel (2,12) zu einer 31. Vgl. Eisenbeis, ˇslm, 340 f.; zum etwas andersartigen chronistischen Sprachgebrauch 347 f. K. Deller weist mich brieflich darauf hin, dass akk. libbasˇu gummur (das Herz ganz hingeben) von Eunuchen des Königs, seinen engsten Beratern und Vasallen ausgesagt wird. So heißt es z. B. in einem Brief an Asarhaddon (ABL 620 r. 6): »Ein Knecht, dessen Herz ungeteilt seinen Herren gehört (gemeint sind Asarhaddon und der Kronprinz Assurbanipal), bin ich«.

Willensentschluss

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»Umkehr mit eurem ganzen Herzen«, d. h. zu einer Wendung mit klarer Willensentscheidung (vgl. Jer 29,13). Immer ruft beim Deuteronomisten die Mahnung zu Gottesfurcht und aufrichtigem Dienst »mit ganzem Herzen« zur bewussten Willensübergabe (z. B. 1 Sam 12,24). Der Prophet Ezechiel erkennt, dass der Mensch sein Herz nicht selbst erneuern kann. Er verheißt im Namen seines Gottes (11,19, vgl. 36,26): Ich werde ihnen einen anderen (neuen) leb geben und eine neue rûah in ihr Inneres legen ˙ Stein aus ihrem Leibe entfernen und werde den leb von und ihnen einen leb von Fleisch geben.

Die Fortsetzung zeigt, dass leb hier wohl auch Erkenntnis und Orientierung, ja Gewissen bedeutet, aber darüber hinaus noch mehr. Denn 11,20 (vgl. 36,27) fährt fort: Damit sie nach meinen Satzungen gehen und meine Gesetze beachten und sie erfüllen.

Das steinerne Herz ist das tote Herz (vgl. 1 Sam 25,37), das unempfänglich ist und alle Glieder aktionsunfähig macht. Das fleischerne Herz ist das lebendige, einsichtsvolle, das zugleich zum neuen Handeln willig ist. Die neue rûah bringt zum Erkennen und Wollen des ˙ hinzu, im willigen Gehorsam bestänHerzens die neue Lebenskraft dig durchzuhalten32. Fordert Ezechiel 18,31 auf: Schafft euch ein neues Herz und einen neuen Geist!

so geschieht dieser Aufruf auf Grund des vorherigen Lebensangebotes Gottes (V. 23.31 f.): Ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen. Warum wollt ihr sterben?

Der Aufruf wird antithetisch interpretiert (V. 31a): Werft von euch all eure Aufsässigkeiten, mit denen ihr gegen mich rebelliert!

32. S. oben S. 72 f.

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leb(a¯b) – der vernünftige Mensch

Demgegenüber ermahnt die Aufforderung, sich ein neues Herz zu verschaffen, dazu, die angebotene bewusste Willigkeit zum neuen Gehorsam zu ergreifen. Auch »Herz« kann schließlich wie die anderen anthropologischen Hauptbegriffe 33 für das Selbst des Menschen, für die Person als solche eintreten. Wenn Jer 23,16 vor den falschen Propheten warnt: Hört nicht auf die Worte der Propheten. Sie betören euch nur. Gesicht ihres leb reden sie, nicht aus dem Munde Jahwes –

dann bedeutet »Gesicht ihres Herzens« schlicht »ihre eigene Schau«, die Vision, die aus ihnen selbst kommt 34; doch höre man den Unterton mit: Vision, die ihrer menschlichen Erkenntnis oder auch ihrem Selbstbewusstsein entspricht. Ps 22,27 ruft zum Dankopfermahl auf: Die Bedrückten sollen essen und satt werden, rühmen sollen Jahwe, die ihn suchen, ›ihr‹ 35 Herz soll leben auf immer.

D. h. kaum mehr als: »sie sollen leben …«. Auch wo leb(a¯b) fast zum Personalpronomen verblasst, sollte der bestimmte Aspekt des Menschen bewusst bleiben, unter dem der Mensch als »Herz« gesehen wird. Wir sahen, dass leb(a¯b) am wenigsten das Gemüt meint, viel öfter hingegen und eigentlich kennzeichnend das Organ der Erkenntnis, damit verbunden schließlich den Willen, sein Planen, seine Entschlüsse und Absichten, das Gewissen und die bewusste und aufrichtige Hingabe im Gehorsam. Das Bedeutungsspektrum des häufigsten anthropologischen Begriffs hat sich als besonders breit erwiesen. So gewiss er die Bereiche des Leiblichen, des Emotionalen, des Intellektuellen und der Willensfunktionen umgreift, so deutlich ist doch festzuhalten, dass die Bibel mit dem Herzen vor allem das Zentrum des bewusst lebenden Menschen ins Auge fasst. Das weithin durchschlagende proprium ist, dass das Herz zur Vernunft berufen ist, insbesondere zum Vernehmen des Wortes Gottes. 33. S. oben S. 54. 34. Vgl. Num 16,28 und oben S. 93. 35. S. BHS.

»Herz« Gottes

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6. »Herz« Gottes Bedenkenswert sind die Aussagen über das »Herz« Gottes, weil sie immer die Beziehung zum Menschen betreffen. Am häufigsten wird das Herz Gottes als Organ des klaren Willens Gottes erwähnt, an dem der Mensch gemessen wird. Ein Gottesmann verkündet dem Priester Eli das Wort Jahwes (1 Sam 2,35): Ich will mir einen treuen Priester bestellen, der nach meinem Herzen und nach meinem Sinn handelt.

ka’ aˇsær bil eba¯bî ûbenapsˇî heißt: entsprechend meinem Willen und meinem Wunsch. Ganz ähnlich sagt Jahwe zu Jehu in 2 Kön 10,30: Weil du eifrig durchgeführt hast, was recht ist in meinen Augen, und ganz, wie es in meinem Herzen ist, sollen deine Nachkommen bis ins vierte Glied auf dem Thron Israels sitzen.

Taten, die ganz so sind, wie es »in Jahwes leba¯b« ist, entsprechen ebenso wie das, was in seinen (unbestechlichen) Augen recht ist, genau seinem Willen. Zu Saul sagt Samuel (1 Sam 13,14): Dein Königtum wird keinen Bestand haben. Jahwe hat sich einen Mann nach seinem Herzen gesucht, den hat er zum Anführer über sein Volk bestellt.

’îsˇ kil eba¯bô ist der Mann, der Gottes Willen entspricht, vgl. Jer 3,15. Dagegen entspricht der Dienst an den falschen Kultstätten nicht Jahwes Befehl, da er nie »in seinen leb aufgestiegen ist«, also nicht zu seinen Willensentschlüssen gehört (Jer 7,31; 19,5; 32,35). Wie mit dem Herzen Gottes sein klarer Wille, an dem er den Menschen misst, zusammengesehen wird, so auch der Plan seines künftigen Handelns (Jes 63,4): Ein Tag der Rache (liegt) in meinem Herzen.

So spricht sich die entschlossene Absicht aus, vgl. Jer 23,20; 30,24. Ähnliches gilt dann von der Verheißung (Jer 32,41):

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leb(a¯b) – der vernünftige Mensch Es wird meine Freude sein, ihnen Gutes zu tun. Ich werde sie in dies Land einpflanzen in Treue, mit meinem ganzen Herzen und meiner ganzen Seele.

Diese Wendung kennen wir von den deuteronomischen Predigern, die vom Menschenherzen ganze Hingabe mit vollem Willenseinsatz erwarten36. Entsprechend wird hier von Gottes leb(a¯b) und Gottes næpæsˇ gesprochen, um seinen klaren Willen und seinen sehnlichen Wunsch zu bezeugen, hier hinsichtlich seines Zukunftsplans, dem sein Willenseinsatz mit ganzer Zuneigung gilt, vgl. 2 Sam 7,21. Die unbedingte Verlässlichkeit der Zukunftsplanungen Jahwes besingt Ps 33,11: Der Ratschluss Jahwes hat auf immer Bestand, die Pläne seines Herzens gelten von Geschlecht zu Geschlecht.

Andere Texte bringen mit der Rede vom Herzen Gottes die Vehemenz seiner Menschenfreundlichkeit zur Sprache. So wird Klgl 3,33 angesichts der Exilsnöte fast entschuldigend von Gott ausgesagt: Nicht bedrückt er von Herzen die Menschenkinder.

Die Wendung lo’ millibbô (»nicht aus seinem Herzen«) entspricht genau der Selbstentlastung Moses in Num 16,28 37 und besagt: »nicht aus eigenem Antrieb«, »nicht nach seinem eigenen ursprünglichen Willen«. Muss Jahwe gegen Israel handeln, so tut er sein »fremdes Werk, sein wildfremdes Werk« (Jes 28,21), das von Israels Abfall herausgefordert ist. Dass Gott selbst unter der Bosheit der Menschen leidet, spricht schon der Jahwist in Gen 6,6 aus. Angesichts der Schlechtigkeit der menschlichen Planungen wird Gott die Erschaffung der Menschen leid, und es schmerzte ihn bis in sein Herz hinein.

Sein Schöpferwille ist tief verletzt; bis ins Innerste seines Wesens ist er getroffen. 38 Am Schluss des Sintflutberichts leitet der Jahwist den Entschluss 36. S. oben S. 93. 37. S. oben S. 93. 38. Vgl. auch Jer 48,36a.b.

»Herz« Gottes

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Jahwes, die Erde fortan nicht mehr zu verfluchen, mit dem Satz ein (Gen 8,21): Jahwe sprach zu seinem Herzen.

So fanden wir auch bei Menschen Sätze des Nachdenkens, der Überlegungen und der Entschlüsse eingeführt 39. Hier fasst Jahwe den guten Entschluss, der seinem ursprünglichen, nach 6,6 verletzten Schöpferwillen entspricht. Die mehr rationale Funktion des leb(a¯b) wird noch deutlicher in Jer 44,21, wo von allerlei kultischen Greueln gesagt wird: Jahwe hat es sich gemerkt und es stieg auf in sein Herz.

2a¯la¯h 2al-leb(a¯b) entspricht nicht unserer Wendung: sich etwas zu Herzen nehmen, sondern besagt »zum Bewusstsein kommen«, »zur Kenntnis nehmen«, hier in Parallele zu zkr = »denken an« 40. Über Gottes hohe Aufmerksamkeit auf den Menschen staunt Hiob (7,17): Was ist der Mensch, dass du so groß ihn achtest, und gar dein Herz auf ihn setzt. 41

Hi 34,14 stellt in Frage, dass Gott »sein Herz auf sich selbst richtet«, d. h. dass er an sich selbst denke. Mit seinem Herzen wendet Gott sein Beobachten und Vernehmen, seine Achtung und seine Fürsorge dem Geschöpf zu. (Vom Herzen des »verborgenen« Gottes spricht nur Hi 10,13). In diesem Zusammenhang fällt eine merkwürdige spätdeuteronomistische Interpretation der Gegenwart Gottes im Jerusalemer Tempel auf. In 1 Kön 9,3 (= 2 Chr 7,16) lautet ein Jahwewort an Salomo nach der Tempelweihe: Ich habe diesen Tempel, den du erbaut hast, geweiht, indem ich meinen Namen dort auf immer belasse; auch meine Augen und mein Herz sollen immerdar dort weilen.

Die bekannte deuteronomische Aussage vom Wohnen des Namens Gottes im Heiligtum wird durch eine sonst unbekannte Erweiterung 39. S. oben S. 89. 40. S. oben S. 88, vgl. Schottroff, Gedenken, 116 f.226 ff. 41. Zu ˇsît leb ’æl vgl. oben S. 88.

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leb(a¯b) – der vernünftige Mensch

erklärt und ergänzt. Die Präsenz der Augen bekundet die Aufmerksamkeit Gottes auf alle, die zum Heiligtum kommen; insofern stellt das Wort die Erhörung der Bitte Salomos aus 1 Kön 8,29 dar: Lass deine Augen geöffnet sein über diesem Haus bei Tag und Nacht.

Was aber will die ganz ungewöhnliche weitere Zusage der Präsenz des Herzens Gottes? Sie verspricht doch wohl über das Bisherige hinaus die »Anteilnahme« und das »Wohlwollen« Gottes 42, also seine innerste, völlige Zuneigung, vgl. noch Ps 78,72. In einer unvergleichlichen Weise spricht Hosea vom Herzen Gottes als dem Ort umwälzender Lebensentscheidungen. Weder die Liebeserweisungen noch die Strafen Jahwes haben sein Volk zu einer dauerhaften Hinkehr zu ihm bewegen können (Hos 11,1–7). So scheint das endgültige Gericht unaufhaltsam. Aber genau an dieser Stelle setzt eines der größten Worte des Alten Testaments ein, das Hosea als Wort seines Gottes verkündet (11,8 f.): Wie kann ich dich preisgeben, Efraïm … Umgedreht in mir hat sich mein Herz, meine Reue entbrennt mit Macht. Nicht vollstrecke ich meinen glühenden Zorn … Denn Gott bin ich und nicht ein Mensch …

Hier verwarnt Gott zunächst sich selbst: »… wie könnte ich!?« Am Ende kommt es zu einer offiziellen Strafverzichtserklärung. Begründet wird sie damit, dass statt des verdienten, vernichtenden Umsturzes des Volkes ein Umsturz in Gottes Herzen erfolgt. Das Wort hpk für Umsturz erinnert an die Sodomerzählung (Gen 19,25, vgl. Am 4,11; Dtn 29,22) und wird hier für die Umkehr in Gott gebraucht: Umgestürzt ist in mir mein Herz.

Damit ist der Umsturz des entscheidenden Entschlusses Gottes gemeint. Gottes bedingungsloses Erbarmen wendet sich gegen den Gerichtsentscheid. Gottes Herz, d. h. sein freier Liebesentschluss, wendet sich gegen seinen Zornesentscheid. So hat Hosea jene Entscheidung in Gottes Herzen für Israel verheißen, die in Jesus Christus für alle Völ-

42. Noth, BK IX, 197.

»Herz« Gottes

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ker besiegelt worden ist. So ist ohne Wissen um das »Herz Gottes« die wirkliche Lage des Menschen nicht zu verstehen. Festzuhalten bleibt, dass im Alten Testament vom Herzen Gottes als dem verborgenen nur Hi 10,13 gesprochen wird, kaum von seinen Stimmungen, mehr von seinem Aufmerken, Bedenken und Planen, und sehr klar und wiederholt von seinem normativen Willen, seiner entschlossenen Zuneigung und der Macht seiner Entscheidung zur Barmherzigkeit 43.

43. Alle 26 Stellen, die im Alten Testament von Gottes Herzen handeln, sind in diesem Abschnitt vorgeführt worden.

§ 6 Das Leben des Leibes 1 1. Atem – 2. Blut

Das Leben bekundet sich dem alttestamentlichen Menschen wesentlich im Atem (neˇsa¯ma¯h 24 mal, dazu 1 mal aram. nisˇma¯h) und, ungleich häufiger, im Blut (da¯m 360 mal). Beide Begriffe unterscheiden sich von anderen 2 dadurch, dass sie ihre sinnlich-konkrete Grundbedeutung als Termini der vegetativen Physiologie fast immer festgehalten haben.

1. Atem Die neˇsa¯ma¯h als Kennzeichen des lebendigen Menschen im Unterschied zum toten stellt Hiob (27,3) fest: Noch ist mein Atem (nisˇma¯tî) in mir, und Gottes Hauch (rûah) in meiner Nase. ˙

Wenn vom kranken Sohn der Witwe zu Sarepta in 1 Kön 17,17 erzählt wird, seine Krankheit habe sich so sehr verschlimmert, dass schließlich kein Atem (neˇsa¯ma¯h) mehr in ihm übrig blieb, dann ist damit der Tod eingetreten (V. 18 ff.). So verwundert es nicht, dass das Wort Bezeichnung für das Leben schlechthin wird. Von der Eroberung Hazors durch Josua wird Jos 11,11 berichtet: ›Er‹3 schlug alle Personen (kål-hannæpæsˇ) darin mit der Schärfe des Schwerts zur Vollstreckung des Banns. Kein Leben (neˇsa¯ma¯h) blieb übrig.

Im Blick auf das »Leben« ist neˇsa¯ma¯h als Erinnerung an den Atem offenbar präziser als næpæsˇ. Dabei ist der Übergang zur Bedeutung »Lebewesen« schon fließend. Er ist vollzogen, wenn neˇsa¯ma¯h zum 1. 2. 3.

Literatur: Koeberle, Natur und Geist, 187 f.; Dhorme, L’emploi métaphorique, 8–11; Morris, Blood; Pidoux, L’homme, 49–53; Reventlow, Blut; Koch, Blut; Johnson, Vitality, 71–74 und Gerleman, da¯m. Vor allem von hayyîm; zu næpæsˇ s. oben S. 33 ff., zu rûah oben S. 64 ff. ˙ ˙ S. BHK.

Atem

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Objekt der Bannvollstreckung wird (Jos 10,40, vgl. 11,14; Dtn 20,16) oder im Plural als Objekt der Schöpfung Jahwes erscheint (neˇsa¯môt Jes 57,16). Damit sind Lebewesen hebräisch exakt als »Atemwesen« definiert. Sollte diese Grundbedeutung an der einzigen Stelle Spr 20,27 vergessen sein? 4 Eine Leuchte Jahwes ist die neˇsa¯ma¯h des Menschen; sie durchforscht alle Dunkelkammern des Leibes.

Hier ist man geneigt, die neˇsa¯ma¯h, da sie dem Menschen das Forschen ermöglicht, als »Geist« zu verstehen; das wäre jedoch sogar für rûah eine ungewöhnliche Bedeutung. Man wird darum eher der ˙ Konjektur des ersten Wortes (ner Leuchte) zustimmen und stattdessen 5 noser lesen: ˙ ›Es bewacht‹ Jahwe den Atem des Menschen; er durchforscht alle Kammern des Leibes.

So ist der synonyme Parallelismus hergestellt, für den eben auch entscheidend die Grundbedeutung von neˇsa¯ma¯h spricht. Jahwe gilt somit als Schützer wie als Schöpfer des Atems. Atem als Lebensmerkmal zeigt den Menschen in unlösbarer Verbindung mit Jahwe 6. Alles am Menschen ist irdisch-stofflich, wenn auch gestaltet von Jahwe selbst; aber als lebendiges Wesen verdankt sich der Mensch dem Einblasen des Atems durch Jahwe. Dabei spricht der Jahwist zwar nicht vom »Atem Jahwes« (vgl. auch Jes 42,5!). Es bleibt aber zu beachten, dass das an nicht weniger als acht anderen, allerdings späten Stellen geschieht (Hi 33,4): Des Höchsten Atem hat mich zum Leben gebracht. 7

Doch ist Jahwes Atem nicht nur schöpferische Kraft, sondern sein Schnauben führt auch Gericht herauf (Hi 4,9; 2 Sam 22,16; Ps 18,16; Jes 30,33). Jes 57,16 lässt Jahwes Zorn seine Grenze finden in der Erinnerung eben an die »Atemwesen«, die er erschaffen hat (vgl. Gen 2,7 und Jes 42,5 ff.). Vom tierischen Atem wird nie ausdrücklich ge4. 5. 6. 7.

So Koeberle, Natur und Geist, 187 f. Mit Gemser, HAT I/16; Ringgren, ATD 16/1 und BHK nach Spr 24,12 und Hi 7,29. Gen 27, s. oben S. 51 f. Vgl. 34,14; 32,8 (macht klug!); 37,10 (bildet Eis!).

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Das Leben des Leibes

sprochen (nur in Gen 7,22 ist er im gegenwärtigen Kontext mitgemeint). Aufgabe allen menschlichen Atems ist das Lob Gottes (Ps 150,6): Alles, was atmet, jauchze Jah!

So sollte Atem als Grundfunktion menschlichen Lebens den Menschen mit seinem Schöpfer und Erhalter, mit dem zürnenden und dem erbarmenden Gott verbunden halten.

2. Blut Wie der Atem so spielt auch das Blut im Alten Testament keine Rolle für das intellektuelle oder auch nur für das emotionale Leben 8. Das ist angesichts des 360fachen Vorkommens von da¯m für unsere Vorstellungen ebenso merkwürdig wie die Tatsache, dass es eher mit der næpæsˇ 9 als mit dem »Herzen« des Menschen zusammengedacht wird. Es gilt zur Hauptsache als Sitz der physischen Lebenskraft als solcher. Von Verbrechern sagt Spr 1,18: Sie lauern ihrem eigenen Blute auf (da¯ma¯m), legen Hinterhalt dem eigenen Leben (napsˇota¯m).

So steht Blut für das nackte Leben des Menschen. Ps 72,13 f. erbittet für den gerechten König: Er rette das Leben (napsˇôt) der Armen, ihr Blut (da¯ma¯m) sei kostbar in seinen Augen.

So schreit denn auch vergossenes und unbedecktes Blut von der Erde auf (Gen 4,10). Es tritt für den Notschrei des zum Verstummen gebrachten Mundes ein (Hi 16,18 vgl. Gen 37,26). Die animistische Kraft des Blutes, in dem das Leben aus dem Gemordeten herausgetreten ist und das nach Blutrache schreit, wirkt im Alten Testament darin fort, dass es in Jahwe seinen Hörer findet. Rechenschaft für das Blut ist Rechenschaft für das Leben, das eingefordert wird (Gen 42,22). Vom Menschen wie vom Tiere gilt (Lev 17,14): 8. 9.

Vgl. Pidoux, L’homme, 51. S. oben S. 46.

Blut

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Das Leben jeden Fleisches ist sein Blut.10

Darum umfasst das sakralrechtliche Denken alle Blutvergehen, sowohl im kultisch-rituellen wie im sozialen Bereich. Beide sind Jahwe als dem Hüter des Lebens zugeordnet. Dass sakral-rechtliches Denken im Blick auf das Blut eine hervorragende Rolle spielt, lässt sich schon daran ablesen, dass da¯m am häufigsten in den Büchern Leviticus (88 mal) und Ezechiel (55 mal) vorkommt 11. In jedem Falle ist der Genuss von Blut beim Verzehren von Fleisch verboten (Gen 9,4; Lev 3,17; 7,26; 19,26; Dtn 12,16.23; 15,23). Stürzt sich nach der Philisterschlacht Sauls das Volk über die Beute an Kleinvieh, Rindern und Kälbern, und genießt es sogar das Blut, so wird gerade dies als Versündigung gegen Jahwe gemeldet, dass das Volk das Fleisch samt dem Blut isst (1 Sam 14,32 f., vgl. Ez 33,25). Nach Lev 17,3 ff. soll man das Blut opferbarer Tiere nicht einfach, wie das bei Jagdtieren, Hirsch oder Gazelle, schon immer üblich war, »auf die Erde fließen lassen wie Wasser« (Dtn 12,15 f.22.24), sondern der Priester hat es auf den Altar Jahwes zu sprengen (Lev 17,6). Darin spricht sich in kultisch-theologischer Strenge aus, dass dem Menschen nur das Fleisch zusteht, das von Erde genommen ist und zu Erde wird, dass aber das Leben allein Jahwe gehört 12. Vor Jahwe wiegt die Unterlassung des rituellen Gebots nicht weniger schwer wie Mord an Menschen; es ist Blutschuld, Schuld des Blutvergießens, auf der die Todesstrafe steht (Lev 17,4, vgl. Num 35,33). Auch Gen 9,4–6 sieht Genuss von Tierblut und Menschenmord zusammen. Das Vergießen von Menschenblut wird als Vergehen gegen das »Bild Gottes«13 besonders hervorgehoben. So kommt es dazu, dass da¯m (Lev 17,4), insbesondere aber die Pluralbildung da¯mîm

10. Vgl. Dtn 12,23; Gen 9,4–6 und oben S. 46. 11. Vgl. Gerleman, da¯m, 448. 12. Vgl. Elliger, HAT I/4, 226 ff. Zu beachten bleibt, dass das Blut nur rechtlich, nicht aber physisch Jahwe zugeordnet wird, wie das beim Atem vor allem im Hiobbuch (s. oben S. 67 ff.) durchaus geschieht. Die im Zweistromland verbreitete Sicht, dass die Menschheit aus dem Blut eines getöteten Gottes erschaffen worden sei (Belege jetzt bei Maass, ’a¯da¯m, 82 f.), findet im Alten Testament keine Aufnahme. 13. S. unten S. 236.

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Das Leben des Leibes

zum ethisch-rechtlichen Terminus für Blutschuld wird, für »das gewaltsam vergossene fremde Blut« 14. So klagt Jesaja (1,15): Eure Hände sind voll Blut(-schuld, da¯mîm).

Hosea droht Jerobeam II. Jahwes Gericht an (1,4): Ich ahnde die Blutschuld von Jesreel an Jehus Haus

und sieht die Vergehen gegen das Gottesrecht darin gipfeln, dass sich »Blutschuld an Blutschuld« reiht (4,2). Nahum (3,1) und Ezechiel (22,2; 24,6.9) nennen Jerusalem seiner politischen Brutalität wegen die »Stadt der Blutschuld«15, vgl. Spr 28,17: Ein Mensch, bedrückt von jemandes Blut (dam-næpæsˇ), ist flüchtig bis zum Grabe. Man stütze ihn nicht!16

Das tiefe Ineinander von Blutvergießen, Blutschuld und Schuldfolge hat seine dichteste Formulierung in der Rechtsformel gefunden (Lev 20,9): dama¯hw bô – sein(e) Blut(schuld) ist auf ihm. 17

Oder (2 Sam 1,16): deine Blutschuld (da¯mêka) ist auf deinem Haupte.18

Damit wird die Schuld des Verurteilten und die Unschuld der Vollstrecker der Todesstrafe festgestellt, wie sie von Jahwe geordnet ist (vgl. 2 Sam 16,8; 1 Kön 2,32 ff.) 19. Dass das Blut, an den Altar gesprengt, zum Sühnemittel für die Schuldigen wird, führen die Ordnungen Lev 4,5–34; 16,14–19; 17,11 aus. Nur durch die Setzung Jahwes hat es diese Kraft, so wie es in Ex 24,6.8 zum »Blut des Bundes« wird, den Jahwe mit Israel schließt.

14. Koch, Blut, 406 = 444. 15. In Nah 3,1 nachträglich auf Ninive bezogen, vgl. Jeremias, Kultprophetie, 29 ff. 16. Vgl. Dtn 19,10. 17. Vgl. V. 11–13.16.27. 18. Vgl. 1 Kön 2,37. 19. Vgl. Reventlow, Blut, und Koch, Blut, 400f = 437 f.

Blut

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Alles, was über Atem und Blut 20 gesagt wird, leitet in der alttestamentlichen Anthropologie zu einer letzten Ehrfurcht vor dem Leben an. Doch ist diese Ehrfurcht nicht aus den Lebensbekundungen selbst zu begründen, sondern daraus, dass Atem und Blut Jahwe zugeordnet sind und darum Leben ohne stete Verbindung mit ihm und letzte Zielung auf ihn nicht eigentlich Leben ist.

20. Dass das Blut rot ist, sagt 2 Kön 3,22; vom »Blut der Traube« sprechen Gen 49,11 und Dtr 32,14.

§ 7 Das Innere des Leibes 1 1. Eingeweide – 2. Leber – 3. Galle – 4. Nieren

1. Eingeweide Der Raum für die inneren Organe des Körpers wird zumeist qæræb genannt. Hier fanden wir schon das wichtigste von ihnen, das Herz, lokalisiert (1 Sam 25,37) 2. Das »Innere« kann sogar gleichbedeutend mit »Herz« werden, wie in Spr 14,33: Weisheit ruht im Herzen des Verständigen; doch im Inneren der Toren ist sie ›wirkungslos‹3.

Vgl. Jer 31,33. Doch umfasst qæræb grundsätzlich alle inneren Teile des Rumpfes, die als solche vom Kopf und den Gliedmaßen unterschieden werden (Ex 12,9 beim Passalamm). me2îm, das nach Jer 4,19 ebenfalls das Herz einschließt4, meint vor allem den Bauch und die Eingeweide, auch die inneren Geschlechtsorgane (Gen 15,4). Häufiger heißt der Bauch als Mutterleib bætæn (Ri 16,17 u. ö.; genauer ˙ ræhæm); bætæn kann aber auch den Unterleib des Mannes meinen ˙ ˙ (Ri 3,21 f.). Zu ihm gehören die Fortpflanzungsorgane und der Magen, die keinen eigenen Namen haben 5, vgl. neben Gen 25,24 (Rebekka hatte Zwillinge in ihrem bætæn) und Hi 19,17 (»Söhne meines ˙ bætæn«) noch Spr 13,25: ˙ 1. 2. 3. 4. 5.

Literatur: Dhorme, L’emploi métaphorique, 109–137; Pidoux, L’homme, 29 f.; Johnson, Vitality, 73–75; Rost, Leberlappen; Westermann, kbd und Freedman / Lundbom, bætæn. ˙ S. oben S. 76 f. Ich schalte mit LXX und Gemser, HAT I/16, vor dem letzten Wort lo’ ein. S. oben S. 77. Ein einziges Mal heißen die äußeren Genitalien des Mannes »Schamteile« mebûsˇîm, vgl. ferner ba¯´sa¯r oben S. 58; häufiger findet sich raglayim (»Beine«) (Ex 4,25; Ri 3,24; Jes 6,2); zu ya¯d in Jes 57,8.10 als membrum virile vgl. van der Woude, ja¯d 669 f. ya¯rek (Lende, Hüfte, Oberschenkel) findet sich für das Zeugungsglied da, wo Kinder eines Mannes als die bezeichnet werden, »die aus seiner ya¯rek hervorgingen« (Gen 46,26; Ex 1,5; Ri 8,30), und in dem altertümlichen Schwurzeremoniell »die Hand unter jemandes ya¯rek legen« (Gen 24,2; 47,29). Männliche Potenz heißt hayil (Spr 31,3). ˙

Leber

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Der Gerechte hat zu essen, bis er satt ist; aber der Bauch (bætæn) der Frevler leidet Mangel. ˙

In der bætæn vollzieht sich der Verdauungsprozess (Spr 18,8): ˙ Die Worte des Verleumders sind wie Leckerbissen, sie dringen in des Leibes Kammern.

hadrê-bætæn heißt hier das dem gewöhnlichen Menschen verborgene ˙ ˙Leibesinnere. hædær bezeichnet sonst das Schlafgemach (Ex 7,28 ˙ dunklen Innenräume des Tempels (1 Chr 28,11), u. ö.), auch die nennt also hier die Innenräume des Rumpfes »Dunkelkammern«. Von ihnen sagt Spr 20,27, dass Jahwe sie durchforscht6. Damit deutet sich wieder an, dass auch das Innere des Leibes weniger anatomisch und physiologisch als vielmehr psychologisch im umfassenden Sinne interessiert 7. Als Beispiel nennen wir nur Jer 4,14: Wie lange sollen in deinem Innern (qæræb) deine heillosen Pläne hausen?

Neben dem »Herzen« werden nur wenige innere Organe benannt. Für Lunge, Magen und Därme hat das Alte Testament kein eigenes Wort, jedoch für Leber, Galle und Nieren.

2. Leber Die Leber als die größte Drüse des menschlichen und tierischen Körpers ist wohl bekannt; ihr Gewicht (beim erwachsenen Menschen ca. 1,5 kg) gab ihr den Namen: ka¯bed »Leber« gehört zur Wurzel kbd »schwer sein« (vgl. akk. kabattu »Leber«, kaba¯tu »schwer sein« und ugaritisch kbd 8). Im Bereich der akkadischen Sprache ist die Leber nächst dem Herzen das wichtigste Organ und wird überaus häufig erwähnt9. Um so auffallender ist es, dass die Leber im Alten Testa-

6. 7. 8. 9.

S. oben S. 103. Vgl. Dhorme, L’emploi métaphorique, 109 weist darauf hin, dass die inneren Teile des Körpers als Organe, die nur Wahrsager und Mediziner näher kennen, ein Interesse erster Ordnung für die semitische Psychologie darstellen. Vgl. Aistleitner, Wörterbuch, 144. Vgl. Dhorme, aaO 129.

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Das Innere des Leibes

ment 10 insgesamt nur 14 mal erwähnt wird, davon 13 mal von Tieren: die Leberlappen als Opferteile 11 mal (Ex 29,13.22 und 9 mal in Lev) 11, die vom Pfeil des Jägers durchbohrte Leber des Hirsches einmal (Spr 7,23) und schließlich einmal die Leberschau (Ez 21,26); diese wird als eine der Orakelpraktiken des babylonischen Königs erwähnt. Nun hat die Leberschau im akkadischen Bereich eine ungeheuer große Bedeutung erlangt, wie uns Lehrbücher der Leberschau und allein 32 Lebermodelle aus dem Palast von Mari u. a. beweisen 12. Erklärt sich aus dem Gegensatz gegen heidnische Wahrsagepraxis die Zurückhaltung des Alten Testaments? In Spr 7,23 wird der von der fremden Frau verführte dem Hirsch verglichen, der sich in der Schlinge verfängt, »bis ein Pfeil ihm die Leber durchbohrt«. Das bedeutet den Tod, sagt der Kontext (V. 22– 27). Danach ist die Leber als hochempfindliches und lebenswichtiges Organ bekannt. Ein einziges Mal spricht der überlieferte Text von der Leber des Menschen (Klgl 2,11): In Tränen vergehn meine Augen, mein Inneres (me2îm) verkrampft sich, zu Boden geschüttet ist meine Leber über den Sturz der Tochter meines Volkes.

So wird maßloser Schmerz beschrieben; der Sänger ist in seiner Traurigkeit seiner innersten Empfindungen nicht mehr mächtig; sein Leben selbst wird mit seiner Leber verschüttet. (In Ps 16,9; 30,13; 57,9; 108,2 ist statt ka¯bo¯d im masoretischen Text vielleicht ka¯bed zu lesen 13; dann wäre hier die Leber Subjekt freudigen Jubelns wie oft im Akkadischen14).

3. Galle Die Leber bildet die Gallenflüssigkeit. Nur der gelehrte Hiobdichter erwähnt einmal die Gallenblase (merera¯h 16,13) und zweimal die Gal10. 11. 12. 13. 14.

D. h. ka¯bed im massoretischen Text. Vgl. Rost, Leberlappen. Vgl. Jastrow, Religion, 213 ff.; Zimmerli, BK XIII, 490. So KBL u. a. Vgl. Dhorme, L’emploi métaphorique, 129 f.

Nieren

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le (merora¯h 20,14.25), wobei beide Wörter sachgemäß von der Wurzel mrr »bitter sein« gebildet sind. Vom Verdauungsprozess und dem Sekret der Leberfunktion im Menschen sagt Hi 20,14: Sein Brot in seinen Eingeweiden (me2îm) wandelt sich, wird Natterngalle in seinem Innern (qæræb).

Wird die Gallenblase von Pfeilen getroffen, so ist das Leben empfindlich gefährdet (Hi 16,13, vgl. 20,25).

4. Nieren Die Nieren sind im Alten Testament neben dem Herzen das wichtigste innere Organ. 31 mal werden sie erwähnt, 18 mal als Körperteil von Opfertieren (16 mal in Ex und Lev, ferner Dtn 32,14 und Jes 34,6), 13 mal von Menschen. Sachgemäß wird nur im Plural (kela¯yôt) von den Nieren gesprochen, auch wo vom Einzelnen die Rede ist; Lev 3,4.10.15 u. ö. werden ausdrücklich »die beiden Nieren« erwähnt. Als von Gott geschaffen erwähnt der 139. Psalm die Nieren als einziges Organ besonders (V. 13) 15: Du bist es, der meine Nieren geschaffen, der mich im Leib meiner Mutter gewoben.

Wenn Jahwe den Menschen züchtigt, dann schießt er seine Pfeile in seine Nieren (Hi 16,13; Klgl 3,13); das Bild erinnert an die durchbohrenden Schmerzen von Nierenkoliken. Spricht Hi 19,27 vom Schrumpfen oder von der Sehnsucht der Nieren? Die Bedeutung von klh ist im Zusammenhang unklar. Jedenfalls wäre diese Stelle die letzte, die die körperliche Seite vor Augen hat. Häufiger sind die Nieren Sitz des Gewissens. So dankt Ps 16,7 Jahwe dafür, dass er den Beter berät, ja dass in den Nächten die Nieren ihn züchtigen, d. h. dass sein Gewissen ihn zurechtweist. Jer 12,2 charakterisiert die Gottlosen vor Gott: Du bist nur ihrem Munde nahe, aber fern von ihren Nieren. 15. S. unten S. 148.

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Das Innere des Leibes

Sie reden zwar von Gott, aber ihre inneren Entscheidungen darf er nicht beeinflussen. Nicht weniger als fünfmal heißt Jahwe der, der Herzen und Nieren prüft (Ps 7,10; 26,2; Jer 11,20; 17,10; 20,12). Als Organ der feinsten Empfindungen erwähnt auch der tief angefochtene Beter des 73. Psalms neben dem Herzen seine Nieren (V. 21): Da wurde mein Herz verbittert, ich fühlte meine Nieren scharf gestochen.

Doch können sie gerade auch als Organ rechten Urteils zum Jauchzen kommen (Spr 23,16): Es frohlocken meine Nieren, wenn deine Lippen reden, was recht ist.

So ist das Innere des Leibes mit seinen Organen zugleich Träger der seelischen und ethischen Regungen des Menschen.

§ 8 Die Gestalt des Leibes 1 1. Gliedmaßen – 2. Größe – 3. Schönheit

1. Gliedmaßen Für die Gliedmaßen des Menschen gilt wie für die inneren Organe, dass der einzelne Körperteil oft mit seinen Tätigkeiten und Fähigkeiten zusammengesehen wird. Selbst seelische Regungen werden von den Extremitäten ausgesagt. Nach Ps 51,10 »jauchzen die Glieder«, die zerschlagen waren, wenn Jahwe mit der Vergebung Freude und Wonne vernehmen lässt. Als Sammelbegriff für die Glieder scheint nur 2 asa¯mîm zu fungieren (Ri 19,29; Ps 31,12; 32,3; Hi 33,19) 2. a) ˙rægæl steht für Bein und Fuß. Das körperliche Glied als solches ist z. B. gemeint, wenn Abraham seine Gäste auffordert: »Wascht eure Füße!« (Gen 18,4). Doch wenn Deuterojesaja die Füße des Freudenboten liebenswert nennt, dann meint er nicht die Schönheit ihres Aussehens, sondern das erfreuliche Herannahen der guten Nachricht (Jes 52,7) 3. Und wenn in Gen 30,30 Jakob zu Laban sagt, des Aramäers Besitz habe während Jakobs Dienstzeit gewaltig zugenommen, Jahwe habe ihn l eraglî gesegnet, dann heißt das nicht »gemäß meinem Fuß«, sondern »entsprechend meinem Schritt, meiner Maßnahme, dem von mir bewirkten Fortschritt«. b) Den Arm als leibliches Glied meint zerôa2, wenn z. B. von der Armspange als Schmuck die Rede ist (2 Sam 1,10). Doch was ist ein »Mann des Arms« (’îsˇ zerôa2 Hi 22,8)? – ein Mensch, der »ganz Arm« oder »nur Arm« ist, nämlich ein Gewalttätiger. So kann vom »Arm« eines ganzen Volkes und Staates gesprochen werden. Wird Moabs 1.

2. 3.

Literatur: Dhorme, L’emploi métaphorique, 19–42.91–109.137–161; Johnson, Vitality, 39 f.50–75; Delekat, Wörterbuch (2æsæm: 49–52); Gerleman, BK ˙ 120–125; van der Woude, XVIII, 63–75; von Balthasar, Herrlichkeit III/2/1, e a z ro¯ 2 und ders., ja¯d. Delekat beobachtet, dass der Plural von »Knochen« meist 2asa¯môt lautet, während die maskuline Pluralform meist »Glieder« bedeutet. ˙ S. oben S. 30. Zur Bedeutung »Genitalien« für raglayim und auch für ya¯rek (Oberschenkel, Hüfte) s. oben S. 108 Anm. 5.

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Die Gestalt des Leibes

»Arm« zerschmettert (Jer 48,25), so ist seine Kampfkraft gemeint (vgl. V. 14), da der Arm das Schwert führt. Leiht Assur seinen »Arm« den Söhnen Lots, so leistet es wirksame (militärische) Hilfe (Ps 83,9). c) Das weitaus am meisten genannte Glied ist die Hand (ya¯d) 4. Das zupackende und greifbare Körperglied als solches ist in der Talionsregel (z. B. Ex 21,24, vgl. Dtn 25,11 f.) und an zahlreichen anderen Stellen gemeint. Reicht einer dem anderen die Hand, wie Jonadab dem Jehu in 2 Kön 10,15, so wird die Geste zum Zeichen aufrichtiger Gesinnung und gegenseitigen Beistandswillens. Sagt Jahwe zum Satan über Hiob (2,6): Siehe, er ist in deiner Hand,

so übergibt er ihn damit in Satans »Verfügungsgewalt«. Die Vorstellung vom Körperglied tritt bei ya¯d weithin ganz zurück hinter die Bedeutung Kraft, die mit der Hand als dem ersten Mittel von Macht gegeben ist; z. B. ist das hebräische »Hand der Zunge« (yad la¯ˇsôn) in Spr 18,21 zu übersetzen: Tod und Leben stehen im Machtbereich der Zunge.

Den Satz des Selbstruhms Ri 7,2 kann man zwar im Deutschen noch in wörtlicher Übersetzung verstehen: Meine Hand hat mir geholfen

(»mit eigener Kraft habe ich mich gerettet«, vgl. 1 Sam 25,26ab). Doch wird eine wörtliche Wiedergabe unmöglich, wenn von den Bewohnern von Ai angesichts des Brandes ihrer Stadt gesagt wird (Jos 8,20): Nicht waren bei ihnen ya¯dayim, hierhin oder dorthin zu fliehen.

Denn hebr. »Hände« meint hier die »Kraft« oder die »Möglichkeit« zur Flucht. »Handerhebung« kann zum Terminus revolutionärer Auflehnung werden (1 Kön 11,26 f.). Heißt es in Jes 1,12: Wer fordert das von eurer Hand (miyyædkæm), meine Vorhöfe zu zertrampeln?

4.

Vgl. van der Woude, ja¯d, 667; etwas über 1600 Belege.

Gliedmaßen

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so steht »Hand« hier sichtlich für die Person im Hinblick auf deren Kraftanstrengung 5. Die rechte (ya¯mîn) und die linke Hand (s´emo’l) werden z. B. in der Schilderung der Umarmung von der Geliebten unterschieden (Hhld 2,6): Seine Linke ist unter meinem Kopf, und seine Rechte umfasst mich.

Aber sie stellen auch den Gegensatz von Stärke und Schwäche (Gen 48,14), von Weisheit und Torheit, Glück und Unglück dar (Pred 10,2). d) ’æsba2 meint sowohl den Finger der Hand wie die Zehe des Fu˙ Riese in Gath (2 Sam 21,20) hatte »je sechs Finger an Hänßes. Der den und Füßen, vierundzwanzig an der Zahl«. Für heimliche Zeichen eignen sich die Finger besser als die ganze Hand; Spr 6,13 stellt die Fingerzeichen neben das Augenzwinkern und das Fußscharren. Wenn die Götzenbilder nicht nur als Werk der Hände von Menschen, sondern ausdrücklich auch ihrer Finger bezeichnet werden (Jes 2,8; 17,8), so sind sie damit wohl nicht nur als Machwerk der dem Menschen eigenen Kraft und Fähigkeit entlarvt, sondern auch als Gebilde seiner Kunst, die mit dem Finger modelliert werden. So weist vielleicht auch die Rühmung der Himmel als Werk der »Finger« Gottes (Ps 8,4) auf die kunstvolle Filigranarbeit des zierlichen Geflechts der Gestirne hin. e) Der Kopf (ro’sˇ) macht den einzelnen Menschen in der versammelten Menge abzählbar (Ri 5,30, vgl. Ex 16,16; Num 1,2 vom Schädel gulgolæt). Mit dem Kopf ist das Leben des Einzelnen gefährdet (Ri 9,53); darum kann der Leibwächter »Hüter des Kopfes« heißen (1 Sam 28,2 ˇsomer l ero’sˇî). Das Neigen des Kopfes ist ein Akt der Demütigung (Klgl 2,10), das Erheben des Kopfes dagegen bedeutet Ende der Demütigung, Aufrichtung, Anerkennung, Wiedereinsetzung ins Amt (Gen 40,20; Ps 3,4 u. ö.), sofern es nicht Haltung des Hochmuts und des Überlegenheitsgefühls ist (Ps 140,9 f.). Der Kopf wird zum Bild alles Hohen (Gen 8,5; 11,4; Jes 2,2) und Beherrschenden (Ri 11,8; Jes 9,13; Mi 2,13). 5.

Damit erübrigen sich alle textkritischen Erwägungen, vgl. Wildberger, BK X, 33.

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Die Gestalt des Leibes

2. Größe Will man die Gestalt des Menschen in seiner ganzen Größe beschreiben, so betrachtet man ihn »von der Fußsohle bis zum Kopf« (mikkap rægæl we 2ad-ro’sˇ Jes 1,6) oder noch genauer »bis zum Scheitel« (qådqod Dtn 28,35; 2 Sam 14,25; Hi 2,7). Der hohe Wuchs eines Mannes verschafft ihm auf den ersten Blick Hochachtung, etwa Eliab, dem ältesten Bruder Davids (1 Sam 16,7), oder Saul, der »von der Schulter an aufwärts alles Volk überragte« (1 Sam 9,2; 10,23). Der Israelit scheint im Allgemeinen nicht besonders groß gewesen zu sein. Gebeinfunde in einem Massengrab in Geser ließen auf eine Durchschnittsgröße der Männer von 1,67 m und der Frauen von 1,60 m schließen 6. So hat nicht nur David in dem (nach 1 Sam 17,4) sechs Ellen (ca. 2,70 m) großen Vorkämpfer der Philister einen Riesen vor sich, sondern die Israeliten hielten sich überhaupt für kleiner als andere Völker. Nach Amos (2,9) waren die Vorbewohner Kanaans »groß wie die Zedern, stark wie die Eichen«, und Israel nennt sie in Dtn 1,28 »ein Volk, größer und höher als wir«. Der Größenunterschied zwischen Israeliten und Kanaanäern wird zu einem Hauptthema der Kundschafter in Num 13,32 f., wenn sie berichten: »Alle Leute, die wir sahen, sind über die Maßen groß. Auch sahen wir dort die Riesen – die Söhne Enaks gehören zu den Riesen –, und wir kamen uns vor wie Heuschrecken, und genau so mussten wir ihnen erscheinen.« Doch Jahwe sieht nicht auf die Größe der menschlichen Gestalt und will auch nicht, dass sich der Mensch in seinem Urteil über den anderen davon bestimmen lässt (1 Sam 16,7; Spr 25,6). Er vermag den Überragenden einzuebnen und den Kleinen hoch wachsen zu lassen (1 Sam 2,7 f.; Ez 21,31; Ps 75,8). So ist die Größe des Menschen erst in zweiter Linie eine Frage des menschlichen Längenmaßes. Wer das nicht weiß, kennt den wirklichen Menschen nicht.

6.

Vgl. Köhler, Mensch, 10.

Schönheit

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3. Schönheit Wann ist ein Mensch schön? Der Sinn für die Frage wächst in salomonischer Zeit. Das Adjektiv ya¯pæh, das das Alte Testament insgesamt 28 mal für schönes menschliches Aussehen braucht, kommt allein zwölfmal in den großen literarischen Werken dieser Zeit vor: beim Jahwisten, in der Aufstiegs- und in der Thronfolgegeschichte Davids, ferner elfmal im Hohenlied 7; hinzuzurechnen ist der nicht seltene Gebrauch von tôb in der Bedeutung »schön« (z. B. Gen 6,2; ˙ Gen 24,16). Eben diese dem Menschlichen Ex 2,2; 1 Kön 1,6, vgl. zugewandten Schriftsteller wissen aber, dass das Aufmerken auf Schönheit uralt ist. Schon die Väter der urzeitlichen Giganten wählen sich die Frauen nach ihrer Schönheit aus (Gen 6,2). Die beliebtesten Stammütter Israels sind für den Jahwisten immer auch schön: Sara (Gen 12,11.14), Rebekka (24,16) und Rahel (29,17). Der alte Erzähler verschweigt nicht, dass weibliche Schönheit auch in die Geschichte menschlicher Fehlentscheidungen hineingehört (Gen 6,1–4), ja, dass sie lebensgefährlich werden kann (12,11–14). Schönheit ist dabei zunächst eine Frage des Aussehens (mar’æh 12,11; 24,16) und der Gestalt (to’ar 39,6), d. h. der Farben und der Linien des Körpers. Das gilt zunächst ebenso von männlicher Schönheit, wie sie Josef (Gen 39,6) und vor allem David nachgerühmt wird (1 Sam 16,12.18; 17,42). Die Schönheitsmerkmale der Zeitgenossen werden genauer geprüft. Schon der Ruhm von Absaloms unvergleichlicher Schönheit ist darin begründet, dass »bei ihm von der Fußsohle bis zum Scheitel kein Makel« zu finden ist (2 Sam 14,25); besonders erwähnt wird allein sein volles Haar: Wenn er sein Haupthaar scheren ließ – es geschah zu Ende jeden Jahres, dass er es scheren ließ, weil es ihm so beschwerlich wurde, dass er es scheren musste –, so wog sein Haupthaar 200 ˇsæqæl nach königlichem Gewicht. 8

David gilt besonders wegen seiner Augen und seiner rötlich-hellbraunen Farben 9 als schön (1 Sam 16,12; 17,42). 1 Sam 16,18 illustriert 7. 8. 9.

Vgl. Gerlemann, BK XVIII, 74 f. Etwa 2,3 kg. Eher als an seine Haut wird an die Farbe seiner Haare zu denken sein, vgl. Gen 25,25.

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Die Gestalt des Leibes

an ihm ein Vollkommenheitsideal. Dabei wird vor seiner schönen Gestalt (’îsˇ to’ar) gelobt, dass er des Saitenspiels kundig, ein vermögender Mann, kriegstüchtig und wortgewandt war; nach der Erwähnung seiner stattlichen Gestalt heißt es dann nur noch, dass »Jahwe mit ihm« war; ohne dies letzte, was ganz und gar nicht in des Menschen eigene Verfügung gegeben ist, erscheint das Menschsein unvollendet. Vergleicht man mit dem Vollkommenheitsbild des 10. Jahrhunderts das der ausgehenden alttestamentlichen Zeit im 2. Jahrhundert, wie wir es Dan 1,4 finden, so sind auch hier an erster Stelle Makellosigkeit und gutes Aussehen wichtig, dann aber wird hervorgehoben: geeignet zur Unterweisung in jeder Art Weisheit, intelligent und von guter Auffassungsgabe und befähigt zum Dienst im Palast des Königs – und man solle sie unterweisen in Schrift und Sprache der Chaldäer 10.

Über die äußeren Schönheitsmerkmale unterrichten am genauesten die Beschreibungslieder des Hohenliedes. Schildert das Mädchen ihren Geliebten in Hhld 5,10–16, so wandert der Blick vom Kopf bis zu den Schenkeln: Mein Geliebter ist glänzend und rot, hervorragend unter Zehntausenden. Sein Haupt ist köstliches Feingold, seine Locken sind Dattelrispen, rabenschwarz. Seine Augen sind wie Tauben an Wasserbächen, die sich baden in Milch, am Teiche sitzen. Seine Wangen sind Balsambeete, in denen Duftkräuter wachsen. Seine Lippen sind Lilien gleich, triefend von flüssiger Myrrhe. Seine Arme sind goldene Walzen, mit Chrysolithen besetzt. Sein Leib eine Elfenbeinplatte, mit Lapislazuli bedeckt. Seine Schenkel sind Marmorsäulen, auf goldene Sockel gegründet. Seine Gestalt ist dem Libanon gleich, auserlesen wie Zedern. 10. Übersetzung nach Plöger, KAT XVIII; schon von Abigail wird neben ihrer schönen Gestalt der scharfe Verstand gerühmt (1 Sam 25,3).

Schönheit

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Sein Gaumen (Kuss?) ist lauter Süße, sein ganzes Wesen ist Wonne. So ist mein Geliebter, so ist mein Freund, ihr Töchter Jerusalems.

Gesamteindrücke der Farben, der Größe, der Kraft und der Süße rahmen das Bild des Geliebten. Im Einzelnen treten mit Farben und Formen hervor: das tiefschwarze Haar, das Milchweiße der Augen, das Gold der Gesichtsfarbe, der Arme und Schenkel, die Elfenbeinhelle des Leibes; dann die Linien der Locken, der (lilien-) kelchförmigen Lippen, die Walzen der Arme und die Säulen der Schenkel. Leben atmen die Düfte der Wangen, die Bewegung der sich in Milch badenden Augen. Gemessen wird die Schönheit nicht nur an Tieren und Pflanzen wie Tauben, Duftkräutern und Zedern, an Landschaftsformen wie Bächen, Teichen, dem Libanon, sondern auch an Kunstwerken der Architektur und der Juweliere wie Säulen und Sockel, Marmor- und Elfenbein-, Edelstein- und Goldschmiedearbeiten 11. Zahlreicher sind die Liebeslieder auf die Frau. In Hhld 7,2–6 lesen wir, wie sich der Blick des Verehrers von den Füßen emportastet bis zum Haupthaar: Wie schön sind deine Füße in deinen Sandalen, du Fürstentochter! Die Rundungen deiner Hüften sind wie Halsgeschmeide, Werk der Hände eines Künstlers. Dein Nabel ist eine runde Schale, möge der Mischwein nicht fehlen! Dein Leib ist wie ein Weizenhaufen, umhegt von Lilien. Deine beiden Brüste sind wie zwei Kitzen, Zwillinge einer Gazelle. Dein Hals ist wie der Elfenbeinturm. Deine Augen sind wie Teiche zu Hesbon … Deine Nase ist wie der Libanonturm, der gegen Damaskus schaut. Dein Haupt auf dir ist wie der Karmel, und die Haare deines Hauptes sind wie Königspurpur an den Bäumen festgemacht 12. 11. Vgl. Gerleman, BK XVIII, 63 ff. 12. Vgl. Gerleman, aaO 199: an die »zwischen dem Vorder- und dem Hinterbaum des Webstuhls laufenden Fäden« ist gedacht.

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Die Gestalt des Leibes

Deutlich beherrschen neben den lebendigen Naturvergleichen (Weizenhaufen im Liliengehege, Zwillinge der Gazelle!) die Meisterwerke der bildenden Kunst als Maßstäbe die Darstellung. Werden der Hals und dann auch die Nase als Turm beschrieben, so ist weniger an das Aussehen als an die Haltung stolzer Unnahbarkeit gedacht, die vielleicht die Jungfräulichkeit betonen soll 13. Wie bewegt das Bild der Geliebten werden kann, ist besonders schön in Hhld 6,5b–7 zu erkennen: Dein Haar ist wie eine Herde von Ziegen, die vom Gilead springen. Deine Zähne sind wie eine Herde der Mutterschafe, die von der Schwemme heraufsteigen, alle haben sie Zwillinge. Wie eine Granatapfelscheibe schimmert deine Schläfe hinter deinem Schleier hervor 14.

So erzeugt die Freude an der Schönheit des geliebten Menschen auch Schönheit der Sprache. Doch Schönheit ist höchstens das Vorletzte. Sie kann nicht nur gefährlich (Gen 12,11 ff.), sie kann auch trügerisch sein. Spr 11,22 lehrt, tiefer zu sehen: Ein goldener Ring im Rüssel der Sau, eine Frau, die schön, aber schamlos ist.

Spr 31,30 weist auf das, was beständiger ist: Anmut ist trügerisch, Schönheit vergänglich: eine weise Frau, die soll man rühmen.

Und Jes 53,2 f. sagt gar von dem Gottesknecht, der »unsere Krankheiten getragen, unsere Schmerzen auf sich geladen hat«: Keine stattliche Gestalt besaß er, keine Hoheit, dass wir ihn beachtet hätten, kein Aussehen, an dem wir Freude hätten. Verachtet war er, von Menschen gemieden.

Die Schönheit Jerusalems, die mit Unzucht gepaart ist, kann unter Anklage gestellt werden (Ez 16,14 f.). Im Gericht müssen die Töchter 13. Vgl. Boman, Denken, 62 ff. 14. Übersetzung nach Gerleman, ebd.

Schönheit

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Zions Schönheit gegen Schande eintauschen (Jes 3,24) 15. So sind auch die Gestalt des Leibes und das Gespräch Gottes mit dem Menschen nicht voneinander zu trennen.

15. Zum Text vgl. Wildberger, BK X, 135 f.

§ 9 Das Wesen des Menschen 1 1. Sehen und Hören – 2. Ohr – 3. Mund – 4. Sprache

Weit wichtiger als der »Kopf« ist dem Alten Testament das »Angesicht« des Menschen2, das immer pluralisch pa¯nîm heißt und damit an die vielfältige Zuwendung (pnh) des Menschen zu seinem Gegenüber erinnert; Vorgänge spiegeln sich in den Gesichtszügen (z. B. Gen 4,5); der Partner kann schon mit dem Mienenspiel angesprochen werden (z. B. Gen 31,2.5). Im »Angesicht« als den pa¯nîm, den »Hinwendungen« des Menschen sind seine Kommunikationsorgane versammelt, unter denen Augen, Mund und Ohren die wichtigsten sind. Sollten wir nicht unter allen Organen und Gliedern eben hier dem nahekommen, was das Wesen des Menschen ausmacht und was ihn von allen anderen Geschöpfen unterscheidet?

1. Sehen und Hören Fragen wir beispielhafte Texte, welche Weise der Kommunikation als die eigentlich menschliche hervortritt. Unter den Klageliedern findet sich im 38. Psalm der Notschrei eines Menschen, der sein Ende nahen sieht. Zu allerlei anderen Krankheitserscheinungen tritt auch das Erlöschen des Augenlichts (V. 11). Auf dem Höhepunkt der Klage aber heißt es (V. 14 f.): Ich aber bin wie ein Tauber, ich höre nicht, wie ein Stummer, der seinen Mund nicht öffnet. Ja, ich bin wie ein Mann, der nicht mehr hört, in dessen Mund keine Antwort mehr ist.

Wer taub und stumm zu werden droht, der muss um sein eigentliches Menschsein bangen. Hören, hören (V. 14a.15a), das macht den Men1. 2.

Literatur: Johnson, Vitality, 40–50; Maass, ’a¯da¯m; von Rad, Weisheit; Moltmann, Mensch, 30–37.152–156 und Liedke, ’o¯´zæn. Vgl. Johnson, aaO 40 f. pa¯nîm kommt in seinen verschiedenen Verbindungen 2100 mal (KBL) und damit weit mehr als dreimal so oft wie ro’sˇ vor.

Sehen und Hören

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schen, und entsprechend den Mund öffnen, antworten können (V. 14b.15b). Von ganz anderer Seite her erkennt die Weisheit im Hören die Wurzel wahren Menschentums. Spr 15,32 lehrt: Wer Warnung verachtet, verwirft sein Leben (næpæsˇ), wer auf Weisung hört, gewinnt Vernunft (leb).

Ebenso gilt nach Spr 18,21a: Tod und Leben sind in der Zunge Gewalt.

Da menschliches Leben vernünftiges Leben ist, sind das hörende Ohr und die wohl orientierte Zunge die wesentlichen Organe des Menschen. Insofern nimmt das zentrale deuteronomische »Höre, Israel!« (Dtn 6,4) den ältesten Ruf an die Väter und die prophetischen Stimmen auf als das Wort, das wesentlich menschliches Leben begründet und erneuert. Denn mit dem Ohr und mit dem Mund geschieht nicht nur die spezifisch menschliche Korrespondenz unter Menschen, sondern auch die zwischen Jahwe und Israel, zwischen der Menschheit und ihrem Gott. So kann der Knecht Jahwes in Jes 50,4 f. als Modell des Menschlichen schlechthin stehen: Der Herr Jahwe hat mir eine Schülerzunge gegeben. Damit ich verstünde, dem Müden zu ›antworten‹3, erweckt er ein Wort. Morgen für Morgen weckt er mir das Ohr, zu hören wie die Schüler. Der Herr Jahwe hat mir das Ohr geöffnet, und ich widerstrebte nicht, wich nicht zurück.

Nun tritt das Auge gewiss nicht selten neben das Ohr (Spr 20,12): Das Ohr zum Hören, das Auge zum Sehen, beide hat Jahwe gemacht. 4

Auch zum Wahrnehmen der Taten Jahwes gehört das Sehen wie das Hören (Ex 14,13 f.; Dtn 29,1–3; Jes 43,8). Doch die Öffnung des 3. 4.

Mit LXX. Vgl. Ps 94,9.

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Das Wesen des Menschen

Auges geschieht durch das Wort: Ex 14,13 f.30 f.; Jes 43,8–13 (12!); 30,20 f. So ist die Prävalenz des Ohrs und der Sprache für wahrhaft menschliches Verstehen nicht zu verkennen.

2. Ohr Das Ohr wird gern durch Schmuck ausgezeichnet (Gen 35,4; Ex 32,2 f.; Ez 16,12). Aber auch ein Rechtsakt, der über lebenslängliche Zugehörigkeit entscheidet, kann am Ohr vollzogen werden: Wenn ein Sklave seinen Herrn und seine Familie liebt, so dass er, statt nach sechs Jahren freigelassen zu werden, andauernd im Hause bleiben möchte, »so soll ihn sein Herr an den Türpfosten stellen und ihm das Ohr mit einem Pfriemen durchbohren, so soll er für immer Sklave sein« (Ex 21,5 f., vgl. Dtn 15,17). Im Hiobbuch lässt uns Elifas miterleben, wie vom Ohr her der ganze Mensch mobilisiert wird (4,12–15) 5: Zu mir hat heimlich sich ein Wort gestohlen, es nahm mein Ohr davon ein Flüstern wahr, in Grübeleien nächtlicher Gesichte, wenn Tiefschlaf auf die Menschen niederfällt. Erschrecken widerfuhr mir und Erzittern, und brachte mir all mein Gebein zum Beben; ein Hauch glitt über mein Gesicht dahin, es sträubte sich das Haar an meinem Leibe.

Wie hier der auditive Wortempfang des Weisen vom Ohr her das gesamte körperliche Befinden verwandelt, so bestimmt das Hören das Verhalten und Ergehen des Menschen schlechthin (vgl. z. B. Gen 3,8–10). Darum ist es fundamentales Kennzeichen von Weisheit, dass Salomo die Bitte um das hörende Herz 6 wichtiger findet als langes Leben, Reichtum, Sieg oder Ehre. »Konstitutiv für die Menschlichkeit des Menschen ist das Hören« 7. Das Reden darf sich nicht vordrängen (Spr 18,13): Wer Antwort gibt, ehe er hört, Torheit ist’s ihm und Schande. 5. 6. 7.

Text und Übersetzung nach Horst, BK XVI/1. S. oben S. 85. Von Rad, Weisheit, 399, vgl. auch ders., Predigten, 81.

Ohr

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Der Mensch erkennt sich selbst nicht wahrhaft in einem Spiegel, sondern in dem Ruf, der an ihn ergeht, und in der Zusage, die er empfängt. Mose fragt wohl: »Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten führen soll?« – aber er versteht sich selbst erst im Wahrnehmen des Auftrags und im Zuspruch seines Gottes (Ex 3,11 ff.). Jeremias Selbsterkenntnis »ich bin unerfahren« wird korrigiert und überholt vom Sendungsbefehl (Jer 1,6 f.). Selbsterkenntnis ereignet sich nicht in Selbstbespiegelung, sondern in der Berufung, die eine neue Aussicht eröffnet 8. Der Mensch, der unter Verschluss des Ohres von sich selbst ausgeht und bei sich selbst bleibt, wird nicht nur unmenschlich unter Menschen, sondern vergottet auch sich selbst gegen Gott 9; so wird er noch in seiner Frömmigkeit gottlos (Spr 28,9): Wer fernhält sein Ohr vom Hören der Weisung, dessen Gebet sogar ist ein Greuel.

Er verkennt, was der Beter in Ps 40,7 verstanden hat: Schlachtopfer und Speiseopfer wolltest du nicht, – Ohren hast du mir gegraben.

Die deuteronomischen Prediger führen in ihrer Weise das Leben auf das Hören des Wortes Jahwes zurück, indem sie die Mannatradition neu interpretieren (Dtn 8,3) 10: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von allem, was aus dem Munde Jahwes ergeht, lebt der Mensch.

Versagen des Ohres wäre Absage an das Leben (Dtn 32,47, vgl. Am 8,11; Jes 55,10 f.). Zur endzeitlichen Erlösung gehört, dass die Ohren der Tauben aufgetan werden (Jes 35,5).

8. Vgl. Moltmann, Mensch, 30 ff. 9. Vgl. Moltmann, aaO 153 ff. 10. Vgl. von Rad, ATD 8, 51.

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Das Wesen des Menschen

3. Mund Das gehörte Wort aber erwartet Antwort. Als Gottes Volk erweist sich Israel, indem es auf die Anrede hin seine Bereitschaft erklärt 11 (Ex 19,7 f.; 24,3.7 u. ö.). Zum Gericht gerät es, wenn auf den Ruf keine Antwort erfolgt (Jes 65,12). Der Jahwist erkennt das Privileg des Menschen schlechthin darin, dass er zu Worte kommen darf (Gen 2,18–23): Es geschieht auf Grund des fürsorglichen Wortes Gottes (»Das Alleinsein ist nicht gut für den Menschen«), nach dem ihm die Gaben des Schöpfers zugeführt werden. Sein Sprechen beginnt damit, dass er die Geschöpfe benennt und so auf die Gaben antwortet. Zitierenswert werden seine Worte erst, als er im Jubel die Hilfe erkennt, die ihm wahrhaft entspricht (2,23). Mit dem Wort, das Antwort ist auf das vollendete Geschenk, ist der Mensch erst ganzer Mensch. Später wird der Mensch, dessen Leben gelingt, als der beschrieben, der an der Tora Jahwes seine Freude hat und sie meditierend in sich hineinspricht (Ps 1,2). Ps 71,24 sieht die Lebenserfüllung darin, dass »meine Zunge den ganzen Tag deine Gerechtigkeit erzählt«. So wird der Mund, der zur Sprache bringt, was Ohr und Auge vernommen haben, zu dem Organ, das den Menschen vor allen anderen Geschöpfen auszeichnet. Ein Ohr als solches hat auch das Tier, ebenso ein Auge. Erst in des Menschen Sprache kommt an den Tag, dass sein Ohr ein wahrhaft menschliches Ohr und sein Auge ein menschliches Auge ist 12. Kennt das Alte Testament für Ohr und Auge nur jeweils ein Wort, so tritt als Werkzeug der Sprache eine ganze Gruppe von Gliedern auf. Umfassend ist pæh Mund, mit dem der Mensch auch isst und schmeckt (Ez 3,3), vor allem aber spricht; so ist pæh geradezu »der 11. Vgl. Barth, Antwort Israels. 12. Vgl. Bierwisch, Strukturalismus, 71: »Daß die Spracherlernung durch biologische Dispositionen bedingt ist, die keineswegs auf die äußeren Organe beschränkt sind, sondern tiefliegende neurophysiologische Strukturen umfassen, ist durch klare Indizien zu erhärten. Zunächst ist die Fähigkeit der Spracherlernung eine gattungsbedingte Eigenschaft der Hominiden. Kein anderes Lebewesen ist in der Lage, auch nur Teile einer natürlichen Sprache zu erlernen. Die Sprachfähigkeit ist demnach mit bestimmten Spezifika der menschlichen Erbanlage verbunden.«

Sprache

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Sprecher« (Ex 4,16: Aaron ist Moses Sprecher; Jes 1,20; 40,5; Jer 9,11; Hos 6,5: die Propheten sind Jahwes Sprecher). Gleichbedeutend ist oft ´s epa¯tayim (Spr 4,24): Tu ab von dir Falschheit des Mundes, und entferne Verkehrtheit der Lippen.

Wie ´sa¯pa¯h die berührbare Lippe bezeichnet (Jes 6,7), so steht das Wort auch für die Sprache als solche (Jes 19,18: die Sprache Kanaans). Das gleiche gilt für la¯ˇsôn (Sach 8,23: die Sprache der Völker), die Zunge, die als Körperglied vor Durst am Gaumen kleben kann (Klgl 4,4), aber vor allem das rechte (2 Sam 23,2; Jes 35,6) oder falsche Reden meint (Ps 5,10; 12,4; 109,2; Jes 59,3; Spr 6,17). Auch der Gaumen (hek) ist nicht nur Sitz des Geschmacks (Ps 119,103), sondern ebenso˙ Werkzeug der Sprache (Hi 6,30; 31,30; Spr 5,3; 8,7, vgl. Hi 33,2). Schließlich gehört die Kehle (ga¯rôn), mit der der Mensch auch trinkt (Jer 2,25), zu den Sprachorganen (Jes 58,1; Ps 69,4; 149,6). Keine menschliche Tätigkeit hat mithin so viele Organbezeichnungen wie die Sprache. Auf der anderen Seite werden von keinem menschlichen Körperteil so viele verschiedenartige Tätigkeiten ausgesagt wie vom menschlichen Mund mit Lippen, Zunge, Gaumen, Kehle, sofern sie Sprachorgane sind: reden (dbr pi.), sagen (’mr), rufen (qr’), befehlen (swh pi.), lehren (lmd pi.), unterweisen (yrh hi.), zurechtweisen (ykh ˙hi.), ˙ als anklagen (rîb), schwören (sˇb2 ni.), segnen (brk pi.), fluchen (’rr), verflucht bezeichnen (qll pi.), singen (sˇîr), rühmen (hll pi.), jauchzen (rnn), bekennen (ydh hi.), beten (pll hitp.), schreien, klagen (z2q, s2q, ˙ sdp), murmeln (hgh) und manche andere. Die meisten dieser Verben werden nicht von anderen Geschöpfen ausgesagt. Damit dürfte deutlich sein, dass wir im menschlichen Sprachorgan dem spezifischen Wesen des Menschen besonders nahe kommen. In der Fähigkeit zur Sprache ist die entscheidende Bedingung für die Menschlichkeit des Menschen gegeben.

4. Sprache Ob sie verwirklicht wird, das ist die Frage an den rechten Gebrauch der Sprache (Jak 3,2):

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Das Wesen des Menschen

Wenn einer beim Reden sich nicht verfehlt, der ist ein vollkommener Mann, fähig, auch den ganzen Leib im Zaum zu halten.

Was gilt der alttestamentlichen Spruchweisheit als das rechte Wort? Zuerst das Wort, das vom Hören herkommt, s. oben S. 124 zu Spr 18,13, ferner 19,20: Höre auf Rat und nimm Warnung an, dass dein Ende das eines Weisen sei. 13

Sodann das Wort zur richtigen Stunde (Spr 25,11): Goldene Äpfel auf silbernen Schalen, ein Wort, gesprochen zur rechten Zeit. 14

Zum dritten das ruhig bedachte, gezügelte Wort (Spr 29,20): Siehst du einen, der mit seinen Worten hastet, für einen Toren gibt’s mehr Hoffnung als für ihn. 15

Zum vierten das gemäßigte, freundliche Wort (Spr 25,15): Durch Geduld wird ein Fürst überredet, und eine sanfte Zunge zerbricht Knochen.16

Zuletzt bedarf die rechte Rede wie alles weise Tun der Gottesfurcht (Spr 1,7; 9,10; 15,33). Auf den Lippen des Nichtsnutzigen brennt versengendes Feuer (16,27). Aber auch noch zwischen dem Wort, das des Menschen Klugheit insgeheim entwirft, und dem, was dann von der Zunge geht, ist Gott am Werk (Spr 16,1): Der Menschen Sache sind die Überlegungen des Herzens, doch von Jahwe kommt der Bescheid der Zunge.

So bleibt der Mensch, wenn er sein eigentliches Wesen weder im Übermut noch in Trägheit verfehlen will, angewiesen auf den Gott, der in Israel menschlich mit ihm zu reden begonnen hat.

13. 14. 15. 16.

Vgl. Spr 15,32; 13,18. Vgl. Spr 25,12 f.20; 15,23. Vgl. Sp 10,19; 13,3. Vgl. Spr 16,24.

II. Des Menschen Zeit Biographische Anthropologie

§ 10 Der alttestamentliche Zeitbegriff 1 1. Jahwist – 2. Priesterschrift – 3. Deuteronomium – 4. Deuterojesaja – 5. Kohelet

Die alttestamentlichen Zeugen wecken in kräftigem Maße das Bewusstsein dafür, dass der Mensch sein Leben in der Zeit lebt, in wechselnden Zeiten. An markanten Beispielen suchen wir zunächst zu klären, wie sich das Zeitverständnis zur Anthropologie verhält.

1. Jahwist Wir setzen ein beim Jahwisten. Das Zeitproblem beschäftigt ihn noch nicht theoretisch. Um so auffälliger ist, was er sachlich zum Leben des Menschen in der Zeit zu sagen hat. Ehe er zu Beginn seines Werks die Erschaffung des Menschen erzählt (2,7), stellt er deren Termin fest (2,4b): »Am Tage, da Jahwe Gott Erde und Himmel machte.« Der »Tag« wird nicht als Zeitraum im Kalender eingeführt, also nicht als ein physikalischer Zeitbegriff, sondern ausschließlich als Zeitraum eines Ereignisses, und zwar zunächst des Ereignisses einer göttlichen Tat. Dazu kommt eine negative Terminbestimmung (V. 5): »noch gab es keinen Strauch und kein Kraut auf der Erde, weil Jahwe Gott noch nicht hatte regnen lassen auf Erden und kein Mensch da war, den Acker zu bearbeiten«. Danach wird der Lauf der Zeit als ein Handlungsspielraum erfahren, in dem die von Gott und von Menschen bewirkten Ereignisse Veränderungen heraufführen. Mit des Menschen Bildung und Belebung (2,7) beginnen dann die Zeiten, in denen sich die Verhältnisse wandeln. Mit einem Minimum an Begrifflichkeit und einem Maximum von Anschaulichkeit zeigt sich beim Jahwisten, wie Zeit vom Menschen primär erlebt wird. 1.

Literatur: Vollborn, Zeitverständnis; Ratschow, Zeitproblem; Eichrodt, Heilserfahrung; Muilenburg, Time; Barr, Time; Sekine, Zeitauffassung, 66–82; Boman, Denken, 104–133.140–142.209–212; Wilch, Time; von Rad, Weisheit, 182–188.295–306 und Delling, chrónos.

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Der alttestamentliche Zeitbegriff

In der Paradieserzählung wird zunächst des Menschen Lebenszeit erfüllt mit der Pflege, dem Schutz und dem Genuss des ihm übereigneten, überreichen Gartens (2,15 f.). Sie wird allerdings durch die Todesstrafe begrenzt, falls er die Grenze der paradiesischen Schenkung im Misstrauen überschreitet (2,17). Dieser Fall, mit dem der Mensch sich übermütig an die Stelle Gottes setzt, tritt ein (3,1 ff.). Doch von der verfügten Todesstrafe ist nicht die Rede. Der Mensch muss nur die Mühsal dessen erfahren, der sein Leben gottlos und damit grenzenlos in die eigene Hand nimmt (3,15–19). Aber die mit seiner Erschaffung aus dem Erdenstoff gesetzte Lebenszeit (3,19) 2, die auf Dauer zu überschreiten ihm allerdings nie gelingen soll (V. 22.24), wird nicht verkürzt. Nur wird er aus dem Garten hinausgeschickt (3,22–24), aber mit einem Fellgewand von Gott selbst eingekleidet und also weit besser geschützt als mit dem selbstgefertigten Feigenblattschurz (3,21, vgl. V. 7). So erscheint auf dem Hintergrund der verdienten Todesstrafe seine Lebenszeit als unverdient geschenkte und geschützte Zeit. Ebenso ergeht es Kain. Das Blut seines Bruders schreit zwar nach Rache; er muss fürchten, dass ihn erschlägt, wer immer ihn findet (4,10.14). Aber Jahwe sichert selbst das schon verwirkte Leben des Mörders mit einem Schutzzeichen und droht siebenfache Rache an (V. 15). Selbst der Brudermörder erfährt also geschenkte und geschützte Lebenszeit. Nach der großen Flut ist die Gestalt des menschlichen Denkens und Wollens 3 »böse von Jugend auf«; der Anlass des göttlichen Vernichtungswillens besteht also unverändert (vgl. Gen 8,21 mit 6,5). Nun ändert Jahwe wieder zugunsten des Menschen seinen Entschluss; er will nicht mehr alles Leben schlagen, sondern erklärt (8,22): In Zukunft sollen während der ganzen Erdenzeit Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht nicht mehr aufhören.

Die Ackerbaukultur lebt von der Wiederkehr der Tages- und Jahreszeiten. Der Menschheit wird die Wohltat des Wechsels gegliederter 2. 3.

Vgl. 2,7 und unten S. 174 f. S. oben S. 90.

Jahwist

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Zeiten gegönnt. Hier äußert sich der Jahwist einmal grundsätzlich über »alle Tage der Erde«. Als des Menschen Lebenszeiten sind sie unabänderlich verfügte Schenkung des Retters aus dem Weltgericht. Unabänderlich fordern sie die Veränderungen heraus, die der Mensch zum Wirken und zum Ruhen, zur anstrengenden Saat und zur beglückenden Ernte (Ps 126,6: Tränensaat und Jubelernte), zum Rückzug ins Haus und zum Auszug aufs Arbeitsfeld benötigt. Über diesen unabänderlichen, zyklischen Wechsel hinaus aber beobachtet der Jahwist mit angespanntem Interesse das zuvor nie dagewesene Neue. Aufs Ganze seiner Geschichtsdarstellung gesehen gehört schon die Unaufhörlichkeit der Lebensbedingungen nach Gen 8,22 als Aufhebung eines Fluches (8,21) zu diesen Neuanfängen. Doch es fällt überhaupt auf, wie oft er das »anfangen« (hll hi.) von etwas bislang Unbekanntem notiert: Gen 4,26 »damals ˙begann man, den Namen Jahwes anzurufen«; 6,1 »als die Menschheit anfing, sich auf der Erde zu vermehren …«; 9,20 »Noah begann als Ackerbauer, Weinreben zu pflanzen«; 10,8 Nimrod »machte den Anfang damit, ein Gewaltherrscher auf Erden zu sein«; 11,6 der Stadt- und Turmbau zur Selbstsicherung und zum Selbstruhm als Einheitswerk der Menschheit ist erst »der Anfang ihres Tuns«, vgl. 13,3; 43,18.20; Num 25,1: bei der Landnahme fing das Volk Israel an, mit den Moabiterinnen zu huren und sich mit dem Abgott Baal Pegor einzulassen. Die starke Beachtung der Änderungen im Zeitverlauf zeigt sich mit dem Stichwort »neu« (ha¯da¯ˇs) im Anfang der Geschichte Israels, da »ein neuer ˙ König in Ägypten zur Herrschaft kam, der von Josef nichts wusste« (Ex 1,8). Höchst bezeichnend für das Interesse an Ereignissen, die in ihrem zeitlichen Verlauf konkurrieren, ist die Vorliebe für das im übrigen Pentateuch seltene Wort tæræm (noch nicht, bevor), das wir schon in Gen 2,5 antrafen 4. ˙Gen 24,15: Noch bevor Abrahams Knecht bei seiner Brautwerbung für Isaak zu Ende gebetet hatte, da kam Rebekka heraus (vgl. 19,4; 27,4.33; 37,18; 45,28; Num 11,33). Vor allem in den Plagenerzählungen als Vorbereitung des Auszugs Israels aus Ägypten verdient der Vergleich von Geschehnissen in der Zeitfolge mit tæræm (noch nicht, bevor) Beachtung. In Ex 9,30 sagt Mose bei der˙ Hagelplage zu Pharao: »Ich weiß, dass ihr euch noch nicht vor dem Gott Jahwe fürchtet.« Bei der Heuschreckenplage fra4.

S. oben S. 131.

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Der alttestamentliche Zeitbegriff

gen die Diener den Pharao (Ex 10,7): »Siehst du denn noch nicht, dass Ägypten zugrunde geht?« Schließlich nimmt in der Eile des Aufbruchs das Volk sehr charakteristisch und folgenreich seinen Teig, bevor er durchsäuert war (Ex 12,34). Aber auch ganz ohne temporale Kennworte kann der Jahwist den großen Geschichtsverlauf der Menschheit und Israels in seiner Wechselwirkung und mit seinem entscheidenden Umbruch darstellen, indem er den Erzählungen vom Gericht und der Geduld Gottes mit den Menschen im Einsatz der Abrahamsgeschichte die Segensverheißung für alle Sippen der Erde folgen lässt (Gen 12,3b), die dann in einer Reihe vorläufiger Erfüllungen verwirklicht wird, im Ganzen aber noch als Kerygma der Hoffnung und des Ansporns Israel und seiner Umwelt verkündet wird 5. So ist für den Jahwisten die Geschichte eine veränderlich-verändernde, zielgerichtete Ereignisfolge, die als Zeit vor allem geschenkte Lebensmöglichkeit für den Menschen darbietet. Dabei benutzt der Jahwist das Wort »Zeit« ( 2et) selten, etwa in der Verbindung »Abendzeit« (Gen 8,11; 24,11) oder »morgen um diese Zeit« (Ex 9,18) zur chronologischen Terminierung eines Geschehnisses6, oder aber – und das, liegt mehr in Richtung seines grundsätzlichen Zeitverständnisses – als »Zeit zum Zusammentreiben des Viehs« (Gen 29,7), als »Zeit zum Gebären« (Gen 38,27), wobei »Zeit« den Sinn der günstigen Gelegenheit hat7.

2. Priesterschrift Ein reflektiertes und differenziertes Zeitverständnis finden wir in der Priesterschrift. Sie zeigt zunächst ein Interesse an chronologisch-kalendarischen Daten als Rahmen der Geschichte. Ihr ist wichtig, dass 5. 6. 7.

Vgl. Wolff, Jahwist. Sekine, Zeitauffassung, 67 f. spricht vom zeitlichen Rahmen als der äußeren Zeit. Vgl. Wilch, Time, 164: »The Word 2¯eth was used in the OT in order to indicate the relationship or juncture of circumstances, primarily in an objective sense and only secondarily in a temporal sense, and to direct attention to a specifically definite occasion or situation.«, s. dazu schon Jes 49,8 und 2 Kor 6,1 f.

Priesterschrift

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Israel 430 Jahre in Ägypten lebte (Ex 12,40 f.) und dass es im dritten Monat nach dem Auszug in der Wüste Sinai ankommt (Ex 19,1), dass Abraham 99 Jahre alt war, als Jahwe ihm erschien und er beschnitten wurde (Gen 17,1.24), dass Ismael bei seiner Beschneidung 13 Jahre alt war (V. 25), Isaak dagegen 8 Tage alt (Gen 21,4), dass Sara in ihrem 127. Lebensjahr starb (23,1) und Abraham in seinem 175. Jahr (25,7). Für den Gesamtaufriss der Priesterschrift werden die Genealogien geradezu Gliederungsprinzip: die tôl edôt Adams (Gen 5,1), Noahs (6,9), der Noah-Söhne (10,1), Sems (11,10), Terachs (11,27), Ismaels (25,12), Isaaks (25,19), Esaus (36,1), Jakobs (37,2), Aarons und Moses (Num 3,1) 8. Vorgeordnet werden ihnen mit dem gleichen Kennwort die tôl edôt als Entstehungsgeschichte von Himmel und Erde (Gen 2,4a). Innerhalb dieses ersten Stückes bringt das Werk eine weitere bedeutsame Aussage über die Zeit. Am vierten Schöpfungstage werden die Gestirne erschaffen. Ihre erste Funktion ist die der Scheidung zwischen Tag und Nacht (1,14a), ihre zweite die Ordnung der Festzeiten, die Bestimmung der Tage und Jahre (V. 14b). Sie gliedern also die Zeiten und ermöglichen die Feststellung der Termine, nehmen also Kalenderfunktionen wahr. Damit gehört die geordnete Zeit zu den Schöpfungsgaben Gottes (vgl. Ps 74,16 f.; 104,19) 9. Dieses theologische Verständnis der gegliederten Zeit ermöglicht eine Qualifikation verschiedener Zeiten. So hat die priesterschriftliche Schöpfungserzählung nicht nur die einzelnen Schöpfungswerke in die Abfolge sechs verschiedener Tage hineingestellt, sondern sie hat vor allem den siebenten Tag als Ruhetag von den Werktagen Gottes betont abgehoben 10. Bei der Sinaioffenbarung weilt Mose zunächst sechs Tage in der Wolkenhülle verborgen auf dem Berge, erst am siebenten Tage erreicht ihn der Ruf Jahwes aus der Wolke heraus. Dann bleibt Mose 40 Tage und 40 Nächte auf dem Berge, um ausführliche Anweisungen von Jahwe zu erhalten (Ex 24,16–18). So helfen dem priesterlichen Zeugen die Zeiten als Schöpfungsgeschenk Gottes zur Orientierung in der Geschichte und zur Erkenntnis ihrer Qualifikation. 8. Nach Noth, ATD 7, 31 sekundär. 9. Vgl. von Rad, Tag, 946. 10. Vgl. Westermann, BK I, 235 und unten S. 202 ff.

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Der alttestamentliche Zeitbegriff

3. Deuteronomium Die deuteronomischen Prediger denken gründlich über das Verhältnis zur Vergangenheit und zur Zukunft nach. Dabei sind sie leidenschaftlich am »Heute« interessiert. Allein in den Rahmenstücken des deuteronomischen Gesetzes (4,44–30,20) erscheint hayyôm (heute) 35 mal, hayyôm hazzæh (dieser-heutige-Tag) 6 mal, dazu im Gesetzescorpus selbst (12–26) hayyôm 9 mal, hayyôm hazzæh einmal; insgesamt findet sich im Buche Deuteronomium hayyôm 58 mal und hayyôm hazzæh 12 mal, also 70 mal »heute«. So prägt das Wort in vielfacher Variation die Gültigkeit der Mosebotschaft ein (5,1–3): Höre, Israel, die Bestimmungen und Satzungen, die ich euch heute zu Gehör bringe, lernt sie und achtet darauf, sie zu befolgen! Jahwe, unser Gott, hat am Horeb mit uns einen Bund geschlossen. Nicht mit unseren Vätern schloss Jahwe diesen Bund, sondern mit uns, die wir heute hier alle am Leben sind.

Mit der Unterscheidung von der Väterzeit wird die Neuigkeit des Heute betont; die entscheidende Bedeutung aber erhält das Heute durch die Gegenwärtigkeit des den Bund schließenden Gottes. »Heute« dem nahen Wort zu folgen, das bedeutet Leben und Glück für den Hörer (30,11–20). Um die restlose Aktualität der gegenwärtigen Stunde zu erkennen, darf der Hörer allerdings die Geschichte nicht vergessen (9,7 ff.): Denke daran, vergiss es nicht, wie du Jahwe, deinen Gott, in der Steppe erzürnt hast, seit dem Tage, wo du aus Ägypten wegzogst …

Eine Geschichte der Widerspenstigkeit Israels, der Fürsprache des Mose und der neuen Zuwendung Gottes soll der gegenwärtigen Generation vor Augen stehen. Nicht als »Vergangenheit« wird solche Geschichte gewertet, sondern als etwas Vorgegebenes, Einsehbares, ohne das ein neues Hören in der Gegenwart verfehlt wird. Wer das Bedenken durchlebter Geschichte vergisst, verfehlt im Heute die Zukunft (8,19): Wenn du Jahwes, deines Gottes, völlig vergissest, … so versichere ich euch heute feierlich, dass ihr zugrunde gehen werdet.

