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German Pages 170 Year 2002
WERNER M Ä D E R
Kritik der Verfassung Deutschlands
Beiträge zur Politischen Wissenschaft Band 123
Kritik der Verfassung Deutschlands Hegels Vermächtnis 1801 und 2001
Von Werner Mäder
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Mäder, Werner: Kritik der Verfassung Deutschlands: Hegels Vermächtnis 1801 und 2001 / Werner Mäder. - Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Beiträge zur politischen Wissenschaft; Bd. 123) ISBN 978-3-428-10817-6
Alle Rechte vorbehalten © 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0421 ISBN 978-3-428-10817-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Θ
„Eine Nation, die allen gefallen will, verdient, von allen verachtet zu werden." Georg Christoph Lichtenberg
Für Gisela von Lichtenberg
Inhaltsverzeichnis Einleitung
13
A. Primordium
13
Β. Exordium Deutschland ist kein Staat mehr
14
Allgemeiner Teil Zum Begriff des Staates
16
C. Zum Wesen des Staates
16
D. Macht und Freiheit
19
E. Der Staat im Völkerrecht I. Das Staatsmodell: Passepartout-Begriff und Drei-Elemente-Lehre II. Zum Staatsbegriff: Staatsgebiet III. Zum Staatsbegriff: Staatsvolk 1. Schwinden des Volksbewußtseins 2. Befreiung und Entfremdung 3. Der Begriff des Politischen IV. Zum Staatsbegriff: Staatsgewalt
20 21 22 22 26 27 33 35
F. Die I. II. III. IV.
36 36 38 40 43 44 48
G. Staat und Verfassung I. Verfassung als einheitliches Ganzes II. Die Staatsverfassung
51 52 53
Souveränität Subjekt der Souveränität Herrschaft und Ordnung Hegels „politisches Recht" Souveränität und Positivität Exkurs: Abzweig Europa V. Zum Wesen der Souveränität
10
Inhaltsverzeichnis
Besonderer Teil Kritik der Verfassung Deutschlands H. Hegels Kriterien des - konkreten - Staates I. Die Kriegsmacht II. Die Finanzmacht III. Die Territorialgewalt - das Staatsgebiet 1. Flucht ins Niemandsland 2. Auflösung des Innern 3. Der autistische Staat IV. Die Rechtsgewalt 1. Europa, der Weltmarkt und die Ausdifferenzierung um Staatlichkeit I.
Integrationsziel Europastaat?
59 60 61 74 78 81 86 89 89 93 101
J. Deutschland ist ein Land
105
Epiloge
115
K. Hegels Vernunftsstaat
116
L. Der Deutschen Freiheit
121
M. Der politischen Klasse Freiheit I. Im Reich der Lüfte
129 131
II.
Der Anfang am Ende
132
N. Anhang: Zur Krisis der Staatslehre
133
Literaturverzeichnis
142
Sachwortverzeichnis
156
Abkürzungsverzeichnis a.a.O. a.F. abgedr. Anm. AöR Art. Aufl. Aus Politik und Zeitgeschichte Bd., Bde. bearb. BR BR-Drs. BT BT-Drs. BVerfG BVerfGE CDU CSU Der Monat ders. Diss. DÖD DÖV dt. DVB1. ebd. Ed. ed. EG EGV EG-Vertrag engl. EP EU EuGH EU-Vertrag EvStL EWG
am angegebenen Ort alte(r) Fassung abgedruckt Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Auflage Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament" Band, Bände bearbeitet Bundesrat Bundesrats-Drucksache Bundestag Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung des Bundesverfassungsgerichts Christlich Demokratische Union Deutschlands Christlich Soziale Union Eine internationale Zeitschrift derselbe Dissertation Der Öffentliche Dienst (Zeitschrift) Die öffentliche Verwaltung deutsch(e) Deutsches Verwaltungsblatt ebenda Edition editor Europäische Gemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Union Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft englisch Europäisches Parlament Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Vertrag über die Europäische Union Evangelisches Staats-Lexikon Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
12
EWU f., ff. FDP Fn. GG Hg., Hrsg. hg., hrsg. HStR i.d.F. i.V.m.
Jg. Jhs. JuS JZ Kgl. m. w.N. NJW No. Nr. NVwZ NZS Rn., Rdnr. Rs. S. S.A. SF SPD St. Tbd., Tbde. u. a. UNO Urt. US USA usw. v.a. vgl. VVDStRL
Abkürzungs Verzeichnis
Europäische Währungs-Union folgend(e) Freie Demokratische Partei Fußnote Grundgesetz für die Bundesrepublik Herausgeber herausgegeben Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland in der Fassung in Verbindung mit Jahrgang Jahrhunderts Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristen Zeitung Königlich mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Number Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Randnummer Rechtssache Seite Sonderausgabe Sozialer Fortschritt (Zeitschrift) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sankt Teilband, Teilbände und andere United Nations Organization Urteil United States United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika) und so weiter vor allem vergleiche Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer
ZFSH/SGB Sozialrecht in Deutschland und Europa Zeitschrift Zeitschrift für Politikwissenschaft ZPol ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik
Einleitung A. Primordium Aristoteles fragte: „Was ist der Mensch?" - und antwortete (man möchte sagen: gut schopenhauerisch): „Ein Denkmal der Schwäche, eine Beute des Augenblicks, ein Spiel des Zufalls: der Rest ist Schleim und Galle." Der Komödiendichter Menander fügte hinzu: „ A m glücklichsten ist, wer früh den Jahrmarkt des Lebens verläßt." Im dritten Jahrhundert vor Christi lebte in Athen ein Mann, der den Beinamen „Peisithanatos" erhielt, weil er in seinen Vorträgen Propaganda für den Selbstmord machte. So begann die westliche Zivilisation mit den heiteren Griechen. Aus späterer Zeit stimmt Rousseaus Folgerung auch nicht gerade optimistisch: „Das einzige Mittel gegen die Übel der Gesellschaft wäre, den Menschen durch das Gesetz abzulösen." (Emile oder Über die Erziehung, 12. Aufl., 1995, S. 63). Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Kriege, bewaffneten Auseinandersetzungen, Partisanenkämpfe und Völkermorde. Der Mensch hat sich in den beiden Jahrtausenden an sich nicht wesentlich geändert. Wenn manche anderes meinen, fragt sich, ob sie nur den guten Schein sehen. Der Schein wird von der Zivilisation und fortschreitender Technik erzeugt. Die Zivilisation „tötet" die Kultur. „Die Zivilisation ist das unausweichliche Schicksal einer Kultur", so Spengler, und weiter: „Zivilisationen sind die äußersten und künstlichsten Zustände, (...) Sie sind ein Ende, unwiderruflich, aber sie sind mit innerster Notwendigkeit immer wieder erreicht worden." (Der Untergang des Abendlandes, S. 43). Kratzt man sich aber durch die Rinde zum Kern durch, kommt das Bleibende zum Vor„sein". Die Frage, ob der Mensch von Natur aus gut oder böse ist, hat sich für das Diesseits nicht erledigt. Doch es gibt keine Wahrheit hierzu. So bleibt auch das Kräftespiel zwischen Macht und Recht und Macht unentschieden. Der Mensch wird durch beide gezähmt. Der Staat der Moderne hat hierzu „segensreich" gewirkt. Zu ihm gibt es keine Alternative, solange die Postmoderne weder Wegweisung noch Orientierung gibt. Das Recht ist, so befindet auch Helmut Coing (Grundzüge der Rechtsphilosophie, 1950, S. 15), eine Geistesschöpfung des Menschen, bietet Schutz vor ihm selbst. Macht und Zwang, Herrschen und Beherrschtwerden, Befehl und Gehorsam sind ihm wesenseigen, ursprünglich. Sie durchziehen alle Sachgebiete, Kultur, Religion, Ökonomie und Politik (Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen [1932]).
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Einleitung
Wenn ernst zu nehmende Stimmen, noch dazu aus dem eigenen Land, schonunglos offenlegen, „daß die Vereinigten Staaten seit dem Ende des Kalten Krieges ihre außenpolitischen Ziele weniger mit den Mitteln der Diplomatie, der Entwicklungshilfe, des internationalen Rechts oder der multilateralen Organisationen verfolgen, sondern vorwiegend auf Drohgebärden, militärischen Druck und auf finanzielle Manipulationen setzen", daß die Welt in diesen zehn Jahren kein sicherer Ort geworden ist (Chalmers Johnson, Ein Imperium verfällt, 2000, Seite 280 ff.), wird Hegels Machtstaatsgedanke „lebendig", den er für Deutschland Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelt hat. Aus wirklichkeitswissenschaftlicher Sicht hat Hegel in seiner Kritik der Verfassung Deutschlands (1801) reflektiert, daß allein und an erster Stelle Macht den Staat und die Politik ausmacht. Heller (1891-1933) hat 125 Jahre später Hegels spekulative Staatsphilosophie in seinen Werken (Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke in Deutschland - Die Souveränität Staatslehre) hervorragend interpretiert, in seiner Lehre vom Staat und der Souveränität - bleibend - verarbeitet und in seinen Betrachtungen über den sozialen Rechtsstaat Macht und Recht in das ausgewogene Verhältnis gebracht. Aufgabe der vorliegenden Schrift ist es nicht, sich mit Auswüchsen des Staates zu beschäftigen. Anliegen ist es, Hegels Befund darüber, was ein Staat ausmache, in die heutige Zeit zu übertragen und Hellers Staatslehre einzubeziehen. Die globale Entwicklung zeigt auf, daß nur starke und souveräne Staaten in der Lage sind, im Pluriversum der Staaten Auswüchsen zu begegnen. Und so betrachtet kann Position bezogen werden für die Rechtfertigung, aber auch Notwendigkeit des Staates, sich selbst zu behaupten. Wenn der Eindruck entsteht, daß die folgende Bestandsaufnahme eher pessimistisch veranlagt ist, was jedoch nicht Zielrichtung oder Zweck ist, so mag Ludwig Macuses Ausspruch die Dinge relativieren, daß es der letzte, starke Idealismus ist, der Pessimismus schafft. B. Exordium Deutschland ist kein Staat mehr ... „Und bei genauer Ansicht desjenigen, was hierzu erforderlich ist, im Vergleiche mit dem Zustande Deutschlands in Rücksicht auf eine Staatsmacht wird sich zeigen, daß Deutschland eigentlich kein Staat mehr genannt werden kann."1 1
G. W. F. Hegel, Kritik der Verfassung Deutschlands (1800/01). Aus dem handschriftlichen Nachlasse des Verfassers, herausgegeben von Georg Mollat, Kassel 1893, S. 9, 134 (zitiert mit „Verfassung Deutschlands").
Β. Exordium
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„Deutschland ist kein Staat mehr Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat diese Feststellung angesichts des Zustandes Deutschlands im angehenden 19. Jahrhundert in seiner Schrift Kritik der Verfassung Deutschlands (1800/01) 2 exellent stringent auf den Punkt gebracht. 3 Deutschland ist kein Staat mehr ... Hegel würde diese Feststellung angesichts des Zustandes Deutschlands im angehenden 21. Jahrhundert, 200 Jahre nach dem Ursprung, wiederholen und einige Befindlichkeiten hinzufügen.
2
Die Schrift stammt aus der Jenaer Zeit Hegels. Vgl. auch G. W. F. Hegel, Gesammelte Werke, Bd. 5 Schriften und Entwürfe (1799-1808), herausgegeben von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Düsseldorf 1998. 3 Von heute aus gesehen mag diese Feststellung ahistorisch sein. Für die vorliegende Untersuchung ist dies unwesentlich.
Allgemeiner Teil
Zum Begriff des Staates C. Zum Wesen des Staates Was ist ein Staat? Mit einer allgemeinen Umschreibung dessen, was ein Staat ist oder sei, hält sich Hegel in seiner Schrift nicht auf. Hegels politische Anschauungen und ihre spekulative Grundlage haben sich aus der unmittelbaren Betrachtung der realen deutschen Verhältnisse seiner Zeit und seinem Wunsche ihrer Besserung aus mannigfaltigen literarischen Einflüssen, insbesondere unter dem Eindrucke Machiavells und Spinozas als ausgesprochen realpolitisch und machtbetont herauskristallisiert. 4 Hegel will in seiner Untersuchung, „in dem Urtheile, ob ein Land einen Staat ausmache, sich nicht mit allgemeinen Ausdrücken herumtreiben, sondern den Umfang der Macht in Erwägung ziehen, der dem gelassen ist, was Staat heißen soll, . . . " 5 In diesem Satz wird zum ersten Mal die Macht, ein dahin in der deutschen naturrechtlichen Staatstheorie stark vernachlässigtes Moment zum alleinigen und ausschließlichen Kriterium des Staatsbegriffs gemacht und im folgenden mit „eiserner" Folgerichtigkeit durchgeführt. Einzig und allein die einheitlich organisierte Macht nach innen und außen läßt Hegel für den Begriff des Staates entscheidend sein. Nur dort ist ein Staat vorhanden, wo die Kräfte der einzelnen zentralisiert und zu einem Ganzen vereinigt sind. „Das Ganze ist da wo die Macht 4 Hegels Staatsphilosophie und Machtstaatslehre in seinem entwickelten System hat Hermann Heller - wie kein anderer zuvor und bisher - in seiner beeindruckenden Habilitationsschrift anschaulich dicht und subtil dargestellt, auf dessen Analyse hier zugegriffen wird. Hermann Heller , Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke in Deutschland. Ein Beitrag zur politischen Geistesgeschichte (1921), in: ders ., Gesammelte Schriften, 1. Bd., 2. Aufl., Tübingen 1992, S. 21-240. Heller handelt auch die 1800/01 entstandene Schrift Kritik der Verfassung Deutschlands ab. S. 58-83. Zum Einfluß Machiavells und Spinozas auf Hegel insbesondere S. 7983. Dem interessierten Leser sei empfohlen, diese Schrift nachzulesen. 5 Hegel , Verfassung Deutschlands, S. 5, 9.
C. Zum Wesen des Staates
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ist; denn die Macht ist die Vereinigung der einzelnen." 6 „Daß eine Menge einen Staat bilde, dazu ist nothwendig, daß sie eine gemeinsame Wehr- und Staatsgewalt bilde." 7 „Der Staat erfordert ... einen, vereinigten Mittelpunkt, der zu der Direction auch die nothwendige Macht hätte, sich und seine Beschlüsse zu behaupten und die einzelnen Theile in der Abhängigkeit von sich zu erhalten". 8 Nichts, aber auch gar nichts anderes ist dem Staatsbegriffe „nothwendig" als diese „gemeinschaftliche Gewalt". Alles übrige ist „nur eine besondere Modification dieser Gewalt" und gehört „für den Begriff in die Sphäre des Zufalles und der Willkür". 9 Hegel zeigt uns, daß alles, was nicht zur Macht, was also „dem Zufall angehört", aus dem Wesensbegriff des Staates auszuscheiden hat: „ . . . wie die gesammte Staatsgewalt in einem obersten Vereinigungspuncte existirt. Ob das Gewalthabende Einer oder Mehrere, ob dieser Eine oder die Mehreren zu dieser Majestät geboren oder gewählt werden, ist für das einzig Nothwendige, daß eine Menge einen Staat ausmache, gleichgültig .. . " 1 0 Ebenso gleichgültig wie jede Art von égalité , auf die es Hegel hier geflissentlich abgesehen hat. 1 1 Durchaus alles, was seine Zeit für den Begriff eines modernen, d.h. Rechtsstaates12 für unumgänglich notwendig hielt, schließt er bewußt aus dem Staatsbegriff aus. „Gleichförmigkeit oder Ungleichförmigkeit der bürgerlichen Rechte", „Gleichheit der Gesetze und des Rechtsgangs", 13 wie jede Art von ungleicher Güterverteilung 1 4 überhaupt sind für die Macht, also den Staat nicht nur unwesentlich, sondern es zeige sich sogar, daß „die mächtigsten der wahrhaften Staaten durchaus ungleichförmige Gesetze haben". 15 Wie ferner und „von welcher besonderen Macht oder nach welchem Verhältnisse des Antheiles ,der' verschiedenen Stände oder der Staatsbürger überhaupt die Gesetze gegeben 6 Vgl. auch Heinrich von Treitschke, „Bundesstaat und Einheitsstaat", in: Historische und politische Aufsätze, Bd. 2, 4. Aufl., Leipzig 1871, S. 77-241. 7 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 11. 8 Ebd., S. 5. 9 Ebd., S. 11. 10 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 12. 11 Hegel, Verfassung ... S. 12. - Zur Maxime der Gleichheitsgesellschaft und gegen das Unterscheidungsverbot in der Postmoderne: Otto Depenheuer, „Nicht alle Menschen werden Brüder". Unterscheidung als Bedingung von Solidarität. Eine rechtsphilosophische Erwägung in praktischer Absicht, in: Josef Isensee (Hrsg.), Solidarität in Knappheit. Zum Problem der Priorität, Berlin 1998, S. 41—64; Michael Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, [1983], dt. 1992. 12 Zur Entwicklung des Begriffs und seinem deutschen Ursprung: Gottfried Dietze, Deutschland 1999, Wien und Leipzig 1999. 13 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 12, 13. 14 Vgl. Luc Boltanski/Eve Chiapello, Le nouvel esprit du capitalisme, Paris (Editions Gallimard) 1999. 15 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 13. 2 Mäder
Allgemeiner Teil: Zum Begriff des Staates
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werden", ist für das Wesen des Staates ebenso unerheblich wie der „Charakter der Gerichtshöfe", die „Form der Verwaltung überhaupt", die „Ungleichheit der Abgaben der verschiedenen Classen nach ihrem materiellen Werthe" und „die Ungleichheit des Reichthums" überhaupt. Ja im Gegenteil, die neueren Staaten „beruhen" vielmehr darauf. „ . . . alle solche Zufälligkeiten bleiben außer dem Begriffe der Staatsgewalt, der als Mittelpunct nur die bestimmte Quantität nothwendig und das ungleichartige Zusammenströmen in Rücksicht auf seinen Ursprung gleichgültig ist." 1 6 Schließlich ist Hegel entgegen seinen sonstigen Anschauungen 17 der Meinung, daß auch die kulturnationale Einheit kein Essentiale der Macht sei. 18 „In unseren Zeiten mag unter den Gliedern ein ebenso loser oder gar kein Zusammenhang stattfinden in Rücksicht auf Sitten, Bildung und Sprache, und die Identität derselben, dieser ehemalige Grundpfeiler der Verbindung eines Volkes, ist jetzt zu den Zufälligkeiten zu zählen, deren Beschaffenheit eine Menge nicht hindert, eine Staatsgewalt auszumachen." 19 Es darf allerdings nicht übersehen werden, daß Hegel hier nur davon spricht, was für die Existenz der Macht unumgänglich ist. „Daß die modernen Staaten bestehen", dazu müssen sie allerdings nicht national einheitlich sein, wie Hegel am Beispiele Rußlands, 20 aber auch Frankreichs 21 zeigt. Schließlich wird auch noch die „Einheit der Religion" unter die Sphäre des Zufälligen gezählt, 22 und übrig bleibt nichts als gemeinsame Macht. Man bemerkt, wie in dieser konsequentesten aller Machtstaatstheorien die innere Politik, auf die das zeitgenössische Deutschland allein sein Augenmerk gerichtet hatte, bei Hegel völlig zur Nebensache und die Macht des Ganzen und ihre Betätigung nach außen allein von Wichtigkeit ist.
16
Ebd., S. 14, 15. Hegel hat nicht nur national gedacht, sondern sein ganzes System auf die aprioristische Voraussetzung aufgebaut; das absolut Sittliche sei: „das Angehören einem Volke". G. W. F. Hegel, Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, in: Sämtliche Werke (Hg. G. Lasson), Bd. 7, Leipzig 1913 (Meiners Philosophische Bibliothek, Bd. 144), S. 372. 18 Zum Protagonisten von Universalismus, Bürger- und Weltgesellschaft vgl. Reinhart Maurer; Über Habermas, in: Konturen des Gemeinsinns, Festschrift für Peter Furth, Berlin 1995, S. 144-155; ders., Über Habermas, in: Etappe 14/1999, S. 79-94. 19 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 15. 20 Ebd. S. 15. 21 Hegel, Verfassung Deutschlands, „Das Reich und die Politik Frankreichs", S. 93-95. Hegel verweist auf das politische Genie Richelieu, der es vermocht hat, der ausübenden Staatsmacht Einheit gegeben zu haben. 22 Ebd., S. 16. 17
D. Macht und Freiheit
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D. Macht und Freiheit Aufklärung und Moderne haben zwar Demokratie und Rechtsstaat als rungenschaft des okzidentalen Staates durchgesetzt. Die Macht des oder Herrschenden wird durch diese Form politischer Existenz gebändigt. 23 durch ist die Macht aber nicht aus der Welt. Sie sucht sich ihre Wege, sich durchzusetzen und zu behaupten.
Erder Daum
Auch Hegel würdigt die Freiheit, die mit der Überwindung des Ständewesens eine andere Begrifflichkeit erlangt hatte. Er sah aber schon in seiner Zeit, daß nur eine starke Regierung Freiheit verschaffen kann. „Die Anarchie hat sich von der Freiheit geschieden, und die Überzeugung, daß eine feste Regierung zur Freiheit nothwendig ist, sich tief eingegraben, ebenso tief wie die andere, daß zu Gesetzen und zu den wichtigsten Angelegenheiten eines Staates das Volk mitwirken muß. Die Garantie, daß die Regierung nach Gesetzen verfährt, und die Mitwirkung des allgemeinen Willens zu den wichtigsten, das Allgemeine betreffenden Angelegenheiten hat das Volk in der Organisation von einem es repräsentirenden Körper, . . . " 2 4 „Das Interesse dieser deutschen Freiheit sucht natürlich bei einem Staate Schutz, der selbst auf diesem System der Freiheit beruht." 25 Hegels Bedeutung liegt aber nicht in seinem kulturnationalen Bewußtsein und Wirken, wenn jenes auch als Voraussetzung seines Denkens nicht zu übersehen ist. Hegels Tat ist vielmehr die Überführung des kulturnationalen Geistes in den machtnationalen. 26 Dennoch sind Hegels Ausführungen auch in dieser Beziehung epochemachend. Hier wird zum erstenmal in diesem Zeitalter behauptet, daß Macht und Freiheit keineswegs absolute Gegensätze, sondern im Gegenteil einander bedingende Kategorien im politischen Leben seien. 27 Hegel will es gegenüber der „französischen Freiheitsraserei" der Revolution zu einem „Grundsatz der Staatswissenschaft" erheben, daß „Freiheit nur in der gesetzlichen Verbindung eines Volkes zu einem Staat möglich sei". 2 8
23
Zum Staat als Voraussetzung und Gegenstand von Verfassung vgl. Josef Isensee, Staat und Verfassung, in: ders./Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 1. Aufl., 1987, § 13, zur rechtsstaatlichen Sicht Rn. 152 ff. 24 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 119. 25 Ebd., S. 120. 26 H. Heller, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke ..., S. 96. 27 Η Heller, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke ..., S. 75 f.; zur Macht im Recht vgl. ferner Dietrich Schindler, Verfassungsrecht und soziale Struktur, 3. Aufl., 1950, S. 18 ff. 28 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 99. 2*
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Allgemeiner Teil: Zum Begriff des Staates
E. Der Staat im Völkerrecht Die Brücke findet sich schon in jenem Aufsatz von 1796, wo er meinte, daß ein Volk, dem seine staatliche Macht gleichgültig sei, auch bald aufhören werde, eine Kulturnation zu sein. 29 Nie vor Hegel war in der deutschen Literatur Nation und staatliche Macht in ein so enges Verhältnis gebracht worden: einem Volke, dem es an „Mut und Kraft" gebricht, „sich unabhängig zu erhalten", dem sein Staat gleichgültig ist, „ein solches wird bald aufhören, ein Volk zu sein". 3 0 Hermann Heller hat in seiner grundlegenden Schrift 31 aufgezeigt und uns zur Erinnerung gerufen, daß es in der „heutigen" Staatslehre so gut wie unbekannt ist, „daß die meisten unserer grundlegenden modernen Begriffe über den Staat und die Gesellschaft ... von Hegel geprägt worden sind. Der Staat als Persönlichkeit und als Organismus in der für das 19. Jahrhundert charakteristischen Bedeutung, der Begriff der Nation, des monarchisch-konstitutionellen Prinzips, des modernen Völkerrechts, sowie der dem nationalen Machtsstaate entsprechende Rechtsbegriff überhaupt, sie alle sind Schöpfungen Hegels. Alle diese Begriffe ergeben sich für Hegel allerdings aus einer Idee: aus dem von Hegel nie getrennt gedachten Denken und Wollen des zur staatlichen Macht organisierten Volkes. Der Machtstaatsgedanke ist der kurze Ausdruck für eine geschlossene Weltanschauung, kein zufällig zusammengewürfeltes Parteiprogramm." 32 Der Machtstaatsgedanke lag in den Tendenzen des Zeitalters Hegels. Er entsprang auch einer durchaus persönlichen Anlage des Philosophen. 33 Damit hat sich die Angelegenheit jedoch nicht überlebt. Sie ist nicht erledigt. Sie nahm vielmehr, wie Heller zu Recht nachzeichnet, erst ihren Anfang. Hegels Geist hat sich „objektiviert". Es führt auch eine direkte Entwicklungslinie in das moderne Völkerrecht. 34
29
Η Heller, Hegel und ..., S. 96. G. W. F. Hegel, Die Positivität der christlichen Religion, in: Hermann Nohl (Hg.), Hegels theologische Jugenschriften, Tübingen 1907, S. 224. 31 Vorgelegt 1919, veröffentlicht 1921. Siehe Nachweis bei Fußnote 4. 32 H. Heller, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke ..., S. 24. 33 Ebd., S. 46. 34 Vgl. auch Hermann Heller, Die Souveränität. Ein Beitrag zur Theorie des Staats- und Völkerrechts (1927), in: ders., Gesammelte Schriften, 2. Bd. 2. Aufl., 1992, S. 31-202 [141 ff.]. 30
Ε. Der Staat im Völkerrecht
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I. Das Staatsmodell: Passepartout-Begriff und Drei-Elemente-Lehre Das Völkerrecht definiert den „Staat" nach Kriterien, die für alle seine realen Erscheinungen gelten, ohne Rücksicht auf seine innere Verfassung. Es hält sich daher den unterschiedlichsten politischen Systemen offen. Der Passepartout-Charakter des Staatsbegriffs 35 ermöglicht, daß das Völkerrecht alle Staaten erfassen und seine befriedende und disziplinierende Kraft über die verfassungsrechtlichen Unterschiede und politischen Gegensätze hinweg entfalten kann. 36 Der völkerrechtliche Staatsbegriff ist das Ergebnis einer Jahrhunderte währenden und dabei in ihren Grundlinien stetigen Entwicklung. 3 7 Maßgebend für das Völkerrecht ist die Faktizität der Herrschaft, die drei Elemente aufweist: Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt. Auch das universale Völkerrecht kennt keine positivrechtliche Definition des Staates, so wie Hegel davon abgesehen hat, eine abstrakte Definition dessen, was „ein Land einen Staat ausmache", zu geben. Das Völkerrecht macht sich die Drei-Elemente-Lehre Georg Jellineks 38 zu eigen und paßt sie den besonderen Gegebenheiten der internationalen Beziehungen an. Es betrachtet den Staat von außen, als eine impermeable, undurchlässige Größe. Der Prozeß politischer Einheitsbildung und Staatshervorbringung interessiert hier nur in atypischen Ausnahmesituationen. Gefragt sind vielmehr das Produkt, der Staat, und die Mindesteigenschaften, die er für die Zwecke des Völkerrechts aufweisen muß. 3 9 Der völkerrechtliche Staatsbegriff stellt entscheidend auf das ab, was auch die Drei-Elemente-Lehre als wesentlich hervorhebt: die Effektivität und Dauerhaftigkeit einer Herrschaftsordnung in ihrer territorialen und personalen Dimension.
35 Zur Genese des modernen Staates: Hermann Heller, Staatslehre (1934), in: ders., Gesammelte Schriften, 3. Bd., 2. Aufl., 1992, S. 79-395 [221 ff.]; ders., Staat (1934), in: ders., ebd., S. 3-23. 36 Hierzu J. Isensee, Staat und Verfassung, § 13 Rn. 29, 36. 37 Vgl. Walter Rudolf, Wandel des Staatsbegriffs im Völkerrecht?, 1986; J. Isensee, Staat und Verfassung, § 13 Rn. 29. 38 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Berlin 1914, S. 174 ff., 394 ff. 39 J. Isensee, Staat und Verfassung, § 13 Rn. 31. - Vgl. ferner Jörg Aishut, Der Staat in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1999, S. 35 ff.
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Allgemeiner Teil: Zum Begriff des Staates
I I . Zum Staatsbegriff: Staatsgebiet Das Staatsgebiet ist ein in seinem Kernbestand gesicherter Teil der Erdoberfläche, auf dem die Staatsgewalt sich behauptet und entfaltet (Gebietshoheit) 4 0 I I I . Zum Staatsbegriff: Staatsvolk Staatsvolk ist ein dauerhafter Personenverband, der auf dem Staatsgebiet seßhaft ist und über den die Regierung Personalhoheit ausübt 4 1 Bei ihm verlangt das Völkerrecht weder eine Mindestzahl noch die völlige Bestimmtheit des Personenkreises 4 2 Das bloße Nebeneinander nomadisierender Wüstenstämme, ein extremes, aber plastisches Beispiel, oder ein Zusammenschluß zur Förderung einer begrenzten Zahl gemeinsamer Interessen genügen n i c h t 4 3 So ist die Europäische Union bzw. Europäische Gemeinschaft immer noch ein Zweckverband, zwar mit politischen Strängen 4 4 Deshalb gibt es auch kein europäisches Volk. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bezeichnet die Europäische Gemeinschaft als einen Zusammenschluß souveräner Staaten, als einen „Staatenverbund" 4 5 Der Begriff Volk ist ambivalent. Das Völkerrecht sieht davon ab, ihn wesensmäßig „aufzuladen". Dies überläßt es dem jeweiligen Staat als im Grundsätzlichen innere Angelegenheit. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ist die Verfassung des Deutschen Volkes, das Herr der Verfassung ist und zugleich unter der Geltung der Verfassung steht. Nur wenn es als elementare Verfassungsvoraussetzung erhalten bleibt, wahrt das 40
J. Isensee, Staat und Verfassung, § 13 Rn. 32. Ebd., § 13 Rn. 33. 42 Zu letzterem Karl Doehring, Die staatsrechtliche Stellung der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, in: VVDStRL 32 (1974), S. 7 [11]. - Vgl. ferner Josef Isensee, Die staatsrechtliche Stellung der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, in: W D StRL 32 (1974), S. 49 ff. 43 7. Isensee, Staat und Verfassung, § 13 Rn. 33. 44 Geschliffene Charakterisierung bei und von Josef Isensee, Europäische UnionMitgliedstaaten, Im Spannungsfeld von Integration und nationaler Selbstbehauptung, Effizienz und Idee, in: Konferenz der Deutschen Akademien der Wissenschaften (Hrsg.), Europa - Idee, Geschichte, Realität, 1996, S. 71 ff.: „Die europäischen Institutionen berufen sich zuweilen auf das gemeinsame Erbe und die gemeinsamen Werte. Sie nutzen die Europa-Idee, um Glanz zu erborgen und Akzeptanz einzuwerben. Doch sie folgen nicht Ideen. Sie folgen Zwecken. Ihre Legitimation ergibt sich nicht aus dem Geist und der Tradition Europas, sondern aus der Durchsetzung gemeinsamer Interessen. Sie legitimieren sich, indem sie funktionieren, effizient, sparsam, störungsfrei. Die Europa-Idee ist heute nur noch historische Zierleiste einer hochmodernen Apparatur." (S. 98). 45 BVerfGE 89, S. 155 ff. 41
Ε. Der Staat im Völkerrecht
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Grundgesetz als Verfassungsgesetz seine Identität. 46 Insofern muß das, was ein Volk ausmacht, zugleich aus der Geschichte eines Staates begriffen werden. 47 Förderlich ist es deshalb, einige geistesgeschichtliche Betrachtungen in diesem Zusammenhang zu stellen. Vorherrschend scheint eine ethnozentrische Erfassung zu sein. In Bezug auf den „Machtstaat nach innen" mit dem Volk als Bezugsgröße scheint Hegels Staatsgedanke als national deutscher entstanden zu sein 4 8 Die Verfassung Deutschlands zeigt dies auf jeder Seite. „Die Idee eines Staats, den ein Volk ausmachen soll", 4 9 hat ihn zu dieser, für ihn grundlegenden Schrift veranlaßt. Sein Wunsch war, ein Eroberer möge aus dem „zerstreuten Völkchen" Deutschlands ein „Volk" schaffen. 50 Und auf diesem Grunde ist auch seine gesamte Staatsphilosophie gebaut. Um in einer der ersten programmatischen Schriften, im Naturrecht von 1803, die Grundlagen der Sittlichkeit und ihren Inhalt zu erkennen, „setzen wir", heißt es da, „das Positive voraus, daß die absolute sittliche Totalität nichts anderes als ein Volk ist", das absolut Sittliche also „das Angehören einem Volke". 5 1 Ebenso erscheint in seinem noch früher abgefaßten Systemfragment die absolute Sittlichkeit „als das absolute Leben im Vaterlande und für das Volk". 5 2 Hier heißt die Sittlichkeit „lebendiger, selbständiger Geist" 5 3 und wird ziemlich deutlich dem Volksgeist überhaupt gleichgesetzt. 54 Der Altmeister der deutschen Volks Wissenschaft, Max Hildebert Boehm knüpft hier an, hat „Volk" unter verschiedenen Gesichtspunkten umschrieben und vor allem das Charakteristikum der Eigenständigkeit („Fürsichsein") herausgearbeitet. 55 Boehm verlangt für seinen Volksbegriff, daß das Volk eine Volksindividualität habe, ein eigenständiges Wesen sei, das zur 46
Siehe hierzu Paul Kirchhof Die Identität der Verfassung in ihren unabänderlichen Inhalten, in: Josef Isensee/ders. (Hrsg.), HStR I 1 , 1987, § 19 Rn. 47 ff. 47 Zur vorstaatlichen Einheit des Volkes vgl. auch J. Isensee, Staat und Verfassung, § 13 Rn. 109-116, aus heutiger Sicht. 48 Η Heller Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke ..., S. 98. 49 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 98 f. 50 Ebd., S. 129 f. 51 Hegel, Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, S. 371. 52 G. W. F. Hegel, System der Sittlichkeit, in: Sämtliche Werke (Hg. G. Lasson), Bd. 7, Leipzig 1913 (Meiners Philosophische Bibliothek, Bd. 144), S. 465. 53 Ebd., S. 468. 54 Zum Volk in der Kultur - und in der Staatsnation: Η Heller, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke ..., S. 98 ff. 55 Max Hildebert Boehm, Das eigenständige Volk, Göttingen 1932, 2. unveränderte Aufl.: Darmstadt 1965. Vgl. auch Guy Héraud , L'Europe des Ethnies, Paris (S. E. R. E. D.) 1963.
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Allgemeiner Teil: Zum Begriff des Staates
Volkspersönlichkeit werden kann. Dazu gehört, daß zwischen den Menschen, die zum Volk in diesem Sinne zählen, eine relative Artähnlichkeit besteht, die nach außen als „Gattung" sichtbar wird, wobei zwischen diesen eine Gemeinschaft gefordert und verwirklicht werden kann, die das Zentrum der Personenhaftigkeit des einzelnen trifft. Boehm stellt gleichzeitig 56 den ethnozentrischen Volksbegriff dem ethnokratisehen gegenüber, wobei letzterer zum Nationalsozialismus und zum Nationalstaatsdenken führt, während die ethnozentrische Betrachtungsweise das Seelisch-Geistige (Volkspersönlichkeit) in den Vordergrund stelle, ohne die natürlichen Faktoren, vor allem die Abstammung, 57 das Ahnenerbe und die Verbindung in der Geschlechterfolge, unbeachtet zu lassen. Raschhofer 58 hat mit besonderer Klarheit auf die soziologische Objektivität des Begriffs „Volk" hingewiesen 59 und betont, daß „Volk" (von ihm nach damaligen österreichischen Sprachgebrauch „Nationalität" genannt) Eigenschaften gesellschaftlicher Objektivität aufweisen muß und als gesellschaftliches Gebilde anzusehen ist. Der Zusammenhangsbegriff sei von entscheidender Bedeutung. Diesen haben schon die älteren Volkstheoretiker wie ihr Klassiker (der freilich dann in den Nationalstaatsmythos versunken ist) Mancini, aber auch Johannet, Nitti, Spann, Garner. 60 Nach ganzheitlicher Betrachtungsweise ist Volk gerade dann, wenn man den Zusammenhangsbegriff dabei nicht unbeachtet läßt, einzuordnen in das Wertgefüge. Überdies wird seine geistige Komponente nicht übersehen. Die moderne christliche Lehre läßt keinen Zweifel daran, daß sie Volk als abstammungsbedingte natürliche Gemeinschaft mit kultureller und geistiger (vor allem meist sprachlicher) Eigengeartetheit und entsprechendem Bewußtsein, von Gott gewollt und entfaltungsberechtigt, in der Welt und Werteordnung achtet und in dieser Eigenartung auch geschützt wissen will.61 56
M. H. Boehm, Das eigenständige Volk, S. 39; ganz ähnlich Theodor Veiter, Nationale Autonomie, Wien 1938, S. 28. 57 Hierzu Rupert Scholz/Arnd Ohle, Staatsangehörigkeit und Grundgesetz, in: NJW 21/1999, S. 1510-1517. 58 Hermann Raschhofer, Nationalität als Wesen und Rechtsbegriff, Berlin 1937 (S. A. aus „100 Jahre Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft"). 59 Alfred Vierkandt, Gesellschaftslehre, 1923, § 36 „Die kulturelle Einheit: Volk, Stamm und Nation", S. 315-320 [319 f.]. 60 Pasquale Stanislao Mancini, Deila nazionalitä come fondamento del diritto delle genti, Torino (Ε. Botta) 1851; Nitti, II principio di nationalitä ed i pricursori di Mancini, Modena 1928; René Johannet, Le principe des nationalités, Paris 1923; Othmar Spann, Vom Wesen des Volkstums, 3. Aufl., Berlin 1929; Garner, Political Science and Government, New York (American Book Co.) 1935. 61 Dies kommt in zahlreichen Rundschreiben und Erklärungen der Päpste zum Ausdruck, besonders auch des Papstes Johannes XXIII. „Pacem in terris" am
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Veiter befindet resümierend: 62 „Ist also, um mit Blasig zu sprechen, 63 der Volksbegriff keineswegs eindeutig zu kennzeichen, da es kaum ein einzelnes Merkmal gibt, das für den Begriff ,Volk' allein bestimmend wäre, so zwingt doch der naturrechtliche und ganzheitliche Volksbegriff dazu, Volk als etwas ,Zeitewiges4 (Μ. H. Boehm) zu sehen, als eine Abstammungsgemeinschaft, die nach dem Bewußtsein ihrer Angehörigen eingebunden ist in die zugehörig empfundenen und künftigen Geschlechter (in ladinischen Volkausdruck ,i suoi mittuns'), durch objektive Merkmale miteinander verbunden, von denen die Sprache fast stets das maßgebliche Merkmal ist, kulturell eigengeartet und noch wenigstens mit so vielen . . . . Eigenelementen ausgestattet, daß bei Hinzutritt entsprechender Volksbewußtheit in der Gemeinschaft soziologisch von einer Völkspersönlichkeit als oberster natürlicher Gemeinschaft in der gesellschaftlichen Ausgliederungsordnung gesprochen werden kann." Nach Veiter 64 ist Nation nichts anderes als Volk in der Erscheinungsform einer kulturellen und politischen Zielsetzungsgemeinschaft 65 (dynamischer Völksbegriff). Μ . H. Boehm sagt, 66 daß Nation im Kern das werdende oder seiende Staatsvolk sei, ein Volk sohin, das sich im Element der Macht zu einer willensgebundenen Einheit hin entwickelt und als solches neu konstituiert. Er unterscheidet sich von jenen, die unter Nation eine reine Kulturnation verstehen wie Bernatzik, Jellinek, Koellreuter oder Sachers. 67 Auch Carl Schmitt geht von „Nation" = Volk (ethnos) als Zielsetzungsgemeinschaft mit deutlichem Streben nach staatlich-politischer Organisiertheit aus. „Nation bedeutet gegenüber dem allgemeinen Begriff Volk ein durch politisches Sonderbewußtsein individualisiertes Volk." 6 8
11.4.1963. - Nachweise bei Theodor Veiter, Das Recht der Volksgruppen und Sprachminderheiten in Östereich, Wien 1970, S. 16, Fn. 21. 62 Th. Veiter, Das Recht der Volksgruppen ..., S. 16 f. 63 Zitat von Veiter: „Reinhard Blasig, Volk und Staat im Denken des Westens, Mannhardt-Festschrift, Wien (Rohrer) 1958, S. 93 ff. Diese Festschrift nennt sich ,Weltweite Wissenschaft vom Volk' und ist damit bereits ein Programm.". 64 Th. Veiter, Das Recht der Volksgruppen ..., S. 21 [37]. 65 Man kann über den Staat von einer „Sozialität des Sinnerlebens" und insbesondere von einer „Werkgemeinschaft der Kultur" sprechen: Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (1928), in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 3. Aufl., 1994, S. 119 [160]; Theodor Litt, Individuum und Gemeinschaft, 2. Aufl., 1924, S. 323 ff., 320 ff. 66 Μ. H. Boehm, Das eigenständige Volk, S. 36. 67 Nachweise bei Ernst Flachbarth, System des internationalen Minderheitenrechts, Bd. I, 1937, S. 129-130. 68 Carl Schmitt, Verfassungslehre (1928), 8. Aufl., 1993, S. 231. - Instruktiv: Guy Héraud, Nation et Etat, in: Hans Goebl u.a. (Hrsg.), Kontaktlinguistik, 1. Hbbd., 1996, S. 154-160.
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1. Schwinden des Volksbewußtseins Man muß zur Kenntnis nehmen, daß in den Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften der (westlichen) Länder des Okzidents bestimmten Machtgruppen daran gelegen ist, daß die Begriffe „Völker" oder „Nationen" jegliche Bedeutung verlieren 69 und das Volk in einer Zivil-, Bürgeroder transnationalen 70 Gesellschaft aufgeht. Allein dadurch verschwindet ein Volk (noch) nicht aus der Welt. Man muß ferner zur Kenntnis nehmen, daß es im Zuge der Internationalisierung und Globalisierung nicht der „political correctness" entspricht, „Volksbewußtsein" zu pflegen und es Politikern zunehmend schwerer fällt, das Volk als politische Größe zu sehen. Aber auch dadurch verschwindet ein Volk noch nicht von der Welt. Hierzu sind im komplexen Wirkungsgefüge neben geistig-seelischen Faktoren eine Reihe „äußerlicher" Faktoren Bedingung. 71 Ein Staat, der sich selbst behaupten will, muß das staatspolitische Interesse haben und auch durchsetzen, daß ihm sein Substrat, das (Staats-)Volk nicht entschwindet. 72 Anderenfalls wird er machtlos. Herrschen bedarf eines Bezugspunktes, einer Herrschaftsordnung. Eine Ordnung setzt ein, wie Vierkandt es nennt, „soziales Objektivgebilde" 73 voraus. Auch Hegel geht davon aus, daß Substanz des Staates ein oder mehrere Völker sind. 74 Dies war nur kein spezifisches Thema, das vertieft werden mußte, war selbstverständlich, ging es doch für seine Zeit, der Epoche der aufblühenden Nationalstaaten, andererseits darum, Deutschland aus einer Kulturnation zu einer Staatsnation reifen zu lassen. 75 „Aber wie Hegel zeigt, ist der Herr nur Herr, soweit er über einen Knecht verfügt. Die Macht ist wiederum kein für 69 Hierzu Guillaume Faye, Rede an die europäische Nation. Ein Appell gegen die Bevormundung Europas, dt. Ausgabe, Tübingen 1991, S. 75 [Titel der französischen Ausgabe: Nouvelle Discours ä la nation européenne, [Edition Albatros] Paris 1985]. 70 Hierzu Abram de Swann, Die soziologische Untersuchung der transnationalen Gesellschaft, in: Journal für Sozialforschung, 35. Jg. (1995), Heft 2, S. 107-120. 71 Hierzu Ilse Schwidetzky, Das Problem des Völkertodes, 1954; Konrad Lorenz, Die Rückseite des Spiegels, 1973; Ludwig von Bertalanffy, General System Theory, 1972, zum Volk als kybernetisches System; Rolf Kosiek, Völker statt „One World", Tübingen 1999. 72 Klassisch schon der Ausspruch von Isensee: „Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes, die die Repräsentanten für dieses ausüben, ermächtigt jene nicht, den Verfassungswandel oder das Obsoletwerden einer Verfassungsnorm zu inszenieren, um das verfassungsrechtliche Sollen dem gesellschaftlichen Sein anzupassen." Josef Isensee, Verfassungsrecht als „politisches Recht", in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, 1992, § 162 Rn. 106. 73 Alfred Vierkandt, Gesellschaftslehre, 1923, § 39 „Das soziale Objektivgebilde", S. 347 ff. 74 Hegel Verfassung Deutschlands, S. 129 f. 75 Η Heller, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke ..., S. 98 f.
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sich existierender Apparat, sondern nur Verfügung über die Gehorsamsbereitschaft der Bürger." 7 6 Das Lebensproblem des modernen Staates besteht darin, ob die geschichtlichen Kräfte noch wirksam sind, die ihn seit der Renaissance hervorgebracht und entwickelt haben. Hierbei liegt ein Grund für die Prognosen und Diagnosen darüber, ob die „Epoche der Staatlichkeit" nun zu Ende gehe (berühmter Ausspruch von Carl Schmitt) 77 und die „Postmoderne" 78 anbricht. 2. Befreiung
und Entfremdung
Das Schwinden des Völksbewußtseins ist weniger Reaktion auf Konservatismus als vielmehr Erscheinung der Moderne, deren vorherrschende Ideologie der Liberalismus verkörpert. In einer ersten Phase verselbständigte das liberale Denken die Wirtschaft gegenüber der Moral, der Politik und der Gesellschaft, in die sie zuvor eingefügt war. In einer zweiten Phase machte es den Handelswert zur „souveränen" Instanz allen Gemeinschaftslebens und das Modell des Marktes zum Paradigma aller gesellschaftlichen Erscheinungen. Die Moderne vermittelt dem Menschen die Bedingungen, sich zu befreien, zu „emanzipieren". Doch wovon? Der Idee der Befreiung lassen sich wenigstens zwei Bedeutungen zuschreiben. „Befreiung" kann als die Erlösung aus einer Situation der Unterdrückung, etwa eines Volkes, verstanden werden, aber auch als Emanzipation von jeglicher Fremdbestimmung, jeder Einschränkung von Autonomie und Selbstverwirklichung. Die erste Interpretation legt den Akzent auf historisch bedingte Formen der Abhängigkeit, in denen ein Kollektiv dem Joch einer es beherrschenden Gruppe unterliegt. Befreiung in diesem Sinn bedeutet zugleich einen politischen Akt, nämlich die Wiederaneignung der Selbstbestimmung, und eine Form, kultureller und religiöser Unterdrükkung, in vielen Fällen aber auch Ausbeutungsverhältnissen zu entkommen. Sie verweist auf Phänomene spezifischer Entfremdung, insofern diese eine bestimmte Gruppe oder Kategorie von Menschen betrifft, die unangemessenen Zwängen unterliegt, denen andere Gruppen nicht ausgesetzt sind, ja die womöglich von jenen ausgeübt werden. 76 J. Isensee, Staat und Verfassung, a.a.O., § 13 Rn. 72, zum Staat als „Machteinheit", Rn. 58, zur „staatlichen Einheit von Regierenden und Regierten". 77 Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), 6. Aufl., 1996, Vorwort zur Ausgabe 1963, S. 10; ders., Staat als ein konkreter, an eine geschichtliche Epoche gebundener Begriff (1941), in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954, 3. Aufl., 1985, S. 375 [376]. 78 Nachweise bei J. Isensee, Staat und Verfassung, § 13 Rn. 41 Fn. 58; kritisch zur Moderne A lain de Benoist, Aufstand der Kulturen. Manifest für das 21. Jahrhundert, Berlin 1999, S. 11 ff.
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Die zweite Interpretation findet sich seit Mitte des 19. Jhs. ohne Zweifel besonders im Rahmen jener Kritik, die man als „künstlerische" bezeichnet und von der „sozialen" 79 unterscheidet. Sie versteht das Projekt der Befreiung im Sinne einer Aufhebung aller Formen der Notwendigkeit, gleichgültig, ob sie von der Verwurzelung in einem durch Konventionen stabilisierten sozialen Umfeld (der Staats- oder Volkszugehörigkeit beispielsweise) herrühren oder mit der Integration in eine vorgegebene Realität zusammenhängen (Abstammung, Berufssparte mit spezifischen Qualifikationsvoraussetzungen) oder auch mit der eignen Körperlichkeit (mit der Unmöglichkeit, an mehreren Orten gleichzeitig zu sein, mit alters- und geschlechtsgebundenen Festlegungen). Sie verweist auf Formen gattungsbedingter Entfremdung. Hier nehmen die Autonomie- und Selbstverwirklichungsforderungen jene Gestalt an, die ihr die Pariser Künstler in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. gaben, als sie aus der Unbestimmtheit [incertitude] einen Lebensstil und einen Wert machten 80 : jenen nämlich, mehrere Leben führen zu können und dementsprechend über eine Pluralität von Identitäten zu verfügen. 81 Dies beinhaltet auch die Möglichkeit, Zuwendungen auszuschlagen, und die Ablehnung jeglicher Erbschuld [dette originelle], 82 gleich welcher Art. In dieser Sicht versteht die Befreiung sich vor allem als Erfüllung unterdrückten Verlangens, ein anderer zu sein. Nicht der zu sein, den andere (Eltern, Herren oder Vorgesetzte usw.) entworfen haben; vielmehr der zu sein, den man in einem bestimmten Augenblick gerade sein möchte, was die Möglichkeit unterschiedlicher Identifikationen offen läßt, je nach dem Stil (dem look), für den man sich entscheidet. Dies schließt in der Konsequenz ein, daß man alten identitären Zugehörigkeiten entkommen kann, den nationalen, regionalen, ethnischen und vor allem - zumindest zwischen der Mitte des 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts - den familiären, die meist als „bourgeois" oder „kleinbürgerlich" aufgefaßt wurden. Es hieß, fortan sei es möglich, seine Tätigkeit so oft zu wechseln wie sein „Projekt", 8 3 und daß alle lokalen Bande und Zugehörigkeiten als 79
Hierzu Alain de Benoist, Die neue soziale Frage, in: dersAufstand der Kulturen, S. 133-152; ders., Wie die soziale Bindung aufgelöst wurde, in: ders., ebd., S. 153-165. 80 J. Siegel, Bohemian Paris. Culture, Politics and the Boundaries of Bourgeois Life, 1830-1939, New York 1986. 81 Vgl. hierzu auch Hermann Schwengel, Europäischer way of live. Drei Quellen euopäischer Sozialintegration, in: Peter Clever/Bernd Schulte (Hrsg.), Bürger Europas (Bausteine Europas, Bd. IV), Bonn 1995, S. 11-22. - Grundlegend zur Identität: Harald Haarmann, „Identität", in: Hans Göbl/Peter Neide u. a. (Hrsg.), Kontaktlinguistik, 1. Hbbd., 1996, S. 218 ff. 82 N. Sarthou-Lajus, L'éthnie de la dette, Paris 1997. 83 Boltanski und Chiapello weisen dem Projekt im „Nouvel esprit du capitalisme" eine Schlüsselrolle zu. Als „cité aux projets" bezeichnen die Verfasser das
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Quelle der Erstarrung [rigidité] zerrissen werden können. Endlich scheint als förmliches „Recht" anerkannt, daß man werden kann, was man will und wann man will. Aber diese Befreiungsformen vollziehen sich zum Nachteil der Forderungen des ersten Typs: ein großer Teil der Menschen fand sich nicht etwa befreit, sondern im Gegenteil prekarisiert wieder, neuen Formen systemischer Abhängigkeit und der Verpflichtung unterworfen, einsamer als zuvor unbestimmten, unbegrenzten und quälenden Anforderungen der Autonomie und der Selbstverwirklichung zu genügen, 84 in der Mehrzahl der Fälle jenseits ihrer Lebenswelt, wo nichts ihnen half, sich selbst zu verwirklichen. Die Entwicklung dieser neuen Formen spezifischer Entfremdung lief daher für viele Menschen auf eine Annulierung der „Gattungs"-Befreiung hinaus, die schon erreicht schien. Die Vervielfachung der Projekte beispielsweise, mit der eine Ausweitung jener Momente und Situationen einhergeht, die jenseits der eigentlichen Arbeitssphäre liegen, jenseits der mit dem beruflichen Leben oder Überleben verbundenen Sorgen, tendiert paradoxerweise dazu, jenes Minimum an Pluralität der Lebensformen und Identitäten abzuschaffen (die Unterschiedlichkeit des Status und der Rollen innerhalb unterschiedlicher Kontexte - in Beruf, Familie, Verein etc.), welche die relative Sicherheit gestattete, die institutionell verankerte Organisationsformen boten. Wenn alle Beziehungen, wie auch immer sie geknüpft werden, für die Beschäftigungssuche oder die Entwicklung von Projekten nutzbar gemacht werden können, kommt es zu einer Vereinheitlichung [Uniformisation] der verschiedenen Lebenssphären in ein und demselben Netzwerk, ausgerichtet auf Aktivitäten zur Sicherstellung des wirtschaftlichen Überlebens des Einzelnen. Man muß zur Kenntnis nehmen, daß traditionelle Gemeinschaften tendenziell brüchig werden, viele Menschen, aber nicht alle aus „geborenen" Gruppen ausscheiden wollen, sich auch von „erkorenen" Gruppierungen lösen 85 und Befreiung in anonymen Netzwerken suchen um den Preis weiterer Entfremdung, letztlich von sich selbst. Oswald Spengler spricht (1918/22) hier, aus organisch-kosmischer Betrachtung, 86 vom „intellektuellen Nomaden". „Der zivilisierte Mensch, der intellektuelle Nomade ist sich tendenziell herausbildende Normensystem jener „Welt der Beziehungsnetzwerke" (monde connexionniste), in der sich die jüngste - nach dem ManchesterTypus und der fordistisch-sozialetatistischen Variante dritte - Version des Kapitalismus organisiert. 84 A. Ehrenberg, La fatique d'etre soi, Paris 1998. 85 Zur Solidarität aufgrund von Homogenität und aufgrund bündischer Vereinbarung: Otto Depenheuer, Das soziale Staatsziel und die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR IX, 1997, § 204 Rn. 55 ff. 86 Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, 14. Aufl., 1999, Zweites Kapitel „Städte und Völker", S. 656-783.
