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German Pages 239 Year 2014
Chang Oh Cho Die melancholische Verfassung der Moderne und das Symbol
Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
jena-sophia Studien und Editionen zum deutschen Idealismus und zur Frühromantik Herausgegeben von Christoph Jamme und Klaus Vieweg Abteilung II – Studien Band 12
2014 Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
Chang Oh Cho
Die melancholische Verfassung der Moderne und das Symbol Hegels Bestimmung der modernen Tragödie
Wilhelm Fink Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
Umschlagabbildung: Jena – Blick vom Philosophengang (um 1810) kolorierte Radierung von F. W., Stadtmuseum Jena
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. © 2014 Wilhelm Fink, Paderborn Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn Internet: www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Printed in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-7705-5771-4
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VORWORT
Die vorliegende Arbeit ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner im Sommersemester 2013 an der Fakultät I Bildungs-, Kultur- und Sozialwissenschaften der Universität Lüneburg angenommenen Dissertation. Die Gutachten wurden von Prof. Dr. Christoph Jamme, Prof. Dr. Ulrike Steierwald und PD. Dr. Michael Städtler erstellt, denen ich für die Betreuung und Förderung meiner Arbeit ganz besonders danken möchte. Mein herzlicher Dank gilt zudem der Leuphana Uni Lüneburg. Die Arbeit an der Dissertation wurde mir durch ein mehrjähriges Promotionsstipendium ermöglicht. Ohne diese großzügige Unterstützung läge diese Arbeit heute nicht vor. Ebenfalls danken möchte ich Frau Margarete Andersson und Theresa Fehlner, die meine Arbeit unterstützt haben. Auch möchte ich mich für die Unterstützung meiner Eltern und meiner Schwiegereltern bedanken Dieses Buch widme ich Geum Ha. Sie hat mein Leben in Deutschland sehr bereichert und stand mir jederzeit vertrauensvoll und liebevoll bei.
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INHALT
1. EINLEITUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Der aktuelle Diskurs über Hegels Ästhetik im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Die Rehabilitierung von Hegels Bestimmung der modernen Tragödie im Rahmen des aktuellen Diskurses über Hegels Ästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Die Interpretationsgeschichte von Hegels Bestimmung der modernen Tragödie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Überblick der Dissertation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. TRAGÖDIE ALS EIN PHILOSOPHISCHES THEMA . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Frage nach dem Problem der Tragödie in der Moderne . . . 2.2. Nietzsche und die Philosophie des Tragischen . . . . . . . . . 2.3. Kants Aporie als der Ausgangspunkt der Theorie der Tragödie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Das Tragische als Sinn der intellektuellen Anschauung . . . 2.5. Schelling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1. Das Absolute und die intellektuelle Anschauung . . . 2.5.2. Neue Lektüre der Kritik der reinen Vernunft . . . . . 2.5.3. Option für den Kritizismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.4. Die Tragödie als „Lehrerin der Menschheit“ . . . . . 2.5.5. Die Kritik der Tragödie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6. Hölderlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.1. Das Problem der intellektuellen Anschauung . . . . 2.6.2. Einführung der Konzeption der Tragödie . . . . . . . 2.6.3. Der tragische Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7. Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.1. Die Tragödienkonzeption in Bern . . . . . . . . . . . . . 2.7.2. Die Tragödienkonzeption in Frankfurt . . . . . . . . . 3. DIE PHILOSOPHIE DER TRAGÖDIE UND DIE MODERNE TRAGÖDIE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. „Tragödie im Sittlichen“ – Eine hermeneutische Konzeption der Tragödie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Kunst und Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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INHALT
3.1.2. Die negative Dialektik oder das tragische Denken . . . 3.1.3. Die „Tragödie im Sittlichen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.1. Die metaphysische Konzeption der tragischen Bewegung des Absoluten und ihre geschichtliche Realisierung. . . . . . . . 3.1.3.2. Lektüre der Tragödie . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.3. Der Begriff der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.4. Die drei Schichten der Tragödienlektüre . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3.5. Die Unterscheidung der Tragödie von der Philosophie der Tragödie: das Problem der modernen Tragödie . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Die Melancholie und das Problem der modernen Tragödie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Die Reflexion über die melancholische Verfassung der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Die Interpretation von Wallenstein . . . . . . . . . . . . 3.2.2.1. Die Grundstruktur von Wallenstein . . . . . 3.2.2.2. Die Moderne als melancholische Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.3. Melancholie als die Quelle des Tragischen in der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.4. Der Sinn der Melancholie . . . . . . . . . . . . 4. DER BEGRIFF DER TRAGÖDIE IN DER PHÄNOMENOLOGIE DES GEISTES . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. „Die sittliche Welt“ als der Boden für die tragische Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Die antike Tragödie als die Repräsentation der Sittlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1. Die Tragödie als die notwendige Kollision der Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2. Die tragische Handlungsweise . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3. Die Sittlichkeit als die Lösung des tragischen Konflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4. Die Kritik der Identität der Sittlichkeit und der Tragödie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Der Untergang der Sittlichkeit und die natürliche Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1. Antigone als die erste Gestalt der reinen natürlichen Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4.3.2. Die Bestimmung der natürlichen Macht im Verhältnis mit der griechischen Sittlichkeit . . . 148 Exkurs: Die „Bildung“ des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 5. DER VERGANGENHEITSCHARAKTER DER KUNST . . . . . . . . . . . . 5.1. Der Vergangenheitscharakter der Kunst in der Moderne und die romantische Kunstform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1. Der Vergangenheitscharakter der Kunst . . . . . . . . 5.1.2. Die Diskussion um das „Ende der Kunst“ . . . . . . . 5.1.3. Die Eigenständigkeit der modernen Kunst . . . . . .
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6. DIE BESTIMMUNG DER MODERNEN TRAGÖDIE BEI HEGEL . . . . 6.1. Reflexionen über die Möglichkeit der modernen Tragödie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Die ästhetische Authentizität als die Quelle der ästhetischen Tragik in der Moderne . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1. Die ethische Tragik in der Moderne . . . . . . . . . . . 6.2.2. Die ästhetische Anerkennung bzw. Authentizität . 6.3. Die ästhetische Tragik in der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1. Der Vergleich des Handlungsbegriffs in den Berliner Ästhetikvorlesungen mit dem in der Rechtsphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4. Die Bestimmung der modernen Tragödie. . . . . . . . . . . . . 6.4.1. Der Charakter in der modernen Tragödie . . . . . . . 6.4.2. Der Charakter und die Melancholie . . . . . . . . . . . 6.4.3. Die Melancholie und das Böse . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.4. Melancholie und Symbol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.5. Das Symbol bei Hegel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.6. Die symbolische Melancholie . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.7. Kritik der Melancholie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7. AUSBLICK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1. Der Begriff des Trauerspiels bei Benjamin . . . . . . . . . . . . 7.2. Benjamin und Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3. Abschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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LITERATURVERZEICHNIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 REGISTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
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1. EINLEITUNG
1.1. Der aktuelle Diskurs über Hegels Ästhetik im Allgemeinen Die Abgrenzung von Hegels eigener Ästhetik von der von Hotho in sie hineingedeuteten Ästhetik durch die Untersuchung neuer Quellen zu Hegels Ästhetik hat den heutigen Diskurs geschaffen, in dem es darum geht, die Aufgabe der These von der Identität des Kunstwerks mit dem Staatswerk, die These vom „Ende der Kunst“ und den Charakter von „Work in Process“ der Systematik von Hegels Ästhetik neu aufzugreifen und zu interpretieren.1 Nach dieser Interpretation verbreitet die durch die von Hotho edierte Ästhetik eine klassizistische Interpretation von Hegels Ästhetik und spielt zusammen mit der Hegelschen logisch-dialektischen Systematik eine entscheidende Rolle zur Schwächung der Aktualität von Hegels Ästhetik. Wenn das Schöne als ein absolutes Kriterium für die Kunstkritik festgesetzt wird, das nur eigentlich für die klassische Kunstform prägend ist und in dem der Inhalt seine adäquate Form findet, im Gegensatz zum „Symbol“, in dem der Inhalt und die Form geschieden sind, können die symbolische und romantische, in denen das Symbol seine Anwendungssphäre findet, abgewertet werden, wofür in der von Hotho edierten Ästhetik viele Beispiele zu finden sind, z. B. die symbolische Kunstform überhaupt,2 die niederländische Genremalerei3 und nicht zuletzt die moderne Tragödie. Die klassizistische Abwertung der gegenwärtigen Kunst, da sie nicht mehr schön ist, zieht Hegels Ästhetik in Zweifel. Aber die historisch-kritische Arbeit an den Quellen zu Hegels Ästhetikvorlesungen ermöglicht die neue Interpretation vom „Ende der Kunst“, die nicht zuletzt darauf abzielt, „das altbekannte Dilemma“ zwischen der in der Enzyklopädie entwickelten Sys1 A. Gethmann-Siefert, Die Funktion der Kunst in der Geschichte. Untersuchungen zu Hegels Ästhetik (Hegel-Studien, Beiheft 25), Bonn 1984. 2 J-I, Kwon, Hegels Bestimmung der Kunst. Die Bedeutung der symbolischen Kunstform in Hegels Ästhetik, München 2001. 3 B. Collenberg, „Hegels Konzeption des Kolorits in den Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Kunst“, in: Hegel-Studien, Beiheft 34, hg. von A. Gethmann-Siefert, Bonn 1992. Vgl. Karsten Berr, Hegels Bestimmung des Naturschönen, Saarbrücken 2009.
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EINLEITUNG
tematik und der in den Nachschriften der Ästhetikvorlesungen führenden phänomenologischen Interessen und der schwankenden Systematik zu lösen.4 Die Lösung liegt darin, den Sinn vom „Ende der Kunst“ durch die Aktualität der einzelnen Kunsturteile in Hegels Ästhetikvorlesungen erneut zu interpretieren. Die Systematik in den Ästhetikvorlesungen korrigiert sich ständig, anders als sie in der von Hotho edierten Ästhetik durch die mechanische Anwendung der triadischen Dialektik als festgesetzt erscheint.5 Diese Unabgeschlossenheit der Systematik6 in den Ästhetikvorlesungen7 wird von Hegels Interessen an den vielfältigen einzelnen Kunstwerken hervorgebracht, die der vorherbestimmten Systematik nicht übergestülpt werden können. Aber Hegel verstärkt trotz seines leidenschaftlichen Interesses gegenüber der modernen bzw. nicht mehr schönen 4 A. Gethmann-Siefert, „Phänomen versus System. Zum Verhältnis von philosophischer Systematik und Kunsturteil in Hegels Berliner Vorlesungen über Ästhetik oder Philosophie der Kunst“, in: Hegel-Studien, Beiheft 34, 12. 5 Diese Unabgeschlossenheit des Systems in den Ästhetikvorlesungen wird durch den exemplarischen Vergleich der von Hotho edierten Ästhetik mit den Nachschriften zu Hegels Ästhetikvorlesungen belegt. Z.B. J-I, Kwon, Hegels Bestimmung der Kunst. Die Bedeutung der symbolischen Kunstform in Hegels Ästhetik. 6 Vgl. Logik und Realität. Wie systematisch ist Hegels System? hg. von Chr. Jamme und Y. Kubo, München 2012. 7 V. Hösle hält Hegels Ästhetik für korrekturbedürftig, da Hegel zu Unrecht die Kunst abschätzt in dem Sinne, dass die Kunst in seinem System zwar denselben Gegenstand habe, wie die Religion und die Philosophie, aber wegen ihrer Form in die Letztere übergehen müsse (V. Hösle, Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität, Hamburg 1988, 600ff.). Er schlägt vor, durch die vom Begriff des Schönen vermittelte (V. Hösle, a.a.O. 608f.) neue (Re-)Konstruktion der die Einheit von Theorie und Praxis implizierenden Ästhetik von Hegel (V. Hösle, a.a.O. 609) seinen systematischen Theorizismus, der eher der kontemplativen absoluten Subjektivität der Philosophie die absolute Wahrheitsansprüche als der intersubjektiven Praxis zuschreibe, zu überwinden. Abgesehen davon, ob sein Vorschlag Hegels Philosophie gerecht wird, muss zuerst geprüft werden, ob seine Deutung von Hegels Ästhetik nach heutiger Sicht noch akzeptabel ist. Aber der jetzige Diskurs über Hegels Ästhetik entlarvt den Mangel seiner klassizistischen Interpretation. Er verbindet den Formalisierungstrend der romantischen Kunstformen mit ihrem Verlust der Sittlichkeit, aus dem er einen Schluss zieht, sie für eine Verfallskunst zu halten (V. Hösle, a.a.O. 601, Anm. 24). Aber ob diese Verbindung der Sache gerecht wird, muss geprüft werden. Aber er deutet die vielfältige Möglichkeit der Wahrheitsansprüche der modernen Kunst an, weil die Wahrheitsansprüche der Kunst nicht ausschließend sind, wie die der Religion und der Philosophie (aber es ist irreführend, dass er den Charakter dieser Wahrheitsansprüche der Kunst ahistorisch zu rechtfertigen versucht).
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EINLEITUNG
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Kunst die These vom „Ende der Kunst“, die er in der Enzyklopädie entwickelt hat, durch die phänomenologischen Betrachtungen über einzelnen Kunstwerke in seinen Ästhetikvorlesungen. Diese Verstärkung bringt nicht die klassizistische Interpretation vom „Ende der Kunst“ mit sich, nach welcher die moderne Kunst, da sie nicht mehr schön ist, ihre eigene Bedeutung verloren hat, im Vergleich zur antiken Kunst und aussichtslos im Verhältnis zu Religion und Philosophie ist, sondern die Einsicht in die veränderte soziale Funktion und die neue Gestaltungsmöglichkeit der Kunst in der Moderne, die nicht mehr schön, sondern hässlich8, erhaben usw. ist. Die Kunst in der Moderne begnügt sich wegen ihrer sinnlichen Erkenntnisweise mit der beschränkten Darstellungsmöglichkeit der Wahrheit. Aber diese Beschränkung ermöglicht ihr, vielfältige Gestaltungsmöglichkeit zu gewinnen, mit der die Kunst ihre veränderte Wahrheitsvermittlungsfunktion ausübt. Die moderne Kunst kann nicht mehr eine vorbildliche Handlungsorientierung geben, die allgemeingültig durchgeführt werden kann, sondern danach strebt, diese zu geben, die aber nicht mehr allgemein, sondern partiell gültig ist.9 Der Diskurs über die Partikularität der Bedeutung der Kunst in der Moderne bestätigt die deutliche Beschränkung der Kunst ihrer höchsten Möglichkeit nach und gleichzeitig eine Erneuerung der Kunst ihrer aktuellen Möglichkeit nach in der Moderne. Die bisherige Forschung richtet sich nicht zuletzt auf die Abgrenzung der reinen Ästhetik Hegels von der von Hotho in sie hineingedeuteten Ästhetik, durch die Hegels Ästhetik in ihrer reinen Version neu rekonstruiert und rehabilitiert wird. Durch die neue Interpretation vom „Ende der Kunst“ wird die partielle Bedeutung der modernen Kunst in Hegels Ästhetik zugeschrieben. Die Kunst hat ihre Zukunft und ihre eigene Funktion in der Moderne.
8 F. Iannelli, Das Siegel der Moderne. Hegels Bestimmung des Hässlichen in den Vorlesungen zur Ästhetik und die Rezeption bei den Hegelianern, München 2007. 9 B. Rutter, Hegel on the modern Arts, Cambridge 2010.
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EINLEITUNG
1.2. Die Rehabilitierung von Hegels Bestimmung der modernen Tragödie im Rahmen des aktuellen Diskurses über Hegels Ästhetik Die gegenwärtige Diskussion um Hegels Ästhetik weckt das Bedürfnis nach der Rehabilitierung von Hegels Bestimmung der modernen Tragödie. Der Versuch, die moderne Tragödie in den neuen Quellen zu Hegels Ästhetikvorlesungen sachgerecht zu betrachten, die nach der klassizistischen Interpretation als eine „Verfallskunst“ angesehen wurde, wird im heutigen Diskussionsrahmen gerechtfertigt. Diese Rehabilitierung erweitert und konkretisiert den Sinn vom „Ende der Kunst“. Nach der Enzyklopädie ist die Kunst wegen ihrer sinnlichen Erkenntnisweise in der geschichtlichen Erkenntnis beschränkt. Diese Beschränktheit der Erkenntnis prägt den Vergangenheitscharakter der Kunst, der die Schwächung ihrer Leistungsfähigkeit der Wahrheitsvermittlung in der Moderne mit sich bringt. Die Kunst ist nicht mehr schön und vergangen nach ihrer höchsten Möglichkeit nach.10 10 „Die schöne Kunst hat ihre Zukunft in der wahrhaften Religion“, da „die Anschauung, das unmittelbare, an Sinnlichkeit gebundene Wissen“ „in das sich in sich vermittelnde Wissen, in ein Dasein, das selbst das Wissen ist, in das Offenbaren“ übergeht. Dieser Übergang der Kunst in die Religion bzw. Philosophie ergibt sich aus der Beschränktheit des durch die künstlerische sinnliche Form gefassten Inhalts der Idee (GW20, 549). Die Schranke der Wahrheitserkenntnis der Kunst liegt in ihrer sinnlichen Form. Diese Wahrheitserkenntnis muss von der Wahrheitsvermittlung unterschieden werden (vgl. Anm. 7). Diese Unterscheidung der Wahrheitserkenntnis von der Wahrheitsvermittlung, die der der Kunstproduktion von der Kunstrezeption entspricht, macht die Interpretation vom „Ende der Kunst“ fruchtbar. Aber die Unterscheidung der drei Formen des absoluten Geistes nach dem geschichtlichen Wahrheitscharakter und in ihrer Wahrheitserkenntnis in der Enzyklopädie hängt mit ihrer Leistungsfähigkeit der Wahrheitsvermittlung und ihrer Handlungsorientierung in der Geschichte nicht zusammen. Wenn das „Ende der Kunst“ nach der geschichtlichen Beschränktheit der Wahrheitserkenntnis der Kunst bestimmt wird, kann die Schwierigkeit vermieden werden, die getroffen werden muss, wenn der Sinn vom „Ende der Kunst“ nur in der geschwächten Leistungsfähigkeit der Kunst in der Moderne gesucht wird. Wenn die Notwendigkeit der Aufhebung der Kunst in die Religion bzw. Philosophie auf ihre geschwächte Leistungsfähigkeit der Wahrheitsvermittlung in der Moderne zurückgeführt würde, besagte dies, dass die Philosophie nach der Leistungsfähigkeit der Wahrheitsvermittlung den anderen Formen des absoluten Geistes überlegen sei. Aber obwohl die Philosophie nach dem Grad der Wahrheitserkenntnis die höchste Form in der Moderne ist, ist es fragwürdig, ob die Philosophie die höchste Form der Wahrheitsvermittlung sei (Das ist, wie der
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EINLEITUNG
Der Vergangenheitscharakter der Kunst ergibt sich aus der Beschränktheit ihrer sinnlichen Gestalt, die der Idee der Vernunft seit der Auflösung der antiken Sittlichkeit nicht mehr am angemessensten ist. Die Gestalt der Sittlichkeit ist verändert. Sie wird durch die Konzeption der „Anerkennung“ konstituiert, welche sich in ihrer dialektischen Struktur zeigt. Die Bewegung der „Anerkennung“ kann nur durch die reflexiven Begriffe erfasst werden. Ist diese Mangelhaftigkeit der Kunst auf die Beschränktheit ihrer sinnlichen Gestalt zurückzuführen, wie zahlreiche Interpretationen es nahelegen? Gegen diese Interpretation öffnet uns die Form der modernen Tragödie eine neue Interpretationsmöglichkeit, die Beschränktheit der ästhetischen Erkenntnis bzw. ihrer Darstellung anders zu bestimmen. Die moderne Tragödie stellt einerseits den Konflikt zwischen der individuellen Freiheit und der gesellschaftlichen Allgemeinheit dar, der nach der Rechtsphilosophie seine Schlichtung in der „Sittlichkeit“ findet. Andererseits zeigt die moderne Tragödie gegen diese dialektische „Vereinigung“, die nur die Philosophie auf höchster Weise erreichen kann, eine andere Perspektive, die nicht in diese Systematik der Vereinigung integriert werden kann und diese Systematik kritisiert. Damit können wir unter dem „Ende der Kunst“ nicht einfach die „Partikularität“ Ihrer Wahrheitsvermittlungsfunktion in der Moderne, sondern ihre Eigenständigkeit konzipieren.
1.3. Die Interpretationsgeschichte von Hegels Bestimmung der modernen Tragödie In der Interpretationsgeschichte von Hegels Bestimmung der Tragödie erreichen wir den Höhepunkt der klassizistisch interpretierten Ästhetik von Hegel. Nicht zuletzt hat die Interpretation von Hegels Deutung der Antigone diese klassizistische Interpretation verstärkt. Zweifellos war dieses
junge Hegel in seinem „Das älteste Systemprogramm“ entwickelt und im Systementwurf in seiner ersten Jenaer Zeit dargestellt hat, die Schwäche der Philosophie, die durch die Kunst und Religion kompensiert werden soll, weil die letzteren beiden Formen nach der Leistungsfähigkeit der Wahrheitsvermittlung der Philosophie überlegen sind. Vgl. J. H. Trede, „Mythologie und Idee. Die systematische Stellung der „Volksreligion“ in Hegels Jenaer Philosophie der Sittlichkeit (1801-03)“, in: Das älteste Systemprogramm. Studien zur Frühgeschichte des deutschen Idealismus (Hegel-Studien, Beiheft 9), hg. von R. Bubner, Bonn 1973).
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EINLEITUNG
Werk für Hegel „das vortrefflichste Kunstwerk“ (20/21, 321).11 Aber es gab unzählige Versuche in der Interpretationsgeschichte von Hegels Bestimmung der Tragödie, es vom kulturgeschichtlichen Kontext zu abstrahieren und als ein absolutes Muster geltend zu machen. Diese klassizistische Interpretationsrichtung wurde einerseits von der durch Hothos Vorliebe zur Klassik geprägten Ästhetik beeinflusst, andererseits durch den im zwanzigsten Jahrhundert vorherrschenden Diskurs über die Tragödie bestimmt, durch den eine Metaphysik der Tragödie entwickelt wurde, die die Tragödie als eine Kunstgestalt konzipiert ohne zu fragen, „ob das Tragische eine gegenwärtig überhaupt zu erfüllende Form oder aber eine geschichtlich gebundene sei“ (GS I/1, 219). Sie wurde nicht zuletzt unter der starken Wirkung von Schelling und Solger von Schopenhauer konzipiert, der auch für die Tragödientheorie von Nietzsche eine wesentliche Grundlage abgegeben hat. Das Trauerspiel als der „Gipfel der Dichtkunst“ stellt nach Schopenhauer das Leiden des Menschen, das metaphysisch begründet ist, dar und zeigt den Widerstreit des Willens mit sich selbst und „den eigenthümlichen Schwung zur Erhebung“, der „das Aufgehen der Erkenntniß“ ist, „daß die Welt, das Leben kein wahres Genügen gewähren könne, mithin unsere Abhängigkeit nicht werth sei“.12 Diese Bestimmung der Tragödie, die sich in den nachhegelschen Philosophien durchgesetzt hat, zeigt paradoxerweise die Aktualität von Hegels Bestimmung, denn die Transzendierung der Konzeption der Tragödie ohne Betrachtung der geschichtlichen Tragik lähmt die Tragödie selber, da sie ihre Bestimmung des Weltbezugs verliert, die sie selbst konstruiert. Die Metaphysik der Tragödie ist nicht im Stande, zu erklären, warum die Tragödie als eine geschichtliche Kunstgestalt nur in einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort entstanden ist. Hegel bestimmt die Tragödie als eine geschichtliche Kulturgestalt, deren Bestimmung nur im Zusammenhang mit der geschichtlichen Wirklichkeit zu begreifen ist, denn die Tragödie basiert auf der geschichtlichen Tragik, deren Möglichkeitsbedingung nur in der Wirklichkeit zu eruieren ist. Die Aktualität von Hegels Bestimmung der modernen Tragödie liegt in ihrer Erklärungsstärke, die Tragödie geschichtsgebunden zu bestimmen und ihre konkrete Funktion in ihrem geschichtlichen Kontext zu betrachten. Hegels Bestimmung der Tragödie nimmt einen zentralen Platz in seiner Philosophie sowohl aus entwicklungsgeschichtlicher als auch aus systema11 O. Pöggeler, Schicksal und Geschichte, München 2004, 25ff. 12 A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung. Bd. 2, welcher die Ergänzungen zu den vier Büchern des ersten Bandes enthält, hg. von L. Lütkehaus, Zürich 1999, 504.
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EINLEITUNG
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tischer Hinsicht ein. Vielfältige Interpretationsversuche haben Versuche zur Bestimmung der Tragödie unternommen. Hier werden sie in drei Kategorien unterschieden. Erstens wurde die Bestimmung der Tragödie im Rahmen der praktischen Philosophie untersucht, da Hegel, wie er im Naturrechtsaufsatz die Konzeption der „Tragödie im Sittlichen“ eingeführt, die Tragödie im Zusammenhang der praktischen Philosophie bestimmt hat. Eine zweite Perspektive priorisiert die klassizistische Interpretation der Bestimmung der (modernen) Tragödie, während in einer dritten Annäherung kritische Interpretation und klassizistische Interpretation kontrastierend betrachtet werden. Die Untersuchungen der Bestimmung der Tragödie im Rahmen der praktischen Philosophie befassen sich hauptsächlich mit dem Verhältnis von Tragödie und von Sittlichkeit. Das Hauptinteresse liegt darin zu erklären, warum Hegel die These der Identität der Tragödie und des Staatswerks, die er im Naturrechtsaussatz dargestellt hat, aufgegeben und eine neue Konzeption der Sittlichkeit entwickelt hat.13 Die Tragödie gibt es nicht mehr nach der Auflösung der antiken schönen Sittlichkeit, weil die moderne Sittlichkeit wegen ihrer reflexiven bzw. dialektischen Konstruktion nicht durch die anschauliche Form der Tragödie, sondern durch die philosophischen Begriffe erkannt wird. Die Tragik, die für die Antike charakteristisch ist, gibt es auch nicht mehr in der Moderne, denn der Konflikt, der in der antiken Tragödie erscheint und dessen Momente als Konstruktionselemente in der modernen Sittlichkeit fungieren, ist durch die Selbstbildung der befreiten Vernunft in der modernen Sittlichkeit gelöst.14 Die reflexive 13 Z.B. E. Weisser-Lohmann, „Zur Identifikation ästhetischer und praktischer Formen bei Hegel“, in: Die geschichtliche Bedeutung der Kunst und die Bestimmung der Künste, hg. von A. Gethmann-Siefert, Lu de Vos, B. Collenberg-Plotnikov, Bonn 2005. 14 Die „Familie“ und der „Staat“ sind beide Mächte, die den Konflikt in Antigone ausmachen. Aristoteles hat die Ökonomie als Haushaltslehre konzipiert und den Staat als „koinonia politike“ dargestellt, in der die „bürgerliche Gesellschaft“ und der Staat „noch nicht auseinandergetreten sind“ (M. Riedel, Zwischen Tradition und Revolution. Studien zu Hegels Rechtsphilosophie, Stuttgart 1982, 143f.), da beide Sphären (Familie und Staat) noch in einer unmittelbaren „Einheit“ problemlos vereinigt sind. Hegels Einführung der Konzeption der „bürgerlichen Gesellschaft“ in sein rechtsphilosophisches System zielt darauf ab, die Entzweiung beider Sphären, die in der Moderne nachtragisch entstanden ist, durch die Arbeitskonzeption zu lösen und sie als Konstruktionselemente für die moderne Sittlichkeit zu interpretieren (J. Ritter, „Hegel und die Französische Revolution“, in: Metaphysik und Politik. Studien zu Aristoteles und Hegel, Frankfurt am Main 1977, 183- 255). U. Rameil weist darauf hin, dass Hegel schon in Jena den Be-
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Konstruktion der modernen Sittlichkeit kann nicht mehr durch die anschauliche, genauer gesagt, kunstreligiöse Weise erfasst werden. Die moderne Sittlichkeit braucht zur Selbsterkenntnis nichts anderes als die Philosophie. In der modernen Sittlichkeit übernimmt die „bürgerliche Gesellschaft“ eine vermittelnde Funktion zwischen dem Individuum und dem Staat, wodurch der Konflikt gelöst ist.15 Im Hintergrund dieser Interpretation steckt ein systemtheoretisches Interesse, moderne Sittlichkeit als ein Ersatz- bzw. Überwindungsmodell der Tragödie zu betrachten.16 Eine andere Interpretation argumentiert dahingehend, dass die Tragik nach der Auflösung der griechischen Sittlichkeit in der Moderne wiederkehrt.17 Sie griff der Idee der Sittlichkeit erfasst hat, den er in der Rechtsphilosophie als die Einheit der Subjektivität und der Objektivität bestimmt. Diese beiden Momente sind nachtragisch entstanden, die in die Idee der Sittlichkeit aufgehoben werden (U. Rameil, „Sittliches Sein und Subjektivität. Zur Genese des Begriffs der Sittlichkeit in Hegels Rechtsphilosophie“, in: Hegel-Studien, Bd. 16 (1981), 123-162). 15 C. Alegría, Tragödie und bürgerliche Gesellschaft. Motive und Probleme der politischen Aufhebung des „Notstaats“ bei Hegel, Frankfurt am Main 1995. Es gibt ein „Urgeschehen“, in dem die notwendige Kontroverse durch ihre Auflösung das Allgemeine entstehen lässt. Die Tragödie ist „ein Medium für das Denken“ (C. Alegría, a.a.O. 13), das durch Erinnerung des Urgeschehens „auf die Möglichkeit“ hinweist, „aus der Erschütterung der Polis-Sittlichkeit durch Konflikte, die sie problematisiert haben, einen neuen Gemeinschaftssinn zu gewinnen.“ (C. Alegría, a.a.O. 19) Die Konzeption der alten Tragödie bietet „ein Medium für das Denken“, das nicht nur für die Lösung der Probleme der klassischen schönen Sittlichkeit, sondern auch für die der modernen Sittlichkeit zuständig ist. Dieses Medium nutzt Hegel, damit er durch die Anspielung auf die alte Tragödie die Zerrissenheit der Moderne überwinden kann. „Die Tragödie als Darstellung von paradoxem Geschehen stellt dann die Bedingungen des neuen Denkens“ zur Konstruktion der Gesellschaftstheorie (C. Alegría, a.a.O. 14). 16 Diese Interpretation bietet eine theoretische Grundlage dafür, die moderne Tragödie als eine Zerfallskunst zu bestimmen. 17 Chr. Menke, Tragödie im Sittlichen. Gerechtigkeit und Freiheit nach Hegel, Frankfurt am Main 1996 (=TiS). Menke entwickelt eine „nachmetaphysische“ Theorie des Tragischen von Hegel, die gegenüber der „tragischen Metaphysik“ die tragische Notwendigkeit der bestimmten geschichtlichen Verfassung zuschreibt. (TiS, 22) Nach der tragischen Auflösung der alten schönen Sittlichkeit kehrt die Tragik wieder in der Moderne zurück. Die Herrschaft des Rechts verursacht unmittelbar „politische Entmächtigung“ der Individuen (TiS, 10). Dieser Gegensatz des Allgemeinen des Rechts zur Lebendigkeit des Individuums wird teilweise dadurch aufgelöst, dass die Individuen als „die politischen autonomen Bürger“ im Politischen agieren. Aber diese politische Emanzipation, in der die Individuen durch die Vermittlung der bürgerlichen Gesellschaft mit dem Politischen vereinigt sind, übt noch die Gewalt „gegen die Individuen“ (TiS, 11) aus, weil die Individuen im Politischen normalisiert werden müssen, damit sie ihre individuelle
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ist für die Bestimmung der modernen Tragödie hilfreich, weil die Tragik in der Moderne ihren geschichtlichen Stoff ausmacht. Die moderne Tragödie gewinnt ihre neue Funktion und Bedeutung, indem sie die Tragik in der Moderne in einem anschaulichen Bild darstellt. Wir wenden uns zur Interpretationsgeschichte der Konzeption der Tragödie in Hegels Ästhetik. Durch die klassizistische Interpretation wird die antike Tragödie als ein normatives „Muster“18 bestimmt, damit die moderne Tragödie als eine Auflösungsform bestimmt wird, die dem klassizistisch verstandenen „Ende der Kunst“ dient. Diese klassizistische Interpretation vernachlässigt die Geschichtlichkeit der Tragödie als Kunstgestalt. Sie kann problemlos mit der Metaphysik der Tragödie insofern in Verbindung gesetzt werden, als sie das „Muster“ der Tragik für das wesentliche Schicksal des Menschen hält, das zeitlos über den Menschen herrscht. Diese Interpretation hält die moderne Tragödie für eine Auflösungsform der Kunst, da diese vom „Muster“ abweicht. Sie kann keine sachgerechte theoretische Erklärung für diese anbieten, die nur auf Grund der geschichtlichen Besonderheit der modernen Tragödie möglich wäre, die vom zeitlos festgesetzten „Muster“ abweicht. Ihre Abwertung aber widerspricht dem Kunsturteil von Hegel, der nicht zuletzt Shakespeare und seine Tragödien hochschätzt.19 Hegel hält ihn in seinen Berliner Ästhetikvorlesungen für einen Künstler, der die „Objektivität der Kunst“ erreicht hat (23, 117), im Freiheit, die Freiheit ihrer Selbstverwirklichung zu verlieren drohen, die Menke „Authentizität“ nennt. Der notwendige Konflikt in der Moderne, der die Tragik der Moderne ausmacht, liegt zwischen dieser politischen Emanzipation und der Authentizität. „Die Tragödie im Sittlichen“ formuliert „ein Strukturmodell der Moderne in ihrer Entzweiung von Recht und Individualität“ (TiS, 12), für deren Konflikt „keine dialektische Lösung“ zu finden ist, weil die Vernunft nicht fähig ist, ihn aufzulösen. Die Erfahrung der Tragik der Moderne ist „die Erfahrung der Grenze der Vernunft“ (TiS, 19). 18 Ch. Fan, Sittlichkeit und Tragik. Zu Hegels Antigone-Deutung, Bonn 1998. Er versucht Hegels Tragödientheorie als eine Bemühung zu interpretieren, „im Rahmen der Frage nach der geschichtlichen Realisierung der Aufklärung die Funktion der Kunst festzulegen“. Dafür ist die alte Tragödie als ein Vorbild für die Gestaltung des geschichtlichen Lebens zu bestimmen. Der Verfasser wollte die Tragödie in Verbindung mit der Sittlichkeit setzen, aber seine klassizistische Interpretation bringt ihn dazu, die antike Tragödie für eine transzendente Form zu halten, d. h. sie von ihrer Verbindung mit der geschichtlichen Sittlichkeit zu abstrahieren (Ch. Fan, a.a.O. 145f.). 19 Nach Hegel hat Goethe die Befreiung von seiner Krise in der Jugend, in die er z. B. wie Tieck gerät, durch „die Bekanntschaft mit Shakespeare “ erreicht, der ihm den wahren Gehalt lehrt. Goethe hat in den Stücken von Shakespeare die wahre Subjektivität als „erfüllt“ und „entwickelt“ gefunden (GW16, 82).
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Vergleich zur inhaltlosen Subjektivität, die in Stücken von F. Schlegel und Tieck zu finden ist. Die moderne Tragödie ist eine Kunstgestalt, die unter der geschichtlichen Bedingung der Moderne Objektivität und Weltbezug gewinnt. Die klassizistische Interpretation kann auch nicht begründen, wie die moderne Tragödie die klassische als eine Norm nachahmen kann, da jede auf anderer geschichtlicher Geistigkeit beruht.20 Eine weitere Interpretation versucht die Form der Tragödie getrennt von ihrer Geschichtlichkeit und ihrem Weltbezug zu dekontextualisieren, um sie als reine literarische Form zu rekonstruieren. Sie richtet sich darauf, die gemeinsamen Elemente aus Hegels Tragödienlehre zu sammeln und eine literarisch normative Theorie zu bilden.21 Der Mangel dieser dekontextualisierenden Interpretation liegt in ihrem Unvermögen, darauf zu antworten, wie die Tragik verständlich gemacht werden kann. Die klassische Tragik liegt nach Hegel im Prozess der Sich-Entzweiung der Sittlichkeit als des Absoluten und Versöhnung-mit-sich (26. 227f.).22 Um diese Tragik in der Tragödie zu erklären, muss zuerst die Sittlichkeit in der Geschichte konzipiert werden. Diese dekontextualisierende Interpretation kann den notwendigen Konflikt in der Tragödie nicht begreifen, der nach Hegel nur im geschichtlichen Prozess der Sittlichkeit zu verstehen ist. Stattdessen wandelt sie den notwendigen in den willkürlichen Konflikt um, der aus der Verschiedenheit der besonderen Interessen unter den unzähligen stammt, aber nicht aus dem Widerspruch, aus dem die klassische Tragik entstehen kann (TiS, 35f.). Der Widerspruch ist nur möglich unter der logischen Bedingung, dass er sich aus dem Sich-Entzweien des Ganzen ergibt. Die Erkenntnis dieses Ganzen kann nur durch die geschichtsphilosophische Reflexion gewonnen werden. 20 Pillau bestimmt die Tragödie von Schiller als „die Verwirklichung eines objektiven „klassischen“ Dramas“ in der Moderne“, da in ihr die Wiederherstellung der „Idee des heroischen Weltzustandes“ zu finden ist (H. Pillau, Die fortgedachte Dissonanz. Hegels Tragödientheorie und Schillers Tragödie. Deutsche Antworten auf die Französische Revolution, München 1981, 41). Die Shakespeareschen Tragödien widersprechen der klassischen „Norm“, die in der Schillerschen eingehalten ist (H. Pillau, a.a.O. 46). 21 „Hegel’s account of Greek tragedy is both descriptive and normative“ (S. Houlgate, „Hegel’s Theory of Tragedy“, in: Hegel and the Arts, edt. By S. Houlgate, Evanston, Illinois 2007, 149). 22 Diese klassische Tragik ist von der modernen Tragik zu unterscheiden, die das Ganze nicht voraussetzt, aus dem der Konflikt entsteht. Daher gibt es keinen notwendigen Konflikt in der moderenen Tragik. Da Houlgate seine Theorie der Tragödie aus Hegels Interpretation der klassischen Tragödien rekonstruiert, ist hier nur die klassische Tragik erwähnt.
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Bisher wurde solch klassizistische Interpretation meistens angenommen, nach der die klassische Tragödie das Muster sei und die moderne eine Zerfallskunst, die das klassizistisch aufgefasste „Ende der Kunst“ belegt.23 Hegels Deutung von Shakespeare wird in dieser Interpretation als entscheidender Beleg eingeführt.24 Aber sie kann nicht „ein produktives Verhältnis“ zur modernen Tragödie entwickeln.25 Für sie ist die moderne Tragödie nur eine Nachahmungsform, die eigentlich nicht mehr genötigt wird. „Das Drama“ als eine Vereinigungsform der Tragödie und der Komödie könne als eine alternative Kunstgestalt eingeführt werden.26 23 Ch. Fan, a.a.O. Der Verfasser schätzt die moderne Tragödie mit seiner klassizistischen Auffassung der Tragödie ab. Nach ihm kann man in der modernen Tragödie nur „die Vernachlässigung des Sittlichen, den Verlust der Substantialität, oder die Weltlosigkeit der Subjektivität“ finden (Ch. Fan, a.a.O. 139). Nicht zuletzt bestimmt der Verfasser „Ironie“ als „ein allgemeines Kennzeichnen der Zeit“, die aber Hegel nur F. Schlegel, Tieck und Novalis zuschreibt (Ch. Fan, a.a.O. 139). Hegel sieht die Zerrissenheit in der Moderne, in der das moderne Subjekt in die Melancholie zu geraten droht, was aber überwunden werden muss, im Gegensatz zu F. Schlegel, der aus der Melancholie die Theorie der Ironie entwickelt und die Zerrissenheit verewigt (Vgl. GW16, 114ff.). 24 Z. B. M. Salditt, Hegels Shakespeare-Interpretation, Berlin 1927. Das Individuum in den Stücken von Shakespeare ist ein natürliches, als Gegenbeispiel zum idealen Individuum, das in der klassischen Tragödie auftritt. Salditt kritisiert Hegels Interpretation in zwei Punkten. Einerseits stellt die Verfasserin ihre eigene Interpretation von Shakespeare der Hegels gegenüber. Andererseits bestimmt sie den Standpunkt von Hegels Ästhetik, der dem des reinen Wissens untergeordnet ist. Nach Salditt erstrebt das Individuum seit der Renaissance „Selbsterweiterung zum ganzen absoluten Dasein“ (M. Salditt, a.a.O. 19). Dieser „Heroismus der Renaissance“ aber bricht in den Gestalten von Shakespeare ab. Shakespeare schildert die Kollision zwischen dem Idealisten, dem „Charakter“ und dem unpersönlichen Wesen, dem „Dämon“, damit „die Rationalisierung nach einem Vernunftideal“ als unmöglich erwiesen wird. Hegel betrachtet „von oben her“ (M. Salditt, a.a.O. 28), vom Standpunkt des absoluten Wissens, dass das Individuum durch den Zwang der Notwendigkeit oder des Fatums untergeht, weil es nicht ein idealer Charakter ist, der imstande ist, aus sich selbst die Welt zu verändern, sondern ein partikulärer ist, der nur „als natürlicher Charakter“ zu deuten ist, dem Hegel den ideellen Charakter entgegengesetzt hat. 25 D. Henrich, „Zur Aktualität von Hegels Ästhetik. Überlegungen am Schluß des Kolloquiums über Hegels Kunstphilosophie“, in: Hegel-Studien, Beiheft 11, Stuttgarter Hegel-Tage 1970. H.-G. Gadamer, Bonn 1983, 297. 26 Pillau hält „die dramatische Poesie“, bzw. „das moderne Schauspiel und Drama“ für die wiederbelebte klassische Form (H. Pillau, a.a.O. 35), denn es fehlt in der Moderne Bauelementen „einer geschichtsphilosophisch eigenständigen Kunst“. Diese dramatische Poesie übernimmt die „Funktionen einer immanenten Transzendierung von Kunst, nämlich ihrer Selbstauflösung in Religion und Phi-
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Die gegenwärtige Diskussion um Hegels Ästhetik ermöglicht es den Diskurs über Hegels Bestimmung der modernen Tragödie aus einer neuen Sicht zu betrachten. Die moderne Tragödie ist eine geschichtliche Kunstgestalt, die die Tragik in der Moderne in sich widerspiegelt. Die geschichtliche Veränderung der Konzeption der Tragik „im Sittlichen“ bewirkt die Veränderung sowohl der Formen der Tragödie als auch ihrer geschichtlichen Funktion. Die Tragödie als eine Kunstgestalt ist ihrer höchsten Möglichkeit nach vergangen, da sie nicht mehr schön ist, d. h. sie kann nicht mehr die harmonische Identität des Individuums mit dem sittlichen Ganzen darstellen. Ihre Darstellung weist nur auf die beschränkte Identität nach der Partikularitätsthese der modernen Kunst hin, die nicht mehr in der schönen Gestalt dargestellt werden kann, da diese nur in der Harmonie der Form mit dem Inhalt liegt. Sie kann nicht mehr, wie die klassische, allgemeine Handlungsorientierung und Wahrheitsvermittlung anbieten, die nur unter den geschichtlichen Bedingungen möglich ist, unter denen die Handlung des Individuums die Idee des sittlichen Ganzen ausdrückt, d. h. die Handlung als schön erscheint. In dieser Interpretation von Hegels Bestimmung der modernen Tragödie geht es um die Erschließung ihrer konkreten Bedeutung in der Moderne, bzw. ihrer konkreten geschichtlichen Funktion und ihrer Aktualität.27 losophie“ (H. Pillau, a.a.O. 37f.). Houlgate hält „Schauspiele“, die aus der von Hotho edierten Ästhetik von ihm zitiert werden und als eine neue Form der Versöhnung, über die ästhetische heldenhafte Individualität hinaus die reziprokale Anerkennung darstellen, für „the Key to genuine ethical life“ (S. Houlgate, a.a.O. 168ff.). Diese „dritte“ Form, die Hotho aus seinem systematischen Bedürfnis in Hegels Ästhetik eingefügt hat, entspricht sogar der Form der Ironie, durch die F. Schlegel die widersprüchlichen Charaktere rechtfertigt, und die er auf die Kunstproduktion von Alarcos angewandt hat. 27 Rózsa hebt nur die negative Seite dieser Funktion hervor (E. Rózsa, Versöhnung und System. Zu Grundmotiven von Hegels praktischer Philosophie, München 2005). Die Versöhnung ist ein Lösungsversuch der Probleme der paradoxen Natur der modernen Freiheit, die im Antagonismus zwischen dem Recht „der Besonderheit“, bzw. der „universell-formelle[n] Freiheit“ und der objektivierten Sittlichkeit besteht. Der Antagonismus charakterisiert „die schwankende Haltung der Individuen“ (E. Rózsa, a.a.O. 15), die als „negative Folgen der modernen Freiheit“ zu finden ist. Die Versöhnung ist aus dem Gesichtspunkt der „Mehrdimensionalität“ einerseits das Prinzip der Systembildung, andererseits die noch zu erreichende angemessenste Haltung der Individuen zum Staat. Die Tragödien von Schiller stellen die Problematik der paradoxen Natur der modernen Freiheit deutlich dar. Die Individuen müssen entweder das Gesetz als ihres anerkennen oder als Sklave leben. Sie haben das Recht, sich durch ihre Freiheit von Gesetz und Staat zu entfernen. Diese Entfernung ermöglicht ihnen eine Auswahl eigener
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1.4. Überblick der Dissertation Hegel hat mit Schelling und Hölderlin ein gemeinsames Interesse an der Tragödie, mit deren Konzeption sie die Aporie von Kant zu lösen versucht haben, die nach ihrer Interpretation darin besteht, dass Kant, obwohl die intellektuelle Anschauung nicht begrifflich erklärbar ist, sie als die Grundlage für die Begründung der Funktion des Erkenntnisvermögens vorausgesetzt hat. Die klassische Tragödie ist für sie das einzige Vorbild für die Philosophie (Schelling und Hegel) oder für die Kunst (Hölderlin), da sie die Lösung dieser Aporie verbildlicht. Wenn die Tragödie für Hegel das „Bedürfnis der Philosophie“ erweckt hat, modifiziert sich seine Philosophie abhängig davon, wie er die Tragödie versteht. Die Philosophie der Tragödie von Hegel bestimmt in diesem Sinne seine Philosophie. Nachdem er in der späten Jenaer Zeit die spekulative Dialektik eingeführt hat, verliert die Tragödie ihre für die Philosophie leitende Funktion. Stattdessen erhält sie ihre neue Bestimmung. Wenn die Tragödie für den jungen Hegel als Vorbild für die Philosophie funktioniert, wird hier unter Tragödie nur die klassische verstanden. Gegen diese hat Hegel das „Trauerspiel“ von Abraham oder die moderne Tragödie (besonders von Schiller und Shakespeare) nur abgewertet. Seine klassizistische Interpretation der Tragödie kulminiert in seiner Philosophie der Tragödie („Tragödie im Sittlichen“) im Naturrechtsaufsatz. Während die alte Tragödie die Bewegung der Entzweiung der einheitlichen Natur und ihrer Zu-sich-Rückkehr für Hegel in der Frankfurter Zeit darstellt, veranschaulicht das „Trauerspiel“ von Abraham nur die Entfremdung des Menschen von der Natur. Hegels Darstellung von Abraham können wir als Melancholie-Kritik interpretieren, da Hegel in ihm einen typischen Melancholiker findet. Abraham hat sich vom Zusammenleben isoliert und eine Idee (Gott) erfunden, von der das konkrete Leben beherrscht werden soll, um seine individuelle Existenz abzusichern und um mit Hilfe Handlungen unter einer Vielzahl an Möglichkeiten. Die Versöhnung liegt darin, die angemessene Verhaltensweise auszuwählen. Diese richtige Auswahl können sie nur erreichen durch die „vernünftige Einsicht“ (E. Rózsa, a.a.O. 268-269). In den Schillerschen Tragödien erfahren die Individuen durch ihre Freiheit das Verbrechen, damit nach Hegel „eine Art Warnung vor der Überschätzung der Individuen, ihres Freiheitsbewusstseins und ihrer Tragfähigkeiten im Verhältnis zu den Wirklichkeitssphären, die eben die Individuen gefährdet“ (E. Rózsa, a.a.O. 59) angedeutet wird. Der Untergang der Individuen als eine „Warnung“ besagt, dass die Individuen ihre Freiheit einschränken sollen. Nach dieser Interpretation muss die ästhetisch dargestellte Freiheit in die rechtsphilosophisch erreichte Versöhnung aufgehoben werden.