Der Verlässlichkeit Jahwes wegen ist der Gott der Geschichte als Gott heute auch der, der die Zukunft beherrscht. Da er seinen Bundeswil-

Deuteronomium

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len verkündet, gestaltet sich Künftiges im heutigen Dialog mit dem Menschen (7,9–11): So erkenne denn, dass Jahwe, dein Gott, der wahre Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Huld bis auf tausend Generationen denen bewahrt, die ihn lieben und seine Gebote halten, der aber ›dem, der ihn hasst‹ 11, an seiner eigenen Person vergilt … So bewahre denn das Gebot …, das ich dir heute zu befolgen anbefehle.

An der guten Zukunft nimmt der einzelne als Glied des Gottesvolkes teil; der Ungehorsame schert für seine Person aus. Das heute verkündete Wort schließt die gegenwärtige Generation ausdrücklich mit den künftigen Generationen zusammen, denen das Wort ebenso gilt (29,13 f.): Nicht allein mit euch schließe ich diesen Bund und eidlichen Vertrag, sondern sowohl mit denen, die heute mit uns hier vor Jahwe, unserem Gotte, stehen, als auch mit denen, die heute noch nicht mit uns hier anwesend sind.

So ist durch die deuteronomischen Prediger der Mensch, der wachsam im Heute lebt, als Glied des Gottesvolkes fest hineingebunden in das seiner Generation vorangehende Geschehen und ebenso in das Kommende. Aber im Aufmerken auf das »heute« ergehende Wort und im Bedenken der Vätergeschichte fällt die Entscheidung über sein künftiges Leben. Dtn 29,28 entwickelt und verdichtet diese Gedanken über Gegenwart, »Vergangenheit« und Zukunft in dem Lehrsatz: Das Verborgene steht bei Jahwe, unserem Gott, das Enthüllte aber gilt uns und unseren Kindern auf immer.

Das Verborgene meint die Zukunft, das Enthüllte aber ist das in der einsehbaren Geschichte ergangene Wort der Zusage und Orientierung 12. Hier zeigt sich ein anderes Verhältnis zu den Zeiten, als es uns geläufig ist. Es wird in einem verbreiteten Sprachgebrauch des Alten Testaments noch deutlicher. Der Israelit sieht die früheren Zeiten als Gegebenheit vor sich, während wir meinen, sie als Vergangenheit hinter uns zu haben. Ps 143,5: 11. S. BHK. 12. Vgl. Janssen, Juda, 74 ff.

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Ich gedenke der Tage vor mir (miqqædæm), ich bedenke alle deine Werke.

Die Zukunft hingegen liegt für den Israeliten nicht »vor« ihm, sondern in seinem Rücken (’ahar). Nach Jer 29,11 sagt Jahwe: ˙ Ich kenne die Gedanken, die ich für euch plane, Pläne des Friedens und nicht des Unheils, dass ich euch gebe ’aharît und Hoffnung. ˙

Mit ’aharît ist das Künftige als das Rückwärtige, das hinter mir folgt, ˙ 13. Eine ähnliche Anschauung vertritt ein schmaler Sektor bezeichnet des deutschen Sprachgebrauchs, der »Vorfahren« und »Nachfahren« kennt. Nach dieser Sicht bewegt sich der Mensch durch die Zeiten wie ein Ruderer, der sich rückwärts in die Zukunft bewegt: er erreicht das Ziel, indem er sich orientiert an dem, was einsichtig vor ihm liegt; diese enthüllte Geschichte bezeugt ihm den Herrn der Zukunft.

4. Deuterojesaja Deuterojesaja führt die Klärung des Zeitverständnisses weiter. Er setzt Vergangenheit und Zukunft neu in Beziehung (Jes 46,10): Der von Anfang an die Nachzeit (’aharît) kundgetan, und seit der Vorzeit (miqqædæm)˙ das noch Ungeschehene.

Die Nachzeit, zuvor dem Menschen verhüllt, tritt jetzt ins Licht der prophetischen Verheißungen der Vorzeit. Jetzt kann daher auch erstmalig im Hebräischen der Begriff der »Zukunft« gebildet werden: habba¯’ôt, das Kommende (so nur Jes 41,22, vgl. aber noch 44,7b) 14. Die künftigen Ereignisse selbst bewegen sich also zuerst auf den 13. Vgl. Jenni, ’hr, 115 (’aharît = was nachher kommt), vgl. ferner die Diskussion ˙ ˙ zwischen Boman, Denken, 128 f. 210 f. und Barr, Bibelexegese, 82 f. Im weiteren Zusammenhang verdient die »biblisch-theologische Meditation über die Erinnerung« von Bohren, Predigtlehre, 160 ff. Beachtung: »Das Erinnern lehrt die Sprache der Hoffnung. Erinnerung ist die Begeisterung für das Alte auf das Künftige hin, ist Sage auf Weissagung hin, ein Rückschritt nach vorwärts!« (163). 14. Vgl. Elliger, BK XI, 184 f.238 f.

Deuterojesaja

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Menschen zu; der Mensch ist nicht von sich aus auf sie hin ausgerichtet. Erst wer die Verheißung gehört hat, wendet sich dem, was bisher uneinsehbar im Rücken lag, erwartungsvoll zu. Jetzt wird auch das Künftige als »das Neue« (hada¯ˇsôt) definiert (42,9; 43,19); es ist das ˙ bisher unbekannte Verborgene (48,6), das – jetzt verkündet – das Frühere (43,18 f.) in Vergessenheit geraten lässt. So führt die prophetische Verheißung das Zeitverständnis weiter, indem sie die Hinwendung zur Zukunft des Neuen eröffnet. In diesem Zusammenhang gewinnt bei Deuterojesaja und dann auch in den tritojesajanischen Dokumenten der alte Begriff 2ôla¯m theologisch erhöhte Bedeutung. Er besagt nicht Ewigkeit als zeitlose, d. h. unveränderliche Zeit, auch nicht als die gegenwärtig verborgene Zeit, sondern 2ôla¯m bedeutet vor allem die fernste Zeit, und zwar sowohl für die Vergangenheit wie für die Zukunft15. So heißt es Ps 93,2: Dein Thron steht fest seit je (me’a¯z), seit fernster Vorzeit (me2ôla¯m) bist du.

In Gen 3,22 sagt Jahwe, der Mensch solle nicht bis in fernste Zukunft leben (l e 2ôla¯m), vgl. Gen 13,15; Ex 14,13; 19,9. l e 2ôla¯m kann dann auch auf den äußersten Zeitpunkt des menschlichen Lebens, den Tod, hindeuten und wird so zum Rechtsterminus »endgültig« (Ex 21,6) 16. In diesem Sinne kann dann Deuterojesaja »das Wort unseres Gottes« als endgültig (l e 2ôla¯m) bezeichnen (40,8), ebenso seine Errettung (51,6), seine Rechtshilfe (V. 8), seine Treuverbundenheit (54,8) und seinen Bund (55,3). Damit nähert sich der Grenzbegriff, der den äußerst denkbaren Ausgangspunkt oder Zielpunkt angibt, der Bedeutung der nicht endenden Zeit. Wie die Zeit als vergängliche nicht ohne schmerzliche Erfahrungen ist, so gewährt die unendliche Treuverbundenheit und das Erbarmen Jahwes »Freude ohne Zeit« (vgl. Ps 118,1 u. ö. Jes 51,11; 55,12 f.; 61,7 f.) 17.

15. Vgl. Jenni, 2ôla¯m. 16. S. oben S. 124. 17. Vgl. Moltmann, Schöpfung, 42 f.

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Der alttestamentliche Zeitbegriff

5. Kohelet Die späte Weisheit befasst sich eingehend mit dem Problem der Zeit. Schon Deuterojesaja (40,6–8) hatte die Vergänglichkeit allen Fleisches der Beständigkeit des Wortes Gottes gegenübergestellt. Hiob klagt (14,1 f.): Der Mensch, vom Weibe geboren, arm an Tagen, satt von Sorgen, blüht wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten, ohne Bestand.

Aber Kohelet ist es, dem die Frage der Zeit zum selbständigen Thema gerät. Er betont zunächst, dass für alles und jedes Zeit und Stunde gesetzt sind. Jede »Zeit« ( 2et) und jede »bestimmte Stunde« (zema¯n) 18 meinen nicht leere Kategorien, sondern die je gegebenen Gelegenheiten für ein Ereignis, ja, einen Aspekt des Ereignisses 19. Das verdeutlicht Pred 3,1–8: Für alles gibt’s eine Stunde, und eine Zeit hat jedes Geschäft unter dem Himmel. Zeit fürs Gebären und Zeit fürs Sterben, Zeit fürs Pflanzen und Zeit, Gepflanztes auszureißen, Zeit fürs Töten und Zeit fürs Heilen, Zeit fürs Niederreißen und Zeit fürs Aufbauen, Zeit fürs Weinen und Zeit fürs Lachen, Zeit fürs Klagen und Zeit fürs Tanzen, Zeit, Steine zu werfen und Zeit, Steine zu sammeln, Zeit fürs Umarmen und Zeit, fern zu sein vom Umarmen, Zeit fürs Suchen und Zeit fürs Verlieren, Zeit fürs Bewahren und Zeit fürs Wegwerfen, Zeit fürs Zerreißen und Zeit fürs Nähen, Zeit fürs Schweigen und Zeit fürs Reden, Zeit fürs Lieben und Zeit fürs Hassen, Zeit für den Krieg und Zeit für den Frieden.

Solche Erkenntnis unterschiedlicher Zeiten für gegensätzliches Tun kommt aus der Erfahrung einer Grenze des Menschen20. Ihm gelingt 18. Vgl. Galling, Zeit. 19. Vgl. Wilch, Time, 117 ff. 20. Vgl. von Rad, Weisheit, 183. Zur persönlich engagierten, »kritischen Individualität« Kohelets als eines »scharfen Beobachters und eigenständigen Den-

Kohelet

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nicht alles zu jeder Zeit in gleicher Weise, weil dem Erfolg und dem Misserfolg verschiedene Zeiten als verschieden günstige Gelegenheiten zugeordnet sind; auch kann sich der Mensch nicht zu jeder Stunde gleichartig verhalten, weil ihm selbst Gegensätzliches widerfährt. Nicht der Mensch setzt die verschiedenen Zeiten fest; sie kommen auf ihn zu und er kann nicht eingreifen 21. Das bringt ihn in größte Schwierigkeiten (3,9 f., vgl. 8,6 f.). Diese Plage hat Gott ihm auferlegt (3,10), denn er hat sowohl die Zeiten gesetzt wie dem Menschen das Bewusstsein vom Wechsel der Zeiten gegeben. Dadurch ist der Umgang des Menschen mit der Zeit außerordentlich kompliziert (3,11): Alles hat er (Gott) trefflich gemacht für seine Zeit. Auch die fernste Zeit (ha¯ 2ola¯m) hat er ihnen ins Bewusstsein (belibba¯m) 22 gegeben, nur dass der Mensch das Werk, das Gott tut, nicht vom Anfang bis zum Ende erfassen kann.

Das Verwirrende liegt darin: Gott hat jeder Stunde ihr Geschäft zugeordnet und so ist es trefflich. Dem Menschen aber hat er die Gabe, »über die Stunde hinaus zu fragen nach Vergangenheit und Zukunft«23, zuteil werden lassen; diese Fähigkeit aber, ja, dieser Trieb, weiter zu denken als an die gegenwärtige Stunde, erweist sich als schwere Mühsal. Denn das Ganze des göttlichen Werkes und den Sinn des Wechsels der Zeiten kann der Mensch doch nicht begreifen. Das macht seine Not im Umgang mit der Zeit aus: in der gegenwärtigen Stunde grübelt er über das Vorher und über das Nachher, ohne den Gesamtzusammenhang erfassen zu können; und dabei entgeht ihm sogar die eigene, gegenwärtige Stunde. In die Ferne blinzelnd wird er auch als Weiser blind für die Gefahr des Augenblicks und geht ins Netz wie Fisch und Vogel (9,11 f.). (Jeremia hat ausgespro-

kers« vgl. Hengel, Judentum, 214. Von Rad, aaO 305, hat demgegenüber auf den Verlust an Vertrauen bei Kohelet aufmerksam gemacht, wodurch die Widerfahrnisse nicht nur anders ›erscheinen‹, sondern selbst anders werden. Mithin wird auch die Erkenntnisgrenze deutlicher. 21. Vgl. Zimmerli, Weltlichkeit, 54 f. Die häufige Formel »zu seiner Zeit« meint die »rechte« Zeit, wie sie etwa für die Ernte oder für die Mahlzeit vorgesehen ist (Hos 2,11; Ps 1,2; 145,15 u. ö.). 22. S. oben S. 87 f. 23. Zimmerli, ATD 16/1, 172.

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chen, dass Storch, Schwalbe und andere Zugvögel klüger sind als Menschen in Israel: Jer 8,7). Aber selbst wenn der Mensch die Stunde erkennt, so kann er ihr Geschick doch nicht abwenden; es ist längst bestimmt von einem Stärkeren (6,10). Welche Konsequenz zieht Kohelet daraus? Weder die des nihilistischen Hedonismus noch die der skeptischen Resignation. Der Mensch hat sich der guten wie der bösen Tage in der Erkenntnis der unvertauschbaren Gelegenheiten zu stellen (7,14). Erster Sinn der Schöpfung der Zeiten wie des menschlichen Bewusstseins ist es, dass der Mensch sich vor Gott zu »fürchten« habe (3,14), d. h. dass er sich seinen Fügungen aufschließe (7,14): Am guten Tag sei guter Dinge und am bösen Tag sieh ein, dass Gott auch diesen genau wie jenen gemacht hat.

Hier kommt auch schon das Zweite zur Sprache: Für die guten Stunden sollte der Mensch ganz bereit und empfänglich sein, im Nehmen wie im Geben. Am schönsten spricht das 9,7–10 aus: Auf denn, iss dein Brot mit Freuden, trinke guten Mutes deinen Wein! Denn seit je gefällt es Gott, wenn du so tust. Trage jederzeit weiße Kleider, und Öl fehle nicht auf deinem Haupte! Genieße das Leben mit der Frau, die du liebst, alle Tage deines flüchtigen Lebens, die er dir unter der Sonne gegeben hat … Denn das ist dein Anteil am Leben und an der Mühe, die du dir unter der Sonne machst. Alles, was deine Hand zu tun findet, das tue, solange es in deiner Macht steht.

In der Fügung unter Gottes Bestimmungen und in der Empfänglichkeit für die guten Gelegenheiten zeigt Kohelet die einzige Möglichkeit für den weitblickenden Skeptiker auf, mit seiner Zeit umzugehen. Er nimmt darin Wesentliches aus der älteren Weisheit auf (Spr 15,15): Des Bedrückten Tage sind allesamt böse. Aber guter Mut ist ein stetes Fest.

Mitten in den Rätseln, die gerade Gott mit dem Zeitverlauf dem Weisen aufgibt, ist es zuletzt allein Gott selbst, der dem Menschen ermög-

Kohelet

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licht, das Nötige zu schaffen und allen Widrigkeiten zum Trotz das Gute zu entdecken und fröhlich zu genießen. Inmitten seiner Klageschreie kann ein Beter sich aufrichten (Ps 31,16a): In deiner Hand ruhen meine Zeiten.

§ 11 Schöpfung und Geburt 1 1. Die Erschaffung des Menschen beim Jahwisten – 2. Die Erschaffung der Menschheit in der Priesterschrift – 3. Die Geburt des Menschen nach Ps 139 – 4. Die Geburt des Menschen nach Hi 10

Des Menschen Zeit beginnt mit Schöpfung und Geburt. Neben den Schöpfungserzählungen der Genesis, die die Entstehung der Gattung Mensch erklären, treten Bekenntnisse Einzelner, die die eigene Geburt und Gottes Schöpferhandeln zusammendenken. Sie verhalten sich ähnlich zueinander wie der erste Artikel des christlichen Credo (»Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde«) zu Luthers Erklärung (»Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat …«).

1. Die Erschaffung des Menschen beim Jahwisten Der jahwistische Schöpfungsbericht zeigt keinerlei Beziehung zum Geburtsvorgang. Selbst wenn in Gen 2,24 von Mann und Frau gesagt wird, »sie werden zu einem Fleisch«, so wird nichts von Zeugung und Geburt eines Kindes ausgeführt; wahrscheinlich wird nicht einmal daran gedacht; denn ba¯´sa¯r ’æha¯d (»ein einziges Fleisch«) meint ˙ nicht das Kind, in dem sich zwei Menschen als in einer Einheit wiederfinden 2, sondern die körperliche Vereinigung von Mann und Frau, deren völlige Zusammengehörigkeit damit ausgesagt wird 3. Das Interesse des Jahwisten ist völlig auf jene Beziehungen gerichtet,

1. 2. 3.

Literatur: Löw, Lebensalter 42–45; Würthwein, Psalm 139; Steck, Paradieserzählung; Maass, ’a¯da¯m; Plöger, ’ ada¯mâ; Zimmerli, Weltlichkeit, 20–44 und Westermann, ’a¯da¯m. So noch von Rad, ATD 2–4, 59. In Gen 2–3 nennt erst der Nachtrag 3,20 des Menschen Frau Eva, die »Mutter aller Lebenden«. S. oben S. 60 und Westermann, BK I, 318.

Die Erschaffung des Menschen beim Jahwisten

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in denen der Mensch sein Menschsein von Anfang an zu erkennen hat. An erster Stelle ist die Beziehung zu Gott zu nennen. Denn in welchen Verhältnissen der Mensch sonst auch immer leben wird, er lebt als Geschöpf Gottes. Jahwe Gott gestaltete den Menschen … und er blies in seine Nase Lebensatem; da wurde der Mensch zu einer lebendigen Person (2,7) 4.

Die kräftigen Anthropomorphismen betonen, dass der Mensch seine Figur und seine Lebendigkeit von Gott hat. Der Stoff seines Leibes ist ganz und gar irdisch, vgl. Ps 90,3; 103,14. Weder rollt das Blut eines geschlachteten Gottes in seinen Adern, wie in babylonischen Schöpfungsmythen5, noch ist der Mensch aus den Tränen des Sonnengottes entstanden, wie in Ägypten seit dem frühen Mittleren Reich häufig gesagt wird 6. Dass ausschließlich die handwerklichen Motive aus den im Alten Orient verbreiteten Schöpfungsmythen aufgenommen werden, betont die Distanz zwischen Gott und Mensch, aber auch Gottes konkreten Einsatz für den Menschen. Die Verbundenheit zeigt sich wesentlich im Wort der Anrede Jahwes an den Menschen (2,16 f.). Das Wort Gottes steht auch am Anfang der zweiten Beziehung des Menschen, der zu den Tieren (2,18): Nicht gut ist des Menschen Alleinsein. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht

Wie nahe die Tiere dem Menschen stehen, wird mit dem Satz betont, dass Jahwe Gott sie »aus der Ackererde gestaltete« (V. 19), wie es in V. 7 genau so vom Menschen ausgesagt war; jedoch erhalten sie nicht den göttlichen Lebensatem. Sie werden dem Menschen als Hilfe angeboten und sind darin von der Intention her teilweise dem Mitmenschen vergleichbar. Aber sie entsprechen ihm nicht wirklich. Das zeigt sich bei der Benennung, mit der der Mensch die Tierwelt ordnet. In 4. 5. 6.

S. oben S. 51 und S. 103 f. Z. B. AOT 134.135, vgl. weitere Nachweise bei Maass, ’a¯da¯m, 82 f. und Zimmerli, Weltlichkeit, 25 f. Vgl. Morenz, Religion, 192; Maass, aaO 84, jetzt vor allem Otto, Mensch, 338 f. Die Formulierung scheint nicht einer mythologischen Erzählung, sondern dem Wortspiel rmtw = Menschen und rmjt = Träne zu entstammen. ˙

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Schöpfung und Geburt

solcher Nominierung bekundet sich »eine allererste Autonomie des Menschen« innerhalb der Schöpfung 7; sie ist durch Jahwes Schöpfergabe gesetzt. Zum Ziel kommt Jahwes Besserungsbeschluss erst mit der Schaffung einer dritten Beziehung, die in ihrer Bedeutung der zweiten den Rang abläuft; es ist die zum Mitmenschen durch die Erschaffung der Frau. Ihre einmalige Zugehörigkeit zum Manne wird vor allem dadurch unterstrichen, dass sie nicht aus der Ackererde gestaltet wird, sondern aus der Rippe des Menschen selbst, die Jahwe zur Frau ausbaut (V. 21 f.). Der Mensch, in Tiefschlaf versetzt, ist nicht Zuschauer bei dieser Schöpfung. Das vollendete Werk bewundert er im Jubel als wahrhaft verwandt 8: Diese nun endlich ist Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch. Männin wird man sie nennen, weil sie vom Manne genommen.

Dass sie nach dem ’isˇ ’isˇˇsa¯h heißt, spiegelt die innige Verbundenheit. Sie lässt den Mann sein Elternhaus verlassen 9. Die vierte Beziehung ist die zwischen dem Menschen und der Ackererde. Sie wird im Urtext sprachlich dokumentiert durch den Zusammenklang von ’a¯da¯m (Mensch) und ’ ada¯ma¯h (Ackererde), wobei die gemeinsame etymologische Wurzel ’dm rot sein für die rötlichbraune Haut des Menschen und die rötlich-braune Ackererde gesichert erscheint10. Auch diese Beziehung ist durch Jahwe gesetzt. Sie ist eine dreifache. Der Mensch ist aus der Ackererde erschaffen (2,7, vgl. 3,19.23), er hat die Ackererde zu bearbeiten (3,23), und er kehrt in seinem Tode zur Ackererde zurück (3,19). Dabei wird sowohl die Ackerarbeit wie die endliche Rückkehr zum Acker bezogen auf seine Erschaffung aus der Ackererde (vgl. 3,19.23 mit 2,7). Ebenso wie die Ackerarbeit und die Sterblichkeit des Menschen ist sein Leben mit der Frau und mit den von ihm benannten Tieren durch das Grundverhältnis zu seinem Schöpfer gegeben, der zugleich 7. 8. 9. 10.

Westermann, BK I, 311. Zur Verwandtschaftsformel im Bräutigamsjubel 2,23 s. oben S. 60. S. oben S. 144. Vgl. KBL3 , Plöger, ’ ada¯mâ, 95 und Westermann, ’a¯da¯m, 41 f.

Die Erschaffung der Menschheit in der Priesterschrift

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aller Wesen Schöpfer ist, mit ihm aber und seiner Frau ins Gespräch eintritt wie mit keinem sonst.

2. Die Erschaffung der Menschheit in der Priesterschrift Auch in der priesterschriftlichen Darstellung der Erschaffung des Menschen ist das Verhältnis des Menschen zu Gott das beherrschende und umfassende Thema (Gen 1,26–30). Darin zeigt sich der Unterschied des Menschen zu allen übrigen Geschöpfen. Zwar wird er dicht neben die Tiere gerückt: er wird am gleichen Tage wie die Landtiere erschaffen (V. 24–31), ferner werden die Fische und die Vögel ebenso wie sonst nur der Mensch durch einen Segenszuspruch zur Mehrung ermächtigt (vgl. V. 22 mit 28), und schließlich wird den Menschen und den Landtieren die gleiche Nahrung zugewiesen (V. 29 f.). Doch tritt die Sonderstellung des Menschen nicht weniger klar hervor. Die unmittelbar vor dem Menschen am sechsten Tage geschaffenen Landtiere gehen auf Grund des göttlichen Befehls an die Erde aus dieser hervor und Gott »macht« sie ( 2´sh) (V. 24 f.) 11, während die Menschen in Gen 1 nicht aus den Tiefen der Erde hervorkommen 12, sondern auf Grund eines in der ganzen Schöpfungserzählung der Priesterschrift einmaligen Selbstentschlusses Gottes (V. 26) ohne vorgegebenen Stoff und ohne Mitwirkung der Erde völlig frei erschaffen werden, wofür das dreimalige br’ in V. 27 charakteristisch ist 13. Das Segenswort an die Menschen in V. 28 unterscheidet sich dadurch grundlegend von dem an Fische und Vögel in V. 22, dass nach der Ermächtigung zur Mehrung die Menschen mit der Herrschaft über die Erde und insbesondere über alle Tiere betraut werden (V. 28b). Damit ist die entscheidende Differenz zwischen Mensch und Tier genannt, die wiederum mit dem Verhältnis Gottes 11. Zum Verhältnis von V. 24 und 25 vgl. Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 124 ff. Dass die Landtiere nicht wie die Fische und Vögel Segen empfangen, hängt wohl auch damit zusammen, dass Segen in 1,22 und 1,28 eine solche Vermehrung mit sich bringt, dass das Wasser und das Land »gefüllt« werden. Das aber ist für das Land dem Menschen vorbehalten (vgl. Schmidt, aaO 147). 12. Vgl. aber Ps 139,15 und unten S. 149 f. 13. Vgl. Schmidt, aaO 164 ff.

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Schöpfung und Geburt

zum Menschen gegeben ist 14. Dieses besondere Verhältnis zeigt sich formal schon darin, dass kein anderes Geschöpf so sehr der Anrede Gottes gewürdigt wird wie der Mensch; es ist bezeichnend, dass bei der die Menschen und die Tiere betreffenden Nahrungszuweisung die Menschen angesprochen werden (V. 29), von den Tieren aber in 3. Person die Rede ist (V. 30). Schließlich ist zu beachten, dass die Menschheit sofort zweigeschlechtlich geschaffen und als solche mit der freien Herrschaft über die übrige Schöpfung betraut wird (V. 27 f.). So unterschiedlich die weltanschaulichen Voraussetzungen und die erzählerische Gestaltung der beiden um Jahrhunderte voneinander entfernten Schöpfungsberichte in Gen 1 und 2 sind, so überraschend ist der sachliche Konsens in drei als wesentlich herauszustellenden Punkten: a) Der Mensch gehört in die unmittelbare Nähe zum Tier. b) Durch die besondere Zuwendung Gottes zum Menschen ist er zugleich unübersehbar vom Tier unterschieden. c) Erst Mann und Frau miteinander stellen einen ganzen und brauchbaren Menschen dar. Im Unterschied zum jahwistischen Bericht setzt der priesterschriftliche zugleich mit ihrer Erschaffung die Aufgabe der Menschheit, sich zu vermehren bis zur Anfüllung und Eroberung der Erde (V. 28a). So ist mit der Schöpfung ausdrücklich Zeugung und Geburt gegeben.

3. Die Geburt des Menschen nach Ps 139 Nimmt Gen 1,28a die Vermehrung des Menschen in die Schöpfungsvorstellung auf, so zieht umgekehrt der 139. Psalm uralte Schöpfungsvorstellungen in die Sicht der Geburt eines Einzelnen hinein. Dass der Schöpfer der Menschheit zugleich der Schöpfer jedes einzelnen Menschen ist (Jes 17,7), wird hier mit archaischer Biologie veranschaulicht. In welchem Zusammenhang kommt der Beter darauf? Anscheinend ist er in ein Untersuchungsverfahren wegen Götzendienstes verwickelt und beteuert seine Unschuld (V. 19–24) 15. Er legt dar, wie ganz und gar er sich von Gott durchforscht sieht; er ist gewiss, dass Gott sein Wesen völlig kennt. Um die Gewissheit zu ver14. Zum Menschen als »Bild Gottes« (V. 26 f.) s. unten S. 236 f. 15. Vgl. Würthwein, Psalm 139, 185 ff.

Die Geburt des Menschen nach Ps 139

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deutlichen, dass der Mensch sich vor Gott in keine Finsternis hineinflüchten kann (V. 11), da Gott sogar die Nacht durchleuchtet (V. 12), führt er als Begründung (kî V. 13) seine persönliche Schöpfungsgeschichte an: Du bist es, der meine Nieren geschaffen, mich im Leib meiner Mutter gewoben hat. Nicht war mein Gebein dir verborgen, als ich gar heimlich entstand, bunt gewirkt in der Erde Tiefen. Meine Urgestalt sahn deine Augen …

Im Zusammenhang der Gewissensprüfung ist es verständlich, dass der Beter seine Nieren, das hochempfindliche Organ der Schulderkenntnis 16, zuerst als von Jahwe erschaffen nennt (V. 13a). Im übrigen ist alles, was im Leibe seiner Mutter wuchs, das Werk des großen Webers (skk); Haut und Muskeln sind als »Gewebe« erkannt. Was da im »Versteck« (V. 15) entstand, stammt nicht aus den Entwürfen und Fähigkeiten des Menschen; nur der Gott, der es im Verborgenen schuf, kennt es auch von allem Anfang an durch und durch. Schon den Embryo 17, die Keimgestalt des Beters, sahen seine Augen. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass neben dem Mutterleib als der Entstehungskammer des Menschen die »Tiefen der Erde« genannt werden, in denen der werdende Leib »bunt gewirkt« wurde (rqm pi.). Hier schimmert eine archaische Sicht auf, nach der der Mensch »wie Korn aus der Erde spross« 18. In Gen 1,24 erinnerte das Hervorgehen der Landtiere aus der Erde an diese Vorstellung (vgl. V. 12 f.!). Deutlicher sieht Hi 1,21 für den Menschen Mutterleib und Erdenschoß zusammen: 16. Vgl. Ps 16,7; Jer 12,2 und oben S. 111 f. 17. golæm findet sich im Alten Testament nur hier; das Wort bezeichnet das »unfertige« Wesen (vgl. KBL3 ). In Ex 21,22 wird die Leibesfrucht der Schwangeren mit dem gewöhnlichen Wort für Kind im Plural bezeichnet (yela¯dîm). Hi 3,10 spricht von den »Toren des Mutterschoßes« (daltê bætæn). Dass die Dau˙ geht indirekt aus er der Schwangerschaft einer Frau als Thema bekannt ist, den Versen in Hi 39,1 f. hervor: »Weißt du die Wurfzeit der Felsenböcke? / Beobachtest du der Hirschkühe Kreißen? / Zählst du die Monate, die sie trächtig gehen? / Kennst du die Zeit, da sie gebären?« 18. So in einer assyrischen Darstellung der urzeitlichen Entstehung von Weisen und Helden: AOT 135 f.

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Schöpfung und Geburt

Nackt ging ich aus von Mutterleibe, nackt kehre ich dahin zurück.

»Dahin« meint sicher den verborgenen Ort des Erdenschoßes in Analogie zum Mutterleib. Die altorientalische Form der Bestattung in Hockerstellung mag an die Lage des Embryos erinnern 19. Der Gedanke des Hervorgehens des Menschen aus den »Erdentiefen« dient im 139. Psalm in Parallele zum heimlichen Versteck im Leib der Mutter dazu, das Bewusstsein des Beters um Jahwes unentrinnbare Kenntnis von des Menschen Heimlichkeiten seit Urbeginn seiner Existenz zu bezeugen.

4. Die Geburt des Menschen nach Hi 10 Ein ähnliches persönliches Schöpfungsbekenntnis mit abermals neuen, noch genaueren Vorstellungen von Zeugung und Geburt findet sich Hi 10,8–12. Es ist von den gequälten Fragen des leidenden Hiob getragen (10,3): Bringt’s Nutzen dir, wenn du Gewalt gebrauchst, wenn du verwirfst das Werkstück deiner Hände?

Wie dieses kostbare Werkstück, nach dem Jahwe eines Tages sich sehnen könnte (14,15), entstanden ist, führt 10,8 ff. aus: Mich bildeten, mich schufen deine Hände, ›dann wandtest du dich‹ 20 und vertilgtest mich. 9 Gedenke doch, dass du wie Ton mich schufest, nun schickst du wieder mich zum Staub zurück. 10 Hast du denn nicht wie Milch mich hingegossen, und mich wie Käse fest gerinnen lassen? 11 Du hast mich doch mit Haut und Fleisch bekleidet, mit Knochen und mit Sehnen mich durchwirkt. 12 Das Leben hast du mir verliehn und Gnade, und deine Obhut schützte meinen Atem.

Die Gestaltung des Menschen aus Ton und seine Hinfälligkeit zum Staub (V. 8 f.) erinnert noch an Gen 2,7 und 3,19. Das Bild vom »Be19. Vgl. Horst, BK XVI/1, 19. 20. S. BHK und Horst, aaO z.St.

Die Geburt des Menschen nach Hi 10

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kleiden« mit Haut und Fleisch und vor allem das Weben und Wirken (skk V. 11) von Knochen und Sehnen war ähnlich in Ps 139,13.15 gesehen 21. Aber ganz neu und singulär ist die Vorstellung in V. 10 von der ausgegossenen Milch, die wie Käse fest gerinnt. Als Analogie hilft sie, die Ausgießung der milchigen Samenflüssigkeit in den weiblichen Organismus und die auf die Insemination folgende Entstehung eines festen embryonalen Körpers zu verstehen. Vom Eintritt der männlichen Samenzellen in die weibliche Eizelle als dem entscheidenden Vorgang, der sich der menschlichen Willkür entzieht, weiß diese antike Physiologie noch nichts. Um so wichtiger ist es, dass sie in ihrer Weise den Vorgang, der zur Geburt führt, nicht auf den Willen des Vaters oder der Mutter oder beider zurückführt, sondern sagt: »Hast du mich nicht wie Milch einst ausgegossen … ?« Nicht nur die Schöpfung der Menschheit insgesamt, sondern auch die Entstehungsgeschichte des einzelnen, ja des eigenen Lebens wird auf Jahwe als Kunstwerk seiner Hände zurückgeführt. Kein Mensch kann sich voll verstehen, wenn er sich nicht dessen bewusst bleibt, dass er von einem Vorgang herkommt, bei dem er »kein Mitspracherecht«22 hatte. Auch solche Einsicht führt zum Dialog des Menschen mit seinem Gott, der bei Hiob bitterste Schärfe annimmt. Ob der Mensch mit Gott hadert wie in Hi 10 oder ob er als Angeklagter sich selbst prüft und geprüft sieht wie in Ps 139, es hilft ihm, den generellen Schöpfungsglauben (Gen 1–2) auf die Geburt seiner selbst zu beziehen. Die äußerste Verschiedenartigkeit der naturkundlichen Vorstellungen von Gen 2, Gen 1, Ps 139 und Hi 10 leitet den modernen Menschen an, die Grundgewissheit von der Herkunft der Menschheit und des einzelnen aus dem Willen Gottes in den jeweiligen biologischen Erkenntnisstand zu transponieren und die Chance der Berufung zum Dialog des Menschen mit seinem Schöpfer nicht zu verkennen.

21. Vgl. auch Ez 37,5 f. und oben S. 57 f. 22. Maass, ’a¯da¯m, 92.

§ 12 Leben und Tod 1 1. Worte von Sterbenden – 2. Grab – 3. Entmythisierung des Todes – 4. Definition des Totseins – 5. Jahwe und das Vakuum des Todes – 6. Stufen des Sterbens – 7. Vergehen und Vergänglichkeit – 8. Der Tod des Einen und der Tod der Vielen

Des Menschen Zeit ist begrenzte Zeit. Es ist seine Gelegenheit zum Leben zwischen Geburt und Tod, so gewiss er als ein Sterblicher erschaffen ist (Gen 3,19.22). Im Blick auf die Lebensdauer findet die Frage, was der Mensch sei, die Antwort: ein vergängliches Wesen, ein Hauch ist er (Ps 39,6.12; 49,13.21; 82,7; 89,48 f.). Der Anfang seiner Lebenszeit ist von Jahwe gesetzt. Aber an seinem Ende stehen dunkelste Fragen auf.

1. Worte von Sterbenden In den Worten von Sterbenden beobachten wir zunächst das Bewusstsein des alttestamentlichen Menschen, dass ihm im Tode das ganz und gar nicht Ungewöhnliche widerfährt. Ich betrete jetzt den Weg aller Welt –

so können Josua (23,14) und David (1 Kön 2,2) im deuteronomistischen Geschichtswerk ihre Abschiedsworte beginnen 2. Selbst die Größten in Israel zieht der Tod in eine weltweite Schicksalsgemeinschaft hinein. Doch zuvor wird die Stimme des Sterbenden wichtig für die Lebenden. Durchweg berichten die biblischen Erzähler die Abschiedsworte weit aufmerksamer als den Vorgang des Sterbens.

1. 2.

Literatur: Barth, Errettung vom Tode; von Rad, Theologie des AT I, 285– 293.414–420; II 371 f.; Maag, Tod; Wächter, Tod; Jüngel, Tod; Zimmerli, Weltlichkeit, 111–124 und Gerleman, hjh. dæræk kål-ha¯’a¯ræs »das auf der ganzen˙ Erde Gängige« heißt in Gen 19,31 auch der eheliche˙ Verkehr, vgl. Gen 31,35.

Worte von Sterbenden

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Nach einer älteren Pentateuchschicht, vielleicht dem Elohisten, wird dem sterbenden Jakob-Israel gemeldet, dass sein Sohn Josef ihn mit den beiden Enkeln, Manasse und Efraïm, aufsucht (Gen 48,1 f.). Da nahm Israel seine Kräfte zusammen und setzte sich im Bette auf.

Fast erblindet, segnet er entgegen der Erwartung Josefs die Enkel »kreuzweise« (V. 14) – der jüngere wird mächtiger! (V. 19). Dann sagt er zu Josef (V. 21): Siehe, ich muss sterben. Aber Gott wird mit euch sein. Er wird euch in das Land eurer Väter zurückführen.

Der in Schwäche Sterbende sieht die kommenden Veränderungen. In der Erfahrung der eigenen Grenze wird er Zeuge der Verheißung Gottes. Er stürzt die menschliche Gesetzlichkeit um, wonach der ältere Sohn im Vorsprung vor dem Jüngeren ist. Der Sterbende lehrt, mit den Veränderungen im Sinne der Verheißung zu rechnen. Ganz ähnlich, wenn auch inhaltlich völlig anders, enthält der Segen des sterbenden Mose nach Dtn 33 »schöpferische Worte, die die Zukunft zu gestalten vermögen« 3. Dtn 31,1–6 zeigt Mose, wie er nach der großen Vermahnung Israels mit Segen und Fluch am Ende zur Furchtlosigkeit ruft (V. 6): Denn Jahwe, dein Gott, ist es, der mit dir zieht. Nicht wird er dich aufgeben, nicht dich verlassen.

Der Scheidende entdeckt in der Fülle der Erfahrungen zugleich die Grenzen des Menschlichen und die Kraft der Zusagen (V. 4): Jahwe verfährt mit den Feinden, wie er mit den Amoriterkönigen Sihon und Og verfuhr.

Noch kräftiger erinnert Josua, da er »den Weg aller Welt geht«, an das Ganze der Erfahrungen (Jos 23,14): Alles ist für euch in Erfüllung gegangen, nicht eine Verheißung hat ihre Bestimmung verfehlt.

Daraufhin sollte sich Israel vor den Drohworten und also vor dem Bundesbruch fürchten (V. 15 f.). Die Sammlung auf die Zusage Got3.

Von Rad, ATD 8, 146.

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Leben und Tod

tes öffnet dem Sterbenden ebenso den Blick für die Summe eingetretener Erfüllungen wie für die ausstehenden künftigen Veränderungen. Wie der hinfällige Mensch an der Todesgrenze zum vollmächtigen Zeugen wird, zeigt das deuteronomistische Geschichtswerk auch an den Worten des scheidenden Samuel (1 Sam 12) und des sterbenden David (1 Kön 2,1 ff.). Dieses große Geschichtswerk ist selbst auf dem Sterbelager Israels in der Zeit des babylonischen Exils entstanden. Der Tempel, der Staat und das Land waren Israel genommen. Konnte ihm eine andere Zukunft als die des Todes vor Augen stehen? In dieser Lage erkennt der Sprecher Israels die Wahrheit für die Künftigen. Aus der Sterbestunde Israels sind auch die Worte der großen Sterbenden Mose, Josua, Samuel und David zu verstehen4. Die Stimmen der Sterbenden im Alten Testament sind ein Auftakt der fundamentalen Bedeutung der Worte des sterbenden Jesus in den Evangelien, von der Aufnahme des 22. Psalms in Mk 15,34 angefangen bis zu jenem tetélestai (»Es ist vollbracht!«) in Joh 19,30. Das gültige Evangelium sammelt sich aufs knappste und klarste in jene Abschiedsschreie, die in der Stunde völliger Gottesferne den Durchbruch der Rettung aller bekunden.

2. Grab So viel der Sterbende zu sagen hat, so wenig bedeutet sein Grab. Gewiss können im Alten Testament Totenklagefeiern und Begräbnisse einmal ausführlich, ja umständlich beschrieben werden wie in Gen 50 für Jakob. Doch warum? Ist der weite Weg aller Jakobssöhne mit sehr großer Begleitung (V. 7–9) hin zu dem Grab, das Jakob sich selbst im Lande Kanaan angelegt hatte (V. 5), etwas anderes als der verheißungsvolle Auftakt zur Bestätigung der Zusage des Landes? Die Ortsangaben des Begräbnisplatzes können in den Schichten der Erzählung wechseln. Neben der »Stechdorntenne« im Ostjordanland (V. 10 f.), die zu einem der älteren Berichte gehört, nennt die Priesterschrift in V. 13 die Höhle des Grundstücks Machpela östlich von Mamre, das Abraham für das Begräbnis der Sara erworben hatte. Damit wird auf Gen 23 zurückverwiesen, wo auch »ein mittelbar weis4.

Vgl. Wolff, Geschichtswerk.

Grab

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sagendes Moment« nicht zu verkennen ist 5. So unterstreicht die wechselnde Angabe des Grabplatzes die Kontinuität der Verheißung. Das Grab selbst hat nur eine untergeordnete Bedeutung. Gewiss kennt die Tradition noch einige markante Gräber wie die »Klageeiche« bei Bet-El, unter der Debora, die Amme Rebekkas, begraben war (Gen 35,8). Samuel wurde nach 1 Sam 25,1 »in seinem Hause in Rama« begraben 6. Von dem großen Mose hingegen wird ausdrücklich vermerkt, dass er im Lande Moab beigesetzt wurde, dass aber niemand sein Grab kennt (Dtn 34,6). Er, der nicht ins Land der Verheißung kommen sollte (Dtn 3,23–29), trägt die Sünde des murrenden Volkes (Dtn 1,37; 4,1) 7. Nicht sein Grab soll verehrt werden, sondern das durch ihn verkündete Jahwewort will gehört sein und Gefolgschaft finden. Darum heißt es gleich nach dem Bericht über Moses Tod (Dtn 34,9): Josua aber, der Sohn Nuns, war vom Geist der Weisheit erfüllt, da ihm Mose seine Hände aufgelegt hatte. Und die Israeliten gehorchten ihm und taten, wie Jahwe Mose geboten hatte.

Auch von Davids Grab wird nur kurz und verhältnismäßig ungenau gesprochen, nachdem sein letzter Wille breit ausgeführt wurde (1 Kön 2,1–9); die Notiz lautet (V. 10): Danach legte sich David zu seinen Vätern und wurde in der Davidsstadt begraben. 8

Dass einer kein ordentliches Begräbnis findet, bedeutet etwas Erschreckendes, wie etwa Sauls Ende zeigt (vgl. 1 Sam 31,10–13 mit 2 Sam 21,1–14). Dennoch sind Nekropolen alles andere als heilige Stätten. Bezeichnend ist die Regelung der Zehntabgabe in Dtn 26,14; danach soll der Israelit bei der Ablieferung vor Jahwe bekennen:

5. 6. 7. 8.

Von Rad, ATD 3, 214. Ebenso Manasse nach 2 Chr 33,20 »in seinem Hause«, d. h. unter dem Fußboden oder in einer Mauer. Zu den verschiedenen Typen der normalen Höhlengräber außerhalb der Wohnorte s. Galling, BRL, 237–252. Vgl. von Rad, ATD 8, 150. Vgl. die entsprechenden Notizen über Rehabeam 1 Kön 14,31, Asa 1 Kön 15,24 u. a. und in Samaria über Ahab 1 Kön 22,40 u. a.

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Leben und Tod

Ich habe nichts davon gegessen, als ich in Trauer war … Ich habe nichts davon für einen Toten gegeben.

Gedacht ist daran, dass ein Teil der Zehntabgabe als Totenspeise in ein Grab gestellt worden sei; das wäre ebenso Frevel vor Jahwe, wie wenn ein Teil zur Trauerzeit gegessen worden wäre 9. Nichts soll auch nur von ferne mit dem Todesbereich in Berührung geraten sein. Der Umkreis des Todes ist nicht heilig, sondern verunreinigt aufs gefährlichste. Nach Jes 65,4 gehört es zu den Charakteristika eines gegen Jahwe widerspenstigen Volkes (vgl. V. 2!), dass die Leute »in Gräbern hocken«, sei es nun zur Totenbeweinung, zur Totenverehrung oder auch zur Totenbefragung 10. Das Grab als Bereich des Todes ist nicht zu verehren. Später ertönt der Weheruf Jesu über die Heuchler, die als Söhne der Prophetenmörder den Propheten Gräber (Grabkapellen) bauen und die Grabmäler der Gerechten schmücken (Mt 23,29). Dass Jesu Grab zum Wallfahrtsort wird, wehrt das Engelwort in Lk 24,5 f. von Anfang an energisch ab: Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten? Er ist nicht hier.

3. Entmythisierung des Todes Israel zeigt sich mit einer Entmythisierung des Todes beschäftigt, die angesichts seiner Umwelt für den Jahweglauben ebenso schwierig wie nötig erscheint. Im Allgemeinen sieht das Alte Testament den Tod in seiner ganzen Grässlichkeit. Keinerlei Nimbus legt sich um ihn. Ebensowenig wie das Grab erfährt der Tod selbst irgendeine Weihe des Heiligen oder gar Göttlichen. Empfängt er in der Dichtung einmal einen Ehrentitel, so zynischerweise den des »Königs jäher Schrecken« (Hi 18,14). Verhältnismäßig stark ragen mythische Vorstellun-

9. In der Nekropole von Ras es-schamra wurden Anlagen für Libationen gefunden, die den Brauch der Getränke-Spenden für das alte Ugarit bezeugen (Wächter, Tod, 184). 10. Vgl. Westermann, ATD 19, 318.

Entmythisierung des Todes

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gen noch in das Bild der Totenwelt hinein, wie es das Spottlied auf Babels König in Jes 14,4 ff. zeigt: Wie ist der Zwingherr doch geendet, geendet seine Anmaßung. 5 Jahwe zerbrach den Stock der Frevler, den Stab der Herrschenden. … 9 Die Totenwelt drunten ist aufgeschreckt in Erwartung deines Kommens. Sie jagt die Schatten auf um deinetwillen, der Erde Fürsten insgesamt. Sie lässt von ihren Thronen sich erheben die Könige der Völker alle. 10 Sie alle heben an und sprechen nun zu dir: Auch du bist kraftlos jetzt wie wir, du bist uns gleich geworden. 11 … Auf Maden bist du jetzt gebettet, Gewürm ist deine Decke. … 13 In deinem Herzen plantest du: Empor zum Himmel will ich steigen. … 15 Doch in die Totenwelt bist du gestürzt, in allertiefste Tiefe.

Wie in der Umwelt, etwa im Gilgameschepos, ist die Totenwelt (sˇ e’ôl) hier (V. 15) als ein großer unterirdischer Versammlungsraum gedacht 11, in dem die Toten sich als Schattengeister erheben und sprechen. ˇs e’ôl erscheint aber auch als Machthaber, der die bei ihm schon kraftlos ruhenden Könige in erregter Erwartung des babylonischen Großkönigs aufscheucht (V. 9). Doch dieses Unterweltdrama wird nur dargestellt, um die Folgen von Jahwes Gericht über den Gewaltherrscher, der Israel knechtete, drastisch zu verdeutlichen (14,3 f.). Keinerlei eigene Macht oder Würde hat das Schattenreich. Totale Schwäche ist seine Wirklichkeit (V. 10). Maden und Würmer sind die wahren Regenten (V. 11). Bei solcher dichterischen Aufnahme mythischer Gedanken kann 11. Vgl. Gilgameschepos Tafel 12 (AOT 183–186) und Barth, Errettung vom Tode, 76 ff.

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Leben und Tod

also nicht von ferne die Rede davon sein, dass die Herrschaft des Todes verherrlicht oder gar vergöttlicht würde. Vielmehr schrumpfen die im Alten Orient breit ausgebauten Vorstellungen vom Totenreich, wie sie z. B. im großen Unterweltmythos von der Höllenfahrt der Ischtar belegt sind 12, auf verhältnismäßig seltene und knappe Anspielungen zusammen. Schon gar nicht werden Tote mit einem Glorienschein ausgezeichnet, auch nicht die Größten und Frömmsten in Israel. In Ägypten kommen häufig Euphemismen vor: »Er geht lebend zur Ruhe« – »Das schöne Schicksal ist eingetreten« – »Er tritt in seinen Horizont ein, entfernt sich zum Himmel, vereinigt sich mit der Sonne, indem sein Gottesleib sich mit seinem Erzeuger vermischt« 13. Ähnliches ist im Alten Testament undenkbar 14. Meist bedeutet die Rede vom Abstieg in die ˇs e’ôl als Totenwelt nicht mehr als den Hinweis auf das Begräbnis als Lebensende (Gen 42,38; 44,29.31; Jes 38,10.17; Ps 9,16.18; 16,10; 49,10.16; 88,4– 7.12 f.; Spr 1,12) 15. Allerdings wurde Israel durch seine Umwelt verleitet, dem Tode oder den Toten eine besondere Macht zuzuschreiben. Der Kampf der Propheten beweist es am deutlichsten. So warnt Jesaja seine Hörer vor Totenbeschwörung (8,19 f.): Wenn man euch sagt: Befragt doch die Totengeister und die Wahrsager, die da flüstern und wispern! – Soll nicht ein Volk seinen Gott befragen? Soll es sich an Tote statt an Lebende wenden?

Jesaja ruft die Irregeleiteten »zur Weisung und zum Zeugnis« (V. 20), wie er selbst es verkündet und dann auch im Kreise seiner Schüler 12. AOT 206–210. Zum alttestamentlichen Umgang mit dem Mythos vgl. Ohler, Mythologische Elemente, 218: »Als bloße dichterische Ausschmückung werden die Mythologumena nicht mehr so recht ernst genommen … Die Mythologumena werden aus ihrem eigentlichen Zusammenhang gelöst und ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt, indem sie zu Metaphern für Gottes geschichtliches Handeln werden.« 13. Weitere Belege bei Wächter, Tod 78 f.; zu den Pyramidentexten, Sargtexten und zum Totenbuch s. Kees, Pyramidentexte. 14. Zu Dan 12,3 s. unten S. 167. 15. Vgl. Wächter, aaO 51 ff. für den synonymen Gebrauch von ˇs e’ôl einerseits und qæbær (Grab), bôr (Grube), ˇsahat (Grube) andererseits. In der Regel bedeutet die Erwähnung der ˇs e’ôl eine˙ Steigerung des Ausdrucks der Not.

Entmythisierung des Todes

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deponiert hat (V, 16). Solche Mahnung hat politische Konsequenzen. In 28,15 ff. zitiert Jesaja Jerusalemer Diplomaten, die auf einen Pakt mit Ägypten stolz sind und sprechen: Wir haben einen Bund mit dem Tod geschlossen und einen Vertrag mit der Totenwelt gemacht.

Ironisierend legt der Prophet den auf ägyptischen Totenkult spekulierenden Politikern weiter die Worte in den Mund: Wir haben die Lüge zu unsrer Burg gemacht und uns im Trug geborgen.

Dagegen spricht Jahwe: Ich lege in Zion einen Grundstein Wer glaubt, wankt nicht.

Doch die Lügenburg wird Hagel zerstören. Der »Bund mit dem Tod« und der »Vertrag mit der Totenwelt« werden für nichtig erklärt (V. 16–18). Das Alte Testament selbst weiß von einer erfolgreichen Totenbeschwörung zu berichten, die aber gerade als »geglückte« die Widersinnigkeit des Unternehmens eklatant darstellt. Zum Wahn des schon verworfenen Königs Saul gehört es, dass er in Verkleidung seinem eigenen Verbot zuwider (1 Sam 28,3) die Totenbeschwörerin von EnDor um den Anruf des toten Samuel bittet, da ihn das Schweigen Gottes angesichts der Bedrohung durch die Philister völlig ratlos ließ (1 Sam 28,4 ff.). Tatsächlich kommt Samuel wie ein Gespenst herauf. Aber was sagt er? Er rügt die Ruhestörung und weist zurück auf das, was er Saul früher verkündet hat: dass Jahwe sich von ihm abgewandt und das Königtum David übergeben habe (V. 15 ff.). So zeigt diese im Alten Testament singuläre Erzählung einer Totenbeschwörung, dass von Totengeistern nichts zu erwarten ist, was über das von den lebendigen Boten Bezeugte hinausginge. Genau auf dieser Linie wird im Gleichnis Jesu dem reichen Manne die Bitte verwehrt, Lazarus möge aus dem Totenreich zu seinen noch lebenden Brüdern geschickt werden. »Sie haben Mose und die Propheten. Lass sie die hören!« (Lk 16,27 ff.). Schon im Deuteronomium und im Heiligkeitsgesetz werden alle Bräuche und Praktiken verboten, die in irgendeiner Weise mit der

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Leben und Tod

Wiederkehr oder der Mächtigkeit von Toten rechnen: Dtn 14,1 f.; 18,11; Lev 19,27 f.31; 20,6.27. Soweit wir sehen, zeigt sich der Jahweglaube besonders intolerant gegen alle Formen des Totenkultes. Es wäre »ganz falsch, die Macht der Versuchung zu unterschätzen, die von dieser Sphäre ausging, auf der anderen Seite die Enthaltungskraft, die Israel aufbieten mußte, um jeder sakralen Gemeinschaft mit seinen Toten zu entsagen«16. Denn Israels Nachbarn pflegten sie, wie die Kulte der sterbenden und auferstehenden Gottheiten zeigen. Frauen, die Tammus, den Gott der sterbenden Sommervegetation aus dem Zweistromland, beweinen, findet Ezechiel (8,14) sogar in Jerusalem 17. Jahwe wird demgegenüber ausschließlich als »der lebendige Gott« bezeugt, vor allem in der Polemik gegen Fremdgötter: Jos 3,10; 2 Kön 19,4; Hos 2,1 18; häufiger noch ist er der, der Leben gibt und bewahrt (Dtn 30,15.19; Ps 64,2; 103,4; 133,3 u. ö.) 19. Dem entspricht der Eifer, mit dem die alttestamentlichen Gesetze alles, was irgendwie mit dem Tode in Verbindung steht, als vor Jahwe »unrein« (ta¯me’) bezeichnen. Num 19,11 erklärt generell: ˙ Wer mit einem Toten in Berührung kommt, wird für sieben Tage unrein.

V. 16 dehnt diese Bestimmung aus auf jeden, der auf freiem Feld mit einem vom Schwert Erschlagenen, mit Menschengebein oder mit einem Grab in Berührung kommt.

Die Unreinheit, die von menschlichen oder auch tierischen Leichen ausgeht, ist von ungemein infizierender Kraft. Schon die Dinge, die damit in Berührung kommen, werden unrein, etwa Gefäße oder Kleidungsstücke (Lev 11,32–35). »Ein Backofen oder Kochherd muss eingerissen werden«, wenn ein Aas darauf gefallen ist (V. 35). Dass Tote »unrein« sind und »unrein« machen, disqualifiziert sie kultisch so, wie es stärker nicht möglich ist. 16. Von Rad, Theologie des AT I, 290. 17. Vgl. Zimmerli, BK XIII, 219 ff. Zum ägyptischen Osiriskult vgl. Morenz, Religion, 58 u.ö; zur Spiegelung des phönizischen Adoniskults in Hos 6,1 f. vgl. Wolff, BK XIV/1, 150. 18. Vgl. Kraus, Gott. 19. Vgl. Gerleman, hjh, 554 f. ˙

Definition des Totseins

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Gegen die durch Totes verursachte Verunreinigung helfen gewöhnliche Waschungen nicht. Mit der Asche einer fehlerlosen roten Kuh muss ein besonderes Reinigungswasser bereitet werden (Num 19,1 ff.17 ff.). Ahnen wir, welchen »schweren Abwehrkampf … Israel gerade mit Hilfe dieser kultischen Bestimmungen geführt hat«? Sie zeigen »eine radikale Entmythologisierung und Entsakralisierung des Todes an« 20. Entschlossen abgewiesen wird jede Beschönigung und erst recht jede numinose Verschleierung oder gar Vergöttlichung der Toten und der Macht des Todes und damit auch jede Aufnahme eines Totenkultes in das Glaubensleben Israels. Wer zu Jahwe gehört, darf sich darum nicht wegen eines Toten Haare und Bart stutzen oder Ritzungen am Körper beibringen (Lev 19,27 f.; 21,5; Dtn 14,1 f., vgl. Jer 41,5). Solche apotropäischen Riten der Umwelt rechnen mit der Mächtigkeit der Totenwelt; sie sollen die Trauernden unkenntlich und darum unauffindbar machen. Solch ein Respekt vor dem Tode ist in Jahwes Gegenwart unmöglich 21.

4. Definition des Totseins Wie lässt sich bei dieser Sicht des Todes im Alten Testament das Totsein definieren? Vielleicht eröffnet der 88. Psalm den Zugang zu einer genauen Bestimmung. Der Beter dieser Klage lebt ganz an der Grenze (V. 4): Meine Seele ist gesättigt mit Leid, dem Totenreich nahe ist mein Leben.

Schon weiß er sich »entlassen unter die Toten« (V. 6). Diese werden in der Anrufung Gottes charakterisiert als solche, deren du nicht mehr gedenkst, die von deiner Hand abgeschnitten sind.

Damit sind die Toten als Wesen bestimmt, die aus Jahwes Machtbereich 22 ausgeschieden wurden. Demgemäß weiß Hiob, dass es selbst für Gott ein »zu spät« gibt (7,21): 20. Von Rad, Theologie des AT I, 289 f. 21. Vgl. Noth, ATD 6, 123 und Elliger, HAT I/4, 261. 22. Zur Bedeutung der »Hand« s. oben S. 114 f.

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Leben und Tod

Nunmehr lege ich zum Staub mich nieder, und suchst du mich, so bin ich nicht mehr da.

Der 88. Psalm expliziert in V. 11–13 die Folgen der Trennung des Toten von Jahwe in rhetorischen Fragen: Willst du Wunder an den Toten tun? Stehn die Schatten auf, dein Lob zu künden? Wird im Grab von deiner Huld erzählt? Auch von deiner Treu im Totenreich? Wird der Finsternis dein Wunder kund? Deine Hilf ’ im Lande des Vergessens?

Das bittere Nein ist dem Klagenden gewiss. In der Totenwelt finden das Werk Jahwes, die Verkündigung von Jahwe und das Lob Jahwes keinen Raum mehr. Diese Sicht wird mannigfach bestätigt, etwa in Ps 115,17: Nicht die Toten jauchzen Jahwe zu, keiner, der ins Schweigen stieg hinab.

Oder in Hiskijas Gebet Jes 38,18 f.: Nicht bekennt dich mehr die Unterwelt. Und der Tod, rühmt er dich noch? Nicht mehr harren, die zur Grube fuhren, deiner Treuverbundenheit entgegen. Nur wer lebt, wer lebt, der preiset dich, so wie ich es heut’ noch tue.

Damit wird der Definition des Toten als des vom Lobe Gottes Abgeschnittenen die des Lebenden als desjenigen Menschen gegenübergestellt, der Jahwes Werk und Wort rühmen kann 23. »Leben heißt also im Alten Testament: ein Verhältnis haben. Vor allem: zu Gott ein Verhältnis haben.« »Tod … bedeutet Verhältnislosigkeit.« 24 Diese Bestimmung des Todes im Alten Testament ist für das Verständnis des Todes Jesu im Neuen Testament von grundlegender Bedeutung. Jesus stirbt in den ganz und gar nicht verklärten, vielmehr 23. Vgl. von Rad, Theologie des AT II, 371 f.; Barth, Errettung vom Tode, 151: »Man beachte aber, daß der Lobpreis Jahwes zugleich die Funktion eines Merkmals der Lebendigkeit hat.« 24. Jüngel, Tod, 99.138, vgl. auch 145, ferner Gollwitzer, Holz, 285 f.: »Gemeinschaft mit Gott ist Leben.«

Jahwe und das Vakuum des Todes

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radikal profanierten Tod hinein. Jeglicher Nimbus bleibt auch hier völlig fern. Er stirbt den grässlichen Tod des Menschen und ist so für den Menschen inmitten der völligen Gottesferne präsent 25. Doch von den bisher erkannten alttestamentlichen Bestimmungen des Todes bis zu dieser neutestamentlichen Erkenntnis ist noch ein weiter Weg zurückzulegen. Zunächst tritt ein schweres Problem innerhalb des Alten Testamentes auf. Der Tod ist einerseits als ein Raum gnadenloser Gottesferne beschrieben, in den Jahwe nicht mehr hineinwirken kann; jeder menschliche Versuch, auch nur die geringste Verbindung zwischen der Totenwelt und Jahwe herzustellen, wird streng unterbunden. Andererseits wird aber auch dem Tod jede Jahwe gegenüber selbständige, eigene Mächtigkeit bestritten; dass in der Totenwelt ein selbständiger Herrscher regiere, ist nicht zu denken26.

5. Jahwe und das Vakuum des Todes Wie bewältigen die Zeugen des Jahweglaubens dieses merkwürdige theologische Vakuum? Wir beobachten ein Tasten hinein in diese Leere. Den ersten Schritt gehen alle Beter des Alten Testaments gemeinsam. In der Gefahr des Todes gibt es für sie keine Möglichkeit außer der einen, dass sie sich an Jahwe wenden, ist er doch »die Quelle des Lebens« (Ps 36,8–10), so gewiss in seinem Heiligtum der Zuspruch des Lebens zu erwarten ist 27. So schreit denn selbst der 88. Psalm zu Jahwe (V. 3.14 f.): Es komme vor dich mein Gebet, zuwende dein Ohr meinem Flehen! … 25. Vgl. Jüngel, aaO 138 f.: »Indem Gott sich mit dem toten Jesus identifizierte, setzte er sich der aggressiven Gottfremdheit des Todes wirklich aus, setzte er die eigene Gottheit der Macht der Negation aus, um gerade so für alle Menschen dazusein.« 26. Vgl. Zimmerli, Weltlichkeit, 116. 27. Ps 15; 24,3–6; Ez 18,5–9, dazu Zimmerli, aaO 122 f. Zwar kommt in den überlieferten Leichenklageliedern Israels der Name Jahwes nicht vor (Jahnow, Leichenlied, 56), doch ist es kaum denkbar, dass nicht auch sie in Israel »für die Ohren Jahwes bestimmt« sind, vgl. Gerstenberger, Mensch, 65 ff.

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Leben und Tod

Ich rufe zu dir, Jahwe, frühmorgens kommt zu dir mein Flehen. Warum verstößest du mich, Jahwe, verbirgst du dein Antlitz vor mir?

Wer, wenn nicht Jahwe, könnte Zuflucht bieten, selbst angesichts der Unterwelt, in der seine Hand nicht wirkt (V. 6!). Gebietet doch nur er über den Eintritt ins Totenreich (V. 7): Du wirfst mich ins abgründ’ge Grab, in Finsternis, in tiefste Tiefen.

Es ist elementare Gewissheit der Beter, dass wenigstens den Zugang zum Tod nur Jahwe verfügen oder verhindern kann. Wie Jahwe im Anfang der Geschichte Israels darüber entschied, dass das hilflose, in seinem Blut zappelnde Findelkind am Leben blieb (Ez 16,6 f.), so gebietet er in jedem Einzelfall über das Sterben eines Menschen. Das steht als Gewissheit hinter der in Am 6,9 f. geschilderten Szene: Wenn auch zehn Männer in einem Hause übrigbleiben, so sterben sie doch. Man nimmt seinen Verwandten und zwingt ihn, die Leichen aus dem Hause zu bringen. Sagt er zu dem, der im hintersten Winkel des Hauses sitzt: »Ist noch einer bei dir?« – sagt der: »Keiner!«, und er sagt: »Still! Denn man darf Jahwe nicht mit Namen nennen.«

Weiter stößt das Gotteswort der fünften Amos-Vision in 9,2 vor, wo es von denen, die dem Gericht entfliehen wollen, heißt: Und drängen sie vor bis in die Totenwelt, so brächte meine Hand sie von dort herauf.

Hier ist Jahwe nicht der, der Menschen dem Totenreich ausliefert; vielmehr ist vorausgesetzt, dass Menschen von sich aus dorthin flüchten, nur um vor Jahwes Zugriff sicher zu sein (Ps 88,6.11–13!). Doch da lautet die neue Botschaft, dass Jahwe auch in die Totenwelt mit seiner Hand vordringt. Zu einer ähnlichen Gewissheit kommt Ps 139,8: Wollte ich in der Totenwelt lagern, siehe, da bist du auch!

Ist Jahwe allein Gott, so kann die Erkenntnis nicht ausbleiben, dass auch der Tod kein Herrschaftsgebiet abzusichern vermag, in das Jahwe nicht vordringen könnte. Sie totalisiert nicht nur die Androhung, dass

Jahwe und das Vakuum des Todes

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es vor Jahwe schlechterdings kein Entrinnen gibt, sondern wird dann auch zur hymnisch besungenen Heilsgewissheit (1 Sam 2,6): Jahwe macht tot und lebendig, stürzt in die Totenwelt und führt herauf.

Im Moselied wird eine entsprechende Zusage ausdrücklich mit der Proklamation der Einzigkeit von Jahwes Gottesherrschaft verbunden (Dtn 32,39): Seht jetzt, dass ich es bin, nur ich, und dass kein Gott ist neben mir. Ich töte und mache lebendig, ich zerschlage, und ich bin’s, der heilt.

Die Erwartung, dass Jahwe frei über Tod und Leben verfügt, verschafft Hiob eine neue Möglichkeit der Hoffnung (14,13–17): O möchtest du im Totenland mich bergen, verstecken mich, bis sich dein Zorn gewandt. … Ich harrte alle Tage meiner Fron, bis meine Ablösung gekommen wäre. Du würdest rufen, und ich gäbe Antwort, du sehntest dich nach deiner Hände Werk. Du würdest dann wohl meine Schritte zählen, doch nicht mehr wachen über mein Vergehn.

In einer ganz anderen Weise deutet Ps 63,4 an, wie Jahwes Huld das Leben transzendiert: Besser als Leben ist deine Treuverbundenheit.

Nicht in irgendeiner ausgestalteten Jenseitshoffnung manifestiert sich die Überwindung der Todesnot, sondern in der ruhigen Gewissheit, dass die Gemeinschaft mit Jahwe seiner Treue wegen nicht durch den Tod beendet werden kann28. Diese Sicht wird erläutert durch die Vorstellung der Entrückung (lqh) in Ps 49,16: ˙ Gott erlöst mein Leben, ja, er entrückt mich aus der Gewalt der Unterwelt.

28. Vgl. Barth, Errettung vom Tode, 165 f.; von Rad, Theologie des AT I, 419 f.

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Der Gedanke ist aus den Henoch- und aus den Elia-Überlieferungen vertraut (Gen 5,24; 2 Kön 2,3.5). Vor Jahwe gibt es demnach nicht nur die Alternative zwischen diesem Leben und dem Schattendasein in der Totenwelt, sondern eine andauernde Lebensverbundenheit mit ihm als eine dritte Möglichkeit. Der Beter des 73. Psalms spricht davon am klarsten (V. 23 f.): Ich bin stets bei dir. Du hältst mich bei deiner rechten Hand. Nach deinem Plane führst du mich. Hernach entrückst du mich in Herrlichkeit.

In der Entrückungsvorstellung wird eine Verbindung mit Jahwe erwartet, die auch der leibliche Tod nicht unterbrechen kann (V. 26): Wenn auch mein Fleisch und mein Herz hinschwinden, ist doch Gott mein Anteil auf immer.

Das Wort »Anteil« (helæq) ist das entscheidende Interpretament. Be˙ den Ackeranteil (Dtn 10,9; Num 18,20), so deutet es ursprünglich gewinnt es auf Jahwe bezogen den allgemeinen Sinn der Lebensgrundlage, des Lebensunterhalts (Ps 16,5) 29. Wem Gott selbst Lebensunterhalt geworden ist, dessen Leben kann nicht im Tode enden (V. 27 f.): Ja, die von dir weichen, kommen um. … Ich aber habe in Jahwe meine Zuflucht gesetzt.

So kommt gegen die These vom Glück der Gottlosen am Ende des Lebens dieses Beters die Wahrheit ans Licht. Damit mag zunächst nur eine individuelle Hoffnung levitischer Frommer aufgebrochen sein. Ins Grundsätzliche und Generelle treibt das apokalyptische Denken die Gottesgewissheit. »Wenn Gott alles in allem ist, kann es in der Apokalyptik konsequent keinen Tod mehr geben.« 30 Jes 25,8 bringt den fundamentalen Satz:

29. Die traditionsgeschichtlichen Zusammenhänge hat von Rad, Gerechtigkeit, 432 ff. aufgedeckt, vgl. auch ders., Weisheit, 263 ff. 30. Maag, Tod, 30 f.

Stufen des Sterbens

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Er verschlingt den Tod auf immer. Und der Herr Jahwe wischt ab die Tränen von jedem Angesicht und nimmt seines Volkes Schmach hinweg von der ganzen Welt.

Hier wird die umfassende Schau zunächst als Hoffnung für Israel verdeutlicht. So auch in der ersten Zusage der Auferstehung in Jes 26,19: Deine Toten stehen wieder auf, ihre Leichen wachen wieder auf.

Dan 12,2 tut den letzten Schritt und beschränkt die Erwartung nicht mehr auf die Frommen des Gottesvolkes: Viele von denen, die im Staub der Erde schlafen, werden aufwachen, die einen zum endgültigen Leben, die anderen zur endgültigen Schande.

Damit ist grundsätzlich bestritten, dass Gottes Herrschaft ein Verfallen im Tode oder ein Entweichen in den Tod zulässt. Hier gibt es nun auch eine Verklärung der »Weisen« und derer, »die viele zur Gerechtigkeit geführt haben«, wie Israel sie für den Übergang ins Totenreich nicht kannte (Dan 12,3). So hat die Erkenntnis Jahwes in verschiedenen Anläufen das theologische Vakuum des Todes bewältigt, ohne doch die beiden Grundsätze, die es aufgerissen haben, zu verlassen: Der Tod liegt extrem fern von Gott, und: Er bildet keine selbstständige Gegenmacht.

6. Stufen des Sterbens Das Problem der Grenze zwischen Tod und Leben haben wir bisher nur gestreift. Wir lasen von Nabals Tod, dass er zehn Tage nach dem Sterben seines Herzens eintrat (1 Sam 25,37 f.) 31, dass also schon im Alten Testament der Tod eines wesentlichen Organs nicht mit dem Tode des Menschen identisch sein muss, mithin auch der Mensch von Organen seines Körpers überlebt werden kann32. Biologisch gesehen gibt es Stufen des Sterbens. Zur jeweiligen Bestimmung der Grenze zwischen Leben und Tod bedarf es der Definition von Tod 31. S. oben S. 76 f. 32. Vgl. Jüngel, Tod, 30 ff.

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Leben und Tod

und Leben. Für den ganzen Menschen ergab sich die alttestamentliche Antwort, dass Leben genau da in den Tod geht, wo das Lob Gottes verstummt 33. Wie diese theologische Aussage für den modernen Menschen eine psychologische einschließt, so impliziert sie biologisch gesehen recht verschiedene Stufen des Sterbens. In Ps 88 hörten wir die Stimme eines Menschen, der »von Jugend auf ein Hinscheidender« ist (V. 16), also ein Todkranker. Wenn er »gesättigt mit Leiden« wurde (V. 4), dann ist damit zwar noch von keinem Organ gesagt, dass es tot sei, und dennoch weiß er sich der Übermacht des Todes so ausgeliefert, dass man ihn schon »zu denen zählt, die zur Grube fahren, ›entlassen‹34 unter die Toten« (V. 5 f.). Selbst wenn das Herz und der Atem sich noch regen, so ist dieser Mensch doch schon als ein vom Tode umfangener anzusehen. Es gibt also den Toten, der von allen Organen seines Körpers überlebt wird. Deshalb kann im 38. Psalm paradoxerweise ein im Tode Verstummter sprechen (V. 14 f.): Ich bin wie ein Tauber, ich höre nicht, und wie ein Stummer, der seinen Mund nicht öffnet. Ich bin wie ein Mann, der nicht hören kann, in dessen Mund keine Antwort mehr.

In Ps 55 sind auf einen Menschen, der feindseligen Verfolgungen ausgesetzt ist (V. 4.10 f.13 f.), bereits die Todesschrecken gefallen (V. 5). In Ps 116 dankt einer, der dem Unrecht preisgegeben war; im Rückblick auf den Betrug der Menschen, denen er ausgeliefert wurde (V. 10 f.), kann er feststellen (V. 3): Es umwanden mich Stricke des Todes, die Schlingen der Unterwelt hatten mich erreicht.

Und im Blick auf die erfahrene Befreiung (V. 16) betet er Jahwe an (V. 8): Du hast mein Leben gerettet vom Tode.

Solche Aussagen der Klage- und Danklieder vom Grenzübertritt zwischen Leben und Tod sind nicht bildlich gemeint. Sie entsprechen exakt der Erkenntnis, dass der Mensch abseits von der Möglichkeit, 33. S. oben S. 162. 34. So übersetzt die Jerusalemer Bibel. Zum Text vgl. Kraus, BK XV.

Stufen des Sterbens

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Gott zu preisen, wahrhaftig »im Tode« ist, »in realer Zuständlichkeit« 35. So gehören Schwerkranke, Angeklagte, die vor Gericht ohne Beistand bleiben, Verfolgte, die hilflos ihren Feinden preisgegeben sind, bereits zur Totenwelt. Hier ist die »Denkweise des pars pro toto« wirksam 36. Elihu kann deshalb in Hi 33,29 f. lehren, dass der Mensch mehrfach die Grenze zwischen Leben und Tod überschreitet: Das pflegt Gott zwei-, dreimal am Menschen zu wirken, zu retten sein Leben aus der Grube, sie zu erleuchten mit dem Licht des Lebens.

Danach gibt es dann den unabänderlichen Tod ohne Wiederkehr (2 Sam 12,23). Er wird nur durch den endlichen Sieg Jahwes über den Tod selbst oder durch die besondere Lebensgemeinschaft mit ihm überwunden37. Beim mehrfachen Grenzübertritt ist durchweg an den vorzeitigen Tod gedacht. Eine positive Aufnahme findet der Tod im hohen Alter. Er beendet ein erfülltes Leben. So berichtet die Priesterschrift in Gen 25,8: Abraham starb in gutem Greisenalter, alt und satt an Tagen und wurde zu seinen Stammesgenossen versammelt.

Das ist der Tod, den der Mensch sterben darf, nicht der, den er sterben muss 38. Auch Isaak, David und Hiob sterben »lebenssatt« (Gen 35,29; 1 Chr 29,28; Hi 42,17). Hiob hatte Kinder, Enkel und Urenkel gesehen (42,16). So ist das Leben erfüllt. Denn »satt« meint nicht den Überdrüssigen, sondern den Befriedigten. Elifas zeigt das Sterben des Menschen, den Gott nicht umsonst zurechtgewiesen hat, als eine hohe Erfüllung (Hi 5,26): Im reifen Alter steigt er in das Grab, wie man zu seiner Zeit die Ähren sammelt. 35. So Maag, Tod, 25, vgl. Barth, Errettung vom Tode, 38 u. ö.; Baumgartner, Auferstehungsglaube, 125. 36. Barth, aaO 118: »Wer auch nur in der geringsten Beziehung in die Gewalt der Scheol gerät, befindet sich faktisch ganz in ihrer Gewalt.« 37. S. oben S. 163ff. 38. Vgl. Jüngel, Tod, 94, vgl. Wächter, Tod, 65.

170

Leben und Tod

Über Gottes Verwunden und Verbinden hat er die Erfüllung des Zuspruchs erfahren (Hi 5,24): Friede ist dein Zelt. Wirst mustern deine Flur und nichts vermissen 39.

Wie ganz und gar unfaustisch ist doch diese Bejahung der Endlichkeit eines erfüllten Menschenlebens! Wie anders sagt Mephisto unmittelbar nach Fausts Tod 40: Ihn sättigt keine Lust, ihm gnügt kein Glück, so buhlt er fort nach wechselnden Gestalten; den letzten, schlechten, leeren Augenblick, der Arme wünscht ihn festzuhalten.

Alt, aber nicht lebenssatt, – das wäre nicht gut. Aber auch das Umgekehrte ist schlecht: lebenssatt, aber nicht alt. Nur in äußerster Not kann es eine Sehnsucht nach dem Tode geben. Wo anders als bei Hiob? (6,8–10): Gefiele es doch Gott, mich zu zermalmen! Erhöb er seine Hand, mich abzuschneiden! Es würde das mein Trost noch bleiben!

Und wie verwünscht er den Tag seiner Geburt (3,1 ff., vgl. besonders V. 20–23)! In tiefster Verzweiflung verflucht Jeremia den Mann, der seinem Vater seine Geburt gemeldet hat (20,14–18): Dass meine Mutter mir zum Grab geworden wäre! Und dass ihr Schoß auf ewig schwanger bliebe! Warum denn musst ich aus dem Mutterleib hervorgehn? Um Mühsal nur und Qual zu sehen? Um meine Tage nur in Schmach zu enden!

Mit solcher Empörung ist nur Jeremia unter der Last des Prophetenamtes zerbrochen. Sehr selten ist im Alten Testament der Selbstmord 41. Doch ein »genug« gibt es für jeden. Nicht einmal in der Heilszeit fehlt das endliche Sterben, wenn auch mit mehr als hundert Jahren (Jes 65,20 ff.). Später steigert der Auferstehungsglaube die Bereitschaft zum Sterben: 39. Vgl. Hi 5,17 f. 40. Goethe, Faust II 5. Akt. 41. Vgl. Wächter, Tod, 89 ff.

Vergehen und Vergänglichkeit

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Länger als achtzig Jahre leben ist qualvoll 42.

Der vorzeitige Tod jedoch zeigt sich immer als Feind des Lebens. »Je früher der Tod kommt, um so größer ist das Unglück.«43 So klagt der König Hiskija (Jes 38,10.12 f.): In der Mitte meiner Lebenstage geh ich durch des Totenreiches Tore, bin beraubt des Restes meiner Jahre. … Abgebrochen wird mir meine Hütte, weggebracht wie eines Hirten Zelt.

Erst recht jammert eine Mutter um ihr Kind wie Hagar in der Wüste (Gen 21,16): Ich kann nicht ansehen des Knaben Sterben.

David leidet als Vater unsäglich mit seinem Sohn, dem todkranken Kind der Batseba (2 Sam 12,16 ff.). Am jungen Menschen zeigt sich der Tod als hoffnungsloser Fall 44. Zahllose Wendungen beschreiben ihn darum als »Untergang«, als Vernichtung, als Einkehr in das Land ohne Rückkehr, in dem Finsternis, Schweigen und Vergessen regieren, so dass nichts mehr zu sehen, nichts zu hören, nichts zu erinnern ist (2 Sam 12,23; Hi 7,9 f.; 10,21 f.; Ps 94,17; 115,17). Hier wird gar nichts beschönigt und gar nichts verklärt. Noch einmal ist zu bemerken, dass Israels Gott in aller Regel nicht im Reich des Todes zu suchen ist, sondern gerade noch an seinen Grenzen: Er gibt Menschen dem Tode preis, oder er entreißt sie dem Tode. Zuletzt wird er erkannt als der, der den Tod überwindet.

7. Vergehen und Vergänglichkeit Die Spannung zwischen Gott und Tod ist nicht zu trennen von dem Zusammenhang zwischen Tod und Schuld. Israel wusste davon nach dem Zeugnis aller Bereiche des Alten Testaments. Gerade der vorzeitige Tod gilt häufig als der verschuldete Tod. Eli wird als Strafe ange42. Semachot 3, 8, nach Quell, Auffassung des Todes, 37. 43. Ders., ebd. 44. Vgl. Jüngel, Tod, 101.

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Leben und Tod

sagt, dass es in seiner Sippe keinen Betagten mehr geben soll (1 Sam 2,31 f.). Nach Hi 22,15 f. werden Frevler »vor der Zeit« hingerafft. Hi 36,14 sagt von Ruchlosen: Sie sterben in der Jugend Blüte, ihr Leben endet im Jünglingsalter.

Das »Todesrecht« will mit seiner Androhung der Todesstrafe davor bewahren 45. Das ganze alte Gottesrecht kann zusammengefasst so angeboten werden (Dtn 30,15): Siehe, heute habe ich dir vorgelegt Leben und Heil, Tod und Unheil. 46

Ähnlich klingt mitten in der harten prophetischen Todesdrohung der Ruf Jahwes auf (Am 5,4): Suchet mich! Dann lebt ihr. 47

Vor allem versteht sich die Weisheit als Wort der Lebensunterweisung (Spr 13,14): Des Weisen Lehre ist eine Quelle des Lebens, zu entgehen den Fallen des Todes. 48

Im Einzelbeispiel der Warnung vor der fremden Frau lautet diese Lehre etwa so (Spr 2,18 f.): Ja, ihr Haus führt zum Tode hinunter, ins Totenreich gehn ihre Bahnen. Wer bei ihr einkehrt, kommt nie mehr zurück, nie mehr erreicht er des Lebens Pfade.

Solche Worte setzen voraus, dass der Mensch etwas gegen den Tod tun kann, sofern nämlich Gott im Rechtswort, in der Prophetie, in der Weisheitslehre etwas gegen den Tod und für das Leben des Menschen aufgeboten hat. Indem der Mensch sich gegen das Angebot des Lebens vergeht, gibt er sich der Vergänglichkeit preis 49. Denn das Ver45. 46. 47. 48. 49.

Vgl. Schulz, Todesrecht, ferner Ex 21,12 ff.; Dtn 27,15 ff. Vgl. Lev 18,5. Vgl. Ez 18,21.28; 33,14 f. Vgl. Spr 3,1 f. Vgl. Jüngel, Tod, 99: »Sünde … macht beziehungslos. Der Tod ist das Fazit dieses Dranges in die Verhältnislosigkeit. Insofern ist der Tod anthropolo-

Vergehen und Vergänglichkeit

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gehen, das der Mensch sträflich begeht, führt ins Verderben, das er schuldig erleidet. Darum bittet Salomo um ein hörendes Herz und nicht um ein langes Leben (1 Kön 3,11.14) 50. Der Tod wird angesichts des Zornes Gottes Anruf zur Bewährung im Leben (Ps 90,8 ff.): Vor deine Augen stellst du unsre Schuld, unser Verborgenstes in deines Angesichtes Licht. All unsre Tage gehen hin in deinem Zorn. … Wer kennt denn die Gewalt von deinem Zorn? Wer fürchtet denn die Wucht von deinem Grimm? Zu zählen unsre Tage, lass uns lernen, damit wir bringen heim ein weises Herz!

So wird die Einsicht in den verschuldeten Tod herausgefordert, damit der Mensch den Fallen des Todes entgeht. Das Forschen nach der Schuldmotivation erscheint im konkreten Falle vor allem durch den Betroffenen selbst unentbehrlich. Doch soll sich der Mensch auch hier vor jedem Übereifer hüten. Hiobs Freunde warnen aufs kräftigste vor der theologischen Leidenschaft, Schuldzusammenhänge beim anderen zu suchen. Meist bleibt beim endlichen Alterstod der Zusammenhang von Vergehen und Vergänglichkeit verborgen. Lieber erinnert hier das Alte Testament daran, dass ein lebenssattes Sterben zur Geschöpflichkeit des Menschen gehört. Schon in der Paradiesesgeschichte des Jahwisten in Gen 2–3 ist die feine Unterscheidung von verschuldetem Tod und geschöpflichem Tod zu bemerken. Die in 2,17 für den Griff nach dem Erkenntnisbaum angedrohte Todesstrafe wird, obwohl sie durch das Gespräch mit der Schlange und den Genuss der verbotenen Frucht verwirkt ist, nicht durchgeführt, sondern in die Verfügung eines mühevollen Lebens verwandelt (3,16 ff.). Der endlich eintretende Tod jedoch wird ausdrücklich mit der Erinnerung an die Erschaffung des Menschen erklärt (3,19) 51: gisch nicht nur und nicht erst am Ende des Lebens, sondern im Drang nach Verhältnislosigkeit als wirksame Möglichkeit jederzeit da.«, vgl. auch Eph 2,1; Joh 5,24; Lk 15,24. 50. S. oben S. 85. 51. S. oben S. 146.

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Leben und Tod

… bis du zur Ackererde zurückkehrst, denn von ihr bist du genommen. Denn Staub bist du, und zum Staube kehrst du zurück.

Dabei wird genau auf den Wortlaut der Erzählung von der Erschaffung des Menschen aus Staub von der Ackererde in 2,7 Bezug genommen und gar nicht auf die Verfügung der Todesstrafe in 2,17. Nachträglich wird in 3,22 eingeschärft, dass »auf Dauer leben« nicht Sache des Menschen, sondern Sache Gottes ist, und dass es dem Menschen deshalb auch nicht als Anmaßung und Raub zufallen soll; darum wird ihm mit der Vertreibung aus dem Garten der Zugang zum Baum des Lebens verwehrt. So hat der Jahwist den Menschen als sterbliches Geschöpf aus Staub gesehen 52. Die spätere Weisheit nimmt diese Sicht auf und führt sie weiter. In Hi 30,23 heißt der Tod »das Versammlungshaus jeglichen Lebens«; Hiob klagt: Ich weiß es ja, du bringst mich in den Tod, ins Haus, wo alle Lebenden sich sammeln.

Kohelet betont, dass der Mensch darin dem Tiere gleicht (3,19 f.): Das Geschick der Menschenkinder und das Geschick der Tiere – ein und dasselbe Geschick haben sie. Wie diese sterben, so sterben auch jene. Alles geht zum selben Ort. Alles ist aus Staub geworden, und alles kehrt zum Staub zurück.