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wieder ganz Mikrokosmos, ganz heimatlos, geistig frei wie die Jäger und Hirten es sinnlich waren. Ubi bene ibi patria - das gilt vor und nach einer Kultur. Im Vorfrühling der Völkerwanderung war es die jungfräuliche und doch schon mütterliche Germanensehnsucht, die im Süden eine Heimat suchte, um für ihre künftige Kultur ein Nest zu bauen. Heute, am Ende dieser Kultur, schweift der wurzellose Geist durch alle landschaftlichen und gedanklichen Möglichkeiten. Dazwischen aber liegt die Zeit, wo der Mensch für ein Stück Erde stirbt* 1 (...) Dies ist das eigentliche Kriterium der ,Weltgeschichte', das sie von der Menschengeschichte aufs schärfste abhebt - Weltgeschichte ist die Geschichte des Stadtmenschen. Völker, Staaten, Politik und Religion, alle Künste, alle Wissenschaften beruhen auf einem Urphänomen menschlichen Daseins: der Stadt." 88 Verlust des Gefühls der Erdverbundenheit, Ausgrenzung vom natürlichen Geschehen und Sinnesfremdheit der Umgebung treffe, so Spengler, den Menschen der Groß- bzw. Weltstadt. „Da ist, von den Mächten der Landschaft abgetrennt, durch das Pflaster unter den Füßen abgeschnitten, das Dasein matter, das Empfinden und Verstehen immer mächtiger geworden. Der Mensch wird ,Geist', ,frei' und dem Nomaden wieder ähnlicher, aber enger und kälter. ,Geist' ist die spezifisch städtische Form des verstehenden Wachseins. Alle Kunst, alle Religion und Wissenschaft wird langsam geistig, dem Lande fremd, dem erdhaften Bauern unverständlich. Mit der Zivilisation tritt das Klimakterium ein. Die uralten Wurzeln des Daseins sind verdorrt in den Steinmassen ihrer Städte. Der freie Geist - ein verhängnisvolles Wort! - erscheint wie eine Flamme, die prachtvoll aufsteigt und jäh in der Luft verlodert. 89 (...) Die Stadt bedeutet nicht nur Geist, sondern auch Geld. 9 0 Es führt eine Pyramide von immer städtischer geprägten Wesen von diesen fast bäuerlichen Menschen über engere Schichten bis zu der geringen Zahl echter Großstadtmenschen, die überall zu Hause sind, wo ihre seelischen Voraussetzungen erfüllt werden. Damit hat auch der Begriff Geld seine volle Abstraktheit erlangt. Er dient nicht mehr dem Verstehen des wirtschaftlichen Verkehrs; er unterwirft den Warenumlauf seiner eigenen Entwicklung. Er wertet die Dinge nicht mehr untereinander, sondern in bezug auf sich. Seine Beziehung zum Boden und dem damit verwachsenen Menschen ist so vollständig verschwunden, daß sie für das wirtschaftliche Denken der führenden Städte - der „Geldplätze" - nicht mehr in Betracht kommt. Das 87
Ebd., S. 661. Ebd., S. 661. 89 Ebd., S. 664. - Schon Goethe dichtete: „Du sehnst dich, weit hinaus zu wandern, bereitest dich zu raschem Flug; dir selbst sei treu und treu den andern, dann ist die Enge weit genug." 90 Ebd., S. 670. 88
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Geld ist jetzt eine Macht, und zwar eine rein geistige, durch das Metall nur repräsentierte Macht im Wachsein der Oberschicht der wirtschaftlich tätigen Bevölkerung geworden, welche die mit ihm beschäftigten Menschen ebenso von sich abhängig macht, wie früher die Erde den Bauern. Es gibt ein „Denken in Geld", wie es ein mathematisches und juristisches Denken g i b t 9 1 (...) Das Geld ist für den Menschen ... eine Form des tätigen Wachseins geworden, die keinerlei Wurzeln im Dasein mehr besitzt. Darauf beruht seine ungeheure Macht über jede beginnende Zivilisation, die jedesmal eine unbedingte Diktatur dieses „Geldes" in einer für jede Kultur verschiedenen Gestalt ist, darin aber auch der Mangel an Halt, durch den es zuletzt seine Macht und seinen Sinn verliert und aus dem Denken einer späten Zivilisation wie der Zeit Diokletians völlig verschwindet, um den bodenständigen Urwerten wieder Platz zu machen.
(...) Der Steinkoloß „Weltstadt" steht am Ende des Lebenslaufes einer jeden großen Kultur." 9 2 Die moderne Gesellschaftstheorie kommt ohne den Menschen aus. Niklas Luhmanns Systemtheorie eliminiert radikal das Individuum (den Handelnden) aus dem sozialen Systemkontext - und folglich auch aus der Gesellschaft - und ersetzt dessen Stelle als „Letztelement der Gesellschaft durch Kommunikation". 93 Eine solche Gesellschaftstheorie steht in der Tradition von Hans Kelsens „Reiner Rechtslehre", 94 dessen Staatslehre zu einem Staatsrecht ohne Staat und zu einer Souveränität ohne Souveränitätssubjekt führt. 95 Die ökonomischen und sozialen Folgen der Globalisierung steigern den Bedarf nach wohlfahrtsstaatlicher Sicherung, entziehen ihr aber zugleich die finanzielle Grundlage. Der Wohlfahrtsstaat verliert damit tendenziell seine schützende Kraft und entwickelt sich umgekehrt zum Standortnachteil, der Investoren abhält und daher einzuschränken oder umzubauen sei. Der Wohlfahrtsstaat wird zum Wettbewerbsstaat. 96 Die Ökonomie ist dabei, 91
Ebd., S. 671. Ebd., S. 673 (kursiv vom Verfasser). 93 Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 1. Aufl., 1998, 1. Bd., S. 16 [29 f., 78 ff., 92 ff.]; zur selbstreferentiellen Konzeption von Gesellschaft S. 190 ff.; vgl. auch ders., Soziologische Aufklärung 2, 1975, Gesellschaftsbegriff S. 11-18. 94 Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Berlin 1925. 95 Hans Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts. Beitrag zu einer reinen Rechtslehre, Tübingen 1920, S. 292, 164 usw.; hierzu Η Heller, Die Souveränität ..., S. 120 ff. 92
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die Fesseln der Politik wieder abzuschütteln. Die Globalisierung schränkt nicht nur die Souveränität des Nationalstaates ein; sie lockert auch seine soziale Homogenität. 97 Der Weltmarkt produziert Gewinner und Verlierer. Die Reichen werden reicher und die minder Bemittelten ärmer. Die soziale Ungleichheit wächst. Schon Hegel wußte zu befinden, daß „bei dem Übermaße des Reichtums die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug ist, d. h. an dem ihr eigentümlichen Vermögen nicht genug besitzt, dem Übermaß der Arbeit und der Erzeugung des Pöbels zu steuern." 98 Sie habe eine krasse Polarisierung zur Folge, die am Ende beide Seiten, Reiche wie Arme pervertiere: die Armen, indem sie aus dem Übermaß ihrer Verzweifelung heraus das Recht als solches nicht mehr anerkennen, die Reichen, indem sie alles für käuflich halten. 9 9 Eine Gesellschaft der in ihre je individuelle Besonderheit versunkenen Privatpersonen bringt nach Hegel Verhältnisse hervor, welche die Rede von der Freiheit der einzelnen zu einer Farce machen. 100 Für Deutschland heutzutage wird die Auffassung vertreten, daß der Staat die Pflicht zur sozialen Intervention für die realen, d.h. konkret für die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen, die Gleichartigkeit der Lebensverhältnisse hat. 1 0 1 Von der Überlegung ausgehend, daß „das Freiheitsrecht ... ohne die tatsächliche Voraussetzung, es in Anspruch zu nehmen, wertlos wäre", 1 0 2 wird der Staat in der Konsequenz zum Garanten für die sozialen Verfassungsvoraussetzungen. Der neue Typ des globalen Akteurs, dessen wirtschaftliche Aktivitäten und Erfolge immer weniger auf nationaler Grundlage beruhen, wird zum 96 Werner Mäder, Europa ohne Volk Deutschland ohne Staat, Bonn 1999, S. 131 ff. (Bausteine Europas, Bd. VI). 97 Werner Mäder, Politische Einheit, soziale Homogenität und Solidarität im Verfassungsstaat, in: ZFSH/SGB Sozialrecht in Deutschland und Europa, 11/1999, S. 675-689 und 12/1999, S. 725-736. 98 G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Hauptwerke in sechs Bänden (Felix Meiner), Bd. 5, Hamburg 1999, § 245 (im folgenden mit „Rechtsphilosophie" zitiert). 99 G. W. F. Hegel, Geschichte der Philosophie II, Werke, Bd. 19, 1986, S. 196. 100 Michael Pawlik, Hegels Kritik an der politischen Philosophie Jean-Jacques Rousseaus, in: Der Staat 38. Bd. (1999), S. 21 [26]. 101 O. Depenheuer, Das soziale Staatsziel ..., § 204 Rn. 52. 102 BVerfGE 33, S. 303 [331]. - Vgl. auch Wolfgang Martens/Peter Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, in: VVDStRL 30 (1972), S. 7 ff., 43 ff.; zum menschenwürdigen Existenzminimum: Günter Dürig, in: Theodor Maunz/Günter Dürig, GG, Komm., Art. 1 Abs. 1 Rdnr. 43 ff.; vgl. auch Volker Neumann, Menschenwürde und Existenzminimum, in: NVwZ 5/1995, S. 426-432; ders., Der Grundrechtsschutz von Sozialleistungen in Zeiten der Finanznot, in: NZS 9/1998, S. 401410.
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Typ des ökonomischen Kosmopoliten, dessen nationale Bindungen und Loyalitäten entsprechend schwach werden. 103 Seine „Weltoffenheit" hat wohlfahrtsstaatliche und im Grunde politische Konsequenzen: die Tendenz, sich in neuartigen, privaten Lebenswelten, Wohnanlagen, Schulen, Theatern usw. einzuigein und die traditionelle Öffentlichkeit, die staatliche Infrastruktur, den Nichtteilhabenden, „Ausgeschlossenen" zu überlassen - eine Entwicklung, die in den USA und in Lateinamerika und auch schon in Europa zu beobachten ist und die Problematik der Finanzierung noch einmal in bezug auf die Loyalität der Eliten verschärft. Er verläßt den Moloch „Weltstadt" und baut sich neue „Burgen". Die Verbindung zur Außenwelt schafft das Internet, das zugleich zur virtuellen Welt mutiert. 3. Der Begriff
des Politischen
Der Begriff des Staates setzt nach Carl Schmitt den Begriff des Politischen voraus. 104 „Daß der Staat eine Einheit ist, und zwar die maßgebende Einheit, beruht auf seinem politischen Charakter." 105 „Das Politische kann seine Kraft aus den verschiedensten Bereichen menschlichen Lebens ziehen, aus religiösen, ökonomischen, moralischen und anderen Gegensätzen; es bezeichnet kein eigenes Sachgebiet, sondern nur den Intensitätsgrad einer Assoziation oder Dissoziation von Menschen, deren Motive religiöser, nationaler (im ethischen oder kulturellen Sinne), wirtschaftlicher oder anderer Art sein können und zu verschiedenen Zeiten verschiedene Verbindungen und Trennungen bewirken. Die reale Freund- Feindgruppierung ist seinsmäßig so stark und ausschlaggebend, daß der nichtpolitische Gegensatz in demselben Augenblick, in dem er diese Gruppierung bewirkt, seine bisherigen ,rein' religiösen oder ,rein' wirtschaftlichen, ,rein' kulturellen Kriterien und Motive zurückstellt und den völlig neuen, eigenartigen und, von jenem ,rein' religiösen oder ,rein' wirtschaftlichen und anderen »reinen4 Ausgangspunkt gesehen, oft sehr inkonsequenten und irrationalen' Bedingungen und Folgerungen der nunmehr politischen Situation unterworfen wird. Politisch ist jedenfalls immer die Gruppierung, die sich am Ernstfall orientiert. Sie ist deshalb immer die maßgebende menschliche Gruppierung, die politische Einheit infolgedessen immer, wenn sie überhaupt vor103 Alfred Vierkandt weist darauf hin, daß der moderne Individualismus im Gegensatz zu der Naturordnung steht, der sich auch die moderne Gesellschaft nicht entziehen kann. Der kollektive Lebensdrang sei stärker als der individuelle. Diese Tatsache erinnere an die verwandte Tatsache, die alles Leben beherrscht, nämlich, daß die Natur mehr für die Art als für das Individuum gesorgt hat (Gesellschaftslehre, 1923, § 42 [Nr. 4], S. 375 ff.). 104 Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), 6. Aufl., 1996, S. 20. 105 C. Schmitt, Der Begriff ..., S. 44; zur näheren Beschreibung des Politischen S. 20 ff.; vgl. auch W. Mäder, Europa ohne Volk ..., a.a.O., S. 105 ff. 3 Mäder
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handen ist, die maßgebende Einheit und , souverän4 in dem Sinne, daß die Entscheidung über den maßgebenden Fall, auch wenn das der Ausnahmefall ist, begriffsnotwendig immer bei ihr stehen m u ß . " 1 0 6 Moralische, wirtschaftliche usw. Gegensätze können sich zu politischen Gegensätzen steigern und die entscheidende Kampfgruppierung nach Freund und Feind herbeiführen. Kommt es zu dieser Kampfgruppierung, so ist der maßgebende Gegensatz nicht mehr rein moralisch oder ökonomisch usw., sondern politisch. 1 0 7 Dabei muß der Kampf nicht Krieg bedeuten, er kann auch ohne physische Gewalt, mit subtileren Mitteln geführt werden. 1 0 8 Die Ökonomie hat sich des Politischen bemächtigt. Die transnationale Oligarchie mit ihren weltweiten Netzwerken und kosmopolitischen Akteuren bilden „Imperien", die sich dem Einfluß eines Staates jederzeit entziehen können. Der Staat verliert Substanz, in instrumenteller, sächlicher und persönlicher Hinsicht, und läuft Gefahr, sein Monopol des Politischen zu verlieren. 109 Der Staat würde zum „Verwaltungs"-Staat, dessen Klientel hauptsächlich die „Zurückgebliebenen" sind. Armut ist nicht sozialisierbar und schafft keine Solidarität mit oder unter Armen, nur staatlich organisierte Fürsorge. Weiterhin pluralisiert die weltweite Arbeits- und Armutsmigration die Normalitätsstandards der wohlhabenden Nationen sozial, kulturell, ethnisch und religiös nachhaltig. Eine ausdifferenzierte Gesellschaft und die Heterogenität des Bevölkerungsrestes verfällt in einen unpolitischen Zustand. Politische Einheit seiner Bürger, eine - relative - soziale Homogenität und Solidarität sind die essentiellen Grundlagen des modernen Staates. 1 1 0 Hegel sagt: „Nur dort ist ein Staat vorhanden, wo die Kräfte der einzelnen zentralisiert und zu einem Ganzen vereinigt sind." 1 1 1 Ein Staat ohne Volk, mit nur einer heterogenen Bevölkerung verliert alsbald sein Zentrum, wenn die zentrifugalen Kräfte die Oberhand gewinnen. 112
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C. Schmitt, Der Begriff ..., S. 38 f. C. Schmitt, Der Begriff ..., S. 36. - Zum Verständnis der Freund-Feind-Theorie Carl Schmitts: Josef Isensee, Verfassungsrecht als „politisches Recht", in: ders./ Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, 1992, § 162 Rn. 11, 14; Emst-Wolfgang Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: Helmut Quaritsch (Hrsg.), Complexio Oppositorum, 1988, S. 283-299; Martin Pilch, System des transcendentalen Etatismus. Staat und Verfassung bei Carl Schmitt, Wien und Leipzig 1994. 108 Hierzu C. Schmitt, Der Begriff ..., S. 70 ff., 77. 109 Hierzu C. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), Vorwort zur Ausgabe von 1963, 6. Aufl., 1996, S. 10. 110 W. Mäder, Politische Einheit ..., S. 675. 111 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 11, 18. 107
Ε. Der Staat im Völkerrecht
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I V . Zum Staatsbegriff: Staatsgewalt Macht ist Inbegriff der Gewalt. Die Staatsgewalt hat zwei Gesichter, die auch Hegel schon unterscheidet: - nach innen gewandt effektive und organisierte Herrschaftsgewalt, innere Souveränität; 113 - nach außen gewandt rechtliche und tatsächliche Unabhängigkeit, äußere Souveränität, 114 Herrschaftsgewalt meint in der Hauptsache den Besitz des Monopols legitimer physischer Gewaltsamkeit. „ . . . die Macht des Staates darf ... bei Hegel nie als bloße militärisch-physische verstanden werden, sondern ist immer eine ,versittlichte\ eine ethisch-historische." 115 „Je nach Bedarf kann dieser Monismus aber von dem einen auf das andere Bein treten und bald mehr die physische, bald die psychische Macht hinausstellen." 116 Um diese ist es hier nicht zu tun. In der Verfassung Deutschlands geht es um jene, in erster Linie, „Kriegsmacht" und „Finanzmacht", des weiteren um die höchste Territorial- und Rechtsgewalt des Staates. Das Gewaltmonopol ist auch das Essentiale des völkerrechtlichen Staatsbegriffs. 117 Äußere Souveränität bedeutet, daß der Staat keine andere (rechtliche) Autorität über sich hat als die des internationalen Rechts. Faktische Begrenzungen der staatlichen Handlungsfreiheit sind unschädlich. Die äußere Souveränität gilt als der Normalfall staatlicher Existenz. Eine gedankliche Trennung zwischen Staatsgewalt und der Souveränität als einer Eigenschaft der Staatsgewalt ist der Völkerrechtslehre fremd. 1 1 8 Die völkerrechtliche Konzeption vom Staat, die auf Hegel zurückgeht, hat im 20. Jh. ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, rasch sich ändernden sozialen und internationalen Gegebenheiten anzupassen. Prophezeiungen eines Absterbens der Staatlichk e i t 1 1 9 und einer Ablösung des Staates durch überstaatliche Einrichtung e n 1 2 0 beschäftigen zwar auch die Völkerrechtslehre. Auch ist zu sehen, 112 Vgl. hierzu und zur Zentripetalwirkung der europäischen Vereinigung: Udo di Fabio, Der neue Art. 23 des Grundgesetzes, in: Der Staat Heft 2, 1993, S. 191-216 [192]. 113 G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 275, 278 ff. 114 Ebd., §§ 321-329. 115 H. Heller, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke ..., S. 88; Hegel, Rechtsphilosophie, §§142 ff. 116 H. Heller, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke ..., S. 88 f. 117 Markus Heintzen, Das staatliche Gewaltmonopol als Strukturelement des Völkerrechts, in: Der Staat 25 (1986), S. 17 ff. 118 J. Isensee, Staat und Verfassung, § 13 Rn. 34. 119 Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, 4. Aufl., 1994, S. 643 ff., 651 ff.; ders., Die postnationale Konstellation, 1998.
3*
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daß die Staaten der Gegenwart ihr Selbstverständnis wesentlich auch aus der Zugehörigkeit zu Staatengruppen, zu Integrationseinheiten, zu Großräum e n 1 2 1 beziehen, 122 damit tendenziell an Wirkungskraft verlieren. Trotzdem bleibt der souveräne Staat rebus sie stantibus weiterhin der bestimmende Faktor der Völkerrechtsordnung. 123
F. Die Souveränität Immer noch gültig, wenn auch von den die Europäische Union beherrschenden Rechtsrationalisten nicht akzeptiert, ist Hermann Hellers Definition der Souveränität. „Souveränität ist die Eigenschaft einer universalen Gebiets- und Wirkungseinheit, kraft welcher sie um des Rechtes willen sich gegebenenfalls auch gegen das Recht durchsetzt." 124 I. Subjekt der Souveränität Nach dem Völkerrecht ist der Staat als Rechtssubjekt der Souveränität anerkannt. Denn alles Völkerrecht wird nur durch Staatsakte realisiert. 125 Auch die in Deutschland seit Hegel herrschende Lehre sieht als Subjekt der Souveränität den Staat, die Souveränität als Eigenschaft der Staatsgewalt oder, in einem nicht ganz geklärten Verhältnis zu dieser, des Staatswillens, der Staatspersönlichkeit. 126 Immer, wenn von Staatssouveränität die Rede ist, wird der Gedanke der Volkssouveränität mitgedacht. Der Staat ist real in den Willensakten der Repräsentierten fundiert, die ihre vereinigte Macht dem Repräsentanten zur 120
Ingolf Pernice, Carl Schmitt, Rudolf Smend und die europäische Integration, in: AöR Bd. 120 (1995), S. 100-120. 121 Hierzu Carl Schmitt, Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Ein Beitrag zum Rechtsbegriff im Völkerrecht (1941), unveränderte Ausgabe 1991; ders., Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum (1950), 4. Aufl., 1997. 122 J. Isensee, Staat und Verfassung, § 13 Rn. 34 ff. 123 Josef Isensee, Europäische Union-Mitgliedstaaten. Im Spannungsfeld von Integration und nationaler Selbstbehauptung, Effizienz und Idee, in: Konferenz der Deutschen Akademien der Wissenschaften (Hrsg.), Europa - Idee, Geschichte, Realität, 1996, S. 71-106 [88 f.]. 124 H. Heller, Die Souveränität, S. 185. - Vgl. auch Friedrich von Schlegel, Transcendentalphilosophie, Ausgabe 1991, S. 88. 125 H. Heller, Die Souveränität, S. 178. 126 Η Heller, Die Souveränität, S. 81-119 [81] zum „Subjekt der Souveränität"; Hegel, Rechtsphilosophie, § 329.
F. Die Souveränität
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Verfügung stellen. In dieser Beziehung besteht kein Unterschied zwischen Volks- und Fürstensouveränität. 127 Willensvereinheitlichung durch Majoritätsprinzip und Repräsentation sind die Mittel, durch welche das Volk als Vielheit herrschen, durch die das Volk zum Subjekt der Souveränität werden kann. Voraussetzung beider ist die reelle Existenz einer volonté générale, die auch die Minderheit schließlich allein dazu veranlassen kann, sich dem durch die Mehrheit bestellten Repräsentanten zu fügen. 1 2 8 „ I m monarchischen wie im demokratischen Staat gelangen wir", wie Heller resümiert, „nur dadurch zu einem brauchbaren Subjekt der Souveränität und einem richtigen Staatsbegriff, daß wir uns eine volonté général von einer repräsentativen Instanz als real gewollt und vereinheitlicht, aber auch real präsent denken, gerade um sie repräsentiert und den oder die Repräsentanten tragend vorstellen zu können." 1 2 9 Heller ist von Hegel auch insoweit beeinflußt, als er darauf hinweist, daß Hegel „eine ganz neue Möglichkeit der Versöhnung von Freiheit und Macht" schafft. „Die Glieder des Staates erkennen dann die im Regenten konzentrierte Macht der Nation als ihr ureigenstes und letztes aller Ziele an, einen Gegensatz von Herrscher und Beherrschten gibt es nicht mehr, beide haben eine gemeinsame Idee, und Volks- und Herrschersouveränität erscheinen zur Staatssouveränität." 130 Hegel verweist auch auf den Ursprung von Repräsentation: „Das System der Repräsentation ist das System aller neueren europäischen Staaten. Es ist nicht in Germaniens Wäldern gewesen, aber es ist aus ihnen hervorgegangen. Es macht Epoche in der Weltgeschichte. Der Zusammenhang der Bildung der Welt hat das Menschengeschlecht nach dem orientalischen Despotismus und der Herrschaft der Republik über die Welt aus der Entartung der letzteren in diese Mitte zwischen beide geführt, und die Deutschen sind das Volk, aus welchem diese dritte universale Gestalt des Weltgeistes geboren worden." 1 3 1 In seiner Lehre von der Demokratie bringt Carl Schmitt die Definition der Demokratie dies etwas später griffig auf den Punkt: „Demokratie (als Staatsform wie als Regierungs- oder Gesetzgebungsform) ist Identität von Herrscher und Beherrschten, Regierenden und Regierten, Befehlenden und Gehorchenden." 132 127
H. Heller, Die Souveränität, S. 96. Η Heller, Die Souveränität, S. 97; ders., Politische Demokratie und soziale Homogenität (1928), in: ders., Gesammelte Schriften, 2. Bd., 2. Aufl., 1992, S. 421433 [427 f.]. 129 H. Heller Die Souveränität, S. 99. 130 H. Heller, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke ..., S. 94; vgl. auch Carl Schmitt, Verfassungslehre (1928), 8. Aufl., 1993, S. 235. 131 Hegel, Verfassung Deutschlands, a.a.O., S. 74 f. 132 Carl Schmitt, Verfassungslehre, S. 235; zur Repräsentation S. 208 ff. 128
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II. Herrschaft und Ordnung Jean Bodin (1530-1596) war es, der als erster die Souveränität als ein Begriffsmerkmal des Staates behauptet hat, 1 3 3 der auch befand, daß das positive Recht dem Souverän niemals absolute Schranken setzen kann. Souveränität ist ein Rechtsbegriff. Ausnahmslos jedes juristisches Problem ist nach unten in der Soziologie und nach oben in der ethisch-politischen Sphäre verwurzelt. Das soziologische Problem der Souveränität ist die Frage nach dem Verhältnis von Herrschaft und Ordnung, zwischen Macht und Gehorsam, Befehl und Unterworfensein. 134 Herrschen heißt, mit eigenen Mitteln Fügsamkeit oder Gehorsam zu erlangen. Die notwendige Erscheinungsform der Herrschaft ist die gesellschaftliche Ordnung. Jede Herrschaft präsentiert sich von unten als Ordnung. Nicht jede gesellschaftliche Ordnung ist eine Herrschaftsordnung. Unter den bewußt gesetzten Ordnungen wird zwischen Herrschafts- und Vertragsordnungen unterschieden. Aufklärung und Liberalismus verstehen die Verhältnisse zwischen Individuum und Gemeinwesen eher als durch Vertrag (contract social) begründete Ordnung. Diese Auffassung ist überwunden. Der Staat als Rechtssubjekt baut auf einer Herrschaftsordnung. Für die Herrschaftsordnung ist essentiell charakteristisch das Dasein eines „Herrn", d.h. einer dauernden universalen und wirksamen Entscheidungseinheit. Die Entschiedenheit des Befehls ist absolutes Begriffselement einer Herrschaftsordnung. 135 Souverän wird jene Entscheidungseinheit genannt, die keiner anderen wirksamen universalen Entscheidungseinheit untergeordnet i s t . 1 3 6 Souverän ist der Staat, der keiner anderen universalen Entscheidungseinheit untergeordnet ist. Inwieweit der heutige Staat als souverän gelten kann, wird zu erörtern sein. In jedem Falle muß seine Souveränität als eine historische Kategorie angesehen werden. Souveränität als Rechtsbegriff bedeutet zugleich Ausschließlichkeit, kennt nur ein Entweder-Oder, nicht ein Sowohlals-Auch. Es gibt keine geteilte Souveränität. Im Schwebezustand entscheidet letztlich, welche Kraft die Oberhand gewinnt und wessen Macht sich durchsetzt.
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Jean Bodin, De República libri six, latine ab autore redditi, Lyon, 1586, lib. I, cap. 8 (S. 78): „Principio difinienda fuit maiestas, quam nec philosophorum nec iurisconsultorum quisquam definiit." - Jean Bodin (1530-1596), französischer Publizist und bedeutendster Staatsrechtslehrer seiner Zeit. 134 Zu „Herrschaft und Ordnung": H. Heller, Die Souveränität, S. 57-67. 135 H. Heller, Die Souveränität, S. 59. 136 Η Heller, Die Souveränität, S. 65.
F. Die Souveränität
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Heller gibt hierfür ein gutes Beispiel: 1 3 7 „Staat heißt die auf einem bestimmten Gebiet universale, deshalb notwendig einzigartige und souveräne Entscheidungseinheit. Es ist möglich, daß zwei Heere um die Souveränität auf dem betreffenden Gebiet kämpfen und der Jurist bis zum entscheidenden Ausgang des Kampfes eine Pendenz der Souveränität annehmen muß. Unmöglich sind aber zwei Entscheidungseinheiten auf dem Gebiet; sie würden das Gegeneinander zweier höchster Willenseinheiten bedeuten, die Einheit des Staates aufheben und endgültig Bürgerkrieg zur Folge haben." Zum Unterschied von den Herrschaftsordnungen ist die zweite Klasse von bewußt gesetzten Ordnungen, die der Vertragsordnungen, charakterisiert durch das Fehlen einer wirksamen und universalen Entscheidungseinheit. 138 „Was den Staat nach außen anbetrifft," schreibt Heller, „so dürfen wir uns nicht vor der banalen Feststellung scheuen, daß die Erde heute und für absehbare Zukunft keine einheitliche Herrschaftsordnung, keine herrschaftliche Ordnungsindividualität bildet. 1 3 9 Soll auf ihr überhaupt geordnetes Zusammenleben möglich sein, so ist es heute wesentlich nur in Gestalt von Vertragsordnungen möglich. Verträge außerhalb von Herrschaftsordnungen haben einen Sinn nur zwischen durchaus unabhängigen Subjekten, die imstande sind, das Vereinbarte regelmäßig zu halten, die also zur Erfüllung ihrer Versprechen nicht der unberechenbaren Zustimmung eines Dritten benötigen. Unberechenbar ist aber das Verhalten eines jeden Subjektes, das einer souveränen Herrschaft ... unterworfen ist. Sehen wir von dem Zusammentreffen von Vertragspartnern in unbewohnten Erdgebieten ab, so kennen wir derartige herrschaftliche Subjekte nur als Staaten, sie allein gelten als unabhängig, weil und sofern sie imstande sind, ohne Dazwischentreten eines Dritten ihre Versprechungen herrschaftlich für ihre Mitglieder verbindlich zu machen. Die Herrschaftsordnung ist also Voraussetzung für jene Vertragsordnung." Bleibend ist auch folgende Äußerung Carl Schmitts: „Wenn ein Volk die Mühen und das Risiko der politischen Existenz fürchtet, so wird sich eben ein anderes Volk finden, das ihm diese Mühen abnimmt, indem es seinen ,Schutz gegen äußere Feinde4 und damit die politische Herrschaft übernimmt; der Schutzherr bestimmt dann den Feind, kraft des ewigen Zusammenhangs von Schutz und Gehorsam." 140 137
Η Heller Die Souveränität, S. 133 f. Η Heller, Die Souveränität, S. 63. 139 H. Heller, Die Souveränität, S. 65 f. - Die Aussage Hellers gilt heute weiter. Samuel P. Huntington stellt dar, daß die USA Ende des 20. Jh. zwar einzige Supermacht ist, dies aber nicht bedeutet, daß die Welt unipolar ist (Die einsame Supermacht), in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 5/1999, S. 548-560. 140 C. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), S. 53. 138
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Der dem Völkerrecht innewohnenden Vertragsordnung fehlt eine, sie in ihrer Anwendung und Fortbildung den wechselnden Menschen und Mächten dauernd anpassende Entscheidungseinheit. 141 „Die Herrschaftsordnung in ihrer idealtypischen, d.h. in ihrer durchorganisierten und rationalisierten Form dagegen darf keine Entscheidung verweigern. Sie muß für jeden Streitfall zu jeder Zeit, also universal und dauernd imstande sein, die Willensgrenzen der Parteien zu dedizieren." 142 Zu Hellers bzw. Schmitts staatsphilosophischen und -rechtlichen Betrachtungen zur Souveränität 143 bzw. zur politischen Herrschaft 144 hat Hegel den Grund gelegt. Dessen Gedanken umkreisen zwar das Verhältnis der Reichsstände zur Landeshoheit, sind jedoch dem modernen Völkerrecht in die Wiege gelegt. Deutschland war zu seiner Zeit „in eine Menge von Staaten zerfallen, deren Art zu bestehen durch feierliche Verträge unter sich ausgemacht und von großen Mächten garantiert" war. 1 4 5 I I I . Hegels „politisches Recht" Von ganz besonderem Interesse sind Hegels Ausführungen in Verfassung Deutschlands über die politischen Rechte4. Er versteht darunter das, was wir heute positives Völkerrecht nennen. Weil er dieses als zwischen den deutschen Einzelstaaten 146 Maßgebendes sieht, will er den , Ständen4 beweisen, daß ihre, der Einigung Deutschlands entgegenstehende staatliche Selbständigkeit und Unabhängigkeit eine durchaus prekäre sei, da sie ja „nicht auf eigener Macht und Kraft" beruhe, sondern „von der Politik der großen Mächte" abhänge. 147 Es bestünden zwar „feierliche Friedenschlüsse", und es könnte den Anschein haben, als wäre durch jene die Souveränität der Stände als durch das Recht garantiert; aber: „Man weiß, welche Ehrwürdigkeit diese [Rechte] an und für sich haben." 1 4 8 Das Recht muß eben durch die Macht verwirklicht werden können, sonst ist es kein Recht: „ . . . politi141
H. Heller, Die Souveränität, S. 64. Gleichfalls zur „Staatssouveränität und Völkerrechtssubjektivität" sowie zur „Behauptung der Souveränität im Völkerrecht und gegen das Völkerrecht" ebd., S. 166-198. 142 Η Heller, Die Souveränität, S. 64. 143 Η Heller, Die Souveränität (1927), in: ders., Gesammelte Schriften, 2. Bd., 2. Aufl., 1992, S. 31-202. 144 C. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), 6. Aufl., 1996; ders., Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität (1922), 7. Aufl., 1996; ders., Politische Theologie. Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie (1970), 4. Aufl., 1996. 145 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 79. 146 Hegel bezeichnet diese auch als „Stände". 147 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 79. 148 Ebd., S. 81.
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sehe Rechte, insofern sie die Kraft von Privatrechten haben sollen, führen eine Art von Widerspruch in sich; denn sie würden voraussetzen, daß diejenigen, die solche festen politische Rechte gegeneinander hätten, in einem Rechtverhältnisse unter einer gewalt- und machthabenden Obrigkeit ständen." 1 4 9 Bei den deutschen Einzelstaaten sei dies aber nicht der Fall, und ihre Souveränität bleibe deshalb von der „Politik" abhängig. 150 Ihren Bestand hätten sie sich zwar gegenseitig durch Verträge gesichert. Wie sieht es aber mit diesen Völkerrechtsverträgen aus? Hegel gibt im folgenden eine erstaunlich modern anmutende machtpolitische Ausführung über das Wesen des Völkerrechts, des Kriegs 1 5 1 und der historischen Wandelbarkeit des Rechts: „Keine Macht greift unmittelbar und geradezu ein stipulirtes Recht an, sondern an irgend einer unbestimmten Seite entstehen Differenzen, welche alsdann den Frieden überhaupt umstoßen und durch den Zustand des Krieges nun mehr auch die Festsetzung der übrigen bestimmten Rechte schwankend werden." Und: „ . . . so fällt alles übrige, was die Verträge vorhin festgesetzt hatten, über den Haufen." 1 5 2 „Kriege, man mag sie Angriffs- oder Vertheidigungskriege nennen, über welche Benennung die Parteien nie zu einem Einverständnisse kommen - würden nur ungerecht genannt werden, wenn die Friedensschlüsse unbedingten gegenseitigen Frieden stipulirten, und wenn der Ausdruck eines ewigen Friedens und ewiger Freundschaft zwischen den Mächten auch diesen Ausdruck hat, so ist er mit der in der Natur der Sache liegenden Einschränkungen zu verstehen: wenn von keinem Theile angegriffen oder feindselig gehandelt w i r d . " 1 5 3 Hegel wollte beweisen, daß das bloße Recht noch keine Macht gibt, daß es erst durch Macht geboren und realisiert w i r d . 1 5 4 Im weiteren zeigt er, daß gerade umgekehrt Macht Recht ist. Seine Polemik richtet sich hier gegen Kant, der erst 1795 der Politik in den härtesten Ausdrücken Unmoral vorgeworfen und von den Staaten, „sollte es auch ihrer Selbstsucht Aufopferungen kosten", eine gerechte Politik verlangt hatte. 155 Hegel kritisiert 149
Ebd., S. 80. Ebd., S. 86 f. 151 Zur Situation in Europa Ende des 20. Jahrhunderts: Herfried Münkler, Den Krieg wieder denken. Clausewitz, Kosovo und die Kriege des 21. Jahrhunderts, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 6/1999, S. 678-688. - Zur imperialistischen amerikanischen Außenpolitik am Ende des 20. Jahrhunderts: Chalmers Johnson, Ein Imperium verfällt, 1. Aufl., München 2000. 152 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 81 f. 153 Ebd., S. 82. 154 „Ansprüche sind unentschiedene Rechte." Ebd., S. 86. 150
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„die Menschenfreunde und Moralisten" sowie das Mißtrauen „gegen die Rechtsform, in welcher die Interessen ihres Staates erscheinen". 156 Er fährt fort: „Das Recht ist der durch Verträge festgesetzte und zugestandene Nutzen des einen Staates, und weil in den Verträgen überhaupt die verschiedenen Interessen der Staaten festgesetzt, als Rechte aber diese Interessen so unendlich vielseitig sind, so müssen sie und damit auch die Rechte in Widerspruch gerathen, und es hängt nur von den Umständen, von den Combinationen der Macht, d. h. dem Urtheile der Politik ab, ob das in Gefahr kommende Interesse und Recht mit der ganzen Gewalt der Macht vertheidigt werden soll, wogegen dann der andere Theil freilich auch ein Recht anführen kann, weil auch er gerade das entgegengesetzte Interesse, das in Collision kommt, und damit auch ein Recht hat. Der Krieg oder, was es ist, hat nunmehr zu entscheiden, nicht, welches von beiden Theilen behauptete Recht das wahre Recht ist, - denn beide Theile haben ein wahres Recht - sondern welches Recht dem anderen weichen soll." 1 5 7 „ . . . und in diesem Zwiste muß das Recht sich durch seine Macht behaupten." 158 Hegel hält also dafür, daß nicht nur alles positive Recht, sondern auch jede inhaltliche Rechtsidee national sei und die widersprechenden Rechte zweier Staaten „gleich wahr sind, also ein Drittes, und dies ist der Krieg, sie ungleich machen muß, damit sie vereinigt werden können, was dadurch geschieht, daß eins dem andern weicht". 1 5 9 Heller kommentiert dies so: „Damit wären wir dort angelangt, wohin Hegel uns führen wollte. Das Recht des Staates ist sein Nutzen oder Interesse, praktisch seine Macht und zwar nicht nur der Rechtsform nach, sondern auch inhaltlich. Soll also das Recht im Innern des Staates nach der ,Organisation des Ganzen4 berechnet sein, so muß als Rechtszweck die Macht des Staates, seine Geltung in der äußeren Politik und nicht irgendein moralischer Zweck und Maßstab angenommen werden. Keine universale Rechtsidee kann im Widerstreit zweier Rechte entscheiden, sondern einzig und allein die Gewalt, und die Unterscheidung von Angriffs- und Verteidigungs-, rechtmäßigen oder unrechtmä155 Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden (1795), in: Gesammelte Schriften (Hg. Kgl. Preußische Akademie), Bd. 8 (1912), S. 372. 156 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 83. 157 Ebd., S. 84. 158 Ebd., S. 85. 159 Ebd., S. 84.
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ßigen Kriegen ist durchaus hinfällig; es gilt nach wie vor der alte Satz des Livius: iustum est bellum quibus necessarium. Hier sieht man die gesamte Weltanschauung des Naturrechts in Trümmer gelegt. Dort war alles Recht auf die vertragliche Willensübereinstimmung zwischen den einzelnen vernünftigen Individuen und Staaten begründet und als Auswirkung einer göttlichen oder moralischen, überzeitlichen und übernationalen Rechtsidee behandelt worden. Dieser Idee der Vernunft und Sittlichkeit stellt Hegel die geschichtliche Tatsächlichkeit entgegen. .. . " 1 6 0 „Hier sei Hegel nur als großartige Reaktion gegen die zeitgenössischen deutschen Weltbürgerträume und unpolitischen Radikalismen gekennzeichnet, als der erste, der den Weg von ,Blut und Eisen4 zur deutschen Einheit schon im Jahre 1801 gewiesen hat. Vielleicht war es ein trauriges Schicksal des deutschen Geistes, seine politischen Ideale zuerst nur an den Himmel geknüpft und dadurch Hegel hervorgerufen zu haben, der ausschließlich eine historisch-nationale und diesseitige Idee kennt." 1 6 1 „Die geistesgeschichtliche Konstellation aber, der ein Hegel dringend notwendig war, wird uns aus den eigenen Worten des Philosophen klar: So töricht sind die Menschen, über idealischen Gesichten der uneigennützigen Rettung von Gewissens- und politischer Freiheit, und in der innren Hitze der Begeisterung die Wahrheit, die in der Macht liegt, zu übersehen, und so ein Menschenwerk der Gerechtigkeit und ersonnene Träume gegen die höhere Gerechtigkeit der Natur und der Wahrheit sicher zu glauben." 1 6 2 I V . Souveränität und Positivität Alles Recht wird nur durch irgendwie kundgegebene Willensentschließungen individueller Subjekte erzeugt, die damit einen geistig objektivierten Sachverhalt als Norm für sich bejahen. 163 Alles Recht wird nur durch menschliche Willensaktivität in seiner Geltung, Positivität oder Existenz erhalten. Das Recht ist eine Schöpfung des Menschen. 164 Es kann nicht bestritten werden, so erschütternd dies für das menschliche Sicherheitsbedürfnis sein mag, daß es keine irdische Macht gibt, die verhindern könnte, daß ein sich selbst bestimmender Wille Recht zu zerbrechen und neues an seine Stelle zu setzen vermag. 1 6 5 Hegel befindet zu den Verhältnissen der Gesell160
H. Heller, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke ..., S. 72. H. Heller, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke ..., S. 73. 162 H. Heller, Hegel und ..., S. 73. 163 H. Heller, Die Souveränität, S. 68-80 [71]. 164 Helmut Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 1950, S. 15: „Das Recht kann als Werk des Menschen nur aus menschlichen Zielsetzungen verstanden werden." - Hegel, Rechtsphilosophie, § 4. 161
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schaft, deren Erhaltung den Gesetzen überlassen bleibe, in Abgrenzung zur Staatsgewalt, daß „die Gesetze hierüber nach und nach unmittelbar aus den Sitten selbst als geheiligte Herkommen hervorgegangen sind." 1 6 6 Die Begründung der Rechtspositivität in der Faktizität einer souveränen Willenseinheit wird heute noch energisch bekämpft vom Rechtsrationalismus in voller Entfaltung in Hans Kelsens reiner Rechtslehre. 167 Danach ist - kurz gesagt - oberster Souverän das Recht bzw. das Gesetz „mit Ausschluß jeder ursprünglichen Obrigkeitsgewalt". 168 Die Heimatlosigkeit des Souveränitätsbegriffs im System der „reinen Rechtslehre" ergibt sich mit der Notwendigkeit aus der Subjektlosigkeit dieser (Irr-)Lehre. So führt denn auch Kelsens Staatslehre zu einem Staatsrecht ohne Staat. Staat und Rechtsordnung sind danach identisch. 169 Das Wesen der Souveränität liegt in der Fähigkeit, höchste, die Gemeinschaft bindende Rechtssätze zu positivieren. Für die Herrschaftsordnung des modernen Staates gibt es keine juristische Positivität ohne Souveränität. 170 Heller bemerkt treffend: „Der Jurist hat von dem Faktum der Souveränität auszugehen, oder er verliert den Gegenstand seiner Wissenschaft, das positive Recht, und hängt mit seiner ganzen Wissenschaft in der L u f t . " 1 7 1
Exkurs: Abzweig Europa Man sollte meinen, daß diese widersprüchliche, sich selbst aufhebende Lehre sich schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erledigt hat. 1 7 2 Juristisch hat sie sich erledigt. Politisch hat sie sich nicht erledigt. Die Europäische Union steht unter dem Zwang, die Integration der Staaten in die Gemeinschaft fortschreiten zu lassen. Stillstand wird als Rückschritt empfunden. Wenn es politisch nicht vorangeht, wird das Recht bemüht und instrumentalisiert, als politische „Waffe" eingesetzt. Das Recht soll Macht schaffen, die die Staatsgewalt nicht abgeben will. In gewisser Weise läßt sich der Zustand Deutschlands zu Hegels Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts - Aufsplitterung in eine Vielzahl von Ständen, Einzelstaaten - mit dem Zu165
H. Heller, Die Souveränität, S. 71. Hegel Verfassung Deutschlands, S. 18. 167 Hans Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts. Ein Beitrag zur reinen Rechtslehre, Tübingen 1920. 168 Hugo Krabbe, Die moderne Staats-Idee, 2. Aufl., Den Haag, 1919, S. 8. 169 Η Heller, Die Souveränität, S. 42, 74. 170 Η Heller, Die Souveränität, S. 79. 171 Ebd., S. 80. 172 Grundlegend hierzu Heller in seinen Schriften Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke in Deutschland und Die Souveränität. 166
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stand Europas Anfang des 21. Jahrhunderts - fünfzehn (Mitglied-)Staaten und eine Reihe von Beitrittskandidaten - vergleichen. Europa-Eschatologen und „Berufs-Europäer' 4 berufen sich wieder auf diese Lehre, um den Nationalstaat und seine Souveränität zu entzaubern. Aus dem vom Europäischen Gerichtshof statuierten Rechtsgrundsatz des Vorranges des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht konstruieren sie ein eigenständiges Rechtssystem, das seine Quelle in sich selbst habe und quasi staatsgleichen Charakter annehme. Auf diese Weise wollen sie ziemlich vordergründig - auch die Klippe umgehen, daß die Europäische Union oder Gemeinschaft kein Völkerrechtssubjekt, auch im Sinne der Drei-Elemente-Lehre (Staatsgebiet, Volk, Staatsgewalt) ist. Wenn es um die Entmachtung der Nationalstaaten und deren Entpolitisierung geht, arbeiten die Europäische Kommission und das Europäische „Parlament" (EP) einmütig zusammen. 173 In einer Entschließung aus dem Jahre 1997 1 7 4 sagt das EP unverblümt den Gang an: in einen europäischen „Staat" ohne Volk, das bedeutet ohne Staatsbürgerschaft. 175 Von deutschen Mitgliedern des EP in die Wege geleitet, nimmt die Entschließung das Bundesverfassungsgericht und das Maastricht-Urteil 176 aufs Korn, zu dem festgestellt wird, „daß die abstrakte Ex-ante-Definition dessen, was ein Staatsvolk sein soll, schlicht unmöglich ist und nur für Erheiterung auf Völkerkundekongressen sorgen kann". 1 7 7 Das EP ist der Auffassung, daß das Gemeinschaftsrecht nicht durch Übertragung von Hoheitsrechten der Mitgliedstaaten, sondern vor dem Hintergrund der „Einheitlichkeit des juristischen Weltbildes" aus dem Völkerrecht zu entwickeln ist, weil die Völkerrechtsordnung den Geltungsgrund der einzelstaatlichen Rechtsordnung abgebe. 178 Es vertritt das krasse Gegenteil, was das Bundesverfassungsgericht befindet. Für die Staatswerdung werde kein Volk, sondern ein jeweils adäquater soziologischer Verband benötigt, der schon vorhanden sei. Was darunter zu verstehen ist, bleibt in einem Gedankennebel. Weiter: Die EU sei „selbst zur Regelung der Geltung des Völkerrechts in ihrem Machtbereich berufen" und ihr stehe „selbst die Ausgestaltung ihres Machtbereichs nach innen" zu „einschließ-
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Das bedeutet nun nicht, daß andere unbeteiligt wären. Die deutsche Bundesregierung seit Amtsantritt von Kohl (1983) bietet den Bodensatz der deutschen Entnationalisierung. - Vgl. auch Pat Buchanan, Nein zur neuen Weltordnung!, in: Nation & Europa 5/2000, S. 11-18. 174 Hierzu und zum folgenden vgl. Werner Mäder, Europa ohne Volk Deutschland ohne Staat (Bausteine Europas, Bd. VI), Bonn 1999. 175 Entschließung vom 15.10.1997, abgedruckt unter BR-Drucksache 829/97. 176 BVerfGE 89, S. 159 ff. 177 Entschließung, Begründung A, Nr. 2.3, b). 178 Entschließung, Begründung B, la). - Dieses „Luftschloß" hat schon Heller in das Vakuum des Nichts verwiesen: H. Heller, Die Souveränität, S. 178 ff.
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lieh des ausschließlichen Rechts der Lösung der Rangfolge zwischen ihrem eigenen Recht und dem Recht ihrer Mitgliedstaaten". 179 Für das EP spielt auch Art. 6 Abs. 3 EUV keine Rolle. Danach achtet die Union die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten. 180 Im „juristischen Weltbild" des EP ist das Volk unbedeutend. Der Staatsbürger muß solche Äußerungen und solche Mißachtung der Volkssouveränität ernst nehmen und sich besonders aus zwei Gründen darauf einrichten, handelt es sich immerhin um die Verlautbarung eines Gemeinschaftsorgans im Sinne des Art. 4 Abs. 1 EGV. 1. Da die Machtfrage gestellt ist, 1 8 1 muß daraus abgeleitet werden, daß das EP in einen Prozeß einer (friedlichen) Revolution 1 8 2 eintreten will. Man muß auch an einen Staatsstreich denken. Auch wenn das Volk oder der Bürger nicht beteiligt ist, ist jeder davon betroffen. 2. Soll für die Staatswerdung 183 bereits ein - Undefinierter (die Gemeinschaft soll um weitere Staaten erweitert werden) - soziologischer Verband 179 Entschließung, Begründung B, lb) zum „Neuer europarechtlicher Ansatz". Zur Verfasungsqualität - verneinend - der Gemeinschafts Verträge: Hans Heinrich Rupp, Europäische „Verfassung" und demokratische Legitimation, in: AöR 120 (1995), S. 269-275. 180 Das Bundesverfassungsgericht scheint daraus die Verpflichtung der Gemeinschaftsorgane zur Achtung der Unabhängigkeit und Souveränität der Mitgliedstaaten abzuleiten (BVerfGE 89, S. 155 [189]), obwohl z.B. mit Art. F Abs. 3 EUV 1992 Mittelausstattung - auf eine lediglich politisch-programmatische Absichtsbekundung hingewiesen wird [S. 194, 197]. Es gibt auch Stimmen aus dem politischen Lager, die einschränken, daß „nationale Identität" nur die kulturelle, nicht die staatliche Identität meint: so die Entschließung der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP vom 2.12.1992, BT-Drs. 12/3905, S. 2. Dagegen aus juristischem Urteil: Albert Bleckmann, Die Wahrung der „nationalen" Identität im Unions-Vertrag, in: JZ 6/ 1997, S. 265-269. - Unabhängig davon hindert der politische Teil des EU-Vertrages einen Mitgliedstaat auf der anderen Seite nicht, es zu unternehmen, sich selbst, seine Unabhängigkeit und Souveränität aufzugeben. 181 Vgl. hierzu Josef Isensee, Verfassungsrecht als „politisches Recht", in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, 1992, § 162 Rn. 98 ff. 182 Siehe hierzu Josef Isensee, Schlußbestimmung des Grundgesetzes: Artikel 146, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, 1992, § 166 Rn. 13 ff., 66 ff. [68]. 183 Hegel (Rechtsphilosophie, § 258 (243) geht dieser Frage nicht besonders nach: „Welches nun aber der historische Ursprung des Staates überhaupt, oder vielmehr jedes besonderes Staates, seiner Rechte und Bestimmungen sei oder gewesen sei, ob er zuerst aus patriarchalischen Verhältnissen, aus Furcht oder Zutrauen, aus der Korporation u.s.f. hervorgegangen, und wie sich das, worauf sich solche Rechte gründen, im Bewußtsein als göttliches, positives Recht oder Vertrag, Gewohnheit und so fort gefestigt und befestigt habe, geht die Idee des Staates selbst nicht an, sondern ist in Rücksicht auf das wissenschaftliche Erkennen, von dem hier allein die Rede ist, als die Erscheinung eine historische Sache; in Rücksicht auf die Auto-
F. Die Souveränität
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ausreichend sein, führt dies in die von „Menschenfreunden und Moralisten" lang ersehnte Bürgergesellschaft 184 oder Weltgesellschaft, 185 in der die Staatsbürgerschaft keine, sondern nur das Menschsem die Rolle spielt. 1 8 6 Der Deutsche ist dadurch betroffen, weil das Grundrecht der Staatsbürgerschaft (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG) ausgehöhlt wird und schließlich verschwindet. Übrig bleibt dann eine Art „Statusdeutscher' 4 oder die Eigenschaft als deutscher „Volkszugehöriger.' 4187 Daß der Staat als universale Entscheidungseinheit, die ihre Entscheidungen keineswegs nur aus dem positiven Recht bezieht, souverän sein muß, kann selbstverständlich ein Rechtsrationalismus nicht verstehen, der eine Rechtssouveränität ohne positives Recht und eine Staatslehre ohne Staat verkündet. „Bis zur Grenze möglicher Ermüdung wird uns44, wie Heller schreibt, 188 „versichert, daß der Staat, als der Rechtsordnung unterworfen, nicht über der Rechtsordnung stehen könne, daß wie jedes Rechtssubjekt auch der Staat nichts sei, als ,das Recht als Subjekt', 1 8 9 daß der über ,dem4 Rechte stehende, ,metarechtliche 4 Staat ein Phantasiegebilde sei, das ,unter der Lupe einer kritischen Analyse dahinsinkt 4 , daß der Staat eben, durch und durch im Rechte aufgeht 44 . 190
rität des wirklichen Staates, insofern sie sich auf Gründe einläßt, sind diese aus den Formen des ihm gültigen Rechts genommen. - Die philosophische Betrachtung hat es nur mit dem Inwendigen von allem diesen, dem gedachten Begriffe zu tun." 184 Vgl. hierzu Otto Depenheuer, Integration durch Verfassung? - Zum Identitätskonzept des Verfassungspatriotismus, in: DÖV 20/1995, S. 854-860. 185 Vgl. hierzu Josef Isensee, Nationalstaat und Verfassungsstaat - wechselseitige Bedingtheit, in: Rolf Stober (Hrsg.), Recht und Recht, Festschrift für Gerd Roellecke, 1997, S. 137-163 [155]; ders., Europäische Union - Mitgliedstaaten - Im Spannungsfeld von Integration und nationaler Selbstbehauptung, Effizienz und Idee, in: Konferenz der Deutschen Akademien der Wissenschaften, Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Mainz (Hrsg.), Europa - Idee, Geschichte, Realität, 1996, S. 71-106. 186 Hierzu Hegel·. „Denn das Individuum ist ein solches, das da ist, nicht Mensch überhaupt, denn der existiert nicht, sondern ein bestimmter." (Die Vernunft in der Geschichte, 1966, S. 85). 187 Zu Art. 116 Abs. 1, 1. Altern, und Abs. 2 GG: Rolf Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR I 1 , 1987, § 14 Rn. 29 f. 188 H. Heller, Die Souveränität, S. 129. - Heller gehört zu den schärfsten Kritikern der ,/einen Rechtslehre'4 Hans Kelsens. Er hat sie insbesondere in seinen Werken Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke in Deutschland sowie in Die Souveränität regelrecht seziert. 189 Hans Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts. Beitrag zu einer reinen Rechtslehre, Tübingen 1920, S. 109, und überall in seinen und seiner Schüler Schriften. 190 Alfred Verdroß, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes auf der Grundlage der Völkerrechtsverfassung, Tübingen 1923, S. 70, 38.