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dieser Idee die anderen Menschen zu beherrschen. Diese Gier nach der Isolation und nach der Herrschaft kommt aus seiner Misanthropie, die als das Charakteristikum der Melancholie zu verstehen ist. Diesen melancholischen Charakter findet Hegel in der modernen Tragödie. Dieselbe Misanthropie wird durch Macbeth verkörpert. Er übergibt sich den Hexen, um seine Gier nach der Macht zu erfüllen und tötet seinen Freund. Der Konflikt, den Macbeth hervorgebracht hat, ergibt sich nicht aus einem „notwendigen“ Fehltritt „eines schönen Wesens“, sondern aus dem „Schicksal Macbeths, der aus der Natur selbst trat, sich an fremde Wesen hing und so in ihrem Dienste alles Heilige der menschlichen Natur zertreten und ermorden von seinen Göttern (denn es waren Objekte, er war Knecht) endlich verlassen und an seinem Glauben selbst zerschmettert werden mußte“ (TW1, 297). Die Natur, die in der Frankfurter Zeit als eine herrschaftslose Gesellschaft verstanden worden ist, die als Ideal die Kultur erst erreichen soll, hat Macbeth verlassen. Die plastischen Charaktere der alten Tragödie drücken eine menschliche Natur aus, die mit der anderen in einen notwendigen Konflikt gerät, da diese auch aus ein und derselben Natur kommt. Die Charaktere in der modernen Tragödie verlassen diese Natur, d.h. sie versuchen sich von dieser Natur zu isolieren und sie unter ihrer Herrschaft zu halten. Der Konflikt entsteht nicht innerhalb der menschlichen Natur, sondern zwischen dem melancholischen Charakter und der Natur selbst. Ein Grundmotiv, das Hegel dazu motiviert, sich mit der Geschichte von Abraham und Macbeth auseinanderzusetzen, liegt in der Diagnose des modernen Subjekts. Hegel leitet vom Leben Abrahams die Grundverfassung der Moderne ab, die als melancholisch zu bestimmen ist. Hiermit kritisiert Hegel einerseits die melancholische Verfassung der Moderne, die durch die versachlichende Tätigkeit des modernen Subjekts gestiftet wird, und versucht andererseits eine Lösung hierfür in der alten Tragödie zu finden. Der erste Versuch ist die Darstellung des Lebens Jesu in der Frankfurter Zeit, in der die melancholische Verfassung der Moderne konturiert wird. Die Philosophie der Tragödie im Naturrechtsaufsatz ist der zweite Versuch, in dem er die moderne Zerrissenheit bzw. ihre melancholische Verfassung durch die Tragödienkonzeption überwindet. Wenn Hegel durch das Leben Abrahams eine Genealogie des modernen Subjekts darstellt, findet er in der frühen Jenaer Zeit in Wallenstein das eigenständige Individuum, das durch den Verlust der republikanischen Gesellschaft entstanden ist, wie im Naturrechtsaufsatz beschrieben wird. Die Individuen, die den Lebenszusammenhang verloren oder verlassen haben, versuchen, um ihre Existenz abzusichern, eine neue Religion zu stiften (Abraham, Macbeth und Wallenstein) oder die Moralität in sich zu Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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finden (Kant). Die Trennung zwischen der Innerlichkeit und der Äußerlichkeit, Subjektivität und Objektivität bezeichnet diese melancholische Verfassung der Moderne, in der die Individuen ihre Innerlichkeit gegen die Äußerlichkeit absichern und sie in dieser zu realisieren versuchen. Der Charakter, der sich von der sozialen Ordnung isoliert, versucht in seiner Innerlichkeit bzw. in einem transzendenten Wesen eine Idee zu finden, unter die die Wirklichkeit subsumiert werden soll. In der melancholischen Verfassung der Moderne nach der Säkularisierung verharrt das Individuum in diesem ästhetischen Spiel, das aber in seiner Realisierung durch den „Ernst“ des Lebens bestimmt wird. Dieses Spiel ist ästhetisch, da diese reine Freiheit, bzw. die Melancholie nicht in der Wirklichkeit, sondern nur im ästhetischen Raum dargestellt werden kann. Wenn sie erscheint, wandelt sie sich in ein Verbrechen oder in das Böse um. Aber die Melancholie darf nicht mit diesem bloßen Bösen identifiziert werden, sondern strebt über es hinaus. Sie kann nur in einer ästhetischen Gestalt bzw. in der „schönen Seele“ dargestellt werden, die aber in der Wirklichkeit untergehen soll. In der Phänomenologie des Geistes behandelt Hegel das Böse in der Tragödie. Hegel interpretiert die Gestalt von Antigone als das Böse, das als die reine Natur erscheint, die nicht in den Kulturbegriff integrierbar und artikulierbar ist. Diese reine Natur in der alten Tragödie ist nur implizit ausgedrückt. Hegel konzipiert das Böse in der Tragödie in den Berliner Vorlesungen über die Ästhetik erneut, indem er davon ausgeht, dass es in der modernen Tragödie seine explizite Artikulation gewinnt. Während der junge Hegel in Abraham und Macbeth nur das Böse sieht, das aus der „Natur“ austritt und zu ihr zurückkehren muss, kehrt er seine Auffassung in der Berliner Vorlesungen über die Ästhetik um: Der Charakter in der modernen Tragödie als das Böse ist das ästhetische Subjekt, das die Forderung nach der ästhetischen Authentizität stellt, die die ästhetische Tragik in der Moderne bewirkt. Bei dieser Umwertung des Bösen ist die Konzeption der „poetischen Melancholie“ beeinflusst, nach welcher sich der Dichter, da er die Sehnsucht nach dem Idealen hat, von der Wirklichkeit isoliert. Nachdem Hegel diese Konzeption der Melancholie übernommen hat, interpretiert er den Charakter in der modernen Tragödie erneut. Die Isolation des Charakters von der Welt ist nicht nur als das Verbrechen erfasst, das wieder aufgehoben werden muss, sondern auch als die Forderung nach der ästhetischen Authentizität. Hegel entwickelt sein philosophisches System, indem er die Eigenständigkeit der Kunst in der Moderne zugleich anerkennt. Das Böse gewinnt zwar seine systematische Bestimmung unter dem Projekt der „Entbösung des Bösen“. Aber in der Kunst ist eben das Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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Böse frei entlassen, dem die Bestimmung der ästhetischen Authentizität zugeschrieben ist. Wenn die Rechtsphilosophie ein Lösungsversuch der ethischen Tragik („Entbösung des Bösen“) ist, die nach Menke nachtragisch genealogisch entstanden ist, verweist die Konzeption der ästhetischen Authentizität auf eine andere Dimension, die als das Ästhetische nicht in die „Sittlichkeit“ aufgehoben werden kann. Der Charakter in der modernen Tragödie veranschaulicht dieses Ästhetische. Diese systemkritische Seite der modernen Kunst hat Hegel in seiner Theorie des absoluten Geistes und in den Berliner Vorlesungen über die Ästhetik entwickelt. Der Charakter in der modernen Tragödie veranschaulicht die melancholische Verfassung der Moderne. Die Theorie der „Ironie“ von F. Schlegel spiegelt für Hegel die melancholische Zerrissenheit der Moderne in sich wider. Nach ihr genießt das ästhetische Subjekt seine absolute Freiheit, in welcher die Wirklichkeit aufgehoben ist. Für Hegel stellt die Ironie nur die Trennung des Ästhetischen und der Wirklichkeit dar, da diese Melancholie in ihrer Isolation die Wirklichkeit absolut negiert. Von dieser Melancholie, die metaphysisch zu bestimmen ist, unterscheidet Hegel die sentimentale Melancholie, die nicht in der Isolation verbleibt, sondern sich Objektivität verleiht. Die symbolische Melancholie ist eine ästhetische Form, die durch die Form des „Symbols“ diese melancholische Trennung kompensiert. Das „Symbol“ basiert auf der pantheistischen Weltanschauung, die die ästhetische Subjektivität mittels der Objektivität vermittelt. Durch das „Symbol“ befreit sich der Charakter aus seiner melancholischen Isolation und versucht den Weltbezug zu gewinnen. Der melancholische Charakter in der modernen Tragödie gerät in einen Konflikt mit der Wirklichkeit, indem er einen Anspruch auf seine ästhetische Authentizität erhebt. Sein Untergang ist notwendig wegen seiner Festigkeit. Während die Theorie der Ironie die Schwäche oder Unentschiedenheit des Charakters in der modernen Tragödie akzentuiert, beruht die Interpretation von Hegel auf der traditionellen Konzeption der Melancholie, die die Festigkeit des Charakters rechtfertigt. Wenn die Festigkeit des Charakters die ästhetisch erfasste melancholische Verfassung der Moderne verbildlicht, ist diese als die Quelle der Tragik in der Moderne zu bestimmen. Der melancholische Charakter aber bleibt nicht nur in seiner Festigkeit, er artikuliert sich symbolisch in seiner Festigkeit. Der Konflikt kann wegen seiner Entschiedenheit nicht geschlichtet werden. Aber in seiner Entschiedenheit versucht er sich von seiner Festigkeit zu entfernen, indem er durch die symbolische Sich-Artikulation seine Melancholie vergegenständlicht. Er bleibt in seiner Festigkeit, indem er durch das „Symbol“ seine Festigkeit ästhetisch aufhebt. Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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Die melancholische Anschauung, aus welcher sich der Anspruch auf die ästhetische Authentizität ergibt, dekonstruiert das sittliche System, welches durch die Philosophie legitimiert wird. Das Symbol kompensiert diese Dekonstruktion, indem es fordert, es zu rekonstruieren. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Melancholie und Symbol bildet die Bestimmung der modernen Tragödie bei Hegel. Wir finden im Begriff des „Trauerspiels“ von Benjamin ein ähnliches Spannungsverhältnis zwischen der Melancholie und der Allegorie. Wir können die Eigenständigkeit der modernen Kunst bei Hegel durch die Bestimmung der modernen Tragödie rekonstruieren. Diese Bestimmung kann einerseits von der Kompensationstheorie der Kunst, die die negative Wirklichkeit rechtfertigt und ihre Negativität ästhetisch entschädigt, andererseits von der Souveränitätstheorie, die die negative Wirklichkeit als solche kritisiert, unterschieden werden. Die Bestimmung der modernen Tragödie zeigt, dass in der Wirklichkeit, die durch die rationalistische Vernunft konstruiert ist, der individuelle Anspruch auf die Authentizität nicht vollständig realisiert ist. Diese Unvollständigkeit der Artikulation der individuellen Freiheit bildet die ästhetische Melancholie, die die Quelle der ästhetischen Tragik in der Moderne ist. Außer dieser melancholischen Perspektive, die die negative Wirklichkeit kritisiert bzw. die Lücke der Versöhnung in der „Sittlichkeit“ veranschaulicht, zeigt die moderne Tragödie eine andere Perspektive, die durch das „Symbol“ eröffnet wird, das zeigt, dass diese Lücke überwunden werden muss. Es stellt die pantheistische Weltanschauung dar, die der melancholischen gegenübersteht. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Melancholie und Symbol besagt, dass die moderne Kunst die negative Wirklichkeit nicht bloß entschädigt und damit nicht rechtfertigt. Die moderne Kunst ist auch nicht souverän, da ihre Melancholie insofern besteht, als die negative Wirklichkeit fortbesteht, die die Vernunft konstruiert. Das Symbol bietet einen Verbesserungsvorschlag gegenüber der Vernunft, indem die Melancholie ihre Lücke veranschaulicht. Über die Methode dieser Arbeit müssen hier folgende Anmerkungen gemacht werden. Die Quelle der individuellen Authentizität, die ihre Ausprägung in der modernen Tragödie gewinnt, ist auf die Eigenständigkeit der modernen Kunst bzw. der modernen Tragödie angewiesen. Die Form der Kunst in der Moderne übersteigt die Vernunft, die versucht, alles in ihrer Systematik immanent zu machen. Hegel entwickelt seine systematische Philosophie, um die Problematik zu überwinden, die durch die klassische Tragödie erkannt wird. Aber seine Philosophie ist nicht in der Lage, die moderne Tragödie zu begreifen. Dies ist nicht darauf zurückzuführen, dass das vernünftige Selbstbewusstsein in einem aporetischen Widerspruch Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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befangen ist, da dieser Widerspruch, der in der klassischen Tragödie ausgedrückt ist, schon Hegel zufolge nach der Einführung seiner spekulativen Dialektik durch diese „aufgehoben“ wird, sondern, dass das, was durch diese systematisierende Dialektik nicht immanent wird, hinter dieser nachgesprochen wird. Die Problematik der modernen Tragödie bringt diese Dialektik vor ihre Grenze und weist das Gebiet auf, das hinter dieser Dialektik liegt, und von dieser ausgeschlossen wird. Diese Eigenständigkeit der modernen Tragödie wird in dieser Arbeit entwicklungsgeschichtlich, systemtheoretisch und phänomenologisch, d. i. durch die Analyse der konkreten Werke der modernen Tragödie eruiert. Aus der entwicklungsgeschichtlichen Studie (Kap. 2, 3, 4) wird einerseits diskutiert, wie Hegel die Problematik der Tragödie durch seine systematische Philosophie löst, andererseits wie die moderne Tragödie systematik-transzendent wird. Nicht zuletzt wird Antigone durch die spekulative Dialektik in der Phänomenologie des Geistes als eine Gestalt des ästhetischen Bösen begriffen. Dieser Begriff des Bösen ermöglicht es Hegel, das Böse in der modernen Tragödie umzuwerten. Diese Umwertung begründet, dass das Böse nicht in die Systematik der Philosophie integriert werden kann. Aus der systemtheoretischen Studie (Kap. 5) wird diskutiert, wie die Eigenständigkeitsthese der modernen Kunst in der Systematik der Philosophie von Hegel begründet werden kann. Der Diskurs um die Vergangenheitsthese bzw. die These vom „Ende der Kunst“ eröffnet den Basisrahmen, in welchem diese Studie durchgeführt werden muss. Aus der Analyse der Werke der modernen Tragödie aufgrund der Explikation des Begriffs der romantischen Kunstform (Kap. 6) wird eruiert, dass die Charaktere die ästhetische Authentizität ausdrücken, die von der ethischen Autonomie und der ethischen Authentizität unterschieden wird, und beide kategorial transzendiert. Durch die Vertretung der Eigenständigkeitsthese der modernen Kunst wird die Melancholie erfasst. Die moderne Kunst als die Form bietet eine Perspektive der Melancholie, die die Moderne für offen hält, die durch die Vernunft als geschlossen angesehen wird. Dieser Eigenständigkeit der modernen Kunst fügt die modere Tragödie eine Seite hinzu, nämlich die Form des Symbols. Diese Form bietet eine andere Perspektive. Wenn die Melancholie zeigt, dass die moderne Kunst die Systematik der Vernunft transzendiert, lässt das Symbol offen, dass diese Transzendenz mangelhaft ist, und eine neue Perspektive der Harmonie postuliert wird. Diese Harmonie, die das Symbol darstellt, ist von der „Aussöhnung“ zu unterscheiden, die von der Systematik der Philosophie erreicht wird, da die Harmonie des Symbols auf die Eigenständigkeitsthese der modernen Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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Kunst angewiesen ist, die entwicklungsgeschichtlich, systemtheoretisch und phänomenologisch eruiert wird.
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2. TRAGÖDIE ALS EIN PHILOSOPHISCHES THEMA
2.1. Frage nach dem Problem der Tragödie in der Moderne Die Tragödie ist ein Ausdruck der Sensibilität für das Leiden. Als Ausdruck objektiviert sie dieses, damit es geheilt wird. In dieser Gestalt der Tragödie erscheint ein Leiden als Resultat der Bewegung des Tragischen, das durch die Handlungen in einer Gesellschaft entsteht. Eine Theorie der Tragödie behandelt den Versuch der Darstellung des Tragischen. Die voneinander abweichenden Theorien der Tragödie hängen davon ab, wie der Sinn des Leidens verstanden wird. Nach diesem variieren die Interpretation des Konflikts und dessen Lösungen. In dieser Arbeit geht es nicht um eine Betrachtung der Theorie der Tragödie im Allgemeinen und ihrer Variationen, sondern um das Problem der modernen Tragödie bei Hegel. Dieses kann nur verstanden werden, wenn wir es zuerst im größeren Problemkreis der Tragödie in der Moderne einordnen können, der die Konzeption der Tragödie im Allgemeinen einschränkt. Diese Frage nach dem Problem der Tragödie in der Moderne ist nie eindimensional zu verstehen. Zunächst bedarf die Frage einer Explikation. Sie kann auf verschiedene Weise verstanden werden. Der ‚formelle‘ Begriff der Tragödie entwickelt eine allgemeine Theorie über sie, abgesehen von ihrer geschichtlichen Bedingungen und geht davon aus, dass die Kategorie der Tragödie als eine Anschauungsform, vermittelt mit den verschiedenen Erfahrungsstoffen, erscheinen könne. Sie sei eine transzendentale Kategorie, die eine wahre Welt interpretiere und objektiviere, die zeitlos ihren Gültigkeitsanspruch erheben könne. Dagegen ist die Tragödie für ihren ‚genetischen‘ Begriff als eine geschichtliche Gestalt nicht eine gegebene, sondern eine konstruierte bzw. entsprungene. Ihr Ursprung ist das Tragische, das sich in der Geschichte bewegt. Eine Theorie der Tragödie erklärt, wie diese Kategorie der Tragödie als eine geschichtliche Erkenntnisform des Tragischen entstanden ist und welche Funktion sie innerhalb einer geschichtlichen Bedingung ausübt. Nach der Verschiedenheit der Gesichtspunkte über die Ursache der Entstehung des Tragischen teilt sich dieser Begriff in einen metaphysischen und einen geschichtlichen. Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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Die Poetik von Aristoteles geht davon aus, dass die Tragödie eine gegebene und selbstverständliche Form ist. Für ihn stellt sie eine transzendentale ästhetische Form dar, durch die die Menschen die Welt wahrnehmen, die aber nicht aus den empirischen geschichtlichen Bedingungen hervorgebracht ist.28 Die Abhängigkeit der Form von einer geschichtlichen Bedingung ist – dieser Theorie folgend – ausgeschlossen. Eine formelle Theorie der Tragödie, die diese aristotelische Poetik weiter entwickelt, muss Analyse und Struktur der Tragödie wesentlich berücksichtigen. Sie sucht eine den vielen Stücken derselben zugrundeliegende formelle Gemeinsamkeit und konstruiert daraus eine allgemeine Theorie. So geht M. Weber davon aus, dass die Tragödie eine Darstellung des Konflikts ist zwischen den pluralen Werten, die in einer Gesellschaft anerkannt sind und der Entscheidung eines Individuums, das nur einen Wert verabsolutiert, der mit den von anderen optierten Werten konfligiert, zwischen dem Polytheismus der Gesellschaft und dem Monotheismus des Individuums.29 Oder eine klassizistische Theorie der Tragödie versucht festzustellen, dass die alte Tragödie klassisch und vorbildhaft sei, die den notwendigen Konflikt der Werte und seine Lösung darstelle. Und Schopenhauers Theorie behauptet, dass das metaphysisch erfasste Tragische schon gegeben sei, und die Tragödie als eine Anschauungsform dieses Tragischen nichts anderes als eine Objektivation des Willens darstellt. Dem formellen Begriff der Tragödie kann der genetische entgegengestellt werden. Unter diesem ist der erste der von Nietzsche zu nennen, der ein metaphysischer ist. Demnach ist das Tragische immer vorhanden im menschlichen Dasein, unabhängig von der geschichtlichen Situation, die sich entweder auf Antike oder Moderne bezieht. Die Tragödie aber kann als eine Erkenntnisform dieses Tragischen insofern entstehen, als bestimmte geschichtliche Bedingungen erfüllt sind. Nietzsche hat seine Theorie durch die Auseinandersetzung mit Schopenhauer gebildet. Schopenhauer entwirft lediglich eine formelle Theorie, zu der Nietzsche einen genetischen Aspekt hinzugefügt hat.
28 Der Gegenstand der Darstellung der Tragödie ist für Aristoteles das Handeln der Menschen, „die im allgemeinen das, was für sie wirklich gut ist, zu tun bestrebt sind, die sich aber in besonderen Fällen von dieser Tendenz abbringen lassen und einen Fehler machen, der sie in ein Unglück bringt, das sie auf Grund ihrer grundsätzlichen Gutheit nicht verdient haben“ (Aristoteles, Poetik (Werke. Bd. 5), Berlin 2008, 439). „Der Bereich moralischen Handelns“ ist einer „‚Verfehlung‘ (hamartia)“ ausgesetzt. 29 Chr. Menke, a.a.O. 33f.
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Nach Schopenhauer ruft die Erkenntnis des Dinges an sich, das hinter den Erscheinungen liegt, in uns einen tragischen Gedanken hervor, der als Ursprung der Produktion der Tragödie bezeichnet werden kann. Eine Variation dieser metaphysischen Konzeption der Tragödie ist die von Nietzsche, der sich besonders auf das Problem der Entstehung des tragischen Gedankens in der Moderne einlässt. Die tragische Erkenntnis, die über den Schein hinaus, den das werdende Dasein des Menschen hervorbringt, in das „Ur-Eine“ hineindringt, steht uns nicht immer zur Verfügung, sondern kann nur unter bestimmten Bedingungen gewonnen werden, welche sowohl im alten Griechenland, als auch in der Moderne zu finden sind. Nietzsche bestimmt sowohl die Antike als auch die Moderne als ein tragisches Zeitalter, welches er als Zeitalter der Melancholie definiert, die zugleich die Sensibilität des Tragischen bedeutet (KSA I, 15). Je melancholischer die Zeit wird, desto eher kann eine Tragödie erschaffen werden. Die Tragödientheorie von Nietzsche, die von der Frage nach der Genesis der Tragödie ausgeht, zeigt, dass das Tragische in der Wechselwirkung der beiden Mächte, d. h. des Apollinischen und des Dionysischen, die den ganzen Prozess der Kultur überhaupt bestimmt, erscheint, wenn das Dionysische den Schein des Apollinischen aufhebt. Dieses versucht jenes zu symbolisieren. Bei dieser Symbolisierung entsteht eine Verzerrung, nämlich jenes könne grundsätzlich als Indifferenz keine Gestalt aufnehmen. Aber dieses individualisiert jenes. Diese individuelle Gestalt ist ein Schein, der dazu tendiert, jenes zu verdecken. Das Tragische erscheint erst, wenn jenes als solches erscheint. Nietzsche begründet zwar das Problem der Tragödie in der Moderne mit einer metaphysischen Konzeption des Tragischen, das aber nur mit bestimmten geschichtlichen Bedingungen kombinierbar ist. Er denkt grundsätzlich metaphysisch, wenn er sagt, dass das Tragische als eine Erfahrung des Dionysischen metaphysisch gegeben sei.30 Aber er denkt zugleich geschichtlich, da dieses nur in einem tragischen Zeitalter erkannt werden könne. Die Moderne ist – Nietzsche folgend – eine melancholische Zeit, die eine lebensverneinende Tendenz in sich trägt. Diese kann man auch im alten Griechenland finden. Die Griechen konnten diese Tendenz durch die Produktion der künstlerischen Gestalt, nämlich der Tragö30 Nietzsche unterscheidet „die tragische Erkenntnis“ von der logischen (KSA I, 101). Wenn diese sich nach dem Apollinischen richtet und der auf dem „Glauben an die Ergründlichkeit der Natur und an die Universalheilkraft des Wissens“ (KSA I, 111) beruhende theoretische Optimismus sei, sei jene „der praktische Pessimismus“, der das Dionysische erkenne und die Kunst „als Schutz und Heilmittel“ brauche, da diese Erkenntnis lebensverneinend sei.
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die, beherrschen. Deswegen muss diese in der Moderne wiederhergestellt werden, um den negativen Pessimismus zu tilgen. Diese Wiederherstellung bedeutet eine Wiederholung des Gleichen, da die Tragödie für Nietzsche den immer gleichen Sinn und eine immer gleiche Funktion hat, nämlich die Heilung der Melancholie. Hingegen hebt der geschichtliche Begriff der Tragödie die Differenz der geschichtlichen Situationen und des Sinnes der Tragödien hervor und kritisiert die metaphysische Konzeption des Tragischen. Unter diesem Begriff finden wir drei Variationen, die spekulative, die hermeneutische und die eigentlich geschichtliche. Die erste setzt sich damit auseinander, wie die antike Tragödie in der veränderten geschichtlichen Situation wiederhergestellt wird, und wie ihre Funktion aktualisiert wird, die sie in der Vergangenheit ausgeübt hat. So wie sie im alten Griechenland eine das Leiden heiligende und die Gesellschaft integrierende Funktion ausgeübt hat, tritt die Tragödie in der Moderne als eine Gestalt auf, die die gleiche Funktion übernimmt. Das Tragische wird als eine konstruierende Bewegung dargestellt, die den vorhandenen Konflikt in der Gesellschaft löst und sie revolutioniert. Die Tragödie ist eine Darstellung dieses Tragischen. Diesen Begriff vertreten Hölderlin und der junge Hegel. Der hermeneutische Begriff der Tragödie hält diese für eine geschichtliche Gestalt und konzentriert sich darauf, wie sie im gegenwärtigen Kontext verstanden werden kann. Die Tragödie ist „das Beispiel des Klassischen“,31 dessen Sinn nach dem Gesichtspunkt von „für es“, d.i. für das altgriechische Volk und „für uns“ unterschiedlich zu deuten und dessen Wirkungsgeschichte „für uns“ wichtig ist. Dieser Begriff hat eine Gemeinsamkeit mit dem spekulativen in der Ansicht, dass die Moderne eine Zeit des reflexiven Denkens sei. Die Moderne kann nur in der Form der Reflexivität dargestellt werden, die das Denken nach seiner Grenzerfahrung, die durch Kants Vernunftkritik verdeutlicht worden ist, gestellt hat. Die Harmonie der Gegensätze, die in der reflexiven Struktur sich bewegen, muss erst durch die ‚Konstruktion‘, nicht durch die ‚Erinnerung‘ oder durch die metaphysische Erkenntnis, wie Nietzsche behauptet, gewonnen werden. Der Unterschied zwischen beiden Begriffen liegt in der Konstruktionsweise, nämlich darin, dass, wenn die alte Tragödie ihren Grund durch die Erinnerung an die existierende Ur-Einheit gewinnt, im nachmetaphysischen Zeitalter das Tragische entweder durch die geschichtlich veränderte künstlerische Gestalt der Tragödie, analog zu ihrem spekulativen Begriff, oder durch das Denken konstruiert werden muss, wie ihr hermeneutischer behauptet. Für diesen 31 H.-G. Gadamer, „Hermeneutik I, Wahrheit und Methode, Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik“, in: Gesammelte Werke, Bd. 1, Tübingen 1990, 290f.
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gilt die Tragödie als „das Klassische“, das nur durch das Verstehen aktualisiert werden kann. Das Verstehen bedeutet hier eine Konstruktion der „Philosophie des Tragischen“, aber weder eine Wiederherstellung der Tragödie noch eine zeitgemäß veränderte neue Produktion derselben. Die nachmetaphysische Philosophie des Tragischen, die den Sinn der Tragödie überhaupt ausmacht, ist eine neue Version der Tragödie in der Moderne. Diese Ansicht vertreten der junge Schelling, der junge Hegel und Menke. Der letzte Begriff, den Hegel und Benjamin vertreten, bestimmt die Tragödie als eine Gestalt, die in der Geschichte variiert und einen besonderen Sinn in den jeweiligen Epochen erfährt. Das Problem der modernen Tragödie wird behandelt einerseits durch den Vergleich mit der antiken, andererseits mittels der Fragestellung, wie eine Tragödie unter der geschichtlichen Bedingung der Moderne möglich ist. Diese moderne Form der Tragödie kann nicht durch eine Philosophie des Tragischen, wie Menke annimt, nicht durch eine Wiederbelebung der antiken Tragödie, wie Nietzsche meint, ersetzt werden. Sie übt auch nicht eine gleiche Funktion aus, die die ganze Gesellschaft integriert, was der antiken Tragödie zugesprochen wird, wie Hölderlin und der junge Hegel gedacht haben. Hegel betont die Besonderheit der modernen Tragödie, die nicht die Wiederholung der antiken sei. Er sieht die besondere Funktion der Tragödie in der Moderne. Durch diese Übersicht der Variationen der Tragödientheorie können wir feststellen, dass die Tragödie in der Moderne als wichtiges philosophisches Thema wahrgenommen wird. Aber warum geht von der Tragödie ein zentrales philosophisches Problem aus? Welche Aktualität hat die Tragödie in der Moderne? Wie kann die These des ersten Kapitels dieser Arbeit verstanden werden, dass der deutsche Idealismus (besonders Schelling, Hölderlin und Hegel) von der Problematik der Tragödie ausgegangen sei? Statt sich auf diese These direkt einzulassen, richten wir unseren Blick auf Nietzsche, der es uns ermöglicht, die Tragödie als ein Problem der Moderne zu erkennen. Wir können auch feststellen, dass der Anfangspunkt des Philosophierens von Nietzsche nichts anderes als der des deutschen Idealismus ist.
2.2. Nietzsche und die Philosophie des Tragischen Nietzsche entwickelt eine metaphysische Theorie über das Tragische, das nur in bestimmten geschichtlichen Situationen erkannt werden kann. Deswegen umfasst seine Tragödientheorie eine Zeitdiagnose. Schopenhauers Tragödientheorie liegt darin, die metaphysische Erkenntnis der Wahrheit des Daseins, nämlich des Leidens zu zeigen, das in der Erscheinung Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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offenbar wird. Während die wissenschaftliche Erkenntnis der Erscheinung nach dem Satz vom Grunde, nämlich der Kategorien von Zeit, Raum und Kausalität durchgeführt werde, könne man die metaphysische Erkenntnis nur durch die ästhetische Meditation für das Ding an sich erlangen. Diese führe die Menschen zur Negation des Willens zum Leben. Dagegen kann die Tragödienkonzeption von Nietzsche nicht unabhängig vom tragischen Gedanken, der geschichtlich bestimmt wird, gedacht werden. Nach Schopenhauer ist die Erscheinung eine Konstruktion des Gehirns, dessen Mechanismus durch den Satz vom Grund (Zeit, Raum und Kausalität) bestimmt wird. Hinter der Erscheinung liegt das Ding an sich, das als der Wille zu erkennen ist, dessen adäquate Objektivation die Idee ist. Der Ausdruck der Erkenntnis der Ideen ist die Kunst. Die Tragödie zeigt, wie blind der Wille und wie leidvoll das Leben ist. Der Held leidet trotz seiner Unschuld, da die Individuen nach eigenen egoistischen Interessen streben, indem sie ihn in eine verzweifelte Situation bringen. Das Gefühl der Erhabenheit entsteht vor der Leidensszene, da das Leiden eine bloße Vorstellung des Bewusstseins ist und der erhabene Charakter sich, indem er die Idee des Willens als ein ewiges Bild der Welt anschaut, von der Welt distanziert, in der das Leiden herrscht, das nur durch das „principium individuationis“ entsteht. Durch die Darstellung der metaphysischen Erkenntnis des Dinges an sich hinter der Erscheinung ruft die Tragödie die Resignation des Willens zum Leben in uns hervor, der durch das „principium individuationis“ bestimmt ist.32 Nietzsche entdeckt den „tragischen Gedanken“ unter der Bedingung der Moderne.33 Dieser tragische Gedanke wird erst gewonnen, wenn das menschliche Wissen an seine Grenze kommt. Er ist im alten Griechenland zu finden, wie er von Sokrates vertrieben und nach der Vernunftkritik von Kant wieder eingeführt wurde, die nichts anderes als die Philosophie des Tragischen zu bestimmen ist (KSA I, 101). Diese Philosophie zeigt die Grenze des dialektischen Wissens, das Sokrates zuerst erfasst hat, und enthüllt das Wesen, nämlich das Dionysische, das die Dialektik zu verdecken 32 In diesem Sinne kann man „die zentrale Funktion der Tragödie“ bei Schopenhauer „als Vermittlung von Ästhetik und Ethik“ interpretieren (B. Neymeyr, „Ethische Aspekte einer Ästhetik des Tragisch-Erhabenen. Zur Dramentheorie Schillers und Schopenhauers“, in: Die Ethik Arthur Schopenhauers im Ausgang vom Deutschen Idealismus (Fichte/Schelling), hg. von L. Hühn, Würzburg 2006, 273ff.). 33 F. Nietzsche, Friedrich Nietzsche. Sämtliche Werke. Kritische Studienausgab (=KSA) I, 566. Nietzsches Gedanken des „tragischen Zeitalters“ basiert auf seiner antiklassizistischen „Archaik“ (H. Cancik, Nietzsches Antike. Vorlesung, Stuttgart 1995, 35-49).
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versucht hat. Nietzsche zeigt die Doppeldeutigkeit der Moderne, die einerseits als eine entgrenzende das Tragische verdeckt, andererseits als eine sich begrenzende es wieder entdeckt.34 Wenn man Heideggers Terminologie benutzen will, ist die Wahrheit für Nietzsche eine Un-verborgenheit des Dionysischen durch das bewusste Wissen, d. i. das Apollinische. Das Tragische ist für Nietzsche eine unmittelbare Erfahrung des Dionysischen, das die Hülle der Erscheinung, die durch das „principium individuationis“ gestaltet wird, entlarvt.35 In dieser Erfahrung verliert sich das Bewusstsein, das sich auf der individuellen Ichheit gründet. Die Philosophie des Tragischen zeigt die Grenze des menschlichen Wissens, das auf der Ichheit beruht, und zugleich die Gefahr des melancholischen Geistes, der nach der Erfahrung des Dionysischen entsteht, da dieser Geist rein lebensverneinend ist. Das Leben wird durch das Wissen gestaltet und erhalten. Wenn aber dieses Wissen schwindet, wird das Leben verneint. Der melancholische Geist, der nach dieser Erfahrung des Abgrundes entstanden ist, in den das Wissen verschwindet, ist nicht, wie Schopenhauer meint, gegeben, sondern muss gewonnen werden. Die Tragödie ist für Nietzsche eine künstlerische Gestalt, die entstanden ist, um die Gefahr des Tragischen zu mildern. Der melancholische Geist verneint das Leben und führt zur Resignation des Willens zum Leben. Die Tragödie ist ein Kompromiss, der das Leben erträglich macht, indem sie die Erfahrung des Abgrundes darstellt. Die Darstellung hat einen doppelten Sinn. Sie zeigt die Erfahrung als solche. Aber diese Darstellung ist eine bloße Objektivation, nicht die Erfahrung als solche. Die Zuschauer erkennen bald, dass diese Darstellung nur Darstellung ist. Durch diese Verfremdung können sie ihr Leben ertragen, obwohl sie seine pessimistische Seite in der Darstellung der Tragödie sehen. Wenn die Tragödie im alten Griechenland diese Funktion ausgeübt hat, und der melancholische Geist in der Moderne wieder auftaucht, brauchen wir die „Wiedergeburt“ der Tragödie (KSA I, 103), damit wir das Leben ertragen können. Das Denken, welches das seit dem Auftritt von Sokrates verdeckte Tragische wieder gewinnt, ruft nach der Wiederkehr der Tragödie. Die Philosophie des Tragischen bei Nietzsche ist nicht eine bloße theoretische Reflexion über die innere Struktur der alten Tragödie und ihre Wirkungsgeschichte, wie bei Menke, sondern bereitet sich auf die Wieder34 Menke weist nur auf die eine Seite, die Nietzsche gezeigt hat, hin, dass die Moderne das Tragische vergessen hat und schließt den diagnostischen Charakter der Tragödientheorie von Nietzsche aus (TiS, 19-20). 35 Die Kritik an dieser Auffassung: H. Cancik, a.a.O. 50-63.
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belebung der Tragödie in der Moderne vor. Das Tragische in der Moderne, das durch den Überschuss des Denkens verursacht ist und nach der Grenzerfahrung erscheint, die die Vernunft trifft, wenn diese sich zu transzendieren versucht, wie Kant in der Vernunftkritik darstellt, kann nicht mehr durch das Denken selbst gelöst werden. Diese Wiederherstellung der Tragödie beginnt mit der Erkenntnis der alten griechischen Tragödie. Nietzsche erfasst die Tragödie als eine künstlerische Gestalt, die der melancholische Geist, der das die individuellen Gestalten vernichtende Dionysische erfahren hat, zur Darstellung dieser Erfahrung geschaffen hat. Wie bereits angeführt wurde, ist diese Darstellung eine Vermischung der inkompatiblen Mächte. Das Dionysische vernichtet die Gestalt überhaupt. Hingegen bildet das Apollinische diese Gestalt. Die reine Erfahrung des Dionysischen zeigt nach Nietzsche, dass das Leben eine Täuschung ist, da das Leben auf der Ichheit beruht, die aber vor dem Abgrund des Dionysischen verschwindet. Das Leben ist eine täuschende Konstruktion der Ichheit. Diese lebensverneinende Erfahrung aber muss gemildert werden, wenn das Leben erträglich werden sollte. Eine künstlerische Darstellung zeigt, dass das Leben leidvoll und widersprüchlich ist. Aber diese Objektivation rechtfertigt oder ermöglicht wieder das Leben selbst.36 Für Nietzsche ist es wichtig, dass die Tragödie ihren Ursprung in der Erfahrung des Dionysischen hat. Die Tragödie ist eine apollinische Darstellung des Dionysischen. Die Erkenntnis des Tragischen ermöglicht das Schaffen der Tragödie. In der Moderne wird diese Erkenntnis gewonnen, die die notwendige Wiedergeburt der Tragödie garantiert. Nietzsches Hauptziel in seiner Tragödienlehre liegt darin, zu zeigen, dass die Moderne ein tragisches Zeitalter ist. Ödipus von Sophokles offenbart die Logik der Erfahrung des Tragischen, „dass der, welcher durch sein Wissen die Natur in den Abgrund der Vernichtung stürzt, auch an sich selbst die Auflösung der Natur zu erfahren habe“ (KSA I, 67). Das Entgrezungsprojekt der Aufklärung, die durch das Wissen die Natur in ihre Hand nehmen wollte, gelangt an eine Grenzerfahrung, die die Erfahrung des hinter der Grenze liegenden Wesens bedeutet, die das Leben bedroht. Die These von Nietzsche, dass diese Grenzerfahrung Ausgangspunkt des tragischen Gedankens sei, können wir auch im deutschen Idealismus wiederfinden. Seine Tragödientheorie geht von der Vernunftkritik Kants aus. Die Interpretation oder das Verstehen des Leidens, das aus der Grenzerfahrung erfolgt, bietet einen Anlass, über die Tragödie zu philosophieren. Nietzsches Forderung nach der Wiedergeburt der Tragödie zur Hei36 Über die „ästhetische Rechtfertigung“, V. Pădurean, Spiel – Kunst – Schein. Nietzsche als ursprünglicher Denker, Stuttgart 2008, 184ff.
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lung der Melancholie in der Moderne kann man als eine Interpretation der Tragödientheorie im deutschen Idealismus betrachten. Aber seine Begründung des Tragischen durch eine metaphysische Argumentation rechtfertigt das Leiden des Lebens selbst, da dieses schon metaphysisch nicht aufgehoben werden kann. Die Tragödie bei Nietzsche hilft nur dazu, das leidvolle Leben anzuerkennen und zu ertragen. Hingegen betrachtet die Tragödientheorie des deutschen Idealismus dieses Leiden als ein heilungsbedürftiges und aufzuhebendes. Die Bewegung des Tragischen ist nicht eine bloße Erfahrung des „Urgrundes“ (KSA I, 62) bzw. der Indifferenz, in der die Ichheit zerstört wird, sondern eine des Prozesses, in dem ein Konflikt aus der ursprünglichen Indifferenz entsteht und wieder, da dieser die Selbstentzweiung ist, in die Einheit aufgehoben wird. Um die Bestimmung der modernen Tragödie bei Hegel zu verstehen, ist es sinnvoll, zu untersuchen, warum Hegel sich mit der Tragödie überhaupt auseinandergesetzt hat. Die Tragödie ist ein ganz neues Thema, das die Philosophie in ihrer Geschichte zu ihrem Gegenstand genommen hat.37 Der deutsche Idealismus hat begonnen, die Tragödie als philosophisches Thema einzuführen. Aber dies darf nicht so verstanden werden, dass die Tragödie als ein Thema unter den mehreren ausgewählt wurde, sondern dass sie als ein entscheidendes Motiv zum Philosophieren des nachkantischen deutschen Idealismus gilt. Dabei hat die Vernunftkritik von Kant eine entscheidende Rolle gespielt. Schelling, Hölderlin und Hegel haben ein gemeinsames Motiv gehabt, um die Aporie zu lösen, die Kant hinterlassen hat. Aber sie haben auf je eigene Weise unterschiedliche Lösungsvorschläge entwickelt. Diese Untersuchung über die Motive und unterschiedliche Lösungsversuche trägt dazu bei, diesen Gedanken des jungen Hegel in einen breiteren Problemkreis einzuordnen und seine weitere Gedankenentwicklung zu verstehen.
37 Szondi behauptet, dass Schelling die „Philosophie des Tragischen“ erst in die Philosophiegeschichte eingeführt habe (P. Szondi, „Versuch über das Tragische“, in: Schriften I, Frankfurt am Main 1978, 157ff.). Es ist unstreitig, dass Schelling die Philosophie über die Tragödie zuerst veröffentlicht hat. Aber man darf zugleich nicht aus dem Blick verlieren, dass diese Philosophie aus einer Auseinandersetzung innerhalb seines Freundeskreises entstanden ist.
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2.3. Kants Aporie als der Ausgangspunkt der Theorie der Tragödie Kant hat das Prinzip, das sein philosophisches System begründen soll, in seiner theoretischen und praktischen Philosophie vorausgesetzt, aber nicht geklärt. Er entzieht sich dieser Klärung, da dieses nur hätte gelingen können, indem er auf die menschliche Begrenztheit hinweist, oder er musste es schon voraussetzen, um es zu klären (KrV A346 = B404). Das Prinzip, das sein ganzes philosophisches System begründet, ist entweder dunkel, oder eine Aporie. Diese doppelseitige Stellungnahme von Kant bietet einen breiten Horizont der Interpretation seiner Philosophie.38 Wenn das Prinzip in der Dunkelheit besteht, verliert seine Philosophie den festen Boden. Diese Bodenlosigkeit bedeutet nicht die Abwesenheit des Bodens, sondern die der Erkenntnis desselben. Trotz dieser Abwesenheit führt Kant seine Vernunftkritik durch, indem er das Prinzip voraussetzt. Seine Aporie liegt darin, dass er die Erkennbarkeit der Voraussetzung weder bejahen noch verneinen kann. In der theoretischen Philosophie unterscheidet Kant die analytische Einheit des Selbstbewusstseins „ich denke“ von seiner synthetischen Einheit.39 Jene weist darauf hin, dass die gegebene Mannigfaltigkeit der Wahrnehmung ein gemeinsames Merkmal hat, nämlich, dass sie vom Gedanken „Ich denke“ begleitet wird. Der Gedanke „Ich denke“ bezieht sich auf die in der Anschauungsform gegebenen Vorstellungen und distanziert sich von diesen. Diese negative Identität des Ichs ist die negative Einheit des Selbstbewusstseins. Das Ich ist das ich und nicht das Nicht-Ich. Diese negative Einheit ist eine leere Form, in der kein Inhalt gegeben ist. Die synthetische Einheit des Selbstbewusstseins ist eine Funktion, die die einzelnen Vorstellungen, die von „Ich denke“ begleitet sind, in eine gesetzmäßige Beziehung zueinander bringt, die von den Kategorien geschaffen ist. Die Kategorie ist eine Beziehung, in die meine Vorstellungen gesetzt werden. Diese Beziehung ist eine gesetzmäßige Verbindung mehrerer Vorstellungen. Die Deduktion der reinen Verstandesbegriffe antwortet auf die Frage nach dem Recht des reinen Gebrauchs der reinen Begriffe, indem sie diese Funktion erklärt.
38 M. Frank, Eine Einführung in Schellings Philosophie, Frankfurt am Main 1985, 23-47. 39 D. Henrich, Identität und Objektivität. Eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion, Heidelberg 1976.
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Die gegebene Vorstellungen synthetisierende Funktion des Selbstbewusstseins aber muss durch seine Struktur erklärt werden.40 Seine Funktion muss durch die Darstellung seiner Struktur gerechtfertigt werden, damit die Deduktion vollständig durchgeführt wird. Kant nimmt eine doppelseitige Stellung dazu ein, nämlich entweder bejaht oder verneint er die Erkennbarkeit seiner Struktur. Er bejaht, indem er andeutet, dass der Satz „ich denke“ „ich existiere“ in sich enthalte und meine Existenz als „gegeben“ wahrgenommen werde. Dies nennt Kant „eine unbestimmte empirische Anschauung“ (KrV B 422). Meine Existenz könne angeschaut werden, aber sei nicht sinnlich gegeben. Diese Existenz ist der Urgrund für die Funktion der synthetischen Identität des Selbstbewusstseins. „Jeder Existenzialsatz“ ist „synthetisch“ (KrV A 598 = B 626). Ein Existenzialsatz ist ein synthetisches Urteil a priori, das von dem zu unterscheiden ist, dessen Synthesis auf dem Verstandesbegriff beruht. Denn meine „Existenz“ gehört nicht zur Mannigfaltigkeit der Wahrnehmungen, die in der Anschauungsform gegeben und durch den Verstandesbegriff synthetisiert und strukturiert werden, sondern zum Intelligiblen überhaupt. D. h. meine Existenz kann nicht durch das Denken bestimmt werden, wenn das Denken immer einen sinnlichen Stoff bestimmt. Wie Kant akzentuiert, ist Sein „kein reales Prädikat“ (KrV ebd.). Sein ist eine absolute Setzung, die von der relativen zu unterscheiden ist. Eine relative Setzung bedeutet eine Synthese des Selbstbewusstseins, die meine Vorstellungen in eine gesetzmäßige Beziehung bringt. Dagegen setzt Sein eine Vorstellung als solche mit allen Eigenschaften, ohne sie mit anderen zu verbinden. Ein Existenzialsatz „ich existiere“ ist eine absolute Setzung, die meine Existenz ohne ihre Beziehung mit anderen Vorstellungen setzt. Meine Existenz ist gegeben, aber nicht sinnlich, sondern intellektuell. Aber wie kann die Gegebenheit eines Intellektuellen verstanden werden? Das Bewusstsein des Sittengesetzes in der Kritik der praktischen Vernunft, das als „Tatsache der Vernunft“ bestimmt ist, weist auf die gleiche Aporie hin, in die das Intellektuelle (meine Existenz) in der Kritik der reinen Vernunft gerät.41 Der Satz, dass das Sittengesetz existiert oder gegeben ist, wie ich bzw. das cogito, ist ein Existenzialsatz, der synthetisch a priori ist, da das rein Intellektuelle als gegeben gesetzt ist. Diese synthetische Identität von ‚ich existiere‘ ist das Bewusstsein über das intellektuelle Sein des Ichs, das einerseits von der analytischen Identität des Selbstbewusstseins, andererseits von der synthetischen Identität desselben zu unterscheiden ist und geht diesen beiden Identitäten voran und begründet die Funk40 M. Frank, a.a.O. 38f. 41 M. Frank, a.a.O. 44ff.
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tion der beiden. Kant ist nicht in der Lage, dieses Bewusstsein von ‚ich existiere‘ eine intellektuelle Anschauung zu nennen. Aber er deutet ihre Möglichkeit auch an, da diese Gegebenheit des rein Intellektuellen nicht gedacht, sondern nur als Anschauung vorgenommen werden kann und diese Anschauung rein intellektuell sein muss.
2.4. Das Tragische als Sinn der intellektuellen Anschauung Diese Aporie der intellektuellen Anschauung bei Kant hinterlässt den Kern für die Konzeption der Tragödie in der nachkantischen Philosophie. Die Grenze der Vernunft als solcher wird einerseits in negativer Weise durch die Vernunftkritik, andererseits in positiver Weise in der Erfahrung der intellektuellen Anschauung erfasst.42 Der Ur-Grund des Bewusstseins, der die Tätigkeit des Bewusstseins garantiert, aber auch als sein Abgrund erscheint, in welchem es seine Auflösung erfährt, wird in einem augenblicklichen Moment erfahren. Das Tragische entsteht, da diese Erfahrung unbegreiflich ist, da diese Unerkennbarkeit eine Aporie ist und da die Erkenntnis des Menschen sich auf einen unerkennbaren Grund gründet. Das Tragische erscheint zuerst als ein Konflikt zwischen dem unbegreiflichen Ur-Grund und der Anspruch auf seine Erkenntnis erhebenden Vernunft. Der Ur-Grund ist eine moderne Version des Schicksals, welches das Bewusstsein beherrscht, ohne sich zu erkennen zu geben. Die Vernunft kämpft gegen die Herrschaft des Urgrundes, indem sie alles erkennen will. Als ein Konflikt des Transzendenten und des Vernünftigen ist das Tragische bestimmt. In diesem Tragischen wird das Transzendente als das Entgegengesetzte gegen die Vernunft begriffen. Hier handelt es sich nicht um
42 Wie Henrich interpretiert, hat Kant diese Aporie schon erkannt und „das Programm eines spekulativen Denkens“ eingeführt, das von den traditionalen Begründungsversuchen des Urgrundes zu unterscheiden ist (Vg. D. Henrich, „Grund und Gang spekulativen Denkens“, in: Metaphysik nach Kant? hg. von D. Henrich und R.-P. Horstmann, Stuttgart 1988, 83-120). Kant habe durch „das spekulative Denken“ das Begründungsproblem gelöst, indem er die „Ideen“ als Ziel des Begriffs der Vernunft darstelle. Der Ur-grund könne nicht vorausgesetzt, sondern durch die Bewegung der Begriffe, die sich im Denken vollziehe, gewonnen werden. In dieser Arbeit geht es um den Begriff des Tragischen, der aus der nachkantischen Interpretationsversuche der Aporie, die Kant hinterlassen und wie D. Henrich interpretiert, selber zu lösen versucht hat, hervorgekommen ist. Deswegen ist der Lösungsversuch von Kant in dieser Arbeit nicht berücksichtigt.