Klingt hier deutlich die jahwistische Paradiesesgeschichte an, so geht der Prediger an anderer Stelle weit über die älteren biblischen Aus52. Paulus nimmt in 1 Kor 15,42 (»gesät wird in Vergänglichkeit«) und V. 47 (»der erste Mensch stammte von der Erde und war irdisch«) diese Anschauung des geschöpflichen Menschen als des Sterblichen auf, vgl. Schweizer, choïkós, 466 f. Dagegen kontrahiert Paulus Gen 3 und die in Ps 90,8 ff. vertretene Sicht in Röm 5,12 (»Wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod …«). Die Unterscheidung der geschöpflichen Lebensgrenze von dem Tod als Feind war Karl Barths Anliegen in KD III/2, 776 ff., dazu Gollwitzer, Holz, 286: »Unser Unendlichkeitsverlangen ist Revolte gegen unsere Geschöpflichkeit.«

Vergehen und Vergänglichkeit

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sagen, gerade auch über die der Weisheit hinaus. Er will die Schuldfrage überhaupt nicht mehr gestellt sehen (9,2–4): Alle trifft doch dasselbe Geschick, den Gerechten und den Frevler, den Reinen und den Unreinen, den, der opfert, und den, der kein Opfer bringt, den Guten wie den Sünder, den, der schwört, wie den, der den Eid scheut. Ja, wer den Lebenden zugesellt ist, für den ist noch Hoffnung. Denn ein lebender Hund ist besser als ein toter Löwe.

Jetzt erscheint einzig wichtig der Gegensatz von Tod und Leben, hingegen schwindet die Differenz von Schuld und Unschuld völlig. Kohelet erhärtet seine Anschauung mit eigenen Beobachtungen (7,15–18): Alles habe ich gesehen in meinen nichtigen Tagen: es gibt Gerechte, die zugrunde gehen trotz ihrer Gerechtigkeit, und es gibt Frevler, die lange leben trotz ihrer Bosheit. Sei nicht allzu gerecht, und gehabe dich nicht allzu weise! Warum willst du dich zugrunde richten? Frevle nicht allzu sehr, und sei kein Tor! Warum willst du vorzeitig sterben? Gut ist es, du hältst das eine fest und lässt auch das andre der Hand nicht entgleiten. Ja, wer Gott fürchtet, bringt alles beides zuwege.

Zwar gehören auch für diesen Prediger Gottesfurcht und Lebensdauer im Allgemeinen zusammen, doch sind Ausnahmen wohlbekannt; darum wird jedem Lebensverlängerungsversuch durch Selbstüberforderung wie auch jeder Bedrohung des eigenen Lebens durch übersteigertes Freveln abgesagt. Im Wesentlichen erscheint die Endlichkeit allen Lebens geschöpflich. So ist auch das Geschenk geschöpflichen Daseins in der zugemessenen Frist voll auszukosten (9,7 ff.) 53. 53. S. oben S. 142. Zum Problem des Menschenopfers vgl. Ex 22,28 mit Dtn 12,31; Gen 22 und Quell, Auffassung des Todes, 9 ff.

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Leben und Tod

8. Der Tod des Einen und der Tod der Vielen Es ist noch auf zwei alttestamentliche Grenztexte hinzuweisen, in denen sich ein fremdes Einzelgeschick auf die Todverfallenen auswirkt. In Ps 22 54 sind zunächst in der Klage eines Einzelnen (V. 2–22) Leidenserlebnisse zur Erfahrung eines umfassenden Urleidens kumuliert und gesteigert; dann wird im Danklied (V. 23–32) die Rettung dieses Leidenden zum Unterpfand des Durchbruchs der Königsherrschaft Gottes (V. 25.29), und zwar für alle, die diese Errettung dankbar mitfeiern. Die gesamte gegenwärtige Völkerwelt (V. 28 f.) wird einbezogen; aber auch diejenigen werden erreicht, die schon »in den Staub hinabfuhren«; erstaunlicherweise werden auch sie anbeten (V. 30), was zuvor völlig undenkbar war 55. Selbst den kommenden Geschlechtern der noch Ungeborenen wird verkündet, dass »er es vollbracht hat« (V. 32). Die apokalyptischen Erkenntnisse von der völligen Todesüberwindung 56 haben damit in einem alle bisherigen Grenzen übersteigenden Danklied eine neue Gestalt gefunden. Solcher Dank wird in die neutestamentliche Vergegenwärtigung des Todes Jesu im Herrenmahl aufgenommen. Da Jesus den Tod der Gottesferne starb, sind die in die Gottesferne des Todes Verstoßenen in den Dank des Geretteten hineingeholt. Jesaja 53 spricht von dem unerhörten, abstoßenden Leiden des Gottesknechtes. Doch warum litt er? Jahwe ließ ihn treffen unser aller Schuld. Durch sein Leiden wird mein Knecht viele rechtfertigen (V. 6b.11).

In den Tod dieses Knechtes wird also nicht nur alles Not leidende Leben einbezogen, sondern auch das der Schuld verfallene. Es wird mit ihm in die Freiheit geführt. Diesen großen Text hat die neutestamentliche Gemeinde ebenfalls zum besseren Verständnis des Todes Jesu und seiner Auferstehung herangezogen. Im Geschick Jesu ist auf eine neue Weise eine Lebensgemeinschaft mit Gott eröffnet, die auch im Verfall von Fleisch und Herz nicht endet. Ps 73 57 wird jetzt neu

54. 55. 56. 57.

Vgl. zum Folgenden Gese, Psalm 22. S. oben S. 162 f. zum Ps 88,11–13 und Jes 38,18. S. oben S. 166 f. S. oben S. 166.

Der Tod des Einen und der Tod der Vielen

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begriffen: Der Herr ist meine Lebensgrundlage (Röm 4,25; 2 Kor 5,21; Mk 10,45). Neutestamentliche Zeugen nahmen die kleine Zahl der als Verheißung verstandenen Texte vom Tod wie Ps 22 und Jes 53 auf, um kraft ihrer Typik die Bedeutung des Todes Jesu schärfer zu erfassen. Für heutige Menschen wird die totale Entmythisierung des Todes wichtig, mit der das Alte Testament dem Tod jede Gloriole genommen hat. Jesus starb in einen Tod hinein, in dem das Grauen noch den letzten Ton des Lobes Gottes und der Verkündigung seiner Taten verschlungen hat. Diesem öden Vakuum, das heute mehr denn je seinen Rachen öffnet, hat er die Macht genommen.

§ 13 Jungsein und Altern 1 1. Lebenserwartung – 2. Lebensabschnitte – 3. Kennzeichen der Jugend – 4. Kennzeichen des Alters – 5. Umsturz der biologischen Regel

Des Menschen Zeit durchläuft verschiedene Phasen, bis das Greisenalter in Gegensatz zur Jugend tritt.

1. Lebenserwartung Das hebräische Wort für die Lebensdauer (hælæd) gehört in die Klage über seine Kürze (Ps 39,6; 89,48, vgl. Hi˙ 11,17). Wie hoch ist die Lebenserwartung im Alten Testament? Exakte und historisch gesicherte Altersangaben über Jahrhunderte hinweg verdanken wir nur der Chronik der Könige von Juda, und zwar für die davidischen Könige selbst. Die Chronologie ist so weit einigermaßen verlässlich erforscht, dass wir für 14 Könige des Davidshauses von 926 bis 597 v. Chr. die Lebensalter ungefähr bestimmen können2. Danach erreichten Rehabeam Josafat Joram Ahasja Joas Amazja Asarja 1. 2.

56 Jahre 55 Jahre 38 Jahre 21 Jahre 45 Jahre 38 Jahre 66 Jahre

Jotam Ahas Hiskija Manasse Amon Josia Jojakim

40 Jahre 35 Jahre 56 Jahre 66 Jahre 22 Jahre 38 Jahre 35 Jahre.

Literatur: Löw, Lebensalter, 12–20.119–138.227–239.279–351; Köhler, Mensch, 27–33.48–100 und Conrad, Generation. Ich errechne die hier vorgelegten Zahlen nach Alfred Jepsen in Jepsen / Hanhart, Chronologie und Jepsen im Anhang zu Rudolph, KAT XIII/1, 271 ff. im Vergleich mit den Angaben der Königebücher. Nur Joahas, Jojachin und Zedekia fehlen in der folgenden Liste der nachsalomonischen Davididen, da unbekannt ist, wie lange sie nach ihrer Entthronung und Gefangennahme noch gelebt haben.

Lebenserwartung

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Der Grad der Genauigkeit kann jeweils um ein bis zwei Jahre schwanken; darüber hinaus sind die Angaben für die Zeit von Amazja bis Hiskija (825–697?) besonders unsicher. Doch werden sich für unsere Zwecke die möglichen Fehler im Allgemeinen ausgleichen. Bemerkenswert ist, dass die Lebensalter zwischen 66 und 21 Jahren schwanken und dass sich ein Durchschnittsalter von knapp 44 Jahren ergibt 3. Bedenkt man, dass Prinzen im Säuglings- und Kindesalter besonders gepflegt und Könige im Mannesalter stärker geschützt wurden als die meisten übrigen Glieder des Volkes, so wird man die mittlere Lebenserwartung vor allem angesichts der hohen Säuglingssterblichkeit wesentlich niedriger anzusetzen haben 4. Erreicht der Mensch nach Ps 90,10 70 Jahre und nur »bei besonderer Lebenskraft« (bigbûrot) 80 Jahre, so werden schon ungewöhnliche Höchstwerte genannt sein, hat doch keiner der 14 oben genannten davidischen Könige auch nur das 70. Jahr erreicht. Nur David selbst wurde nach 2 Sam 5,4 70 Jahre alt; doch ist sowohl bei der Altersangabe zum Regierungsantritt (30 Jahre) wie bei der Regierungsdauer (40 Jahre) mit nach oben abgerundeten Zahlen zu rechnen. Nach 1 Chr 29,23 gilt eine 70jährige Lebenszeit als »ein schönes Alter«. Gibt Dtn 34,7 für Mose 120 Jahre an, so entspricht hier wie bei den Angaben über die Patriarchen die Urzeit Israels der erhofften Heilszeit, in der nach Jes 65,20 der Jüngste mit 100 Jahren sterben wird. Über hundert Jahre alt sollen in nachmosaischer Zeit nur Josua (110 nach Jos 24,29), Hiob (140 nach Hi 42,16) und der Hohepriester Jojada (130 nach 2 Chr 23,15) geworden sein. In Gen 6,3 wird die Lebensdauer auf 120 Jahre begrenzt, nachdem der Mensch seine Grenzen überschritten hat (vgl. Gen 5). Hier gelten nicht historische, sondern mythische Maßstäbe 5.

3. 4.

5.

Köhler, Mensch, 30 kam von anderen Voraussetzungen her zu einem Durchschnittsalter von 47 bis 48 Jahren. Nach Brockhaus Enzyklopädie17 XI (1970) 232 betrug im Jahrzehnt von 1951–60 die mittlere Lebenserwartung in Indien für Männer 42, für Frauen 41 Jahre, in Togo/Afrika für Männer 32, für Frauen 39 Jahre, während sie in der Bundesrepublik Deutschland für Männer bei 68, für Frauen bei 73 Jahren lag (1968). Vgl. Westermann, BK I, 478 f. Ergreifend ist die Szene, in der nach Gen 47,8 f. der alte Jakob in der Fremde vor Pharao steht und auf dessen Frage nach seinem Alter nicht ohne Bitterkeit erklärt, dass er mit seinen 130 Jahren auf eine kürzere und schwerere Wanderschaft zurückblicke als seine Väter.

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Jungsein und Altern

2. Lebensabschnitte Mindestens drei Lebensphasen werden allgemein unterschieden: Kinder (yôneq Brustkind Dtn 32,25; na2ar Knabe Ps 148,12; tap trip˙ pelnd, nicht marschfähig Ez 9,6), ausgewachsene junge Männer und e erwachsene Mädchen (ba¯hûr und b tûla¯h Dtn 32,25; Ez 9,6 und Ps ˙ 148,12) und reife ältere Männer und Frauen (za¯qen der den Vollbart trägt Ez 9,6; Ps 148,12; ’îsˇ ´sêba¯h der grauhaarige Dtn 32,25; ’isˇˇsa¯h Ez 9,6). Jer 51,22 kennt vier Lebensabschnitte; nach den Kindern (na2ar) und Jugendlichen (ba¯hûr und betûla¯h) wird zwischen den jün˙ geren (verheirateten) Erwachsenen (’îsˇ und ’isˇˇsa¯h) und den alten Leuten (za¯qen) unterschieden. Fünf Altersstufen schließlich nennt Jer 6,11: Kleinkind ( 2ôla¯l), Jugendliche (ba¯hûr), Mann und Frau (’îsˇ und ˙ ’isˇˇsa¯h), alter Mann (za¯qen) und Hochbetagte (mele’ ya¯mîm); hier wird also die Gruppe der Ältesten nochmals unterteilt. Was wir über die Altersangaben für die Lebensabschnitte erfahren, entspricht der niedrigen mittleren Lebenserwartung. Nach Num 4,3.23 tritt ein Levit seine Dienstzeit am Heiligtum erst mit 30 Jahren an und beendet sie schon mit 50 Jahren. Für die besonderen Aufgaben dieses Amtes bedurfte es der vollen Reife, aber auch der vollen Kräfte 6. Erst eine spätere Korrektur 7 setzt die Amtsübernahme mit schon 25 Jahren fest, hebt aber die Altersgrenze nicht grundsätzlich auf, sondern erlaubt denen, die über 50 Jahre alt sind, nur Hilfsdienste zu übernehmen (Num 8,24–26). Nachwuchsmangel wird solche Ausweitung der Levitendienstzeit herausgefordert haben, wie auch die noch spätere Herabsetzung des Dienstbeginns auf 20 Jahre (1 Chr 23,24.27; Esr 3,8). War mit 30 Jahren die volle Reife für spezielle gottesdienstliche Aufgaben erreicht 8, so galt im Allgemeinen der Zwanzigjährige als voll verantwortlich (Num 14,29; 32,11), als kriegsdienst- (Num 1,3.18; 26,2; 2 Chr 25,5) und steuerpflichtig (Ex 30,14). Mit 60 Jahren erwartet man einen starken Abfall der Arbeitskraft (Lev

6. 7. 8.

Abraham wurde nach Gen 25,7 175 Jahre alt, Isaak nach Gen 35,28 180 Jahre, vgl. von Rad, ATD 2–4, 334 f. Vgl. Jesu öffentliches Auftreten nach Lk 3,23 mit »etwa 30 Jahren«, ferner 2 Sam 5,4 und 1 Chr 23,3. Vgl. Noth, ATD 7, 63. David wurde nach 2 Sam 5,4 mit 30 Jahren König.

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Lebensabschnitte

27,7). In den frühen Lebensjahren werden noch folgende Abschnitte beachtet: Nach dem ersten Lebensmonat sinkt die Gefahr der Säuglingssterblichkeit erheblich (Lev 27,6); nicht selten wurden »Kinder zu jähem Tod geboren« (Jes 65,23). Mit dem 3. Lebensjahr geht die Stillzeit zu Ende (2 Chr 31,16; 2 Makk 7,27; 1 Sam 1,21–28, vgl. auch Jes 28,9; Klgl 4,3 f.) 9. Vom 5. Lebensjahr an wird mit der Arbeitskraft des Kindes gerechnet (Lev 27,5). Mit dem 13. Jahr tritt die körperliche Reife ein (Gen 17,25) 10. In Lev 27,1–8 bietet eine interessante Liste Einblick in die Bewertung der Altersstufen; sie stellt einen Anhang zum Heiligkeitsgesetz dar und stammt aus einer Zeit, in der Menschen nicht mehr selbst als Weihgaben dem Heiligtum dargebracht wurden, wie etwa einst Samuel (1 Sam 1,11.24 ff.), sondern ein ihrer Arbeitskraft entsprechender Geldwert 11: Alter: im ersten Monat 1 Monat bis 5 Jahre 05–20 Jahre 20–60 Jahre über 60 Jahre

männlich – 05 Schekel 20 Schekel 50 Schekel 15 Schekel

weiblich – 03 Schekel 10 Schekel 30 Schekel 10 Schekel

Im 1. Monat ist also die Lebensfähigkeit abzuwarten. Danach bis zum 5. Jahr wird die Erwartung späterer Brauchbarkeit mit einem Zehntel der vollen Arbeitskraft bewertet. Mit dem 5. Jahr schon wächst der 9. Zu Hos 1,8 vgl. Wolff, BK XIV/1, 23. Die ägyptischen Sprüche des Ani begründen die Mahnung zur Fürsorge für die alternde Mutter u. a. so: »Ihre Brust war drei Jahre lang in deinem Munde« (AOT 38; ANET 420). Der Tag der Entwöhnung kann festlich begangen werden (Gen 21,8). 10. Vgl. Conrad, Generation, 9 f. Die Beschneidung war »wahrscheinlich von Hause aus ein apotropäischer Akt beim Eintritt der Pubertät« (Elliger, HAT I/4, 157), später erfolgt sie »am 8. Tage« (Gen 17,12; 21,4; Lev 12,3; Lk 2,21). 11. Vgl. Köhler, Mensch, 32; Elliger, aaO380 ff.: »Nicht nur die eigentlichen Priestergeschäfte, sondern auch die mancherlei niederen Dienste (vgl. Jos 9,21 ff.) sind längst fest in der Hand bestimmter klerikaler Berufsgruppen, die keinen Fremden mehr bei sich aufnehmen mögen« (386). Ein Schekel entspricht in der Regel etwa 11,5 g Silber (vgl. Galling, BRL, 187 und Strobel, Maße, 1167 f.).

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Jungsein und Altern

Wert um das drei- bis vierfache; das Kind gilt von diesem Alter an wie der Jugendliche als leistungsfähig. Der volle Wert wird nur vom 20. bis zum 60. Lebensjahr erwartet. Danach sinkt er schnell, beim alten Mann noch stärker (um 35 Schekel) als bei der alten Frau (um 20 Schekel), die als Großmutter in der Großfamilie nützlich ist. Hat das Mädchen nur den halben Wert des Jungen, so die alte Frau den relativen Höchstwert von 2⁄3 des alten Mannes, während ihr in der Blüte der Jahre 3⁄5 zukommen.

3. Kennzeichen der Jugend Kennzeichen der heranwachsenden Jugend ist das Einleben in die Welt der Erwachsenen. Vom Spielen der Kinder hören wir wenig. Ismaël spielt zum Ärger der Sara mit Isaak (Gen 21,9). Nach Sach 8,5 ist es ein Zeichen der Heilszeit, wenn Knaben und Mädchen auf den Plätzen Jerusalems spielen. Dass Kinder gern auf Wegen spielen und kleine Höhlen ihre Neugier locken, ohne dass sie Schlangenbisse fürchten, setzt Jes 11,8 voraus: der »Säugling« greift als Krabbelkind nach Erde und Steinen (sˇ 2 2 = patschen, spielen KBL) und sieht nicht die Gefahr am »Loch der Otter«; das etwas ältere, »entwöhnte« Kind »streckt seine Hand nach dem Versteck der Schlange aus« und will schon untersuchen; erst in den Tagen des Messias wird die Gefahr für sie gebannt sein. Mit (angebundenen) Vögeln spielen Mädchen gern (Hi 40,29). Scheibenschießen mit Pfeilen mögen heranwachsende Burschen geübt haben (Hi 16,11 f.; Klgl 3,12). Am jungen Mädchen ist vor allem die Schönheit zu rühmen (Gen 24,16; Hhld 4,1–7; 7,2–6 u. ö.) 12. Einem alten Mann kann es warm bei ihm werden, wie dem alternden David bei der Abisag von Sunem (1 Kön 1,1–4), die »außergewöhnlich schön« war, »aber der König wohnte ihr nicht bei«. Auch von jungen Männern kann die Schönheit des Aussehens gepriesen werden, wie von David oder Absalom 13. Doch vor allem ist »der Schmuck der Jungmänner ihre Kraft« (Spr 20,29a). Wenn im Kriege die Blüte der Jugend fällt, so wiegt das für die Zukunft des Volkes besonders schwer (Hos 9,12 f.; Jer 48,15; Ps 12. S. oben S. 119 f. 13. 1 Sam 16,12; 2 Sam 14,25 f., s. oben S. 117 f.

Kennzeichen des Alters

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78,31). Jugendzeit sollte die Zeit der Freude und der sich hingebenden Liebe sein (Pred 11,9; Jer 2,2; Ez 16,43). Typisch für die Jugend sind zaghafte Unentschlossenheit (Ri 8,20) und ein Zurückschrecken vor gestellten Aufgaben (Jer 1,6), was vor allem im Bewusstsein des Mangels an Erfahrung begründet ist (1 Kön 3,7 ff.; 1 Sam 17,33) 14. Nicht geringer ist auf der anderen Seite ein unbesonnener Rigorismus mit zynischer Härte, wie ihn die jugendlichen Ratgeber Rehabeams an den Tag legen (1 Kön 12,8 ff.). Damit treten sie in Gegensatz zum Rat der Alten (V. 6 ff.13 f.), wie denn die Verachtung des Alters die naheliegendste Versuchung der Jungen ist. Wenn Jesaja (3,4 f.) Jerusalem als Gericht Jahwes das Chaos androht, dann gehört zu diesem Zustand, dass »Kindsköpfe Beamte werden« und »die Jungen frech werden gegen die Alten«. Darum warnt die Weisheit die Jugend vor falscher Einschätzung des Alters (Spr 23,22): Missachte nicht, weil sie alt geworden, die Mutter!

Im Heiligkeitsgesetz heißt es (Lev 19,32): Vor einem grauen Haupte sollst du aufstehen, und eine greise Person sollst du ehren und deinen Gott fürchten. Ich bin Jahwe.

Vgl. Dtn 5,16. Hinter dem Elterngebot des Dekalogs sind auch reale Probleme der Altersversorgung zu sehen.

4. Kennzeichen des Alters Denn das wesentliche Kennzeichen fortschreitenden Alters ist die zunehmende Schwäche. Neben den spielenden Kindern »sitzen Greise und Greisinnen auf den Straßen Jerusalems, jeder mit einem Stock in der Hand wegen des hohen Alters« (Sach 8,4). Die Zier der Alten ist das graue Haar, während der Schmuck der Jungen ihre Kraft ist (Spr 20,29, vgl. Hos 7,9; Gen 42,38). In dem einzigen Klagelied, das allein eindeutig ein alter Mensch betet (Ps 71), werden schwindende Kräfte (V. 9) und vielfache, harte Mühsal (V. 20) genannt; der 14. S. oben S. 180 und Conrad, Generation, 11.

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Jungsein und Altern

Alternde fürchtet, weggeworfen zu werden und zu vereinsamen (V. 9 ff.). Oft ist von den schlechten, erblindenden Augen der Alten die Rede, bei Isaak (Gen 27,21), Jakob (Gen 48,10), Eli (1 Sam 3,2). Ausnahmen verdienen besondere Erwähnung, wie Mose (Dtn 34,7): Seine Augen waren nicht matt geworden und seine Frische nicht gewichen.

Frauen leiden unter der endgültigen Unfähigkeit zu gebären (Gen 18,13). Zusammengefasst finden sich die Altersbeschwerden in der einmaligen Allegorie in Pred 12,1–7, die jetzt als Mahnung an den jungen Menschen eingeführt ist, in der Besinnung auf seinen Schöpfer sich seiner Jugend zu freuen und sich des Altwerdens bewusst zu werden. Ursprünglich war die Allegorie wohl als Rätselrede gefasst 15. Denke an deinen Schöpfer in den Tagen deiner Jugend, bevor die bösen Tage kommen und sich die Jahre einstellen, von denen du sagst: Keine Freude habe ich daran. 2 Bevor sich die Sonne verfinstert und das Licht, der Mond und die Sterne, und nur noch Wolken nach dem Regen kommen 16. 3 Zu der Zeit zittern des Hauses Hüter 17, und die starken Männer krümmen sich 18. Die Mahlmägde feiern, da sie wenige sind 19, und dunkel werden, die durch die Fenster schauen 20. 4 Die Tore nach draußen schließen sich 21, der Laut der Mühle wird leiser 22. Die Stimme des Vogels ›wird still‹ 23, und alle Lieder werden gedämpft 24. 5 Auch fürchtet man sich vor der Anhöhe, 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24.

Vgl. zuletzt von Rad, Weisheit, 267. Wie im palästinischen Winter, vgl. Zimmerli, ATD 16/1, 246. Die Arme. Die Beine (so Zimmerli, aaO). Galling, HAT I/18, 122, denkt an den gekrümmten Rücken. Die Zähne. Die Augen. Die Ohren werden schwerhörig. Die Stimme. Vgl. Galling, aaO z.St. Das Singen verstummt.

Kennzeichen des Alters

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und auf dem Wege ist Schrecken. Dann blüht die Mandel 25, schwer schleppt sich die Heuschrecke26, und die Kaper zerplatzt 27. Ja, der Mensch geht in sein verborgenes Haus, und draußen kreisen die Klagenden. 6 – Bevor die silberne Schnur ›zerreißt‹ 28, und die goldene Schale ›zerspringt‹ 29, der Krug am Brunnen zerschellt, und das Schöpfrad am Schacht zerbricht, 7 und der Staub zur Erde ›zurückkehrt‹ 30, wie er war, und der Atem zurückkehrt zu Gott, der ihn gab.

So wird nüchtern aufgedeckt, wie mit fortschreitendem Alter die Kräfte, die Sinne und alle Lebensäußerungen schwach und schwächer werden. Sollte der Mensch nicht bewusst altern und seine Grenze rechtzeitig erkennen? Kostbar ist das Bild des hochbetagten achtzigjährigen Barsillai, das in 2 Sam 19,32–38 gezeichnet wird. Als vermögender Mann hatte er David auf der Flucht vor Absalom mit Lebensmitteln verpflegt. Jetzt will David ihn zum Dank nach Jerusalem mitnehmen und ihn dort königlich versorgen. Aber Barsillai antwortet dem König (V. 35 ff.): Wieviele Lebensjahre habe ich noch, dass ich mit dem König nach Jerusalem ziehen soll? Ich bin jetzt achtzig Jahre alt. Kann ich da noch Gutes und Schlechtes unterscheiden? Schmeckt da noch deinem Knecht, was ich esse und trinke? Kann ich noch der Stimme der Sänger und Sängerinnen lauschen? Warum soll dein Knecht noch meinem Herrn, dem König, zur Last fallen? … Lass deinen Knecht umkehren, damit ich in meiner Stadt beim Grabe meines Vaters und meiner Mutter sterben kann.

Dann schlägt er vor, dass ein Jüngerer statt seiner mit dem König zieht. So geht einer, der seine zunehmende Schwäche nüchtern bemerkt und der anderen nicht zur Last werden möchte, bescheiden und lebenssatt seinen Weg zu Ende. Doch wie Schönheit und Kraft 25. 26. 27. 28. 29. 30.

Das Haar wird grau. Das Gehen macht Mühe, das Springen hört auf. Kein Stimulans, kein Aphrodisiakum hilft mehr dem Alten. Vgl. Galling, aaO z.St. Vgl. ders., aaO z.St. S. BHK.

186

Jungsein und Altern

nur Aspekte der Jugendlichkeit sind, so sind Schwäche und Bescheidung nur eine Seite des Alters. Schon Barsillai zeigt Weisheit 31. Allgemein sollte gelten (Hi 12,12): Die Weisheit hält sich bei Ergrauten auf, und Einsicht birgt ein langes Leben.

Die ältere Generation hat das Recht im Tor zu sprechen (Dtn 21,2– 6.19 f.; 22,15–18; 25,7–9; Ruth 4,2.4.9.11; Jer 26,17). Die »Ältesten« (zeqenîm) sind die den Vollbart (za¯qa¯n) tragenden, im reifen Alter stehenden Männer der Rechtsgemeinde. Der alternde Mensch in Ps 71 möchte Gottes Kraft und Gerechtigkeit, die Gott selbst ihn von Jugend auf gelehrt hat, einer künftigen Generation kundtun (V. 17– 19). Rehabeam hätte auf den freundlichen und weisen Rat der Ältesten hören sollen, die ihm rieten, die Arbeitslast der Israeliten zu erleichtern (1 Kön 12,6 ff.), statt sich von den allzu forschen Jungen zur Härte aufstacheln zu lassen; die Darstellung zeigt lebhaftes Interesse (vgl. V. 6.8.10.13 f.) an der Kontrastierung der älteren Generation (der Zeitgenossen Salomos V. 6) mit der jüngeren (den Altersgenossen des inzwischen auch schon 41jährigen Rehabeam: V. 8, vgl. 14,21): Die Alten sind besonnen und zum Eingehen auf die Forderungen der Geplagten bereit (vgl. V. 4 mit 7), die Jüngeren hart, prahlerisch, obszön (»Mein Kleiner ist dicker als meines Vaters Hüften« V. 10b spielt wahrscheinlich nicht auf den kleinen Finger, sondern auf das männliche Glied an!) und in dem allen unvernünftig, weswegen der Erzähler sie auch ständig yela¯dîm nennt (»Kindsköpfe« V. 8.10.14). Doch nicht immer ist das Alter weise, gerecht und milde. Hiob sieht, dass auch Frevler alt werden und dabei rüstig und gesund sind (Hi 21,7). Das graue Haar als Ehrenkranz findet man auf dem Wege der Gerechtigkeit, lehrt Spr 16,31. So zeigt die Regelerfahrung für die Jugend wie für das Alter ebenso spezifische Gefahren und Lasten wie typische Gaben und Fähigkeiten.

31. Auf Vorbilder aus der Weisheitsliteratur in der Rede des greisen Barsillai verweist Hermisson, Weisheit, 145.

Umsturz der biologischen Regel

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5. Umsturz der biologischen Regel Nun zeichnet sich aber die biblische Anthropologie dadurch aus, dass Jahwe Menschen diesen Normen entnimmt. Keine biologische Regel ist ohne Ausnahme. In wichtigen Partien der biblischen Überlieferung aus verschiedenen Zeiten trifft Jahwes Wahl einen Jungen, während Ältere hintangestellt oder gar verworfen werden, so Josef gegenüber seinen älteren Brüdern, Samuel gegenüber dem alten Eli, der junge David gegenüber Saul. Zahlreiche Einzelerzählungen aus den verschiedensten Epochen betonen ausdrücklich den Vorrang des Jüngeren. In Gen 48,17–19 (E) stellt Jakob bei der Erteilung des Segens trotz Josefs Protest den Erstgeborenen Manasse hinter Efraïm zurück: Sein jüngerer Bruder wird größer werden als er.

In Ri 6,15 versucht der berufene Gideon zunächst, seine Fähigkeit zur Abwehr der Midianiter zu bezweifeln: Ich bin der Jüngste in meines Vaters Haus.

In der Erzählung von Samuels Geburt, Weihe und Berufung im Heiligtum zu Silo wird immer wieder betont, wie jung dieser Berufene ist (1 Sam 1,24; 2,21.26; 3,1.7.19). Die relativ späte Erzählung von Davids Salbung (1 Sam 16,1–13) legt es in ihrer Spannung ganz darauf an, dass Jahwe den zunächst immer noch fehlenden Jüngsten, der bei den Schafen ist, erwählt hat. Im Zweikampf gegen den großen Philister siegt David, obwohl Saul ihn wegen seiner Jugend für unfähig hielt (1 Sam 17,33) und der Philister selbst ihn wegen seiner Jugend verachtete (V. 42). Hier wie in den verwandten Erzählungen ist die Absicht nicht, dass die Jugend als solche und der Jüngere oder gar Kleinste aus Prinzip wie bei entsprechenden Märchenmotiven vorgezogen werden. Vielmehr verdeutlicht die Wahl des Jungen als des Unerfahrenen und Unfertigen die Freiheit und Alleinwirksamkeit Jahwes auf dem Weg der Geschichte32. In der letzten Erzählung stellt denn auch der junge David selbst den schweren Waffen Goliats nur den Namen Jahwes gegenüber (V. 45). Das Thema erscheint abgewandelt auch in der klassischen Prophetie. Wehrt Jeremia sich gegen Jahwes Auftrag,

32. Vgl. Conrad, Generation, 9.57 u. ö.

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Jungsein und Altern

weil er jugendlich unerfahren sei, so widerspricht ihm die Stimme (1,6 f.): Sage nicht, ich bin zu jung! Sondern wohin ich dich sende, dahin gehe! Und was immer ich dir auftrage, das verkünde!

Die Weisheit bringt das Motiv in ihrer eigenen Weise. Im Hiobbuch erhebt der junge Elihu im Kreise der älteren Weisheitslehrer respektvoll, aber bestimmt, den Anspruch, gehört zu werden (Hi 32,6–10): Jung bin ich noch an Jahren ihr aber hochbetagt. Drum hielt ich mich zurück und scheute, mein Wissen euch zu künden. Ich dachte: Mag das Alter reden, der Jahre Fülle soll die Weisheit kundtun. Jedoch es ist der Geist im Menschen, des Höchsten Odem nur, der macht ihn klug. Die Hochbetagten sind nicht immer weise, nicht immer fassen Greise auch, was recht ist. Drum wage ich zu sagen: Hört mir zu! Auch ich will euch mein Wissen künden.

So kann Jahwes Geist entgegen der üblichen Erwartung junge Menschen zu Lehrmeistern der erfahrenen Alten machen, vgl. Lk 2,46–50. Jedoch gebietet andrerseits Jahwe auch, wenn er will, den Gesetzen des Alterns Einhalt. Ps 92 rühmt von den Gerechten, die wie eine Palme blühen und wie die Libanonzeder emporwachsen (V. 15 f.): Noch im Alter tragen sie Frucht, sie bleiben saftig und grün, um zu künden, dass Jahwe gerecht, mein Fels und ohn’ Unrecht ist.

Das Urbild ist der hochbetagte Mose nach Dtn 34,7, dessen »Frische«33 nicht gewichen war. Deuterojesaja zeigt, wie wichtig darum das Verhältnis des Menschen zu seinem Gott ist; im Vertrauen zu Jahwe kann es zur Umkehrung der natürlichen Gegebenheiten kommen (Jes 40,30 f.):

33. leah, Wurzel lhh feucht, frisch, saftig sein. ˙ ˙˙

Umsturz der biologischen Regel

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Junge Menschen werden müde und matt, selbst junge Krieger brechen zusammen. Doch die auf Jahwe hoffen, erneuern ihre Kraft. Sie treiben Schwingen wie Adler. Sie laufen und werden nicht müde, sie wandern und werden nicht matt.

So ist der Mensch: Klar sind die Regeln der Lebensalter im Allgemeinen ablesbar, doch frei ist der Unvergleichliche, an ihm das Ungewöhnliche auszurichten. Noch Kohelet fasst den möglichen Umsturz der Norm in den Lehrsatz zusammen (4,13): Besser ein junger Mensch, arm, aber weise, als ein König, alt, aber töricht, der nicht mehr versteht, sich warnen zu lassen.

§ 14 Wachen und Arbeiten 1 1. Arbeit beim Jahwisten – 2. Fleiß und Faulheit in der Spruchweisheit – 3. Fragwürdiger Erfolg der Arbeit

Des Menschen Zeit ist auch Zeit zur Arbeit. Ganz gewiss hätte der Mensch seine Zeit missverstanden und missbraucht, wenn er sie ausschließlich der Arbeit widmen würde. Er wäre nur an Kohelet zu erinnern, nach dem es neben den Zeiten fürs Pflanzen und Ausreißen, fürs Niederreißen und Aufbauen auch Zeiten fürs Weinen und fürs Lachen, fürs Umarmen und fürs Tanzen gibt. Doch kommt fraglos der Arbeit ein wesentlicher Platz zu.

1. Arbeit beim Jahwisten Die jahwistische Paradieserzählung weist an drei Stellen exemplarisch darauf hin, dass die Arbeit zum Grundauftrag des Schöpfers an sein Geschöpf gehört. In Gen 2,5 wird dargestellt, was vor Beginn der Schöpfung fehlt; es ist neben den Steppenpflanzen und den Kulturpflanzen vor allem anderen der Regen und der Mensch. Der Regen genügt für den Steppenwuchs, aber die Gewächse des Kulturlandes bedürfen auch des Menschen2. Als seine Aufgabe wird nämlich hier genannt, dass er »den Acker zu bebauen ( 2bd) habe«. Es ist wichtig zu sehen, dass die Arbeit hier als einzige Sinnbestimmung des Menschen erscheint und dass sie dabei in keinem anderen Zusammenhang als dem der Schöpfung gesehen wird. So ist es auch in der Priesterschrift, wenn in Gen 1,26 im Entschluss Gottes, die Menschheit zu erschaffen, als Zweck nur genannt wird, dass sie über die Tiere herrsche; im Segenswort V. 28 wird darü1. 2.

Literatur: Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 194 f.205–207.219–221; Westermann, BK I, 271–273.299–302.367 f. und von Rad, Weisheit, 92–101.165– 181. Vgl. Westermann, aaO 272.

Arbeit beim Jahwisten

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ber hinaus noch die Unterwerfung der Erde als des Menschen Fähigkeit und Aufgabe genannt3. Dass die Arbeit schon Sache des Menschen als Geschöpf ist, unterstreicht der Jahwist in 2,15. Jahwe führt den Menschen alsbald nach seiner Erschaffung und der Pflanzung des Gartens in diesen hinein, damit der Mensch ihn bearbeite und beschütze. Wenn hier neben dem dienenden Bearbeiten ( 2bd) das hütende Bewachen (sˇmr) genannt wird, so hat der Jahwist damit die beiden Seiten allen beruflichen Wirkens des Menschen angedeutet. Der Zusammenhang des Textes stellt als Voraussetzung aller menschlichen Tätigkeit das Schaffen und Schenken Gottes heraus; mit der Übereignung der Schöpfungsgaben an den Menschen ist das Pflegen und Schützen dieser Gaben als Lebensauftrag für ihn gegeben 4. Merkwürdigerweise wird in 3,23 die Bestimmung des Menschen, dass er »den Acker zu bebauen habe«, mit dem Wortlaut von 2,5 aufgenommen, nun aber nicht als Sinn und Zweck der Erschaffung des Menschen, sondern als Absicht seiner Vertreibung aus dem Garten infolge seines Misstrauens gegen den Schöpfer. Von der Verfluchung des Ackers (3,17) und von den Mühen und Beschwerden des Bauern (V. 18 f.) spricht nur der voraufgehende Kontext5. Im Zusammenhang ist jetzt aber klar, dass nicht die Arbeit als solche zum Fluch gehört, sondern die nun mit ihr verbundene Mühsal und Plage, die die Dornen und Disteln auf dem Acker mit sich bringen. Der Jahwist zeigt in der Fortsetzung seines Werks, wie sich die Arbeit des Menschen reich verzweigt: Neben den Bauern tritt der Kleinviehzüchter (Gen 4,2), neben beduinischen Zeltbewohnern kommt der Städtebau auf (4,17.20), die Berufsgruppen der Musikanten (Zither- und Schalmeienspieler 4,21) und der Techniker (Erz- und Eisenschmiede 4,22) entstehen. Dann wird der Weinbau entwickelt 3. 4. 5.

Vgl. Schmidt, aaO 142.147. Zur priesterschriftlichen Sicht s. weiter unten S. 231. Vgl. Westermann, aaO 300 f.: »Die Arbeit ist hier also als ein Wesensbestandteil des Menschseins angesehen. Ein Leben ohne Arbeit wäre kein menschenwürdiges Dasein« (300), vgl. ferner Steck, Paradieserzählung, 85 f. Schöpfungs- und Paradieserzählung wurden wahrscheinlich nachträglich verknüpft, wie auch das Suffix 3. fem. in 2,15b vermuten lässt, das gut zur ’ ada¯ma¯h in 2,5; 3,23 passt, jetzt aber auf gan bezogen ist, s. Schmidt, aaO 206 f., vgl. auch Steck, aaO 48.

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Wachen und Arbeiten

(9,20 f.) und neue Baumaterialien ermöglichen riesige Gebäude (11,3). In diese vielfältige Arbeitswelt hinein entfaltet sich der Schöpfungsauftrag an den Menschen. Fortschritt ereignet sich als Folge des Segens. Doch die Hybris stößt auch überall auf »Dornen und Disteln«.

2. Fleiß und Faulheit in der Spruchweisheit Die Weisheitslehrer Israels haben seit Salomo wissenschaftliche Arbeit entwickelt: neben die Pädagogik für alle Bereiche des menschlichen Lebens, angefangen mit der Prinzen- und Beamtenerziehung, tritt die Staatskunst, die juristische und die naturkundliche Weisheit (1 Kön 3,8 ff.16 ff.; 5,12 f.) sowie die Geschichtsschreibung. Vor allem aber hat die Weisheitslehrer das Problem der Arbeit und ihres Erfolges beschäftigt. Sie stellen zunächst eine weitgehende Gesetzmäßigkeit fest, nach der dem Fleiß Erfolg, der Faulheit aber Armut beschieden ist. Spr 10,4: Arm macht die lässige Hand, doch der Fleißigen Hand macht reich.

Reichtum wird nicht als etwas Gegebenes angesehen, sondern als etwas, das unter den Händen des verantwortlichen Menschen entstehen kann 6. Die sozialen Gegensätze von arm und reich sollen jedenfalls auch auf den Anteil von Arbeitsamkeit und Lässigkeit hin befragt werden, wenn man nicht an der Wirklichkeit des Menschen vorbeisehen will. Spr 13,4: Es sehnt sich, doch vergebens, ›‹ 7 der Faule, aber der Fleißigen Trachten wird befriedigt.

Selbst Freiheit und Knechtschaft, Überlegenheit und Unterdrückung hängen auch vom Arbeitseinsatz ab (Spr 12,24): Der Fleißigen Hand wird herrschen, doch Lässigkeit führt zur Zwangsarbeit. 6.

7.

Vgl. von Rad, Weisheit, 166 ff. ha¯rûs (fleißig) kommt ausschließlich in Spr ˙ einmal in Pred vor, 2asla¯h und 2aslût (fünfmal), 2a¯sel (faul) 14 mal in ˙Spr und ˙ ˙ ˙ (Faulheit) je einmal in Spr. Wir stehen also bei einem ganz speziellen Thema der Spruchweisheit. S. BHK.

Fleiß und Faulheit in der Spruchweisheit

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Zahlreiche andere Sprüche stellen ähnliche Regeln fest: Spr 11,16b; 12,27; 14,23; 21,5, vgl. noch Pred 10,18: Bei Faulheit 8 senkt sich das Gebälk, bei lässigen Händen trieft es ins Haus.

Da die Lehrer Israels den Menschen kennen, suchen sie nach Kräften der Faulheit zu wehren. So geschieht es in Spr 24,30–34, wo persönliche Erfahrungen geschildert werden: Am Feld eines Faulen ging ich vorüber, und am Weinberg eines Unverständigen. Und siehe, es war ganz von Unkraut überwuchert, seine Fläche war bedeckt von Wildwuchs, seine Mauer von Steinen war eingerissen. Ich schaute und wurde aufmerksam, ich sah und nahm eine Warnung mit: »Ein wenig noch schlafen, ein wenig noch schlummern, ein wenig die Arme verschränken zum Ruhen!« – so kommt wie ein Wegelagerer deine Armut und wie ein Bettler deine Not.

Die Beobachtungen lehren, dass das Faulenzen den Menschen um die Schenkungen Jahwes bringt. In der Entschlusslosigkeit zum rechtzeitigen Beginn wurzelt das Übel. Die Schlafsucht ist der Genosse der Faulheit (Spr 19,15): Faulheit versenkt in Tiefschlaf, und lässiges Wesen muss hungern.

Dieselbe Gefahr sieht der Rat in Spr 6,6–11: Du Fauler, geh zur Ameise hin, sieh ihr Verhalten und werde weise! Sie hat keinen Aufseher, keinen Ordner, keinen Herrscher. Doch besorgt sie im Sommer ihr Brot, sie sammelt ihr Futter zur Erntezeit. Wie lange noch, Fauler, liegst du, wann stehst du von deinem Schlafe auf? »Ein wenig noch schlafen, ein wenig noch schlummern, ein wenig die Arme verschränken zum Ruhen!« – 8.

S. BHK.

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Wachen und Arbeiten

so kommt wie ein Wegelagerer deine Armut und wie ein Bettler deine Not.

Sinnvoll arbeiten, das heißt auch: die Gunst der Stunde erkennen, die rechte Zeit nicht versäumen. Ohne einen Antreiber sollte der vernünftige Mensch von sich aus termingerecht ans Werk gehen und sich nicht vom Tier beschämen lassen (vgl. Jer 8,7). Die Kennzeichen der Faulheit hat der Weise genau studiert. In Spr 26,13–16 werden sie aufgereiht: Der Faule sagt: »Ein Leu auf der Straße! Ein Löwe mitten auf den Plätzen!« 14 Die Tür dreht sich in der Angel, so der Faule auf seinem Bett. 15 Steckt der Faule seine Hand in die Schüssel, schon ist er zu müde, sie zum Munde zu führen. 16 In seinen eigenen Augen ist der Faule weiser als sieben, die verständig antworten.

Hiernach sind die wesentlichen Merkmale der Faulheit: fade Entschuldigungen und erfundene Ausreden (vgl. 22,13), übermäßiger Schlaf (vgl. 6,9 f.; 19,15; 24,33), Trägheit sogar beim Essen (vgl. 19,24), Selbstüberschätzung. Dass der Faule sich von seiner augenblicklichen Lust treiben lässt, das fördert seinen Untergang (Spr 21,25). So verkennt er die rechte Stunde und die ihm gegebenen Möglichkeiten. Die Arbeit bringt den vom Schöpfer bereitgestellten Segen ein (Spr 14,23): Bei jeder Mühe gibt’s Gewinn, aber bloßes Geschwätz führt nur zum Entbehren.

So ist der Mensch vor zwei Möglichkeiten gestellt: gewinnen oder versäumen, das Angebot des Ackers aufnehmen oder liegen lassen (Spr 20,4): Wenn der Winter kommt, will der Faule nicht pflügen, zur Erntezeit sucht er, doch nichts ist da.

Auf diese Weise führen die Weisheitslehrer aus, was der Jahwist zu lehren begonnen hat: Indem der Mensch zur Arbeit berufen ist, soll er das Angebot seines Schöpfers aufnehmen. Sie legen darüber hinaus ihre Erfahrungen dar, wie die Arbeit zum Ertrag, die Lässigkeit aber zum Mangel führt.

Fragwürdiger Erfolg der Arbeit

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3. Fragwürdiger Erfolg der Arbeit Doch ihre Erfahrungsregel ist kein Gesetz. Wer die menschliche Wirklichkeit sehen will, muss mit der freien Einwirkung Jahwes rechnen lernen. Sonst verkennt er die Tatsachen, dass weder der menschliche Arbeitsfleiß an und für sich zum Erfolg führt, noch dass der Reichtum als solcher ein eindeutiger Wert ist. Die Mehrdeutigkeit der Phänomene und der Widerfahrnisse muss bedacht werden 9. Dem selbstsicheren Denken, das meint, zwingend vom Fleiß auf den Erfolg schließen zu können, wird kategorisch der Satz entgegengestellt (Spr 10,22): Allein Jahwes Segen macht reich, die eigene Mühe fügt nichts hinzu.

Die allgemeine Erwartung, dass Arbeit Gewinn bringt, verwirklicht sich konkret nie ohne Jahwes Segensentscheid. Auch in der Differenz zwischen des Menschen Wollen und Vollbringen ist Jahwe am Werk (Spr 16,1): Beim Menschen stehn die Entwürfe des Willens, doch von Jahwe kommt die Antwort der Zunge.

Allem eigenmächtigen Übereifer kann ein kaltes Umsonst begegnen (Ps 127,1 f.): Wenn Jahwe das Haus nicht baut, so mühn sich die Bauleute vergeblich. Wenn Jahwe die Stadt nicht beschützt, so wacht der Wächter umsonst. Umsonst steht ihr auf vor Tag, und müht euch bis spät in die Nacht, und esset der Mühsal Brot. Seinem Freunde schenkt er’s im Schlaf.

Auch darin spricht sich Erfahrungsweisheit aus, dass der Selbständigkeit und Eigenwilligkeit des Menschen Grenzen gezogen sind. Wer das mögliche Umsonst nicht bedenkt, verkennt den Menschen als Menschen. Doch nicht nur der Arbeitseifer bleibt fragwürdig, sondern auch 9.

Vgl. von Rad, Weisheit, 167 f.

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Wachen und Arbeiten

Reichtum und Erfolg sind zweideutig. Armut und Entbehrung können wertvoller sein als Reichtümer (Spr 15,16): Besser Weniges in der Furcht Jahwes, als reiche Schätze und Unfriede dabei.

Wie Fleiß ohne Jahwes Segen nichts wirken kann, so wird Reichtum ohne die Bereitschaft zum Gehorsam und Vertrauen gegen Jahwe 10 nichtig (Spr 11,4): Am Tage des Zorns nützt Reichtum nichts, doch Gerechtigkeit rettet vom Tode.

Reichtum führt leicht zur Falschheit (Spr 19,1) oder zum Streit (17,1): Besser ein Brocken trockenen Brots mit Ruhe als ein Haus voll Opferfleisch mit Zank.

Hass fürchtet Spr 15,17: Besser ein Gericht Gemüse, wo Liebe ist, als ein gemästeter Ochs und Hass dabei.

Vor allem aber verleitet der Erfolg zu einem falschen Vertrauen (Spr 11,28): Wer auf seinen Reichtum vertraut, der fällt, aber wie grünes Laub sprießen die Gerechten.

So lehrt die Weisheit Israels das rechte Verständnis der Arbeit. Der Mensch soll die Regel erkennen, vor allem aber den Herrn der Regel. So wird der Mensch davor bewahrt, durch Faulheit unter das Tier (die Ameise!) zu sinken oder in Selbsttäuschung an Gottes Stelle zu treten.

10. Zum Verständnis der »Gottesfurcht« als Gehorsam und Vertrauen vgl. von Rad, aaO 92 und die dort genannte Literatur. Auch die Prophetie und ihre Stellung zur Armut könnte hier bedacht werden, vgl. Wolff, BK XIV/2, 126.200 ff. Von Balthasar, Herrlichkeit III/2/1, 119 sagt: »Israel wurde durch die Prophetie und die darin verkündeten und vollzogenen großen Untergangsgerichte hineinerzogen in eine durchgehende Existenzhaltung: Die Armut, die, durch Gottes Gericht bis auf den Grund beraubt und entrechtet, alles Recht und alles Gut nur von Gott erhoffen kann.«

§ 15 Schlafen und Ruhen 1 1. Schlaf und Ruhe – 2. Sabbat

Des Menschen Zeit ist vor allem anderen geschenkte Zeit. Nutzlos und sinnlos wird sein Schaffen, wenn er das vergisst. Ruft die alttestamentliche Weisheit zwar deutlich aus der Faulheit heraus, so warnt sie doch noch strenger vor dem Missverständnis, der Mensch werde erst durch seine eigenen Werke beschenkt2.

1. Schlaf und Ruhe Der Schlaf kann provokativ als die Gelegenheit gerühmt werden, bei der Jahwe seine Freunde mit jenem Brot ausrüstet (Ps 127,2b), das die Übereifrigen nur höchst kummervoll genießen, ohne ihre Ziele trotz selbstquälerischer Überstunden zu erreichen (V. 1–2a) 3. Sachlicher beschreibt die Spruchdichtung den Wert der Weisheit im Leben, der u. a. im erquickenden Schlaf dessen zu finden ist, der mit ihr lebt; Spr 3,24 spricht dem, der Weisheit gefunden hat, zu: ›Setzt‹4 du dich nieder, so brauchst du nicht bangen, legst du dich nieder, so schläfst du wohl.

Der Schlaf wird dann angenehm, wenn er im rechten Verhältnis zur Arbeit steht, betont Kohelet (5,11): Süß ist der Schlaf des Schaffenden, ob er wenig oder viel gegessen; den Reichen lässt doch die Sattheit keinen Schlaf finden. 1. 2. 3. 4.

Literatur: Von Rad, Ruhe; Alt, Ursprünge; Heschel, Sabbath; Jenni, Sabbatgebot; Lohse, sábbaton; Hulst, Sabbatgebot; Fritz, Israel, 42–48; Andreasen, Sabbath; Schmidt, Erwägungen und Tsevat, Sabbath. Vgl. Spr 10,22, s. oben S. 195. S. oben S. 195. S. BHK.

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Schlafen und Ruhen

Der Überfluss raubt die Ruhe ebenso wie der Übereifer (Pred 2,23). Der gute Schlaf wird zum Merkmal des Menschen, der im Takt des Schenkens und Rufens Jahwes lebt. In der Ruhe zeigt sich die Lebenskunst, d. h. jene Weisheit, deren Kopfstück die Furcht Jahwes ist 5. Sie weiß das Umsonst der vergeblichen Mühen des Arbeitsfanatikers durch das Umsonst der Gabe Jahwes im Schlaf (Ps 127,1 f.) endgültig abgelöst 6. In der Prophetie betont Jesaja die Ruhe (sˇqt hi.) als ein wesentliches ˙ den König Ahas wähKennzeichen des Glaubens. Mahnt er in 7,4 rend der Bedrohung Jerusalems zur Ruhe, so bietet er ihm jene Haltung an, die Jahwes angekündigte Rettungstaten erwartet und beobachtet und so furchtlos wird (V. 5–9). Es ist die gleiche Einstellung, zu der Mose nach Ex 14,13 f. die Israeliten in der Stunde der Verfolgung durch die Ägypter am Meer auffordert. Solche Ruhe ist unlöslich mit Vertrauen verknüpft, zu dem auch ganz Israel durch Umkehr neu hinfinden sollte (Jes 30,15, vgl. 32,17). Sie sollte politische Konsequenzen in einer strikten Neutralitätspolitik Jerusalems reifen lassen. Ruhe folgt aus der Gewissheit, dass Jahwe handelt 7. Das Deuteronomium und die deuteronomistische Geschichtsschreibung thematisieren die Ruhe (menûha¯h) als das große, dem ˙ sowohl die Ruhe nach Volke Gottes verheißene Heilsgut 8. Es meint der unsteten Wanderzeit als auch die Ruhe vor allen Feinden ringsum (Dtn 12,9 f.; 25,19; Jos 21,43 ff.; 2 Sam 7,1.11; 1 Kön 8,56). Ps 95,7–11 sieht für die Einzelnen die Gabe der Ruhe an das Hören auf die Stimme Jahwes gebunden (vgl. Hebr 3,7 ff.). Auf vielfältige Weise bezeugen demnach verschiedene Schichten des Alten Testaments in je anderer Sprache, dass die Ruhe des Men5. 6.

7. 8.

Dazu oben S. 195 f. Vgl. Moltmann, Schöpfung, 39: »›Es ist doch alles umsonst‹, sagt der Nihilist und verzweifelt. ›Es ist wirklich alles umsonst‹, sagt der Glaubende und freut sich der Gnade, die es umsonst gibt, und hofft auf eine neue Welt, in der alles umsonst zu geben und zu haben ist. ›Wohlan alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser. Und die ihr kein Geld habt, kommt her und kauft ohne Geld und umsonst beides, Wein und Milch‹, verheißen die Propheten des Alten und des Neuen Testaments (Jes 55,1; Apk 22, 17)«. Keller, Element, 89, stellt fest, dass »nach Jesaja ein Aspekt der Sünde in einer frenetischen Aktivität besteht, in einer Betriebsamkeit, die an Gott vorbeilebt«, vgl. Wolff, Frieden, 18 ff. Vgl. von Rad, Ruhe.

Sabbat

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schen ein hohes Gut und eine nicht selbstverständliche Fähigkeit ist, die zutiefst mit dem Vertrauen zu Jahwe verbunden ist.

2. Sabbat Von daher verwundert es nicht, dass im Alten Testament das Sabbatgebot als eine Ordnung des Ruhetages eine große Rolle spielt. Es ist breiter bezeugt als jedes andere Gebot und nimmt innerhalb des Dekalogs den größten Raum ein. In je andersartiger Form findet es sich im sog. jahwistischen Dekalog in Ex 34 und in der bekanntesten Dekalogform in Ex 20, im Bundesbuch und im Deuteronomium, im Heiligkeitsgesetz und in der Priesterschrift. Sehr verschiedenartige Propheten wie Amos und Hosea, Jeremia und Ezechiel nehmen zum Sabbat das Wort. Schließlich erscheint der Ruhetag in mancherlei Erzählungen vom ersten Schöpfungsbericht über die Manna-Geschichte bis zur Denkschrift Nehemias. Die Statistik unterstreicht die breite Streuung: unter den gezählten Tagen kommt »der siebente Tag« weitaus am häufigsten vor 9. Was sagt das Alte Testament über die Durchführung des Sabbat? Die vielleicht älteste Form des Gebotes lautet in Ex 34,21a: Sechs Tage kannst du schaffen, aber am siebenten Tage sollst du aufhören!

Das Hebräische bietet einen Doppeldreier mit Endreim: ˇsesˇæt ya¯mîm ta2 abod / ûbayyôm hasˇˇs ebî’î tisˇbot.

Damit fällt das Stichwort, das dem Ruhetag im Alten Testament seinen Namen gibt: ˇsbt = aufhören von der Arbeit, die Tätigkeit einstellen 10. Demnach ist der Sabbat mit Arbeitsruhe durchzuführen. Doch gewinnt nicht das Sabbatgebot im Dekalog eine positive Fassung? In Ex 20,8 heißt es: Gedenke des Sabbattages, ihn zu heiligen!

Dtn 5,12 wandelt nur leicht ab und erweitert: 9. Vgl. Jenni, jo¯m, 710. 10. Vgl. ˇsbt in anderen Zusammenhängen Gen 8,22; Jos 5,12; Jes 14,4 und Fritz, Israel, 44.

200

Schlafen und Ruhen

Beachte den Sabbattag, ihn zu heiligen, wie Jahwe, dein Gott, dir befohlen hat 11.

Auch heißt nun in beiden Texten der siebente Tag ausdrücklich »Sabbat für Jahwe, deinen Gott« (Ex 20,10; Dtn 5,14). Fragt man aber weiter, wie denn jenes »Gedenken«, »Beachten«, »Heiligen« an einem »Sabbat für Jahwe« vollzogen werden soll, so lautet die Antwort eindeutig und ausschließlich: Du sollst keine Arbeit tun!

So ist es durchaus möglich, ja wahrscheinlich, dass die positive Dekalogform auf einen kategorischen Verbotssatz zurückgeht, wie er außer in Ex 34,21a auch im Bundesbuch Ex 23,12 und im Heiligkeitsgesetz Lev 19,3 belegt ist. In demonstrativer Arbeitsniederlegung soll sich die Heiligung des siebenten Tages vollziehen. Nur ganz späte und schwach belegte Opferordnungen für das tägliche Morgen- und Abendopfer zeichnen den Sabbat kultisch durch die doppelte (Num 28,9 f.) oder dreifache Zahl (Ez 46,4 f., vgl. Num 28,3) der darzubringenden Lämmer mit zugehörigem Speis- und Trankopfer aus. Insofern sie an die alltäglichen Ordnungen anknüpfen, bestätigen sie fast, dass der Sabbat in aller Regel keine qualitativ besondere kultische Auszeichnung erfuhr. »Der Sabbat war von Haus aus lediglich durch das Verbot aller Arbeit charakterisiert und hatte in altisraelitischer Zeit mit dem positiven Kultus Jahwes nichts zu tun.« 12 Nach je sechs Tagen soll alle Geschäftigkeit für einen ganzen Tag unterbrochen werden. Sollte der Ruhetag vielleicht gerade so für den Jahweglauben bezeichnend sein? War dieser regelmäßige Streik gegen alle Arbeitszwänge eine prinzipielle Demonstration für Jahwe, den Gott Israels? Zur Klärung der Frage beobachten wir die verschiedenen Fassungen des Sabbatgebotes. a) Wir setzen mit der deuteronomischen Fassung ein. Dtn 5,15 verknüpft das Sabbatgebot mit der altisraelitischen Exodusüberlieferung: 11. l eqadd eˇsô könnte in Dtn 5,12 sekundär aus Ex 20,8 aufgenommen sein, vgl. Hulst, Sabbatgebot, 153 f. 12. Alt, Ursprünge, Kleine Schriften I, 331 = Grundfragen, 256.

Sabbat

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Denke daran, dass du im Lande Ägypten Sklave warst, und Jahwe, dein Gott, dich mit starker Hand und ausgestrecktem Arm herausführte. Darum gebot dir Jahwe, dein Gott, den Sabbattag zu feiern.

Damit findet der Ruhetag seine Begründung in dem für Israel schlechthin grundlegenden Bekenntnis der Befreiung durch Jahwe aus Ägypten. Jeder siebente Tag soll Israel daran erinnern, dass sein Gott ein Befreier ist, der mit harten Sklavenhaltern fertig wurde und der allen Machthabern gewachsen sein wird, die sein Volk noch drangsalieren wollen. Hat die frühe Christenheit nicht genau das erfasst, wenn sie den Ruhetag mit der Erinnerung an die Auferstehung Jesu Christi verband? Der Befreier des Menschen wird von keiner Macht und keinem Tode mehr besiegt. Im Blick auf das Versöhnungswerk Jesu soll kein Leistungszwang den Menschen mehr quälen, keine Verfehlungen dürfen ihn verklagen, auch nicht die Halbheiten und Fragmente einer vergangenen Woche. Grundlegender Sinn der Arbeitsruhe am siebenten Tage nach deuteronomischer Auffassung ist also, an geschenkte Freiheit zu erinnern. Nicht an kultische Pflichten, sondern an Gottes Taten für den Menschen ist zu denken. Im alten Israel hatten wohl zuerst die Eltern die Aufgabe, dies einzuschärfen. Vielleicht ist im Heiligkeitsgesetz Lev 19,3 deshalb das Gebot der Ehrfurcht vor den Eltern mit dem Sabbatgebot zusammengeschlossen, wie es ja auch im Dekalog unmittelbar folgt. Mutter und Vater (so die Reihenfolge in Lev 19,3!) sind die ersten Tradenten der Heilsgeschichte. Eben als solche verdienen sie die Aufmerksamkeit der Kinder. Die deuteronomischen Prediger werden darauf nicht als erste hingewiesen haben, vgl. Dtn 6,20 ff. Das Sabbatgebot ist ein leuchtendes Zeichen dafür, dass die Grundgebote, die Israel gegeben wurden, lauter Wohltaten sind. Sie sind nicht eigentlich Forderungen, sondern befreien von Forderungen. Als Gebote sind sie Angebote. Der Sabbat verdeutlicht das Geschenk freier Zeit. Die Ordnung des Sabbatjahrs für das Land nach Lev 25,1–7 kann den Sachverhalt klären. Der verfügte Verzicht auf die Bearbeitung des Ackerlandes in jedem siebenten Jahr bekundet, dass das Land Geschenk Jahwes ist. Dem ist die »Zeitbrache des siebenten Tages« 13 zu vergleichen. Indem das Ruhetagsgebot den »gieri13. Vgl. Zimmerli, Weltlichkeit, 80, auch zum Folgenden, ferner Tsevat, Sabbath, 451 ff.

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Schlafen und Ruhen

gen Griff nach aller Zeit« zurückweist und zum »Nutzungsverzicht« anleitet, wird Jahwe als Herr und Geber auch aller übrigen Tage bezeugt. Die exemplarische Begehung der Freizeit erinnert daran, dass alle Zeit Israels aus dem Ereignis der Befreiung herrührt, wie es die deuteronomische Gebotsfassung am klarsten aussagt. b) Die zweite Hauptbegründung des Sabbatgebots ist mit dem Denken der Priesterschrift verbunden. In Ex 20,11 wird der Befehl zur Arbeitsruhe damit motiviert, dass in sechs Tagen Jahwe Himmel und Erde gemacht hat und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete Jahwe den Sabbattag und heiligte ihn.

Danach soll der Ruhetag den Menschen darauf hinweisen, dass er in eine Welt hineingestellt wurde, die mit allem Nötigen und vielem Schönen reichlich ausgestattet ist. Der Wortlaut erinnert an den ersten Schöpfungsbericht (Gen 2,1–3), der in seiner altertümlichen Weise schildert, dass der erste Lebenstag des Menschen der große Ruhetag war. Gott hatte sechs Werktage hinter sich. Nun liegt ein vollendetes Werk bereit. Erst nach dem Ruhetag Gottes mit seinem Blick auf die Schöpfungsfülle wird der erste Werktag des Menschen beginnen. Die junge Christenheit erwies theologische Weisheit, wenn sie statt des siebenten Tages den ersten Tag der Woche als Ruhetag ordnete. Für den von Gott befreiten und beschenkten Menschen schließt die Woche nicht mit dem Ruhetag, sondern sie beginnt mit ihm 14. Die Werktage können etwas mehr Spielcharakter gewinnen, auch Protestcharakter gegen Leistungsprinzip und Leistungsdruck. Was kann der Mensch in seiner Arbeit mehr tun als dafür zu sorgen, dass das vom Schöpfer Bereitgestellte recht eingebracht und genutzt und nicht verdorben, sondern vor dem Verderben durch menschlichen Missbrauch geschützt wird? Ohne den Blick auf Gottes vorangegangenes Werk 14. Vgl. Barth, KD III/4, 51 ff. Am Sabbat wendet sich der Mensch von der Welt der Schöpfung ab und der Schöpfung der Welt zu, sagt der jüdische Ausleger Heschel, Sabbath, 10: »The meaning of the Sabbath is to celebrate time rather than space … It is a day on which we are called upon to share in what is eternel in time, to turn from the results of creation to the mystery of creation; from the world of creation to the creation of the world.« Jes 66,23 kündigt den Sabbat (neben dem Neumondtag) als Tag der Anbetung vor Jahwes Angesicht an.

Sabbat

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findet der Mensch weder das rechte Verhältnis zur Arbeit noch zur Ruhe. Ex 20,11 betont ausdrücklich, dass am siebenten Tag »Gott ruhte«. In Ex 31,17 wird dem ˇsa¯bat noch hinzugefügt: wayyinna¯pasˇ: er atmete auf. Diese Ruhe Gottes bedeutet wohl zweierlei: Er kann ruhen, denn das ganze Werk, alles, was der Mensch benötigt, ist vollendet. Die Erweiterung »er atmete auf«, »er erholte sich«, deutet daneben noch leise anthropomorphistisch an: Er muss ruhen, er hat sich in seinem Schöpfungswerk erschöpft. Voll zu verstehen ist das erst bei der »Erschöpfung« des Gekreuzigten: tetélestai, »es ist vollbracht« (Joh 19,30). Der Gott der Bibel hat dem Menschen alles in der Hingabe seiner selbst gegeben. »Darum segnete Jahwe den Sabbattag«, fährt Ex 20,11 fort und nimmt damit Gen 2,3 auf. Zuvor hatte Gott in Gen 1,22.28 die Wassertiere, die Vögel und den Menschen gesegnet mit dem Ergebnis, dass sie Kraft zur Fruchtbarkeit und zur Vermehrung erhielten 15. Nun wird der Ruhetag gesegnet; auch er wird also mit belebenden Kräften ausgestattet, damit von ihm aus auch die Zeit des Menschen Frische und Fruchtbarkeit erhalte. Dazu »heiligte« er ihn, d. h. er sonderte ihn von den Werktagen ab. Diese Scheidung des Ruhetags von den Werktagen will sich als ebensolche Wohltat erweisen wie die Trennung von Licht und Finsternis. c) Im Bundesbuch bietet Ex 23,12 eine der ältesten Fassungen des Sabbatgebots. Sie gibt eine weitere Motivation zu bedenken: Sechs Tage sollst du dein Werk tun, aber am siebenten Tage sollst du aufhören, damit dein Rind und dein Esel Ruhe haben und deiner Sklavin Sohn und der Fremdling aufatmen 16 können.

Es ist höchst beachtenswert, was hier als einziger Zweck des Ruhetages erwähnt wird: Die abhängigen Arbeitskräfte sollen Erholung finden. Bewegend ist schon die Fürsorge für das geplagte Vieh, das an erster Stelle genannt wird. Dann aber werden nicht irgendwelche Abhängige genannt, sondern »der Sohn der Sklavin und der Fremde«. Sie sind Menschen, die gegen Befehle besonders wehrlos sind. Wagt ein Herr 15. S. oben S. 147. 16. weyinna¯pesˇ wird hier vom erholungsbedürftigen Sklavenkind und vom Fremdarbeiter gesagt wie in Ex 31,17 vom Schöpfer, s. oben S. 201.

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Schlafen und Ruhen

nicht, der erwachsenen Sklavin oder dem israelitischen Sklaven eine Arbeit am Sabbat zuzumuten, so doch viel eher ihrem Sohn oder dem Gastarbeiter, den man allzu leicht außerhalb des Freiheitsraums der Jahwegebote sieht. Grenzfälle greift also diese Gebotsfassung auf: Der besonders Geplagten und Abhängigen wegen ist der Sabbat eingesetzt. Übrigens wird im Bundesbuch unmittelbar vorher (Ex 23,10 f.) die Brache von Acker, Weinberg und Ölbaum im Sabbatjahr, die mit völligem Ernteverzicht verbunden ist, damit begründet, dass der Ertrag den Armen und der Rest dem Wild des Feldes zukommen soll. Die großen Fassungen des Ruhetagsgebots in den Dekalogreihen nehmen den Gedanken an die Abhängigen auf und führen ihn weiter aus. Ex 20,10 heißt es: Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Sklave, deine Sklavin, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt.

Dtn 5,14 fügt in der parallelen Fassung noch bedeutsam hinzu: damit dein Knecht und deine Magd ruhen gleich wie du (ka¯môka¯)!

So eröffnet das Ruhetagsgebot eine Gleichstellung aller Menschen vor Gott. Wenigstens am Feiertag sollen die Eltern aufhören, ihren Söhnen und Töchtern Befehle zu erteilen, geschweige denn ihren Untergebenen. Den Gedanken, dass der Ruhetag vor allem den schwachen Gliedern der Gesellschaft zugute kommen soll, nimmt das Neue Testament auf. An einer der wenigen Stellen, an denen es den ersten Tag der Woche erwähnt (1 Kor 16,2), soll dieser Tag dem Sammeln und Sparen von Geldern für die Hilfsbedürftigen in Jerusalem dienen. Jesus schärfte ein, dass der Sabbat um des (hilfsbedürftigen!) Menschen willen gemacht ist und nicht der Mensch um des Sabbats willen (Mk 2,27). d) Prophetische Stimmen wehren gezielt die Geschäftigkeit am Sabbat ab. Der Prophet Amos verurteilt die Getreidehändler, die das Ende des Sabbats nicht abwarten können, weil sie wieder Korn verkaufen und die Käufer mit schlechter Ware, falschen Gewichten und überhöhten Preisen betrügen wollen (8,5). Man beachte, dass derselbe Prophet, der gegen das Wallfahrtswesen und sonstige kultische Akti-

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vitäten im Opfer- und Gebetsdienst leidenschaftlich polemisiert (vgl. 4,4 f.; 5,21 ff.), den Sabbat gehalten wissen will. Er ist offenbar auch in seiner Sicht ein kräftiger Zeuge dafür, dass der Mensch nicht aus seinen eigenen Werken, sondern von den Taten Gottes lebt. Ein deuteronomistisch überarbeitetes Jeremiawort (17,21 ff.) warnt davor, wenn euch euer Leben lieb ist, am Sabbattag Lasten zu tragen.

Mag das Wort schon in die Richtung späterer Kasuistik weisen, so wird es doch zunächst noch getragen von der Freude am freien Leben, mit dem Jahwe Israel beschenkt hat, das aber mit eigener Sorge verspielt wird. Aufs Schönste zeigt das ein Wort Tritojesajas (Jes 58,13 f.): Wenn du am Sabbat deinen Fuß zurückhältst, deine Geschäfte an meinem heiligen Tag zu betreiben, wenn du den Sabbat eine Wonne nennst17 und den heiligen Tag Jahwes verehrungswürdig, wenn du ihn dadurch ehrst, dass du an ihm nicht deine Gänge machst noch deiner Arbeit nachgehst und keine leeren Reden führst, dann wirst du deine Freude haben an Jahwe; ich lasse dich auf den Höhen des Landes einherfahren und das Erbteil deines Vaters Jakob genießen. Denn der Mund Jahwes hat gesprochen.

Die konkreten Mahnungen werden nicht mit Angst vor Strafe bekräftigt, sondern mit Lust zur Freude. Die prophetischen Worte widerstehen alle der Neigung des natürlichen Menschen, durch pausenloses Durcharbeiten das Leben zu sichern oder gar zu steigern. Diesem Irrtum begegnet schon eine Ergänzung des kurzen alten Gebotstextes in Ex 34,21b 18. Der überkommene Wortlaut heißt in geprägter Form (V. 21a): Sechs Tage kannst du schaffen, aber am siebenten Tage sollst du aufhören!

Dem wird hinzugefügt (V. 21b): – auch in der Zeit des Pflügens und Erntens!

Vielleicht geht die alte Kurzfassung noch in nomadische Zeiten zurück 19. Die Ergänzung aber verdeutlicht sie für die Verhältnisse im 17. 2onæg = ein Behagen, eine Lust! 18. S. oben S. 199. 19. Vgl. Lohse, sábbaton, 3 f. und Schmidt, Erwägungen, 208 f.

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Schlafen und Ruhen

Kulturland, indem sie an jene Zeiten im bäuerlichen Leben erinnert, in denen die Arbeit besonders drängt und sich häuft. Eben dann braucht der Mensch den Ruhetag. Den rastlosen Übereifer kritisiert die Mannageschichte in Ex 16 auf eine fast humorvolle Weise. Schon die eingearbeiteten jahwistischen Fragmente kennen die Sabbatruhe und führen sie anscheinend wie eine längst vertraute Begehung ein 20. Ausführlich verknüpft der priesterschriftliche Hauptfaden die Mannaerzählung mit dem Sabbatmotiv. Jeden Tag lässt Gott frisches Brot fallen; da das gestrige stinkt, will es täglich neu gesammelt sein. Doch am sechsten Tage fällt die doppelte Menge. Was davon für den siebenten Tag bestimmt war (V. 22–24), das wurde nicht stinkend und war auch kein Wurm darin.

Doch einige Leute können es auch am siebenten Tage nicht unterlassen, hinzugehen um zu sammeln; – aber – sie fanden nichts,

sagt der Erzähler (V. 27), nicht ohne leichten Hohn. Die Geschäftigkeit am Sabbat wird schlicht als umsonst verspottet. Sie verachtet Gottes Vorsorge. Es bleibt dabei: der Mensch lebt nicht von seiner Unermüdlichkeit, sondern vom Wirken Gottes. Dieses Evangelium hat auf seine Weise auch Nehemia einschärfen wollen, vgl. Neh 13,15 ff. Er sah am Sabbat Leute die Kelter treten, Getreide verladen, Wein, Feigen und andere Lebensmittel verkaufen; Tyrer bringen Fische auf den Markt. Da schilt er die Verantwortlichen: Was ist das für eine schlechte Sache! … So haben eure Väter Gottes Zorn gemehrt.

Daraufhin lässt er die Stadttore Jerusalems an jedem Sabbat schließen. Viele werden das für eine Schädigung ihres wirtschaftlichen Erfolges gehalten haben. Andere werfen denen, die den Sabbat halten, Faulheit vor, wie schon Tacitus den Juden (Hist. V 4). Doch »der Sinn des Menschenlebens ist höher als der Existenzkampf. Jeder Sabbat schenkt denen, die unter der Königsherrschaft (Gottes) stehen, neu die Frei20. Vgl. Fritz, Israel, 47 f. zu V. 4a.ba.5.29 f.

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heit der Kinder Gottes, wenn auch zunächst nur in beschränktem Maße, so doch mit dem erneuerten Versprechen der vollkommenen Erfüllung«. 21 e) Dass der Ruhetag ein Vorspiel und Anspiel endgültiger und völliger Freiheit einleitet, wird im Neuen Testament vorausgesetzt. Nach dem Kolosserbrief (2,17 f.) sind die Sabbate als »Schatten des Künftigen« zu verstehen, das in Christus leibhaftig geworden ist. Innerhalb des Alten Testaments bahnt sich diese Bedeutung des Sabbats auf Zukunft hin in der Zeit des Exils an. Hier wird er nicht nur wie die Beschneidung zum Konfessionszeichen, sondern zum Unterpfand des dauerhaften Gottesbundes. Ezechiel hat zunächst in der Übertretung gerade auch des Sabbatgebotes den Grund des gegenwärtigen Exilsgerichtes aufgewiesen (Ez 20,13.16.24; 22,8.26; 23,38). Er stellt den Sabbat aber zugleich in seiner zeichenhaften Bedeutung heraus (20,12.20): Meine Sabbate sollt ihr heiligen, dass sie ein Zeichen seien zwischen mir und euch, damit ihr wisst, dass ich, Jahwe, euer Gott bin.

In dieser Hinsicht nimmt die Priesterschrift die Sabbatordnung noch eindeutiger und eindringlicher auf (Ex 31,12–17). Hier fällt zuerst auf, dass der Sabbatschänder mit der Todesstrafe bedroht wird (V. 14, vgl. 35,2!). Von einer Durchführung der Todesstrafe berichtet Num 15,32–36. Dabei ist zu beachten, dass auch die Priesterschrift nicht die geringste Leistung zur Heiligung des Sabbats fordert. Genau durch Nichtstun, durch Ruhehalten wird er geheiligt. Denn eben damit bekundet der Israelit, dass Jahwe für ihn eintritt. Als »Zeichen« eines »Bundes« »für immer« gilt der Sabbat (Ex 31,13. 16 f.) 22. Wie das Zeichen des Bogens in den Wolken für Noah (Gen 9) und das Zeichen der Beschneidung für Abraham (Gen 17), so bedeutet das Zeichen des Sabbats für Israel eine berît (Ex 31,16), d. h. eine »immerwährende Verpflichtung« Jahwes für Israel 23, und zwar betontermaßen eine Zusage »für immer«, »auf fernste Generationen hin« (V. 13.16). Damit wird Israel Freiheit in Hoffnung geschenkt, die jeder Israelit in der Annahme des konkreten Angebotes einer Le21. Vischer, Nehemia, 609. 22. Zum Gebrauch von l e2ôla¯m V. 17 in der Rechtssprache s. oben S. 139. 23. Vgl. Kutsch, Sehen, 170 und ders., Verheißung, 76.

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Schlafen und Ruhen

bensordnung schon vorläufig verwirklichen kann. Wer Jahwes Zusage nicht akzeptiert und also nicht wenigstens am siebenten Tage Ruhe halten kann, liefert sich dem Tode aus 24. Schon im Alten Testament also wird der Sabbat ein eschatologisches Ereignis mitten in des Menschen Vorläufigkeit. Im Strömen der Zeit darf der Mensch Anteil gewinnen an der Ruhe, die bei Gott ist 25. Die junge Christenheit hat den Ruhetag am ersten Tage der Woche als dem Tag der Auferstehung Jesu begangen (Mt 28,1; Apk 1,10). Mit dieser Erinnerung begründet sie die Hoffnung auf die neue Welt, die dem Menschen verheißen ist (Apk 21,4). Ohne diese Zielrichtung ist der siebente Tag in seiner grundlegenden Bedeutung für des Menschen Zeitverständnis nicht voll begriffen.

24. Vielleicht hat die Priesterschrift den siebenten Tag auch als den großen Offenbarungstag gedacht. Denn sie stellt das grundlegende Sinai-Ereignis in Ex 24,15–18 so dar: Sechs Tage bleibt Jahwes Herrlichkeit in einer Wolke verhüllt; aber am siebenten Tag ruft Jahwe aus der Wolke heraus Mose an, und den Israeliten stellt sich die Herrlichkeit Jahwes dar wie ein verzehrendes Feuer auf dem Gipfel des Berges. So wird der Priesterschrift der siebente Tag als Tag der vollendeten Schöpfung auch der Tag der vollendeten Offenbarung, vgl. Westermann, BK I, 236 f. 25. Vgl. von Rad, Ruhe, 109f = 107 f. »The Seventh day is the sign of the resurrection and the world to come« (Vita Adae et Evae 41.1, nach Heschel, Sabbath, 114, vgl. 73 ff.: »The Sabbath is an example of the world to come.«).

§ 16 Krankheit und Heilung 1 1. Krankheiten – 2. Arzt und Arznei – 3. Der Herr der Krankheit

Die Zeit des Menschen ist auch bedrohte, gefährdete Zeit. Durch Rettung und Befreiung kann sie je neu geschenkt werden. Der Gefährdung durch Krankheit entspricht die Rettung durch Heilung.

1. Krankheiten Krankheiten hat Israel in Fülle erlitten. Die wichtigste und häufigste Wortwurzel zu ihrer Bezeichnung ist hlh 2. Fast immer 3 bezeichnet sie ˙ einen Zustand der Schwäche, der Schlaffheit und Erschöpfung, also der irgendwie gebrochenen Lebenskraft. Dabei kann neben den allgemeinen Erkrankungen ebenso eine Verletzung durch Unfall (2 Kön 1,2), ein altersbedingtes Fußleiden (1 Kön 15,23) wie ein psychischer Ausnahmezustand (Hhld 2,5; 5,8 »krank vor Liebe«) gemeint sein. Daneben tritt (Jes 15; Dtn 7,15) die Wurzel dwh, die die psychischen Wirkungen von Mattigkeit in Kummer und Unwohlsein reflektiert, wie sie für die monatliche Regel der Frau typisch sind (Lev 12,2; Ps 41,4). Daneben treten mehrere Ausdrücke für Verwundungen (makka¯h, wörtlich »Schlag«, Wurzel nkh, 1 Kön 22,35; 2 Kön 8,29; Jes 1,6) und Seuchen (maggepa¯h 2 Sam 24,21.25; nægæp Num 17,11 f.; beide Nominalbildungen von ngp = schlagen; næga2 =

1.

2. 3.

Literatur: Köhler, Mensch, 33–47; Scharbert, Schmerz; von Rad, Theologie des AT I, 285–293; Hempel, Arzt; ders., Heilung; Humbert, Maladie; Struys, Ziekte; Seybold, Krankheit I; ders., Krankheit II; Westermann, Heilung; Stolz, hlh; Neufeld, Hygiene; Collins, Tears und Hamp, ba¯ka¯h. ˙Nach Stolz, hlh, 568, 110 mal im Alten Testament in allen verbalen Stammformen und˙ mehreren Nominalbildungen, von denen die häufigste hålî ˙ 24 mal belegt ist, vgl. Scharbert, Schmerz, 36 ff. Nur nicht in der Wendung hilla¯h pa¯nîm = besänftigen (15 mal). ˙

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Krankheit und Heilung

Berührung Dtn 24,8, am häufigsten dæbær für die Beulenpest Ex 5,3, etwa 50 mal). Am weitesten verbreitet waren offenbar die verschiedensten Arten von Hautkrankheiten wie Aussatz, Geschwürbildungen, Hautentzündungen, schwärende Ekzeme und Krätze. In den Fluchlisten in Dtn 28,21.27 stehen sie jeweils an erster Stelle. Die bekannten Krankheitsgeschichten Einzelner erzählen immer von quälenden und gefährlichen Geschwürbildungen, die den ganzen Körper befallen, so bei Hiob (2,7), bei Hiskija (2 Kön 20,7 = Jes 38,21) und bei Naeman (2 Kön 5,1.6 f.), im Neuen Testament Lazarus im Gleichnis Lk 16,20 f. 4. Massenhaft treten Hauterkrankungen, sofern sie infektiöser Art sind, als Seuchen auf (Lev 26,25; Dtn 28,21; 2 Sam 24,13). Da sie meist tödlich verlaufen, werden sie als dæbær oft in Reihen neben dem Schwert genannt (z. B. Ex 5,3; Jer 14,12; Ez 5,17). Besonders grauenhaft kündet Sach 14,12 eine Massenerkrankung an: Es verfault sein Fleisch, während er noch auf seinen Füßen steht, seine Augen verfaulen in ihren Höhlen, seine Zunge verfault in ›seinem‹ 5 Munde.

Auch Augenkrankheiten waren sehr häufig. Gegen 30 mal spricht das Alte Testament direkt von Blindheit ( 2iwwer, 2iwwa¯rôn, 2awwæræt), darüber hinaus aber oft vom Nichtmehr-sehen-können (z. B. Gen 48,10), vom Trübe-werden der Augen (z. B. Gen 27,1), von ihrem Erlöschen (z. B. Lev 26,16). Blindheit drohen die Fluchlisten an (Dtn 28,28 f.), in Lev 26,16 als Folge von Schwindsucht und Fieber, die in Dtn 28,22 gesondert erwähnt werden. Neben Blindheit werden in Dtn 28,28 Geisteskrankheiten genannt: Wahnsinn und Verwirrung des Geistes 6. Vom kranken Kopf und zugleich vom siechen Herzen spricht Jes 1,5. Über Kopfschmerzen aufgrund eines Sonnenstichs mit tödlichem Ausgang berichtet 2 Kön 4,18 ff. (vgl. Ps 121,6). Einen Herzanfall schildert Jer 4,19 f. 7, Lähmungserscheinungen nach »Herztod« (Gehirnschlag 8) 1 Sam 25,37.

4. 5. 6. 7. 8.

Zum ungelösten Problem der genauen Diagnose vgl. Horst, BK XVI/1, 26 f. und Hempel, Heilung, 250 f. S. BHS. timhôn leba¯b; zur Bedeutung von leba¯b s. oben S. 86. S. oben S. 77 f., vgl. Ps 38,11. S. oben S. 76 f.

Arzt und Arznei

211

Wie die hängenden Schenkel des Lahmen, so ein Weisheitsspruch im Munde des Toren,

sagt Spr 26,7. Auch Unfälle bringen Lähmung (2 Sam 4,4) mit sich, ferner Knochenbrüche (Lev 21,19) und Verwundungen (1 Kön 22,35 im Krieg). Die körperlichen Gebrechen, die zum Priesteramt untauglich machen, stellt Lev 21,18–20 zusammen: Kein Blinder, kein Lahmer, keiner, bei dem ein Körperglied zu kurz oder zu lang ist, keiner mit Beinbruch und keiner mit Armbruch, kein Buckliger oder Schwindsüchtiger, keiner mit einem Fleck im Auge noch einer mit Krätze, mit Flechte oder Hodenbruch

darf zum Opferdienst antreten. Eine Fülle von Krankheitsbeschwerden führt das Klagelied Ps 38 an: Nichts Heiles an Fleisch und Gebein (V. 4), faulende Wunden (V. 6), Ermattung, Zerschlagenheit, Herzensqual (V. 9), Herzjagen, Schwäche, Augenflimmern (V. 11), Schwerhörigkeit und Sprachlosigkeit (V. 14 f.). Lebenslanges Siechtum »von Jugend auf« (V. 16) und nun akute Todesgefahr (V. 4 ff.) beklagt Ps 88 9. Leiden, die einen Kranken körperlich entstellen, lassen ihn »unmenschlich« erscheinen und können zur völligen Isolation durch Abscheu, Verachtung oder gar Verstoßung führen (vgl. Jes 52,14; 53,2 f.). Im Stöhnen und Weinen ist nicht nur eine Gemütsbewegung zu sehen, sondern mit den aus inneren Quellen hervorströmenden Tränen verlassen Kräfte den Körper und mit dem Röcheln der Kehle entweicht Leben (Ps 6,7; 31,11; 42,4; 116,8; 126,5; Klgl 2,11) 10.