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V. Zum Wesen der Souveränität „ M i t Souveränität bezeichnen wir die Eigenschaft der absoluten Unabhängigkeit einer Willenseinheit von einer anderen wirksamen universalen Entscheidungseinheit; positiv drücken wir damit aus, daß die betreffende Willenseinheit höchste universale Entscheidungseinheit in dieser bestimmten Herrschaftsordnung i s t . " 1 9 1 Der Jurist nennt den Staat eine Person, eine Vorstellung, die selbstverständlich das Ergebnis juristischer Konstruktion ist. Wo also diese Konstruktion - wie bei Hans Kelsen - als bloße Fiktion, einfach „ i m Ermessen des Juristen" stehend, 192 aufgefaßt wird, kann von einer Souveränität der Staatsperson nicht mehr sinnvoll gesprochen werden. „Alle geltenden juristischen Begriffe sind Schattenrisse realer gesellschaftlicher Vorgänge. Ohne ständige Bezugnahme auf soziologisch-empirische Tatsachen verliert sich die Jurisprudenz im weiten Begriffshimmel. Diese Bezugnahme darf sie selbstverständlich nicht über ihre Aufgabe hinwegtäuschen, das ,vorwissenschaftliche' Material in präzise und praktikable Rechtsbegriffe umzuprägen. Damit werden aber jene gesellschaftlichen Realitäten weder zu Fiktionen, noch zu bloßen Produkten der juristischen Methode. Findet doch der Jurist als zu bearbeitendes Material nicht eine juristische tabula rasa vor, sondern eine überall rechtlich durchwachsene Kulturrealität. Ihr gegenüber besteht seine Aufgabe im wesentlichen darin, den bereits vorwissenschaftlich vollzogenen, begrifflichen Rechtsformungsprozeß fortzusetzen, dem Rechtsleben vielleicht sogar neue Konstruktionen anzubieten, das spezifisch Rechtliche aus anderen Lebensgebieten, in die es eingebettet ist, noch schärfer abzugrenzen, es in ein System zu bringen. Durch die Institution , Staat4 wird das Zusammenwirken aller gesellschaftlichen Akte auf einem bestimmten Gebiete in letzter Instanz garantiert." 1 9 3 Die staatliche Funktion besteht im wesentlichen darin, Ordnungsaufgaben zu vollbringen, welche Sitte, Sittlichkeit, Interessenlage nicht zu leisten vermögen. Da menschliches Leben nur möglich ist als geordnetes Gemeinschaftsleben, dient der Staat sowohl der physischen wie metaphysischen Selbsterhaltung. Als neuzeitliches Produkt des Bedürfnisses nach Sekurität oder Berechenbarkeit des gebietsnachbarlichen Zusammenwirkens steht der souveräne Staat mit seiner durchrationalisierten Organisation vor uns. Der Rechtsicherheit wegen hat er dem „Zustande des echten alten Faustrechts" durch den „Landfrieden" abgeholfen 194 und die Selbsthilfe 191
Η Heller, Die Souveränität, S. 120-165 [120]. Hans Kelsen, Das Problem der Souveränität ..., S. 292, 164 usw.; H. Heller, Die Souveränität, S. 120. 193 Η Heller, Die Souveränität, S. 125. 192
F. Die Souveränität
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ausgeschaltet, dafür die Anordnung der Bedingungen zentralisiert, unter welchen Zwang zum Zwecke des möglichst reibungslosen Zusammenwirkens der Gebietsbewohner geübt werden soll. Er nimmt das „Monopol legitimen physischen Zwanges" für sich in Anspruch. Dieses Zwangsmonopol ist aber lediglich die technische Seite einer Erscheinung, in der die Souveränität des modernen Staates eigentlich wurzelt, durch die allein ihr Wesen erkannt werden kann: die nur dem souveränen Staat zukommende Eigenschaft der gebietsuniversalen Entscheidungseinheit. In der Möglichkeit, jede die Einheit des gebietsgesellschaftlichen Zusammenwirkens betreffende Frage, u.U. gegen das positive Recht endgültig und wirksam entscheiden zu können und diese Entscheidung jedermann, nicht nur den Mitgliedern des Verbandes, den Volksangehörigen und Staatsbürgern, sondern grundsätzlich allen Gebietsbewohnern aufzuerlegen, ist das Wesen der Souveränität zu suchen. Die Einheit der Gebietsentscheidung ist der dialektische Ausgleich der menschlichen Vielheit der gesellschaftlichen Akte auf einem Gebiet, insofern immer der Ausdruck der tatsächlichen Machtverhältnisse. 195 Es gibt, auch heute noch, schlechthin keine andere gesellschaftliche Institution, der die Eigenschaft zukäme, durchaus alle auf ihrem Herrschaftsgebiet vorfallenden Interessenkonflikte in letzter Instanz zu entscheiden. „Der Landfriede hat die Ruhe hergestellt, d.h. er hat den Widerspruch der Rechte zum Stillstand, nicht zur Entscheidung gebracht." 196 „Es handelt sich aber nicht nur darum, daß der heutige Staat keine Justiz- und keine Rechtsverweigerung kennt. Der Begriff der Entscheidung wird weiter gefaßt, ist nicht beschränkt auf Konfliktslösungen durch Anwendung bestehenden Rechts. Der souveräne Staat, und nur er allein, kennt auch keine Entscheidungsverweigerung. Er muß, will er sich nicht selbst aufheben, unter allen Umständen den für die Selbsterhaltung der Gebietsbewohner unentbehrlichen Minimalbestand an Ordnung durch seine Entscheidung und Wirksamkeit sichern. Das Zusammenwirken der Gebietsbewohner würde durch jeden gewaltsamen, von der Zentrale unregulierten Konflikt auf das gefährlichste bedroht werden. Diese Art von Gebietshoheit ist es, und nicht die Fähigkeit ,sich selbst ... wesentlich zu verändern (bzw. aufzulösen)', welche die Behauptung ausschließt, der Staat sei ,ein wesensgleiches Glied in der Kette der menschlichen Gemeinwesen'." 197 Über die voraussehbaren Konflikte entscheidet der Souverän, zunächst durch seine einfachen und Verfassungsrechtsätze; in der Demokratie das Volk, mittelbar durch seine Repräsentanten oder unmittelbar durch Volks194 195 196 197
4 Mäder
Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 85. Η Heller, Die Souveränität, S. 125, 126. Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 86. Η Heller, Die Souveränität, S. 126.
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Allgemeiner Teil: Zum Begriff des Staates
entscheid. Alle staatlichen Instanzen sind angewiesen, vorkommende Konfliktsfälle im Rahmen dieser obersten Rechtssätze zu entscheiden. Alle voraussehbaren, zu berechnenden Rechtsregeln beziehen sich aber nur auf den unter eine Rechtsregel zu bringenden Normalfall. Der heutige Staat muß jedoch aus Gründen der (Rechts-) Sicherheit auch dann entscheiden, wenn keine Rechtsregel zur Verfügung steht. Ja er muß sogar, das größere gegen das geringere Interesse abwägend, auch gegen das Recht entscheiden. „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet." 198 Diese Fälle sind es, die zeigen, daß die summa potestas als universale Entscheidungseinheit auch heute noch unter Umständen legibus soluta ist und bleiben wird, solange es nicht gelingt, die Menschen und die Geschichte völlig berechenbar zu machen. 199 Hinsichtlich der Entscheidung praeter legem ist es ohne weiteres einsichtig, daß ein Staat, der nur in einem einzigen Falle mangels einer Rechtsregel die Entscheidung verweigern würde, nach innen den Entscheidung Heischenden letztlich auf den Bürgerkrieg verweisen und sich selbst aufheben würde 2 0 0 oder nach außen mangels Unterscheidung von „Freund und Feind" bald „aus der Welt verschwinden" würde. 2 0 1 Souveränität, d.h. Universalität der Entscheidung, ist, im juristischen Sinne, ein - durchaus - absoluter und vielsagender Begriff. Die in keinem Einzelrepräsentanten lokalisierbare Souveränität ist in ihrem Wesen nach das begriffliche Symbol für die im positiven Recht nicht auflösbare Einheit der das Recht und die Macht einer gebietsuniversalen Entscheidung konstituierenden Willensakte. 202 Das meint Hegel, wenn er sagt: die beiden Bestimmungen, „daß die besonderen Geschäfte und Gewalten des Staats weder für sich, noch in dem besonderen Willen von Individuen selbständig und fest sind, sondern in der Einheit des Staats als ihrem einfachen Selbst ihre letzte Wurzel haben, macht die Souveränität des Staats aus". 2 0 3 Als Grundbestimmung des politischen Staates erscheint Hegel „die substantielle Einheit als Idealität seiner Momente", in welcher sub198 C. Schmitt, Politische Theologie (1922), a.a.O., S. 13, 19. - Siehe hierzu Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der verdrängte Ausnahmezustand. Zum Handeln der Staatsgewalt in außergewöhnlichen Lagen, in: NJW 38/1978, S. 1881-1890. Zur Frage, wer über den Ausnahmezustand entscheidet, auch H. Heller, Die Souveränität, S. 127; zur Entwicklung des Begriffs vgl. Hans Boldt, Art. „Ausnahmezustand necessitas publica, Belagerungszustand, Kriegszustand, Staatsnotstand, Staatsnotrecht", in: Otto Brunner u.a. (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, 1. Bd., 1972, S. 343-376. 199 H. Heller Die Souveränität, S. 126. 200 Ebd., S. 126 f. 201 C. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), S. 45 ff. [53 f.]. 202 H. Heller Die Souveränität, S. 128, 185 ff.
G. Staat und Verfassung
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stantiellen Einheit des Staates „die besonderen Gewalten und Geschäfte desselben ebenso aufgelöst als erhalten, und nur so erhalten sind, als sie keine unabhängige, sondern allein eine solche und so weit gehende Berechtigung haben, als in der Idee des Ganzen bestimmt ist, von seiner Macht ausgehen und flüssige Glieder desselben als ihres einfachen Selbsts sind". 2 0 4 Daß der souveräne Staat als immanente Willenseinheit zu verstehen ist, hat Hegel, wie er selbst bemerkt, von Rousseau gelernt 2 0 5 „Staat", so Heller richtig, „heißt die auf einem bestimmten Gebiet universale, deshalb notwendig einzigartige und souveräne Entscheidungseinheit." 2 0 6 G. Staat und Verfassung Das Wort „Verfassung" hat einen verschiedenen Sinn. 2 0 7 Das Wort wird zum spezifischen Begriff, wenn es auf die Verfassung des Staates, d.h. der politischen Einheit eines Volkes, beschränkt wird. In dieser Beschränkung kann es den Staat selbst, und zwar den einzelnen, konkreten Staat als politische Einheit oder als eine besondere, konkrete Art und Form der staatlichen Existenz bezeichnen. Dann bedeutet es den Gesamtzustand politischer Einheit und Ordnung. Hegels Schrift Kritik der Verfassung Deutschlands liegt dieses Verständnis zugrunde. 208 „Verfassung" kann aber auch ein (geschlossenes) System von Normen bedeuten und bezeichnet dann ebenfalls eine Einheit, jedoch keine konkret existierende, sondern eine gedachte, ideelle Einheit. Hegels Staatsphilosophie und Staatsrecht in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts vermittelt ein derartiges System. 209 In beiden Fällen ist der Verfassungsbegriff absolut, weil er ein (wirkliches oder gedachtes) Ganzes angibt. Daneben herrscht heute die Ausdrucksweise, die eine Reihe von bestimmt gearteten Gesetzen Verfassung nennt. Verfassung oder Grundgesetz werden dabei als dasselbe behandelt. Auf diese Weise kann jedes einzelne Verfassungsgesetz als Verfassung erscheinen. Der Begriff wird infolgedes203
Hegel, Rechtsphilosophie, § 278 (283), S. 241.; zur „Souveränität als höchste Mächtigkeit im Sozialen" vgl. auch D. Schindler, Verfassungsrecht und soziale Struktur, S. 105 ff. 204 Hegel, Rechtsphilosophie, § 276 (282), S. 240. 205 Hegel, Rechtsphilosophie, § 258 (243), S. 209. 206 H. Heller, Die Souveränität, S. 133. 207 Carl Schmitt, Verfassungslehre (1928), 8. Aufl., 1993, S. 1-121; Hermann Heller, Staatslehre (1934), in: ders., Gesammelte Schriften, 3. Bd., 2. Aufl., 1992, S. 390 ff. 208 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 25-125. 209 Hegel, Rechtsphilosophie, a.a.O., §§ 260-340. 4*
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sen relativ. Er betrifft nicht mehr ein Ganzes, eine Ordnung und Einheit, sondern einige, mehrere oder viele besonders geartete gesetzliche Einzelbestimmungen. I. Verfassung als einheitliches Ganzes Die herausragenden Vertreter der Weimarer Staatsrechtslehre, deren Stimme bleibt und auch heute Gewicht hat, Hermann Heller, 2 1 0 Carl Schmitt 2 1 1 und Rudolf Smend, 2 1 2 legen ihren Untersuchungen den absoluten Verfassungsbegriff zugrunde. Die Symbiose von Realität und Normativität hat das Verdienst, durch die Zeit zu gehen und insbesondere die Tauglichkeit der Begriffsbildung auch im Vergleich mit dem Verfassungszustand eines Staates der Gegenwart nachzuweisen. Insbesondere Hermann Hellers Lehren sind von Hegel, mit dem er sich immer wieder eingehend auseinandersetzt und den er häufig zitiert, beeinflußt. 213 Dies spiegelt sich in seinen Schriften zur Staatslehre und in seiner Staatslehre 214 wider, die Hegels Dialektik anwendet („dialektischer Bau der staatlichen Wirklichkeit" 2 1 5 ). Aufgabe der Staatslehre als Teil der politischen Wissenschaften sei es, den Staat zu begreifen in seiner gegenwärtigen Struktur und Funktion, sein geschichtliches So-Gewordensein und seine Entwicklungstendenzen. 216 Die für die Staatslehre wichtigsten methodologischen Anregungen gingen von Hegel aus. 2 1 7 Für Heller ist Staatslehre Kulturwissenschaft, 218 Soziologie und als solche Wirklichkeitswissenschaft, nicht Geisteswissenschaft, 219 Strukturwissenschaft, nicht Geschichtswissenschaft. 220 „Das Sozialgebilde Staat ist nicht nur gegenständlich, sondern methodologisch von jedem Sinngebilde scharf zu sondern. (...) Denn der Staat ist nichts anderes als eine menschlich-gesellschaftliche Lebensform, Leben in Form und Form aus Leben. Den beiden Gegenständen Sinngebilde und Sozialform entsprechen durchaus zwei verschiedene Erkenntnis210 Hermann Heller, Staatslehre (1934), in: ders., Gesammelte Schriften, 3. Bd., 2. Aufl., 1992, S. 79-395. 211 Carl Schmitt, Verfassungslehre (1928), 8. Aufl., Berlin 1993. 212 Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (1928), in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 3. Aufl., Berlin 1994, S. 119-276. 213 Hellers Werke erscheinen als Gesammelte Schriften, 3 Bände, 2. Aufl., Tübingen 1992. 214 H. Heller, Staatslehre (1934). 215 H. Heller, Staatslehre (1934), S. 393. 216 H. Heller, Staatslehre (1934), S. 92-102 [92, 102] 217 Ebd., S. 124. 218 Ebd., S. 124-130. 219 Ebd., S. 130-142. 220 Ebd., S. 142-146.
G. Staat und Verfassung
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haltungen und deshalb zwei durchaus verschiedene Wissenschaftscharaktere." 2 2 1 „Sinneswissenschaft und Wirklichkeitswissenschaft, dogmatische Jurisprudenz und Staatslehre sind also nach Gegenständen und Methoden klar voneinander geschieden. Trotz oder wegen dieser Scheidung muß betont werden, daß die Verselbständigung der sinneswissenschaftlichen Erkenntnis von der gesellschaftlichen Wirklichkeit niemals eine absolute i s t . " 2 2 2 Staatslehre als Wirklichkeitswissenschaft und die Rechtswissenschaft als Sinneswissenschaft bedingen sich aber auch für Heller, 2 2 3 der dem verwickelten Verhältnis von Staat und Recht ein ausführliches Kapitel widmet, 2 2 4 aber auch an vorhergehenden Stellen auf deren Interdependenz verweist. „Alle Seinsurteile der Staatslehre sind in einem gewissen Grade zugleich auch Sollensurteile." 225 „Politische Wissenschaft ist grundsätzlich ohne eine ausdrückliche oder auch stillschweigend vorausgesetzte Staatslehre nicht möglich. W i l l sie Wissenschaft sein, so muß sie bestrebt sein, die Worte Staat, Recht, Staatsgewalt, Verfassung, Souveränität, Gebiet, Volk usw. als eindeutige und widerspruchslose Begriffe zu verwenden. Ebenso unvermeidlich wie für die politische Wissenschaft die Staatslehre, ist aber für beide die Staatsphilosophie. Philosophie heißt jede gedankliche Stellungnahme zur Welt als Einheit." 2 2 6 Staat, Recht, Staatsgewalt, Verfassung, Souveränität, Gebiet, Volk usw. sind Voraussetzung und Gegenstand des Verfassungsrechts, dem Recht zugänglich und als Begriffe Rechtsbegriffe bzw. - wie Volk, Nation - Blankettbegriffe mit rechtserheblichen Charakter. Allen Rechts-/Begriffen ist jedoch gemein, daß sie auf die Zufuhr von Substanz und Energie angewiesen ist. Dies ist Bürgern, dem Volk, seinen politischen Repräsentanten und der geschriebenen Verfassung aufgegeben. 227 I I . Die Staatsverfassung Unter „Staatsverfassung" wird hier die politische Verfassung als gesellschaftliche Wirklichkeit und die rechtlich normierte Verfassung unter Einbezug der geschriebenen Verfassung verstanden. 228 221
Ebd., S. 136. Ebd., S. 140. 223 Zu Hellers Staatslehre vgl. auch Werner Mäder, Streiflichter zu Rudolf Smends Integrationslehre und Hermann Heller Staatslehre, in: Peter Neide/Werner Mäder (Hrsg.), Migration und Integration, (Bausteine Europas, Bd. VII), St. Augustin 2000, S. 198 ff. 224 Η. Heller, Staatslehre (1934), S. 142, 361 ff. 225 Ebd., S. 151. 226 Ebd., S. 153. 227 W. Mäder, Streiflichter ..., S. 208-223. 222
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Um die Verfassung Deutschlands tatsächlich zu ermessen, der Frage nachzugehen, in welcher „Verfassung", welchem Zustand es sich befindet, genügt es nicht, mit Stolz auf das Grundgesetz, die schriftliche Urkunde, sein nunmehr mehr als 50 Jahre zu verzeichnendes Bestehen und seine Erfolge, die innerstaatlich unbestritten beträchtlich sind, zu verweisen. 229 Ausgeklammert bleibt der internationale politische Gesamtrahmen, in den Deutschland, man kann es formulieren wie man will, eingebunden, eingezwängt war oder sich hat einzwängen lassen müssen. Eine Besonderheit ist die Zeit vom Ende des 2. Weltkrieges, seit der Kapitulation bis zur Wiedervereinigung Deutschlands, d.h. zur Vereinigung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, verfassungstechnisch gesprochen bis zum Beitritt der (alten) neuen Bundesländer auf dem Gebiet der untergegangenen DDR zur Bundesrepublik nach Art. 23 GG a.F. Um die tatsächliche Verfassung zu ermessen, ist es nützlich, Hellers Grundlinien einer Verfassung zu zitieren. Dies erweitert, zunächst abstrakt, die Perspektive und gibt den Schlüssel für den Modus, positiv wie negativ, der Existenz von Staat, Souveränität und Verfaßtheit. Heller schreibt: „ . . . Die aktuelle und künftig in gleicher Weise erwartete Gestaltung des Zusammenwirkens, durch welche sich die Einheit und Ordnung der Organisation immer von neuem bildet, nennen wir Verfassung im Sinne der Wirklichkeitswissenschaft. Die Erkenntnis von Staat und Verfassung darf zwar den Prozeßcharakter ihres Gegenstandes niemals vergessen. Noch weniger darf sie aber übersehen, daß eine Verfassung nur insoweit erkennbar wird, als sie sich in und trotz der Dynamik dauernd wechselnder Integrationsprozesse mit relativer Statik behauptet. Die Staatsverfassung ist deshalb nicht in erster Linie Prozeß, sondern Produkt, nicht Tätigkeit, sondern Tätigkeitsform; sie ist eine offene Gestalt, durch die das Leben hindurch geht, Leben in Form und Form aus Leben. 2 3 0 ... Danach lassen sich in jeder Staatsverfassung die nicht normierte, innerhalb der normierten die außerrechtlich und die rechtlich normierte Verfassung als Teilinhalte der politischen Gesamtverfassung unterscheiden. Die durch das bewußt gesetzte und gesicherte Recht normierte ist die organisierte Verfassung. 228
Hierzu Η Heller, Staatslehre (1934), S. 361-395. Vgl. z.B. Hans-Peter Schneider, 50 Jahre Grundgesetz. Vom westdeutschen Provisorium zur gesamtdeutschen Verfassung, in: NJW 21/1999, S. 1497-1504. 230 Η Heller, Staatslehre (1934), S. 362. 229
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So wenig Dynamik und Statik, so wenig dürfen Normalität und Normativität, Sein und Sollen im Begriff der Verfassung völlig getrennt gedacht werden. Jede politische Verfassung ist nur als normgeformtes Sein zu begreifen. Als politischer Seinszustand, als die konkrete Ordnung und Form, ist die Verfassung nur dadurch möglich, daß die Beteiligten ihr einmal erreichtes oder künftig neu zu gestaltendes In-Ordnung und In-Form-Sein als ein gesolltes Sein festhalten und neu oder anders aktualisieren; . . . " 2 3 1 Heller ergänzt seinen „äußeren", die Souveränität betreffenden Staatsbeg r i f f 2 3 2 um den „inneren" Staatsbegriff: „Deshalb nennen wir den Staat eine organisierte Lebensform, für deren Verfassung nicht nur das normierte und rechtlich organisierte, sondern auch das nichtnormierte, gleichwohl aber normalisierte Verhalten der Beteiligten kennzeichnend i s t . " 2 3 3
„Die wirkliche Staatsverfassung kennt zwar eine Normalität ohne Normativität, nicht aber umgekehrt eine normative Geltung ohne Normalität. Denn alles geltende Recht ist eine regelmäßige Wirklichkeit 4 , und alle geltenden Verfassungsnormen gelten als empirische Regeln der tatsächlichen Organisation. Es eignet ihnen eine normative Normalität. Als praktische Bewertungsregeln gelten sie nur soweit und solange, als sie zugleich Berechnungsmaßstäbe für menschliches Handeln sind. Die Trennung von Seinsund Sollensgesetzen kann also in der üblichen Schärfe nicht aufrechterhalten werden. 2 3 4
(...) Eben in dieser planmäßig-bewußten Beeinflussung der politischen Verfassung durch herrschaftliche Normsetzung, in dem Versuch einer gebietsuniversalen Normalisierung durch zentrale Normierung liegt das Wesen des modernen Staates. Es entsteht damit das Grundproblem aller Rechts- und Staatssoziologie die Frage nach dem Verhältnis von Normalität und Normativität in der Staatsverfassung. 235
(...) Die rechtlich normierte Verfassung besteht niemals bloß aus staatlich autorisierten Rechtssätzen, sondern bedarf zu ihrer Geltung immer einer Er231 232 233 234 235
Ebd., S. 365. Siehe hierzu im Abschnitt „Zum Wesen der Souveränität". Η Heller, Staatslehre (1934), S. 363. Ebd., S. 365. Ebd., S. 366.
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gänzung durch die nicht normierten und durch die außerrechtlich normierten Verfassungselemente. .. , " 2 3 6 Staat, Souveränität, Nation, Volk sind solche außerrechtlichen Begriffe, die jedoch im Verlauf der Geschichte zur Norm „geronnen", Verfassungselemente geworden sind und derer das Recht sich bemächtigt hat. „Es ist die von Schindler 237 gemeinte ambience , das gesamte Natur- und Kulturmilieu, die anthropologischen, geographischen, volklichen, wirtschaftlichen und sozialen Normalitäten, sowie die außerrechtlichen Normativitäten, jener Teil der umgebenden Welt, mit welchem oder gegen welchen die rechtlich normierte Verfassung ein Ganzes bilden soll, welche ihren Inhalt erst konkretisiert und ihre Individualität bestimmt. Deshalb kann der einzelne Rechtssatz grundsätzlich erst aus der Totalität der politischen Gesamtverfassung voll begriffen werden. Neben den zahlreichen, jeder Normierung oft völlig entzogenen, den Norminhalt der Verfassung aber wesentlich mitbestimmenden Seinsregeln, sind es diejenigen außerrechtlichen Normativitäten, die als Rechtsgrundsätze für die Geltung und den Inhalt der Verfassungsnormen entscheidend sind. 2 3 8
(...) Praktisch sind es also nicht diese positiven Rechtssätze, sondern jene allgemeine Rechtsgrundsätze, welche die Ordnung der gesellschaftlichen Wirklichkeit sichern helfen. 2 3 9
(...) Als bloß normatives Sinngebilde, ohne Rücksicht auf die positiv bewertete gesellschaftliche Normalität, besagt die Verfassung immer zu wenig. Die meisten und vor allem die wichtigsten ihrer Rechtssätze ergeben erst im Zusammenhang mit den die soziale Struktur ausdrückenden Rechtsgrundsätzen einen praktikablen Sinn. 2 4 0 ...
(...) Durch die allmähliche Evolution der Rechtsgrundsätze kann es trotz gleichbleibenden Wortlautes der Rechtssätze dazu kommen, daß ihr Sinn schließlich eine völlige Revolution erfahren hat, obzwar die Kontinuität des Rechtes für das Bewußtsein der Rechtsgenossen gewahrt blieb." 2 4 1 236
Ebd., S. 368. Zitat von Heller „Dietrich Schindler, Verfassungsrecht und soziale Struktur, Zürich 1932, S. 93". 238 Η Heller, Staatslehre (1934), S. 369; ders., Die Souveränität (1927), S. 68 ff. 239 Η Heller, Staatslehre (1934), S. 370. 240 Η Heller, Staatslehre (1934), S. 370; ders., Die Souveränität (1927), S. 98. 237
G. Staat und Verfassung
57
Hegel formuliert treffend zur Frage, ob Deutschland 1801/1802 ein Staat ist oder nicht, trefflich: „Die Auflösung des Problems, wie es möglich wäre, daß Deutschland kein Staat sei, ergibt sich sehr leicht, daß es ein Staat ist in Gedanken und kein Staat in der Wirklichkeit, daß Formalität und Realität sich trennen, die leere Formalität dem Staate, die Realität aber dem Nichtsein des Staates zugehört. Das System des Gedankenstaates ist die Organisation einer Rechts Verfassung, welche in demjenigen, was zum Wesen eines Staates gehört, keine Kraft hat. .. , " 2 4 2 Zurück zu Heller, in der Tradition Hegels: „Immer bewahrheitet sich letztlich der Satz, daß die wirkliche Verfassung in den tatsächlichen Machtverhältnissen liegt. 2 4 3 (...) Alle Kontrollen können letztlich nicht das Problem lösen: quis custodet custodeml Alle Unverbrüchlichkeit der Verfassungsnormen kann Revolutionen und Restaurationen nicht hin- und anhalten, alle verfassungsrechtliche Gewaltenteilung nicht verhindern, daß bei einem unlöslichen Konflikt z.B. zwischen Regierung und Parlament die tatsächlich stärkere Macht sich mangels einer übergeordneten Wirkungseinheit durchsetzt und die notwendige Einheit der Staatsgewalt verwirklicht." 2 4 4 „Deshalb kann das Problem der Kontinuität oder Diskontinuität einer Staatsverfassung sinnvoll nur von einem wirklichkeitswissenschafüichen Standpunkt, niemals aber normlogisch aufgeworfen werden. Nur wenn man die politische Gesamtverfassung mit der isolierten Rechtsverfassung, das ideelle Sinngebilde Rechtsordnung mit dem wirklichen Sozialgebilde Staat verwechselt, kann man zu der abwegigen Meinung gelangen, die Frage der normativen Rechtskontinuität präjudiziere bereits die Frage der Staatsidentität. Die methodische Entzeitlichung der Verfassungsnormen durch die juristische Dogmatik wäre aber sinnlos, wenn sie nicht den Sinn hätte, einer verlängerten Zeitlichkeit der Verfassung zu dienen. 2 4 5
(...) Wenn aber die obersten Organe der Staatsorganisation ihre durch das Verfassungsrecht gebotenen Funktionen auszuüben nicht Willens oder nicht im Stande sind, dann gibt es - quis custoted custodem? - grundsätzlich 241
Η Heller, Staatslehre (1934), S. 371; mit Zitat „Hans Freyer, Theorie des objektiven Geistes. Eine Einleitung in die Kulturphilosophie, 2. Aufl., Leipzig 1928, S. 122 ff. 242 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 48. 243 Η Heller, Staatslehre (1934), S. 372. 244 Ebd., S. 373. 245 Ebd., S. 378, 379.
Allgemeiner Teil: Zum Begriff des Staates
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keine Entscheidungs- und Wirkungseinheit, die legal, d.h. innerhalb des geltenden Verfassungsrechtes eine Rechtsentscheidung zu fällen oder durchzusetzen vermöchte. 246
(...) Die durch die absoluten Rechtslücken bezeichnete normimmanente Grenze allen Verfassungsrechts ist begründet in dem letztlich unlösbaren Zusammenhang von Normativität und Normalität. Weil es im Falle der absoluten Rechtslücke grundsätzlich an jeder Voraussehbarkeit und damit an einer Berechnungsregel fehlt, kann es für die aufgeworfene Frage auch keine Bewertungsregel geben. 247 (...) Wirksamkeit und Geltung, Sein und Sollen der Verfassung müssen zwar logisch auseinandergehalten werden, beziehen sich aber beide dennoch auf die gleiche Verfassungswirklichkeit, in welcher mit der einen Aussage immer zugleich die andere gesetzt i s t . " 2 4 8
246 247 248
Ebd., S. 383. Ebd., S. 383. Ebd., S. 393.
Besonderer Teil
Kritik der Verfassung Deutschlands Die Bundesrepublik Deutschland soll ein Staat sein. Davon geht sein Grundgesetz aus. Dies ist Normativität. Die Unverbrüchlichkeit des Art. 20 Abs. 1 GG „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat" wird durch die Wesensgehaltsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG gesichert. Danach ist eine Änderung des Art. 20 GG unzulässig. Sicherlich denkt niemand daran, die geschriebene Verfassung diesbezüglich zu ändern. Das ideelle Sinngebilde „geschriebene Verfassung", die Grundgesetzordnung, ist eine Sache, das wirkliche Sozialgebilde Staat ist die andere Sache. Die normative Rechtskontinuität, mehr als 50 Jahre Geltung des Grundgesetzes, präjudiziell noch lange nicht Staatsidentität. Geltung und Wirksamkeit, Sollen und Sein der Verfassung werden zwar auseinandergehalten, beziehen sich beide auf die gleiche Verfassungswirklichkeit, in welcher mit der einen Aussage „Deutschland ist in der Wirklichkeit kein Staat" zugleich die andere „Dem Grundgesetz fehlt substantiell der Staat" gesetzt ist. Der wirkliche Staat ist souverän. Souveränität ist zwar ein absoluter und „reiner" Rechtsbegriff. Ausnahmslos jedes juristisches Problem ist nach unten in der Soziologie, nach oben in der ethisch-politischen Sphäre verwurzelt. Alle geltenden juristischen Begriffe, so auch „Staat" und „Souveränität" sind Schattenrisse realer, gesellschaftlicher Vorgänge. Es ist kein Widerspruch, wenn gesagt wird, Deutschland ist kein Staat, und das Grundgesetz sagt, Deutschland ist ein Bundesstaat. Das Problem überwindet Hegels Dialektik, daß es ein Staat ist in den Gedanken der schriftlich fixierten Verfassung und kein Staat in der Wirklichkeit, daß Formalität und Realität sich trennen, die leere Formalität dem Staate, die Realität aber dem Nichtsein des Staates gehört. Die Frage hier ist nicht, ob die Bundesrepublik Deutschland nach dem 2. Weltkrieg und ab wann jemals souverän war oder ob es mit der Wiedervereinigung nach der Revolution 1989/90 „volle" Souveränität erlangt hat. Die Frage hier ist, ob Deutschland im Jahre 2001 Souveränität eignet und deshalb (noch) ein Staat wirklich ist oder ob es nur noch ein „Staat in Gedanken", ein „Gedankenstaat" ist, 200 Jahre nach Hegels Schrift Kritik der Verfassung Deutschlands. Der Frage wird mit Hegels Schrift nachgegangen.
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Besonderer Teil: Kritik der Verfassung Deutschlands
Warum sie der Maßstab sein soll, wird damit beantwortet, daß Hegels Staats- und Souveränitätselemente bleibend sind. Untrennbar damit verbunden sind die Macht, die Herrschaftsgewalt, die höchste universale Entscheidungseinheit. Mag man heutzutage den Staat in den Kategorien Macht, Gewalt und Monopol gebietsuniversaler Entscheidung nicht mehr „denken" oder „denken" wollen. Damit verschwindet die Macht, Gewalt und souveräne Entscheidung nicht aus der Welt. Nimmt der Staat sich dessen nicht mehr an, verliert er seine politische Einheit, und es werden sich andere „Assoziationen" finden, die das politische „Geschäft" besorgen. In endlicher Konsequenz verschwindet ein Staat in seiner konkreten geschichtlich gewachsenen Form, gerät „außer Form".
H. Hegels Kriterien des - konkreten - Staates Was für die Staatsgewalt „notwendig" i s t , 2 4 9 sagt Hegel unmißverständlich. „ . . . und wir müssen in der Betrachtung beides von einander trennen: dasjenige, was nothwendig ist, daß eine Menge ein Staat und eine gemeinschaftliche Gewalt sei, und dasjenige, was nur eine besondere Modification dieser Gewalt ist und nicht in der Sphäre des Nothwendigen, sondern für den Begriff in die Sphäre des mehr oder weniger Besseren, für die Wirklichkeit aber in die Sphäre des Zufalls und der Willkür gehört." 2 5 0 (siehe auch Abschnitt „Zum Wesen des Staates") Der Staat ist Macht und nichts anderes als Macht, in erster Linie „Kriegsmacht", in zweiter aber auch „Finanzmacht", denn die „Finanzen" sind heute ein „wesentlicher Theil der Macht geworden, welche sich unmittelbar in den Händen der obersten Staatsgewalt befinden muß." 2 5 1 Zum weiteren Inhalt der Macht gehört auch noch die oberste Territorialgewalt und die Rechtsgewalt des Staates. Und nach diesen vier Kriterien allein untersucht nun Hegel, ob Deutschland in seinem Zustand Anfang des 19. Jahrhunderts noch ein Staat 249 250 251
Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 12. Ebd., S. 11. Ebd., S. 32.
Η. Hegels Kriterien des - konkreten - Staates
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zu nennen sei (a). Und nach diesen vier Kriterien untersuchen wir, ob Deutschland in seinem Zustand Anfang des 21. Jahrhunderts ein Staat zu nennen sei (b, c). Dabei können in die Betrachtung des Heute Äußerungen Hegels eingemischt werden. Wenn man nicht weiß, daß sie von Hegel stammen, kann gedacht werden, daß sie ein Spiegel des Heute sind, wobei lediglich einige Nennungen durch ähnliche neuzeitliche Worte ersetzt zu werden brauchen. I. Die Kriegsmacht a) Hegel: „Eine Menschenmenge kann sich nur einen Staat nennen, wenn sie zur gemeinschaftlichen Vertheidigung der Gesammtheit ihres Eigenthums verbunden ist. Es versteht sich hierbei eigentlich von selbst, aber es ist nöthig angemerkt zu werden, daß diese Verbindung nicht bloß die Absicht hat, sich zu vertheidigen, sondern daß sie, die Macht und das Gelingen mag sein, welches es will, durch wirkliches Wehren sich vertheidigt. Denn es wird Niemand leugnen können, daß Deutschland zu seiner gemeinschaftlichen Vertheidigung nach Gesetzen und Worten vereinigt ist; aber wir können hier nicht unter Gesetzen und Worten einerseits und That und Wirklichkeit auf der anderen Seite unterscheiden oder sagen, daß Deutschland zwar nicht in That und Wirklichkeit, aber doch nach Gesetzen und Worten sich gemeinschaftlich wehre. Denn das Eigenthum und seine Vertheidigung durch eine Staatsverbindung sind Dinge, die sich ganz und gar auf Realität beziehen, und deren Idealität alles Andere, nur nicht ein Staat ist. Pläne und Theorien machen Anspruch auf Realität in sofern, daß sie ausführbar seien, aber ihr Werth ist derselbe, sie seien in der Wirklichkeit oder nicht. Eine Theorie des Staates hingegen heißt nur in sofern Staat und Verfassung, als sie wirklich ist. Wenn Deutschland ein Staat und eine Verfassung zu sein vorgäbe, ungeachtet die Formen derselben ohne Leben, ihre Theorie ohne Wirklichkeit ist, so würde es eine Unwahrheit sagen. Wenn es aber wirklich gemeinsame Vertheidigung mit Worten verspräche, das, ungeachtet es nicht mehr kann, immer noch ein Wollen hat, oder Unredlichkeit, die dasjenige nicht hält, was sie versprochen h a t . " 2 5 2 Bezüglich der militärischen Macht kommt Hegel zu einem fast gleich unbefriedigenden Ergebnis wie noch sechzig Jahre später Treitschke. Wie dieser das „große kriegerische Volk" der Deutschen zu einer „rein defensiven Haltung verurteilt" findet, 2 5 3 so meint auch Hegel: Trotz „seinem 252
Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 10, 11. Heinrich von Treitschke, „Bundesstaat und Einheitsstaat", in: Historische und politische Aufsätze, Bd. 2, 4. Aufl., Leipzig 1871, S. 77-241 [97]. 253
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Besonderer Teil: Kritik der Verfassung Deutschlands
Reichthum an den todten sowie an den lebendigen Erfordernissen des Krieges ist kein Land wehrloser, keines unfähiger, nicht zu erobern, nur sich zu vertheidigen, als Deutschland. Nicht einmal die Versuche der Vertheidigung, das bloße Streben ist bedeutend oder ehrenvoll." 2 5 4 Bei der vorhandenen Zersplitterung der Macht heitere „der Name der Reichsarmee, der in einer deutschen Gesellschaft ausgesprochen wird, jedes Gesicht a u f , erwecke „alle nach Stand und Gebühr witzige Launen". 2 5 5 „Der militärische Geist" könne aber auch nur in einem größeren Heere gedeihen, nicht „in der Stadtwache einer Reichsstadt, der Leibgarde eines Abtes". 2 5 6 Auch „wenn die kriegerische Schwäche Deutschlands weder eine Folge von Feigheit noch der militärischen Untauglichkeit und der Unbekanntschaft mit denjenigen Geschicklichkeiten ist, die in neueren Zeiten zum Siege so viel als Tapferkeit beitragen, und bei jeder Gelegenheit die Reichscontingente die größten Beweise ihres Muthes und militärischer Aufopferung geben und sich des alten Kriegsruhmes der Deutschen und ihrer Ahnen würdig erweisen," so werde doch deutlich, wie der Partikularismus, die falsche „Anordnung des Ganzen" die allgemeine Auflösung bedinge, wie Deutschland keine militärische Macht und aus diesem Grunde auch kein Staat sei. 2 5 7 Die philosophische Verallgemeinerung der Kriegsmacht erschließt sich in Hegels Rechtsphilosophie. In der sittlichen Welt, in dem Staat, 258 mit seiner äußeren Souveränität, 259 mit dieser seiner Selbständigkeit, in der das Fürsich-sein des wirklichen Geistes sein Dasein habe, werde allein „die erste Freiheit und die höchste Ehre eines Volkes" verwirklicht. 2 6 0 Aufgegeben sei dem Staat, das Selbstgefühl, das ein Volk in seiner Unabhängigkeit hat, auch gegen Äußerlichkeiten zu wahren. Substanz seiner Existenz sei notfalls „die absolute Macht gegen alles Einzelne und Besondere, gegen das Leben, Eigentum und dessen Rechte, wie gegen die weiteren Kreise, die Nichtigkeit desselben zum Dasein und Bewußtsein bringt". 2 6 1 Substantielle Pflicht der Einzelnen ist es, „durch Gefahr und Aufopferung ihres Eigentums und Lebens, ohnehin ihres Meinens und alles dessen, was 254
Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 25. Ebd., S. 27. 256 Ebd., S. 26. 257 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 31. Erläuternd H. Heller, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke ..., S. 64 f. 258 Hegel, Rechtsphilosophie, Vorrede (IX), S. 7. 259 Hegel, Rechtsphilosophie, „Die Souveränität gegen außen", §§ 321-329. 260 Ebd., (330), § 322 (330), S. 278 f. 261 Hegel, Rechtsphilosophie, § 323 (331), S. 279. 255
Η. Hegels Kriterien des - konkreten - Staates
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selbst in dem Umfange des Lebens begriffen ist, diese substantielle Individualität, die Unabhängigkeit und Souveränität zu erhalten." 262 „Es gibt eine sehr schiefe Berechnung, wenn bei der Forderung dieser Aufopferung der Staat nur als bürgerliche Gesellschaft, und als sein Endzweck nur die Sicherung des Lebens und Eigentums der Individuen betrachtet wird; denn diese Sicherung wird nicht durch die Aufopferung dessen erreicht, was gesichert werden soll; - im Gegenteil. - In dem Angegebenen liegt das sittliche Moment des Krieges, der nicht als absolutes Übel und als eine bloß äußerliche Zufälligkeit zu betrachten ist, welche, sei es in was es wolle, in den Leidenschaften der Machthabenden oder der Völker, in Ungerechtigkeiten u.s. f., überhaupt in solchem, das nicht sein soll, seinen somit selbst zufälligen Grund habe. Was von der Natur des Zufälligen ist, dem widerfährt das Zufällige, und dieses Schicksal eben ist somit die Notwendigkeit, - wie überhaupt der Begriff und die Philosophie den Gesichtspunkt der bloßen Zufälligkeit verschwinden macht und in ihr, als dem Schein, ihr Wesen, die Notwendigkeit, erkennt. Es ist notwendig, daß das Endliche, Besitz und Leben, als Zufälliges gesetzt werde, weil dies der Begriff des Endlichen ist. Diese Notwendigkeit hat einerseits die Gestalt von Naturgewalt, und alles Endliche ist sterblich und vergänglich. Im sittlichen Wesen aber, dem Staate, wird der Natur diese Gewalt abgenommen, und die Notwendigkeit zum Werke der Freiheit, einem Sittlichen erhoben; - jene Vergänglichkeit wird ein gewolltes Vorübergehen, und die im Grunde liegende Negativität zur substantiellen eigenen Individualität des sittlichen Wesens. - , . . " 2 6 3 Sittliche Pflicht des Einzelnen ist es, sich notfalls aufzuopfern, nicht nur um seine persönlichen Güter zu sichern, sondern um den Bestand, die Unabhängigkeit und Souveränität, d.h. die Individualität des Staates zu erhalten. Der Krieg als „Zufälligkeit", in gewissem Sinne nicht Steuerbares, ist eine Realität und als solche eine „Notwendigkeit" insofern, um seine Selbständigkeit zu verteidigen. „Insofern aber der Staat als solcher, seine Selbständigkeit, in Gefahr kommt, so ruft die Pflicht alle seine Bürger zur Verteidigung a u f . " 2 6 4 Hegel sieht, zu Recht, im Staat allein den Garanten für die Freiheit der Einzelnen, die - unabänderlich - notfalls mit Gewalt durch den Staat verteidigt werden muß. Die Begrifflichkeit enthält keine normative Aussage, kein Recht zur gewaltsamen Auseinandersetzung, keine Legitimation der Militanz. Dies sei nur philosophische Idee, „eine Rechtfertigung der Vorsehung"; „die wirklichen Kriege bedürfen noch einer anderen Rechtfertigung". 265 262 263 264
Hegel, Rechtsphilosophie, § 324 (331), S. 279. Hegel, Rechtsphilosophie, § 324 (332), S. 280. Hegel, Rechtsphilosophie, § 326 (334), S. 282.
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b) Mit der fortgeschrittenen Zivilisierung und der Domestizierung vieler Staaten sollen sich angeblich die Dinge gewandelt haben. Die Gedanken eilen der Realität voraus. Nach dem 2. Weltkrieg, in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, wurden mehr Kriege und bewaffnete Auseinandersetzungen - offen oder verdeckt - geführt als in entsprechenden Zeiträumen zuvor, abgesehen von den staatsinternen Verfolgungen im 20. Jahrhundert. 266 Die Freund-Feind-Theorie Carl Schmitts 2 6 7 hat reale Substanz. 268 In neuer Zeit werden Kriege im Namen der „Menschheit" oder der universalen Menschenrechte geführt. Tatsächlich sind es aber Staaten, die gegen Staaten Krieg führen. Aus dem Begriffsmerkmal des Politischen 269 folgt der Pluralismus der Staatenwelt. Die politische Einheit setzt die reale Möglichkeit des Feindes und damit eine andere koexistierende, politische Einheit voraus. Es gibt deshalb auf der Erde, solange es überhaupt einen Staat gibt, immer mehrere Staaten. Und es kann keinen die ganze Erde und die ganze Menschheit umfassenden Welt„staat" geben. 270 Die politische Welt ist ein Pluriversum, kein Universum. Insofern ist jede Staatstheorie pluralistisch. Insofern bleibt die Frage der Souveränität auf der Tagesordnung. 271
265
Hegel Rechtsphilosophie, § 324 (333), S. 281. 266 V g L n u r w erne r Gumpel, Der Kosovo-Konflikt. Historische, politische, ethnische und wirtschaftliche Hintergründe, in: Politische Studien (Hrsg. Hanns SeidelStiftung), Die Kosovo-Krise - Eine vorläufige Bilanz, Sonderheft 4/1999, S. 7-18. 267
Carl Schmitt , Der Begriff des Politischen (1932), 6. Aufl., Berlin 1996; zum Begriff des Politischen als Unterscheidung von Freund und Feind vgl. auch Josef Isensee, Verfassungsrecht als „politisches Recht", in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, 1992, § 162 Rn. 11-14. 268 Zur Feindschaft gegen die ganze bürgerliche Gesellschaft W. I. Lenin, Staat und Revolution (1918), in: Werke, Bd. 25, 4. Aufl., Berlin (Ost) 1974, S. 393 [421] - Stéphane Courtois summierte die Todesopfer der kommunistischen Diktaturen auf mindestens 80 Mio. Menschen und hielt fest, daß die Zahl dieser Opfer die der nationalsozialistischen Terrorherrschaft bei weitem übersteigt. Vgl. St. Courtois/ N. Werth/J.-L. Panné u.a., Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror, München-Zürich 1998. Besprechung des Buchs von Werner Müller, Im Namen des Marxismus-Leninismus. Das Schwarzbuch des Kommunismus und seine Kritiker, in: Deutschland-Archiv 6/1998, S. 1006-1012. Zum despotischen Islamismus im Staat Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, Ausgabe 1948, S. 108 f. - Zum „intuitiven Relativismus" des Faschismus Hermann Heller, Europa und der Fascismus (19312), in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 2, 2. Aufl., 1992, S. 463 [518]. 269 Erläuterung bei /. Isensee, Verfassungsrecht als „politisches Recht", § 162 Rn. 5 ff., zu den Bedeutungsfacetten des Politischen. 270 C. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), S. 54; vgl. auch Dieter Blumenwitz, Souveränität - Gewaltverbot - Menschenrechte. Eine völkerrechtliche Bestandsaufnahme nach Abschluß des nicht mandatierten NATO-Einsatzes in Ex-Jugoslawien, in: Politische Studien, Sonderheft 4/1999, S. 19-40 [20]. 271 Hegel, Rechtsphilosophie, §§ 330 ff.