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X, was außer der Grenze der Vernunft liegt und nie erfahren werden kann. Das Transzendente gilt hier insofern, als es erfahren wird. Das Tragische ist deswegen ein Werk der Vernunft, in dem sie in ihrer eigenen reflexiven Form ihren Konflikt mit dem von ihr erfahrenen Entgegengesetzten ausdrückt. Dieser Konflikt wird als eine Selbstentzweiung der Vernunft ausgedrückt, da ihr Entgegengesetztes in ihrer Reflexion begriffen wird. Die unbegreifliche Erfahrung der intellektuellen Anschauung wird durch die Vernunft als eine notwendige Selbstentzweiung ihrer selbst interpretiert. Wenn die unbegreifliche Erfahrung als das Tragische begriffen wird, das den Prozess dieser Selbstentzweiung der Vernunft und ihre Lösung darstellt, wird sie als darstellbar bestimmt. Abhängig von der Stellungnahme dafür, ob diese intellektuelle Erfahrung ausschließlich auf die Selbstentzweiung der Vernunft zurückgeführt werden kann oder nicht, ergeben sich verschiedene Theorien der Tragödie im deutschen Idealismus. Aber seine Grundüberzeugung liegt darin, dass diese Erfahrung der intellektuellen Anschauung als das Tragische dargestellt werden kann. Ihre Unbegreiflichkeit kann nur durch ihre tragische Darstellung aufgehoben werden, die die Vernunft aus sich selbst strukturiert. Das Ziel dieses Konflikts liegt in seiner Lösung. Sie ist eine Erhebung der entgegengesetzten in einer sie umfassenden höheren Einheit. Wie ist diese Einheit möglich? Diese Frage bezieht sich auf die Frage nach dem synthetischen Urteil a priori bei Kant, wie Schelling, Hölderlin und Hegel interpretieren. Nach dieser nachkantischen Interpretation werden die Sinnlichkeit und der Verstand in die synthetische Einheit der Apperzeption aufgehoben, deren Grund Kant als die Existenz des Ichs angedeutet hat, die durch die intellektuelle Anschauung erfahren wird. Kant geht von der Gegebenheit der gegensätzlichen Momente in der Vernunft aus und fragt nicht danach, woher dieser Gegensatz kommt, sondern setzt nur den Ur-Grund voraus, aus dem er entspringen könnte, da die Vernunft die synthetische Einheit tatsächlich durch ihre Tätigkeit, nämlich das Urteilen herstellt, deren Grund trotz seiner Unerkennbarkeit unverweigerlich vorausgesetzt werden muss, wie die Erfahrung der intellektuellen Anschauung andeutet. Die Darstellung des Tragischen ist die dieser Erfahrung, die als eine gegensätzliche Bewegung in der Vernunft geklärt wird. Sie geht davon aus, dass dieser Gegensatz aus der ursprünglichen Einheit kommt, die auch als der Grund seiner Lösung funktioniert. Dieser Gegensatz wird als das Austreten aus dem Absoluten interpretiert. Die Selbstentzweiung der Vernunft ist eine Folge dieses Austretens. Der Konflikt kann nur durch die Erinnerung an den genetischen Ursprung gelöst werden, aus dem er herrührt. Das Tragische ist ein Prozess, der durch die Erfahrung der intellektuellen Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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Anschauung charakterisiert wird, nämlich durch das Austreten aus dem Absoluten und die Lösung des Konflikts durch die Erinnerung.43
2.5. Schelling In Urtheile und Seyn kritisiert Hölderlin Fichtes Versuch, das der reflexiven Struktur der Vernunft vorangehende absolute Sein als das Selbstbewusstsein zu begreifen, da das Sein nicht im Bewusstsein erscheint, sondern dieses erst ermöglicht. Hölderlin hat die Aporie gefunden, die in Fichtes Wissenschaftslehre versteckt ist. Wenn das absolute Sein als Ausgangspunkt in der Wissenschaftslehre das System des Wissens ermögliche, müsse es erkannt werden. Diese Erkenntnis werde in den Grundsätzen ausgedrückt. Aber der Grund, der das Wissen ermöglicht, liegt nach Hölderlin außerhalb des Systems des Wissens. Das Wissen drücke nur das Austreten aus dem Grund aus. Schelling hat diesen Gedanken aufgenommen. Aber wenn Hölderlin diese Aporie zu vermeiden versucht, nimmt Schelling sie konstruktiv auf. Das philosophische Denken ist für ihn ein Versuch, diese Aporie zu produzieren und wieder zu lösen.44 Für Hölderlin ist das absolute Sein für die diskursive Darstellung nicht zugänglich und kann nur in der ästhetischen Anschauung erfahren werden. Dagegen hält Schelling in seiner Ichschrift 45 das Sein für das absolute Prinzip des Wissens, aus dem das System des Wissens abgeleitet wird. Er versucht, das der diskursiven Reflexion voran-
43 In dieser Arbeit kann die philologische Rekonstruktion der Auseinandersetzungen zwischen den drei Denkern (Schelling, Hölderlin und Hegel) nicht unternommen werden. Sie geht davon aus, dass die Tragödie als ein führendes philosophisches Thema ein gemeinsames Diskussionsthema und sogar als ein gemeinsames Gedankengut zu bezeichnen sei. 44 Iber drückt über die ganze Philosophie von Schelling das Folgende aus: „Wie kann die vernünftige Explikation des der Vernunft vorausliegenden unvordenklichen Absoluten als Unbedingten stattfinden, ohne daß dieses nicht beständig in die Vernunftimmanenz zurückfällt? Das Problem eines der Vernunft zuvorkommenden Prinzips der Vernunft bewegt Schellings Philosophie von Anfang bis Ende.“ Chr. Iber, Das Andere der Vernunft als ihr Prinzip. Grundzüge der philosophischen Entwicklung Schellings mit einem Ausblick auf die nachidealistischen Philosophiekonzeptionen Heideggers und Adornos, Berlin 1994, 4. 45 F.W.J. Schelling, Vom Ich als Prinzip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen.
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gehende und sie ausschließende Sein durch sie zu begreifen. Der Gegenstand der Philosophie ist diese Aporie der vernünftigen Reflexion. Aber Schelling gibt in seinen Briefen46 seine These in der Ichschrift auf: Das Absolute könne in der aporetischen Struktur theoretisch dargestellt werden. Stattdessen betrachtet er die Tragödie als eine erste Darstellungsform des Absoluten in der Geschichte, die zwar eine vergangene sei, die aber einen Ausganspunkt für die Philosophie des Dogmatismus und des Kritizismus ausmacht, die durch die Praxis das Absolute darstellt.
2.5.1. Das Absolute und die intellektuelle Anschauung Für Schelling hat Kant das absolute Prinzip für die Funktion des Selbstbewusstseins vorausgesetzt, um diese Funktion zu begründen. Aber diese Begründung ist nur möglich, wenn das vorausgesetzte Prinzip zuvor erklärt wird. Dieses kann nur durch die Erkenntnis des Selbstbewusstseins erfahren werden. Um diesen Zirkel zu vermeiden, beginnt Schelling in seiner Ichschrift direkt mit dem absoluten Wissen, das ein Ausdruck dessen ist, was der Begriff des Absoluten bedeutet. Dieses Wissen nennt Schelling die intellektuelle Anschauung, da das Absolute rein intellektuell, also kein Objekt und durch das Denken nicht bestimmbar sei. Diese intellektuelle Anschauung ist das absolute Wissen, das aus sich selbst ein System des Wissens konstruiert. Diese Anschauung ist eine ursprüngliche Erfahrung vor dem Philosophieren. Aber wenn man über die Anschauung philosophiert, zerstört das philosophische Denken sie bald. Bei dieser Reflexion über die Anschauung tritt das Absolute „aus sich“ aus, insofern es vergegenständlicht wird. Das Austreten bedeutet, dass das Absolute in die reflexive Struktur übergeht, in der das Ich und das Nicht-Ich einen Gegensatz bilden. Die intellektuelle Anschauung als eine unmittelbare Erfahrung drückt die Einfachheit des Absoluten aus. Aber die Darstellung der Anschauung zerstört diese Einfachheit, indem sie das Absolute vergegenständlicht, das in der intellektuellen Anschauung kein Objekt war.47 Das objektivierte Absolute löst sich in die Tragik des Ich und des Nicht-Ich auf. 46 F.W.J. Schelling, Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kritizismus. 47 Es ist fragwürdig, die Ichschrift so zu interpretieren, dass Schelling „das absolute Ich“ vom „Absoluten“ unterschieden hat, um die Aporie zu vermeiden (M. Fukaya, Anschauung des Absoluten in Schellings früher Philosophie (1794-1800), Würzburg 2006, 25-41). Nach dem Verfasser schließt dieses die Entgegensetzung des absoluten Ich gegen das empirische Ich aus, wenn jenes durch diese bestimmt werde. Für den Verfasser entsteht die Aporie in der Ichschrift wegen der
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Über die Aporie, die durch eine theoretische Darstellung des Absoluten entsteht, zu reflektieren ist die Aufgabe in den Briefen. Das Problem liegt darin, dass diese Darstellung immer einseitig ist. Sie optiert nur für eine Seite, die im Gegensatz zur anderen steht, und führt diese auf jene zurück, damit das Absolute nicht vollständig dargestellt wird. Dagegen ist die Tragödie ein Vorbild der Darstellung der intellektuellen Anschauung. Die Tragödie veranlasst Schelling, die theoretische Darstellung derselben aufzugeben und eine neue Methode, nämlich die Praxis zu suchen.
2.5.2. Neue Lektüre der Kritik der reinen Vernunft Wenn Schelling in der Ichschrift Fichte folgend Kants Kritik der reinen Vernunft als einen unvollständigen Versuch, einen Grundsatz des Wissens zu finden, liest,48 schlägt er in den Briefen eine neue Lektüre vor. Sie sei zwar die „Wissenschaftslehre“ (AA3, 68) für die gegensätzlichen Prinzipien und für die aus diesen konstruierten Systemen, die, da sie theoretisch den Gegensatz des Endlichen und Unendlichen nicht aufheben könnten (AA3, 83), seine Lösung in der Praxis fänden. Nach diesem „Kanon“ gibt es zwei Möglichkeiten, das Absolute theoretisch darzustellen. Der Dogmatismus stelle das absolute Objekt auf, dem das Subjekt unterworfen werde. Dagegen stelle der Kritizismus das absolute Subjekt als das Prinzip auf, auf das das Objekt zurückzuführen sei. Aber die theoretische Darstellung könne die Einheit nicht endgültig erreichen, da die theoretische Reflexion Widersprüchlichkeit der Intellektuellen Anschauung. Aber diese Unterscheidung ist überflüssig, da die Aporie, die Schelling in der Ichschrift hervorhebt, nicht aus der intellektuellen Anschauung selber, sondern aus dem Widerspruch zwischen der Anschauung als der unmittelbaren Erfahrung und ihrer Darstellung als ihrer Reflexion entsteht. Nach dem Verfasser ist die intellektuelle Anschauung selber eine Aporie, da sie einerseits eine unmittelbare Erfahrung des Absoluten, andererseits eine Vergegenständlichung desselben ist. Die Aporie, die Schelling hier darstellt, liegt als der Ursprung des Tragischen, das seine Darstellung in der Ichschrift vorantreibt, im Widerspruch zur intellektuellen Anschauung mit ihrer Darstellung. Die Erfahrung der intellektuellen Anschauung zeigt die Einfachheit des Absoluten, die augenblicklich angeschaut wird. Aber wenn man diese Anschauung darstellt, wird diese augenblicklich angeschaute Einfachheit zerstört und in die reflexive Struktur aufgelöst, die die einfache Anschauung in die widersprüchlichen Gegensätze bringt. 48 Die Ichschrift versucht „die Resultate der kritischen Philosophie in ihrer Zurükführung auf die letzten Principien alles Wissens darzustellen“ (AA2, 71). Kant habe die Resultate schon angegeben, ohne ihre Voraussetzungen zu erklären.
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sich immer in diesem Gegensatz des Subjekts gegen das Objekt bewege. Die beiden Systeme könnten die Einheit nur durch die Praxis erreichen. Nach dieser neuen Lektüre legt die Vernunftkritik nicht ein absolutes Prinzip für das Wissen auf, sondern stellt nur die Aporie dar, die der Mensch zwar theoretisch nicht lösen kann, aber durch die praktischen Postulate zu lösen versuchen kann. Eine theoretische Darstellung des Absoluten ist unmöglich, da der Mensch in einem ursprünglichen Gegensatz mit einem Objekt steht, dem das Absolute vorangeht. Er hat aber nach Schelling eine besondere „Fähigkeit“, durch die negative Abstraktion von allem Empirischen eine reine „Selbstanschauung“ (AA3, 87), d. h. „das Absolute in uns“ (AA3, 79) zu erreichen, das die intellektuelle Anschauung als solche sei. Durch diese Erfahrung mit dem Absoluten in uns wüsten wir, dass das Absolute das Gesetz der Identität als solcher sei und nur durch den analytischen Satz ausgedrückt werden könne. Aber sobald wir diese Selbstanschauung ausdrücken, wird sie in die synthetischen Sätze aufgelöst, da das Ausdrücken ein Handeln des Bewusstseins ist, das sich immer im Gegensatz bewegt. Der Mensch steht in dieser Beschränktheit des Bewusstseins und fragt, „wie das Absolute aus sich selbst herausgehen und eine Welt sich entgegensetzen könne?“ (AA3, 78) Nach der Erfahrung der intellektuellen Anschauung stelle man diese Frage, da man den Widerspruch der Erfahrung und ihrer Darstellung sobald erkenne. Diese Frage kann nicht direkt, z. B. durch die Darstellung des Übergangsprozess, den Fichte in seiner Wissenschaftslehre, oder Schelling in der Ichschrift darstellt, beantwortet werden, da der Mensch nicht in der Lage ist, diskursiv bzw. theoretisch die absolute Identität und ihre Bewegung zu begreifen (AA3, 85). Die „Unbegreiflichkeit“ dieser Frage resultiert aus dem Widerspruch der „Selbstanschauung“, in der der Mensch einen Selbstverlust erfährt, zu ihrer reflexiven Darstellung. Die „Selbstanschauung“ weist auf einen Moment hin, wo der Gegensatz zwischen dem Subjekt und dem Objekt verschwindet. Aber ihre Darstellung löst diesen punktuellen Moment in eine prozessuale Sukzession auf, in der sich das Bewusstsein befindet. Die „Selbstanschauung“ wird durch die reflexive Darstellung interpretiert, entweder als die Auflösung des Objekts im Subjekt, oder als die des Subjekts im Objekt. Diese unmittelbare Erfahrung ist ein Ausgangspunkt des Wissens, für das sie als solche unbegreiflich bleibt. Diese unterschiedlichen Interpretationen bringen die unterschiedlichen Systeme des Wissens hervor. Der augenblickliche Moment der intellektuellen Anschauung veranlasst uns, nach der unmittelbaren Einheit zu streben. Da diese nicht direkt dargestellt werden kann, bleibt die Möglichkeit, in seinen synthetischen UrteiChang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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len, in denen das Subjekt und das Objekt vereinigt sind, die Spuren des Absoluten wiederherzustellen. Diese Synthesis, die wir theoretisch mittels der Reflexion des Bewusstseins erreichen, weist indirekt auf die ursprüngliche Einheit hin, die wir in der Erfahrung der intellektuellen Anschauung erreicht haben. Aber diese theoretische Synthesis ist nur eine einseitige Einheit, die auf einem Prinzip, nämlich entweder dem Subjekt oder dem Objekt beruht, dem das entgegengesetzte subsumiert werden muss. Deswegen muss man diesen Gegensatz aufheben, um die ursprüngliche Einheit wiederzugewinnen. Das Absolute ist nicht mehr ein Gegenstand des theoretischen Wissens, sondern ein „Gegenstand einer praktisch-nothwendigen, aber – unendlichen Handlung“ (AA3, 73). Diese Handlung kann im Rahmen der unterschiedlichen Systemen unterschiedlich verstanden werden. Der Dogmatismus wolle die Einheit des Subjekts und des Objekts durch die praktische Vernichtung des Subjekts im Objekt, und der Kritizismus dagegen durch die praktische Vernichtung des Objekts im Subjekt erreichen.
2.5.3. Option für den Kritizismus Der Grund der Entscheidung für eine der zwei Möglichkeiten hängt nach Schelling von der Freiheit des Geistes ab. Die Reflexion über die Frage, wer ich sei und sein solle, ermögliche diesen Entscheidungsgrund. Wenn ich mich für ein freies Wesen halte, müsse ich mich für den Kritizismus entscheiden. Das Ziel liege darin, den Gegensatz aufzuheben. Das Subjekt müsse seine Begrenztheit, die durch den Gegensatz zum Objekt bestimmt sei, durch seine Praxis aufheben und eine neue Welt schaffen. Die theoretische Vernunft müsse in die „schöpferische“ umgewandelt werden (AA3, 80). Diese praktische Entscheidung rühre von der Reflexion über die Existenz des Ichs her. Zwar sei diese Reflexion theoretisch, aber ihr Inhalt müsse durch die Praxis bestätigt bzw. realisiert werden. Schelling zieht bei diesem Problem der Entscheidung den Kritizismus dem Dogmatismus vor, da dieser von einer „Täuschung“ über die Erfahrung der intellektuellen Anschauung ausgehe (AA3, 88). Für Schelling ist diese Erfahrung die Vernichtung des Objektiven, durch die die Identität der reinen Subjektivität erreicht wird. Die intellektuelle Anschauung als solche sei sowohl die Negation des Objektiven als auch die des Subjektiven, das dem Objektiven entgegensteht. Sie könne für den Menschen, der sich in der reflexiven Struktur befinde, ein unausdrückbares X bleiben. Wenn dieses aber bewusst werde, werde es entweder als „Ich“ oder als „das absolute Objekt“ ausgedrückt. Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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Die intellektuelle Anschauung ist eine besondere Erfahrung. Aber die Erfahrung gerät immer in einen reflexiven Prozess. Die Erfahrung gilt nur, wenn das Subjekt sich in sie versetzt und wieder von ihr in sich zurückkehrt und sie als solche erkennt. Wenn Spinoza nach Schelling diese Erfahrung als einen reinen Selbstverlust interpretiere, ohne zu sich zurückzukehren, sei diese Interpretation eine „Täuschung“, die den „Abgrund“ des Dogmatismus ausmache (AA3, 110). Denn es sei widersprüchlich und „falsch“, dass Spinoza als ein Subjekt nach der Erfahrung diese als den Selbstverlust interpretiert habe, nachdem er sich in ihr schon verloren habe. Er ist als das Subjekt der Interpretation dieser Erfahrung schon von ihr zu sich zurückgekehrt. Wenn er sich verloren hätte, hätte er sie überhaupt nicht interpretieren können. Der Dogmatismus von Spinoza, der auf der „Täuschung“ beruhe, bringe eine selbstwidersprüchliche Ethik der praktischen Forderungen hervor. Ich als eine Modifikation der absoluten Kausalität könne nur das Absolute erreichen, wenn ich meine Endlichkeit selbst vernichte, die darin liege, dass ich mich für ein Subjekt halte, das vom absoluten Objekt unterschieden werde. Die Selbstnegation sei eine ethische Forderung dieses Dogmatismus. Aber für Schelling ist diese Forderung ein Widerspruch. Wir seien bewusste Wesen, die nur in einer gegensätzlichen Struktur hin und zurückkommen. Die Selbstnegation müsse von mir gedacht werden, wenn sie als eine Erfahrung von mir gelten solle. Aber die Selbstnegation könne von mir überhaupt nicht vorgestellt werden, da ich immer zu mir zurückkehren solle. Einerseits spricht Schelling über die Gleichrangigkeit des Kritizismus und des Dogmatismus, andererseits aber hebt er hervor, dass der Dogmatismus auf einem Irrtum beruhe. Die Gleichrangigkeit liege darin, dass jeder nicht von dem anderen „widerlegbar“ sei. Diese Unwiderlegbarkeit weise auf den ursprünglichen „Widerstreit im menschlichen Geiste“ hin (AA3, 60). Wenn er sich in der reflexiven Struktur des Subjekts und des Objekts bewege, könne er entweder als das Subjekt oder als das Objekt interpretiert werden. Diese theoretische Gleichrangigkeit werde erst widerlegt, wenn die theoretischen Voraussetzungen durch die Praxis realisiert werden sollen. Da die praktische Forderung nach der Selbstnegation widersprüchlich sei, könne sie nicht im Leben realisiert werden. Schelling zeigt, wie der Dogmatismus durch die Tragödie seine praktische Forderung rechtfertige. Die Möglichkeit dieser Rechtfertigung führt Schelling auf die Grenze der Tragödie zurück. Sie sei eine Darstellung des ursprünglichen „Widerstreits im menschlichen Geist“, der entstanden sei, Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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wenn das Absolute aus sich austrete und der menschliche Geist gegen das Absolute kämpfe. Die Tragödie sei eine Darstellungsform, die nicht diskursiv, sondern intuitiv diesen Widerstreit dokumentiere. Aber sie sei eben nur eine vergangene Darstellungsform in der Geschichte, deren Funktion in der Moderne die „Kritik der reinen Vernunft“ von Kant übernehme.
2.5.4. Die Tragödie als „Lehrerin der Menschheit“ Die griechische Tragödie sei ein geschichtliches Dokument dafür, wie der Mensch seine Freiheit erfahren und sie durch die Praxis zu realisieren begonnen habe. Die Tragödie sei eine ästhetische Darstellung, „Nachahmungen“ der intellektuellen Anschauung, die sich der Mensch durch seine Freiheit geschaffen habe (AA3, 87). Das Motiv, warum Schelling die Konzeption der Tragödie in seinen Gedankengang eingeführt hat, bezieht sich auf die Bedeutung, die die Tragödie in der Geschichte einnimmt. Die Tragödie ist eine erste Darstellungsform der intellektuellen Anschauung in der Geschichte, die dem Menschen die Erfahrung der intellektuellen Anschauung lehrt. Sie zeigt, was „der ursprüngliche Widerstreit im menschlichen Geiste“ ist, und veranlasst, dass er die Geschichte gestaltet. Die Tragödie stelle dar, wie ein Mensch, der vom Schicksal „zum Verbrecher bestimmt“ sei, gegen diese Vorgabe kämpfend untergehe. Dieser „Kampf gegen das Unermeßliche“ der „unsichtig“ gewordenen Naturmächte entstehe, wenn der Mensch nicht mehr ihnen gehorche, seine Freiheit in sich gefunden und sich von ihnen zu emanzipieren versucht habe. Als ein freies Wesen stelle er sich den Naturmächten entgegen. Die „Schranken“ der künstlerischen Darstellung lägen darin, dass der Mensch untergehen müsse. In zwei Punkte beweise er seine Freiheit gegen die Naturnotwendigkeit. Erstens stelle er sich ihr entgegen, und zweitens sei der Untergang nicht nur ein passives Leiden, sondern eine von ihm freiwillig gewählte Handlung. Die Kunst stelle die Harmonie der Freiheit und der Notwendigkeit dar. Diese Harmonie könne auf zwei Weisen ausgedrückt werden, entweder dass die Notwendigkeit der Freiheit unterstehe oder umgekehrt. Eine dritte Möglichkeit, nämliche die unmittelbare Einheit darzustellen, entfalle für den Menschen. In der Tragödie „mußte“ der Held „unterliegen“, „um nicht über die Schranken der Kunst zu springen“, „aber, um auch diese, durch die Kunst abgedrungne, Demüthigung menschlicher Freiheit wieder gut zu machen, mußte sie ihn auch für das durch’s Schicksal begangne Verbrechen – büßen lassen“ (AA3, 107). Wenn der Held nicht unterginge Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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und die Naturnotwendigkeit besiegte, bleibe nur die reine Freiheit, die aber kein Gegenstand der Kunst sein könne. Die Einheit der Freiheit mit der Notwendigkeit könne nur in der Gestalt der Unterwerfung der Freiheit unter der Naturnotwendigkeit dargestellt werden, da diese auch die Freiheit in gewisser Grenze darstellen könne. Die Tragödie veranschaulicht die ursprüngliche Reflexionsstruktur des menschlichen Geistes, indem sie den Entstehungsprozess derselben nachahmt, nämlich die intellektuelle Anschauung, in der erfahren wird, dass das Absolute aus sich austritt und ein Konflikt gegen dieses Absolute entsteht, der der Ursprung der reflexiven Struktur ist. Die Tragödie funktioniert als „Lehrerin der Menschheit“ 49, die lehrt, dass der Mensch seine Grenzen hat, die aus dem „Heraustreten aus dem Absoluten“ und aus dem damit verursachten Konflikt im menschlichen Geiste stammen und den Menschen bewusst machen, was die ihnen zugedachte Aufgabe ist, nämlich dass sie seine Grenzen überwinden sollen. Die Tragödie stellt dem Menschen eine Aufgabe auf, die durch zwei Revolutionen in der Geschichte gelöst wird. Die „erste“ ist der Dogmatismus, der im absoluten Objekt seine Lösung findet (AA2, 77). Ohne das Leben des Menschen zu verändern, zeigt die Wirkungsgeschichte dieser Revolution nur Entdeckungen der unendlichen Reihe der Objekte, in denen er seine endgültige Lösung zu finden meint. Seit die Kritik der reinen Vernunft „die letzten Gründen seines Wissens“ zu untersuchen begonnen hat, wird der Konflikt, der in der Tragödie dargestellt wurde, als „die einfachste, begreiflichste – ursprünglichste Antithese aller philosophirenden Vernunft“ erkannt. Aus dieser Erkenntnis folgt als „die zweite“ „Revolution“ der „Kritizismus“, der „durch gänzliche 49 „Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus (1797)“, in: Mythologie der Vernunft. Hegels »ältestes Systemprogramm des deutschen Idealismus«, hg. von Chr. Jamme und H. Schneider, Frankfurt am Main 1984, 13. J. Yorikawa fasst die Auseinandersetzung um die Urheberschaft dieses Manuskripts zusammen (J. Yorikawa, Hegels Weg zum System. Die Entwicklung der Philosophie Hegels 1797-1803, Frankfurt am Main 1996, 20-29). Ich vertrete hier nicht die Ansicht, dass Schelling der Verfasser dieses Programms sei. Ich gehe davon aus, dass dieses Fragment eine Auseinandersetzung im Freudenkreis von Schelling, Hölderlin und Hegel dokumentiert und eine gemeinsame Ansicht über die Kunst in der Vergangenheit darstellt. Schelling ist in den Briefen nicht damit einverstanden, dass die Kunst die Funktion, die sie in der Vergangenheit als „Lehrerin der Menschheit“ ausgeübt hat, auch in der Zukunft übernehmen wird. Aber Schelling hat diese Überzeugung wieder aufgegeben und ist dem Systemprogramm gefolgt. Obwohl Schelling die Briefe 1795 verfasst hat, gehe ich davon aus, dass er schon den Gedanken der Poesie als der „Lehrerin der Menschheit“ antizipiert hat.
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Umkehrung der Principien“ das Leben selbst zu verändern versucht, um die Antithese praktisch zu überwinden. Wenn der Dogmatismus das vorhandene Leben erträglich macht, indem er den Konflikt durch die Unterwerfung des Selbst unter ein Objekt löst, verändert der Kritizismus das Leben, indem er die Welt der menschlichen Freiheit unterwirft.
2.5.5. Die Kritik der Tragödie Unter dem Gesichtspunkt des Kritizismus ist die Tragödie ein ideales Ziel für den Dogmatismus. Er begründet seine praktische Forderung durch die Tragödie,50 in der das Subjekt durch die Macht des Schicksals untergeht. Für Schelling stellt die Tragödie die Frage, wie man den ursprünglichen Streit zwischen Notwendigkeit und Freiheit löst, aber keinesfalls die Antwort dafür, wie der Dogmatismus behauptet. Wegen der „Schranken der Kunst“ muss der freie Held untergehen. „Nur ein Wesen, das der Freiheit beraubt war, konnte dem Schicksal unterliegen“. „Ein großer Gedanke“, der in der Tragödie ausgedrückt sei, „willig auch die Strafe für ein unvermeidliches Verbrechen zu tragen, um so durch den Verlust seiner Freiheit selbst eben diese Freiheit zu beweisen, und noch mit einer Erklärung des freien Willens unterzugehen“ gilt nur innerhalb der „Schranken der Kunst“ (AA3, 107). Die intellektuelle Anschauung, die die Tragödie nachahmt, ist eine „augenblickliche Vereinigung der beiden widerstreitenden Principien“, die in uns erfahren wird und zugleich „sobald verloren ist“ (AA3, 51). Für Schelling bildet diese ästhetische Nachahmung nicht ein ideales Ziel, sondern einen Ausgangspunkt, von dem aus die Praxis zur Überwindung der „Schranken“ beginnen soll. Die Tragödie ist die Darstellung des Tragischen, das nichts anderes als „der ursprüngliche Widerstreit im menschlichen Geiste“ ist, der in ihr nur als Aporie angegeben ist. Vor der Kantischen Philosophie hat die Tragödie über das Tragische im Menschen gelehrt, welches als die notwendige Entgegensetzung im menschlichen Geist zu bestimmen ist. Für Schelling ist die Tragödie nur eine Veranschaulichung dieses Tragischen, das hier nur als die statische Entgegensetzung bestimmt ist. Die Tragödie lehrt nur, dass diese Entgegensetzung als Schicksal schon im menschlichen Geist gegeben
50 „Der Dogmatismus“ „eröffnet“ seinen Bekennern die „unveränderliche Alternative“, d. h. die Tragödie (AA3, 109).
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sei. Erst die Reflexion über die Tragödie fragt danach, wie diese Entgegensetzung überwunden werden kann. Wenn die Tragödie für Schelling eine Veranschaulichung des statischen „Streites im menschlichen Geist“ ist, hat Kant das angeschaute Tragische diskursiv dargestellt. Für Schelling ist die Kritik der reinen Vernunft eine moderne Version der Tragödie, nämlich die Philosophie des Tragischen, die den „Kanon“ für den Dogmatismus und den Kritizismus auflegt, da ihre Aufgabe darin besteht, diese beiden Philosophien aus dem Tragischen, das die ursprüngliche Aporie im menschlichen Geist ist, abzuleiten. Die Harmonie der Notwendigkeit und der Freiheit, die die Tragödie in ihrer Gestalt darstellt, wird in der Kritik der reinen Vernunft als die intellektuelle Anschauung gedeutet. Wenn die Tragödie eine ästhetische Nachahmung der intellektuellen Anschauung ist, ist die Philosophie des Tragischen eine diskursive Darstellung derselben. Sie zeigt, dass der Konflikt zwischen dem Kritizismus und dem Dogmatismus eine logische Folge des Tragischen in der menschlichen Vernunft ist. Schelling interpretiert die Vernunftkritik von Kant als die Philosophie des Tragischen, die, wie die Tragödie, nur eine neue Aufgabe angibt, aber nicht ihre Lösung. Der Kritizismus, für den Schelling optiert, kritisiert die Widersprüchlichkeit der praktischen Forderungen des Dogmatismus und zeigt die einzig möglichen kohärenten praktischen Postulate zur Revolutionierung des Lebens und zur Realisierung der Freiheit. Die Interpretation, dass Schelling in den Briefen eine „Philosophie des Tragischen“ erst begonnen habe und die Einsicht in die dialektische Aufhebung und Vereinigung des Konflikts, die nur nach dem Modell der Tragödie nachvollzogen werde, als ihr Ziel bestimmt habe,51 ist irreführend, 51 L. Hühn geht von der Voraussetzung aus, dass Schelling in den Briefen die spätere Identitätsphilosophie schon vorwegnimmt, und interpretiert seine Briefen mit ihr und gerät in ein hermeneutisches Zirkel. L. Hühn, „Die Philosophie des Tragischen. Schellings „Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kriticismus““, in: Die Realität des Wissens und das wirkliche Dasein. Erkenntnisbegründung und Philosophie des Tragischen beim frühen Schelling, hg. von J. Jantzen, Stuttgart-Bad Cannstatt 1998, 114f. Nach der Verfasserin habe Schelling in den Briefen ein Modell für die spekulative Philosophie aus der Tragödie konzipiert, die sie „die Philosophie des Tragischen“ nennt. Schelling habe dafür die Gleichrangigkeit des Dogmatismus und des Kritizismus hervorgehoben, da die beiden Systeme nur die Momente seien, die in der „Philosophie des Tragischen“ aufgehoben werden. Aber wie oben erwähnt, hat Schelling für den Kritizismus optiert, obwohl er über die Gleichrangigkeit des Dogmatismus und des Kritizismus gesprochen hat. Diese Gleichrangigkeit gilt nur, insofern jedes System vom anderen nicht theoretisch „widerlegbar“ ist. Chr. Iber interpretiert auch in dieser Richtung. „Schellings Tragödienkonzeption zielt darauf ab, Dogmatismus und Kritizismus auf ästhetischer Ebene zu synthetisieren“ (Chr. Iber, Das Ander der Vernunft als ihr Prinzip, 122).
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da die Kunst zu beschränkt dafür ist, den Konflikt zu lösen. Die Tragödie funktioniert als ein „Weckmittel“ für die Vernunft, das sie zur Realisierung ihrer Freiheit führt, aber sie kann nicht als die höchste Realisierung der Praxis gedacht werden. Schelling wollte hier nicht ein dialektisches Modell der Aufhebung des Konflikts in die höhere Einheit entwickeln,52 das er in der Tragödie gefunden hat. Die Tragödie sei vielmehr eine vergangene Gestalt, die einen Ausgangspunkt für die zukünftigen zwei Revolutionen ausmache. Schelling entwickelt einen Kritizismus, der wegen seiner praktischen Überlegenheit den Dogmatismus kritisiert. Schelling verändert diesen ersten Gedanken über die Tragödie in seiner Identitätsphilosophie. Im System des transzendentalen Idealismus bestimmt er die Kunst als die „Objektivität der intellektuellen Anschauung“ (AA9,1, 325), die nicht nur „das Vorbild der Wissenschaft“ sei (AA9,1, 323), sondern „die objektiv gewordene intellektuelle“ Anschauung, die den letzten Punkt der Wissenschaft und der geschichtlichen Praxis ausmache. Die Geschichte, die die Bühne der Praxis sei, zeige eine Aufführung der Tragödie, in der sich die Freiheit mit der Notwendigkeit zusammenschließe (AA9,1, 286ff.). Die Geschichte wird durch das Modell der Tragödie, d. h. die Philosophie des Tragischen interpretiert, deren Vollendung die ästhetische Aufführung der Tragödie ist. Schelling kritisiert in den Briefen diese Position, die er später vertreten wird, da das Ziel der Praxis, die ursprüngliche Einheit wieder zu gewinnen, nicht dem Menschen zugänglich sei. Wenn man behauptet, dass dieses Ziel entweder erreichbar oder schon erreicht sei, kritisiert Schelling diese Position als „Schwärmerei“ (AA3, 96ff.).
Iber behauptet, dass Schelling keineswegs leugne, dass „von der theoretischen und praktischen Vernunft notwendig zu einem ästhetischen Gesichtspunkt übergegangen werden muß.“ Zugleich spricht er über „eine zweideutige Übergangsposition zwischen praktischer und ästhetischer Lösung der Grundfrage der Philosophie“, die Schelling eingenommen habe, da die Tragödie nach seinem Verständnis einerseits als ein Ziel der Praxis, andererseits „als Weckmittel der praktischen Vernunft, d.h. als Plädoyer für die Scheidung des Kritizismus vom Dogmatismus“ vorgestellt werden solle (Chr. Iber, a.a.O. 122f.). 52 Auf dieser Weise interpretiert Hühn Schellings Projekt „Ethik à la Spinoza“ (L. Hühn, a.a.O. 120).
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2.6. Hölderlin Hölderlin stimmt mit Schelling und Hegel darin überein, dass die Vernunftkritik von Kant die intellektuelle Anschauung, nämlich das Tragische als die Aporie der Moderne zugrundegelegt hat. Die von der nachkantischen Philosophie formulierte Grundthese, dass die Moderne ein tragisches Zeitalter sei, zeigt das Paradox der Aufklärung, das sie im Prozess der Emanzipation aus der Natur durch die Grenzerfahrung der Vernunft erkannt habe. Alles, was sie aus sich selbst konstruiert habe, beruht auf dem ihr unerkennbaren Grund. Das Tragische liegt darin, dass die Vernunft, die einen absoluten Anspruch erhebt, der darin besteht, alles zu erkennen, sich diesem Grund entgegenstellt. Es entsteht, wenn die intellektuelle Anschauung, die die Vernunft erfährt, von ihr als ihre Grenzerfahrung erkannt wird. Wenn sie aber ihre Erfahrung darzustellen versucht, wird der Konflikt zwischen dem unerkennbaren Grund und der ihn nicht anerkennenden Vernunft in den der Vernunft verwandelt, da die Darstellung durch die Sprache der Vernunft bzw. des Bewusstseins durchgeführt wird, das sich nur in einem reflexiven Gegensatz bewegt. Hölderlin führt den Begriff des Tragischen aus der Auseinandersetzung mit den politischen und theologischen Problemen ein.53 Jacobi folgend kritisiert Hölderlin die Grenze des kalten Verstandes und vertritt den Glauben. Die Wirklichkeit ist der institutionierte Verstand, welchem er die metaphysische „Liebe“ entgegensetzt, die er von Platon annimmt.54 Der politische Gegensatz der negativen Wirklichkeit zur „Liebe“ wird durch die theologischen Begriffe von dem Endlichem und Unendlichem erfasst. Hölderlin versucht zuerst, diesen Gegensatz durch die Darstellung der statischen schönen Gestalt zu lösen (Hyperion).55 Aber er erkennt, dass diese statische ästhetische Form den Gegensatz nicht in eine Harmonie bringen kann. Der Begriff des Tragischen, nämlich einer prozesshaften ästhetischen Form ist eine Lösungsform für sein politisches und theologisches Interesse. Der Ursprung des Tragischen liegt im Übertragen der vernünftigen Begriffsbestimmungen auf die Erfahrung der intellektuellen Anschauung, die damit als ein Widerspruch in der Vernunft erscheint. Eine zentrale Fragestellung beinhaltet die Thematik, wie mit der intellektuellen Anschauung 53 Chr. Jamme, „Ein ungelehrtes Buch“ Die philosophische Gemeinschaft zwischen Hölderlin und Hegel in Frankfurt 1797-1800, Bonn 1983 (= Hegel-Studien, Beiheft 23), 69. 54 Chr. Jamme, a.a.O. 108f. 55 Chr. Jamme, a.a.O. 54.
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umgegangen werden soll. Wenn die Darstellungsweise der Vernunft die reine Erfahrung verstellt, damit das Tragische entsteht, muss man entweder eine richtige Darstellungsweise finden, um das Tragische zu vermeiden oder das Tragische als eine notwendige Folge der Erfahrung annehmen und eine Überwindungsmethode suchen. Wenn Schelling in den Briefen das zuletzt angeführte für wahr hält und in der Praxis eine Überwindungsmöglichkeit findet, optiert Hölderlin zunächst für die zuerst genannte Option. Dann hat er diese aufgegeben und in der ästhetischen Darstellung der Tragödie gegen Schelling eine neue Möglichkeit diskutiert. Schelling denkt, dass der Ur-Grund außerhalb der reflexiven Struktur der Vernunft liege. Wir könnten uns an das Absolute unendlich annähern, indem wir die Notwendigkeit der Freiheit unterwerfen. Diese Praxis bewegt sich im Gegensatz von der Freiheit und der Notwendigkeit. Das Absolute hat mit diesen Reflexionsbestimmungen nichts zu tun. Ihre Bewegung der Aufhebung der einen Bestimmung in die andere ist keine Bestimmung des Absoluten. Dieses ist vielmehr ihre absolute Negation. Hingegen hat Hölderlin das Absolute als eine Bewegung des Tragischen konzipiert, die als „bestimmte Negation“ das Absolute konstituiert.
2.6.1. Das Problem der intellektuellen Anschauung Die Tragödientheorie von Hölderlin, die er im Grund zum Empedokles entwickelt, geht von der Erkenntnis der Korrekturbedürftigkeit der Konzeption der Intellektuellen Anschauung aus, die er besonders in Urtheile und Seyn entwickelt hat.56 Er kritisiert einerseits Fichtes Wissenschaftslehre, und nimmt andererseits Platon und Spinoza auf, indem er das dem Bewusstsein vorangehende „Sein“ setzt und das Bewusstsein als die „Ur=Teilung“ oder Ich = Ich („Identität“) konzipiert. Dieses Sein könne weder durch die theoretische Erkenntnis, noch durch die Praxis, sondern nur durch die ästhetische Anschauung erreicht werden. Diese Anschauung sei eine Objektivierung der inneren Erfahrung der intellektuellen Anschauung, die der 56 Hölderlin benutzt die „intellectuale Anschauung“ statt der intellektuellen, die Schelling auch in der Ichschrift verwendet. Es ist nicht entschieden, ob Hölderlin von diesem Aufsatz von Schelling her diesen Ausdruck gelernt hat. Darüber und über Urtheil und Seyn siehe: Hölderlin und der deutsche Idealismus. Dokumente und Kommentare zu Hölderlins philosophischer Entwicklung und den philosophisch-kulturellen Kontexten seiner Zeit. Dargestellt und hg. von Chr. Jamme und F. Völkel, Stuttgart-Bad Cannstatt 2003, 4 Bd., Bd. 2: Jenaer Gespräche (1794 -1795), 136ff.
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Erkenntnis und der Praxis vorangehe. Das Ich bestehe nur, indem es vom anderen unterschieden werde. „Ich bin Ich“ enthalte schon den Gegensatz des Subjekts zum Objekt. Zur Vereinigung muss das eine dem anderen unterworfen werden, wie Schelling in den Briefen geschrieben hat. In dieser Ich-Entfaltung ergebe sich unvermeidlich ein Herrschaftsverhältnis. Dagegen will Hölderlin in der Homburger Zeit mit seiner „Vereinigungsphilosophie“ eine revolutionäre Forderung nach dem Schaffen einer auf der Liebe gegründeten Gesellschaft ausdrücken.57 Hölderlin setzt das Sein selbst dem Ur-Teilen des Bewusstseins entgegen. Das Sein gehe dem Bewusstsein voran und könne nur durch sich selbst verstanden werden. Dieses Verstehen könne sich in der ästhetischen Anschauung ereignen. In dieser Weise wollte Hölderlin das Tragische vermeiden, das unvermeidbar entstehe, wenn das Sein vom Bewusstsein vermittelt werde. Seine Lösung ist eine unmittelbare Anschauung des Seins selbst, die nichts anderes als eine ästhetische Nachahmung der intellektuellen Anschauung sei. Aber die ästhetische Anschauung bzw. die ästhetische Darstellung gleicht nicht dieser intellektuellen Anschauung. Das Individuum, in dem die intellektuelle Anschauung dargestellt werden soll, stellt Hölderlin vor eine Aporie. Wie Schelling kritisiert, liegen die „Schranken der Kunst“ in der Hineinbildung des Unendlichen in ein Individuum. Das Unendliche müsse in der ästhetischen Anschauung endlich werden. Wenn Hölderlin das „Sein“ durch eine bloße Entgegensetzung seiner Unendlichkeit gegen die Endlichkeit des Bewusstseins bestimmt, gewinnt Schellings Kritik ihr Recht. Es ist unklar, wie die Vermittlung des Unendlichen mit dem Endlichen möglich ist, wenn die ästhetische Anschauung die unmittelbare Einheit der beiden sein soll. Wenn das Unendliche nur durch seine Entgegensetzung mit dem Endlichen bestimmt wird, kann jenes mit diesem nicht vereinigt werden. Das Sein ist eine absolute Abstraktion vom Endlichen bzw. Bewussten und kann vom diesem nicht bestimmt werden. Aber die ästhetische Erscheinung ist eine Hineinsetzung des Unendlichen in das Endliche. Durch diese Unvermittelbarkeit erscheint ein schönes Individuum von seiner Welt isoliert und muss untergehen, da die Gestalt auch zufällig für das Unendliche ist. Wenn das Unendliche nur eine Abstraktion wäre, könnte es überhaupt nicht erscheinen und ästhetisch nicht angeschaut werden.58 Aber Hölderlin wollte das Sein ästhetisch darstellen und zeigen, dass das Sein „erkennbar“ sei. Wenn das Sein darstellbar ist, muss
57 Chr. Jamme, a.a.O. 87ff. 58 Vgl. Chr. Jamme, a.a.O. 118f.
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es in individueller Gestalt hineingesetzt werden, die nicht in einer Abstraktion liegt, sondern in der Welt. Hölderlin hat in seiner „Vereinigungsphilosophie“ eine Theorie der Forderung der intellektuellen Anschauung entwickelt, die aber nicht darstellbar ist. Er hat versucht, im Hyperion-Projekt das Sein ästhetisch darzustellen,59 aber diese Forderung zur unmittelbaren Hineinbildung des Unendlichen in das Endliche war eine Aporie, die nicht durchgeführt werden konnte. Hölderlin führt im Grund zum Empedokles ein Begriffspaar das „Organische“ und das „Aorgische“ ein, um diese Aporie zu lösen.60 Bei beiden Begriffen handelt es sich um ontologische Kategorien, die ihm ermöglichen, die beiden Konzepte, die sich vorher nur in absoluter Abgrenzung voneinander bestimmten, zur Vereinigung zu bringen. Die beiden stehen zwar in einem Gegensatz, der aber nicht wie in der früheren Auffassung, in einem statischen Zustand liegt. Er ist ein Resultat, das sich aus der ursprünglichen Einheit ergibt, welches, da es aus dieser kommt, wieder zu ihr zurückkehren soll. Die Gegensätze, die Hölderlin vorher wegen der Beschränktheit des Menschen angeführt hat, werden nun als die immanenten Bestimmungen des „Seins“ schlechthin verstanden. Die Grenzerfahrung, die die Vernunft trifft, wenn sie sich von der Natur emanzipiert, liegt darin, dass die unendliche Natur die endliche Vernunft als Grenze erkennt. Diese Erfahrung, die nichts anderes als die „intellectuale Anschauung“ ist, beginnt Hölderlin durch die Auseinandersetzung mit Schellings Briefen als das Tragische zu interpretieren. Das Tragische wird nicht mehr vermieden, sondern als Bestimmungen des „Seins“ aufgenommen. Die Entgegensetzung zwischen Sein und Bewusstsein wird neu konzipiert. Sie ist nicht mehr negativ, sondern positiv zu bewerten, da das Sein nur durch einen tragischen Prozess erscheint, dessen Darstellungsgestalt die Tragödie ist. Das Sein ist nicht mehr durch die absolute Negation der Trennung zu bestimmen, sondern trägt immanent diese Prozesshaftigkeit in sich, in der das Sein sich der Reflexion nähert und sich die Reflexion 59 D. Henrich, Grund im Bewußtsein, Untersuchungen zu Hölderlins Denken (17941795), Stuttgart 1992, 185ff. Hölderin wollte „die Theorie von Urtheil und Sein„ auf „ästhetische Probleme anwenden“ (D. Henrich, a.a.O. 300). 60 Nach K. Dahlke ist dieser Begriff als „eine Wortneubildung“, mit der Hölderlin seinen Gedanken, der nicht sprachlich ausgedrückt werden könne, zum Ausdruck bringe (K. Dahlke, Äußerste Freiheit. Wahnsinn/Sublimierung/Poetik des Tragischen der Moderne. Lektüren zu Hölderlins Grund zum Empedokles und zu den Anmerkungen zum Oedipus und zur Antigonä, Würzburg 2008, 198ff.). Die Verfasserin hält diese Sprachlosigkeit seines Gedanken für „die Fremdheit der Schizophrenie“ (K. Dahlke, a.a.O. 200).