2. Arzt und Arznei Welche menschlichen Möglichkeiten der Heilung von Krankheiten kennt das Alte Testament? So weit wir sehen, beschränken sie sich im wesentlichen auf Verwundungen. Der ropæ’ ist denn auch ausschließlich der Heilkundige als Wundarzt. Der Sprachstamm rp’, jetzt meist

9. S. oben S. 161. 10. Vgl. Collins, Tears, auch Hamp, ba¯ka¯h.

212

Krankheit und Heilung

im Sinne von »heilen« verwendet, bedeutet ursprünglich flicken, zusammennähen, vereinigen 11. Die Wunden werden »ausgedrückt«, mit Öl 12 beträufelt oder mit Balsam gesalbt 13 und verbunden (Jes 1,6; Jer 8,22). Auch wird einem zerbrochenen Arm ein Verband angelegt (hbsˇ Ez 30,21; 34,4). So ist der hobesˇ wie der ropæ’ der Wundarzt (Jes˙ 3,7; Hos 6,1). Generell sollte˙ der Heilkundige den durch Krankheit Geschwächten wieder »zu Kräften bringen« (hzq pi. Ez ˙ 30,21; 34,4). Für andere Krankheiten ist der Priester zuständig, insbesondere für die häufigen Hauterkrankungen. Lev 13 f. bietet ausführliche Bestimmungen. Doch geht es hier nicht um Heilung, sondern um die Feststellung, ob der Kranke rein oder unrein ist, d. h. ob er in der Gemeinde kultfähig oder auszusondern ist. Die Isolierung kann probeweise für sieben oder vierzehn Tage erfolgen oder auch je nach den Indizien endgültig (vgl. Dtn 24,8 und Lk 17,12–14). Der mit bösartigem Geschwür von der Fußsohle bis zum Scheitel geplagte Hiob kann nichts anderes tun als in der Asche sitzen, sich mit einer Scherbe schaben und dieses Böse wie zuvor das Gute von seinem Gott annehmen (Hi 2,8– 10). Heilverfahren werden in solchen Fällen anscheinend nur ausnahmsweise von Charismatikern eingeleitet. So lässt der Prophet Elisa den aussätzigen aramäischen Heerführer Naeman siebenmal im Jordan baden (2 Kön 5,14); da wurde sein Leib wieder so rein wie der Leib eines kleinen Kindes 14.

Jesaja verordnet dem von Geschwüren geplagten König Hiskija Packungen mit Feigenkuchen (2 Kön 20,7 = Jes 38,21). Das Krankenbett wird Ps 41,4 und Ex 21,18 erwähnt, ist aber auch beim kranken Hiskija vorausgesetzt (vgl. 2 Kön 20,2 = Jes 38,2 mit

11. Vgl. KBL und Hempel, Arzt, 810. 12. Zur reinigenden, heilenden und kräftigenden Wirkung des Öls, wie sie der Alte Orient kennt, vgl. Kutsch, Salbung, 1 ff. und Hesse, msˇh, 485. ˙ ist wahrschein13. Dass Salben auch zur Insektenbekämpfung hergestellt wurden, lich, vgl. Gen 37,25; Ex 30,23 f.; 1 Kön 10,10 und Neufeld, Hygiene, 59–62. 14. Zu der Anweisung Elisas (2 Kön 5,10 ff.) bemerkt von Rad, Naaman, 299: »Den vollen Affront dieser Szene begreift man erst, wenn man bedenkt, dass der Jordan und sein Wasser für das alte Israel auch nicht die Spur einer sakralen Wertung genoß.«, vgl. die heilende und belebende Kraft der Wasser aus dem Heiligtum in Ez 47,1 ff. (V. 8 f.), auch Joh 5,7.

Arzt und Arznei

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1 Kön 21,4). Die Geistesstörung Sauls, bei der Schwermut und Neid zu gewalttätigen Wutanfällen führen, soll durch Davids Saitenspiel gebessert werden; Musik dient der Therapie (1 Sam 16,14–23; 18,7– 9.10 f.; 19,8–10) 15. Bei leidenschaftlicher Liebe als psychischer »Krankheit« werden Rosinenkuchen und Äpfel als »Heilmittel« begehrt 16 (Hhld 2,5); die von den ersten Liebeserfahrungen mitgenommene Geliebte bedarf solcher Stärkungs- und Erfrischungsmittel 17. Bei Verwundeten wird der Schadenersatz geregelt, wenn Verschulden vorliegt. In Ex 21,18 f. ist vorausgesetzt, dass ein Mann von einem anderen im Streit so mit einem Stein oder mit einer Hacke verletzt wurde, dass er zu Bett liegen musste. Dann hat der Schuldige für die Zeit, die der Betroffene sein Haus nicht verlassen und nicht arbeiten kann, eine materielle Abfindung zu leisten und außerdem für die Heilkosten aufzukommen. Ein eigentlicher Ärztestand ist innerhalb des Alten Testaments für Israel nicht eindeutig belegt 18. Doch im 2. Jahrhundert v. Chr. finden wir Jesus Sirach (38,1–15) ausführlich mit dem Arzt und dem Apotheker beschäftigt: Ehre den Arzt, seinen Diensten gemäß, denn auch ihm hat Gott sein Teil zugewiesen 19. 2 Von Gott ist der Arzt unterrichtet, und vom König erhält er Geschenke. 15. Vgl. Kümmel, Melancholie. 16. Vgl. Gerleman, BK XVIII, 119 mit Hinweis auf ägyptische Parallelen. Als »krank« gelten also auch besonders kräftige Begleiterscheinungen des Liebeserlebens, ebenso wie die der Menstruation, die wir als durchaus ›gesunde‹ Indispositionen bezeichnen würden. Die Phänomene entscheiden. 17. Vgl. Rudolph, KAT XVII/2, 131. 18. Anders in Babylon und Ägypten. Im Zweistromland sind die den Handwerkern zugerechneten Chirurgen von den Internisten zu unterscheiden, die Heilpflanzenlisten und Rezepttafeln studieren und zu den Priestern gehören, vgl. Ebeling, Arzt. In Ägypten ist das zu den größeren Heiligtümern gehörende »Lebenshaus« wahrscheinlich als Ärzteschule zu deuten, vgl. Bonnet, RÄRG, 417 f. mit de Meulenaere, Ärzteschule. Dass die innere Medizin in Israel nicht entwickelt wurde, dürfte zwei Gründe haben: 1. Man scheute das Sezieren wegen Verunreinigung durch die Leiche (s. oben S. 160); 2. Analogieschlüsse vom Tier auf den Menschen erscheinen wegen dessen Sonderstellung in der Schöpfung nicht zwingend (Gen 2,18–23; 1,26 f.), vgl. Hempel, Heilung, 244 f., ferner Humbert, Maladie, 1 ff.23 ff. 19. Vgl. von Rad, Weisheit, 178.

214

Krankheit und Heilung

3

Das Wissen des Arztes erhöht sein Haupt und bei Fürsten hat er Zutritt. 4 Gott bringt aus der Erde die Heilmittel hervor, und ein verständiger Mensch verschmäht sie nicht. … 7 Durch sie beruhigt der Arzt den Schmerz, der Apotheker bereitet die Mischung. … 9 Mein Sohn, in der Krankheit säume nicht, bete zu Gott, denn er macht gesund. 10 Fliehe den Frevel und reinige die Hände, von allem Bösen reinige dein Herz. 11 Spende Weihrauch und ein Gedächtnisopfer, mache reichlich die Gabe, so gut du vermagst. 12 Doch auch dem Arzt gewähre Zutritt, nicht soll er weichen, denn auch er ist nötig. 13 Denn es gibt Zeiten, da hat seine Hand Erfolg, 14 denn auch er betet zu Gott, dass er ihm die Untersuchung gelingen lasse und die Heilung zur Erhaltung des Lebens. 15 Wer gegen seinen Schöpfer sündigt, der fällt in die Finger des Arztes.

Wie nüchtern ist hier der Beruf des Arztes gesehen! Er hat ebenso seine Weisheit und Kunst von Gott, wie die Heilmittel Gaben des Schöpfers aus der Erde sind. Er kann die richtige Diagnose treffen, kann Schmerzen lindern und vielleicht das Leben erhalten. Aber seine Gaben haben Grenzen, und er verfügt darüber nicht jederzeit. So ist er selbst wie der Kranke auf das Gebet zu Gott angewiesen. Es kann auch eine Strafe sein, in die Hand eines Arztes zu fallen. So merkwürdig und vielfältig werden Gott und der Arzt zusammengesehen.

3. Der Herr der Krankheit Jahwe allein ist Herr der Krankheit und der Heilung. Das ist die ungebrochene biblische Gewissheit. Natürliche und wunderbare Heilungen werden im Alten Testament grundsätzlich nicht unterschieden. Ob menschliche Verordnungen und Anwendungen mitwirken oder nicht, wesentlich ist durchweg, dass der Kranke in seiner Krankheit und der Genesende in seiner Heilung dem Gott begegnet, der

Der Herr der Krankheit

215

Krankheit und Heilung vermittelt oder unvermittelt schickt20. Während selbst Asklepios, der hervorragende Gott der Heilkunst, die Konkurrenz Apollos und dieser wieder die der Asklepiossöhne Machaon und Podaleirios neben sich dulden muss 21, ist der Umgang mit der Krankheit für Israel Jahwes exklusives Monopol. Er selbst wird nicht krank oder verwundet wie die Götter, etwa Horus in Ägypten, den Thot vom Skorpionstich heilen musst 22. Nach seinem freien Willen hält er Krankheiten fern, oder er schickt sie (Hi 5,18; Dtn 7,15). Auch wenn der aussätzige Naeman mit Elisa oder der König Hiskija mit Jesaja als Heilkundigen zu tun haben, so wird dabei doch von vornherein der wesentliche Dialog mit Gott eröffnet, wie bei Hiob. Naeman bekennt am Ende (2 Kön 5,15): Nun weiß ich, dass es auf der ganzen Welt keinen Gott gibt außer in Israel

und er trifft Maßnahmen zu seiner dauerhaften Verehrung (V. 17 ff.); und Hiskija (Jes 38,15): Er selbst hat es getan. Ich will dir lobsingen alle meine Jahre …

Aber auch ohne die persönliche Erkenntnis können die Prozesse um Krankheit und Heilung nie vom Wirken Jahwes abstrahiert werden. Es ist Sache des Betroffenen, ob er die besondere Erfahrung mit Jahwe durchsteht und in die Dauer seines Lebens hineinnimmt 23. Der Umgang mit Jahwe beginnt mit dem Gebet in der Krankheit, wie es Jesus Sirach (38,9) empfiehlt und wie es in den Klagepsalmen vielfach aufklingt (Ps 6,3): Erbarme dich meiner, Jahwe, denn ich sieche hin, heile mich, meine Gebeine sind verstört!

Vgl. 38,2 ff.; 88,2 ff. Oft ist die körperliche Not Anlass zur Selbstprüfung. Hiobs Dialog wird davon immer neu aufgepeitscht, obwohl bei ihm die Schuldfrage das Rätsel nicht löst; die Antwort muss ihm 20. Vgl. Westermann, Heilung III. Selbst Sauls Wahnsinnsausbrüche hat »der böse Geist von Jahwe« bewirkt (1 Sam 16,14; 18,10; 19,9). Zu den Krankheitsund Heilungs-Psalmen vgl. Seybold, Krankheit I. Zu 2 Kön 5,6 f. vgl. von Rad, Naaman, 298 f. 21. Vgl. Hempel, Heilung, 282 f. 22. Vgl. Hempel, Arzt, 820. 23. Vgl. Westermann, ebd.

216

Krankheit und Heilung

schließlich von Jahwe selbst kommen. In der Regel entdeckt ein Leidender sein voraufgehendes Verfehlen und Versäumen (Ps 38,5; 39,9.12; 41,5 u. ö.); dass er sein Vergehen verdrängte und verschwieg, das zehrte seine Kräfte auf, bis es schließlich zur Aussprache kam (Ps 32,3–5; 107,17–19). Jahwes vergebender Zuspruch leitet auch die Heilung ein (Ps 32,5b; 107,20, vgl. Mk 2,5–12). Ebenso wie zur Prüfung von Geschehenem kann die Krankheit auch zur Meditation des Kommenden anleiten; so bekommt sie in Elihus Reden warnende und erziehende Funktion (Hi 33,19 ff.). In Num 21,4–9 (E) wird die Heilung mit einer Probe des Vertrauens zu Jahwes Verfügung verbunden: Jahwe hat gegen das murrende Volk in der Wüste feurige Schlangen losgelassen. Sie beißen das Volk. Es bekennt seine Schuld und bittet Mose um Fürsprache. Darauf ordnet Jahwe die Errichtung einer ehernen Schlange an (V. 8): Jeder, der gebissen ist und sie anschaut, soll am Leben bleiben.

Wer nun als Gebissener Jahwes Anweisung traut, wird vom tödlichen Gift geheilt. Zu der kurzen älteren Notiz in Ex 15,23–25, nach der Mose auf Jahwes Weisung die ungenießbar bitteren Wasser zu Mara süß machte, trägt ein Deuteronomist einen Konditionalsatz nach, der den strikten Zusammenhang zwischen Gehorsam und Genesung lehrt (V. 26): Wenn du der Stimme Jahwes, deines Gottes, gehorchst und das tust, was in seinen Augen recht ist, und auf seine Anweisungen lauschst und alle seine Satzungen beachtest, dann will ich dir keine der Krankheiten auferlegen, die ich Ägypten auferlegt habe; denn ich, Jahwe, bin dein Arzt.

Der Schlusssatz von Jahwe, dem Arzt, klingt zugleich programmatisch und polemisch 24. Er bekundet, dass menschliches Leben mit all seinen Störungen vor Gott seine Einheit findet, und er wehrt dem Gedanken, dass Zukunft anders als im Dialog mit ihm zu gewinnen sei. Monologisch bei sich selbst zu bleiben oder auch statt Jahwe die Ärzte zu suchen (2 Chr 16,12), wo sie doch nach Jesus Sirach allenfalls wegen Jahwes zu befragen wären 25, zeigt eine hoffnungslose Verkennung des Menschen. Die Texte geben zu erkennen, wie vielfältig sich Israel durch Krank24. Vgl. von Rad, Theologie des AT I, 287. 25. Sir 38,1.12 ff., vgl. aber auch V. 15 und oben S. 213 f.

Der Herr der Krankheit

217

heit und Heilung in das Gespräch mit Jahwe hineingezogen sah. Jeder Betroffene hat neu hinzuhören. Am Ziel wird vor allem das Lob Jahwes laut, das ein gesundes Leben signalisiert 26. Es dankt weithin für Heilung und Vergebung zugleich (Ps 30,3.6.12 f.; 32,2–11; 103,3, vgl. Jes 53,4). Eine prophetische Stimme führt ihre Hörer einem künftigen Zion entgegen, von dem es heißt (Jes 33,24): Kein Einwohner sagt mehr: Ich bin krank. Denn dem Volk, das drin wohnt, ist die Schuld vergeben.

26. S. oben S. 162.

§ 17 Des Menschen Hoffnung 1 1. Erwartung von Zukunft – 2. Verschlossenheit von Zukunft – 3. Jahwe, die Hoffnung – 4. Die Gabe der Hoffnungen

Da Jahwe dem Menschen die Zeiten zuweist, kann das Menschenauge Zukunft wohl erwarten, aber nicht absehen. Die Entscheidung zwischen Bangen und Hoffen findet nicht im Menschen oder in den Umständen ihren zureichenden Grund, sondern im Zuspruch des die Zukunft heraufführenden Gottes.

1. Erwartung von Zukunft Zukunftserwartung gehört zum Wesen des Menschen, so gewiss er als Geschöpf mit Aufgaben betraut ist, die Zukunft gestalten 2. Auch die Strafworte über den sich vergehenden Menschen verschließen die Zukunft nicht, betreffen sie doch die Geburt von Kindern (Gen 3,16), die künftige Arbeit und Ernährung (V. 17–19), die Schutzzusage gegen gefürchtete Blutrache (4,14 f.), den unaufhörlichen Wechsel von Saat und Ernte (8,21 f.). So hat der Jahwist schon den Menschen schlechthin, auch den vor und neben Israel lebenden, als das Wesen erkannt, das bewusst der Zukunft entgegenleben kann. Die Priesterschrift hat mit dem Noahbund den Bogen in den Wolken als unübersehbares Zeichen dafür verkündet, dass trotz aller Bedrohungen Vernichtung der Lebewesen nicht das Ende der Wege Gottes ist (Gen 9,14–16). Dem entspricht beim späten Kohelet die Reflexion über das menschliche Subjekt (3,11): 1. 2.

Literatur: Westermann, Hoffen; Vriezen, Hoffnung; van der Ploeg, L’esperance; Zimmerli, Hoffnung I; ders., Hoffnung II; Preuß, Jahweglaube und Westermann, jhl. ˙ Zu Gen 1,26.28 und 2,5.15; 3,23 s. oben S. 190ff.

Erwartung von Zukunft

219

Auch die ferne Zeit hat er ihnen ins Bewusstsein gegeben 3.

Der Prediger lehrt also, dass das Bedenken der Zukunft unentrinnbares Menschenlos ist, obwohl der Mensch das Gesamtwerk Gottes vom Anfang bis zum Ende nicht überschauen und begreifen kann. Weil Zukunft im Einzelnen auch gefährdet ist, wird Hoffen generell von Fürchten begleitet. Nur wer den Lebenden zugesellt ist, für den ist noch Hoffnung,

sagt Pred 9,4. Darum wird Zukunft mit Spannung erwartet. Die wichtigsten hebräischen Wörter für des Menschen Verhalten zur Zukunft bringen das zum Ausdruck. Am häufigsten ist die Wurzel qwh im Sinne der Zukunftserwartung belegt (pi. 39 mal, q. 6 mal, tiqwa¯h 32 mal, miqwæh 5 mal, insgesamt 82 mal). Die spezielle Bedeutungsnuance klärt das wurzelverwandte Nomen qaw, das die (ausgespannte Mess-)Schnur bezeichnet (2 Kön 21,13; Jes 34,17), sowie das nur Jes 18,2.7 vorkommende qawqaw für die Spannkraft. Demgemäß meint qiwwa¯h Hoffen als gespanntes Erwarten (vgl. Jes 5,2.4.7). So hofft Jesaja in Spannung auf Jahwe, der sein Angesicht jetzt vor Jakobs Haus verborgen hat (8,17b). Das Wort bringt gesteigert jene Haltung zum Ausdruck, die im ersten Teil des Jesajawortes mit hkh pi. ˙ keine beschrieben wird (V. 17a). Diese Vokabel (q. 1 mal, pi. 13 mal, Nominalbildung) meint ein eher zaghaft zauderndes (2 Kön 9,3) oder geduldiges (Dan 12,12) Zuwarten (Jes 64,3). Häufiger erscheint yhl (pi. 24 mal, hi. 15 mal, ni. 2 mal, tôhælæt 6 mal, ya¯hîl 1 mal, ins˙ ˙ ˙ gesamt 48 mal), das Hoffen als ein ausdauernd harrendes Warten versteht; typisch dafür ist Gen 8,10.12, wo Noah jeweils »weitere sieben Tage wartete«, bis er die Taube noch einmal aus der Arche fliegen ließ. Schließlich ist noch ´sbr zu nennen (pi. 6 mal, Nomen ´sebær 2 mal). Hier schwingt das Moment des Prüfens in einem ausspähenden Erwarten mit, wie denn ´sbr q. (Neh 2,13.15) untersuchen bedeutet und in Ps 145,15 die Augen Subjekt derartigen Hoffens sind: Aller Augen spähen nach dir aus, du gibst ihnen Speise zur rechten Zeit.

3.

S. oben S. 141.

220

Des Menschen Hoffnung

So zeigen schon die sprachlichen Möglichkeiten des Hebräers einige modifizierte Weisen des Verhaltens zur Zukunft: Hoffnung artikuliert sich als gespanntes Erwarten (qwh), als geduldiges Zuwarten (hkh), ˙ l) 4. als spähendes Ausschauen (s´br) oder als ausdauerndes Harren (yh ˙ so So verschiedenartig der Mensch als solcher auf Zukunft aus ist, unterschiedlich ist der Erfolg (Spr 10,28): Der Gerechten Hoffnung mündet in Freude, doch zunichte wird die Erwartung der Frevler.

Dabei wird die Einstellung der Gerechten als tôhælæt, d. h. als ausdauerndes Harren beschrieben, die der Frevler als ˙tiqwa¯h, d. h. als gespannte (selbstsicher oder bangend zudringliche, ungeduldige 5) Erwartung, vgl. Spr 11,23. Jeder hofft auf seine Weise, solange er lebt.

2. Verschlossenheit von Zukunft So gewiss der Mensch in der Vorausschau lebt und berufen ist, mit »Vorsicht« Zukunft zu gestalten, so wenig verfügt er doch über die Zukunft. Er plant wohl und muss es auch tun – darin unterscheidet er sich vom Tier 6 –, aber er kann der Erfüllung seiner Pläne nie sicher sein. Spr 21,31: Das Ross wird gerüstet für den Tag der Schlacht, doch der Sieg steht bei Jahwe.

Spr 16,9: Des Menschen Geist plant seinen Weg, doch Jahwe lenkt seinen Schritt.

Gerade der besonnene Mensch rechnet die unausrechenbare Differenz zwischen Zukunftsplanung und geschichtlicher Verwirklichung mit ein. Wer die Differenz nicht ganz bewusst offen hält, steht in Gefahr, des Menschen Menschsein zu verkennen und den Menschen selbst an die Stelle Gottes zu setzen. Er bleibt nicht wahrhaft säkularer, weltlich begrenzter Mensch, sondern stabilisiert mit irgendeinem Ideologie4. 5. 6.

Vgl. Zimmerli, Hoffnung II, 12 ff.; Westermann, jhl, 727 f. ˙ Vgl. Spr 10,27 »die Jahre der Frevler sind verkürzt«. Doch vgl. Spr 6,8.

Jahwe, die Hoffnung

221

Glauben die Herrschaft des Unglaubens. Kohelets Skepsis wehrt am kräftigsten der Sicherheit, dass der Mensch der Zukunft mächtig sei. Aus doppeltem Grunde kann er es nicht sein. Zum ersten kann er der Umstände in der Zukunft nicht sicher sein (Pred 8,7): Man weiß nicht, was kommen wird. Denn wer könnte vorhersagen, wie es kommen wird?

Nur der Tor macht viele Worte darum (10,14): Dabei weiß doch kein Mensch, was sein wird. Wer sollte ihm auch kundtun, was nach ihm sein wird?

Zum andern und zur Hauptsache weiß er nicht einmal um seine eigene Zukunft (8,8): Kein Mensch hat Macht über den Lebensatem (…), und keiner ist Herr über den Tag des Todes. Es gibt keine Entlassung im Kriege, auch rettet Reichtum 7 seinen Besitzer nicht.

Kein Planer hat seine eigene Verfassung zur Stunde der Verwirklichung seiner Pläne in der Hand (9,1b): Ob dann Liebe oder ob dann Hass sein wird, der Mensch weiß nicht darum.

Hiob prägt ein, dass es vor allem Gott selbst ist, an dem die Sicherheit menschlicher Erwartung zuschanden wird (14,19 f.). Positiv formuliert vor jenem negativen Satz (9,1b) Kohelet (9,1a): Die Gerechten und die Weisen und ihre Werke sind in der Hand Gottes.

3. Jahwe, die Hoffnung Daraus folgt für das ganze Alte Testament, dass grundlegend und zur Hauptsache Jahwe die Hoffnung des Menschen ist. Schon die Statistik zeigt, dass von allem, was der Mensch erhoffen kann, weitaus am häufigsten Jahwe selbst der ist, auf den in Israel die Erwartung gerichtet ist oder sein sollte. qiwwa¯h ist 26 mal auf Jahwe und nur 7.

Vgl. BHK und Zimmerli, ATD 16/1, 216.

222

Des Menschen Hoffnung

19 mal auf alles andere bezogen, yhl pi. und hi. 27 mal auf Jahwe und 15 mal nicht auf Jahwe8. Fragt ˙man nach dem Grund dieses personalen Bezuges der Hoffnung, so darf man nicht nur das Vorkommen der Haupttermini für die Erwartung untersuchen, sondern muss deren Begründung erkennen. Israel versteht seine Anfänge und seine fortgehende Geschichte wesentlich als Erfüllungen von Verheißungen Jahwes: die Volkwerdung, die Landgabe, seinen Auftrag inmitten der Völker, das Königtum und die Fortdauer des Davidhauses, die Katastrophen der Richter- und der Königszeit und dann besonders das babylonische Exil, die Heimkehr aus dem Exil, die neuen Anfänge in Jerusalem und vor allem die Vollendung aller Verheißungen im neuen Bund für Israel, in der Einbeziehung der Völkerwelt und der völligen Welterneuerung. Auch die Hoffnungen des Einzelnen haben Grund, Bestand und Kraft nur, indem sie von diesen Verheißungen für Israel und die Völker umschlossen sind. Die Erwartungen aller genannten Veränderungen aber sind begründet ausschließlich in Jahwes Wort, das als Versprechen an die Väter und dann vor allem als Gerichtsankündigung und Heilsverheißung durch die Propheten in Israel laut wurde 9. Die Deuteronomisten haben auf Grund der Erfahrungen von Generationen »das Funktionieren des Wortes Jahwes in der Geschichte«10 herausgestellt. So ist es verständlich, dass begründete Hoffnung vor allem anderen eine Erwartung ist, die sich auf Jahwe selbst gründet. Schon die Erklärung seines Namens in Ex 3,14 stellt ihn als den heraus, der »sich erweist« 11. Es ist aber nicht nur die Treue Jahwes als solche, die Hoffnung begründet, sondern genauer die Verlässlichkeit seiner Zusage. Von daher erklärt es sich auch, dass die expliziten Hoffnungsaussagen des einzelnen Menschen in Israel ihren eigentlichen Sitz im Leben in den individuellen Klagepsalmen haben 12, und zwar im Element der Vertrauensaussage (Ps 39,8): 8. 9.

Vgl.Westermann, Hoffen, 21 = TB 24 (1964) 221. Die Begründung der Zukunftserwartung Israels im Glauben an Jahwe selbst und nicht in irgendeinem Trieb nach Vollendung oder einer Flucht in die Zukunft kraft geschichtlicher Enttäuschungen hat Preuß, Jahweglaube umfassend dargestellt. 10. Von Rad, Theologie des AT I, 355. 11. Vgl. Wolff, Jahweglaube, 59 ff.; ders., Jahwe (1969), 399f = TB 22 (2 1973) 420 f.; von Soden, Jahwe und Jenni, Jhwh. 12. Zum Folgenden vgl. Westermann, Hoffen, 39ff = 237 ff.; ders., jhl, 727 ff. ˙

Jahwe, die Hoffnung

223

Nun, was soll ich erwarten, Herr? Meine Hoffnung gilt dir, dir allein 13.

Ps 33,20 verdeutlicht, wieso Jahwe Grund der Hoffnung ist: Unsere Seele harrt auf Jahwe, er ist unsere Hilfe und unser Schild.

Dass die Zuversicht in der Zusage gründet und auf deren Verwirklichung traut, betont Ps 130,5 f.: Ich harre auf Jahwe, ich harre mit Verlangen 14, auf sein Wort warte ich. Mein Verlangen13 geht auf Jahwe, mehr als das der Wächter auf den Morgen. 15

Dem schließt sich in Ps 130,7 die Mahnung an: Israel, harre auf Jahwe, denn bei Jahwe ist die Treue, und reichlich Befreiung bei ihm.

Der Mahnung fehlt weder hier noch anderwärts die Begründung in Jahwes Verlässlichkeit, vgl. die Selbstvermahnung des Beters in Ps 42,6.12; 43,5. Die Weisheit rät auch deshalb zum Warten auf Jahwe, weil es die eigene Planung korrigiert und insofern eine Konsequenz der Gottesfurcht ist (Spr 20,22): Sage nicht: Ich will das Böse heimzahlen! Hoffe auf Jahwe! Er wird dich retten.

Wie Gottesfurcht und Hoffnung auf Jahwe parallele Begriffe werden können und einander stützen, zeigt Ps 147,11: Gefallen hat Jahwe an denen, die ihn fürchten, an denen, die auf seine Treue warten.

Damit erscheint der Hoffende zugleich als Empfänger neuer Zustimmung Jahwes. Jes 40,31 sagt zu, dass das Harren auf Jahwe im Ergebnis den natürlichen Lebenserwartungen überlegen ist 16. Einer, dessen

13. 14. 15. 16.

Vgl. Jes 8,17; Mi 7,7; Ps 69,4; Jes 64,3. Zur Bedeutung von næpæsˇ s. oben S. 33ff. Vgl. Ps 119,81. S. oben S. 188f.

224

Des Menschen Hoffnung

Hoffnung schon völlig erschöpft war (Klgl 3,18), vernimmt den Zuspruch (V. 25): Gut ist Jahwe dem, der auf ihn hofft, der Seele, die nach ihm fragt.

Solche Hoffnung auf Jahwe breitet sich nach Deuterojesaja bis zu den fernen Erdteilen und Inseln aus (Jes 42,4; 51,5). Charakteristisch für diese in Jahwe begründete Hoffnung ist es, dass sie nicht nur formgeschichtlich zunächst den Platz der Vertrauensaussage in den Klageliedern einnimmt 17, sondern dass das Hauptwort für Vertrauen (bth) in Parallele zu harren (yhl) (z. B. Ps ˙ ˙ 33,20.21) und hoffen ˙(qwh) (z. B. Ps 40,2.4 f.; 52,10.11) stehen kann, ebenso hsh (Zuflucht suchen) zu qwh (Ps 25,20.21). Die annä˙ hernde Synonymität hat die Septuaginta verstanden, wenn sie bth ˙˙ 47 mal und hsh 20 mal mit elpizein wiedergibt 18. ˙ So ist also die Hoffnung nicht ein Nebenthema des Alten Testaments, vielmehr ist es unlöslich mit Jahwe als dem Gott der Väter und der Propheten, dem Gott angekündigter Drohungen und Verheißungen, dem Gott der großen Veränderungen und des endgültigen Heils, aber auch mit dem Gott der Beter und der Weisen verknüpft. Wie Hören und Sprechen spezifische Kennzeichen des Menschen sind 19, so ist Zukunftserwartung charakteristisches Merkmal menschlichen Lebens in der Zeit. Als begründete Hoffnung ist die Zukunftserwartung für das Alte Testament nicht zu trennen vom Hören auf den Gott, der sich selbst Israel und den Völkern versprochen hat.

4. Die Gabe der Hoffnungen Sofern Jahwe selbst die Hoffnung ist, sind die Hoffnungen Gabe Jahwes. In der Tat sind mit den Zusagen Jahwes auch bestimmte Zukunftserwartungen verbunden. Wir erinnern hier nur an diejenigen, die aus den partikularen Erfahrungen Israels ins Universale hinauswachsen und so den Menschen aus allen Völkern in sich hineinnehmen. Zuerst muss hier die Abrahamverheißung des Jahwisten ge17. Vgl. z. B. Ps 22,5 f.9 f. (37,3.5) mit Ps 39,8. 18. Vgl. Zimmerli, Hoffnung II, 17. 19. S. oben S. 124 ff.

Die Gabe der Hoffnungen

225

nannt werden, nach der in Abraham-Israel alle Sippen der Erde Segen finden sollen (Gen 12,3b). Solcher Segen wird an Modellen des Umgangs der Väter Israels mit Fremden verdeutlicht als Einsatz für die Untergangsreifen (Gen 18,17 ff.), als Bereitschaft zur Verständigung mit Erzfeinden (Gen 26,28 ff.), als Wirtschaftshilfe für Notleidende (Gen 39,5; 41,49.57) 20. Jes 19,23–25 zeigt, wie Israel als dritte Kraft zum Segensvermittler für die Großmächte Assur und Ägypten werden soll. Paulus bezeugt Gal 3,8, dass von Jesus her der Abrahamsegen den Völkern wahrhaft zukommen wird. Die Prophetie nimmt insbesondere die Friedenszusage auf. Jes 9,5 f. erwartet zunächst von einem neuen Davididen einen »Frieden ohne Ende«. Nach Jes 2,2–4 bleibt er nicht auf Israel beschränkt. Eine Völkerwallfahrt zum Zion hat zum Ziel, dass alle Fremden die Anweisung Jahwes vernehmen und ihr gesamtes Kriegspotential zu Geräten der Lebenshilfe umschmieden und alle kriegerischen Manöver unterlassen. Jahwe selbst zerbricht die Waffen nach Hos 1,4; 2,20; Jer 49,35; Mi 5,9–13; Sach 9,10. Darum besingt Israel (Ps 46,10) den Gott, der Bogen zerbricht, Speere zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt21. Zum neuen Friedensweltreich gehört nicht zuletzt Gerechtigkeit und Hilfe für alle Unterdrückten, wie sie vom messianischen Herrscher erwartet werden (Ps 72, vgl. Jes 11,2 ff.). Solche Veränderungen zum wahrhaft umfassenden Heil, in dem alle unbefriedigte Bedürftigkeit, alle gewalttätige Zerstrittenheit und alle bedrückende Rechtlosigkeit überwunden sind, geschehen nie ohne das Wirken des Gottes Israels, wie sie denn auch im Neuen Testament unlöslich mit der Sendung Jesu verbunden werden (Apk 21). Daraus sind Folgerungen für die Anthropologie zu ziehen. Wer den Gott der Hoffnung (Deus spei) als Begründer der Hoffnungen in der Geschichte Israels, seiner Väter, seiner Propheten und Jesu von Nazaret, verlässt und dem Abgott Hoffnung (Deus spes) mit dem Huma-

20. Vgl. im Einzelnen Wolff, Jahwist, 88ff = 361 ff. 21. Vgl. Ps 76,7 und Bach, Bogen, 26: »Aus einem der Zentren des Jahweglaubens heraus hat schon das Alte Testament in Jahwe den ›Gott des Friedens‹ (Röm 15,33; 16,20) gesehen. So gewiss menschliche Friedenssehnsucht ernst zu nehmen ist, so klar gilt es doch zu erkennen, daß nach dem Zeugnis des Alten Testaments der aus Jahwes Eiferheiligkeit entspringende Friedenswille Jahwes aller menschlichen Friedenssehnsucht vorangeht.«

226

Des Menschen Hoffnung

num als selbständigem Inhalt huldigt 22, der überfordert entweder den Menschen in unmenschlicher Weise, oder aber er relativiert die Erwartung der neuen Welt kläglich. Die Hoffnung, der die Bibel entgegengeht, verheißt eine Neuschöpfung, die radikal die eigenen Möglichkeiten des Menschen transzendiert. Damit ermuntert sie ihn aber zugleich, die ihm möglichen Schritte auf dieses Ziel hin zu tun und Schritte in entgegengesetzer Richtung zu unterlassen. Wer die neue Welt jenseits des Ozeans erreichen will, wird mit eigenen Füßen und den ihm in dieser alten Welt verfügbaren Fahrzeugen zum Hafen aufbrechen, in dem klaren Bewusstsein, dass es noch ganz anderer Kräfte bedarf, damit er in der neuen Welt landen und ihr Bürger werden kann. Die Verheißung des Gottes der Hoffnung ist die Kampfkraft gegen eine doppelte Enttäuschung: Die einen vertrösten auf ein Jenseits und enttäuschen, indem sie die Gegenwart für hoffnungslos unveränderlich erklären; die anderen geben vor, den Himmel des ganzen Heils mit eigenen Kräften realisieren zu können und enttäuschen, indem sie die Gegenwart unmenschlich ruinieren 23. Dagegen kann der seinem Wesen nach auf Zukunft ausgerichtete Mensch im Trauen auf das Verheißungswort radikal Hoffender in der Relativität der kleinen Schritte bleiben. Er reduziert weder das total Neue auf kümmerliche Neuerungen, noch belastet er den Menschen unerträglich mit dem, was nur der Unvergleichliche wirken kann. Allein der Mensch der Zuversicht erfährt als Hörer der Verheißung schon den Vorgeschmack der neuen Welt. Er breitet ihn auch aus.

22. Vgl. die Diskussion von Zimmerli, Hoffnung II, 163 ff. mit Ernst Bloch. 23. Vgl. Moltmann, Mensch, 58.

III. Des Menschen Welt Soziologische Anthropologie

§ 18 Gottes Bild – der Weltverwalter 1 1. Gottesebenbildlichkeit des Menschen – 2. Mensch und Menschheit – 3. Herrschaft über die Schöpfung

Des Menschen Welt ist Gottes gesamte Schöpfung. So bezeugen es die beiden Schöpfungsberichte der Genesis 2 und verwandte Aussagen wie der 8. Psalm. Die Priesterschrift bringt die Sonderstellung des Menschen in der Welt auf die Kurzformel, dass er als »Bild Gottes« (sælæm ’ ælohîm) erschaffen und geschützt sei (Gen 1,26 f.; 9,6). Was ˙besagt diese Wortprägung?

1. Gottesebenbildlichkeit des Menschen In welchem Sinne ist der Mensch »Bild Gottes«? Die Wendung für sich genommen weist zunächst und grundlegend auf eine Entsprechung des Menschen zu Gott hin. Die Eigenart des Menschen in der Schöpfung soll aus seinem besonderen Verhältnis zu Gott begriffen werden. Im Zusammenhang wäre besser noch von Gottes Verhältnis zum Menschen zu sprechen als der Voraussetzung zum Selbstverständnis des Menschen. Denn der Begriff erscheint zuerst in dem Wort der Selbstberatung und des Selbstentschlusses Gottes in 1,26: Wir wollen Menschen machen nach unserem Bilde, uns ähnlich!

Wie ist das Entsprechungsverhältnis zwischen Gott und den Menschen näher zu verstehen? a) Der Mensch kommt nach jenem Wort des Selbstentschlusses von einer Anrede Gottes her. Das ist nicht nur formal zu sehen, zumal die 1. 2.

Literatur: Stamm, Imago Lehre; Loretz, Mensch; Wildberger, Abbild; Schmidt, Schöpfungsgeschichte; Loretz, Gottebenbildlichkeit; Westermann, BK I, 197– 222; Maass, ’a¯da¯m und Zimmerli, Weltlichkeit, 45–57. Vgl. schon § 11 (oben S. 144 ff.) und § 14 (oben S. 190ff ).

230

Gottes Bild – der Weltverwalter

Segensanrede 1,28 in ihrem ersten Teil dem Wort an Fische und Vögel in 1,22 gleicht. Singulär ist die Fortsetzung im Wort an die Menschen. Sie bringt die den Menschen auszeichnende Amtsübertragung. Ps 8,6 versteht sie als »Krönung« mit Hoheit und Erhabenheit. Auch nach dem Jahwisten übertrug der Schöpfer dem Menschen mit der Übereignung der Geschöpfe verantwortliche Aufgaben (2,15–17) 3 und Entscheidungsbefugnis (2,18–23) in der Schöpfung. Dem Selbstentschluss Gottes, dem Menschen eine ihm entsprechende Hilfe zu verschaffen (2,18), entspricht das menschliche Wort der Benennung der Tiere und des Bräutigamjubels (2,19 f.23). Die Zuweisung der Bäume des Gartens in 2,16 f. gab nicht nur das Thema der ersten Diskussion unter den Geschöpfen ab (Gen 3,1 ff.), sondern führte auch zum ersten Dialog zwischen Gott und den Menschen. Die jahwistischen Erzählungszüge veranschaulichen die Implikationen von Gen 1,26–28. Demnach ist das Entsprechungsverhältnis, auf das die Wendung »Bild Gottes« hinweist, zuerst darin zu sehen, dass der Mensch im Hören und dann auch im Gehorchen und im Antworten dem Worte der Anrede Gottes entspricht. b) Der Zweck des göttlichen Selbstentschlusses zur Erschaffung eines »Bildes Gottes« wird sofort so bestimmt, dass der Mensch in ein besonderes Verhältnis zu den zuvor erschaffenen Lebewesen eingesetzt wird (1,26b): damit 4 sie herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über alle ›Landtiere‹ 5 und über alle Kriechtiere, die auf Erden kriechen.

Auch nach Ps 8,7 werden dem Menschen die Werke der Hände Gottes übereignet. Beim Jahwisten werden sie ihm zur Arbeit, als Nahrung oder als Hilfen zugewiesen (2,15.16.19). Immer sind es Geschöpfe Gottes, mit denen es der Mensch zu tun bekommt. Tritt der Mensch in Beziehung zu den Dingen der Welt, sei es in seinem Tagewerk oder bei seiner Mahlzeit oder bei seinen Entdeckungen, so tritt er objektiv immer auch in Beziehung zu Gott als deren Schöpfer, der ihm die 3. 4. 5.

S. oben S. 190f. Zur finalen Satzstruktur vgl. 1,14 f. und Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 142 mit Anm. 4. S. BHS.

Gottesebenbildlichkeit des Menschen

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Dinge zugewiesen hat. Demnach ist das Entsprechungsverhältnis, auf das die Bestimmung »Bild Gottes« hinweist, auch darin zu sehen, dass der Mensch in der Welt mit den gleichen Dingen zu schaffen hat, die Gott erschaffen hat. c) Warum aber wird das Entsprechungsverhältnis mit »Bild Gottes« bezeichnet? Hier ist das spezielle Verhältnis zu den übrigen Geschöpfen zu beachten, in das nach der Priesterschrift der Mensch von Gott versetzt wird, wenn er mit Absicht ein »Bild Gottes« macht: es ist das Herrschaftsverhältnis (1,26b: weyirdû). Im Segenswort 1,28 wird dem Menschen noch vor der Beherrschung der Tiere generell die Unterwerfung der Erde befohlen. Ähnlich wird der Sinn der Krönung des Menschen in Ps 8,6 f. darin gesehen, dass er »herrscht« (msˇl) über die Werke göttlicher Schöpfermacht6 und ihm »alles unter seine Füße« gelegt wird. Genau als Herrscher ist er Bild Gottes. Im Alten Orient bedeutet die Errichtung eines Standbildes des Königs die Bekundung seiner Herrschaft im Bereich der Errichtung (vgl. Dan 3,1.5 f.). Ließ im 13. Jahrhundert v. Chr. der Pharao Ramses II. an der Mündung des Hundsflusses ins Mittelmeer nördlich von Beirut sein Bild aus den Felsen hauen, so besagte dieses Bild, dass er der Beherrscher dieses Gebietes sei. Dementsprechend wird der Mensch als Standbild Gottes in die Schöpfung eingesetzt. Er dokumentiert, dass Gott der Herr der Schöpfung ist; er praktiziert aber auch die Herrschaft Gottes als sein Verwalter. Nicht in selbstherrlicher Willkür, sondern als verantwortlicher Geschäftsträger nimmt er die Aufgabe wahr. Sein Herrschaftsrecht und seine Herrschaftspflicht sind nicht autonom, sondern abbildhaft. Neben der Rede vom »Bild Gottes« steht in 1,26 noch die von der Ähnlichkeit (kidmûtenû, vgl. 5,1). Sie will vielleicht vor dem Missverständnis schützen, dass Entsprechung nur Identität und nicht auch Unterschiedenheit in der Ähnlichkeit andeute. Aber sie kann auch die Nähe und Verwandtschaft unterstreichen, wie auch der Doppelausdruck in Gen 5,3 in umgekehrter Reihenfolge als in 1,26 von Adam sagt, dass er einen Sohn zeugte, der »ihm ähnlich, nach seinem Bilde« war; damit ist das enge Verhältnis unterstrichen7. Man 6. 7.

Zur Bedeutung von ya¯d = Hand = Macht s. oben S. 114 f. So Loretz, Gottebenbildlichkeit, 62 ff. Ps 8,6 drückt zugleich die Nähe und

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Gottes Bild – der Weltverwalter

wird also bei der Aufgabe der Weltverwalterschaft die besondere Nähe Gottes zum Menschen, die hervorragend in der Wortverbundenheit zum Ausdruck kommt, nicht vergessen dürfen. Jedoch bleibt nach dem spezifischen Sinn vom Bild des Herrschers im Zusammenhang der Aussage von 1,26a.b festzuhalten, dass das Entsprechungsverhältnis im Beherrschen der übrigen Schöpfung durch den Menschen zu sehen ist.

2. Mensch und Menschheit In welchem Sinne ist der Mensch als Bild Gottes der Weltverwalter? Ganz deutlich ist in Gen 1, dass nicht ein hervorragender Einzelmensch gemeint ist, wie etwa der König in Ägypten; z. B. kann von König Rahotep (17. Dynastie) gesagt werden: »Er hat dich als sein Bild eingesetzt.«8 Wie aber ist in dem Satz 1,26a wir wollen ’a¯da¯m machen nach unserem Bilde

’a¯da¯m zu verstehen? a) Der Zusammenhang klärt, dass überhaupt kein Einzelmensch gemeint ist. Die Fortsetzung in 1,26b »(wir wollen ’a¯da¯m machen), damit sie herrschen«, weist einen Plural auf. So ist ’a¯da¯m fraglos kollektiv zu verstehen: eine Menschheit will Gott schaffen. Nicht großen Einzelnen wird die Weltherrschaft übergeben, sondern der Gemeinschaft der Menschen. Psalm 8 hat als den zur Herrschaft über alle Geschöpfe Gekrönten gerade den bezeichnet, bei dem man sich angesichts der himmlischen Riesenwerke des Schöpfers (V. 4) zuvor wundern muss (V. 5):

8.

die Unterschiedenheit von Gott und Mensch mit dem Satz aus: »Du machtest ihn wenig geringer als göttliche Wesen.« Otto, Mensch, 345. Dort (342 ff.) auch Einzelheiten zur Bedeutung der Lehre für Merikare, nach der die Menschen als solche singulär »Abbilder« Gottes heißen. Bei dieser Wendung scheint in Ägypten entweder an die Rolle von Göttern gedacht zu sein, die Priester im Kult spielten, oder aber an ein innerliches, moralisches Ergriffensein von einer Gottheit, nie jedoch an Herrscherfunktionen, die dem König als Bild Gottes vorbehalten sind.

Mensch und Menschheit

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Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Sohn, dass du dich um ihn kümmerst!

Gerade den kleinen Menschen9 hat Gott umsorgt und ihn zu seinem Bevollmächtigten ernannt. Keiner soll in der Menschheit ausgeschlossen sein von solcher Vollmacht. b) Doch Gen 1,27 antwortet noch genauer auf die Frage, in welchem Sinne die Menschheit Weltverwalter in Gottes Auftrag sein soll: Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach Gottes Bilde schuf er ihn, männlich und weiblich schuf er sie.

Dem doppelten Bericht der Ausführung von Gottes Entschluss wird eine Erklärung hinzugefügt, wie die nach Gottes Bild erschaffene Menschheit gestaltet war: zweigeschlechtlich. Karl Barth 10 hat die Explikation in V. 27b eine »fast definitionsmäßige« Erklärung des Textes von V. 27a genannt. Die Menschen dürfen sich liebevoll ergänzen. Dass sie so und nicht im Krieg miteinander leben, ist eine wesentliche Voraussetzung des Gelingens der ihnen anvertrauten Weltverwalterschaft. Gerade indem sie miteinander eins sind, sind sie Bild Gottes. Doch diese Deutung ist nicht unbestritten, insbesondere wenn sie mit moralischen Implikationen vorgetragen wird, die die Einsicht in das Aufeinanderangewiesensein der Menschen fordern. Man wird höchstens festhalten dürfen, dass die Menschen ihren Schöpfungsauftrag als Bild Gottes nur wahrnehmen können, indem sie einander zugewandt sind und einander ergänzen wie Mann und Frau. c) Unbestreitbar aber ist jene Deutung, die mit dem Vermehrungsauftrag in 1,28 angeschlossen wird: Seid fruchtbar und vermehret euch, füllet die Erde und beherrscht sie!

9. ’ ænôsˇ (in Ps 8,5a) bezeichnet vielleicht entsprechend akk. ene¯ˇsu (schwach, hinfällig sein) den Menschen als das schwächliche, sterbliche Wesen (Ps 103,15), vgl. aber Maass, 3 ænôsˇ, 373 f. 10. Vgl. Barth, KD III/1, 219.

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Gottes Bild – der Weltverwalter

Hier wird nachträglich klar, warum die Menschen als Bilder Gottes männlich und weiblich erschaffen werden: sie sollen Kinder zeugen können und so die Menschheit vergrößern. Das Wachstum der Menschheit und die Beherrschung der Erde und der Tiere sind unmittelbar miteinander verbunden. Einer großen Menschheit mit der Vielzahl ihrer Glieder ist also die Weltverwalterschaft anvertraut. Dass sie alle an der Herrschaft über die Schöpfung teilnehmen, ist damit vorausgesetzt.

3. Herrschaft über die Schöpfung Wie übt die Menschheit als Bild Gottes diese Herrschaft aus? a) Voraussetzung ist eine entmythisierte Welt, so wie sie der Schöpfungsbericht im Ganzen und teilweise polemisch gegen die Mythen der Umwelt zeigt. Indem alles und jedes, was in der Welt zu finden ist, als Schöpfung Gottes enthüllt wird, gibt es für den Menschen, der dies verstanden hat, weder eine göttliche Erde noch göttliche Tiere noch göttliche Gestirne oder sonstige göttliche, dem Menschen grundsätzlich unzugängliche Bereiche. Die ganze entmythisierte Welt kann zur Umwelt des Menschen werden, zu seinem Lebensraum, den er gestalten kann11. »Für uns, aber auch für die Antike, scheint das eine Paradoxie: Je konsequenter die Welt als Schöpfung gesehen wird, um so konsequenter kann von ihrer Welthaftigkeit geredet werden.« 12 b) Die Art menschlicher Weltverwalterschaft ist unbedingte Überlegenheit. Sie wird durch die Befehlsworte in 1,28 grell angeleuchtet. kibsˇuha¯ gibt eine völlige Unterwerfung der Erde frei; kbsˇ kann sonst die Unterwerfung eines Landes durch Krieg (Num 32,22.29), die Unterjochung von Völkern (2 Sam 8,1) und insbesondere von Sklaven (Neh 5,5), aber auch die Vergewaltigung von Frauen (Est 7,8) bedeuten. Immer meint es eine Handlung, in der der Mensch sich mit dem Einsatz seiner Kraft etwas dienstbar macht (Jos 18,1). So ist 11. Vgl. Schmidt, Gebot, 29. 12. Von Rad, Christliche Weisheit?, 151.

Herrschaft über die Schöpfung

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die Menschheit als Bild Gottes mit Fähigkeiten ausgestattet und bevollmächtigt, über die Welt zu verfügen. Der andere Imperativ redû nimmt das Stichwort des Anfangs von 1,26b auf. rdh wird in Ps 72,8; 110,2; Jes 14,6; Ez 34,4 vom Herrschen eines Königs ausgesagt. Hier aber wird die Würde absoluten königlichen Herrschens allen Menschen in ihrer Vielzahl zuerkannt. Die Bedeutung »herrschen« ist vielleicht aus der Bedeutung »treten« erwachsen, die sich für rdh in Jo 4,13 zur Beschreibung des Tretens der Kelter findet. Damit wird auf ein umgestaltendes Wirken hingewiesen, wie es sich in der Kelter beim Verarbeiten der Trauben zu Most ereignet. Der Mensch ist zu vergleichbaren nützlichen Veränderungen ermächtigt. c) Als Objekt der Herrschaft werden zunächst die Erde als Ganze genannt und dann insbesondere die Tiere. Warum werden sie herausgehoben? Sie allein kommen als Rivalen des Menschen in Betracht. Pflanzen zur Nahrung einzubringen (V. 29), ist ein Kinderspiel neben der Überwältigung von Tieren. Weltbeherrschung zeigt sich für die Alten zunächst und eindrucksvoll im Züchten und Zähmen. An Töten ist vielleicht in Gen 1 nicht gedacht, da als Nahrung den Menschen und Tieren zugleich ausdrücklich die Pflanzenwelt angewiesen ist (V. 29 f.). Das wird in 9,1 ff. anders. Auch Ps 8 bezieht die Jagd ein. Hier ist die Reihenfolge der aufgezählten Tiere gegenüber Gen 1 verändert. Eine Klimax zeigt in V. 8 f. das wachsende Staunen über die Hoheit des kleinen Menschen: »Zunächst nennt der Dichter die zahmen Tiere, dann, umfassender, das Getier des Feldes. Den Landtieren folgen Vögel und Fische; auch diese werden, obwohl sie dem Himmel und dem nicht weniger geheimnisvollen Element, dem Meer, zugehören, vom Menschen mit Fallen und Netzen gefangen. Um das Verwunderliche dieser Tatsache zu unterstreichen, gibt V. 9b eine nähere Beschreibung der Fische; es ist doch wohl beinahe göttlich, dass der Mensch beherrscht, was auf jenen so geheimnisvollen Pfaden der Meere hinzieht.«13 So ist dem Menschen grundsätzlich »alles unter die Füße getan« (Ps 8,6b). Nur 13. Ridderbos, Psalmen, 139. Erst in der messianischen Endzeit wird das Verhältnis der Tiere untereinander und auch das der Menschen zum Tier nicht mehr durch Herrschaft und Kampf, sondern durch friedliches Spiel bestimmt (Jes 11,6–8).

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Gottes Bild – der Weltverwalter

der Mensch selbst soll nicht Objekt der Unterwerfung sein (Gen 9,6!), wie denn alle Menschen die Schöpfung verwalten, gestalten und über sie verfügen sollen 14. Ludwig Köhler 15 hat im Anschluss an Gen 1,28 den Auftrag an den Menschen im Sinne der frühen Zeiten und bis in die Gegenwart hinein schön skizziert: »Das ist der Auftrag zur Kultur. Er geht an alle Menschen; er umfaßt alle Zeiten; kein menschliches Tun, das nicht ihm unterstellt ist. Jener erste Mensch, der, mit den Seinen auf schutzloser Steppe eisigem Winde ausgesetzt, ein paar Steine aufeinanderlegte und so die Mauer, die Grundlage aller Architektur erfand, erfüllte diesen Auftrag. Jene erste Frau, die einen harten Dorn oder eine Fischgräte durchbohrte und ein Stück Tiersehne hindurchzog, um ein paar Fetzen Fell aneinanderfügen zu können, und die so die Nadel, das Nähen, den Anfang aller Kleiderkunst, erfand, erfüllte diesen Auftrag. Bis heute ist jede Unterweisung eines Kindes, jede Art von Schule, jede Schrift, jedes Buch, alle Technik, Forschung und Wissenschaft und Lehre mit ihren Methoden, Instrumenten und Institutionen nichts anderes als die Erfüllung dieses Auftrags. Die ganze Geschichte, alles menschliche Streben steht unter diesem Zeichen, unter diesem Bibelwort. Das ist seine objektive Seite. Es gibt auch eine subjektive Seite. Jeder Mensch muß, das liegt unverlierbar in seiner Natur, mit dem Leben fertig werden. Er muß zu dem, was ihm widerfährt, sei es, daß ihm ein Stäubchen ins Auge weht, sei es, daß eine Wasserflut ihn und die Seinen am Leben bedräut, nichts ist zu klein und nichts ist zu groß, der Mensch muß mit ihm innerlich fertig zu werden suchen … An der Art, wie ein Mensch mit den Dingen innerlich fertig wird, wird sein Wesen erkannt.«

Fraglos ist der Auftrag an den Menschen noch nicht zu seinem Ziel gekommen. Wohl aber ist der Mensch als Bild Gottes gefährdet, indem ihm die Herrschaft durch Verkennung der Herrschaftsaufgaben zu entgleiten droht 16. Schon die Begründung des Verbots, Menschenblut zu vergießen, mit dem Hinweis auf die Erschaffung des Menschen als Bild Gottes, wies grundlegend auf solche Grenzen hin. Heute sind wenigstens zwei Konkretionen zu beachten: 14. S. unten S. 272 ff. Das »Bild Gottes« wird also lediglich zur Herrschaft über die gesamte außermenschliche Schöpfung eingesetzt und nicht zur Herrschaft über Menschen, vgl. Herzog, Menschenbild, 516! Andererseits soll der Mensch als »Ebenbild des schöpferischen Gottes« eben »nicht ein Ebenbild der Natur und ihrer Mächte sein« (Moltmann, Zukunft, 315, vgl. 319!). 15. Vgl. Köhler, Mensch, 112 f. 16. Vgl. Jüngel, Grenzen.

Herrschaft über die Schöpfung

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1. Die Unterwerfung der Welt darf nicht zur Gefährdung des Menschen führen, wie sie in der Umweltverschmutzung bedrohliche Ausmaße annimmt; Herrschaft des Menschen über Menschen verfälscht das Abbild Gottes. 2. Die Unterwerfung der Welt darf nicht zum Beherrschtwerden des Menschen durch einen Mythos der Technik führen, der das technisch Machbare um seiner Machbarkeit willen produziert und damit Menschen technisch-ökonomischen Zwängen unterwirft. Der Kolosserbrief, der Jesus Christus »das Bild des unsichtbaren Gottes« nennt (1,15, vgl. 2 Kor 4,4), sieht die Notwendigkeit, den neuen Menschen anzuziehen, »der sich erneuern lässt, um Erkenntnis zu gewinnen nach dem Bilde seines Schöpfers« (3,10, vgl. 2 Kor 4,1– 6). Gen 1,28 erhielt durch Mt 28,18 f. »eine völlig neue, eschatologische Interpretation« 17 in den Worten des erhöhten Christus: »Mir ist alle Macht übertragen im Himmel wie auf Erden. Darum geht hin und macht alle Völker zu meinen Jüngern!« Es ist zu bedenken, wie in der Herrschaftsweise des Gekreuzigten die Weltverwalterschaft der Menschheit von ihrer Selbstzerstörung zurückgerissen wird und das Bild Gottes in seiner Freiheit wieder hervortritt.

17. Hengel, Mensch, 125 ff. An Jer 31,31 ff. zeigt Hengel, aaO 126, wie »das Alte Testament über sich selbst hinausweist«, »dass der Mensch, in die Partnerschaft Gottes gerufen, überfordert war«, dass »die Gottebenbildlichkeit« ein »Auftrag« ist, »an dem der Mensch in der konkreten Situation je und je scheiterte«. Doch Jer 31,31–34 »gibt Hoffnung«, vgl. auch Jes 61,1–3.

§ 19 Mann und Frau 1 1. Grundzüge des Eherechts – 2. Das Liebesverhältnis – 3. Störungen der Liebe

Die Priesterschrift bestimmte das »Bild Gottes« in der Welt als die zweigeschlechtliche Menschheit (Gen 1,27) 2. Was sagt das Alte Testament im Einzelnen über das Verhältnis von Mann und Frau? Wir fragen nach der äußeren Ordnung, der inneren Glut und nach den Störungen des Verhältnisses.

1. Grundzüge des Eherechts Wer das Alte Testament nach Grundzügen des Eherechts untersucht, wundert sich zunächst darüber, dass es ein eigenes und geläufiges Wort für die Institution der Ehe nicht kennt. Das ist bezeichnend. Denn Mann und Frau sind in der Regel dem Familienverband (bet ’a¯b = Großfamilie) eingeordnet, zu der im Allgemeinen vier Generationen gehören 3. Der Fortbestand des »Vaterhauses« soll gesichert werden. In der Regel tritt die Frau in die Wohngemeinschaft der Familie des Mannes ein (z. B. Gen 24,5–8.58 f.); aber auch andere Ordnungen erscheinen möglich (Gen 31,26–43; 2,24) 4. Rechtlich gilt der Mann als »Besitzer« der Frau (ba2al ’isˇˇsa¯h Ex 21,3.22; Dtn 24,4; 2 Sam 11,26), die Frau als »Besitz« des Mannes (be2ulat ba2al Gen 20,3; Dtn 22,22). Wie kommt es zu diesem 1. 2. 3. 4.

Literatur: Horst, Ehe; de Vaux, Lebensordnungen I, 52–74; van Seters, Childlessness; Goeden, Stellung; Nembach, Ehescheidung; Zimmerli, Weltlichkeit, 35–44; Bratsiotis, ’îsˇ; Kühlewein, ’ı¯ˇsˇsa¯ und Wenham, betu¯la¯h. S. oben S. 233 f. Damit ist schon die Grunderkenntnis herausgefordert, nach der eine biblische Anthropologie ohne eindringende Behandlung der sozialen Komponente verfehlt wäre, vgl. die §§ 20–25. Vgl. Elliger, HAT I/4, 239 zu Lev 18,6–17, ferner Ringgren, ’a¯b, 8 f., Hoffner, bayit, 636 f. und unten S. 299. Vgl. aber Westermann, BK I, 317 f.

Grundzüge des Eherechts

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Rechtsverhältnis? Der Mann, der eine Frau für sich gewinnen will, hat in der Regel an den Brautvater ein Heiratsgeld (mohar) zu zahlen (Gen 34,12; Ex 22,16; 1 Sam 18,25). Seine Höhe ist nach Ex 22,16 allgemein geregelt und bekannt gewesen; die Ausführungsbestimmungen in Dtn 22,29 setzen den Betrag auf 50 Silberschekel fest. Hier handelt es sich um eine Strafsache bei Zwangsheirat nach Missbrauch eines nicht verlobten Mädchens. In solchem Falle kann der Mann es auch der betroffenen Familie freistellen, die Höhe des Heiratsgeldes zu bestimmen (Gen 34,11 f.). In Lev 27,4 f. ist der allgemeine Wert einer weiblichen Person 30 Schekel, wenn sie über 20 Jahre alt ist, 10 Schekel bei jüngerem Alter 5. An die Stelle der Silberzahlung können Dienstleistungen im Hause des Schwiegervaters treten (Gen 29,15–30). Es wird von Fällen berichtet, in denen die Forderungen im Laufe der Zeit gesteigert werden. Jakob beklagt sich vor Rahel und Lea (Gen 31,7): Euer Vater hat zehnmal den Preis geändert!

Der König Saul fordert für seine Tochter Michal von David kriegerische Leistungen, nämlich die Ablieferung von hundert Philistervorhäuten (1 Sam 18,25). Ebenso wie der junge Mann selbst kann auch ein Vater für seinen Sohn aktiv werden, um eine Frau für ihn zu gewinnen (Ri 14,1–3, vgl. Ex 21,9); auch kann ein Vater für seine Tochter einen Mann suchen (Jer 29,6, vgl. 2 Kor 11,2 nach 1 Kor 4,15!). Mit der Erstattung des Heiratsgeldes ist die »Verlobung« besiegelt und der Rechtsanspruch des Bräutigams in Kraft. Hebr. ’rs´ pi., gewöhnlich mit »verloben« übersetzt, bedeutet darum »rechtlich zu eigen gewinnen«6. Deutlich von der »Verlobung« unterschieden ist der nächste Akt der »Heirat«, die Heimführung (vgl. Dtn 20,7; 28,30), das »Nehmen« (lqh Ex 21,10; Lev 21,7; Dtn 20,7; 22,13; Hos 1,2, auch 1 Sam ˙ 25,43a, vgl. Gen 4,19; 6,2), auch »In-Besitz-nehmen« (b2l Dtn 21,13; 24,1) der Frau (vgl. auch bw’ Gen 29,21); von Seiten der Frau heißt heiraten »dem Manne zuteil werden« (ha¯yeta¯h l e’îsˇ Num 30,7) oder 5. 6.

S. oben S. 181 f. und vgl. Hos 3,2, dazu Wolff, BK XIV/1, 76 f. 2 Sam 3,14; Hos 2,21 f., vgl. ders., BK XIV/1, 64. betûla¯h heißt nicht unbedingt »Jungfrau« im engeren Sinne, vielmehr das Mädchen im heiratsfähigen Alter, wie Wenham, betu¯la¯h gezeigt hat, vgl. vor allem S. 331 f. zu Dtn 22,13–21.

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Mann und Frau

»ihm zur Frau werden« (ha¯yeta¯h lô l e’isˇˇsa¯h 1 Sam 25,43b). Alle Wendungen erwecken den Eindruck, dass die Frau zum Sachbesitz des Mannes gehört. Doch spiegelt sich die Möglichkeit eines partnerschaftlichen Verhältnisses schon in der Ablösung der Anrede »mein Herr« (ba2lî) durch »mein Mann« (’îsˇî) in Hos 2,18, vgl. Gen 2,23 7! Eine Hochzeitsfeier wird erst spät mit dem Wort hatunna¯h belegt ˙ (Hhld 3,11), und zwar für höfische Kreise: Kommt heraus und seht, Zions Töchter, den König Salomo, mit dem Kranze, mit dem seine Mutter ihn bekränzte, am Tage seiner Hochzeit, am Tage seiner Herzensfreude.

Gelegentlich wird die Verbindung von Mann und Frau eine berît genannt: in Mal 2,14 wird die »Frau der Jugend«, an der der Mann treulos gehandelt hat, als »Gefährtin« (habæræt) und Frau seines Bun˙ des(versprechens) (’esˇæt berîtæka) bezeichnet. Jahwe wird als Zeuge des Ehebundes eingeführt. Dabei ist zu bedenken, dass mit berît auch jede feste Freundschaftsverpflichtung bezeichnet werden kann (1 Sam 18,3). Ez 16,8 schildert als Allegorie die Liebes- und Ehegeschichte Jahwes mit Israel: Siehe, deine Zeit war gekommen, die Zeit des Liebesgenusses. So breitete ich meinen Gewandzipfel über dich und deckte deine Blöße zu. Ich band mich durch einen Schwur an dich und ging eine Bundesverpflichtung (berît) mit dir ein, spricht Jahwe, und du wurdest mein.

Das Ausbreiten des Gewandzipfels (vgl. Ruth 3,9) stellt das Gegenstück zur Bloßstellung der Ehebrecherin dar (Hos 2,5). Der Bundesgedanke fasst die zwischenmenschliche Beziehung als gültigen Vertrag. Spr 2,17 spricht von der fremden Frau, die den Freund ihrer Jugend verlässt und den Bund ihres Gottes vergisst.

Wahrscheinlich meint berı¯t ’ ælohæha¯ nicht den vor Gott geschlossenen Ehebund, sondern die Verpflichtung zur ehelichen Treue auf Grund des in Israel verkündeten Gottesrechts 8. Nach der Heirat ist der Mann nach Dtn 24,5 für ein Jahr frei vom 7. 8.

Zu Hos 2,18, wo das Verhältnis Israels zu Jahwe gemeint ist, vgl. Bratsiotis, ’îsˇ, 248, zu Gen 2,23 s. unten S. 245 f. Vgl. Kutsch, Verheißung, 134 ff.

Grundzüge des Eherechts

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Kriegsdienst und ähnlichen Verpflichtungen; seinem Hauswesen soll er sich widmen können und der »Freude an seiner Frau«. Im Allgemeinen wird damit gerechnet, dass der Bund zwischen der »Frau der Jugend« (Spr 5,18; Jes 54,6; Mal 2,14 f.) und dem »Mann der Jugend« (Jo 1,8 9) in der Einehe als Grundform gewahrt wird. Nebenfrauen (pilægæsˇ) und die Zuführung von Sklavinnen durch die Hauptfrau werden vor allem aus der Väterzeit bezeugt. Von Abrahams Nebenfrauen spricht Gen 25,6, wobei an Hagar und Ketura gedacht sein wird. Hagar wurde nach Gen 16,1 f. (J) dem Abraham von Sara zugeführt; als Hauptfrau übergab sie ihm ihre Sklavin mit den Worten (V. 2): Jahwe hat mir Kinder versagt; so gehe doch zu meiner Sklavin ein, vielleicht komme ich durch sie zu einem Kind.

Ähnlich spricht Rahel zu Jakob (Gen 30,3 J): Hier ist meine Sklavin Bilha, gehe zu ihr ein, dass sie auf meinen Knien gebäre und ich durch sie zu einem Kind komme.

Weiter heißt es: Sie gab ihm Bilha, ihre Sklavin, zur Frau (l e’isˇˇsa¯h).

Ri 8,30 f. begründet die Zahl von 70 Söhnen Gideons damit, dass »er viele Frauen hatte«. Ri 19,1 ff.24 ff.; 20,4 ff. berichtet ausführlich das Liebesdrama eines Leviten mit seiner Nebenfrau. David hatte nach 2 Sam 5,13 mehrere Nebenfrauen, und Salomo besaß neben 700 »offiziellen Frauen« 300 Konkubinen (1 Kön 11,3); hier handelt es sich um abgerundete Zahlen, wobei vielleicht die Summe aller Frauen geschätzt wird, die im Laufe der vierzigjährigen Regierungszeit durch den Harem des Königs gegangen waren 10. Die Vielzahl gehört zur Repräsentation. Bei einfachen Leuten erfahren wir in der Königszeit kaum etwas von Mehrehe. Elkana in 1 Sam 1,2 hatte zwei Frauen, Hanna, die zunächst kinderlose, und Peninna. Nach Ex 21,7–11 kann ein Mann seine Tochter als Sklavin zum ehelichen Verkehr verkaufen. Sie darf vom Käufer jedoch nicht mehr als Sklavin weiterverkauft werden. So ist sie davor geschützt, als Ware behandelt zu werden. Wenn der Besitzer sie seinem Sohn zuordnet, 9. Vgl. Wolff, BK XIV/2, 34 f. 10. Vgl. Noth, BK IX/1, 241.247 f.

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Mann und Frau

muss er sie wie eine Tochter behandeln. Nimmt er selbst zu der ersten Sklavin noch eine weitere hinzu, darf er ihr »Nahrung, Kleidung und Beiwohnung« nicht schmälern. Kann er das nicht leisten, so darf sie frei weggehen 11. Für die Großfamilie ist der eheliche Verkehr außerordentlich sorgfältig geregelt, wie Lev 18 zeigt 12. Die Ordnung der Leviratsehe (Dtn 25,5–10), die die Brüder eines ohne männlichen Nachkommen verstorbenen Mannes verpflichtet, die Ehe mit der Witwe fortzusetzen, geht davon aus, dass die Brüder zusammen wohnen, dass also die Großfamilie besteht und dass sie auch in Zukunft Bestand haben soll, wobei die Zusammenhaltung des Familienbesitzes bei der Abwehr eines fremden Mannes nicht unwichtig gewesen sein mag. Im Ganzen haben sich neben der regulären Hauptehe mancherlei Zuordnungsmöglichkeiten von Frauen zu Ehemännern gezeigt. Man muss zur Würdigung der altisraelitischen Soziologie der Ehe beachten, »dass es ursprünglich bei dem engen Zusammenleben besser ist, jede ehefähige Frau sei in geordnetem Verhältnis mit einem Manne verbunden, als dass ungeordnete Verhältnisse einreißen, wobei namentlich die Kinder aus solchen Verbindungen zu leiden hätten, weil niemand für sie zuständig ist« 13. Im Blick auf die alttestamentlichen Regelungen ist zu sehen, dass hier die in der Neuzeit oft quälenden Probleme der unverheirateten Frauen, der kinderlosen Ehen und auch des in der Ehe zeitweilig unbefriedigten Mannes gelöst waren. Auf der anderen Seite muss für viele Frauen die Eifersucht auf eine oder mehrere andere Frauen und deren Kinder zur Qual geworden sein (z. B. 1 Sam 1); auch die Zuordnung und das Erbrecht der verschiedenen Kinder konnte schwierige Probleme mit sich bringen, wenn zwei Frauen ungleich von ihrem Manne geliebt waren, was die Regel gewesen sein dürfte (davon geht die Bestimmung Dtn 21,15– 17 aus). Schließlich musste vielen Frauen jene dauerhafte Geborgenheit fehlen, die eine strikte Einehe gewähren kann (von daher versteht sich das Ringen in Ex 2,7–11).

11. Vgl. weiter unten S. 282. 12. Dazu Elliger, Leviticus 18; ders., HAT I/4, 229 ff. 13. Köhler, Mensch, 78 f.

Das Liebesverhältnis

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2. Das Liebesverhältnis Das Liebesverhältnis von Mann und Frau spielt selbst in den Rechtstexten durchaus keine nebensächliche Rolle, hat sie vielmehr zu einem erheblichen Teil erst herausgefordert, wie der Anspruch einer Sklavin auf Liebe in Ex 21,7–11 oder die Abwehr der Bevorzugung von Kindern einer geliebten Frau gegenüber denen einer zurückgesetzten in Dtn 21,15–17 demonstrieren. Weiter fehlt es nicht an ergreifenden Schilderungen brennender Liebe. Jakob liebte Rahel weit mehr als Lea (Gen 29,16–18.20): So diente Jakob um Rahel sieben Jahre. Sie waren in seinen Augen wie ein Tag. So lieb hatte er sie.

Elkana sucht seine neben Peninna kinderlose Frau Hanna (1 Sam 1,5) zu trösten (V. 8): Hanna, warum bist du betrübt? Bin ich dir nicht mehr wert als zehn Kinder?

Nebenher ist hier zu erkennen, dass der Sinn der Ehe durchaus nicht nur in der Geburt von Kindern gesehen wird. Die Liebe kann durchaus auch von der Frau ausgehen. Ein Faden in der Aufstiegsgeschichte Davids zeigt das in dramatischer Weise. Es beginnt 1 Sam 18,20 mit der Bemerkung: Michal, Sauls Tochter, verliebte sich in David.

Tückisch will Saul sie ihm nur für hundert Philistervorhäute anvertrauen (V. 21–25). Später gibt Saul in seinem Hass gegen den flüchtigen David gerade diese Tochter einem gewissen Paltiel (1 Sam 25,44). Als David nach Sauls Tod König geworden war, verlangt er Michal, die ihm rechtlich zugesagt war und die ihn nach wie vor heiß liebt, von Sauls Sohn Isch-Boschet für sich. 2 Sam 3,15 berichtet sodann: Da schickte Isch-Boschet hin und ließ sie ihrem Manne Paltiel wegnehmen.

Jetzt ergibt sich auf der anderen Seite bei Paltiel eine ergreifende Liebesszene; in 2 Sam 3,16 heißt es: Ihr Mann aber ging mit ihr; in einem fort weinend folgte er ihr bis nach Bahurim. Da sagte Abner zu ihm: »Mach, dass du heimkommst!« Darauf kehrte er um.

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Mann und Frau

Ein Mann, dem man die Frau nimmt, verzehrt sich in Liebe; und eine Frau, die in einen Mann heiß verliebt ist, findet endlich zu ihm, nachdem sie der Hass des Vaters getrennt und die Liebe eines anderen Mannes sie gebunden hatte. So viel Menschlichkeit vermag der frühisraelitische Humanismus einzufangen! Da nicht selten die Verheiratung durch den Vater bestimmt wurde, stellte sich die Liebe oft erst nach der Hochzeit ein. Dafür bietet Isaaks Verhältnis zu der ihm aus der Ferne zugeführten Rebekka ein Beispiel (Gen 24,67): Isaak brachte sie in sein Zelt, …, er nahm Rebekka und sie wurde seine Frau. Da gewann Isaak sie lieb, so dass er über (den Verlust) seine(r) Mutter getröstet war.

Als Liebesehe tendiert die altisraelitische Ordnung viel kräftiger zur Einehe denn als Rechtsinstitut. Die Spruchsammlungen zeigen es. Spr 5,18–20: Deine Quelle sei gesegnet! Freue dich an der Frau deiner Jugend! Die liebliche Hinde, die anmutige Gemse, ihre Brüste mögen dich allezeit berauschen, in ihrer Liebe sei trunken immerfort! Was sollst du dich an einer Fremden berauschen, mein Sohn, den Leib einer andern umfangen?

Wie unendlich entfernt von jeder Verteufelung der Sexualität sind solche Sätze! Und wie deuten sie zugleich die Sinnlosigkeit eines Partnerwechsels an! Altwerden mit der Geliebten aus Jugendtagen, nur das bringt wahrhaft wachsenden Genuss in immer neuen Bezügen und Umständen. In Spr 31,10–31, dem großen Hymnus auf die tüchtige Frau, ist dieser fortschreitende Gewinn Zug um Zug ergriffen; wir stellen nur wenige Sätze heraus: 10

Eine tüchtige Frau – wer findet sie? Weit über Korallen geht ihr Wert. 12 Sie tut ihm Gutes und nie Böses alle Tage ihres Lebens. 14 Sie gleicht den Kaufmannsschiffen, von fernher holt sie ihre Nahrung. 20 Sie öffnet ihre Hand dem Bedrückten, und streckt die Arme dem Bedürftigen hin.

Das Liebesverhältnis

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Hochgeschätzt ist ihr Mann in den Toren, wenn er sitzt bei den Ältesten des Landes. 26 Ihren Mund tut sie auf mit Weisheit, von ihrer Zunge kommt freundliche Weisung. 30 Anmut ist trügerisch, Schönheit vergänglich, – eine weise Frau, sie soll man rühmen.

Weit über flüchtige Jugendlichkeit hinaus wirken Geist und Güte der erfahrenen Frau in das Leben des Mannes hinein. Sie kann in der Zweisamkeit führende und grundlegende Bedeutung gewinnen. Sie kümmert sich selbständig um verborgene Nöte, trägt aber auch zur öffentlichen Bedeutung ihres Mannes bei. Selbst von Kohelet, der die Hinfälligkeit aller Dinge durchschaut, wird der Genuss des Miteinander für keinen noch geschenkten Zeitabschnitt verdrängt; vielmehr öffnet er die Sinne dafür (9,9): Genieße das Leben mit der Frau, die du liebst, alle Tage deines flüchtigen Lebens, die er dir unter der Sonne gegeben hat.

Auch die jahwistische Paradieserzählung setzt ein beglücktes Liebesverhältnis von Mann und Frau voraus. Dieser Aspekt lässt sich durchgehend aufzeigen. 1. Das Alleinsein wird ausdrücklich von Jahwe als ungut für den Menschen festgestellt (2,18a). 2. Der Partner wird von vornherein als die dem Menschen entsprechende Hilfe definiert (V. 18b); damit ist der soziale Charakter der Geschlechtsdifferenzierung vorausgesetzt 14. 3. Solche Hilfe ist in der Tierwelt nicht zu finden; von ihr unterscheidet sich der Mensch in seiner Überlegenheit durch die Sprache (Namengebung); er bleibt in ihr einsam (V. 19 f.). 4. Der dem Menschen wahrhaft entsprechende Partner wird nicht wie der erste Mensch (V. 7) und die Tiere (V. 19) aus Ackererde erschaffen, sondern aus der Rippe des Menschen selbst; so gehören der Mann und die Frau qualitativ völlig anders zueinander als zu den übrigen Geschöpfen; erst Mann und Frau zusammen stellen den ganzen Menschen dar (vgl. V. 24b ba¯´sa¯r ’æha¯d 15) 5. Bei einzigartiger Zusammengehörigkeit stehen Mann und˙ Frau einander doch echt gegenüber. Während des Tiefschlafs des Menschen (V. 21) wird die Frau gestaltet und erst als vollendet eigene Person dem Menschen zuge14. Vgl. Bratsiotis, ’îsˇ, 243. 15. S. oben S. 144.

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Mann und Frau

führt (zu bw’ hi. in V. 22b als Terminus der Brautführung vgl. Ri 12,9 16). 6. Während der Mensch den Tieren nur Namen gibt (V. 20), kommt er über der Entdeckung seiner Frau dazu, sich wahrhaft auszusprechen; mit dem Bräutigamsjubel zitiert der Jahwist zum ersten Male Sprache des Menschen; neben der Verwandtschaftsformel 17 steht die Herleitung der Benennung ’isˇˇsa¯h (»Frau«) vom ’isˇ (»Mann«), die Wesenseinheit und Geschlechtsverschiedenheit zugleich zu Gehör bringt 18. Der Jubelton – »die nun endlich!« – kündet die Erfüllung längst ersehnten Glückes. 7. Die Liebe ist wesentlich durch persönliches Hingezogensein ausgezeichnet; selbst die kräftigen Bande der angestammten Familie werden gesprengt (V. 24a), und indem der Mann »an seiner Frau klebt«, verwirklicht sich neu die ursprüngliche körperliche Einheit (V. 24b). 8. Scham als Verlegenheit und Hemmung kommt erst als Folge des Misstrauens gegen Gott und des Ungehorsams gegen sein Wort in die Zweisamkeit hinein (vgl. V. 25b mit 3,7–11) 19. Wie einmalig das Liebesverhältnis ist, besingen die Liebeslieder des Hohenliedes. Der Einzigartigkeit der Liebe entspricht die Einzigkeit des Geliebten (Hhld 6,9): Einzig ist meine Taube, die Einzige ihrer Mutter.

So gehört einer dem anderen wechselseitig und ausschließlich (Hhld 6,3): Ich gehöre meinem Geliebten und mein Geliebter gehört mir.

Die Gegenseitigkeit der Liebe spricht sich auch darin aus, dass wir im Hohenlied neben zwei Beschreibungsliedern von jungen Mädchen eines haben, in dem die Liebende den geliebten jungen Mann beschreibt: 5,10–16 20. Die erotische Lebendigkeit, die Freude an sinn-

16. Vgl. Bratsiotis, ebd. 17. Zu V. 23a s. oben S. 60. 18. Vgl. die sachliche Herleitung des ’a¯da¯m von der ’ ada¯ma¯h in 2,7, s. oben S. 146 f. 19. Ebenso die »Herrschaft« des Mannes über die Frau, vgl. 3,16b. 20. S. oben S. 118 f. Das alte Besitzrechtsdenken (s. oben S. 238 f.) ist hier völlig überwunden.

Störungen der Liebe

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licher Schönheit und am Liebesgenuss mag das Sehnsuchtslied Hhld 8,1–4 zeigen: O wärest du mir wie ein Bruder an der Brust meiner Mutter genährt! Träfe ich dich auf der Straße, ich könnte dich küssen, und niemand dürft’s mir verargen. Ich würde dich führen, dich bringen ins Haus meiner Mutter. Du würdest mich lehren, ich gäbe dir Würzwein zu trinken, meinen Granatapfelmost. Seine Linke (greift) unter mein Haupt, seine Rechte umfängt mich. Ich beschwöre euch, Töchter Jerusalems, was wollt ihr wecken und stören die Liebe, ehe ihr selbst es gefällt.

Kein Moralisieren darf die Zuneigung trüben. Wie der Brot- und Weingenuss so gehören auch die Liebesfreuden zu den Gaben Gottes in dieser unausrechenbaren Welt, sagt Kohelet (9,7–9).

3. Störungen der Liebe Für gefährliche Störungen des Liebesverhältnisses war Israel allerdings auch nicht blind. Das Alte Testament sah sie deutlicher als seine Umwelt. Hier hatte das geschlechtliche Leben wie der Tod 21 eine umfassende Mythisierung erfahren. Dadurch wurde das Liebesleben tief ins Kultische hineingezogen. Die Öffnung des Mutterschoßes erfolgte im heiligen Hain im Umgang mit Priestern oder Fremden (Hos 4,13 f.); zahlreiche Liebhaber umwarben die Geliebte (Hos 2,4– 15) 22. Für Israel ist dieses Treiben Ehebruch und Hurerei. Die Einzigkeit des Liebesverhältnisses Jahwes zu Israel verbietet grundsätzlich den Ehebruch (Ex 20,3.14). Schon an den Vätergeschichten wird Israel vor Augen geführt, dass es sich in seinem Sexualethos von seinen Nachbarn unterscheiden sollte (vgl. Gen 12,10–20; 19,1–11; 26,7– 21. S. oben S. 156 ff. 22. Vgl. Wolff, BK XIV/1, 106 ff.

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11; 34,1–12) 23. Auch die Weisheit warnt streng vor der fremden Frau (Spr 5,2–5): (Achte nicht auf ein schlechtes Weib!) 24 Denn von Honig triefen die Lippen der Fremden und glätter als Öl ist ihr Gaumen. Doch zuletzt ist sie bitter wie Wermut, scharf wie ein Schwert mit zwei Schneiden. Ihre Füße steigen zum Tode hinab, ihre Schritte erstreben die Unterwelt.

In Spr 7,4–27 zeigt einerseits der Hinweis auf Opfer und Gelübde (V. 14!) die Verbindung dessen, was in Israel Unzucht heißt, mit kultischem Brauchtum, andererseits werden die psychischen Vorgänge beim Verführten scharf gesehen (V. 21 f.): Sie brachte ihn herum mit großer Überredung, mit ihren glatten Lippen verleitete sie ihn. Er folgte ihr verwirrt, wie ein Ochs zur Schlachtung geht.

Signal der Verführung wird die Scham. Wir sahen sie in Gen 3,7.11 (nach 2,25) durch ein Misstrauen ausgelöst, das zur Anfertigung von Feigenblattschurzen und zum Verstecken führte. Wird in einer Welt des Misstrauens die Scham dem willkürlichen und herrischen Begehren des einen gegenüber dem anderen (vgl. 3,16) wehren können? Dass Scham vor dem Zerbrechen des ganzen Menschen schützen könnte, wenn er dem »Rumoren des Ichs unterhalb des Nabels« 25 nachzugeben in Gefahr gerät, setzt etwa Spr 11,22 voraus: Ein goldener Ring im Rüssel der Sau, – eine Frau, die schön, aber schamlos ist.

sa¯rat ta¯2am wäre wörtlicher statt mit »schamlos« zu übersetzen: »fern ˙ von feinem Empfinden«; so wird der Mensch schutzlos vor herausgeputzter Gier. Ham-Kanaan, der die Blöße seines Vaters Noah auf23. Sehr bezeichnend für das israelitische Bewusstsein solcher Unterscheidung ist die in verschiedenartigen Zusammenhängen belegte Wendung »eine Schandtat in Israel« oder »So etwas tut man nicht in Israel!«, vgl. Gen 34,7; Dtn 22,21; Ri 20,6.10; 2 Sam 13,12; Jer 29,23. 24. Nach LXX und Vulgata. 25. Vgl. Barth, KD III/4, 154.

Störungen der Liebe

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deckt, wird eben wegen solcher Schamverletzung unter den Fluch gestellt (Gen 9,22–25). Die Priester, die auf den Altar steigen, sollen nach Ex 28,42 (vgl. Ez 44,18) Leinenhosen tragen, wohl »mit Rücksicht auf die Gefährdung der Priester, die von der Heiligkeit besonders des Altars auf den von unheimlichen Mächten umwitterten Teil des menschlichen Körpers ausgehen könnte«26. Solche Unheimlichkeit wird auch anthropologisch erklärt werden müssen. Ein Blick auf die Genitalien könnte falsches Begehren zu falscher Stunde am falschen Ort auslösen und die Zerspaltung des Menschen fördern. Dass Scham der Auslösung von Gewalttätigkeit wehren sollte, kann 2 Sam 13,1–15 zeigen. Der Davidsohn Amnon ist krankhaft verliebt in seine Halbschwester Tamar. Sein unrechtes Verlangen löst zunächst eine doppelte Lüge aus: Er stellt sich krank und möchte aus den Händen seiner Schwester zu essen haben. Endlich mit ihr allein, fasst er sie an und erwartet ihren Beischlaf (V. 11). Darauf sagt sie (V. 12): »So etwas tut man nicht in Israel. Begehe nicht solche Schandtat!« Er aber wollte nicht auf ihre Stimme hören, sondern vergewaltigte sie, schändete sie und wohnte ihr bei (V. 14). Dann aber empfand Amnon einen sehr tiefen Widerwillen gegen sie, so dass der Widerwille, den er gegen sie empfand, noch heftiger war als die Liebe, die er zu ihr gehabt hatte. Darum sprach Amnon: »Mach, dass du fortkommst!« (V. 15).