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„Menschheit ist kein politischer Begriff." 2 7 2 „Ihm entspricht auch keine politische Einheit oder Gemeinschaft und kein Status 2 7 3 Die Menschheit als solche kann keinen Krieg führen. Denn sie hat keinen Feind, wenigstens nicht auf diesem Planeten. Der Begriff der Menschheit schließt den Begriff des Feindes aus, weil auch der Feind nicht aufhört, Mensch zu sein und darin keine spezifische Unterscheidung liegt. 2 7 4 Daß Kriege im Namen der Menschheit geführt werden, ist keine Widerlegung dieser einfachen Wahrheit, sondern hat nur einen besonders politischen Sinn. Wenn ein Staat im Namen der Menschheit seinen politischen Feind bekämpft, ist das kein Krieg der Menschheit, sondern ein Krieg, für den ein bestimmter Staat gegenüber seinem Kriegsgegner einen universalen Begriff zu okkupieren sucht. So um sich (auf Kosten des Gegners) damit zu identifizieren, ähnlich wie man Frieden, Gerechtigkeit, Fortschritt, Zivilisation mißbrauchen kann, um sie für sich zu vindizieren und dem Feinde abzusprechen." 275 Carl Schmitt befindet weiter: 2 7 6 „,Menschheit' ist ein besonders brauchbares ideologisches Instrument imperialistischer Expansionen und in ihrer ethisch-humanitären Form ein spezifisches Vehikel des ökonomischen Imperialismus. Hierfür gilt mit einer naheliegenden Modifikation, ein von Proudh o n 2 7 7 geprägtes Wort: Wer Menschheit sagt, will betrügen. Die Führung des Namens Menschheit, die Berufung auf die Menschheit, die Beschlagnahme dieses Wortes, alles das könnte, weil man nun einmal solche erhabenen Namen nicht ohne gewisse Konsequenzen führen kann, nur den schrecklichen Anspruch manifestieren, daß dem Feind die Qualität des Menschen abgesprochen, daß er hors-la-loi und hors rhumanité erklärt und dadurch der Krieg zur äußersten Unmenschlichkeit getrieben werden soll." Andererseits: Es steht einem politisch existierenden Volk keineswegs frei, durch beschwörende Proklamationen zur „Ächtung des Krieges" der schicksalsvollen Unterscheidung in Freund und Feind zu entgehen. „Erklären ein Teil des Volkes und/oder seine Repräsentanten, keinen Feind (mehr) zu kennen, so stellen sie sich nach Lage der Sache auf die Seite der Feinde und helfen ihnen. Aber die Unterscheidung von Freund und Feind ist damit 272 Hegel notiert in seinen Randbemerkungen zu § 125: „Allgemeine Menschenliebe - Allgemeine leer - denn Menschen konkret einzelne." Rechtsphilosophie zu Seite (113) 122. 273 C. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), S. 55. 274 Ebd., S. 54 f. 275 C. Schmitt, Der Begriff ..., S. 55. - Zur Weltlage heute Chalmers Johnson, Ein Imperium verfällt, 1. Aufl., 2000, S. 280 ff. 276 C. Schmitt, Der Begriff ..., S. 55. 277 Pierre Joseph Proudhon, französischer Sozialist. * Besaron 15.1809, t Passy (Paris) 19.1.1865. 5 Mäder
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Besonderer Teil: Kritik der Verfassung Deutschlands
nicht aufgehoben. Behaupten die Bürger eines Staates von sich, daß sie keine persönlichen Feinde haben, so hat das mit dieser Frage nichts zu tun. Denn ein Privatmann hat keine politischen Feinde. Er kann mit solchen Erklärungen höchstens sagen wollen, daß er sich aus der politischen Gesamtheit, zu welcher er seinem Dasein nach gehört, herausstellen und nur noch als Privatmann leben möchte". 2 7 8 Carl Schmitt weiter: 2 7 9 „Es wäre ferner ein Irrtum zu glauben, ein einzelnes Volk könnte durch eine Freundschaftserklärung an alle Welt oder dadurch, daß es sich freiwillig entwaffnet, die Unterscheidung von Freund und Feind zu beseitigen. Auf diese Weise wird die Welt nicht entpolitisiert und nicht in einen Zustand reiner Moralität, reiner Rechtlichkeit oder reiner Wirtschaftlichkeit versetzt. Wenn ein Volk die Mühen und das Risiko der politischen Existenz fürchtet, so wird sich eben ein anderes Volk finden, das ihm diese Mühen abnimmt, indem es seinen , Schutz gegen äußere Feinde' und damit die politische Herrschaft übernimmt; der Schutzherr bestimmt dann den Feind, kraft des ewigen Zusammenhangs von Schutz und Gehorsam." c) Die Bundesrepublik Deutschland ist keine Kriegsmacht. Sie durfte und wollte es nie sein. Mit der Wiederbewaffnung 1956 und der Bundeswehr wurde zwar ein Militärpotential geschaffen, das jedoch nie politische Bedeutung erlangt hat. Die Bundeswehr ist zu einer Armee herangereift, die sich den bisher gestellten Aufgaben „würdig" erweist, die keineswegs, wie Hegel seinerzeit über die Reichsarmee schreiben mußte, nur „witzige Launen" erweckt. Im Bewußtsein des Volkes ist sie positiv verankert, und ihre Operationen sind anerkannt. In Erinnerung ist noch der beispiellose Einsatz der Bundeswehr, die mit 30000 Soldaten aus ganz Deutschland 1997 die Jahrhundertflut an der Oder bekämpfte und in fast vier Wochen pausenlosen erfolgreichen Katastropheneinsatzes eine weitere Bewährungsprobe bei einer nationalen Herausforderung bestand. 280 „Die Katastrophenbekämpfung war ein Lehrstück erfolgreicher zivil-militärischer Zusammenarbeit." 281 „Eine Menschenmenge kann sich nur einen Staat nennen, wenn sie zur gemeinschaftlichen Vertheidigung ... verbunden i s t . " 2 8 2 Es mag zu Zeiten 278
C. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), S. 52. Ebd., S. 52 f. Kursiv vom Verfasser. 280 Spiegel-Bericht: Die Schlacht an der Oder, in: Der Spiegel Nr. 31 vom 28.7.1997, S. 22-32; Dieter Preuß, Freude und Dankbarkeit sind der schönste Lohn, in: Union Nr. 3, 1997, S. 18 f. 281 Generalmajor Peter von Kirchbach, in: Berliner Zeitung Nr. 281 vom 2.12.1997, S. 23. 282 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 10. 279
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des Kalten Krieges und des Ost-West-Gegensatzes bis zum Zusammenbruch des kommunistischen Reichs der UDSSR Perioden gegeben haben, in denen die Regierung der Bonner Republik davon überzeugt war, einen Verteidigungsbeitrag für West-Europa leisten zu müssen. Inwieweit man mit einer eigenen Verteidigung im Ernstfall tatsächlich rechnete, ist heute nicht mehr von Belang. „Denn es wird Niemand leugnen können, daß Deutschland zu seiner gemeinschaftlichen Vertheidigung nach Gesetzen und Worten vereinigt ist; . . . " 2 8 3 Das Grundgesetz kennt und regelt den Spannungs- und Verteidigungsfall (Art. 80a, 87 a GG). Art. 87 a Abs. 1 Satz 1 bestimmt: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf." Ob diese tatsächlich zur Verteidigung in der Lage sind, überläßt es den Launen der jeweils Regierenden. Art. 87 a Abs. 1 Satz 2 sagt: „Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben." Da Eroberungs- und Angriffskriege völkerrechtswidrig und international geächtet sind, geht man guten Glaubens und mit herer Einstellung davon aus, daß andere Staaten sich an das Völkerrecht halten, daß ein Verteidigungskrieg nicht „notwendig" sein wird. Deutschland kennt keine Feinde, ist durch die Einbindung in die Europäische Gemeinschaft nur von Freunden oder Partnern umgeben. Die Idylle der Bonner Republik wirkt noch nach, die Wirklichkeit holt die politische Klasse 2 8 4 Deutschlands allmählich ein. Immer noch steht zu fürchten, daß das Land wegen der langen und engen Einhegung durch die westlichen Siegermächte, die Allianz, aber auch wegen der beruhigenden Existenz der Europäischen Gemeinschaft, noch nicht das Gespür dafür zurückgewonnen hat, wie gefährlich die Welt weiterhin bleibt. Die jeweilige deutsche Regierung fühlt sich nicht herausgefordert, daß man aufmerksam die Grundlagen der eigenen Existenz als Volk und Staat sichern muß, wenn man nicht unter die Räder kommen will. Sie hat leider immer noch das illusionäre Gefühl, sie hegt die fortwährende Überzeugung, nach wie vor fest eingebunden zu sein, in einem sicheren Geleitzug mitzufahren und sich daher, da andere das Kommando hätten, viele eigene Ideen und vor allen Dingen Taten gar nicht machen zu müssen. „Wir müssen", schreibt Baring, „ein Stück des alten Gefahrensinnes zurückgewinnen, denn wir sind mit den Rücken zu allen absehbaren Gefahren eingeschlafen." 285 283
Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 10. Der Verfasser legt Wert auf die Feststellung, daß der Ausdruck „politische Klasse" nicht nur ein Schmähwort ist, wenn auch nicht positiv belegt, in der politikwissenschaftlichen Literatur mit einem bestimmten Inhalt verbunden wird. Vgl. Hans Herbert von Arnim, Fetter Bauch regiert nicht gern - Die politische Klasse selbstbezogen und abgehoben, 1997; Josef Isensee, Bundesverfassungsgericht - quo vadis?, in: JZ 22/1996, S. 1085 [1088]. 285 Arnulf Baring, Scheitert Deutschland? Abschied von unseren Wunschwelten, 1997, S. 182. - Christian Hacke, Professor an der Universität der Bundeswehr Ham284
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Besonderer Teil: Kritik der Verfassung Deutschlands
Die Lage Deutschlands ist seit 1990 anders geworden. „Wir fahren zwar im Konvoi, doch wir müssen künftig überlegen, an welcher Stelle und mit welcher Verantwortung. Wir müssen wissen, wohin wir eigentlich selbst wollen, für welche Ziele, in welcher Richtung wir die anderen zu gewinnen suchen. Oder kann es uns egal sein, wohin die anderen steuern, weil wir uns nach wie vor von ihnen verstanden und vertreten glauben, unsere Interessen mit den ihren überall restlos für deckungsgleich halten? Dafür spricht nichts." 2 8 6 Für Deutschland gab es schon 1999 das Erwachen. Die politische Klasse und mit ihr gewisse akademische Vordenker, sich einen idyllischen Friedenszustand herbeiträumend, mußten auf einmal wieder den Krieg denken. 2 8 7 Und nicht nur das: Erstmals in der Geschichte Deutschlands seit Gründung des Deutschen Reiches 1870/71 mußte eine sozialdemokratische Regierung die Bundeswehr in den Krieg führen. Deutschland und das deutsche Volk - nicht die „multikulturelle" Bevölkerung - war als kriegsführende Nation offiziell und direkt, und nicht nur mittelbar über die NATO am Kosovo-Krieg beteiligt. 2 8 8 Tief im westlichen Verteidigungsbündnis verankert und ihm verpflichtet, sah sich die domestizierte Bundesrepublik nicht gehindert, im Schatten des Geleitzuges der Großen sich auf Druck am Kosovo-Krieg zu beteiligen oder - das Gleiche - unter dem Deckmantel „humanitärer" Intervention kriegerische Aktionen gegen das souveräne Jugoslawien (Serbien) mitzutragen. Im Kosovo handelte es sich nicht um eine UN-Aktion, sondern um eine einseitige militärische Intervention eines Staatenbündnisses. Deren Zulässigkeit wird in der Völkerrechtswissenschaft ganz überwiegend verneint. 289 Zur Verteidigung von Menschenrechten bürg, Institut für Internationale Politik, beschreibt das Verhalten der deutschen Regierung zu „Out-of-Area"-Einsätzen der Bundeswehr bis zum Kosovokonflikt so: „Diese außenpolitische Aktion hatte wenig mit politischer Solidarität, aber viel mit Solidarzahlung und Freikauf zu tun." (Deutschland und der Kosovokonflikt, in: Politische Studien, Sonderheft 4/1999, S. 48-59 [48]). 286 A. Baring, Scheitert Deutschland?, S. 182. - Zu Europas eigenem Weg vgl. Guillaume Faye, Rede an die europäische Nation. Ein Appell gegen die Bevormundung Europas (Paris 1985), dt. Tübingen 1991. 287 Herfried Münckler, Den Krieg wieder denken. Clausewitz, Kosovo und die Kriege des 21. Jahrhunderts, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 6/1999, S. 678-688. 288 Die Bundesrepublik Deutschland haftet für die militärischen Aktionen in ExJugoslawien unmittelbar völkerrechtlich und ist in mehrfacher Hinsicht an das universelle Gewaltverbot gebunden. So und hierzu D. Blumenwitz, Souveränität - Gewaltverbot - Menschenrechte, S. 23. 289 Hierzu Ulrich K. Preuß, Zwischen Legalität und Gerechtigkeit. Der KosovoKrieg, das Völkerrecht und die Moral, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 7/1999, S. 816-828, S. 823 m.w.N. unter Fn. 32. - Vgl. auch Winrich Kühne, Blockade oder Selbstmandatierung? Zwischen politischem Handlungsdruck
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wurde ein Angriffskrieg geführt. 290 Ob es sich letztlich um Angriff oder Verteidigung handelt, bestimmt oft genug der Sieger. Schon Hegel befand: 2 9 1 „Es gibt keinen Prätor, höchstens Schiedsrichter und Vermittler zwischen Staaten, und auch diese nur zufälligerweise, d. i. nach besonderen Willen. Die Kantische Vorstellung eines ewigen Friedens durch einen Staatenbund, welcher jeden Streit schlichtete und als eine von jedem einzelnen Staate anerkannte Macht jede Mißhelligkeit beilegte und damit die Entscheidung durch Krieg unmöglich machte, setzt die Einstimmung der Staaten voraus, welche auf moralischen, religiösen oder welchen Gründen und Rücksichten, überhaupt immer auf besonderen souveränen Willen beruhte und dadurch mit Zufälligkeiten behaftet bliebe." In der westlichen Hemisphäre sind die USA unbestrittene Führungsmacht. Für Deutschland stand im Kosovo-Krieg weder seine Souveränität noch Selbstbehauptung auf dem Spiel. Nun bedeutet dies nicht, daß es wieder eine Kriegs macht geworden ist. Nur von „Freunden" umgeben, 292 bestimmt der gemeinsame Freund USA, die „einsame Supermacht", 293 die Richtung, wo es lang geht, weil Europa sich nicht einig ist, und wer der Feind i s t . 2 9 4 Die USA hat die Welt in böse und gute Staaten, in „Schurkenstaaten" und „befreundete Schweinehunde", eingeteilt, primär zu dem Zweck, ihre Wirtschaftsinteressen und Märkte zu sichern. 295 Sie ist Hegemonialmacht, militärisch unschlagbar, logistisch überlegen und politisch tonangebend. Die Protagonisten der Weltgesellschaft kommen nicht umhin einzuräumen, daß die USA nach dem Rüstungssieg im Ost-West-Konflikt ihre Vormachtstellung nicht dafür einsetzt, sich in den Dienst der Integration in die Welt„gemeinschaft" zu stellen. 296 Die Vormachtstellung könnte und Völkerrecht, in: ebd., 5/1999, S. 561-574, zur Frage des Gewaltmonopols der UNO. 290 Roland Wuttke, Kosovo - ein Jahr danach. Nun platzen die Lügen, in: Nation & Europa, 5/2000, S. 23-27. - Vgl. auch Mansur Khan, Das Kosovo-Komplott. Vom Balkankrieg zur US-Weltherrschaft, Tübingen/Zürich/Paris 2000. 291 Hegel, Rechtsphilosophie, § 333 (339), S. 285 f. 292 Vgl. hierzu auch W. Mäder, Europa ohne Volk Deutschland ohne Staat, 1999, S. 138 f. Wer keine Feinde hat, kann Freundschaft nicht ermessen. 293 Samuel P. Huntington, Die einsame Supermacht, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 5/1999, S. 548-560; Karl Richter, Deutsche unter US-Hegemonie, in: Nation & Europa, 5/2000, S. 5-10. 294 Barry Rubin, „Schurkenstaaten". Amerikas Selbstverständnis und seine Beziehungen zur Welt, in: Internationale Politik, 6/1999, S. 5-14; Matthias Barth, Das amerikanische Jahrhundert, in: Junge Freiheit vom 22.10.1999, Nr. 43, S. 16; „Schurkenstaaten und befreundete Schweinehunde", Gespräch mit Willy Wimmer, früherer parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidiungsministerium und CDU-Bundestagsabgeordneter, Berliner Zeitung Nr. 207 vom 6.9.1999, S. 8. 295 Vgl. auch W. Mäder, Europa ohne Volk Deutschland ohne Staat, S. 115. Ch. Johnston, Ein Imperium verfällt.
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erneut dem latenten amerikanischen Nationalismus gegenüber der „restlichen" Welt Auftrieb geben. Die historische Erfahrung zeige, daß Macht ohne Gegenmacht korrumpiert. 297 Es nützt nicht, die USA zu kritisieren, wenn man selbst nichts unternimmt. Wichtig ist die Feststellung, daß Hegels Machtstaatsgedanke sich zum neuen Jahrtausend nicht verabschiedet hat und auch die Freund-FeindTheorie nicht der Geschichte gehört. Die reale Situation ist eben, daß die USA als Staat das Monopol des Politischen nicht aus der Hand gegeben hat. Dazu gehört das ius belli, eben die reale Möglichkeit, im „Ernstfall" kraft eigener Entscheidung den Feind zu bestimmen und ihn zu bekämpfen. Es ist nur ein Zeichen dafür, daß die Welt sich eben nicht auf den unpolitischen Idealzustand der Universal-Gesellschaft 298 zubewegt, sondern die verschiedenen Völker, Kulturen, Ethnien, Religionen, Klassen und andere Menschengruppen weiter denn je von der Unmöglichkeit des Kampfes zwischen ihnen entfernt erscheinen. 299 Wenn Europa uneins ist, wird der USA oft im Rahmen internationaler Einsätze die Rolle des Vorreiters und Ausputzers zugeschrieben, mit eher moralischer Mission. Im Kampf des Patriotismus gegen Globalismus 300 fehlt es am Selbstbehauptungswillen der politischen Klasse Deutschlands. Die Macht, aber welche, möchte man schon haben, aber die Verantwortung höherer Stelle über296 Dieter Oberndörfer, Der Wahn des Nationalen. Die Alternative der offenen Republik, Freiburg 1993, S. 59. 297 Ebd. 298 Die große Anziehungskraft alles Universalistischen liegt in der menschlichen Schwäche. „Der starke Mann wendet sich davon ab und findet im eigenen Busen, in der eigenen Familie, im eigenen Volk ein Grenzenloses, welches er für den gesamten Kosmos mit seinen unzähligen Sternen nicht hingäbe. Goethe schon hat ausgesprochen, inwiefern das Unbegrenzte, das Absolute einer tragenden Gemütsart entspricht: „Im Grenzenlosen sich zu finden, Wird gern der Einzelne verschwinden. Da löst sich aller Überdruß; Statt heißem Wünschen, wilden Wollen, statt läst'gem Fordern, strengen Sollen, Sich aufzugeben ist Genuß.". 299 Hierzu: C. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), S. 54-68; für die Gegenwart besonders anschaulich: Benjamin R. Barber, Coca Cola und Heiliger Krieg. Wie Kapitalismus und Fundamentalismus Demokratie und Freiheit abschaffen, 2. Aufl., 1997 (engl. Originalausgabe „Jihad vs. McWorld", New York 1995); Samuel P. Huntington, Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, 6. Aufl., München-Wien 1997 (Originalausgabe „The Clash of Civilisations", New York 1996). 300 Überzeugend: Pat Buchanan, Nein zur neuen Weltordnung!, in: Nation & Europa, 5/2000, S. 11-18. Patrick Buchanan hat den Präsidenten Nixon, Ford und Reagan als Berater gedient.
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lassen. Das Gerangel um die Stärke der Bundeswehr, die ständige Diskussion, ob Wehrpflicht oder Berufsarmee, die sinkende Zahl der Soldaten 301 läßt nachhaltige Zweifel aufkommen, daß man ein Mittelland und eine Bevölkerung von ca. 80 Millionen Menschen im Falle bewaffneter Auseinandersetzungen oder nationaler Katastrophen überhaupt schützen kann und will. Schon Hegel wies darauf hin, daß nur mit einem „großen Heer" und „mit der Größe des Ganzen" die „Achtung Anderer" wächst. 3 0 2 Mit dem Zerfall des Ostblocks und dem Wegfall unmittelbarer äußerer Bedrohung in Europa durch Nachbarstaaten wiegt man sich in Sicherheit; man hat ja nur Freunde. Es ist das alte Spiel, das sich in der Geschichte wiederholt: Fällt die äußere Bedrohung weg, wird die bisherige Schutzmacht leicht zum Bedrücker. Versierte Zeitgenossen finden sich womöglich an das Beispiel des Attischen Seebundes erinnert, der die gleichen Mechanismen von Abhängigkeit und Dominanz, wie sie derzeit im Binnenraum der westlichen Allianz sichtbar werden, im fünften vorchristlichen Jahrhundert geradezu paradigmatisch, klassisch vorwegnahm. Als Schutzmacht fungierte die Seemacht Athen nur solange, als die Bedrohung durch den übermächtigen persischen Nachbarn spürbar war. In den Jahrzehnten danach wandelte sie sich mehr und mehr zum Zuchtherrn, der die Verbündeten mit immer höheren „Tributen" drangsalierte, sich von ihnen den Wiederaufbau seiner Tempel finanzieren ließ und Austrittswillige mit drakonischen Strafmaßnahmen bedrohte. A m Ende ließ sich die alte Landmacht Sparta die Zumutungen nicht mehr gefallen. Die Folge war der 27 Jahre währende Peloponnesische Krieg (431 bis 404 v. Chr.), den Athen unter furchtbaren Opfern verlor.303 Soweit sind wir heute - und man muß bei aller scheinbaren Übereinstimmung der Abläufe immer wieder unterstreichen, daß es sich ebenfalls um modellhafte Entsprechungen handelt; denn seit den Tagen des Attischen Seebundes sind nun einmal zweieinhalb Jahrtausende vergangen - noch nicht. Auch ist der „Spartanische" Faktor in der Geschichte des neueren Europa, die Kontinentalmacht Deutschland, heute gründlich und auf lange 301
Radikalumbau der Bundeswehr? Parteien streiten über Expertenplan, in: Der Tagesspiegel Nr. 17045 vom 8.5.2000, S. 1 und 2, zum Konzept der Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr", Mai 2000, unter Vorsitz Richard von Weizäckers, der während und nach seiner Amtszeit als Bundespräsident eigentlich nur durch schöngeistige Betrachtungen auf sich aufmerksam machte. CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz hat in seiner Rede vor dem Bundestag am 12.10.2000 ausgeführt, daß der sinkende Verteidigungshaushalt die Sicherheitsvorsorge gefährdet, die Unterfinanzierung die Bündnis- und Europafähigkeit der Bundeswehr beeinträchtigt und Deutschland jetzt schon ein Unsicherheitsfaktor ist. 302 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 26. 303 Zur Geschichte der Vorherrschaft Athens und des peloponnesischen Krieges Georg Weber Lehr- und Handbuch der Weltgeschichte, 21. Aufl. (Bearb. von Alfred Baldamus), 1. Bd., Leipzig 1910, S. 209 ff.
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Sicht paralysiert, während der atlantische Hegemon seine Vormachtallüren umso ungenierter ausspielen kann. 3 0 4 Mit der Verringerung der Bundeswehr, wogegen das Grundgesetz nichts einzuwenden hat (Art. 87 a Abs. 1 Satz 2), will man zugleich den Bundeshaushalt entlasten. Schon Hegel wußte zu befinden: 305 „Daß die bewaffnete Macht des Staates, ein stehendes Heer , und die Bestimmung für das besondere Geschäft seiner Verteidigung zu einem Stande wird, ist diesselbe Notwendigkeit, durch welche die anderen besonderen Momente, Interessen und Geschäfte zu seiner Ehe, zu Gewerbs-, Staats-, Geschäfts- u. s.f. Ständen werden. Das Räsonnement, das an Gründen herüber und hinüber geht, ergeht sich in Betrachtungen über die größeren Vorteile oder über die größeren Nachteile der Einführung stehender Heere, und die Meinung entscheidet sich gern für das letztere, weil der Begriff der Sache schwerer zu fassen ist als einzelne und äußerliche Seiten, und dann weil die Interessen und Zwecke der Besonderheit (die Kosten mit ihren Folgen, größeren Auflagen u.s.f.) in dem Bewußtsein der bürgerlichen Gesellschaft für höher angeschlagen werden als das an und für sich Notwendige, das auf diese Weise nur als ein Mittel für jene gilt." In der Parteiendemokratie, wobei die Partei die Demokratie dominiert und ihre Repräsentanten die Verbindung zum Volk und Staat kontinuierlich, schleichend auszehren, 306 weiß man mit einer Armee nichts mehr so recht anzufangen, liefert man sich die Argumente für Auflösungstendenzen selbst in die Hand. Die Frage der Kriegs- oder Militärmacht ist bei der Befindlichkeit deutscher Meinungsführer mit pazifistischer Gesinnungsreinheit allein schon suspekt, die der Fragestellung eine bellizistische und revisionistische Einstellung unterlegen. Wenn schon die Abschaffung der Bundeswehr noch politisch einen Rechtfertigungszwang gebiert, würde man die Bundeswehr in einer europäischen Armee und mit ihr Deutschland in einem europäischen Staat aufgehen sehen. 307 Die Beschreibung der früheren Regierung unter dem Bundeskanzler Kohl und der politischen Klasse zum europäischen „Gesellschaftsmodell" diffe304 Karl Richter, Deutsche unter US-Hegemonie, S. 6; ders., Auf dem Marsch in die „One World": Die Leasing-Armee, in: Nation & Europa 6/2000, S. 5-10, zur Bundeswehr als „Dienstleister" und den Deutschen als eine unter den vielen Heloten der „Neuen Weltordnung". - C. Johnson, Ein Imperium verfällt. - Zum „Okzident gegen Europa": G. Faye, Rede an die europäische Nation, S. 71-87. 305 Hegel, Rechtsphilosophie, § 326 (334), S. 282. 306 Zum Maximun an Repräsentation und zur Ignorierung des Subjektes der politischen Einheit, des Volkes vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre (1928), S. 215. 307 Hierzu und im folgenden W. Mäder, Europa ohne Volk ..., S. 85. - Zu einer „europäischen Eingreiftruppe" Reinhard Mutz, Europa unter falscher Flagge, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 2/2000, S. 140 ff.
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riert von den Modellen Frankreichs und Englands zu Europa, v.a. zum Konzept des Europa der Nationalstaaten, 308 der Solidarität zwischen den Völkern und Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten der EU. Verbal wird das letztgenannte Konzept aufrechterhalten, politisch verdeckt ist ein europäischer Bundesstaat, d.h. die Vereinigten Staaten von Europa das Ziel: So das CDU-Grundsatzprogramm vom 5. Parteitag am 20. bis 23.2.1994, Nr. 88. Unter Nr. 126 lesen wir weiter: „Die Europäische Union muß über Möglichkeiten eines eigenen militärischen Handelns verfügen können. Wir setzen uns daher für eine Integration nationaler Einheiten in europäische Sicherheitsstrukturen ein." Die supranationalen Grundlagen sind mittlerweile geschaffen. Als weiteren Integrationsschritt sieht die „Zweite Säule" des EU-Vertrages i.d.F. des Amsterdamer Vertrages von 1997, den die Kohl-Regierung maßgebend mit ausgearbeitet hat, in den Bestimmungen über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (Art. 11 ff. EU-Vertrag) vor: schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen kann; Westeuropäische Union (WEU) als integraler Bestandteil der Entwicklung der Union; Möglichkeit der Integration der WEU in die Union (Art. 17 Abs. 1 EU-Vertrag). Die Frage der Verteidigungs-, Selbstbehauptungs- und Militärmacht betrifft zwar auch die materiellen Grundlagen, aber insbesondere die immaterielle Grundlage, das Sittliche des Staates. Mit dem Schwinden der Pflicht des (der) Einzelnen, Gefahren für den Staat abzuwehren, sich deshalb in Gefahr zu begeben und sich äußerstenfalls aufzuopfern, wird das Werteband zwischen Staat und dem Einzelnen zerschnitten. Der Einzelne erlangt mehr Freiheit, aber um des Preises willen, daß niemand die Freiheit schützt. „Volk" als Element des Staates im Sinne von „permanent population" ist zugleich Herrschaftssubstrat und Gegenstand staatlicher Personalhoheit. 309 Mit dem Schwinden der Macht des Staates 310 nach innen wird die Staatsangehörigkeit zur Rechtsförmelei: Die Staatsangehörigkeit beinhaltet grundlegende, Staat und Angehörige verbindende Rechts- und Pflichtenpositionen. 3 1 1 Ohne grundlegende Rechte und Pflichten (Schutz der Freiheit einerseits und Aufopferung andererseits) verliert der Staat seine Angehörigen. 308 Hans Schauer, Nationale und europäische Identität. Die unterschiedlichen Auffassungen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 10/1997, S. 3-13. 309 Rolf Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR I 1 , 1987, § 14 Rn. 3. 310 Zur Staatsgewalt und deren Schwinden vgl. auch Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999. 311 BVerfGE 37, S. 217 (239); R. Grawert, Staatsvolk ..., § 14 Rn. 33.
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Im Souveränitätsspektrum heißt Herrschen Gehorsam finden, wirksam befehlen. „Die regelmäßige Wirksamkeit der Gebote ist für das Ganze der Herrschaft wesensnotwendig, nicht aber für die Einzelbefehle. Niemals ist einer Herrschaft von allen in jedem Augenblick gefolgt worden; im selben Augenblick ist sie aber verschwunden, wo sie auf Anerkennung in einem soziologisch, d.h. für ihre Durchsetzung als Ganzes relevantem Maße nicht mehr rechnen konnte. Oboedientia facit imperantem. , . . " 3 1 2 Soweit der Staat sich allmählich darauf beschränkt, Steuern, Abgaben oder Gebühren festzusetzen und einzutreiben, die Deutsche und Nichtdeutsche, Staatsangehörige und Ausländer gleichermaßen treffen und die im Falle der Säumigkeit durch Zwang beglichen werden, handelt es sich um Herrschaft, obwohl Zwang ein Element der Herrschaft, ein Ersatz von Unterwerfungsakten Einzelner ist, jedoch nicht das Ganze der Herrschaft ausmacht. Ein reiner Steuern- und Abgaben - „Staat" reduziert sich auf „Geschäfte" mit der bürgerlichen Gesellschaft im Hegeischen Sinne. Erinnerung an Sieyés wird wach, der, in äußerster Zuspitzung der Gesellschaftsvertragslehren, den Staat als eine Art Aktiengesellschaft auffaßt: „Die Steuer zahlenden Bürger müssen also als Aktionäre des großen Unternehmens Gesellschaft angesehen werden: von den Bürgern erhält es das Betriebskapital, ihnen untersteht es, für sie existiert und arbeitet es, ihnen gehören auch alle seine Erträge." 3 1 3
I I . Die Finanzmacht a) Dasselbe Bild der Ohnmacht wie beim Militärwesen, so Hegel für seine Zeit, zeige die Finanzmacht Deutschlands. „In dem gleichen Falle, in welchem sich die deutsche Staatsgewalt mit der Kriegsmacht befindet, befindet sie sich mit den Finanzen, welche, nachdem die europäischen Staaten sich mehr oder weniger von der Lehnsverfassung entfernt haben, ein wesentlicher Theil der Macht geworden sind, welche sich unmittelbar in den Händen der obersten Staatsgewalt befinden muß."314 „ . . . ein Dorf, eine Stadt, die Zunft einer Stadt usw. besorgt die Finanzsachen, die nur sie angehen, selbst, unter der allgemeinen Aufsicht, nicht aber unter den Befehlen des Staates - noch aber auch findet eine Finanzeinrichtung, welche die Staatsgewalt selbst beträfe, statt." 3 1 5 312 313 314 315
Η Hellen Die Souveränität (1927), S. 62 f. Emanuel J. Sieyés, Politische Schriften 1788-1790, 2. Aufl., 1981, S. 70. Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 32. Ebd., S. 32 f.
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Deutschland besitze also auch nicht „die Art von Macht, die in unseren Zeiten zum Wesen des Staates gehört, eine Geldmacht." 3 1 6 Schließlich: „Eine Menge, die durch diese Auflösung der Kriegsmacht und Mangel an Finanzen keine Staatsgewalt zu bilden gewußt hat, ist unvermögend, ihre Unabhängigkeit gegen auswärtige Feinde zu vertheidigen. Sie muß dieselbe nothwendig, wenn nicht auf Einmal, doch nach und nach, zu Grunde gehen sehen, im Kriege allen Plünderungen und Verwüstungen ausgesetzt sein, muß nothwendig die Hauptkosten desselben für Freund und Feind tragen, muß Provinzen an auswärtige Mächte verlieren und bei vernichteter Staatsgewalt über die einzelnen Glieder und verlorener Oberherrlichkeit über die Vasallen Nichts als souveräne Staaten in sich schließen, die als solche nach der Macht und List sich gegen einander verhalten, deren stärkere sich ausbreiten, und deren schwächere verschlungen werden, während die bedeutenderen gegen eine große Macht doch wieder ohnmächtig sind." 3 1 7 b) Auch in der neuen Zeit wird die Währungshoheit ausschließlich als Staatsaufgabe begriffen. 318 Ausschließlich sind Staatsaufgaben, deren Erfüllung wesentlich und notwendig durch Einsatz des staatsvorbehaltenen Mittels, des physischen Zwangs (Justiz, Zwangsvollstreckung, Polizei und Militär) geprägt wird, aber auch jene Aufgaben, die unter heutigen gesellschaftlichen Bedingungen notwendig der einheitlichen Entscheidung bedürfen, wie eben die Währungshoheit. Die Währungshoheit ist eine Kompetenzübertragung „aus dem innersten Kern der staatlichen Souveränität". 319 In der Zeit nach 1945 war Deutschland im Westen zu einer wesentlich von Wirtschaft und Währung und sozialer Leistung bestimmten Teilnation geworden. Die (West-)Deutschen haben ein ökonomisch fundiertes Selbstgefühl entwickelt. Die DM, Deutsche Mark, wurde zum Symbol des Staates. 3 2 0 Sie waren durch die Niederlage, durch die alliierte Entscheidung vom 5. Juni 1945 die Verantwortung für das eigene außen- und sicherheitspolitische Schicksal 321 losgeworden. Eine Rückkehr zur klassischen Außenpolitik ist unter Hinweis auf das zusammenwachsende Europa und einge316
Ebd., S. 37. Vgl. auch H. Heller; Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke ..., S. 65. 317 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 38 f. 318 Josef Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR III 1 , 1988, § 57 Rn. 150; W. Mäder, Europa ohne Volk..., S. 13 ff. 319 Meinhard Schröder, Das Bundesverfassungsgericht als Hüter des Staates im Prozeß der europäischen Integration, in: DVB1. 6/1994, S. 316 [324 m.w.N.]. 320 Zum Wertgehalt von politischen Symbolen für die sachliche Integration: Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (1928), in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 3. Aufl., 1994, S. 119 [162 f.]. 321 Vgl. hierzu auch C. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), S. 51 ff.
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denk der Einbettung Gesamt-, d.h. West- und Mitteldeutschlands, in die Europäische Union ohnehin gewollt. Die Souveränität steht auf der Grenze zwischen Recht und Wirklichkeit, ist eine Kategorie des Rechts, ihre Substanz die Macht. 3 2 2 Vor dem Hintergrund der Nachkriegsentwicklung und der Lage durch und nach der Wiedervereinigung 1989/90 gewinnt die Währungsunion verfassungsrechtliche Bedeutung. Mit dem Eintritt der Bundesrepublik Deutschland in die 3. Stufe der Währungsunion hat sich der „schleichende" Souveränitätsverlust praktisch vollendet. 323 c) Was das Deutsche Reich seinerzeit, 1801, noch nicht hatte, die Geldmacht, besitzt Deutschland 2002 nicht mehr. A m 1.1.2002 tritt die DM, Ausdruck des deutschen Wirtschaftswunders und des nationalen Selbstwertgefühls des Nachkriegsdeutschlands, ab. An ihre Stelle tritt der Euro. 3 2 4 „Fragt man nach den wichtigsten Begründungen für den Euro", so befindet Baring, „könnte man zugespitzt besonders drei nennen: erstens Kohl, zweitens Kohl und drittens K o h l " . 3 2 5 Die Währungsunion ist ein altes Anliegen Frankreichs, das ein Feld deutscher Überlegenheit einebnen wollte. 3 2 6 Helmut Kohl wird später einmal nicht „Kanzler der Einheit" heißen, weil zutage treten wird, daß er fest an der Auflösung des deutschen Staates mitgezimmert hat. Seine beliebte Redewendung war der „Bau des europäischen Hauses". Erstmals seit der Gründung des Deutschen Reichs 1871 hat eine Regierung, die Bundesregierung, noch während ihrer Amtszeit eine umfassende Sammlung vertraulicher Akten über einen zentralen Abschnitt ihres Wirkens offen gelegt. In der Reihe „Dokumente zur Deutschlandpolitik" hat sie den Band „Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90" herausgegeben. Damit werden auf 1398 Seiten Dokumente der Vorgeschichte der deutschen Vereinigung präsentiert. Der Uneingeweihte kommt aus dem Staunen nicht heraus, wurde doch in der von der 322
Vgl. auch Albrecht Randelzhofer , Staatsgewalt und Souveränität, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR I 1 , 1987, § 15 Rn. 3, 31. 323 Zur Wirklichkeit und Kraft des Staates: Carl Schmitt, Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen, in: ders., Der Begriff des Politischen (1932), a.a.O., S. 38 ff.; zu wirtschaftlichen Verbindungen in einem „Bund4', so zur Währungsunion und ihrer Bedeutung, wenn sie die politische Existenz des Staates betreffen, ders., Verfassungslehre (1928), 8. Aufl., 1993. 324 Siehe hierzu und zur europäischen Währungsunion Wilhelm Hankel/Wilhelm Nölling/Karl Albrecht Schachtschneider/Joachim Starbatty, Die Euro-Klage. Warum die Währungsunion scheitern muß, Reinbek 1998; Arnulf Baring, Scheitert Deutschland?, 1997, S. 13 ff., 183 ff. 325 A. Baring, Scheitert Deutschland?, S. 255. 326 Ebd., S. 258.
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deutschen Regierung veröffentlichten Meinung der Euro als europäische „Wundertat" und als Wegbereiter des politisch zu vereinigenden Europas heilsverkündet. Die Wahrheit sieht anders aus. Mitterand hat Kohl als Preis für seine Zustimmung zur Wiedervereinigung das unbedingte Ja zur dritten Stufe der Währungsunion und damit zur Einführung des Euro abgepreßt. Kohl bekannte später, im Frühsommer 1997, in kleiner Runde: „Damals habe ich die dunkelsten Stunden meines Lebens durchgemacht." 327 Das Ergebnis des politischen Handels läßt sich nüchtern in den Artikeln 4 und 98 bis 124 des EG-Vertrages nachlesen. „Die Währungsunion als Hebel, als Türöffner für die politische Union - das ist mithin die falsche Reihenfolge. Das wußte Kohl gut, als er 1990/91 immer wieder das Junktim von politischer Union und Währungsunion betonte. Leider hat er diesen wichtigen Gedanken dann aufgegeben, ihn sich ausreden lassen. Dennoch bleibt wichtig: Eine funktionierende Währungsunion setzt die politische Union voraus, nicht umgekehrt. .. . " 3 2 8 Die jahrzehntelang für richtig gehaltene Konzeption ist auch heute noch richtig: die sogenannte Krönungstheorie. Sie geht davon aus, daß zunächst eine Wirtschaftsunion geschaffen wird, der sich die politische Union anschließt, und erst am Ende folge mit der Währungsunion dann die Krönung. An dieser Stelle ist ein Blick zurück in die Geschichte hilfreich. 3 2 9 Es hat in der Vergangenheit schon eine Reihe von Währungsunionen gegeben. Sie sind entweder gescheitert, oder es war ihnen, soweit sie erfolgreich waren, eine Einigung, eine politische Union, eine Staatenbildung vorangegangen. 3 3 0 Wir haben es mit dem latent gefährlichen Zustand zu tun, daß Deutschland kein Staat mehr ist, die Europäische Gemeinschaft bzw. Union, die keine politische Union, sondern nach dem BVerfG ein Staatenverbund ist, aber kein Staat. Die politische Form Deutschlands gerät außer Form, während die Europäische Union der politischen Form harrt. Aber: irgendwo bleibt die Macht. Die Bürger, die der Regierung, weniger wohl denn übel, auf dem Weg in die Währungsunion folgen müssen, haben ein Recht darauf, wenigstens in groben Umrissen zu erfahren, wie die angestrebte politische Einheit aussehen soll. Seinerzeit in Bonn, aber nicht nur dort, betonte man bis hinauf zum Bundeskanzler, daß die Vereinigten Staaten von Europa nicht das Ziel seien. Was dann? Das ist eine Frage, auf die es nicht einmal ansatzweise in der offiziellen Politik Antwort gibt. Der europäischen Integration fehlen heute - vor der Osterweiterung - präzise Perspektiven. Wie weit soll sie 327 328 329 330
Vgl. W. Mäder, Europa ohne Volk Deutschland ohne Staat, S. 138 ff. [140]. A. Baring, Scheitert Deutschland?, S. 221. Diesen gibt A. Baring, Scheitert Deutschland?, S. 242-245. Ebd., S. 242.
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gehen? Der Bürger wird, selbst wenn die Politik Klarheit hätte, im Unklaren gelassen. Oder wie soll man das CDU-Grundsatzprogramm vom 5. Parteitag vom 20.-23.2.1994, wenn es sein Papier wert ist, anders interpretieren, wird doch hierin vollmundig „Die Europäische Union vollenden" verkündet und eher versteckt doch der europäische Bundesstaat propagiert. „Was an der Politik, auch Europapolitik mißfällt, ist ihre fehlende Verankerung in harten Realitäten. Diejenigen, die bei jeder Gelegenheit betonen, keine Patentrezepte zu haben, preisen die Europäische Währungsunion (EWU) und den Euro als glänzende Antwort auf eine so gewaltige Frage wie den immerwährenden Frieden in Europa an. Da werden großartig klingende, visionäre Vorhaben propagiert, statt die täglichen Hausaufgaben zu machen. Probleme, die man im eigenen Lande selber nicht anpacken will, werden auf die europäische Ebene verschoben, wo sie unerledigt liegen bleiben. Denn wenn ein Politiker von einem Problem behauptet, es müsse europäisch gelöst werden, weiß man, daß er nichts Konkretes vor Ort zu unternehmen gedenkt." 331
I I I . Die Territorialgewalt - das Staatsgebiet So verhält es sich auch in der Ausländer- und Einwanderungspolitik mit einem Durcheinander, das keiner durchblickt. Für Deutschland fehlen klare politische Konzepte. Die Regierung Kohl wollte den Zuzug von Ausländern nachhaltig eindämmen. Tatsächlich hat sich während ihrer Regierungszeit die Zahl der Ausländer mehr als verdoppelt. Die Europäische Union möchte die im Prinzip „unpolitische", d.h. liberalistische unbegrenzte oder tatsächlich nicht begrenzbare Freizügigkeit von Drittstaatlern durchsetzen, vordergründig mit ihrer Ideologie der Wahrung der Menschenrechte, die nach ihrer Ansicht nur sie wahren kann, 3 3 2 letztlich aber mit dem politischen Ziel, die Territorialgewalt der Mitgliedstaaten zu brechen. Die Bundesrepublik Deutschland hat der Europäischen Gemeinschaft seine Hoheit über Nichtdeutsche und damit seine Territorialgewalt abgegeben. Nach innen beseitigt sie die Identität des Volkes, um eine beliebige Bevölkerung an seine Stelle treten zu lassen. a) Beides, die militärische wie finanzielle Ohnmacht, habe es, so Hegel für seine Zeit, Deutschland unmöglich gemacht, das Reichsgebiet gegen Feinde zu verteidigen. 333 331
Ebd., S. 246. Hierzu Erhard Denninger, Menschenrechte und Staatsaufgaben - ein „europäisches" Thema, in: JZ 12/1996, S. 585-590. 333 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 39 ff. 332
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„Die Länder, welche das deutsche Reich in dem Fortgänge mehrerer Jahrhunderte verloren hat, machen eine lange traurige Liste aus. Die Staatsrechtslehrer, theils weil überhaupt die Gesetze der Verfassung und der Organisation der Staatsgewalt zu nichte geworden sind und Wenig oder Nichts abzuhandeln geben, müssen sich an der Beschreibung der leer und bedeutungslos gewordenen Zeichen als Insignien dessen, was war, und der Ansprüche halten, theils führen diese Ansprüche eben die tröstende Rührung mit sich, mit welcher ein verarmter Edelmann die letzten Überreste seiner verschwundenen Ahnen bewahrt, - ein Trost, der den Vortheil hat, sicher und ungestört zu bleiben." 3 3 4 Hegel zählt die „lange traurige Liste" jener Länder auf, die das Reich im Laufe der Zeit verloren hat. Dabei will er ganz absehen von den Gebieten, die nur dem römischen Kaiser als solchem unterstanden. Denn diese „unnatürliche Vereinigung von Ländern, deren geographische Lage ebenso als die Individualität der Völker sie trennte", zu behaupten, hätte das Reich weder die Kraft noch den Willen gehabt. 335 Dagegen bedeutete der Verlust der vielen, besonders deutschen Besitzungen, die vornehmlich an Frankreich verloren gingen - einen „wirkliche [n] Verlust" nennt er die Abtretung des Elsaß 3 3 6 - eine ebenso schwere Machteinbuße, wie er Umstand, daß deutsche Reichsteile unter die Herrschaft fremder Regenten kamen. Nicht weniger hätten auch die Unabhängigkeitsprivilegien zur Auflösung der Reichsmacht beigetragen. Nun sind Fragen des Gebietsverlustes, der räumlichen Verkleinerung des Staatsgebiets, die für Hegel bedeutend waren, heute kein Thema mehr. Die Abtretung der durch den 1. und den 2. Weltkrieg verloren gegangenen Gebiete ist endgültig. 3 3 7 Die Souveränität Deutschlands ginge dadurch nicht verloren. Ein Staat in der Größe und in den Grenzen des heutigen Deutschlands ist aus der Sicht des Völkerrechts souveränitätsfähig. Das Problem der Staatsgewalt stellt sich für das verbliebene Territorium, das Bundesgebiet. Ist das, was ein Staat ausmacht, nach Heller die universale Gebietsentscheidungs- und Wirkungseinheit, noch vorhanden? Eine Vorstellungsverknüpfung zu Hegel ist durchaus in einem Aspekt möglich. Hegel zu den Folgen der Uneinigkeit deutscher Länder: „Ebenso zerstörend für den deutschen Staat war der Umstand, daß das deutsche Reich fremden Mächten, nachdem diese sowohl mit Gewalt als gerufen sich in Deutschlands Angelegenheiten gemischt, es von einem Ende zum anderen verwüstet hatten und den Frieden dictierten, in diesem 334 335 336 337
Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 39. Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 40. Ebd., S. 41. Hingegen David Irving, Deutschlands Ostgrenze, 6. Aufl., Kiel 1998.
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Frieden über seine Verfassung und inneren Verhältnisse die Garantie übertrug und damit seine Unfähigkeit, sich selbst als Staat und Verfassung zu erhalten, anerkannte, sowie es seine inneren Angelegenheiten dem Interesse Fremder preisgab." 338 Eine „innere Schwächung" 339 bedeutet die Vergemeinschaftung der Asyl-, Zuwanderungs- und Einwanderungspolitik. Die Vergemeinschaftung ist von der Regierung Kohl in der Regierungskonferenz 1996/97, deren Ergebnis der Vertrag von Amsterdam 1997 ist, mit eingeleitet worden. Hegel schließlich: „Ein Land, dessen eine Hälfte im Kriege sich entweder selbst unter einander herumschlägt oder die allgemeine Vertheidigung aufgibt und durch Neutralität dem Feinde preisgibt, muß im Kriege zerfleischt, im Frieden zerstückelt werden, weil die Stärke eines Landes weder in der Menge seiner Einwohner und Krieger, noch seiner Fruchtbarkeit, noch seiner Größe besteht, sondern allein in der Art, wie durch vernünftige Verbindung der Theile zu einer Staatsgewalt alles Dies zum großen Werke der gemeinsamen Vertheidigung gebraucht werden kann." 3 4 0 Hegel meint hier nicht allein die militärische Verteidigung, sondern die Selbstbehauptung des Staates und seiner Teile zu Einem Ganzen. 341 Die politische Klasse mag zwar „in Gedanken" meinen wollen, daß sie den Staat noch selbst behaupten kann, und vielleicht glaubt sie es, wenn sie es will. Die Realität ist eine andere, und die Macht, sich selbst zu behaupten, schwindet. Mit dem „Völksbewußtsein" weiß man nichts anzufangen. Dabei verdrängt sie oder sieht es nicht, daß damit ihr Einfluß schwindet. Nation als politische „Zielsetzungsgemeinschaft" mutiert bei ihr zur Hülse, ist man doch nicht in der Lage, Ziele zu vermitteln. 3 4 2 Die politische Klasse inszeniert den Verfassungswandel. b) Mit dem Amsterdamer Vertrag von 1997 wurden weitere wichtige Politikbereiche auf die Europäische Gemeinschaft verlagert, so die Kompetenz für Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr nach Titel IV des EG-Vertrages (Art. 61-69). Teilgebiete 338
Hegel , Verfassung Deutschlands, S. 42. Ebd., S. 42. 340 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 47 f. 341 Zur Selbstbehauptung des Staates, zur Staatsräson und zum Konflikt mit dem Verfassungsrecht auch J. Isensee, Verfassungsrecht als „politisches Recht", § 162 Rn. 15, 76 f. - Zur Dämonie der Macht im politischen Denken Friedrich Meineckes Walter Hofer, Geschichte und Ethik. Friedrich Meinecke als politischer Denker, in: Der Monat Heft 51/1952, S. 258-260. 342 Zur Selbstsucht von Regierenden und zum Verfall einer Nation: Johann Gottlieb Fichte, Reden an die deutsche Nation (1808), Erste Rede, Leipzig 1909, S. 6 ff. 339
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des Bereichs Justiz und Inneres gehen ebenfalls an die Gemeinschaft. Der Rat handelt während eines Übergangszeitraums von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags einstimmig; danach kann er einstimmig beschließen, daß auf alle Bereiche oder Teile der Bereiche, die unter Titel IV fallen, das Verfahren des Artikel 251 EG-Vertrag (qualifizierte Mehrheit) anzuwenden ist (Art. 67). 3 4 3 c) Deutschland hat keine oder keine uneingeschränkte Territorialmacht mehr. Diese gibt sie von selbst aus der Hand. 1. Die Flucht ins Niemandsland Ein Staat, der die Politikbereiche und Kompetenz, d.h. Hoheit für Visa, Asyl, Einwanderung, Zuwanderung (Flüchtlinge), Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen und damit seinen Raum aufgibt, gibt sich selbst auf und verzichtet darauf, sich nach außen zu behaupten. Diese Bereiche gehören zum Kern der Herrschaft. 344 Die Gebietshoheit wird dem Grunde nach aufgegeben. Der Staat ist heute nicht bloßer Personen verband, sondern Territorialstaat, der Hoheitsgewalt über ein bestimmtes Gebiet ausübt. 3 4 5 Mit der Übertragung der Kompetenzen auf die Gemeinschaft verlieren sich die Anwendungsvoraussetzungen für elementare Rechte im Niemandsland. Die Fähigkeit zur Freiheit, die Bereitschaft zum Recht, die Gemeinsamkeit einer Demokratie wird durch den Staat vermittelt. 3 4 6 „Die moderne Verfassungslehre nimmt den Staat als Garanten der weltweit geltenden Menschenrechte in die Pflicht, verwirklicht also die allgemeine Idee der Jedermannsrechte in dem jeweiligen Verfassungsstaat." 347 Staatenübergreifende Rechte werden durch Staaten gewährleistet. Diese zugleich vornehmen ethischen Grundwerte sind Grundlage des Selbstbestimmungsrechts eines Volkes, der Völker. 3 4 8 Der Staat des Grundgesetzes darf diese Elemente 343 Zur Kompetenzerweiterung und -anhäufung für die Europäische Gemeinschaft: W. Mäder, Europa ohne Volk Deutschland ohne Staat, 1999, S. 27 ff. 344 W. Mäder Europa ohne Volk ..., S. 39 f. 345 Vgl. Paul Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, 1992, § 183 Rn. 24 ff.; ders.: Die Staatenvielfalt - Ein Wesensgehalt Europas, in: Jürgen Hengstschläger u.a. (Hrsg.), Für Staat und Recht, Festschrift für Herbert Schambeck, 1994, S. 947 [951]. 346 Alain de Benoist, Demokratie: Das Problem (1985), dt. Ausgabe Tübingen 1986; ders., Repräsentative und mitwirkende Demokratie (1993), in: ders., Aufstand der Kulturen, Berlin 1999, S. 213-219. 347 P. Kirchhof, Der deutsche Staat ..., § 183 Rn. 39. 348 P. Kirchhof, Der deutsche Staat ..., § 183 Rn. 40, zum Selbstbestimmungsrecht. 6 Mäder
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nicht aufgeben, um des Selbstverständnisses willen, aber auch zugleich um der Gefahr vorzubeugen, daß der Einzelne sich in eine Position der Neutralität, Passivität oder Distanz zurückzieht, weil eine andere Macht, die er nicht demokratisch legitimiert, 3 4 9 die Zuständigkeit übernimmt. „Europäisches Rechtsdenken wehrt eine vereinheitlichende Verstaatlichung in Europa ab, verlangt aber die einheitliche rechtliche Verpflichtung der Staaten auf elementare Rechtsprinzipien und ihre Offenheit für die Zusammenarbeit unter den Völkern. 3 5 0 Eine Menschen- und Friedensordnung in Europa setzt nicht den Verlust von Staaten, sondern eine rechtliche Bindung der Staaten voraus, die gerade auch die Unterscheidung von Staatsvölkern und Staaten zum Inhalt hat. Ein in seinem Staat, seinem Recht und seiner Kultur verwurzeltes Staatsvolk verdient nicht Argwohn; das Pluriversum der Staaten und Staats Völker 351 rechtfertigt nicht Bedenklichkeiten, die mit der europäischen Integration das Unbehagen an der Geschichte der Staaten in Europa abschütteln, vielleicht der Identität des eigenen Staatsvolkes entfliehen oder eine ,Unregierbarkeit' von Staaten erübrigen wollen. , . . " 3 5 2 Die politische Klasse Deutschlands will dem deutschen Volk entfliehen, seine Identität aufgeben, weil ihr die Unterscheidung von Freund und Feind, Eigenem und Fremden als Erblast erscheint. Dabei nimmt sie in Kauf, daß in einem Vielvölkerstaat die nichtdeutschen Volksteile, die sich nicht selbst aufgeben, ihr irgendwann die Gefolgschaft verweigern und daß sie die Herrschaftsordnung, die sie trägt, zerstört. Noch einmal Paul Kirchhof: 353 „Der gegenwärtige Staat in Europa ist also eine rechtlich verfaßte, auf Leitideen des Rechts vom Staate und ihre konkreten Ausprägungen verpflichtete Institution. Seine Formalstruktur läßt sich durch ,die mit ursprünglicher Herrschermacht ausgerüstete Verbandseinheit seßhafter Menschen' 3 5 4 als Herrschaftsorganisation für das menschliche Zusammenle349
„Es fehlt der Europäischen Gemeinschaft die Klammer zwischen Volk und Regierung.44: Marcel von Donat, Wie kommt die EG zu einem Volk?, in: EGmagazin 5/1993, S. 10 f. - Zum strukturellen Demokratiedefizit der EG siehe Dieter Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, in: JZ 12/1995, S. 581-591; vgl. ferner W. Mäder, Politische Einheit, soziale Homogenität und Solidarität im Verfassungsstaat, a.a.O, S. 734 m.w.N. unter Fn. 329-343. 350 P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, § 183 Rn. 41. 351 Zum Pluriversum der Staaten und Völker schon C. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), S. 58. 352 P. Kirchhof, Der deutsche Staat ..., § 183 Rn. 42 (kursiv vom Verfasser). 353 P. Kirchhof, Der deutsche Staat ..., § 183 Rn. 31. 354 „Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3 1959 (Neudruck), S. 180 f. 44.