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vice versa dem Sein nähert. Dieser tragische Prozess führt mittels der Erinnerung zu einer höheren Einheit.61
2.6.2. Einführung der Konzeption der Tragödie Wenn Schelling in seinen Briefen Hölderlins „Vereinigungsphilosophie“ kritisiert, ist Hölderlins Einführung der Tragödie als eine Antwort gegenüber Schellings Kritik zu interpretieren.62 Schelling kritisiert, dass die Kunst „Schranken“ hat, die die gegensätzlichen Momente nicht umfänglich vereinigen könnten. Die Tragödie sei ein Exemplar, das diese „Schranken“ verdeutliche, da sie nur eine bloße Nachahmung der intellektuellen Anschauung sei, die nur als Unterwerfung der Freiheit unter der Naturnotwendigkeit interpretiert wird, die dem Dogmatismus ein praktisches Ideal anbiete, die aber für den Kritizismus nicht akzeptabel ist. Für Schelling ist die Kunst als eine Nachahmung nur der Ausgangpunkt für die praktische Realisierung der intellektuellen Anschauung in historischer Perspektive. Hölderlin will die Tragödie anders verstehen, indem er sie als ein vollendetes Ideal darstellt, das weder durch die Theorie noch durch die Praxis erreichbar ist. Während Schelling die Tragödie für eine bloße Nachahmung der intellektuellen Anschauung hält, die nur auf einen statischen und augenblicklichen Moment hinweist, der erst durch die Praxis in der 61 Hölderlin hat den Begriff der Erinnerung, dem „eine grundlegende erkenntnistheoretische Funktion“ in der Philosophiegeschichte seit Platon zugeschrieben ist, weiter entwickelt. Die Erinnerung bildet den „Indifferenzpunkt“, in dem der ständige „Wechsel“ der Entgegengesetzten ihre Lösung findet (H. Bachmaier, „Hölderlins Erinnerungsbegriff in der Homburger Zeit“, in: Homburg vor der Höhe in der deutschen Geistesgeschichte. Studien zum Freundeskreis um Hegel und Hölderlin, hg. von Chr. Jamme und O. Pöggeler, Stuttgart 1981, 131-160). Besonders habe Hölderlin in der Religion bzw. dem Mythos den poetischen Erinnerungsgegenstand gefunden: „Erinnerung soll diese Vorstellung des höheren Geschicks, die Religion, hervorbringen: der Mythos wird zur umfassenden Vorstellungsweise und Einheit begründenden Erinnerungsform, das Erinnerungsbild zur Religion“ (H. Bachmaier, a.a.O. 157). 62 Chr. Iber, „Hölderlin und Schelling auf der Suche nach dem verlorenen Sein. Zur Entwicklung von Hölderlins Jenenser ästhetischer Konzeption“, in: Literarische Philosophie, philosophische Literatur, hg. von R. Faber und B. Naumann, Würzburg 1999, 118-127. Als die Reaktion von Hölderlin auf Schellings Kritik weist Iber auf die „Endfassung des Hyperion-Romans“ hin. (Vgl. Chr. Jamme, a.a.O. 214). Diese Arbeit geht davon aus, dass man in Hölderlins Tragödienkonzeption seine Gegenkritik finden kann.
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Geschichte verwirklicht werden soll, versteht Hölderlin sie als eine Gestalt, die einen geschichtlichen Prozess darstellt, der sich nicht bloß als Nachahmung eines statischen Moments begreifen lässt oder als Ausgangspunkt fungiert, sondern zum Zielpunkt führt. Die intellektuelle Anschauung ist für Hölderlin nicht nur ein augenblicklicher Moment, wie es Schelling versteht. Sie sei „ein tragisches Geschehen“, das durch die Schönheit erst erscheinen solle.63 Dieses Erscheinen ist die Bewegung des Tragischen, die in der Form der Tragödie dargestellt wird. Hölderlin erklärt, warum die Erfahrung der „tiefsten Innigkeit“ durch einen dramatischen Prozess erscheint. Diesen Gedanken hat Hölderlin im Grund zum Empedokles niedergelegt. Die intellektuelle Anschauung geschehe nur in der Form des „Gefühls“ und bleibe dem Menschen als eine unerkannte „Innigkeit“64. Diese sei, wenn sie erscheine, das Unbewusste, das das „Bewusstsein“ oder „die physische Sinnlichkeit“ als seine Grenze habe. Das Bewusstsein begrenze normalerweise „mäßig“ diese „Innigkeit“, die es ermögliche und ihm unerkannt bleibe, und gewinne seine Identität durch diese Begrenzung. Aber wenn diese Innigkeit dem Bewusstsein gegenüber erscheine und von ihm als seine Grenze erfahren werde, und ein „Übermaß der Innigkeit“ entstehe, erscheine der „Zwist“ zwischen den beiden. Durch diese Erfahrung erkenne der Mensch, dass er sich in der Entfremdung von der Natur befinde. Hölderlin wertet diese Entfremdung auf, da sie durch die organisierende Kunst des Menschen „die Vollendung der Natur“ ermögliche.65 Hölderlin ist der Auffassung, dass die Natur, die „Hen kai Pan“ sei, nicht in sich bleibe, sondern aus sich trete und sich dem „Aorgische[n]“ als Gegenpol entgegensetze, der es als das „Organische“ bearbeite. Das sei der notwendige Prozess der Kultur, der zur Bewegung der Natur gehöre. Durch die „exzentrische Bahn“ der Kultur kehre die Natur zu sich selbst zurück.66 Sie entferne sich von sich selbst durch das Austreten, das die Entgegensetzung der Kultur aufstelle, durch die die Natur wieder zu sich selbst finde. Dieser Verlauf stellt demnach den Prozess des Tragischen dar. 63 Chr. Jamme, a.a.O. 182. 64 E. Mögel, Natur als Revolution. Hölderlins Empedokles-Tragödie, Tübingen 1992, 3ff. 65 F. Hölderlin, „Der Grund zum Empedokles“, in: Friedrich Hölderlin. Sämtliche Werke. ,Frankfurter Ausgabe‘ Historisch-kritische Ausgabe (=FHA). Bd. 12. Empedokles I, hg. von D. E. Sattler, Stroemfeld/Roter Stern 1985, 418. 66 Diesen Gedanke der triadischen „Entfaltung des Geistes“ hat Schiller schon in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen entwickelt (Chr. Jamme, a.a.O. 75).
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Die Kultur wird als das Tragische aufgefasst, durch das der Mensch die ursprüngliche Einheit erweitere. Es liege darin, dass der Mensch nach seiner Grenzerfahrung die Grenze zu überwinden, bzw. zu entgrenzen versuche. Für Nietzsche ist die höchste Kulturform ein Kompromiss, der darin liegt, dass der Mensch nach seiner Grenzerfahrung, in der er das Dionysische erkenne und sein Selbst verliere, es mit einem schönen Schein verkleide, um den Ekel gegenüber seinem Leben zu verdecken und es vor der Grausamkeit der metaphysischen Macht zu erhalten. Das Transzendente sei für den endlichen Menschen grausam, da es sein Leben bedrohe, dass es, da es durch „Principium individuationis“ gestaltet sei, ekelhaft sei. Je stärker das Transzendente erscheine, desto stärkeren Schein brauche er, um es zu verhüllen. Der schönste Schein, der die höchste Kultur hervorbringe, verhülle das höchste Erscheinen des Dionysischen. Die menschliche Grenze gegenüber dem Transzendenten müsse durch den Schein verdeutlicht werden. Dagegen ist die Kultur Hölderlin nichts anderes als ein Versuch, das, was transzendent ist, immanent zu machen. Dieses müsse nicht verhüllt, sondern richtig dargestellt werden. Die Kultur sei demnach Ausdruck mittels der Erinnerung. Dieser Ausdruck sei nicht eine Täuschung, die das Transzendente verzerre, sondern eine Selbstdarstellung. Dieser Versuch könne nur in einer Form dargestellt werden, in der das Tragische erfahren wird. Das Tragische ist nicht nur eine Einsicht in die Grenze, sondern das Entgrenzen, das in der Geschichte das Transzendente vermittelt und es immanent macht. Die Tragödie sei die höchste Form, diesen tragischen Prozess der Selbstdarstellung des Transzendenten auszudrücken.67
2.6.3. Der tragische Prozess Statt „Sein“, das er in Urtheil und Sein konzipiert hat, benutzt Hölderlin in der Grund zum Empedokles das „Leben“, dessen Bewegung als Tragik darzustellen ist.68 Der tragische Prozess werde als eine Vollendung des Lebens verstanden. Die Darstellung des Lebens enthalte den Lösungsprozess des Konflikts, der durch das „Übermaß der Innigkeit“ verursacht sei. Der Konflikt entstehe zwischen dem „Aorgischen“ und dem „Organischen“, der Natur und der Kunst. Wenn dieses auf der Ichheit, bzw. dem „principium individuationis“ beruhe, sei jenes unbegrenzt bzw. unendlich. 67 In diesem Sinne wird die Tragödie von Hölderlin als „politisches Revolutionsdrama“ entworfen (K. Dahlke, a.a.O. 202). 68 Vgl. Chr. Jamme, a.a.O. 214.
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Diese Entgegensetzung werde aufgehoben, indem jedes sich dem anderem nähere und zu sich zurückkehre. Das Bewusstsein erfahre den Selbstverlust vor dem Unendlichen, indem es sich diesem nähere, und zu sich zurückkehre, indem es sich im verallgemeinerten Selbst wiederfinde. Die Natur werde individualisiert, indem sie sich dem Bewusstsein nähere, und kehre zu sich selbst, indem sie gestaltet werde. Der Übergang in das Andere sei zugleich die Rückkehr zu sich selbst. In dieser Wechselwirkung werden die beiden in einer Harmonie vereinigt. Das Aorgische werde individualisiert und das individuelle Bewusstsein werde verallgemeinert. Durch diese wechselseitige Annäherung werde eine höhere Einheit gefühlt. Der Empedokles suche nach dieser Einheit und fühle in sich, dass dieser tragische Prozess der wechselseitigen Annäherung in ihm durchgeführt sei. Das Göttliche sei durch diesen Prozess fühlbar gemacht worden. Empedokles erreiche die Einheit mit der Natur. Sie aber bleibe nur innig, d. h. wird nur von ihm gefühlt. Diesen Charakter vollendet Hölderlin in der 1. und 2. Fassung vom Tod des Empedokles durch seinen freiwilligen Tod. Die Einheit, die in einem Individuum erreicht ist, kann durch seinen Tod vollendet werden, da die Einheit, die er in sich erreicht hat, selbst begrenzt ist, da sie nur innig bleibt, und von der Äußerlichkeit abzugrenzen ist. Wenn die tragische Darstellung des Göttlichen durch den individuellen Tod dieses Charakters vollendet würde, wäre sie nur eine Abstraktion von der Welt. Die Natur und die Kunst sind nicht wirklich harmonisiert, sondern wieder voneinander isoliert, da der tragische Prozess nur in einem Individuum geschehen ist. In der 3. Fassung führt Hölderlin einen neuen Konflikt zwischen dem Empedokles und der Welt ein. Dieser Konflikt ist „real“ im Gegensatz zum idealen in der 1. und 2 Fassung, da er nicht nur „innig“ bleibt. Durch diesen realen Gegensatz wird die intellektuelle Anschauung, bzw. der tragische Prozess, der im Empedokles innig bleibt, in der Welt realisiert. Die Vollendung des tragischen Prozesses ist nicht mehr die eines Charakters, sondern eine Zusammenführung der Natur mit der empirischen Welt, bzw. der Kunst, die sich der Natur entgegensetzt. Der Tod von Empedokles gewinne den Sinn des „Opfers“ durch diese Vermittlung.69 Er bedeutet nicht mehr eine Bestätigung der Reinheit des 69 Diese Interpretation kritisiert Birkenhauer stark (Th. Birkenhauer, Legende und Dichtung. Der Tod des Philosophen und Hölderlins Empedokles, Berlin 1996). Sie versucht „die implizite Poetik der Texte zu entdecken“, „ohne einen vorausgesetzten Begriff des Tragischen oder Dramatischen zum Maßstab zu machen“, nach dem es die wichtigste Frage ist, „ob es Hölderlin gelinge“, „die Notwendigkeit des Todes“ zu erweisen.
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„Seins“, das durch die Individualität verfümmert ist, wie es in der 1. und 2. Fassung der Fall war, sondern eine entscheidende Vermittlung der Kultur in der Geschichte mit der Bewegung des Leben gewordenen Seins.70 Die Welt kann nicht eine intellektuelle Anschauung erreichen, und es nicht verstehen, wenn diese nur in einem Individuum gefühlt wird. Deswegen entsteht ein Konflikt zwischen der Welt und Empedokles. Er muss seine innig bleibende Erfahrung „erkennbar“ darstellen. Diese Darstellung ist ein Opfer, durch das seine Erfahrung, bzw. das ideale „Übermaß der Innigkeit“ in das reale Übermaß umgewandelt und „ein Gegenstand der ruhigern Betrachtung“ wird (FHA12, 425). Die Tragödie ist für Hölderlin eine besondere Form, die die theoretische und praktische Erkenntnis vereinigt. Wenn jene das individuelle verallgemeinert und diese das Allgemeine individualisiert (realisiert), veranschaulicht die ästhetische Erkenntnis die wechselseitige Vereinigung dieser beiden. Schellings Kunstkritik trifft Hölderlin nicht, da die Praxis nur eine Seite der beiden Annäherungsrichtungen ist. Die Tragödie ist nicht mehr eine statarische Nachahmung der innigen Erfahrung, sondern eine Vermittlungsform der Innigkeit mit der Welt. Die gemeinsame Überzeugung von Schelling und Hölderlin liegt in einer Einsicht, dass die Moderne als ein tragisches Zeitalter bestimmt wird. Das Tragische entsteht aus der Aporie der intellektuellen Anschauung, die Kant hinterlassen hat, und bildet den Ausgangspunkt für das Denken. Schelling ist der Auffassung, dass das Tragische durch die Praxis dargestellt wird, Hölderlin nimmt dagegen an, dass das Tragische durch das Schaffen einer Tragödie dargestellt wird. Hegels Konzeption der Tragödie kann nur in diesem nachkantischen Diskurs verstanden werden.
2.7. Hegel Uns ist es wichtig, das Motiv der Einführung der Tragödienkonzeption als ein philosophisches Thema bei Hegel zu verstehen. Das Motiv ist wie erwähnt gemeinsam mit Schelling und Hölderlin, die Aporie zu begreifen 70 Prignitz erklärt, wie Hölderlin die Bedeutung von „Schuld“ und „Tod“ während des Empedokles-Projekts verändert hat (Chr. Prignitz, Hölderlins ,Empedokles‘ Die Vision einer erneuerten Gesellschaft und ihre zeitgeschichtlichen Hintergründe, Hamburg 1985, 13ff.).
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und zu lösen, die von ihnen so verstanden wurde, dass Kant sie hinterlassen hat. Hegel entwickelt seine Konzeption ausgehend von der gemeinsamen Überzeugung durch die Auseinandersetzung mit Schelling und Hölderlin. Da er sie ständig bearbeitet und verändert hat, muss sein Gedankengang entwicklungsgeschichtlich untersucht werden. Dies soll im weiteren Verlauf synoptisch erfolgen. 1. Hegel hat in Bern die Konzeption der Tragödie in seine philosophischen Argumentationen eingeführt. In der Auseinandersetzung mit den Briefen von Schelling hat Hegel die geschichtliche Funktion der Tragödie konzipiert. 2. In Frankfurt bearbeitet Hegel seine Konzeption der Tragödie in der Auseinandersetzung mit der „Vereinigungsphilosophie“ von Hölderlin. Die Tragödie ist demnach als ein Selbstentwicklungsprozess des Absoluten zu verstehen. Sie ist nicht mehr eine vergangene Gestalt, die eine bestimmte Funktion ausgeübt hat, sondern als Darstellungsform des modernen Tragischen zu bestimmen. Aber Hegel erlangt zu der Einsicht, dass die Konzeption der klassischen Tragödie nicht mehr dem Problem des Tragischen in der Moderne gerecht wird, indem er das Leben von Jesus mit jener Konzeption darzustellen versucht. Die klassische Tragödie hat eine triadische Struktur, nämlich die ursprüngliche Einheit – die Selbstentzweiung derselben – die Rückkehr zu einer höheren Einheit durch die Erinnerung an die ursprüngliche. Diese Struktur hat er mit Hölderlin konzipiert. Eine neue Struktur der modernen Tragödie begreift er wie folgt: die Abwesenheit der ursprünglichen Einheit = das Vorhandensein der Trennung – ein Versuch einer Konstitution der Einheit – das Untergehen.
2.7.1. Die Tragödienkonzeption in Bern Hegel vertritt in der Tübinger Stiftzeit die frühere Position von Kant in der ersten Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft, der behauptet, dass die Postulate der praktischen Vernunft als das Prinzip a priori in der Begründung der Ethik anzunehmen seien.71 Durch die Aufnahme der Konzeption der sub71 K. Düsing, „Das Problem des höchsten Gutes in Kants praktischer Philosophie“, in: Kant-Studien 62 (1971), 5-42. In der Kritik der reinen Vernunft und Reflexionen hat Kant das höchste Gut als „ein Prinzip a priori begriffen, das die Ausführung des Sittengesetzes ermöglicht“ (K. Düsing, a.a.O. 15). Das höchste Gut ist ein Prinzip für die Begründung der Ethik. Während das sittliche Gesetz intelligibel ist, braucht seine Realisierung eine sinnliche Triebfeder. Eine wichtige Frage in der Ethik liegt darin, wie das intelligible moralische Gesetz auf die Sinnlichkeit einwirkt und „sittliche Triebfeder“ hervorbringt. Kants Argumentation kann als Folgende zusammenge-
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jektiven Religion im Gegensatz zur objektiven aus den damaligen Auseinandersetzungen im theologischen Kreis war Hegel davon überzeugt, dass das sittliche Gesetz die Triebfeder zur moralischen Handlung braucht, die aber nur durch die „Volksreligion“ gegeben werden kann. In Bern hat Hegel durch die Auseinandersetzung mit Schelling72 den Dogmatismus einer heftigen Kritik unterzogen und seine praktischen Postulate für die „Volksreligion“ aufgegeben, da die „Ethikotheologie“, die auf den praktischen Postulaten beruht, immer einer Gefahr ausgesetzt ist, sich in die „Physikotheologie“ umzuwandeln, die die Welt metaphysisch bzw. theoretisch strukturiert. Aber er hat seine Forderung einer „Volksreligion“ nicht aufgegeben. Die Methode, mit der sie begründet wird, erfährt eine radikale Veränderung. Die grundlegende Einsicht liegt darin, dass die Moderne ein Zeitalter der Trennung sei, die durch die Positivität in der jüdischen und christlichen Religion bestimmt ist, im Gegensatz zur griechischen Religion und Sittlichkeit in ihrer Realisierung. Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dieser Entgegensetzung konzipiert er, warum die moderne Trennung durch die „Volksreligion“ überwunden werden soll. Statt der praktischen Postulate bemüht sich Hegel, eine historische Untersuchung des griechischen Freiheitsideals durchzuführen. Dabei bekräftigt Hegel die Gründe für seine Forderung einer neuen Religion erneut, die in ihrer Kritik darauf abzielen, dass das Christentum nur ein Herrschaftsverhältnis hervorbringe, im Gegensatz zur griechischen Religion, in fasst werden. 1. Wenn das sittliche Gesetz uns ein unrealisierbares Gebot gäbe, verlöre es seine verbindende Kraft. 2. Das Sittengesetz kann nur uns befehlen, wenn seine Realisierung a priori garantiert ist. 3. Das höchste Gut muss das Prinzip a priori für die Realisierbarkeit des Sittengesetzes sein. Aber Kant hat in der Kritik der praktischen Vernunft die Triebfeder, die vom höchsten Gut stammt, als empirisch abgewertet und für die Begründung der Ethik ausgeschlossen. 72 Wie erwähnt, lässt sich diese Arbeit nicht auf eine genaue Darstellung der Wechselwirkungen zwischen den drei Denkern ein (Dafür, D. Henrich, Konstellation. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie (1789-1795), Stuttgart 1991). Hegel hat mit seinen Gedanken immer experimentiert und seine Konzeption ständig bearbeitet. Man kann nicht sagen, dass Hegel von Schelling bzw. von Hölderlin einseitig beeinflusst wurde, da man auch viele Belege dafür angeben kann, dass Hegel für den Gedankenbildung von den beiden auch eine bestimmte Rolle gespielt hat. Z. B. siehe über die Zusammenarbeit von Hegel und Hölderlin, Chr. Jamme, a.a.O. Über die Zusammenarbeit von Hegel und Schelling, K. Düsing, „Spekulation und Reflexion. Zur Zusammenarbeit Schellings und Hegels in Jena“, in: Hegel-Studien, Bd. 5, 1969, 95-128. Auch kann man nicht sagen, dass Hegels Gedankengang dargestellt werden kann, ohne die Wechselwirkungen bzw. Zusammenarbeit mit den anderen zu berücksichtigen.
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der der Mensch sein Leben frei gestalte, ohne sich einem anderen zu unterwerfen. Diese Entgegensetzung erlaubt ihm zu fordern, die gegenwärtigen Verhältnisse zu verändern, da das Ideal nicht ein bloßer illusionärer Begriff, sondern eine in der Vergangenheit realisierte Wirklichkeit ist. Zuerst kritisiert Hegel die Positivität des Christentums und stellt es der griechischen Religion entgegen, die durch die Tragödie vertreten wird. Mit der Theorie der Tragödie entwirft Hegel ein republikanisches Ideal für die Revolution, wie Schelling in seinen Briefen ihre Funktion in der Geschichte bestimmt hat. Das Christentum ist eine positive Religion. Die Positivität liegt darin, dass man seinen Glauben als eine „Pflicht“ ansieht, dem man sich unterwerfen soll. Dieser positive Glauben besteht aus den Sätzen, die die Wahrheit „unabhängig von unserm Fürwahrhalten“ ausdrücken, da Gott „die Quelle der Wahrheit, und wir unwissende, blinde sind“ (GW1, 352-353). Die Wahrheit geht von Gottes Geboten aus, unabhängig davon, dass sie vom Menschen für wahr gehalten werden. Die Fähigkeit zu einem positiven Glauben „sezt nothwendig Verlust der Freiheit der Vernunft, der Selbstständigkeit derselben voraus, die einer fremden Macht nichts entgegenzusezen vermag“ (ebd.). Hier beruft Hegel sich auf die Briefe von Schelling, in denen dieser dargestellt hat, dass die Option entweder für den Dogmatismus oder für den Kritizismus von der Selbstreflexion darüber abhänge, ob ich mich für ein freies Wesen oder ein passives halte. In gleicher Weise argumentiert Hegel, dass wenn man sich für ein freies Wesen hält, der Glaube nicht positiv sei. Der Glaube eines freien Menschen basiert auf dem „Fürwahrhalten“. Die Autorität der religiösen Wahrheit kommt nicht aus einem fremden Herrn, dem der Mensch sich blind unterwirft, sondern aus seiner Freiheit, in der der Mensch denkt und handelt. Um diese Entgegensetzung hervorzuheben untersucht Hegel den Verfallsprozess des schönen republikanischen Ideals und die Entstehung des Christentums, die einen geistigen Grund für die moderne Gesellschaft bestimmt. Hegel hält den geschichtlichen Ursprung des Verfalls für „glükliche Kriege, Vermehrung des Reichthums, und Bekanntschaft mit mehrern Bequemlichkeiten des Lebens, und mit Luxus“, die die „Aristokratie“ entstehen lassen. Damit wird die Religion privatisiert, als sie in die Hände der wenigen gelangte und ihre öffentliche Funktion verloren hat (GW1, 368). Alle Ursachen tragen dazu bei, dass die Römer ihren sich durch sich selbst bestimmenden moralischen Willen verloren haben. An die Stelle des Willens, der autonomisch ohne egoistische Interessen den ganzen Lebenszusammenhang bestimmt, tritt die „Hoffnung“ auf das jenseitige Leben Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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(GW1, 200).73 Die Hoffnung auf die Unsterblichkeit der Seele und das jenseitige Leben spiegelt in sich die Zerrissenheit ab, in der man vom gegenwärtigen Lebenszusammenhang isoliert auf die Befriedigung der individuellen Interessen konzentriert. Die Hoffnung kann leicht an die Eschatologie des Christentum angeschlossen werden, was das gegenwärtige Herrschaftsverhältnis garantiert, unter dem der Sklave durch den Verzicht auf das Recht zum gegenwärtige Leben steht (GW1, 76). Dagegen brauchten die Griechen die Hoffnung nicht, da sie für die Idee des Staates handelten und diese nicht durch ein praktisches Postulat beschützt werden musste. Durch diese geschichtliche Untersuchung des Verfallsprozesses und der damit verbundenen Vergrößerung der Empfänglichkeit für das Christentum will Hegel die vergangene Funktion der Tragödie hervorheben. Die öffentliche Freiheit in der griechischen Sittlichkeit wird von den durch die Kunst gebildeten freien Individuen konstruiert. Für die Bürger, deren Empfindung durch die Kunst veredelt und zur „Tugend“ erweitert wird, gibt es keine Trennung zwischen der Sinnlichkeit und der Vernunft. Ihre veredelte Sinnlichkeit enthält schon in sich den Inhalt von Freiheit und Vernunft und wird durch die autonome Handlung ausgedrückt. Die durch diese Handlungen konstituierte Polis verkörpert die griechische Sittlichkeit. Die Griechen „als freye Menschen gehorchten“ „Gesetzen, die sie sich selbst gegeben“, „gehorchten“ „Menschen, die sie selbst zu ihren Obern gesetzt“, führten „Kriege, die sie selbst beschloßen, gaben ihr Eigenthum, ihre Leidenschaften hin“, opferten „tausend Leben für eine Sache, welche die ihrige war …“ (GW1, 367-368). Sie „übten Tugendmaximen durch Handlungen aus, die sie ganz ihr eigen nennen konnten“. Aber diese „eigenen Gesetze“ sind nicht egoistisch gewählt, sondern kommen vom Gan73 In diesem Punkt kritisiert Hegel den „Mangel“ der Kantischen Ethik. Das Gebiet der Handlung, als der Äußerung der Willensbestimmungen gehört für Kant zur Erfahrung, die nicht im Gegenstand seiner Ethik enthalten ist. Für das Gebiet der Erfahrung, d. h. die Realisierbarkeit des Guts und für die Kompensation des Mangels führt Kant das Gebiet des Glaubens ein (Vgl. I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft. Mit einer Einleitung, Sachanmerkungen und einer Bibliographie von Heiner F. Klemme, hg. von H. D. Brandt u. H. F. Klemme, Hamburg 2003, 173 (=A. 231f.). „Die christliche Sittenlehre ergänzt nun diesen Mangel (des zweiten unentbehrlichen Bestandstücks des höchsten Guts) durch die Darstellung der Welt, darin vernünftige Wesen sich dem sittlichen Gesetzte von ganzer Seele weihen, als eines Reichs Gottes, in welchem Natur und Sitten in eine, jeder von beiden für sich selbst fremde, Harmonie, durch einen heiligen Urheber kommen, der das abgeleitete höchste Gut möglich macht“).
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zen der Sittlichkeit her. Sie leben nicht für egoistische Zwecke, sondern für „die Idee seines Vaterlandes“, die „das unsichtbare“ war, weil sie nicht konkret buchstabiert ist. Die Idee, die den Einzelnen auf unsichtbare Weise eine Handlungsorientierung gibt, ist der innere Trieb, der den konkreten Inhalt enthält, der in der Wirklichkeit dargestellt ist. Die Freiheit, die das Prinzip der Handlung, nämlich die „Tugend“74 ausmacht, tritt der Naturnotwendigkeit entgegen. Dieser Konflikt zwischen Freiheit und Naturnotwendigkeit, den Hegel in der Antigone findet, geschieht, da die Götter „im Reiche der Natur“ herrschten, und die Menschen sich von dieser Natur befreiend nur aus dem Freiheitsprinzip handeln. Der Konflikt weist darauf hin, dass die Menschen nicht mehr unter der Herrschaft der Natur stehen.75 Die Götter geben nicht vor „das Princip, was der Mensch zu thun“ hat (GW1, 370). Antigone wird als ein freies Wesen interpretiert, das gegen die Naturnotwendigkeit, gegen die Naturherrschaft ihre Freiheit ausdrückt. Sie ist ein rein autonomes Wesen, das nicht „eine von sich gemachte oder abstrahirte Moral“ aufstellt, die es andern zumutet. Jeder hat seine eigene Handlungsmaximen, die nicht verallgemeinert werden dürfen. Aber diese Gesetze zerstören nicht die „Idee“ des Staates, sondern tragen zu ihrem Bestehen bei. Zwar erklärt Hegel nicht, wie die eigenen Handlungsmaximen in einer Idee harmonisiert werden können, wenn sie miteinander konfligieren. Hegel betrachtet den Staat als ein reines Freiheitswerk, das durch die Tragödie als ein Resultat des Sieges der Freiheit gegen die Naturnotwendigkeit dargestellt wird. Dieses Werk ist ein Selbstbezug, in dem die individuellen Freiheitsverfolgungen nicht der Idee der Freiheit widersprechen. Von Schelling hat Hegel gelernt, dass der Konflikt in der Antigone zwischen der Freiheit und der Naturnotwendigkeit angelegt ist. Aber er bestimmt sie nicht als eine „Nachahmung“ der intellektuellen Anschauung, bzw. als eine Darstellung der Aporie. Die Tragödie drückt die „Idee“ des Staates aus, in dem sich die Freiheit gegen die Naturnotwendigkeit durchsetzt. Sie zeigt eine Lösung dieser Aporie, nämlich der Konflikt müsse durch den Sieg der Freiheit gelöst werden. Hegel hat sich nicht mit den erkenntnistheoretischen Problemen auseinandergesetzt, sondern sich auf die geschichtlichen Probleme konzentriert,
74 Hier beruft sich Hegel ausdrücklich auf Montesquieu. 75 Über die Entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zur Antigone-Interpretation von Hegel, Ch. Fan, a.a.O.
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wie Lukács anmerkt.76 Die Aporie, die Kant hinterlassen hat, kann zuerst als ein rein erkenntnistheoretisches Problem angesehen werden. Aber Schelling hat dieses Problem als ein geschichtliches interpretiert, dass die Tragödie als eine Darstellung dieser Problematik einen Anlass zur praktischen Lösung gegeben hat, die erst in der Geschichte durchgeführt werden muss. Die Aporie, die als das Tragische in der Geschichte erscheint, wird in der Gestalt der Tragödie dargestellt. Damit wird die rein erkenntnistheoretische Problematik als eine geschichtliche Erfahrung uminterpretiert, die in der Geschichte ihre Lösung finden soll. Hegel hat Schellings Interpretation dergestalt konstruktiv aufgenommen. Die Tragödie wird als eine geschichtliche Lösung des schicksalhaften Konflikts dargestellt, die in der Geschichte wieder verloren gegangen ist und wieder eingeführt werden soll. Diese republikanische Interpretation der Tragödie hat Hegel in Bern entwickelt und bald aufgegeben, da sie auf einer abstrakten Entgegensetzung basiert und den Konflikt, der besonders in der Antigone geschieht, nur als einen zufälligen behandelt. Wenn die Naturherrscher nicht mehr Anspruch auf ihr Recht erheben können und der Mensch rein aus seiner Freiheit handelt, kann ein notwendiger Konflikt zwischen den beiden nicht geschehen, da die Freiheit sich schon von der Naturnotwendigkeit befreit hat. Zwar „konnte“ der Konflikt geschehen, der aber seine Notwendigkeit verloren hat. Die Natur, die im Gegensatz zur Freiheit als „Zwang“ konzipiert wurde, hat Hegel in Frankfurt als das „Leben“ begriffen, das als ein Prozess den Konflikt aus sich selbst herstellt und löst.77 Der Konflikt in der Tragödie wird nicht mehr als eine zufällige Entgegensetzung zwischen der Natur und der Freiheit, sondern als eine notwendige Selbstentzweiung des Lebens.
2.7.2. Die Tragödienkonzeption in Frankfurt Wenn die Untersuchung über die Positivität des Christentums in Bern sich darauf richtete, wie die positive Moderne nach dem Untergang der griechischen Sittlichkeit entstanden ist, setzt sich Hegel in Frankfurt mit der Frage auseinander, wie diese moderne Positivität überwunden werden kann, indem er durch die neu bearbeitete Tragödienkonzeption, die er 76 Das ist die zentrale These des ersten Kapitels einer Studie von Lukács. (G. Lukács, Der junge Hegel. Über die Beziehungen von Dialektik und Ökonomie, Georg Lucács Werke Bd. 8, Neuwied/Berlin 1967, 35-134. 77 Chr. Jamme, a.a.O. 264f.
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durch die Auseinandersetzung mit der „Vereinigungsphilosophie“ von Hölderlin gewonnen hat, das Leben von Jesus interpretiert. Die Tragödie gilt nicht mehr als eine vergangene Gestalt, die die Siegesgeschichte der Freiheit dokumentiert. Es bedarf der Untersuchung, ob sie noch eine die Wirklichkeit verändernde Kraft in der Moderne hat. Hegel konzentriert sich in der ersten Fassung vom Christentum und sein Schicksal auf die Entgegensetzung der Positivität des jüdischen bzw. modernen Geistes gegen die griechische Harmonie. In der zweiten führt er die Konzeption der Tragödie ein, die ermöglicht, die moderne „Zerrissenheit“ zu überwinden.78 Denn eine Kritik durch eine Entgegensetzung, die in der ersten Fassung durchgeführt ist, ist nichts anderes als eine Beschreibung des Vorhandenen, das nur mit dem Vergangenen verglichen wird, das als ein Ideal und als eine bloße Forderung der Realisierung des Ideals gilt. Hier fehlt eine Reflexion über die konkrete Realisierbarkeit des Ideals. In der triadischen Tragödienkonzeption, die in der zweiten Fassung eingeführt wurde, findet Hegel eine Überwindungsmöglichkeit des Vorhandenen. Er unternimmt es, das Leben von Jesus als eine Tragödie zu interpretieren. Das Tragische, das Hegel in Bern versteht, wird als eine Entgegensetzung zwischen zwei Mächten, der Naturnotwendigkeit und der Freiheit dargestellt, aus der sich der Sieg der Freiheit ergibt. Hierbei wird nicht gefragt, wie diese Entgegensetzung entstanden sei. Die Herrschaft der Freiheit, der die Naturnotwendigkeit unterworfen wird, ermöglicht den Griechen, eine autonome Gesellschaft zu stiften. Dabei wird Tragödie – analog zu Schellings Konzeption – als eine vergangene Gestalt verstanden, die eine bestimmte Funktion ausgeübt hat. In Frankfurt bearbeitet Hegel sein Verständnis des Tragischen, indem er die Entgegensetzung nicht als gegeben, sondern als entsprungen aus der ursprünglichen Einheit konzipiert. Das Tragische ist nicht mehr ein Geschehen, das entstehen kann, wenn die schon befreite Freiheit mit der Natur konfligiert. Es ist vielmehr eine notwendige Bewegung des Lebens, das sich entzweit und zu sich zurückkehrt. In dieser triadischen Konzeption der Tragödie, die er in der alten Tragödie findet, versucht Hegel das Leben als eine Tragödie zu interpretieren. Jesus erscheint als ein tragischer Held, der nicht mehr als bloßer Tugendlehrer das Judentum kritisiert, wie
78 Chr. Jamme, a.a.O. 220f. Deswegen behauptet Hegel nicht mehr die „Wiederauferstehung“ der griechischen Religion, sondern entdeckt das Christentum als „Liebesreligion“ neu, da die ursprüngliche Absicht und die Handlung von Jesus eine Stiftung der Bewegung des Tragischen war.
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Hegel in Bern gedacht hat, sondern sich einer positivistischen Epoche entgegensetzt.79 Aber bald erkennt Hegel, dass das Leben von Jesus nicht durch die Konzeption der alten Tragödie verstanden werden kann, indem er über den Unterschied zwischen der alten und modernen reflektiert. Eher gehört das Leben von Jesus zu letzterer. Hegel entwickelt seinen Begriff der Tragödie durch die Abgrenzung des Schicksals Jesu von dem des jüdischen Volks und des Christentums. Der Begriff des Schicksals, den er durch die Auseinandersetzung mit der „Vereinigungsphilosophie“ von Hölderlin und durch das Studium der altgriechischen Tragödie gewonnen hat, besteht in der Selbstentzweiung des Lebens und in seiner Versöhnung mit sich selbst. Der Grund der Versöhnung liegt darin, dass die Entzweiung aus der Einheit des Lebens notwendigerweise erfolgt. Hegel unterscheidet diesen Begriff des Schicksals als der Versöhnung von dem des jüdischen Volks oder des Christentums, das als „Fatum“, als eine leere Notwendigkeit angeschaut wird (TW1, 298). Dieses ist die nicht subjektive, sondern die das Subjekt vernichtende objektive Macht, die für das Subjekt als ein fremdes Wesen erscheint, dem es untersteht. Dagegen ist das Schicksal nicht ein Objekt, sondern eine Bewegung des Lebens, in der das Individuum zwar seinen Untergang erfährt, aber diesen freiwillig annimmt. Dem Schicksal des jüdischen Volks und dem aus diesem entsprungenen modernen Rechtssystem stellt Hegel das Schicksal Jesu entgegen. Indem er das Schicksal Jesu mit den Begriffen der antiken Tragödie interpretiert, vergleicht er das Leben unter dem Begriff des strafenden Gesetzes mit dem Leben der antiken Tragödie. Durch den Vergleich kritisiert Hegel einerseits das moderne Rechtssystem und hebt das durch die Begriffe der Tragödie interpretierte Leben Jesu hervor. Andererseits macht er den Unterschied der antiken Tragödie von der modernen deutlich. Zwar findet Hegel in der Tragödie Jesu den Begriff des Schicksals in der antiken Tragödie, aber ist es ihm ganz klar, dass jene sich im Konflikt mit dem Schicksal des jüdischen Volks findet. Der Konflikt in der Tragödie Jesu ist von dem in der antiken zu unterscheiden. Die Einsicht in diesen Unterschied führt Hegel dazu, in der Tragödie Jesu eine Ausprägung der modernen Tragödie zu finden. Zwar sieht Hegel den deutlichen Unterschied zwischen der Tragödie Jesu und der von Shakespeare, aber diese beiden Tragödien haben 79 Th. Birkenhauer stellt das Jesus-Bild vom jungen Hegel innerhalb der „Diskussion um Sokrates“ im 18. Jahrhundert dar (Th. Birkenhauer, a.a.O. 59ff.). Hegel habe dieses Bild aus dieser Diskussion entwickelt, wie Hölderlin das Bild von Empedokles (Th. Birkenhauer, a.a.O. 85ff.).
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eine gemeinsame Eigenschaft, die sie kategorisch unter der modernen Tragödie subsumiert. In der modernen Tragödie rückt die Zerrissenheit und Entfremdung des Menschen in den Blickpunkt, was in der typischen antiken Situation nicht der Fall ist, die nur aus dem harmonischen sittlichen Ganzen und die dieses harmonische entzweiende Handlung erfolgt. In der modernen Tragödie wird ein Versuch eines Charakters unternommen, der eigentlich „weltlos“ aussieht, aber trotzdem sinnvoll auf den Zuschauer wirkt, die Selbständigkeit vor dem Hintergrund wiederherzustellen, vor dem diese eigentlich nicht mehr wiederhergestellt werden kann. Dazu wird im weiteren Verlauf die Hegelsche Kritik des Schicksalsbegriffs des jüdischen Volks und des modernen Rechtssystems betrachtet und untersucht, wie Hegel den Begriff der Tragödie angenommen hat. Im Anschluss hieran werden ein Vergleich des Begriffs der Tragödie mit dem Shakespeareschen Tragödienbegriff vorgenommen und weitere Reflexionen über die moderne Tragödie präsentiert. 2.7.2.1. Kritik des Schicksals des jüdischen Volks und Ableitung der Moderne aus dem jüdischen Geist Während Hegel die moderne „Zerrissenheit“ ableitet, die von der griechischen Tragödie aus dem Untergang der griechischen Religion ausgeht, sieht er in Frankfurt den Ursprung derselben ausschließlich im jüdischen Geist und setzt diesen dem griechischen entgegen. Das vom Geist von Abraham stammende Schicksal des jüdischen Volks, in dem das Subjekt durch die Unterwerfung der Wirklichkeit unter dem Gedachten von sich entfremdet, ergibt sich aus der Reflexion, wie der aus dem Naturzustand ausgetretene Mensch sich zu der zum Feind gewordenen Natur verhält. Dieser Mensch steht in der Entgegensetzung mit der Natur, anders als im Naturzustand, in dem eine unmittelbare Einheit des Menschen mit der Natur existiert, die Hegel als die „Beziehung“ bezeichnet (Nohl, 368).80 Der Naturzustand ist nach Hegel die schöne „Beziehung“ der Liebe sowohl zwischen der Natur und dem Menschen als auch zwischen den Menschen, die nichts als die „Gottheit“ ist. Gott im wahrhaften Sinne ist kein Objekt für die Erkenntnis oder den Dienst, sondern die lebendige „Beziehung“ der Menschen zueinander bzw. des Menschen mit der Natur. Abraham ging das Wagnis ein, sich aus dieser „Beziehung“ zu tren80 Vgl. H. Busche, Das Leben der Lebendigen, Hegels politisch-religiöse Begründung der Philosophie freier Verbundenheit in seinen frühen Manuskripten (Hegel-Studien, Beiheft 31), Bonn 1987, 173-174.
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nen, d. h. Gott zu verlassen, um unabhängig zu werden. Dazu musste er sich als „ein Fremdling auf Erden“ machen, d. h. sich von anderen Menschen trennen und entfremden, weil er die Liebe selbst verlassen hat. Als der von der Beziehung mit der Natur Abgeschnittene wird Abraham zur „Reflexion auf ein Ganzes des Daseins“, die „Einheit“ seines Daseins getrieben, die von der „Mannigfaltigkeit der Begebenheiten“ zu unterscheiden ist, von der er sich isoliert. Die von der Mannigfaltigkeit getrennte Einheit des Daseins hat „Beziehung“ verloren. Die Reflexion auf die Einheit zwingt Abraham einen Gott zu erfinden, der als ein Mittel funktioniert, sein Leben zu schützen und zu leiten. Seine Gottheit ist „das Bild desselben im Spiegel“, das nur seinen „Erhaltungstrieb“ ausdrückt. Dieser Reflexion, die abgeschnitten von der lebendigen Beziehung sich auf das isolierte Selbst bezieht, setzt Hegel die „Reflexion in sich“ entgegen, die zwar die Trennung voraussetzt, aber das Selbst in der Entgegensetzung mit dem Andern vorstellt. Das von der Abstraktion befreite Selbst hat in sich schon das Ganze, aus dem die Entzweiten ausgegangen sind. Die „Reflexion in sich“ bezieht sich auf das Ganze, das als „Vereinigung beider“ zu begreifen ist. Die griechischen Götter sind „die einzelnen Vereinigungen, die die Griechen mit dem Schicksal zu machen den Mut hatten“ (Nohl, 369). Das Schicksal, d. h. das Gegenüberstehende muss in die lebendige Beziehung durch die Liebe mit dem Selbst vereinigt werden, die nur in der „Praxis“ bewerkstelligt wird.81 Abraham, der die Reflexion auf sein Dasein übt, hat sich seinem Schicksal nicht entgegengesetzt, weil es ihm nur um seine von dem „Lebenszusammenhang“ abstrahierte Existenz geht. Er ist nicht in der Lage, die verlorene Beziehung noch wiederzugewinnen. Stattdessen hat er eine illusionäre Beziehung geschaffen bzw. postuliert,82 die in der Wahrheit nur das Herrschaftsverhältnis bedeutet. Die Verfeindung mit der Natur und die Entfremdung des Menschen, die sich darin ausdrückt, dass der Mensch sich von seinem wahren Wesen scheidet, das nur in der harmonischen Beziehung der Natur mit den Menschen liegt, fordern den Menschen auf, das Verhältnis zwischen Natur und Menschen neu zu bestimmen. Die Juden versuchen die Natur und die anderen Menschen zu beherrschen, um diese Entfremdung aufzuheben. Die Beherrschung der Natur und der Menschen ist die einzige Weise, die Existenz des Menschen gegen die feindliche Natur und die anderen Menschen abzusichern. Zur Beherrschung hat das jüdische Volk ein Ideal von 81 H. Busch, a.a.O. 180. 82 Die Kritik des jüdischen Geistes sollte als eine Parodie der Postulatenlehre von Kant interpretiert werden.
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Gott neu erfunden, demgegenüber das Volk „alles als Gedachtes, d. h. als Beherrschtes“ setzt. Das Volk ist nicht in der Lage, aus sich selbst die Natur zu bewältigen. Als Fremdling ist es der Gefahr ausgesetzt, von den anderen abhängig zu werden. „Dieser schauderhaften Wirklichkeit zu entfliehen, suchten die Menschen in Ideen Trost“ (TW1, 295). Das Volk hat sich dazu bestimmt, nicht von den anderen Völkern oder der Natur abhängig zu bleiben, sondern eine Idee zu finden, von der es beherrscht wird, damit es die anderen Völker bzw. die Natur beherrschen kann. Diese Idee wird in einer Gestalt des Individuums hypostasiert, dem alles untersteht. Dieses Ideal ist Gott, der befiehlt, dass alles ihm gehorchen soll, weil er alles beherrscht. Nach Hegel ist „die Wurzel seiner Gottheit“ „seine [des jüdischen Volks – C. C.] Verachtung gegen die ganze Welt“ (TW1, 279).83 Das jüdische Volk hat sich von sich entfremdet, um unabhängig zu bleiben. Aber durch die Entfremdung entsteht eine neue Gefahr, von der Natur beherrscht zu werden. Um sich von dieser traurigen Situation zu befreien, hat das Volk eine Idee entworfen, die als ein Ideal alles beherrscht. Die Folge der Handlung des Volks widerspricht seiner Absicht, die in dem Erreichen der Unabhängigkeit besteht. Diese Absicht hat es zur absoluten Passivität gebracht. Es unterwirft sich Gott, indem es die Welt unter dem Ideal als einem absoluten Objekt stellt. Dieser Versuch, die Natur zu beherrschen, um die eigene Entfremdung zu überwinden, führt dazu, die andersartige, aber unüberwindliche „Entfremdung von Gott“ hinzunehmen, die als sein „Fatum“ festgesetzt ist. Dieses Schicksal als „Fatum“ opfert dem abgeschiedenen absoluten Objekt die Vernunft und die Freiheit des Willens der Menschen. Diese Opferung mündet in die „Knechtschaft gegen ein Gesetz“, das Gott ihnen gibt. Sie erscheint im Individuum als „Willenlosigkeit“, „in Beziehung auf andere Menschen“ als „Gefühllosigkeit, Mangel schöner Beziehungen, Liebe“ (TW1, 299). Diese die Subjektivität vernichtende Knechtschaft fordert „ein Bewußtsein seiner Vernichtung“ (TW1, 318). Die Handlung
83 Assmann vertritt diese Ansicht. Um seine Identität zu erhalten, hat das jüdische Volk eine monotheistische Religion erfunden, in der nur „EIN Gott“ anerkannt wird. Da es in der kolonisierten Situation keine politische Macht hat, hat es eine rein intellektuelle Religion erfunden. In der Wirklichkeit wird es vom andern beherrscht, aber es ist von Gott ausgewählt, der es von der Wirklichkeit rettet (J. Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992, 196-211).