Meisterhaft wird so der Umschwung von unbändiger Lust zum Ekel beschrieben. »Es gibt kaum ein tieferes Wort psychologischer Einsicht in das Wesen und die Unbeständigkeit bloß sinnlichen Verlangens.« 27 Begehren und Widerwillen liegen in der unbeherrschten Lust unmittelbar nebeneinander. Der Widerwille stellt das falsche Begehren als solches bloß. So geschieht es, wenn der Liebe die Ganzheit fehlt, wenn nur etwas am Mann und etwas an der Frau, aber nicht der Mann selbst und die Frau selbst eins werden, wenn die volle Partnerschaft fehlt, die als solche immer auch ausschließlich ist. »Koitus 26. Noth, ATD 5, 185 f., vgl. in Jes 6,2 die Seraphen als Dienerschaft Jahwes, von deren sechs Flügelpaaren je zwei die »Beine« bedecken, wobei auch vor allem an die Genitalgegend zu denken ist (s. oben S. 108 Anm. 5). 27. Köhler, Mensch, 78. Die Erzählung von Davids Ehebruch mit Batseba (2 Sam 11) zeigt mit exemplarischer Schärfe, wie das rein körperliche Verlangen (V. 2 f.) mit dem Ehebruch (V. 4 f.) eine Kette von Verbrechen nach sich zieht (V. 6 ff.), vgl. auch Ez 23,14–17a mit V. 17b!

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Mann und Frau

ohne Koexistenz ist eine dämonische Angelegenheit.« 28 Im kanaanäischen Kult war solcher Dämonismus institutionalisiert. Die alttestamentliche Rechtsordnung rechnet mit der Zerspaltung des Menschen und also auch der Ehe (Lev 18,7 ff.; 20,10 ff.). Im Verhältnis der Geschlechter zueinander gilt die unbedingte Priorität des Personenrechts vor dem Sachbesitzrecht; gerade auch schwächere Glieder der Gesellschaft bedürfen des Schutzes gegenüber männlicher Willkür (Am 2,7). Hat ein Mann in schwacher Stunde eine nicht verlobte junge Frau zur Beiwohnung verführt, so muss er dann auch bereit sein, sie fürs ganze Leben zur Frau zu nehmen (Ex 22,15); nach Dtn 22,28 f. darf er sich lebenslang nicht von ihr scheiden. Dtn 24,1– 4 sieht im Übrigen einen Scheidebrief seitens des Mannes vor. Durch menschliches Versagen verschuldete und unerträglich gewordene Verhältnisse sollen nicht festgeschrieben werden. Andererseits wird einem launischen Hin und Her gewehrt. Hat die geschiedene Frau inzwischen eine neue Ehe geschlossen, so ist danach die Rückkehr zum ersten Mann ausgeschlossen. Fürsorglich wird verheerende Willkür eingegrenzt, so dass menschliches Unglück nicht schrankenlos fortwirkt. Gestörte und enttäuschte Liebe bringt namenloses Leid. Einmal sehen wir einen Leviten seiner aus Wut entlaufenen Frau nachlaufen, ihr zu Herzen reden und sie aufs neue umwerben, doch bei ihm zu bleiben (Ri 19,1 ff.). So wird die Mahnung zur Beständigkeit in der Liebe zur heilenden Wohltat in den menschlichen Spaltungen (Mal 2,15): An der Frau deiner Jugend handle nicht treulos!

Ein Priester soll eine geschiedene Frau ebenso wenig heiraten wie eine Hure oder eine entjungferte junge Frau (Lev 21,7). Ehelosigkeit gilt als Schande, ist doch mit ihr dem Menschen versagt, ein ganzes Leben zu verwirklichen. So werden nach Jes 4,1 in den Tagen des Gerichts, in dem die Männer massenhaft im Kriege fallen (3,25), sieben Frauen sich an einen Mann klammern und sagen: Wir wollen uns selbst ernähren und selbst für unsere Kleider sorgen, nur lass uns deinen Namen führen, nimm unsre Schmach hinweg.

Von einem Manne verschmäht zu werden, das bedeutet für eine junge Frau eine erschütternde Störung, die sich selbst bei späterer Heirat 28. Barth, KD III/4, 148.

Störungen der Liebe

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noch auswirkt; eine solche Person gilt als ebenso unerträglich wie ein Sklave, wenn er König wird oder ein Tor, wenn er im Überfluss lebt (Spr 30,21–23). Muss Jeremia zum Zeichen für Israel ehelos bleiben, so signalisiert er damit die lebensbedrohende Störung zwischen Jahwe und Israel (Jer 16,1 ff., vgl. 15,17). Auch vor abnormen geschlechtlichen Verhaltensweisen wird als vor Zerspaltungen des ganzen Menschen gewarnt. Lev 20,13 sagt zur Homosexualität: Wenn einer bei einem Manne liegt, wie man bei einer Frau liegt, so haben beide ein Greuel verübt. 29

Die Geschlechtsdifferenzierung wird verkannt und damit die Grundweise, in Überwindung der Selbstliebe zum fruchtbaren Leben zu kommen. Ebenso wird der Sodomie widerstanden (Lev 18,23): Du sollst nicht mit irgendeinem Tier Umgang haben und dich so an ihm verunreinigen. Und keine Frau soll sich vor ein Tier hinstellen, um sich mit ihm zu begatten. Das wäre eine große Schandtat.

Da die Bejahung des eigenen Geschlechts nicht immer selbstverständlich ist, fällt auch ein Wort gegen den Transvestismus (Dtn 22,5): Eine Frau soll nicht Männertracht tragen und ein Mann soll nicht Frauenkleider anziehen.

Homosexueller Umgang soll auch nicht auf solche Weise erschlichen werden. So werden die verschiedensten Störungen und Bedrohungen geschöpflicher Menschlichkeit und des darin begründeten Liebesverhältnisses ebenso deutlich beim Namen genannt wie das Entzücken an gänzlicher Liebesvereinigung. Es ist immer die Störung des Gottesverhältnisses, die sich – auf unterschiedlichste Weise – in den Störungen des gemeinsamen Lebens von Mann und Frau zeigt. In der gebotenen Ausschließlichkeit der Liebe steht nicht weniger als das Schöpfungsgeschenk der Ganzheit der Liebe auf dem Spiel.

29. Vgl. Lev 18,22.

§ 20 Eltern und Kinder 1 1. Gabe Jahwes – 2. Erziehung – 3. Spannungen – 4. Verantwortung

Da im alten Israel die Großfamilie, die Sippe und der Stamm die wichtigsten sozialen Gebilde darstellen, kommt dem Verhältnis der Eltern und der Kinder zueinander eine grundlegende Bedeutung zu. Mit dem Generationenproblem stehen die Wirklichkeit des Menschen und zugleich die Zukunft Israels in Frage.

1. Gabe Jahwes Dass Kinder als Gabe Jahwes anzusehen sind, ist eine notwendige Voraussetzung für das Verständnis der mannigfachen Beziehungen zwischen Vätern und Müttern, Söhnen und Töchtern. Die Zuordnung von Mann und Frau hat sicher nicht nur 2, aber doch zu einem wesentlichen Teil ihren Sinn darin, Kinder zu zeugen. Nach der Priesterschrift kann die Menschheit ihre Kulturaufgabe auf der Erde nur wahrnehmen, wenn sie sich vermehrt 3. Nach dem Jahwisten geht die Zusage an Abraham, dass er zum großen Volk wird, der Zielsetzung voran, dass in ihm alle Sippen der Erde Segen finden (Gen 12,2 f., vgl. 28,14!). Hier wie dort aber ist die Vermehrung eine Wirkung des Segens Jahwes (Gen 1,28; 12,2). Seither hofft Israel, zahlreich zu werden wie die Sterne am Himmel und der Sand am Meer (Gen 15,5; 26,4; 22,17; Hos 2,1). Rebekka wird Gen 24,60 aus ihrem Elternhaus entlassen mit dem Wunsch: O unsre Schwester, werde du zu tausendmal Zehntausenden!

1. 2. 3.

Literatur: Löw, Lebensalter, 130–134; Dürr, Erziehungswesen; Conrad, Generation; Ringgren, ’a¯b; Jenni, ’a¯b; Kühlewein, ’e¯m und ders., be¯n. S. oben S. 242. Zu Gen 1,28 s. oben S. 238.

Gabe Jahwes

253

Doch wie menschliches Planen nicht selbstverständlich und reibungslos zur Verwirklichung übergeht, so zeigt sich auch zwischen dem Willen zum Kind und der Verwirklichung in seiner Geburt eine erhebliche Spannung. Über die Differenz zwischen dem Wunsch zur Vermehrung und seiner Erfüllung verfügt der Mensch nicht frei. Die Vätergeschichten bezeugen in einer extremen Weise, dass Israel seine Volkwerdung nur von Jahwe als dem Herrn dieser Differenz her begreifen kann. Israels Stammütter galten als unfruchtbar. Sara, die wegen ihrer Kinderlosigkeit Abraham schon ihre Sklavin zugeführt hatte (Gen 16,1 f.), lacht schließlich im Alter über die Verheißung eines Sohnes (Gen 18,9 ff.). Die Unfruchtbarkeit Rebekkas wird erst nach einem besonderen Gebet Isaaks aufgehoben (Gen 25,21). Auch Jakobs geliebte Rahel verzweifelt zunächst wegen ihrer Kinderlosigkeit. Schaffe mir Söhne, oder ich sterbe!

ruft sie aus (Gen 30,1). Bezeichnend ist Jakobs Antwort (V. 2): Bin ich denn an Gottes Statt, der dir die Leibesfrucht versagt hat?

Später sieht die dezimierte Exilsgeneration ihre Nachkommenschaft noch einmal neu aus der Kraft der Verheißung Jahwes hervorkommen (Jes 54,1): Juble, du Unfruchtbare, die nicht gebar, frohlocke und jauchze, die nicht in Wehen lag! Denn mehr sind die Söhne der Einsamen als die Kinder der Ehefrau, spricht Jahwe.

So werden denn in Ps 127,3 generell Söhne ein Erbgeschenk Jahwes und in Ps 128 ein Segen der Jahwefurcht genannt. Ps 113 lobt Jahwe, der der Kinderlosen Freude über Kinder schenkt (V. 9, vgl. Ps 144,12 f.). Für die Eltern sind sie Ehre und Stolz (Ps 144), Freude (Ps 128) und spürbare Hilfe (Ps 127,4 f.). Besonders männliche Nachkommen werden hoch geschätzt (Jer 20,15; 1 Sam 4,20; Gen 30,2); ihre Arbeitskraft gilt als wertvoller 4, sie bleiben im väterlichen Familienverband und mehren ihn. Doch für Kohelet ist auch die Fülle von Kindern kein Wert an sich (6,3):

4.

Vgl. Lev 27,1 ff. und oben S. 181 f.

254

Eltern und Kinder

Zeugte ein Mann auch 100 Kinder …, kann aber am Guten nicht satt werden, so sage ich: Glücklicher als er ist eine Totgeburt.

2. Erziehung Die Erziehungsaufgabe fällt Mutter und Vater zu. Beider erzieherisches Wirken heißt hebräisch ysr pi. (Dtn 8,5; Spr 31,1), womit sowohl Anleitung (Hi 4,3) wie Züchtigung (1 Kön 12,11) bezeichnet werden. In den ersten Lebensjahren nimmt vornehmlich die Mutter die Erziehung wahr. Ihr ist das Kleinkind anvertraut. Mose verliert nach Ex 2,3–9 mit drei Monaten seine Mutter, erhält sie dann aber durch List als Amme zurück. Bis zur Entwöhnung, vielleicht erst im dritten Jahr 5, versorgt die Mutter in der Regel das Kleinkind ganz (vgl. 1 Sam 1,21–28). Weiterhin nimmt sie sich besonders der Tochter an. Anlagen wie Erziehung führen zu der sprichwörtlichen Beobachtung (Ez 16,44): Wie die Mutter so die Tochter.

Auch der Sohn ist gut beraten, wenn er sich an die Lehren seiner Mutter neben denen des Vaters hält (Spr 1,8 f.; 6,20). Lemuel, der König von Massa, überliefert speziell die Mahnworte seiner Mutter; zum Umgang mit Frauen, mit alkoholischen Getränken und mit Hilfsbedürftigen hat sie Besonderes zu sagen (Spr 31,1–9). Die tüchtige Frau, die gut beraten kann, wird nicht zuletzt von ihren Söhnen gepriesen (Spr 31,26.28). Die Königinmutter übte als »Gebieterin« (gebîra¯h 1 Kön 15,13) und »Beraterin« (2 Chr 22,3) einen starken Einfluss aus 6. Die Rolle des Vaters in der Erziehung wird im Allgemeinen um so wichtiger, je älter das Kind wird. Der junge Mann muss in der Regel in den Beruf des Vaters hineinwachsen. Erziehung und Berufsausbildung liegen in einer Hand, ob die Söhne nun wie meistens Ackerbauern und Viehzüchter, Handwerker, Priester oder Richter werden. Wenn Gen 4,20–22 den »Vater« der Zeltbewohner, den »Vater« der Zither- und Flötenspieler und den der Erz- und Eisenschmiede nennt, 5. 6.

S. oben S. 181. Vgl. Kühlewein, ’e¯m, 176, dort weitere Literatur.

Erziehung

255

so weist das eher auf »Familien-Innungen« mit Berufsvererbung als auf gewerbliche Zünfte, wie sie Ägypten kannte, hin. Die beiden Beispiele der Söhne Elis (1 Sam 2,12 ff.) und der Söhne Samuels (1 Sam 8,1 ff.) zeigen, dass gerade auch in den hohen Berufen der Priester und der Richter ein Missraten der Erziehung durchaus nicht ausgeschlossen war. Elis Söhne »kümmerten sich weder um Jahwe noch um das, was ihnen als Priestern gegenüber dem Volk zustand«; mit großer Gabel holen sie sich aus dem noch kochenden Opferfleisch, was sie gelüstet. Und die Söhne Samuels suchten als Richter »ihre Vorteile, nahmen Bestechungsgelder und beugten das Recht«. Dass David gegenüber seinen Söhnen versagte, wird wiederholt betont. Amnons schweres Vergehen gegen Tamar 7 erzürnt ihn zwar sehr, aber er wagt nicht, seinem Sohn wehe zu tun (2 Sam 13,21). Und der Aufsässigkeit Adonijas »war sein Vater sein Lebtag nicht entgegengetreten, dass er ihm etwa gesagt hätte: Warum tust du so etwas?« (1 Kön 1,6). Das handwerkliche Können, in das der Vater einweist, ist nicht zu trennen vom Umgang mit den Dingen in Stadt und Land, mit den Tieren und vor allem mit den anderen Menschen und mit sich selbst. Der junge Mensch soll ebenso mit Wetter und Unwetter zu leben lernen wie mit den wechselnden Tages- und Jahreszeiten, mit den Rechtsordnungen und Leidenserfahrungen, mit den ungelösten Rätseln des Lebens und mit seinem Gott. Die meisten Gegenstände solcher Pädagogik werden in den Sammlungen der Sprüche behandelt. Andere sind in Erzählungen und Psalmen aufbewahrt. Hier zeigt sich, dass sich ein gutes Stück der Erziehung in der Berichterstattung der Väter über ihre Erlebnisse und Widerfahrnisse vollzog (Ps 44,2 ff.; 78,3 ff.; Ri 6,13). Das Erzählen konnte durch Fragen der Jugend ausgelöst werden. Sie entzündeten sich an Gegenständen wie jenen zwölf Steinen am Jordan bei Gilgal, die an den Durchzug durch den Jordan und die rettende Tat Gottes am Schilfmeer erinnerten (Jos 4,20–24), oder am Passaritual, das die Frage provozierte: »Was habt ihr da für einen Brauch?« (Ex 12,24–27), oder an anderen Bestimmungen, die nach Rückfrage der Kinder die Väter zum Erzählen der wichtigsten Taten Gottes in der Heilsgeschichte anregten (Dtn 6,20–25; Ex 13,14 ff.). Natürlich kann die Unterweisung auch vom Vater ausgehen (Ex 13,8; Dtn 4,9; Ps 71,18). 7.

S. oben S. 249.

256

Eltern und Kinder

Nicht zufällig wird »Vater« auch zum Titel des Weisheitslehrers (Spr 4,1), dessen Schüler sein Sohn ist (Spr 13,1; 1,10.15 u. ö.) 8. In den Elia- und Elisaüberlieferungen finden wir auch den Propheten von seinen Jüngern (2 Kön 2,12) wie von anderen (6,21; 13,14) »mein Vater« angesprochen. Die Prophetenjünger sind ihre »Söhne« (1 Kön 20,35; 2 Kön 2,3.5.7; 4,1.38; 5,22; 6,1; 9,1). Hiob wird von Bildad ermahnt (8,8 f.): Frage doch das frühere Geschlecht, merke dir, was die Väter erforschten, denn wir sind von gestern und wissen nichts, wie Schatten sind unsre Tage auf Erden.

Wesentliches Mittel der Erziehung ist es, auf Grund der Erfahrungen die Tatfolgen aufzuweisen, wie es die Struktur zahlreicher Sprüche zeigt, die den Zusammenhang von Tun und Ergehen darlegen 9, z. B. Spr 30,33: Pressen von Milch bringt Butter, Pressen der Nase bringt Blut, Pressen des Zorns bringt Streit.

So wird Einsicht geweckt. Doch es gibt auch Torheit, von der körperliche Züchtigung heilt (Spr 29,15): Rute und Rüge gibt Weisheit, aber ein zuchtloser Knabe bringt seiner Mutter Schande.

Spr 23,13 f.: Halte die Zucht vom Knaben nicht fern! Er stirbt nicht, wenn du ihn schlägst mit dem Stock. Du schlägst ihn zwar mit dem Stock, doch du rettest sein Leben vor der Totenwelt. 10

8. Zu der Möglichkeit, die weisheitliche Mahnrede (z. B. in Spr 22,17–24,21 und 31,3–9) von einer Weisung der Eltern, speziell der Mutter, herzuleiten, vgl. Liedke, Rechtssätze, 199. Paulus vergleicht sein Verhältnis als Apostel zur korinthischen Gemeinde mit dem des Vaters zu seinen Kindern (1 Kor 4,14 ff.; 2 Kor 6,13; 11,2). 9. Vgl. von Rad, Weisheit, 165 ff. 10. Vgl. Spr 13,24; 22,15

Spannungen

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Das letzte, was Väter ihren Kindern zuwenden können, ist der Segen, der Freiheit und Fruchtbarkeit von Gott herbeifleht (Gen 27,27–29; 48,15 f.; 9,27). Sir 3,9: Der Segen des Vaters baut das Haus der Kinder, doch der Mutter Fluch reißt die Fundamente aus.

3. Spannungen Spannungen zwischen Eltern und Kindern haben mancherlei Ursache. Sie kann in den »Sünden der Väter« liegen, von denen das Alte Testament außerordentlich oft spricht, vor allem seit Jeremia 11 (2,5; 3,25; 11,10 u. ö.). Schon Hosea fordert die Söhne auf, ihre ehebrecherische Mutter zu verklagen (2,4 f.). Der eigentliche Erzieher Israels ist Jahwe, so wie ihn Hosea verkündet, wie ihn aber auch die Weisheit lehrt 12. Infolge der Tatsache, dass die Eltern nicht oberste Instanz, sondern wie die Kinder dem Wort Jahwes unterstellt sind, kann es auch eine Pflicht zum Ungehorsam der Söhne gegenüber den Forderungen und Sitten der Väter geben, wie es Ez 20,18 in einem Jahwewort heißt: Ich sprach zu ihren Söhnen in der Wüste: Wandelt nicht in den Satzungen eurer Väter und befolgt nicht ihre Gebräuche und mit ihren Götzen verunreinigt euch nicht!

Das Alte Testament weiß um die Auswirkung der Vätersünden in alle vier zugleich lebenden Generationen hinein (Ex 20,5 f.; 34,6 f.; Dtn 5,9 f.). Es sieht die Söhne darunter leiden, z. B. im Exil (Klgl 5,7): Unsere Väter haben gesündigt, doch sie sind nicht mehr, wir aber müssen ihre Schulden schleppen.

Da geht ein »Wort zynischen Aufbegehrens« 13 unter den Leuten in der Exilszeit um (Ez 18,2; Jer 31,29):

11. Vgl. Jenni, ’a¯b, 13. 12. Hos 5,2; 7,12.15; 10,10 und Spr 3,11 f.; Hi 5,17; 33,12 ff.; Ps 118,18, vgl. Kraus, Erziehung, 268 f. und Wolff, BK XIV/1, 125. 13. Zimmerli, BK XIII, 402.

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Eltern und Kinder

Saure Trauben aßen die Väter, den Kindern werden die Zähne stumpf.

Doch dagegen hat Ezechiel eine neue Botschaft zu verkündigen. Im Namen Jahwes sagt er (Ez 18,4): Alles Leben ist mein, das Leben des Vaters wie das des Sohnes. Sie sind mein. Nur wer sündigt, der soll sterben.

Danach ist jede Generation unmittelbar zu Jahwe in der Freiheit angebotener Entscheidung (Ez 18,20): Der Sohn soll nicht die Schuld des Vaters tragen und der Vater nicht die Schuld seines Sohnes.

Der neuen Generation wird die Chance neuen Lebens eröffnet. Doch auch von der Schuld der Söhne ist zu sprechen. Ezechiel hört Jahwe klagen (20,21): Auch die Söhne zeigten sich widerspenstig gegen mich! 14

Von der Einzelfamilie weiß die Spruchweisheit zu sagen, wie ein törichter Sohn seiner Mutter Kummer und seinem Vater Verdruss bereitet (Spr 10,1; 15,20; 17,25; 19,13). Spr 15,5.32: Ein Tor verschmäht die Warnung des Vaters, aber klug wird, wer Rüge beachtet. Sein Leben wirft weg, wer Warnung in den Wind schlägt. Doch wer auf Rüge hört, gewinnt Vernunft.

Das Deuteronomium behandelt einen äußersten Fall (Dtn 21,18– 21): Ein Sohn ist so störrisch, dass er weder auf den Vater noch auf die Mutter hört und auch bei wiederholter Zurechtweisung nicht von seiner Widerspenstigkeit lässt. In diesem Streit haben die Eltern keine Rechtsgewalt über die Zurechtweisungen hinaus. Die Ältesten als Ortsrichter müssen sich der Sache annehmen, und beide Elternteile müssen ihre Klage gemeinsam vorbringen. Den Eltern ist die Verfügungsgewalt entzogen. Ihre und des Sohnes Not gehört zu dem »Bösen«, das »ganz Israel« betrifft (V. 21). Es kann also sowohl von den Eltern wie von den Kindern her zu äußersten Spannungen kommen. Ihr wirkliches Ende erwartet der 14. Vgl. Jer 5,7.

Verantwortung

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Prophet Maleachi (3,24) erst von der Wiederkunft des vollmächtigen Propheten Elia 15: Er wird das Herz der Väter den Söhnen zuwenden und das Herz der Söhne ihren Vätern, dass ich nicht komme und das Land mit dem Bann schlage.

Im Blick auf die Gegenwart Christi in seinem Wort sucht schon der Kolosserbrief von beiden Seiten her die Gegensätze zu überwinden (3,20 f.): Ihr Kinder, seid euren Eltern in allem gehorsam, denn das ist wohlgefällig im Herrn. Ihr Väter, verbittert eure Kinder nicht, damit sie nicht den Mut verlieren.

Solche Wendung setzt schon – »in dem Herrn« – ein völlig erneuertes Leben aus Dankbarkeit gegen erfahrene Vergebung voraus.

4. Verantwortung Auf die Verantwortung der Generationen füreinander weist schon das Alte Testament zur Überwindung der Spannungen hin. Der Väter Sache ist es nicht nur, den jungen Menschen Antworten auf ihre Fragen zu geben, sondern vor allem, ihnen eine stete Zuflucht zu bieten, in der sie wie selbstverständlich alles finden, was sie zum gesicherten Leben benötigen (Spr 14,26): Wer Jahwe fürchtet, hat starke Sicherheit, auch seine Kinder haben Zuflucht.

Die Waisen werden deshalb besonders dem allgemeinen Schutz empfohlen (Dtn 14,29; Hi 31,17; Spr 23,10). Auch ein törichter Vater kann seinen Söhnen keine Hilfe bieten (Hi 5,4). In der Familie ist 15. In 1 Kön 19,4 begründet der mehr »gottesmüde« als lebensmüde (vgl. von Rad, GPM 20, 1966, 290) Elia seine Bitte, sterben zu dürfen: »Ich bin nicht besser als meine Väter.« Der Eiferer ist in Angst geraten (V. 3) und vermag sich daher nicht mehr von seinen Vätern abzuheben, gerade auch, wenn damit präzis seine Vorgänger im Prophetenamt gemeint sein sollten. Zum Titel »Vater« für den Propheten s. oben S. 256. Unter den früheren »Propheten« zeigt uns nur der Jahwist Mose in ähnlicher Verzagtheit und Sterbenswilligkeit (Num 11,15). Zu den Schwierigkeiten der Deutung von 1 Kön 19,4 vgl. Steck, Elia-Erzählungen, 27.

260

Eltern und Kinder

der Vater die verantwortliche Hauptperson; darum heißt Familie im Hebräischen »Vaterhaus« (bet ’a¯b) (Ex 12,3; 1 Chr 7,2). Des Vaters Autorität hat Gewicht für den Sohn (Mal 1,6). Solche Autorität ist nicht für alle zu allen Zeiten selbstverständlich. Die positive Fassung des Elterngebots im Dekalog kann mit der Aufgabe der Eltern zusammenhängen, dass sie Jahwes Heilstaten erzählen; es wird nicht wie das Sabbatgebot begründet, sondern mit einer Verheißung versehen, die den langen Genuss der Landgabe Jahwes (Ex 20,12) in Aussicht stellt, wozu Dtn 5,16 noch das Wohlergehen im Lande hinzufügt. Demgemäß heißt das den Eltern gegenüber befohlene Verhalten, sie wichtig zu nehmen (kabbed). Im Heiligkeitsgesetz (Lev 19,3) findet sich eine kürzere Fassung. Auch sie kann mit den gottesdienstlichen Lehrverpflichtungen der Eltern zusammenhängen, da sie am Kopf kurzer Reihen steht, die weiter von der Beachtung des Sabbats, vom Fremdgötter- und Bilderverbot handeln. Hier wird den Kindern Gehorsam (yr’) 16 befohlen. Dabei fällt besonders auf, dass nicht nur wie in allen Formen des Elterngebots die Mutter ausdrücklich neben dem Vater genannt wird, sondern vor ihm. Altertümlich wirken die Sätze des Todesrechts im Bundesbuch, die dem, der Vater oder Mutter schlägt oder sonstwie verächtlich bzw. als verflucht behandelt (qallel), unter Todesstrafe stellt (21,15.17). Denn wer die Eltern schmäht, lädt Blutschuld auf sich (Lev 20,9). Im sichemitischen Fluchdodekalog (Dtn 27,16) wird ein solcher Mensch selbst mit dem Fluch belegt. Offenbar sind in diesen letzten Fällen nicht nur die jugendlichen Menschen angesprochen, sondern gerade auch die erwachsenen Kinder, die in der Großfamilie mit den hilfsbedürftig werdenden Eltern zusammenleben. Die Spruchweisheit zeigt deutlicher, wie im Verhalten zu den Eltern konkrete Probleme der Altersversorgung 17 gelöst werden müssen (Spr 23,22.24 f.): Höre auf deinen Vater, er hat dich gezeugt, verachte nicht deine Mutter, weil sie alt geworden ist. 16. S. oben S. 196. 17. Das alte Ägypten sprach vom »Stab des Alters« und dachte dabei an die Aufgabe des Sohnes, dem alternden Vater zu helfen, vgl. Helck, Altersversorgung, 158.

Verantwortung

261

Jubeln kann der Vater eines Gerechten, wer einen Weisen gezeugt, freut sich an ihm. Dein Vater möge sich an dir freuen, und jubeln soll, die dich gebar!

Wenn die Eltern altern, sind die Kinder nicht mehr zuerst nach Gehorsam oder Ungehorsam gefragt, sondern danach, ob sie die Eltern beachten oder verachten, ob sie ihnen Freude oder Kummer bereiten (Spr 10,1; 15,20): Ein weiser Sohn erfreut den Vater, doch ein törichter ist seiner Mutter Herzeleid.

Die Sprüche sehen der Tatsache ins Auge, dass die Alten zur Last werden können. Gegen den Wunsch, sie vorzeitig zu beerben, heißt es Spr 19,26: Wer den Vater misshandelt, die Mutter verjagt, ist ein schmachvoller, schandbarer Sohn.

Häufiger ist die Versuchung, das Eigentum der Eltern nicht zu achten (Spr 28,24): Wer seinem Vater oder seiner Mutter etwas raubt und sagt: Das ist kein Vergehen! – der ist des Verderbers Genosse.

Schon der verächtliche Blick, der den Eltern zugeworfen wird, bringt den Kindern Unheil (Spr 30,17): Ein Auge, das den Vater verspottet und die greise Mutter verachtet, das hacken die Raben am Bache aus, und die jungen Adler fressen es.

Ganz besonderen Schutzes bedarf die Witwe, ebenso wie die elternlosen Kinder. Für beide setzen sich die Propheten und das Deuteronomium mit Betonung ein (vgl. z. B. Ex 22,21; Dtn 16,11; 27,19; Jes 1,17; Jer 7,6; Ez 22,7; Sach 7,10). Unerträglich ist das Leben geworden, wenn der Sohn den Vater verachtet, die Tochter sich gegen die Mutter auflehnt, die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter, und des Menschen Feinde seine eigenen Hausgenossen geworden sind (Mi 7,6).

262

Eltern und Kinder

Diese chaotische Not scheint unabweisbar, wo Menschen – sei es als die alte oder als die junge Generation – sich selbst als letzte Instanz ansehen und sich an Gottes Stelle setzen, anstatt mit seinem guten Wort zu leben. Mit dem Eintritt Jesu Christi in die Menschheitsgeschichte und dem damit eröffneten Angebot bedingungsloser Versöhnung ist jedes Zerwürfnis höchstens als vorletzte Phase im Verhältnis der Generationen anzusehen und zu behandeln.

§ 21 Brüder, Freunde, Feinde 1 1. Leibliche Brüder – 2. Bruderschaft des Gottesvolkes – 3. Nächstenliebe – 4. Feindesliebe

Nicht nur die verschiedenen Generationen haben Pflichten füreinander und Nöte miteinander, sondern auch die zwischenmenschlichen Beziehungen einer und derselben Generation wollen gelöst sein. Wie verhält sich der Bruder zum Bruder (’a¯h) und zur Schwester (’a¯hôt), ˙ ˙ der Mensch zu seinem Nachbarn und Gefährten (rea2) 2, zum Freund (’oheb) und zum Feind (’oyeb)? Wie also sieht das Alte Testament den Menschen als Mitmenschen?

1. Leibliche Brüder Leibliche Brüder werden in der Josefsgeschichte definiert als »Söhne eines Mannes« (Gen 42,13) oder als »Söhne desselben Vaters« (V. 32). Das Deuteronomium, das den Begriff des Bruders im Allgemeinen erweitert, bestimmt den leiblichen Bruder als »Sohn deiner Mutter« (13,7). Die Josefsgeschichte thematisiert Hass zwischen Brüdern auf Grund von Eifersucht (Gen 37,3–11) und zeigt, wie die Feindseligkeiten auf Grund von Gottes Führungen zur Vergebung hingeleitet werden (50,15–21). Das Deuteronomium sieht ernsteste Gefahr der Verführung zu fremden Göttern aus dem Kreise der allernächsten Angehörigen heraufziehen (Dtn 13,7–11). Bruder und Schwester gehören zur engsten Verwandtschaft wie Vater und Mutter, Sohn und Tochter. Deshalb darf sich auch ein Priester bei der Besorgung ihres Leichnams für die Bestattung »verunreinigen« (Lev 21,2 f.) 3. 1. 2. 3.

Literatur: Gordon, Fratriarchy; Fichtner, Begriff des »Nächsten«; Maass, Selbstliebe; de Vaux, Lebensordnungen I, 45.72–74.96–98; Vriezen, Auslegung; Zimmerli, Weltlichkeit, 98–110; Ringgren, ’a¯h und Jenni, ’a¯h. ˙ Zur Wortbedeutung vgl. Fichtner, Begriff des »Nächsten«, 24ff = 89˙ ff. Vgl. Noth, ATD 6, 134.

264

Brüder, Freunde, Feinde

Unter besonderen Umständen, am ehesten beim vorzeitigen Tode des Vaters, entwickelten sich Formen des Fratriarchats 4; sie zeigen sich in der Benennung von Geschwistern nach dem Bruder statt nach dem Vater (z. B. Gen 4,22; 36,22; 1 Chr 24,25), aber auch in der Rolle, die Laban bei der Verheiratung seiner Schwester Rebekka in Gen 24,29 ff. spielt (der Vater Betuel wird nur V. 50 neben Laban erwähnt und ist dort wahrscheinlich sekundär), weniger eindeutig in der Verhandlung Sichems über Dina mit deren Vater und mit ihren Brüdern in Gen 34,11 f. Isaak setzt Jakob zum »Gebieter« über seine Brüder ein (Gen 27,29, vgl. V. 40 und 49,8). Auch 1 Chr 26,10 zeigt, dass der Vater einen anderen als den Erstgeborenen zum Haupt (ro’sˇ) der Familie (s. unten S. 300) einsetzen kann, vor allem, wenn dieser gestorben ist. Im Ganzen sind die Spuren des Fratriarchats im Alten Testament dem Patriarchat eingeordnet. Eine Verpflichtung der jüngeren Brüder gegenüber dem älteren zeigt sich in der Ordnung der Leviratsehe5 in Dtn 25,5–10. Danach soll eine Witwe ohne Sohn ihren Schwager (hebr. ya¯ba¯m, lat. levir = Bruder des Mannes) heiraten. Der Erstgeborene aus dieser Ehe wird den Namen des verstorbenen Bruders führen. Die Geschichte der Tamar, der Schwiegertochter Judas (Gen 38), gewährt einen Blick in die Praxis; danach geht die Verpflichtung an den nächsten Schwager weiter, wenn auch die Ehe mit dem ersten Schwager kinderlos blieb (vgl. Mt 22,24–27). Ruth, die nach dem Tode ihres Mannes keinen Schwager mehr hat, wird von dem nächsten Verwandten geheiratet (Ruth 1,11 f.; 2,20; 3,12; 4,4 f.10.17). Im übrigen ist der geschlechtliche Verkehr mit der Schwägerin ebenso streng untersagt (Lev 18,16; 20,21) wie der mit der eigenen Schwester (Dtn 27,22; Lev 18,9; 20,17). Im Erbrecht ist der erstgeborene Bruder dadurch ausgezeichnet, dass er den doppelten Anteil erhält (Dtn 21,17). Im übrigen dürfen die Brüder nicht unterschiedlich bedacht werden, auch wenn der Vater eine seiner Frauen der anderen vorzieht (Dtn 21,15 f.). Die Töchter übernehmen in älterer Zeit nur dann ein Erbe, wenn sie keine Brüder haben (Num 27,1–8). Stirbt ein Mann kinderlos, dann beerben ihn seine Brüder (V. 9), hat er auch keine Brüder, so folgen die 4. 5.

Vgl. Gordon, Fratriarchy, ferner de Vaux, Lebensordnungen I, 45. S. oben S. 242.

Bruderschaft des Gottesvolkes

265

Brüder seines Vaters, danach sonstige Blutsverwandte (V. 10 f.). Dass Hiobs Töchter ebenso wie deren Brüder erben, spiegelt vielleicht jüngeres Recht (Hi 42,15) 6. Nach Spr 17,2 wird sogar ein mit Einsicht begabter Sklave den Söhnen seines Herrn beim Erbe zugerechnet und in den Kreis der Brüder einbezogen: Ein kluger Sklave wird Herr über den schandbaren Sohn und inmitten der Brüder erhält er ein Erbteil.

Damit wird schon im engsten Kreis der Familie sichtbar, dass es stärkere Bindungen gibt als leibliche Bruderschaft und Blutsverwandtschaft 7.

2. Bruderschaft des Gottesvolkes Israel lernte, sich als eine Bruderschaft des Gottesvolkes zu verstehen. Gewiss sprachen sich im Alten Orient auch verbündete Könige verschiedener Völker als »Bruder« an, wie der König von Tyrus, Hiram, den König Salomo (1 Kön 9,13); Verträge zwischen fremden Staaten hießen »Bruderbund« (Am 1,9) 8. Insbesondere sah Israel die Edomiter als Brudervolk an (Num 20,14; Dtn 2,4.8; 23,8; Ob 12) und fand schon die beiderseitigen Stammväter Jakob und Esau als Söhne Isaaks und also als Brüder zusammengehörig (Gen 27 f.). Jedoch wussten sich die Stämme Israels als Jahwevolk besonders eng miteinander verbunden, vor allem auf Grund der gemeinsamen Heilsgeschichte und der Willenskundgabe Jahwes (Jos 24). Als »Söhne Israels« waren sie ein Volk von Brüdern, das sich von zwölf Brüdern als ihren Stammvätern herleitete (Gen 29 f.) 9. Das Wort »Bruderschaft« (’ahawa¯h) erscheint ein einziges Mal im Alten Testament (Sach ˙ 11,14) für die bedrohte Verbindung der beiden getrennten Staaten Juda und Israel. 6. 7. 8. 9.

Vgl. de Vaux, Lebensordnungen I, 97. S. oben S. 263 zu Dtn 13,7 ff. Weitere Belege bei Wolff, BK XIV/2, 193 f. Auch Halbbrüder gelten als Brüder, so wie in 2 Sam 13,4 Amnon von seinem »Bruder« Absalom sprach, obwohl sie nach 2 Sam 3,2 f. zwei verschiedene Mütter hatten. So verbindet die Kinder der Lea, der Rahel, der Silpa und der Bilha der gemeinsame Vater Jakob als Brüder. Zur Amphiktyonie-These Noths und ihrer Bestreitung vgl. Smend, Amphiktyonie.

266

Brüder, Freunde, Feinde

Das Grundverständnis Israels als eines Brudervolkes hatte Folgen für das zwischenmenschliche Verhältnis seiner einzelnen Glieder. Das belegen schon die älteren Rechtssammlungen. In hervorragender und auch terminologisch präziser Weise lehrt jedoch erst das Deuteronomium, wie sich ein Israelit als des anderen Bruder zu verhalten habe. Es fällt auf, dass es ältere Bestimmungen des Bundesbuches nicht aufnimmt, ohne jeweils den betroffenen Volksgenossen ausdrücklich als »Bruder« zu bezeichnen10. Jeder Gläubiger soll in seinem Schuldner seinen 11 Bruder sehen und demnach im siebenten Jahr Erlass gewähren (15,1 ff.). Angesichts des armen Volksgenossen heißt es: »Du sollst dein Herz nicht verschließen vor deinem Bruder, und deine Hand nicht verschließen« (V. 7). Das alte Zinsverbot, im Bundesbuch zugunsten des Armen formuliert, wird mit dem Hinweis auf die Bruderschaft gegenüber allen Volksgenossen in Kraft gesetzt (vgl. Dtn 23,20 f. mit Ex 22,24). Es erscheint auch in anderen Schichten des Alten Testaments und hebt Israel von seiner Umwelt ab, die zum Teil sehr hohe Zinsen bis zu einem Viertel oder Drittel des Darlehens kannte12. Im Gottesvolk dagegen soll sich keiner an der Not des anderen bereichern. Nur vom Ausländer darf Zins genommen werden. Besonders beachtlich und von weittragenden Folgen ist es, dass auch die Personen an den äußersten Grenzen der altisraelitischen Gesellschaft in die Bruderschaft einbezogen sind. So spricht das Deuteronomium einerseits vom Sklaven und andererseits vom König als Bruder unter Brüdern. Das Sklavengesetz erkennt den abhängigsten Gliedern der Gesellschaft nicht nur einen leeren Titel zu, sondern schärft eine wahrhaft brüderliche Verhaltensweise ein (15,12–18) 13. Andererseits soll der König »sein Herz nicht über seine Brüder erheben« (17,20) 14. Vom König bis zu den Sklaven lebt »ganz Israel« auf dem gemeinsamen »Erbbesitz« des Landes, das Jahwe ihm ge10. Vgl. von Rad, Gottesvolk, 12 f. Dazu vgl. Ex 21,2 mit Dtn 15,12; Ex 21,16 mit Dtn 24,7 und Ex 22,24 mit Dtn 23,20 f. 11. Das Deuteronomium unterstreicht die Verbundenheit der Glieder des Gottesvolkes in der Regel durch Beifügung eines Suffixes zu ’a¯h, meist in der An˙ redeform »dein Bruder«. 12. Vgl. Lev 25,36 f.; Ex 18,8.13.17; 22,12; Ps 15,5 und Zimmerli, Weltlichkeit, 102. 13. Vgl. 21,2–6 und unten S. 283 f. 14. S. unten S. 278.

Nächstenliebe

267

schenkt hat (Dtn 12,9; 15,4; 19,10 u. ö.) 15. Darum ist einer des anderen Bruder. Das in Jahwe begründete Verhältnis hat Vorrang vor leiblicher Bruderschaft (Dtn 13,7 ff., vgl. Ex 32,29).

3. Nächstenliebe Andere Schichten des Alten Testaments richten die Aufmerksamkeit auf Bruderschaft als ein allgemein menschliches Phänomen. Der Jahwist fasst es in der Erzählung von Kain und Abel in Gen 4,1–16 scharf ins Auge; dort kommt das Motivwort »Bruder« siebenmal vor 16 (V. 2.8a.b; 9a.b; 10.11). Das Universalproblem menschlichen Miteinanders wird an den Söhnen einer Mutter verdeutlicht, die in den beiden grundverschiedenen Berufen des Ackerbauern und des Kleinviehhirten leben und also auch zwei verschiedenen Sozialstrukturen zugehören. Der sich benachteiligt sieht, wird zum Erzfeind und Mörder des Bruders. Er muss sich nach seinem Bruder fragen lassen, wehrt aber mit der Gegenfrage ab, ob er seines Bruders Hüter sei. So wird er von dem Ackerboden, aus dem das Bruderblut aufschreit, ins Unstete hinausgeschickt, steht jedoch auch als Brudermörder noch unter Gottes Schutzzeichen vor wilder Blutrache. Das menschliche Generalthema der feindlichen Brüder wird ferner variantenreich an Esau und Jakob (Gen 27 ff.) und an Josef und seinen Brüdern (Gen 37.39 ff.) unter Israels Vätern weitergeführt. Die Genesis verdeutlicht grell, dass Israel moralisch nicht besser ist als alle Welt. Aber es erfährt ein weiterführendes Wort, das seine Kreise über Israel hinaus zieht. Lev 19,17 f. lautet: Du sollst deinen Bruder in deinem Herzen nicht hassen. Du kannst deinen Mitbürger sorgfältig zurechtweisen, aber du sollst ihm eine Verfehlung nicht zur Last legen 17! Räche dich nicht und trage deinen Volksgenossen nichts nach, sondern liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Ich bin Jahwe.

Und V. 34 ergänzt:

15. Vgl. von Rad, Gottesvolk, 50. 16. Vgl. Westermann, Genesis 1–11, 49 f.53 f.; ders., BK I, 381 ff. 17. So übersetzt Noth, ATD 6 den V. 17bb.

268

Brüder, Freunde, Feinde

Wie ein Einheimischer von euresgleichen soll euch der Fremde gelten, der bei euch Gastrecht genießt, und du sollst ihn lieben wie dich selbst, denn Fremde seid auch ihr gewesen im Lande Ägypten. Ich bin Jahwe, euer Gott.

Jeder dieser Sätze ringt mit dem allgegenwärtigen Kain, mit Jakob und mit Esau, mit Josef und mit seinen Brüdern, mit jedem aufkeimenden Hass, mit jedem Bedürfnis zur Anklage, zur Rache oder doch zum Nachtragen. Sie stoßen vor zu dem Gebot der Nächstenliebe, das in der vorliegenden Form in Israels Umwelt noch keine Parallele fand 18 und das im Neuen Testament zentrale Bedeutung gewinnt. Schon hier schließt es im Nachtrag ausdrücklich den Nichtisraeliten ein, der als Schutzbürger in Israel lebt 19. Grund ist allein, dass Jahwe sich als der heilige und huldvolle an Israel erwiesen hat, vor allem an seiner Fremdlingschaft in Ägypten. Ist in dem überragenden Gipfelsatz: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst,

das letzte Wort ka¯môka¯ richtig übersetzt? Moderne jüdische Auslegung wollte es wiedergeben: »(Du sollst deinen Nächsten lieben) er ist wie du« 20. Doch haben wiederholte Studien gezeigt, dass der Satz nicht den Fremden mit dem Angesprochenen vergleichen will, sondern die Nächstenliebe mit der Selbstliebe 21. Dabei wird die Selbstliebe nicht etwa als geboten vorausgesetzt, sondern sie dient als »Umschreibung für das Maß der Liebe« 22; die Besinnung auf die eigenen Wünsche wird zum Antrieb liebevollen Handelns am anderen und damit im Blick auf Jahwes Tat an Israel zur Überwindung der Selbstliebe 23. Vielleicht streitet dieses »wie dich selbst« sogar gegen die Selbstliebe als »unheimliche Macht«, »als gefährliche Versuchung zur Untreue gegen Jahwe« 24. Jedenfalls ist hier alle gesetzliche Maßregelung mitmenschlichen Lebens überwunden und eine persönliche Brüderlichkeit mit Nahen und Fernen begründet. 18. Vgl. Fichtner, Begriff des »Nächsten«, 40 = 103. 19. Dem durchziehenden Ausländer gilt die Gastfreundschaftspflicht (Gen 18,1 ff.; 19,1 ff.; Ri 19,11 ff.) 20. Baeck, Wesen, 211, vgl. Buber, Glaubensweisen, 69 = 701: »… als gelte es dir selber«. 21. Vgl. Fichtner, Begriff des »Nächsten«, 23 ff.; Maass, Selbstliebe, 109 ff. undVriezen, Auslegung, 1 ff. 22. Fichtner, Begriff des »Nächsten«, 41. 23. Vgl. Mt 7,12 und Barth, KD I/2, 426 f. 24. Maass, Selbstliebe, 113.

Nächstenliebe

269

Neben dem singulären Gebot der Nächstenliebe im Heiligkeitsgesetz findet sich im Bereich der Spruchweisheit ein konkretes Ringen mit täglichen Fragen des Zusammenlebens. Zu den Verhaltensweisen, die Jahwe verabscheut, gehört es, zwischen Brüdern Streit zu entfesseln

(Spr 6,19), die doch in Eintracht in der Sippe zusammen wohnen müssen, wenn ihr Leben unter Jahwes Segen gelingen soll (Ps 133). Aber der verarmende Bruder wird leicht verstoßen (Spr 19,7): Alle Brüder eines Armen hassen ihn, wievielmehr halten sich seine Freunde von ihm fern.

Der Spruch setzt noch voraus, dass Brüder dem Manne näher stehen als andere Volksgenossen. Anders Spr 27,10b: Besser ein Nachbar in der Nähe als ein ferner Bruder.

Aber auch bei gleicher Nähe gilt (Spr 18,24b): Mancher Freund ist anhänglicher als ein Bruder.

Genauer unterscheidet Spr 17,17: Zu jeder Zeit liebt der Freund, doch ein Bruder wird für die Not geboren.

Die Weisheit rät, auch mit dem besten Freund und nächsten Nachbarn behutsam umzugehen (Spr 25,17): Mach selten deinen Fuß im Hause deines Nächsten, sonst bekommt er dich satt und hasst dich.

Nächstenschaft und Freundschaft können weit mehr bedeuten als leibliche Bruderschaft. Das schönste Bild zu diesem Thema zeichnet das Alte Testament mit der Freundschaft von David und Jonatan. Zwischen ihnen ereignet es sich, dass einer den anderen lieb gewinnt »wie sich selbst« (1 Sam 18,1). Sie können miteinander weinen und füreinander schweigen, was sie aber miteinander reden, da steht Jahwe als Zeuge zwischen beiden (1 Sam 20,41 f.). Am Ende beklagt David den Tod des Freundes (2 Sam 1,26): Mir ist es weh um dich, mein Bruder! Jonatan, du warst mir lieb gar sehr!

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Brüder, Freunde, Feinde

Deine Liebe war mir wunderbar, mehr sogar als Frauenliebe.

So vollendet sich menschliche Bruderschaft unter Männern, die nicht eines Vaters Söhne sind.

4. Feindesliebe Kommt das Alte Testament über die Bruder-, Nächsten- und Freundesliebe hinaus zur Feindesliebe? Wenigstens zwei Texte sind zu dieser Frage zu beachten. Schon das alte Bundesbuch verordnet (Ex 23,4 f.): Wenn du das Rind deines Feindes oder seinen Esel verirrt antriffst, dann sollst du es ihm unbedingt wieder zuführen. Wenn du siehst, dass der Esel dessen, der dich hasst, unter seiner Last zusammenbricht, so sieh davon ab, ihn sich selbst zu überlassen; du sollst ihm unbedingt Hilfe leisten 25.

Wie es im Kontext um den hilflosen Armen geht, so hier um das hilfsbedürftige Tier. Mit dessen Gefährdung aber drohen auch seinem Besitzer erhebliche Schäden. Das Gottesrecht will, dass jedem Israeliten für sein Handeln die Not des Tieres wichtiger ist als die Feindseligkeit seines Besitzers. Feinde sollen sich über dem Unglück des Tieres versöhnen. So konkret überwindet das Bundesbuch den Hass und das Vergeltungsdenken. Noch einen Schritt weiter führt Spr 25,21 f., wo der Feind selbst in Not gerät und unmittelbarer Hilfe bedarf: Hungert dein Hasser, so gib ihm Brot zu essen! Leidet er Durst, so lass ihn Wasser trinken! Dann häufst du Glutkohlen auf sein Haupt, und Jahwe wird dir erstatten.

Da wird die Hilfsbedürftigkeit des Feindes zur Gelegenheit, die Feindschaft zu überwinden. Aus ägyptischen Texten geht hervor, dass feurige Kohlen in einem Bußritual wirklich aufs Haupt gehäuft wurden, als Zeichen der Beschämung und Reue eines schuldig Gewordenen 26. So darf der Weise, der in der Not die Feindesliebe zu üben beginnt, erwarten, dass auch seinem Hasser die Feindseligkeit leid 25. S. BHK. 26. Vgl. Morenz, Kohlen.

Feindesliebe

271

wird und er zur Aussöhnung willig wird. Von Jahwe kann er erhoffen, dass er den Akt für ihn »vollständig macht« (sˇlm pi.) 27. So nimmt Paulus das alttestamentliche Weisheitswort genau auf (Röm 12,17–21). Klar und krass zeigt das Alte Testament die zwischenmenschlichen Zerwürfnisse. Ebenso deutlich sieht es den Menschen sich selbst verfehlen und zerstören, wenn er nicht auf dem Weg zur Überwindung des Hasses fortschreitet, hat doch Israels Gott selbst damit begonnen und die Vollendung verheißen. Nur auf diesem seinem Weg wird der Mensch mitten im Gewirr seiner Empfindungen und Begegnungen sich selbst nicht verlieren. Der Mensch ist das zur Bruderschaft berufene Wesen.

27. Vgl. Koch, Vergeltungsdogma, 4 f.7 = 134 f.137 f.

§ 22 Herren und Knechte 1 1. Kritik am Königtum – 2. Kritik des Sklavenrechts – 3. Unterwegs zur Freiheit

Das Alte Testament kennt die volle Schärfe des Gegensatzes zwischen Herrschenden und Beherrschten, Ausbeutern und Unterdrückten. Die Reichen und vor allem die Könige gelten als die frei verfügenden Besitzer ihrer Untergebenen. Die Abhängigen aber und vor allem die Sklaven haben oft nahezu den Stellenwert von Sachbesitz; sie gelten wie bares Geld (Ex 21,21); man kann sie wie Grundbesitz vererben (Lev 25,46). Israel lebt in diesem Gegensatz wie in der Luft seiner Umwelt. Doch begegnet ihm schon in den älteren Überlieferungen des Alten Testaments heftige Kritik. Sie wird durch die klassische Prophetie verschärft und zu einem grundsätzlichen Umdenken weitergeführt. Man kann von einer Revolution in der Zuordnung von Herren und Knechten sprechen. Sie gehört zu den Voraussetzungen neutestamentlicher Christologie und Anthropologie. Wenn sie recht gehört wird, muss sie sich als bewegende Unruhe in der Menschheitsgeschichte auswirken, bis sie zum Ziel kommt. Wir befragen den alttestamentlichen Aufbruch nach seinen Motiven, Formen und Zielen. Das anthropologische Problem der Freiheit des Menschen unter Menschen steht damit an. Der späte Kohelet formuliert es genau (8,9): Dies alles sah ich, als ich meinen Sinn auf alles Tun richtete, das unter der Sonne geschieht, wenn der Mensch über den Menschen herrscht (sˇa¯lat ˙ ha¯’a¯da¯m be’a¯da¯m) zu seinem Unheil.

Eben solche Herrschaft des Menschen über den Menschen sahen wir mit der priesterschriftlichen Lehre vom Menschen als dem Bilde Gottes ausgeschlossen 2. Wie sie trotzdem sich vollzieht und überwunden 1. 2.

Literatur: Hempel, Ethos, 124–135; Alt, Anteil des Königtums; Jepsen, Amah; Bernhardt, Königsideologie, 114–177; Lohfink, Sicherung; Schmidt, Königtum und van der Ploeg, Slavery. S. oben S. 235.

Kritik am Königtum

273

wird, soll beispielhaft an den beiden extremen Institutionen des Königtums und des Sklaventums beobachtet werden.

1. Kritik am Königtum a) Die altorientalischen Großreiche leiten ihre Anfänge von einem Königtum her, das vom Himmel herabstieg oder das im göttlichen Pantheon gezeugt war. Israel hingegen ist das Königtum als ein mythisch-kosmisches Urdatum völlig fremd. Die Nachbarn Israels, die ihm soziologisch und ethnologisch verwandt waren, die Edomiter, Moabiter, Ammoniter und Aramäer, führten das Königtum lange vor Israel ein. Die alten kanaanäischen Stadtstaaten und die übers Mittelmeer zugezogenen Philister hatten seit je eine dynastische Verfassung. Das alte Israel jedoch kennt in seinen ersten Jahrhunderten das Königtum höchstens als eine Versuchung. Das zeigt beispielhaft die Fabel des Jotam in Ri 9,8–15. Es ist ein antimonarchisches Dokument hohen Alters, das im jetzigen literarischen Zusammenhang dem ersten Versuch eines Königtums in Israel, dem des Abimelech in Sichem, zugeordnet wird 3. Diese politische Satire sucht ihresgleichen: Einst zogen die Bäume aus, um über sich einen König zu salben. Sie sprachen zum Ölbaum: »Sei über uns König!« Aber der Ölbaum sprach zu ihnen: »Soll ich meine Fettigkeit lassen, darum mich Götter und Menschen ehren, und hingehen, um über den Bäumen zu schweben?« Da sprachen die Bäume zum Feigenbaum: »Komm du und sei über uns König!« Aber der Feigenbaum sprach zu ihnen: »Soll ich meine Süßigkeit lassen und meine guten Früchte und hingehen, um über den Bäumen zu schweben?« Da sprachen die Bäume zum Weinstock: »Komm du und sei König über uns!« Aber der Weinstock sprach zu ihnen: »Soll ich meinen Wein lassen, der Götter und Menschen erfreut, und hingehen, um über den Bäumen zu schweben?« Da sprachen alle Bäume zum Dornstrauch: »Komm du, sei König über uns!« Da sprach der Dornbusch zu den Bäumen: »Wollt ihr wirklich mich zum König über euch salben, so kommt, bergt euch in meinem Schatten!

3.

Vgl. Boecker, Beurteilung, 27, vgl. 98.

274

Herren und Knechte

Wo nicht, so gehe Feuer aus vom Dornstrauch und verzehre die Zedern des Libanon!«

Diese Fabel gibt das Königtum dem schallenden Gelächter preis. Welche Ironie, wenn der Dornstrauch seinen Schatten anpreist und zugleich die Zedern, die den schönsten Schatten geben, bedroht! Selbst hat er nichts zu bieten, und er will die vernichten, die viel zu spenden haben. Demnach erstrebt das Königtum »nur ein Lump, nur wer zum Wohl des Ganzen wirklich gar nichts beitragen kann«4. Motiv der Kritik ist die Herrschsucht des Königtums, die das Beste im Leben zerstört, die Form ist die Satire und das Ziel die Verhinderung des Königtums, damit die Kräfte, die das Leben fördern, sich frei entfalten können. Hier wirkt sich konkret der spezifische Ansatz frühisraelitischer Geschichte aus. Israel leitet seine Geschichte statt von einem mythisch gefeierten und politisch erprobten Königtum von einer Sklavengruppe her, die aus Ägypten befreit wurde. Für Jahwe, dem diese Rettung verdankt wird, ist bezeichenderweise in der Frühzeit nicht einmal der Titel König typisch 5. Hauptsächlich und in aller Regel wird Jahwe als der Befreier aus Ägypten verstanden. Dass er Israel aus Ägypten herausgeführt hat, ist der häufigste und wichtigste Bekenntnissatz6. Schon insofern Jahwe von Anfang an als Befreier den Geknechteten zugeordnet ist, kann er nicht eigentlich einem altorientalischen König verglichen werden. Es bleibt deshalb höchst beachtenswert, dass die Polemik gegen das Königtum in Israel älter ist als seine Institution und dass diese differentia specifica zur Umwelt mit dem Glauben an Jahwe unlöslich verbunden ist 7. b) Eingang findet das Königtum in Israel erst unter Saul und David, und zwar zunächst zur Abwehr der immer bedrohlicher werdenden Philistergefahr. Schon das Königtum Sauls aber findet Kritik (1 Sam 4. 5. 6. 7.

Von Rad, Weisheit, 63 f. Erst später gewinnt er für eine gegen die Umwelt gerichtete polemische Theologie eine begrenzte Bedeutung, vgl. vor allem die Jahwe-Königs-Psalmen 47.93.96–99 und die in Jes 6,5 erkennbare Tradition. Vgl. Galling, Erwählungstraditionen. 5 ff.; Noth, Überlieferungsgeschichte, 50 ff. Vgl. Bernhardt, Königsideologie, 116 ff.

Kritik am Königtum

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10,27; 13,7–15), dann in anderer Weise David (2 Sam 12,1 ff.; 15;1 ff.; 24,1 ff.) 8 und schließlich recht kräftig Salomo. Die Dynastie Davids gerät bereits in der zweiten Generation in eine Krise, die zum Zerbrechen des Großreichs führt. Ausgelöst wird die Revolte durch harte Fronarbeit, die Salomo den Männern des Hauses Josef zumutete (1 Kön 11,26 ff.). Durch Bedrohung ihres Anführers Jerobeam und dessen Flucht nach Ägypten wird sie zunächst niedergehalten. Aber nach Salomos Tod folgt Rehabeam nicht dem Rat der Alten, die zur Erleichterung der Fronarbeiten mahnen; nach dem Wortlaut des Berichts in 1 Kön 12,7 empfehlen sie ihm sogar, »diesem Volk ein ’æbæd (Sklave)« zu sein, ihm »zu Diensten zu stehen« und »auf sie einzugehen« (vgl. Mk 10,43 f.). Doch Rehabeam hört lieber auf seine forschen Altersgenossen und erklärt: »Mein Kleiner ist dicker als die Hüften meines Vaters … Ich will euer Joch noch mehr belasten. Mein Vater hat euch mit Peitschen gezüchtigt, ich aber will euch mit Skorpionen züchtigen« (1 Kön 12,10 f.) 9. Darauf antwortet das Volk in Sichem rebellisch (V. 16): »Was haben wir für Anteil an David? Auf, Israel, zu deinen Zelten!«

Dann wird der aus Ägypten heimgekehrte Jerobeam als Mann der Fronarbeiter zum Gegenkönig über das Zehnstämmevolk erhoben. Rehabeam behält nur Juda. So wird der Herrschaftsbereich der Davididen genau wegen der Versklavung der freien Männer Israels dezimiert. Davids Großreich zerbricht daran, dass der König die Freiheit der Männer Israels nicht respektiert. c) Aber auch das Königtum des Nordreichs bleibt von Kritik nicht verschont, und das um so weniger, je mehr es sich dem Königsrecht der Umwelt anpasst. Der König Ahab steht durch seine Ehe mit der 8. 9.

Vgl. auch Delekat, David-Salomo-Erzählung. Der ganze Erzählungszusammenhang 11,26–28.40; 12,1 ff. geht offenbar auf Jerusalemer (»Ältesten«?-)Kreise zurück, »die bei grundsätzlicher Bejahung des Davidsreiches doch mit Unbehagen den tatsächlichen Verlauf der Ereignisse unter David und seinen Nachfolgern angesehen und ihre Bedenken auch zum Ausdruck gebracht haben« (Noth, BK IX, 271). Zur Texterklärung vgl. auch oben S. 186.

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phönizischen Königstochter Isebel in besonderer Versuchung. Seine Ansprüche widerstreiten dem alt-israelitischen Bodenrecht10. Nach 1 Kön 21 grenzt Nabots Weinberg an das königliche Palastareal in der Winterresidenz zu Jesreel. Der König möchte den Weinberg gegen angemessenen Ersatz als Gemüsegarten erwerben. Aber Nabot sagt (V. 3): Jahwe bewahre mich davor, dass ich das Erbe meiner Väter abtrete!

Der Satz ist ein großartiges Dokument der Unabhängigkeit eines israelitischen Bauern vom König. Diese Freiheit gründet in Jahwes Schenkung an die Väter. Der König, der um Israels Proprium weiß, weicht in ohnmächtiger Wut. Aber seine Frau, die als phönizische Prinzessin erzogen ist, legt die absolutistischen kanaanäischen Maßstäbe an und begegnet ihm ironisch (V. 7): »Übst du denn jetzt das Königtum in Israel aus?«

Sie versteht es, Nabot als Lästerer Gottes und des Königs auf die Seite zu schaffen. Doch damit fordert sie alsbald das Gerichtswort des Propheten Elia heraus. Er kündigt das Ende der Dynastie an. Das Königtum wird am Maß der Freiheit gemessen, das es den Befreiten Jahwes belässt. Fortan bleibt das Königtum von der Kritik der Jahwepropheten begleitet, das Nordreich am treffendsten durch Amos. Bei seinen heftigen Anklagen gegen die Unterdrücker und seiner Androhung von Jahwes Gericht (z. B. 2,6–8; 4,1; 5,11 f.) ruft jedoch weder er noch einer der anderen Propheten die Bedrängten zur Aufsässigkeit auf. Immer sind die Schuldigen direkt angegriffen (vgl. 1 Kor 7,20–24). d) Aus der Geschichte der davidischen Dynastie sei nur das Beispiel des Prophetenspruches Jeremias gegen den König Jojakim erwähnt (22,13–19): Weh dem, der sein Haus mit Unrecht baut, der seinen Volksgenossen umsonst arbeiten lässt … Dein Vater hat dem Bedrückten und Armen zum Recht verholfen. Heißt nicht das: mich kennen? Aber deine Augen und dein Herz gehen nur auf deinen Gewinn.

In eigenem Gewinnstreben und in selbstischer Genusssucht dem Arbeiter den Lohn vorzuenthalten, statt dem Unterdrückten und dem 10. Vgl. Alt, Anteil des Königtums, 356ff = 375 ff.

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Besitzlosen zur Freiheit zu verhelfen, das ist eine Verkennung des vor Jahwe einzig legitimen Königsamtes in Israel. Es widerspricht Jahwes Recht, das die Freiheit aller schützt und aus jeglicher Knechtschaft herausführen will. Darum erinnert Jeremia den König Jojakim an das Vorbild seines Vaters Josia. Er proklamiert das Gottesrecht neu in der Form der Anklage und der Androhung eines ehrlosen Begräbnisses für den Ausbeuter (V. 18 f.). Wer seinem Mitmenschen die Freiheit raubt, ihn um den gerechten Verdienst bringt und ihn quält, und sei er der König, der hat sich selbst der Zukunft und der Ehre beraubt 11. e) Aus der prophetischen Kritik am Königtum entsteht bei den deuteronomischen Reformtheologen ein Bild, das im Königsgesetz Dtn 17,14–20 seine literarische Fassung findet. Zunächst wird der König gemahnt, seine Streitwagenmacht klein zu halten und »das Volk nicht wieder nach Ägypten zu bringen« (V. 16); man sieht offenbar die Gefahr, dass Jahwes Herausführung aus Ägypten rückgängig gemacht wird dadurch, dass man sich politisch von Ägypten abhängig macht (Jes 30,1 ff.) oder gar israelitische Soldaten im Tauschgeschäft gegen Streitwagengespanne nach Ägypten schafft (vgl. 1 Kön 10,26–29) 12. Zum zweiten wird dem König ein großer Harem untersagt (V. 17a); wie der Regent durch zahlreiche Frauen von Jahwe abgelenkt wird, dafür steht Salomo Modell (1 Kön 11,1–13). Schließlich darf der König seinen Kronschatz nicht mehren (V. 17b). Hier ist sicher an die starken »sozialen Belastungen« gedacht, »die eine übertriebene Prachtentfaltung des Königshofes für das Volk bedeutet«13. Demnach darf genau das, was Macht und Ansehen eines orientalischen Herrschers begründet, den israelitischen König nicht interessieren. Stattdessen soll sich seine Aufmerksamkeit dem Studium der Thora zuwenden. »Alle Tage seines Lebens« soll er darin lesen (V. 19a). Dabei ist zweierlei bemerkenswert. Einmal soll er sich für dieses tägliche Studium eine Zweitschrift der Thora anfertigen lassen; die Urschrift ist und bleibt in der Hand der levitischen Priester, die ihm insofern übergeordnet sind (V. 18). Zum anderen ist das Ziel des

11. Vgl. Schmidt, Königtum. 12. Vgl. von Rad, ATD 8, 85 f. 13. Boecker, Beurteilung, 30.

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Thorastudiums die eigene Lebensführung des Königs (V. 19b) und nicht etwa die königliche Rechtsprechung in Israel. Die Bedeutung dieser Anweisungen wird erst voll verständlich, wenn man bedenkt, wie das Königtum im Zusammenhang der Gesetze über die leitenden Gewalten gesehen wird 14. Man kann Dtn 16,18–18,22 »als zusammengehörigen Verfassungsentwurf« interpretieren. Dabei ist interessant, dass die Ämter nicht vom König her entwickelt werden; vielmehr werden ihm typisch königliche Aufgaben (vgl. 1 Sam 8,20!) abgenommen: die Rechtsprechung wird dem »Richter« aus dem Kreise der levitischen Priester (17,8–13; 16,18– 20) und die Kriegsführung dem Heerbann mit den Priestern (20,1 ff.) übergeben. Für die lebendige Interpretation der Thora sind Propheten als Nachfolger des Mose zuständig (18,15 ff.). Was aber bleibt dann noch für den König? Er soll nichts anderes als der vorbildliche Israelit sein (17,19b!), ihr »Repräsentant«. »Aus der Mitte der Brüder« (V. 15) ist er gewählt, und er soll »sein Herz nicht stolz über seine Brüder erheben« (V. 20). Eigentlicher Herrscher in Israel ist Jahwe durch seine Thora, die Priester hüten sie, die Propheten legen sie aus und die Richter wenden sie an. Der König aber sollte als Bruder unter Brüdern der Musterisraelit sein, der nach Jahwes Willen lebt. Die Herrschaft der aufgeschriebenen Thora Jahwes ist durch die skizzierte Gewaltenteilung gesichert. Welche Umfunktionierung des Königtums durch Depotenzierung seiner üblichen Herrschergewalt und durch die indirekte Erhebung der Volksgenossen zu Brüdern des Königs! Eine wahrhaft revolutionäre Sicht des Königtums. f ) Noch von einer anderen Seite her zeigt sich die Umgestaltung des Königsbildes in Israel. In der Fürbitte für den König (am Tage seiner Thronbesteigung?) in Ps 72 werden hohe Erwartungen ausgesprochen. Gewiss erhofft man die weltweite Segensfülle seiner Herrschaft, aber besonders kennzeichnend ist es, wie konkret die allgemeine Gerechtigkeitsforderung zugespitzt wird. Die Fürsorge für alle Unterdrückten (V. 2–4) erscheint als die hervorragende Aufgabe des Königs (V. 4): Er schaffe Recht den Gebeugten des Volkes, er helfe den Kindern der Bedürftigen und zermalme den Unterdrücker. 14. Das folgende nach Lohfink, Sicherung.

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V. 12–14: Er reiße heraus den Armen, wenn er aufschreit, den Bedrückten, dessen sich keiner erbarmt. Der Niedrigen und Bedürftigen nehme er sich an, das Leben der Bedürftigen rette er. Von Unterdrückung und Gewalt befreie er ihr Leben; ihr Blut sei kostbar in seinen Augen.

Der König, der Jahwes Recht in Israel verwalten soll (V. 1), wird genau an seinem Einsatz für die gemessen, die am meisten der Hilfe bedürfen. Entweder ist der König der König der Schwächsten oder er ist kein rechter König in Israel. g) Eine letzte Textgruppe bezeugt die Unruhe, die alttestamentliche Dokumente in die etablierten Herrschaftsverhältnisse hineinbringen. Es sind die Gottesknechtslieder aus Deuterojesaja. In ihnen zeigt sich der wahre Herrscher als der, der selbst seinen Rücken den Schlagenden darbietet, seine Wange den Raufenden (50,6), der verachtet ist, von Menschen gemieden, ein Mann der Schmerzen, leiderfahren (53,3), durch Gewalt und Gericht ergriffen, um dessen Rechtsfall sich keiner kümmert (53,8), dem man ein Grab unter Verbrechern gibt (V. 9). Er schleppt die Schmerzen für die anderen (53,4 f.): Zu unserem Heil wurde er gezüchtigt. Seine Verwundung schafft uns Heilung.

Dieser Mann steht also nicht nur wie der König von Dtn 17 als Bruder unter Brüdern, nicht wie der von Ps 72 an der Seite aller Bedrückten, sondern er vollzieht den Rollentausch: er tritt an die Stelle der anderen, er trägt die Strafe und Not, und sie kommen frei. Gerade auf diesem Wege aber wird auch er, der ganz Erniedrigte, den man nicht zählte (V. 3), derjenige, vor dem am Ende die Könige der Erde ihren Mund verschließen (52,15). Das letzte Gottesknechtslied beginnt: Siehe, es siegt mein Knecht! (52,13).

Warum? Es ist nicht eine leere Paradoxie, die doziert wird: Der zutiefst geschändete Knecht ist der wahre Herr. Sie ist erfüllt. Er ist der, dem Jahwe das Ohr geöffnet hat, der den Konsequenzen seines Willens nicht widerspenstig auswich (50,5), das geknickte Rohr nicht zer-

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brach, den glimmenden Docht nicht löschte. So führte er das Barmherzigkeitsrecht Jahwes in Treue aus (42,3) und war deshalb Schmähung und Bespeiung ausgesetzt (50,6). Der als Knecht nicht sein eigenes Recht suchte, den hat Gott zum Herrn gemacht und wird ihn als Herrn erweisen. Wer könnte es vermeiden, von diesen Knechtsliedern zu Phil 2,5–11 hinüberzuschauen? Die explizite und implizite Kritik am Königtum hat hier im Alten Testament ihren unübertrefflichen Gipfel erreicht. Vielleicht wäre noch anzufügen, wie der einsame, fast verzagende Prediger von fern vergleichbare Weisheit in den Alltag des Menschen überträgt (Pred 10,4): Wenn der Zorn des Herrschers gegen dich aufsteht, so verlass deinen Posten nicht! Denn Gelassenheit bringt zur Ruhe große Verfehlungen.

Der stille Sieg über das Aufbrausen der Großen kommt aus dem Wissen um die abgründigen Verkehrtheiten der Herrschaftsverhältnisse (Pred 10,5–7): Es gibt ein Böses, das ich unter der Sonne sah: wie ein Missgriff, der ausgeht vom Herrscher. Der Tor wird in höchste Stellung befördert, und Vornehme sitzen in Niedrigkeit. Ich sah Knechte hoch auf Rossen, und Fürsten gingen zu Fuß wie Knechte.

Es ist ein ungeheuer vielfältiges Nachdenken, das der Glaube an den Gott Israels in der Kritik am Königtum anstiftet.

2. Kritik des Sklavenrechts In der Gegenprobe ist nun die Auseinandersetzung des Alten Testaments mit dem Institut des Sklaventums an wesentlichen Beispielen zu beobachten. Auch die Sklaverei gehört zur Sozialstruktur des alten Nahen Ostens. Sie hat grundsätzlich zwei Wurzeln: Große Zahlen von Sklaven wurden in Kriegen als Gefangene eingebracht; daneben steht die kleinere Zahl derer, die im eigenen Lande in Schuld gerieten und deshalb Leib, Leben und Arbeitskraft in Schuldsklaverei verkaufen

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mussten. Lev 25,6 zählt vier Typen von abhängigen Arbeitskräften auf: den Sklaven ( 2æbæd), die Sklavin (’a¯ma¯h), den Lohnarbeiter (s´a¯kîr) und den Fremdarbeiter (tôsˇa¯b). Dazu ist noch als ein zweiter Typ weiblicher Sklaven die ˇsipha¯h zu erwähnen, das noch unberührte, unfreie Mädchen, das vor ˙allem im Dienst der Hausfrau steht15, während die ’a¯ma¯h dem Hausherrn zugeordnet ist. a) Das Sklavengesetz in Ex 21,2–6 denkt an einen Sklaven, der sich aus wirtschaftlicher Not selbst verkaufen musste. Nach sechs Jahren soll seine Schuld als abgeleistet gelten. Er ist dann zu entlassen (V. 2). Codex Hammurapi § 117 sieht schon nach drei Jahren die Entlassung vor 16. Kam der Sklave als Verheirateter, so wird seine Frau mit ihm entlassen (V. 3). Gab ihm der Herr eine Frau aus dem Kreise der im Hause geborenen Sklavinnen und hatte sie Kinder, dann bleibt sie mit den Kindern im Hause (V. 4; die Kinder bleiben bei der Mutter). Der Unterschied des Sklaven vom Sachbesitz des Herrn wird erst mit dem in V. 5 f. erörterten Kasus deutlich, wo ein Sklave erklärt: Ich liebe meinen Herrn, meine Frau und meine Kinder. Ich will nicht als Freigelassener gehen.

Daraufhin kann der Herr ihm das Ohr am Türpfosten des Hauses durchbohren und mit diesem archaischen Rechtsakt besiegeln, dass der Sklave auf Dauer im Hause bleibt. Die Begriffe des Freien und der Liebe in V. 5 kündigen den Einbruch des Menschlichen in das Sachbesitzdenken an. b) Deutlicher wird es in den Bestimmungen zur Körperverletzung von Sklaven. Ex 21,20 f. sagt: Wenn jemand seinen Sklaven oder seine Sklavin mit dem Stock schlägt, dass sie unter seiner Hand sterben, so muss dies gesühnt werden (na¯qom yinna¯qem; Sam: môt yûmat!). Bleibt der Betreffende aber noch einen oder zwei Tage am Leben, so soll ihn keine Strafe treffen, weil es sein eigener Besitz ist (kî kaspô hû’!).

Beide Fälle handeln von Stockhieben. Der Stock setzt zunächst die Absicht der Züchtigung und nicht die der Tötung voraus. Nur wenn 15. Vgl. Gen 16,1.6; Ps 123,2; Spr 30,23; Jes 24,2, dazu Jepsen, Amah. 16. Vgl. AOT 392; ANET 170 f.

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der Tod sofort eintrat, ist sicher, dass der Herr zu weit ging; dann wird beabsichtigte oder doch fahrlässige Tötung angenommen. Der Tod des Totschlägers wird gefordert. Wahrscheinlich muss die Rechtsgemeinde die Strafe vollziehen. Das Leben des Sklaven gilt demnach grundsätzlich nicht weniger als das Leben des Herrn. Stirbt der Sklave erst später, so wird die Absicht der Tötung nicht angenommen; der Herr trägt den Schaden, da er zum Verlust des eigenen Kapitals (kaspô) beigetragen hat. Hier gilt der alte Gedanke des Besitzrechts. Anders in Ex 21,26 f.: Wenn jemand seinem Sklaven oder seiner Sklavin ins Auge schlägt und es zerstört, so soll er sie zur Entschädigung für das Auge freilassen.

Das gleiche gilt schon, wenn er nur einen Zahn ausschlägt! Hier tritt das Besitzrecht ganz hinter das Personrecht zurück. Die Unfähigkeit eines Herrn zum menschlichen Umgang mit einem Sklaven mag die Bestimmung der Freilassung motiviert haben. Hier geht das Bundesbuch entschieden weiter zugunsten des Sklaven als der Codex Hammurapi. Nach § 199 hat der Herr dem Sklaven beim Zerbrechen eines Knochens oder bei Zerstörung eines Auges die Hälfte seines Kaufwerts zu zahlen. Von Freilassung ist nicht die Rede, geschweige denn davon, dass sie schon für einen ausgeschlagenen Zahn erfolgen solle. In Israel findet das Besitzrecht des Herrn an einem Sklaven eindeutig da seine Grenze, wo er körperlich versehrt wird. c) Noch stärker wird die Menschlichkeit bedacht beim Gesetz über die Sklavin in Ex 21,7–11. Eine Entlassung nach sechs Jahren wie beim Sklaven ist grundsätzlich nicht vorgesehen (V. 7). Gilt sie mehr als Sachbesitz auf Dauer oder wird die persönliche Verbindung und Verpflichtung stärker gesehen? Das zweite ist wahrscheinlicher. Denn V. 8 geht in der Fortsetzung von dem Fall aus, dass der Herr der Sklavin überdrüssig wird; dann kommt zunächst Loskauf durch die Sippe der Sklavin in Betracht; an Fremde darf sie nicht weiterverkauft werden; hier dominiert offensichtlich die Personbeziehung. Als Alternative erscheint in V. 9 die Übergabe an den Sohn; in diesem Falle muss die bisherige Sklavin nach Tochterrecht behandelt werden. V. 10 setzt weiter voraus, dass die Sklavin zunächst als einzige im Hause war. Denn es wird der Fall erwogen, dass der Herr sich noch eine zweite hinzunimmt. In diesem Falle darf er der ersten weder Nahrung noch

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Kleidung noch Beischlaf schmälern. Kann er das Nötige für zwei Sklavinnen nicht leisten, so darf die erste Sklavin ohne Entschädigung frei weggehen. Aufs ganze gesehen ist also keineswegs eine lieblose, sondern eine geradezu fürsorgliche Intimbeziehung vorausgesetzt. Offenbar deswegen darf die Sklavin grundsätzlich nicht wie der Sklave nach sechs Jahren entlassen werden. Die Mann-Frau-Beziehung wird selbst bei der Sklavin vorrangig als dauerhaft gedacht. Endet sie, dann immer nur in Freiheit. Die Ausnahmebestimmungen denken alle an die Interessen der Sklavin und nicht an die ihres Herrn. d) Das Deuteronomium bringt wie zum Königtum so auch zum Sklaventum ganz neue Gedanken zur Geltung. In Dtn 15,12–18 wird verfügt, dass man den »Bruder« 17 nach sechs Jahren (V. 13 f.) nicht mit leeren Händen ziehen lasse. Du sollst ihn mit Gaben von deinem Kleinvieh, deiner Tenne und deiner Kelter reichlich versehen; entsprechend dem Segen, mit dem Jahwe, dein Gott, dich segnete, sollst du ihm geben.

Demnach soll sich das Verhalten zum Sklaven nicht durch den Zwang eines Gesetzes bestimmen lassen, sondern vom Empfang der Geschenke Gottes her. Dazu werden dem Herrn noch zwei Tatsachen eingeschärft, damit ihm die Entlassung seiner Hilfskraft nicht als unbillige Härte erscheine (V. 18a): einmal soll er daran denken, dass er selbst im Lande Ägypten Sklave war und dass Jahwe ihm die Freiheit gab (V. 15b); so konstituiert die Solidarität mit den Vätern zugleich die volle Solidarität mit dem Sklaven. Zum anderen wird eine klare Rechnung vorgelegt: sechs Jahre Sklavendienst sind dem Lohn eines Lohnarbeiters gleich (V. 18a) 18. Noch einmal fügt der Deuteronomiker hinzu (18,6): Zudem segnet dich Jahwe, dein Gott, in allem was du tust.

Auf diese Weise ringt der Prediger nicht nur um einen kalten Gehorsam, sondern um eine klare Gewissensentscheidung und eine innere Zustimmung aus Dankbarkeit und in letzter Verbundenheit mit dem Sklaven vor Jahwe. In diesem Zusammenhang sei kurz an die deuteronomische Fas17. S. oben S. 266 f. 18. misˇnæ meint nicht das Doppelte, sondern das Äquivalent, so von Rad, ATD 8, 77.

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sung des Sabbatgebotes erinnert 19. Sie betont wiederholt, dass vor allem der Sklave und die Sklavin Ruhe haben sollen. Grund ist wieder die Erinnerung an Israels Sklavenschaft in Ägypten (5,14 f.). Wörtlich wird betont, dass dein Sklave und deine Sklavin Ruhe haben sollen gleich wie du (l ema2an ya¯nûah 2abd eka¯ wa’ ama¯teka¯ ka¯môka¯!). ˙

Damit ist einer der ersten Anstöße des Gleichberechtigungsgedankens zur Überwindung der sozialen Gegensätze zur Sprache gebracht. Viel zu wenig Aufsehen erregt hat bisher die deuteronomische Bestimmung für entlaufene Sklaven in Dtn 23,16 f.: Du sollst einen Sklaven, der sich vor seinem Herrn zu dir flüchtet, nicht seinem Herrn ausliefern. Bei dir soll er bleiben dürfen an dem Orte, den er sich in einer deiner Ortschaften, wo es ihm gefällt, aussucht. Du darfst keinen Druck auf ihn ausüben!

Dieses Gesetz ist im alten Orient, soweit wir sehen, einzigartig 20. Überall sonst ist die Auslieferung entlaufener Sklaven selbstverständliche Regel, vgl. auch 1 Sam 30,15. Der freie Israelit aber, der der heilsgeschichtlichen Taten seines Gottes eingedenk ist, soll eher mit dem entlaufenen Sklaven sympathisieren als mit dessen Dienstherrn. Hier ist nicht nur der Trend zur Beachtung menschenwürdiger Behandlung des Sklaven spürbar, den wir schon im Bundesbuch21 beobachten konnten, sondern eine offensichtlich wachsende Tendenz zur Gleichstellung des Sklaven mit den Freien und also hin zur Sklavenbefreiung. So führt im Deuteronomium die ständige Erinnerung daran, dass Jahwe Israel aus der Sklavenschaft Ägyptens befreite, zu klaren Konsequenzen: der Sklave soll reichlich beschenkt entlassen werden und so am »Segen« des Freien teilnehmen, er soll ruhen »gleich wie du«, und ein Entlaufener soll keinerlei Druck ausgesetzt werden. Eine andere Begründung der Gleichstellung von Sklaven und Herren, vor allem vor Gericht 22, findet sich später in Hiobs Reinigungseid Hi 31,13.15: 19. 20. 21. 22.

S. oben S. 200 ff. Vgl. van der Ploeg, Slavery, 83. Auch im Codex Hammurapi, s. oben S. 281 f. Vgl. dazu schon die Warnungen des Richterspiegels im Bundesbuch, weder

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Habe ich meines Sklaven Recht (misˇpat 2abdî) missachtet, und meine Magd, wenn sie Anklage˙ gegen mich erhob (beriba¯m 23 2imma¯dî). Hat nicht auch ihn erschaffen, der mich im Mutterleibe schuf? Hat nicht der Eine uns im Mutterleib bereitet?

Hier weckt der Schöpfungsglaube den Gleichheitsgedanken. e) Das Heiligkeitsgesetz führt einen bestimmten Schritt über das Deuteronomium hinaus. Es zieht eben aus dem Bekenntnis der Herausführung der Sklaven aus Ägypten eine weitere Konsequenz (Lev 25,39 f.): Wenn einer deiner Brüder neben dir verarmt und sich dir verkauft, dann sollst du durch ihn keinesfalls Sklavenarbeit verrichten lassen (lo’ ta2 abod bô 2 abodat 2a¯bæd), (sondern) wie ein Lohnarbeiter (s´a¯kîr), wie ein Fremdarbeiter (tôsˇa¯b) sei er bei dir.

Die Begründung lautet in V. 42: Denn meine Sklaven sind sie, die ich aus dem Lande Ägypten herausgeführt habe. Sie dürfen nicht wie Sklaven verkauft werden.

Und V. 43 zieht die psychologische Folgerung: Du sollst nicht mit Härte über sie herrschen, sondern dich vor deinem Gott fürchten!

Der notwendige Bedarf an Sklaven darf durch Kauf bei den Nachbarvölkern gedeckt werden, auch durch Kinder der Gastarbeiter (tôˇsa¯bîm) und deren Nachkommen, die im Lande geboren sind 24. f ) Auch der Lohnarbeiter (s´a¯kîr) findet seinen Schutz. Sein Tagesverdienst soll ihm regelmäßig und pünktlich ausgezahlt werden. Jeremia warf dem König Jojakim vor, dass er dem Lohnarbeiter den Lohn vorenthielt (Jer 22,13) 25. Dtn 24,14 f. ordnet an, dass einem armen und bedürftigen Tagelöhner, ob er aus dem eigenen Volke oder aus der Masse (Ex 23,2 f.) noch dem Reichen zuliebe (V. 6–8) das Recht zu beugen. 23. Vielleicht ist mit BHK berîba¯h zu lesen. 24. Vgl. die ähnliche Regelung zur Erhebung der Darlehenszinsen in Lev 25,35 ff.; Dtn 23,20 f., s. oben S. 266. 25. S. oben S. 276 f.

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der Fremde ist, am gleichen Tage, ehe die Sonne untergeht, der Verdienst ausgezahlt werden muss. Denn er ist arm und verlangt sehnsüchtig danach. Sonst ruft er Jahwe gegen dich an und auf dir lastet Schuld.