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b e n 3 5 5 erfassen. Diese Herrschaftsorganisation wirkt auf die innere Einung und Abgrenzung hin: Der Inhaber der Staatsgewalt sichert den Zusammenhalt des Staates durch Entscheidung und Zwang, der Staat hebt seine Staatsangehörigen von Fremden rechtlich und tatsächlich ab, beansprucht Führung, indem er Eigenes vom Allgemeinen, Zugehöriges vom Fernstehenden unterscheidet. Die Staatstheorie betont den Gegensatz von Freund und Feind, 3 5 6 um dem Denken und Handeln eine verläßliche Ausrichtung zu geben. ..." Die politische Klasse ist nicht in der Lage, ihrem Denken und Handeln eine verläßliche politische Ausrichtung zu geben. Diese Mühen will man gern anderen überlassen, den Bürokraten und vor allem Ideologen in Brüssel, die wohl dort allein die Hüter der Menschenrechte in Europa zur Vorbereitung einer weltumspannenden Herrschaft einer Internationalen sind. Diesen arbeitet die politische Klasse z u . 3 5 7 Sie vergißt die Gebundenheit von Staat und Recht im Vorgefundenen. 358 Diese Gebundenheit von Staat und Volk meint nicht bloße Abhängigkeit vom Zeitgeist, 359 sondern das Hineingeborenwerden der Mitglieder eines Volkes in Kultur und Geschichte. 360 Hegel 3 6 1 erfaßt das geistige Umfeld, das in Sitte und Sittlichkeit, in Recht und Verfassung sich ereignet, im „objektiven Geist". Im Wechselspiel zwischen den objektiven Sinngehalten allgemeiner Normen und ihrer Verwirklichung durch das Wissen, Wollen und Handeln des einzelnen läßt sich der Staat auf objektiv-allgemeine Normen zurückführen, die von der Zustimmung und Gesinnung der Rechtsgenossen getragen sind. „Der Staat ist das vorhandene, wirklich sittliche Leben." 3 6 2 „Europäisches Rechtsdenken", so Paul Kirchhof, „wehrt eine vereinheitlichende Verstaatlichung in Europa a b . " 3 6 3 Die Vergemeinschaftung der durch Art. 63 EG-Vertrag geregelten Materien ist eine solche „vereinheitlichende Verstaatlichung". Eine Menschen- und Friedensordnung in Europa setzt nicht den Verlust von Staaten, sondern eine rechtliche Bindung der 355
„Vgl. Martin Draht, „Staat", in: EvStL3 II, Sp, 3306 (3307 f.)". „Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, 1932, S. 13 ff., bes. S. 17; ders., Feindschaft - Grundbegriff des Politischen? (1965), in: ders., Recht - Politik - Verfassung, 1986, S. 212 f.". 357 Hierzu P. Kirchhof, Der deutsche Staat ..., § 183 Rn. 26. 358 Hierzu P. Kirchhof, § 183 Rn. 28. 359 Zu den Abirrungen durch den Zeitgeist hervorragend Gottfried Dietze, Deutschland: schöner und besser, St. Augustin 2001. 360 Johann Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, 1784 f., Neuntes Buch, 3. 361 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Philosophie der Weltgeschichte, Einleitung B, c. 362 Ebd., Einleitung B, c. 363 P. Kirchhof, Der deutsche Staat ..., § 183 Rn. 41. 356
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Staaten voraus, die gerade auch die Unterscheidung von Staatsvölkern, Nationen und Staaten zum Inhalt hat. 3 6 4 Das Fremdenrecht in und für Deutschland soll demgegenüber von Nichtdeutschen, insbesondere den „Ratsherren" geregelt werden. Das deutsche Parlament und sein Souverän, das deutsche Volk hat nichts mehr zu sagen. Eine Staatsräson ist der politischen Klasse Deutschlands fremd. Die Übertragung dieser elementaren Hoheitsrechte war weder erforderlich noch im nationalen Interesse notwendig; sie ist auch völlig ungeeignet, die Zuwanderungsprobleme zu lösen, wie in der Schrift Europa ohne Volk Deutschland ohne Staat unterlegt ist. 3 6 5 Gegenstand ist die tatsächliche Übertragung von Hoheitsrechten mit Verfassungsbeeinträchtigung, da die Bundesrepublik Deutschland ihren ausschließlichen Herrschaftsanspruch im Geltungsbereich des Grundgesetzes verliert und der unmittelbaren Geltung und Anwendbarkeit eines Rechts aus anderer, fremder Quelle Tor und Tür öffnet und Raum überläßt. Die Probleme werden auf die EU-Ebene verschoben und potenziert. Margaret Thatcher schreibt in ihren Erinnerungen: „Das Bedürfnis der heutigen deutschen Politiker, ihr Nationalbewußtsein mit einer weiter gefaßten europäischen Identität zu verschmelzen, ist zwar verständlich, doch es stellt die selbstbewußten Staaten Europas vor Probleme. Weil die Deutschen eine Scheu haben, sich selbst zu regieren, versuchen sie ein europaweites System zu schaffen, in dem sich keine Nation mehr selbst regiert. Doch auf lange Sicht kann ein derartiges System keine Stabilität besitzen." 366 Arnulf Baring: „Auch deshalb ist die Einheit Europas weit entfernt, die Probleme dieses Kontinents zu lösen, ist Europa zur Ausrede geworden, um sie nicht erkennen und anpacken zu müssen. 367 (...) Probleme, die man im eigenen Land selber nicht anpacken will, werden auf die europäische Ebene verschoben, wo sie unerledigt liegen bleiben. Denn wenn ein Politiker von einem Problem behauptet, es müsse europäisch gelöst werden, weiß man, daß er nichts Konkretes vor Ort zu unternehmen gedenkt. Die Regierung soll in Deutschland mutig Ordnung schaffen, statt uns zusätzlich Risiken und vermeidbare Probleme aufzuhalsen.. , " 3 6 8 Wie die Zeiten sich doch nicht so schnell verändern. Schon für von Treitschke, der alle „teutonische [...] Gefühlspolitik" ablehnt, 369 ist ein „Gedanke, selbstverständlich wie das Einmaleins", daß die Politik „schlechthin kein anderes Interesse berücksichtigen darf als das Wohl des eigenen Staates". 370 Damit gelangt auch er dorthin, wohin Hegel uns führt. 364 365 366 367 368 369
Ebd., § 183 Rn. 42. W. Mäder, Europa ohne Volk ..., S. 39-67. Margaret Thatcher, Downing Street No. 10, 3. Aufl., 1993, S. 1034. A. Baring, Scheitert Deutschland?, S. 125 f. Ebd., S. 246. Η. v. Treitschke, „Bundesstaat und Einheitsstaat", S. 208.
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Das Recht des Staates ist sein Nutzen oder Interesse, praktisch seine Macht, und zwar nicht nur der Rechtsform nach, sondern auch inhaltlich. Soll also das Recht im Innern des Staates nach der „Organisation des Ganzen" berechnet sein, so muß als Rechtszweck die Macht des Staates, seine Geltung in der äußeren Politik und nicht irgendein moralischer Zweck und Maßstab angenommen werden. Keine universale Rechtsidee kann im Widerstreit zweier Rechte entscheiden, sondern einzig und allein die Gewalt, und die Unterscheidung von Angriffs- und Verteidigungs-, rechtmäßigen und unrechtmäßigen Kriegen ist durchaus hinfällig. Es gelte nach wie vor der alte Satz des Livius: iustum est bellum quibus necessarium. 371 Der Idee der Vernunft und Sittlichkeit des Naturrechts stellt Hegel die geschichtliche Tatsächlichkeit entgegen. Hegel war der erste Deutsche, der die Veränderlichkeit nicht nur allen positiven Rechts, sondern die Inhaltslosigkeit jeder universalen Rechtsidee überhaupt zu behaupten wagte. 3 7 2 Wie von Treitschke später von dem „Manchestertum" mit seiner „unsterblichen Unfähigkeit Machtfragen zu verstehen" 373 sprach, so spricht auch Hegel von den „Menschenfreunde[n] und Moralisten", 3 7 4 die die Politik in Verruf bringen. Hegel will es zu einem „Grundsatz der Staatswissenschaft" erheben, daß „Freiheit nur in der gesetzlichen Verbindung eines Volkes zu einem Staat möglich sei". 3 7 5 In diesem Sinne taucht zum ersten Male der Gedanke vom Stufengang der Weltgeschichte auf, der selbstverständlich zu Hegels Zeiten beim deutschen Volke angelangt ist. Im Abschnitt „Das Lehnssystem und die Repräsentativverfassung" führt er aus: „Dies System der Repräsentation ist das System aller neueren europäischen Staaten. Es ist nicht in Germaniens Wäldern gewesen", [ein Gedanke Montesquiens] „aber es ist aus ihnen hervorgegangen. Es macht Epoche in der Weltgeschichte. Der Zusammenhang der Bildung der Welt hat das Menschengeschlecht nach dem orientalischen Despotismus und der Herrschaft einer [der römischen] Republik über die Welt aus der Ausartung der letzteren in diese Mitte zwischen beide geführt, und die Deutschen sind das Volk, aus welchem diese dritte universale Gestalt des Weltgeistes geboren worden i s t . " 3 7 6 Es ist nicht Hegels „Weltgeist", der deutsche Politiker beseelt, wenn sie Deutschland auch nach innen „zerfleischen", 377 da nicht ersichtlich ist, welche Stufe des Weltgeistes erreicht werden soll dadurch, daß sie das Staatsangehörigkeitsrecht aushöhlen. 370
Ebd., S. 206. Hegel Verfassung Deutschlands, S. 81 ff.; ders., Rechtsphilosophie, § 333 f. [339 f.], S. 285 f. 372 H. Heller; Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke ..., S. 73. 373 Η. v. Treitschke, „Bundesstaat und Einheitsstaat", S. 198. 374 Hegel Verfassung Deutschlands, S. 83 f. 375 Ebd., S. 99. 376 Hegel Verfassung Deutschlands, S. 74 f. 377 Hegel Verfassung Deutschlands, S. 45, 89. 371
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2. Auflösung des Innern Deutschland mag zwar aus rechtlicher Sicht kein Einwanderungsland sein. Faktisch ist es jedoch ein Einwanderungsland geworden, da die politischen Kräfte nichts Nachhaltiges dagegen unternehmen, die Zuwanderung einzuschränken. 378 Und nicht nur das: Deutschland wandelt sich zum Vielvölkerstaat. Die Protagonisten preisen dies als „multikulturelle Gesellschaft", 3 7 9 und sie legen auch keinen Wert darauf, daß der Verbleib der Ausländer von Integrationsbereitschaft und Integrationserfolg abhängig ist, nach der Devise „laissez-faire" und „anything goes". Ein Hauptweg zur Aufgabe nationaler Identität, die es nach den Europäischen Verträgen gerade zu bewahren gilt (Art. 6 Abs. 3 EU-Vertrag), und zur Selbstauflösung ist die Einführung der Mehrstaatigkeit für Ausländer, die eine bestimmte Zeit im Lande leben, während auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft demgegenüber eine Unionsbürgerschaft angestrebt wird (Art. 17 EG-Vertrag). Rechtspolitische Bestrebungen gehen dahin, Ausländern, die an sich die Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllen, sich aber weigern, ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufzugeben, die deutsche Staatsbürgerschaft anzubieten, also nicht mehr darauf zu bestehen, die alte nationale Identität zugunsten der neuen aufzugeben. Die Einführung der Mehrstaatigkeit, 380 unter Verstoß gegen einen Völker- und staatsrechtlichen Grundsatz, 381 erweitert formal und pluralisiert das deutsche Volk (im Rechtssinne) von innen her und erzeugt Minderheitsprobleme neuer A r t . 3 8 2 378
Hierzu W. Mäder, Europa ohne Volk Deutschland ohne Staat, S. 59 ff. Werner Mäder, „Multikulturelle Gesellschaft" Konstrukt ohne Integrationspotential, in: ZFSH/SGB 1/1999, S. 3-17. 380 Siehe Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15.7.1999 (BGBl. I S. 1618), Art. 1 Nr. 8 (§ 29 StAG n.F.), Art. 2 Nr. 1 (§ 87 AuslG n.F.). Vgl. auch Burkhardt Ziemske, Mehrstaatigkeit und Prinzipien des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit, in: ZRP 9/1993, S. 334-336; Hans von Mangoldt, Öffentlich-rechtliche und völkerrechtliche Probleme mehrfacher Staatsangehörigkeit aus deutscher Sicht, in: JZ 20/1993, S. 965-974; Rupert Scholz/Arnd Uhle, Staatsangehörigkeit und Grundgesetz, in: NJW 21/1999, S. 1510-1517 mit zahlreichen Nachweisen. 381 In diesem Zusammenhang geht es um die planmäßige Förderung der Mehrstaatigkeit, nicht um Mehrstaatigkeit als Folge der Verschiedenheit der nationalen Erwerbsgründe. - Die Mehrstaatigkeit wird in der Praxis der Staaten als Übel empfunden. Die Vermeidung der Mehrstaatigkeit ist ihr angestrebtes Ziel. Das BVerfGE 37, S. 217 [254] führt dazu in seinem Mehrstaater-Beschluß aus: „Es trifft auch zu, daß innerstaatlich und international doppelte oder mehrfache Staatsangehörigkeit als ein Übel betrachtet wird, das sowohl im Interesse der Staaten wie im Interesse der betroffenen Bürger nach Möglichkeit vermieden oder beseitigt werden sollte.". 382 Zum Minderheitenstatus von Immigranten: Dietrich Murswiek, Schutz der Minderheiten in Deutschland, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR VII, 1995, § 201 Rn. 43 ff. 379
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Nunmehr wird die Gleichheit im Staatsverband aufgesprengt und den hergebrachten (autochthonen) Nur-Deutschen werden die neuen Auch-Deutschen (Allochthonen), vielleicht Noch-nicht-Europäer gegenübergestellt. 383 Die politische Klasse gibt freiwillig das Anreizmittel zur Integration aus der Hand und besteht nicht mehr darauf, daß der Einbürgerungsprätendent ernsthaft bereit ist, sich in die deutsche Staats-, Kultur- und Sprachnation einzufügen. 384 Diese soll denn auch zugunsten einer „multikulturellen Gesellschaft" abdanken. 385 Ohnehin ist die Einbürgerung nur der formale, rechtliche Schlußstein in der Integrationskette, der in der Luft hängt, wenn die Integration nicht tatsächlich bewirkt wird. Integration vollzieht sich soziologisch betrachtet - über soziale, berufliche und/oder wirtschaftliche Eingliederung, (seinsmäßig) über Willensakte. 3 8 6 Die Staatsorgane, Regierung wie Parlament, sind nicht ermächtigt, den Verfassungswandel (Umdefinition des Begriffs des Volkes bzw. Verdrängung des Volkes) oder das Ausdünnen einer Verfassungsnorm (Art. 16 und 116 GG) zu inszenieren, um das verfassungsrechtliche Sollen dem gesellschaftlichen Sein oder politischem Opportunismus anzupassen. 387 Das Verfassungsrecht zieht seinen Anspruch auf normative Geltung und materielle Kontinuität nicht zurück, auch wenn es von (weiten) Bevölkerungskreisen nicht mehr mitvollzogen wird. Eine Grundentscheidung der Verfassung bestimmt - auch wenn sie politisch umstritten ist - Gestaltung und Auslegung der Rechtsordnung. 388 „Die Rigidität des Verfassungsrechts weicht nicht dem Bedürfnis nach politischer Harmonisierung." 389 „Auch der Gesetzgeber ist ihr gegenüber nicht frei; gesellschaftspolitische Zweckmäßigkeitserwägungen, ja staatspolitische Notwendigkeiten", so das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), „können diese verfassungsrechtliche Schranke nicht überwinden ... Auch ein allge383 J. Isensee, Nationalstaat und Verfassungsstaat - wechselseitige Bedingtheit, S. 336; R. Scholz/A. Uhle, Staatsangehörigkeit und Grundgesetz, S. 1514 f., Fn. 59. 384 R. Scholz/A. Uhle, Staatsangehörigkeit und Grundgesetz, S. 1514 f., Fn. 59. 385 Zur institutionellen Garantie der Staatsangehörigkeit: Burkhardt Ziemske, Die deutsche Staatsangehörigkeit nach dem Grundgesetz, 1995, S. 56 ff., 209 ff.; R. Scholz/A. Uhle, Staatsangehörigkeit ..., S. 1511 ff. 386 B. Ziemske, Mehrstaatigkeit ..., S. 336: „Darüber hinaus soll der Staatsangehörigkeitserwerb nicht mehr - wie bisher - dem Abschluß der Integration der ausländischen Bevölkerung vorbehalten bleiben, sondern als Mittel der Integration verwandt werden. Der Gedanke ist: ein Ausländerproblem existiert nur solange, wie es Ausländer gibt. Werden möglichst alle hier seßhaften Ausländer Deutsche, ist das Problem aus der Welt." - Vgl. auch Werner Mäder, Politische Einheit, soziale Homogenität und Solidarität im Verfassungsstaat, in: ZFSH/SGB Sozialrecht in Deutschland und Europa, 11/1999, S. 675-689 und 12/1999, S. 725-736. 387 Hierzu Josef Isensee, Verfassungsrecht als „politisches Recht", § 162 Rn. 107; R. Scholz/ Ά. Uhle, Staatsangehörigkeit ... 388 Ebd., § 162 Rn. 108. 389 Ebd., § 162 Rn. 106.
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meiner Wandel der hierüber in der Bevölkerung herrschenden Anschauungen - falls er überhaupt festzustellen wäre - würde daran nicht ändern kön«390
nen. Wichtig ist, diese Grundsätze des politischen Verfassungsrechts in der Frage der Mehrstaatigkeit für Ausländer anzuwenden. Souverän ist das „Deutsche Volk". Die verfassungsgebende Gewalt des „Deutschen Volkes" wird in ihrer demokratischen Grundstruktur nicht anders gedacht als in der für die verfaßte Staatsgewalt benannten Regel des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 G G . 3 9 1 Hinter dem Volk im staatsrechtlichen Sinne erscheint das Volk als vorstaatliche und vorrechtliche Größe. 3 9 2 Volk in diesem Sinne ist die Nation. 3 9 3 Es ist also sowohl vorrechtlicher Integrationsfaktor als auch verfassungsrechtlicher Integrationsmaßstab. „Die Einheit und die Gemeinsamkeit, die das Staatsangehörigkeitsrecht stiften kann, sind nur formal-rechtlicher Art. Das Recht ist kein selbstgenügsames System, das aus eigener Kraft zu existieren vermag. Die Staatsangehörigkeit muß an Vorgaben realer Homogenität und politischem Einheitswillen anknüpfen, die das Recht als solches nicht schaffen und nicht herbeizwingen, wenn auch, freilich in engen Grenzen, bewahren und fördern kann. Eine durchsetzungsfähige Diktatur kann sich indes das Volk nach ihren Machtbedürfnissen zurechtschneidern. Doch in der liberalen Demokratie genügt es nicht, daß der Staat das Volk obrigkeitlich definiert. Die Bürger müssen von sich aus zu politischer Einheit finden. Diese aber läßt sich nicht von Staats wegen organisieren." 394 Scholz und U h l e 3 9 5 bringen die Integrationsstörungen auf den Punkt wie folgt: „Die grundlegende Neudefinition des Staatsvolkes bedeutet die demokratiewidrige Bestimmung der legitimationsbedürftigen Legislative über ihre eigene Legitimationsgrundlage. Die Neuerfindung des Trägerverbandes der Demokratie nach politischem Belieben bzw. nach politischem Bedürfnis der Legislative höhlt ihre Legitimität aus. Die fundamentale Neubestimmung des Demos stellt die Demokratie von ihrem Fundament her in Frage. 390
BVerfGE 39, S. 1 [67]. Paul Kirchhof Die Identität der Verfassung in ihren unabänderlichen Inhalten, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR I 1 , 1987, § 19 Rn. 56. 392 P. Kirchhof Die Identität ..., § 19 Rn. 57 ff.; Josef Isensee, Nationalstaat und Verfassungsstaat - wechselseitige Bedingtheit, in: Rolf Stober (Hrsg.), Recht und Recht, Festschrift für Gerd Roellecke, 1997, S. 137 [146]. 393 J. Isensee, Nationalstaat ..., S. 146 m.w.N. unter Fn. 17. 394 J. Isensee, Nationalstat ..., S. 145. - Vgl. auch Hermann Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität (1928), in: ders., Gesammelte Schriften, 2. Bd., 2. Aufl., 1992, S. 421-433. 395 Rupert Scholz/Arnd Uhle, Staatsangehörigkeit und Grundgesetz, in: NJW 21/ 1999, S. 1510 [1516] (kusiv vom Verfasser). 391
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Doch das Grundgesetz schützt die Demokratie mitsamt ihrem staatsangehörigkeitsrechtlichen Fundament. Es verbürgt das Recht der deutschen Staatsangehörigkeit grundrechtlich wie institutionell. Es schützt insbesondere die Prinzipien des Geburtserwerbs nach dem ius sanguis und der Einzelstaatsangehörigkeit. 396 Die Verfassung hält zudem an der einen und gleichen Staatsangehörigkeit fest. Sie garantiert die innere Zugehörigkeit des Staatsangehörigen zu seinem Staat und widersetzt sich einer nur formalen, zweckrational bestimmten, primär der Erlangung sozialer Vorteile dienenden Staatsangehörigkeit. Sie sucht und formt die folgenverantwortende Schicksalsgemeinschaft. Sie vermeidet Loyalitätskonflikte und zieht damit die Konsequenz aus der biblischen Erkenntnis, daß niemand zwei Herren zugleich dienen kann." 3 9 7 Eine Kontinuität der Verfassung und ein (der) politische(r) Status wird erst damit geschaffen und bekräftigt, daß auch der Normsetzer sich an gewisse normativ objektivierte Entscheidungen ihrer Vorgänger gebunden erachten muß. Erst durch das normative Element wird eine augenblickliche und völlig unberechenbare Herrschaftssituation zu einer kontinuierlichen und berechenbaren Herrschaftslage normalisiert, d.h. aber in eine den Augenblick überdauernde Verfassung gebracht. 398 3. Der autistische Staat Die Politik inszeniert nach innen und außen den Verfassungswandel. Durch die Abgabe der Kompetenzen an die Europäische Gemeinschaft und durch die „Liberalisierung" des Staatsangehörigkeitsrechts wird eine für den Staat bzw. dessen Reste gänzlich unberechenbare Herrschaftssituation entstehen, die das Grundgesetz gerade vermeiden will. Es stört offenbar niemanden, daß die Verfassung in ihren Grundlagen zersetzt wird. Man ist eher für sich und bei sich. Da ist es schon ein Widerspruch, wenn das 50-jährige Bestehen des Grundgesetzes gefeiert wird, allerdings nur mit Worten. Die Taten haben dessen Überwindung zur Folge.
IV. Die Rechtsgewalt Eine unabhängige Judikative ist die dritte Säule im demokratischen Staat mit Gewaltenteilung. 396 Zum „ius sanguis" Gottfried Dietze, Deutschland: schöner und besser, St. Augustin 2001. 397 Mt. 6, 24. 398 Hermann Heller, Staatslehre (1934), in: ders., Gesammelte Schriften, 3. Bd., 2. Aufl., 1992, S. 368.
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a) A m eindringlichsten zeigt Hegel den Machtverfall des Reiches an der aufgelösten Rechtsorganisation. 399 Deutschland ist nur noch im formaljuristischen Rechtssinne ein Staat. 400 „Die Auflösung des Problems, wie es möglich wäre, daß Deutschland kein Staat und doch ein Staat sei, ergibt sich sehr leicht, daß es ein Staat ist in Gedanken und kein Staat in der Wirklichkeit, daß Formalität und Realität sich trennen, die leere Formalität dem Staate, die Realität aber dem Nichtsein des Staates zugehört. Das System des Gedankenstaates ist die Organisation einer Rechtsverfassung, welche in demjenigen, was zum Wesen eines Staates gehört, keine Kraft hat." 4 0 1 Nicht nach öffentlichrechtlichen, auf die Macht des Ganzen hinzielenden, sondern nach individualrechtlichen Grundsätzen sei dieser politische Körper geordnet, zwar sei „das staatsrechtliche Verhältniß eines jeden Standes und die Verbindlichkeit seines Leistens aufs Genaueste festgesetzt", aber „nicht nach allgemeinen, eigentlichen Gesetzen bestimmt sondern nach Art der bürgerlichen Rechte", „in Form eines Eigenthums" 4 0 2 Jedermann habe Rechte gegen den Staat, nur der Staat selbst habe keine Rechte, weil keine Macht. „Man sieht", so Heller, „auch hier schon deutlich, daß Hegel sich bemüht, einen praktischen öffentlichen Rechtsbegriff zu finden." 4 0 3 Schließlich legt Hegel auch noch dar, wie die Religionsspaltung zur Machtzerreißung des deutschen Staates beigetragen habe. b) Nun hat das Deutsche Reich mit der Staatsgründung 1870/71 - nach Hegels Zeit - eine Rechtsorganisation und eine Verfassung erhalten, die die Grundlage für den Zusammenhalt und die Konstituierung eines Bundesstaates waren. Nach der Weimarer Reichsverfassung 19 1 8 / 1 9 4 0 4 hat Deutschland mit dem Grundgesetz 1949 und seiner Bestätigung nach der Revolution 1989/90 eine in sich vollendete Rechtsverfassung. Das ist hier nicht die Frage. Die Frage lautet heute, inwieweit sich die Grundlagen des Staates nun auflösen, während zu Hegels Zeit demgegenüber die Forderung nach Organisierung einer Staatsmacht, d. h. zur Schaffung staatlicher Grundlagen Thema war 4 0 5 Die Nathstelle zwischen der Konstituierung und Auflösung eines Staatswesens mag man jedoch folgenden Ausführungen Hegels zur richterlichen Gewalt entnehmen: 399
Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 46-60. Η Heller, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke ..., S. 65. 401 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 48. 402 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 48. 403 H. Heller, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke ..., S. 66. 404 Vgl. auch Christoph Gusy, Vom Deutschen Reich zur Weimarer Republik, in: JZ 15-16/1999, S. 758-766. „Das Verfassungswerk von Weimar war kein Akt der Staatsgründung." (S. 766). 405 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 126 ff., zu „Vorschläge zur Reform der Verfassung Deutschlands". 400
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„Daß also das Problem, wie Deutschland ein Staat und zugleich kein Staat sei, gelöst werde, muß es, insofern es ein Staat wäre, bloß als Gedankenstaat existieren, das Nichtsein des Staates aber die Realität haben. Damit nun der Gedankenstaat für sich sei, muß die richterliche Gewalt, welche den Widerspruch aufheben und das, was nur der Gedanke ist, auf die Wirklichkeit anwenden, ihn also realisiren und die Wirklichkeit ihm gemäß machen wollte, so beschaffen sein, daß auch ihre Anwendung nur ein Gedanke bleibt und also die allgemeinen Ordnungen, durch welche das Land ein Staat wäre, in ihrem Übergange in die Realität gelähmt und dieser Übergang selber zwar gesetzt und angeordnet, - denn die Ordnungen haben gar keinen Sinn, wenn sie nicht den Zweck haben, ausgeführt zu werden aber auch der Act des Überganges wieder zu einem Gedankendinge gemacht würde." 4 0 6 Hegel stellt die Mängel im Übergange vom Gedanken des Staatsrechtes in die Wirklichkeit und die Hindernisse dar, welche die Rechtsprechung in der Ausführung der Staatsgewalt lähmen, und welche nicht primär in der materiellen Urteilstätigkeit, sondern in der Organisation der Justiz begründet seien 4 0 7 c) Nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Sie wird einerseits vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und andererseits durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt (Art. 20 Abs. 2 GG). Die Macht des Bundesverfassungsgerichts, dem höchsten Gericht, gründet sich vor allem im Ausmaß seiner Entscheidungsbefugnisse (Art. 93 f., 97 GG). Das BVerfG kann Entscheidungen des Parlaments, des zentralen demokratischen Vertretungsorgans, bei einem Verstoß gegen das Grundgesetz für nichtig erklären. Es kann mit jedem denkbaren Staatsakt befaßt werden. 408 Und es kann, weil die Grundrechte als objektive Wertentscheidungen in die gesamte Rechtsordnung ausstrahlen, die gesamte Rechtsordnung einschließlich des Zivilrechts am Maßstab der Grundrechte messen 4 0 9 Das BVerfG kann zwar die Machtverhältnisse im Inneren, gegenüber der Legislative und Exekutive, ausbalancieren. Es kann jedoch nicht verhindern, daß die Staatsgewalt und die Macht des Staates als Ganzes, auch nach außen, schwindet. Und es kann auch nicht verhindern, daß Regierung und Parlament die Entstaatlichung und den Verlust der Souveränität befördern. 406
Ebd., S. 51. Ebd., S. 55. 408 Grundlegend BVerfGE 6, S. 32 [41 ff.] - Elfes (i.V.m. Art. 1 Abs. 3, 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG). 409 Grundlegend BVerfGE 7, S. 198 [205 ff.] - Lüth; vgl. auch Claus Dieter Classen , Die Dritt Wirkung der Grundrechte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: AöR 122. Bd. (1997), S. 65-107. 407
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Es kann allenfalls Maßstäbe setzen, gewisse rechtliche Hürden errichten, die jedoch durch den Gang der Entwicklung politisch subtil und rechtlich ausdifferenzierend, wesentlich aber durch die Macht der Tatsachen bald „überrollt 4 ' werden können. Wie schwer es für deutsche Staatsangehörige ist, in existenziellen Fragen des Staates und des Staatsrechtes gerichtlich vorzugehen, zeigt das Urteil des BVerfG zum Maastrichter Vertrag 1992, 4 1 0 das in Deutschland auf breite Akzeptanz gestoßen ist. Das Volk als solches kann ohnehin nicht klagen. Und für den Einzelnen ist es äußerst schwer, wenn nicht gar unmöglich, im Wege der Verfassungsbeschwerde den Erhalt von Staatlichkeit zu erzwingen, wie der Beschluß des BVerfG zur Mitwirkung Deutschlands an der Währungsunion im Maastricht-Vertrag z e i g t 4 1 1 Im Bezug auf die Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf eine supranational organisierte, zwischenstaatliche Gemeinschaft, in concreto auf die Europäische Gemeinschaft, hat das BVerfG zwar ein (Grund-)Recht jedes wahlberechtigten Deutschen nach Art. 38 GG auf Teilnahme an der demokratischen Willensbildung der mit der Ausübung von Hoheitsgewalt betrauten Einrichtungen und Organe anerkannt, das er wesentlich durch die Wahl des Deutschen Bundestages wahrnimmt. 4 1 2 Und das BVerfG ergänzt hierzu: „Art. 38 GG schließt es im Anwendungsbereich des Art. 23 GG aus, die durch die Wahl bewirkte Legitimation von Staatsgewalt und Einflußnahme auf deren Ausübung durch die Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen des Bundestages so zu entleeren, daß das demokratische Prinzip, soweit es Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 2 GG für unantastbar erklärt, verletzt w i r d . " 4 1 3 Das BVerfG meint ausdrücklich das Demokratieprinzip, das zu dem gemäß Art. 79 Abs. 3 GG nicht antastbaren Gehalt des Grundgesetzes g e h ö r t 4 1 4 Das Demokratieprinzip kann auch in einem europäischen Staat verwirklicht werden. Zur Garantie der Staatlichkeit hat es sich nicht verbindlich äußern müssen, obwohl seine Ausführungen darauf hindeuten. 415 Denn es konnte befinden, daß „der Unions-Vertrag auf die Unabhängigkeit und Souveränität der Mitgliedstaaten Bedacht n i m m t " . 4 1 6 Ob der deutsche Staat außerhalb dessen tatsächlich (noch) souverän ist, war nicht speziell das Thema. Insofern deckt das Maastricht-Urteil die „offene Flanke" nicht ab. Das Staatsangehörigkeitsrecht nach Art. 16 GG bietet nach derzeitigem Stand des Schrifttums kein individuelles Grundrecht, ge410 BVerfG, Urt. vom 12.10.1993 - 2 BvR 2134, 2159/92 - BVerfGE 89, 5.155 Maastricht. 411 BVerfG, Beschluß vom 31.3.1998 - 2 BvR 1877/97 und 50/98 - BVerfGE 97, S. 350 - Währungsunion. 412 BVerfGE 89, S. 155 [172, 187]. 413 BVerfGE 89, S. 172. 414 BVerfGE 89, S. 172, 182. 415 BVerfGE 89, S. 186. 416 BVerfGE 89, S. 189.
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gen die Entstaatlichung vorzugehen. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird. Die überwiegende Meinung des Schrifttums sagt, daß das Grundgesetz die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland garantiert. 417 Art. 79 Abs. 3 lasse eine verfassungsgemäße Integration in einen europäischen Bundesstaat nicht zu. Das Volk, aber speziell seine Repräsentanten, können eine entsprechende Regelung nur außerhalb des Grundgesetzes treffen. Udo Fink urteilt: „Dies wäre jedoch Revolution, was die Folge hat, daß die dem Grundgesetz verpflichteten Staatsorgane wie etwa die Bundesregierung diese Möglichkeit weder ins Kalkül ziehen noch dazu aufrufen oder ein entsprechendes Plebizit gar organisieren dürfen. Wenn aber das deutsche Volk die durch das Grundgesetz konstituierte Ordnung nicht mehr will und seine eigene Rechtstradition zugunsten eines vereinigten Europas aufgeben will, dann kann auch das Grundgesetz dagegen keine Vorsorge treffen. Dies ist jedoch eine Frage der Faktizität und nicht eine solche der Legalität." 4 1 8 Vorsorge kann das Grundgesetz auch nicht dagegen treffen, daß Repräsentanten des Volkes im Interesse eines weiteren Ganges in eine zwischenstaatliche Gemeinschaft die Entstaatlichung in Kauf nehmen. Auch das BVerfG als „Hüter der Verfassung" hat nicht die Macht, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet." Seinen Aufgaben sind immanent Grenzen gesetzt, wenn es um die tatsächliche Verfassung Deutschlands geht. 1. Europa, der Weltmarkt und die Ausdifferenzierung von Staatlichkeit „Von außen" her wird die Bundesrepublik radikal verändert, vor allem durch die Aufgaben- und Kompetenzverlagerung zentraler traditioneller Staatsaufgaben auf die Ebene der Europäischen Union/Gemeinschaft. Alle zentralen, europaweit wirksamen wirtschaftlichen Entscheidungen werden auf europäischer Ebene getroffen, nach Einschätzung 80% 4 1 9 Den Mitgliedstaaten bleibt die Anwendung oder Umsetzung dieser Vorgaben und die nationale Abarbeitung der sozialen und kulturellen Folgeprobleme überlassen, für deren Bewältigung die EU nicht zuständig ist, die sie auch nicht in den Griff bekäme. Der Mitgliedstaat verliert die Fähigkeit, der wirt417 Udo Fink, Garantiert das Grundgesetz die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschlands?, in: 4/1998, S. 133-141; Peter Lerche, Europäische Staatlichkeit und die Identität des Grundgesetzes, in: Festschrift für Konrad Redeker, 1993, S. 131 [134]. 418 U Fink, Garantiert ...?, S. 141. 419 BVerfGE 89, S. 172 f.
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schaftlichen Entwicklung im Interesse der Integration des gesamten Gemeinwesens sozialstaatliche oder politische Grenzen zu setzen. 420 Ein Beispiel: die EWG und die Wirtschaft öffnete nach 1961 EG-weit den Arbeitsmarkt für Ausländer mit allen positiven Wirkungen für die Unternehmen. Die sozialen Folgelasten werden sozialisiert, tragen die Mitgliedstaaten 4 2 1 Noch nachhaltiger sind die tatsächlichen und rechtlichen Folgen der durch das Wirtschaftsrecht der EG nur grob kanalisierten Rückwirkungen des Weltmarktes, für die die Debatte um den „Standort Deutschland" 422 nur eine Erscheinungsform ist. Der Weltmarkt dynamisiert permanent nicht nur die Entwicklungen der Technik-, Wirtschafts- und Arbeitswelt, sondern auch die Veränderungen in der alltäglichen Lebenswelt, deren Neuerungen sich überschlagen. Der Staat der Moderne kann diese sich immer mehr beschleunigenden Entwicklungen nicht steuern oder will sie nicht hindern: 4 2 3 Er fühlt sich überfordert 424 und ist dabei, sich in vieler und grundlegender Hinsicht „zurückzunehmen": durch Sparprogramme, die keineswegs nur Ausdruck konjunktureller Schwierigkeiten sind; durch seine „Verschlankung"; durch wachsende Verselbständigung der Träger öffentlicher Aufgaben, durch den Rückzug des Sozialstaats; durch stärkere Inpflichtnahme der Gesellschaft und ihrer Ressourcen; durch weitgehende Privatisierungen und Deregulierungsansätze. Der Staat setzt zunehmend nur noch Rahmenbedingungen für die gesellschaftliche Selbstregulierung. Er differenziert sich selbst aus und weg 4 2 5 Untersucht wurde die Frage, wie sich diese beiden 420
Rainer Wahl, Quo Vadis Bundesverfassungsgericht?, in: B. Guggenberger/Th. Würtenberger (Hrsg.), Baden-Baden 1997, MS. 24 f. 421 Hierzu Herbert Jocobs, Migration und Sozialstaat. Entwicklungstendenzen des Sozialstaates unter dem Einfluß wirtschaftlicher Globalisierung und weltweiter Wanderungsströme, in: SF 11/1997, S. 256-264. 422 Klaus von Dohnanyi, Im Joch des Profits. Die deutsche Antwort auf die Globalisierung, 1997. 423 Zu Steuerungsproblemen heutiger Staatlichkeit: Friedhelm Hilterhaus/Rupert Scholz (Hrsg.), Rechtsstaat - Finanzverfassung - Globalisierung. Neue Balance zwischen Staat und Bürger, (Veröffentlichungen der Hanns Martin Schleyer-Stiftung, Bd. 51), Köln: Bachem 1998. 424 Reiner Schmidt, Der geforderte Staat, in: NJW 4/1980, S. 160-163; Thomas Ellwein/Joachim Jens Hesse, Der überforderte Staat, 1994, S. 38 ff.; siehe auch Helmuth Schulze-Fielitz, Kooperatives Recht im Spannungsfeld von Rechtsstaatsprinzip und Verfahrensökonomie, in: DVB1. 12/1994, S. 657-667. 425 Das Reservoir zu diesem Thema scheint unerschöpflich. Klaus König, Verwaltungsmodernisierung im internationalen Vergleich - Acht Thesen - , in: DÖV 7/ 1997, S. 265-268; ders. Rückzug des Staates - Privatisierung der öffentlichen Verwaltung, in: DÖV 22/1998, S. 963-968; Robert Haller, Privatisierung öffentlicher Aufgaben - Juristische Möglichkeiten und Schranken neuer Organisationsstrukturen im öffentlichen Sektor, in: DÖD 5/1997, S. 97-104; Hartmut Bauer, Verwaltungsrechtliche und verwaltungswissenschaftliche Aspekte der Gestaltung von Kooperationsverträgen bei Public Private Partnersphip, in: DÖV 3/1998, S. 89-97, zum
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Entwicklungstendenzen, die Kompetenzschere in Europa und der Rückzug des Staates, in der Verfassungsrechtsprechung niederschlägt. 426 Danach lassen sich erstens, z.B. im Maastricht-Urteil, 427 Ansätze finden, die eine stärkere verfassungsgerichtliche Kontrolle des Europäisierungsprozesses, jedoch nicht so eindeutig ob im Sinne eines Re-Nationalisierungsvorbehalts zu Lasten von Europäischer Kommission, Ministerrat und EuGH, anstreben und die die schiefe Ebene der Geltungsverluste (auch) des BVerfG zugunsten des E u G H 4 2 8 verflachen lassen wollen. Andererseits wird gelegentlich auf die Geltungsansprüche des Grundgesetzes verzichtet, wenn der Weltmarkt sie leerlaufen läßt 4 2 9 Zweitens nimmt der Anteil der Verfassungsrechtsprechung zu den wirtschaftlichen Grundfreiheiten tendenziell ab, soweit der EuGH die entsprechenden Determinanten setzt. Umgekehrt dürften die Fälle zunehmen, die die Folgeprobleme der Dynamik der Wirtschaft vor allem in sozialer oder kultureller Hinsicht spiegeln. Vor allem aber wird drittens - der Verlust der Geltungskraft des Grundgesetzes für das innerstaatliche Staat-Bürger-Verhältnis infolge des Rückzuges des Staates aufgewogen durch die Tendenzen, die Geltung der Grundrechte als Direktiven und Impulse für das gesellschaftliche Miteinander, also auch für dessen Strukturierung durch die einfachgesetzliche Zivilrechtsordnung, 430 in der Gesellschaft zu akzentuieren. Die „Zukunft der Verfassung" 431 liegt offenbar verstärkt in einer durch staatliches Recht umhegten und gewährleisteten Verfassung der Gesellschaft 432 „Eine Privatisierung des Staates" (im Klartext bedeutet dies Auflösung des Staates) kann sich nicht dem Gemeinwohlauftrag der Verfassung und seiner Kontrolle entziehen 4 3 3 Letztlich bedeuten solche oder ähnliche Schlußfolgerungen eine Verfassung ohne Staat. Thema „Kooperativer Verwaltungsstaat"; Ferdinand Kirchhof Haushaltssanierung durch „sale and lease back" von Verwaltungsgebäuden? - Die rechtlichen Aspekte des „Kieler Immobiliengeschäfts" - in: DÖV 6/1999, S. 242-248. 426 Helmuth Schulze-Fielitz, Das Bundesverfassungsgericht in der Krise des Zeitgeistes - Zur Metadogmatik der Verfassungsinterpretation - in: AöR 122 Bd. (1997), S. 1-31 [19 f.]. 427 BVerfGE 89, S. 155 [188]; vgl. auch Paul Kirchhof Die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts in Zeiten des Umbruchs, in: NJW 23/1996, S. 1497 [1501]. 428 Ausführlich Konrad Hesse, Verfassungsrechtsprechung im geschichtlichen Wandel, in: JZ 6/1995, S. 265 [270 f.]; Martin Schulte, Zur Lage und Entwicklung der Verfassungsgerichtbarkeit, in: DVB1. 18/1996, S. 1009 [1018 f.]; Matthias Hartwig, Die zukünftige Position des Bundesverfassungsgerichts im staatsrechtlichen Gefüge der Bundesrepublik Deutschland, in: Michael Piazolo (Hrsg.), Das Bundesverfassungsgericht, 1995, S. 175 ff. 429 BVerfGE 92, S. 26 [38 ff., 41 ff.] - Zweitregister. 430 Stephan Oeter, „Drittwirkung" der Grundrechte und die Autonomie des Privatrechts, in: AöR 119 (1994), S. 529 ff. 431 Dieter Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 1991, z.B. S. 227 f., 325 ff., 433 ff. 432 H. Schulze-Fielitz, Das Bundesverfassungsgericht ..., S. 20.
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Kehrseite ist - viertens - , daß damit die Verfassungsrechtsprechung die klaren Maßstäbe zur Rechtskontrolle des ordnungsbewahrenden Staates verliert und die Angemessenheit des ordnungsgestaltenden Leistungs-, Vorsorgeund Lenkungsstaates der Gegenwart 434 nach den viel vageren Geboten verfassungsrechtlicher Handlungs- und Schutzpflichten 435 mißt, die nur noch das ob, nicht mehr das Wie des staatlichen Handelns determinieren können. Die damit verbundene Ausdehnung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle zur Vermeidung verfassungsrechtlicher Geltungsverluste führt die verfassungsgerichtliche Kontrolle dilemmatisch immer tiefer in politische Gestaltungskonflikte der Gegenwart hinein. 4 3 6 Die staatsbezogene Rechtsgewalt des BVerfG wird heute schon als „gesellschaftliches Gericht" bezeichnet, 437 das das Bürger-Staats-Verhältnis in einer „offenen Gesellschaft" 438 immer weiter ausdifferenzieren muß, so daß immer weniger Gelegenheit gegeben ist, Kernfragen des Staates und des Staatsrechts zurückzuholen. Zweitens: Das BVerfG wird heute auch schon als „Reparaturbetrieb" des Parlamentarismus bezeichnet, 439 weil das deutsche Parlament, sei es auch welchen Gründen auch immer, seine Gesetzgebungsaufgaben in vielen Bereichen nicht zureichend wahrnimmt. Es wird befürchtet, daß sich innerhalb der Gewaltenteilung die Machtbalance immer mehr vom demokratischen Gesetzgeber weg in Richtung der Judikative, also vom parlamentarischen Gesetzgebungsstaat zum verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaat verschiebt. 440 Insgesamt gesehen führt dies letztlich im Innern zur Schwächung der Staatsgewalt, da die Gewaltenverschiebung die Substanz der Demokratie mindert. 433
Grundlegend Josef Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, in: ders./Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR III 1 , 1988, § 57. 434 Κ Hesse, Verfassungsrechtsprechung ..., S. 271 f.; D. Grimm , Die Zukunft ..., S. 24 f., 166 ff., 411 ff. u.ö. 435 Hierzu auch Karl-Eberhard Hain/Volker Schlette/Thomas Schmitz, Ermessen und Ermessensreduktion - ein Problem im Schnittpunkt von Verfassungs- und Verwaltungsrecht, in: AöR 122. Bd. (1997), S. 32-64. 436 H. Schulze-Fielitz, Das Bundesverfassungsgericht ..., S. 20. 437 Ebd., S. 14 ff. 438 Vgl. hierzu Michael Zöller (Hrsg.), Der Preis der Freiheit. Grundlagen, aktuelle Gefährdungen und Chancen der offenen Gesellschaft (Veröffentlichungen der Hanns Martin Schleyer-Stiftung, Bd. 26), Köln: Bachem 1988. 439 Hans-Peter Schneider , Acht an der Macht! Das BVerfG als „Reparaturbetrieb" des Parlamentarismus?, in: NJW 18/1999, S. 1303-1305. 440 Ottfried Höffe , Wieviel Politik ist dem Verfassungsgericht erlaubt?, in: Der Staat 38. Bd. (1999), S. 171-193. - H.-P . Schneider, Acht an der Macht! ..., S. 1305, kommentiert die Entscheidung des BVerfG zur Familienpolitik und -besteuerung (NJW 1999, S. 557, 561, 564, 565) so: „Die demokratisch gewählten Parlamentarier scheinen das Vertrauen des BVerfG verloren zu haben; da wäre es doch einfacher, das BVerfG wählte sich gleich ein neues Parlament!"
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Das Schwinden der Geltungskraft des Grundgesetzes und der Machtverlust des Nationalstaates ist fünftens im Äußeren durch die Europäisierung und die diese noch überholende Globalisierung bedingt. Die Rechtsgewalt des BVerfG schwindet. Die Situation Deutschlands heutzutage ähnelt, bloß unter umgekehrten Vorzeichen, auch insoweit des Deutschlands zu Hegels Zeiten. Deutschland wächst immer mehr in die Rolle eines „Standes" hinein. Die Organe der EG, insbesondere die Europäische Kommission mit der Unterstützung des EP, versuchen immer wieder, eine Kompetenz-Kompetenz für die Gemeinschaft durchzusetzen, 441 obwohl sie diese nicht haben, wie dies das BVerfG in seinem Maastricht-Urteil eindeutig gesagt hat. 4 4 2 Assistenz gibt der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften [EuGH] mit seiner extrem integrationsfreundlichen, um nicht zu sagen integrationsideologischen Rechtsprechung, die nationales Verfassungsrecht und das Rechtsprechungsmonopol des BVerfG aushöhlt. Das BVerfG möchte eine bestimmte Inanspruchnahme der Vertragsabrundungskompetenz des Art. 235 EGV (jetzt Art. 308 EGV) durch die Gemeinschaft, nämlich wenn sie die Grenze zu der den Mitgliedstaaten vorbehaltenen Vertragsänderung überschreitet, seiner eigenen Kontrolle unterwerfen und verneint die Bindungswirkung solcher, aus seiner Sicht „exzessiver" Gemeinschaftsnormen für Deutschland. Ferner nimmt das Gericht in einer sibyllinischen Formel ein „Kooperationsverhältnis" zum EuGH beim Grundrechtsschutz „in" Deutschland an, welcher aus Karlsruher Sicht auch die deutsche Rechtsprechung über die Anwendung von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht in Deutschland umfaßt. 4 4 3 In beiden Fällen ist die Auffassung des BVerfG nach Thomas Oppermann kaum anders als im Sinne einer „souveränen", d.h. nicht nach Art. 177 Abs. 3 EGV (jetzt 234 Abs. 3 EGV) vorlagepflichtigen Auslegungskompetenz über europäisches Recht zu begreifen, einmal über das richtige Verhältnis des Art. 235 EGV, zum anderen über die Wirkungen, die sekundäres Gemeinschaftsrecht im Falle von Grundrechtsberührungen entfaltet. 444 Die berühmte Frage des „Ouis iudicabit?" wird unter Beiseitelassen des Art. 177 Abs. 3 EGV (jetzt Art. 234) im Sinne der Eigenzuständigkeit beantwortet. Die sachliche Problematik liegt in der Germanozentriertheit dieser - zwar richtigen - Sicht, die im tatsächlichen Anwendungsfall zu einer unterschiedlichen „Flicken441
W. Mäder, Europa ohne Volk Deutschland ohne Staat ..., S. 25. BVerfGE 89, S. 194 ff. - Auch für Georg Jellinek ist die Kompetenz-Kompetenz Souveränitätskriterium (Die Lehre von den Staatenverbindungen, Wien 1888, S. 313). 443 BVerfGE 89, S. 175. 444 Thomas Oppermann, Die dritte Gewalt in der Europäischen Union, in: ders., Europäische Gewalten (Sonderdruck aus der Schriftenreihe Bausteine Europas), Brüssel 1995, S. 8 [20]. 442
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teppichgeltung" 445 des Europarechts in den einzelnen Mitgliedstaaten führen kann, die wiederum mit seinem Anspruch der „allgemeinen" Geltung (Art. 189 EGV a.F.; Art. 249 n.F.), Herzstück der Gemeinschaftsrechtsordnung, unvereinbar wäre 4 4 6 Nun ist es aber nicht so, daß der EuGH auf das „Kooperationsangebot" des BVerfG eingehen würde. Er beansprucht das Letztentscheidungsrecht in Fragen des Gemeinschaftsrechts, egal, ob er primäres oder sekundäres Gemeinschaftsrecht heranzieht. Nur ein, allerdings bezeichnendes Beispiel, das im übrigen nicht vertieft wird, nur soviel: Nachdem der EuGH im Urteil Sirdar den Ausschluß von Frauen aus der Kampfeinheit der britischen Royal Marines für zulässig angesehen hatte, da in dieser Einheit ohne Rücksicht auf eine berufliche Spezialisierung die „allseitige Verwendbarkeit" Voraussetzung i s t , 4 4 7 kommt der EuGH im nachfolgenden U r t e i l 4 4 8 zu dem Ergebnis, daß ein allgemeiner Ausschluß der Frauen vom Dienst mit der Waffe, wie ihn Art. 12 a GG, das Soldatengesetz und die Soldatenlaufbahnverordnung in Deutschland vorsehen, nicht mit der Richtlinie 76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen vereinbar ist. Mit einfachem Sekundärrecht hebelt der EuGH das Grundgesetz aus. Was macht die deutsche Regierung? Nichts! Anstelle dem Gerichtshof in Sachen Staatsgewalt seine Grenzen aufzuzeigen und ihm unmißverständlich verstehen zu geben, daß seine Rechtsgewalt da endet, wo die Militärgewalt des Nationalstaates beginnt wobei der Mitgliedstaat in eigener Souveränität Inhalt und Reichweite der Militärgewalt bestimmt - , weicht die Bundesregierung kraftlos zurück und gibt einen weiteren Baustein staatlicher Macht preis. Die Bundeswehr möchte sie ohnehin am liebsten loswerden. Da wohl keine staatliche Instanz die Sache erneut, aber dieses Mal zum BVerfG bringen wird, wird sein Rechtsprechungsmonopol sukzessive, aber systematisch ausgehöhlt. Es ist seine Sache, sich zum Verhältnis von Art. 12 a GG und Art. 3 GG verbindlich zu äußern. In Fragen der Souveränität gilt das, was schon Heller auf den Punkt gebracht hat: Es kann nur Einen geben! Zum Staat und seiner Staatsgewalt gehört die Rechtsgewalt. „Staat heißt die auf einem bestimmten Gebiet universale, deshalb notwendig einzigartige und souveräne Entscheidungseinheit." 4 4 9 Es verdeckt lediglich das Problem, zu sagen, daß zwischen 445
T. Oppermann, Die dritte Gewalt ..., S. 21. Hierzu T. Oppermann , Die dritte Gewalt ..., S. 21. 447 In diesem Fall wollte die Klägerin als Köchin arbeiten. EuGH, Urt. vom 26.10.1999 - Rs. C-273/97 „Sirdar", JZ 8/2000, S. 411. 448 EuGH, Urt. vom 11.1.2000 - Rs. C-285/98 „Tanja Kreil", JZ 8/2000, S. 412 mit Anm. von Volkmar Götz, S. 413 ff. 449 Η Heller , Die Souveränität (1927), S. 133. 446
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BVerfG und EuGH ein Kooperationsverhältnis besteht oder sich entwickele. In Wahrheit spielt sich ein Kampf um das Rechtsprechungsmonopol, um die Macht der Letztentscheidung ab: „ . . . der Jurist (muß) bis zum entscheidenden Ausgang des Kampfes eine Pendenz der Souveränität annehmen." 450 „Unmöglich sind ... zwei Entscheidungseinheiten auf dem gleichen Gebiet; sie würden das Gegeneinanderwirken zweier höchster Willenseinheiten bedeuten, die Einheit des Staates aufheben und endgültig Bürgerkrieg zur Folge haben." 4 5 1 Das BVerfG wird den Kampf aufnehmen bzw. nach seinem MaastrichtUrteil fortführen oder in die zweite Reihe zurücktreten müssen. 452 Es ist auch nicht so, daß nationales (Verfassungs-)Recht und europäisches Gemeinschaftsrecht ein Rechtssystem bilden, in dem eine Teilung der Gewalt bzw. in Gewalten allenfalls noch einen Sinn hätte. Heller schreibt: 453 „Ich hoffe nunmehr keinen Mißverständnissen zu begegnen, wenn ich mit Nachdruck feststelle, daß das Völkerrecht keine anderen als die durch das willentliche Verhalten souveräner Entscheidungseinheiten positivierten Rechtssätze kennt. Die Hierarchie der durch eine universale Entscheidungsund Wirkungseinheit positivierten und in Geltung erhaltenen Rechtssätze endet genau dort, wo die souveräne Entscheidungseinheit endet. Über sich hat die souveräne Willenseinheit notwendig nur noch Rechtsgrundsätze, Rechtssätze insoweit, als sie sich ihnen grundsätzlich unterwirft. Die civitas maxima wäre nur noch Rechtsgrundsätzen, keinem Rechtssatz unterworfen. Solange es noch zwei souveräne Entscheidungseinheiten gibt, bilden die zwischen ihnen positivierten Rechtssätze, ihre Zahl mag noch so groß sein, niemals ein Rechtssystem; denn dieses ist Ausdruck einer universalen Entscheidungseinheit. Alle Theorien von ,der' einheitlichen Völkerrechtsordnung, alle Konstruktionen eines ,Völkerrechtssystems 4 sind willkürliche Spekulationen. Es gibt kein solches System und kann es nicht geben; nicht etwa deshalb, weil es keinen Prätor über den Staaten geben könnte, sondern weil eine universale Entscheidungseinheit, welche die Voraussetzung des Systems wäre, das Völkerrecht in Staatsrecht verwandeln müßte. Jeder Prätor über den Staaten muß notwendig auf rechtsleeren Raum stoßen und in gewissen Fällen ein im staatlichen Recht unmögliches non liquet aussprechen. Wie unklar über diesen Gegenstand gedacht wird, zeigt die Forderung Lapradelles: ,11 η'est pas possible d'admettre le non liquet de la part 450
Ebd. (kursiv vom Verfasser). Ebd., S. 134. 452 Jost Müller-Neuhof sieht sich zu der Feststellung veranlaßt, daß die Machtverteilung zwischen EuGH und BVerfG sich langsam, aber immer mehr in Richtung EU verschiebt (Sie machen Staat. Die deutschen Verfassungsrichter: Im Bund bewährt - in Europa entbehrlich?, in: Der Tagesspiegel vom 7.12.2000, S. 2). 453 Η Heller Die Souveränität (1927), S. 151 f. 451
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d'une Court Internationale; le déni de justice doit étre exclu du domaine international comme du domaine n a t i o n a l / " 4 5 4 Diesen klaren Äußerungen wäre eigentlich nichts hinzuzufügen, sofern das BVerfG vor lauter und lauteren politischen „Integrations"bestrebungen nicht völkerrechtsblind wird. Äußere Souveränität geht Hand in Hand mit innerer Souveränität. Es ist zu befürchten, daß sich das höchste Gericht darin verliert, die Grundrechte und das Verhältnis des Bürgers zum Staat immer mehr auszudifferenzieren, zu liberalisieren und, in weitreichenden Gedanken versunken, den „roten Faden" zur Wahrung der Staatsgewalt und des Staates zu verlieren. Dabei steht auch die innere Unabhängigkeit auf dem Prüfstand. Die Justiz kann sich immer weniger den Einflüssen der Politik entziehen; die Justiz wird zunehmend ideologisiert, 455 indem die Gesinnung von Richtern einerseits und Bürgern andererseits zum Maßstab von „Gerechtigkeit" wird. Der unpolitischen, unbegrenzten Freiheit tritt ein Totalitarismus in der Führung von Gedanken und Meinungen entgegen. Dann ist es nicht weit zum „Gedankenstaat". Eine Judikative, die sich an der Politik einer Partei oder an einer den Zeitgeist inspirierenden, bestimmten Gesellschaftsschicht orientiert, verliert die Legitimation, „ I m Namen des Volkes" „Recht zu sprechen". 456 Das Volk ist und bleibt der Souverän, auch nach dem Grundgesetz; der Staat ist seine politische Form 4 5 7 Das bedeutet, es ist der Staatsgewalt verwehrt, eine bestimmte politische Gesinnung oder Meinung, etwa eine positive Einstellung zur europäischen Integration, so wie sie jetzt verläuft, zur „multikulturellen Gesellschaft" oder zur Weltgesellschaft, zu verlangen, um als guter Staatsbürger mit „political correctness" zu gelten. Schließlich soll noch einmal Heller zitiert werden, dessen Integrität außer Zweifel s t e h t 4 5 8 454 „Lapradelle in der 14. Sitzung der Juristenkommission am 2. Juli 1920, in Societé des Nations (Hg.), Cour Permanente de Justice Internationale , Comité Consultatif de Juristes, Procés-verbaux des séances du comité , 16. juin-24. juillet 1920, Den Haag 1920, S. 312, 14. Sitzung. Ebenso Loder, ebd." 455 Roland Wuttke, Dankt der Rechtsstaat ab? Von der Ideologisierung der Justiz, in: Nation & Europa, 6/2000, S. 11-16. 456 Das Unrecht an den deutschen Heimatvertriebenen wird von der dt. Bundesregierung und deutschen Gerichten systematisch leisegetreten. Aus der unendlichen Geschichte und zum völkerrechtlich zulässigen und zum verfassungsrechtlichen gebotenen Schutz des Eigentums der Heimatvertriebenen, zur unrühmlichen Rolle des BVerfG, dargestellt am liechtensteinisch-tschechischen Bilderstreit vgl. Dieter Blumenwitz, Der völkerrechtliche Schutz des Eigentums, in: Politische Studien, Sonderheft 1/2000, S. 100-114, zugleich zum Beschluß des BVerfG vom 28.1.1998, 2 BvR 1981/97. 457 Lesenswert: Josef Isensee, Das Volk als Grund der Verfassung. Mythos und Relevanz der Lehre von der verfassungsgebenden Gewalt, Opladen 1995. 458 Christoph Müller, Hermann Heller: Leben, Werk, Wirkung, in: Hermann Heller, Gesammelte Schriften, 3. Bd., 2. Aufl., 1992, S. 429^76, dessen Schlußsatz
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„Wohlmeinende Friedensfreunde, die in der Staatssouveränität ein Hindernis für den Ausbau des Völkerrechts erblicken, sollten in Kants Schrift Zum ewigen Frieden nachlesen: ,Die Idee des Völkerrechts setzt die Absonderung vieler voneinander unabhängiger Staaten voraus. 4 Und späteren Erörterungen vorgreifend, können wir mit Kant fortfahren: ,obgleich ein solcher Zustand an sich schon ein Zustand des Krieges ist (wenn nicht eine föderative Vereinigung derselben dem Ausbruch der Feindseligkeit vorbeugt): so ist doch selbst dieser nach der Vernunftidee besser als die Zusammenschmelzung derselben durch die andere überwachsende und in eine Universalmonarchie übergehende Macht; weil die Gesetze mit dem vergrößerten Umfange der Regierung immer mehr an ihrem Nachdruck einbüßen, und ein seelenloser Despotism nachdem er die Keime des Guten ausgerottet hat, zuletzt doch in Anarchie verfällt.'" 4 5 9 Heller an anderer Stelle: „Der Staat wie jede andere Organisation kann unmittelbar nur Handlungen, nicht Gesinnungen, in die Umwelt eingreifende und von ihr zu ergreifende Willensakte, nicht innerliche Willensüberzeugungen organisieren. Schon aus diesem Grunde darf die Einheit des Staates nicht als Willenseinheit mißkannt, wohl aber muß sie als wirkliche Akteinheit erkannt werden." 4 6 0 „ . . . Die modernen Diktaturen vollends behandeln allen Geist als bloße Funktion der Politik. Sie wollen eine politische Solidarität dadurch schaffen, daß sie vermittels direkter Zwangsakte eine geistige Uniformität und damit vermeintlich eine neue Kultur erzeugen." 461 I . Integrationsziel Europastaat? Zukunftsehende Europarechtler wähnen heute schon in den Gemeinschaftsverträgen eine europäische Verfassung, obwohl die Europäische Gemeinschaft noch kein Staat ist und dem Europäischen Parlament nach das europäische Volk fehlt. 4 6 2 Vereint sind sie in dem Glauben an die identitätsüber Heller lautet: „Unser Land ist nicht so reich an demokratischen Traditionen, daß wir auf sein Werk verzichten könnten." 459 Η Heller Die Souveränität (1927), S. 144. Zitat: Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf (1795), in: Sämtliche Werke (Hg. K. Vorländer), Bd. 6, 2. Aufl., Leipzig 1922 (Meiners Philosophische Bibliothek, Bd. 41 I), S. 147. 460 H. Heller, Staatslehre (1934), in: ders., Gesammelte Schriften, 3. Bd., 2. Aufl. 1992, S. 79 [345]. 461 H. Heller, Staatslehre (1934), S. 345. 462 Realistisch Josef Isensee, Integrationsziel Europastaat? in: Ole Due/Marcus Lutter/Jürgen Schwarze (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Everling, Bd. I, 1995, S. 567-592; desgleichen Hans Heinrich Rupp, Eine Verfassung für Europa?, in: Peter M. Huber, Das Ziel der europäischen Union, Berlin 1996, S. 49-53.