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aus der Knechtschaft drückt nicht sein Sein, sondern „sein Nichts-Sein“, „seine Passivität“ aus. Die Folge, dass das jüdische Volk sich der Idee unterstellt, ist fatal. Gott als ein Ideal ist die ideelle Substanz, die vom Menschen, d.i. von der Wirklichkeit getrennt ist, ihr gegenübersteht und sie beherrscht. Als das objektive Wesen ist Gott ein Gedanke, der als die von der Abstraktion abgeleitete „Verstandeseinheit“ den Menschen als wirklichen zum Besonderen herabwürdigt. Der Mensch, der von der allgemeinen Substanz beherrscht ist, ist ein passives Wesen, das keinen Willen in sich hat und vom fremden Willen kontrolliert ist. Nach diesem grundlegenden Begriff vom jüdischen Volk beschreibt Hegel dessen Geschichte. Es erhebt die gedachte Idee zu Gott auf Grund der Verachtung anderer Völker und entschließt sich, von der hiervon ausgehenden Idee beherrscht zu werden. Die politische Unabhängigkeit beim jüdischen Volk bedeutet einerseits die Verachtung der anderen Völker, andererseits das vollkommene Beherrschtwerden von Gott. Dagegen verweist die politische Unabhängigkeit beim griechischen Volk auf die Selbstentwicklung des menschlichen Wesens und seine vollkommene Realisation. „Der Zustand der Unabhängigkeit anderer Völker ist ein Zustand des Glücks, ein Zustand schönerer Menschlichkeit; der Zustand der Unabhängigkeit der Juden sollte ein Zustand einer völligen Passivität, einer völligen Häßlichkeit sein“ (TW1, 294). Der einzelne Jude war „ein politisches Nichts“, weil er sich aus sich selbst als ein passives Wesen bestimmt hat. Hegel leitet die Analyse der modernen Zerrissenheit von der des jüdischen Geistes ab, dessen „Häßlichkeit“ von der griechischen Schönheit zu unterscheiden ist.84 Seine Kritik des Judentums ist eine propädeutische
84 Vgl. Nohl, 368. „Der Geist der Griechen ist Schönheit; der Geist der Orientalen Erhabenheit und Größe“. Beim jungen Hegel gehören die „Erhabenheit“ und die „Häßlichkeit“ zusammen. Nicht zuletzt verbindet er die beiden Kategorien mit der Kategorie der Trauer. (Und auch Vgl. GW1, 282). „Der traurige Zustand der jüdischen Nation, – einer Nation, die ihre Gesezgebung von der höchsten Weisheit selbst ableitete, und deren Geist nun unter einer Last statutarischer Gebote zu Boden gedrükt war, die pedantisch jeder gleichgültigen Handlung des täglichen Lebens eine Regel vorschrieben, und der ganzen Nation das Ansehen eines Mönchsordens gaben – sowie sie das heiligste, den Dienst Gottes und der Tugend, in todte Formulare geordnet und eingezwängt hatten, und dem Geist nichts als noch hartnäkkigen Stolz auf diesen Gehorsam der Sklaven gegen sich nicht selbst gegebene Geseze übrig liessen, der auch durch die Unterwerfung des Staats unter eine fremde Gewalt tief gekränkt und erbittert wurde …“
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Arbeit zur ausführlichen Kritik der Moderne und der Aufklärung.85 Die Kritik des jüdischen Geistes kann als eine Parodie der praktischen Philosophie Kants gelesen werden. Die praktische Vernunft, die sich von der Ganzheit des Menschen isoliert und sich von der Mannigfaltigkeit der Sinnlichkeit bzw. der Neigung trennt, muss das Dasein Gottes postulieren, um ihre Unabhängigkeit zu erhalten. Die Gesetzgebung der Vernunft kann insofern ausgeführt werden, als Gott die Möglichkeitsbedingungen der Verwirklichung der Freiheit garantiert. Die Vernunft ruft das Dasein Gottes an, um ihre Autonomie zu erhalten. Sie unterwirft sich dem Gott, um ihre Herrschaft auf der Erde abzusichern. Die Versklavung der Vernunft unter Gott garantiert die Versklavung der Mannigfaltigkeit der Sinnlichkeit unter der Vernunft. Das Schicksal des jüdischen Volks, das in der Passivität gegen das gedachte absolute Objekt eingeschlossen ist, ist auch im modernen Rechtssystem zu finden, in dem das Gesetz als gedacht außer dem Menschen, dem Verbrecher von außen kommt und ihn bestraft, indem der Verbrecher als das Besondere sich passiv gegen das Gesetz verhält.86 Die Zerrissenheit der Moderne zeigt den „traurigen Zustand“ des jüdischen Volks, in dem die Trennung herrscht, im Gegensatz zur griechischen 85 G. Rohrmoser, Herrschaft und Versöhnung, Freiburg 1972, 74 und H. Busche, a.a.O. 178. Vgl. TW1, 292 „Alle folgenden Zustände des jüdischen Volks, bis auf dem schäbigen, niederträchtigen, lausigen Zustand, in dem es sich noch heutigenstags befindet, sind weiter nichts als Folgen und Entwicklungen ihres ursprünglichen Schicksals, von dem – einer unendlichen Macht, die sie sich unüberwindlich gegenübersetzten – sie mißhandelt wurden und so lange werden mißhandelt werden, bis sie es durch den Geist der Schönheit aussöhnen und so durch die Versöhnung aufheben“. 86 In Bern hat Hegel schon die These entwickelt, dass die Naturbeherrschung durch die Postulate des Daseins Gottes gerechtfertigt werde. Im Bericht über eine Alpenwanderung finden wir, wie Lukács schon darauf hingewiesen hat (G. Lukács, a.a.O. 54), folgende Anmerkungen. „In diesen öden Wüsteneien hätten gebildete Menschen vielleicht eher alle andere Theorieen und Wissenschaften erfunden, aber schwerlich denjenigen Theil der Physikotheologie, der dem Stolze des Menschen beweist, wie die Natur für seinen Genuß und Wohlleben Alles hinbereitet habe; ein Stolz, der zugleich unser Zeitalter charakterisirt, indem er eher seine Befriedigung in der Vorstellung findet, was Alles für ihn von einem fremden Wesen gethan worden ist, als er sie in dem Bewußtsein finden würde, daß er es eigentlich selbst ist, der der Natur alle diese Zwecke geboten hat“ (GW I, 391). Diese Anmerkung weist indirekt auf die Geschichte von Abraham hin, der zur Naturbeherrschung das Dasein eines fremden Wesens postuliert. Diese Geschichte findet Hegel auch in den „Städtebewohner“, denen Gott als ein schützendes Wesen ihr Leben kompensiert.
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Sittlichkeit, in der die Harmonie des Menschen mit der Natur zu finden ist. Der Auftritt der Individuen, die von der sozial-vernünftigen Solidarität abgeschnitten sich bemühen, ihre egoistischen Bedürfnisse zu befriedigen, zeigt den Entwicklungsprozess des modernen Kapitalismus. Diese Individuen arbeiten nur für ihre Existenz. Aus dieser sozialen Isolation und Abstraktion kommt die Trennung der Individuen vom Rechtssystem, welches das soziale Verhältnis stiftet. 2.7.2.2. Kritik des strafenden Gesetzes in der Moderne Hegel bezieht das jüdische Schicksal auf das Rechtssystem und versucht das Problem der Entfremdung des Menschen unter den Gesetzen durch den Vergleich derselben mit der Versöhnung in der Tragödie zu explizieren, die nur bei den Griechen zu finden ist. Im jüdischen Schicksal bleibt die Idee als gedacht über die Menschen als wirklich, die nur ihr gehorchen sollen. Dieses Herrschaftsverhältnis spiegelt das bereits angeführte Verhältnis von Abraham ab, das er zu Gott hat. Um die von ihm gehasste Natur und den Menschen zu beherrschen, hat er sich zum Knecht herabgewürdigt und die Idee Gottes erfunden, die als der Herr seine Existenz schützt. Diese Idee tritt im Rechtssystem als das Gesetz über die Menschen auf, das nur als gedacht die Wirklichkeit beherrscht. Sobald die Wirklichkeit abgewertet wird, tritt über sie die Idee, in die sie aufgehoben werden soll. Die Wirklichkeit hat ihr Bestehen lediglich in der Idee und ist absolut abhängig von dieser. Der Verbrecher hat ein wirkliches Recht eines Anderen verletzt. Diese Verletzung eines besonderen Rechts aber ist die Verletzung des allgemeinen, da es „nur ein Gedachtes“ ist (TW1, 339). Der Verbrecher beabsichtigt ein wirkliches Recht eines Anderen zu verletzen. Aber sein Tun ist eine Negation des Rechts als solchen, d.i. er hat sein Recht verletzt, welches dem allgemeinen untersteht. Er hat nur den Begriff seines Rechts verloren. Die Folge auf sein Handeln aber ist die Strafe, die auf das Recht in der Wirklichkeit zurückwirkt. Er hat das Recht in der Wirklichkeit verloren, indem er den Begriff verloren hat. Wenn die Strafe auf das Verbrechen verdient ist, kann sie nie aufgehoben werden. Wenn die Strafe dem Verbrechen nicht notwendig folgte, dann „höbe sich“ das Gesetz auf (ebd.). Das Gesetz ist das gedachte Allgemeine, das als der Maßstab für die Beurteilung der Handlung des Individuums als des Besonderen funktioniert. Wenn diese Handlung jenem nicht angemessen ist, wird sie als das Verbrechen bestimmt. Das Verbrechen als das Besondere ist ein Versuch, sich außerhalb des Allgemeinen zu setzen. Das Verbrechen verletzt das AllChang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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gemeine. Das Gesetz als das Allgemeine wirkt auf dasjenige nach der Regel der „abstrakten Gerechtigkeit“ zurück, was das Besondere getan hat. Das Gesetz als das Allgemeine besteht nur im Zusammenhang mit der Handlung des Individuums. In diesem negativen Verhältnis kann es sich bestätigen, insofern das Verbrechen als solches besteht. Das Gesetz ist die Negation der Besonderheit des Verbrechens. Die Strafe für das Verbrechen ist die notwendige Bestätigung des Gesetzes. Diese Notwendigkeit, dass die Strafe dem Verbrechen folgt, existiert nicht im Inneren des Verbrechers, weil das Gesetz nur der gedachte Begriff ist. Wenn die vom Gesetz erreichte Versöhnung nur die des Begriffs mit dem durch das Verbrechen negierten Begriff durch die Strafe ist, gehört die Wirklichkeit des Verbrechers, d. h. das Verbrechen nicht zu dieser Versöhnung. Das Verbrechen ist die Wirklichkeit. Aber das strafende Gesetz ist nur der gedachte Begriff. Diese Unvereinbarkeit zwischen dem Begriff und der Wirklichkeit ist eine Aporie, die entsteht, wenn die beiden voneinander abgetrennt sind. Der Verbrecher meint durch das Leiden der Strafe gebüßt zu haben, aber findet das von ihm wirklich verletzte Individuum vor. Durch die Strafe ist das Gesetz als gedacht mit sich versöhnt. Die Verletzung, die durch Verbrechen zustande gekommen ist, wird durch die Negation der Strafe wieder negiert. Die Strafe ist die Negation der Negation. Das verletzte Gesetz durch das Verbrechen kommt durch die Strafe wieder zu sich. Diese Versöhnung des Gesetzes mit sich durch die Strafe findet nur im Begriff statt. Aber die Wirklichkeit bleibt als solche. Die Wirklichkeit muss auch so bleiben, damit das Gesetz zu sich kommen kann. Der Verbrecher kann nie zur Versöhnung mit dem Gesetz kommen, weil er seine verbrecherische Handlung zur Befriedigung des Gesetzes ewig behalten soll. Der bestrafte Verbrecher, der nicht mit dem Gesetz versöhnt ist, hält entweder das Gesetz als ein fremdes Wesen oder hat es subjektiv in ihm als „böses Gewissen“ (TW1, 340). Das Gesetz bleibt noch in der ihn bedrohenden Stelle außer ihm oder in ihm. Der Verbrecher unterscheidet in sich das Bewusstsein seiner Handlung, seiner Wirklichkeit von dem des Gesetzes, aber kann nicht beide miteinander versöhnen. Das Bewusstsein seiner Wirklichkeit, das ihn zwingt, sich zu einem Knecht herabzuwürdigen, unterliegt einfach dem Bewusstsein des Gesetzes, d.i. des Herrn. Es entsteht kein Konflikt zwischen beiden Bewusstseinsarten, wie Hegel später in Phänomenologie des Geistes beschreibt. Dieses knechtische Bewusstsein des Verbrechers nimmt die Willkürlichkeit der Strafe als fremd wahr und versucht sie zu vermeiden. Dieses positive Verhältnis kann nicht durch die Strafe gelöst werden. Vielmehr zeigt das Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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Gesetz die Lücke, weil die Strafe als der versöhnende Begriff in der Wirklichkeit aufgehoben ist. Die Strafe als die negative Versöhnung des Begriffs mit sich kommt dem Verbrecher als ein willkürlich Äußerliches vor, denn die Strafe als der Begriff ist von seinem wirklichen Verbrechen geschieden. In dieser Trennung führt die Strafe die Selbstverletzung des Verbrechers nicht zur Versöhnung mit sich. Da diese Trennung als stetige vorauszusetzen ist, gibt es keine Versöhnung. „Da das Gesetz als Allgemeines bleibt, so bleibt auch die Tat, denn sie ist das Besondere“ (TW1, 342). 2.7.2.3. Das Schicksal Jesu als ein Modell der Tragödie Hegel hält die „schöne Handlung“ Jesu für ein Kunstwerk. Das Leben Jesu als eine Aufführung eines Kunstwerks stellt er mit den Begriffen der Tragödie dar.87 Die Handlung Jesu entlarvt das Wesen des jüdischen Schicksals, d. h. des modernen positiven Rechtssystems. Diesem Rechtssystem stellt Jesus das „Leben“ gegenüber, das als ein wahrhaftes Schicksal über dieses Rechtssystem hinaufsteigt, es überflüssig macht, es vervollständigt88 und die Wirklichkeit als Ganzes wiederherstellt. Dieser Versuch wird als eine Aufführung der Tragödie interpretiert, in der Jesus notwendig untergehen muss. Um diesen Versuch als eine Tragödie zu interpretieren, führt Hegel die Konzeptionen der alten griechischen Tragödie ein. Der Mensch in seinem ursprünglichen Zustand vor der Scheidung der Neigung von der Vernunft ist das Ganze oder die Einheit, die in der Lebens87 O. Pöggeler sieht in Hegels Begriff der Schönheit in seiner Frankfurter Zeit „einen tragischen Prozeß, in dem die Ideale (die griechischen Götter, Christus usf.) sich aus dem Leben erheben“. O. Pöggeler, „Entstehung von Hegels Ästhetik“, in: Hegel in Jena, hg. von D. Henrich u. K. Düsing, Bonn 1980 (=Hegel-Studien, Beiheft 20), 251. In der Berner Zeit stellt Hegel in Das Leben Jesu Jesus nicht als einen tragischen Held dar (Vgl. Ch, Fan, a.a.O. 40-44). Die „Aufopferung des Individuums führt nicht zu einem höheren Gemeinschaftsgeist, sondern zu einer Reproduktion leidender partikularisierter Individualität sowie einer allmählichen Re-judaisierung des Christentums“ (M. Bondeli, „Zwischen radikaler Kritik und neuem Moralitätskonzept. Hegels Berner Denken“, in: Der Weg zum System. Materialien zum jungen Hegel, hg. von Chr. Jamme und H. Schneider, Frankfurt am Main 1990, 175). Aber in der Frankfurter Zeit hält er Jesus für ein tragisches Individuum, weil Hegel erkannt hat, dass seine Handlung als ein Vorbild nicht eine bloße „Reproduktion“, sondern den die neue Epoche der Geschichte herbeiführenden tragischen Effekt gebracht hat. 88 „Diese Übereinstimmung der Neigung ist das πλήρωμα des Gesetzes, ein Sein, wie man sich sonst ausdrückte, das Komplement der Möglichkeit ist“ (TW1, 326).
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gesellschaft verwirklicht ist. Aber dieser einheitliche Zustand wird durch die Handlung des Menschen zerstört. Durch diese tritt er aus dem „Lebenszusammenhang“89 aus, isoliert sich als einen Teil „entfremdet“ „von sich“ und vom „gemeinsamen Leben“. Wenn dieses Austreten der Ursprung der Selbstentfremdung des Menschen ist, kann sich der Mensch, wie das jüdische Volk, das transzendente Objekt (z.B. das Gesetz oder Gott) als seinen Herren vorstellen bzw. postulieren und seine Entfremdung rechtfertigen, die die „Schicksallosigkeit“ ihm bringt. Der Mensch, der als Sklave einem Herrn dient, den er als die Idee postuliert, ohne sich als das Subjekt zu erkennen, ist „schicksallos“, weil er kein Bewusstsein seiner selbst erlangt (TW1, 306). Durch die Trennung des Begriffs von der Wirklichkeit schafft er seine Welt, in der nur das Herrschaftsverhältnis besteht. Unter dem Begriff wird die ganze Wirklichkeit subsumiert. Aber diese Trennung setzt das „Austreten aus dem Absoluten“ voraus. Die Tragödie ist eine Gestalt, die diese Problematik der Selbstentzweiung des Absoluten darstellt, wie Schelling in den Briefen formuliert hat. Diesen Gedanken hat Hegel hier mit dem Begriff des „Lebens“ erweitert. Das Bewusstsein des Lebens, das nichts anderes als ein tragisches zu bezeichnen ist, erkennt, dass die Trennung, die in der Wirklichkeit vorhanden ist und sie beherrscht, aus dem „Absoluten“ (Schelling) bzw. dem „Leben“ (Hegel) entsprungen ist. Die Trennung kann wieder aufgehoben werden, wenn er ihren Ursprung erkennt, da sie vom diesem abgeleitet wurde. Durch diese Erkenntnis erscheint der Herrschaftsgedanke als korrekturbedürftig, der durch den tragischen Gedanken ersetzt werden muss.90 Dieses tragische Schicksalsbewusstsein gewinnt er erst, wenn er sich als ein ganzes Wesen erkennt, das sich vom „Lebenszusammenhang“ nicht trennt. Durch die Handlung entsteht eine Entgegensetzung als eine Selbstentzweiung des Ganzen, in der er seinem aus der Entzweiung entstandenen Schicksal gegenübersteht. Durch seine verbrecherische Handlung hat er eine Verletzung verursacht, die sein Schicksal hervorruft. Da es von ihm selbst herbeigeführt wurde, kann er sich mit ihm versöhnen. Die Bedingung der Versöhnung liegt darin, dass er das tragische Schicksalsbewusstsein gewinnt und die Bewegung des Lebens erkennt. Seine Handlung für denjenigen, der diese Erkenntnis erreicht hat, stellt nicht etwas das Besondere dar, das unter dem Allgemeinen als gedacht zu subsumieren ist. Das Werk, das man durch seine Handlung herstellt, gehört ihm. Er weist ein Schuldbewusstsein für seine Handlung und ihre 89 J. Habermas, Der Philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt am Main 1988, 41. 90 Die tragische Erkenntnis gilt für Hegel, Schelling, Hölderlin und Nietzsche als eine Einsicht in das von der Erscheinung verdeckte Wesen.
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Folge in ihrem ganzen Umfang, weil er als Subjekt schon sich als das Ganze dargestellt hat. Diesem Bewusstsein des Schicksals steht die „Schicksallosigkeit“ entgegen, in der der Mensch als ein Objekt seine Bestimmung von seinem Herrn bekommt, um seine Existenz abzusichern. In Hegels Perspektive hat Jesus erkannt, dass die Entfremdung des Menschen Resultat des Austretens aus dem „Lebenszusammenhang“ ist. Die Entfremdung ist die Entzweiung der einheitlichen Natur, die durch die Handlung, d. h. das Verbrechen des Menschen verursacht wird, die das Austreten bedeutet. Diese Entzweiung aber setzt in sich die ursprüngliche Einheit voraus, die ihr die Möglichkeit bietet, sich zu überwinden. Das Verbrechen begeht der Mensch, indem er sich außerhalb des Lebens setzt, z. B. das Leben eines anderen verletzt. Durch diese Verletzung aber verletzt er sein Leben auch, „denn Leben ist vom Leben nicht verschieden, weil das Leben in der einigen Gottheit ist“ (TW1, 343). Was er verletzt, ist nicht das Leben selbst, sondern „die Freundlichkeit des Lebens“, d. h. die Einheit des Lebens mit sich. Durch die Verletzung trennt er sich vom Leben. Sein Verbrechen macht das Leben fremd. Das Bewusstsein seiner Wirklichkeit und das des Lebens sind voneinander geschieden, weil seine Wirklichkeit eine abstrahierte Existenz hat, im Vergleich zum Leben als Ganzen. Diese Trennung von sich selbst wird hierdurch vollzogen. Das Schicksal in der Tragödie ist ein feindliches Individuum, das der Verbrecher durch die Verletzung des Lebens eines andern hervorgerufen hat. Es ist „der böse Geist“ von „Banquo“ in Shakespeares Macbeth oder die „Eumeniden“ von Klytaimnestra in den Eumeniden des Aischylos. Das Schicksal ist nicht die als dem Individuum fremd gedachte Herrschaft, wie Gott beim jüdischen Volk oder die äußere Notwendigkeit wie das Gesetz, sondern das selbst geschaffene Werk. Wenn die Strafe des Gesetzes als „Fatum“ sich durch die absolute Unterscheidung des Begriffs von der Wirklichkeit bestätigt, ist das Schicksal der „schönen Seele“ nicht das „Fatum“, das in der Trennung besteht, sondern das Entgegengesetzte, welches der Täter von sich aus hervorgebracht hat. Der Begriff des Schicksals, den Hegel aus der alten Tragödie genommen hat, setzt den „Lebenszusammenhang“ voraus. Er geht durch die Handlung des Menschen in die reflexive Entgegensetzung über, die durch die Erinnerung an die ursprüngliche Einheit wieder in die Einheit des Lebens zurückkehren muss. Der Tod, den der Verbrecher verursacht, ist die Negation seines Lebens. Um zu leben, muss der Verbrecher diese Einheit des Lebens (wieder)erkennen, dass das Leben, das er verletzt hat, nicht von seinem Leben zu unterscheiden ist. Wenn er das Leben nicht erkennt, d. h. wenn er sein wirkliches Leben vom dem von ihm verletzten Leben unterscheidet, bleibt sein Leben nur Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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ein Fragment, das der transzendentalen Idee untersteht. Diese Unterscheidung der Wirklichkeit vom Begriff ermöglicht ihm, das Leben der anderen zu verletzen, da er meint, dass er durch diese Verletzung sein Leben erweitere. Das Leben der anderen gilt nur als ein Exemplar der Idee, die es beherrscht. Mit Hilfe der Idee versucht er das Leben der anderen zu beherrschen. Um die anderen zu beherrschen, muss er sich versklaven, indem er sich der postulierten Idee unterwirft. Diesem Herrschaftsgedanken stellt Jesus den tragischen entgegen. Nach diesem Gedanken ist das Leben einheitlich. Das Leben untersteht nicht einer Idee. Dieses Leben stellt die Tragödie in seiner triadischen Struktur von Einheit-Entgegensetzung-Einheit dar. Da der Verbrecher das Leben verletzt hat, ist er aus dem Lebenszusammenhang ausgetreten. Das Leben ist ein Feind geworden. Er hat die Lebensgemeinschaft zum Feind gemacht, die ihn misshandeln will, wie er den anderen misshandelt hat. „Die Strafe als Schicksal“ wirkt auf den Verbrecher zurück (TW1, 342). Diese Strafe funktioniert dem Anschein nach wie das strafende Gesetz. Aber zwischen beiden gibt es einen erheblichen Unterschied. Da das Gesetz als der Begriff und das Verbrechen in dieser absoluten Trennung und der negativen Beziehung bestehen, gibt es keine Möglichkeit der Versöhnung zwischen den beiden. Aber das hervorgebrachte Schicksal als die Strafe resultiert aus der Entzweiung der Einheit des Lebens. Hier ist die Entzweiung ein notwendiges Moment für die Wiedervereinigung oder die Rückkehr in die ursprüngliche Einheit. Das strafende Gesetz besteht nur in der Trennung von dem Besondern. Diese Trennung muss ewig bleiben, damit das Gesetz in seiner erhabenen „Majestät“ besteht. Deswegen kann die Strafe nicht aufgehoben werden. Die Strafe muss dem Verbrechen folgen. Und der Verbrecher muss das Bewusstsein der bösen Wirklichkeit behalten. Die Strafe, die aus dem Gedanken des Rechts kommt und das böse Gewissen, das aus der Wirklichkeit kommt, müssen voneinander geschieden sein und weiter bestehen. Aber das Schicksal als die Strafe befindet sich „innerhalb des Gebietes des Lebens“. Das Leben ist das Ganze, das das Besondere nicht ausschließt und nicht im negativen Verhältnis zu ihm steht. Die Entzweiung, die aus dem Ganzen kommt, erscheint nicht als festgelegt. Das Schicksal und das davon geschiedene Selbst stehen in der Entgegensetzung. Diese Entgegensetzung, die aus der ursprünglichen Einheit kommt, enthält „die Möglichkeit der Wiedervereinigung“. Das Schicksal wirkt auf den Verbrecher, wenn er die Zerstörung seines eigenen Lebens fühlt und sich als von sich entfremdet erkennt. Der Verbrecher ist vermittelt durch die Erkenntnis des Lebens in der Entgegensetzung gegenüber dem lebenden Selbst, das entfremdet von ihm selbst und zum Feind geworden ist. In diesem Bewusstsein der Entgegensetzung erhält der Verbrecher Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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„eine Sehnsucht nach dem verlorenen“. Der Verbrecher erkennt sein einst freundliches Leben. Diese Erkenntnis ist „selbst ein Genuss des Lebens“. Die Handlung führt das ganze Leben zu einem inneren Widerspruch, in dem das ursprünglich angeschaute Leben vom verletzten geschieden ist. Die Handlung als solche ist das Ganze des Lebens, aus dem sie kommt, aber als eine Gestalt des Lebens im Selbstwiderspruch. Die Handlung ist „kein Fragment“ und „stellt auch das Ganze dar“. Dagegen ist die Handlung, die als die Übertretung eines Gesetzes betrachtet wird, ein Fragment, außer dem das Gesetzt schon existiert, das sie beherrscht. Hier unterscheidet Hegel die das Schicksal veranschaulichende Handlung von der vom Rechtssystem bestimmten Handlung. Diesen Unterschied hat er bis in die Berliner Vorlesungen über die Ästhetik weiter entwickelt, der darin liegt, ob die Handlung als ein Ganzes, oder als ein „Fragment“ betrachtet wird.91 Unter diesem Gesichtspunkt kritisiert Hegel die Kantische Ethik, die in den Objektivismus gerät,92 weil in ihr das Gesetz der Vernunft die subjektive Willensbestimmung zwanghaft kontrolliert.93 Die Handlung als ein Sinnliches stellt nur ihre Scheinhaftigkeit gegenüber dem Begriff des Gesetzes als gedacht dar. Aber in dieser Trennung zwischen der Sinnlichkeit und dem Begriff stellt die Handlung nur ein Besonderes, das unter dem Gedachten zu subsumieren ist. Die Handlung als das Ganze aber stellt den „Lebenszusammenhang“, in dem das Leben sich betätigt, d. i. durch die Handlung sich entzweit und wieder zu sich kommt, da die Handlung eine Modifikation des Lebens ist und das Bewusstsein des Lebens durch sie gewonnen wird.94 Die Handlung als eine Modifikation stellt das Leben selbst objektiv dar. Sie übt als ein schönes „Werk“ 91 Vgl. TW1, 300-301. „Die Tat ist das Aufheben der Trennung zwischen dem Gewollten, jetzt noch Vorgestellten und dem Streben, der Tätigkeit, [dem] Trieb, dem Wollenden“. Die Handlung durch die Liebe ist eine Vereinigung, aber die Handlung, die vom fremden Recht „bestimmt“ ist, ist ein bloßes „Fragment“. „Bei einem positiven Gesetz ist die Handlung keine Vereinigung, sondern ein Bestimmtwerden“. 92 H. Busche, a.a.O. 242f. Zwar hat Kant das Gesetz nie als ein Gegebenes bestimmt, aber er hat dieses apriorische Gesetz als den absoluten Maßstab für die vielfältigen Maximen gesetzt, der als ein Objekt sie bestimmt. 93 Hegel bezeichnet die Kantische Tugend als „eine teilweise Knechtschaft unter einem eigenen Gesetz“, „den Selbstzwang“, der von der „völligen Knechtschaft unter dem Gesetzt“ zu unterscheiden ist (TW1, 359f.). 94 Die Handlung aus der Liebe ist die Modifikation „eines lebendigen Geistes“, weil das Leben lebendig ist, d. h. sich verzweigt und modifiziert. Durch diese Modifikationen können die vielfältigen Handlungen durchgeführt werden, die aber wieder durch die Liebe vereinigt werden können, da sie nur bloße Modifikationen sind. Wenn eine Tugend absolut wäre, aus der eine Handlung entspringt,
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durch die Liebe eine die Menschen vereinigende Funktion aus, die in der Objektivation wieder das Leben subjektiv macht, da die vereinigten Menschen in sich wieder über diese vereinigende Kraft reflektieren (TW1, 365f.). Dagegen bringt die Handlung als ein „Fragment“ den Menschen nicht diese Reflexion über das Gesetz selbst, weil sie nur ein zufälliges Besonderes ist, das durch das Allgemeine des Gesetzes vernichtet werden muss. Das Gesetz bewegt sich nur in sich, d. h. im intelligiblen Gebiet, indem es als gedacht außerhalb der Handlung bleibt. Aber das Leben betätigt sich nur durch die Handlung, die ihm sein Bewusstsein bringt.95 Die Handlung als ein ästhetisches Ideal ist das existierende Ganze, weil sie in der Sinnlichkeit und in der Reflexivität erst stiftet. Dagegen ist die Handlung unter dem Gesetz eine bloße Erscheinung, die in die Substanz aufgehoben werden soll, und stellt nur ihren Schein im negativen Sinne. Die ästhetische Handlung als „der existierende Begriff“ erweitert und entwickelt das Ganze selbst. Diesen tragischen Handlungsbegriff vergleicht Hegel mit dem unter dem modernen Rechtssystem. Durch diesen Vergleich gewinnt Hegel die Möglichkeit, das Leben Jesu als eine Tragödie zu interpretieren. Aber wie kann diese Tragödie konkret charakterisiert werden? Hegel stellt das Leben Jesu als tragisch dar, der seine Ethik der „schönen Seele“ verkündigt und dazu gegen das Schicksal seines Volks kämpft. Mit diesem Versuch will Hegel die Tragödie Jesu neu bestimmen, indem er sie von der antiken unterscheidet. Er muss zuerst prüfen, ob durch sie eine griechische Tragödie aufgeführt worden ist. Hegel ist sich zweifellos bewusst, dass Tragödie Jesu eine völlig andere Situation zeigt als die der alten griechischen. Er hat aus dem jüdischen Geist den Ursprung der Moderne abgeleitet, indem er mit der Postulatenlehre von Kant kritisiert. Er anerkennt auch, dass die Tragödie Jesu im jüdischen Gebiet aufgeführt wird. Diese Beobachtung führt zu der Frage, ob die Tragödie Jesu als eine moderne Tragödie zu interpretieren ist. Sofern diese Frage richtig gestellt ist, folgt eine andere Frage, die sich auf die tragische Handlung in der vom Rechtssystem institutionalisierten Moderne bezieht, d. h. diese Handlung als ein Ideal dieselbe Funktion gewinnen kann, wie sie in der alten Tragödie entfalten konnte. Diese Frage führt Hegel dazu, die „schöne Handlung“ Jesu in der zerrissenen jüdischen Situation darzustellen und zu prüfen, ob sie noch als ein Ideal zu interpretieren ist. entsteht ein Konflikt zwischen den absoluten Tugenden, die wegen ihrer Absolutheit sich nicht miteinander versöhnen können (TW1, 360). 95 Die Handlung als ein Fragment oder ein Ganzes zu betrachten, hängt davon ab, ob der Handelnde die Folge der Handlung als sein Schicksal erkannt hat, das er selbst gemacht hat (Vgl. TW1, 346).
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2.7.2.4. Die Bestimmung der modernen Tragödie durch die Unterscheidung derselben von der antiken Jesus hat sich dem ganzen Schicksal des jüdischen Volks, das sich von sich entfremdet hat, entgegengesetzt. Dadurch versuchte er die Entfremdung zu überwinden. Aber zeigt sein Versuch eine Aufführung der Tragödie durch den „notwendigen Fehltritts“, den Hegel in der alten griechischen Tragödie findet? Um auf diese Frage zu antworten, muss die Konzeption der antiken Tragödie, die Hegel beschrieben hat, wieder rekapituliert und geprüft werden, ob die Tragödie Jesu ihr angemessen ist. Die Konzeption der Tragödie, die Hegel besonders durch die Lektüre der Antigone von Sophokles96 gewinnt, findet er in der Tragödie Jesu wieder, die vom jüdischen und Shakespeareschen Trauerspiel zu unterscheiden ist. Im Versuch Jesu existiert die Entgegensetzung zwischen dem Reich der Entfremdung und dem des Lebens. Dieses Element der Entgegensetzung macht auch einen wesentlichen Bestandteil der antiken Tragödie aus. Der Unterschied der Tragödie Jesu von der antiken ist jedoch offenkundig. In der antiken Tragödie entsteht die Entgegensetzung vom Ganzen durch die Handlung, die wieder zur Versöhnung führt. Dagegen entsteht die Entgegensetzung, die Jesus geschaffen hat, durch die Erkenntnis des Lebens, die in ihm nur „innig“ vorhanden ist, wenn man die Hölderlinsche Terminologie benutzen mag. Das jüdische Volk hat sich vom Leben isoliert und sich entschlossen, von der postulierten Idee beherrscht zu werden, um seine Macht zu erweitern, d. h. um die anderen zu beherrschen. Das Volk wollte durch das Beherrschtwerden nicht sich mit dem Leben versöhnen, sondern das Leben beherrschen. Das Volk hat das Leben als einen Feind definiert, obwohl es diese Entgegensetzung gar nicht erkannt hat. Jesus hat sie erkannt und versucht, durch seine Handlung diese Entgegensetzung anschaulich zu machen, indem er sich dem Volk entgegensetzt. Gegen den isolierten Zustand seines Volks fordert er mit dem Bewusstsein des Lebens, dass das Volk wieder in das Leben zurückkehren solle. Die Handlung Jesu ist dem Schicksal des Volks entgegengesetzt, das das Leben zum Feind gemacht hat. Das Volk muss die Forderung Jesu annehmen, um sich mit dem Leben zu versöhnen, da es aus sich selbst diese Feindschaft hervorgerufen hat. Wenn das Volk dieses zum Feind gewordene Leben nicht erkennt und nur im Reich des Todes unter dem positiven Herrschaftsverhältnis bleibt, ist Jesus für es ein Verbrecher, der sich außerhalb des Rechtssystems setzt. Wenn das Volk in die Versöhnung zu96 O. Pöggeler, Schicksal und Geschichte. Antigone im Spiegel der Deutungen und Gestaltungen seit Hegel und Hölderlin, München 2004, 27f.
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rückkehren möchte, muss es die Erkenntnis des Lebens gewinnen und diese tragische Bewegung des Lebens verstehen. Aus der Perspektive des jüdischen Volks betrachtet, in welcher das Leben oder seine Modifikation nicht erkannt werden, existiert nicht die Entgegensetzung, die es aus sich selbst geschaffen hat. Aber aus der Perspektive Jesu betrachtet ist das Schicksal des Volks sein eigenes Werk. Die Entgegensetzung des Volks gegen das Leben sieht nur Jesus selbst, der als das Ganze die tragische Bewegung des Lebens, das er erkannt hat, in das Reich des „Nichts-Seins“ seines Volks einzuführen versucht. Sein Versuch, sich dem Schicksal des Volks gegenüberzustellen und die Entgegensetzung sichtbar zu machen, besteht darin, das Reich des Todes als Abstraktion der tragischen Erkenntnis erfahrbar zu machen. Das Volk wird in der Entzweiung vom Leben gesehen, aber es erkennt diese nicht und fühlt sich schicksalslos. Das Volk hat nicht erkannt, dass es sich in der Entgegensetzung mit dem als Feind gewordenen Leben befindet und dass dieses verletzte Leben als sein Schicksal ihm gegenübersteht. Ihm ist das Bewusstsein der Schuld ganz fremd. Durch die Aufführung der Tragödie wollte Jesus das Volk in das Reich des Lebens führen. Für das Volk ist Jesus ein bloßer Verbrecher, dem eine Strafe auferlegt werden muss. Jesus will hingegen das Volk durch die Strafe des Schicksals in das Reich des Lebens zurückführen. Der Konflikt, den Jesus hervorgerufen hat, geschieht zwischen dem Leben und dem Rechtssystem, bzw. dem im alten Griechenland realisierten Lebenszusammenhang, den er in seiner Innerlichkeit erkannt hat, und der zerrissenen Wirklichkeit, die er vorgefunden hat. Jesus verfügt über „das Bewußtsein“ „seiner selbst als eines Ganzen“. Dieses Schicksalsbewusstsein führt zur Aufführung der Tragödie, welche die durch eine Handlung Entgegengesetzten aus dem Ganzen auftreten lässt. Aber das jüdische Volk hat diesen Versuch, die Tragödie aufzuführen, nicht erkannt. Das Volk ging unter dem Herrschaftsverhältnis unter, ohne diese Erkenntnis zu gewinnen. In diesem Punkt liegt die Besonderheit der Tragödie Jesu. Hegel stellt die antike Tragödie dem jüdischen und Shakespeareschen Trauerspiel entgegen. „Das große Trauerspiel des jüdischen Volks ist kein griechisches Trauerspiel, es kann nicht Furcht noch Mitleiden erwecken, denn beide entspringen nur aus dem Schicksal des notwendigen Fehltritts eines schönen Wesens; jenes kann nur Abscheu erwecken. Das Schicksal des jüdischen Volkes ist das Schicksal Macbeths, der aus der Natur selbst trat, sich an fremde Wesen hing und so in ihrem Dienste alles Heilige der menschlichen Natur zertreten und ermorden, von seinen Göttern (denn es waren Objekte, er war Knecht)
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endlich verlassen und an seinem Glauben selbst zerschmettert werden mußte“ (TW1, 297).
Die moderne Tragödie beginnt mit dem Schicksal von Abraham. Abraham hat aus dem Menschhass und zum „Erhaltungstrieb“ vom „Lebenszusammenhang“ getrennt und diese Trennung in die „Verstandeseinheit“ überführt, in welcher er alles unter der neuen Idee subsumiert, um die Natur und die Menschen zu beherrschen. Macbeth hat sich ebenfalls zur Befriedigung seiner egoistischen Bedürfnisse nach der weltlichen Herrschaft vom Lebenszusammenhang isoliert und „an fremde Wesen“ geglaubt. Er hat seinem Freund das Leben genommen und das Leben zum Feind gemacht. Er hat die Herrschaftsmacht erhalten, indem er sich versklavt. Er hätte sich wieder mit dem Leben versöhnen können, wenn er das Herrschaftsverhältnis zerstört und als das Subjekt Einsicht in das Leben gewonnen hätte. Der Glaube an „die fremde Wesen“, der als eine Parodie von Kantischen praktischen Postulaten zu verstehen ist, versklavt den Menschen als Subjekt. Macbeth hat sich als einen Sklaven bestimmt, um seine privaten Bedürfnisse zu befriedigen. Die Versklavung ist ein Mittel für seinen Zweck. Aber dieses Mittel bestimmt sein ganzes Wesen. Er war zwar König, der die anderen Menschen beherrschte, aber er war zugleich ein Knecht vor diesen. Er war absolut abhängig von den fremden Wesen, weil er die anderen Menschen gehasst hat. Dieser Hass aber bewirkte, dass er abhängig von den anderen wurde. Die Folge dieser Abhängigkeit war sein Tod.97 Der Fehltritt von Macbeth ist nicht notwendig. Seine Handlung und sein Untergang gehört nicht zur Bewegung des tragischen Lebens, die Hegel in der antiken Tragödie findet. Seine Handlung ist nicht eine Bewegung des Lebens aus sich selbst, sondern eine bloße Isolierung vom diesem, die ihn als eine Akzidenz gegenüber dem Lebenszusammenhang herabwürdigt, weil er sein Schicksal nicht erkannt hat. Diese Akzidenz geht unter, wie die anderen Akzidenzen, deren Wesen in ihrer gegenseitigen Negation besteht. Dieser Untergang bringt nicht die Versöhnung des Schicksals mit sich, weil er zufällig geschehen ist. Er kann „nicht Furcht noch Mitleiden erwecken“. Hingegen zeigt der Untergang von Jesus ein „Schicksal des notwendigen Fehltritts eines schönen Wesens“. Jesus hat das Leben erkannt und versucht das Schicksal, das das Volk sich entgegensetzt, wieder zu erwe97 Hegel hat diesen Gedanken in den Berliner Vorlesungen über die Ästhetik aufgegeben. In ihnen tritt Macbeth als ein Wissender des ganzen Lebens auf, das durch die festgelegte „Sittlichkeit“ begrenzt ist. Der Menschenhass, die Entfremdung als Melancholie wird als der Ursprung dieser Erkenntnis neu bestimmt. Dazu 6 K.
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cken. Er hat den tragischen Gedanken veranschaulicht, damit der Herrschaftsgedanke verschwinden kann. Aber seine Handlung ist für das Volk verbrecherisch, da er einen neuen Gedanken ausgedrückt hat, der dem Herrschaftsgedanken des Volks gegenübersteht und diesen bedroht. Später spricht Hegel über die „Tragödie“ von Sokrates in den Berliner Vorlesungen über die Weltgeschichte98. Sein Tod ist tragisch, weil er in der griechischen Sittlichkeit durch den „notwendigen Fehltritt“ passiert. Sokrates hat „seinem Volk eine innere Welt“ aufgeschlossen, die als ein neues Prinzip eine neue Epoche entwickelt. Aber seine Lehre erschien dem Volk als „die höchste Revolution“. Deswegen ist sein Tod tragisch, da er notwendig geschieht. Hier finden wir in der Tragödie von Sokrates einen gleichen Typ, der gleichfalls in der Tragödie von Jesus vorzufinden ist. Jesus trägt in sich ein neues bzw. tragisches Prinzip, das seinem Volk als eine Drohung erschien. Das Volk wollte im positiven Herrschaftsverhältnis bleiben. Dieser Schicksallosigkeit stellt Jesus das Schicksalsbewusstsein entgegen. Sein Versuch war revolutionär. Deswegen wurde dieser als Unrecht verurteilt. Sein Untergang war notwendig. Hegel unterscheidet das Schicksal des jüdischen Volks und des modernen Rechtssystems von dem der alten griechischen Sittlichkeit. Hegel hat seine Konzeption der triadischen Bewegung des Schicksals aus der alten Tragödie gewonnen. Aber er konnte sie nicht wieder in der Tragödie Jesu in ihrer vollständigen Entfaltung finden. Jesus trägt zwar als die „schöne Seele“ das unentfaltete Schicksal in sich, das aber nicht unter den Verhältnissen seines Volks realisiert werden kann. Die Konzeption des tragischen Schicksals, in dem das Leben durch die Entzweiung mit sich zu sich wieder kommt, ist ein begriffliches Apparat, mit dem Hegel prüft, ob es auch in den modernen Verhältnissen wieder realisiert werden kann. Er stellt die Fragen auf, wie die Aufführung der Tragödie in den entfremdeten Verhältnissen möglich ist und ob diese Verhältnisse durch die Aufführung in die tragische Bewegung des Lebens hineingezogen werden können. Hieraus wiederum ergibt sich die Frage nach der Möglichkeit der modernen Tragödie, wenn Hegel auch die Handlung von Jesus im jüdischen Verhältnis analysiert, da dieses als ein Ur-Model der modernen Gesellschaft konzipiert wurde. Hegel kritisiert durch die Analyse des Geistes des Judentums die modernen Verhältnisse und interpretiert das Leben Jesu als
98 G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte Berlin 1822/1823 Nachschriften von Karl Gustav Julius von Griesheim, Heinrich Gustav Hotho und Friedrich Carl Hermann Victor von Kehler, hg. von K. H. Ilting, K. Brehmer und H. N. Seelmann, Hamburg 1996, 382f.
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eine Tragödie. Die Darstellung dieser Tragödie führt ihn zu der Frage, wie die moderne Tragödie überhaupt möglich ist. Hegel findet die Isolierung von dem wahren Schicksal im Macbeth von Shakespeare. In der modernen Tragödie sieht er die Selbstentfremdung des Menschen in der modernen Welt. Denn in ihr wird das Schicksal nicht erkannt und stattdessen erscheint das „Fatum“ als die äußere Notwendigkeit oder als die fremde Macht. Macbeth erhält nicht aus seiner Willensbestimmung, sondern aus den fremden Hexen seine Handlungsorientierung. Dieses Leben, das sich der fremden und höheren Macht unterwirft, setzt immer die Trennung zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen, dem Begriff und der Wirklichkeit voraus. Aus dieser Voraussetzung erfolgen die Selbstentfremdung und der vergebliche Versuch, sie nur im gedachten Begriff d. i. mit Hilfe der fremden Macht zu überwinden. Durch diese Trennung kann sich der Verbrecher mit sich wieder nicht versöhnen. Die moderne Tragödie rekurriert auf diese Trennung als ihren Hintergrund, vor dem das Individuum handelt. Macbeth „hing“ „sich an fremde Wesen“. Aber er trifft sein Schicksal, da er aus dem Leben ausgetreten ist, als er Banquo getötet hat. Das Bewusstsein des Mordes würde in ihm das böse Gewissen wecken, das ihn fordert, wieder in den Bereich des Lebens zurückzukehren. Hegel schildert die Szene so: „Die Täuschung des Verbrechens, das fremdes Leben zu zerstören und sich damit erweitert glaubt, löst sich dahin auf, daß der abgeschiedene Geist des verletzten Lebens gegen es auftritt, wie Banquo, der als Freund zu Macbeth kam, in seinem Morde nicht vertilgt war, sondern im Augenblicke darauf doch seinen Stuhl einnahm; nicht als Genosse des Mahls, sondern als böser Geist. Der Verbrecher meinte es mit fremdem Leben zu tun zu haben; aber er hat nur sein eigenes Leben zerstört; denn Leben ist vom Leben nicht verschieden, weil das Leben in der einigen Gottheit ist; und in seinem Übermut hat er zwar zerstört, aber nur die Freundlichkeit des Lebens: er hat es in einen Feind verkehrt“ (TW1, 342-343).
Macbeth aber gewinnt nicht die Erkenntnis des Lebens, da er sein verletztes Leben für fremd hält. Aber seine Handlung veranschaulicht die Problematik des Tragischen in der Moderne, die darin liegt, dass die Entfremdung von den Menschen selbst verursacht worden ist und durch die Erkenntnis des Lebens überwunden werden muss. Diesem Typ der modernen Tragödie stellt Hegel einen anderen Typ in Gestalt von Jesus gegenüber.99 Die Tragödie Jesu zeigt die geschichtliche Funktion, die die „schöne
99 Diese zwei Typen der modernen Tragödie entwickelt Hegel in den Berliner Vorlesungen über die Ästhetik explizit.
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Seele“ in der modernen Zerrissenheit und Entfremdung leistet. Der Konflikt, den sie zeigt, geschieht zwischen dem Ganzen und der Trennung aus dem Ganzen. Er verwandelt die schöne Seele in einen Verbrecher. Aber der Schmerz schafft durch den Effekt des Erhabenen eine Perspektive für die Zukunft. Tragödie Jesu veranschaulicht die Entfremdung des Menschen, die eine Trennung des Begriffs von der Wirklichkeit voraussetzt. Sie stellt dar, woraus diese Trennung entsprungen ist. Sie zeigt nicht, wie diese Trennung wirklich gelöst werden kann. Es gelang Jesus nicht, diese Trennung zu überwinden. Aber sein Versuch veranschaulicht, worin die Herausforderung besteht. Die moderne Tragödie verdeutlicht im Gegensatz zur antiken Tragödie das Problem der Entfremdung des Menschen. Aber sie ist auch ein Versuch – analog zur Tragödie Jesu – diese Entfremdung als ihr entgegengesetztes Schicksal zu betrachten, d. h. die festgelegte Entfremdung in die Entgegensetzung zu überführen, in die Schicksallosigkeit das Bewusstsein des Schicksals einzubringen. Hier findet Hegel eine Möglichkeit, das Tragische in der Moderne darzustellen. Die tragische Erkenntnis ermöglicht, das von der Erscheinung verdeckte Wesen zu sehen, d. h. die Entgegensetzung, die das positive Verhältnis verdeckt, zu veranschaulichen. Diese kritische Bedeutung der Tragödie entwickelt Hegel in seiner philosophischen Entwicklung weiter. Wir haben zwei Typen der modernen Tragödie betrachtet, nämlich die Tragödie von Macbeth und Jesus. Diese hat Hegel zwar in Frankfurt nicht explizit herausgearbeitet, aber wir konnten aus seinem Text herausarbeiten, dass er sie angedeutet hat. Hegel hat in der Phänomenologie des Geistes die Theorie der alten Tragödie ausführlich entwickelt. Erst in den Berliner Vorlesungen über die Ästhetik hat Hegel die Konzeption der modernen Tragödie systematisch entwickelt. Aber er hat uns eine wichtige Überlegung über die Problematik der Tragödie in der Moderne in seiner Interpretation von Wallenstein angeboten.
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3. DIE PHILOSOPHIE DER TRAGÖDIE UND DIE MODERNE TRAGÖDIE
Wir haben im letzten Kapitel die Frage nach dem Tragischen in der Moderne als ein Grundmotiv für Hegels Philosophie in der Auseinandersetzung mit Schelling und Hölderlin untersucht. Damit wollen wir nicht sagen, dass die Philosophie der Tragödie Hegels ganze Philosophie bestimme, wie Glockner behauptet hat. Er sieht Hegels Philosophie als „Pantragismus“ und interpretiert die später eingeführte Dialektik als eine besondere Form desselben.100 Diese Auffassung, Hegels Philosophie als eine metaphysische Theorie der Tragödie zu bestimmen, kann einer genauen Prüfung nicht standhalten.101 Hegel hat die Philosophie der Tragödie im Naturrechtsaufsatz entwickelt, in dessen Verlauf er die Konzeption der tragischen Versöhnung auf seine praktische Philosophie anwendet. Nach Einführung der spekulativen Dialektik im Jahr 1804 hat Hegel in der Phänomenologie des Geistes die tragische Versöhnung für eine Vorstufe der Entstehung des Selbstbewusstseins gehalten. Sie enthält zwar die dialektische Logik, auf die sie aber nur indirekt verweist. Sie ist eine geschichtliche Erscheinungsweise des „Absoluten“, die durch ein neues Prinzip der „Subjektivität“ überwunden werden soll. Hegel hat die Tragödie von der Philosophie der Tragödie unterschieden. Die Tragödie ist eine Kunstgestalt, die im religiösen „Kult“ ausgeführt wurde und eine die altgriechische Gesellschaft integrierende Funktion ausgeübt hat. Aber diese Funktion ist in der Moderne verloren gegangen. An 100 „Diese Philosophie der Tragödie, welche das Absolute ewig mit sich selbst spielt, ist das Tiefste, was Hegel jemals gedacht hat. Sie bildet den absoluten Mittelpunkt seiner pantragischen Weltanschauung. Die besondere Form, in welcher sich diese pantragische Weltanschauung systematisch äußerte, war logisch-dialektisch. Der Panlogismus darf also als das Schicksal der Hegelschen Philosophie bezeichnet werden“ (H. Glockner, Hegel. Bd. 2, Stuttgart 1940, 333). 101 Der Begriff „Tragödie im Sittlichen“ wird im frühen 20. Jh. als ein Grundbegriff der Kulturphilosophie aufgenommen, die von der Naturwissenschaft zu unterscheiden ist (J. Thaler, Dramatische Seelen, Tragödientheorien im frühen zwanzigsten Jahrhundert, Bielefeld 2003, 47-54.) In diesem Zeitkontext muss die Interpretation von Glockner verstanden werden.