Wieder versetzt sich der deuteronomische Prediger in die Psyche des Bedürftigen. Lev 19,13b warnt kategorisch davor, den Lohn des Arbeiters bis zum folgenden Morgen zurückzuhalten. Ein solches Verhalten steht im Textzusammenhang auf der gleichen Stufe wie Übervorteilung und Raub (V. 13a). Mag der Zahlungstermin dem Dienstherrn unwichtig sein, – der Gesetzgeber denkt an das Bedürfnis des Arbeiters. g) Die Botschaft der Freiheit findet im Heiligkeitsgesetz in Lev 25,8 ff. noch eine merkwürdige Form in der Ausrufung eines großen Jahres der Freilassung (d erôr). Es ist das 50. Jahr, in dem nach sieben mal sieben Jahren jeder zu seiner Sippe frei zurückkehren soll und auch jeder wieder den Besitz seines Grundeigentums zurückerlangen darf. Es ist das große Erlassjahr, das Jobel-Jahr heißt, weil es durch das Blasen des Widderhorns (yôbel) zu eröffnen ist. Als Unterpfand der Freiheit ist es – gerade als utopische Ordnung – ein Zeichen dafür, dass Israel alle Unfreiheit nur als etwas Vorübergehendes betrachten und ertragen kann. Die Hoffnung auf Freiheit bricht sich in immer neuen Formen Bahn, auch in Zeiten größter allgemeiner Bedrängnis wie in und nach dem babylonischen Exil. Jes 61,1 ff. sagt den Freudenboten an, der den Unfreien Befreiung ankündigt und das Jahr der Gnade von Jahwe ausruft, um alle Traurigen zu trösten. In Jo 3,1 f. erfasst die eschatologische Geistausschüttung zur unmittelbaren freien Gotteserkenntnis nicht nur Junge wie Älteste, Frauen wie Männer, sondern auch Sklaven und Sklavinnen ebenso wie die Freien. Schließlich enthält in den Klage-Psalmen der Begriff des Armen und Unterdrückten ( 2a¯nî) mehr und mehr »geradezu einen Rechtsanspruch an Jahwe« 26, weil er sich ihnen vor allem zugeschworen hat (vgl. Ps 22,25; 12,6 u. ö.). Drängt hier nicht alles dem Ziel entgegen, an dem in Christus Jesus der Gegensatz von Sklaven und Freien aufgehoben ist (Gal 3,28)? 26. Von Rad, Theologie des AT I, 413.

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3. Unterwegs zur Freiheit In zwei gegenläufigen Beobachtungsreihen haben wir kritische Impulse in der Auffassung vom Königtum und vom Sklaventum in der alttestamentlichen Verkündigung aufgewiesen. Folgende Grundzüge der Auffassung vom Menschen inmitten der Abhängigkeitsverhältnisse sind festzuhalten: a) Die Gleichstellung von Herren und Knechten wird in der Erkenntnis des Gottes Israels als des Befreiers der Sklaven aus Ägypten begründet, beiläufig auch in der Erkenntnis des einen Schöpfers aller Menschen (Dtn; Hi 31). b) In der Regel liegt der Gedanke an eine politisch-ökonomische Revolution als eine bloße Umkehrung der Herrschaftsverhältnisse völlig fern. Der Abfall des Nordreichs von der davidischen Dynastie unter Rehabeam-Jerobeam (1 Kön 12) ist eine Ausnahme. Sie zeigt, dass im Reich der Rebellen die gleichen Probleme auftreten wie unter der abgeschüttelten Herrschaft (1 Kön 21; Amos). Der sich selbst behauptende Mensch kann sich in Wahrheit nicht selbst befreien. c) Grundlegend für den wahren Umsturz ist die Einsicht, dass jeder von Hause aus selbst ein Sklave ist, der durch Gottes Tat befreit wurde. Im Wissen um des Sklaven Herz gründet die doppelte Revolution von oben: in der veränderten Einstellung zur Psyche des Sklaven und in der Veränderung seiner äußeren Verhältnisse (Dtn; Heiligkeitsgesetz). d) Der wahre Herr aller Herren ist der beispielhafte Bruder (Dtn 17), der die Unterdrückten befreiende Herrscher (Ps 72), der die Last der anderen auf sich nehmende Knecht (Dtjes). e) Charakteristisch für das Alte Testament ist das Nebeneinander konkreter Maßnahmen und utopischer Entwürfe (vgl. z. B. die Sklavengesetze und den Richterspiegel im Bundesbuch mit dem Königsgesetz im Deuteronomium und der Jobeljahrsordnung im Heiligkeitsgesetz). Vorläufige relative Verbesserungen und die Erwartung der vollen Freiheit schließen einander nicht aus, sondern gehören zusammen. 27 27. S. oben S. 288 ff., vgl. im Neuen Testament den Philemonbrief, 1 Kor 7,21– 24; Kol 3,22–4,1; Eph 6,5–9; 1 Tim 6,1 f.; Tit 2,9 f.; 1 Petr 2,18 ff., dazu Schweizer, Sklavenproblem und Eichholz, Paulus, 278 ff.

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f ) Im Ganzen wollen die verschiedenartigen alttestamentlichen Entwürfe Veränderungen der vorgefundenen Verhältnisse im Sinne der befreienden Gottesherrschaft, die sich in der Gottesknechtschaft vollendet. Die Verkündigung der grundlegenden und der kommenden Gottestaten bringt Bewegung in die bestehenden Verhältnisse. g) Das Ziel ist die Gemeinschaft der durch Ausschüttung des Geistes Gottes befreiten Herren und Knechte. Denn beide bedürfen der Befreiung durch unmittelbare Gotteserkenntnis (Jo 3,1 f.; Mal 3,23 f.; Gal 3,28; Kol 3,22–4,1). So sieht das Alte Testament den Menschen inmitten der Sozialspannungen unterwegs zur Freiheit, zwischen den Bekundungen von Jahwes frühen heilsgeschichtlichen Taten und den künftigen, die die Prophetie ansagt.

§ 23 Weise und Toren (Lehrer und Schüler) 1 1. Schule – 2. Lebensführung – 3. Weisheit und Macht – 4. Erkenntnis und Gottesfurcht

Unterwegs zur Freiheit ist der Mensch, solange er ein Lernender ist. Weisheit im Umgang mit der Welt und den Mitmenschen will lebenslang erworben werden. So geschieht Erziehung nicht nur zwischen Eltern und Kindern 2. Wir fragen, wo in Israel Weisheit vermittelt wird und wie sich Weisheit zur Lebensführung des einzelnen, zur öffentlichen Macht und zur Gottesfurcht verhält.

1. Schule Sofern der Weise der gelehrige und kundige Mensch ist, setzt Weisheit Schule voraus. Wie sie in Israel aussah, lässt das Alte Testament nur vermuten. Vielfach wird weise genannt, wer sich auf bestimmte Fertigkeiten versteht, auf die Technik von Metallbearbeitung (1 Kön 7,14), auf Goldschmiedekunst und Schnitzerei (Ex 31,3), aufs Spinnen (Ex 35,25), auf die Seefahrt (Ez 27,8; Ps 107,27), auf Staats- und Kriegsführung (Jes 10,13). Für die meisten Berufe wird »das Vaterhaus« die »Schule« gewesen sein 3. Doch verwendet Israel die Bezeichnung des »Weisen« (ha¯ka¯m) ˙ auch für den Lehrer. So erwähnt ihn Jer 18,18 neben den Berufsständen des Priesters und des Propheten. Als Überlieferer von Lehrstoff finden wir Lehrer am Kopf von Spruchsammlungen erwähnt (Spr 22,16; 24,23). Dass diese Art von »Weisen« am Königshof ihre Schule hatte, geht aus Spr 25,1 hervor, wo eine Sammlung von Sprüchen Salomos auf »die Männer Hiskijas, des Königs von Juda« zurück1. 2. 3.

Literatur: Noth, Bewährung; Skladny, Spruchsammlungen; Schmid, Weisheit; Fohrer, Weisheit; Hermisson, Spruchweisheit; von Rad, Weisheit; Saebø, hkm ˙ und Habel, Wisdom. S. oben S. 252 ff. S. oben S. 254 f.

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geführt wird. Diese Weisen sind also zuerst »Schreiber« (Spr 22,20; Pred 12,10), dann »Forscher«, die den Überlieferungen der Väter nachgehen (Hi 8,8), die aber auch selbst die Zusammenhänge untersuchen (Pred 8,1.5.17; 12,9); so werden sie »Lehrer« (Spr 8,10; Hi 15,18; Pred 12,9), und »Berater« (Jer 18,18; 2 Sam 16,20.23; 17,1– 14). Ihre Hörer sind also nicht nur »Schüler« (limmûd), die Morgen für Morgen »hören« und das rechte Antworten lernen (Jes 50,4), sondern auch Könige (2 Sam 14,2 ff.), Königssöhne (2 Sam 16,15 ff.), königliche Beamte (2 Sam 20,16) und allerlei Menschen, die einen Rat benötigen (2 Sam 20,22). Die Frage nach den Schulen in Israel ist für die Königszeit auf Grund ägyptischer und babylonischer Parallelen, aber auch ausreichender Andeutungen innerhalb des Alten Testaments mit Sicherheit dahin zu klären, dass mit dem Jerusalemer Hof eine Schule für die Prinzen, die Beamten und die Söhne der Vornehmen verbunden war, die vielleicht in nachexilischer Zeit als Tempelschule weiter existierte 4. Aus den Spruchsammlungen des Proverbienbuches geht aber hervor, dass die Arbeit der Lehrer nicht nur höfischen und priesterlichen Kreisen galt 5, sondern dass sie grundsätzlich allen etwas zu sagen hatten 6. Darum bleibt zu erwägen, ob sich nicht in manchen Landstädten Israels jene Ältesten, die die Rechtsprechung im Tor wahrnahmen, auch in der allgemeinen Bildung der Jugend und in der Beratung des Volkes als »Weise« erwiesen 7. Wo immer es sei: Nur durch Einkehr bei der Weisheit wird der unerfahrene, verleitbare, einfältige Mensch (pætî) ein Kundiger (Spr 9,4.16). Spr 13,20 lehrt: Wer mit Weisen umgeht, wird weise, wer sich mit Toren einlässt, dem geht’s übel.

So ist bei den Lehrern weit mehr als ein Berufswissen zu lernen.

4. 5. 6. 7.

Das ist das Ergebnis der Untersuchungen von Hermisson, Spruchweisheit, 113 ff. Skladny, Spruchsammlungen, 66 sieht in Spr 28 f. einen »Regentenspiegel«. Vgl. von Rad, Weisheit, 112. Vgl. Hermisson, aaO 88 ff.; von Rad, aaO 31 ff.

Lebensführung

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2. Lebensführung Weisheit umfasst die ganze Lebensführung. Weisheit und Weg (dæræk = Lebenswandel, Verhalten) gehören zusammen 8. So finden sich denn auch Weise wie Toren in allen Ständen. Spr 14,8 sagt: Des Klugen Weisheit ist, seinen Weg zu bedenken, doch der Toren Dummheit ist Trug.

Solche Lebensweisheit nährt sich nicht nur von der eigenen Einsicht (Spr 28,26): Wer auf seinen Verstand vertraut, ist ein Tor, wer aber in der Weisheit wandelt, wird gerettet.

Der Kluge verzichtet nicht auf die Wegweisung der Erfahrenen (Spr 10,21): Die Lippen des Gerechten weiden viele, aber die Dummen sterben durch Unverstand.

Hier werden die Weisen die Gerechten genannt. Das entspricht einem Grundzug in der alten Sammlung Spr 10–15, wo weithin der Gerechte als der Weise erscheint 9. Denn (10,8) wer weisen Herzens ist, nimmt Gebote an, aber wer törichte Lippen hat, kommt zu Fall.

Und (Spr 14,16): Der Weise fürchtet sich und meidet das Böse, doch der Tor lässt sich gehen und fühlt sich sicher.

Das Wissen dieser Lebensweisheit ist eben »mehr Sache des Charakters als des Intellekts«10. Es geht das ganze Leben an. Alles unbesonnene, übereilte Draufloshandeln ist hier verdächtig (Spr 19,2b): Wer mit seinen Schritten hastet, der tritt fehl.

So wird auch schnell erworbener Besitz beargwöhnt (Spr 13,11):

8. Vgl. Chabel, Wisdom, 135 ff. 9. Vgl. Skladny, aaO7 ff. und Plöger, Sentenzensammlungen, 404 f. 10. Von Rad, Weisheit, 89.

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Weise und Toren (Lehrer und Schüler)

›Erhastetes‹11 Vermögen schwindet dahin, doch wer Hand für Hand sammelt, vermehrt 12.

Am wenigsten bekommt Schnelligkeit dem Reden (Spr 29,20); der Weise ist sparsam mit Worten (10,19): Bei vielem Reden bleibt Sünde nicht aus, doch wer die Lippen zügelt, handelt verständig.

Im rechten Wort zeigt sich die Weisheit immer am genauesten. Klarer Sinn kann sich kurz fassen (Spr 17,27): Wer sparsam spricht, hat klare Kenntnis, kühlen Geist hat der Mann der Vernunft.

Dagegen bereitet sich der Tor mit Geschwätzigkeit den Untergang (Spr 18,7): Dem Toren bringt sein Mund Verderben, seine Lippen sind eine Falle für sein Leben.

Mit der Behutsamkeit und der Zurückhaltung ist auch die Freundlichkeit des Redens ein Kennzeichen und eine Wohltat des Weisen (Spr 16,24): Eine Honigwabe sind freundliche Worte, süß der Seele und Heilung dem Gebein.

So entscheidet sich gerade auch am Wort des Weisen oder Toren Heil und Unheil, ja Leben und Tod des ganzen Menschen13. Wer Mensch werden und bleiben will, der sollte in Besonnenheit auf seinen Weg und auf seine Zunge achten, vor allem aber auf die Worte der Weisheit, die eine praktische Lebenskunst ist. Der Lebensbezug der Sentenzen zeigt sich sogar darin, dass sie mit ihrer Form oft unmittelbar erfreuen und mit ihren zuweilen witzigen Vergleichen belustigen, etwa Spr 26,11: Wie ein Hund, der zurückkehrt zu seinem Gespei, ist der Tor, der seine Dummheit wiederholt.

Oder Spr 27,15: 11. S. BHK. 12. Vgl. auch 21,5; 28,20.22. 13. Vgl. oben S. 172 f.

Weisheit und Macht

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Wie ein undichtes Dach beim Platzregen vertreibt, genau so ist ein zänkisches Weib 14.

3. Weisheit und Macht Die Weisheit hat öffentliche Bedeutung. Sie ist die wahre Vormacht im Sozialgefüge und zeigt sich der Gewalt wie dem Reichtum überlegen, vgl. Spr 24,1–6: Sei nicht eifersüchtig auf Männer der Bosheit, begehre nicht, bei ihnen zu sein! 2 Denn Gewalttat plant ihr Verstand, und Unheil reden ihre Lippen. 3 Durch Weisheit wird ein Haus gebaut, und durch Einsicht wird es gefestigt. 4 Durch Kenntnis werden die Kammern gefüllt mit aller Habe, die wert und begehrt. 5 Ein Weiser ist mächtiger als ein Starker, ein Verständiger mehr als ein Kraftmensch 15. 6 Denn mit Lenkungskunst führst du deinen Krieg; und Rettung kommt durch viele Berater.

Solchen Einsichten entspricht es, dass die israelitische Weisheit keine Erziehung zu eigentlich soldatischen »Tugenden« und Leistungen, keine Anleitung zum kriegerischen Verhalten kennt16. Stattdessen will sie die Einsicht in die Verächtlichkeit und Unsinnigkeit aller Gewaltakte fördern (Spr 16,32): Besser ein Langmütiger als ein Kriegsheld, und der sich selbst beherrscht, als wer eine Stadt erobert.

Die kritische Minderbewertung des Kriegerischen zieht sich jedoch nicht in eine privatisierende Innerlichkeit zurück. Vielmehr ist sie gewiss, die öffentlichen Ziele besser zu erreichen (Spr 21,22): Eine Stadt von Helden ersteigt ein Weiser und stürzt das Bollwerk ihres Vertrauens.

14. Vgl. von Rad, Theologie des AT I, 436 f. 15. Zum Text vgl. BHK. 16. Vgl. von Rad, Weisheit, 115.

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Weise und Toren (Lehrer und Schüler)

Wahre Siege sind immer nur durch »weise« politische Lösungen und nie durch militärische Einsätze zu erzielen. Das gilt auch für das wirtschaftliche Haushalten (Spr 16,16): Erwerb von Weisheit ist besser als Gold, Erwerb von Einsicht mehr wert als Silber.

Wie ein Haus seine Festigkeit nicht der Größe der Quadersteine und nicht dem Krafteinsatz der Bauarbeiter verdankt, sondern der Statik des Architekten und der Besonnenheit der Maurer (Spr 24,3), so setzt alles Wirtschaften zunächst Kenntnis dessen voraus, was sinnvoll und ohne Wertminderung gelagert werden kann (24,4), auch Verzichtleistung auf Zeit (Spr 21,20): Kostbarer Schatz (und Öl) ist in der Wohnung des Weisen, ein törichter Mensch vergeudet es.

Josefs Kunst zu wirtschaften erwies sich als Wohltat für Ägypten und für alle Welt (Gen 41,39 ff.). Der Weise kennt die aufbauende Kraft des Guten und die zerstörende Gewalt des Bösen. »Gut ist das, was gut tut.« 17 Darum hat die Entscheidung des Besonnenen für das Bessere eine hohe soziale Bedeutung. Die Herrschenden müssen deshalb vor allem anderen die Einsicht der Weisen erwerben18. Recht und Gerechtigkeit sind der Sockel ihres Throns (Jes 9,6). Wie der kluge Bauer im Dreschverfahren Spreu und Weizen scheidet, so (Spr 20,26) worfelt ein weiser König die Frevler aus und lässt das Rad 19 über sie gehen.

Zur Paradoxie der Weisheit gehört es, dass nicht die Starken und Reichen den Thron eines Königs sichern, sondern die Hilflosen und Armen, wenn nämlich der König für sie eintritt (Spr 29,14): Ein König, der den kleinen Leuten verlässlich Recht schafft, dessen Thron hat für immer Bestand. 17. Von Rad, Weisheit, 106. 18. Vgl. zu Salomos Regierungskunst 1 Kön 3 und oben S. 85. Einander Rätsel aufzugeben, ist nicht nur königliches Spiel. Die Königin von Saba prüft mit Rätselfragen (hîdôt), ob die Weisheit Salomos dem Gerücht von ihm entspricht (1 Kön˙ 10,1). 19. Vgl. Jes 28,27 und Dalman, Arbeit und Sitte III, 88 f.

Weisheit und Macht

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Führen die Lehrer der Hofschule damit nicht eine geradezu messianische Komponente in die Regierungskunst ein? 20 Sie wissen, dass Weisheit ein stets aktuelles Politikum ist. Gewiss ist das eigentliche Territorium von Jahwes Weisheit das »Herz« als Verstand und Wille 21 des Einzelnen, aber gerade so wirkt sie ins Große der Geschichte hinein. Der Verfasser der Geschichte von Davids Thronfolge weiß dieses Phänomen darzustellen 22. Die Stimmen weiser Frauen werden ins Geschehen eingeschaltet (2 Sam 14,2 ff.; 20,16 ff.). Davids und seiner Söhne Versagen und Scheitern wird an weisheitlichen Kategorien erkannt: Davids geheimer Ehebruch wirkt weit in die große Politik hinein (2 Sam 11 f.), ebenso seine Schwäche in der Erziehung der Söhne Amnon und Adonija (2 Sam 13,21; 1 Kön 1,6) 23 und der Hochmut von Absalom und Adonija (2 Sam 15,1; 1 Kön 1,5). Absalom lässt sich im Kampf gegen den Vater von zwei Weisen beraten, von Ahitofel und von Huschai (2 Sam 16,20–17,12). Weisheit vollzieht sich wohl im Privatissimum, ist aber gerade damit das Herz der Weltbeherrschung, die dem Menschen aufgetragen ist. Will der Mensch sich als Gottes Ebenbild und also als guter Verwalter von Schöpfung und Geschichte erweisen, so bedarf er der Absage an die Untaten von Dummheit und Torheit und der Aufklärung durch eine alle Lebensentscheidungen durchdringende Weisheit. Doch inmitten solcher Erkenntnis tut sich ein Dunkel auf. Nach 2 Sam 17,14 entscheiden sich Absalom und die Männer Israels für den Rat Huschais, weil Jahwe den besseren Rat des Ahitofel vereitelte, um Unheil über Absalom zu bringen. So kann Jahwe auch die hervorragende Weisheit der Ratgeber Pharaos verwirren (Jes 19,11–14). Über die politische Zukunft Salomos kann die Entdeckung »Jahwe liebte ihn« (2 Sam 12,24) mehr entscheiden als alle Klugheit seiner Konkurrenten miteinander. Doch liegen gerade solche unaufklärbaren Dunkelheiten nicht außerhalb der Weisheit Israels.

20. 21. 22. 23.

S. oben S. 278 f. zu Ps 72, vgl. Jes 11,3 f. S. oben S. 83 ff. Vgl. zum Folgenden Hermisson, Weisheit, 137 ff. S. oben S. 255.

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4. Erkenntnis und Gottesfurcht Denn nach oft eingeschärfter Erfahrung ist das Kopfstück der Erkenntnis die Gottesfurcht (Spr 1,7; 9,10; 15,33; Hi 28,28; Ps 111,10). Das gilt für berufliches Können, für verständige Lebensführung wie für die sozialen und politischen Entscheidungen. Wer den Menschen in seinen Möglichkeiten recht beurteilen will, muss die Bedeutung der Gottesfurcht für seine Einsichten ermessen. Wie kann das geschehen? Ausgangspunkt für die Lehrer Israels war die Gewissheit, dass die Gegenstände der Erkenntnis, also die ganze Welt des Menschen Schöpfung Gottes ist. In dieser Schöpfung aber walten Ordnungen, die dem vernehmenden Menschen ihre Regeln kundtun (Ps 104,24): Alle deine Werke hast du in Weisheit gemacht.

Vgl. Ps 145,10–12: Es loben dich, Jahwe, alle deine Werke, deine Getreuen preisen dich. Sie sprechen vom Glanz deines Reiches und reden von deiner Kraft, damit sie den Menschen kundtun ›deine‹ 24 Kraft, Glanz und Hoheit ›deines‹ 25 Reiches.

Die Gottesfurcht als Anfang der Erkenntnis weckt also zuallererst ein Vertrauen, sich der Lehre und dem Anruf aus der Welt der Phänomene aufzuschließen (Spr 8; Hi 28; 12,7–9) 26. Dass Welterkenntnis Weisheit für den Menschen werden kann, liegt objektiv in der Welt als Schöpfung begründet. Aber auch subjektiv ist Gottesfurcht Anfang der Einsicht (Spr 2,6): Denn Weisheit verleiht Jahwe, aus seinem Munde kommen Erkenntnis und Einsicht. 24. Mit LXX u. a. 25. Mit LXX u. a. 26. Dass die Welt eine Wahrheit aus sich entlässt und dass die Weisheit des Weisen darin besteht, sich von den in den Dingen waltenden Ordnungen zurechtbringen zu lassen, da er darin dem Schöpfungsgeheimnis vertrauen darf, hat von Rad im Kernstück seines Buches »Weisheit in Israel« neu sehen gelehrt, vgl. 189 ff.: »Die Selbstoffenbarung der Schöpfung«, auch 376 f. 382 ff. 404 f. Darauf sei mit Nachdruck hingewiesen, da hier nur Andeutungen möglich sind.

Erkenntnis und Gottesfurcht

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Woher anders als aus seinem Wort sollte der Mensch den Verstand dafür gewinnen, dass die Welt seine Schöpfung ist? Woher sonst könnte er den Mut gewinnen, sich den Regeln anzuvertrauen, die er hier vernimmt? Wer sollte ihm die Offenheit für die ihm begegnende Wirklichkeit und die Unabhängigkeit von allen in sich verkrümmten Torheiten gewähren? Erkenntnisvermögen ist ebenso eine Schöpfung Jahwes wie alle Erkenntnisgegenstände es sind. Damit aber bringt die Gottesfurcht dem Menschen zugleich die Einsicht in die Grenzen seiner Erkenntnis (Hi 38 f.; Spr 25,2): Gottes Ehre ist es, eine Sache zu verbergen.

Wer der dunklen Ränder der Wirklichkeit und der undurchdringlichen Hüllen der Zusammenhänge nicht gewahr wird, hat die tatsächliche Welt gegen ein selbstgefertigtes Trugbild ausgetauscht. Hiob bleibt darin der Lehrmeister aller Weisen. Er bekennt (Hi 26,14–16): Die Meere peitscht er auf durch seine Kraft, und schlägt durch seine Einsicht Rahab nieder. Durch seinen Wind fegt er den Himmel blank, und seine Hand durchbohrt die flüchtge Schlange. Doch das sind nur die Säume seiner Wege. Welch Flüsterwort nur hörten wir von ihm! Den Donner seiner Taten, wer versteht ihn?

Gottesfurcht ist Kopfstück der Weisheit, weil Weisheit zuerst und zuletzt Weisheit Gottes ist, an der der Mensch auf Grund weniger vernommener Flüsterworte partizipiert. Nächst Hiob weiß Kohelet um die Grenzen, die dem Weisen gezogen sind: die Zukunft ist ihm verschlossen (8,7), den Gesamtzusammenhang aller Geschehnisse vom Anfang bis zum Ende kann er nicht aufdecken (3,11), und er vermag nicht herauszufinden, was in allem, was unter der Sonne geschieht, das Werk Gottes ist (8,16 f.). So wird der wahrhaft Weise vom »Inkognito Gottes« bedrängt und doch zugleich ein »Hymniker der göttlichen Geheimnisse« 27 (Spr 30,1–4):

27. Von Rad, Weisheit, 372 f., vgl. auch 146: »Gottesfurcht befähigte eben nicht nur zur Erkenntnis, sie hatte auch eine eminent kritische Funktion, indem sie in dem Erkennenden das Bewusstsein wach hielt, dass sich sein Erkenntnisvermögen einer Welt zuwendet, in der das Geheimnis dominiert.«

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Weise und Toren (Lehrer und Schüler)

Ich mühte mich ab mit Gott, ich mühte mich ab mit Gott, dass ich’s erfasste. Denn dümmer bin ich als irgendeiner und habe nicht Menschenverstand. Ich habe nicht Weisheit gelernt, dass ich Kenntnis des Heiligen habe. Wer stieg zum Himmel und wieder herab? Wer sammelte den Wind in seine Fäuste? Wer band die Wasser in ein Gewand? Wer setzte die Enden der Erde fest? Was ist sein Name und der seines Sohnes? Weißt du es wohl?

Demut ist die unentbehrliche Begleiterin der Weisheit (Spr 18,12): Vor dem Sturz ist stolz eines Mannes Herz, doch der Ehre geht Demut voran.

So zeichnet auch der Erzähler der Thronfolgeerzählung David auf der Flucht vor Absalom als einen demütigen Menschen (2 Sam 15,25 f.30; 16,10–12) 28, der als solcher Sieger bleibt. Hingegen belegen Absalom und Adonija 29 die Wahrheit (Spr 16,18): Vor dem Zusammenbruch Hochmut, und Anmaßung vor dem Fall.

Stolz ist ein Zwilling der Torheit. Denn der Hochmut, der die Gottesfurcht fahren lässt, beraubt den Menschen zugleich seiner Zukunft. Mensch bleiben kann nur der Demütige, den die Weisheit in der Furcht Jahwes zurechtbringt30.

28. Vgl. Hermisson, Weisheit, 140 f. 29. S. oben S. 295. 30. Vgl. Barth, KD IV/4, 31: »Es gibt keinen intimeren Freund des gesunden Menschenverstandes als den Heiligen Geist und keine gründlichere Normalisierung des Menschen als die im Widerfahrnis seines Werkes.«, dazu Gollwitzer, Holz, 361: »Das Hören des Wortes Gottes bewahrt die Freiheit der Vernunft vor den aus unerfüllten Glaubensbedürfnissen ständig drohenden Dogmatisierungen und Überforderungen der Wissenschaft und hindert den Menschen, von der Wissenschaft mehr zu erwarten, als sie geben kann.«

§ 24 Der Einzelne und die Gemeinschaft 1 1. Der Einzelne in der Gesellschaftsordnung Israels – 2. Der Einzelne als Verstoßener – 3. Der Einzelne als Berufener

Der Einzelne lebt im alten Israel durchweg fest eingegliedert in den Verband seiner Familie und damit seines Volkes. Wo er abgesondert wird oder vereinsamt, geschieht etwas Ungewöhnliches, wenn nicht Bedrohliches, zuletzt jedoch auch etwas für die Menschwerdung des Menschen Notwendiges.

1. Der Einzelne in der Gesellschaftsordnung Israels In einer kleinen altisraelitischen Soziologie fragen wir zunächst nach den Gemeinschaftskreisen, von denen der einzelne umschlossen ist. In der Erzählung von Achans Diebstahl erfahren wir anschaulich, wie Josua im Losverfahren innerhalb des ganzen Volkes durch stufenweise Auslese auf den einen Schuldigen stößt. Zunächst lässt er das ganze Volk (Jos 7,16–18) Israel antreten nach Stämmen; da wurde der Stamm Juda getroffen. Darauf ließ er die ›Sippen‹ 2 Judas antreten, da ›wurde‹ die Sippe des Serach ›getroffen‹2 . Darauf ließ er die Sippe des Serach nach ›Familien‹2 antreten, da wurde die ›Familie‹2 des Sabdi getroffen. Darauf ließ er dessen Familie Mann für Mann antreten, da wurde getroffen Achan, der Sohn Karmis, des Sohnes Sabdis, des Sohnes Serachs vom Stamme Juda.

Der Text verdeutlicht die Gliederung: a) Der Einzelne ist Glied seiner Familie; sie heißt »Haus« (bayit) oder »Vaterhaus« (bet ’a¯b) (Gen 24,38.40). Jos 7,17 f. zeigt, dass da1. 2.

Literatur: Rost, Vorstufen; Wächter, Gemeinschaft; de Vaux, Lebensordnungen, 20–107; Seidel, Einsamkeit; Zobel, ba¯da¯d; Hoffner, bayit und Jenni, bájit. S. BHK.

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Der Einzelne und die Gemeinschaft

mit die Großfamilie gemeint ist; denn nicht Achans Vater Karmi, sondern der Großvater Sabdi verleiht dem »Haus« den Namen. Er ist das »Oberhaupt« (rô’sˇ) der Großfamilie (vgl. 1 Chr 24,31; Num 25,15). Da Achan als erwachsen anzusehen ist, kann er selbst Kinder haben, so dass vier Generationen in der Großfamilie zusammenleben; zu den Männern kommen die angeheirateten Frauen und die unverheirateten Töchter, ferner Sklaven und Sklavinnen, Beisassen und Fremdarbeiter 3. Bedenkt man, dass die Kinderzahlen groß waren, dass ein Israelit leicht mit 20 Jahren Vater, mit 40 Großvater und mit 60 Urgroßvater wurde4 und dass die jüngeren Brüder des Familienoberhauptes mit ihren Nachkommen zur Großfamilie gehören konnten, so wird gut verständlich, dass eine solche Großfamilie eine »Fünfzigschaft« zum Heerbann stellte (1 Sam 8,12) 5. b) Die Großfamilien sind Glieder einer Sippe (misˇpa¯ha¯h), so wie ˙ die Sippe in Jos 7,17 das »Haus« Sabdi zur Sippe Serach gehört. Da eine Tausendschaft zum Heerbann stellt (Mi 5,1; 1 Sam 8,12, vgl. Am 5,3; 1 Sam 10,19), mögen im Schnitt etwa 20 Großfamilien die Sippe gebildet haben. Die Sippe siedelt gemeinsam, so wie die Sippe Efrata, zu der David aus der Großfamilie Isais gehört, gemeinsam in Bethlehem wohnt (Mi 5,1). Die Leitung liegt in den Händen der Ältesten, die auch die Gerichtsbarkeit ausüben (1 Kön 21,8 ff.). c) Die Sippen sind im Stamm (sˇebæt, später mattæh 6) zusammen˙ (Jos 7,16 ˙˙f.) wie die Sippe geschlossen. So gehörte die Sippe Serach Efrata (Mi 5,1) zum Stamm Juda und Sauls Sippe Matri zum Stamm Benjamin (1 Sam 10,21), vgl. Num 26,5 f.57 f. Die Stämme bildeten in halbnomadischer Zeit eine Wandergemeinschaft, wie noch die Wanderung des Stammes Dan aus dem Hügelland zwischen Gebirge und Küstenebene westlich von Jerusalem in die Gegend der Jordanquellen zeigt 7. Die Stämme wohnten dann mit ihren Sippen in einer Landschaft; diese Landschaft gab zuweilen dem Stamm den Namen, wie Juda wahrscheinlich nach dem Südteil des westjordanischen Gebirges und Efraim nach dessen Mittelteil benannt wurde 8. An der 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Vgl. Hoffner, bayit, 636 und Jenni, bájit, 7. Vgl. Köhler, Mensch, 48 ff. Vgl. Noth, Geschichte Israels, 103. Seit der Priesterschrift, vgl. Rost, Vorstufen, 41 ff. Vgl. Ri 1,34 f.; 18,2.27 ff. und Noth, Geschichte Israels, 66 f.150 f. Vgl. Noth, Geschichte Israels, 56 f.60 f.

Der Einzelne in der Gesellschaftsordnung Israels

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Spitze jeden Stammes stand ein Stammesfürst (na¯´sî’) (Num 7,2; 31,13; 32,2; Ex 22,27). Sein Name erinnert vielleicht an seine Funktion, im Stämmebund als Sprecher aufzutreten, der »die Stimme erhob« (ns´’ qôl) 9. d) Die Gemeinschaft der Stämme heißt »Israel« oder »Haus Israel«; als »Volk Jahwes« bildet es eine Einheit (Jos 24,9 f.31; Ri 5,11; 2 Sam 1,12) 10. Die Kriegführung scheint in älterer Zeit mehr Sache der einzelnen Stämme und kleinerer Stämmegruppen gewesen zu sein, während »Israel« im wesentlichen als Gottes Volk durch das gemeinsame Bekenntnis zu Jahwes Heilstaten (Ri 5,11) und durch die Verkündigung des Gottesrechts zusammengeschlossen war. An der Spitze des Stämmebundes stand in vorstaatlicher Zeit wahrscheinlich der »Richter Israels« (Mi 4,14), der nach der Liste der sog. »kleinen Richter« in Ri 10,1–5; 12,7–15 vermutlich reihum aus den Stämmen durch den Amphiktyonenrat der Stammessprecher gewählt wurde 11. Der »Richter Israels« hatte wahrscheinlich schwierige, vom tradierten Recht noch nicht geklärte Fälle zu entscheiden und für die periodische Verkündung des Gottesrechts in Israel zu sorgen (vgl. Dtn 31,9–13; 1 Sam 7,15–17). Doch diese Verhältnisse sind historisch nicht exakt zu klären. e) In staatlicher Zeit scheint der König mehr und mehr oberste Rechtsinstanz geworden zu sein (2 Sam 15,2 ff.; Jer 26,10 ff.20 ff.). Doch zeigt die Überlieferung, dass in der Königszeit vor allem eine Reihe von Propheten als Ankläger das Gottesrecht zur Sprache brachten, gerade auch den Königen gegenüber (Hos 7,3 ff.; 8,4 ff.; Jes 1,21 ff.; 3,13 ff.; Jer 22). f ) In nachexilischer Zeit ist Israel als »Gemeinde« ( 2eda¯h) konstituiert 12. Neben den vom fremden Großreich als Besatzungsmacht eingesetzten Statthalter leiten die Gemeinde der Hohepriester (Hag 1,1) und ein Ältestenrat (Jo 1,2). In den einzelnen Abschnitten der Geschichte Israels wie in den gro9. So Noth, Geschichte Israels, 95, vgl. ders., Stämme Israels, 151 ff. und Rost, Vorstufen, 69 ff. 10. Zum Problem der Zahl der Stämme, die zwischen zehn (Ri 5) und zwölf schankt, und vor allem zum Problem der Funktion des Stämmebundes vgl. Smend, Jahwekrieg. 11. Vgl. Noth, Amt, zum Folgenden vgl. Macholz, Gerichtsverfassung, 180 f. 12. Vgl. Rost, Vorstufen, 32 ff.

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Der Einzelne und die Gemeinschaft

ßen Umbrüchen von der vorstaatlichen Zeit zur Königszeit und weiter zum babylonischen Exil und der nachexilischen Zeit entsprach das Geschick des einzelnen Israeliten wesentlich dem seines Volkes. Bezeichnend ist das Bekenntnis, das nach Dtn 26,5–10 der Bauer bei der Ablieferung der Erstlingsfrüchte im Heiligtum ablegt, wobei der Wechsel vom Ich zum Wir und wieder zum Ich typisch dafür ist, dass die Geschichte des Einzelnen mit der des Gottesvolkes zusammenfällt, in ihrem Wandel, in der Not und im Gewinn: Ein abgesprengter Aramäer war mein Ahn. Er ging hinab nach Ägypten. … Die Ägypter misshandelten und bedrückten uns … Da schrien wir zu Jahwe, dem Gott unserer Väter … und Jahwe führte uns aus Ägypten heraus … Er brachte uns an diesen Ort und gab uns dieses Land … Und jetzt bringe ich hier die Erstlinge der Früchte des Landes, das du, Jahwe, mir gegeben hast.

Es war immer ein ungewöhnlicher Vorgang, wenn aus dem Ganzen des Volkes, des Stammes, der Sippe, der Familie ein Einzelner gesucht und besonders genommen wurde. Es konnte ein besonderes Unheil sein wie bei der Suche des Verbrechers Achan (Jos 7,10–18) oder auch eine besondere Erwählung Jahwes, wie bei dem Losverfahren, das Saul zum König bestimmte (1 Sam 10,17–24). Die beiden Möglichkeiten der Absonderung eines Einzelnen vom Ganzen oder für das Ganze sind zu bedenken.

2. Der Einzelne als Verstoßener Der Einzelne als Ausgestoßener begegnet zuerst dort, wo er sich wie Achan gegen Grundsätze des Gottesrechts vergeht und damit »eine Schandtat in Israel« begeht, von der man sagen muss: »So etwas tut man nicht in Israel.« 13 Ebenso kennzeichnend ist die im Deuteronomium vielfach wiederkehrende Wendung, dass Israel »das Böse aus seiner Mitte wegschaffen« solle, z. B. 17,12: Der Mensch, der in Vermessenheit handelt und auf den Priester, der dort im Dienste Jahwes, deines Gottes steht, oder auf den Richter nicht hört, – ein solcher Mensch soll sterben. So sollst du das Böse aus Israel wegschaffen. 13. Vgl. oben S. 284 Anm. 23.

Der Einzelne als Verstoßener

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Hier geht es am Ort, den Jahwe erwählt (17,8 ff.), um höchstinstanzliche Entscheidungen des Zentralgerichts, die in der Ortsgerichtsbarkeit nicht getroffen werden konnten (16,18 ff.), vgl. ferner Dtn 13,6; 17,7; 19,19; 22,22 u. ö. Um die Lebensgemeinschaft im Ganzen zu schützen, muss der, der sie mit Unrecht gefährdet, als Einzelner festgestellt und ausgesondert werden. Das Gottesrecht hat schon in seinen ältesten Fassungen wie im Fluchdodekalog Dtn 27,15–26 den Einzelnen angesprochen. Nun gibt es aber auch Einsamkeit wegen fälschlicher Anklage. Der Beter des 25. Psalms, der sich von Feinden umzingelt sieht (V. 2.19), die seine Unschuld in einer bestimmten Sache bestreiten und ihm darum Schlingen legen (V. 15.21), ruft Jahwe an (V. 15 f.): Meine Augen blicken stets auf Jahwe, denn er führt meine Füße aus der Schlinge heraus. Wende dich zu mir und erbarme dich meiner, denn ich bin einsam und elend.

Das Wort »einsam« (ya¯hîd) meint hier die Not der Vereinzelung und ˙ und Elend bedeutet, wie überhaupt EinIsolierung 14, die Jammer samkeit als eine ersehnte und beglückende Wohltat dem Alten Testament fremd ist. Allein zu sein und niemanden bei sich zu haben, führt in Gefahren, die besonders der Flüchtige kennt. Als David, durch Saul verfolgt, beim Priester Ahimelech in Nob einkehrt, fragt ihn dieser (1 Sam 21,2): Warum bist du allein und hast niemanden bei dir?

»Allein« (l ebad) bedeutet hier soviel wie getrennt, versprengt, denn bad ist das vom Ganzen abgetrennte Teilstück 15. Der Vereinzelte ist leicht zu überwältigen. Darum zielt Ahitofels Rat an Absalom darauf, David in der Nacht mit 12000 Mann zu überfallen, so dass die Begleiter Davids in Panik die Flucht ergreifen (2 Sam 17,2b): Dann werde ich den König allein (l ebaddô) erschlagen.

Klagelieder sprechen oft von der Not der Einsamkeit. Am ergreifendsten betet in Ps 102 ein von Feinden verhöhnter (V. 9) Todkranker (V. 7–8): 14. Vgl. Seidel, Einsamkeit, 32. 15. Vgl. KBL3 und Zobel, ba¯da¯d, 511 f.

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Der Einzelne und die Gemeinschaft

Ich gleiche der Dohle 16 in der Wüste, ich bin wie eine Eule in Ruinen. Ich finde keinen Schlaf und ich ›klage‹ 17 wie ein einsamer (bôded) Vogel auf dem Dache.

Die Wüste, die Ruinen, der einsame Vogel vergegenwärtigen die Existenz völliger Verlassenheit. Sie ist das gesetzlich geregelte Geschick der Aussätzigen (Lev 13,46): Während der ganzen Zeit, in der er die Seuche hat, ist er unrein. Da er unrein ist, soll er abgesondert (ba¯da¯d) wohnen; außerhalb des Lagers ist sein Wohnplatz.

Obwohl Einsamkeit nie gepriesen, auch nicht zur Meditation oder Askese gesucht wird, findet der auf Jahwe vertrauende Mensch doch ein Ja zu solcher Not. Klgl 3,28 führt den Einsamen mit den gleichen Worten ein, mit denen Lev 13,46 vom Aussätzigen spricht (yesˇeb ba¯da¯d). Doch nun heißt es von ihm (Klgl 3,25–33): Gut ist Jahwe zu dem, der auf ihn harrt, zu der Seele, die ihn sucht. Gut ist es, ›schweigend zu hoffen‹ 18 auf Jahwes Hilfe. Gut ist es dem Manne, dass er trägt ein Joch in seiner Jugendzeit. Er sitze einsam (yesˇeb ba¯da¯d) und schweige, weil er es ihm auferlegt. Er lege seinen Mund in den Staub. Vielleicht gibt es Hoffnung. … Denn nicht für immer verstößt der Herr. Wenn er betrübt, erbarmt er sich wieder nach der Fülle seiner Heilstaten. Denn nicht von sich aus 19 drückt er nieder und betrübt er die Menschenkinder.

Im Ps 42/43 spricht einer, der in die Ferne verschleppt (42,7) ist. In seiner Verlassenheit entbehrt er besonders die Gottesdienste der Ge16. Das hebräische Wort ist ungeklärt; es wird einen »unreinen Wüstenvogel« meinen, vgl. Kraus, BK XV, 694. 17. S. BHK. 18. Vgl. Kraus, BK XX, 51.53. 19. Zu millibbô s. oben S. 98.

Der Einzelne als Berufener

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meinde (42,5). Wenn er in seiner Einsamkeit nach Gott »dürstet« (42,2 f.), so bedeutet das konkret, dass er wieder an den Wallfahrten zum Heiligtum teilnehmen möchte, um dort des Gottes seiner Freude gewiss werden zu können (43,3 f.). In der Erwartung, dass er eines Tages seinen Gott dort preisen wird, kann er sich selbst in der Qual der Abgeschiedenheit zum Hoffen ermuntern (42,6.12; 43,5). Auch in dem Gebet des Angeklagten, das wir in Ps 4 finden, bricht am Ende das Vertrauen durch (V. 9): In Frieden schlafe ich, sobald ich liege, denn du, Jahwe, – obwohl ich vereinsamt bin (l eba¯da¯d), lässt mich in Sicherheit wohnen20.

So zeigt das Alte Testament Einsamkeit als Vereinzelung in der Folge von gerechten oder falschen Anklagen, von Verfolgungen oder von Krankheiten. Immer bedeutet sie Not. Aber Jahwe ist auch für den Versprengten, Abgesonderten, Isolierten erreichbar. Mit ihm kann Einsamkeit ertragen und überwunden werden.

3. Der Einzelne als Berufener Auch Erwählung kann zur Vereinsamung führen. Hier zeigt sich Jahwe als der Urheber einer Vereinzelung von Menschen. Dieses Thema gewinnt im Alten Testament eine erhebliche Bedeutung. Der Jahwist stellt ganz an den Anfang der Vätergeschichte und damit der Segensgeschichte Israels den Befehl Jahwes an Abraham zu einer dreifach betonten Trennung (Gen 12,1): Ziehe fort aus deinem Land, fort aus deiner Verwandtschaft, fort aus deinem Vaterhause in das Land, das ich dir zeigen werde.

Diese Absonderung aber ist nicht nur kein Fluch, sondern wird mit einer vielfachen Segenszusage verbunden und korrespondiert schließlich mit der Zusage, dass in diesem Abraham »alle Sippen der Erde Segen gewinnen können« (V. 2 f.). Das Thema wiederholt sich in versprengten Notizen anderweitiger (elohistischer?) Herkunft: In Gen 15,2 klagt Abraham, dass er einsam, kinderlos ( 2 arîrî) dahinzieht, 20. Vgl. Seidel, Einsamkeit, 29 f.

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Der Einzelne und die Gemeinschaft

und er erfährt dann unter dem nächtlichen Himmel, dass seine Nachkommenschaft zahlreich wie die unzählbaren Sterne sein werde (V. 5). Noch die Versprengten im Exil sollen sich in ihrer Einsamkeit und Verlassenheit an die Geschichte Abrahams erinnern (Jes 51,2b): Als einen Einzelnen habe ich ihn berufen, ich habe ihn gesegnet und habe ihn gemehrt 21.

Auch die Geschichte Jakobs weiß von einer großen Einsamkeit, in der er, getrennt von seinen beiden Frauen, seinen Mägden und seinen elf Kindern, in der Nacht an der Furt des Jabbok »allein (l eba¯ddô) zurückblieb« (Gen 32,25a), um von dem großen Unbekannten, der ihn überfiel (V. 25b), zugleich geschlagen (V. 26) und gesegnet zu werden (V. 30b). So ist jede Geschichte der Erwählung zunächst eine Geschichte der Absonderung, wie jede Berufung und Offenbarung zuerst in die Einsamkeit holt. Im Rahmen der Sinaioffenbarung betont Ex 24,2: Nur Mose allein (l eba¯ddô) soll zu Jahwe herantreten. Jene anderen dürfen sich nicht nahen. Und das Volk soll überhaupt nicht mit ihm hinaufsteigen.

Der Offenbarungsempfänger wird nicht nur weit vom Volk entfernt, sondern auch noch von denen getrennt, die zunächst noch mit ihm auf den Berg stiegen, von Aaron, Nadab, Abihu und 70 Ältesten, wie es der heutige Kontext schildert (V. 1). Auch die Weitergabe einer Offenbarungsbotschaft an einen, dem ein besonderer Auftrag zugedacht ist, kann unter strengem Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen. So tritt der Prophet Ahia von Silo an Jerobeam heran (1 Kön 11,29), als Jerobeam einmal von Jerusalem fortging … und die beiden allein (l ebadda¯m) auf freiem Felde waren.

Ahia zerreißt in dieser Einsamkeit seinen Mantel in zwölf Stücke und gibt Jerobeam zehn Stücke zum Zeichen dafür, dass er die Herrschaft über jene zehn Stämme Israels antreten soll, die Jahwe dem Hause Davids entreißen will (V. 30 ff.). Dass die Berufung der klassischen Propheten sich nicht nur in der Abgeschiedenheit ungewöhnlicher Widerfahrnisse vollzog, sondern 21. Zu Jes 54,1 s. oben S. 253.

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auch in gespannte Isolierung hineinführte, weiß am erregendsten Jeremia zu beklagen. Mit seiner Verkündigung ist er zum Gespött und Gelächter seiner Hörer geworden (20,7 f.). Verdächtigungen und Verfolgungen umzingeln ihn (20,10; 15,10 f.15). So sieht er sich aus jeder Gemeinschaft ausgestoßen (15,17): Nie sitze ich fröhlich im Kreise der Lacher. Unter der Wucht deiner Hand sitze ich einsam da (ba¯da¯d ya¯ˇsabtî), Denn mit Grimm hast du mich angefüllt.

Der Wortlaut (ba¯da¯d ya¯ˇsabtî) erinnert an die Ausstoßung des Aussätzigen 22. Die Not des zum Propheten Berufenen ist aber noch schlimmer als die des vereinsamten Kranken, der sich doch an Jahwe wenden kann 23. Denn er schreit seinem Gott entgegen (15,18b): Du erweist dich für mich wie ein Trugbach, wie Wasser, die nicht Wort halten 24.

Auch Ezechiel sieht sich von vornherein durch Jahwes Befehl einem rebellischen Israel konfrontiert, einem »Haus Widerspenstigkeit« (Ez 2,3–5); ein Einzelner kann vor solcher Aufgabe nur erschrecken, doch eben das soll Ezechiel nicht (V. 6 f.). Wo der Gott Israels Menschen seinem Botenauftrag unterstellt, da stehen inmitten einer festgefügten Gemeinschaftsordnung einsame Einzelne auf. Dieses Phänomen spiegelt sich sogar in einer literarischen Konsequenz. Die Sammlung der Prophetensprüche führt erstmalig zu einem Schrifttum, das nicht mehr anonym ist, sondern unter dem Namen des einzelnen Propheten tradiert wird. Doch die Propheten treten nicht nur als einzelne dem Volk gegenüber, sie sammeln auch Hörer zu einer neuen Gemeinschaft, die von der natürlichen Gemeinschaftsordnung unterschieden ist. So hat Jesajas Gerichtsverkündigung schon in einer frühen Phase seines Auftretens eine Jüngerschaft gesammelt, der er das von ihm verkündete Wort anvertrauen konnte (Jes 8,16). Es bildete sich um ihn eine Oppositionsgruppe, die im deutlichen Gegensatz zu den offiziellen Jeru-

22. Zu Lev 13,46 s. oben S. 304, vgl. Klgl 3,28. 23. Vgl. die Vertrauensaussagen in den Klageliedern oben S. 222 f. 24. Zum Bild vgl. Hi 6,15–20.

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salemer Kreisen stand. Der Prophet musste sie gegen die im Volk verbreiteten Meinungen wappnen (Jes 8,11–13) 25: So sprach Jahwe zu mir, als die Hand mich packte ›und mich hinderte‹, den Weg dieses Volkes zu gehen: Ihr sollt nicht alles Verschwörung nennen, was dieses Volk da Verschwörung nennt! Vor dem, was es fürchtet, fürchtet euch nicht und erschreckt nicht! Jahwe der Heere, den ›nennt Verschwörer‹! Er sei eure Furcht, er euer Schrecken!

So festigt der Prophet eine Gruppe, die sich um das Immanuel-Zeichen (»Mit uns ist Gott«) schart (7,14, vgl. 8,16–18). Aus dem Gericht wird eine geläuterte (1,25 ff.) »Rest«-Gemeinde (Jes 7,3, vgl. 4,2 ff.) hervorgehen 26. Vor dem Wort Jahwes wird nicht nur der Prophet selbst, sondern auch dessen Hörer zum einzelnen. Solche Individualisierung zeigt sich seit Jeremia deutlich, z. B. 4,4: Beschneidet euch für Jahwe und entfernt die Vorhaut eures Herzens!

Noch präziser treibt Ezechiel die Verantwortung eines jeden einzelnen voran (Ez 18,30): Einen jeden von euch will ich nach seinem Verhalten richten, spricht Jahwe.

In der deuteronomischen Mahnung wird die persönliche Hingabe kanonisch (Dtn 6,4 f.): Höre, Israel! Jahwe ist unser Gott, Jahwe allein. Du sollst Jahwe, deinen Gott, lieben mit deiner ganzen Hingabe, mit all deinem Begehren und mit all deinen Kräften 27.

So sind die deuteronomischen Prediger mit der Anrede an die Einzelnen auf eine reformierte Gemeinde aus. Aber wird die wahrhaft neue Bundesgemeinde anders verwirklicht als durch die Kraft der Verheißung? Eine Skepsis gegenüber dem deuteronomischen Reformopti25. Zum Text und zu dem hier anzunehmenden »Kreis von Vertrauten« als Adressaten vgl. Wildberger, BK X, 335 ff. 26. Zur Unterscheidung von »Volksgemeinde und Glaubensgemeinde im Alten Bund« vgl. den gleichnamigen Aufsatz von Wolff. 27. Zur Bedeutung von »Herz« und »Seele« s. oben S. 76 f.

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mismus mag in Jer 31,33 f. eingegangen sein, wo als Jahwes Zusage verkündet wird: Ich gebe meine Weisung in ihr Inneres und schreibe sie auf ihr Herz … Dann brauchen sie sich nicht mehr gegenseitig zu belehren und einer zum andern zu sagen: Erkennet Jahwe! Denn sie alle werden mich kennen, klein und groß, spricht Jahwe. Denn ich vergebe ihr Vergehen und bringe ihre Verfehlung nicht mehr zur Sprache.

So wird das alte, festgefügte Bundesvolk über den Weg der totalen Vereinzelung in eine neue Gemeinschaft hineingeführt. Schon innerhalb des Alten Testaments vollzieht sich damit so etwas wie »die Herauslösung des Einzelnen aus der Suggestion des Kollektivs, der Polis, der Gens, durch sein Konfrontiertwerden mit dem Willen Gottes: ihm zugewandte Gottesliebe, ihm geltende Gottesforderung und Glaubenseinladung. Si omnes, ego non (wenn auch alle, ich nicht) wird er ermutigt zu sagen« 28. Es ist wohl nicht der geringste Beitrag der Bibel zur Anthropologie, dass der Mensch sich erst dann selbst versteht, wenn er ein Einzelner wird, durch den Anruf der unvergleichlichen Stimme herausgerufen aus angestammten Bindungen und zu einem neuen Bund berufen. Mit der Botschaft von Jesus Christus verwirklicht sich dann die Verheißung, dass Menschen aus allen Völkern an solcher Menschwerdung des Menschen teilnehmen (Gen 12,3b; Jes 45,14 f.; 52,10; Sach 8,23 29).

28. Gollwitzer, Holz, 300. 29. Vgl. Hölscher, Naturrecht, 87: »Diese Tatsache – man mag sich zu den Lehren Christi und seiner Kirche stellen wie man will – bedeutet die einzig wirklich umwälzende Veränderung der Menschheitsstruktur überhaupt, weil mit ihr die Lehre von der individuellen Menschenwürde in die Welt gebracht worden ist.« Hölscher meint die Herauslösung des Einzelnen als »den allergrößten Einschnitt der Menschheitsgeschichte, den wir vielleicht als den einzig wirklichen erkennen können« (ders., ebd).

§ 25 Die Bestimmung des Menschen 1 1. zum Leben in der Welt – 2. zum Lieben des Mitmenschen – 3. zum Beherrschen der Schöpfung – 4. zum Loben Gottes

Nicht wenige alttestamentliche Texte sind von der Frage bewegt, wozu der Mensch eigentlich bestimmt sei. Die entscheidenden Antworten weisen in die gleiche Richtung. Diesen Befund wird man angesichts des Wandels der Sprache, der Unterschiede in den Anschauungsformen und der Vielfalt der Gattungen innerhalb eines Jahrtausends alttestamentlicher Literatur eine geistesgeschichtlich herausragende Erscheinung nennen müssen 2. Gerade weil dem Alten Testament nichts ferner liegt als eine anthropologische Systematik, ist es reizvoll und klärend, in seinen verschiedenen Schichten verwandte Tendenzen zu finden. Das Woher der Bestimmung des Menschen steht biblisch außer Frage, mag es anderwärts strittig sein, ob ein Götterkampf, der Spruch des blinden Schicksals oder das eigene Selbst darüber entscheiden. Von den ältesten Hymnen, Rechtsordnungen und Urmenscherzählungen an über die Prophetie, die deuteronomische Mitte und die große Geschichtsschreibung bis zu den Anfechtungen Hiobs, der Skepsis Kohelets und zur apokalyptischen Eschatologie lassen die verschiedenen theologischen Denkformen keinen Zweifel daran, dass Jahwe, der Gott Israels, der Bestimmende ist, »Jahwe, unser Gott, Jahwe als einziger« (Dtn 6,4). Als Retter und Richter Israels, als Schöpfer und Schutzherr des Menschen hat er durch seine menschlichen Boten nicht unklar gelassen, wozu der Mensch bestimmt ist.

1. 2.

Literatur: Alt, Weisheit Salomos; Stoebe, demütig; von Rad, Weisheit und Maass, ’a¯da¯m. Vgl. Maass, aaO 91.

zum Leben in der Welt

311

1. zum Leben in der Welt Er ist bestimmt, zu leben und nicht dem Tode zu verfallen. So deutlich die jahwistische Urgeschichte das drohende Todesverhängnis sieht, so zeigt sie doch Jahwe, der den Menschen zum »Lebewesen« (Gen 2,7) erschaffen hat, unermüdlich damit beschäftigt, Menschen durch Warnung (2,17), durch Schutzzeichen (4,15), durch erbarmende Bewahrung (6,8) vor dem vorzeitigen Tod zu retten; zu dem großen Vernichtungsgericht der Flut entschließt er sich nur unter Schmerzen (6,6), und er setzt eine Wiederholung für alle Zeiten aus, trotz unveränderter Bosheit des Menschen (8,21 ff.). Der Mensch ist zum Leben bestimmt. In der so gänzlich andersartigen Josefsgeschichte wird das gespannte Verhältnis zwischen Josef und seinen Brüdern plötzlich allen Dunkelheiten entrissen und unter eine klare Zielbestimmung gestellt, wenn Josef sie anspricht (Gen 45,5): Jetzt grämt euch nicht und macht euch keine Vorwürfe, dass ihr mich hierher verkauft habt, denn um euch das Leben zu retten, hat Gott mich euch vorausgesandt.

Am Ende erklärt er noch deutlicher (50,20): Was ihr gegen mich Böses geplant hattet, hat Gott zum Besten eingeplant, um durchzuführen, was jetzt am Tage ist: ein großes Volk am Leben zu erhalten.

Die Finalsätze sind eindeutig: den menschlichen Widerwärtigkeiten zum Trotz ist Israel zum Leben bestimmt. Dtn 30,15–20 fasst die Tendenz aller Jahwegebote zusammen. Mit ihnen ist Israel Leben und Heil, Tod und Unheil vor Augen gestellt. Doch die Bestimmung geht nur dahin, »das Leben zu wählen, dass du und deine Nachkommen am Leben bleiben« (V. 19). Die nach leitendem Interesse und Argumentationsweise völlig andersartige Spruchweisheit weist letzten Endes auf das gleiche Ziel, wenn sie exakt final ihre Absicht kundtut (Spr 13,14): Des Weisen Lehre ist Quelle des Lebens, damit man entgehe den Schlingen des Todes.

Oder 15,24:

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Die Bestimmung des Menschen

Nach oben führt der Lebenspfad den Verständigen, damit er entgehe der Totenwelt drunten.

In der Prophetie fällt schon bei dem finstersten Gerichtsprediger Amos auf, dass inmitten seiner Botschaft vom Ende Israels das Wort Jahwes aufleuchtet (5,4): Sucht mich, damit ihr lebt!

Jesaja verdeutlicht, dass alles Gericht »das fremde Werk« Jahwes ist (28,21). Und Hosea hat vernommen, dass Jahwe das überfällige Todesurteil über den störrischen Sohn Israel (11,1–7) in sich selbst zurücknimmt (V. 8): Wie könnte ich dich preisgeben, Efraim, wie dich ausliefern, Israel!

Ezechiel legt Tod und Leben seinen Hörern durchaus nicht gleichgewichtig vor. Jahwe erklärt, dass er keinen Gefallen am Tode hat, sondern Leben will. »So kehret um, damit ihr lebt!« (18,32). Selbst über das Feld voll von Totengebeinen ergeht der Ruf (37,14): Ich lege meine Lebenskraft 3 in euch hinein, damit ihr Leben bekommt.

Wo wir in den Klageliedern Beter in äußerster Gefahr sahen, da war zu erkennen, dass Jahwe und der Tod weit voneinander geschieden sind 4. Das Vertrauen bricht sich Bahn (Ps 16,10): Du überlässt mein Leben nicht der Totenwelt, du gibst nicht zu, dass dein Getreuer die Grube schaut.

So wenig grundsätzlich auch das Todesproblem im Alten Testament gelöst wird, so klar ist doch die Tendenz, dass der Mensch bestimmt ist, zu leben. Dass die Hauptrichtung dem neutestamentlichen Lebenswort entgegenstrebt, ist kaum zu übersehen. In einer Welt, in der das Überleben immer unwahrscheinlicher zu werden droht, begründet die biblische Einsicht in die Bestimmung des Menschen neue Lebenserwartung. Doch wozu soll der Mensch leben? Nur Antworten, die die Welt3. 4.

Zu rûah s. oben S. 64 ff. S. oben˙ S. 161 ff.

zum Lieben des Mitmenschen

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lichkeit dieses Lebens betreffen, sind vom Alten Testament zu erwarten.

2. zum Lieben des Mitmenschen Er ist bestimmt, zu lieben und allen Hass zu überwinden. Auf dieses Ziel hin ist das Verhältnis des Menschen zu seinen Mitmenschen ausgerichtet. Die Herrschaft des Menschen über den Menschen entspricht nicht seiner Bestimmung, sondern ist sein Unheil, hat Kohelet erkannt (8,9). Der Jahwist hat das rechte Verhältnis des Menschen zu seinem Mitmenschen im Urbild der Entdeckung seiner Frau aufgewiesen; im Liebesjubel des Mannes hat das ungute Alleinsein sein Ende und die Hilfe, die ihm entspricht, ihre geschöpfliche Verwirklichung gefunden (Gen 2,18–23). Doch alsbald zeigt sich, wie schwer es dem Menschen wird, seine Bestimmung zur Hilfe und zur Liebe sich nicht entwinden zu lassen durch die Mächte der Verführung (Gen 3) oder des Neides (Gen 4). Damit der Mensch seine Bestimmung unter seinen Mitmenschen nicht verfehle, wird Israel durch immer neue Weisungen angeleitet, recht mit ihnen umzugehen, bis es zu jenem Spitzensatz Lev 19,17 f. 5 kommt, der gebietet, den Nächsten wie sich selbst zu lieben, auch den Fremdling (V. 34) und gar den Feind nicht auszuschließen (Ex 23,4 f.; Spr 25,21 f.) 6. Selbst in das Verhältnis zwischen Herren und Sklaven kann Liebe (Ex 21,5) 7 und ein volles Solidaritätsbewusstsein einkehren (Dtn 15,12–18; 23,16 f.) 8. Rechter König in Israel ist nur der, dem die Ärmsten kostbar sind (Ps 72,2–4.12–14) 9. Lapidar kann Mi 6,8 erklären: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist, und was Jahwe von dir fordert: nichts als Recht üben und Güte lieben und achtsam wandeln mit deinem Gott 10. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

S. oben S. 267 f. S. oben S. 270 f. Vgl. auch Ex 21,7–11 und oben S. 281 ff. S. oben S. 283 ff. S. oben S. 278 f. Vgl. Stoebe, demütig. Ähnlich ziehen die Summe mitmenschlichen Verhaltens zusammen die prophetischen Worte in Hos 4,1 f.; 6,6; 12,7; Jes 1,17; Sach 7,7–10.

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Die Bestimmung des Menschen

Damit ist zugleich der Grund aller prophetischen Anklagen des sozialen Lebens aufgedeckt. Sie sehen den Menschen zum Unmenschen werden, wo er dem Mitmenschen die Anerkennung, das Recht und die Güte versagt. Die Spruchweisheit konstatiert nüchtern (Spr 15,17): Besser ein Gericht Gemüse und Liebe dazu, als ein gemästeter Ochse und Hass dabei.

Das letzte Ziel mitmenschlichen Verkehrs umfasst aber schon im Alten Testament das Ganze der Völkerwelt. Unter Jahwes Weisung vom Zion her sollen sie alle aufhören, das Kriegsgeschäft zu lernen (Jes 2,2–4) 11. So wird von den verschiedensten Ansätzen her die Richtung des Lebens der Menschen untereinander eindeutig bestimmt: Liebe ist das Ziel. Doch der Mensch hat nicht nur mit Menschen zu tun.

3. zum Beherrschen der Schöpfung Seine Bestimmung in der außermenschlichen Schöpfung ist ebenso eindeutig: herrschen. Am schärfsten hat dies die Priesterschrift auf einen Begriff gebracht, indem sie die Absicht der Erschaffung des Menschen zum Bilde Gottes dahin definierte, dass er über die Erde und darin insbesondere über die ersten Konkurrenten des Menschen, die Tiere, regieren solle (Gen 1,28.28) 12. Schon früher hatte der Jahwist in seiner erzählerischen Weise seine Freude an den menschlichen Fähigkeiten zur Beherrschung der Weltmöglichkeiten ausgesprochen: Der Mensch kann Musikinstrumente herstellen und die Künste des Zither- und Flötenspiels erlernen (Gen 4,21), er kann Erz und Eisen ausbeuten und gestalten (V. 22). Der Mensch hat als Ackermann den Weinbau gelernt und die umwerfende Macht dieses Gewächses erfahren (Gen 9,20 f.). Er erfand Baumaterialien, die ihm Riesengebäude ermöglichten (11,3 f.). Aber sah nicht schon dieser alte Erzähler die Gefahr, dass der Mensch von den Möglichkeiten der Schöpfung, die er beherrschen sollte, selbst beherrscht wurde, wenn etwa der 11. Vgl. weiter oben S. 225 f. 12. S. oben S. 236 f.

zum Beherrschen der Schöpfung

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Wein den Noah willenlos der Schamlosigkeit seines Sohnes preisgab (9,21 f.), oder wenn die ungeahnte Technik des Bauens den Menschen einerseits in den Rausch des Selbstruhms (11,4a) und andererseits in Angstprojekte (V. 4b) hineinriss? Wo immer der Mensch von den Dingen, die er bewältigen soll, überwältigt wird, entsteht der Unmensch. In der Weisheit Israels wird die Naturbeherrschung zu einer archaischen Wissenschaft. Von Salomos Naturweisheit berichtet 1 Kön 5,13. Danach wurden am Jerusalemer Hof insbesondere die Botanik und die Zoologie studiert: die Bäume von der Zeder, die auf dem Libanon steht, bis zum Ysop, der an der Mauer herauswächst, die Landtiere und die Vögel, die Kriechtiere und die Fische.

Von der enzyklopädischen Listenwissenschaft Ägyptens und des Zweistromlandes, die lediglich die Namen der Naturphänomene zusammenstellte, unterschied sich die israelitische Weisheit dadurch, dass sie Tiere und Pflanzen nicht nur aufzählte, sondern in poetischen Schilderungen Zusammenhänge darstellte 13. Den Triumph menschlicher Technik im Bergbau, wo Menschen das Innerste der Erde aushöhlen, ausleuchten, in Schächten an Seilen hängen und dort, wohin keines Habichts scharfes Auge vorzudringen vermag, kostbarste Edelmetalle und Edelsteine gewinnen, besingt Hi 28,1–11: Silber, wahrlich, hat seinen Fundort, und Gold seinen Platz, da man’s wäscht. Eisen gewinnt man aus der Erde, aus Steinen schmelzt man Kupfer aus. Der Finsternis setzt man ein Ende, man durchforscht den Fels, in Nacht gehüllt 14. Leute mit der Lampe höhlen aus den Schacht, sie baumeln ohne Fußes Halt, sie schweben weit entfernt von Menschen. Es sprießt das Brotkorn aus der Erde, doch unter ihr sprengt man mit Feuer. Der Ort des Saphirs ist ihr Felsen, 13. Vgl. 1 Kön 5,12 und Alt, Weisheit Salomos. 14. Text unsicher, auch im Folgenden.

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Die Bestimmung des Menschen

auch Goldstaub findet man darin. Ein Pfad! – ihn kennt der Geier nicht, des Habichts Aug’ erspäht ihn nicht. Kein stolzes Wild betritt ihn je, kein Löwe hat ihn noch beschritten. Ans Felsgestein legt man die Hand, durchwühlt die Berge an der Wurzel. In Felsen höhlt man Stollen aus, und Kostbarkeiten schaut das Auge.

Doch wozu wird des Menschen Weltbeherrschung hier so kunstvoll geschildert? Damit um so deutlicher werde, dass der Mensch die Weisheit selbst, »den der Schöpfung eingesenkten Sinn« 15, bei seinen Forschungsunternehmen nicht entdecken kann: Es kennt nur Gott den Weg zu ihr. (V. 23)

So sichert der Schöpfungsglaube die Sachlichkeit der Weltbeherrschung, die sich von einem sakralen Weltverständnis ebenso schroff absetzt16 wie sie zur Gottesfurcht hinführt (Hi 28,28). In anderer Weise hat der 8. Psalm die Bestimmung des Menschen zum Herrscher über die außermenschliche Kreatur besungen17. Er führt zu der letzten, entscheidenden und umfassenden Erkenntnis, indem er herausstellt, dass die Krönung des Menschen zum Weltverwalter angesichts seiner Winzigkeit im All und seiner der Fürsorge bedürftigen Erbärmlichkeit alles andere als selbstverständlich ist und ganz und gar nicht in ihm selbst begründet liegt (V. 4 f.).

4. zum Loben Gottes Der Mensch ist bestimmt, Gott zu loben. Der Mensch des 8. Psalms, der seine Überlegenheit in der Welt entdeckt, kann sie nicht im Selbstruhm zur Sprache bringen, sondern nur in der preisenden Anrede Gottes (V. 6 f.): Du ließest ihm wenig an Göttlichem fehlen, du hast ihn mit Ruhm und mit Hoheit gekrönt. 15. Von Rad, Weisheit, 193. 16. Vgl. ders., aaO 402. 17. S. oben S. 236 f.

zum Loben Gottes

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Du lässt ihn beherrschen die Werke deiner Hände, du hast ihm gar alles zu Füßen gelegt.

Und der ganze Psalm wird von der Antiphon gerahmt (V. 2.10): Jahwe, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in aller Welt.

Die Bestimmung zum Loben Gottes und also zum dankbaren Dialog mit dem Schöpfer wird in Psalm 8 deshalb nicht von einer Selbstfaszination des Menschen durch seine eigenen Fähigkeiten verdrängt, weil er sich selbst auch mit seiner eigenen Hilfsbedürftigkeit im Auge behält (V. 5): Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, des Menschen Sohn, dass du ihn umsorgst!

Angesichts der in Israel verkündeten Taten Gottes kann er diese andere Seite seines Wesens nicht verkennen. Schon die Israels Glauben an Jahwe begründende Rettung am Meer (Ex 14) musste zu dem Urhymnus führen (Ex 15,21): Jauchzet Jahwe, denn erhaben ist Er, Ross und Reiter warf er ins Meer.

Aber auch die prophetische Gerichtsverkündigung hatte Israel in ihren letzten Intentionen erst dann verstanden, wenn es mit Doxologien darauf antworten konnte, wie wir sie ins Amosbuch eingefügt finden (4,13; 5,8; 9,5 f.), oder mit Dankliedern, wie sie am Ende einer ersten Sammlung von Jesajaworten (Kap. 1–11) in Jes 12 angekündigt werden. Wo das Lob Gottes ausfällt, hat der Mensch die Spannung zwischen seiner Bedürftigkeit und seinen Fähigkeiten verkannt. Da ist wieder der Unmensch nicht fern. Die letzte Bestimmung des Menschen zum Rühmen Gottes hat der Psalter mit seinen Hymnen begriffen, wie er uns als »das Buch der Preisungen« 18 überliefert ist. Wir können hier nur an die Fülle von Aufrufen zum Loben erinnern, die dem Menschen begegnen, der mit 18. So gibt M. Buber die kanonische Überschrift tehillîm wieder. Diese Überschrift schließt auch die Klagelieder ein. Sie stellen die »dumpfe Begleitmusik« zu den Hymnen dar. In ihnen klammert sich der Mensch, der seine Not nicht selbst wenden kann, an den bezeugten Gott. Sie dokumentieren

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seinen Erfahrungen aus der Geschichte und aus der Schöpfung ins Heiligtum einkehrt und der auch noch mit seiner vor Gott ausgebreiteten Klage den einzigen Erbarmer ehrt. Beispielhaft sei abschließend auf die Psalmen 145 und 148 hingewiesen. Ps 145 sieht den Zusammenhang zwischen den Schöpfungswerken, die der Mensch entdeckt, und der Bestimmung des Menschen zum Lobpreis (V. 5 f.): Deine Wundertaten will ich berichten. Sie reden von der Macht deiner furchtbaren Taten. Erzählen will ich von deiner Größe.

Die Werke Gottes, die der Mensch erkundet, sprechen eine Sprache, die den Menschen zum Hymnus herausfordert (V. 10–12) 19. So werden im Lob torsohafte Erkenntnisse zu einer Einheit und Ganzheit, mitsamt den noch unerforschten Geheimnissen, die immer auch die fundiertesten Erkenntnisse bedrohen 20. So zeigt sich im Lobpreis nicht nur die letzte Bestimmung des Lebens (»was lebt, was lebt, das lobt dich!« Jes 38,19), sondern auch die der Weltbeherrschung. Schließlich aber zeigt der 148. Psalm, wie mit den Werken der Schöpfung von den Gestirnen bis zum Gewürm (V. 3–10) auch die Menschen von den Königen der Erde bis zum Chor der Kinder (V. 11–13) zur Gemeinschaft des Rühmens verbunden werden. Die Bestimmung aller Menschen, die so tief verschieden und so oft geschieden sind, zum Zusammenschluss in der Liebe erfüllt sich in der Vereinigung zum Lobe Gottes: Könige der Erde und alle Völker, Fürsten und alle Richter der Erde, junge Männer und auch junge Frauen, Greise vereint mit Kindern: sie sollen den Namen Jahwes loben, denn sein Name allein ist erhaben.

nicht weniger als die Loblieder den Widerstand gegen die Versuchung, Gott abzusagen (Hi 2,9), vgl. Gerstenberger, Mensch, 64.72. 19. S. oben S. 296 f. 20. Vgl. von Rad, Weisheit, 256. Nach Phil 2,10 f. bestimmt die Erhöhung des Gekreuzigten die Geschöpfe zu dem rühmenden Bekenntnis ›Herr ist Jesus Christus‹ und schließt darin die Himmlischen, die Irdischen und die Unterirdischen zusammen.

zum Loben Gottes

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In dieser Rühmung findet die Bestimmung des Menschen zum Leben in der Welt, zum Lieben des Mitmenschen und zum Beherrschen der außermenschlichen Schöpfung ihre wahrhaft menschliche Erfüllung. Sonst wird der Mensch als sein eigener Abgott zum Tyrannen, oder er verliert im Verstummen zur Sprachlosigkeit seine Freiheit.

Literatur

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Literatur

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332

Literatur

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Abkürzungen

Allg. Abk. Biblische Bücher Biblische Namen Bibliograph. Angaben

RGG4 RGG4 Loccum Schwertner

Register der hebräischen Wörter

’ada¯ma¯h 146, 191, 246 ’wh 41 ’oheb 263 ’a¯h 263 ’ah˙ awa¯h 265 ’a¯h˙ ôt 263 ’ah˙ arît 138 ˙ 263 ’oyeb ’a¯ma¯h 281, 284 ’ænôsˇ 233 ’æsba2 115 ’ap˙ 37, 71 ’rk 44 ’rs´ 239 ’îsˇ 146, 180, 239, 246 ’isˇˇsa¯h 146, 180, 238 ff., 246

ga¯rôn 127 dæbær 210 dwh 209 da¯m 60, 102, 104 ff. demût 231 da2at 85 dæræk 152, 291 hæbæl 65 zema¯n 140 zirma¯h 58 zerôa2 113 za¯qen 180, 186

bw’ 139, 239, 246 ba¯da¯d 304 f., 307 ba¯hûr 180 bth˙ 224 ˙ ˙ æn 108, 149 bæt ˙ 299 bajit bet ’a¯b 238, 260, 299 b2l 239 ba2al 238 f. be2ulat ba2al 238 ba¯´sa¯r 56 ff., 64, 75, 144, 245 bôr 156 br’ 147 betûla¯h 180, 239 berît 207, 240 f.

habæræt 240 h˙ obesˇ 212 h˙ ædær 109 h˙ a¯da¯ˇs 133, 139 h˙ ek 127 h˙ kh 220 f. h˙ a¯ka¯m 289 h˙ ayyîm 45 ff. h˙ ælæd 178 h˙ lh 209 h˙ ll 133 h˙ elæq 166 h˙ sh 224 h˙ a¯rûs 192 h˙ ˇsb ˙91 h˙ atunna¯h 240 ˙

gebîra¯h 254 gîdîm 57 f. gulgolæt 115 golæm 149 garga¯rôt 49

tôb 117 ˙ta¯me’ 160 ˙ta¯2am 248 ˙tap 180 ˙tæræm 133 ˙

336 ya¯d 108, 114 f., 231 ya¯ba¯m 264 ya¯hîd 303 f. yh˙l 219 f., 222, 224 ˙ yælæd 149, 186 yôm 136 f., 199 ya¯mîn 115 yôneq 180 ysr 254 ya˙¯pæh 117 ff. ya¯rek 108 f. ka¯bo¯d 109 f. kbsˇ 234 kela¯yôt 111 f. kap 116 lbb 90 leb(a¯b) 75 ff., 123 lebad 303 ff. leah 188 ˙ limmûd 290 lqh 239 la¯ˇs˙ôn 127 mebûsˇîm 108 maggepa¯h 209 ma¯wæt 45 ff. mohar 239 mattæh 300 ˙˙ ¯h 209 f. makka e m le’ ya¯mîm 180 menûha¯h 198 f. me2îm˙ 108, 110 f. mar’æh 117 merera¯h, merora¯h 110 misˇpa¯ha¯h 61, 300 misˇpa¯t˙ 285 ˙ nebela¯h 61 næga2 209 nægæp 209 na2ar 180 npsˇ 37, 203 f.

Register der hebräischen Wörter næpæsˇ 33 ff., 64, 66, 71 f., 75, 82 f., 97, 102 f., 104, 106, 123, 223 ns´ ’ 41 na¯´sî’ 301 neˇsa¯ma¯h 37, 65 f., 102 ff. skk 149, 151 2bd 190 f., 199, 285 2a¯bæd 275, 281, 284, 285 2eda¯h 301 2iwwer, 2iwwa¯rôn, 2awwæræt 209 2ôla¯l 180 2ôla¯m 139, 141 2a¯nî 286 f. 2esa¯h 91 2a¯˙sel, 2asla¯h, 2aslût 192 ˙ æm ˙57, 61,˙ 113 2æs 2ôr˙ 57, 59 2et 134 f., 140 pwg 82 pæh 126 pilægæsˇ 241 pætî 290 sawwa¯’r 37 f. ˙sælæm 229 ˙ qæbær 158 qædæm 138 f. qådqod 116 qwh 219 ff. qsr 44 ˙ qæræb 108 f. ro’sˇ 115 f., 122, 264, 300 rdh 235 rægæl 108, 113, 116 rûah 57, 54 ff., 75, 82, 84, 95, 102 –, s˙lh rûah 68 –, ˙qe˙sar-rû˙ ah 71 rea2 ˙263 ˙ rp’, ropæ’ 211

337

Register der hebräischen Wörter ´sbr, ´sebær 219 f. ´sa¯kîr 281, 285 f. ´semo’l 115 ´sa¯pa¯h 127 ˇse’ôl 157 f. ˇse’er 60 ˇsebæt 300 ˙ f., 203 ˇsbt 199 ˇsahat 158 ˙

ˇsmr 115, 191 ˇsipha¯h 281 ˇsqt ˙ 198 ˙ to’ar 117 f. tôhælæt 219 f. tôl˙edôt 135 tiqwa¯h 219 f. tôsˇa¯b 281, 285

Register der Sachen und Begriffe

Alter 169, 183 ff. Altersstufen 180 ff. Altersversorgung 260 Angesicht 122 Angst 82 f. Arbeit 190 ff. Arbeitsruhe 199 ff. Arm 113 Armut 192 ff. Arzt 213 ff. Atem 37 f., 65 ff., 70, 102 ff. Atmung(sorgan) 37 f., 47, 51, 54, 65 f. Auferstehung 167 Auge 123 f. Augenkrankheiten 210 Begabung 68 f. Bedürftigkeit 35 f., 54 f. Begehren 41 ff., 54, 82 ff. Begräbnis 154 ff. Bein 113 Beruf 254 Beschreibungslied 118 ff. Bevollmächtigung 68 f. Bewusstsein 87 f., 90 Bild Gottes 229 ff. Blut 45 f., 104 ff. Blutgenuss 105 f. Blutschuld 105 f. Bruder 263 ff. Bruderschaft 265 ff. Brust 77

Ehelosigkeit 250 f. Eherecht 238 ff. Einehe 241 f. Eingeweide 108 Einsamkeit 302 ff. Einzelwesen 50 f. Ejakulation 58 f. Eltern 252 ff. Elterngebot 260 Embryo 149 f. Entrückung 165 f. Entschluss 92 Erbrecht 264 Erfolg 192 ff. Erkenntnisvermögen 90 Erlassjahr 286 f. Ermächtigung 68 f. Erschaffung d. Menschen 144 ff. Erwählung 305 f. Erziehung 254 ff. Ewigkeit 139

Darm 109 Demut 298 f.

Familie 259 f., 299 f. Faulheit 192 ff. Feindesliebe 270 ff. Finger 115 Fleisch 56 ff., 62 f. Fleiß 192 ff. Fratriarchat 263 Frau 238 ff. Freiheit 206 f., 272 ff., 286 f. Freude 81 Freundschaft 269 Frieden 225 Fuß 113

Ehebruch 247 f. Ehebund 240 f.

Galle(nblase) 110 Geburt 144, 148 ff.

339

Register der Sachen und Begriffe Gaumen 127 Gedächtnis 88, 90 Gedankenlosigkeit 86 Gefühl 80, 85 Gehirn 76, 84, 90 Gehorsam 94 ff. Geist 63, 69 f., 73, 84 f. Geisteskrankheiten 210 f. Gemeinde 301 Gemüt 70 ff., 80 Generationenproblem 252 ff. Geschichte 131 ff. Geschlechtsorgane 58, 108 Geschmack(sinn) 36 f., 127 Geschwür 210 Gewissen 91 f., 96, 111 f. Gliedmaßen 113ff Gottesebenbildlichkeit 229 ff. Gottesfurcht 296 ff. Gottesknecht(slieder) 176, 279 f. Grab 154 ff. Grenzen d. Erkenntnis 297 f. Größe d. Menschen 116 f. Großfamilie 238, 242, 252, 300

Hinfälligkeit 62 f. Hochmut 71 f., 83 Hören 122 ff. Hoffnung 165 f., 218 ff. Homosexualität 251

Halbbruder 2659 Hals 39 f., 54 Hand 114 f. Hautkrankheiten 210, 212 Heilung 211 f., 214 f. Heirat 239 f. Heiratsgeld 239 Herrschaft –, d. Menschen üb. d. Menschen 272 –, d. Menschen üb. d. Schöpfung 147, 231, 234 ff., 314 ff. –, d. Todes 158, 164 Herz 76 ff., 108 H. Gottes 97ff hörendes H. 85, 124 Herzanfall 76 f. Herzflattern 78 Herzklopfen 76, 91 Heute (imDtn) 136 ff.

Lähmung 76 Leben 44 ff., 54, 102 ff., 107, 123, 162, 310 ff. Lebensatem 51 f., 66 Lebenserwartung 178 ff. Lebensführung 291 f. Lebenskraft 67 ff., 103 Lebensphasen 180 ff. Leber 109 ff. Lebewesen 51, 102 Lehrer 289 ff. Leiche 50, 54, 61 Levirat(sehe) 242, 264 Liebe 243 ff., 313 f. Lippe 127 Lob 55, 162, 316 f. Lohnarbeiter 285 f. Luftröhre 37 Lunge 76, 109

Ich 51 ff. Individuum 49 ff., 54 Inneres 108 f., 111 Insemination 151 Jenseitshoffnung 165 Jobeljahr 286 f. Jugend 182 ff. Kehle 34 ff., 54, 127 Kinder 252 ff. König(sgesetz, -tum) 272 ff., 301 Körper 59 Körperverletzung v. Sklaven 281 f. Kommunikation 122 f. Kopf 84, 90, 115 f. Kraft 68 f., 114 f. Krankheit 209 ff. Kultur 236 f.

340 Magen 108 f. Mann u. Frau 238 ff. Menschheit 61, 232 Mund 126 f. Mut 82 Mutter 254 Mutterleib 108 f. Nächstenliebe 267 f. Nebenfrau 241 Nerven 76 Nieren 111 f. Ohr 86, 122 ff. Orientierungsvermögen 89 f. Pädagogik 254 f. Person 48 ff., 53 f., 96 Personalpronomen 51 ff., 59 f., 96 Plan(en) 91 f., 96, 220 f. P. Gottes 97 f. ratio 90 Reichtum 192 ff. Revolution 287 Ruhe 197 f., 208 Ruhetag 199 ff. Sabbat(gebot) 199 ff. Sabbatjahr 201, 204 Schädel 115 Scham 246, 248 f. Scheidebrief 250 Schlaf 197 f. Schlaganfall 76 Schmerz 110 Schönheit 117 ff. Schöpfung(sbericht) 144 ff., 199 f., 202, 296 f. Schuld 171 ff. Schule 289 f. Schwäche 62 f., 183 ff., 209 Schwangerschaftsdauer 14917 Seele 33 ff., 43 f., 48

Register der Sachen und Begriffe Seelenzahl 50 Sehen 123 Selbst 96 Selbsterkenntnis 125 Selbstliebe 268 Selbstmord 170 Seuchen 209 Sippe 300 Sklaven(recht, -tum) 273, 280 ff. Sklavin 281 f. Sodomie 251 Sohn 252 ff. Speiseröhre 37 Spiel 182 f. Sprache 126 ff. Sprachorgane 127 f. Stamm 300 f. Sterben 164, 167 ff. Technik 315 Temperament 81 Tochter 254, 264 Tod 152 ff. Todesstrafe 106 Totenbeschwörung 158 f. Totenkult 160 ff. Totenreich (-welt) 157 ff., 162 f. Totenspeise 156 Tränen 211 Transvestismus 251 Überlegung 88 f. Übermut 83 Unreinheit 160 Urteilen 90 Vater 254 ff., 261 Verantwortung 259 ff. Verdauungsprozess 109, 111 Vergangenheit 136 ff. Verlangen 41 ff., 82 Verlobung 239 Vermehrung 148, 233, 252 f. Vermessenheit 83

341

Register der Sachen und Begriffe Vernunft 84 ff., 96 Verstand 90 Verstehen 85, 90, 124 Verwandtschaft 60 f. Verwandtschaftsformel 60 Verwundungen 209 f., 211, 213 Vollkommenheitsideal 118 Vollmacht 68 ff. Waise 261 Weiser 298 f. Weisheit 298 ff. Wesen d. Menschen 122 ff. Wille 72 ff., 90 ff., 96 Willensantrieb 93 Willensentschluss 90 ff.