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bildende Kraft des Gemeinschaftsrechts. Hierzu und zu weiteren Gedanken sei es gestattet, weiterhin Hegel aus Kritik der Verfassung Deutschlands zu zitieren: „Es ist ein, wenn nicht vernünftiger, doch gewissermaßen edler Zug im deutschen Charakter, daß das Recht überhaupt, sein Grund und seine Folgen mögen auch beschaffen sein, wie sie wollen, ihm etwas so Heiliges ist. Wenn Deutschland als eigener, unabhängiger Staat, wie es allen Anschein hat, und die deutsche Nation als Volk vollends ganz zu Grunde gehen, so gewährt es immer noch einen erfreulichen Anblick, unter den zerstörenden Geistern die Scheu vor dem Rechte voran zu erblicken." 4 6 3 Zur Einheitlichkeit der Rechtsordnung lesen wir: „In Rücksicht auf eigentliche bürgerliche Gesetze und die Gerechtigkeitspflege würde weder die Gleichheit der Gesetze und des Rechtsganges Europa zu Einem Staate machen, so wenig als die Gleichheit der Gewichte, Maße und des Geldes, noch hebt ihre Verschiedenheit die Einheit eines Staates auf. Wenn es nicht schon im Begriffe des Staates läge, daß die näheren Bestimmungen der Rechtsverhältnisse über das Eigentum Einzelner gegen Einzelne ihn als Staatsgewalt nicht berühren, die nur das Verhältniß des Eigenthums zu sich zu bestimmen hat, so könnte uns das Beispiel fast aller europäischen Staaten es lehren, unter welchen die mächtigsten der wahrhaften Staaten durchaus ungleichförmige Gesetze haben. Frankreich hatte vor der Revolution eine solche Mannigfaltigkeit von Gesetzen, daß außer dem römischen Rechte, das in vielen Provinzen galt, in anderen burgundisches, britannisches u.s.w. herrschte und fast jede Provinz, ja fast jede Stadt ein besonderes herkömmliches Gesetz hatte und ein französischer Schriftsteller mit Wahrheit sagte, daß, wer durch Frankreich reise, ebenso oft die Gesetze als die Postpferde wechsele." 464 Weder gesetzliche Gleichförmigkeit noch die Gleichförmigkeit des Rechtsganges machen Europa zu einem Staate. Es ist nicht so, daß mit dem Verlust an Staatsgewalt in einem Mitglieds land, so für die Bundesrepublik Deutschland, substantiell entsprechendes der Europäischen Gemeinschaft zuwüchse, zumal sie auch nach Hegels Kriterien nicht die Allmacht eines Staates hat 4 6 5 Dies setzte voraus, daß alle Mitglied Staaten gleichermaßen 463
Hegel , Verfassung Deutschlands, S. 6 f. Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 13. 465 Für Dieter Grimm ist, wie für viele andere, die Umwandlung der Europäischen Union in einen Bundesstaat kein erstrebenswertes Nahziel (Braucht Europa eine Verfassung?, in: JZ 12/1995, S. 590). An anderer Stelle (S. 586) weist er darauf hin, daß die Verträge zwar nicht die inhaltliche Totalität von Verfassungen besitzen, doch andererseits die Totalität der nationalstaatlichen Verfassungen in dem Maß der Übertragung von Hoheitsrechten auf die Gemeinschaft schrumpft, ohne 464
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Substanzverlust erleiden. Davon kann jedoch keine Rede sein. Selbst wenn eine solche Entwicklung einträte, würde das Verhältnis der Europäischen Gemeinschaft zu den Mitgliedsländern mehr dem Zustand ähneln, wie ihn Hegel für das Deutsche Reich und seine Stände 1801 beschrieben hat. Für das Teilgebiet Deutschland aus der Perspektive des europäischen Raumes bedeutet aber andererseits, da die politische Macht der deutschen Bundesorgane zwar schwindet, aber nicht verfassungs- und völkerrechtswirksam auf Organe der Europäischen Gemeinschaft übergeht, der Souveränitätsverlust eine „Herrschaft des Rechts" im Sinne der Reinen Rechtslehre, die jedoch nicht lange dauern wird, da sich eine politische Einheit finden wird, die die Herrschaft über das Recht übernimmt. Interessant ist eine Gegenüberstellung der Charakteristik der Europäischen Union, wie sie Josef Isensee g i b t , 4 6 6 und der Charakteristik eines alles regeln wollenden Staates, wie Hegel sie g i b t 4 6 7 Nun ist die EG kein Staat. Aber: um alles in den Griff zu bekommen, ist sie bestrebt, wenn nicht alles, so doch möglichst vieles von oben „durchzuregeln". Nimmt man die Äußerungen als Folien und legt man sie aufeinander, gibt es - verblüffend - ein Bild. Isensee: „Die Union ist im wesentlichen eine Veranstaltung der Exekutive der nationalen Regierungen und der supranationalen Verwaltung. Ihr Antriebsmechanismus ist die Kabinettspolitik. Die exekutivische Verfaßtheit, mit relativer Distanz zur Bevölkerung und relativer Unabhängigkeit von Wahlen, sichert ihr Zweckrationalität und Effizienz, zumal die Fähigkeit, markwirtschaftliche Prinzipien rigide durchzusetzen 4 6 8 (...) Freilich paßt das Wort Idealismus nicht auf die Realität der Europäischen Union. Das gemäße Wort ist Funktionalismus, das Rationalität und Effizienz einschließt und alles Irrationale abweist. Just im Irrationalen bewegen sich Zuneigung, Abneigung, Zusammengehörigkeitsgefühl, Gruppenkonsistenz - jene Momente, aus dem Nationalbewußtsein und Wille zu politidaß dies - wie in bundesstaatlichen Verfassungen - im Text zum Ausdruck kommt. - Zur Entmythologisierung des Gemeinschaftsrechts als einer „autonomen Rechtsquelle" auch Karl Albrecht Schachtschneider, Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas und die staatliche Integration der Europäischen Union, in: Wolfgang Blomeyer/ders., Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, 1995, S. 97 f. Vgl. auch Daniel Thürer, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, in: VVDStRL 50 (1991), S. 97 ff. 466 Josef Isensee, Europäische Union - Mitgliedstaaten. Im Spannungsfeld von Integration und nationaler Selbstbehauptung, Effizienz und Idee, in: Konferenz der Deutschen Akademien der Wissenschaften ... (Hrsg.), Europa-Idee, Geschichte, Realität, 1996, S. 71-106. 467 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 22 ff. 468 J. Isensee, Europäische Union - Mitgliedstaaten ..., S. 84.
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scher Einheit erwachsen. Soweit der Wille die ihm gemäße staatliche Form findet, läßt sich Solidarität erwarten, daß einer für alle und alle für einen einstehen, wenn es die Lage erheischt. Nur auf dieser Grundlage sind Schicksalsfragen politisch entscheidbar, besteht die Chance der Akzeptanz und der Opferbereitschaft, die jenseits des individuellen Nutzen-KostenKalküls liegt. Die Europäische Union baut nicht auf einem solchen Ethos. 4 6 9 (...) Die Europäische Union in ihrer derzeitigen Gestalt taugt nicht dazu, europäischen Bürgersinn, Identifikationsbereitschaft, Solidarwillen, Euro-Patriotismus anzuregen. Funktionalismus schafft kein Vaterland. Nationale Integration ist denn auch mehr als eine Rechenaufgabe. In ihr regen sich auch irrationale Vorstellungen und Hoffnungen. Aber der aus krummen Holz geschnitzte Mensch ist eben - auch - ein irrationales Wesen. Die nationalen Momente sind heute freilich auch im deutschen Volke nur noch mäßig entwickelt. . . . " 4 7 0 Hegel: „Die machinistische, höchstverständige und edlen Zwecken gewidmete Hierarchie erweist im Nichts ihren Bürgern Zutrauen, kann also auch keines von ihnen erwarten. Sie hält sich in keiner Leistung sicher, deren Befehl und Ausführung sie nicht eingerichtet hat, verbannt also freiwillige Gaben und Aufopferungen, zeigt dem Unterthan die Überzeugung von seinem Unverstände und die Verachtung gegen seine Fähigkeit, das zu beurtheilen und zu thun, was für sein Privatwohl zuträglich wäre, sowie den Glauben an allgemeine Schamlosigkeit. Sie kann also kein lebendiges Thun, keine Unterstützung von seinem Selbstgefühle hoffen. 4 7 1 (...) Der Unterschied ist unendlich, ob die Staatsgewalt sich so einrichtet, daß Alles, worauf sie zählen kann, in ihren Händen ist, und daß sie aber eben deswegen auch auf Nichts weiter zählen kann, oder ob sie außer dem, was in ihren Händen ist, auch auf die freie Anhänglichkeit, das Selbstgefühl und das eigene Bestreben des Volkes zählen kann, - einen allmächtigen, unüberwindlichen Geist, den jene Hierarchie verjagt hat, und der allein da sein Leben hat, wo die oberste Staatsgewalt so viel als möglich der eigenen Besorgung der Bürger überläßt. Was für ein ledernes, geistloses Leben in einem solchen modernen Staate, worin Alles von Oben herunter geregelt ist, Nichts, was eine allgemeine Seite hat, der Verwaltung und Ausführung der Theile des Volkes, die dabei interessiert sind, anheimgestellt wird, - wie sich die französische Republik gemacht hat - sich erzeugen wird, ist, wenn dieser Ton der Pedanterie des Herrschens bleiben kann, in der Zukunft erst zu erfahren; aber welches Leben und welche Dürre in einem anderen, 469 470 471
Ebd., S. 88. Ebd., S. 94. Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 22.
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ebenso geregelten Staate herrscht, im preußischen, das fällt Jedem auf, der das erste Dorf desselben betritt 4 7 2 oder seinen völligen Mangel an wissenschaftlichen und künstlerischen Genie sieht oder seine Stärke nicht nach der ephemerischen Energie betrachtet, zu der ein einzelnes Genie ihn für eine Zeit hinaufzuzwingen gewußt hat." 4 7 3 Die Frage bleibt, ob es sich für Deutschland wirklich lohnt, sich in einen „Europastaat" des Nutzens, Kalküls, der reinen Marktwirtschaft, die die kulturelle Vielfalt einebnet, der Bürgerferne aufzugeben, der, um Zusammenhalt in derart großem Raum zu organisieren, sein Gemeinschaftsrecht immer enger knüpfen muß so, daß „Alles in seinen Händen" ist. Hegel: „Die Staatsgewalt muß sich sowohl für die Ausführung als Regierung wie für das Beschließen darüber in einen Mittelpunct concentrieren." 474 Dem Staatsbegriffe „nothwendig" ist nichts anderes als die „gemeinschaftliche Gewalt". Alles übrige ist „nur eine besondere Modification dieser Gewalt" und gehört „für den Begriff in die Sphäre des mehr oder weniger Besseren, für die Wirklichkeit aber in die Sphäre des Zufalls und der Willkür". Die Europäische Gemeinschaft versucht, auch vom Rand zum Kern der Macht zu gelangen. Sie ist - im besten Sinne des Wortes - eine Gemeinschaft - 4 7 5 weltweit unverwechselbar, aber eben „nur" eine (Rechts-)Gemeinschaft mit politischem Einschlag. Die „gemeinschaftliche Gewalt" hat sie (noch) nicht. Deutschland hat sie nicht - mehr.
J. Deutschland ist ein L a n d . . . Deutschland ist ein Land, kein Staat. Der Begriff „Land" umfaßt eine geographische Bezeichnung, hat a priori keinen politischen Bedeutungsgehalt. So besehen mag man damit einen unpolitischen Zustand verbinden. Ähnliches kann für die Bezeichnung „Region" gesagt werden, den die Europäische Kommission politisch „kulturviert" und zum Schlagwort der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts erkoren hat und die schnell zum Modewort, besonders in Deutschland, verkommen ist. Hinter dem unpolitischen Wort werden jedoch politische Absichten verfolgt. Subsidiarität und Föderalismus 476 sind in Mitgliedstaaten, die nicht Bundes472
Ebd., S. 23. Ebd., S. 24. 474 Ebd., S. 18. 475 Thomas Oppermann, Der europäische Traum zur Jahrhundertwende, in: JZ 7/ 1999, S. 317-326 [320]; ders., Europarecht, 1999, § 11, grundlegend zur Rechtsnatur der Europäischen Union. 476 Zum Föderalismus grundlegend Constantin Frantz, Der Föderalismus als das leitende Prinzip für die sociale, staatliche und internationale Organisationen, unter 473
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Staaten sind, politische Reizworte. Man hat deshalb die „Region" „aktiviert", die wohl in allen Mitgliedstaaten paßfähig und unverfänglich erscheint. Natürlich verfolgt man damit, die Dezentralisierung zu forcieren, die Regionen als direkte „Ansprechpartner" der europäischen Organe zu gewinnen, um auf diese Weise die Zentralinstanzen der Mitgliedstaaten zu neutralisieren. Mit dieser unpolitischen-politischen Semantik wird zugleich ein weiteres demokratiefeindliches Element eingeführt. Deutsche Bundesländer, Gliedstaaten der Bundesrepublik als Bundesstaat, bezeichnen sich gern und immer häufiger als „Region". Durch den Wortwechsel verliert das Tun im europäischen Kontext seinen Verantwortungsträger, den Bezugspunkt des Volkes; seine Repräsentanten erscheinen als Regionalvertreter und nicht als politische Repräsentanten. 477 (Zum Ausschuß der Regionen: Art. 263 ff. EGV). Das Repräsentativsystem der Demokratie verblaßt. Im Abschnitt „Das Lehnssystem schreibt Hegel am Schluß: 4 7 8
und die
Repräsentativverfassung"
„Repräsentation ist so tief in das Wesen der sich fortbildenden Lehnsverfassung zusammen mit der Entstehung eines Bürgerstandes verwebt, daß es die albernste Einbildung genannt werden kann, wenn sie für eine Erfindung der neuesten Zeiten gehalten worden ist.* Alle modernen Staaten bestehen durch sie, und nur ihre Ausartung, d. h. der Verlust ihres wahren Wesens hat Frankreichs Verfassung, aber es nicht als Staat zerstört. Sie ist aus Deutschland gekommen, aber es ist ein höheres Gesetz, daß dasjenige Volk, von dem aus der Welt ein neuer universeller Anstoß gegeben wird, selbst am Ende vor allen übrigen zu Grunde geht und sein Grundsatz, aber es selbst nicht bestehe." Vom Lehnssystem des Mittelalters über das Repräsentativsystem der beginnenden Neuzeit führt der Weg in die repräsentative Demokratie des modernen Staates, auch wenn das Deutsche Reich relativ spät in den Kreis demokratisch regierter (Groß-)Staaten getreten ist. Die Deutschen können sich hingegen dafür halten, daß ihnen in fast zweitausend Jahren Freiheitbesonderer Bezugnahme auf Deutschland kritisch nachgewiesen und constructiv dargestellt, Mainz 1879; Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR IV, 1990, § 98. 477 Hierzu C. Schmitt, Verfassungslehre (1928), 8. Aufl., 1993, S. 204 ff., 216 f., 218. 478 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 70 ff. [78 f.]. * „Durch die Verwandlung der Freien in Herrscher ist die Lehnsverfassung, d.h. in den jetzigen Ländern ein Staat errichtet worden, worin die Einzelnen, nicht mehr Jeder unmittelbar für sich, einem durch sie selbst gegründeten Ganzen und seinen Vereinzelungen und Zweigen, d.h. einem Staate und Gesetzen, einem bleibenden, festen Mittelpunkt, auf den Jeder eine mittelbar, durch Repräsentation entstehende Beziehung hat, in jeder Nationalangelegenheit gehorchen."
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lich-Christliches näher stand als das Gegenteil. 479 „Der Staat hat keine höhere Pflicht, als sich selbst zu erhalten , . . " 4 8 0 Sicherlich ist es in der Postmoderne auch eine Frage der Einstellung, ob man dieser absolut klingenden Forderung Hegels vorbehaltlos folgt. Entstehen, Behaupten und Vergehen gehören jedoch zum existentiellen Modus des Seins, auch des Staates. Es gibt aber auch keine Macht, die mächtig genug ist, den Staat in seiner konkreten Form, als ein bestimmtes Sozial- und Kulturgebilde 4 8 1 zu erhalten, wenn dieser Staat sich aufgeben will. Heller schreibt treffend: „Wo ein nach innen und außen sich selbst behauptende Staatsgewalt nicht gewollt wird, dort entsteht und besteht auch kein Staat. Wo immer aber Natur- und Kultursituation als Voraussetzung gegeben ist und die eigene einer fremden Gebietsordnungsgewalt vorgezogen wird, dort ist der Wille zum Staat gegeben. Gelingt es ihm, als selbständige Macht das gebietsgesellschaftliche Zusammenwirken zu organisieren und zu aktivieren, so haben wir ein Subjekt der höchsten Gebietsgewalt, einen Staat vor uns, dem das politische Handeln der Machthaber vor allem Völkerrecht und unabhängig von aller normativen Jurisprudenz mit politischer Notwendigkeit zugerechnet w i r d . 4 8 2 Die Funktion des Staates besteht also in der selbständigen Organisation und Aktivierung des gebietsgesellschaftlichen Zusammenwirkens, begründet in der geschichtlichen Notwendigkeit eines gemeinsamen status vivendi für alle Interessengegensätze auf einem sie umgreifenden Erdgebiet, das, solange es keinen Weltstaat gibt, durch andre Gebietsherrschaftsverbände gleicher Art begrenzt wird. Die Feststellung der immanenten Sinnfunktion des Staates ist für seine Erkenntnis in allen ihren Einzelheiten von absolut entscheidender Beziehung. Ohne Beziehung auf die sinnhafte Funktion des Staates bleiben alle staatstheoretischen und staatsrechtlichen Begriffe sinnentleert. Der Agnostizismus, der auch die berechtigte Frage nach dem ,Zweck 4 des Staates für unbeantwortbar erklärt, endet schließlich bei der trostlosen Meinung, der politische Verband sei ausschließlich durch sein Mittel ,die Gewaltsamkeit4 zu definieren. 483 Diese Lehre und erst recht zahlreiche Lehren, welche die Macht als den begriffsnotwendigen ,Zweck 4 des Staates behaupten 4 8 4 sind weniger falsch als absolut nichtssagend. Denn Macht entwickeln alle 479
G. Dietze, Deutschland 1999, Wien/Leipzig 1999. Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 100. 481 Hierzu Η Heller, Staatslehre (1934), S. 79 [134 ff.]. 482 Ebd., S. 309 f. 483 Zitat von Heller. „Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Aufl., Tübingen 1925, Bd. I, S. 30". 480
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menschlichen Institutionen, und ohne Feststellung einer Sinnfunktion der spezifisch staatlichen Macht ist diese weder von einer Räuberbande noch von einem Kohlen-Kartell oder einem Kegelklub zu unterscheiden." 485 Die Frage der Rechtfertigung des Staates bedeutet die Existenzfrage des Staates. Sobald der Glaube „an die Daseinsberechtigung des konkreten Staates oder des Staates als Institution abhanden kommt, ist sein Ende, sei es für dieses Staatsvolk oder für den betreffenden Kulturkreis oder aber für die ganze Menschheit gekommen. In diesem Sinne lebt der Staat von seiner Rechtfertigung. Für jede Generation muß sich das Sanktionsproblem mit psychologischer Notwendigkeit von neuem einstellen. Aus diesen Gründen darf gerade eine wirklichkeitswissenschaftliche Staatslehre an ihm nicht vorbeigehen." (Heller 4 8 6 ). Die Frage nach der Rechtfertigung des Staates ist ein anderes Zentralthema der Staat(rechts)lehre 4 8 7 Nur soviel: Heller, auch wieder auf Hegel eingehend, unterscheidet sich von ihm insofern grundlegend, als es diesem, die Antike idealisierend, bewußtermaßen um eine Verengung des universalen Rechtsgewissens geht. Sittlich sei, „den Sitten seines Landes gemäß zu leben". 4 8 8 Indem der Staat zur „Wirklichkeit der sittlichen Idee" 4 8 9 wird, könne er den Anspruch erheben, daß seiner Macht und dem von ihm gesetzten Recht sich alle sittlichen Überzeugungen des Individuums zu beugen hätten. 4 9 0 Demgegenüber sieht Heller den Wert des Rechts nicht allein in der staatlichen Macht begründet. Die Macht hat dienende Funktion, die zur Rechtfertigung des Staates führt. Heller: „Der Staat [als Institution] ist gerechtfertigt, sofern er die zur Sicherung des Rechts auf einer bestimmten Entwicklungsstufe nötige Organisation darstellt. Unter Recht verstehen wir hier in erster Linie die die positiven Rechtssätze fundierenden sittlichen Rechtsgrundsätze. Allen diesen Rechtsgrundsätzen, deren ideelle Geltung vorausgesetzt werden muß, ist die Forderung nach sozialer Geltung immanent. Nur als Sein - Sollen hat das Sollen dieser Rechtsprinzipien überhaupt einen Sinn; sie wollen nicht bloß in idealer Absolutheit gelten, sondern möglichst auch als positive Rechtssätze wirken. Dazu ist es notwendig, daß die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie z.B. 484
Zitat von Heller: „Z.B. Richard Thoma, ,Staat', in: Ludwig Elster u.a. (Hg.), Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. Aufl., Bd. 7, Jena 1926, S. 755". 485 H. Heller, Staatslehre (1934), S. 310. 486 Ebd., S. 326. 487 Ebd., S. 325-339, zur „Rechtfertigung des Staates. Staatsfunktion und Rechtsfunktion"; Josef Isensee, Die alte Frage nach der Rechtfertigung des Staates, in: JZ 6/1999, S. 265-278. 488 H. Heller, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke in Deutschland (1921), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, 2. Aufl. 1992, S. 71, 105 ff; ders., Staatslehre (1934), S. 329. 489 Hegel, Rechtsphilosophie, § 257 [241], S. 207. 490 H. Heller, Staatslehre (1934), S. 329.
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der Dekalog enthält, durch eine autoritäre Macht als positive Rechtssätze gesetzt, angewendet und durchgesetzt werden. . . . " 4 9 1 Die Unterschiede in der Rechtfertigung des Staates mögen in der geschichtlichen Entwicklung zu sehen sein. Zu Hegels Zeit ging es um die Frage der Staatswerdung, und dazu gehörte eben in erster Linie die Konzentrierung der Macht, der gesamten „Staatsgewalt in einem obersten Vereinigungspunct", 492 der sich alles andere unterzuordnen habe. Wenn Deutschland unter der Alternative Staat oder Anarchie als nicht mehr existent betrachtet werden konnte, 4 9 3 so ist doch festzuhalten, daß sich die Reichsstaatslehre mit dem Zerfall des Reiches langsam, aber sicher an eine Bundesstaatstheorie herangetastet hatte, die mit dem Rheinbund (1806) ihr erstes politisches Experimentierfeld fand. Ein sich steigerndes historisches Bewußtsein hatte zu juristisch mehrdeutigen Begriffen geführt, die aber empirisch einlösbar blieben. Freilich wurde erst im Durchgang durch die einmal errungene Staatlichkeit der ehedem im Lehensgefälle subordinierten Territorialherrschaften jene Plattform formaler Gleichberechtigung erreicht, auf der dann ein Bundesstaat vertraglich zustande k a m . 4 9 4 Die Machtstaatslehre des Philosophen fand in „Bismarck sicherlich eine höchste Bestätigung seines eigenen Denkens", 4 9 5 das in der Eigenart der Bismarckschen Reichsgründung von 1867/71 politische Realität wurde. 4 9 6 Nun war zu Hellers Zeit der Bundesstaat konstituiert, und die Frage der Rechtfertigung des Staates rückte bis in unsere Zeit in den Vordergrund. Die Frage der Staatsgewalt und der Macht des Staates bleibt aber weiterhin gestellt und im Vordergrund, weil nur die Macht des Staates Freiheit, Demokratie, Grund- und Menschenrechte garantieren kann. Es mag zwar sein, daß der Erhalt der Wohlfahrt 4 9 7 als Grundlage tatsächlicher Freiheit dem heutigen Staat Legitimation gibt 4 9 8 Damit ist es aber nicht getan, wenn der 491
Η. Heller, Staatslehre (1934), S. 332. Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 12. 493 Ebd., S. 7 - Karl Salomo Zachariae hatte 1804 für das deutsche Reich festgestellt, daß es kein Staatenstaat mehr sei, sondern ein Staatenbund (Geist der neusten Deutschen Reichsverfassung, in: Zeitschrift für Geschichte und Politik 1 (1804), S. 34 ff.). 494 Zur geschichtlichen Entwicklung vgl. auch Reinhart Koselleck, Art. „Bund", in Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, 1972, S. 582 [635]. 495 H. Heller, Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke ..., S. 224. 496 Zur Verfassungskunst Bismarcks vgl. auch Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (1928), 3. Aufl., 1994, S. 223-233 [232 f.]. 497 Zum Wandel der Bedeutung „Wohlfahrt" vgl. Mohammed Rassem, Art. „Wohlfahrt, Wohltat, Wohltätigkeit, Caritas", in: Otto Brunner/Werner Conze/ Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, 1. Aufl., 1992, S. 595-636. 492
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Staat sich aus Kostengründen verschlankt und privatisiert, sich im übrigen auf eine Steuern- und Abgabenanstalt reduziert, um die immer knapper werdenden Ressourcen auf immer mehr Menschen umverteilen zu können. Steuern, Abgaben einerseits und „ewiger Landfriede" andererseits waren auch Grundlagen von Gemeinwesen, die vor dem Aufkommen von Staaten Geltung verlangten. Die von Hegel herausgestellten Kriterien des Staates - Militärmacht, Finanzmacht, Territorial- und Rechtsgewalt - sind heute zwar nur noch ein, jedoch auch unabänderlicher und unverzichtbarer Maßstab für das „Sozialgebilde" Staat. Unter diesen Kriterien ist Deutschland, und hier schließt sich der Kreis, kein Staat. Das Grundgesetz als Rechtsverfassung spiegelt nicht mehr die tatsächliche Verfassung Deutschlands, noch weniger den Zustand politischer Verfaßtheit des deutschen Volkes bzw. den Auflösungsgrad der Nation wider. Noch einige Gedanken Hegels, die in unsere Zeit passen: „Das deutsche Staatsgebäude ist nichts Anderes als die Summe der Rechte, welche die einzelnen Theile dem Ganzen entzogen haben, 499 und diese Gerechtigkeit, die sorgsam darüber wacht, daß dem Staat keine Gewalt übrig bleibt, ist das Wesen der Verfassung. Mögen nun die unglücklichen Provinzen, die in der Hilflosigkeit des Staates, dem sie angehören, zu Grunde gehen, den politischen Zustand desselben anklagen, mag das Reichsoberhaupt und die zunächst bedrängten patriotischen Stände die übrigen vergebens zu gemeinschaftlicher Mitwirkung aufrufen, mag Deutschland ausgeplündert und beschimpft werden, - der Staatsrechtsgelehrte wird zu zeigen wissen, daß dies Alles den Rechten und der Praxis ganz gemäß und alle Unglücksfälle Kleinigkeiten gegen die Handhabung dieser Gerechtigkeit sind." 5 0 0 „ . . . Es gibt keine Neutralität mehr für einen schwachen Staat in der Nähe oder gar zwischen mächtigen, wenn diese Krieg führen, oder der neutrale kann es bleiben, d.h. von beiden sich plündern und mißhandeln lassen. So sehr für die Einsicht das Interesse der Länder und der Landstände daran gebunden ist, daß in Deutschland eine Staatsmacht bestehe, so sehr ist den Ländern selbst fürs Handeln dies Interesse für Deutschland fremd geworden, - für Deutschland: wen geht dies Land noch Etwas an, woher sollte ein Patriotismus für dies Land kommen? Den passiven Vortheil, den die einzelnen Länder und auch die Landstände von Deutschland haben, ge498
Hierzu J. Isensee, Die alte Frage nach der Rechtfertigung des Staates, S. 271 f. Hierbei kann man an die Globalisierung, Internationalisierung, Europäisierung einerseits und die Dezentralisierung, Regionalisierung und Privatisierung, an die Vergesellschaftung des Staates denken. 500 H e g e i f Verfassung Deutschlands, S. 5 f. 499
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nießen sie, erkennen ihn, thuen aber Nichts dafür; denn es liegt in der menschlichen Natur, sich nur für das zu interessiren, wofür man handeln, wofür man mitbeschließen und mitwirken, wobei der Wille sein kann. Es müßte den Ländern eine Art der Mitwirkung fürs Allgemeine verschafft werden." 5 0 1 Eine solche Aussage kann heute auch auf das Problem der politischen Mitwirkung des Volkes bezogen werden. Im „Parteienstaat" mit seiner offenen Gesellschaft geht der Demokratie nicht nur ihr Träger verloren, 502 sondern die Substanz der Demokratie, die Willensbildung durch das Volk wird ausgedünnt. 503 Allgemein wird beklagt, daß die Parteiprogramme verwechselbar und austauschbar erscheinen, der Bürger unschlüssig ist, was er wählen und wofür er sich entscheiden soll. 5 0 4 Die Spirale dreht sich nach unten. Der Politik werden durch Globalisierung und Ökonomisierung Fesseln angelegt. Ihr geht das historische Bewußtsein verloren. In der schnellebigen Zeit werden Wechsel auf die Zukunft ausgestellt, die so nicht einlösbar sind, in der Erwartung, daß der Bürger sich auf dann Vergangenes nicht besinnt. Der „kooperative Staat" 5 0 5 erscheint, ganz im Sinne der Staatsvertragslehren, eher als Partner denn als souveräner Inhaber von Staatsgewalt. Es mag zwar sein, daß dennoch von einer Renaissance der Staaten als weiterhin bestimmende Kräfte des politischen Weltgeschehens gesprochen werden kann. 5 0 6 Jedenfalls gilt dies nicht für Deutschland. Josef Isensee zeigt auf, daß jeweils der individuelle Staat als Gegenstand der Legitimation zu betrach501
Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 124 f. 502 vgl. Dieter Murswiek, Schutz der Minderheiten in Deutschland, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR VIII, 1995, § 201 Rn. 49-53, zur multikulturellen Gesellschaft als Verfassungsfrage; Eckart Klein, Der Status der deutschen Volkszugehörigen und die Minderheiten im Ausland, in: ebd., § 200 Rn. 8-11, zur Zugehörigkeit zum deutschen Volk und deutschen Ethnie; J. Isensee, Die alte Frage nach der Rechtfertigung des Staates, S. 274. 503 Alain de Benoist, Demokratie: Das Problem, 1986 (franz. Originalausgabe: „Le labyrinthe", Paris 1985), S. 80 [85 ff.]; ders., Repräsentative und mitwirkende Demokratie (1993), in: ders., Aufstand der Kulturen, 1999, S. 213-219. 504 Paul Tiefenbach, Repolitisierung der Politik, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 4/2000, S. 397-401; A. de Benoist, Demokratie ..., S. 101 ff. 505 Zum Staat als „pouvoir intermédiaire" Peter Saladin, Wozu noch Staaten? Zu den Funktionen eines modernen demokratischen Rechtsstaates in einer zunehmend überstaatlichen Welt, 1995; vgl. auch Paul Kirchhof Der Staat als Organisationsform politischer Herrschaft und rechtlicher Bindung, in: DVB1. 10/1999, S. 637-657. 506 J. Isensee, Die alte Frage ..., S. 276; Herbert Dittgen, Grenzen im Zeitalter der Globalisierung. Überlegungen zur These vom Ende des Nationalstaates, in: ZPol 1/1999, S. 3-26; William Pfaff, Nationalstaat ohne Zukunft?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2/2000, S. 164 f.
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ten sei und die Nation als Legitimationsgrund weiterhin anerkannt ist. Dieser aber leite sich ab aus der individuellen Selbstbestimmung ihrer Angehörigen, aus der menschenrechtlichen Freiheit. 5 0 7 Isensee weiter: 5 0 8 „Das Selbstbestimmungsrecht des Volkes, das Staat, Nation und Individuum durch ein menschenrechtliches Legitimationsband verknüpft, erneuert das Pufendorf-Modell 509 des pactum unionis. Doch anders als in dem Modell verbraucht sich der Wille des Einzelnen nicht unwiderruflich im gedachten Akt der Staatsgründung. Vielmehr muß er sich im tagtäglichen Plebiszit der nationalen Integration beweisen und erneuern, wenn er seine Legitimationskraft bewahren s o l l . 5 1 0 Die politische Realität gibt keine Gewähr, daß der Wille nicht erschlafft, erlischt oder sich wandelt." Realität ist, daß die politische Klasse im Konzert der Staaten nicht (mehr) selbst bestimmen will, soweit noch Macht und Staatsgewalt verfügbar ist, und das nationale Bewußtsein des Volkes erschlafft und schwindet, weil es sich in Angelegenheiten von nationalem und gemeinsamen Interesse ohnehin und von keiner Partei vertreten fühlt. 5 1 1 Die Folgen sind spürbar und sichtbar. Im Gegensatz zu der geradezu inflationären Verwendung der Begriffe „sozial" und „Solidarität" 5 1 2 hat sich in den Jahrzehnten, nicht zuletzt unter dem Einfluß ideologischer Denkströmungen, eine Art Gegenkultur herausgebildet. 513 Das, was heute unsere Sozialkultur gefährdet, nämlich das Zusammenleben der Menschen in Ehe und Familie, in der Wohngemeinde und in den Städten, in den Schulen und Bildungseinrichtungen, in den Betrieben und Arbeitsstätten, auch die nationale Identität, die der Politik seit den Exzessen im Dritten Reich unheimlich erscheint, das ist ein radikaler Individualismus. 514 Staat und Gesellschaft werden eher als „Nutzveranstaltung" gesehen. 515 507
J. Isensee, Die alte Frage S. 277. Ebd., S. 277. 509 Nachweis bei J. Isensee, Die alte Frage ..., S. 274, Fn. 70. 510 Analyse der Integration zum Staat und ihrer Faktoren: Rudolf Smend, Verfasung und Verfassungsrecht (1928), in: ders ., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 3. Aufl., 1994, S. 119 [S. 136 ff.]; vgl. auch Werner Mäder, Streiflichter zu Rudolf Smends Integrationslehre und Hermann Hellers Staatslehre, in: Peter Neide/Werner Mäder (Hrsg.), Migration und Integration, (Bausteine Europas, Bd. VII), St. Augustin 2000, S. 133-223. 511 A. de Benoist , Demokratie: Das Problem ..., S. 101 ff. 512 Hervorragend Josef Isensee, Solidarität - sozialethische Substanz eines Blankettbegriffs, in: ders. (Hrsg.), Solidarität in Knappheit. Zum Problem der Priorität, 1998, S. 97-141. 513 Peter Schneider, Ausbruch aus der Käseglocke. Verteidigung der 68er gegen die Maschendrahtzaun-Generation, in: Der Spiegel Nr. 21 vom 22.5.2000, S. 34-36. 514 Hierzu Anton Rauscher, Gemeinsinn statt Egoismus. Für eine Stärkung der Sozialkultur, in: Kirche und Gesellschaft, Nr. 243, Köln 1997. - Zu Wegen aus der Krise und zum Kommunitarismus Amitai Etzioni, Die Entdeckung des Gemeinwe508
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Der deutsche Staat wird nur noch als gedankliche Konstruktion aufrechterhalten. Er existiert in den Gedanken der gewählten Repräsentanten, um dem Bürger die trügerisch werdende Sicherheit zu vermitteln, in einem behüteten Gemeinwesen dazusein, auf das wohl kein Mensch trotz allseitiger Emanzipation verzichten möchte. Das mag an einen Rest Not- und Verstandesstaat im Hegeischen Sinne erinnern. 516 Das funktioniert, weil die Postmoderne keine Orientierung gibt. 5 1 7 Deutschland ist ein „Gedankenstaat", ein Staat in Gedanken, nicht in der Realität. Daran führt kein Weg vorbei. Andersmeinenden mit anderer Theorie möchte man Hegel zitieren: 5 1 8
,,... Denn was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie, denn das, was ist, ist die Vernunft. Was das Individuum betrifft, so ist ohnehin jedes ein Sohn seiner Zeit; so ist auch die Philosophie, ihre Zeit in Gedanken erfaßt. Es ist ebenso töricht zu wähnen, irgendeine Philosophie gehe über ihre gegenwärtige Welt hinaus, als, ein Individuum überspringe seine Zeit, springe über Rhodus hinaus. Geht eine Theorie in der Tat darüber hinaus, baut es sich eine Welt, wie sie sein soll, so existiert sie wohl, aber nur in seinem Meinen - einem weichen Elemente, dem sich alles Beliebige einbilden läßt." An allem ändert sich auch nichts, daß die Bundesrepublik als Verfassungsstaat bezeichnet w i r d . 5 1 9 Die Verfassung, schriftlich fixierte Gedanken, hat zwar den Staat zum Gegenstand und zur Voraussetzung. Gegenüber der Realität, der gesellschaftlichen Wirklichkeit aber wird sie „machtl o s " . 5 2 0 Auch das BVerfG läßt zur Bejahung der Staatlichkeit einer Gewalt den rechtlichen Anspruch, ausschließlich zu herrschen, nicht allein genügen, sondern fordert die tatsächliche Macht zur Durchsetzung dieses Anspruchs. 521 Realität ist, daß Deutschland kein Staat ist.
sens. Ansprüche, Verantwortlichkeiten und das Programm des Kommunitarismus (Titel der amerikanischen Original-Ausgabe: The Spirst of Community), Stuttgart 1995. - Zum Dekadenzproblem: Guillaume Faye, Rede an die europäische Nation (Titel der franz. Ausgabe: Nouveau Discours ä la Nation européenne, Paris 1985), Tübingen 1991, S. 49 ff.; Gustav Sichelschmidt, Wie im alten Rom. Dekadenzerscheinungen damals und heute, 8. Aufl., 1996. 515 „Die neuen Deutschen", Spiegel-Leitartikel: Generation Ich. Von der Revolte zur Rendite, in: Der Spiegel Nr. 21 vom 22.5.2000, S. 22-34. 516 Hegel, Rechtsphilosophie, § 261 (252 ff.), S. 215 ff. 517 Zur Krise und zum Ende der Moderne Alain de Benoist, Aufstand der Kulturen. Europäisches Manifest für das 21. Jahrhundert, 1999, S. 11-84. 518 Hegel, Rechtsphilosophie, Vorrede (XXII), S. 16. 519 P. Kirchhof, Der Staat als Organisationsform ... 520 H. Heller, Staatslehre (1934), S. 361 ff. 521 BVerfGE 80, S. 315 [336, 340]. 8 Mäder
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Schließen wir mit Hegel, als hätte er es heute gesagt: 522 „In dem Daseyn eines Volkes ist der substantielle Zweck, ein Staat zu seyn und als solcher sich zu erhalten; ein Volk ohne Staatsbildung (eine Nation als solche) hat eigentlich keine Geschichte, wie die Völker vor ihrer Staatsbildung existirten und andere noch jetzt als wilde Nationen existiren." mit des Dichters Worten: 5 2 3 Man soll die Stimmen wägen, nicht zählen; Der Staat muß untergehn, früh oder spät, wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet."
522
Hegel, Sämtliche Werke (von Hermann Glockner), 10. Bd. System der Philosophie. Dritter Teil. Die Philosophie. Dritter Teil. Die Philosophie des Geistes, 3. Aufl., 1958, S. 429. 523 Friedrich Wilhelm Schiller, Demetrius, in: Sämtliche Werke, 3. Bd., (Verlag der J. G. Cotta'sehen Buchhandlung), 1879, S. 174.
Epiloge Aufgabe der vorliegenden Schrift ist aufzuzeigen, daß Deutschland um die 2. Jahrtausendwende nicht als ein Staat bezeichnet werden kann. Dafür ist es unerheblich, ob Deutschland nach dem 2. Weltkrieg jemals ein souveräner Staat war. Die Kritik richtet sich nicht in erster Linie gegen den Zustand und die Verhältnisse, in denen das Land sich befindet, unter denen es sich darstellt, verfaßt ist. Diese kann man hinnehmen oder ändern wollen. W i l l man sie ändern, müßte sich der Appell an alle richten, an Bürger, Staatsbürger, ihre politischen Repräsentanten und die Judikative, der Rechtsverfassungsinterpretin, denen, geht man von der „Notwendigkeit" staatlicher Existenz aus, „aufgegeben" ist, sich zur politischen Einheit, zum und in den Staat zu integrieren. 524 Die Kritik richtet sich an jene, die dem Volke und Bürgern sagen, Deutschland sei ein Staat, obwohl er keiner ist. Aufgabe der vorliegenden Schrift ist es nicht aufzuzeigen, welches normatives Sinngebilde, welche Rechtsverfassung oder welche Ordnung für Deutschland einerseits und für Europa, v.a. die Europäische Union oder Europäische Gemeinschaft paßt. Dazu ist die Struktur des politischen Gesamtzustandes zu sehr im Fluß, zu sehr von Desintegration einerseits und supranationaler Verdichtung beherrscht, daß der Anker an einem bestimmten Begriff schon festgemacht werden kann. Versuche, Orientierung zu verschaffen, gibt es in der seins- und geisteswissenschaftlichen Literatur genug. Hier soll ein weiterer Versuch nicht hinzugefügt werden. Für die heutige Situation lassen sich gewiß zwar nicht in Einzelheiten, so doch in Entwicklungslinien Bezüge zum Heiligen Römischen Reich des 17. und 18. Jahrhunderts aufweisen. In diese Linien fädelt sich die Begriffsgeschichte des Bundes mit einem Facettenreichtum terminologischer Verbindungen ein. Historisch gesehen, kann Bund seit rund 1800 als vorstaatlich, außerstaatlich, zwischenstaatlich und überstaatlich, schließlich im wichtigen Spezialfall als bundesstaatlich interpretiert werden. Für die Hypothese einer „Sattelzeit", daß sich im Zeitraum vor und nach der Französischen Revolution ein entscheidender Begriffswandel vollzogen habe, ist dieser Negativkatalog wegweisend. Das Verständnis vom „Bund" wurde zunehmend aus seiner Beziehung zum „Staat" gewonnen. 524
W. Mäder, Streiflichter zu Rudolf Smends Integrationslehre und Hermann Hellers Staatslehre, S. 219 ff. 8*
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Mit dem Begriff „Bund", seinem Bedeutungsgehalt und -wandel in den Zeiten und für verschiedene Zeitalter (so im Zeitalter der Einungen, zwischen Reformation und Revolution), weiterhin als Leitbegriff gesellschaftlicher und politischer Organisation in geschichtsphilosophischer Perspektive tauchen auf und vergehen Varianten, die nicht allein mit seiner Dehnungsfähigkeit begründet, sondern damit erklärt werden muß, daß Bundesformationen zum menschlichen Dasein schlechthin gehören, aber „Bund" auch ein Vorgebot zwischenmenschlicher Zusammenschlüsse indiziert. Ohne damit alle gemeinten Sachverhalte unter ihrem jeweiligen Zusammenhang in den Blick zu rücken, spiegelt sich die Vielfalt der Zusammenschlüsse in folgendem Wert- und Sprachenreichtum im Raffer der Zeit wieder, so: - Einung, Bund, Bündnis, Bünde, bündische Elemente, Föderation, Föderative, Allianz, Assoziation, Union, Liga, Hanse; - Bundesformation, Bundschluß, Bundesvereinigung, Bundesverein, Volksbund, Verbund, Verbündnis, Verbindung, Verband, Völkerbund; - Vertrag, Gemeinschaft, Verein, Vereinigung, Gemeinschaft, Genossenschaft, Gesellschaft, Staat, Reich, Imperium; - Zollverein, (nationale) Staatenverbindung, Staatenvereinigung, Staatenassoziation, Föderalismus freier Staaten, Staatenverein, Staatenverbund, Staatenbündnis, zusammengesetzter Staat, Völkerstaat (civitas gentium [Kant]); Bundesstaat, Vereinigte Staaten, Bundesreich, Staatenreich; - lateinische Äquivalente: foedus, foederatio, confoederativ; unió, liga, amicitia, fraternitas, conjurado, conspirado; communitas, societas, concordia, harmonía, universitas. Die geschichtlichen Etappen, die das Heilige Römische Reich in seiner Relation zum „Staat" als einer entstehenden modernen Verfassungsbauform durchlaufen hat, können nur verstanden werden, wenn die Bundes- und Einungsformen der Stände mit einbezogen werden. In gewisser Hinsicht läßt sich die Geschichte des Reiches nur erklären, wenn berücksichtigt wird, wie sehr Einungen, Föderationen und Allianzen das Reich zugleich ausgezehrt und erhalten haben, - bis das Reich vollends in der Nachfolgeformation des Deutschen Bundes 1815 aufging, der seinerseits durch den Bundesschluß von 1871 abgelöst wurde.
K . Hegels Vernunftsstaat Die Reichsentwicklung um 1800 hatte Hegel mit seiner Schrift Kritik der Verfassung Deutschlands zum Anlaß genommen, darüber zu schreiben, was denn einen Staat ausmache. Warum sagt uns seine Schrift auch noch heute
Κ. Hegels Vernunftsstaat
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etwas, warum haben die Kriterien, die einen Staat ausmachen, auch heute noch Wirkungsmacht? Die Antwort liegt in der Bestimmung und Bildung des Begriffes selbst. Hegels Verständnis vom „Staat" und von Souveränität hat Ausschließlichkeitscharakter, sein Begriff des „ vernünftigen" Staats ist zeitresistent. Hegel war der einzige Geschichtsphilosoph, der die politische Wirklichkeit und ihre institutionellen Vorgaben in die Reflexion seines Staatsbegriffs einbezogen hatte. 5 2 5 Mit seiner Jugendschrift Kritik der Verfassung Deutschlands (1800/01) kritisierte er ätzend der Deutschen Gewohnheit, an ihren Begriffen festzuhalten, auch wenn sie nicht mehr geeignet sind, die Wirklichkeit zu erfassen. „Deutschland ist kein Staat mehr". Das Staatsrecht sei eine empirische Beschreibung geworden, keine Wissenschaft mehr. „Denn zwischen die Begebenheiten und das freie Auffassen derselben stellen sie eine Menge von Begriffen und Zwecken hinein und verlangen, daß das, was geschieht, diesen gemäß sein soll." Sei dies nicht der Fall, „so finden sie darin, daß sie ihre Begriffe behaupten, das Recht, das Geschehene bitter zu tadeln". Daher ist ihre Weise, „bloß von Begriffen zu sprechen, unwahr und unredlich". 5 2 6 Mit dem Aspekt „des Gedankenstaates" hat Hegel eine Wirklichkeitsanalyse geboten und auf einen negativen Begriff gebracht, der - wissenssoziologisch gesehen - ungehindert und ungebrochen in alle Zukunftsentwürfe der idealistischen und romantischen Staatstheorien eingegangen war, nämlich im Sinne der rechtlichen und politischen Praxis kraftlos zu sein. Im Gegenzug zielte nun Hegels Anstrengung mit seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821) darauf, auch das Gewicht der Vorgegebenheiten und die politisch erforderliche Macht eines souveränen Staates in den Begriff seines vernünftigen Staates zu integrieren. 527 Dabei ging auch er von der zeitlichen Differenzbestimmung aus, die immer schon auf einen zukünftigen Staat der Vernunft vorausweist. Wie seine berühmte Ist-Feststellung „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig." 528 525
Hierzu und das folgende: Reinhart Koselleck, Art. „Staat und Souveränität", III. „Staat im Zeitalter revolutionärer Bewegung" in: Otto Brunner/Werner Conze/ Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 6, 1. Aufl., 1990, S. 25 [37-40]. 526 Hegel, Die Verfassung des Deutschen Reichs (1800/02), Werke, hrsg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Bd. 1, Frankfurt 1971, S. 461, 463 f.; ders., Verfassung Deutschlands, S. 133. 527 R. Koselleck, Art. „Staat und Souveränität", S. 37. Heller legt dar, daß Hegels Machtstaatsgedanke bis zu Bismarcks Zeit wirkt. 528 Hegel, Rechtsphilosophie, Vorrede (XIX), S. 14.