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die Stelle der Tragödie tritt die Philosophie der Tragödie, die unter den veränderten geschichtlichen Bedingungen dieselbe Funktion übernehmen soll. Diese Philosophie ist eine Reflexion über die Tragödie, die diese analysiert und deren Lebendigkeit begreift. Die Tragödie stellt sowohl den Ausgangspunkt, als auch den Endpunkt für diese Reflexion dar. Die ästhetische Anschauung, die in der Tragödie ausgedrückt ist, wird durch die Philosophie in die reflektierte bzw. begriffene Anschauung umgewandelt, die als „Tragödie im Sittlichen“ konzipiert wird. Hegel entwickelt den Begriff der „Spekulation“ in der Differenzschrift, in der die Reflexion und der Glaube an das unendliche Leben unter dem Aspekt der Substanzmetaphysik vereinigt werden sollen.102 Hiermit hebt Hegel die Gleichrangigkeit der Philosophie und der Religion hervor, denn die religiöse Anschauung, nämlich die schöne Versöhnung, die in der griechischen Tragödie ausgedrückt ist, macht sowohl den Ausgangspunkt, als auch den Endpunkt der Philosophie aus. Die Form des Glaubens, der in der vergangenen Religion ihre höchste Leistungsfähigkeit zugeschrieben wird, verliert den Anspruch auf dieselbe Leistungsfähigkeit in der Moderne. Stattdessen muss die Philosophie in diesem Glauben einen vernünftigen Inhalt erkennen und die beschränkte Form vernichten. Der Glaube habe „das Gefühl: Gott selbst ist todt“ hinterlassen, aus dem sich die Sehnsucht oder das „Bedürfnis der Philosophie“ ergebe, denn die geschichtliche Erfahrung des Leidens oder des Todes, die in der griechischen Tragödie ausgedrückt ist, konnte nur in der Form des Glaubens ausgehalten werden (GW4 414). Aber der Untergang des altgriechischen Reichs hat dieses Gefühl der negativen Erfahrung hinterlassen. Die Aufgabe, diesem Gefühl „eine philosophische Existenz“ zu geben (GW4, 413), „das absolute Leiden oder den speculativen Charfreytag, der 102 Der Glaube, der in der Differenzschrift kritisiert wird, darf nicht mit der „transzendentalen Anschauung“ identifiziert werden. In der Differenzschrift und Glauben und Wissen setzt Hegel „Glauben und Verstand“ in einen gegensätzlichen Verhältnis, in dem dieser Glaube nichts anderes als „Aberglaube“ bestimmt werde (GW4, 14). Hegel kritisiert in diesem Sinne die „unmittelbare Gewißheit“, die Jacobi dem diskursiven Wissen entgegengesetzt hat (K. Vieweg, „Glauben und Wissen – Zu Hegels indirekter Reaktion auf den Atheismus-Streit“, in: Fichtes Entlassung, hg. von K.-M. Kodalle u. M. Ohst, Würzburg 1999, 198ff.). Dieser Glaube setzt die ursprüngliche Einheit des Absoluten voraus. Aber seine Form basiert auf der Entgegensetzung zwischen dem Subjekt und dem Objekt. Für den Glauben bleibe Gott als ein absolutes Objekt, das aber der Form nach vom Subjekt begrenzt bleibe (GW4, 20-21). Die Philosophie erkenne diese Voraussetzung, die durch die Form des Glaubens verzerrt sei, und formuliert sie als die „transzendentale Anschauung“.
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sonst historisch war“ „in der ganzen Wahrheit und Härte seiner Gottlosigkeit“ wiederherzustellen (GW4, 414) übernimmt die Philosophie der Tragödie, nämlich die „Tragödie im Sittlichen“ im Naturrechtsaufsatz.103
3.1. „Tragödie im Sittlichen“ – Eine hermeneutische Konzeption der Tragödie 3.1.1. Kunst und Philosophie In der Berner Zeit hat Hegel in der griechischen Tragödie die Idee des Republikanismus entwickelt. Bereits in der Frankfurter Zeit hat er den Begriff ‚des Tragischen‘ herausgearbeitet und sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob das Tragische in der dem Menschen entfremdeten Wirklichkeit wiederherstellbar sei, indem er das Leben Jesu dargestellt hat. Das Tragische ist hier als eine revolutionäre Veränderung der Wirklichkeit gedacht. Durch die Erinnerung an das ursprüngliche Leben, das in der griechischen Tragödie ausdrückt ist, muss eine Handlung ausgeführt werden, durch die die negativ erfahrene Wirklichkeit verändert werden soll. Das Leben Jesu wurde von Hegel als eine Realisierung des Tragischen dargestellt. Aber die revolutionäre Handlung von Jesus hat nur die Entgegensetzung von der Wirklichkeit hervorgebracht, die durch sie nicht überwunden, sondern verstärkt wurde. Deswegen begann Hegel daran zu zweifeln, ob diese Darstellung des Lebens Jesu als eine Tragödie zu konzipieren sei. Hiermit kritisiert Hegel die Abstraktion des Tragischen, das er in Bezug auf das Leben Jesu konzipiert hat und entwirft ein organisches Modell der Tragödie, das als eine Idee der Philosophie ihren Ausgang und Endpunkt ausmacht. Wenn Hegel seit der späten Jenaer Zeit die Notwendigkeit der historischen Existenz der Tragödie aus der dialektischen Begriffsentwicklung zu begründen versucht, hält er in der früheren Jenaer Zeit diese Existenz für gegeben, durch welche die höchste schöne Versöhnung dargestellt
103 In der frühen Jenaer Zeit hat Hegel verschiedene Denkexperimente unternommen, unter denen die „Tragödie“ nur eines unter vielen ist. Aber sie ist die höchste Form, in der die Gleichrangigkeit der Religion und der Philosophie ausgedrückt werden kann. Über verschiedene Denkexperimente, K. Vieweg, „Die „Jenenser Confusion“ – Philosophische Konstellationen während Hegels ersten Jenaer Jahren“, in: Hegels Jenaer Naturphilosophie, hg. v. K. Vieweg, München 1998, 48f.
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und realisiert wird.104 Die Philosophie hat die einfache Idee als die reine „Abstraction von allen andern“ (GW5, 264) als ihren Ausgangpunkt, für deren Entwicklung sie aber keine angemessene Methode in sich hat. Für diese Idee, die als ein Ideal für die Philosophie stehe, seien „die empirischen Anfangspunkte des Philosophirens“ (GW5, 261) zu finden. Diese empirischen Seiten sollen durch die Logik beseitigt werden. Der Logik folge die Metaphysik, welche die Idee in der Natur- und Geistesphilosophie realisiere. Diese reale Seite der Idee könne nur durch die Philosophie der Kunst begründet werden. Die Anschauung der absoluten Idee, die in der Tragödie dargestellt ist, ruft in der Moderne, in der die Trennung des Glaubens und des Wissens fixiert ist, das „Bedürfnis der Philosophie“ hervor, die versuchen soll, diese Trennung zu überwinden.105 Die Philosophie der Tragödie ist eine Reali104 Wenn die Philosophie der Theologie eine philosophische Reflexion über die Religion und die philosophische Theologie eine theoretische Begründung der Existenz Gottes ist, der in der Religion vorgestellt wird, wie Jaeschke formuliert, gilt die Philosophie der Tragödie für Hegel in der frühen Jenaer Zeit als eine Vollendung der philosophischen Theologie, da, obwohl er über die Möglichkeit der philosophischen Theologie reflektiert hat, ihm kein methodisches Arsenal für deren Entwicklung zur Verfügung steht (W. Jaeschke, a.a.O. 143f.). 105 Bonsiepen behauptet, dass die Philosophie der Tragödie schon „den Standpunkt spekulativen Denkens“ voraussetzt. Die Philosophie dürfe nicht mehr auf der Versöhnung des Konflikts bestehen, die in der griechischen Tragödie dargestellt sei. Für diese Behauptung führt er zwei Gründe an: (1) „Denn der Rahmen der griechischen Tragödie ist durch den Begriff absoluter Entzweiung, der der Konzeption einer Tragödie im Sittlichen zugrunde liegt, bereits verlassen“ (W. Bonsiepen, Der Begriff der Negativität in den Jenaer Schriften Hegels, Bonn 1977, 31). Nach Bonsiepen ist Hegel der Auffassung, dass die griechische Tragödie auf „die christliche Inkarnationslehre“ verweise, die ihren konkreten Sinn, nämlich die „Idee der absoluten Freyheit“ (GW4, 414) ausdrücke. (2) Die Entzweiung, die in der griechischen Tragödie dargestellt sei, und die, die in der Moderne bestehe, seien nicht ein und dieselbe. Nicht mehr zwischen dem Herr und dem Knecht, sondern zwischen dem Stand des Freien und dem Nicht-Freien entstehe der Konflikt in der Moderne. Was die griechische Tragödie der Philosophie übergeben habe, sei die „Erfahrung des Tragischen, des Todes, aus der „die Erfahrung des Nichts hervorgehen kann“ (W. Bonsiepen, a.a.O. 30). Die Aufgabe, wie aus dieser Erfahrung das „Leben“, nämlich die Versöhnung des Nichts und des Seins entstehen könne, könne nur die Philosophie lösen. Deswegen setzt „die Konzeption einer Tragödie im Sittlichen“ „bereits den Standpunkt spekulativen Denkens“ voraus (W. Bonsiepen, a.a.O. 31). Die Philosophie sei „voraussetzungslos“, und ihre einzige Voraussetzung sei „das Bedürfnis der Philosophie“. Aber diese Behauptung wird durch die „Eigenständigkeit“ des Hegelschen Systems in der frühen Jenaer Zeit widerlegt (H. Kimmerle, „Das Verhältnis von Philosophie und
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sierung dieses Bedürfnisses. Die Tragödie fordert die Philosophie konstruktiv heraus. Die Philosophie wiederum sieht in der Tragödie „das Klassische“ und versucht den aktuellen Sinn zu verstehen.106 Die Philosophie der Tragödie, die im Naturrechtsaufsatz entwickelt worden ist, integriert eine metaphysische Untersuchung über die Tragik, die als die Form der Vereinigung in der Moderne erreichbar ist. Diese Philosophie muss von der metaphysischen Theorie der Tragödie unterschieden werden, die Glockner vertreten hat, dass nämlich die Tragödie zeitlos in derselben Form aufgeführt werde. Die Philosophie der Tragödie muss vom „Pantragismus“ unterschieden werden, der davon ausgeht, die Tragödie sei eine schicksalhafte Form, die in das menschliche Leben immer wieder eindringe.107 Für die Philosophie der Tragödie ist die Tragödie ihrer höchsten Möglichkeit nach, nämlich in Bezug auf ihre schöne Versöhnung als eine vergangene und geschichtliche Kunstgestalt bestimmt, die nicht mehr in der Moderne wiederherstellbar ist. Die Philosophie der Tragödie ist ein Versuch, diese geschichtliche Anschauung der Vereinigung unter der veränderten Bedingung der Moderne zu erreichen. Die Konfliktmomente, die in der Tragödie dargestellt sind, müssen in einer veränderten Form wiederhergestellt werden, wobei ihre Lösung nicht im religiösen Glauben oder der ästhetischen Anschauung, sondern im philosophischen Verstehen.108 Für die Konzeption der Philosophie der Tragödie ist die Gleichrangigkeit der Religion bzw. Kunst und der Philosophie nötig, da die Tragödie schon den Endpunkt erreicht hat, den die Philosophie unter der veränderten Bedingung der Moderne wieder erreichen soll. Die Kunst war die höchste Form, in der die vollkommene Versöhnung erreicht wurde, die die Philosophie in der Moderne erst zu erreichen versucht. Diese GleichranGeschichte am Anfang der Jenaer Periode des Hegelschen Denkens“, in: Die Eigenbedeutung der Jenaer Systemkonzeptionen Hegels und dessen aktuelle Bedeutung, hg. von H. Kimmerle, Berlin 2004). Es muss hier darauf hingewiesen werden, dass die Lücke zwischen der Absicht Hegels, das Absolute durch die Philosophie zu begreifen, und ihrer Ausführung erst durch die Einführung der spekulativen Dialektik behoben wird. 106 H.-G. Gadamer, a.a.O. 290ff. 107 Menke unterscheidet auch Hegels Philosophie der Tragödie von der metaphysischen Theorie derselben. Diese hält die Tragik für ein Schicksal und stellt nur die „Resignation der Handlung“ für die Lösung des Konflikts dar (TiS, 20-21). 108 Die Philosophie der Tragödie ist für Hegel einerseits eine Diagnose der Wirklichkeit, andererseits eine Denkweise, die Negativität der Wirklichkeit zu überwinden. Diese Philosophie war im frühen 20. Jh. ein „Mode“ (J. Thaler, a.a.O. 9-40).
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gigkeit, die in der Differenzschrift dargestellt ist, muss für die Philosophie der Tragödie wieder aufgegeben werden. Denn die Philosophie ist für ihre Selbstbestimmung von der Religion abhängig, die in einer bestimmten geschichtlichen Phase Versöhnung ausgedrückt hat. Da die Philosophie über keine begriffliche Methode verfügt, um „das Absolute“ zu begreifen, bleibt für die Ausführung der Aufgabe nur eine philosophische Interpretation der geschichtlichen Religion bzw. Kunst. Die Philosophie ist auf die geschichtliche Leistung der Tragödie angewiesen, um ihre begriffliche Entwicklung zu begründen. Die Philosophie kann ihre Aufgabe, „das Absolute zu begreifen“ nur erfüllen, indem sie die geschichtliche Leistung der Tragödie versteht. Die ästhetische Harmonie ist der wichtigste Beleg für die Philosophie.
3.1.2. Die negative Dialektik oder das tragische Denken Diesen hermeneutischen Begriff, durch den die geschichtliche Kunst verstanden werden soll, formuliert Hegel im Naturrechtsaufsatz als die „Tragödie im Sittlichen“. In diesem Ausdruck stellt Hegel eine Aufgabe, wie die Trennung des Glaubens und des Wissens überwunden werden kann. Für die Methode führt Hegel die negative „Dialektik“ ein.109 In der frühen Jenaer Zeit wird die Konzeption der „Spekulation“ entwickelt, die als die Vereinigung der „Anschauung“ des Absoluten, die bereits für gegeben gehalten wird, und der „Reflexion“ erfasst ist. Die „Spekulation“ sei die Konstruktion des Absoluten für das Bewusstsein (GW4, 16). Aber für Hegel steht in dieser Zeit nicht die „spekulative“ oder „positive“ „Dialektik“ zur Verfügung, in der die „sich auf sich beziehende Negativität“ ihre 109 Die „Logik“ ist eine negative „Dialektik“, die ihre Vollendung anhand der Voraussetzung der Anschauung des Absoluten erreichen kann. Die Vollendung bedeutet ihre Selbstnegation, in der gezeigt wird, dass die endlichen Reflexionsbestimmungen in die Antinomie übergehen und sich unter der „transzendentalen Anschauung“ auflösen. Diese Logik bzw. die negative Dialektik spielt eine einführende Rolle in die Metaphysik, die als eine Selbstdarstellung des Absoluten konzipiert ist (K. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn 1984, 93-108 und M. Baum, Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, Bonn 1986). Diese negative Dialektik wird auch als „die absolute Reflexion“ bestimmt: „Die schlechte Reflexion ist das Bestehen der Bestimmtheiten des Gegensatzes; die absolute Reflexion ist das Aufheben derselben, und das absolute Erkennen ist eben diese Reflexion, welche in den Gegensatz auseinandergeht, aber ihn zurücknimmt, und absolut vernichtet“ (GW5, 264-265).
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Bewegung entwickelt.110 Die Spekulation setze einerseits die „transzendentale Anschauung“ des Absoluten voraus, die der Reflexion vorausgehe, und entwickle andererseits die Reflexion oder die Intelligenz in sich, die die „Anschauung“ in der Gestalt der reflexiven Entgegensetzung konstruiere. Wenn die Reflexion unabhängig von der Voraussetzung der Anschauung ihren eigenen Weg einschlägt, entzweit sie diese Anschauung in die gegensätzlichen Elemente und konstruiert das Herrschaftsverhältnis des Einen über das Andere. Aber diese Reflexion wird in die negative Dialektik umgewandelt, wenn sie sich von der „transzendentalen Anschauung“ abhängig macht. Für die sich auf diese Anschauung beziehende Reflexion ist ein Herrschaftsverhältnis, das sie konstruiert, einseitig, denn die im Gegensatz stehenden Momente sind gleichrangig. So ordnet die Reflexion die Neigung der Vernunft über: Das Gute ist wichtiger als die Gerechtigkeit. Wenn sie sich aber auf die Anschauung bezieht und unter der Anschauung diese beiden Momente betrachtet, wird es für die Reflexion bewusst, dass die umgekehrte These auch gilt: die Gerechtigkeit ist wichtiger als das Gute. Durch diese Antinomie oder den Widerspruch, den die Reflexion hier trifft, löst sie sich auf. Diese bewusste Auflösung der Reflexion verweist indirekt auf die unbewusste transzendentale Anschauung. Dieses „Postulat“ ist das Resultat der negativen Dialektik (GW4, 27f.). Diese Dialektik fordert die absolute Negation der Gegensätze anders als die „spekulative Dialektik“, die durch „die bestimmte Negation“ die Vereinigung der Gegensätze hervorbringt und sie nicht postuliert. Für die negative Dialektik sind die im Gegensatz stehenden Momente von dieser Vereinigung schlechthin getrennt und stellen eine bloße Einschränkung derselben dar.111 Hegel hat die negative Dialektik in Bezug auf die Konzeption der Tragödie entwickelt. Diese Dialektik bzw. die „Logik“ zielt auf die bewusste Selbstnegation des reflexiven Denkens ab. ‚Das tragische Denken‘ stellt die positive Einheit in der Gestalt des Bewusstseins dar.112 Die Darstellung des „Absoluten“ wird in der Form der negativen Dialektik durchgeführt, da die Anschauung als solche nicht darstellbar ist. Dieses ‚tragische Denken‘ wird in der Philosophie der Tragödie entwickelt. 110 Für diese spekulative Dialektik, K. Düsing, a.a.O. 189-208. 111 Diese negative Dialektik ist nur unter der „Substanzmetaphysik“ möglich, insofern das als die Substanz angeschaute Absolute nicht als Subjekt begriffen wird (K. Düsing, a.a.O. 150f.). 112 In dieser Zeit hat Hegel die Philosophie in die vier Teile eingeteilt: 1. Logik und Metaphysik, 2. Naturphilosophie, 3. Geistesphilosophie, 4. Religion- und Kunstphilosophie (GW5, 263-264).
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Der Gegensatz zwischen der Anschauung und dem positiven (z. B. jüdischen) Glauben konstituiert die Grundstruktur des Tragischen, wie im letzten Kapitel dargestellt wurde. Wenn das Denken über das Tragische als ‚das tragische Denken‘ zu konzipieren ist, ist ein Gegenmodell als ‚das reflexive Denken‘ zu bestimmen. Diese beiden Denkweisen sind darin einig, dass sie auf die Einheit abzielen. Wenn ‚das reflexive Denken‘ diese Einheit erreicht, indem es dem Einen das Andere überordnet, ist diese Einheit relativ, da diese Überordnung einseitig ist, insofern nämlich die umgekehrte Überordnung auch möglich und gleichrangig ist. Dagegen stellt ‚das tragische Denken‘ diese relative Einheit der „Anschauung“ der ganzen Einheit gegenüber. Durch diese Einbeziehung der relativen Einheit mit der Anschauung gelingt es dem tragischen Denken, zu zeigen, wie die relative Einheit sich auflöst.113
3.1.3. Die „Tragödie im Sittlichen“ Die „Tragödie im Sittlichen“, die im Naturrechtsaufsatz entwickelt wird, ist die Darstellung des tragischen Denkens, nämlich der philosophischen Interpretation des Tragischen.114 Das Absolute als die Substanz sei die unbewusste „transzendentale Anschauung“, deren Konstruktion in Gestalt des Bewusstseins als „Spekulation“ oder als der „absolute Begriff“115 die 113 Die Einheit der relativen Einheit und der Anschauung, die Hegel im Naturrechtsaufsatz formuliert, ist eine verbesserte Fortsetzung dessen, was er im Geist des Christentums und sein Schicksal als die Entgegensetzung der Anschauung Jesu mit dem jüdischen Glauben dargestellt hat. Mit dem tragischen Denken entwickelt Hegel ein triadisches Model des Tragischen. In der Frankfurter Zeit zielt das Tragische nur auf die Wiederherstellung des ursprünglichen Lebens: der Glaube an das „Leben“ – das Austreten aus dem Leben – das Zurückkehren in das „Leben“. Das Leben bleibt ein und dasselbe und schließt die reflexive Entgegensetzung, die das Resultat des Austretens aus dem Leben ist, aus. Aber ‚das tragische Denken‘ dynamisiert das Tragische: die Handlung des Individuums und die Entstehung eines Konflikts – das Erscheinen eines Gottes und die Aufhebung der Beschränktheit der Handlung – das Gestehen der Schuld und das Versöhnen. Die Natur oder das Leben verändert sich durch diesen Prozess des Tragischen, erhebt über sich und wird begeistert. 114 Die griechische Tragödie wird für Hegel als das Kriterium der philosophischen Kritik am modernen Subjekt behandelt (O. Pöggeler, Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes, München 1993, 80f.). Diese Tragödie wird im Naturrechtsaufsatz als ein Modell für die Konstruktion der modernen Sittlichkeit eingeführt. 115 Dieser „absolute Begriff“ sei nichts anderes als die „transzendentale Anschauung (GW4, 357). Aber dieser Begriff wird als Subjektivität in der späten Jenaer Zeit begriffen (K. Düsing, a.a.O. 147).
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Vereinigung der „transzendentalen Anschauung“ mit der relativen Einheit bilde. Die „Sittlichkeit“ sei eine Realität des absoluten Begriffs, bzw. eine „Erscheinung“ des Absoluten. Die „Tragödie im Sittlichen“ sei eine Philosophie der Kunst,116 die die Tragödie zum hermeneutischen Gegenstand hat, die in der Geschichte die „transzendentale Anschauung“ verbildlicht habe.117 Die Philosophie der Kunst ist nicht eine philosophische Theorie über die Kunst, sondern ein philosophisches Begreifen der absoluten Anschauung, die in der Kunst dargestellt ist. Die Kunst ist die Voraussetzung für die Letztbegründung der Philosophie,118 während die Philosophie nur zeigt, dass ihre eigene Form, nämlich die Reflexion sich auflöst. 116 Nach Trede sei die „Tragödie im Sittlichen“ nichts anderes als die Religion- und Kunstphilosophie, nämlich die Darstellung der „Anschauung Gottes“. J. H. Trede, a.a.O. 167-210. Wie Jaeschke erwähnt, konnte Hegel nicht die „Metaphysik“ darstellen, da die Anschauung für die reflexive Erkenntnis vorausgesetzt werden musste (W. Jaeschke, a.a.O. 139-152). Die Philosophie der Kunst tritt deswegen in die Stelle der Metaphysik auf. 117 Diese Konzeption der Tragödie entspricht, wie oben erwähnt, derjenigen, die Schelling in den Briefen dargestellt hat. Diese Konzeption hat Schelling im System des transzendentalen Idealismus weiter entwickelt: Die Tragödie sei „die absolute Synthesis“ der Freiheit und Notwendigkeit (AA9, 300). Der individuelle Mensch handle aus seiner Freiheit, aber ihr Werk sei „das Bewusstlose“, das durch die Menschengattung bewerkstelligt werde. Die Reihe der Handlungen scheine von der Notwendigkeit unabhängig zu sein, aber ihr Werk sei von der „verborgenen Nothwendigkeit“ bestimmt. Deswegen sei die „Geschichte“ „eine Entwicklung des Schauspiels“ (AA9, 297), das nichts anderes als eine Tragödie sei. Man kann nicht genau bestimmen, ob Hegel von Schelling diese Geschichtskonzeption als die Aufführung der Tragödie direkt angenommen habe, aber man kann davon ausgehen, dass Hegel für die Konzeption der „Tragödie im Sittlichen“ sich an Schelling angelehnte sei. 118 Man kann die „Tragödie im Sittlichen“ als ein „Deutungsmodell“ der geschichtlichen Handlung interpretieren. Diese „ästhetikimmanente“ Interpretation, die A. Gethmann-Siefert vertritt, aber sieht nicht richtig, warum Hegel diese Konzeption im Naturrechtssatz entwickelt. Nach dieser Interpretation hat Hegel diese Konzeption eingeführt, da „er die Kunst als Modell der Geschichte nochmals experimentierend testet“, um zu zeigen, dass die griechische Tragödie nicht mehr als ein Orientierungsmuster der Handlung in der Moderne anzusehen ist. (A. Gethmann-Siefert, Die Funktion der Kunst in der Geschichte, 218). Weisser-Lohmann vertritt auch diese Interpretation (E. Weisser-Lohmann, a.a.O. 109-112). Für Hegel ist, wie wir im Systemfragment gesehen haben, die griechische Tragödie eine geschichtliche Kunstgestalt. Im Naturrechtsaufsatz setzt Hegel seine Überlegung weiterfort. Für ihn ist es nicht mehr wichtig, zu prüfen, ob die alte Tragödie noch in der Moderne wiederherstellbar sei. Vielmehr untersucht er den aktuellen Sinn dieser Tragödie für die Moderne, nämlich ihre Wirkungsgeschichte. Dafür entwickelt Hegel die Philosophie der Tragödie.
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Diese Auflösung verweist indirekt auf die ästhetische Anschauung der Tragödie, durch welche die Philosophie ihre Entwicklung begründet. Um die Philosophie der Tragödie zu verstehen, arbeiten wir zunächst aus Hegels Überlegungen zur Tragödie von Aischylos eine metaphysische Darstellung der tragischen Bewegung des Absoluten heraus. Zweitens soll anhand der Analyse der Tragödie von Aischylos untersucht werden, inwiefern die Philosophie der Tragödie für die Konstruktion der modernen Sittlichkeit erforderlich ist. Drittens soll analysiert werden, warum die Philosophie der Tragödie einer Reflexion über die moderne Tragödie bedarf. 3.1.3.1. Die metaphysische Konzeption der tragischen Bewegung des Absoluten und ihre geschichtliche Realisierung In den Eumeniden von Aischylos folgt Orestes dem Befehl von Apollo, der ihn instruiert seine Mutter zu töten, die zuvor seinen Vater getötet hat. Die Ermordung der Mutter gilt jedoch als ein schweres Verbrechen für die unterirdischen Götter bzw. Erinnyen, die deswegen Orestes bestrafen wollen. Dieser Konflikt zwischen der Rache von Orestes und der Rache der Erinnyen muss vor dem Volk gelöst werden. Aus dem „menschlichen“ Gesichtspunkt erkennen die Athener die Gleichheit der Behauptungen der beiden Seiten an und lassen das Nebeneinanderbestehen der beiden zu. Aus dem „göttlichen“ Gesichtspunkt ist die „Versöhnung“ der beiden Seiten bzw. der beiden Mächte, nämlich von Apollo und von den Erinnyen nur unter der Anschauung des Absoluten möglich. Orestes muss nach Ansicht der Erinnyen bestraft werden, da er seine Mutter getötet hat. Gleichzeitig ist er unschuldig, da er dem Befehl von Apollo gefolgt ist. Durch Athene wird die Einseitigkeit von Apollo und den Erinnyen erkannt. Das Urteil von Athene ist ein Ausdruck der „Spekulation“, in der sowohl das Sein des Volkes, das Apollo vertritt, als auch der Bereich des Praktischen, den die Erinnyen beherrschen, in eine Harmonie gesetzt werden soll. In dieser Spekulation geht es nicht um das Nebeneinandersein der beiden Mächte, sondern um eine organische bzw. tragische Vereinigung derselben. Der Inhalt der „Spekulation“ wird in der „Aufführung der Tragödie im Sittlichen“ verbildlicht, in der das „Absolute“ sich als Opfer dem „Verhältnis“ seiner Realität darstellt. Das „Absolute“ erkenne das Recht seiner „Erscheinung“ an und vernichte sie, damit es zu sich zurückkehre. Bevor wir Hegels Interpretation dieser Tragödie betrachten, müssen wir zuerst verdeutlichen, was Hegel mit dem Begriff „Tragödie im Sittlichen“ ausdrückt. Die tragische Bewegung, die das „Absolute“ zeigt, stellt die metaphysischen Bestimmungen des Absoluten dar (GW4, 453). Das AbsoluChang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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te, als die lebendige Substanz, legt sich einen Leib an, damit es sich beschränkt, und bezwingt diesen gleichzeitig, um seine Identität zu erhalten. Das Absolute unterscheidet dieses Beschränken vom Bezwingen in sich und besteht als die Indifferenz gegenüber diesen beiden Momenten, deren Beziehung selber eine Totalität konstituiert und als die „Gestalt“ des Absoluten bestimmt wird, die nichts anderes als „das wahrhafte und absolute Verhältniß“ sei, „daß die eine im Ernste in die andere scheint, jede mit der andern in leibhafter Beziehung und daß sie füreinander gegenseitig das ernste Schicksal sind“ (GW4, 461). Das Verhältnis als die „Gestalt“ des Absoluten verweist indirekt durch seine negativ-dialektische Selbstauflösung auf die Indifferenz des Absoluten als solches. Die Tragik des Absoluten erhält verschiedene Darstellungen in der Geschichte. Die griechische Tragödie sei das ästhetische „Bild“ dieser Tragik (GW4, 459), das von der Komödie zu unterscheiden ist. Durch diesen Vergleich hebt Hegel hervor, dass die „Tragödie“ die einzig angemessene Darstellung dieser Tragik sei, deren ästhetische Darstellung zwar nur in der Antike möglich sei, die aber in der Moderne ihren philosophischen Ausdruck fordere. Durch diese metaphysische Betrachtung der tragischen Bewegung des Absoluten diagnostiziert Hegel einerseits den Konflikt in der Moderne als tragisch, und sucht andererseits eine Möglichkeit, diesen Konflikt zu lösen. Die metaphysische Betrachtung besagt nicht, dass alle Konflikte schon ihre Lösung in sich tragen, wie die altgriechische Tragödie gezeigt hat. Die metaphysische Bestimmung des Absoluten, die Hegel als die „Tragödie im Sittlichen“ ausdrückt, bietet nur eine Orientierung für das Denken in der Moderne an, die erst realisiert werden soll, aber sie beschreibt nicht das Vorhandensein der Dinge, deren Basis die metaphysische Logik bildet. Es konnte gezeigt werden, wie die Tragödie eine tragische Bewegung des Absoluten darstellt. Diese metaphysische Bestimmung realisiert sich in der Geschichte. Das „Verhältniß der organischen zur unorganischen Natur“ erscheine doppelt, wie das Verhältnis in der Realität des Absoluten. Wenn das System der subjektiven Bedürfnisse und das der objektiven Arbeit den Bereich des Ökonomischen als „Vielheit“ im Verhältnis ausmachen, stehe diesem der Bereich des Rechts als „Einheit“ entgegen. Das Ökonomische müsse vom Rechtssystem geregelt und kontrolliert werden. So, wie in diesem Praktischen das Ökonomische in das Rechtliche „bezwungen“ werde, erscheine das Verhältnis in der Gestalt der absoluten Sittlichkeit als eine höhere Potenz, nämlich als „Verhältniß der organischen zur unorganischen Natur“ (GW4, 454). Dieses Verhältnis werde in der Geschichte als das zwischen dem Freien und dem Unfreien realisiert, das wieder im alten Griechenland als das von Herr und Knecht, in der Moderne als das von Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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dem Regierenden und dem Bürger erscheine. Der Freie habe das absolute Bewusstsein, das das Ganze der Sittlichkeit anschaue. Dagegen reflektiere der Unfreie als empirisches Bewusstsein über die Sittlichkeit und handle innerhalb des praktischen Bereichs (GW4, 462). „Das sittliche absolute Bewußtseyn“ negiere sich durch die Fähigkeit zum Tode und schaue das Einssein mit dem Volk an. Für dieses Bewusstsein sei das Volk „ein absolutes Kunstwerk“. Dagegen genieße das empirische Bewusstsein dieses Kunstwerk als „eines gleichsam ihm fremden“. Wenn die Tragödie darstelle, dass „die sittliche Natur“ „ihre unorganische“ „als ein Schicksal von sich abtrennt und sich gegenüber stelle, und durch die Anerkennung desselben in dem Kampfe, mit dem göttlichen Wesen, als der Einheit von beydem, versöhnt ist“ (GW4, 459), drücke die Komödie die „Schicksallosigkeit“ aus. Die alte Komödie zeige „die absolute Zuversicht und Gewißtheit der Realität des Absoluten ohne Gegensatz“, da dieser nur „als der Rest oder Traum eines Bewußtseyns vereinzelter Selbstständigkeit“ erscheine (GW4, 469). Die moderne Komödie dagegen stelle dar, dass „der sittliche Trieb“ des Individuums seine Willensbestimmung für absolut halte und das Absolute mit seiner Bestimmung beschränke. Der Begriff des Rechts sei nur ein Moment des absolut Sittlichen aus dem Gesichtspunkt der Anschauung des Absoluten. Aber das Individuum in der modernen Komödie versuche, „die Systeme“ des Volks „aus Erfahrung und Vernunft“ zu „begründen“, die nur mit dem Bereich des Praktischen zu tun haben (GW4, 461). Die alte und moderne Komödie trennen „die zwey Zonen des sittlichen so von einander ab, daß sie jede rein für sich gewähren“ lassen. Hegel konstruiert die geschichtliche Sittlichkeit anhand der geschichtlichen Form der Komödie. Wie sich die alte Komödie unter dem Bewusstsein des Absoluten die Differenz der besonderen Bestimmungen in ihre Extreme fortsetzen lasse, habe die griechische Sittlichkeit in sich auch „solche heitre Erhöhungen einzelner Züge“ entwickelt, wie „Homer, Pindar, Aeschylus, Sophocles, Plato, Aristophanes“. Aber diese extremen Entwicklungen haben es ermöglicht, dass die Innerlichkeit von Sokrates sich vertieft und einen Konflikt mit der griechischen Sittlichkeit gebildet habe, der ihren Untergang verursache119 (GW4, 460). Wie in der modernen Komödie das Indivi119 Während die griechische Tragödie in der Phänomenologie des Geistes als ein Grund zum Untergang der griechischen Sittlichkeit und die griechische Komödie als ein neues Prinzip der Subjektivität für die Moderne dargestellt wird, wird die griechische Komödie im Naturrechtsaufsatz als ein Grund zum Untergang der griechischen Sittlichkeit begriffen. Diese Auffassung geht davon aus, dass das Tragische als die Erscheinungsweise der absoluten Sittlichkeit begriffen wird. Die „ästhe-
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duum seine Willensbestimmung als das „Absolute“ setze, könne man in der Moderne nur einen Wechselprozess der besonderen Rechtssysteme beobachten, der nur möglich sei, wenn man ohne Anschauung des Absoluten nur subjektive Willensbestimmungen realisiere, die für die Bildung eines besonderen Rechtssystems einen Moment ausmache. Dieses Bewusstsein, dem die „transzendentale Anschauung“ des Absoluten nicht zur Verfügung stehe, sei „das Negative“ (GW5, 309). Dieses muss aber durch die absolute Sittlichkeit nach der Tragik des Absoluten überwunden werden. Die Konstruktion der modernen Sittlichkeit anhand der Reflexion über die Tragödie und Komödie bildet den Kern des Naturrechtsaufsatzes.120 Hegel hat diese metaphysischen Bestimmungen des Absoluten als seinen tragischen Prozess bestimmt. Dieser Prozess wird im alten Griechenland in der Tragödie verbildlicht, die das „Staatswerk“ stiftet.121 Die alte Tragödie bietet die normativen Bestimmungen für die geschichtliche Sittlichkeit in der Moderne an. Der Prozess wird in der Moderne durch die philosophische Reflexion begriffen und durch die moderne Sittlichkeit realisiert, die ihre Legitimität durch die Philosophie der Tragödie erhält.
tikimmanente“ Interpretation schenkt diesem Unterschied zwischen der Phänomenologie des Geistes und dem Naturrechtsaussatz keine Aufmerksamkeit, da es ihr im Naturrechtsaussatz nur darum geht, zu zeigen, dass die Identität des Kunstwerks und des Staatswerks in der Moderne nicht möglich sei. Um diese These zu verstärken, musste diese Interpretation zeigen, dass die griechische Tragödie eine Ursache zum Untergang der griechischen Sittlichkeit sei und sie nicht mehr in der Moderne als ein Modell für die Handlungsorientierung zur Nachahmung behandelt werden könne. Aber es ist widersprüchlich, dass Hegel für die Konstruktion der modernen Sittlichkeit im Naturrechtsaufsatz die Tragödie als ihre Grundstruktur begreift. 120 Nach Riedel habe Hegel im Naturrechtsaufsatz gegen die Trennung der Vernunft von der Natur, die Kant und Fichte konzipiert haben, und gegen den privativen Begriff des Naturzustandes in der Theorie des Naturrechts den Begriff des Naturrechts zu wiederbeleben versucht. Durch die Tragödie und die tragische Konstruktion der modernen Sittlichkeit habe Hegel gezeigt, wie die Natur sich in die Sittlichkeit erhebe (M. Riedel, „Hegels Kritik des Naturrechts“, in: Hegel Studien, 4, Bonn 1967, 180-181). 121 A. Gethmann-Siefert, Einführung in Hegels Ästhetik, München 2005, 78.
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3.1.3.2. Lektüre der Tragödie In den Eumeniden von Aischylos finden wir zwei Konflikte. Der eine entsteht zwischen Apollo und den Erinnyen, die die Ermordung der Mutter rächen, und der andere zwischen Orestes und den Erinnyen. Der letztere behandelt das Problem der Strafe durch die Gerechtigkeit und der erste das des Volkes, welches mit der Gerechtigkeit im Konflikt steht. Klytaimnestra, die die „unterirdischen Götter“ beherrschen, tötet ihren Mann, Agamemnon, um ihre Tochter zu rächen. Orestes rächt wieder seinen Vater. Wegen dieser Ermordung verfolgen die Erinnyen ihn. Orestes flüchtet zum Heiligtum des Gottes Apollon. Agamemnon hat seine Fähigkeit zum Tode im Krieg gezeigt. Es ist ein Beispiel des „Negativeabsoluten“ bzw. der „Unendlichkeit“, das indirekt auf das „Einsseyn“ mit dem Volk verweist (GW4, 449). Denn „durch die Fähigkeit des Todes erweist sich das Subject als frey und schlechthin über allen Zwang erhaben. Er ist die „absolute Bezwingung“ (GW4, 448). Für diesen freien Agamemnon unternimmt Orestes die Ermordung seiner Mutter. Wenn Klytaimnestra aus ihrem subjektiven Interesse der Blutverwandtschaft handelt, zeigt die Handlung von Agamemnon eine Selbsterhebung über alle Interessen und das „Einsseyn“ mit dem Volk. Die Strafe, die die Erinnyen Orestes auferlegen wollen, gehört für Hegel zu dem Praktischen, bzw. der relativen Einheit des Absoluten, welcher aber die absolute Sittlichkeit übergeordnet ist, in der Orestes gehandelt hat. 3.1.3.3. Der Begriff der Strafe Hegel hat in der Frankfurter Zeit die Strafe im Rechtssystem im Gegensatz zum strafenden Schicksal kritisiert. Im Naturrechtsaufsatz kritisiert Hegel erneut auch die Strafe im Rechtssystem, der er aber diesmal teilweise ihre Gültigkeit zuerkennt. Die Strafe gilt innerhalb dieses Systems, die aber durch die tragische Strafe nicht vernichtet, sondern kompensiert oder „bezwungen“ werden soll. Wenn man sich bzw. seinen Willen als A bestimmt, vernichtet man –A nicht, sondern setzt es sich entgegen. Für Hegel basiert das Prinzip der praktischen Vernunft von Kant auf dieser Entgegensetzung. Wenn eine bestimmte Maxime als ein allgemeines Gesetz der Vernunft bestimmt werde, werde dieser Besonderheit der Maxime eine andere Bestimmtheit entgegengesetzt. Was Hegel hier kritisiert, ist ein kategorischer Fehler, den er im System der Sittlichkeit entwickelt hat. Man begehe diesen Fehler, Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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wenn man eine Bestimmtheit, die nur eine unter den vielen sei, von den anderen isoliere und sie als ein Allgemeines setze. Wenn z.B. das Denken das empfundene Rot ins Allgemeine aufhebe, bleibe das aufgehobene Rot trotzdem eine Bestimmtheit, die neben den anderen Farben stehe. Wenn das Denken sich als die Indifferenz des Denkens und des Objekts vorstelle und dieses als ein begriffliches Allgemeines erhebe, begehe das Denken einen kategorischen Fehler, da das Objekt, das als ein gedachtes erhoben zu sein scheine, noch dem Subjekt gegenüberstehe. Z. B. die Ermordung sei auch eine falsche Aufhebung. Sie geschehe, wenn die reine Freiheit der Intelligenz sich als die absolute Freiheit begreife, für die die reflexive Entgegensetzung aufgehoben sei oder aufgehoben werden soll, und das individuelle Leben eines anderen in seine Allgemeinheit des Denkens aufhebe. Dieses Leben sei aber „verletzt, nicht höher gehoben worden“ (GW5, 312). Denn die Aufhebung eines Individuums könne nur durch die „Sittlichkeit“ geschehen, d. h. sein Leben müsse mit dem Leben der anderen in einer institutionalisierten Sittlichkeit gestaltet werden. Was in Sittlichkeit aufgehoben werde, sei nicht die „Objectivität“ des Lebens, sondern die „Subjectivität“ desselben (GW5, 311). Wenn die reine Freiheit eines Individuums, das eine falsche Vorstellung der Indifferenz in sich habe, das Leben eines anderen aufhebe, tritt das verletzte Leben als das „Schiksal“ dem Mörder entgegen. „Mit dem Verbrechen steht die rächende Gerechtigkeit absolut in Verknüpfung“ (GW5, 312). Aber im Anerkennungsverhältnis, in dem die „Subjectivität“ des Individuums aufgehoben sei, „verwandelt sich“ die Rache „in Straffe“, denn sie werde „vom Volke übernommen“. Was in dieser Sittlichkeit durch den Mord aufgehoben werde, sei die besondere Bestimmtheit des ganzen Volkes, die wieder durch die Strafe ausgeglichen werden müsse. Im Geist des Christentum und sein Schicksal hat Hegel die gesetzliche Strafe dem Schicksal entgegengesetzt und den „Antinomismus“ vertreten, nach dem das Gesetz als das Allgemeine sich die Besonderheit des Verbrechens unterordne und dem Verbrecher als „Zwang“ erscheine.122 Was Hegel hervorgehoben hat, ist die Frage, wie der Verbrecher sein Verbrechen anerkenne und sich verbessern kann. Wenn das Leben durch das Verbrechen, das nichts anderes als das Austreten aus dem Leben sei, sich entzweie, stehe das Schicksal dem Verbrechen entgegen. Bedingt durch 122 I. Primoratz, Banquos Geist. Hegels Theorie der Strafe, Bonn 1986, 17. Die Funktion der Strafe liege in der Verbesserung des Verbrechers. Hegel kritisiere diese Strafe, da das Gesetz nur als ein Herr erscheine und die Strafe „nur ein Leiden“ sei, die beim Verbrecher nur „ein Gefühl der Ohnmacht gegen einen Herrn“ hervorrufe.
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diesen Gegensatz sei das Zurückkehren zum ursprünglichen Leben möglich. So erkenne man sein Leben selbst, da das Leben, das man ermordet habe, nicht anderes als eigenes Leben sei. Das getötete Leben erscheint als sein Schicksal, dessen Anschauung den Verbrecher zur Erkenntnis des Lebens bringe. Dagegen sei das Verbrechen unter dem Rechtssystem nur ein Beispiel der Besonderheit, die unter der Herrschaft des Gesetzes bleibe und durch die Strafe als nichtig gesetzt werden müsse. Der Verbrecher habe keine Chance, diese Herrschaft und die Strafe als vernünftig zu erkennen. Aber im Naturrechtsaufsatz wird die gesetzliche „Strafe“ umgewertet. Die Strafe wird nicht mehr als das Gegenteil der tragischen Gerechtigkeit, sondern als eine reflexive Form für das Schicksal bestimmt, das in der Tragödie von Aischylos als die Erinnyen erscheine und sein Recht durch den Konflikt erhalte. Der Grund dieser Umwertung kann auf zwei veränderte Gedanken von Hegel zurückgeführt werden. Hegel hat die gesetzliche Strafe abgewertet, da er „Leben“ und „Liebe“ der Positivität des Gesetzes entgegengestellt hat. Erstens setzt Hegel im Naturrechtsaufsatz nicht mehr das „Leben“ voraus, das in sich keine Entwicklung enthält. Die Anschauung, die die Philosophie wieder erreichen muss, ist in der Geschichte verschwunden und man kann nur in der Tragödie ihren bildlichen Ausdruck vorfinden. Diese Anschauung muss erneut durch die Philosophie erst konstruiert werden. Hierzu muss die Philosophie über die Tragödie reflektieren, da in ihr die Erscheinungsweise des Absoluten dargestellt ist. Das Verbrechen, mit welchem die tragische Bewegung des Absoluten erst beginnt, ist nicht mehr nur das „Austreten“ aus dem abgeschlossenen „Leben“, sondern ein Ausgangspunkt für die Konstruktion einer neuen Sittlichkeit.123 Zweitens hat Hegel den Begriff der Liebe verändert. Im Geist des Christentums und sein Schicksal basiert das Leben auf der „Liebe“. Die Einheit durch die Liebe wird in der frühen Jenaer Zeit abgewertet. Im System der Sittlichkeit bestimmt Hegel die Liebe als „die höchste Einheit“, „welche die Natur hervorbringen kann“ (GW5, 289). Diese Liebe sei unbegreiflich, da ihre Einheit nicht durch den Glauben erreichbar sei, wie Hegel im Sein und Glauben beschreibt (TW1, 250-254), sondern das Produkt der bloßen Natur sei, deren Form nicht transparent für den Geist sei. Die Liebe 123 Dies bedeutet nicht, dass das Verbrechen begangen werden soll. Es ist ein notwendiges Moment für die Konstruktion der Sittlichkeit, dessen Begriff analysiert und eventuell aufgehoben werden muss. Dies hat Hegel im System der Sittlichkeit ausführlich dargestellt. Dafür, St. Schmidt, Hegels System der Sittlichkeit, Berlin 2004.