Willenshingabe 93 f. Willenskraft 72 ff. Wind 64 ff. Wissen 88, 90 Witwe 261 Wort, rechtes 128 Wundarzt 211 f. Zehe 115 Zeit(begriff ) 131 ff., 144, 152, 178, 190, 197, 209, 218 Zeugung 150 Zinsverbot 266 Zukunft 136 ff., 218 ff. Zunge 123, 127

Register der Bibelstellen (Nur die übersetzten Texte werden aufgeführt)

Genesis 1,26 1,27 f. 2,7 2,18 2,21 2,23 3,19 6,8 8,21 8,22 9,5 12,1 12,13 16,2 17,17 19,19 f. 19,25 21,16 24,60 24,67 25,8 27,4 29,20 30,1.2 30,3 31,7 31,20 34,2 f. 37,27 41,38 45,5 45,26 f. 48,1 f. 48,19 48,21

229 ff., 235 233 33, 145 145 57 146 174 98 99 132 50 305 52 241 89 52 100 171 252 244 169 53 243 253 241 239 86 42 60 68 311 67 153 187 153

50,20

311

Exodus 15,8 15,21 15,26 16,22–24.27 20,8 20,10 20,11 20,12.20 21,5 f. 21,20 f. 21,23 f. 21,26 f. 23,4 f. 23,9 23,12 24,2 34,21 35,21 36,2

68 317 216 206 199 204 202 ff. 207 281 281 46 282 270 43 203 306 199 f., 205 f. 93 93

Leviticus 13,46 15,2 17,10 17,11 17,14 18,6 18,23 18,29 19,17 f. 19,28 19,32 19,34

304 58 49 46 104 f. 60 251 49 267 59 183 267 f.

343

Register der Bibelstellen 20,9 20,13 20,30 24,17 f. 25,39 f. 25,42.43 26,29 27,1–8 Numeri 8,7 11,29 15,39 16,28 19,11.16 21,5 21,8 23,10

106 251 49 46 285 285 57 181

59 70 83 93 160 37 216 52

Deuternonomium 4,11 79 5,1–3 136 5,12 199 f. 5,14 204 5,15 200 f. 5,26 63 6,4 f. 308 6,5 93 6,6 87 7,9–11 137 8,2 94 8,3 125 8,19 136 9,7 ff. 136 10,16 94 12,23 45, 105 15,13 f.18 283 17,12 302 22,5 251 23,16 f. 284 23,25 42 24,6 46 f. 24,15 285 f. 26,5–10 302

26,14 29,13 f.18 30,15 31,4.6 32,39 34,9

155 f. 137 172 153 165 155

Josua 7,16–18 8,20 11,11 23,14

299 114 102 153 f.

Richter 6,15 7,2 9,8–15 16,15 16,17 f. 16,30

187 31, 114 273 f. 88 88 52

1. Samuel 1,8 2,1 2,6 2,35 13,14 14,6 f. 16,7 18,20 21,2 24,6 25,29 25,37 f. 27,1 28,9

243 81 165 97 97 92 79 243 303 91 48 76, 210 88 40

2. Samuel 1,16 2,6 3,15.16 7,3 13,12 13,14.15

106 269 f. 243 92 249 249

344

Register der Bibelstellen

14,25 17,2 19,35 ff.

117 303 185

1. Könige 1,6 2,2 2,10 5,13 8,29 9,3 10,5 11,29 12,16 19,4 21,3 21,7

255 152 155 315 100 99 70 306 275 25915 276 276

2. Könige 5,14 5,15 10,30 19,7

212 215 97 69

Jesaja 1,12 1,15 3,25 4,4 5,14 8,11–13 8,19 f. 10,7 14,4 ff. 19,3 22,13 25,8 26,19 28,15 ff. 29,24 33,24 38,10.12 f. 38,15 38,18 f.

114 106 250 308 34 308 158 93 157 73 f. 56 166 f. 167 159 73 f. 217 171 215 162

40,30 f. 42,1 42,5 42,25 49,26 50,4 f. 51,2 51,23 52,7 52,13 53,2 f. 53,4 53,6.11 54,1 58,13 f. 63,4 65,20 ff.

188 f. 68 65 86 57 123 306 39 30 279 120 279 176 253 205 97 170 f.

Jeremia 1,6 f. 2,24 4,10 4,14 4,19 12,2 15,17 15,18 17,1 17,5.7 17,21 ff. 20,14–18 22,13–19 23,9 23,16 29,11 31,29 32,41 44,21 51,11

188 37, 66 40 109 77 111 307 307 87 62 205 170 276 78 96 138 257 f. 97 f. 99 72

Ezechiel 11,19 11,20 16,8

61, 95 95 240

345

Register der Bibelstellen 16,26 16,44 18,2.4 18,20 18,23.31 f. 18,30 18,31 20,18 20,21 23,20 37,5 f. 37,14

58 254 257 f. 258 95 308 95 257 258 58 57 f. 312

Hosea 1,4 4,8 4,11 f. 7,2 7,11 11,8 f. 11,8 13,8

106 42 89 88 89 100 312 77

Amos 5,4 6,9 f. 9,2

172, 312 164 164

Jona 2,4

79

Micha 6,8 7,6

313 261

Habakuk 2,5

34

Sacharja 14,12

210

Maleachi 2,15 3,24

250 259

Psalmen 4,9 6,3 8,2.10 8,5 8,6 ff. 16,10 16,27 f. 20,5 21,3 22,27 24,4 25,15 f. 25,17 30,4 31,16 32,2 33,6 33,11 33,20 38,4 38,11 38,14 f. 39,8 40,7 42,6.12 43,5 44,22 49,16 54,6 56,5 63,4 72,4 72,12–14 72,13 f. 73,21 73,23 f.26 78,38 f. 84,3 88,3.14 f. 88,4 88,6 88,7 88,11–13

305 215 317 232 f., 317 229 f., 235, 316 f. 48, 312 166 91 82 f. 96 93 303 80 45 143 73 67 98 223 59 78 122, 168 222 f. 125 55 55 80 48, 165 53 62 165 278 279 104 112 166 62 29 163 f. 161 161 164 162

346 90,8 ff. 90,12 92,15 f. 93,2 102,6 102,7–8 103,1 104,15 104,24 104,29 105,18 107,9 115,17 116,3.8 119,32 120 124,7 127,1 f. 130,5 f.7 139,8 139,13 ff. 139,13 143,5 145,5 f. 145,10–12 145,15 146,4 147,11 148,11–13 150,6 Hiob 1,21 2,4 2,5 2,6 4,12–15 4,15 5,17 f.24 f. 5,26 6,8–10 7,17 7,21 8,8 f.

Register der Bibelstellen 173 85 188 139 59 303 f. 455 82 269 66 39 35 162 168 81 60 40 195 223 164 149 111 138 318 296 219 66 223 318 104

149 f. 47 57 114 124 59 170 169 170 99 161 f. 256

8,10 10,3 10,4 10,8 ff. 10,11 12,3 12,12 14,1 f. 14,13–17 14,19 f. 15,13 16,4 19,2 19,17 20,14 26,14–16 27,3 28,1–11 28,23 30,23 31,13.15 32,6–10 33,4 33,29 f. 34,14 f. 36,14 39,1 f. 41,15

85 150 62 150 57 90 186 140 165 221 71 53 43 67 111 297 102 315 f. 316 174 284 f. 188 103 169 62, 66 172 14917 56 f.

Proverbien 1,18 2,6 2,10 f. 2,17 2,18 f. 3,22 3,24 4,22 4,23 4,24 5,2–5 5,18–20 6,6–11 6,18

104 296 30 240 172 48 197 59 f. 92 127 248 244 193 f. 92

347

Register der Bibelstellen 6,19 6,25 7,3 7,21 f. 7,23 8,35 f. 10,1 10,3 10,4 10,8 10,13 10,19 10,21 10,22 10,28 11,4 11,22 11,28 12,24 13,4 13,11 13,12 13,14 13,20 13,25 14,8.16 14,23 14,26 14,29 14,30 14,33 15,5.32 15,11 15,13 15,14 15,15 15,16 15,17 15,20 15,24 15,32 16,1 16,9 16,16

269 83 87 248 45 45 261 35 192 291 86 291 291 195 220 196 120, 248 196 192 f. 192 291 f. 83 172, 311 290 108 f. 291 194 259 71 81 108 258 80 82 85 142 196 196, 314 261 311 f. 123 128, 195 91, 220 294

16,18 16,23 16,24 16,26 16,32 17,1 17,2 17,17 17,22 17,27 18,7 18,8 18,12 18,13 18,14 18,15 18,21 18,24 19,2 19,7 19,8 19,15 19,20 19,26 20,4 20,12 20,22 20,26 20,27 21,20 21,22 21,31 23,2 23,13 f. 23,16 23,17 23,22.24 f. 23,22 23,26 23,29 ff. 24,1–6 24,3.4 24,12 24,30–34

298 85 36, 292 42 293 196 265 269 82 292 53, 292 109 298 124 72 30, 86 114, 123 269 291 269 45 193 128 261 194 123 223 294 103 294 293 220 41 256 112 81 260 f. 183 94 89 f. 293 294 80 193

348

Register der Bibelstellen

24,30 24,33 25,2 25,11 25,15 25,17 25,21 f. 25,25 26,7 26,11 26,13–16 27,7 27,l0 27,15 28,9 28,17 28,24 28,26 29,14 29,15 29,20 30,1–4 30,17 30,18 f. 30,33 31,10–31 31,30

87 194 297 128 128 269 270 36 211 292 194 36 269 292 f. 125 106 261 291 294 256 128 297 f. 261 79 256 244 f. 120

6,3 6,7.9 7,14 7,15–18 8,7 8,8 8,9 9,1 9,2–4 9,4 9,7–10 9,9 10,4.5–7 10,14 10,18 12,1–7

253 35 142 175 221 221 272 221 175 219 142 245 280 221 193 184 f.

Threni 2,11 3,4 3,25–33 3,25 3,33 5,7

110 57 304 224 98 257

Daniel 1,4 12,2

118 167

Canticum 2,6 3,11 5,10–18 6,3 6,5–7 6,9 7,2–6 8,1–4

115 240 118 f. 246 120 246 119 f. 247

Esra 1,5

72

Nehemia 13,17 f.

206

Kohelet 3,1–8 3,11 3,19 f. 4,13 5,11

2. Chronik 7,16 32,8 34,27

99 62 91

140 141, 218 f. 174 189 197

Jesus Sirach 38,1–15

213 f.

349

Register der Bibelstellen Matthäus 11,29

83

Lukas 2,35 24,5 f.

40 156

2. Korinther 3,2 f.

87

Kolosser 3,20 f.

259

Jakobus 3,2

127 f.

Nachwort zur dritten Auflage

In seinen beiden ersten Auflagen hat dieses Buch und haben seine Übersetzungen eine weithin freundliche Aufnahme gefunden, als Lehrbuch für Studenten, als Anregung für spezielle Forschungen, als Gesprächsbeitrag zu allgemeinen Problemen des Menschenverständnisses. Da dem Verlag und mir selbst drei Jahre nach dem ersten Erscheinen noch nicht die Zeit zu einer Neubearbeitung gekommen zu sein scheint, möchte ich hier meinen Dank nicht nur für die große Zahl zustimmender und empfehlender Besprechungen abstatten, sondern mehr noch für jene ausführlichen Rezensionen, die begründete Kritik vortragen. Schon das Kunstwort »Anthropologie« im Titel erscheint manchen anfechtbar, vor allem im englischen Sprachraum (vgl. H. Seebass, Über den Beitrag des Alten Testaments zu einer theologischen Anthropologie, KuD 22 [1976] 41 ff.). Es meint hier natürlich nicht jenen Teilbereich der Biologie und der Ethnologie, der sich auf das Wesen des Menschen bezieht. Dass ihm nicht die Fiktion einer einheitlichen Lehre vom Menschen innerhalb des Alten Testaments zugrunde liegt, ist schon S. 24 ff. ausgeführt. Mir liegt allein daran, darzustellen, wie im Alten Testament der Mensch – auf vielfältige Weise – angeleitet wird, sich selbst zu verstehen, und wie sich dieses Verstehen seiner selbst bekundet. Der Begriff »Anthropologie« soll andeuten, dass diese Ermittlung in wissenschaftlicher Methodik erfolgt. Zur Methodik des Buches haben sich manche Stimmen gemeldet. Hervorzuheben sind E. Zenger, ThRev 70 (1974) 361 f.; W. Brueggemann, Interp. 28 (1974) 344–347; B. S. Childs, Review of Books/Religion, Mid-June 1975; H. P. Müller, ThLZ 100 (1975) 501–504. Bemängelt wird, dass eine explizite Auseinandersetzung mit der Literatur kaum stattfindet (E. Zenger). Das entspricht insofern meinem Plan, als ich den Leser vor allem mit den alttestamentlichen Texten selbst konfrontieren möchte, für die kritische Weiterarbeit aber die einschlägige Literatur (bis 1972) möglichst vollständig angebe. Sicher könnte in einer Neubearbeitung nicht nur diese Liste erweitert, sondern das Gespräch mit der Forschung wenigstens anmerkungsweise

352

Nachwort zur dritten Auflage

an jenen Stellen ausgeführt werden, wo ich dem Leser umstrittene Deutungen vorführe, etwa zur ältesten Form des Sabbatgebotes (S. 199 f.), zur Gottesknechtsgestalt (S. 279) oder zum Immanuelzeichen (S. 308). Dass form- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen oft mehr vorausgesetzt als vorgeführt werden, stößt ebenso auf Bedauern (z. B. bei B. S. Childs) wie auf Zustimmung (z. B. bei W. Brueggemann). Ich bin geneigt, auch diese Kritik aufzunehmen, vor allem aber den Wunsch, den zeit- und religionsgeschichtlichen Kontext öfter zur Sprache zu bringen, um damit die Kraft und Relevanz alttestamentlicher Aussagen zu verdeutlichen; aber auch das mit dem übrigen Alten Orient Gemeinsame träte besser hervor und damit die Frage, was solche Gemeinsamkeiten theologisch bedeuten. Vielleicht habe ich »mythische und primitiv-religiöse Farben« zu sehr abgedeckt, so dass »die Herausforderung des Fernen und Fremden« abgeschwächt wird (H. P. Müller). Da es daran weithin in der Wissenschaft vom Alten Testament nicht fehlt, lag mir mehr daran, die Voraussetzungen für das Menschenbild des Neuen Testaments und für die Selbsterkenntnis des heutigen Menschen zu zeigen. Die Gewichte könnten jedoch sachgerechter verteilt sein. Der Stoffbereich des Sozialgeschichtlichen bedarf weiterer Ausführung am meisten. In § 22 behandle ich Königtum und Sklaventum lediglich unter der Frage nach dem Verhältnis von Herrschenden und Unterdrückten. Zu wünschen wäre gewiss auch, die positiven Aussagen über die Herrschaft des Königs in den Psalmen stärker zu berücksichtigen (O. H. Steck, EvKomm 6 [1973] 699 f.). Vor allem aber bedarf der Ort des Menschen in der altisraelitischen Gesellschaft der vorstaatlichen Epoche und der Königszeit umfassenderer Untersuchungen, als sie unter den bewusst begrenzten Fragestellungen in § 24 dargestellt sind (vgl. die Kritik von J. W. Rogerson, JThSt 27 [1976] 161 f.). Hier fehlt es jedoch z. Zt. noch an ausreichenden Vorarbeiten. Vielfach wird beklagt, dass Kapitel über den Menschen als Sünder und im gottesdienstlichen Leben des alten Israel fehlen (z. B. S. Wagner, Literatur-Umschau 1973, 483 f.; R. L. Smith, Southern Journal of Theology 1975; L. S., Biblical Theology Bulletin, Roma 1976, 99 f.). Es genügt offenbar nicht, dass der Mensch vor Gott in mehreren Kapiteln hinsichtlich seines Versagens behandelt wird, am ein-

Nachwort zur dritten Auflage

353

gehendsten in den Abschnitten über »Vergehen und Vergänglichkeit« (S. 171 ff.) und über den »verstoßenen Menschen« (S. 302 ff.). Manches wird – vom Sachregister her! – nur deshalb entbehrt, weil ich oft auf das gängige dogmatische Vokabular verzichte. Ich selbst würde gern ein Kapitel über Namen und Namengebung und das sich darin aussprechende Menschenverständnis anfügen. Schließlich wäre der § 10 über den Zeitbegriff um ein Kapitel über das apokalyptische Zeitverständnis zu ergänzen; dazu hat mich nach einem Vortrag in Harvard zuerst der unvergeßliche G. E. Wright angeregt. Sollte der Wunsch, das Bibelstellenregister (neben zwei weiteren Registern!) zu vervollständigen und also etwa zu vervierfachen, wirklich erfüllt werden? Die französische Übersetzung hat es getan, ebenso die italienische und die spanische, während die englische und die amerikanische Ausgabe zwar die im Text genannten Stellen vollzählig bringen, die in den Anmerkungen aber nur in Auswahl. Man hat sich gewundert, dass im deutschen Bibelstellenregister so wichtige Texte wie Psalm 8 (s. S. 229 ff.235 f.) und Psalm 51 (s. S. 73 f.91) fehlen, nur weil sie nicht übersetzt sind. Ich möchte aber nach wie vor lieber ein Lehr- und Lesebuch als ein Nachschlagewerk anbieten. Möge der Leser vor allem anderen entdecken, was in den Rezensionen durchweg bejaht wurde: dass nämlich nach der Bibel der Mensch weder sich selbst noch einen anderen Menschen recht verstehen kann, wenn er nicht sich und ihn vor dem Gott erkennt, der sich in Israel kundgab.

Anhang I Ausgewählte Rezensionen

Ab der 3. Auflage von 1977 hat H. W. Wolff seiner Anthopologie ein Nachwort beigegeben, in dem er auf kritische Rezensionen eingeht (s. oben S. 349 ff.). Diese sind in repräsentativer Auswahl im Folgenden zusammengestellt.

1. Odil Hannes Steck, in: EvKomm 6 (1973) 699 f. In einer Zeit, in der sehr unterschiedliche Auffassungen über Bestimmung, Möglichkeiten und Grenzen des Menschen die geistige Situation prägen und die politische Auseinandersetzung als Kernproblem dirigieren, stehen christlicher Glaube und Theologie vor der zentralen Aufgabe, gerade zu diesem Thema das ihnen Eigene zu sagen und kritisch in die Auseinandersetzung einzubringen. So hat der Heidelberger Alttestamentler Hans Walter Wolff andere Forschungsaufgaben unterbrochen und in Hinsicht in das auf seinem Fachgebiet zur Stunde Nötige eine umfassende Anthropologie des Alten Testaments erarbeitet, wie sie in dieser Art und Weite bislang nicht zur Verfügung stand. Das Buch will ein Lesebuch sein, das sich über die exegetische Fachwelt hinaus an einen breiteren Leserkreis wendet. Dem entsprechen Sprache und Darstellung, ausgezeichnet durch die hohe Kunst einfacher Klarheit der Sicht, die dem Leser aus einer Fülle von Einzelproblemen das Wesentliche zeigt und ihn an den Texten selbst entdecken und verstehen läßt. Leitendes Interesse ist die Frage, »wie im Alten Testament der Mensch zur Erkenntnis seiner selbst angeleitet wird«; ihre Bearbeitung möchte Anregung für eine systematisch-theologische Anthropologie ebenso wie »Anstöße zur Selbsterkenntnis des Menschen« geben. Methodisch ist die Orientierung an Texten maßgebend, denen einen explizite anthropologische Fragerichtung eigen ist, und die Einsicht, daß die Eigenart alttestamentlich-anthropologischer Aussagen nur gewahrt bleibt, wenn sie theologisch verstanden werden.

356

Anhang I

Ein erster Teil wendet sich der sprachlichen Selbsterfassung des altisraelitischen Menschen zu und stellt die in den anthropologischen Grundbegriffen und Wendungen enthaltenen Sehweisen des Menschen dar: den bedürftigen, hinfälligen, ermächtigten, vernünftigen Menschen, dessen Leib, Sehen, Hören, Sprache – also eine »anthropologische Sprachlehre«. Ein zweiter Teil behandelt als »biographische Anthropologie« die alttestamentlichen Aussagen zu »des Menschen Zeit«. Er ist nach einer Untersuchung des alttestamentlichen Zeitbegriffs in die Aspekte gegliedert: Schöpfung und Geburt, Leben und Tod, Jungsein und Altern, Wachen und Arbeiten, Schlafen und Ruhen, Krankheit und Heilung, des Menschen Hoffnung. Der dritte Teil nimmt in einer »soziologischen Anthropologie« die alttestamentlichen Bestimmungen für die Beziehungen des Menschen zu seiner engeren und weiteren Umwelt auf, erschlossen in den Aspekten: Gottes Bild – der Weltverwalter, Mann und Frau, Eltern und Kinder, Brüder, Freunde, Feinde, Herren und Knechte, Weise und Toren, der einzelne und die Gemeinschaft, die Bestimmung des Menschen. Durch diese Anlage gelingt nicht nur eine sehr weiträumige Erfassung der anthropologischen Selbstaussagen des Alten Testaments, wobei an Wesentlichem vielleicht nur ein breiterer Einbezug der positiven Herrschaftsaussagen über Gott und den König in den Psalmen zu wünschen wäre (zu 280 ff.). Wolff meistert dadurch, daß er in der Darstellung der einzelnen Aspekte häufig geschichtlich vorgeht und unterschiedliche Aussagen aus verschiedenen Zeiten nachzeichnet, auch die Gefahr, die thematische Erschließung eines im Verlauf so langer Zeit entstandenen Buches wie des Alten Testaments nur um den Preis der Einebnung geschichtlicher und sachlicher Differenzierungen der verschiedenen Überliefungen leisten zu können. Jahwist, Weisheit, Prophetie, Deuteronomium, Priesterschrift – um Beispiele zu nennen – behalten in ihren eigentümlichen anthropologischen Akzenten im Verlauf der Darstellung durchaus ihre Eigenständigkeit. Den Sachgehalt und Reichtum des Buches, das schon dem Alttestamentler vom Fach eine Vielzahl neuer Einsichten und Anstöße vermittelt, in wenigen Sätzen erfassen zu wollen, wäre ein unmögliches Unterfangen; einige Hinweise müssen hier genügen. Wolff erschließt in den verschiedensten Bezügen eine Selbsterfassung und -erfahrung altisraelitischen Menschendaseins, dem Leben und Sterben nur verständlich und zu bewältigen sind in dem konstitutiven Angewiesen-

Ausgewählte Rezensionen

357

sein auf Jahwe, den Gott Israels. Schon in dem Selbstverständnis der anthropologischen Grundbegriffe wird diese Relation herausgearbeitet; nicht minder tritt sie darin zutage, wie der altisraelitische Mensch versteht, daß er existiert (Schöpfung), daß er sterben muß, daß ihm Arbeit und Ruhe verordnet sind, daß Krankheiten und Lebensminderungen über ihn kommen, daß er hofft. Besonders wichtig sind die Auswirkungen dieser fundamentalen Relation auf die Aussagen des Alten Testament zu den Umweltbezügen des Menschen – die Verwaltung einer entmythisierten Welt im Dienste des Schöpfergottes, die Begrenzung, Relativierung und Ordnung der Sozialverhältnisse des altisraelitischen Menschen durch die vorgeordnete Bindung an Jahwe, der die Normen wohltätigen Zusammenlebens setzt. Man wünscht die Aufnahme des Werkes in die anthropologische Arbeit der systematischen Theologie, in der die Frage der differenzierenden, wandelnden Vermittlung alttestamentlich-anthropologischer Aussagen in die gegenwärtige theologische Urteilsbildung unter Wahrung der biblischen Sachidentität weiter zu verfolgen ist. Vielleicht kann im Zusammenhang systematischer Vermittlungsfrage auch am Problem der besonderen geschichtlichen Konstituenten und der Nötigung, von Gott zu reden, im Blick auf die Anthropologie des Alten Testaments historisch-exegetisch noch weiter gearbeitet werden. Diese gewichtige Neuerscheinung gehört in die Hand eines jeden, der heute verantwortlich im Blick auf unsere Zeit denkt und noch bereit ist, über Maßstäbe, Werte und Richtweisungen des Lebens nachzusinnen, zu lernen und an einem Buch wie dem Alten Testament zu wachsen. Endlich sind die hilfreiche Erschließung des Buches durch Register und Literaturverzeichnis sowie die vorzügliche Ausstattung des Bandes hervorzuheben; hierfür ist auch den Mitarbeitern von Hans Walter Wolff und dem Verlag besonderer Dank abzustatten.

2. Erich Zenger, in: ThRev 70 (1974) 361–362 Dieses umfangreiche Buch des Heidelberger Alttestamentlers ist forschungsgeschichtlich der bisher erste Versuch einer Sichtung und Deutung der anthropologischen Aussagen im Alten Testament. Das gesteckte Ziel umreißt H. W. Wolff selbst im Vorwort: »Ich war bemüht, die charakteristischen Texte vorzuführen und keine irgendwie

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Anhang I

wesentlichen Aussagen zu übergehen. So sollte ein Lesebuch entstehen, das jedem, den anthropologische Probleme beschäftigen, auch ohne fachwissenschaftliche Voraussetzungen den Zugang zu den biblischen Dokumenten eröffnet. Darüber hinaus möchte die Verarbeitung der umfangreichen Spezialliteratur die theologische Forschung im Detail und im Grundsätzlichen fördern« (11). Der Charakter des »Lesebuchs« wird dadurch erreicht, daß die wichtigsten alttestamentlichen Texte immer im Wortlaut abgedruckt sind. Der Forschungsbezug wird vor allem deutlich durch die jeweils am Anfang eines Abschnitts gegebenen Literaturangaben; eine explizite Auseinandersetzung mit der Literatur findet (leider!) allerdings kaum statt. Die drei Teile des Buches tragen die sprachlich gelungenen Überschriften »Des Menschen Sein. Anthropologische Sprachlehre« (29 ff.), »Des Menschen Zeit. Biographische Anthropologie« (131 ff.), »Des Menschen Welt. Soziologische Anthropologie« (229 ff.). Der erste Teil, der zunächst kurz das synthetisch-stereometrische Denken der Semiten beschreibt, versucht von den Grundwörtern hebräischer Anthropologie her einen ersten Zugang zum biblischen Menschenbild. Dabei erhalten vor allem die Wörter näpäsˇ, ba¯´sa¯r, ru¯ah und le¯b(a¯b), die unter dem Einfluß griechischen Denkens in der ˙ Tradition oft im Sinne einer dichotomischen oder trichotochristlichen mischen Anthropologie als Seele, Fleisch (Körper), Geist und Herz verstanden wurden, ihre sachgerechtere Deutung als »der bedürftige Mensch« (näpäsˇ), »der hinfällige Mensch« ba¯´sa¯r), »der ermächtigte Mensch« (ru¯ah) und ˙ »der vernünftige Mensch« (le¯ba¯b). Der zweite Teil nimmt den Menschen in den wechselnden Phrasen seiner Lebensgeschichte in den Blick: Schöpfung und Geburt, Leben und Tod, Jungsein und Altern, Krankheit und Heilung, Erwartung von Zukunft. Im dritten Teil wird der Mensch in den vielfältigen Bezügen gesehen, die seine Welt ausmachen: die Schöpfung (»Gottes Bilde – der Weltverwalter«), die Familie (»Mann und Frau«, »Eltern und Kinder«), die Mitmenschen (»Brüder, Freunde, Feinde«), der Staat und die Gesellschaft (»Herren und Knechte«, »Der Einzelne und die Gemeinschaft«), die Schule (»Weise und Toren«). Diesen Teil (und das Buch insgesamt) beschließt ein knappes Kapitel »Die Bestimmung des Menschen: zum Leben in der Welt, zum Lieben des Mitmenschen, zum Beherrschen der Schöpfung, zum Loben Gottes« (310 ff.).

Dies ist ein Buch, das der Alttestamentler, der Theologe und jeder an anthropologischen Fragen Interessierte mit Freude und Gewinn lesen wird. Es ist in faszinierender Sprache geschrieben, die es versteht, atl. Texte zum Sprechen zu bringen. Die Gesamtanlage ist bestechend und

Ausgewählte Rezensionen

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bringt darin implizit viele Details, die nur angedeutet sind, in überraschende Zusammenhänge. Selbstverständlich ist ein thematisch so breit angelegtes Werk in vielem von den individuellen Positionen seines Vf.s bestimmt, ohne daß diese immer begründet werden können. Vielleicht wäre es aber auch für den breiteren Leserkreis nützlich und für das Gespräch mit der Forschung unerläßlich gewesen, anmerkungsweise doch die eine oder andere exegetische Position aufzuführen, z. B. bei der Deutung von Ps 49,16 als »Entrückung«, bei der Frage nach den ältesten Formen des Sabbatgebots sowie des angedeuteten nomadischen Ursprungs des Sabbats, bei der »königlich« (und nicht »prophetisch«) interpretierten Gottesknechtsgestalt oder der doch eigenwilligen Interpretation des Immanuelzeichens. Manche Texte wären auch noch gesprächiger, wenn sie stärker in ihrem jeweiligen zeit- und religionsgeschichtlichen Kontext zur Sprache kämen. Die unterschiedlichen Nuancen der Sabattheologie z. B. erhalten ihre konkrete anthropologische Relevanz gerade wenn sie jeweils auf dem Hintergrund der sich ändernden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung gesehen werden. Die Abschnitte über Tod (152 ff.) und Sexualität (238 ff.) hätten durch die Erläuterung der nur angedeuteten religionsgeschichtlichen Bezüge um vieles aussagekräftiger werden können. Bei der anthropologischen Sprachlehre wäre die Einbeziehung der Septuaginta und der durch sie ausgelösten Problematik für die aktuelle Diskussion wünschenswert gewesen. Manche Abschnitte sind insgesamt etwas dünn und bisweilen sogar biblizistisch geraten, z. B. die Abschnitte »Das Wesen des Menschen« (122 ff.) und »Eltern und Kinder« (252 ff.). Die Abschnitte »Krankheit und Heilung« (209 ff.) sowie »Des Menschen Hoffnung« (218 ff.) sind m. E. am schwächsten in ihrer anthropologischen Relevanz ausgefallen; hier wäre unbedingt mehr zum Thema »der leidende und der klagende Mensch« und zur Utopie vom neuen Menschen zu sagen. Die Anlage eines solchen Werkes bringt es schließlich mit sich, daß man in der Auswahl und Darstellung im einzelnen auch anders entscheiden könnte. Nach der Meinung des Rezensenten ist z. B. der Abschnitt »Blut« (104 ff.) ausgesprochen dürftig, hätte man in der anthropologischen Sprachlehre von Nase/Zorn handeln müssen, wäre der metaphorische Gebrauch anthropologischer Wörter breiter zu berücksichtigen usw. Das wird immer eine persönliche Entscheidung

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sein. Sachlich bedauerlich ist aber das Fehlen des für das alttestamentliche Menschenbild zentralen Bezugsfeldes, wonach der Mensch wesentlich Glied einer religiösen Gemeinschaft ist, d. h. also sein Selbstverständnis im Vollzug des Kultes. Ebenso vermißt man einen Abschnitt zum Thema »Der Mensch zwischen Schuld und Vergebung«. Beide Bezugsfelder wären gerade auch für das Ausziehen der Linien auf das NT hin unumgänglich gewesen. Trotzdem: Das Buch ist eine der erfreulichsten Neuerscheinungen aus dem Bereich alttestamentlicher Exegese der letzten Jahre.

3. Walter Brueggemann, in: Interp. 28 (1974) 344–347 Hans Walter Wolff is only now, coming to be widely known in American circles, and happily a number of his writings are being translated into English. With the deaths of Martin Noth and Gerhard von Rad, he emerges along with Zimmerli as the major spokesman for the form-critical and tradition-critical work most popularly represented by Von Rad. He is successor to Von Rad in the distinguished chair of Old Testament studies at Heidelberg and continues the work of Von Rad in pursuing a boldly theological approach to the text of the Old Testament. In the contemporary world of critical exegesis, he is something of a phenomenon, for he has the peculiar gift of bringing the text into direct confrontation with our own experience in a way that is undeniably kerygmatic. The present book, is an effort to bring together two remarkably divergent concerns, an effort brought to brilliant fruition. First, Wolff is a product of the Confessing Church of Germany during Hitler’s years and reflects the influence of Barth in his exegesis. This does not refer to the excesses attributed to »Barthianism,« but to the sense of urgency about Scripture, the sure affirmation of its powerful relevance and the sense that the exegete, along with the text, must come face to face with the sovereignty of God. Wolff ’s sure sense of exegetical focus is on powerful display in this book. He of course makes use of every critical tool, but only as a means of cutting to the Center of the text where its Claim is presented. The book, among many other values, is much to be appreciated for its model of exegesis which establishes a Balance and blend of critical and kerygmatic concern.

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Second, Wolff is an intensely dialogical man and takes most seriously the presence, learning, and questions of his colleagues in the secular disciplines of the university. He is aware of the distinct responsibility of the social and human sciences and wishes to engage such scholars in an interdisciplinary dialogue. He correctly senses that the issue in such sciences has recently shifted, so that technical matters are now in the frame of an »elemental hunger« for talk about the human. Wolff seeks to establish an interface between the Old Testament and such disciplines, but his approach is not a casual conversation of broad categories. He clearly believes that theological exegesis must and can make its own way; that on its own terms (note the influence of Barth) it can make affirmations and present frames of reference for others to utilize. Thus it is dialogical but it is also proclamation of a distinct understanding of the important human questions and a polemic against falsely stated issues or wrongly framed questions. The book, without fair but with firmness, takes the ground that the biblical text is the only source from which the deepest human questions can be answered or even asked. Thus Wolff ’s anthropology is faithful anthropology. He enters the interface with other human disciplines with a sense of urgency and certainness about what must be said. Perhaps »anthropology« is the wrong term because it means other things in the university today. But he means the term in the precise sense of the character, nature, and destiny of human persons in human community. In genre the book takes up topics not unlike those of Pedersen, Israel, but Wolff is not so »psychological« nor is he concerned with history-of-religion data. The mood is more like Heschel, Who Is Man? but with far greater textual discipline. The book takes the data of the text point by point and articulates a sense of humanness which methodologically is a major new innovation in our field. Wolff is not interested in curious questions about the Semitic mind nor in ancient Near Eastern ideas of humanity. Rather he asks what has covenant with Yahweh to say about how we define humanness, about which dimensions and components of the question need to be explored. His way of stating the relevant issues is fresh and suggestive. In the first part on the »being« of man, he discusses the words usually discussed, for example by Pedersen, Lys, and Aubrey Johnson. But in a unique way he characterizes each term so that it becomes a live dimen-

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sion of humanness. Thus nephesh concerns »the needful man,« one who Graves and has appetites which range from need for food to need for hope and praise. Basar is »the frail man,« ruah concerns »the empowered man,« »heart« speaks of »the reasoning, deciding man.« This section ends with a discussion of mouth and ear, for hearing and answering, that is for being in covenant. Wolff clearly means to engage those who do not take seriously the unity and integrity of personhood, but who treat the human persons in a technical, analytical way. He shows how in Israel’s self-understanding psychological and sociological reality are transformed by their theological referent. This reviewer knows of no word study which yields such compelling, dynamic conclusions. In his second section, »the time of man,« he discusses the concepts of time, of creation and birth, of life and death. Again each notion is dynamically framed. Thus concerning death he begins with the affirmation, »man’s time is limited time,« and deals with Israel’s preoccupation with life rather than with death. Following Tod, he presents death as »loss of relationship« and sees sin as making one »detached.« With the limits of birth and death he deals with the relation of young and old and comments on the generation gap, suggesting the youth in strength and the aging in discretion are in need of each other. This chapter is a model of exegesis. He demonstrates how exegesis can illuminate a most contemporary issue though he resists any attempts at Statements of »relevance.« In his theme of »work and rest,« he comments on the sabbath as a protest against a technological mentality which reduces persons to machines. Sabbath is understood as a revolutionary assertion of the character of »the new age.« In his chapters on sickness, healing, and hope he demonstrates a biblical Posture on questions which our modern technical mind-set can scarcely address. The point of his treatment is to suggest that the Bible does not so much answer as redefine the issues which we must face. (Wolff is most intentionally in dialogue with persons in medical research and practice.) His third and final section, »the world of man,« presents the texts in a quite suggestive way, around the »relations« in which human persons live, for example man and wife, parents and children, brothers, friends and enemies, masters (kings) and servants, teachers and students, individual and community. None of the classic treatment (cf. Pedersen,

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Eichrodt, Köhler) has caught the issues as has Wolff, preserving the dynamic of the text itself and at the same time showing the radical contemporaneity of the data, though he resists easy applications. This section protests against any psychology of personhood which is, blind to the dialogical, relational character of human life. With rewarding deftness he shows how the dynamics of those relations are enduring from the text to our own situation. The method used is so understated as to look simple. With no intensive reference to critical presupposition, he simply arranges the texts in a sequence and discerns the themes, problems, and affirmation as the texts interaction upon each other. He pays particular attention to the sharp turns, incongruities and changed accents as he moves from text to text. The book is nearly free of hypotheses to be imposed or tendencies to be demonstrated or defended. Rather the reader is permitted to face the text itself and there have his own anthropological preconceptions illuminated and mostly called into question. Wolff presented several of these studies at our seminary orally. The response of first degree professional theological students is worth reporting. On the one hand, there was a sense of wonderment that they had not seen it before, because he simply showed what was in the text itself. And that is the merit of the book, that with fresh themes and questions the texts yield what has been mostly missed before. On the other hand, there was amazement that such a transparent method could result in such remarkable insights so obviously useful in contemporary reflection. The ease with which contemporaneity surfaced where the right questions are addressed contrasts with our much straining for relevance. Indeed the book suggests a very different perception of how and in what ways the bible is relevant. Wolff ’s book is of first-rate importance to us for several reasons. It is a model of method for all of us who will submit ourselves to the text. There are few books which really break new ground. This is one of them because »anthropology« is where much ministry and study must work. This book reminds us that how anthropological questions are framed is the crucial element and this book reassures that right in our own »Holy Book« is standing ground from which to reject the major presuppositions of the day. In a gracious way, the book engages in a frank debate with today’s dominant presuppositions. In such discussions it is possible to take our stand in the frame of the Bible and so

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to discern which issues and which data belong to the discussion. Finally the book offers a stance and mood for study and proclamation that is neither arrogantly obscurantist in terms of »scripture alone« nor is pantingly relevant in »letting the world set the agenda. The church is now invested in an enormous conflict over faithful and viable understandings of humanness. In a time of renewed interest in Scripture, this book affirms that such interest is not for faith and piety in a separate sphere, but it belongs precisely at the interface with other intellectual disciplines in the university over the questions that have come from the ashes of technical reason. Wolff ’s conclusions forcefully respond to the »elemental hunger« for a human anthropology: 1. Man is destined to life and not to death. 2. He is destined to love and to overcome all hate. 3. He is destined to rule. 4. He is destined to praise. No failure of nerve here! As Professor Wolff is »an event« in our discipline, his book is »an event« in our scholarship and ministry. He makes clear that the text meets us where the issues are keenest. Happily a translation is promised soon from Fortress Press. 1

4. Hans-Peter Müller, in: ThLZ 100 (1975) 501–504 Um es vorweg zu sagen: ein wissenschaftlich gehaltvolles und zugleich schönes, tiefsinniges Buch, wie man es unter der exegetischen Fachliteratur selten findet! Die Nötigung zu seiner Arbeit findet Wolff in einem Rückstand unserer Disziplin: »… schon müssen sich systematisch-theologische Entwürfe einer Anthropologie den Problemen gegenwärtiger philosophischer Anthropologie sowie der Psychologie, der Soziologie und der Politologie stellen, ohne daß die gegenwärtigen exegetischen Erkenntnisse im Zusammenhang bereitgestellt wären« (S. 23 f.). Dabei wird freilich auch die Schwierigkeit eines solchen Unternehmens angezeigt: »dem Alten Testament liegt weder eine einheitliche Lehre vom Men1.

Die amerikanische Übersetzung ist 1996 dann in Mifflintown / PA erschienen.

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schen zugrunde, noch sind wir in der Lage, eine Entwicklung des biblischen Menschenbildes nachzuzeichnen«; auch auf die Rollendifferenzierung hätte hingewiesen werden können, die mit der Vielzahl literarischer Gattungen innerhalb des Alten Testaments vorgezeichnet ist. Der Aufriß ist dreiteilig. Auf eine Erörterung des menschlichen Seins als »anthropologische Sprachlehre«, die u. a. die Begriffe näfäsˇ (»Seele, Leben«), ba¯sa¯r (»Fleisch«), ru¯ah (»Atem, Lebenskraft, Geist«), ˙ le¯b(a¯b) (gewöhnlich: »Herz«, besser: »Vernunft«, manchmal »Wille«) umsichtig erklärt, folgt in einem zweiten Teil eine Beschreibung des Daseins des Menschen in der Zeit als »biographische Anthropologie«, worin, ausgehend von den verschiedenen Temporalbegriffen und Schöpfungsvorstellungen biblischer Verfasser, das Alltägliche wie Leben und Tod, Jungsein und Altern, Wachen, Arbeiten, Schlafen und Ruhe, Krankheit, Heilung und Hoffnung anschaulich und gelegentlich sprachmächtig ausgebreitet wird; ein dritter Teil kommt als »soziologische Anthropologie« – und so in bezeichnender Variation der gängigen Zeit-Raum-Ontologie – auf die Welt des Menschen zu reden, worunter konkret die Verhältnisse von Mann und Frau, Eltern und Kindern usw., kurz: die Probleme des einzelnen und der Gemeinschaft verstanden sein sollen. Den Schluß bildet dabei eine Erörterung der Bestimmung des Menschen, die Wolff im Leben selbst, in der Liebe, im Beherrschen der außermenschlichen Schöpfung und im Loben Gottes begründet sieht. Unaufdringlich und gerade dadurch wirksam kommt Wolff auf die Anliegen zu sprechen, bei denen sein eigentliches Interesse liegt: die Beziehung des Menschen zu Gott, die christologische »Besiegelung« der alttestamentlichen Botschaft und ihre gegenwärtige Aktualität. Die Bedürftigkeit und Begehrlichkeit des Menschen, die sich in der Verwendung des Begriffes näfäsˇ ausspricht, und die Hinfälligkeit seines Daseins als »Fleisch« sind zugleich der Hintergrund seiner Bevollmächtigung durch die Energie, die ru¯ah Gottes; »das weithin durchschlagende proprium«, das mit dem˙ Begriff le¯b(a¯b) zur Sprache kommt, bleibt dementsprechend, »daß das Herz zur Vernunft berufen ist, insbesondere zum Vernehmen des Wortes Gottes« (S. 96). – Christologische Perspektiven tun sich auf, wo vom alttestamentlichen Todesbegriff her ein Verständnis des Sterbens Jesu gesucht wird, die Ruhe Gottes am siebten Schöpfungstag dem »Es ist voll-

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bracht« von Joh 19,30 gegenübertritt oder die Ermächtigung des Menschen zur Herrschaft über die Schöpfung aus der Kosmokratie Christi ihre letzte eschatologische Begründung erfährt. – Die Aktualität des alttestamentlichen Menschenbildes zeigt sich vor allem da, wo es uns auf die Lösung vom Leistungszwang die Grundlosigkeit eines eigenmächtigen »Prinzips Hoffnung« und die Infragestellung menschlicher Weltbewältigung durch die Verkennung unserer Herrschaftaufgaben und das Aufkommen des Unmenschen anspricht. Unter dem Eindruck der Lektüre fällt es dem Rezensenten fast ein wenig schwer, nun auch anzudeuten, was er meint, anders sehen zu müssen. 1. In der Zeitgeschichte unserer Disziplin mag die Neigung begründet sein, mythische und primitiv-religiöse Farben im alttestamentlichen Menschenbilde abzudecken, um so nach Möglichkeit die Bibel in die Neuzeit zu holen, statt auch um gekehrt der Neuzeit, in dem allenfalls gebotenen Maße, die Herausforderung des Fernen, Fremden und – Überholten zuzumuten. Nehmen wir die priesterschriftliche Schöpfungserzählung! Ist wirklich, wie man so oft hört, die Voraussetzung für die Herrschaft des Menschen über die Erde eine »entmythisierte Welt« (S. 234)? Das Motiv der Entmythisierung begegnet bei Wolff vielfach, insbesondere im Blick auf den Tod und den Eros. Aber nicht einmal der Priesterschrift gelingt es, den chaotischen Rand der Schöpfung, die Sphäre des Antimythos (A. Jolles), gänzlich hinwegzutheologisieren. So gibt es, anders als Wolff es sieht, sehr wohl »dem Menschen grundsätzlich unzugängliche Bereiche«, und die Art der menschlichen Weltverwalterschaft ist nicht die »unbedingte Überlegenheit« (S. 234 f.). Trotz allen Trennens, Begrenzens und Integrierens bleibt in der Welt Gottes das Chaotische als Finsternis, Himmelsozean und Meer gegenwärtig. Zwar gibt es für den Menschen keine »göttliche Erde«, wohl aber bleibt diese auch Gen 1,11 f. der Hort kreativer Kräfte, die das Wort des Creators nur wachzurufen braucht. Dokumentiert die berühmte Gottebenbildlichkeit des Menschen wirklich nur, daß dieser die Herrschaft Gottes »als sein Verwalter« praktiziert, wobei die besondere Nähe Gottes zum Menschen »in der Wortverbundenheit zum Ausdruck kommt« (S. 232)? Steht das Motiv der orientalischen Vorstellung einer Verwandtschaft von Göttern und Menschen nicht näher, als wir es wahrhaben wollen? Die (umgekehrte) Wiederkehr des Ausdrucks »nach unserem Bilde, uns ähnlich«

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(1,26) in 5,3 P legt doch eben nahe, den Ausdruck von der Zeugung her zu deuten: dann wäre der Mensch Gott ähnlich wie ein Sohn dem Vater. Freilich zeigt gerade 5,3, daß der Ausdruck auch in 1,26 als Adverbialbestimmung die Weise des Schaffens Gottes spezifiziert (C. Westermann); aber schon 9,6 wird er zur Wesensbestimmung des Menschen. Und schließlich ist die Krone der Schöpfung nach dem jetzt vorliegenden Text ja nicht einmal der Mensch, sondern – der Sabbat, also eine starke Institution wie der Marduktempel Esagil, mit dessen Bau seitens der Götter die akkadische Schöpfungserzählung enuma elîsˇ ihren Höhepunkt erreicht. Dem »Mythos der Technik«, der gegenwärtig den Menschen beherrscht, so daß er die ihm zugemessene Herrschaft aus den Händen zu verlieren droht, steht in Gen 1 noch das Spätzeugnis einer weithin virulenten Mythologie gegenüber. Gerade der schon selbstkritisch vermittelte, gleichsam gebrochene Mythos aber vermag der Bevollmächtigung menschlicher Vernunft zur Weltbewältigung wertvolle Motive zu geben: er präfiguriert eine Universalordnung, die im Partikularen nur wiederholt zu werden braucht; so kann die Vernunft nicht ins Bodenlose stürzen und ist doch nicht mehr einfach auf einen fixen Prototyp festgeschrieben. Vielleicht wird gerade, wenn man den Anspruch der biblischen Aussage nicht lediglich aus ihrer religionsgeschichtlichen Sonderstellung zu begründen sucht, eine Bibelinterpretation, die ihren Gegenstand aus unfruchtbarer Isolierung befreit, bei selbstkritischen Zeitgenossen Gehör finden! Manches von dem, was man für spezifisch alttestamentliches Denken hält, wie etwa das Begreifen der Zeit von ihren Inhalten her (S. 131 ff.), mag überdies allgemein »primitiv« sein. Man wird sich nicht unbedingt eines blinden Irrationalismus schuldig machen, wenn man in Erinnerung bringt, daß auch noch lange nach dem Verlassen der Primitivität ein kompensatorischer Rückblick auf Zurückgelassenes regenerativ sein kann. Sollte uns nicht auch dazu das Alte Testament verhelfen können? 2. »Hören, hören, das macht den Menschen, und entsprechend den Mund öffnen, antworten«, schreibt Wolff mit dem Blick auf Ps 38 (S. 122 f.). Zwar wird im Folgenden auch über das Auge höchst Hörenswertes gesagt; »doch die Öffnung des Auges geschieht durch das Wort« (S. 123 f.), und nicht umsonst bittet Salomo um ein hörendes Herz. Aber tritt nicht dem Anruf, der Zusage Gottes sein sichtbares Erscheinen an die Seite? Und in der Klage wird Gottes Wegsehen be-

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weint (Ps 13,2b) sowie sein Hinsehen erbaten (V. 4a), wie dies denn auch in der Heilszusage zugesichert wird (Ex 3,7). – Besteht das Privileg des Menschen nach Gen 2,18–23 J wirklich hauptsächlich darin, »daß er zu Wort kommen darf« (S. 126)? Ist es doch gerade die Wahrnahme des Auges, auf die der Jubel Gen 2,23 reagiert! Auch das mit der Wendung vom Bilde Gottes Gen 1,26 P ausgesprochene Entsprechungsverhältnis schien uns ja nicht zuerst darin zu bestehen, »daß der Mensch im Hören und dann auch im Gehorchen und im Antworten der Anrede Gottes entspricht« (S. 230); wenn der Mensch nach Gottes »Bilde« geschaffen ist, wird die Entsprechung jedenfalls dem inneren, am Mythischen orientierten Auge sichtbar sein. Die Relation vom Auge zur Sprache ist die mythische Relation: zuerst schaut der Mensch die Gestalt des mythischen Gottes, dann hört er seinen Namen und seinen Willen und nimmt an seinem Schicksal teil. Die mythische Gottesgeschichte ist anschaulich. Auch hierin wird die Erfahrensund Denkweise des alten Israel von derjenigen seiner Umweltvölker nicht allzu verschieden gewesen sein. Am Ende freilich wird man dem Satz Wolffs zustimmen: »Erst in des Menschen Sprache kommt an den Tag, daß sein Ohr ein wahrhaft menschliches Ohr und sein Auge ein menschliches Auge ist« (S. 126). 3. Zuletzt noch eine Kleinigkeit. Es ist richtig: »In den weitaus meisten Fällen werden vom Herzen intellektuelle Funktionen ausgesagt, also genau das, was wir dem Kopf und genauer dem Hirn zuschreiben« (S. 84). Allerdings gibt es einen (isolierten) Zusammenhang, in dem der Kopf als Sitz geistiger Regungen gilt; die Daniellegenden: danach entsteigen dem Haupt Träume und Gesichte (Dan 2,28; 4,2.7.10; 7.1,15), die in 4,2 »Phantasien« (harho¯rı¯n) genannt werden. Was der vorangehende Dialog mit Wolff anzudeuten suchte, sind freilich bestenfalls Nuancierungen eines Bildes, dessen Konturen der Verfasser klar und gültig nachgezeichnet hat. Daß hier »ein theologisches Begreifen der anthropologischen Phänomene« (S. 24 f.) in exemplarischer Weise gelungen ist, wird man nicht gut bestreiten können.

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5. Brevard S. Childs, in: Review of Books/Religion, Mid-June 1975, 10 Prof. Wolff of Heidelberg University has been a major figure in the field for over two decades. Only recently have his works begun to appear in English translation. His full-scale commentary on the Book of Hosea has already established itself as a standard. Now the appearance of this book will surely serve to enhance his growing reputation in America. Wolff sets out to explore the Old Testament understanding of man from variety of different perspectives. He divides the subject into three different parts: the Being of Man, the Time of Man and the World of Man. In the first part he seeks to analyze the special vocabulary by witch man is described in the Bible. Such words as »flesh,« »spirit,« and »heart« are studied, along with the various function of the body in seeing, feeling, and speaking. The second major section deals with man’s temporal dimension. There are chapters on creation and birth, life and death, being young and old. Wolff is concerned not only to describe the physical and sociological features of Hebrew life, such as life expectancy and the role of the elderly, but also to draw out the theological significance of passing time on the Hebrew understanding of man. He finds it to be a recurring theme than God overthrows the biological rules of normal life to bring the new and unexpected into human experience. The final section treats such basic questions as man and woman, parents and children, individual and community. In my judgment, this final section is the most interesting and creative part of the book. There are few books available witch touch on such a wide range of issues as does Wolff ’s. Most of these issues have broad implications for theology but Wolff provides the basic biblical information. Wolff ’s book can be greeted with considerable enthusiasm in the field because no detailed Old Testament study of anthropology has appeared for many years. The older works of Delitzsch, H. W. Robinson, and Pedersen are badly out-of-date. The newer theologies, such as von Rad’s, focus attention elsewhere without filling the gap. This obvious need has now been met in large measure. However, the book does suffer from some methodological problems, in my judgment. At times it seems that Wolff draws theological

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implications directly from evidence based on a lexical stock or Hebrew idiom, and the argument is vulnerable to the semantic criticism of James Barr. Again, Wolff has felt the need to distance himself in this study from the strictly kerygmatic focus of Old Testament theology proposed by von Rad. In fact, he has moved much closer to Eichrodt. As a result of this playing down of the form-critical and traditio-critical approach, the reader is left wondering how to decide the theological significance of anthropological data often held in common with the rest of the ancient Near East. Finally, although each section is dominated by a descriptive approach, the last few paragraphs of each chapter invariably become christological. What is the theological warrant in his method for this move? In sum, the book can be recommended as a reliable guide to the study of man in the Old Testament, but the subject of biblical anthropology has not been exhausted by any means.

6. John W. Rogerson, in: JThSt 27 (1976) 161f Wolff ’s purpose in writing this book ›was to produce a reader that would make the biblical documents accessible to everyone concerned with anthropological problems, even those without previous specialist knowledge‹ (p. ix). By ›anthropological problems‹ is meant the nature and destiny of man, and his place and life in the world. To this end, the book is devided into three parts: ›The Being of Man‹, ›The Time of Man‹, and ›The World of Man.‹ The first part seeks to describe man both biologically and as a creature capable of self-knowledge; this is done largely by discussions of Hebrew terms such as nepesˇ, ba¯´sa¯r, and ru¯ah. The second part deals with man’s birth, education, work, lei˙ sickness, old age, and death, as well as man’s status as created in sure, God’s image, and his future hope. In the third part, the author expounds Old Testament passages dealing with man’s relationship to his fellow human beings under such headings as man and woman, brothers, friends and enemies, masters and slaves, the individual and the community. A chapter on the destiny of man concludes the book. As an attempt to summarize recent specialist work on individual aspects of the Old Testament view of man, and as a thematic presenta-

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tion of biblical material, the book is to be welcomed. However, the reviewer is unhappy about some of the methods implied in the book, and he believes that in places it will mislead the uninstructed reader. Most of the criticisms are to be directed at the first part of the book, but it must be pointed out that in part three, the section on the indiviual and the community is far from satisfactory. Here, the author neatly decribes the groupings in ancient Israelite society from the ›tribe‹ down to the individual on the basis of Joshua vii. 16–18. However, apart from a footnote reference to the Biblia Hebraica, no warning so given to the non-specialist that the description is based upon a ›tidied-up‹ text, and that it has long been recognized that terms such as ˇs¯ebet and misˇpa¯ha¯h are a good deal more ambiguous in the Old ˙ Testament than the˙ author implies. It is no doubt a matter of opinion how far the semantic procedures of modern linguistics, such as componential or contrastive analysis, can assist the understanding of groups of related words. In part one, where he is describing the key ›anthropological‹ terms of the Old Testament, Wolff makes no use of such procedures, though it is arguable that he might have profited from using them. For example, on p. 33 he notes that the terms ru¯ah, nesˇa¯ma¯h, and nepesˇ can all mean ›breath‹ ˙ and it would have been useful to have an analysis of the common and distinctive features of these terms in this regard. Indeed, (though this is again a matter of person preference) part one would have benefited from the sort of semantic diagram or map which enables the reader more readily to apprehend the manifold senses of key terms. In the reviewer’s opinon, a serious criticism can be made of Wolff ’s actual method in part one, in that when explaning such terms as nepesˇ, the Hebrew words are left untranslated (indeed, they are reduced to their initial Hebrew letter, thus, n. for nepesˇ) while the remainder of the passages quoted is rendered in such a way as to suggest the translation for the key term that the author desires. While the result is usually unexceptionable, the procudure permits a certain vagueness which sometimes produces odd results. Thus on p. 15, where the meaning ›neck‹ is being propounded for nepesˇ, I Sam. xxviii. 29a is rendered ›Why do you want to lay a noose form n.?‹ (German original: ›eine Schlinge legen‹). This rendering, apart from perhaps straining the Hebrew verb, raises the question how you can lay a noose for someone’s neck, and perhaps the oddity of this phrase

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is obscured because n. is left untranslated. Similarly, on the same page, it is not at all clear what is to be conveyed by ›Our n. escaped like a bird from the net of the fowlers‹ (Ps cxxiv. 7). In the book’s first part, it seems to the reviewer that the author does not always clearly distinguish between the questions ›what does this word mean?‹ and ›how is it to be translated into my own language?‹ ; it is not always clear whether the author thinks he is describing what is expressed in the Old Testamnet, or whether he believes that he is reconstrucing how Old Testament man actually thought. Never far below the surface is the implication that Old Testament man thought in a special way. Fortunately, the first part of the book is probably the least significant of the three parts, and thus the reviewer can conclude wih a commendation, in spite of all the criticisms. While Wolff has clearly not said the last word about Old Testament ›anthropological‹ terms, much of what is presented in parts two and three amply achieves the author’s purpose as stated at the head of this review. The sections on death, and man as the image of God are particularly successful. This, then, is a book to use and recommend with a certain amount of discretion, and thus used, it will make a contribution to both biblical studies and systematic theology.

Anhang II »Anthropologie des Alten Testaments« vor und nach H. W. Wolff Eine forschungs- und problemgeschichtliche Skizze Bernd Janowski

Als die Götter die Menschen erschufen, wiesen sie der Menschheit den Tod zu, das Leben nahmen sie in ihre eigene Hand.1 Viel Ungeheures ist, doch nichts So Ungeheures wie der Mensch. 2 Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, und ein Menschenwesen, dass du nach ihm siehst? 3

Die Frage, was oder wer der Mensch ist, reicht bekanntlich weit in die Antike zurück. Schon in den Hochkulturen Mesopotamiens und Ägyptens hat sich der Mensch vielfältige Gedanken über sich selbst, seine Stellung in der Welt und sein Verhältnis zu den Göttern gemacht, ohne diese Gedanken systematisch zu erfassen und darzustellen. Ähnliches gilt für die griechische und die mittelalterliche Philosophie, die mit Platon, Aristoteles und Albertus Magnus Protagonisten des anthropologischen Denkens besitzen, aber die Frage nach dem Menschen weder als selbständigen Teil noch als Disziplin der Philoso1.

2. 3.

Altbabylonisches Gilgameschfragment, zitiert nach vgl. K. Hecker, Das akkadische Gilgamesch-Epos, in: O. Kaiser (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Bd. III/4, Gütersloh 1994, 646–744, hier: 665 f. – Die folgende Skizze nimmt Überlegungen von D. Bester / B. Janowski, Anthropologie des Alten Testaments. Ein forschungsgeschichtlicher Überblick, in: B. Janowski / K. Liess (Hg.), Der Mensch im alten Israel. Neue Forschungen zur alttestamentlichen Anthropologie (HBS 59), Freiburg / Basel / Wien 2009, 3–40, hier: 4–16.30–32 (Janowski) auf und führt sie weiter. Sophokles, Antigone I 332 f., Übersetzung von W. Schadewaldt, Griechisches Theater, Frankfurt a. M. 1964, 102. Ps 8,5.

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phie verstehen4. Erst mit dem Humanismus der italienischen Renaissance (Pico della Mirandola) und der Aufklärung des 18. Jahrhunderts (J. G. Herder, I. Kant) wird die Anthropologie zu einer philosophischen Teildisziplin, die im 19. und 20. Jahrhundert für deren Ausdifferenzierung in eine Vielzahl disziplinärer Anthropologien grundlegend geworden ist. Eines der auffälligsten Merkmale der sozial-, religions- und kulturwissenschaftlichen Diskussionen in den letzten drei bis vier Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war schließlich die Hinwendung zur Anthropologie (anthropological turn) 5. »Mit einer solchen Ausrichtung«, so ein ausgewiesener Kenner der Materie, »sind verschiedene Erwartungen verknüpft. In einigen Fällen werden neue Fragen und Probleme entdeckt, in anderen wird fragmentarisches Wissen auf größere Problem- und Sinnzusammenhänge bezogen; dann erhofft man sich Orientierungshilfen angesichts normativer und inhaltlicher Verunsicherung. So heterogen die Erwartungen an Anthropologie sind, so unterschiedlich sind die Vorstellungen davon, was unter Anthropologie zu verstehen ist« 6.

Eine Renaissance der Anthropologie gibt es seit gut zehn Jahren auch in der der Alttestamentlichen Wissenschaft7, die in ihrem Gegenstand, dem Alten Testament, eine Hauptquelle abendländischer An4. 5.

6. 7.

Vgl. E. Bohlken / Chr. Thies, Einleitung, in: dies. (Hg.), Handbuch Anthropologie. Der Mensch zwischen Natur, Kultur und Technik, Stuttgart / Weimar 2009, 1–10, hier: 1. S. dazu den Überblick bei Chr. Wulf, Anthropologie. Geschichte, Kultur, Philosophie (re 55664), Reinbek bei Hamburg 2004; J. Tanner, Historische Anthropologie zur Einführung, Hamburg 2004 und P. Burke, Was ist Kulturgeschichte?, Frankfurt a. M. 2005, 47 ff. sowie die Sammelbände von D. Kamper / Chr. Wulf (Hg.), Anthropologie nach dem Tode des Menschen (es 1906), Frankfurt a. M. 1999; H. Keupp (Hg.), Der Mensch als soziales Wesen. Sozialpsychologisches Denken im 20. Jahrhundert, München 1995; Chr. Wulf (Hg.), Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie, Weinheim / Basel 1997; Chr. Wulf / D. Kamper (Hg.), Logik und Leidenschaft. Erträge Historischer Anthropologie, Berlin 2002; G. Gebauer (Hg.), Anthropologie, Leipzig 1998; J. Stagl / W. Reinhard (Hg.), Grenzen des Menschseins. Probleme einer Definition des Menschlichen, Wien / Köln / Weimar 2005 und Bohlken / Thies (Hg.), aaO passim, ferner W. Reinhard, Die anthropologische Wende der Geschichtswissenschaft, in: A. Wagner (Hg.), Anthropologische Aufbrüche. Alttestamentliche und interdisziplinäre Zugänge zur historischen Anthropologie (FRLANT 232), Göttingen 2009, 77–99. Wulf, aaO 7. S. dazu unten S. 381 ff.

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thropologie besitzt. Während die Philosophische Anthropologie traditionellerweise stark von der Theologischen Anthropologie rezipiert wird, treten seit einigen Jahren die Humanwissenschaften und hier speziell die Historische Anthropologie und Psychologie an ihre Seite 8 und bringen neue, zukunftsweisende Aspekte in die Diskussion ein. Die folgende Skizze versucht, dieser veränderten Forschungslage Rechnung zu tragen (I) und gleichzeitig die bleibenden Anstöße der Wolff ’schen »Anthropologie des Alten Testaments« (zuerst 1973) zu benennen (II/1) sowie Perspektiven für einen Neuansatz zu formulieren (II/2). Zum Schluss werden weiterführende Literaturhinweise zu ausgewählten Themenfeldern alttestamentlicher Anthropologie gegeben, die die inzwischen veränderte Forschungssituation dokumentieren sollen (III).

I. Philosophische und Historische Anthropologie 1. Philosophische Anthropologie

Die Frage nach dem Wesen des Menschen, die mit der »anthropologischen Wende« des 18. Jahrhunderts (J. G. Herder, I. Kant) ins Zentrum der Natur- und Humanwissenschaften rückte9, ist in der Philosophischen Anthropologie des 20. Jahrhunderts 10 vor allem aufgrund der wachsenden Vertrautheit mit der Biologie, der Psychologie und der Soziologie des Menschen relativiert worden. Wenn wir, wie etwa W. Dilthey meinte, ebenso Natur wie Geschichte sind, dann ist zu fragen, ob es noch sinnvoll sein kann, auf die Frage nach dem invarianten Wesen des Menschen eine abschließende Antwort zu erwarten. Lässt sich also 8. S. dazu Bohlken / Thies, Einleitung (s. Anm. 4), 3 ff. und unten S. 378 ff. 9. S. dazu Wulf, aaO 43 ff. 10. S. dazu neben der durch J. Habermas, Philosophische Anthropologie (1958), in: A. Winterling (Hg.), Historische Anthropologie. Basistexte, Stuttgart 2006, 31–46 (Wiederabdruck) geleisteten »wissenssoziologische(n) Dekonstruktion ontologischer Anthropologie« (A. Winterling, Begriffe, Ansätze und Aussichten historischer Anthropologie, in: ders. [Hg.], aaO 9–29, hier: 14) den Überblick bei G. Arlt, Philosophische Anthropologie (Sammlung Metzler 334), Stuttgart u. a. 2001 und J. Fischer, Philosophische Anthropologie. Eine Denkrichtung des 20. Jahrhunderts, Freiburg / München 2008.

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»… ein Wesen, an dessen Entwicklung aus vormenschlichen Lebensformen ebensowenig zu zweifeln ist wie an seinen offenen Zukunftsmöglichkeiten, ein Wesen, das uns nach Herkunft und Bestimmung gleichermaßen dunkel ist, abschließend bestimmen? Dürfen weiterhin die Selbstauffassungen des Menschen, die im Laufe der Geschichte und in vielen nicht zu einer Geschichte zählenden Kulturen bezeugt sind, durch ein generalisierendes Verfahren sozusagen überspielt und in einer Wesensformel untergebracht werden?» 11

Auf der anderen Seite zog die abstammungsgeschichtliche Herleitung der Spezies Mensch aus vormenschlichen Lebensformen (Hominiden) nicht nur eine Erschütterung der traditionellen Anthropologie, sondern auch die Erschließung einer das Wesen des Menschen umgreifenden Dimension nach sich. In ihr sammeln sich seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts (M. Scheler, A. Gehlen, A. Portmann) die Erfahrungen und Erkenntnisse der Medizin, der Biologie, der Psychologie, der Soziologie, der Sprachwissenschaft, der Geschichtswissenschaft sowie der Religions- und Kulturwissenschaft12. Die Kultur- und Geschichtswissenschaft etwa hat sich in den letzten drei Jahrzehnten intensiv den wechselseitigen Beziehungen zwischen Leib und Seele, Individuum und Gemeinschaft, Person und Welt sowie Identität und Alterität zugewandt und dabei gelernt, die anthropologische Grundfrage »Was ist der Mensch?« durch die Integration jener Aspekte umfassender, aber auch detailgenauer zu stellen 13. Wichtig war dabei die Erkenntnis, dass eine Philosophische Anthropologie, die die medizinischen, psychologischen, soziologischen und kulturellen Erfahrungsbereiche einbezieht, die Frage nach dem We11. H. Plessner, Art. Anthropologie II, RGG3 1 (1986) 410–414, hier: 411. Zu Plessners Ansatz s. etwa W. Bialas, Lebensführung in exzentrischer Positionalität. Helmut Plessners Grundlegung philosophischer Anthropologie, in: F. Jaeger / J. Straub (Hg.), Was ist der Mensch, was Geschichte? Annäherungen an eine kulturwissenschaftliche Anthropologie, Bielefeld 2005, 103– 121. 12. S. dazu Wulf, Anthropologie (s. Anm. 5), 65 ff.83 ff.105 ff. 13. Einen Überblick über Methoden und Themen der Kulturwissenschaft geben G. Böhme / P. Matussek / L. Müller, Orientierung Kulturwissenschaft. Was sie kann, was sie will (re 55608), Reinbek bei Hamburg 2000; U. Daniel, Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter (stw 1523), Frankfurt a. M. 2001; Wulf, aaO 65.83 ff.105 ff.137 ff.; F. Jaeger / B. Liebsch / J. Rüsen / J. Straub (Hg.), Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. 1–3, Stuttgart / Weimar 2004; U. Wirth (Hg.), Kulturwissenschaft (stw 1799), Frankfurt a. M. 2008 und Jaeger / Straub (Hg.), Mensch (s. Anm. 11).

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sen und der Bestimmung des Menschen anders beworten muss als noch vor zwei Generationen. Die veränderte Situation hängt u. a. damit zusammen, dass in der Philosophie, aber auch in den Humanwissenschaften grundsätzliche Kritik am Ansatz normativer Entwürfe geübt wurde, wonach »jeder Versuch einer Bestimmung des Wesens des Menschen in unzulässiger Weise die Vielfalt des Menschseins auf ein Bild reduziere, das unter der Hand normative Qualität gewinnt«14. Der Begriff eines »Wesens« darf »nicht mehr essenzialistisch als Substanz aufgefasst werden, sondern ist lediglich im Sinne einer inhaltsoffenen Strukturformel zu denken; er muss als dynamisch konzipiert werden, denn seine inhaltliche Füllung bleibt notwendig geschichtlich unabgeschlossen und damit Gegenstand fortwährender Auseinandersetzung zwischen den Angehörigen verschiedener Kulturen, Epochen und Disziplinen« 15.

Insofern bleibt die Aufgabe bestehen, die anthropologische Grundfrage »Was ist der Mensch?« nicht einfach zu sistieren oder durch eine vage Pluralität von Anthropologien zu ersetzen, sondern nach Kategorien zu suchen, die sie erfahrungsnah zu konkretisieren erlauben 16. Eine solche Leitkategorie könnte der Begriff der »Sozialität« sein, der die Ambivalenz des menschlichen Zusammenlebens, d. h. seine Brüchigkeit und Konflikthaftigkeit, zum Leitmotiv der anthropologischen Beschreibung macht. 17 Von dieser Voraussetzung her lässt sich die Frage nach dem Wesen des Menschen nicht mehr unbefangen stellen 18.

14. W. Schoberth, Wozu theologische Anthropologie?, VF 51 (2006) 38–55, hier: 39. 15. Bohlken / Thies, Einleitung (s. Anm. 4), 4 (Hervorhebung von mir). 16. S. dazu J. Tanner, Art. Historische Anthropologie, in: Bohlken / Thies (Hg.), Handbuch Anthropologie (s. Anm. 4), 147–156, hier: 149 ff., ferner Winterling, Begriffe (s. Anm. 10), 29 und aus theologischer Sicht W. Schoberth, Einführung in die theologische Anthropologie, Darmstadt 2006, 84 ff. 17. Zur Frage, inwiefern der Begriff der »Sozialität« von theologischer Relevanz ist, s. unten S. 381.392 ff. 18. Vgl. Tanner, aaO 149.

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2. Historische Anthropologie

Im Unterschied zur traditionellen Philosophischen Anthropologie und ihren essentialistischen Behauptungen über das invariante Wesen des Menschen fragt die in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland aufgekommene Historische Anthropologie danach, »in welch tiefgreifender Weise der Mensch historisch ist« 19. Sie stellt den konkreten Menschen mit seinem Handeln und Denken, Fühlen und Leiden in den Mittelpunkt der Analyse und schärft, wie der Kulturwissenschaftler G. Böhme schreibt, den Blick für die ›Innenseite der Geschichte‹, also für die historische und kulturelle Bedingtheit und Vielfalt des menschlichen Lebens: »Die verbreiteten, aber vagen Feststellungen, der Mensch sei das nicht festgestellte Tier (Nietzsche) oder er habe kein Wesen, erhalten erst Inhalt, wenn man sich an der eigenen Kultur deutlich macht, dass der Mensch auch in den fundamentalsten Strukturen nicht derselbe geblieben ist. Es handelt sich bei der historischen Wandelbarkeit ja nicht etwa nur um den Wandel der Arbeitsformen, der Ehestrukturen, der Herrschaftsformen, sondern um die anthropologische Organisation selbst. Das Erstaunen über diese Andersartigkeit unserer Vorfahren wird fast noch übertroffen durch ein anderes Erstaunen: nämlich darüber, dass wir sie trotz ihrer Andersartigkeit verstehen können. Sicherlich nicht direkt und ohne Mühe …, aber wir entdecken in dieser Begegnung doch, dass wir dieses Andere auch in uns selbst haben. Wir spüren, dass wir im Prinzip auch so sein könnten, so erfahren könnten, so empfinden könnten wie die Menschen vor uns.« 20

Der originäre Gegenstand der Geschichtswissenschaft ist deshalb nicht der Mensch in seiner Singularität, sondern, so der Historiker M. Bloch, die Menschen in der Vielfalt ihrer Handlungen, Hervorbringungen und Hinterlassenschaften: 19. G. Böhme, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (es 1301), Frankfurt a. M. 1985, 264. 20. Ders., ebd. (Hervorhebung von mir). Zur Einführung in die Probleme und Aufgaben der Historischen Anthropologie s. Böhme / Matussek / Müller, Kulturwissenschaft (s. Anm. 13), 131 ff.; R. van Dülmen, Historische Anthropologie. Entwicklung, Probleme, Aufgaben, Köln u. a. 2000; Wulf, Anthropologie (s. Anm. 5), 105 ff.137 ff.; Tanner, Historische Anthropologie (s. Anm. 5); ders., Art. Historische Anthropologie (s. Anm. 16), 147 ff.; Burke, Kulturgeschichte (s. Anm. 5), 47 ff. und Winterling, Begriffe (s. Anm. 10), 9 ff.

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»In der Tat haben uns unsere großen Vorgänger – ein Michelet, ein Fustel de Coulanges – schon vor langer Zeit gelehrt, dass der natürliche Gegenstand der Geschichtswissenschaft der Mensch ist. Oder besser gesagt: die Menschen. Einer Wissenschaft von der Vielfalt ist der zur Abstraktion neigende Singular weniger angemessen als der Plural, der grammatische Modus der Relativität.«21

Auch die Historische Psychologie beruht, wie I. Meyerson, einer ihrer Wegbereiter, betont hat, auf dem Grundsatz, dass das Denken und Fühlen des/der Menschen geschichtlich bedingt, d. h. historisch-kulturell einmalig ist: »Die Anwendung der historischen Sichtweise auf die Psychologie, nämlich die Untersuchung des konkreten Menschen, der in seine vielfältigen Aktivitäten, in seine sukzessiv sich ergebenden sozialen und materiellen Kontexte eingebunden ist, führt dazu, die psychischen Funktionen selbst als veränderlich zu betrachten.«22

Die Aufgabenstellung der Historischen Anthropologie, die historische und kulturelle Variabilität der als konstant erscheinenden Verhaltensweisen des Menschen wie Handeln, Denken, Fühlen und Leiden zu beschreiben, unterscheidet sich damit charakteristisch vom Ansatz der Philosophischen Anthropologie und ihrer Frage nach dem Wesen des Menschen und den Bedingungen seines Daseins. Nach dem Ende der Verbindlichkeit einer abstrakten anthropologischen Norm schien der Zeitpunkt gekommen, »die Ergebnisse der Humanwissenschaften, aber auch die einer geschichtsphilosophisch fundierten Anthropologie-Kritik zusammenzufassen und für neuartige, paradigmatische Fragestellungen fruchtbar zu machen«23. Das war die Stunde der Historischen Anthropologie und ihres spezifischen Kultur21. Vgl. etwa M. Bloch, Apologie der Geschichtswissenschaft oder Der Beruf des Historikers, Stuttgart 2002, 30. 22. I. Meyerson, Ecrits 1920–1983. Pour une psychologie historique, Paris 1987, 65, zitiert nach H. Happ, Ignace Meyerson – ein bedeutender Wegbereiter der Historischen Psychologie, Psychologie und Geschichte 5 (1993) 110– 142, hier: 116. Der französische Gräzist J.-P. Vernant (1914–2007) knüpft an das Werk I. Meyersons (und dasjenige L. Gernets) an und gilt international als Wegbereiter einer Historischen Anthropologie der Antike, s. dazu R. Schlesier, Kulte, Mythen und Gelehrte. Anthropologie der Antike seit 1800 (Fischer Taschenbuch 11924), Frankfurt a. M. 1994, 296 ff. und die Hinweise bei Bester / Janowski, Anthropologie des Alten Testaments (s. Anm. 1), 7 mit Anm. 18. 23. Wulf (Hg.), Vom Menschen (s. Anm. 5), 13.

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begriffs, wonach »Kultur« nicht eine Anhäufung von Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Recht und Brauchtum, sondern – gemäß einer Definition von C. Geertz – »ein geordnetes System von Bedeutungen und Symbolen (ist), vermittels dessen gesellschaftliche Interaktion stattfindet«24. Wie der Fortgang der Diskussion gezeigt hat, ist die Historische Anthropologie allerdings nicht frei von gewissen Einseitigkeiten und Engführungen. Diese zeigen sich immer dann, wenn gefordert wird, dass die anthropologische Reflexion sich jeglicher Aussage über den Menschen enthalten und die Frage nach anthropologischen Konstanten aufgeben solle 25. Diese Forderung ist schon deshalb problematisch, weil sich Begriffe wie »Körper«, »Geschlecht« oder »Tod« auf Erfahrungsbereiche beziehen, an denen alle Menschen epochen- und kulturübergreifend partizipieren. Die Leistung der Historischen Anthropologie besteht daher »nicht in der Dekonstruktion der Anthropologie und ihrer Begriffe, sondern in der Schärfung des für eine integrative Anthropologie unabdingbaren historischen Bewusstseins«26. Dieser Ansatz ist eine Chance für die alttestamentliche Anthropologie, die »nur dann gelingen kann, wenn die ganze Spannbreite der alttestamentlichen Tradition Berücksichtigung findet« 27 – und wenn darüber hinaus die Anstöße der historischen und kulturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen aufgenommen werden, um die konkreten Lebensumstände und die literarischen Kontexte zu rekonstruieren, in denen die alttestamentlichen Aussagen ihren ursprünglichen Ort haben 28. Was für die Historische Anthropologie und ihren An24. C. Geertz, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt a. M. 1983, 99, s. dazu auch ders., On the Nature of Anthropological Understanding, American Scientist 63 (1975) 47–53; ders., Kulturbegriff und Menschenbild, in: Winterling (Hg.), Historische Anthropologie (s. Anm. 10), 7–66 und Burke, Kulturgeschichte (s. Anm. 10), 52 ff. 25. Vgl. auch Bohlken / Thies, Einleitung (s. Anm. 4), 6. 26. Dies., ebd. 27. Chr. Frevel / O. Wischmeyer, Menschsein. Perspektiven des Alten und Neuen Testaments (NEB.Themen 11), Würzburg 2003, 10 (Frevel). 28. S. dazu unten S. 392 ff. Es ist bemerkenswert, dass Wolff für diese Perspektiven offen war: »Die Voraussetzungen zu einer neuen umfassenderen biblischen Anthropologie scheinen gegeben. Nach ihr wird auch gefragt. Denn schon müssen sich systematisch-theologische Entwürfe einer Anthropologie den Problemen gegenwärtiger philosophischer Anthropologie sowie der Psychologie, der Soziologie und der Politologie stellen, ohne dass die gegenwärti-

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satz gilt – nämlich »die strukturellen Kopplungen und Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Ebenen zu betrachten«29 –, das dürfte mutatis mutandis auch für die alttestamentliche Anthropologie gelten. Mutatis mutandis – denn der Beitrag der Theologischen und speziell der Alttestamentlichen Anthropologie ist gegenüber demjenigen der Historischen Anthropologie insofern noch einmal anders gelagert, als die Theologische Anthropologie mit der Historischen Anthropologie zwar das Axiom des menschlichen Zusammenlebens und seiner Ambivalenz(en) teilt, im Unterschied zu dieser aber davon ausgeht, dass »erst in der Perspektive, die mit Gottes orientierender Gegenwart in dieser Welt rechnet, ein lebbarer Umgang mit dieser Ambivalenz offenbar wird.« 30 Unter Berufung auf diese Gegenwart Gottes wird die Theologische Anthropologie der »ethischen Nicht-Indifferenz von Menschlichkeit und Unmenschlichkeit vor der Indifferenz« 31 den Vorrang geben und die anthropologische Grundfrage »Was ist der Mensch?« auch anders beantworten 32.

II. Anthropologie des Alten Testaments 1. Der Ansatz von H. W. Wolff

H. W. Wolff, der die Aufgabenstellung einer Historischen Anthropologie noch nicht im Blick hatte bzw. haben konnte, hat sich den-

29.

30. 31. 32.

gen exegetischen Erkenntnisse im Zusammenhang bereitgestellt wären« (Wolff, Anthropologie, oben 23 f.). Winterling, Begriffe (s. Anm. 10), 28. Mit den »verschiedenen Ebenen« bzw. den »einzelnen menschlichen Dimensionen« (ders., ebd.) ist bei Winterling die Körpergeschichte, die Psychohistorie, die Sozialgeschichte und die Kulturgeschichte gemeint: »Aufschluss verspricht, weil spezifisch anthropologisch, dabei die Frage, wie soziale Strukturen und kulturelle Deutungsmuster an die nachwachsenden (und an die erwachsenen) Menschen weitergegeben, ihnen ›eingeschrieben‹ werden und wie umgekehrt soziokulturelle Systeme auf (weder soziokulturell, noch biologisch-organisch vollständig determinierte) handelnde Menschen zurückgreifen können« (ders., aaO 28). R. A. Klein, Die Inhumanität des Animal Sociale. Vier Thesen zum interdisziplinären Beitrag der theologischen Anthropologie, NZSTh 51 (2009) 427– 444, hier: 444 (Hervorhebung von mir). Dies., ebd. S. dazu die Hinweise unten S. 392 ff.

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noch die Frage gestellt, »wie die Aufgabe einer verlässlichen Lehre vom Menschen wissenschaftlich überhaupt lösbar ist« 33. Denn hier, so Wolff, »… steht der Forscher vor jenem äußersten Grenzfall, bei dem das Problem der Nichtobjektivierbarkeit schlechterdings nicht zu bewältigen ist. So wenig ein Mensch sich selbst gegenübertreten kann, so wenig ein Heranwachsender aus sich selber weiß, wessen Kind er ist, so gewiss bedarf der Mensch grundsätzlich der Begegnung mit einem anderen, der ihn erforscht und erklärt. Doch wo ist der andere, den das Wesen Mensch fragen könnte: Wer bin ich?» 34

Dass dieser »andere«, wie etwa Ps 8 zeigt 35, kein anderer als Gott ist, macht die alttestamentliche Anthropologie zur theologischen Anthropologie. a) Begriffliche, biographische und soziologische Aspekte

Im Unterschied zu den älteren Entwürfen von F. Delitzsch, J. Koeberle oder J. Pedersen 36 und den neueren von K. Galling, W. Eichrodt, L. Köhler oder W. Zimmerli 37 hat Wolff die Frage nach einer alttestamentlichen Anthropologie umfassend gestellt und unter den drei Aspekten einer Anthropologischen Sprachlehre, einer Biographischen Anthropologie und einer Soziologischen Anthropologie entfaltet. Wolff, Anthropologie, oben 22. Ders., ebd. S. dazu unten S. 388 ff. S. dazu K. Koch, Gibt es ein Hebräisches Denken?, in: ders., Spuren des Hebräischen Denkens. Beiträge zur alttestamentlichen Theologie. Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, hg. von B. Janowski und M. Krause, Neukirchen-Vluyn 1991, 3–24, hier: 3 ff.; D. Bester, Körperbilder in den Psalmen. Studien zu Psalm 22 und verwandten Texten (FAT II/24), Tübingen 2007, 6 ff. und F. Hartenstein, Kulturwissenschaften und Altes Testament – Themen und Perspektiven, VF 54 (2009) 31–42, hier: 32 f. 37. S. dazu Wolff, aaO 23. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch der Entwurf einer »jüdischen Anthropologie« von L. Adler, Der Mensch in der Sicht der Bibel, München 1965, vgl. ders., Das Wesen des Menschen in jüdischer Sicht, KuD 16 (1970) 188–198 und dazu neben J. Rothermundt, Christliches und jüdisches Menschenbild, KuD 16 (1970) 199–222 vor allem Sh. Gesundheit, Foreword to English Edition, in: L. Adler, The Biblical View of Man. Translated from the German by D. R. Schwartz, Jerusalem / New York 2007, XI–XXIII. Ich danke Herrn Dr. Sh. Gesundheit, Jerusalem, dass er mir diese Ausgabe zugänglich gemacht hat. 33. 34. 35. 36.

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Auf eine Erörterung des menschlichen Seins als »Anthropologische Sprachlehre«, die die Begriffe Uq8n8 (»Leben[digkeit], Vitalität«), tV5B5 (»Fleisch«), hF4 t »Atem, Wind, Geist«), bl9 / bb5l9 (»Herz«) u. a. untersucht, folgt in einem zweiten Teil eine Beschreibung des Daseins des Menschen in der Zeit als »Biographische Anthropologie«, wobei anhand verschiedener Zeitauffassungen und Schöpfungsvorstellungen die grundlegenden Rhythmen wie Leben und Tod, Krankheit und Heilung, Hoffnung und Erwartung beschrieben werden. Im dritten, »Soziologische Anthropologie« genannten Teil kommt Wolff – dabei die übliche Raum/Zeit-Ontologie vorsichtig korrigierend – auf die Welt des Menschen zu sprechen, worunter die Rollen des einzelnen in der Gemeinschaft (und vor Gott: Der Mensch als »Bild Gottes«) gemeint sind: Mann und Frau, Eltern und Kinder, Freunde und Feinde, Herren und Knechte, Weise und Toren. Den Schluss bildet eine Erörterung über die »Bestimmung des Menschen« im Verhältnis zu Gott, Mitmensch und Schöpfungswelt. Hier hat die Wolff ’sche Anthropologie auch ihr Ziel: »1. Er (sc. der Mensch) ist bestimmt, zu leben und nicht dem Tode zu verfallen« 38, »2. Er ist bestimmt, zu lieben und allen Hass zu überwinden« 39, »3. Seine Bestimmung in der außermenschlichen Schöpfung ist ebenso eindeutig: herrschen» 40 und »4. Der Mensch ist bestimmt, Gott zu loben» 41. Im Loben Gottes »findet die Bestimmung des Menschen zum Leben in der Welt, zum Lieben des Mitmenschen und zum Beherrschen der außermenschlichen Schöpfung ihre wahrhaft menschliche Erfüllung. Sonst wird der Mensch als sein eigener Abgott zum Tyrannen, oder er verliert im Verstummen zur Sprachlosigkeit seine Freiheit« 42.

Trotz kritischer Anfragen 43 ist die Absicht der Wolff ’schen Anthro38. 39. 40. 41. 42. 43.