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zunächst lautete: „Was vernünftig ist, wird wirklich, und das Wirkliche wird vernünftig." 529 Auch Hegel entwarf eine - dreiphasige - Philosophie der Geschichte, deren Epochenschübe die Freiheit aller Menschen zunehmend realisieren. 530 Und wenn er den ,Staat' als den Bahnbrecher der Freiheit betrachtet, so läßt er keinen Zweifel daran, daß der empirische Staat niemals die Letztinstanz der Weltgeschichte ist. Vielmehr ist es die allgemeine Idee des Staates als Gattung, die eine absolute Macht gegen die individuellen Staaten ausübt, 531 um die Freiheit durch die Staaten hindurch zu verwirklichen. Freilich gibt es ohne Staaten als institutionelle Garanten gar keine Freiheit. „Der Staat ist die Wirklichkeit der konkreten Freiheit." 5 3 2 Es ist seit der Französischen Revolution das Prinzip der modernen Staaten, die Unabhängigkeit der Individuen in der substantielle(n) Einheit des Staates zugleich vorauszusetzen und zu sichern. Hegels Analyse zielt darauf, den Begriff des Staats und den geschichtlich vorgegebenen Sachverhalt so aufeinander zu beziehen, daß die allgemeine Idee der Freiheit in ihren konkreten Institutionen, als dem Reich der Sittlichkeit, zur Geltung kommt. Deshalb suchte er in seiner Theorie des Staates, auf die sich seine Rechtsphilosophie bezog, die Architektur seiner Vernünftigkeit, - wodurch er sich sowohl liberaler wie konservativer Kritik aussetzte. Diese Kritik hat Hegel stets reflektiert. „ . . . Wenn umgekehrt die Idee für das gilt, was nur so eine Idee, eine Vorstellung in einem Meinen ist, so gewährt hingegen die Philosophie die Einsicht, daß nichts wirklich ist als die Idee. Darauf kommt es dann an, in dem Scheine des Zeitlichen und Vorübergehenden die Substanz, die immanent, und das Ewige, das gegenwärtig ist, zu erkennen. Denn das Vernünftige, was synonym ist mit der Idee, indem es in seiner Wirklichkeit zugleich in die äußere Existenz tritt, tritt in einem unendlichen Reichtum von Formen, Erscheinungen und Gestaltungen hervor, und umzieht seinen Kern mit der bunten Rinde, in welcher das Bewußtsein zunächst haust, welche der Begriff erst durchdringt, um den inneren Puls zu finden und ihn ebenso in den äußeren Gestaltungen noch schlagend zu fühlen. Die unendlich mannigfaltigen Verhältnisse aber, die sich in dieser Äußerlichkeit, durch das Scheinen des Wesens in sie, bilden, dieses unendliche Material und seine Regulierung, ist nicht Gegenstand der Philosophie." 533 529 Hegel, Philosophie des Rechts. Die Vorlesung von 1819/20 in einer Nachschrift, hrsg. von Dieter Henrich, Frankfurt 1983, 51.372. 530 Hegel, Rechtsphilosophie (1921), § 33, §§ 341 ff. 531 Ebd., § 259. 532 Ebd., § 260.
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„So soll denn diese Abhandlung, insofern sie die Staatswissenschaft enthält, nichts anderes sein als der Versuch, den Staat als ein in sich Vernünftiges zu begreifen und darzustellen. Als philosophische Schrift muß sie am entferntesten davon sein, einen Staat, wie er sein soll, konstruieren zu sollen; die Belehrung, die in ihr liegen kann, kann nicht darauf gehen, den Staat zu belehren, wie er sein soll, sondern vielmehr, wie er, das sittliche Universum, erkannt werden s o l l . " 5 3 4 Hegels auf die erfahrene Wirklichkeit bezogenen Vernunftargumente richteten sich gegen eine historische Relativierung, die den Staat aus seinen zufälligen Entstehungsbedingungen heraus genetisch festschrieb, wie auch gegen die Wunschbilder, die sich an religiösen, moralischen oder ästhetischen Normen oder Sollensbestimmungen orientieren. Im Ergebnis kam er zu einem Staatsbegriff, der weder dem empirischen Sosein noch dem Optativ möglicher Staaten huldigte. Er suchte seine Zeit 535 vernunftgemäß zu erkennen, auf ihren Begriff zu bringen. Überkommene und innovative Elemente hielten sich dabei die Waage. 5 3 6 Insgesamt handelt es sich um einen starken Staat, der desto liberaler sich verhalten kann, wenn es darum geht, ökonomische oder soziale, zwischenständische oder kirchenpolitische Konflikte überparteilich zu lösen. 5 3 7 Hegel hat zwei Grunderfahrungen seit der Französischen Revolution auf ihren gemeinsamen Begriff gebracht: die Entzweiung der arbeitsteiligen bürgerlichen Gesellschaft einerseits und das unüberholbare Freiheitsbewußtsein der Bürger andererseits. Beides könne nur in einem vernünftigen System der Sittlichkeit, der Rechte und Pflichten eine institutionelle Zuordnung finden. Wie er in seiner Philosophie der Geschichte einmal sagte: „Was den Staat ausmacht, ist Sache der gebildeten Erkenntnis." 538 Unbeschadet dessen, daß Hegel die einzelnen Schritte der Beweisführung seiner Logik entnommen hatte, war seine Begriffsbildung geschichtlich so wirklichkeitsgesättigt, daß aus ihr sowohl kritische wie konformistische Folgen ableitbar waren. Wie sehr Hegel seinen Staatsbegriff in der sich selbst legitimierenden Organisationsleistung begründet hat, die Freiheit sosehr voraussetzt wie absichert, zeigt sich daran, daß er den Staat weder als Epiphänomen einer außerstaatlichen Gesellschaft definierte, noch als Emanation eines vorgegebenen Volkes. „Volk" und „Gesellschaft" waren ihm integrale Elemente ei533
Hegel, Rechtsphilosophie, Vorrede (XX), S. 14 f. Ebd., Vorrede (XXI), S. 15 f. 535 Ebd., Vorrede (XXII), S. 16. 536 R. Koselleck, Art. „Staat und Souveränität", S. 38. 537 Hegel, Rechtsphilosophie, § 270 (263), S. 225. 538 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte (1822/30), Werke, hrsg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Bd. 12, Frankfurt 1970, S. 61. 534
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nes Prozesses, der allein im Staat rechtlich und sittlich in die Wirklichkeit treten konnte. Damit hat er einen Staatsbegriff entwickelt, der theoretisch geeignet ist, allen sozialen und nationalen Herausforderungen der kommenden Zeit gewachsen zu bleiben, solange er das organisatorische Zuordnungsprinzip beider Bewegungsfaktoren bleibt. 5 3 9 „Staat" und „Souveränität" sind zwei Begriffe, die in ihrer geschichtlichen Entstehung und ihrer rechtlichen Zuordnung aufeinander verweisen. Vom 17. Jahrhundert bis in unsere Zeiten hinein besteht ein so enger Zusammenhang, daß sich beide Begriffe gegenseitig bedingen. Zwar bleiben sie in der Wirklichkeit noch in der Rechtstheorie zur Gänze voneinander abhängig. Es gab souveräne Fürsten, die nicht über einen Staat geboten, so wie es Staaten gab und gibt, die nicht souverän sind. Beide Begriffe sind jedoch in der Entwicklung zum modernen Staat entstanden. In der Wirklichkeit geboren, sind das Seinsgebilde „Staat" und das Phänomen der Macht, die „Souveränität", zu Rechtsbegriffen geronnen. Man kann sagen, daß Hegels Begriff des „Staates" und der „Souveränität", so wie er auch von Heller weiter herausgearbeitet wurde, wirklichkeits-, geschichts- und rechtsgesättigt ist. Entweder ist ein Sozialgebilde ein Staat oder es ist es nicht. Entweder besitzt ein Rechtssubjekt Souveränität oder es besitzt sie nicht. Bei Wahrung der Ausschließlichkeit gibt es juristisch weder eine geteilte Souveränität noch eine geteilte Staatlichkeit. Man kann dies akzeptieren oder verneinen. Eine Widerrede kann dem Ergebnis „gleichgültig" sein. 5 4 0 Andere Begriffe wie „Bund" mit seinen vielen Valenzen sind, auf den „Staat" bezogen, entweder anderen Bereichen zugeordnet oder nicht ausschließlich juristische Begriffe oder Spiegelbild tatsächlicher Verhältnisse bis hin zu voluntaristischen Aktionsbegriffen. Es mag zwar „modernem" Sprachverständnis entgegenkommen, Worte und Bezeichnungen mit „light" oder „soft" zu adjektivieren. Ein Staat „light" mit einer „soft" Souveränität liegt außerhalb jener Begriffe. Eine historische Relativierung oder die Formung von Wunschbildern umziehen allenfalls den „Staatskern", sind nicht Substanz, liegen allenfalls in „der bunten Rinde", sind in unendlich „mannigfaltigen Verhältnisse(n)" Äußerlichkeiten. Insofern folgt Heller auch wieder Hegel, zwar im anderen Zusammenhang, in der Betrachtung des Bundesstaates.541
,,... Angesichts der gesamten hier gekennzeichneten Sachlage ist es eine Forderung wissenschaftlicher Eindeutigkeit, den Namen Staat ausschließlich zu 539 540 541
R. Koselleck, Art. „Staat und Souveränität", S. 39. Hierzu Hegel, Rechtsphilosophie, Vorrede (XXIV), S. 18. Η Heller, Die Souveränität (1927), S. 133 ff.
. Der
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reservieren für die universalen Entscheidungseinheiten. Selbstverständlich kann es nicht die kritische Aufgabe sein, fast jedem Problem gegenüber damit zu beginnen, ,den von der unwissenschaftlichen Praxis gelieferten Sprachgebrauch zu vernichten'. 542 Die Probe solchen Unternehmens ergäbe ein nettes Resultat. Andererseits ist es aber theoretisch unhaltbar, zwei ihrer juristischen Natur so grundverschiedene Begriffe wie die partikulare und die universale Gebietsentscheidungseinheit mit dem gleichen Wort zu bezeichnen. Es dürfte ein annehmbarer Vorschlag sein, den partikularen Gebietsverband als Land oder wenigstens immer als Gliedstaat, nie als Staat schlechthin zu bezeichnen, wobei ein für allemal als ausgemacht gelten muß, daß Staat und Gliedstaat wesensverschiedene Gebilde sind. Wird mit dem Staats- und Souveränitätsbegriff ernst gemacht, so ist man nicht in der Lage, den Ländern die Eigenschaft eines Staates zuzusprechen." 5 4 3 Wird mit dem Staats- und Souveränitätsbegriff auch gegenwärtig ernst gemacht, so ist man nicht in der Lage, Deutschland die Eigenschaft eines Staates zuzusprechen. Die Kritik der Deutschen Gewohnheit, an Begriffen festzuhalten, auch wenn sie nicht geeignet sind, die Wirklichkeit zu erfassen, kann für heute erneuert werden.
L . Der Deutschen Freiheit Die Ursachen mangelnder Selbstbehauptung der politischen Klasse Deutschlands sind mannigfaltig. Das deutsche Volk scheint dies alles nicht sonderlich zu interessieren. Politische Klasse und Volk verabschieden sich voneinander. Um die Verantwortung der politischen Klasse ist es schlecht bestellt. Sie hat sich unabhängig gemacht vom Auftrag der Wähler und weitgehend vom Ausgang der Wahlen. Parteiübergreifende Kartelle betreiben eine intensive Politik der Machtsicherung. Hans Herbert von Arnim meint, daß die Deutschen von einem System der organisierten Verantwortungslosigkeit regiert werden, daß von Demokratie, Föderalismus und Gewaltenteilung nur eine leere Hülle übrig bleibt. 5 4 4 542
Zitat von Heller. ,Jians Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts. Beitrag zur reinen Rechtslehre, Tübingen 1920, S. 54." 543 Zitat von Heller: „So schon Heinrich von Treitschke, Politik (Hg. Max Cornicelius), Leipzig 1897, Bd. 1, S. 40; Bd. 2, S. 323 ff.; ... [es folgen weitere Zitate].". 544 Hans Herbert von Arnim, Vom schönen Schein der Demokratie. Politik ohne Verantwortung - am Volk vorbei, München 2000; vgl. auch ders., Die Partei, der Abgeordnete und das Geld, Neuausgabe 1991; ders., Fetter Bauch regiert nicht gern. Die politische Klasse - selbstbezogen und abgehoben, München 1997.
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Das verfassungsrechtliche und -gerichtliche Problem kommentiert Isensee: 5 4 5 „Normalität waltet heute praktisch ungestört, wo am ehesten Störung zu gegenwärtigen wäre: zwischen dem BVerfG und den Faktoren des politischen Prozesses, Parlament und Regierung, aber auch den Machteliten und Einflußprätendenten im gesellschaftlichen Raum. (...) Gefahr droht nicht von politisch motivierten Klageanträgen; zuweilen droht sie vom Unterlassen einer verfassungsgerichtlichen Klärung in verfassungsheiklen Fragen, wenn alle politischen Akteure sich präterkonstitutionell arrangieren, so Bund und Länder über die Kompetenzgrenzen hinweg und an der Finanzverfassung vorbei, oder wenn der parlamentarische Antagonismus von Regierung und Opposition praktisch ausfällt wie bei der Ratifikation des Maastrichter Vertrags Werkes und die Unruhe der Bevölkerung keinen parlamentarischen Anwalt findet. Im letzteren Fall hat die Verfassungsbeschwerde wenigstens den offenen Diskurs eröffnet und durch Injektion verfassungsstaatlicher Rationalität für innerstaatliche Befriedung gesorgt und (allen europarechtlichen Einwänden zum Trotz) der supranationalen Evolution Grenzmarken gesetzt. Nicht immer vermag jedoch die Verfassungsbeschwerde (in noch so weitherziger Zulassung) die Kontrolllücke zu schließen, wenn die politische Klasse sich in verfassungsrechtlich prekären Fragen einig verhält. Im Selbstmitleid der politischen Klasse erscheint das parlamentarische Regierungssystem als Gulliver im Zwergenland der Jurisdiktionen, gefesselt durch immer engere Zwirnsfäden. Doch sie klagt, ohne zu leiden. Dieser Gulliver weiß seine richterlichen Bande zu dehnen, zu straffen, bei Bedarf, ihnen zu entschlüpfen oder, wo es keine gibt, sie zu simulieren." Bei solchem Antagonismus bleibt dem Bürger gar nichts anderes übrig, als in grenzenlose liberale Freiheit zu „flüchten". Es lohnt sich, auch insoweit sich an Hegels Gedanken in seiner Schrift Kritik der Verfassung Deutschlands zu erinnern. Nachdem Hegel in eingehender Weise sich zu zeigen bemüht hat, daß die erste und einzig unumgängliche Bestimmung des Staates die Macht sei, geht er auch den tieferen Ursachen dieser staatlichen Zerrissenheit nach. Wie von Treitschke sie mit „unserem unausrottbaren Drange nach Unabhängigkeit" in Zusammenhang bringt, 5 4 6 so meint auch Hegel: der letzte Grund der geschilderten politischen Zustände liege darin, „wodurch die Deutschen sich am berühmtesten gemacht haben, nämlich den Trieb zu ihrer Freiheit. Dieser Trieb ist es, der die Deutschen, 545
[1088].
J. Isensee, Bundesverfassungsgericht - quo vadis?, in: JZ 22/1996, S. 1085
546 Heinrich von Treitschke, „Bundesstaat und Einheitsstaat", in: Historische und politische Aufsätze, Bd. 2, 4. Aufl., Leipzig 1871, S. 77-241 [88].
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nachdem alle anderen Völker sich der Herrschaft eines gemeinsamen Staates unterworfen haben, nicht zu einem gemeinschaftlicher Staatsgewalt sich unterwerfenden Volke werden ließ. Die Hartnäckigkeit des deutschen Charakters hat sich nicht bis dahin überwinden lassen, daß die einzelnen Theile ihre Besonderheiten der Gesellschaft aufgeopfert, sich alle in ein Allgemeines vereinigt und die Freiheit in gemeinschaftlicher freier Unterwürfigkeit unter eine oberste Staatsgewalt gefunden hätten." 5 4 7 Dabei bestreitet Hegel die Berechtigung dieser „deutschen Freiheit" nicht. Er stellt hier einen, ein wenig romantischen Naturzustand der Freiheit in der deutschen Gemeinschaft dar. „Der spätere Zustand geht unmittelbar von jenem Zustande aus, worin die Nation, ohne Staat zu sein, ein Volk ausmachte. In dieser Zeit der alten deutschen Freiheit stand der Einzelne in seinem Leben und Thun für sich. Er hatte seine Ehre und sein Schicksal nicht auf dem Zusammenhange mit einem Stande, sondern auf sich selbst beruhend. In seinem eigenen Sinne und eigener Kraft zerschlug er sich an der Welt, oder er bildete sie sich zu seinem Genüsse. Zum Ganzen gehörte er durch Sitte, Religion, einen unsichtbaren lebendigen Geist und einige wenige große Interessen. Sonst - in seiner Betriebsamkeit und That - ließ er sich nicht vom Ganzen beschränken, sondern begrenzte sich ohne Furcht und Zweifel nur durch sich selbst; aber was innerhalb seines Kreises lag, war so sehr und so ganz er selbst, daß man es nicht einmal sein Eigenthum nennen konnte, sondern für dieses zu seinem Kreise Gehörige, was wir einen Theil nennen, und woran wir also auch nur einen Theil unser selbst setzen würden, setzte er Leib und Leben, Seele und Seligkeit daran. .. , " 5 4 8 Wenn Hegel auf das Motiv der „alten deutschen Freiheit" zurückgreift, darf dies nicht zur Annahme verführen, daß er darin eine Art Urbild der modernen Demokratie propagierte. Elemente dieses Geschichtsbildes waren: die fast völlige Gleichheit aller freien Männer bei den germanischen Völkerschaften und eine wahrhafte Selbstregierung dieser Freien - ein Zustand, der modern-liberal als Abwesenheit herrschaftlichen Zwanges und als Bindung der Handlungen der Regierenden an die Zustimmung der Volksversammlung gedeutet wurde. 5 4 9 Dieser Zustand allgemeiner Freiheit und Gleichheit wurde aber nach dieser Anschauung der verfassungsgeschichtlich interessierten Liberalen bereits im frühen und hohen Mittelalter durch die Ausbildung des Lehnsrechtes verlassen, der größere Teil der anfänglich Gleichberechtigten geriet in Abhängigkeit von einer Minderheit, an deren Spitze der Monarch als oberster Lehnsherr stand. Die „alte deutsche Frei547
Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 1. Ebd., S. 2. Vgl. auch S. 61 f., 71. 549 Zur „alten deutschen Freiheit" vgl. Hans Maier, Art. „Demokratie", V, in: Otto Β runner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, 1. Bd., 1972, S. 870. 548
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heit" kam nach Hegel, wie er im Kapitel „Das Reich und die Politik der sog. Reichsstände, insbesondere Österreichs und Preußens" 550 darstellt, wieder im Kampf gegen das Kaisertum zum Durchbruch. „Da seit zehn Jahren ganz Europa seine Aufmerksamkeit auf das fürchterliche Ringen eines Volkes nach Freiheit heftete und deswegen in allgemeiner Bewegung war, so kann es nicht anders sein, als daß die Begriffe eine Veränderung erlitten und sich aus ihrer vorherigen Leerheit und Unbestimmtheit geläutert haben. Deutsche Freiheit hieß sonst nichts Anderes als die Unabhängigkeit der Stände vom Kaiser, ihr Gegensatz war entweder Sclaverei und Despotismus oder Aufhebung des Staats Verbandes: die älteren Zeiten kannten nichts Drittes." 5 5 1 In Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts wurde das demokratische Prinzip nicht als konstitutives Element eingelassen, da Hegel dieses nicht wie Görres historisch-ständisch, 552 sondern von der Französischen Revolution her egalitär-individualistisch verstand. In seinem konkreten Staat, der das in seine besonderen Kreise gegliederte Ganze war und dessen Mitglied seine wirkliche und lebendige Bestimmung für das Allgemeine ... zunächst in seiner Sphäre der Korporation, Gemeinde u.s.f erreichte, fand eine repräsentative Demokratie keinen Platz. Die Vorstellung, daß alle an den Staatsgeschäften teilhaben sollen, war für ihn abgeschmackt. Nur einem oberflächlichen Denken entspreche diese Vorstellung, welche das demokratische Element ohne alle vernünftige Form in den Staats-Organismus, der nur durch solche Form es ist, setzen wollte. Der abstrakten Bestimmung, Mitglied des Staates zu sein, setzte Hegel die Zugehörigkeit zum Stand oder zur Korporation entgegen, von der aus eine Repräsentation allein sinnvoll sein könne, im Gegensatz zur Repräsentation von einzelnen, von einer Menge. Gegen eine solche atomistische, abstrakte Ansicht stellte Hegel die Auffassung vom Staat als einer Organisation von solchen Gliedern, die für sich Kreise sind, und in ihm soll sich kein Moment als eine unorganische Menge zeigen. Man dürfe nicht die in jenen Kreisen schon vorhandenen Gemeinwesen, wo sie ins Politische, d. i. in den Standpunkt der höchsten Allgemeinheit eintreten, wieder in eine Menge von Individuen auflösen. 553 Hegel begriff denkend die Verfassung des „konkreten Staates" als einen kooperativ geordneten, von vernünftigen, gebildeten Staatsbeamten regierten Organismus, ohne dabei die Traditionsbegriffe „Aristokratie" und „Demokratie" noch zu verwenden. Er lehnte sie auch in ihrer Herab550
Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 105-125. Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 117. 552 Joseph Görres, Deutschland und die Revolution (1819), Gesammelte Schriften, Bd. 13 (1929), S. 111 ff. 553 Hegel, Rechtsphilosophie, §§ 308 (316), S. 287; 311 (320), S. 270; 303 (313), S. 265; vgl. auch ders., Verfassung Deutschlands, S. 126 ff. 551
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setzung zu Momenten in der konstitutionellen Monarchie ab. Mit solchen quantitativen Unterscheidungen werde nichts zum Begriff der Sache beigetragen. 554 Es sei auch unpassend, wenn in neuerer Zeit so viel vom demokratischen», aristokratischen Elemente in der Monarchie gesprochen worden ist; denn diese dabei gemeinten Bestimmungen, eben insofern sie in der Monarchie stattfinden, sind nicht mehr Demokratisches und Aristokratisches.555 Die Anpassung der alten Lehre von der gemischten Verfassung an moderne Verfassung war für Hegel also nichtssagend. Aristokratie und Demokratie hatten weder als alte Herrschaftsformen noch als Elemente oder Prinzipien einen Ausgangsweit für den monarchisch-korporativen Beamtenstaat als eines Ausdrucks höchstmöglicher politischer Vernunft. „Demokratie" blieb begrifflich außerhalb eines solchen deutschen Staatsrechts. Aber außerhalb Deutschlands spielte sie für Hegel eine erhebliche Rolle. Die Konstitution Frankreichs vom Jahre III unter Robespierre wurde von ihm als demokratisch bezeichnet; denn sie war weitgehend unmittelbare Demokratie gewesen. Hegel vermerkte, daß sie vom ganzen Volk angenommen wurde, aber freilich um so weniger zu irgendeiner Ausführung kam. 556 Für sie galt, daß sie ein Gemachtes war und daß ihr ein bloßer atomistischer Haufen von Individuen zugrunde lag. Daß ein solches Extrem nicht dauerhaft realisierbar sein konnte, war für Hegel ebenso ausgemacht wie die Erkenntnis fortgesetzter jacobinisch-demokratischer Bedrohung der vernünftigen Ordnung. Hegel hatte die Demokratie also bei der Revolution verortet. Damit hatte sie zwar im Fortschritt der Selbstverwirklichung des Geistes der Freiheit ihren notwendigen Platz erhalten, hatte aber dort nicht die Versöhnung, sondern neue Entzweiung gebracht und war geschichtlich hinter der höchsten erreichten Stufe des Vernunftstaats im Sinne der Rechtsphilosophie Hegels zurückgeblieben. Demokratie als Volkssouveränität gemäß den verworrenen Gedanken, denen die wüste Vorstellung des Volkes zugrundeliegt, ... die formlose Masse, die kein Staat mehr ist, 557 war für Hegel trotz ihrer aktuellen Gefährlichkeit schon etwas Überholtes, eine überwundene Phase des geschichtlichen Prozesses, der bei den germanischen Völkern vornehmlich über die jakobinische Demokratie hinaus zu neuer Versöhnung und Freiheit fortgeschritten war. Darin lag das politisch Wirksame dieser Auffassung Hegels: der Demokratie wurde die Suggestivkraft der Progressivität und der Unumgänglichkeit genommen. Sie lag schon „hinten" und war durch eine höhere Staatsidee überwunden, die der Demokratie gegenüber nicht reaktionär oder defensiv restaurativ sein mußte. 5 5 8 Für He554
Hegel, Rechtsphilosophie, § 273 (278), S. 236. Ebd., § 273 (278), S. 236. 556 Hegel, Über die englische Reformbill (1831), Sämtliche Werke, Bd. 20 (1930), S. 503. 557 Hegel, Rechtsphilosophie, § 279 (288), S. 245. 555
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gel ist die Repräsentation des Ganzen, des Volkes um der Freiheit seiner Glieder willen Fundament seiner Staatslehre. Er verknüpft das Repräsentativsystem aber nicht mit der Demokratie, die später als „repräsentative" Demokratie auch in Großstaaten des Westens Fuß faßte. Mit der Demokratie verband er eher die „liberale, unpolitische" Freiheit und Gleichheit, „Demokratie" als Entartungsform der politeia der Antike, wenn er einem bloßen atomistischen Haufen von Individuen, einer formlosen Masse oder einem willkürlichen und unorganischem Zustande die organische Totalität der Souveränität gegenüberstellt. 559 Für Piaton war die Demokratie vornehmlich durch Freiheit bestimmt. Zur Frage, wie man in der Demokratie lebt und wie eine solche Verfassung aussieht, hört man: Nicht wahr; an erster Stelle steht doch dies, daß sie freie Menschen sind und daß der Staat förmlich überquillt von Freiheit und Schrankenlosigkeit im Reden und daß jeder in ihm die volle Möglichkeit hat zu tun, was er will. 560 Nichts in dieser Verfassung ist einheitlich geformt, alle Sitten, alle Verfassungen sind in ihr vertreten, sie ist eine Trödelbude der Staatsverfassungen. 561 Die Menschen sind der verschiedensten Sinnesart. Im Ganzen also eine reizende Verfassung, herrschaftslos, ...so etwas wie Gleichheit gleichmäßig an Gleiche und Ungleiche verteilend 5 6 2 Die Gleichheit ist aber nicht nur Ausdruck der Nachsicht gegen alles und jedes, sondern resultiert zugleich aus dem heftigen Freiheitsverlangen. Die Regierenden, die sich wie Regierte, und die Regierten, die sich wie Regierende benehmen, werden gepriesen und geehrt. 562 Piaton konstatierte dort, wo Aristoteles den Wechsel von Regierenden und Regierten feststellen wird, deren Angleichung in ihren Rollen. 5 6 4 Piatons eigentliches Interesse galt dem demokratischen Menschen. 565 Bei ihm ist dieser Menschentyp nicht ständisch und nicht durch Überzeugung, Gesinnung oder Interesse bestimmt, sondern durch seine Art. Und diese ist nicht einfach eine Funktion der Verfassung, sondern bildet sich irgendwie gleichzeitig mit ihr und nach einer historischen Gesetzmäßigkeit im Rah558
Werner Conze, Art. „Demokratie", VI, S. 880. Hegel, Rechtsphilosophie, § 279 (288), S. 245. 560 Piaton, Politeia, 557 b. 561 Ebd., 557 d. - In der Reclam-Ausgabe mit „Kaufhaus" (hrsg. von Karl Vretska, Universal-Bibliothek Nr. 8205, Ausgabe 1982) und in der Phaidon-Ausgabe mit „Marktbude" übersetzt. 562 Piaton, Politeia, 557 c, 558 c. 563 Ebd., 562 d. 564 Man kann dies heute auf das Verhältnis der Politik zur Wirtschaft oder zu anderen nichtstaatlichen Gruppierungen beziehen. 565 Christian Meier, Art. „Demokratie", I Antike Grundlagen, in: Otto Brunner/ Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, 1972, S. 829. 559
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men der Abfolge der Verfassungen, 566 welche einer jeden Verfassung baldigen unaufhaltsamen Verfall bringt, solange man nicht durch Schaffung einer idealen Verfassung aus ihr heraustritt. Der demokratische Mensch tut stets, was ihm gerade paßt, schätzt gute und schlechte Begierden gleich und in der gleichen Beliebigkeit, mit der die Stadt durch das Los ihre Ämter verteilt, läßt er sich von ihnen beherrschen. 567 Im Politikos traf Piaton offenbar als erster - die Scheidung zwischen einer guten und einer schlechten Demokratie. Er meinte allerdings, der Unterschied sei nicht sehr groß. Denn die Herrschaft der Menge ist ganz schwach und vermag weder im Guten noch im Bösen viel im Vergleich zu den anderen, weil nämlich die Ämter in ihr unter viele ins Kleine verteilt sind. 568 Dies ist wohl auch der Grund, weshalb er die beiden Arten nicht mit besonderem Namen belegte. Maßgebend für die Scheidung ist, ob die Herrschaft gemäß den Gesetzen ausgeübt w i r d . 5 6 9 Da aber in der Demokratie - wie in der Monarchie, Timokratie, Oligarchie etc. - Herrscher und Beherrschte sich wie Herr und Sklave verhalten, verdient sie ebenso wenig wie jene den Namen „Verfassung", sie ist nur eine „Staatsverwaltungsart", wenn nicht eine „Parteiherrschaft". 5 7 0 Sie entsteht aus der Oligarchie und gebiert aus sich heraus die Tyrannis. 5 7 1 Auch Aristoteles sah das Prinzip der Demokratie in der Freiheit. 5 7 2 Die demokratische Gleichheit ist nämlich Gleichheit der Zahl, nicht des Wertes. Denn die Demokratie entstand dadurch, daß man meinte, Leute, die in bestimmter Hinsicht gleich sind, seien es damit auch schon schlechthin - sofern nämlich alle, die gleichermaßen von freier Geburt sind, sich damit schon für schlechthin gleich ansehen. 573 „Freiheit" meinte hier primär den Personenstand als geringstmögliche Qualifikation für das Vollbürgerrecht. Darüber besteht sie vor allem in zweierlei: daß die Bürger abwechselnd herrschen und beherrscht werden und man lebt, wie man will. 57 4 Die Freiheit der Lebensführung bedeutet vor allem Freiheit von Bevormundung durch staatliche Erziehungs- und Sittenaufsichtsorgane, eine Einschränkung also der staatlichen Kompetenz. Aus dieser Bestimmung der Freiheit folgt aber, daß man sich nicht regieren läßt, und zwar am liebsten von niemandem; soweit aber dies unmöglich ist, nur abwechslungsweise, und so trifft 566 567 568 569 570 57 1 572 57 3 574
Piaton, Politeia, 555 b ff.; 559 d ff. Ebd., 561. Piaton, Politikos, 302 d; 303 a. Ebd., 302 e. Ebd., 303 c. Piaton, Politeia, 555 b ff.; 562 a ff.; 565 d; 566 c ff.; 569 c. Nähere Erläuterung bei Chr. Meier, Art. „Demokratie", S. 830-833. Aristoteles, Politik, 1301 a 28; 1301 b 29 ff.; vgl. 1280 a 7; 1280 a 24. Ebd., 1317 b 2.
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denn hierin dieses zweite Merkmal der Freiheit wieder mit dem ersten, nämlich der Gleichheit zusammen. 575 Innerhalb der Demokratie unterschied Aristoteles eine Reihe verschiedener Ausprägungen. 576 Er entnahm das eine der beiden Merkmale der demokratischen Freiheit - zu leben, wie man will - der extremen Demokratie. 577 Einen Kreislauf der Verfassungen - wie Piaton - kannte er nicht. In der Rangfolge der Verfassungen folgte für ihn auf die Politie die Demokratie, dann Oligarchie und Tyrannis. 5 7 8 Monarchie und Aristokratie waren zwar besser, aber nur unter besonderen Umständen möglich. Die Freiheit, zu leben, wie man will, stets zu tun, was einem paßt - das ist auch dem liberalen Denken der Postmoderne wesenseigen, die andererseits noch keine politische Orientierung bietet, wie sie die Demokratie in der modernen Bewegung gespielt hat. Der Citoyen verläßt die politische Bühne. Er privatisiert sich und seine Freiheit. Freiheitliches Denken ist nicht mehr staatsorientiert, sondern selbstbezogen. Die Entwicklung trifft alle westlichen Gesellschaften, 579 Deutschland in seiner Mittellage besonders, und sie wird noch durch besondere Abhängigkeit von der Weltwirtschaft immer schneller vorangetrieben. Die „alte deutsche Freiheit" mag zwar im Föderalismus der bundesstaatlichen Organisiertheit und im sozialethisch und -rechtlich unterlegten Subsidiaritätsprinzip (nach-)wirken, wird aber durch individuelle Freiheit gegen alles und jedes überspielt, wobei sie in Extremform als „neue deutsche Freiheit" im Massenphänomen sich zur Erlebnis- und Spaßgesellschaft wieder kollektiviert. 5 8 0 Demokratie wird zum extrakonstitutionellen Begriff, wird zum Programm einer Universal-Demokratie, die nach Wieland nur den letzten Schritt zu einer allgemeinen Barbarei und Verwilderung darstellt. 581 Das politische Interesse der bürgerlichen und proletarischen Schichten läßt nach, so daß man oligarchisch und neu-aristokratisch regieren kann. 575
Ebd., 1317 b 13. Hierzu Chr. Meier, Art. „Demokratie", S. 832 f. 57 7 Aristoteles, Pol., 1310 a 25. 578 Ebd., 1289 b 4; 1296 b 3 ff. 579 Vgl. Analyse von Alain de Benoist, Aufstand der Kulturen, 1999; Guillaume Faye, Rede an die Europäische Nation, 1985. 580 Gerhard Schulze, Was wird aus der Erlebnisgesellschaft?; Hermann Strasser/ Achim Graf, Schmidteinander ins 21. Jahrhundert; Horst W. Opaschowski, Jugend im Zeitalter der Eventkultur; Thomas Müller-Schneider, Die Erlebnisgesellschaft der kollektive Weg ins Glück?, in: Aus Politik und Weltgeschichte Β 12/2000, S. 3-30. 581 Christoph Martin Wieland, Gespräche unter vier Augen (1798), Werke, Bd. 32 (1857), S. 56 ff., 69, 113, zitiert von R. Koselleck, Art. „Demokratie", IV. 1, S. 849, Fn. 186. 576
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Man gibt sich dennoch weitgehend demokratisch aus. Die Wahlen werden zu formalen Akten der Bürger einerseits, zu Ritualen der Parlaments-Parteien andererseits. Verhalten und Beteiligung der Wahl-Berechtigten nennt man heutzutage „Politikverdrossenheit". 582 Die politische Demokratie verliert ihre Substanz. 583 M . D e r politischen Klasse Freiheit Der zentrale Begriff der Demokratie ist das Volk, nicht Gesellschaft oder Menschheit. 584 Die demokratische Staatsform ist wesentlich Gleichartigkeit, und zwar Gleichartigkeit des Volkes. 5 8 5 Demokratie (als Staatsform wie als Regierungs- oder Gesetzgebungsform) ist Identität von Herrscher und Beherrschten, Regierenden und Regierten, Befehlenden und Gehorchenden. 586 Das Repräsentativsystem 587 setzt Rost an. Die politische Klasse, selbstbezogen, will sich nur noch selbst behaupten. Die Rituale nach den Wahlen z.B. bezeugen dies plastisch: Es gibt nur Sieger, keine Verlierer. Man möchte - wie der Bürger in seiner Sphäre - in und mit seinem Zirkel die Freiheit haben, zu handeln oder zu unterlassen, wie man will, stets zu tun, was einem paßt. Die Verbindung zum Bürger wird nicht gehalten, und der Staat wird eigentlich nur für Steuereinnahmen gebraucht, um die Partei zu finanzieren und sich Ämter zu verschaffen. Von Staatsethos, Staatsräson, Selbstbehauptung des Staates, der Nation und von der Wahrung des Eigenen in einem zusammenrückenden Pluriversum der Staaten ist keine Rede. 5 8 8 Um Oswald Spenglers Betrachtung über den „intelligenten Nomad e n " 5 8 9 aufzunehmen: Der Politiker wird zum „politisch - unpolitischen Nomaden". Mit immer neuen Worten und Blankettbegriffen will man der Wirklichkeit entfliehen: Europa als „Konföderation"; 5 9 0 der Bürger ist verwirrt, wird von den Problemen abgelenkt, obschon es genug Bezeichnungen für die Qualität der Europäischen Gemeinschaft und Union gibt. Man bemüht sich auch gar nicht mehr, dem ob der Wortevielfalt Staunenden die 582 Olaf Winkel, Wertewandel und Politikwandel. Wertewandel als Ursache der Politikverdrossenheit und als Chance ihrer Überwindung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Β 52-53/1996, S. 13-25. 583 Hierzu Carl Schmitt, Verfassungslehre (1928), 8. Aufl., 1993, S. 234 ff. 584 Ebd., S. 243. 585 Ebd. 586 Ebd. 587 Hierzu C. Schmitt, Verfassungslehre (1928), S. 204 ff. 588 Rudolf Wassermann, Das Amtsethos schwindet, in: NJW 16/2000, S. 1159 f. 589 Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, S. 661. 590 So die Rede des deutschen Außenministers Josef Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) am 12.5.2000 in der Humboldt-Universität zu Berlin. 9 Mäder
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Unterschiede zu erläutern, assoziiert doch „Union" oder „Gemeinschaft" ein engeres Band zwischen den Mitgliedländern als eine „Konföderation". Das alles hat nur die Wirkung, die Ideen der Gründungsväter verblassen zu lassen, anstatt sie mit Substanz anzureichern. Die „Gedankenfreiheit" im politischen Raum läßt Konzepte, mögen sie gut gemeint sein, nur noch konturenloser werden. Der Bürger wendet sich ab, sagt „Laissez-faire". Lassen wir wieder Hegel reden, was er zu dem Titel „Reich" oder „Reichsoberhaupt" zu sagen hatte. (Dessen Rede könnte auch „Föderation" meinen.) „Diesen Ausdrücken kann als gesetzlichen Titeln schlechterdings nicht zu nahe getreten werden; aber eine Betrachtung, in der es um Begriffe zu thun ist, hat mit jenen Titeln Nichts zu schaffen, sondern die Bestimmung der Begriffe kann erhellen, welche Bedeutung etwa jene Titel ,Reich, Reichsoberhaupt' haben. Freilich werden solche Ausdrücke oft für Begriffe genommen, und sie müssen die Aushülfe in der Noth sein." 5 9 1 „Der Staatsrechtslehrer, der Deutschland nicht mehr einen Staat nennen kann, weil er sonst manche Consequenzen zugeben müßte, die aus dem Begriffe eines Staates folgen, und die er doch nicht zugeben darf, hilft sich, weil denn Deutschland doch auch wieder nicht als Nichtstaat gelten soll, damit, daß er den Titel , Reich 4 als einen Begriff gibt, oder, da Deutschland keine Demokratie oder eine Aristokratie, sondern seinem Wesen nach eine Monarchie ist und der Kaiser doch wieder nicht als Monarch angesehen werden soll, so hilft man sich mit dem Titel ,Reichsoberhaupt', den er führt, auch in einem System, worin nicht Titel, sondern bestimmte Begriffe herrschen sollen. Durch den ganz allgemeinen Begriff ,Reichsoberhaupt' ist der Kaiser in eine Kategorie mit dem ehemaligen Dogen von Venedig und dem türkischen Sultan geworfen worden. Diese beiden sind gleichfalls Oberhäupter des Staates, aber jener das eingeschränkte Oberhaupt einer Aristokratie, dieser das unbeschränkteste einer Despotie. Und weil der Begriff eines Oberhauptes auf den verschiedenartigsten Umfang von oberster Staatsgewalt paßt, so ist er völlig unbestimmt und hat eben deswegen gar keinen Werth. Er gibt sich dafür aus, Etwas ausgedrückt zu haben, und hat im Grunde nichts ausgedrückt. Auf wissenschaftlichem und geschichtlichem Felde sind solche nichtsbedeutende Ausdrücke zu vermeiden, wenn der deutsche Charakter auch sonst im wirklichen Leben ihrer als Aushülfsmittel bedarf. Bei der Hartnäckigkeit des deutschen Wesens nämlich, auf seinem Willen durchaus zu bestehen, oder bei getrennten und nicht zu vereinigenden Staatsinteressen, wenn dort 591
Hegel , Verfassung Deutschlands, Fußnote auf S. 7.
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im bürgerlichen Leben, hier in der Politik aus irgend anderen wichtigen Gründen doch zugleich auch eine Vereinigung stattfinden soll, gibt es kein besseres Mittel, als einen allgemeinen Ausdruck zu finden, der beide Theile befriedigt und sie doch bei ihrem Willen läßt, wobei die Differenz nach wie vor besteht oder, wenn wirklich ein Theil nachgeben muß, durch jenen allgemeinen Ausdruck wenigstens das Geständniß des Nachgebens ist. Wenn die Deutschen Jahrhunderte lang mit solchen allgemeinen Ausdrükken ein Schein von Vereinigung, in welcher der That nach kein Theil von seinen Ansprüchen auf Getrenntsein das Mindeste aufgegeben hat, aufrechterhalten haben, so muß die Reflexion hierüber, vollends wenn sie wissenschaftlich sein soll, die Begriffe festhalten .. . " 5 9 2 Soviel zu „nichtsbedeutenden Ausdrücken"... Der Antagonismus heutzutage ist offensichtlich. Einerseits will man die politische Macht und Herrschaft höheren Ortes abgeben. Andererseits will man sie behalten. Auch das ist Freiheit, gerade das zu sagen, wie es in das eigene Kalkül paßt. Der Staat stört da nur, obwohl die offiziellen Repräsentanten einen Amtseid auf ihn geschworen haben. Isensee weist richtig darauf hin, daß aus solcher Sicht die Identität der Deutschen wieder dort zu finden ist, wo auch Heinrich Heine sie im frühen 19. Jahrhundert aufgewiesen hat, im Reich der L u f t : 5 9 3 „Den Russen gehört das Land, Das Meer gehört den Briten, Wir Deutschen besitzen die Herrschaft im Luftreich - unbestritten. Hier üben wir die Hegemonie, hier sind wir unzerstückelt, die anderen Völker haben sich auf platter Erde entwickelt." I. I m Reich der Lüfte Bleibt zu spekulieren, ob sich das alles, „Staat, Nation, Volk und politische Klasse", in Luft auflöst. In heutiger Zeit kehrt dieser Liberalismus, fernab einer Bodenhaftung, in dem Gedankengut der Frankfurter Schule der Soziologen mit Jürgen Habermas an der Spitze der Bewegung wieder, die Verfassungspatriotismus, Bürger- oder Zivilgesellschaft, Weltgesellschaft und Welt„staat" und die Europäische Union als Übergang und Zwischenschritt in die Weltgesellschaft mit missionarischem Eifer heilsverkünden. 592 593
S. 158. 9*
Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 7-9. J. Isensee, Nationalstaat und Verfassungsstaat - wechselseitige Bedingtheit,
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Epiloge
Alter Wein oder Wasser (?) in neuen Schläuchen. A m deutschen Wesen soll die Welt genesen. 594 Mit dem „Weltgeist" hat dies nichts zu tun. In seiner Philosophie der Weltgeschichte greift Hegel hingegen zu einem Vehikel, um das Wirken des Weltgeistes im irdischen Getriebe erklärlich zu machen. Zu einem wesentlichen Teil überträgt er diese Rolle den historischen Persönlichkeiten. Ungeachtet jedoch der sich daraus für Hegel ergebenden Mystifizierung der Rolle der „Heroen" in der Geschichte, macht sich die dialektische Denkweise in bemerkenswerten Einsichten über dieses Problem geltend. Die „großen Menschen" zeichnen sich nach Hegel dadurch aus, daß sie „von dem Geiste des Volkes wissen und sich danach zu richten wissen". 5 9 5 Bleibt zu hoffen, daß wir die Europäische Gemeinschaft als Friedensgemeinschaft und Gemeinschaft des Rechts bewahren. Bleibt zu wünschen, daß der deutsche Freiheitsdrang größer ist als der Einfluß der Eurokraten und daß Deutschland in der entgrenzten Welt sich auf sich besinnt und anfängt, sich selbst zu behaupten. Bleibt schließlich zu hoffen, daß von Treitschkes liebevolle Widmung aus seiner Zeit weiterhin Geltung hat: „Dagegen unterschätzt man neuerdings ebenso leichtsinnig das köstlichste und eigentümlichste Besitztum unseres Volkes, jene Tugend, welche uns bisher trotz aller politischer Schmach noch immer vor der Verachtung der Fremden bewahrt hat, und welche, wenn wir das einige Deutschland je erschauen, den deutschen Staat zu einer völlig neuen Erscheinung in der politischen Geschichte machen wird: die unausrottbare Liebe des Deutschen zur politischen Freiheit." 5 9 6
I I . Der Anfang am Ende Kommen wir auf den Anfang der Epiloge zurück und schließen wir mit Hegel aus dem Anhang seiner Schrift Kritik der Verfassung Deutschlands. 591 „Die Gedanken, welche diese Schrift enthält, können bei ihrer öffentlichen Äußerung keinen anderen Zweck oder andere Wirkung haben, als das Verstehen dessen, was ist, und damit die ruhigere Ansicht sowie ein in der wirklichen Berührung und in Worten gemäßigtes Ertragen derselben zu befördern. Denn nicht das, was ist, macht uns ungestüm und leidend, sondern daß es nicht ist, wie es sein soll. Erkennen wir aber, daß es ist, wie es sein 594
Reinhart Maurer, Über Habermas, in: ETAPPE 14/1999, S. 79-94. G. W. F. Hegel, Die Vernunft in der Geschichte, Berlin (Ost) 1966, S. 60. 596 Heinrich von Treitschke, Die Freiheit (1861) in: ders., Ausgewählte Schriften, 1. Bd., 7. Aufl., 1917, S. 1-47 [21]. 597 Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 132. 595
Ν. Anhang: Zur Krisis der Staatslehre
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muß, d.h. nicht nach Willkür und Zufall, so erkennen wir auch, daß es so sein soll. Es ist aber schwer für die Menschen, sich überhaupt zu der Gewohnheit zu erheben, daß sie die Nothwendigkeit zu erkennen und zu denken suchen. Denn zwischen die Begebenheiten und das freie Auffassen derselben stellen sie eine Menge von Begriffen und Zwecken hinein und verlangen, daß das, was geschieht, diesen gemäß sein soll. Und da es ohne Zweifel meist anders ist, so überheben sie sich ihrer Begriffe, als ob in diesen die Nothwendigkeit, in demjenigen aber, was geschieht, nur der Zufall herrschte, weil ihre Begriffe ebenso beschränkt sind, als es ihre Ansicht der Dinge ist, die sie nur als einzelne Begebenheiten, nicht als ein System derselben, das von einem Geiste regiert wird, auffassen.' 4
N . Anhang: Z u r Krisis der Staatslehre Die Frage, ob die Staatsrechtslehre ihre Aufgabe erfüllt, hat seit jeher die Gemüter beschäftigt. Hegel hat für seine Zeit um 1800 den Staatsrechtslehrern vorgehalten, daß sie ein „Gedankending" als deutschen Staat ausgeben, die Realität nicht eingeschätzt haben. „Die älteren Staatsrechtslehrer, welchen bei der Behandlung des deutschen Staatsrechtes die Idee einer Wissenschaft vorschwebte, und welche also darauf ausgingen, von der deutschen Verfassung einen Begriff festzusetzen, konnten über diesen Begriff nicht einig werden, bis die neueren es aufgaben, ihn zu finden, und das Staatsrecht nicht mehr als eine Wissenschaft, sondern als eine Beschreibung von dem, was empirischer Weise, ohne einer vernünftigen Idee sich anzupassen, vorhanden ist, behandeln und dem deutschen Staate Nichts mehr als den Namen eines Reiches oder eines Staatskörpers geben zu können glauben." 5 9 8 Hermann Heller hat für seine (Weimarer) Zeit (1926) mit bissiger, ja ätzender Kritik Die Krisis der Staatslehre dargestellt. 599 Eingangs verweist er auf Georg Jellinek und dessen Bemerkung, daß kein zusammenfassendes Werk auf diesem Gebiet entstanden sei, das über den engen Kreis der Zunft hinausgegriffen hätte, daß daran gewiß auch der Zustand der Wissenschaft schuld sei. 6 0 0 Dann fährt er fort: 6 0 1 „Ein Vierteljahrhundert ist vergangen, seitdem Jellinek diese Worte niederschrieb. Und der heutige Forscher wird 598
Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 134 f. Hermann Heller, Die Krisis der Staatslehre (1926), in: ders., Gesammelte Schriften, 2. Bd., 2. Aufl., 1992, S. 3-30. 600 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. (besorgt von Walter Jellinek), Berlin 1914, Vorwort S. III. 601 H. Heller, Die Krisis ..., S. 5. 599
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sich seinem Urteil um so rückhaltloser anschließen müssen, als seither - im Zeitalter der Politisierung! - überhaupt kein zusammenfassendes Werk von wissenschaftlichem Anspruch dieses Gebiet dargestellt hat. (...) Durch die neuste Leistung auf diesem Gebiet aber, durch Kelsens Allgemeine Staatslehre 602 ist die Krise weniger anerkannt, geschweige denn eine Überwindung angebahnt, als für Sehende erst im vollem Umfang ihre Gefährlichkeit offenbar geworden." 603 Heller führt ein und bemängelt, daß Jurisprudenz, Soziologie und Philosophie „in selbstgenügsamer Verschubkastung" das Staatsproblem jeweils autark angingen. „Zu der Isolierung der Staatslehre von der Soziologie trat - nicht ohne wechselseitige Bedingtheit - ihre Abtrennung von Ethik und Metaphysik hinzu, die im historischen, logistischen und naturalistischen Positivismus ihre Vollendung fand. Man konnte auf diesem Wege im Staate bald nicht mehr als ein Rassen- oder Klassenunterdrückungsinstrument sehen, jedenfalls sollte er sich in Macht, Macht und noch einmal Macht erschöpfen, die Frage nach dem Zweck und Sinn dieser Macht galt als unwissenschaftlich, das Recht würde zu einem bloßen Befehl dieser Macht an ihre Beamten, der Jurist zum Interpret jedes Befehls; der Unterschied zwischen einer Räuberbande und dem Staate war unauffindbar geworden. (...) Eine positivistische, vom soziologischen Substrat ebenso wie von ethischmetaphysischen Bestimmungen absehende Rechtswissenschaft wird von Gerber/Laband als Staatslehre inauguriert und schließlich dieser nach unten und oben substanz- und bindungslose Formalismus zur allein wissenschaftlichen, juristischen Methode der Staatslehre erhoben. 604 (...) Wie hat sich diese radikale Verselbständigung der positivistischen Jurisprudenz in der Staatslehre ausgewirkt? (...) Wird diese dogmatische Methode der Jurisprudenz, die lediglich Interpretations- und Systematisierungszwecken innerhalb einer bestimmten positiven Rechtsordnung dient, zur einzig legitimen Methode einer allgemeinen Staatslehre gemacht, so könnte daraus bestenfalls eine Sammlung der in den verschiedenen Staaten geltenden Rechtsbegriffe werden. Sämtliche Probleme, die seit jeher dem Staatsdenken als die wichtigsten erschienen sind, so die Fragen nach dem Wesen, der Realität und Einheit des Staates, das staatliche Zweck- und Rechtfertigungsproblem, die Untersuchung des Verhältnisses von Recht und Macht, damit aber das Staatsproblem als solches wie auch seine Beziehung zum Gesellschaftsbegriff, müssen dann als metajuristisch aus der Staatslehre verbannt werden. Wer aber diese Problematik ausschalten, auf eine allgemeine Staatslehre verzichten und lediglich Staats602 603 604
Zitat von Heller „Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Berlin 1925". Η Heller, Die Krisis der Staatslehre (1926), S. 8. Ebd., S. 9.