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sei die Vereinigung des Subjekts der Begierde und des Objekts. Die Grenze der Liebe liege darin, dass die Unterscheidung des Subjekts und des Objekts in ihr nicht überwunden werden könne. Für die Konstruktion der modernen Sittlichkeit tritt deswegen nicht mehr die Liebe, sondern der Begriff auf, der durch die negative Dialektik seine Grenze überwindet. Die Liebe gilt nicht mehr als das Ziel, zu dem der Verbrecher zurückkehren soll, da sie bloß naturhaft und begrenzt ist, die erst durch den philosophischen Begriff überwunden werden soll. Für diesen Begriff gilt das Verbrechen als ein vernünftiges Moment, mit dem erst die Bewegung der negativen Dialektik beginnt. Das Verbrechen begeht eine Person, die sich für absolut frei hält. Sie ist die Indifferenz aller Bestimmtheit. Sie setzt eine Bestimmtheit als das Allgemeine und ordnet dieser Bestimmtheit die von dieser ausgeschlossenen unter. Diese ausgeschlossene Bestimmtheit tritt als Schicksal auf, dessen gesetzliche Form die Strafe ist. Dem Verbrechen folgt „die rächende Gerechtigkeit “. Diese Rache ist eine Korrektur der falschen Aufhebung bzw. „die Wiederherstellung der ersten ursprünglichen Besonderheit des Gegensatzes“ (GW5, 311). Die Strafe setzt A als A, das nur eine besondere Bestimmtheit neben den anderen ist, da diese Strafe –A gegen A ist. Durch diese Korrektur befreit die Strafe zugleich das Individuum von seiner Beschränkung der Freiheit, die es sich selber auferlegt hat. Die abstrakte Freiheit, die es für absolut gehalten hat, ist beschränkt, da diese Freiheit von aller Bestimmtheit isoliert ist. Sie kann nur durch ihre Konkretisierung absolut werden. A muss unter dem Ganzen (0) neben –A gestellt werden. „So ist die Strafe Wiederherstellung der Freyheit, und der Verbrecher sowohl ist frey geblieben, oder vielmehr frey gemacht, als der strafende vernünftig und frey gehandelt hat“ (GW4, 448-449). Die Strafe sei „wahrhaftig unendlich“ und „etwas absolutes, das hiemit seine Achtung und Furcht in sich selbst hat.“ Die Strafe als „das Moment des negativabsoluten oder der Unendlichkeit“ sei „Moment des Absoluten selbst“ neben den anderen Momenten, die „die Gestalt der absoluten Sittlichkeit“ ausmachen. Wenn die Strafe eine als ein Allgemeines falsch gesetzte Bestimmtheit in ihre richtige Stelle wiederbringe („A-A=0“), bleibe ihre Tätigkeit nur negativ-dialektisch. Im Vergleich zu der Strafe steige aber „die Fähigkeit zum Tode“ durch die Tapferkeit über diese bloße Negation der Negation, aus der sich nur 0 ergebe, hinaus und zeige das „Einsseyn“ mit dem Volk auf. Dadurch werde von der Strafe der Gerechtigkeit die Tapferkeit als „absolute formale Tugend“ unterschieden (GW4, 450). Orestes sei ein Verbrecher unter dem Gesichtspunkt des „Negativabsoluten“ und müsse durch die Strafe von seiner Beschränktheit befreit werChang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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den. Aber er sei unter dem des positiven Absoluten ein tapferer Mann, der seinen Vater rächt, der „das Einsseyn“ mit dem Volk durch seine Handlung gezeigt habe. Die Erinnyen fordern als „die rächende Gerechtigkeit“ seine Bestrafung, die nur negativ absolut bleibe, über die die Handlung von Orestes erhaben sei. 3.1.3.4. Die drei Schichten der Tragödienlektüre Wie Menke gezeigt hat, wird Hegels Tragödienlektüre auf einer vielschichtigen Ebene durchgeführt. Wir können die drei Schichten der Lektüre im Naturrechtsaufsatz herausarbeiten.124 Die erste Schicht ist die metaphysische Darstellung der tragischen Bewegung des Absoluten. Die zweite bezieht sich auf die Bedeutung der Tragödie für das altgriechische Volk. Die dritte Perspektive wird durch eine wirkungsgeschichtliche Lektüre bestimmt. Da wir die erste bereits betrachtet haben, werden wir im Folgenden die anderen herausarbeiten. Die Tragödie von Aischylos zeigt den Konflikt zwischen der unorganischen Natur und der organischen bzw. zwischen den unterirdischen Mächten und den himmlischen. Die Erinnyen, die das Blutverhältnis verabsolutieren, erscheinen als „die rächende Gerechtigkeit“. Aber Orestes und Agamemnon sind diejenigen, die durch „die Fähigkeit zum Tode“ ihre Freiheit gezeigt haben. Die Sittlichkeit, die diese Tragödie für die altgriechische Gesellschaft bilde, werde in einem natürlichen Verhältnis, nämlich im „Verhältniß der Herrschaft und Knechtschaft“ gestaltet (GW5, 305).125 Das natürliche Verhältnis entstehe wegen der Ungleichheit der „Macht des Lebens“ der Individuen. Der Herr sei die Indifferenz gegenüber der einzelnen Bestimmtheit, die durch „die Fähigkeit zum Tode“ ihre reine Freiheit beweise. Dagegen sei der Knecht auf eine einzelne Bestimmtheit angewiesen und unfrei. Während das Verhältnis der Herrschaft und Knechtschaft „der Natur gehört“, in der die natürlichen Mächte gegeneinander stehen, sei das Verhältnis „der Herrschaft und des Gehorchens“, das in der Moderne entstehe (GW5, 306), die „Gestaltung des Sittlichen“, in der die sittlichen Mächte vereinigt seien
124 Menke hat nur Antigone zum Gegenstand seiner Lektüre. . 125 Hegel hat die Vorstellung von Altgriechenland endgültig geändert. In der Berner Zeit hat er es für das republikanische Ideal gehalten. Aber ab in der frühen Jenaer Zeit ist es nicht mehr als Ideal, sondern wird nur als ein Ausgangspunkt zur Moderne verstanden.
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(ebd.).126 Da der Knecht nur einem Einzelnen gehorcht, bilde er keinen Stand (GW5, 334). Da aber die private Person der Regierung im sittlichen Verhältnis gehorche, diene sie dem ganzen Volk. Da dieses Verhältnis ein öffentliches sei, bilde sie einen Stand. Wie oben erwähnt, zeigen Orestes und Agamemnon ihre „Tapferkeit“, mit der sie „von dem Tode der andern widerstreitenden sich“ befreien und „durch diese Befreyung ihr eigenes Leben“ geben (GW4, 459). Dagegen sei Klytaimnestra unfrei, da sie einen kategorischen Fehler dadurch begehe, dass sie ihre Tochter räche, indem sie die Blutsverwandtschaft in ein Allgemeines erhebe, und nur „eine bloß unterirdische, reine negative Macht“ realisiere. Dieser Konflikt zwischen Orestes und den Erinnyen sei 126 Der Konflikt, der in der Tragödie im Naturrechtsaufsatz beschrieben ist, muss von dem, der in der Phänomenologie des Geistes beschrieben, unterschieden werden. Im Naturrechtsaufsatz wird dieser Konflikt nach der jeweiligen Schicht der Lektüre interpretiert. Der Konflikt, der für das altgriechische Volk steht, geschieht zwischen den beiden natürlichen Mächten, aus denen das Verhältnis der Herrschaft und der Knechtschaft erfolgt. Der Konflikt, der von den modernen Zuschauern verstanden wird, geschieht zwischen den beiden sittlichen Mächten, nämlich der relativ sittlichen und der absolut sittlichen Macht. Dagegen geschieht der Konflikt in der Tragödie, der in der Phänomenologie des Geistes interpretiert wird, zwischen der natürlichen und der sittlichen Macht. Hegel geht im Naturrechtsaufsatz davon aus, dass die Tragödie anders als die Komödie, die den Untergang des griechischen Reichs veranlasse, die die Sittlichkeit stiftende Funktion ausübe, sowohl durch ihre ästhetische Gestalt für die altgriechische Sittlichkeit , als auch durch ihre philosophische für die moderne. Dagegen liest Hegel in der alten Komödie in der Phänomenologie des Geistes das selbstbewusste Prinzip der modernen Sittlichkeit heraus. Während Hegel im Naturrechtssatz die Tragödie, da diese eine Naturgeschichte des Absoluten darstellt, in der die zwei Naturen einen tragischen Prozess bilden, als ein Modell für die philosophische Konstruktion der kulturellen Sittlichkeit betrachtet, bestimmt Hegel sie in der Phänomenologie des Geistes als ein Übergangsmoment in der Geschichte, in dem die natürliche und die sittliche Macht einen tragischen Konflikt bilden. Schulte schenkt diesem großen Unterschied zwischen dem Naturrechtsaufsatz und der Phänomenologie des Geistes keine Aufmerksamkeit. „Konstituieren den tragischen Konflikt im Naturrechtsaufsatz die beiden „Naturen“ der ,,absoluten Sittlichkeit“, wobei die „organische Natur“ den Staat, die sittliche Organisation als solche verkörpert, die „unorganische Natur“ hingegen einen dem Staat gegenüberstehenden Bezirk natürlicher Selbsterhaltung (Familie, Eigentum) und die mit ihr verbundene naturhafte Sittlichkeit, so werden gerade diese bei den Hemisphären der Ganzheit der sittlichen Substanz, das Recht des Staates („menschliches“, „überirdisches“ Gesetz) und das der Familie („unterirdisches“, „göttliches“ Gesetz), als die Kontrahenten der Tragödie in der Phänomenologie und Ästhetik hervorgehoben werden“ (M. Schulte, Die »Tragödie im Sittlichen«. Zur Dramentheorie Hegels Tragödie im Sittlichen, München 1992, 64).
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notwendig. Wie Hegel später durch die Unterscheidung der Tat und der Handlung gezeigt hat (GW14,1, 105), unterscheiden die Individuen in der alten Tragödie nicht ihre Absicht von der Folge ihrer Handlung, die von ihnen für das Schicksal gehalten werden. Dieser Glaube an das Schicksal bildet den Notwendigkeitscharakter des Konflikts. Wenn wir den Konflikt betrachten, ohne diesen Glauben zu berücksichtigen, ist er zufällig, da die Handlungen von Orestes, seiner Mutter, seinem Vater usw. durch eine Kette der Rache einander gefolgt sind, die unendlich fortgesetzt werden kann. Deswegen haben die „Athener“ das Nebeneinandersein von Orestes und den Eumeniden anerkannt. Aber wenn man aus der Perspektive der Götter diesen Konflikt betrachtet, stellt er sich als notwendig dar. Orestes folgt nicht seinem Rachegefühl, sondern dem Befehl von Apollo. Wenn die Erinnyen die Ermordung anklagen, haben sie Recht, da sie die Gerechtigkeit vertreten. Dieser Konflikt verbildlicht die griechische Mythologie, in der der Konflikt zwischen den alten Göttern und den neuen dargestellt ist. Ein Konflikt ist notwendig, wenn sein Inhalt und seine Form für notwendig gehalten werden können (TiS, 25-36). Die Inhalte des oben erwähnten Konflikts ergeben sich aus der griechischen Mythologie, in der die alten Götter und die neuen miteinander kämpfen. Die Form des Konflikts basiert auf dem Glauben der Individuen. Die Gründe für ihre Handlung kommen aus der Innerlichkeit der Individuen. Ihre Handlung ist nicht von einer außen stehenden zufälligen Veranlassung bestimmt. Diese Notwendigkeit des Konflikts kann auch einer rationalen Interpretation zugänglich gemacht werden, die nur in der Philosophie der Tragödie vollzogen wird. Die Individuen werden durch die tragische Lösung im Verhältnis der Herrschaft und der Knechtschaft vereinigt, das die griechische Sittlichkeit legitimiert. Sie besteht aus zwei Naturen, nämlich der organischen und der unorganischen Natur. Wenn diese den Bereich des Haushalts bildet, bildet jene den Bereich der Politik. Die andere Perspektive, die die Tragödie für die Moderne interpretiert,127 arbeitet aus der Tragödie die Momente für die Konstruktion der modernen Sittlichkeit heraus. Da Orestes seine Mutter ermorde, müsse er aufgrund der rechtlichen Gerechtigkeit von den Mächten des „Rechts“ der „Eumeniden“ bestraft werden. Da aber die Strafe, wie oben betrachtet, nur eine Korrektur eines kategorischen Fehlers sei, und seine Handlung das
127 Dies wird im Naturrechtsaufsatz im Folgende ausgedrückt: „Das Bild dieses Trauerspiels näher für das sittliche bestimmt, ….“ (GW4, 459).
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„Einsseyn mit dem Volk“ verbildliche und nicht nur einen kategorischen Fehler begehe, wie die Eumeniden interpretieren, werde seine Handlung nicht der Bestrafung unterzogen. Diejenigen, die im Bereich des Praktischen handeln, können nur für die Bestrafung sprechen. Aber die Freien, die diesen Bereich der „Differenz“ 128 Eine Interpretation, die die später eingeführte Dialektik in die „Tragödie im Sittlichen“ hineinliest, ohne ‚das tragische Denken‘ von der ‚spekulativen Dialektik“ zu unterscheiden, finden wir bei Michael Schulte (Den gleichen Fehler zeigt C. Alegría (Tragödie und bürgerliche Gesellschaft. Motive und Probleme der politischen Aufhebung des „Notstaats“ bei Hegel, Frankfurt am Main 1995). Er interpretiert das „Opfer“ als die „Negation der Negation“ der Freien, durch die sie zum „Individuum der absoluten Sittlichkeit“ sich erheben (M. Schulte, a.a.O. 69). Er versucht die „frühe Tragödientheorie“ im Naturrechtsaufsatz zu finden, die von der in der Phänomenologie des Geistes und der Ästhetik zu unterscheiden ist, ohne die Veränderung der Systemkonzeption von Hegel zu berücksichtigen. Aber die entwicklungsgeschichtliche Betrachtung muss eine Grundlage für die Interpretation bilden, ohne die er aber seine Interpretation vollzogen hat. Nach ihm wird die späte Tragödientheorie als das „symmetrische Tragödienmodell“ bestimmt (M. Schulte, a.a.O. 65), in dem die Gleichheit der im Konflikt stehenden Mächte akzentuiert werde (Dieses symmetrische Modell findet Schulte irrführend bei Fichte, der über das Gleichgewicht der Mächte durch die Entgegensetzung der Regierungsgewalt und einer beaufsichtigenden Staatsgewalt reflektiert hat (aber dieses Modell hat Hegel im Naturrechtsaufsatz kritisiert!) und behauptet, dass Hegel bis in den Berliner Vorlesungen über die Ästhetik dieses Modell weiterentwickelt hat (M. Schulte, a.a.O. 65-66)). Dagegen sei die „frühe Tragödientheorie“ das „asymmetrische Tragödienmodell“ (M. Schulte, a.a.O. 70), in dem die Freien durch die Negation der Negation bzw. die spekulative Dialektik zur Anschauung des Absoluten erreichen, das als das Resultat dieser Dialektik hervorgebracht werde, und ihre Herrschaft erhalten. Dagegen müssen die Unfreien bzw. Beherrschten „das Unrecht“ vergessen, „das durch das Ungleichgewicht zwischen Herrschenden und Beherrschten entsteht“ (M. Schulte, a.a.O. 69). In der späten Tragödientheorie werden den im Konflikt stehenden Mächten die Bewegung der bestimmten Negation zugeschrieben, da jede Macht in sich die ihr gegenüberstehende als ihr eigenes Moment enthalte. Durch diese Bewegung erreiche jede zur Erkenntnis der positiven Einheit. Diese Bewegung werde nach Schulte im Naturrechtsaufsatz nur den Freien zugeschrieben (ebd.). „Die Erinnyen“ konnten „nur unter Negierung ihres Anspruchs mit der Sittlichkeit der Polis versöhnt werden“ (M. Schulte, a.a.O. 70). Dieses Missverständnis tritt noch einmal zutage, wenn Schulte die Dialektik der Herrschaft und der Knechtschaft, die in der Phänomenologie des Geistes entwickelt ist, auf die Philosophie der Tragödie im Naturrechtsaufsatz anwendet. Den Konflikt, der in der Philosophie der Tragödie dargestellt wird, kann man aber nicht mit dieser Dialektik identifizieren. Aus der Endszene, dass Orestes nicht getötet wurde, zieht er eine Schlussfolgerung, dass man aus dieser Tragödie das asymmetrische Modell des Verhältnisses der Herr-
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überspringen, erkennen den richtigen Sinn der Handlung von Orestes. Für sie sei der Konflikt zwischen Orestes und den Erinnyen nicht ein gerichtlicher. Er bestehe vielmehr zwischen dem Volk und der rechtlichen Gerechtigkeit, die dem Volk untergeordnet sei. Das Urteil von Athene erkenne beiden, Orestes und den Erinnyen das Recht zu, welches den beiden angemessen sei. Diese Gerechtigkeit müsse respektiert, aber ihre Beschränktheit auch hervorgehoben werden. Für diesen Bereich der Differenz müsse das Volk als ihre Indifferenz anerkannt werden, die aber in sich die Differenz auch respektieren solle, da das Volk ohne den praktischen Bereich überhaupt nicht existieren könne. Diese beiden werden in einem Verhältnis der „Herrschaft und des Gehorchens“ versöhnt.128 129
schaft und der Knechtschaft finden kann. Aber wie oben erwähnt, gehört die Strafe zum Bereich der Differenz, über den aber die Handlung von Orestes als die Realisierung der absoluten Indifferenz hinaussteigt. Wenn Orestes bestraft, nämlich getötet würde, wäre es „unsittlich“ unter dem Aspekt der absoluten Sittlichkeit. Nach dem Gesichtspunkt der gerichtlichen Gerechtigkeit hat Orestes ein Verbrechen begangen. Aber die Erinnyen haben auch Unrecht getan, indem sie diese Gerechtigkeit für absolut sittlich gehalten haben. Die Gerechtigkeit wurde dadurch nicht abgewertet, dass Orestes nicht bestraft wurde. Vielmehr wurde ihr ihre richtige Bestimmung in der Sittlichkeit zugeschrieben. Die Symmetrie des Konflikts liegt darin, dass seine Lösung im Naturrechtsaufsatz nicht durch die spekulative, sondern nur durch die negative Dialektik ausgeführt wird. Die Lösung gibt Athene, für die die beiden nur einseitig sind. Das Wissen dessen, dass das Absolute sich tragisch realisiert, besitzt nur Athene. Dieses Wissen gewinnt der Freie nicht, wie M. Schulte behauptet, da das Wissen nur gegeben wird, aber nicht dialektisch gewonnen wird. Das Wissen ist die transzendentale Anschauung, die nicht dialektisch, bzw. diskursiv erreicht werden kann. 129 Wir können Hegels Philosophie der Tragödie der kritischen Prüfung unterziehen, ob Hegel durch „das Verhältniß der Herrschafft und des Gehorchens“, durch welches die moderne Ständegesellschaft konstruiert wird, „die ernsthafter werdende Besonderung des Sokrates“, die „Energie der … aufkeimenden Individualisierungen“, die den Untergang der griechischen Sittlichkeit verursacht, richtig dargestellt habe (M. Riedel, a.a.O. 177-20). Was Hegel über die Naturrechtstheorie und den Formalismus von Kant kritisiert, wollte er durch seine Philosophie der Tragödie überwinden. Aber indem Hegel unter der „Substanzmetaphysik“ die absolute Sittlichkeit gegen Kant darstellt, unter die die absolute Freiheit des atomisierten Individuums unterworfen wird, versucht er gegen die Naturrechtstheorie die Freiheit des Individuums durch ihre Institutionalisierung zu bewahren. Aber ob es ihm durch die Philosophie der Tragödie im Naturrechtsaufsatz gelang, diese widersprüchlichen Seiten in Harmonie zu bringen, ist fraglich. Riedel geht davon aus, dass Hegel den „Kampf der Einzelnen um die gegenseitige Anerkennung“ seit 1803/04 eingeführt hat (M. Riedel, a.a.O. 190) und dass es ihm dadurch gelang, sich von der klassischen Politik zu befreien, in der das Individuum als das politi-
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3.1.3.5. Die Unterscheidung der Tragödie von der Philosophie der Tragödie: das Problem der modernen Tragödie Nach Weisser-Lohmann130 geht Hegel davon aus, dass die Tragödie die die Sittlichkeit stiftende Funktion in der Geschichte ausübt. Für Hegel sei die diese Funktion ausübende Tragödie in der Moderne nicht mehr möglich, da nach Hegels Verständnis der modernen Komödie die Konstruktion der ganzen Sittlichkeit durch die Handlung der Heroen in der Moderne nicht möglich sei. In der Moderne werde das Interesse der Individuen vielfältig. Durch diese „Besonderung“ sei es nicht mehr möglich, dass ein notwendiger Konflikt geschehe und dominant wirke, da die Interessen mannigfaltig seien, deren Verfolgung zufälligerweise einen Konflikt generieren könnte, der aber nicht mehr allgemeingültig gelte, wie in der Antike. Wie oben erwähnt, unterscheidet Hegel die metaphysischen Bestimmungen der Tragödie, die Tragödie und die Philosophie der Tragödie voneinander. Die Tragik, die in der Tragödie dargestellt ist, kann für ihn in der Moderne durch die Philosophie ihren neuen Sinn erhalten. Diese Tragik ist aber nicht in der Moderne gegeben, sondern muss durch die Philosophie erst realisiert werden. Die These von Weisser-Lohmann, dass die alte Tragödie in der Moderne nicht mehr möglich sei, ist richtig. Aber durch die Philosophie der Tragödie wollte Hegel nicht nur diese These vertreten. Hegel versucht durch die Auseinandersetzung mit der modernen Tragödie seine Philosophie der Tragödie zu rechtfertigen. Für die Rechtfertigung muss Hegel argumentieren, dass die moderne Tragödie nicht für die Konstruktion der modernen Sittlichkeit geeignet sei, für die nur die Philosophie der Tragödie eingesetzt werden könne.
3.2. Die Melancholie und das Problem der modernen Tragödie Hegel zeigt im Naturrechtsaufsatz durch die Philosophie der Tragödie, dass die alte Tragödie als eine geschichtliche Kunstgestalt die Anschauung des Absoluten in der „Geschichte der Menschheit“ bildhaft darstelle, und dass
sche Nichts angesehen wird. Die Kritik hat mit dem Motiv der spekulativen Dialektik zu tun, durch die Hegel seine Philosophie der Tragödie zurückweist. 130 E. Wisser-Lohmann, a.a.O.
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diese Kunst als eine philosophisch begriffene Gestalt ihren Sinn in der Moderne habe. Hier können wir die Frage stellen, warum Hegel die moderne Tragödie als ein Modell für die Konstruktion der modernen Sittlichkeit nicht gewählt habe. Diese Frage setzt bereits voraus, dass die moderne Tragödie von der alten zu unterscheiden ist. Die beiden haben zwar eine Gemeinsamkeit, insofern sie unter der „Tragödie“ begriffen werden können. Aber die moderne Tragödie stellt eine andere tragische Erfahrung dar, als die, die in der alten verbildlicht ist. Nach Weisser-Lohmann ist „Partikularisierung der berechtigen Hauptinteressen“ „für Hegel das Signum der Moderne“131. Ein Interesse, das ein Individuum verfolge, sei durch die „Besonderung“ der Interessen eins unter vielen geworden. Wenn ein Konflikt entstehe, sei er nur zufällig. „Die Darstellung des Konflikts zweier berechtigter Hauptinteressen“, der in der alten Tragödie verbildlicht sei, sei nicht geeignet für die Konstruktion der modernen Sittlichkeit, da in dieser die „Besonderung“ der Interessen wesentlich sei. Durch den zufälligen Konflikt, der in der modernen Tragödie dargestellt werde, könne aber die moderne Sittlichkeit nicht konstruiert werden. Die Handlung gelte nicht mehr als ein Moment für die Konstruktion der Sittlichkeit in der Moderne. Die moderne Sittlichkeit könne nicht durch die Handlung konstruiert werden, die vielmehr die schon konstruierte Sittlichkeit voraussetze. Weisser-Lohmann begründet den Unterschied zwischen der alten und der modernen Tragödie aus dem „systematische[n] Wandel“132, der durch „die Aufnahme der Bewußtseins-philosophie“ durchgeführt worden ist. Hier geht es darum, warum Hegel die moderne Tragödie bereits im Naturrechtsaufsatz für die Konstruktion der modernen Sittlichkeit nicht gewählt habe. Um diese Frage zu beantworten, können wir selbstverständlich wie Weisser-Lohmann Hegels späteren Gedanken einführen. Aber wenn Hegel seine Systemkonzeption geändert hat, und trotzdem vor dieser Änderung die moderne Tragödie für die Konstruktion der modernen Sittlichkeit nicht gewählt hat, müssen wir innerhalb seines Gedankens in der frühen Jenaer Zeit eine Antwort finden, den Hegel später aufgegeben hat. Für diese Überlegung betrachten wir einen kleinen Aufsatz, der mit „Über Wallenstein“ betitelt ist.133 131 E. Weisser-Lohmann, a.a.O. 112. 132 ebd. 133 Zur Datierung des Aufsatzes, A. Gethmann-Siefert, a.a.O. 127, Anm. 91. Nach J. Hoffmeister sei die Entstehungszeit dieses Aufsatzes eine Zeit vor dem September 1800 bzw. vor der Ausarbeitung des Systemfragments von 1800 festzustellen.
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3.2.1. Die Reflexion über die melancholische Verfassung der Moderne Die Melancholie fungiert als wichtiger Begriff in Hegels Bestimmung der modernen Tragödie. Die Konzeption der Melancholie ist nicht nur eine traditionelle Kennzeichnung, die in der Charakterologie, Temperamentlehre und Astrologie üblich ist,134 sondern konnte sich bereits in der Aufklärungszeit verbreiten, wie Schings in Melancholie und Aufklärung belegt.135 Nach Schings ist „ein spezifisch anti-melancholisches Interesse der Aufklärung an der Melancholie“ zu finden (Schings, 39), in dem die traditionale Unterscheidung zwischen der Melancholie als Krankheit und der Melancholie als Temperament negiert und sie nur als Krankheit kritisiert wird.136 Zwar hat Kant die traditionelle Konzeption der Melancholie, die mit der Vorstellung „Genie“ verbunden ist, wieder zu beleben versucht. Aber die anti-melancholische Meinung hat sich durchgesetzt (Schings, 53-56). Wenn die Melancholie als ein Gegenteil der Aufklärung verstanden wird, bedeutet Aufklärung den Fortschritt in die Zukunft. Dagegen ist die Melancholie als das Zurückkehren in die Natur zu bestimmen.137 Der Melancholiker isoliert 134 Eine umfangreiche und klassische Studie dafür: R. Klibansky, E. Panofsky und Fr. Saxl, Saturn und Melancholie. Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990 (= Saturn und Melancholie). 135 Hans-Jürgen Schings, Melancholie und Aufklärung. Melancholiker und ihre Kritiker in Erfahrungsseelenkunde und Literatur des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1977 (= Schings). 136 Ursprünglich wurde die Melancholie als ein Krankheitserreger angesehen. Aber sie wurde in ihrer Konzeptionsentwicklung für ein Temperament gehalten (Saturn und Melancholie, 39-124). 137 Wie Borchmeyer zeigt, beherrscht Saturn, der Gott der Melancholie das vorgeschichtliche, vorsprachliche goldene Zeitalter, dagegen in der Kulturzeit tritt Jupiter als Herrscher auf, wie die „Frühromantiker“ formuliert haben (Schlegel, Hölderlin und Creuzer). Die Melancholie sei eine Sehnsucht nach dem goldenen Zeitalter in der Kulturzeit. Die Kunst sei eine Versöhnung der Natur und der Kultur, nämlich ein Produkt der Melancholie (D. Borchmeyer, Macht und Melancholie. Schillers Wallenstein, Frankfurt am Main 1988 (= Macht und Melancholie), 148150). Die Entgegensetzung zwischen der Melancholie und der Aufklärung, die Schings als seine Hauptthese beansprucht, hält Hegel für eine bloße Reflexion. Für Hegel müssen sowohl die Melancholie als auch die Aufklärung der Kritik unterzogen werden. Die „Melancholie“ hat in der Aufklärungszeit in sich viele Ausdrucksweise gefunden. „Die Reichweite der Melancholie-Kritik erhellt, wenn man weiß, daß sich hinter Namen wie Schwärmer, Fanatiker, Enthusiast, aber auch Pietist
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sich vom sozialen Zusammenleben, das das Produkt der Kultur ist, und tritt als „der Gesellschaftsfeind par excellence“ (Schings, 46) auf. Durch diese Isolierung drückt der Melancholiker seinen „Menschenhaß“ aus (Schings, 47). Gegen diese anti-melancholische Aufklärungstheorie hat Kant in der vorkritischen Phase die Melancholie durch die Theorie des Erhabenen umgewertet und sie mit der traditionellen Genielehre oder der „Dichtermelancholie“ verbunden. Der Unterschied zwischen der Melancholie von Kant und der traditionellen liegt darin, dass Kant sie mit der moralischen Tugend in Verbindung setzt (Schings, 54). In den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen begründet der vorkritische Kant die Ethik durch das moralische Gefühl, das auf das Gefühl des Erhabenen und das des Schönen angewiesen ist.138 Kant bezieht die Theorie des moralischen Gefühls auf die Temperamentlehre, auf welcher die Ethik basiert. Wenn man eine melancholische Gemütsverfassung habe, habe man Verdruss gegenüber der Welt und sich selbst und habe in sich „ein hohes Gefühl von der Würde der menschlichen Natur“ als „das ursprüngliche moralische Gefühl“, das nichts anderes als das Gefühl vor dem Erhabenen139 sei. Der sanguinische Charakter handle nur aus dem „Gefühl von Mitleid und Gefälligkeit“, bzw. dem Gefühl vor das Schöne“140: der Choleriker aus und Religionist, daß sich hinter Enthusiasmus und Phantasie, hinter Aberglauben, Sektierertum und nicht zuletzt hinter der asketisch-dogmatischen Religion Melancholie zu verbergen pflegt – jedenfalls nach dem Willen ihrer Kritiker“ (Schings, 39). Anhand des Rangstreites „zwischen den hitzigen und den kalten Köpfen, zwischen Phantasie und Vernunft, zwischen Philosophie und Poesie, zwischen Empfindung und Abstraktion, zwischen Bildersprache und Begriffssprache“ (Schings, 270), der nach Schings in Bezug auf „die neue literarische (und emotionale Bewegung des Sturm und Drang“ auftreten ist, können wir das Grundmotiv von Hegel im ältesten Systemprogramm neu interpretieren. In diesem versucht Hegel gegen die anti-melancholische Aufklärung einerseits die Melancholie und die Aufklärung zu kritisieren, andererseits in die Harmonie zu bringen. 138 Kant begründet die Ethik durch das moralische Gefühl, da er in dieser vorkritischen Phase auf ‚moral-sense-theory‘ von Hutcheseon, Shaftbury angewiesen ist (K. H. Park, Kant über das Erhabene. Rekonstruktion und Weiterführung der kritischen Theorie des Erhabenen Kants, Würzburg 2009, 30). Seit 1770 sucht Kant den Grund des moralischen Urteils nicht mehr im moralischen Gefühl, sondern im Vernunftbegriff, da das Gefühl privat ist. Das Gefühl wird nicht als der Bestimmungsgrund des Willens, sondern der „Begehrungsgrund moralischer Handlung“ umgewertet, da es erst durch das moralische Urteil durch den Vernunftbegriff affiziert wird (K. H. Park, a.a.O. 45). 139 K. H. Park, a.a.O. 37. 140 I. Kant, „Die Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“, in: W. Bd. 2, 842.
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dem „Gefühl vor Ehre“. Diese beiden Charaktere seien nicht selbständig und können ihre Entscheidung oft ändern. Dagegen handle der Melancholiker aus dem moralischen Grundprinzip, nämlich aus dem Gefühl der Menschenwürde und sei standhaft. Aber der Melancholiker sei der Krankheit der Melancholie ausgesetzt. „In der Ausartung dieses Charakters neiget sich die Ernsthaftigkeit zur Schwermut, die Andacht zur Schwärmerei, der Freiheitseifer zum Enthusiasmus. Beleidigung und Ungerechtigkeit zünden in ihm Rachbegierde an. Er ist alsdenn sehr zu fürchten. Er trotzet der Gefahr und verachtet den Tod. Bei der Verkehrtheit seines Gefühls und dem Mangel einer aufgeheiterten Vernunft verfällt er aufs Abenteuerliche“141.
Es ist bekannt, dass Kant sein Leben diszipliniert hat, um sich von der Angst vor der Schwärmerei zum Abenteuerlichen zu befreien.142 Obwohl der Melancholiker ein sehr moralischer Mensch sei, sei er der Schwärmerei ausgesetzt. Die Melancholie habe in sich die gegensätzlichen Momente: Das eine sei das moralische Gefühl bzw. die Vernunft, das andere „das Andere der Vernunft“, nämlich die Schwärmerei.143 In diesem Sinne belebt Kant die traditionelle Lehre der Melancholie wieder. Aber in der Kritik der Urteilskraft verliert der Begriff der Erhabenheit den Bezug auf das melancholische Temperament. An die Stelle des melancholischen Temperaments tritt die Vernunftidee. Das Gefühl der Erhabenheit erfahren nicht nur diejenigen, die die besondere Gemütsverfassung haben, sondern alle Menschen, die die Fähigkeit zur Vernunft in sich haben. Aber diese Theorie der Erhabenheit muss als eine Fortsetzung der Theorie der „Melancholia generosa“ interpretiert werden, in der das spezifische „poetische“ Melancholiegefühl der Moderne ausgedrückt wird, das darin besteht, dass das Subjekt sich von der Welt isoliert und in sich die Transzendenz findet und zugleich seine Einsamkeit als bitter empfindet.144 Dieses Mischungsgefühl der Lust und Unlust als „poetische Melancholie“ wird in der kritischen „Theorie des rein ästhetischen Urteils über das Erhabene“145 wieder aufgegriffen. 141 ebd. 142 H. Böhme u. G. Böhme, Das Andere der Vernunft. Zur Entwicklung von Rationalitätsstrukturen am Beispiel Kants, Frankfurt am Main 1985, 389-397. Kant selbst habe seine „natürliche Anlage zur Hypochondrie“ gut gekannt. Seine theoretische Arbeit sei ein Schutzmittel für die Anfälligkeit zur Schwärmerei. 143 Saturn, der die Melancholie beherrscht, wurde traditionell immer als der „Gott der Gegensätze“ verstanden, da Kronos als der Schöpfer des Universums von diesem verbannt ist (Saturn und Melancholie, 211). 144 Saturn und Melancholie, 319-350. Vgl. Schings, 55. 145 K. H. Park, a.a.O. 118-172.
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Das Gefühl der Erhabenheit sei das der Einstimmigkeit zwischen der Unlust an der Unfähigkeit der Einbildungskraft, die Übergröße der Natur zu messen, und der Lust an der Vernunft, die über die sinnliche Übergröße der Natur hinaussteige. Die Melancholie hat mit diesem widersprüchlichen Gefühl der Erhabenheit zu tun. Durch diese Theorie der Erhabenheit ist die Melancholie als eine Fähigkeit des Menschen zu bestimmen, die nicht mehr einem besonderen Charakter zuzuschreiben ist. Schiller entwickelt Kants Theorie der Erhabenheit und der Melancholie durch die Konzeption der sentimentalischen Dichtung weiter.146 Schiller reflektiert über die Ambivalenz, die der Melancholie immanent ist. Der Theorie der sentimentalischen Dichtung legt er „Melancholia generosa“ zugrunde, die eine Mischung der Verweigerung der zerrissenen Wirklichkeit und der Sehnsucht nach dem moralischen Ideal ausdrückt. „Das sentimentalische Genie […] ist der Gefahr ausgesetzt, über dem Bestreben, alle Schranken von ihr [Natur – C. C. O.] zu entfernen, die menschliche Natur ganz und gar aufzuheben, und sich nicht bloß, was es darf und soll, über jede bestimmte und begrenzte Wirklichkeit hinweg zu der absoluten Möglichkeit zu erheben oder zu idealisieren, sondern über die Möglichkeit selbst noch hinauszugehen oder zu schwärmen“147.
Schiller ist davon überzeugt, wie Kant, dass die Melancholie gegenüber der Schwärmerei anfällig sei. Er erkennt die Widersprüchlichkeit der Melancholie. Diese versucht einerseits über die Bestimmtheiten hinaus das moralische (ästhetische) Ideal zu erreichen. Andererseits kann sie abstrakt bleiben. Deswegen ist die Fantasie ohne Gesetzgebung der Vernunft zügellos und „gefährlich“. Diese ambivalente Bewertung der Melancholie bestimmt seine „Vorstellung des wahren sentimentalisch-elegischen Dichters“ (Schings, 269). Elegie verbindet die Sehnsucht nach dem Ideal mit der Trauer über die Zerrissenheit der Wirklichkeit. Daraus leitet Schiller „die neue Würde der Melancholie“ ab (ebd.).
146 Wie die Interpretationsgeschichte von Schiller belegt, versucht man in der aktuellen Forschung nicht mehr eine einheitliches Bild über Schiller, sondern ein widersprüchliches herauszufinden, nach dem er nicht die Harmonie zwischen der Schönheit und der Erhabenheit, sondern die Unterscheidung zwischen den beiden und das Verhältnis zwischen der Sentimentalischen Dichtung und der Melancholie bzw. der Erhabenheit akzentuiert (Z. B. P. Barone, Schiller und die Tradition des Erhabenen, Berlin 2004), 11-28, Friedrich Schiller Wallenstein. Interpretation von Michael Hofmann und Thomas Edelmann, Stuttgart 1989, 11-19). 147 F. Schiller, Sämtliche Werke (=SäW). Bd. V, hg. von G. Fricke u. H. G. Göpfert. München 1959, 759.
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Hegels Darstellung von Abraham können wir als die Melancholie-Kritik interpretieren, da Hegel in ihm einen typischen Melancholiker findet. Wie oben erwähnt, hat Abraham sich vom Zusammenleben isoliert und eine Idee (Gott) erfunden, von der das konkrete Leben beherrscht werden soll, um seine individuelle Existenz abzusichern und um mit Hilfe dieser Idee die anderen Menschen zu beherrschen. Diese Gier nach der Isolation und nach der Herrschaft kommt aus dem „Menschhaß“, bzw. seiner „Misanthropie“. Diesen melancholischen Charakter findet Hegel in der modernen Tragödie. Dieselbe Misanthropie wird durch Macbeth verkörpert. Er übergibt sich den Hexen, um seine Gier nach der Macht zu erfüllen und tötet seinen Freund. Der Konflikt, den Macbeth hervorgebracht hat, ergibt sich nicht aus einem „notwendigen“ Fehltritt „eines schönen Wesens“, sondern aus dem „Schicksal Macbeths, der aus der Natur selbst trat, sich an fremde Wesen hing und so in ihrem Dienste alles Heilige der menschlichen Natur zertreten und ermorden von seinen Göttern (denn es waren Objekte, er war Knecht) endlich verlassen und an seinem Glauben selbst zerschmettert werden mußte“ (TW1, 297). Die Natur, die in der Frankfurter Zeit als eine herrschaftslose Gesellschaft verstanden wird, die als Ideal die Kultur erst erreichen soll, hat Macbeth verlassen. Die plastischen Charaktere in der alten Tragödie drücken eine menschliche Natur aus, die mit der anderen in einen notwendigen Konflikt gerät, da diese auch aus ein und derselben Natur kommt. Die Charaktere in der modernen Tragödie verlassen diese Natur, d.h. sie versuchen sich von dieser Natur zu isolieren und sie unter ihrer Herrschaft zu halten. Der Konflikt entsteht nicht innerhalb der menschlichen Natur, sondern zwischen dem melancholischen Charakter und der Natur selbst. Dieser Versuch kann sich aber nicht durchsetzen, da die Idee, unter die sie die Natur bzw. Welt zur unterwerfen versuchen, abstrakt bleibt. Die Handlung von diesem Charakter ist in diesem Sinne nicht konstruktiv für die Gesellschaft, sondern zerstörerisch.148 Ein Grundmotiv, das Hegel dazu führt, sich mit der Geschichte von Abraham und Macbeth auseinanderzusetzen, liegt in der Diagnose des modernen Subjekts.149 Hegel leitet vom Leben Abrahams die Grundver-
148 Platon bezieht die Herrschaftsgier auf die Melancholie (Saturn und Melancholie, 57). Für ihn sei diese für eine Krankheit gehalten. Die aristotelische Schule habe zuerst die Melancholie als Temperament formuliert. 149 Durch die Beschreibung von Abraham versucht Hegel seine Zeit zu diagnoszieren (O. Pöggeler, Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes, 79-80).
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fassung der Moderne ab, die als melancholisch angesehen werden kann.150 Hiermit kritisiert Hegel einerseits die melancholische Verfassung der Moderne, die durch die versachlichende Tätigkeit des modernen Subjekts gestiftet wird, versucht andererseits eine Lösung dafür in der alten Tragödie zu finden. Der erste Versuch ist die Darstellung des Lebens Jesu, der für melancholisch gehalten wird. Die Philosophie der Tragödie ist der zweite Versuch, in dem er die moderne Zerrissenheit bzw. ihre melancholische Verfassung durch die Tragödienkonzeption überwindet, wie wir oben betrachtet haben. Hegel findet nicht ein Modell in der modernen Tragödie für die Konstruktion der modernen Sittlichkeit, da in ihr nur der melancholische Charakter als „schöne Seele“ auftritt, die sich von aller Bestimmtheiten isoliert und das reine Ideal ausschließlich in sich findet.151 Die moderne Tragödie ist eine deskriptive Darstellung der melancholischen Verfassung der Moderne, in der keine Lösung ausgedrückt wird. Gegen diese deskriptive ist die Philosophie der Tragödie als eine normative zu bestimmen, durch die Hegel über eine Lösung reflektiert. In Schillers Wallenstein findet Hegel ein Beispiel der modernen Tragödie wieder.152 Durch die Lektüre aber findet er in der modernen Tragödie eine neue Möglichkeit des Ästhetischen, das nicht nur die melancholische Verfassung darstellt, sondern eine kritische Reflexion für sie ermöglicht, die von der Philosophie der Tragödie zu unterscheiden ist und diese eventuell kompensiert.
150 Von der Tradition, dass die Melancholie für „Krankheit der Heroen“ gehalten wird (Saturn und Melancholie, 56), nimmt Hegel endgültig Abschied, da für ihn nur die Charaktere in der modernen Tragödie melancholisch sind. 151 Da wir uns später in der Phänomenologie des Geistes mit der „schönen Seele“ beschäftigen, sei es hier ausreichend, nur darauf hinzuweisen, dass die „schöne Seele“ im Wilhelm Meisters Lehrjahr von Goethe für melancholisch gehalten wird (M. Schmaus, Psychosomatik: Literarische, philosophische und medizinische Geschichten zur Entstehung eines Diskurses (1778-1935), Tübingen 2009, 107ff.). Dem Verfasser nach kann Bildungsroman als „therapeutisches Genre“ für die moderne Melancholie angesehen werden. 152 Über die Frage, ob Wallenstein von Anfang an nach der Geburt ein Melancholiker oder zu diesem geworden ist, ist Hegel der Meinung, dass er ein Melancholiker geworden sei. Damit ist gemeint, dass er typisch ein moderner Mensch sei. Borchmeyer interpretiert, dass Wallenstein wie Hamlet nicht von Natur aus Melancholiker sei. Wie Hamlet nach dem Tod seines Vaters, ist Wallenstein „durch seine Absetzung auf dem Reichstag zu Regensburg“ von der Melancholie ergriffen worden (Macht und Melancholie, 84). Für Borchmeyer ist diese Frage wichtig, da er die Melancholie als einen individuellen Charakter interpretiert, während Hegel sie aus der Grundverfassung der Moderne begreift.
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3.2.2. Die Interpretation von Wallenstein 3.2.2.1. Die Grundstruktur von Wallenstein Hegel erkennt in Wallenstein von Schiller zwei Schicksale: Das eine ist „das Schicksal des Bestimmtwerdens eines Entschlusses“, das andere ist „das Schicksal dieses Entschlusses und der Gegenwirkung auf ihn“. Jedes könne als „ein tragisches Ganzes“ betrachtet werden, das jeweils eine Tragödie ausmache. „Der große Mensch“ Wallenstein, der frei und selbständig erscheine, sei die der Bestimmtheit gegenüberstehende schöne Seele.153 Gegenüber dieser „ästhetischen Bestimmbarkeit“ der Seele, die von der bloßen „Bestimmungslosigkeit“ zu unterscheiden sei,154 teile sich „die Bestimmtheit“ in zwei Teile. Die eine Bestimmtheit sei die innerhalb der Lage von Wallenstein bestehende und die andere die außerhalb derselben liegende. Wallenstein habe die Herrschaftsmacht über die ihm folgenden Soldaten und sei ein den Freunden und den Feinden Furcht erregendes Wesen. Er sei erhaben über die typisch moderne „Bestimmtheit“, dass die existierende soziale Ordnung das Individuum zur Einordnung nötigt. Aber er sei nicht ein Fanatiker, der alle sozialen Lebensformen vernichte und sich nur in der Unbestimmtheit zu isolieren versuche. Die alle Bestimmtheiten vernichtende Seele könne keinen Zweck verwirklichen. Sein Plan müsse sich über die beiden isolierten, d. h. Bestimmtheit und Unbestimmtheit erheben. Sein einzig möglicher Plan liege darin, „fürs Allgemeine Deutschland Frieden zu gebieten, fürs Besondere sich selbst ein Königreich und seinen Freunden verhältnismäßige Belohnung“ zu geben. 153 Hegel bestimmt zwar Wallenstein nicht als eine schöne Seele, aber als ein selbstgenügsames Wesen. Diese „Selbstgenügsamkeit“ aber ist als das Wesen der „schönen Seele“ zu bestimmen. Vgl. D. Henrich, „Der Begriff der Schönheit in Schillers Ästhetik“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung. 11 (1957), 541. 154 Schiller unterscheidet in seinem 21. Brief in seiner Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen die Bestimmungslosigkeit von der ästhetischen Bestimmbarkeit. „Das Gemüt ist bestimmbar, bloß insofern es überhaupt nicht bestimmt ist; es ist aber auch bestimmbar, insofern es nicht ausschließend bestimmt, d. h. bei seiner Bestimmung nicht beschränkt ist. Jene ist bloß Bestimmungslosigkeit (es ist ohne Schranken, weil es ohne Realität ist); dieses ist die ästhetische Bestimmbarkeit (es hat keine Schranken, weil es alle Realität vereinigt)“ (SäW V, 634). Die ästhetische Bestimmbarkeit des Gemüts bedeutet, dass es sich aus der unendlichen Fülle seiner Bestimmtheiten bestimmt. Dieser Form der höchsten Realität der Bestimmtheit steht die der absoluten Negation gegenüber, in der das Gemüt keine Bestimmtheit in sich zulässt.
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Hegel folgt Schiller darin, dass die „ästhetische Bestimmbarkeit“ von Wallenstein von der bloßen Bestimmungslosigkeit zu unterscheiden sei.155 Die Bestimmungslosigkeit verweise auf den „Fanatismus“, der als „eine leere Unendlichkeit“156 alle Bestimmtheiten negiere. Die ästhetische Bestimmbarkeit schreibe dem Menschen keinen Charakter zu, weil sie sich auf keine Bestimmtheit beziehe, indem sie alle Bestimmtheit umfasse. Der Mensch „in dem ästhetischen Zustande“ sei charakterlos. Diese ästhetische Bestimmbarkeit besitze der Mensch „der Anlage nach“ schon, aber verliere durch seine Handlung „mit jedem bestimmten Zustand“. Aber „die Schönheit“ als „unsre zweite Schöpferin“ gebe dem Menschen „das Vermögen zur Menschheit“ zurück. Hegel nimmt zwar diese Unterscheidung der Bestimmungslosigkeit von der ästhetischen Bestimmbarkeit an, aber er fragt danach, ob sie auch durch die Handlung in der Wirklichkeit realisierbar sei. Die ästhetische Bestimmbarkeit enthält die einzelnen Bestimmtheiten in sich, insofern sie „nicht ausschließend bestimmt“. Sie bestimmt sich aus sich selbst zur Handlung, indem sie ihre reine Möglichkeit negiert, sich „nicht ausschließend“ zu bestimmen. Aber diese Selbstbestimmung muss zugleich negiert werden, wenn die reine Bestimmbarkeit erhalten werden soll. Diese Möglichkeit garantiert nicht, dass diese doppelte Negationsbewegung in der Wirklichkeit durchgeführt werden kann, da die bloße Möglichkeit der Wirklichkeit gegenübersteht, obwohl die Möglichkeit dem Begriff nach über der Wirklichkeit steht. Deswegen interpretiert Hegel diese ästhetische Bestimmbarkeit als die Unbestimmtheit, die einfach der Bestimmtheit gegenübersteht: Die reine Möglichkeit muss schrittweise durch die Wirklichkeit vermittelt werden.157 155 Vgl. J. Barnouw, „Über den Realismus Wallensteins und Schillers. Mit einer Kritik der Hegelschen Deutung (1974)“, in: Schillers Wallenstein, hg. von F. Heuer u. W. Keller. Darmstadt 1977, 418. Barnouw kritisiert Hegel, da er ein geschlossenes System der Sittlichkeit voraussetze, das diese unendlich ästhetische Bestimmbarkeit des Willens nicht zulasse, die etwas Neues in der Geschichte hervorbringe. Wir aber finden im System der Sittlichkeit die Konzeption der Person, die als die reine Freiheit und als die Indifferenz aller Bestimmtheiten sogar ein Verbrechen vergehen kann (GW5, 304-305), da ihr kein geschlossenen System der Bestimmtheit gegeben ist. Hegel zeigt im System der Sittlichkeit, dass die reine Freiheit, die Schiller als einen „Zustand der höchsten Realität“ bestimmt, zu abstrakt sei und mit der Wirklichkeit vermittelt werden müsse. 156 SäW V, 627. 157 Im System der Sittlichkeit, das diesem Aufsatz über Wallenstein der Zeit nach nah geschrieben wurde, kritisiert Hegel den Begriff des Lebens in dem Sinne, dass das Leben „eine formale Idealität“ darstelle (GW5, 27f.). „Das Leben ist die höchste
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Im Willen der ästhetischen Bestimmbarkeit sind die Momente zum Konflikt enthalten. Dieser Konflikt trägt zwei Seiten in sich. In der schönen Innerlichkeit des Charakters ist bereits der erste Konflikt präsent, in dem die Unbestimmtheit der Bestimmtheit als ihrem Schicksal gegenübersteht. Zwar ist diese Unbestimmtheit die Indifferenz aller Bestimmtheiten, aber diese Innerlichkeit bleibt nur dieselbe, insofern sie sich von der Äußerlichkeit isoliert. Die Abhängigkeit der Innerlichkeit von der Äußerlichkeit bringt die Indifferenz zu ihrer Auflösung, aus der sich das „Erliegen der Unbestimmtheit unter die Bestimmtheit“ ergibt. Diesen ersten Konflikt macht die erste Tragödie aus. Demnach gerät der Entschluss in einen Konflikt mit den in der Wirklichkeit vorhandenen Bestimmtheiten, der nach dem „Zerschellen dieses Entschlusses“ als ideell entlarvt wird, da der Konflikt, den Wallenstein hervorgebracht hat, nur von ihm selbst vorgestellt ist. Seine Handlung scheitert an der übergroßen Wirklichkeit. 3.2.2.2. Die Moderne als melancholische Verfassung Zuerst sucht Wallenstein als die schöne Seele bzw. ein melancholischer Charakter im Zustand der ästhetischen Bestimmbarkeit eine Handlungsorientierung. Er kann nicht aus der unmittelbaren Einsicht wie die Heroen in der altgriechischen Tragödie handeln, sondern muss zuerst darüber reflektieren, woher er überhaupt eine Willensbestimmung gewinnen soll. Indifferenz des Einzelnen, aber es ist zugleich schlechthin etwas Formelles, insofern es die leere Einheit der einzelnen Bestimmtheiten ist, und keine Totalität und aus der Differenz sich rekonstruierende Ganzheit damit gesetzt ist“. In dieser Reinschrift behandelt Hegel das Leben nicht mehr als den „Lebenszusammenhang“, in dem er in der Frankfurter Zeit die wahre Totalität der Bestimmtheiten gefunden hat. In Jena erfährt der Begriff „Leben“ seine radikale Abwertung. „Das Leben des Individuums ist die aufs höchste gesteigerte Abstraktion seiner Anschauung; die Person aber der reine Begriff desselben, und zwar ist dieser Begriff der absolute Begriff selbst“. Das Leben, als die Anschauung des Individuums, das von der Bestimmtheiten abstrahiert ist, ermöglicht das „Anerkennen“, das durch diese Anschauung und das Denken des Begriffs des Individuums als der „Person“ durchgeführt wird. Aber das Individuum, das von den Andern anerkannt wird, ist „als freies Wesen“, „als Möglichkeit“ zu sehen, „das Gegenteil seiner selbst in Bezug auf eine Bestimmtheit zu sein“. Es ist die Unbestimmtheit, die absolut frei von den Bestimmtheiten ist. Aber „in dieser Freiheit“ ist „ebenso gut die Möglichkeit des Nichtanerkennens, und der Nichtfreiheit gesetzt“, das es zwingt, bestimmt zu werden. Hegel zeigt, wie die Unbestimmtheit der Möglichkeit diese Freiheit zur Selbstnegation vollzieht.