Wolff, aaO 311. Ders., aaO 313. Ders., aaO 314. Ders., aaO 316. Ders., aaO 319. S. dazu J. Kegler, Beobachtungen zur Körpererfahrung in der hebräischen Bibel, in: F. Crüsemann u. a. (Hg.), Was ist der Mensch …? Beiträge zur Anthropologie des Alten Testaments (FS H. W. Wolff ), München 1992, 28– 41, hier: 28 ff.; S. Schroer / Th. Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 2 2005, 12 f.; A. Kiesow, Auf der Suche nach dem Menschen. Forschungsüberblick zu ›Anthropologien des Alten Testaments‹, in: Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekt (Hg.), Körperkonzepte, 29–41, hier: 31 ff.; Chr. Frevel, Menschenskinder!? Einige Anmerkungen zum Stand der Forschung zur alttestamentlichen Anthropologie – zugleich eine Einführung in den vorliegenden Band, in: ders. (Hg.), Biblische Anthropologie. Neue Einsichten aus dem Alten Testament (QD 237), Freiburg / Basel / Wien 2010, 8–28, hier: 10 ff. u. ö.; ders., Die Frage nach dem Menschen. Biblische Anthropologie als

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pologie, zu einer umfassenden »Bestimmung des Menschen«44 anzuleiten, im Ansatz überzeugend. Das wird schon an der Überschrift ihres zweiten Paragraphen: »næpæsˇ – der bedürftige Mensch« deutlich. Darin zeigt sich das Bemühen, die unter dem Einfluss des griechischen Denkens der hellenistischen Zeit heimisch gewordene Dichotomie Leib – Seele bzw. Trichotomie Leib – Seele – Geist 45 zu wissenschaftliche Aufgabe – Eine Standortbestimmung , in: ders. (Hg.), aaO 29–63, hier: 50 f. u. ö. und J. van Oorschot, Zur Grundlegung alttestamentlicher Anthropologie – Orientierung und Zwischenruf, in: ders. / M. Iff (Hg.), Der Mensch als Thema theologischer Anthropologie. Beiträge in interdisziplinärer Perspektive (BThSt 111), Neukirchen-Vluyn 2010, 1–41, hier: 8 ff., ferner die oben 353 ff. abgedruckten Rezensionen von O. H. Steck, E. Zenger, W. Brüggemann, H.-P. Müller, B. S. Childs und J. W. Rogerson. Schroer / Staubli, aaO 12 f. erkennen die Verdienste der Wolff ’schen Anthropologie ausdrücklich an, werfen ihr aber bestimmte »Verzerrungen« bzw. »Verengungen« vor: sie gehe weiterhin von einer Prävalenz des Hörens gegenüber dem Sehen aus, sie bevorzuge die männliche gegenüber der weiblichen Existenz und sie halte im Blick auf das Thema »Sexualität« an eingefleischten antikanaanäischen Klischees fest. Auch wenn van Oorschot meint, dass »Wolff hier die Stereotype seiner Zeit (teilt)« (aaO 13 Anm. 31), wirken die von Schroer / Staubli genannten Kritikpunkt – leider! – keineswegs »anachronistisch« (ders., ebd.). 44. So die Überschrift des Schlussabschnitts Wolff, Anthropologie, oben 310 ff. 45. Dass der Mensch nur eine Seele (vucffi) besitzt, und diese seine Person in ihrer Gesamtheit repräsentiert, ist in der europäischen Tradition zum erstenmal bei Pythagoras und vor allem bei Heraklit fassbar; die Opposition Körper vs. Seele taucht dann erst im späten 5. Jh. v. Chr. auf, s. dazu J.-P. Vernant, Individuum, Tod, Liebe. Das Selbst und der andere im alten Griechenland, in: G. Gebauer (Hg.), Anthropologie, Leipzig 1998, 22–48; W. Burkert, Mikroskopie der Geistesgeschichte. Bruno Snells »Entdeckung des Geistes« im kritischen Rückblick, Ph. 148 (2004) 168–182; L. Thommen, Antike Körpergeschichte (UTB 2899), Zürich 2007; J. N. Bremmer, Die Karriere der Seele: Vom antiken Griechenland ins moderne Europa, in: H. G. Kippenberg / J. Rüpke / K. von Stuckrad (Hg.), Europäische Religionsgeschichte. Ein mehrfacher Pluralismus, Bd. 2 (UTB 3206), Göttingen 2009, 497–524; M. F. Meyer, Der Wandel des Psyche-Begriffs im frühgriechischen Denken von Homer bis Heraklit, ABG 50 (2008) 9–28, 9 ff.; P. Marinkovic, Seele – Geist ohne Körper? Exegetische Anmerkungen zum Personverständnis im Judentum der persischen und hellenistischen Zeit, in: G. Gasser / J. Quitterer (Hg.), Die Aktualität des Seelenbegriffs. Interdisziplinäre Zugänge, Paderborn 2010, 309–326, hier: 312 ff. und die Sammelbände von D. Frede / B. Reis (ed.), Body and Soul in Ancient Philosophy, Berlin / New York 2009 und von K. Crone / R. Schnepf / J. Stolzenberg (Hg.), Über die Seele (stw 1916), Berlin 2010. Zu diesem komplexen Problem s. noch

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überwinden und durch eine sachgerechtere Deutung zu ersetzen. So entwickelt Wolff die Bedeutung des anthropologischen Grundbegriffs Uq8n8 »Leben(digkeit), Vitalität« nicht wie J. Pedersen in seinem bekannten Werk von 1926/1940 46 anhand der dynamistischen Seelentheorie, sondern aufgrund einer Analyse der sprachlichen Kontexte, die die Korrelation von Körperorganen/-funktionen und emotionalen / kognitiven Vorgängen beschreiben 47. Wenn etwa Körperorgane wie das »Herz« (bl9 / bb5l9) und die »Nieren« (vyjl5K7) mit emotionalen oder kognitiven Vorgängen wie »Freude« oder »Jubel« verbunden werden (vgl. Ps 16,7–9; Spr 23,16 u. ö.) und umgekehrt Wulf, Anthropologie (s. Anm. 5), 114 ff. und aus religionswissenschaftlicher Sicht H.-P. Hasenfratz, Die Seele. Einführung in ein religiöses Grundphänomen, Zürich 1986, 68 ff. 46. J. Pedersen, Israel. Its Life and Culture, Vol. 1/2, London 1926; Vol. 3/4, 1940, s. dazu G. Freuling, »Wer eine Grube gräbt …«. Der Tun-Ergehen-Zusammenhang und sein Wandel in der alttestamentlichen Weisheitsliteratur (WMANT 102), Neukirchen-Vluyn 2004, 19 ff. 47. Hebr. Uq8n8 bedeutet nicht »Seele« im metaphysischen Sinn, sondern »Leben(skraft), Vitalität«, s. dazu H. Seebass, Art. Uq8n8 , ThWAT 5 (1986) 531– 555; W. H. Schmidt, Anthropologische Begriffe im Alten Testament, in: ders., Vielfalt und Einheit alttestamentlichen Glaubens 2, Neukirchen-Vluyn 1995, 77–91, hier: 90; O. Kaiser, Der Gott des Alten Testaments. Theologie des Alten Testaments Bd. 2 (UTB 2024), Göttingen 1998, 291 ff.; R. A. di Vito, Alttestamentliche Anthropologie und die Konstruktion personaler Identität, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch (s. Anm. 1), 213–241, hier: 223 ff.; B. Janowski, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn 3 2009, 204 ff. (Lit.); Frevel / Wischmeyer, Menschsein (s. Anm. 27), 27 f.29 f. (Frevel); K. Liess, Der Weg des Lebens. Psalm 16 und das Lebens- und Todesverständnis der Individualpsalmen (FAT II/5), Tübingen 2004, 216 ff.; A. Wagner, Körperbegriffe als Stellvertreterausdrücke der Person in den Psalmen, in: ders., Beten und Bekennen. Über Psalmen, Neukirchen-Vluyn 2008, 289–317, hier: 307 ff.; ders., Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes, Gütersloh 2010, 130 f.; M. Rösel, Der hebräische Mensch im griechischen Gewand. Anthropologische Akzentsetzungen in der Septuaginta, in: Janowski / Liess (Hg.), aaO 69–92 und Marinkovic, aaO 317 ff. Zur Polemik gegen diese Interpretation durch O. Loretz s. B. Janowski, Anerkennung und Gegenseitigkeit. Zum konstellativen Personbegriff des Alten Testaments, in: Janowski / Liess (Hg.), aaO 181–211, hier: 185 Anm. 25. Dualistische »Seelen«-Vorstellungen begegnen unter Rekurs auf die platonische Anthropologie erst in späthellenistischer Zeit, z. B. in SapSal 9,15 u. ö., s. dazu H. Hübner, Die Weisheit Salomos (ATD Apokryphen Bd. 4), Göttingen 1999, 130 und Marinkovic, aaO 322 f.

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soziale oder psychische Konflikte wie »Anfeindung« oder »Verbitterung« bestimmte Körperorgane wie das »Herz« und die »Nieren« in Mitleidenschaft ziehen (vgl. Ps 73,21 u. ö.), dann ist der Mensch als ganzer, d. h. hinsichtlich seiner somatischen und psychischen / kognitiven Aspekte und Funktionen im Blick. b) »Dialog-Charakter« der anthropologischen Texte

Dieser Zusammenhang wird in der neueren Exegese intensiver thematisiert. So hat ihm M. S. Smith – unter Beschränkung auf die Begriffe »Leber« (db9K5), »Herz« (bl9 / bb5l9) und »Inneres, Eingeweide« (wjp3m9) sowie unter Rekurs auf die Ergebnisse der Humanbiologie und der Psychologie – eine kurze, aber gehaltvolle Studie gewidmet 48. Am Schluss seiner Ausführungen kommt Smith auf die Rolle zu sprechen, die den Emotionen im Prozess der privaten und öffentlichen Kommunikation und insbesondere im Zusammenhang des Gebets zukommen. Entgegen der gängigen Meinung (»Menschen glauben häufig, dass sie ihre Emotionen erst fühlen und dann kommunizieren« 49) hat die Psychologie Smith zufolge beobachtet, »dass Menschen ihre Gefühle kommunizieren, während oder bevor sie sich ihrer bewusst werden. Dementsprechend sind Emotionen ein Teil des größeren Prozesses der menschlichen Kommunikation. (…) Emotionen ›werden als eine Art Bereitschaft für Anpassungsreaktionen gesehen. In anderen Worten, Emotionen verändern die fortlaufende Situation und helfen dem Individuum, sich für eine angemessene Handlung vorzubereiten.‹ Nach diesem Ansatz können die Gefühle, wie sie in den Psalmen ausgedrückt werden, als dienlich betrachtet werden, um einer sich entwickelnden Situation zu begegnen und den Menschen zu helfen aktiv zu werden. Diese Kommunikation von Gefühlen ist eine religiöse und ritualisierte Reaktion auf Erlebnisse von Unglück und Erlösung« 50.

48. M. S. Smith, Herz und Innereien in israelitischen Gefühlsäußerungen. Notizen aus der Anthropologie und Psychologie, in: Wagner (Hg.), Anthropologische Aufbrüche (s. Anm. 5), 171–181, s. zur Sache auch Janowski, Konfliktgespräche mit Gott (s. Anm. 47), 98 ff.306 ff. und P. A. Kruger, Gefühle und Gefühlsäußerungen im Alten Testament. Einige einführende Bemerkungen, in: Janowski / Liess (Hg.), aaO 243–262. 49. Smith, aaO 179. 50. Ders., aaO 179 f.

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Die Emotionen sind demnach zwar ein Ausdruck der ›inneren Welt‹, aber zugleich das Medium, durch das der Mensch mit der Außenwelt kommuniziert 51. Auch wenn die anthropologischen Grundbegriffe des Alten Testaments den Menschen unter verschiedenen Aspekten, also hinsichtlich seiner somatischen, emotionalen, kognitiven und voluntativen Qualitäten kennzeichnen52 und es »keine Abwertung des Leiblichen, keinen Dualismus von Geist / Seele und Leib« 53 gibt, so liegt dem Alten Testament dennoch keine einheitliche Lehre vom Menschen zugrunde. Das muss aber kein Nachteil sein. Denn das Fehlen eines einheitlichen Menschenbildes wird aufgewogen durch den »DialogCharakter« 54, der – zwar nicht das einzige, aber doch – ein zentrales Merkmal der anthropologischen Texte des Alten Testaments ist. Gemeint ist der Dialog des Menschen mit Gott und Gottes mit dem Menschen, also die »Antwort Israels« in Klage und Lob (Klage- und Danklieder) 55 und »JHWHs Entgegnung an Hiob« (Hi 38–41) – um nur zwei prominente Beispiele zu nennen. Die Aufgabe einer biblischen Anthropologie, die dementsprechend das »theologische(s) Begreifen der anthropologischen Phänomene« 56 in den Vordergrund rückt, umreißt Wolff denn auch folgendermaßen:

51. Vgl. Smith, aaO 181, s. zur Sache auch di Vito, Anthropologie (s. Anm. 47), 223 ff.; Kruger, aaO 243 ff.; A. Wagner, Emotionen, Gefühle und Sprache im Alten Testament. Vier Studien (KUSATU 7), Waltrop 2006 und C. Janssen / R. Kessler, Art. Emotionen, in: F. Crüsemann u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009, 107–112. 52. S. dazu A. R. Johnson, The Vitality of the Individual in the Thought of Ancient Israel, Cardiff 2 1964, 87; Schmidt, Anthropologische Begriffe (s. Anm. 47), 77 ff.; ders., Art. Alttestamentliche Anthropologie, EKL3 1 (1986) 156–158, hier: 156 f.; R. Albertz, Art. Mensch II, TRE 22 (1992) 464–474, hier: 465.466 f.; Smith, aaO 171 ff.; Chr. Frevel, Art. Fleisch und Geist I, RGG4 3 (2000) 155 f. und ders. / Wischmeyer, Menschsein (s. Anm. 27), 26 ff. (Frevel). 53. Albertz, aaO 466. 54. Wolff, Anthropologie, oben 24. 55. Mit der Wendung »Die Antwort Israels« hatte G. von Rad die Form einer theologischen Anthropologie bezeichnet, in der Israel dankend und lobend auf die Heilstaten seines Gottes reagiert, s. dazu Janowski, Konfliktgespräche mit Gott (s. Anm. 47), 265 f. 56. Wolff, aaO 24 f.

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»Biblische Anthropologie als wissenschaftliche Aufgabe wird ihren Einsatz dort suchen, wo innerhalb der Texte selbst erkennbar nach dem Menschen gefragt wird. Die ganze Weite der Kontexte ist heranzuziehen, um die spezifischen Aufgaben zu erarbeiten. Es wird sich zeigen, dass die wesentlichen Beiträge Dialog-Charakter tragen und dass der Konsens im Zeugnis über den Menschen bei allem Wandel sprachlicher Formen geistesgeschichtlich erstaunlich ist. Vor allem im Gespräch mit Gott sieht der Mensch sich in Frage gestellt, erforscht und damit viel weniger festgestellt als vielmehr zu Neuem berufen. Der Mensch ist, so wie er ist, alles andere als das Maß der Dinge.« 57

Diese Aufgabenbeschreibung alttestamentlicher Anthropologie – nämlich ausgehend von den Texten und ihren Kontexten nach der Selbstauslegung des Menschen zu fragen – enthält, wie wir sehen werden, nach wie vor eine particula veri 58. c) Psalm 8 als Beispieltext

In der Situation »vor Gott« (coram Deo), so lässt sich Wolffs Position zusammenfassen, ereignet sich nach alttestamentlichem Zeugnis die Menschwerdung des Menschen. Diesen Sachverhalt bringt in prägnanter Weise Ps 8 59 zum Ausdruck, wenn er die Frage nach dem Wesen des Menschen – »Was ist der Mensch?« (V. 5a) – durch den Hinweis auf das »Gedenken« (tk4g5 ) durch JHWH beantwortet und sich

57. Ders., aaO 24. 58. S. dazu unten S. 396 ff. 59. Zur Interpretation von Ps 8 s. U. Neumann-Gorsolke, »Mit Ehre und Hoheit hast Du ihn gekrönt« (Ps 8,6). Alttestamentliche Aspekte zum Thema Menschenwürde, JBTh 15 (2000) 39–65; dies., Herrschen in den Grenzen der Schöpfung. Ein Beitrag zur alttestamentlichen Anthropologie am Beispiel von Psalm 8, Genesis 1 und verwandten Texten (WMANT 101), Neukirchen-Vluyn 2004, 20 ff.; Janowski, Anerkennung (s. Anm. 47), 200 ff. (dort auch ein Vergleich mit Kants Position, die dieser im Schlussabschnitt seiner Kritik der praktischen Vernunft formuliert hat); H. Irsigler, Die Frage nach dem Menschen in Psalm 8. Zu Bedeutung und Horizont eines kontroversen Menschenbildes im Alten Testament, in: ders., Vom Adamssohn zum Immanuel (ATSAT 58), St. Ottilien 1997, 1–48 und ders., Zur Interdependenz von Gottes- und Menschenbildern im Kontext alttestamentlicher Anthropologie, in: Frevel (Hg.), Biblische Anthropologie (s. Anm. 43), 350–389, hier: 370 ff.

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damit als »poetisches Kompendium klassischer psalmtheologischer Anthropologie« 60 erweist: 4 Wenn ich deinen Himmel sehe, die Werke deiner Finger, Mond und Sterne, die du festgesetzt hast – 5 Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und der einzelne Mensch, dass du (sorgend) nach ihm siehst?

Der Mensch ist Mensch, weil Gott an ihn denkt und wohlwollend nach ihm sieht (vgl. Ps 144,3) oder weil er – wie Hi 7,17 f. den Gedanken der fürsorglichen Aufmerksamkeit Gottes bezeichnenderweise abändert – sein »Herz« prüfend auf ihn richtet61. ds‰Q5 führt die Aussageintention von tk4g5 weiter und steigert sie sogar, indem es zum mentalen (»denken an«) noch einen sinnlichen Aspekt (»nachsehen, in Augenschein nehmen«), nämlich denjenigen des Entschlusses zum handelnden Eingreifen hinzufügt62. Die dem Verb tk4g5 eignende intentionale Ausrichtung – »gedenken < denken an« und daraus resultierendes Handeln 63 – ist auch für das parallele ds‰Q5 charakteristisch, das die Zuwendung JHWHs im Sinn eines wohlwollenden Interesses am Geschick des Menschen64 60. H. Spieckermann, Heilsgegenwart. Eine Theologie der Psalmen (FRLANT 148), Göttingen 1989, 237. 61. Möglicherweise zielt die Argumentation von Hi 7,17 f. nach F. Sedlmeier, »Vom Mutterschoß her bin ich geworfen auf dich« (Ps 22,11). Wert und Würde des Menschen nach Texten des Alten Testaments, in: Frevel (Hg.), Biblische Anthropologie (s. Anm. 43), 300–316, hier: 305 »nicht darauf, die Gültigkeit der Theologie von Ps 8 zu leugnen, sondern – im Gegenteil! – bezugnehmend auf sie, ein verändertes Verhalten von Seiten Gottes zu erwirken«, s. dazu auch Chr. Frevel, »Eine kleine Theologie der Menschenwürde«. Ps 8 und seine Rezeption im Buch Ijob, in: F.-L. Hossfeld / L. SchwienhorstSchönberger (Hg.), Das Manna fällt auch heute noch. Beiträge zur Geschichte des Alten, Ersten Testaments (FS E. Zenger) (HBS 44), Freiburg / Basel / Wien 2004, 244–272. 62. S. dazu H. Schnieringer, Psalm 8. Text – Gestalt – Bedeutung (ÄAT 59), Wiesbaden 2004, 231. 63. S. dazu B. Janowski, Schöpferische Erinnerung. Zum »Gedenken Gottes« in der biblischen Fluterzählung, in: ders., Die Welt als Schöpfung. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 4, Neukirchen-Vluyn 2008, 172–198. 64. S. dazu W. Schottroff, Art. ds‰Q5, THAT 2 (51995) 466–486, hier: 476 (»aufmerksam sehen nach, achten bzw. schauen auf, sich jemandes annehmen«), vgl. G. André, Art. ds‰Q5, ThWAT 6 (1989) 708–723, hier: 709 (»genau beobachten«); E. Brünenberg, Wenn Jahwes Widerstand sich regt. Überlegungen zum alttestamentlichen Verständnis von Strafe, in: K. Kiesow / Th. Meurer

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zum Ausdruck bringt (»nachsehen, in Augenschein nehmen«), d. h.: JHWH überlässt den Menschen in Situationen akuter Bedürftigkeit nicht sich selbst, sondern er ist »ihm darin stets anteilnehmend und wohlwollend zugetan, so dass er aufmerksam nach ihm sieht und erkundet, wessen er bedarf« 65. Diese Aufmerksamkeit Gottes gilt allen Menschen und sie gilt, wie die Protasis V. 4 mit ihrem Hinweis auf die majestätische Höhe und Weite des nächtlichen Himmels mit seinen Gestirnen (Mond und Sterne) deutlich macht, dem Menschen in seiner Kleinheit und Hinfälligkeit. Damit steht sie im Dienst der Herausstellung der Größe des Schöpfers von Himmel und Erde (V. 2b + 10!) und damit »der Gnade, die darin besteht, dass dieser so große Gott sich dem so kleinen / hinfälligen Menschen zuneigt« 66. Nur von Gott her lässt sich nach Ps 8 also sagen, was oder wer der Mensch ist. Und nur von ihm her wächst dem Menschen, wie der weisheitliche Frage-Antwort-Zusammenhang von V. 4–9 67 verdeutlicht, auch die Fähigkeit zu, seine Stellung in der Welt wahrzunehmen (V. 6–9). Diese Stellung wird nicht wie in Gen 1,26–28 unter Rückgriff auf die imago Dei-Tradition, sondern anhand der Metapher vom »königlichen Menschen« und seiner Herrschaft über die Tiere präzisiert 68: 6 Du hast ihm nur wenig fehlen lassen zu(r) Gott(heit), und mit Ehre und Hoheit hast du ihn gekrönt.

65. 66. 67. 68.

(Hg.), Textarbeit. Studien zu Texten und ihrer Rezeption aus dem Alten Testament und der Umwelt Israels (FS P. Weimar) (AOAT 294), Münster 2003, 53–74, hier: 55 f. und Schnieringer, aaO 229 ff. Schnieringer, aaO 231 (Hervorhebung im Original). Ders., aaO 233, vgl. Irsigler, Psalm 8 (s. Anm. 59), 12 f.21 f.25.39 ff.42 ff. Zu diesem Ausdruck s. Irsigler, aaO passim. S. dazu O. Kaiser, Der Gott des Alten Testaments. Theologie des Alten Testaments Bd. 2 (UTB 2024), Göttingen 1998, 301 ff.; Neumann-Gorsolke, Menschenwürde (s. Anm. 59), 59 ff.; dies., Herrschen (s. Anm. 59), 79 ff. und zur Verbindung von Gottebenbildlichkeit und Herrschaftsauftrag in Gen 1,26–28 B. Janowski, Art. Gottebenbildlichkeit I, RGG4 3 (2000) 1159 f.; ders., Die lebendige Statue Gottes. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte, in: M. Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog (FS O. Kaiser) (BZAW 345/I-II), Berlin / New York 2004, 183–214; E.-J. Waschke, Die Bedeutung der Königstheologie für die Vorstellung Gottesebenbildlichkeit des Menschen, in: Wagner (Hg.), Anthropologische Aufbrüche (s. Anm. 5), 235–252, hier: 242 ff. und Irsigler, Interdependenz (s. Anm. 59), 363 ff.

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7 Du hast ihn zum Herrscher eingesetzt über die Werke deiner Hände, alles hast du gelegt unter seine Füße: 8 Kleinvieh und Rinder, sie alle, und auch die Tiere des Feldes, 9 die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres, was durchzieht die Pfade der Meere.

d) Der »Mensch Gottes«

Die Grundfrage aller Anthropologie – »Was ist der Mensch?« – erfährt mit Ps 8 eine Antwort, die charakteristisch für das biblische Menschenbild ist. Denn die Aussage, dass Gott an den Menschen »denkt« (tk4g5 ) und er »(sorgend) nach ihm sieht« (ds‰Q5 ), richtet sich nicht darauf, dass er sich punktuell einer Sache erinnert und eine andere vergisst, sondern darauf, dass er »in den Zusammenhängen geschöpflichen Lebens eine Wirklichkeit stiftet, die durch solche duale Abstraktionen selbst nicht zureichend erfasst wird« 69. Es geht in Ps 8 also nicht um den Menschen an sich oder um den Menschen in seiner Selbstbezüglichkeit, sondern um die Relation von Schöpfer und Geschöpf. Wie stark diese Relation ist und wie sehr sie vom Schöpfergott her gedacht ist, zeigt schließlich auch die Komposition des Psalms, die mit dem rahmenden Bewunderungsruf V. 2a / V. 10 den Ausgangs- und den Zielpunkt des Menschseins angibt – oder mit den Worten H. W. Wolffs: »Der Mensch des 8. Psalms, der seine Überlegenheit in der Welt entdeckt, kann sie nicht im Selbstruhm zur Sprache bringen, sondern nur in der preisenden Anrede Gottes (V. 6 f.) (…) Und der ganze Psalm wird von der Antiphon gerahmt (V. 2.10) (…) Die Bestimmung zum Loben Gottes und also zum dankbaren Dialog mit dem Schöpfer wird in Psalm 8 deshalb nicht von einer Selbstfaszination des Menschen durch seine eigenen Fähigkeiten verdrängt, weil er sich selbst auch mit seiner eigenen Hilfsbedürftigkeit im Auge behält (V. 5).« 70

69. A. Schüle, Gottes Handeln als Gedächtnis. Auferstehung in kulturtheoretischer und biblisch-theologischer Perspektive, in: H.-J. Eckstein / M. Welker (Hg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, Neukirchen-Vluyn 2002, 237– 275, hier: 269. 70. Wolff, Anthropologie, oben 316 f.

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Dieses Verständnis, das dem Menschen nicht die Position eines seiner selbst mächtigen Zentrums zuschreibt, sondern ihn dezidiert als »Mensch Gottes« 71 sieht – »Alles ist und empfängt der Mensch von Gott her« 72 –, spricht im übrigen dafür, die Orientierungsleistung der biblischen Anthropologie auch in der postsäkularen Öffentlichkeit wieder stärker zur Geltung zu bringen. 73

2. Perspektiven für einen Neuansatz

H. W. Wolffs »Anthropologie des Alten Testaments« markiert zweifellos einen Höhepunkt alttestamentlicher Wissenschaft. Aber auch hier ist die Forschung weitergegangen und hat neue Perspektiven hinzugewonnen. Dazu zählen vor allem Anstöße aus der Historischen Anthropologie und Psychologie 74, der Feministischen Anthropologie und Genderforschung 75 sowie der Kognitionswissenschaft76. Wie eine »Anthropologie des Alten Testaments«, die diesen Perspektiven Rechnung trägt, heute zu konzipieren und durchzuführen wäre, ist eine 71. Zu dieser Wendung s. W. Härle, Der Mensch Gottes. Die öffentliche Orientierungsleistung des christlichen Menschenverständnisses, in: E. Herms (Hg.), Menschenbild und Menschenwürde (VWGTh 17), Gütersloh 2001, 529– 543. 72. Irsigler, Interdependenz (s. Anm. 59), 374. 73. Jedenfalls scheint ihr Ausdruckspotential, selbst nach Meinung eines »religiös Unmusikalischen«, noch längst nicht ausgeschöpft, sondern auf neue Weise attraktiv zu sein: »Dass der Gott, der die Liebe ist, in Adam und Eva freie Wesen schafft, die ihm gleichen, muss man nicht glauben, um zu verstehen, was mit Ebenbildlichkeit gemeint ist. Liebe kann es ohne Erkenntnis in einem anderen, Freiheit ohne gegenseitige Anerkennung nicht geben. Dieses Gegenüber in Menschengestalt muss seinerseits frei sein, um die Zuwendung Gottes erwidern zu können. Trotz seiner Ebenbildlichkeit wird freilich auch dieser Andere als Geschöpf Gottes vorgestellt. Hinsichtlich seiner Herkunft kann er Gott nicht ebenbürtig sein. Diese Geschöpflichkeit des Ebenbildes drückt eine Intuition aus, die in unserem Zusammenhang auch dem religiös Unmusikalischen etwas sagen kann« (J. Habermas, Glauben und Wissen. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001, Frankfurt a. M. 2001, 30). 74. S. dazu oben S. 378 ff. und die Literaturhinweise unten S. 405 f. 75. S. dazu die Literaturhinweise unten S. 411 f. 76. S. dazu Chr. Antweiler, Kognitive Anthropologie. Kulturelle Rationalität und lokales Wissen, in: Stagl / Reinhard (Hg.), Grenzen des Menschseins (s. Anm. 5), 45–67.

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offene Frage. Man könnte sie als Idealbiographie eines Menschen des alten Israel entwerfen 77, sich an den anthropologischen Grundbegriffen bzw. Haupttexten orientieren 78 oder eine mehr thematische Einteilung zugrundelegen 79. Gegenüber solchen Einteilungen hätte eine Anthropologie des Alten Testaments m. E. vor allem die konkreten Lebensumstände der Menschen im alten Israel (aa) 80 sowie die literarischen Kontexte (ab) zu analysieren, in denen diese Lebensumstände ihren sprachlichen Ausdruck gefunden haben. Zwischen diesen beiden Ebenen gibt es eine ständige Wechselbeziehung. Dass es unbeschadet dessen im Alten Testament auch anthropologische Konstanten (ag) gibt, ist nicht von der Hand zu weisen; wäre es anders, wäre die Vergangenheit für uns schlechterdings unerreichbar. Versuchen wir im folgenden, diese drei Aspekte kurz zu umreißen und anschließend zu bündeln (b). a) Methodische Aspekte a) Die konkreten Lebensumstände

In seiner Antrittsvorlesung am Collège de France von 1933 hat L. Febvre, zusammen mit M. Bloch 81 das Haupt der Schule der Annales, dazu aufgefordert, die Reduktion (!) von Geschichte auf Schrift aufzugeben und die »Humanwissenschaften« (sciences humaines) um die Analyse der »Tatsachen« (les faits) zu erweitern. Allerdings sind es, 77. Vgl. den Aufriss von Frevel / Wischmeyer, Menschsein (s. Anm. 27), 9 ff. (Frevel), der intern dann nach Themen und Texten gliedert. 78. So etwa Teil I der Darstellung von Wolff, Anthropologie, oben 29 ff., s. dazu aber die Kritik von A. Wagner, Wider die Reduktion des Lebendigen. Über das Verhältnis der sog. anthropologischen Grundbegriffe und die Unmöglichkeit, mit ihnen die alttestamentliche Menschenvorstellung zu erfassen, in: ders. (Hg.), Anthropologische Aufbrüche (s. Anm. 5), 183–199. 79. Vgl. den Aufriss von C. Westermann, Der Mensch im Alten Testament (Altes Testament und Moderne 6), Münster / Hamburg 2000, 11 ff., der in die beiden Teile »Der Mensch als Geschöpf« und »Der Mensch als Glied einer Geschichte« gliedert. 80. Vgl. S. Schroer / R. Zimmermann, Art. Mensch / Menschsein, in: Crüsemann u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch (s. Anm. 51), 368–376, hier: 368, denen zufolge »die Frage nach Kernaussagen der biblischen Anthropologie und ihrem kerygmatischen Gehalt zu beantworten bleibt, die inmitten konkreter Lebensumstände hervorleuchten«. 81. Zu M. Bloch vgl. oben S. 378 f.

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wie er präzisiert, immer »menschliche Tatsachen«82; dementsprechend besteht die Aufgabe des Historikers darin, »die Menschen wiederzufinden, die sie (sc. die Tatsachen) durchlebt haben, sodann diejenigen, die sich viel später mit ihren Ideen in ihnen eingenistet haben, um sie zu deuten« 83: »Die Texte, gewiss – aber es sind menschliche Texte. (…) Die Texte, gewiss – aber alle Texte. (…) Die Texte, freilich – aber nicht nur die Texte. Auch die Dokumente, welcher Art auch immer.« 84 Im Blick auf die Anthropologie des Alten Testaments könnte man diesen Impuls so aufnehmen, dass man von der Korrelation von »Mensch« und »Kultur« ausgeht 85 und dabei die Ergebnisse der Palästinaarchäologie, der Ikonographie Palästinas / Israels 86 und der altorientalischen Religionsgeschichte einbezieht. Um das disparate Material zu ordnen, könnte man dabei die drei Ebenen Begriff der Person, Sphäre des Sozialen und Wahrnehmung der Welt unterscheiden 87 und diese folgendermaßen beschreiben: • Der Begriff der Person (Körperbild / Sozialstruktur) Kennzeichnend für die alttestamentliche Anthropologie ist zunächst die Korrelation von Körperorgan und Lebensfunktion. Im Unterschied 82. L. Febvre, Ein Historiker prüft sein Gewissen, in: ders., Das Gewissen des Historikers, Berlin 1988, 9–22, hier: 18. 83. Ders., ebd., s. zum Programm der Annales-Schule immer noch den Sammelband von C. Honnegger (Hg.), M. Bloch, F. Braudel, L. Febvre u. a. Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zur systematischen Aneignung historischer Prozesse (es 814), Frankfurt a. M. 1977. 84. Febvre, ebd. (Hervorhebung im Original), vgl. Tanner, Art. Historische Anthropologie (s. Anm. 16), 153. 85. Man kann diesen Ansatz kulturwissenschaftlich nennen, insofern das Menschenbild davon abhängt, »in welche kulturellen Lebensformen sie (sc. die Menschen) verwoben sind, so dass Raum, (historische) Zeit und (soziale) Gemeinschaft sie allererst konstituieren und formieren« (N. Ricken, Menschen – Zur Struktur anthropologischer Reflexionen als einer unverzichtbaren kulturwissenschaftlichen Dimension, in: F. Jaeger / B. Liebsch [Hg.], Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. 1, Stuttgart / Weimar 2004, 152–172, hier: 152). 86. S. dazu jetzt S. Schroer / O. Keel, Die Ikonographie Palästinas/Israels und der Alte Orient (IPIAO). Eine Religionsgeschichte in Bildern, Bd. 1 ff., Fribourg 2005 ff., s. dazu B. Janowski, ThLZ 133 (2008) 612–614. 87. Zur Einzelbegründung s. B. Janowski, Der Mensch im alten Israel. Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie, in: ders., Welt als Schöpfung (s. Anm. 63), 107–139.

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zu dicho- bzw. trichotomischen Menschenbildern mit ihren Leib / Seele- bzw. Leib / Seele / Geist-Konzepten folgt das Alte Testament, wie seine anthropologischen Grundbegriffe zeigen, dem integrativen Konzept des ›ganzen Menschen‹88. Und da der Leib die Verankerung des Menschen in der Welt ist, ist für den alttestamentlichen Personbegriff neben der Leibsphäre auch die Sozialsphäre konstitutiv. • Die Sphäre des Sozialen (Lebenswelt des Menschen) Zu den Charakteristika alttestamentlicher Anthropologie gehört darüber hinaus die Auffassung von der Gemeinschaftsbezogenheit des hebräischen Denkens, der zufolge das Verhalten des einzelnen durchgängig in bezug auf den sozialen Kontext gesehen wird, in dem es sich vollzieht 89. Danach ist der Mensch ein ›konstellatives‹, in die soziale Gemeinschaft eingebundenes Wesen. Der Begriff der »Konstellation« bringt komplexe, auf Gegenseitigkeit – Gott/Mensch, Mensch/Mitmensch (Mann/Frau, Individuum/Gemeinschaft, Freund/Feind) und Mensch/Tier – ausgerichtete Beziehungen des Menschseins zum Ausdruck. 90 88. S. dazu ders., Konfliktgespräche mit Gott (s. Anm. 47), 43 f. mit der dort genannten Lit. Wenn van Oorschot, Grundlegung (s. Anm. 43), 33 mit Anm. 95 empfiehlt, den Begriff der »Ganzheitlichkeit« durch denjenigen der »Bezogenheit« (Relationalität) zu ersetzen, so ist das deswegen eigenartig, weil der Begriff der »Ganzheitlichkeit« von mir im Anschluss an M. Krieg ausdrücklich im Sinn von »Bezogenheit« (Relationalität) verwendet wurde. M. Häusl, Auf den Leib geschrieben. Körperbilder und -konzepte im Alten Testament, in: Frevel (Hg.), Biblische Anthropologie (s. Anm. 43), 134–163, hier: 139 f., auf die sich van Oorschot bezieht, hat dies jedenfalls zutreffend referiert, s. zur Sache auch Schroer / Zimmermann, Mensch / Menschsein (s. Anm. 80), 368 ff. 89. Man kann sich dies z. B. am Thema »Ehre / Schande« deutlich machen, s. dazu etwa J. Dietrich, Über Ehre und Ehrgefühl im Alten Testament, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch (s. Anm. 1), 419–452; C. Janssen / R. Kessler, Art. Ehre / Schande, in: Crüsemann u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch (s. Anm. 51), 97–100 und Z. Crook, Honor, Shame, and Scocial Status Revisited, JBL 128 (2009) 591–611. 90. Zum Begriff der »Konstellation« s. Janowski, Anerkennung (s. Anm. 46), 183 ff. Der Begriff der »Konstellation« begegnet auch in anderen Lebensbereichen des alten Israel: im Kult (homo ritualis), in der Wirtschaft (homo oeconomicus) oder in der Politik (homo politicus). Diese Lebensbereiche sind ebenso zentral und komplex wie der Bereich der Gesellschaft. So könnte man am Beispiel des Kults zeigen, dass für den homo ritualis unterschiedliche – geschlechtsspezifische, soziale, religiöse – Aspekte konstitutiv sind und je nach Anlass, Ort, Zeit oder Zweck eines Ritus / Rituals in den Vordergrund

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Anhang II • Die Wahrnehmung der Welt (biblisches Weltbild) Jede Religion, auch diejenige des alten Israel, verfügt schließlich über ein Symbolsystem bzw. ein Weltbild, mit dem sie die Autorität beansprucht, die Wirklichkeit im ganzen zu strukturieren und Interpretamente für die Lebensgestaltung des einzelnen bereit zu stellen. Die Vertrautheit mit dem religiösen Symbolsystem bot die Chance, die Spannung zwischen der vorgestellten Ordnung der Welt und ihren faktischen Ambivalenzen zugunsten der kosmoserhaltenden Kräfte aufzulösen und so die Frage nach der Kohärenz der Wirklichkeit überzeugend zu beantworten.

Der Mensch im alten Israel bewegt sich immer in allen drei Kontexten – im individuellen, im sozialen / politischen / ökonomischen und im religiösen Kontext –, wobei die Texte einmal diesen und einmal jenen Aspekt in den Vordergrund rücken. Der Singular »der Mensch« wird dabei immer durch den Plural »die Menschen« konkretisiert und meint deshalb Männer und Frauen, Eltern und Kinder, Alte und Junge, Freunde und Feinde, Bauern und Krieger, Beamte und Händler, Könige und Richter, Herren und Knechte, Priester und Propheten, Weise und Toren, Einheimische und Fremde oder Lebende und Tote. Alle diese verschiedenen Menschentypen und sozialen Rollen haben ihren Ort in einer alttestamentlichen Anthropologie. b) Die literarischen Kontexte

Eine Anthropologie des Alten Testaments ist zweitens als Anthropologie des Alten Testaments, also hinsichtlich der sprachlichen – narrativen, präskriptiven und poetischen – Gestalt seiner anthropologitreten, s. dazu B. Janowski / E. Zenger, Jenseits des Alltags. Fest und Opfer als religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt im alten Israel, in: Janowski, Welt als Schöpfung (s. Anm. 63), 39–78; B. Janowski, Homo ritualis. Opfer und Kult im alten Israel, BiKi 64 (2009) 134–140 mit der dort angegebenen Lit. Besonders deutlich wird dies an den Vorschriften zu Rein und Unrein, die nicht nur die Einbindung des einzelnen in soziale und religiöse Zusammenhänge, sondern unter bestimmten Bedingungen auch dessen Ausgrenzung thematisieren, s. dazu grundlegend M. Douglas, Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung und Tabu, Berlin 1985, ferner D. Erbele-Küster, Körper und Geschlecht. Studien zur Anthropologie von Leviticus 12 und 15 (WMANT 121), Neukirchen-Vluyn 2008 und dies. / E. Tönges, Art. Reinheit / Unreinheit, in: Crüsemann u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch (s. Anm. 51), 471–475.

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schen Aussagen zu entfalten. Was die unterschiedlichen literarischen Kontexte – also die Erzählungen, die Rechtstexte, die Rituale, die Hymnen, die Gebete, die Weisheitssprüche u. a. – angeht, in denen die anthropologischen Aussagen ihren Ausdruck gefunden haben, so ist es ein Charakteristikum des Alten Testaments, dass es kein einheitliches Menschenbild, sondern eine Vielzahl von Menschenbildern enthält, die verschiedenen Erfahrungsbereichen (Familie, Stamm, Staat, Erziehung, Kult, Recht, Wirtschaft, Politik u. a.) entstammen und eine diesen Erfahrungsbereichen entsprechende Sicht des Menschen vor Augen stellen. Dennoch gibt es anthropologische Schwerpunkte in den einzelnen Überlieferungsbereichen des Alten Testaments. Während die priesterliche und die nichtpriesterliche Urgeschichte (Gen 1–11) den Menschen in der Ambivalenz von Gottebenbildlichkeit (imago Dei) und Fehlbarkeit darstellt, thematisieren die prophetischen Texte ihn als homo socialis in der Spannung zwischen Gerechtigkeit und Sünde / Frevel. Und während der Mensch nach den Individualpsalmen in Klage und Lob »vor Gott« (coram Deo) steht, reflektieren die weisheitlichen Texte vor allem den Zusammenhang bzw. Nichtzusammenhang von Tun und Ergehen und damit die (fehlende) iustitia connectiva. Auch in einzelnen Büchern und Kompositionen gibt es spezifische anthropologische Aussagen und Perspektiven wie in der Josephsgeschichte, in der Aufstiegs- und Thronfolgegeschichte Davids 91, im Ezechiel- 92, im Jona-, im Hiobbuch 93 oder bei Kohelet 94 – ja, »die Frage nach Gottes- und Menschenbild (kann) grundsätzlich an jeden biblischen Text und literarischen Bereich gestellt werden« 95. Dies alles zeigt, dass es das alttestamentliche Menschenbild nicht gibt, sondern nur »sich ergänzende und z. T. auch in Kontrast stehen91. S. dazu U. Rüterswörden, Erwägungen zur Anthropologie der Thronfolgegeschichte, in: Stagl / Reinhard (Hg.), Grenzen des Menschseins (s. Anm. 5), 345–358. 92. S. dazu F. Sedlmeier, Transformationen. Zur Anthropologie Ezechiels, in: Stagl / Reinhard (Hg.), aaO 203–233. 93. S. dazu die Hinweise oben Anm. 61. 94. S. dazu L. Schwienhorst-Schönberger, Zwischen Agonie und Glück. Kulturanthropologische Impulse und alttestamentliche Anthropologie am Beispiel Kohelets, in: Frevel (Hg.), Biblische Anthropologie (s. Anm. 43), 164–189. 95. Irsigler, Interdependenz (s. Anm. 59), 351 Anm. 5.

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Anhang II

de Aspekte« 96. Statt von der Anthropologie des Alten Testaments wäre also angemessener von dessen Anthropologien oder von anthropologischen Entwürfen des Alten Testaments zu sprechen. Wie das Gottesund das Weltbild hat sich auch das Menschenbild des alten Israel über die Zeiten hin verändert und entsprechend die Textaussagen geprägt 97. In dem Bemühen, die Anthropologie und die Theologie des Alten Testaments miteinander zu korrelieren, gibt es gewisse Berührungspunkte mit den Überlegungen von J. van Oorschot 98. Man sollte sich m. E. aber davor hüten, die junge Pflanze »Anthropologie des Alten Testaments« an der Elle der »Theologie des Alten Testaments« zu messen, um dann festzustellen, dass »die Bemühungen um eine Anthropologie des Alten Testaments noch eher bescheiden an(muten)» 99. Ob dieses Urteil dem Stand der gegenwärtigen Forschungsdiskussion gerecht wird, sei dahingestellt. Gravierender ist aus meiner Sicht, dass van Oorschots methodische Empfehlung – nicht »zu früh etwa über die Unterschiede in den Literaturen und Traditionen hinweg zum Personbegriff oder zum Körperverständnis des Alten Testaments Aussagen zu machen«, weil dies »allzu leicht zu sehr allgemeinen Beschreibungen« führe und die »Gefahr sachfremder Einträge« erhöhe, sondern »zunächst literarhistorisch, traditions- und religionsgeschichtlich sowie thematisch orientiert an entsprechend differenzierenden Darstellungen« 100 zu arbeiten – den entscheidenden Schwachpunkt hat, dass die Analyse des Personbegriffs oder des Körperverständnisses von derjenigen der »Literaturen« (Geschichte der Texte) und »Traditionen« (Geschichte der Vorstellungen) umstandslos abgetrennt wird. Aussagen 96. Chr. Frevel, Art. Anthropologie, in: A. Berlejung / Chr. Frevel (Hg.), Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2 2009, 1–7, hier: 1, vgl. ders., Frage nach dem Menschen (s. Anm. 43), 35 ff. 97. S. dazu die Beiträge in B. Janowski (Hg.), Theologie und Exegese des Alten Testaments / der Hebräischen Bibel. Zwischenbilanz und Zukunftsperspektiven (SBS 200), Stuttgart 2005. Den Zusammenhang von Gottes- und Menschenbild hat A. Wagner, Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes, Gütersloh 2010 jüngst im Blick auf die Darstellung der äußeren Körperteile Gottes und des Menschen deutlich zu machen versucht. 98. S. dazu van Oorschot, Grundlegung (s. Anm. 43), 36 ff. 99. Ders., aaO 3, vgl. aaO 37 u. ö. 100. Ders., aaO 37 (Hervorhebung im Original).

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über den Personbegriff oder das Körperverständnis des Alten Testaments können aber immer nur anhand von Texten und (!) ihren sozial-, traditions- und religionsgeschichtlichen Implikationen, also nur in Form historischer Kontextualisierungen gemacht werden – und sind, was van Oorschot offenbar entgangen ist, in der neueren Forschung in aller Regel auch gemacht worden. Dass dabei die »Gefahr sachfremder Einträge« nie ganz zu vermeiden ist – sie ist im übrigen gerade bei literarhistorischen Rekonstruktionen ausgesprochen hoch! –, aber auf ein methodisch kontrollierbares Maß reduziert werden kann, dürfte hinlänglich bekannt sein. Das methodische Problem besteht also darin, dass eine literar- und redaktionsgeschichtliche Analyse alttestamentlicher Texte nie ohne sozial-, traditions- und religionsgeschichtliche Vorannahmen bzw. Konkretionen auskommt, die die Wahrnehmung und Beschreibung der literarischen / redaktionsgeschichtlichen Gestalt der Texte faktisch (!) mitbestimmen 101. Und das ist so, weil biblische Texte nicht frei schwebende Größen, sondern der sprachliche Ausdruck (»Form«) von gemachter und erfahrener Geschichte sind 102. So kommt, um nur ein Beispiel zu nennen, eine Analyse der Anthropologie des Hiobbuchs nicht ohne eine Erörterung seiner literarischen Struktur aus wie umgekehrt auch für die literarische Struktur des Hiobbuchs seine innerbiblischen Bezugnahmen (Tora, Prophetie, Psalmen) sowie (!) seine traditionsund religionsgeschichtlichen Vernetzungen (Theodizeefrage, Ludlul be¯l ne¯meqi, Babylonische Theodizee u. a.) zu beachten sind 103. Wer also nach der Anthropologie des Hiobbuchs fragt, hat ein ›Vorwissen‹ darüber, wonach er fragen bzw. worauf er achten soll (Leidens-, Gerechtigkeits-, Anthropodizee-/Theodizeeproblematik, Personbegriff, Körperverständnis). Dass dieses Vorwissen, das man über die Sozial-, Traditions- und Religionsgeschichte Israels wie auch über die Archäologie und Ikonographie Palästinas/Israels 104 gewinnt, immer auf die 101. Das gilt mutatis mutandis auch für die Theologie des Alten Testaments, s. dazu B. Janowski, Theologie des Alten Testaments. Zwischenbilanz und Zukunftsperspektiven, in: ders. (Hg.), Theologie (s. Anm. 97), 87–124. 102. S. dazu ders., Kanon und Sinnbildung. Perspektiven des Alten Testaments, in: F. Hartenstein u. a. (Hg.), Schriftprophetie (FS J. Jeremias), NeukirchenVluyn 2004, 15–36. 103. S. dazu etwa M. Köhlmoos, Das Auge Gottes. Textstrategie im Hiobbuch (FAT 25), Tübingen 1999 und jüngst vor allem K. Schmid, Hiob als biblisches und antikes Buch. Historische und intellektuelle Kontexte seiner Theologie (SBS 219), Stuttgart 2010. 104. S. dazu die Hinweise oben Anm. 86.

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Anhang II literarische Eigenart des zu untersuchenden Textes abgestimmt und von diesem her u. U. korrigiert werden muss, versteht sich dabei von selbst 105.

g) Die anthropologischen Konstanten

Welche Rolle für die alttestamentliche Anthropologie spielt schließlich die Frage der anthropologischen Konstanten und worin bestehen diese? Diese Frage lässt sich auch so stellen, dass man danach fragt, »ob es anthropologische Universalien oder nur partikulare Typen gibt« 106, ob also eine alttestamentliche Anthropologie rein deskriptiv verfahren soll oder ob sie auch normative Aspekte beinhalten darf bzw. muss 107. Das Problem der anthropologischen Konstanten wird auch in der Literaturwissenschaft diskutiert. In seinem Aufsatz »Zur Begriffsgeschichte von ›Mensch‹«108 hat der Romanist W. Raible eine »Skizze einer kognitiven Landkarte« angefertigt und in diese Landkarte vier Eckpunkte eingezeichnet. Dazu zählt er erstens die »Achse Gott – Mensch – Tier, die sich aus der doppelten Opposition (sc. Gott / Mensch, Mensch / Tier) ergibt, in der der Mensch steht«109, zweitens die Differenzierung des Menschen in Mann und Frau, die zur menschliche Fortpflanzung und damit »zu Kind, Familie, Verwandtschaft, Genealogie (führt)» 110, drittens den menschlichen Leib als »ein sehr wichtiges Orientierungszentrum, bei der Bezeichnung der eigenen Person und ihrer Orientierung im Raum ebenso wie bei der Bezeichnung anderer Personen« 111 und viertens das Konzept der (sexuellen, kommunikativen, sozialen) Rolle, das für die Ausdifferenzierung in einer arbeitsteiligen Gesellschaft sorgt und ihre Mitglieder davor 105. S. dazu die grundsätzlichen Überlegungen von K. Schmid, Literaturgeschichte des Alten Testaments. Eine Einführung, Darmstadt 2008, 52 ff. 106. Bohlken / Thies (Hg.), Einleitung (s. Anm. 4), 6. 107. S. zu dieser Problematik auch Schoberth, Einführung (s. Anm. 16), 84 ff. und D. Mieth, Theologische Anthropologie, in: Bohlken / Thies (Hg.), Handbuch Anthropologie (s. Anm. 4), 250–257. 108. W. Raible, Zur Begriffsgeschichte von ›Mensch… Skizze einer kognitiven Landkarte, in: Stagl / Reinhard (Hg.), Grenzen des Menschseins (s. Anm. 5), 155–173. 109. Ders., aaO 171. 110. Ders., aaO 172. 111. Vgl. ders., aaO 173.

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bewahrt, zu Außenseitern zu werden. Diese vier Aspekte sind gleichsam Ordnungsprinzipien oder Konstanten für das, was den Begriff des Menschen ausmacht, die aber in jeder Kultur unterschiedlich realisiert werden. Auch im Alten Testament gibt es anthropologische Konstanten, die seine unterschiedlichen Menschenbilder jenseits sozial- und literarhistorischer Konkretionen umgreifen und prägen. So kann auch eine alttestamentliche Anthropologie nicht auf allgemeine Begriffe wie »Körper«, »Geschlecht«, »Leben« oder »Tod« verzichten, die »sich diesseits gravierender evolutionärer Veränderungen auf Erfahrungsbereiche beziehen, die alle Menschen miteinander teilen« 112 und die auch für die Menschen des alten Israel gelten; dazu zählen auch Universalien im Bereich von Kommunikation und Sprache. Wie aber steht es mit den spezifisch biblischen Begriffen »Geschöpflichkeit« (vs. »Selbstkonstitution«), »Gerechtigkeit« (vs. »Sünde«) oder »Endlichkeit« (vs. »Unsterblichkeit«)? Sind auch diese zu den anthropologischen Konstanten zu zählen? Hält man sich an die anthropologischen Leitsätze von Gen 2,7, Mi 6,8 oder Ps 8,5 und ihre gleichsam definitorische Gestalt (s. das Cover dieser Neuausgabe), so wird man diese Frage bejahen müssen. Sie machen jedenfalls deutlich, wie grundsätzlich das Alte Testament über die conditio humana nachgedacht hat und wie zentral das Axiom der Geschöpflichkeit, das Prinzip der Gerechtigkeit und die Erfahrung der Endlichkeit für seine Auffassung(en) vom Menschen sind. b) Ein integrativer Ansatz

Ziehen wir ein Fazit: Eine Anthropologie des Alten Testaments, die die genannten Aspekte – die konkreten Lebensumstände, die literarischen Kontexte und die anthropologischen Konstanten – umsichtig erfasst und im Sinn eines integrativen Ansatzes aufeinander bezieht, ist erst noch zu schreiben. »Integrativer Ansatz« heißt zum einen, dass man anthropologische Letztbegründungen metaphysisch-spekulativer Provenienz ebenso vermeidet wie die Einseitigkeiten einer zu eng gefassten Historischen Anthropologie 113, und zum andern, dass man an 112. Bohlken / Thies (Hg.), Einleitung (s. Anm. 4), 6. 113. S. dazu die Hinweise bei dies., ebd.

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Anhang II

der Mehrschichtigkeit und Vieldimensionalität des alttestamentlichen Menschenbildes festhält, die Raum für partikulare Besonderheiten (konkrete Lebensumstände, literarische Kontexte) wie für universale Merkmale (anthropologische Konstanten) lässt. Im Blick auf das Verhältnis der Alttestamentlichen Anthropologie zur Philosophischen Anthropologie auf der einen und zur Historischen Anthropologie auf der anderen Seite 114 lassen sich zusammenfassend folgende Gemeinsamkeiten und Unterschiede festhalten: – Der Zusammenhang mit der Philosophischen Anthropologie besteht in der bleibenden Relevanz der Frage nach den anthropologischen Konstanten115. Der Unterschied zu ihr besteht darin, dass diese Frage von der Alttestamentlichen Anthropologie so beantwortet wird, dass sie als theologische Anthropologie »mit Gottes orientierender Gegenwart in dieser Welt« 116 rechnet und den Menschen prinzipiell als »Mensch Gottes« 117 und d. h. als Geschöpf sieht. – Der Zusammenhang mit der Historischen Anthropologie besteht darin, dass auch die Alttestamentliche Anthropologie die Frage nach dem Wesen des Menschen nicht essentialistisch beantwortet. Der Unterschied zu ihr besteht darin, dass sie mit der Historischen Anthropologie das Axiom des menschlichen Zusammenlebens und seiner Ambivalenzen teilt, aber davon ausgeht, dass erst sub specie Dei ein lebensförderlicher Umgang mit diesen Ambivalenzen möglich ist.

Wenn die Leistung der Historischen Anthropologie demnach nicht in der Dekonstruktion der Frage nach dem Wesen des Menschen, sondern vielmehr in der Schärfung des Bewusstseins von der Geschichtlichkeit des Menschen bzw. der ›menschlichen Natur‹ besteht,118 so kann die Alttestamentliche Anthropologie daran anknüpfen. Zugleich geht sie darüber hinaus, indem sie das Axiom der Geschöpflichkeit, das Prinzip der Gerechtigkeit und die Erfahrung der End114. Dazu kommen möglicherweise weitere Bereiche der Humanwissenschaften wie Biologie, Medizin, Psychologie, Kognitionswissenschaft u. a., sofern sich dafür plausible Anknüpfungspunkte in den alttestamentlichen Texten namhaft machen lassen. 115. Diese Frage spielt neuerdings auch in der Historischen Anthropologie wieder eine Rolle, s. dazu Bohlken / Thies, aaO 4. 116. Klein, Inhumanität (s. Anm. 30), 444, vgl. zur Sache auch oben S. 381. 117. Zu dieser Wendung s. oben S. 391 f. 118. Vgl. oben S. 378 ff.

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lichkeit reflektiert und damit die Konstanten einer theologischen Anthropologie zur Geltung bringt 119. Sie tut dies immer in Bezug auf die biblischen Texte und deren literarische sowie sozial-, traditionsund religionsgeschichtliche Profilierung. Da H. W. Wolff diese Problematik in seiner »Anthropologie des Alten Testaments« bereits gesehen 120 und ansatzweise auch durchgeführt hat, wird er trotz aller Rückfragen 121 auch in Zukunft ein wichtiger Gesprächspartner sein.

III. Weiterführende Literatur Abschließend werden einige Literaturhinweise zu ausgewählten Themenfeldern zusammengestellt, die die seit der Wolff ’schen Anthropologie veränderte Forschungssituation dokumentieren sollen. Folgende Titel werden dabei abgekürzt zitiert: Berlejung, A. / Frevel, Chr. (Hg.), Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2 2009 Bohlken, E. / Thies, Chr. (Hg.), Handbuch Anthropologie. Der Mensch zwischen Natur, Kultur und Technik, Stuttgart / Weimar 2009 Crüsemann, F. u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009 Frevel, Chr. (Hg.), Biblische Anthropologie. Neue Einsichten aus dem Alten Testament (QD 237), Freiburg / Basel / Wien 2010 Janowski, B. / Liess, K. (Hg.), Der Mensch im alten Israel. Neue Forschungen zur alttestamentlichen Anthropologie (HBS 59), Freiburg / Basel / Wien 2009 Stagl, J. / Reinhard, W. (Hg.), Grenzen des Menschseins. Probleme einer Definition des Menschlichen, Wien / Köln / Weimar 2005

119. Vgl. dazu auch Frevel, Frage nach dem Menschen (s. Anm. 43), 53, der das Feld der anthropologischen Konstanten noch weiter ausdifferenziert. 120. Vgl. Wolff, Anthropologie, oben 24: »Biblische Anthropologie als wissenschaftliche Aufgabe wird ihren Einsatz dort suchen, wo innerhalb der Texte selbst erkennbar nach dem Menschen gefragt wird. Die ganze Weite der Kontexte ist heranzuziehen, um die spezifischen Aufgaben zu erarbeiten.« Zum Kontext des Zitats s. oben S. 388 und zustimmend dazu jüngst auch Frevel, aaO 54. Anders wieder van Oorschot, Grundlegung (s. Anm. 43), 12, dem die Pointe des Wolff ’schen Arguments leider entgeht; zu seiner Position s. oben S. 398 ff. 121. S. dazu die Hinweise oben S. 383 f. mit Anm. 43.

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Wagner, A. (Hg.), Anthropologische Aufbrüche. Alttestamentliche und interdisziplinäre Zugänge zur historischen Anthropologie (FRLANT 232), Göttingen 2009

1. Philosophische und Theologische Anthropologie

In der Philosophischen Anthropologie werden seit einigen Jahren verstärkt die medizinischen, psychologischen, soziologischen und kulturellen Erfahrungsreiche einbezogen und die Frage nach dem Wesen und der Bestimmung des Menschen anders beantwortet als noch vor etwa zwei Generationen. Gleichwohl bleibt die Aufgabe bestehen, die anthropologische Grundfrage »Was ist der Mensch?« nicht einfach aufzugeben, sondern nach Kategorien zu suchen, die diese erfahrungsnah zu konkretisieren erlauben. Dieser Aufgabe ist auch die Theologische Anthropologie verpflichtet, die darüber hinaus mit »Gottes orientierender Gegenwart in dieser Welt« (Klein, Inhumanität, 444) rechnet und diese anthropologisch fruchtbar zu machen sucht. Arlt, G., Philosophische Anthropologie, Stuttgart / Weimar 2001 Blumenberg, H., Beschreibung des Menschen, Frankfurt a. M. 2006 Böhme, G., Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (es 1301) Frankfurt a. M. 1985 –, Ethik leiblicher Existenz. Über unseren moralischen Umgang mit der eigenen Natur (stw 1880), Frankfurt a. M. 2008 Cassirer, E., Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur, Frankfurt a. M. 1990 Dirscherl, E., Grundriß Theologischer Anthropologie. Die Entschiedenheit des Menschen angesichts des Anderen, Regensburg 2006 – / Dohmen, Chr. / Englert, R. / Laux, B., In Beziehung leben. Theologische Anthropologie, Freiburg 2008, 46–89 Fischer, J., Philosophische Anthropologie. Eine Denkrichtung des 20. Jahrhunderts, Freiburg / München 2008 Fuchs, Th., Das Gehirn – ein Beziehungsorgan. Eine phänomenologisch-ökologische Konzeption, Stuttgart 2 2009 Haeffner, G., Wege in die Freiheit. Philosophische Meditationen über den Menschen, Stuttgart 2006 Härle, W., Der Mensch Gottes. Die öffentliche Orientierungsleistung des christlichen Menschenverständnisses, in: E. Herms (Hg.), Menschenbild und Menschenwürde (VWGTh 17), Gütersloh 2001, 529–543 Hartung, G., Philosophische Anthropologie, Stuttgart 2008

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Klein, R. A., Die Inhumanität des Animal Sociale. Vier Thesen zum interdisziplinären Beitrag der theologischen Anthropologie, NZSTh 51 (2009) 427– 444 König, P., »Philosophische Anthropologie« – ein Rettungsversuch, Zeitschrift für Ideengeschichte 3 (2009) 119–122 Marquard, O., Art. Anthropologie, HWP 1 (1971) 362–374 Merleau-Ponty, M., Phänomenologie der Wahrnehmung, Berlin 6 1966 Mieth, D., Theologische Anthropologie, in: Bohlken / Thies (Hg.), Handbuch Anthropologie, 250–257 Moltmann, J., Mensch. Christliche Anthropologie in den Konflikten der Gegenwart, Gütersloh 3 2007 Munteanu, D., Was ist der Mensch? Grundzüge und gesellschaftliche Relevanz einer ökumenischen Anthropologie anhand der Theologien von K. Rahner, W. Panneberg und J. Zizioulas, Neukirchen-Vluyn 2010 Pannenberg, W., Was ist der Mensch? Die Anthropologie der Gegenwart im Lichte der Theologie (KVR 139/140), Göttingen 2 1964 –, Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983 Schoberth, W., Wozu theologische Anthropologie?, VF 51 (2006) 38–55 –, Einführung in die theologische Anthropologie, Darmstadt 2006 Schockenhoff, E., Ethik des Lebens. Grundlagen und neue Herausforderungen, Freiburg / Basel / Wien 2009 Schüßler, W. (Hg.), Philosophische Anthropologie, Freiburg / München 2000 Thies, Chr., Anthropologie heute. Ein Literaturbericht, PhR 56 (2009) 183– 210 (I). 296–312 (II)

2. Historische Anthropologie / Psychologie

Im Unterschied zur traditionellen Philosophischen Anthropologie und ihren essentialistischen Behauptungen über das invariante Wesen des Mensche fragt die Historische Anthropologie danach, »in welch tiefgreifender Weise der Mensch historisch ist« (Böhme, Anthropologie, 264). Sie stellt den konkreten Menschen mit seinem Handeln und Denken, Fühlen und Leiden in den Mittelpunkt der Analyse und schärft den Blick für die ›Innenseite der Geschichte‹, also für die historische und kulturelle Bedingtheit und Vielfalt des menschlichen Lebens. Berger, K., Historische Psychologie des Neuen Testaments (SBS 146/147), Stuttgart 1991

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Böhme, G., Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (es 1301), Frankfurt a. M. 1985 Bohlken, E. / Thies, Chr., Einleitung in: dies. (Hg.), Handbuch Anthropologie, 1–10 Burke, P., Was ist Kulturgeschichte?, Frankfurt a. M. 2005 van Dülmen, R., Historische Anthropologie. Entwicklung, Probleme, Aufgaben, Köln u. a. 2000 Gebauer, G. (Hg.), Anthropologie, Leipzig 1998 von Gemünden, P., Methodische Überlegungen zur Historischen Psychologie exemplifiziert am Themenkomplex der Trauer in der Bibel und ihrer Umwelt, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch, 41–68 Jaeger, F. / Straub, J. (Hg.), Was ist der Mensch, was Geschichte? Annäherungen an eine kulturwissenschaftliche Anthropologie, Bielefeld 2005 Kamper, D. / Wulf, Chr. (Hg.), Anthropologie nach dem Tode des Menschen (es 1906), Frankfurt a. M. 1999 Keupp, H. (Hg.), Der Mensch als soziales Wesen. Sozialpsychologisches Denken im 20. Jahrhundert, München 1995 Müller, K.-E., Perspektiven der Historischen Anthropologie, in: J. Rüsen (Hg.), Westliches Geschichtsdenken. Eine interkulturelle Debatte, Göttingen 1999, 55–80 Ricken, N., Menschen – Zur Struktur anthropologischer Reflexionen als einer unverzichtbaren kulturwissenschaftlichen Dimension, in: F. Jaeger / B. Liebsch (Hg.), Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. 1, Stuttgart / Weimar 2004, 152–172 Schmitt Pantel, P. / Wittenburg A., Historische Anthropologie und Alte Geschichte in Frankreich, Historische Anthropologie 15 (2007) 371–394 Stagl, J. / Reinhard, W. (Hg.), Grenzen des Menschseins. Probleme einer Definition des Menschlichen, Wien / Köln / Weimar 2005 Tanner, J., Historische Anthropologie zur Einführung, Hamburg 2004 –, Art. Historische Anthropologie, in: Bohlken / Thies (Hg.), Handbuch Anthropologie, 147–156 Theißen, G., Erleben und Verhalten der ersten Christen. Eine Psychologie des Urchristentums, Gütersloh 2007 Winterling, A. (Hg.), Historische Anthropologie. Basistexte, Stuttgart 2006 Wulf, Chr., Anthropologie. Geschichte, Kultur, Philosophie (re 55664), Reinbek bei Hamburg 2004 – (Hg.), Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie, Weinheim / Basel 1997 – / D. Kamper (Hg.), Logik und Leidenschaft. Erträge Historischer Anthropologie, Berlin 2002

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3. Anthropologie des Alten Testaments a) Grundfragen

H. W. Wolffs »Anthropologie des Alten Testaments« hat dem Thema der Anthropologie seit den frühen Entwürfen von F. Delitzsch, J. Koeberle, J. Pedersen u. a. erstmals ein eigenes Gewicht gegeben. Aber auch hier ist die Forschung weitergegangen und hat neue Perspektiven eröffnet. Dazu zählen Anstöße aus der Historischen Anthropologie / Psychologie, der Genderforschung und der Kognitionswissenschaft. Die alttestamentliche Wissenschaft ist nicht nur »besonders geeignet für das Gespräch mit den Kulturwissenschaften« (H. Assel, F. Hartenstein, K. Raschzok, Zu diesem Heft, VF 54 [2009] 2–5, hier: 4), sie ist in dieses Gespräch seit einigen Jahren bereits eingetreten. Albertz, R., Art. Mensch II, TRE 22 (1992) 464–474 Frevel, Chr., Art. Anthropologie, in: Berlejung / Frevel (Hg.), Handbuch , 1–7 – / O. Wischmeyer, Menschsein. Perspektiven des Alten und Neuen Testaments (NEB.Themen 11), Würzburg 2003 Hartenstein, F., Kulturwissenschaften und Altes Testament – Themen und Perspektiven, VF 54 (2009) 31–42 Janowski, B., Art Mensch IV, RGG4 5 (2002) 1057–1058 –, Der Mensch im alten Israel. Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie, in: ders., Die Welt als Schöpfung. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 4, Neukirchen-Vluyn 2008, 107–139 –, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, NeukirchenVluyn 3 2009 – / Bester, D., Anthropologie des Alten Testaments. Ein forschungsgeschichtlicher Überblick, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch, 3–40 Kegler, J., Art. Mensch, in: O. Betz / B. Ego / W. Grimm (Hg.), Calwer Bibellexikon Bd. 2, Stuttgart 2003, 897 f. Kessler, R., Anthropologie und Sozialgeschichte, in: Wagner (Hg.), Anthropologische Aufbrüche, 69–76 Neumann, K., Art. Kultur und Mentalität, in: Berlejung / Frevel (Hg.), Handbuch, 35–42 van Oorschot, J., Zur Grundlegung alttestamentlicher Anthropologie – Orientierung und Zwischenruf, in: ders. / M. Iff (Hg.), Der Mensch als Thema theologischer Anthropologie. Beiträge in interdisziplinärer Perspektive (BThSt 111), Neukirchen-Vluyn 2010, 1–41

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Anhang II

Raible, W., Zur Begriffsgeschichte von »Mensch«: Skizze einer kognitiven Landkarte, in: Stagl / Reinhard (Hg.), Grenzen des Menschseins, 155–173 Rogerson, J. W., Anthropology and the Old Testament, Sheffield 1984 Schmidt, W. H., »Was ist der Mensch?«. Anthropologische Einsichten des Alten Testaments, BiKi 42 (1987) 2–15 Schroer, S. / Zimmermann, R., Art. Mensch / Menschsein, in: Crüsemann u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch, 368–376 Staubli, Th., Begleiter durch das Erste Testament, Düsseldorf 1997, 98–122 (Das Menschenbild der Bibel) di Vito, R. A., Art. Anthropology, OT Theological, in: The New Interpreter’s Dictionary of the Bible 1 (2006) 171–174 –, Art. Anthropology II, in: H. Spieckermann et alii (ed.), Encyclopedia of the Bible and its Reception, Berlin / New York 2 (2009) 117–126 Wagner, A., Art. Mensch, in: Wissenschaftliches Bibel-Lexikon im Internet (www. wibilex.de), 2007 –, Wider die Reduktion des Lebendigen. Über das Verhältnis der sog. anthropologischen Grundbegriffe und die Unmöglichkeit, mit ihnen die alttestamentliche Menschenvorstellung zu erfassen, in: ders. (Hg.), Anthropologische Aufbrüche, 183–199 Westermann, C., Der Mensch im Alten Testament (Altes Testament und Moderne 6), 2000

b) Religionsgeschichtliche Kontexte

Eine »Anthropologie des Alten Testaments« kann nicht mehr ohne die Berücksichtigung der Kulturen des alten Ägypten, des Alten Orients (Mesopotamien, Kleinasien, Syrien, Palästina, Iran, vorislamisches Arabien) und des antiken Mittelmeerraums einschließlich Griechenlands geschrieben werden. Die Überzeugung, dass das alte Israel seinen langen Weg durch die Geschichte nicht in einer Art »Splendid Isolation«, sondern in Auseinandersetzung mit seiner sog. Umwelt zurückgelegt hat, gilt nicht nur für die Theologie des Alten Testaments, sondern mutatis mutandis auch für seine Anthropologie. Assmann, J., Tod und Jenseits im alten Ägypten, München 2001 –, Konstellative Anthropologie. Zum Bild des Menschen im Alten Ägypten, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch, 95–120 Bottéro, J., La plus vieille religion. En Mésopotamie, Paris 1997, 195–225 Brunner, H., Grundzüge der altägyptischen Religion, Darmstadt 1983, 102– 121

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Brunner-Traut, E., Frühformen des Erkennens. Am Beispiel Altägyptens, Darmstadt 2 1992 Burkert, W., Homo Necans. Interpretationen altgriechischer Opferriten und Mythen (RGVV 32), Berlin / New York 1972 / 2 1997 Donadoni, S., Der Mensch im Alten Ägypten, Frankfurt a. M. / New York 1992 Fischer-Elfert, H.-W., Herkunft, Wesen und Grenzen des Menschen nach altägyptischer Vorstellung, in: Stagl / Reinhard (Hg.), Grenzen des Menschseins, 217–234 Frankfort, H. u. a., Alter Orient – Mythos und Wirklichkeit (UT 9), Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1981 Gernet, L., Anthropologie de la grèce antique, Paris 1968 Hutter, M., Religionen in der Umwelt des Alten Testaments I (KStTh 4,1), Stuttgart 1996 Janowski, B. (Hg.), Theologie und Exegese des Alten Testaments / der Hebräischen Bibel. Zwischenbilanz und Zukunftsperspektiven (SBS 200), Stuttgart 2005 – (Hg.), Der ganze Mensch. Zur Anthropologie der Antike und ihrer europäischen Rezeptionsgeschichte, Berlin 2011 Keel, O., Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, Göttingen 5 1996, 287–331 Kraus, F. R., Vom mesopotamischen Menschen der altbabylonischen Zeit und seiner Welt, Amsterdam / London 1973 Nippel, W., Art. Anthropologie, DNP 1 (1996) 740–744 Pettinato, G., Das altorientalischen Menschenbild und die sumerischen und akkadischen Schöpfungsmythen, Heidelberg 1971 Schlesier, R., Kulte, Mythen und Gelehrte. Anthropologie der Antike seit 1800 (Fischer Taschenbuch 11924), Frankfurt a. M.1994 –, Art. Kulturanthropologie, DNP 14 (2000) 1131–1147 Steinert, U., Personenkonzeptionen: Die Vorstellungen über den Menschen im alten Mesopotamien nach akkadischen Keilschrifttexten des 2. und 1. Jt. v. Chr., Diss. masch. Göttingen 2007 Vernant, J.-P., Individuum, Tod, Liebe. Das Selbst und der andere im alten Griechenland, in: G. Gebauer (Hg.), Anthropologie, Leipzig 1998, 22–48 – (Hg.), Der Mensch der griechischen Antike, Frankfurt a. M. 1993 Wilcke, C., Vom Wesen des Menschen in altorientalischer Mythologie, in: Stagl / Reinhard (Hg.), Grenzen des Menschseins, 235–251 Zgoll, A., Der betende Mensch. Zur Anthropologie in Mesopotamien, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch, 21–140

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Anhang II

c) Zum Begriff der Person

Im Unterschied zu den dicho- bzw. trichotomischen Menschenbildern mit ihren Leib/Seele- bzw. Leib/Seele/Geist-Konzepten folgt das Alte Testament, wie schon seine anthropologischen Grundbegriffe zeigen, dem integrativen Konzept des »ganzen Menschen«. Der Ausdruck »ganzer Menschen« meint den Menschen in seiner Bezogenheit auf Gott, den/die Mitmenschen, die Tiere und die (Um-)Welt. Die Eigenart dieses Konzepts ist für die Frage nach der personalen Identität von grundlegender Bedeutung. Wie nämlich wird, so ist zu fragen, in einer Kultur, der von Haus aus der lateinische Terminus persona »Maske, Rolle, Status« fehlt, der Begriff der Person gefasst? Albertz, R., Art. Mensch II, TRE 22 (1992) 464–474 Assmann, J., Tod und Jenseits im alten Ägypten, München 2001 Berlejung, A. / Janowski, B. (Hg.), Tod und Jenseits im alten Israel und in seiner Umwelt. Theologische, religions-geschichtliche, archäologische und ikonographische Aspekte (FAT I/64), Tübingen 2009 Fabry, H.-J., Art. bl9, ThWAT 4 (1984) 413–451 Frevel, Chr., Art. Anthropologie, in: Berlejung / Frevel (Hg.), Handbuch, 1–7 – / Wischmeyer, O., Menschsein. Perspektiven des Alten und Neuen Testaments (NEB.Themen 11), Würzburg 2003 Gruber, M. / Michel, A., Art. Individualität, in: Crüsemann u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch, 270–274 Janowski, B., Der Mensch im alten Israel. Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie, in: ders., Die Welt als Schöpfung. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 4, Neukirchen-Vluyn 2008, 107–139 –, Anerkennung und Gegenseitigkeit. Zum konstellativen Personbegriff des Alten Testaments, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch, 181–211 Krüger, Th., Das »Herz« in der alttestamentlichen Anthropologie, in: Wagner (Hg.), Anthropologische Aufbrüche, 103–118 Liess, K., Der Weg des Lebens. Psalm 16 und das Lebens- und Todesverständnis der Individualpsalmen (FAT II/5), Tübingen 2004 Neumann, K., Art. Person, in: Berlejung / Frevel (Hg.), Handbuch, 339 f. Schroer, S. / Zimmermann, R., Art. Mensch / Menschsein, in: Crüsemann u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch, 368–376 Theißen, G., Erleben und Verhalten der ersten Christen. Eine Psychologie des Christentums, Gütersloh 2007 Vernant, J.-P., Individuum, Tod, Liebe. Das Selbst und der andere im alten Griechenland, in: G. Gebauer (Hg.), Anthropologie, Leipzig 1998, 22–48 di Vito, R. A., Alttestamentliche Anthropologie und die Konstruktion personaler Identität, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch, 213–241

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Wagner, A., Emotionen, Gefühle und Sprache im Alten Testament. Vier Studien (KUSATU 7), Waltrop 2006 –, Körperbegriffe als Stellvertreterausdrücke der Person in den Psalmen, in: ders., Beten und Bekennen. Über Psalmen, Neukirchen-Vluyn 2008, 289–317 –, Gottes Körper. Zur alttestamentlichen Vorstellung der Menschengestaltigkeit Gottes, Gütersloh 2010

d) Zur Rolle der Geschlechter

Die Reflexion darüber, was oder wer der Mensch ist, muss durch die – schon in Gen 1,26–28 und 2,4b–25 enthaltenen – Aussagen ergänzt werden, dass Menschen sich immer in »Mann« und »Frau« differenzieren und menschliche Fortpflanzung zu Familie und Verwandtschaft führt. Das Alte Testament zeichnet sich durch genealogisches Denken aus und verleiht dem Menschen eine »radikal soziale Konstitution« (Schroer / Zimmermann, Mensch / Menschsein, 373 f.). Das heißt: Der einzelne erfährt sich als Gemeinschaftswesen, das in den Zusammenhang der Familie, der Sippe und des Clans eingebunden ist und dessen soziale Rolle immer auch durch seine Zugehörigkeit zum männlichen / weiblichen Geschlecht geprägt wird. Bester, D., Körperbilder in den Psalmen. Studien zu Psalm 22 und verwandten Texten (FAT II/24), Tübingen 2007 Eder, S. / Fischer I. (Hg.), »… männlich und weiblich schuf er sie …« (Gen 1,27). Zur Brisanz der Geschlechterfrage in Religion und Gesellschaft, Innsbruck / Wien 2009 Erbele-Küster, D., Körper und Geschlecht. Studien zur Anthropologie von Leviticus 12 und 15 (WMANT 121), Neukirchen-Vluyn 2008 Fechter, F. / Sutter Rehmann, L., Art. Frau / Mann, in: Crüsemann u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch, 149–154 Fischer, I., Frauen in der Literatur (Altes Testament), in: Wissenschaftliches Bibel-Lexikon im Internet (www.wibilex.de), 2008 – / Navarro Puerto M. / Taschl-Erber, A. (Hg.), Tora. Die Bibel und die Frauen. Eine exegetisch-kulturgeschichtliche Enzyklopädie Bd. 1.1, Stuttgart 2010 Frevel, Chr., Art. Frau / Mann, in: Berlejung / Frevel (Hg.), Handbuch, 188–190 Häusl, M., Geschlechterordnung, symbolische Ordnung, Götterordnung, in: B. Heininger (Hg.), Geschlechterdifferenz in religiösen Symbolsystemen, Münster 2003, 15–25 –, Auf den Leib geschrieben. Körperbilder und -konzepte im Alten Testament, in: Frevel (Hg.), Biblische Anthropologie, 134–163

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Anhang II

Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekt (Hg.), Körperkonzepte im Ersten Testament. Aspekte einer Feministischen Anthropologie, Stuttgart 2003 Klinger, E. / Böhm, St. / Franz, Th. (Hg.), Geschlechterdifferenz, Ritual und Religion, Würzburg 2003 Meyers, C., Material Remains and Social Relations, in: W. G. Dever / S. Gitin (ed.), Symbiosis, Symbolism, and the Power of the Past, Winona Lake / IN 2003, 425–444 Schorch, St., »Du bist ein verschlossener Garten«. Theologie, Anthropologie und Geschlechterverhältnis im Alten Testament, WuD 28 (2005) 11–25 Schroer, S., Feministische Anthropologie des Ersten Testaments, lectio difficilior 1 (2003) (www.lectio.unibe.ch/03_1/ schroer.htm) – / Staubli, Th., Die Körpersymbolik der Bibel, Darmstadt 2 2005 Staubli, Th., Geschlechtertrennung und Männersphären im Alten Israel. Archäologische und exegetische Beobachtungen zu einem vernachlässigten Thema, BiKi 63 (2008) 166–174

e) Zur Sphäre des Sozialen

Die »Ganzheitlichkeit« des alttestamentlichen Menschenbildes zeigt sich konkret darin, dass der Mensch in einem Beziehungsgeflecht lebt, das die körperliche, die soziale und die religiöse Dimension umfasst. In dieses Geflecht wird der einzelne hineingeboren. Soziale Beziehungen beginnen mit der Geburt, sie werden geformt durch das Zusammenleben in Haus und Öffentlichkeit und finden ihr Ende bzw. ihre Erfüllung im Alter. Der Lebensbogen des einzelnen ist dabei »linear und zyklisch zugleich« (Kegler, Mensch, 897): linear durch die Abfolge der Lebensjahre und zyklisch durch die wiederkehrenden Ereignisse in Natur (Jahreszeiten) und Gesellschaft (Feste und Riten). Borowski, O., Daily Life in Biblical Times, Leiden / Boston 2003 Dietrich, J., Über Ehre und Ehrgefühl im Alten Testament, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch, 419–452 Gerber, Chr. / Vieweger, D., Art. Alter, in: Crüsemann u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch, 8–10 –, Art. Haus, in: Crüsemann u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch, 249– 255 Grohmann, M., Fruchtbarkeit und Geburt in den Psalmen (FAT I/53), Tübingen 2007 Janowski, B., Der Mensch im alten Israel. Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie, in: ders., Die Welt als Schöpfung. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 4, Neukirchen-Vluyn 2008, 107–139

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Janssen, C. / Kessler, R., Art. Ehre / Schande, in: Crüsemann u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch, 97–100 Kessler, R., Sozialgeschichte des alten Israel. Eine Einführung, Darmstadt 2006 Klopfenstein, M., Art. Ehre und Schande, NBL 1 (1991) 485 f. Lamp, E. / Tilly, M., Öffentlichkeit als Bedrohung. Ein Beitrag zur Deutung des »Feindes« im Klagepsalm des Einzelnen, BN 50 (1989) 46–57 Liess, K., »Der Glanz der Alten ist ihr graues Haar« (Spr 20,29). Alter und Weisheit in der alttestamentlichen und apokryphen Literatur, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch, 453–484 Schroer, S. / Zimmermann, R., Art. Lebenszyklus, in: Crüsemann u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch, 344–347 –, Art. Mensch / Menschsein, in: Crüsemann u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch, 368–376 Stager, L. E., The Archaeology of the Family in Ancient Israel, BASOR 260 (1985) 1–35 Staubli, Th., Geschlechtertrennung und Männersphären im Alten Israel. Archäologische und exegetische Beobachtungen zu einem vernachlässigten Thema, BiKi 63 (2008) 166–174 Weippert, H., Der Lärm und die Stille. Ethno-archäologische Annäherungen an das biblische Alltagsleben, in: dies., Unter Olivenbäumen. Studien zur Archäologie Syrien-Palästinas, Kulturgeschichte und Exegese des Alten Testaments. Gesammelte Aufsätze (AOAT 327), hg. von A. Berlejung und H. M. Niemann, Münster 2006, 179–198

f ) Zur Wahrnehmung der Welt

In ihrem Erleben und Handeln waren die Menschen des alten Israel intensiv eingebunden in Raum und Zeit. Sei es die Erfahrung des Tag/ Nacht-Rhythmus mit seinem »Wechsel von der tags größeren, nachts kleineren Menschenwelt« (Weippert, Welterfahrung, 183), sei es der jahreszeitliche Rhythmus (Sommer / Winter, Saat / Ernte) – immer erfuhr man Raum und Zeit als etwas Elementares und, wie Gen 8,21 f. deutlich macht, als etwas Ordnung Stiftendes. Zur altisraelitischen Welterfahrung gehört auch das Wissen darum, dass die geschaffene Welt nicht völlig entgöttlicht ist, sondern Spuren des Numinosen aufweist. Berlejung, A., Art. Weltbild / Kosmologie, in: Berlejung / Frevel (Hg.), Handbuch, 65–72 Cornelius, I., The Visual Representation of the World in the Ancient Near East and the Hebrew Bible, JNWSL 20 (1994) 193–218

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Anhang II

Crüsemann F. / Crüsemann, M., Art. Zeitvorstellungen, in: Crüsemann u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch, 669–675 Ebach, J., Art. Naturerfahrungen, in: Crüsemann u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch, 420–425 –, Art. Raum, in: Crüsemann u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch, 455–459 –, Weltbild, in: Crüsemann u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch, 646– 648 Gese, H., Die Frage des Weltbildes, in: ders., Zur biblischen Theologie. Alttestamentliche Vorträge, Tübingen 3 1989, 152–201 Grund, A., Die Entstehung des Sabbats. Seine Bedeutung für Israels Zeitkonzept und Erinnerungskultur (FAT), Tübingen 2010 – / Janowski, B., »Solange die Erde steht …« Zur Erfahrung von Raum und Zeit im alten Israel, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch, 487–535 Hartenstein, F., Weltbild und Bilderverbot, in: Chr. Markschies / J. Zachhuber (Hg.), Die Welt als Bild (AKG 107), Berlin / New York 2008, 15–37 Janowski, B., »Du hast meine Füße auf weiten Raum gestellt« (Ps 31.9). Gott, Mensch und Raum im Alten Testament, in: ders., Die Welt als Schöpfung. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 4, Neukirchen-Vluyn 2008, 3–38 –, Das Doppelgesicht der Zeit. Alttestamentliche Variationen zum Thema »Mythos und Geschichte«, in: ders., aaO 79–104 – / Ego, B. (Hg.), Das biblische Weltbild und seine altorientalischen Kontexte (FAT 32), Tübingen 2001/2 2004 – / E. Zenger, Jenseits des Alltags. Fest und Opfer als religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt im alten Israel, in: Janowski, Welt als Schöpfung, 39–78 Jenni, E., Adverbiale Zeitbestimmungen im klassischen Hebräisch, ZAH 17/20 (2004/2007) 92–108 Keel, O., Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, Göttingen 5 1996 – / Schroer, S., Schöpfung. Biblische Theologien im Kontext altorientalischer Religionen, Göttingen / Freiburg, Schweiz 2 2008 Momigliamo, A., Zeit in der antiken Geschichtsschreibung, in: ders., Wege in die Alte Welt, Berlin 1982, 38–58 Müller, K. E., Zeitkonzepte in traditionellen Kulturen, in: ders. / J. Rüsen (Hg.), Historische Sinnbildung (re 55584), Hamburg 1997, 221–239 Oeming, M., Welt / Weltanschauung / Weltbild, TRE 35 (2003) 569–581 Weippert, H., Altisraelitische Welterfahrung, in: dies., Unter Olivenbäumen. Studien zur Archäologie Syrien-Palästinas, Kulturgeschichte und Exegese des Alten Testaments. Gesammelte Aufsätze (AOAT 327), hg. von A. Berlejung und H. M. Niemann, Münster 2006, 179–198 –, Der Lärm und die Stille. Etno-archäologische Annäherungen an das biblische Alltagsleben, in: A. Lemaire (ed.), Congress Volume Basel 2001 (VT.S 92), Leiden / Boston 2002, 163–184