Ν. Anhang: Zur Krisis der Staatslehre
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rechtslehre treiben zu können meint, ist über die wahre Hierachie von Sein, Sinn und Sollen in einem schweren Irrtum befangen. Denn die juristische Norm kann sich vom historisch-soziologischen Sein und von Wertgesichtspunkten nicht vollständig lösen, ohne sinn- und gehaltlos zu werden. Auch bloße Staatsrechtsjurisprudenz, die zu methodischen Zwecken den Sinn von gesollten Imperativen isolieren wollte, wäre ohne ständigen Ausblick auf die soziologische und teleologische Problematik unmöglich. Die Folgen der fast unbeschränkten Herrschaft des formal-juristischen Positivismus mußten deshalb die folgenden sein: Wurde mit seiner Methode ernst gemacht, so war Staatslehre überhaupt unmöglich; so erklärt sich zu einem Teil die oben angedeutete, fast völlige literarische Unfruchtbarkeit auf diesem Gebiet. 6 0 5
(...) Kelsen will aber nicht etwa das kritische Vermögen des Juristen schulen und ihm zu Bewußtsein bringen, daß und wann er auf historische Gegebenheiten reflektieren und wann er Werturteile fällen muß. Im Gegenteil! Seine mit der einfachen Ebene konstruierende Normlogik will die Rechtswissenschaft zur reinen Normen Wissenschaft machen; sie zielt auf eine radikale Ausscheidung aller substantiellen Elemente aus den als reine Formen zu fassenden Rechtsbegriffen, auf eine , Geometrie der totalen Rechtserscheit
606
nung . Wie sieht nun dieses juristische Weltbild aus, das sich aus reiner Logik und aus den ausgeblasenen Eiern reiner Rechtsformen aufbaut? Auf der einen Seite liegt das zu ignorierende Reich des lediglich kausal-explikativ zu erfassenden, völlig sinnfremden Seins, ein naturalistisches Gewühl unverbundener sinnlicher Realitäten, darunter auch die menschlich-gesellschaftliche Welt samt dem empirischen Ich zu rechnen ist. Auf der anderen Seite, durch keinen begreifbaren Zusammenhang verbunden, ohne Zwischenschaltung einer Sphäre teleologisch zu fassender individueller und sozialer Einheiten, erhebt sich das Reich des ideellen, notwendig inhaltslosen Sollens, eine reine Formenwelt, in der kein Erdenrest, zu tragen peinlich, bleibt. 6 0 7 (...) Wie sieht nun die ,Allgemeine Staatslehre4 einer solchen reinen Normwissenschaft aus? (...) Mit dürren Worten sagt uns der Autor nicht bloß, daß man nur entweder reine Rechtslehre oder Allgemeine Staatslehre treiben kann und beides zu605
Ebd., S. 9, 10. Zitat von Hellen „Hans Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, entwikkelt aus der Lehre vom Rechtssatz, Wien 1911, S. 93". 607 Η Heller, Die Krises der Staatslehre, S. 16. 606
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sammen nicht geht, sondern daß Allgemeine Staatslehre unmöglich ist. Bleibt nur die Frage, warum er seinem Werk einen so irreführenden Titel gegeben hat? 6 0 8 Über die Unmöglichkeit der Allgemeinen Staatslehre tröstet uns Kelsen mit der kühnen, aber historisch selbstverständlich falschen Behauptung, die Staatsrechtslehre sei ,der weitaus bedeutendste, jedenfalls der gehaltvollste [!]Bestandteir der Allgemeinen Staatslehre. 609 Sei es! Liefert uns also die reine Rechtslehre wenigstens eine allgemeine Staatsrechtslehre? Nein. Denn nachdem die toten Punkte Gesellschaft' und ,Moral' mehr oder weniger glücklich überwunden sind, verschwindet auch der Staat! Nun wird ernst gemacht mit der merkwürdigen Behauptung der ,Einheit von Staat und Recht'; 6 1 0 die ,Staatslehre als Staatsrechtslehre' wird ausschließlich eine , Lehre vom objektiven Recht. Nicht aber eine Lehre von irgendwelchem subjektiven Recht oder irgendwelchem Subjekt von Rechten'. Falsch ist also die herrschende Lehre vom ,Staat als Rechtssubjekt, d.i. als Pers o n ' 6 1 1 Über das nun vorliegende peinliche Ergebnis einer Staatslehre ohne Staat tröstet uns Kelsen wieder mit der noch kühneren, historisch noch falscheren Behauptung: ,Untersucht man aber, welches jene Probleme sind, die als ,Allgemeine Staatslehre' dargestellt zu werden pflegen, so zeigt es sich, daß es eine Art allgemeinste Rechtslehre ist, als die sich die Allgemeine Staatslehre darstellt. Es sind - neben der Frage nach dem Wesen des Staates (und somit des Rechtes) überhaupt - die Probleme der Geltung und der Erzeugung der staatlichen Ordnung'. 6 1 2 Überraschend kommt uns das immerhin tragische Resultat, daß einer Staatslehre schließlich das Staatsrecht samt Staat abhanden kommt, gewiß nicht. . . . " 6 1 3 Heller kommt zu dem Ergebnis: „Der einheitliche Aufbau einer Staatslehre vom Standpunkte der Jurisprudenz als dogmatische Wissenschaft darf dank der Folgerichtigkeit Kelsens als endgültig gescheitert betrachtet werden." 6 1 4 Während Hegel für seine Zeit zur Staatsrechtslehre noch sagen konnte, daß sie die Realität zwar beschrieb, aber nur in Gedanken sich ein Staatswesen schuf, mußte Heller für seine Zeit zur Krise der Staatslehre - im Gegenteil - befinden, daß sie die Realität völlig abgekoppelt hatte, Jurispru608 609 610 6,1 612 613 614
Ebd., S. 17. Zitat von Heller. „Kelsen, Allgemeine Staatslehre, a. a. O., S. 7". Zitat von Heller: „Kelsen, a.a.O., S. 16 ff.". Zitat von Heller: „Kelsen, a.a.O., S. 47". Zitat von Heller: „Kelsen, a.a.O., S. 45". H. Heller, Die Krisis der Staatslehre (1926), S. 17, 18. H. Heller, Die Krisis der Staatslehre (1926), S. 24.
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denz ohne Soziologie und Philosophie betrieb, eine Staatslehre ohne Staatsrecht und ohne Staat lehrte, die Souveränität des Rechts, eine Rechtsouveränität ohne positives Recht verkündete und nicht dem Staat als Rechtssubjekt Souveränität zukommen ließ. 6 1 5 Nun erscheint heutzutage die Lage nicht mehr (so) dramatisch. Nach den Darstellungen wird der deutsche Staat immer noch als Einheit sozialer Realität, gesellschaftsimmanenter Notwendigkeit und positivrechtlicher Verfassung gesehen. Die Hierarchie von Sein, Sinn und Sollen scheint danach austaxiert zu sein. Der Schein trügt. Das Problem, Sein oder Sollen, Realität und Geltungsanspruch, Macht und Recht, Soziologie und/oder Jurisprudenz, ist geblieben. Es ist subtiler geworden, kann wegen der Supranationalisierung kaum eingegrenzt und völlig er- und gefaßt werden. Der weiter fortschreitenden Ausdifferenzierung von Realität und Recht wird Tribut gezahlt. Das Problem wird allmählich auch von folgendem zugedeckt. Die herausragende Stellung, die das Grundgesetz für die bundesdeutsche Staatspraxis erlangt hat, spiegelt sich in der Staatsrechtslehre wider. Nie zuvor haben Rechtswissenschaftler sich so intensiv, gründlich und anhaltend mit Verfassungsrechtsfragen beschäftigt wie unter der Ägide des Grundgesetzes. Die deutsche Staatsrechtslehre ist heute in hohem Maße Grundgesetz-„zentriert", wenn nicht gar- „fixiert". Sie ist zur Verfassungsrechtslehre geworden. Die Akzentverschiebung hat Vorzüge, aber auch Nachteile im Existentiellen. Der Vorteil der zunehmenden Ausrichtung auf Fragen des positiven Verfassungsrechts besteht in einem Gewinn an Praxisnähe des Einzelfalls und Aktualität. Die Orientierung an der Judikatur des BVerfG verstellt aber zugleich den Blick auf grundlegende Fragen der Existenz des Staates, seiner Entwicklung, des Auswuchses der bundesstaatlichen Ordnung, der Beteiligung und Souveränität des Volkes, der Parteienherrschaft und schließlich der Selbstbehauptung Deutschlands in der zunehmenden Internationalisierung und Globalisierung sowie Neutralisierung und Entpolitisierung. Die Konzentration der Staatsrechtslehre auf das Grundgesetz als Hauptgegenstand hatte zur Folge, daß der die Weimarer Zeit beherrschende „Schulenstreit" nicht nur an Prägnanz, sondern auch an Schärfe verloren hat und eher einer Auseinandersetzung über Sach- und verfassungspolitische Themen gewichen ist. Es fehlen klare Positionen, die entzünden und an denen man sich reiben kann. Während in der Weimarer Zeit noch ganz offen um die geistigen Grundlagen und Methoden des Staatsrechts, auch von der Staatslehre her, gerungen wurde, 6 1 6 werden Richtungskämpfe, 615
Η. Heller Die Souveränität (1927), S. 129. Hierzu Max-Emanuel Geis, Methoden- und Richtungsstreit in der Weimarer Staatslehre, in: JuS 2/1989, S. 91-95. 616
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wenn überhaupt, eher verdeckt - versteckt oder indirekt im Zusammenhang mit konkreten Verfassungsproblemen geführt. Offen klare Positionen zu beziehen, schadet offenbar der Reputation in einem von „political correctness" geprägten Land, dessen Zeitgeist nur noch eine bestimmende, bestimmte Meinung duldet. 6 1 7 Zudem wird es für Juristen beinahe unmöglich, sich mit einer Geistesströmung Gehör zu verschaffen, die nicht in das Konzept der gescheiterten Moderne 6 1 8 oder in den unpolitischen Liberalismus linksorientierter Politiker und Soziologen passen. Heute stehen sich - mit unterschiedlichen Schattierungen im einzelnen hauptsächlich nur noch zwei Strömungen gegenüber, die ihren Widerhall auch in der Rechtsprechung des BVerfG gefunden haben: Auf der einen Seite wird der Staat und seine Gestaltungsmacht (Autorität) als wichtigster Garant nicht nur der inneren Sicherheit und ökonomischen Stabilität, sondern auch der individuellen Freiheit betrachtet. Gestützt und gestärkt werden muß nach dieser Ansicht alles, was den Staat ausmacht und funktionsfähig erhält (staatspolitische Richtung). Im Schrifttum steht für diese Richtung das Handbuch des Staatsrechts für die Bundesrepublik Deutschland. 619 Auf der anderen Seite vertraut man stärker dem Konfliktlösungspotential der Gesellschaft und beschränkt den Staat auf die Gewährleistung der sozialen Bedingungen für den Ausgleich unter Privaten 6 2 0 (liberale Richtung). Diese Richtung mag sich im Handbuch des Verfassungsrechts wiederfinden. 621 Um Freiheit und Gleichheit in der Demokratie geht es letztlich beiden Richtungen. Sie unterscheiden sich in den Fragen, was den Staat eigentlich ausmacht, u. a. welche Rolle er bei der Herstellung, Bewahrung und Verteidigung von Freiheit und Gleichheit hat. Damit repräsentieren sie einen geisteswissenschaftlichen Konflikt mit einem Spannungsbogen, wie er weltweit in jeder modernen Gesellschaft anzutreffen oder zumindest angelegt und letztlich auch nicht auflösbar ist. Hier gibt es für die staatspolitische Richtung aus einer Reihe von Gründen viel zu tun. 617 Vgl. Gottfried Dietze, Deutschland 1999, Wien und Leipzig 1999; ders., Deutschland: besser und schöner, St. Augustin 2001. 618 Alain de Benoist, Aufstand der Kulturen. Europäisches Manifest für das 21. Jahrhundert, 1999, S. 13 ff. 619 Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 10 Bände, (C. F. Müller) Heidelberg. 620 Vgl. dazu Helmuth Schulze-Fielitz, Das Bundesverfassungsgericht in der Krise des Zeitgeistes, in: AöR 122 Bd. (1997), S. 3 [6 ff.]. 621 Ernst Benda/Werner Maihof er/Heinz-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., 1994.
Ν. Anhang: Zur Krisis der Staatslehre
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• Es hat sich erwiesen, daß die Gesellschaft ohne einen starken Staat nicht mehr steuerbares Konfliktpotential entwickelt, vielmehr eine Gesellschaft eines schwachen oder kränkelnden Staates, eines entgrenzten oder entpolitisierten Staates noch mehr Konflikte schafft. 622 • Es wird kritisiert, daß in der Staatsrechtslehre noch immer mit Begriffen und Denkfiguren gearbeitet wird, deren Entstehung bis in die Epoche des formalistischen Positivismus im späten 19. Jahrhundert zurückreicht. Es wird versucht, dogmatische Konstrukte wie „Einheit der Staatsgewalt", „Souveränität", „Volkswille", „Repräsentation", „Wertordnung" oder ähnliche ideologieanfällige Kategorien nicht nur in Frage zu stellen, sondern neu zu bestimmen. 623 Dabei haben die Liberalisten außer Kritik am Staat nichts Eigenes anzubieten. Sie verkennen, daß Begriffe wie „Staat", „Souveränität", „Repräsentation" etc. nicht nur absolut geltende Rechtsbegriffe, sondern auch geschichtliche Begriffe sind, die an bestimmte Epochen gebunden sind. Wenn sie ideologieanfällig sind, kann es nicht Aufgabe der Rechtswissenschaft sein, sie ideologiefest zu machen oder neu zu bestimmen. Ähnlich verhält es sich mit wirklichkeitswissenschaftlichen bzw. soziologischen Begriffen wie „Volk", „Volkswillen", „Staat" oder „Gesellschaft". Es wäre vielmehr Aufgabe der liberalen Richtung, den von ihr beklagten Mangel an Grundlagenforschung sowie Begriffs- und Theorienbildung zu beheben, etwas Eigenes, Neues anzubieten anstelle in die Form alter Begriffe zu schlüpfen und sie ihres Wesens zu entkleiden, um dann mit Erstaunen oder nicht festzustellen oder zu begründen, daß die Zeiten sich geändert haben. 624 • Die staatspolitische Richtung muß stärker als bisher Positionen deutlich machen und klar Stellung beziehen, ob und inwieweit Deutschland im Zuge der Europäisierung und Internationalisierung noch ein Staat ist und wie dieses Europa im Werden zu charakterisieren ist und mit welchen rechtlichen Kategorien es erfaßt werden soll. Solange die politische Klasse keine Vorstellung vermittelt, welches Endstadium die Europäische Union einmal haben soll, ist es ihre Aufgabe zu mahnen, den Staat des Grundgesetzes zu wahren, anstelle durch Nach- bzw. Überinterpretation staatsrechtliche Begriffe die weiter zunehmende Übertragung von Hoheitsrechten auf die europäische Gemeinschaft nationalrechtlich zu neutralisieren. • Was fehlt, ist die offensive Auseinandersetzung der staatspolitischen Richtung mit den Europarechtlern, die in keiner speziellen Disziplin beheimatet sind, alles gutheißen, was dem Integrationsfortschritt angeblich 622
Hierzu Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen (1928). Ebd., S. 10 ff., zu den „klassischen" Begriffen. 624 H. Heller Die Krisis der Staatslehre (1926), a.a.O., S. 30, zu einer Staatslehre, die ihre Begriffe nicht beherrscht. 623
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dient 6 2 5 und die vernachlässigen, daß mit der Aushöhlung des Nationalstaates nichts substantiell Gleichwertiges auf Gemeinschaftsebene zuwächst. Die Europa-Eschatologen reden, diskutieren und schreiben viel, wie es sein muß und müßte und meinen, daß es so ist. Sie kreieren ein demokratisches Gedankengebilde ohne Bezug zu dem, wie es tatsächlich vor sich geht. Sie sind immer ihrer Zeit voraus und vermitteln dem Laien, daß es so ist, wie sie es sich denken. • In vielen grundsätzlichen Fragen an Europa denkt das Volk anders als seine politischen Repräsentanten. Die Zeiten der Gründungs- und Aufbruchseuphorie sind vorbei. Auch wenn gesehen wird, daß es zur Europäischen Gemeinschaft als Friedensgemeinschaft keine Alternative gibt, merkt das Volk, daß es nach Jacques Delors als Präsident der Kommission auf Gemeinschaftsebene und in Deutschland keine geistige Führerschaft gibt, die eine „realistische" Vision vermittelt. In ein Schiff ohne Steuermann und, vor sich hintreibend, ohne Kurs möchte man sich nicht begeben. Zwar hatte James Madison, ähnlich dem bekannten Brief von Edmund Burke an Bürger von Bristol, im 10. Essay des „Federalist" betont, man könne den Repräsentanten des Volkes eher vertrauen als dem Volke selbst, weil die ausgewählt wie sie sind, eine Elite darstellen. Sie „verfeinern und erweitern öffentliche Ansichten", die so „durch das Medium eines gewählten Körpers von Bürgern passieren, deren Weisheit das wahre Interesse ihres Landes am besten herausfinden dürfte, und deren Patriotismus und Gerechtigkeitsliebe am wenigsten dazu führen dürfte, dieses derzeitigen oder partiellen Erwägungen zu opfern. So kann es durchaus sein, daß die öffentliche Meinung, ausgedrückt durch die Repräsentanten des Volkes, dem öffentlichen Wohl mehr entspricht, als wenn das Volk selbst spricht." Diese heren Worte wird die politische Klasse Deutschlands gern vernehmen. Sie scheuen jedoch die Probe aufs Exempel. Unter der Regierung Kohl seit 1983 sind die europäischen Verträge drei Mal grundlegend geändert worden (Einheitliche Europäische Akte von 1985; Maastrichter Vertrag 1992; Vertrag von Amsterdam von 1997), ohne daß das Volk zuvor über den Inhalt und die Folgen direkt informiert und danach einmal befragt wurde. Man verschanzte sich hinter dem Grundgesetz, das Volksbefragungen oder Referenden nicht kennt. Man verschanzte sich hinter dem Grundgesetz, der Verfassung des Deutschen Volkes, obwohl die politische Klasse seine Verfassung mehr und mehr aushöhlt und dem Volk verfassungsrechtliche Substanz entzieht. Man scheut Befragungen, weil das Ergebnis unkalkulierbar ist oder negativ ausfallen würde. 625 Ulrich Everling, Richterliche Rechtsfortbildung in der Europäischen Gemeinschaft, in: JZ 5/2000, S. 217-227.
Ν. Anhang: Zur Krisis der Staatslehre
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Aufgabe der staatspolitischen Richtung und Beruf der Staatsrechts-Juristen ist es, nicht nur zu mahnen, sondern in die Niederungen des politischen Geschäfts zu steigen, um im besten Sinne des Wortes Aufklärung zu betreiben, um dem Volk die Sache nahe zu bringen. Ansonsten droht ein europäisches Reich der Wirtschaft, Banken und Versicherungen, des Wettbewerbs und freier Marktwirtschaft, das seine „Heimat" in der globalisierten Welt und in der schrankenlosen transnationalen Gesellschaft sucht. Ansonsten droht das so entstandene Reich wieder zu zerfallen, ohne jemals eine politische Einheit erreicht zu haben. Ansonsten führt der Anspruch der Staatsrechtslehre, Deutschland sei souverän, „eben", wie Hegel es in anderem Zusammenhang formuliert, „die tröstende Rührung mit sich, welcher ein verarmter Edelmann die letzten Überreste seiner verschwundenen Ahnen bewahrt, - ein Trost, der den Vortheil hat, sicher und ungestört zu bleiben."626 Es bleibt die Frage offen, ob Hegels Zeit wieder einkehrt, da man weniger die Realität verarbeitete denn sich den Staat in Gedanken schuf. Das Grundgesetz als positivrechtliche Verfassung, als Sinnesgebilde setzt den Staat voraus und sichert ihn rechtlich. Es schließt sich die weitere offene Frage an, ob man solange an einem deutschen Staat gedanklich festhalten will, wie das Grundgesetz besteht, auch wenn dessen Substrat vergeht. Es bleibt dann nur noch der „Gedankenverfassungsstaat". Hannah Arendt schreibt treffend: „Alle politischen Institutionen sind Manifestationen von Macht; sie erstarren und verfallen, sobald die lebendige Macht des Volkes nicht mehr hinter ihnen steht und sie stützt." 6 2 7
626 627
Hegel, Verfassung Deutschlands, S. 39. Hannah Arendt, Macht und Gewalt (2000), S. 42.
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Zöller ; Michael (Hrsg.): Der Preis der Freiheit. Grundlagen, aktuelle Gefährdungen und Chancen der offenen Gesellschaft (Veröffentlichungen der Hanns Martin Schleyer-Stiftung, Bd. 26), Köln: Bachem 1988.
arverzeichnis Abhängigkeit - und Dominanz 71 Ambience - der sozialen Struktur der Verfassung 56 - Umschreibung bei Schindler 56 Anarchie siehe Freiheit Arendt, Hannah siehe Volk Aristokratie - und Demokratie 124 f., 130 Aristoteles siehe Demokratie, Freiheit, Gleicheit, Verfassung Armut - in der Gesellschaft bei Hegel 32 Assoziation 60 Asylpolitik - Abgabe der Kompetenz an die EG 80 f., 84 Attischer Seebund 71 f. - und Landmacht Sparta 71 f. Aufopferung - des Einzelnen für den Staat 62 f., 104, 123 f. - Schwinden der Bereitschaft zur 73 Ausländer- und Einwanderungspolitik - Abgabe der Kompetenz an die EG 80 f., 83 f. - Einbürgerung 87 f. - ohne Konzept 78 Ausnahmezustand - absolute Rechtslücken und Verfassungsrecht 58 - und Souveränität 50 Außenpolitik 73,75 f. Befreiung 27 ff.
- zwei Bedeutungen in der Emanzipationsbewegung 27 - Emanzipation 27 ff. - und Entfremdung 27 ff. Begriff - Begriffsbildung vom Staat bei Hegel 118 ff. - Festhalten am Begriff trotz Mehrdeutigkeit 130 f. - geschichtliche und juristische Begriffsbildung in der Staats(rechts)lehre 139 - im Wunschdenken 132 f. siehe Rechtsbegriff Bismarck - Bismarcksche Reichsgründung 109 Bohemien 28 - Pariser Künstler 28 Bonner Republik 67 Bürgergesellschaft siehe Gesellschaft Bürgerkrieg 39,50 Bund - Begriffsgeschichte 115 f. - und Staat 120 f. Bundesstaat 59, 90, 109, 115 f., 120 f. - und Gliedstaat 121 Bundestag - Wahrung seiner demokratischen Befugnisse 92 f., 97 Bundesverfassungsgericht - und Demokratieprinzip 92 - Entscheidungsbefugnisse 91 f. - Geltungsverlust 95 - Hüter der Verfassung 93 - Kontrolle des Europäisierungsprozesses 95
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- Verhältnis zum EuGH 95, 97 ff. - zur Kompetenz-Kompetenz der EG 97 - Kooperationsverhältnis zum EuGH 97 ff. - Maastricht-Urteil 22, 45, 77, 92, 95, 97, 99 - zur normativen Kontinuität der Verfassung und Änderung gesellschaftlicher Anschauungen 87 - Orientierung der Staatsrechtslehre an der Verfassungsrechtssprechung 137 f. - quo vadis? 122
- als „Reparaturbetrieb" des Parlamentarismus 96 - zur Staatsgewalt 113 - und Verfassungswandel 93 - Verhältnis zur Legislative und Exekutive 91 Bundeswehr 66 f., 68, 71 - Auflösungstendenzen 71 - Katastrophenschutz 66 - Organisation 67 CDU siehe Parteien Citoyen 128 civitas maxima 99 contract social 38 Demokratie - bei Aristoteles 127 f. - bei Hegel 124 ff. - bei Piaton 126 f. - bei Schmitt 37, 129 - Aushöhlung des Demokratieprinzips 92, 111, 121, 128 - Demokratie und EU 92 f., 139 f. - Demos als Trägerverband der Demokratie 88 - und Französische Revolution 125 - Gewaltenteilung und -Verschiebung
96 - Parteiendemokratie 72, 111
157
- Universal-Demokratie 128 - unmittelbare und repräsentative Demokratie 125 f. Deutsche - und Christlich-Freiheitliches 106 f. - deutsche Länder 110 f. - Scheu vor dem Recht 102 - Wesen 130 f. deutsche Freiheit siehe Deutschland Deutscher Bund 116 Deutschland - klassische Außenpolitik 75 f. - deutsche Freiheit 19, 37, 121 ff., 132 - deutsche Freiheit bei Treitschke 132 - Deutsche Mark als Symbol 75 - Deutsches Reich 1800/01 76, 109 - Deutsches Reich 1870/71 68, 76, 90, 109, 116 - Deutsches Reich 1918/19 90 - als Einwanderungsland 86 - Kohl und der Euro 76 - Kontinentalmacht 71 f. - als Kriegsmacht nach 1945 66 ff. - Lage um 1990 und 1999 68 - politische Orientierung 68 - Rechtsgewalt 89 ff. - Schutzlosigkeit 79 f. - Souveränität 59, 84, 121 - als Sozialstaat 75 - als Staat um 2000/01 61, 115 - als Teilnation nach 1945 75 - als Territorialmacht 81 ff. - Verfassung 54 - als Vielvölkerstaat 86 ff. - Wiedervereinigung 54, 59, 76 f. Dialektik - bei Hegel 52 - dialektischer Bau der staatlichen Wirklichkeit 52 - Normalität und Normativität 52 f. - von Staat und Nichtstaat 59, 77
158
Sachwortverzeichnis
- keine Vermittlung von Sein und Sollen bei Kelsen 31, 44, 47 f. Diktatur 101 Doge von Venedig 130 Drei-Elemente-Lehre siehe Staat Einbürgerung siehe Ausländer- und Einwanderungspolitik Einheit aus der Vielheit 37 Emanzipation siehe Befreiung Entfremdung siehe Befreiung Entscheidung - Entscheidungs- und Wirkungseinheit des Staates 57 f. - Entscheidungsverweigerung 40, 49 f. - Gebietsentscheidung 48 f. - gebietsuniversale Entscheidung 48 f., 59, 98 - Macht der Letztentscheidung 98 - praeter legem 50 Ethik siehe Sein und Sollen, Sittlichkeit EuGH 95 f. - Auslegungskompetenz 98 - integrationsfreundliche Rechtsprechung 97 - Letztentscheidung in Fragen des Gemeinschaftsrechts 98 - Soldatenurteil 98 Europa - Europa der Nationalstaaten 73 - europäische Armee 73 - europäisches Gesellschaftsmodell 72 f. - Europapolitik mit Schwächen 78 - Konzept Englands und Frankreichs 73 - Vereinigte Staaten von Europa 73, 78 - Westeuropäische Union 73 siehe Europäische Gemeinschaft Europa-Eschatologen 140 Europäische Gemeinschaft 67
- Charakterisierung durch das BVerfG als „Staatenverbund" 22 - Euro 76 ff. - Freizügigkeit von Drittstaatlern 78 - als Friedensgemeinschaft 132 - kein Staat 77, 103 - Kompetenz-Kompetenz 97 - und Menschenrechte 78 - Osterweiterung 77 - und politische Union 77 - als Rechtsgemeinschaft 105 - Vertragsabrundungskompetenz 97 - Währungsunion 76 f., 92 - als Wirtschaftsgemeinschaft 94 Europäische Union - Beschreibung bei Isensee 103 f. - Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik 73 - Politische Union 77 - Regierungskonferenz 1996/97 80 - supranationale Grundlagen 73 - Unionsbürgerschaft 86 - Verteidigungspolitik 73 - Vertrag von Amsterdam 80 f. siehe Europäische Gemeinschaft Europäisches Parlament - Zweifelhafte Entschließung zum System des nationalen Rechts, des Gemeinschafts- und des Völkerrechts 45 f. europäisches Rechtsdenken - Inhalt 82 f. - Lehre Kirchhofs 82 ff. Europastaat 101 ff. - bei Hegel 102 f. - und Deutschland 105 - Substanzverlust der Mitgliedstaaten 103 - Voraussetzungen 101 f. Existenz - des Staates 67 - des Volkes 62, 66 f. Faustrecht
S ach wortverzeichni s
- Ablösung durch den Landfrieden 48 Feind - persönlicher Feind 65 f. - politischer Feind 65 f. Finanzmacht - bei Hegel 60, 74 f. Form - In-Form-Sein als gesolltes Sein im Staat 54 f. - Struktur des Staates und politischer Wandel 54 f. Freiheit - und Anarchie bei Hegel 19 - bei Aristoteles 127 f. - bei Piaton 126 f. - der Deutschen bei Hegel 122 ff., 130 - der Deutschen bei Treitschke 122 - im Föderalismus 128 - und Macht bei Hegel 19, 37 - politische Freiheit durch den Staat 43, 73, 85, 118 - der politischen Klasse 129 ff. - Überwindung des Ständewesens 19 - des Volkes 62, 85 Freizügigkeit - in der EG 78 Fremdenrecht siehe Asylpolitik, Ausländer- und Einwanderungspolitik Friede - ewiger 41 ff., 69 - Landfrieden 48 f., 109 Freund - Feind - Unterscheidung 50, 83 Freund-Feind-Theorie siehe Politische Einheit Fürstensouveränität siehe Souveränität Gefahr - Gefahrensinn 67 Gehorsam - und Schutz 39, 66 - zum Staat 123 Geisteswissenschaft
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- und Staatslehre 53 f. Geld - Bedeutung bei Spengler 30 - Diktatur des Geldes 30 f. - Geldmacht 75, 141 Geltung - Recht erzeugt und vernichtet durch Willensakte 57 Geltung und Wirksamkeit 58 - der Verfassung 55, 58 Gemeinschaft 130 - EG als Friedensgemeinschaft 132 Gemeinschaftsrecht - und EP 45 f. - Letztentscheidungsrecht des EuGH 97 ff. - und nationales Verfassungsrecht 97 f., 99 - als Völkerrecht 45 - Vorrang der Auslegungskompetenz des EuGH 97 - Vorrang vor nationalem Recht 45, 98 Geschichte - bei Spengler 30 f. Geschichtsphilosophie 118 -Hegels 118 - Machtkämpfe der Staaten 41 f. - Weltgeist 37, 85, 132 Geschichtswissenschaft 52 Gesellschaft - Bürgergesellschaft 26, 47, 131 - bürgerliche Gesellschaft und Staat 18 - als geschichtlicher Begriff 139 - multikulturelle Gesellschaft 86, 87, 100 - offene Gesellschaft 96, 111 - und Spaßgesellschaft 128 - Staat und gesellschaftliche Selbstregulierung 94 f. - Stellenwert der Armee in der bürgerlichen Gesellschaft 79
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Sachwortverzeichnis
- transnationale Gesellschaft bei Swann 26, 141 - Weltgesellschaft 47, 69, 100, 131 - Zivilgesellschaft 26, 131 Gesellschaftstheorie - Systemtheorie Luhmanns 31 Gewalt - gemeinschaftliche Gewalt im Staatsbegriff 17, 105 - Gewaltenteilung 96 - richterliche Gewalt 91 f. siehe Rechtsgewalt, Staatsgewalt Gleichbehandlung - von Männern und Frauen 98 Gleichheit - bei Aristoteles 127 f. - bei Piaton 126 f. - demokratische Gleichheit 124 f., 129 Globalisierung 32, 97, 111 Grundgesetz 54 - Bedeutung des Wahlrechts für das Demokratieprinzip 92 - Bundeswehr 72 - und Deutsches Volk 88, 91 - und Europäische Union 92 f. - Garantie der Staatlichkeit 93 - Geltungsverluste 95 ff., 141 - Revolution durch Aufgabe der Staatlichkeit 93 - Schutz der Demokratie und ihres staatsangehörigkeitsrechtlichen Fundaments 88 f. - Spannungs- und Verteidigungsfall 67 - und Staatsangehörigkeit 87 ff., 93 - und bundesdeutsche Staatsrechtslehre 137 ff. - Wehrpflicht 98 - Wesensgehaltsgarantie 59, 89 f., 92 f. Grundrechte - wirtschaftliche Grundfreiheiten 95 - Grundrechtsschutz in der EG 97
- Staatsangehörigkeit 92 f. - als objektive Wertentscheidungen 91 - und Zivilrecht 91, 95 Hegel siehe Begriff, Demokratie, Dialektik, Finanzmacht, Freiheit, Kant, Kriegsmacht, Macht, Nation, Naturrecht, politisches Recht, Rechtsgewalt, Rechtsidee, Rechtsphilosophie, Reich, Reichsoberhaupt, Repräsentation, Rousseau, Souveränität, Staat, Staatstheorie, Territorialgewalt, Theorie und Praxis, Verfassung, Völkerrecht, Volk, Weltgeschichte Heiliges Römisches Reich 116 Heller, Hermann siehe Reine Rechtslehre, Repräsentation, Souveränität, Staat, Staat und Verfassung, Staatslehre, Staatstheorie, Staatsverfassung, Verfassung, Völkerrecht Herrschaft - Herrschaft und Gehorsam 38 - Herrschen und Ordnung 38 f. - Herrschaftsordnung 38 f. - politische Herrschaft 66 - unberechenbare Herrschaftssituation im Staat 89 - Herrschafts- und Vertragsordnung 38 f. - von Menschen 38 - des Staates 122 f. - Volk als Herrschaftssubstrat des Staates 73 f., 82 - Zerstörung der Ordnung durch Auflösung der Staatsangehörigkeit 82, 89 Hoheitsbefugnisse - Übertragung auf supranationale Einrichtungen 92, 93 Identität - der Deutschen 131 - Identifikation 21 f. - nationale Identität der EG-Mitgliedstaaten 46, 89
Sachwortverzeichnis
- Pluralität von Identitäten 28 - keine Präjudizierung der Staatsidentität durch normative Rechtskontinuität 57,59 - des Volkes 78, 82 Integration 28 - der EG 45 - Integration ist „aufgegeben" 115 - Integrationsbereitschaft von Ausländern 86 f. - nationale Integration 87 ff. - als soziologischer Prozeß 88 - wechselnde Integrationsprozesse in Staat und Gesellschaft 54 - zur Weltgesellschaft 69 f. Isensee, Josef - BVerfG - quo vadis? 122 siehe Europäische Union - Identität der Deutschen 131 - zur Rechtfertigung des Staates 111 f. ius belli 70 ius sanguis 89 Judikative siehe Rechtsgewalt Jugoslawien 68 Kampf siehe Krieg Kant - Hegel zum „Ewigen Frieden" 69 - zum Völkerrecht 101 Klasse siehe politische Klasse Kelsen, Hans siehe Dialektik, Reine Rechtslehre, Staat, Staatslehre Kirchhof, Paul siehe europäisches Rechtsdenken Kohl, Helmut - Kanzler der Einheit 76 - und Änderung der EU-Verträge 140 - und der Euro 76 Kompetenz - Kompetenz siehe Bundesverfassungsgericht, Europäische Gemeinschaft Konföderation 129 11 Mäder
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Kosmopolit - globaler Akteur 32 f. - ökonomischer Kosmopolit 33 Kosovo 68 Krieg 40 ff., 64, 68 ff. - Ächtung 65 - Angriffskrieg 41, 67, 69, 81 - Kalter Krieg 67 - Kriegsgegner 65 - Kosovo-Krieg 68 - im Namen der Menschheit 65 - und Neutralität 110 - Peleponnesischer Krieg 71 - rechtmäßige und unrechtmäßige Kriege 42 f., 63, 68 f., 81 - sittliches Moment 63 - Verteidigungskrieg 41, 67, 69, 85 - Überwindung des Krieges setzt Macht voraus 42 f. Kriegsmacht - bei Hegel 60, 61 ff., 72 - bei Treitschke 61 - kriegerische Schwäche Deutschlands 61 f. - philosophische Verallgemeinerung 62 Krönungstheorie 77 Kultur - Gegenkultur 112 - kulturnationale Einheit im Staatsbegriff 18 - Kulturrealität als Fundament des Staates 48, 112 - bei Spengler 29 f. Land - Umschreibung 105 - Uneinigkeit deutscher Länder 79, 110 f. Landfriede siehe Friede legibus soluta siehe Souveränität Lehnsverfassung 74, 85, 106, 123 Liberalismus 78, 123, 138
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Sachwortverzeichnis
Macht - Bändigung durch Demokratie und Rechtsstaat 19 - und Freiheit 19 - ohne Gegenmacht 108, 126 f. - und Gehorsam 38 - Kriterium des Staatsbegriffs 16 - Machtstaatsgedanke Hegels 16 f., 19, 70, 108 f. - Machtstaatstheorie Hegels 18 - und Recht 108 f. Mehrstaatigkeit 86 ff. Mensch - bei Piaton 126 f. - Emanzipation 113 - Menschenfreunde und Moralisten 85 Menschenrechte 64, 78 - Staat als Garant 81 - Verteidigung von Menschenrechten 68 Menschheit - kein politischer Begriff 65 - und Krieg 65 Militär - Militärgewalt des Staates 98 - militärische und politische Macht 71 Modern - Wesen des modernen Staates 55 f. Moderne - Erscheinungsformen 27 ff. - Konzept 138 Monarchie - Aristokratie und Demokratie 124 f., 130 Nachtwächterstaat 74 Nation - b e i Hegel 114 - Begriff bei Schmitt 25, 80 - Kulturnation 26, 87 - als Legitimation des Staates 112 - als politische Zielsetzungsgemeinschaft 80
- ohne Staat 121 - unabänderliche Verfassungsvoraussetzung 55 Nationalismus - amerikanischer 70 Nationalstaat - Entmachtung 45 f., 97, 139 f. - Europa der Nationalstaaten 73 Nato 68 Naturrecht - Machtfeindlichkeit des Naturrechts bei Hegel 43 - Vernunft und Sittlichkeit im Naturrecht 85 Netzwerke 29 Nomade - intellektuelle Nomaden bei Spengler 29 f., 129 - politisch-unpolitischer Nomade 129 non liquet 99 Normalität und Normativität - Dialektik 57 siehe Sein und Sollen objektiver Geist - in der Sphäre des Staates 83 Ökonomie 111 - ökonomischer Imperialismus 65 - ökonomischer Stolz der Deutschen 75 - Wirtschaftsinteressen und Politik 69 Ordnung - Herrschafts- und Vertragsordung 38 f. - Ordnungsaufgaben des Staates 49 siehe Souveränität Ost-West-Konflikt 67, 69 - Zerfall des Ostblocks 71 Parteien - CDU und Europa 73 - CDU-Grundsatzprogramm 78 - Parteiendemokratie 72, 111 Partikularismus
S ach wortverzeichni s
- der deutschen Stände 62 Patriotismus 110 Pazifismus 72 Philosophie - der Weltgeschichte 132 Piaton siehe Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Mensch, Verfassung plébiscite de tous les jours 112 Pluralismus - der Staatenwelt 64 Pluriversum - der Staaten und Völker 82 ff., 129 - politische Welt im Pluriversum 64 Politische Einheit - Begriff des Politischen bei Carl Schmitt 33 f. - Freund-Feind-Theorie Schmitts 33 f., 64, 70 - politische Einheit des Staates 50 f., 59 f., 64, 88, 118, 124 - politische Existenz des Volkes 39, 66 - politische Ökonomie 34 politische Klasse 67 f., 70, 72, 82, 87, 112, 139 Politische Union 77 politische Wissenschaft - und ihre Begriffe 53 - und Staatslehre 53 ff. Politisches Recht - bei Hegel 40 ff. Positivismus - Ausklammerung von Metaphysik und Ethik 43 f., 134 - formal-juristischer Positivismus 135 - einer Machtsituation 43 Postmoderne 128 Prätor - kein Prätor über den Staaten 69 Projekt - Bedeutung bei Boltanski und Chiapello 28 f. quis custodet custodem? 57 11'
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quis iudicabit? 97 Recht -
Durchsetzung des Rechts 91 ethisch-politische Sphäre 59 Garantie durch den Staat 81 Kontinuität des Rechts 56 als Nutzen des Staates 42 als oberster Souverän 44 öffentliches Recht 90 als politisches Instrument des EP 45 f. - Werk des Menschen 43 Recht und Macht 40 ff., 109 - positivistische Utopie 43 Recht und Politik 40 ff. - Legitimierung politischer Ansprüche 41 f. Rechtsbegriff - Rechtssatz und Rechtsgrundsätze 56, 108 f. - Zufuhr von Substanz und Energie 53 Rechtsgewalt - bei Hegel 60, 90 - Deutschlands 91 ff. - Judikative 89 - Rechtsorganisation 90 Rechtsgrundsätze - allmähliche Evolution und Revolution 56 Rechtsidee - Kollision zwischen nationaler und universaler Rechtsidee bei Hegel 42 f., 85 Rechtslehre - Reine Rechtslehre Kelsens siehe Kelsen, Reine Rechtslehre Rechtsphilosophie - Hegels 50 f., 62 f., 72, 83, 108, 113, 116 ff., 124 ff. - Notwendigkeit und Zufälligkeit 63 Rechtssicherheit 48 f.
164
Sachwortverzeichnis
Rechtsrationalismus siehe Reine Rechtslehre Rechts- und Staatssoziologie 55 Rechtswissenschaft - Bezugnahme auf soziologisch-empirische Tatsachen 48 f., 134 - ohne Soziologie 136 f. - und Soziologie 134 Region - Semantik als demokratiefeindliches Element 106 Reich - Verkleinerung des Reichsgebiets 79 f. - als Titel bei Hegel 130 f. Reichsarmee 62, 66 Reichsoberhaupt - als Titel bei Hegel 130 f. Reine Rechtslehre - Kelsens 31, 44, 47 f., 103, 121, 135 - Kritik Hellers 48, 135 f. - Recht als oberster Souverän 44 - Rechtsrationalismus 44 - Rechtssouveränität ohne positives Recht 47 - ohne Staat 135 f. - ohne Staatsrechtslehre 136 Religion - Einheit der Religion im Staatsbegriff 18 - Religionsspaltung 90 Repräsentation - Auszehrung 72 - bei Hegel 37, 85, 106 f., 125 f. - bei Heller 36 f. - als geschichtlicher und juristischer Begriff 139 - und politische Einheitsbildung 37 - Repräsentanten des Volkes bei James Madison 140 - System der Repräsentation 36 f., 125 f., 129 - Versöhnung von Freiheit und Macht 37
- und Volksherrschaft 36 f., 106, 121, 139 - und Willensvereinheitlichung 37 - Ursprung 37, 106 Restauration - und Verfassung 57 Revolution 46 f., 93 - Französische Revolution 115, 119, 125 - Revolution 1989/90 59, 90 - und Verfassung 57, 93 Rousseau - und Hegel 51 Smend, Rudolf siehe Verfassung, Verfassungslehre Schmitt, Carl siehe Demokratie, Nation, politische Einheit, Souveränität, Staat, Staatlichkeit, Staatstheorie, Verfassung, Verfassungslehre, Volk, Weltgeschichte Schutz - gegen äußere Feinde 66 - und Gehorsam 39, 66 - Schutzherr 66, 71 - vom Schutzherrn zum Zuchtherrn 71 f. - Schutzmacht Athen 71 f. Sein und Sollen - Hierarchie von Sein, Sinn und Sollen 134, 137 - Normalität und Normativität der Verfassung 54 ff. - als Problem der Rechts- und Staatssoziologie 55, 134 - Recht und Ethik 59, 134 - Sein, So-Sein und Sollen 54 ff., 137 - Seins- und Sollensurteile 53, 134 f. - Staat als Sozial- und Sinngebilde 52, 56, 59, 107 f., 120 - Verfassung als Symbiose von Realität und Normativität 51,59 Selbstbehauptung
Sachwortverzeichnis
- und Auflösung der Territorialgewalt 81 f. - der politischen Klasse 70, 121 - des Staates 48 f., 63, 73, 81, 107, 114, 129 - des Volkes 39, 81 Selbstbestimmung - des Menschen 27 - Selbstverwirklichung 28 - des Volkes 112 Selbsterhaltung siehe Selbstbehauptung Serbien 68 - völkerrechtswidriger Krieg 68 Sinneswissenschaft 53 Sittlichkeit - bei Hegel 62 f., 83, 118 ff. - und Recht 59, 83 - des Staates 73, 83, 108, 118 f. Solidarität 103 f., 112 Souveränität - Begriff 48 - bei Hegel 36, 50, 117, 119 f. - bei Heller 36-51, 98-100, 107, 120 - bei Schmitt 50, 93 - als geschichtlicher Begriff 139 - als juristisch-absoluter Begriff 50, 59, 120, 139 - Bodins Lehre 38 - als höchste Entscheidungseinheit 36, 38 f., 49 f., 60 - Fürstensouveränität 37, 40, 120 - geteilte Souveränität 39, 121 - als Grund des Rechtssystems 42 f. - Herrschen und Befehlen 74 - als historische Kategorie 38, 139 - innere und äußere Souveränität 99 ff., 107 - der Länder 40 f. - legibus soluta 50 - und Militärgewalt 98 - Pendenz der Souveränität 39, 99 - der Mitgliedstaaten der EG 92 - zwischen Recht und Macht 76
-
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des Rechts 137 als Rechtsbegriff 38, 139 und Rechtspositivismus 44, 135 ff. als soziologisches Problem 38, 59 Souveränitätstheorie und Staatslehre Hellers 36-51 - Staatssouveränität 36, 120 f. - Subjekt der Souveränität 36 f., 120, 136 f. - Subjektlosigkeit 44, 136 - unabänderliche Verfassungsvoraussetzung 56 - Universalität der Entscheidung 51, 60, 107 - völkerrechtliche Souveränität 36 - Volkssouveränität 36 f., 46, 100, 125 - Wesen 48 ff. - Zwangsmonopol 49 Sozialstaat 94 - als Grundlage von Freiheit 109 - Leistung, Vorsorge und Lenkung 96 - Rückzug des Sozialstaates 94 - Wohlfahrtsstaat 31 f. Soziologie - Rechts- und Staatsoziologie 55, 59, 134 - und Rechtswissenschaft 48 ff., 134 - Soziologen der Frankfurter Schule 131 - soziologischer Verband als Ersatz von Staat und Volk 46 f. - Staatswerdung beim EP 46 f. - Subsidiarität 94 Spengler, Oswald siehe Geld, Geschichte, Kultur, Nomade, Stadt Staat - Abgaben-und Steuer-Staat 74, 129 - autistischer Staat 89 - Begriff bei Hegel 4 ff., 34 f., 57, 59 ff., 83, 103 ff, 109, 113, 117 ff., 141 - Begriff bei Heller 49 ff., 55 ff., 100 f., 107 ff., 120 f., 139
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Sachwortverzeichnis
- Begriff des Politischen als Voraussetzung des Staates bei Schmitt 33 f. - bei Sieges 74 - bei Treitschke 84 f., 121 - Drei-Elemente-Lehre Jellineks 21, 45 - Einheit von Staat und Recht bei Kelsen 136 - Funktion 48 f., 107 f. - a l s Garant der Freiheit und des Rechts 63, 81, 109, 138 - Gebietshoheit 49 - Gedankenstaat 57, 59, 80, 90, 100, 113, 117, 141 - Gedankenverfassungsstaat 141 - als Geschäftsbetrieb 74 - keine Entscheidungs-, Justiz- und Rechtsverweigerung 50, 57 f. - kooperativer Staat 111 - Kriterien bei Hegel 60, 104 f., 110, 119 f. - als metarechtliches Gebilde 47, 134 - Nichtsein 57 - Not- und Verstandsstaat 113 - Rechtfertigung des Staates 108 f., 111 f. - als Rechtsbegriff 120, 139 - als Rechtssubjekt 120, 137 - als Sozial-, Kultur- und Sinngebilde 52 f., 56, 107 f., 120 - Staat und Souveränität 120 f. - überforderter Staat 94 - unabänderliche Verfassungsvoraussetzung 55 - als universale Entscheidungseinheit 47 - Vernunftstaat Hegels 116 ff., 124 f. - im Völkerrecht 20 ff. - ohne Volk 45 - Weltstaat 64, 107, 131 - Wesen 4 ff. - als Willensverband 48 - Zwangsmonopol 49
- Zweck 107 siehe Europastaat, Staatsverfassung Staat als Funktion des Volkes 49 Staat als politische Einheit 51 Staat und Verfassung - bei Heller 54 ff. siehe Staatsverfassung Staatlichkeit - Epoche der Staatlichkeit bei Schmitt 27 Staatsangehörigkeit 73, 86 ff., 93 - Anknüpfung an Vorgaben realer Homogenität 87 - Liberalisierung 89 - Rechtsund Pflichtenverhältnis 73 f. - Schwinden der Substanz 45, 47, 73 Staatsaufgaben 75 Staatsbürgerschaft siehe Staatsangehörigkeit Staatsgebiet 21 f. Staatsgewalt 21, 35 f., 91, 104 f. - Gewaltmonopol 35 - innere und äußere Souveränität 35 - keine Trennung zwischen Staatsgewalt und Souveränität 35 - des Volkes 91 Staatslehre - Aufgabe der 52 - Ethik und Metaphysik 134 - Hellers 44, 48 ff., 52 ff., 98 ff., 107 ff., 133 ff. - Jurisprudenz ohne Soziologie und Philosophie 137 f. - Kelsens 44, 47, 134 ff. - Krisis der Staatslehre 133 ff., 136 - als Kulturwissenschaft 52 - als multi- und interdisziplinäre Wissenschaft 48 f. - als reine Normwissenschaft 135 - und Positivismus 134 - und Rechtswissenschaft 134 - und Soziologie 20, 52, 133 ff. - ohne Staat 44, 47, 134, 136
S ach wortverzeichni s
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ohne Staatsrecht 136 als Strukturwissenschaft 52 um 1800 133, 136 in der Weimarer Zeit 133, 136 als Wirklichkeitswissenschaft 52, 57, 133 ff. Staatslenkung - Steuerungsprobleme 138 Staatsphilosophie 53 Staatsrechtslehre - bundesdeutsche Staatsrechtslehre unter dem Grundgesetz 137 ff. - ohne Staatslehre 134 f. - „Schulenstreit" in der Weimarer Zeit 137 - u m 1800/01 78 f., 109, 117, 130 f., 133, 136 - Umwandlung in Verfassungsrechtslehre 137 ff. - zwei Strömungen, staatspolitische und liberale Richtung 138 ff. Staats Souveränität siehe Souveränität Staatstheorie - Hegels 64, 83 - Hellers 107 f. - Schmitts 64 - Unterscheidung von Eigenem und Fremden 83 Staatsverfassung - Begriff bei Heller 54 ff. - als Grundlage politischer Einheit des Volkes 51 - im Sinne der Wirklichkeitswissenschaft 54 f. - Kontinuität und Diskontinuität 57 - nicht normierte, außerrechtliche und rechtlich normierte Teile der politischen Gesamtverfassung 54 ff. - organisierte Verfassung 55 - Sein, So-Sein und Sollen im Verfassungsbegriff 55 - Teilinhalte der politischen Gesamtverfassung 55 - Weimarer Reichsverfassung 90
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- wirkliche Staatsverfassung 55 Staatsvolk - Definition 42 - Neudefinition 88 Staatswesen - Konstituierung und Auflösung 90 f. Stadt - Bedeutung bei Spengler 30 f. - „Steinkoloß" Weltstadt 30, 31 - Unterschiede zum Land 30 f. Stände - bei Hegel 40, 90, 110 f., 123, 124 Sultan 130 Summa potestas 50 Territorialgewalt - bei Hegel 60, 78 f. - Entstaatlichung durch Abgabe der Kompetenz für das Fremdenrecht 84 - Gebietsverlust und Souveränität 79 - Verlust führt ins Niemandsland 81 - Verlust deutscher Besitzungen 79 Thatcher, Margaret - zur deutschen Europapolitik 84 Theorie und Praxis 59, 61 - Hegel paßt Theorie der Praxis an 59, 61 transnationale Gesellschaft siehe Gesellschaft Treitschke, Heinrich von siehe Deutschland, Freiheit, Kriegsmacht, Staat UdSSR 67 Union 129 Unionsbürgerschaft siehe Europäische Union USA 69 f. - „befreundete Schweinehunde" 69 - „einsame Supermacht" 69 - Hegemonialmacht 69, 71 f. - Monopol des Politischen 70 - Schurkenstaaten 69
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Sachwortverzeichnis
Verfassung - absoluter Begriff 51 - bei Aristoteles 127 - bei Hegel 51 - bei Heller 52 ff. - bei Piaton 126 f. - bei Schmitt 52 - bei Smend 52 - europäische Verfassung 102 - Geltung und Wirksamkeit 58 - gemischte Verfassung 125 - als Gesamtzustand politischer Einheit und Ordnung 51 - als geschlossenes System von Normen 51 - der Gesellschaft 95 - Kontinuität 89 - Kreislauf der Verfassungen bei Aristoteles 128 - und Machtverhältnisse 57 - politische Gesamtverfassung 55 - relativer Begriff 51 f. - Sein und Sollen 58 - als Symbiose von Realität und Normativität 51 - unabänderliche Verfassungsvoraussetzungen Staat, Souveränität, Nation, Volk 56, 88 - Verfassungsabfolge bei Piaton 127 - Verfassungswandel 87 f., 89, 93 - und Wirklichkeit 113 - Zukunft der Verfassung 95 siehe Staatsverfassung Verfassungsbeschwerde - und Erhalt der Staatlichkeit 91 f. Verfassungslehre - moderne Verfassungslehre und Garantie der Menschenrechte 82 ff. - Schmitts 52 - Smends 52 Verfassungsorgane - Vernachlässigung ihrer Funktionen 57 f. Verfassungspatriotismus 131
Verfassungsrecht - und Revolution und Restauration 57 - und soziale Struktur bei Schindler 50 f., 56 - Unverbrüchlichkeit 57, 59 f. - Verfassungswirklichkeit 57 f., 113 f. Verfassungsrechtslehre 137 ff. Verfassungsrechtsprechung siehe Bundesverfassungsgericht Verteidigung 66 f. - Macht zur Verteidigung des Staates 61, 66 f., 74 - Pflicht der Bürger zur Verteidigung des Staates 63 - Schwinden der Verteidigungsmacht 79 f. Vertrag - Kollision von Vertrag und Recht 41 f. - Vertrags- und Herrschaftsordnung 38 f. - Vertragslehre 38 - Vertragsordnung 39 Völkerrecht - Bedeutung von Hegels Machtstaatstheorie 20 - bei Heller 99 f. - Grenzen in der Staaten-Souveränität 99 - Passepartout-Charakter des Staatsbegriffs 21 ff. - kein Prätor über den Staaten 69, 99 - und Staatsrecht 99 Völkerrechtsordnung - Staat als bestimmender Faktor 36 Volk - Begriff 22 f. - als geschichtlicher Begriff 139 - bei Hannah Arendt 141 - bei Boehm 18, 23 f. - bei der Katholischen Kirche 24 f. - bei Raschhofer 24 - bei Schmitt 25 - bei Veiter 25
S ach ortverzeichnis
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und Bevölkerung 78 als Bezugsgröße bei Hegel 23 und Demokratie 87 ff., 129 Entpolitisierung 66, 83 Erweiterung 86 Existenz und Unabhängigkeit 62 politische Existenz 66, 93 und politische Klasse 121 politische Mitwirkung 111, 140 schwindendes Völksbewußtsein 26 f., 80, 112 - unabänderliche Verfassungsvoraussetzung 56, 87 f. - als Souverän 100, 125 - als staatlich organisierte Macht 20, 91 - als Substrat des Staates 26, 73, 88, 93, 119 f. - Verfassung als politische Einheit des Volkes 51 Volksbefragungen 140 Volksbewußtsein siehe Volk Volks Souveränität siehe Souveränität volonté générale 37 Währungshoheit 75 f. - und Souveränität 76 - und notwendige Staatsaufgaben 75 Währungsunion - Krönungstheorie 77 siehe Europäische Gemeinschaft Wahlen 92, 129 Welt - virtuelle 33
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Weltbürger - Weltbürgerträume 43 Weltgeist siehe Geschichtsphilosophie Weltgeschichte - als Geschichte der Stadtmenschen bei Spengler 30 - Stufengang der Weltgeschichte bei Hegel 85, 118, 132 Weltgesellschaft siehe Gesellschaft Weltmarkt 32, 94, 141 Weltstaat 64, 131 Wertegemeinschaft - zwischen Staat und Bürger 73 Wiedervereinigung siehe Deutschland Wille - Staat als Willensverband 48 - Willensvereinheitlichung durch Majorität und Repräsentation 37 WirklichkeitsWissenschaft 52, 54 f., 57 Wirksamkeit - des Rechts 57 - der Verfassung 58 Wirkungseinheit - Wirkungs- und Entscheidungseinheit der Staatsorgane 57 f., 79 Wirtschaft siehe Ökonomie Wohlfahrtsstaat siehe Sozialstaat Zeitgeist 83, 100, 138 Zivilgesellschaft siehe Gesellschaft Zivilisation 31 Zuchtherr 71 Zwang siehe Staat, Souveränität