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Die Entwicklung des unbestimmten Charakters zum bestimmten, in der dieser Reflexionsprozess158 gezeigt wird, ist das Thema der ersten Tragödie. Die „erhabene, sich selbst genügende“ und „charakterlose Seele“ könne keine Bestimmtheit in sich zulassen. Aber sie sei „lebendig“, d. h. sie müsse innerhalb des Lebenszusammenhangs bleiben und könne nicht abgeschieden wie ein „Mönch“ leben. Sie müsse einen Charakter haben, der seine Willensbestimmtheit realisiert, die ihm aber in der Wirklichkeit eine Schuld bringe. Wegen der Angst vor der Schuld isoliere sich Wallenstein von allen Bestimmtheiten und suche in den Sternen den Bestimmungsgrund des Willens. Der Gott von Abraham und die Hexe von Macbeth werden hier durch die Sterne ersetzt. Seine Erhabenheit liegt darin, dass er seine Willensbestimmung aus dem transzendenten Wesen nimmt. Hegel akzentuiert aber nicht ein Temperament von Wallenstein, sondern den Handlungszusammenhang durch diesen Charakter.159 Für Hegel ist die Melancholie nicht ein bloßes Temperament, das von der individuellen Anlage abhängig ist, sondern er bezieht es auf die soziale Verfassung. Durch das Beispiel von Wallenstein rekonstruiert Hegel die melancholische Verfassung der Moderne, die nach der Säkularisierung und durch den religiösen Konflikt entstanden ist.160 Wenn Hegel durch das Leben Abrahams eine Genealogie des modernen Subjekts darstellt, findet er in Wallenstein das eigenständige Individuum, das durch den Verlust der republikanischen Gesellschaft entstanden ist, wie im Naturrechtsaufsatz beschrieben ist. Die Individuen, die den Lebenszusammenhang verloren oder verlassen haben, versuchen, um ihre Existenz abzusichern, eine neue Religion zu stiften (Abraham, Macbeth und Wallenstein) oder die Moralität in sich zu finden (Kant). Die Trennung zwischen der Innerlichkeit und der Äußerlichkeit, Subjektivität und Objektivität bezeichnet diese melancholische Verfassung der Moderne, in der die Individuen ihre Innerlichkeit gegen die Äußerlichkeit absichern und sie in dieser zu realisieren versuchen.161 158 A. Gethmann-Siefert, Einführung in Hegels Ästhetik, 126ff. 159 In diesem Punkt folgt Hegel Schiller, der an der aristotelische Tragödientheorie den Handlungszusammenhang für wesentlich in der Tragödie hält (Hofmann, 39-40). 160 Ch. Taylor, Die Formen des Religiösen in der Gegenwart, aus dem Englischen von K. Wördemann, Frankfurt am Main 2002, 33-56. 161 Borchmeyer geht davon aus, dass die Melancholie, die nur für ein individuelles Temperament gehalten werden könne, traditionell mit der Handlungslähmung wegen der Schwäche des Wollens zu tun habe (Macht und Melancholie, 71-72). Er beruht für die Erklärung des melancholischen Charakters von Wallenstein auf Gothes Lehre der „schönen Seele“ im Wilhelm Meisters Lehrjahr. Wegen der
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Der Versuch, sich von allen vorhandenen Bestimmtheiten zu befreien und die Innerlichkeit zu verabsolutieren, geht dazu über, ein Herrschaftsverhältnis zu stiften. Wallenstein findet Befehle für die Handlung in der Konstellation der Sterne, die für ihn als Herr gelten. Indem er einen neuen Herrn findet, legt er die Welt unter seine Herrschaft, wie Abraham. Denn die Idee, die Wallenstein in sich findet bzw. die durch die Interpretation der Konstellation der Sterne erhalten wird, subsumiert alle Bestimmtheiten unter sich selbst ihrem Begriff nach. Aber ihre Realisierung verursacht einen bloßen Konflikt mit den Bestimmtheiten und scheitert an diesen.162 Der Charakter in der modernen Tragödie ist nicht mehr ein Hero, sondern wird als ein „Bürger“ entlarvt.163
Schwäche brauche der melancholische Charakter eine äußerliche Anlassung zur Handlung, damit die Willensbestimmung mit dem schicksalhaften Sollen in Verbindung gesetzt werde. Diese Interpretation von Goethe, mit der wir uns später ausführlich auseinandersetzen müssen, gelte auch nach Borchmeyer für Wallenstein (Macht und Melancholie, 221-222). Aber wie oben erwähnt, ist die Melancholie für Hegel nur von der geschichtlichen Verfassung erklärbar. Die Melancholie ist ein Portrait des modernen Subjekts, das standhaft in seiner Willensbestimmung verhaftet ist. Diese Standhaftigkeit hält Kant für ein wesentliches Merkmal der Melancholie (Schings, 54). Nicht wegen der Schwäche des Willens, sondern wegen der Standhaftigkeit des Willens, der sich von der Äußerlichkeit zu isolieren und die Wahrheit nur in sich zu finden versucht, sucht Wallenstein seine Handlungsorientierung in den Sternen. Diese reine Freiheit, bzw. Innerlichkeit sei ein dem Menschen inhärierendes Moment der Vernunft (D. Berthold-Bond, Hegel’s Theory of Madness, New York 1995, 46). Das Problem liegt darin, ob man diese Innerlichkeit für absolut hält, oder sie in einen Vermittlungsprozess mit der Wirklichkeit setzt. 162 Diesen Konflikt bestimmt Hofmann als die „Dialektik von Selbsterhaltung und Suche nach dem Ideal“ (M. Hofmann, 81). Die Handlung gelte als „eine Befreiung der Individuen von Autoritäten und Dogmen“. Aber die Suche nach einem Ideal mache die Anderen zum bloßen Mittel. Für die Anderen erscheine diese Handlung als „die Selbsterhaltung im Sinne einer Bewahrung und Erweiterung natürlicher Bedürfnisse und Triebe“. In der geschichtlichen Wirklichkeit könne dieser Unterschied nicht realisiert werden. 163 A. Gethmann-Siefert hebt die geschichtliche Änderung vom Hero zum Bürger hervor. Die Handlung eines Bürgers, der in der modernen Tragödie auftrete, gelte nicht mehr als eine vorbildliche Orientierung zur Nachahmung (A. Gethmann-Siefert, a.a.O. 126-135).
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3.2.2.3. Melancholie als die Quelle des Tragischen in der Moderne Hegel entlarvt die Abstraktheit des Glaubens des melancholischen Charakters. Die Handlung, die auf dem Sternenglauben basiert, scheint berechtigt zu sein, da sie aus dem transzendenten Wesen ihre Letztbegründung erhält. Aber diese transzendente Handlungsbestimmung, die aus der reinen Innerlichkeit abgeleitet zu sein scheint, erhält ihren Grund zur Realisierung in der Tat nur aus dem Zusammenhang mit der vorhandenen Wirklichkeit („Bestimmtheit“). Wallensteins Willensbestimmung ist abhängig von dem Verhältnis seiner Innerlichkeit zur Äußerlichkeit. Wallenstein versucht ein Reich des freien Friedens zu stiften. Aber dieses ideale Denken wird von den wirklichen Menschen als Hochverrat uminterpretiert. Gegen dieses Missverständnis behauptet Wallenstein seine Reinheit, an die jedoch weder von seinen Soldaten, noch von seinen Gegnern geglaubt wird. Sein freies „Spiel“ des innerlichen Denkens wird durch den „Ernst“ des Lebens bestimmt.164 Die Reflexion über den Konflikt zwischen der Innerlichkeit und der Äußerlichkeit hindert ihn, einen Entschluss zu ergreifen. Die Willensbestimmung, die er in den Sternen findet, wird durch den Zusammenhang mit der Wirklichkeit neu bestimmt. Obwohl er keinesfalls Hochverrat begeht, sondern lediglich als Friedensstifter hervortreten wollte, erscheint seine Innerlichkeit nur als Hochverrat. Diese „Ambivalenz“ zwischen der Innerlichkeit und der Äußerlichkeit entsteht aufgrund der Abstraktheit der Innerlichkeit. Diese kann rein und schön bleiben, aber sie kann nicht realisiert werden.165 In der Frankfurter Zeit hat Hegel das „Trauerspiel“ von Abraham anhand der altgriechischen Tragödie kritisiert. In dieser Kritik hat Hegel die Melancholie nur abgewertet, da sie die „Positivität“ hervorbringe. Aber die Melancholie erhält jetzt ihre Umwertung in dem Sinne, dass sie auch für die Konstruktion der Sittlichkeit als förderlich angesehen wird. Sie wird als ein vernünftiges Moment anerkannt und erhält einen Sinn.166 164 Macht und Melancholie, 130-133 165 Hofmann interpretiert dieses ästhetische Spiel, das Schiller dem „Ernst“ des Lebens gegenüberstellt als die ästhetische Freiheit. Er hebt den Geschichtspessimismus von Schiller hervor. Gegen diesen habe Schiller die ästhetische Freiheit in der Kunst gewährt, die zwar transitorisch erscheine, die aber die Entfernung von der vorhandenen Wirklichkeit ermögliche (M. Hofmann, 43 und 88). 166 Wie bei Hegel, ist die Umwertung der Melancholie gegen die anti-melancholische Aufklärung bei der Frühromantik zu finden (Macht und Melancholie, 148-156). Das große Motto, „Entwilderung der Natur“ hat auch mit dieser Umwertung zu tun (Chr. Jamme, „„Entwilderung der Natur“. Zu den Begründungsformen einer
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Der Charakter, der sich von der sozialen Ordnung isoliert, versucht in seiner Innerlichkeit bzw. in einem transzendenten Wesen eine Idee zu finden, unter die die Wirklichkeit subsumiert werden muss. In der melancholischen Verfassung der Moderne nach der Säkularisierung verharrt das Individuum in diesem ästhetischen Spiel, das aber in seiner Realisierung durch den „Ernst“ des Lebens bestimmt wird. Dieses Spiel ist ästhetisch, da diese reine Freiheit, bzw. die Melancholie nicht in der Wirklichkeit, sondern nur im ästhetischen Raum dargestellt werden kann. Wenn sie erscheint, wandelt sie sich in ein Verbrechen oder in das Böse um. Aber die Melancholie darf nicht mit diesem bloßen Bösen identifiziert werden, sondern strebt über es hinaus. Sie kann nur in einer ästhetischen Gestalt bzw. in der „schönen Seele“ dargestellt werden, die aber in der Wirklichkeit untergehen soll. Die Trennung zwischen der Innerlichkeit und der Äußerlichkeit, die wir als die melancholische Verfassung der Moderne bestimmt haben, kann als die Quelle des Tragischen in der Moderne bestimmt werden. Die Willensbestimmung, die ihre Begründung in der reinen Innerlichkeit hat, konfligiert in ihrer Realisierung mit der Wirklichkeit. Wir können das Tragische, das in der modernen Tragödie dargestellt wird, mit dem, was in der Philosophie der Tragödie formuliert ist, vergleichen. Das letztere ist ein philosophischer Begriff über die ästhetische Versöhnung, die in der altgriechischen Tragödie ihren Ausdruck findet. Das Tragische in der Philosophie der Tragödie kann als die Entzweiung des Absoluten und die Rückkehr zu sich selbst formuliert werden. Dieses ästhetische Ideal wird im Naturrechtsaufsatz durch den philosophischen Begriff wieder erfasst. Das Ästhetische ist wegen der historischen Bedingungen in der Moderne nicht erreichbar. Aber seine Leistung bzw. Funktion wird durch die Philosophie über das Ästhetische begriffen und ersetzt. Dagegen drückt das Tragische, das als eine ästhetische Gestalt in Wallenstein dargestellt ist, die melancholische Verfassung der Moderne aus, die für die Philosophie eine Aufgabe zur Überwindung präsentiert. Je stärker das melancholische Individuum seine isolierte Selbständigkeit festhält, desto stärker eskaliert der Konflikt. Die Versöhnung des Konflikts wird in der modernen Tragödie nicht ausgedrückt, was jedoch nicht bedeutet, dass sie nicht auffindbar ist. In der alten Tragödie erfahren die Zuschauer die Kulturgeschichte der Natur bei Schiller, Hölderlin und Novalis“, in: Evolution des Geistes: Jena um 1800. Natur und Kunst, Philosophie und Wissenschaft im Spannungsfeld der Geschichte, hg. von Friedrich Strack. Stuttgart 1994. 578-597), da Saturn als die natürliche Macht gegen die alleine Herrschaft des Jupiters als der sittlichen Macht in der Frühromantik wieder belebt wird.
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ästhetische Versöhnung mit, die die Charaktere auf der Bühne erfahren. Aber in der modernen Tragödie erfahren weder die Charaktere, noch die Zuschauer diese Versöhnung, über die aber diese reflektieren müssen. Hegel ist der Überzeugung, dass die ästhetische Versöhnung bzw. die höchste Schönheit vergangen sei. Die Versöhnung kann in der Moderne nicht erfahren werden, sondern muss nur durch die Reflexion erreicht werden. Das ästhetisch Tragische, das in der modernen Tragödie ausgedrückt ist, kann aber durch das philosophisch Tragische, das im Naturrechtsaufsatz dargestellt ist, nicht ersetzt werden, da das Ästhetische, das in der modernen Tragödie erfahren werden kann, seinen neuen Sinn in der Moderne erhält. 3.2.2.4. Der Sinn der Melancholie Die Tragödie von Wallenstein veranschaulicht den Prozess der Zerrissenheit des Menschen in der Moderne. Das selbständige Wesen von Wallenstein, das das unentwickelte Ganze der „höchsten Realität“ bedeutet, wird durch die Konfrontation mit der Welt entzweit. Diese Entzweiung bestimmt zwar dieses Ganze als ein einseitiges, das der Welt gegenübersteht, wobei dieser Prozess dem Zuschauer die Entzweiung des einheitlichen Wesens des Menschen bewusst macht, was in der Moderne nur durch die ästhetische Gestalt dargestellt und nicht realisiert werden kann. Die abstrakte bzw. ästhetische Freiheit des Gemüts, die vor der und durch die Entzweiung dargestellt wird, wird durch Isolation von der Welt ausgedrückt. Sie zeigt zwar das einheitliche Wesen des Menschen, das „der Anlage nach“ dem Menschen zuzuschreiben ist, das aber unter der modernen Zerrissenheit nicht als solches erscheinen kann. Diese Abstraktion ermöglicht es durch den Gegensatz des einheitlichen Wesens des Menschen zur Welt, die Melancholie der Moderne anschaulich zu machen. Diese abstrakte Freiheit versetzt den Zuschauer von der gegenwärtigen Wirklichkeit in die mögliche, die als ideelle die vorhandene Wirklichkeit aufhebt, wie Schiller im Vorwort zur Braut von Messina formuliert.167 Diese ideelle Welt zwingt den Zuschauer, die vorhandene Welt zu vergegenständlichen und über sie zu reflektieren. Die Reflexion über den Gegensatz motiviert den Zuschauer dazu, die vorhandene Welt zu verbessern.168
167 Säw II, 815-823. 168 A. Gethmann-Siefert, a.a.O. 135.
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Im System der Sittlichkeit, in dem Hegel darstellt, wie die reine Freiheit sich aufhebe und als eine „Bestimmung“ des „Absoluten“ gesetzt werde, sei die Handlung aus der reinen Freiheit als ein Verbrechen zu bezeichnen, wenn die reine Freiheit alle möglichen Willensbestimmungen in sich enthalte, die auch gesetzwidrig sein können, und über alle vorhandenen Bestimmungen hinausstrebt. Die Handlung von Wallenstein ist verbrecherisch, weil sie gegen die gesellschaftliche Ordnung gerichtet ist. Diese Handlung muss durch das Gesetz bestraft werden, damit die Ordnung ihre Totalität wieder erhält. Diesen Gesichtspunkt hat Hegel später in seiner Rechtsphilosophie weiter entwickelt. Unter diesem kann nicht angenommen werden, dass Hegel im Untergang von Wallenstein einen „Geschichtspessimismus“ vorliegen sieht.169 Für Hegel ist dieser Untergang einerseits wahr. Die reine Freiheit muss ihre Konkretheit durch ihre Realisierung bzw. Institutionalisierung gewinnen. Aber dieser Untergang ist andererseits problematisch. Diese reine Freiheit muss als die ästhetische Freiheit betrachtet werden, die nur als Idee gegenüber der konkreten Wirklichkeit steht. Unter dem ästhetischen Gesichtspunkt ist der Tod von Wallenstein „entsetzlich“, weil der „Tod“ das „Leben“ besiegt hat. Der Untergang des Individuums ist wegen seiner Abhängigkeit und Ohnmacht „nicht tragisch, sondern abscheulich“ (TW1, 619-620). Die reine Freiheit wird durch die Bestimmtheit beherrscht. Nach dem rechtsphilosophischen Gesichtspunkt, den das System der Sittlichkeit prägt, kann man es umgekehrt so ausdrücken: Der Tod werde durch das Leben besiegt, weil die abstrakte Freiheit des Subjekts für die Lebendigkeit der Sittlichkeit geopfert werden müsse. Aber nach dem ästhetischen Gesichtspunkt ist sein Tod „entsetzlich“, weil er die ästhetische Freiheit von Wallenstein zerstört.170 Seine reine Freiheit muss auch gewürdigt werden, obwohl sie nach dem rechtsphilosophischen Gesichtspunkt eine Abstraktion bleibt. In der modernen Tragödie ist dieser Konflikt zwischen der ästhetischen und rechtsphilosophischen Freiheit dargestellt. Seine Lösung verbleibt nur als Aufgabe, die die Zuschauer als Basis für ihre Reflexion übernehmen müssen: Je
169 Es wird von der aktuellen Forschung vertreten, dass Schiller im Wallenstein seinen Geschichtspessimismus ausgedrückt hat. Z. B. M. Hofmann, a.a.O. P. Barone, a.a.O. 170 Diesen Konflikt hat Hegel „Leben gegen Leben“ (TW1, 619) ausgedrückt. Dieses „Leben gegen Leben“ tritt auch auf, wenn Hegel den Konflikt zwischen Macbeth und dem Geist von Banquo darstellt (TW1, 342ff.).
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stärker Wallenstein seine ästhetische Freiheit festhält, je melancholischer er wird, desto verbrecherischer wird er.171 In seiner Beurteilung von Wallenstein hat Hegel diese beiden Gesichtspunkte über die Handlung vorausgesetzt, die er später in der Theorie des absoluten Geistes entwickelt hat. Wenn das Stück nur auf die „Unwirklichkeit“ der Handlung aus der reinen Freiheit verweist, wie unter rechtsphilosophischen Gesichtspunkten festgestellt werden kann, brauchte Hegel hier nicht über die Theodizee zu sprechen: Das Stück „endigt nicht als eine Theodizee“. Aber das Böse besiege das Gute, das Wallenstein zuzuschreiben sei, weil er als ein einheitliches Wesen auftrete, im Gegensatz zur zerrissenen Moderne, in der der Mensch nur ein Fragment sei. Hegel zitiert aus dem Xenien das folgende: „Dies zerreißt (s. Xenien2) [das Herz], daraus kann man nicht mit erleichterter Brust springen!“. Wer unter rechtsphilosophischen Aspekten seine Handlung und sein Scheitern versteht, dessen Herz musste dieses Stück nicht zerreißen. Diese Beurteilung verweist auf diese Unterscheidung der beiden Gesichtspunkte, die für die Bestimmung der modernen Tragödie von der höchsten Bedeutung ist. Die Handlung wird in den modernen Verhältnissen durchgeführt. Jeder Bereich kann die Handlung unterschiedlich interpretieren. Der rechtsphilosophische Aspekt hebt die Beschränktheit der Handlung hervor, der ästhetische dagegen ihren Sinn.172 Nach dem letzten zwingt die Handlung 171 Hofmann interpretiert den Sternenglauben von Wallenstein als „eine unbewusste Strategie“ für „die unaufhebbare Ambivalenz“ der geschichtlichen Handlung (M. Hofmann, a.a.O. 91), um der „Dialektik von Selbsterhaltung und Suche nach dem ideal“ (M. Hofmann, a.a.O. 81) zu entgehen. Dagegen interpretiert Hegel den Sternenglauben als eine Äußerung der Melancholie. Er ist nicht ein Versuch, den Konflikt zwischen der ästhetischen und der sozialen Freiheit zu überwinden, sondern eine Fixierung der Trennung. Durch diesen Sternglauben wird der Konflikt eskaliert. 172 Barone prüft, ob es Schiller gelinge, seine Theorie der Erhabenheit im Wallenstein zu verkörpern, da Hegel als ein ausgebildeter Leser in ihm das Gefühl der Erhabenheit in sich selbst nicht empfinde, indem er diese Tragödie als „entsetzlich“ beurteile. Nach dem Verfasser ist die Erhabenheit „eine wirkungsästhetische Kategorie“ (P. Barone, a.a.O. 26), die erst realisiert wird, wenn die Zuschauer das Gefühl der Heiterkeit durch das Leiden der Charaktere erreichen. Die Erhabenheit von Schiller liege im Gefühl der Selbststeigerung durch den Widerstand gegen die Naturwidrigkeit. Aber in Hegels Beurteilung fehle es der „Heiterkeit“ (P. Barone, a.a.O. 287-289). Dagegen muss man sagen, dass für Hegel die Heiterkeit nur als eine Aufgabe der Reflexion gegeben ist. Diese Interpretation von Hegel wird von Hofmann unterstützt. „HEGELS Äußerungen über die Reaktion des Zuschauers auf das Ende der Trilogie sind das beste Argument für die zerstörende Wirkung des Stücks und für die kritische Potenz des Erhabenen“ (M. Hofmann,
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in der modernen Tragödie den Zuschauer dazu, sich von der Wirklichkeit zu entfernen und aus dem Begriff der reinen Freiheit oder der ganzheitlichen Wesenheit des Menschen über die Gesellschaft und über das Leben in ihr zu reflektieren. Dieser Anlass zur Reflexion über die Gesellschaft und uns rechtfertigt die Melancholie in der modernen Tragödie, obwohl sie aus rechtsphilosophischer Perspektive überwunden werden soll. Die Melancholie ermöglicht einerseits diese ästhetische Freiheit, die den Zuschauer dazu bringt, über die vorhandene Wirklichkeit zu reflektieren. Andererseits erscheint sie als das Böse in der Moderne, das zur konkreten Sittlichkeit überwunden werden soll. Diese Ambivalenz der Melancholie wird in der modernen Tragödie dargestellt.
a.a.O. 84). Barnouw behauptet, dass diese Empfindung von Hegel richtig sei, aber seine Beurteilung über die Tragödie nur von seiner metaphysischen Voraussetzung her zu verstehen sei. Hegel wolle mit seiner Voraussetzung einer begrifflichen sittlichen Totalität, die der willkürlichen Handlung gegenüber stehe, den Ausgang der Tragödie kritisiere, der „in Nihilismus“ verfalle. Diese Beurteilung sei nicht gerecht dem Stück von Schiller, weil der „Realismus“ von Schiller die „Offenheit der Erfahrung“ zulasse. „Der Realismus Wallensteins ist gerade dort in Kraft, wo er die Möglichkeits-Dimension einbezieht“. Das Scheitern zeige nicht die „Unwirklichkeit“ der Handlung, sondern „das Anders-sein-Können der menschlichen Praxis“. Wallenstein habe einen Entschluss getroffen, der zwar ihn zum Scheitern führe, aber eine Reflexion über die Geschichte hinterlasse, die „das Anders-sein-Können der Geschichte“ andeute (J. Barnouw, a.a.O. 416f.). Aber diese Interpretation kommt aus seinem Missverständnis von Hegel. Hegel hat hier zwar ein System der Sittlichkeit vorausgesetzt und will aber durch das Scheitern von Wallenstein nicht nur „die Unwirklichkeit“ der Handlung für die Verbesserung der Gesellschaft zeigen. Er will nur die Notwendigkeit des Scheiterns zeigen, das wegen der Einseitigkeit der Handlung in der Moderne geschieht, damit er nicht sagt, dass „keine Handlung sittliche Bedeutung haben könnte“.
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4. DER BEGRIFF DER TRAGÖDIE IN DER PHÄNOMENOLOGIE DES GEISTES
Hegel hat im Naturrechtsaufsatz die Sittlichkeit als ein tragisches Werk aufgefasst. Die moderne Tragödie nimmt in seinem Gedanken noch keinen angemessenen Platz ein, da es ihm um die strukturelle Identität von Sittlichkeit und tragischem Werk geht. Die Konzeption hierzu hat er basierend auf der antiken Tragödie entwickelt. Zwar wiederholt Hegel auch in der Phänomenologie des Geistes diese Identität-These, die aber gleichzeitig kritisch geprüft und überwunden wird, denn die moderne Sittlichkeit muss nur von der modernen Subjektivität aus konstruiert werden, die als die Lösung der tragischen Ausweglosigkeit auftreten muss. Durch diese geschichtliche Konzeption der Tragödie muss Hegel die ästhetische Form der Tragik in der Moderne neu denken. Im Naturrechtsaufsatz hat Hegel in den Eumeniden von Aischylos den Konflikt zwischen dem relativen und dem absoluten Sittlichen erfasst. Die Erinnyen fordern die Rache für die Wiederherstellung der Gerechtigkeit. Gegen diese plädiert Apollo für das Einssein mit dem Volk. Hegel interpretiert diese gerichtliche Strafe und die Handlung für das ganze Volk als die notwendigen Momente für die Konstruktion der Sittlichkeit. Für die Konzeption der Sittlichkeit, die als die Einheit des tragischen Konflikts zwischen der privaten Sphäre, in der die private Person für ihre Selbsterhaltung arbeitet, und der öffentlichen, in der die Freien für das ganze Volk tätig sind, zu begreifen ist, hat Hegel die Eumeniden von Aischylos zum Gegenstand der Darstellung gewählt. Zwei Probleme sind in dieser Darstellung zu finden. Erstens, da Hegel die Konzeption der Sittlichkeit noch nicht historisiert hat, hat er die ästhetische Legitimation der Sittlichkeit aus den Eumeniden entwickelt, die aber in der Moderne inakzeptabel ist. Diese ästhetische Autorität gilt nur für die altgriechische Sittlichkeit. Für die Autorität der modernen Sittlichkeit wird die vernünftige bzw. begriffliche Begründung benötigt, die durch die reflexive Subjektivität durchzuführen ist. Zweitens, der Konflikt zwischen dem relativen und dem absoluten Sittlichen, den er in den Eumeniden ausgearbeitet hat, ist keine richtige Entgegensetzung. Dieser Konflikt ist möglich, da das absolute Sittliche nur insofern besteht, als es sich dem relativen entgegensetzt, damit das absolute Sittliche relativiert wird (GW1, 420). Dieser Konflikt aber repräChang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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sentiert nur eine Vorstufe, da die vorhandene sittliche Wirklichkeit als seine Lösung schon realisiert ist. Für diese vorhandene Lösung existiert der Konflikt nicht mehr. Die private Sphäre ist schon der öffentlichen untergeordnet. Deswegen musste Hegel ein anderes Beispiel in der Phänomenologie des Geistes suchen, das seine Konzeption der Tragödie verdeutlichen kann, in der der Konflikt zwischen den gleichberechtigten Positionen stattfindet kann, dessen Lösung nicht vorausgesetzt ist, sondern erst zu suchen ist. Hegel analysiert die Antigone von Sophokles und modifiziert die These der strukturellen Identität der Sittlichkeit und des tragischen Werks. Erstens wird „die sittliche Welt“ dargestellt, die als das Fundament für die tragische Handlung die Momente für den tragischen Konflikt bereits in sich trägt. Zweitens wird die tragische Handlung in Betracht gezogen, damit „die sittliche Welt“ durch das tragische Werk repräsentiert und ihre Verfassung legitimiert wird. Drittens wird der innere Sinn der tragischen Erfahrung untersucht. Hier wird die richtige Entgegensetzung in der Antigone ausgearbeitet, in der das neue Prinzip der Individualität gegen die Sittlichkeit auftritt, damit der Prozess des Untergangs der griechischen Sittlichkeit konzipiert wird. Die Realisierung des neuen Prinzips der Individualität in der Phänomenologie wird nur kurz im Exkurs betrachtet.
4.1. „Die sittliche Welt“ als der Boden für die tragische Handlung Das Epos, in dem die Vorstellung des Volkes, das eine polytheistische Weltanschauung vertritt, dargestellt ist, hat eine die erinnerte und geschlossene Geschichte erzählende Form. Nach Hegel wird im Epos das „Spiel“ der Götter „ohne Ernst“ thematisiert, da die Götter sich mit der besonderen Bestimmtheit identifizieren und in zufälligen Konflikt miteinander geraten, der aber nur „eine komische Selbstvergessenheit ihrer ewigen Natur“ (GW9, 391) ausdrückt. Das Volk nehme die pluralen Werte auf, die von den Göttern gegeben werden. Aber da diese zufälligerweise miteinander konfligieren würden, fordere es von Zeus als der „begrifflose[n] Leere der Notwendigkeit“ (ebd.) die Lösung der jeweiligen Konflikte. Das Bestehen der pluralen Werte sei nur unter einer absolut gewaltigen Herrschaft möglich. Aus dieser pluralen Weltanschauung ergebe sich „die Auflösung des Subjekts“ (GW9, 394), da die jeweiligen Götter, die ihren besonderen Wert vertraten, nur als Objekt bestehen können, das durch die unbegreifliche Gewalt negiert werden müsse. Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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Von dieser Gefahr, die sich aus der Tatsache der pluralen Werte (TiS, 218) ergebe, befreie sich die griechische Sittlichkeit, indem sie sich als das Ganze begreife, das sich durch die „Gerechtigkeit“ organisiere. Diese Gerechtigkeit führe die pluralen Werte auf die im Gegensatz zueinander liegenden Mächte zurück, die durch den lebendigen bzw. tragischen Prozess wieder in die Versöhnung aufgehoben würden. „Das Gleichgewicht kann … nur dadurch lebendig sein, daß Ungleichheit in ihm entsteht, und von der Gerechtigkeit zur Gleichheit zurückgebracht wird“ (GW9, 249). Einerseits gebe es das Gemeinwesen, das das menschliche Gesetz verkörpere, andererseits die Familie, die das göttliche Gesetz realisiere. Das „Gleichgewicht“ beider Gesetze werde durch einen dynamischen Lösungsprozess konstruiert. Der Konflikt beider Mächte entsteht entweder, wenn das Individuum bzw. die Familie sich vom gesellschaftlichen Zusammenhang isoliert und sich gegen diesen richtet, oder wenn die Gesellschaft das reine Recht der Familie unterdrückt. Wenn das Individuum seine Anstrengung nach der Erfüllung der natürlichen Bedürfnisse verabsolutiert (GW9, 246), muss das Gemeinwesen wieder seine Absolutheit gegenüber dem Individuum zeigen. Wenn das Gemeinwesen aber das reine Recht des Individuums bzw. der Familie nicht respektiert, muss das Gemeinwesen sich mit seinem Feind konfrontieren. Zur Realisierung des reinen Rechts des Individuums muss Antigone die Beerdigung ihres Bruders durchführen, deren Sittlichkeit nicht aus dem selbstbewussten bzw. positiven Gesetz begründet wird, sondern aus dem ungeschriebenen bzw. göttlichen.173 173 Nussbaum kritisiert Hegels Interpretation der Tragödie, da er mit seiner Konzeption der harmonischen Lösung des tragischen Konflikts die Pluralität der Werte vernichtet hat (M. C. Nussbaum, The Fragility of Goodness. Luck and ethics in Greek tragedy and philosophy, Cambridge 1986, 51-84). Die Versöhnung, die Hegel konzipiere, sei nichts anderes als Versuch der Verabsolutierung eines Wertes, die die anderen Werte ausschließe. Dagegen sei „a practical wisdom“ ein Vertrauen in traditionelle Ordnung, in der die Pluralität der Werte anerkannt sei und diese in einem spannungsvollen Verhältnis gegeneinander seien. Man könne einen Werte wählen für das gute Leben. Aber man müsse gleichzeitig offen gegenüber den anderen sein, die die anderen Werte bevorzugen (M. C. Nussbaum, a.a.O. 81) Der tragische Konflikt entstehe aus der verkürzten Interpretation („redefinitions“, M. C. Nussbaum, a.a.O. 59) der Tradition, durch die das Spannungsverhältnis der pluralen Werte beseitigt werde. Durch die Tragödie werde die Tradition wiederhergestellt. Dagegen sehe Hegels „optimism“ in der Tragödie die Zerstörung der Tradition. Wie Menke erwähnt hat (TiS, 86), hat Hegel in der griechischen Tragödie den triadischen Prozess, nämlich die Tradition-ihre Krise-ihre Wiederherstellung gesehen, den Nussbaum in Antigone gerade sehen möchte. Hegels „optimism“ bezieht sich vielmehr auf die andere Lektüre, die aus dem Standpunkt des „Philosophen“ vollzogen wird.
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4.2. Die antike Tragödie als die Repräsentation der Sittlichkeit 4.2.1. Die Tragödie als die notwendige Kollision der Pflichten Die im Konflikt liegenden sittlichen Wesen, deren lebendige Einheit „die sittliche Welt“ ausmacht, realisieren sich durch das selbstbewusste Individuum, dessen Handlung die tragische Erfahrung hervorbringt. Hegel unterscheidet die Komödie von der Tragödie. Die Komödie beruhe auf dem Konflikt der Leidenschaft und der Pflicht. Das Individuum halte seine Leidenschaft für Pflicht und versuche jene zu realisieren. Wenn aber seine Handlung einen Konflikt mit der wahren Pflicht hervorbringe, erkenne es seinen Fehler, der darin liege, die bloße Leidenschaft für Pflicht gehalten zu haben (GW9, 251).174 Dagegen stelle die Tragödie „die Kollision der Pflichten“ dar (ebd.). Diese Kollision entstehe notwendigerweise, da die griechische Sittlichkeit die beiden Mächte als gleichberechtigt in sich enthalte.
4.2.2. Die tragische Handlungsweise Der Charakter, der aus der unmittelbaren und unabänderlichen Entschiedenheit sich mit einer der beiden Mächte identifiziert,175 vertritt nur einen 174 Da der Charakter einen Fehler begangen hat, erfährt er eine Selbstauflösung. Diese Negation der Negation des Komischen unterscheidet Hegel von dem sog. „subjektiven Humor“, der „das komische Subjekt als mächtig, als Herrscher und Meister über die Wirklichkeit“ beschreibt (Vgl. H. Schneider, „Hegels Theorie der Komik und die Auflösung der schönen Kunst“, in: Jahrbuch für Hegelforschung. Bd. 1 (1995), hg. von Helmut Schneider, Sankt Augustin 1995 (88ff.). Der Verfasser vertritt „das mächtige Subjekt“ der Komik, das durch den „subjektiven Humor“ dargestellt wird. Dagegen über den „objektiven Humor“, J-I. Kwon, a.a.O. 240ff. und 26, 23). 175 Wenn Schiller durch den Begriff der „schönen Seele“ das Individuum konzipiert, das sich vom Dualismus der Vernunft und der Neigung befreit hat und die unmittelbare Einheit beider realisiert (A. Speight, „Was ist das Schöne an der schönen Seele? Hegel und die ästhetischen Implikationen der letzten Entwicklungsstufe des Geistes“, in: Hegels Phänomenologie des Geistes Ein kooperativer Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne, hg. von K. Vieweg, u. W. Welsch, Frankfurt am Main 2008, 504-519), findet Hegel in Antigone dasselbe Individuum, das als schön zu bezeichnen ist. Sie ist das Individuum, das aus ihrer unmittelbaren Überzeugung handelt und ihre Handlung für die Verkörperung des gan-
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Teil der Sittlichkeit. Da er davon ausgeht, dass seine Handlung durch die vorhandene Sittlichkeit legitimiert wird, unternimmt er es, die „entgegengesetzte Wirklichkeit durch Gewalt zu unterwerfen“, wenn er in einen Konflikt mit dem anderen gerät. Wenn der Charakter, der das göttliche Gesetz vertritt, bei dem anderen nur „menschliche zufällige Gewalttätigkeit“ findet, sieht der andere bei diesem „den Eigensinn und den Ungehorsam des innerlichen Fürsichseins“ (GW9, 252), da jedem nur die Sittlichkeit, die er verkörpert, als die ganze und richtige gilt. Die Dichter, die diese Tragödie darstellen, können die Einseitigkeit der unmittelbaren Überzeugung erkennen, die jeder Charakter vertritt. Das Individuum handelt nach seiner Überzeugung danach, was es als substantielle Sittlichkeit betrachtet, die als vorgefundene wahrgenommen wird. Die Handlung der Sittlichkeit durch einen Charakter aber ist ihre bloße Erscheinung, da die Individuen im Vergleich zur Substanz „nur unwirkliche Schatten“ und die Sittlichkeit eine selbstgenügsame Wirklichkeit ist (GW9, 254). Die Sittlichkeit ist eine objektive Wirklichkeit, die als unveränderbar gilt. Deswegen gibt es für den Charakter keinen Unterschied des Inneren von dem Äußeren. Dieser Gegensatz ist nur in der Moralität möglich. Wenn die Handlung des Charakters durch die vorhandene Sittlichkeit geschieht, ist sie nur ihre Repräsentation. Zwar unterscheidet sich ein „unentzweites Verhalten zum Gesetze“ von der Tatsache, dass „das sittliche Wesen“ in sich zwei Gesetze enthält. Die Sittlichkeit aber besteht für den Charakter darin, „die einfache Gewißtheit der unmittelbaren Wahrheit zu sein“. Er weiß nur, dass seine Überzeugung in der unmittelbaren Einheit mit der vorhandenen Sittlichkeit wahr sei. Er weiß aber nicht, dass die Sittlichkeit, mit der er sich identifiziert hat, nicht die Sittlichkeit als solche, sondern ein Teil derselben ist. Die Sittlichkeit, die der Charakter vertritt, ist nur ein Teil der ganzen Sittlichkeit, in der eine von diesem ausgeschlossene sittliche Handlung auch möglich ist. Durch die Handlung verletzt der Charakter die andere Handlungsmöglichkeit, da er nur seine Handlung für ausschließlich sittlich hält und die
zen griechischen Geistes hält. In dieser Handlung besteht die Einheit der Realität und des Begriffs, die Hegel in den Berliner Vorlesungen über die Ästhetik als die Bestimmung des Schönen formuliert (Vgl. T. Pinkard, „Autorität und Kunst-Religion“, in: Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein kooperativer Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne, hg. von K. Vieweg, u. W. Welsch, Frankfurt am Main 2008, 540-561). In diesem Sinne interpretiert Pinkard die Autorität der griechischen Sittlichkeit als „ästhetisch“, die deswegen nur im Kunstwerk ihren Ausdruck findet (T. Pinkard, a.a.O. 548-549).
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Handlung aus dem anderen Gesetz als böse betrachtet, obwohl diese auch von derselben Sittlichkeit anerkannt werden kann. Die Sittlichkeit ist die Wirklichkeit, die das Resultat seiner Handlung bestimmt und umfasst. Da die Überzeugung von der Sittlichkeit dadurch begründet ist, dass sie als vorhanden und als wirklich wahrgenommen wird, und da die Wirklichkeit als Resultat der Handlung vor dem Charakter erscheint, in der seine Handlung einen Teil von der Sittlichkeit bzw. die Sittlichkeit als solche verletzt hat, muss der Charakter seine Schuld bekennen.176
4.2.3. Die Sittlichkeit als die Lösung des tragischen Konflikts Das Individuum geht unter der absoluten Gewalt der unbegreiflichen Notwendigkeit unter, da es sich von der unmittelbaren Identität mit der vorhandenen Sittlichkeit überzeugt. Diese Sittlichkeit gilt, da sie vorhanden ist, nicht aber, da sie verständlich oder begründet ist. Diese Überzeugung der Sittlichkeit bzw. der Schicksalsglaube, durch den die Sittlichkeit ihre Legitimation erhält, garantiert den Siegeszug der Sittlichkeit.177 Diese rechtfertigt durch die Lösung des Konflikts ihre Verfassung, in der die Familie und das Gemeinwesen integriert sind. Die Darstellung der ästhe176 Diese Handlungsweise muss von der unterschieden werden, die von der Moralität ausgeht. Diese Unterscheidung der Handlungsweise ist für die Interpretation der Tragödie hervorzuheben. Der Versuch, eine allgemeine Theorie der Handlung bei Hegel zu konzipieren, ohne eine geschichtliche Modifikation der Handlung zu berücksichtigen, ist nicht selten unternommen, z. B. R. Brandom, „Selbstbewusstsein und Selbst-Konstitution. Die Struktur von Wünschen und Anerkennung“, in: Hegels Erbe, hg. von Chr. Halbig, M. Quante und L. Siep, Frankfurt am Main 2004, 46-77, R. B. Pippin, „Hegels Praktischer Realismus. Rationales Handeln als Sittlichkeit“, in: Ders. 295-323 und Th. D. George, Tragedies of Spirit. Tracing Finitude in Hegel’s Phenomenology, New York 2006. Dieser nimmt „qualitative theory“ der Handlung von Taylor auf, die besagt, dass die Handlung von „rational agency“ nicht ein kausales Ergebnis einer Motivation sei, sondern ein Ausdruck derselben. 177 Dieser Glaube wird am Ende der Tragödie als eine „Hypokrisie“ entlarvt (GW9, 397). Wir gehen davon aus, dass die Tragödie eine Kanonisierung der Mythen ist, die eine Interpretation“ („Mythologie“) von diesen enthält (Chr. Jamme, »Gott an hat ein Gewand«, 167-224). Da die Tragödie eine Interpretation ist, wird das ursprüngliche religiöse Element der Mythen durch diese Verschriftung rational verstanden. Deswegen wird der Schicksalsglaube, der in den Mythen ausgedrückt ist, in der Tragödie einer denkenden Betrachtung unterzogen, die den Gedanke, der in der Form des Schicksalsglaubens ausgedrückt ist, begreift.
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tischen Legitimation der vorhandenen sittlichen Verfassung ist das Ziel der Darstellung der Tragödiendichter.178 Die vorhandene Sittlichkeit ist als die einzige Lösungsweise des Konflikts der beiden Mächte dargestellt, auf die die traditionellen pluralen Werte zurückzuführen sind. Das Bestehen der ästhetisch legitimierten sittlichen Welt ist „eine unbefleckte durch keinen Zwiespalt verunreinigte Welt“ (GW9, 250), deren Verfassung Hegel als „die Vereinigung des Mannes und des Weibes“ konzipiert. Diese geschlechtliche Einheit basiert auf zwei Merkmalen. Erstens ist der Unterschied des Mannes von dem Weib auf die Natürlichkeit zurückzuführen (die Frauen vertreten die private Sphäre, in der die natürliche Notwendigkeit erfüllt wird, und die Männer die öffentliche, in der diese Natürlichkeit negiert wird). Zweitens kann die Einheit (die „Liebe“) nicht den natürlichen Unterschied tilgen (in der Tragödie erscheint deswegen die Einheit als Gewalt, die den vorhandenen Unterschied weiter bestehen lässt). Der Grund, warum die Sittlichkeit einen tragischen Prozess braucht, liegt darin, dass die sittliche Verfassung lebendig sein muss (GW9, 249). Diese Legitimierung durch die Aufführung der Tragödie aber ist eine tautologische Arbeit. Die vorhandene Sittlichkeit, die bereits lebendig sein muss, wird durch die Tragödie repräsentiert, die die strukturelle Identität mit der Sittlichkeit darstellt. In diesem Sinne kann der tragische Konflikt nur als zufällig angesehen werden, da seine Lösung schon vorhanden ist und er nicht wieder entstehen muss.179 Der Dichter weiß, dass der Konflikt, den er ästhetisch darstellen möchte, schon gelöst ist. Gegen diese tautologische Arbeit der Dichter versucht der „Philosoph“180 zu erkennen, welchen Konflikt die Tragödie tatsächlich darstellt. 178 Die Ansicht der Dichter macht nach Menke die erste Lektüre der Tragödie aus, die als „das sittliche Begreifen“ zu interpretieren ist (TiS, 105). 179 Hier lässt sich nur auf die These von Georg Steiner hinweisen, dass wenn die Welt schon geklärt sei, kein tragischer Konflikt möglich sei (G. Steiner, Der Tod der Tragödie. Ein kritischer Essay, Baden-Baden 1981). Auf diese These ist aber später noch einzugehen. Gegen diese These kann man einwenden, dass die Tragödie das „Urgeschehen“ darstellt, durch dessen Erinnerung die gegenwärtige gesellschaftliche Ordnung legitimiert wird (C. Alegría, a.a.O. und J. Assmann, a.a.O.). Hegel geht davon aus, dass die Dichter schon gegenüber dieser tautologischen Arbeit kritisch geworden seien. Antigone von Sophokles sei ein gutes Beispiel für dieses kritische Bewusstsein. 180 Der Dichter von Antigone muss also auch als der „Philosoph“ angesehen werden. Wenn die Tragödie als eine Interpretation der überlieferten Mythen ist, muss der Dichter sowohl ein die überlieferten Stoffe repräsentierender Darsteller als auch ein kritisch Denkender über die Repräsentation sein.
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Für ihn ist die Tragödie nicht nur der Ausdruck der Identität, sondern weist über diese hinaus. Hegel erklärt, warum die Antigone von Sophokles zum wichtigsten Lese-Gegenstand des Philosophen werden muss. Dadurch überwindet er seine strukturelle Identitätsthese der Sittlichkeit und der Tragödie.
4.2.4. Die Kritik der Identität der Sittlichkeit und der Tragödie Viele tragische Werke kommen nach Hegel in Betracht, insofern sie den Konflikt der beiden Mächte darstellen. In dieser Betrachtung geht es darum, ob der Konflikt notwendigerweise stattfindet, und ob er durch die Handlung veranschaulicht wird. Eumeniden von Aischylos. Hegel behandelt dieses Werk nur indirekt im Rahmen der Darstellung der „sittlichen Welt“ (GW9, 250). Die Handlung, die das private Interesse verabsolutiert, ist unsittlich. Die Handlung aber, die denselben Zweck im Rahmen des gesellschaftlichen Zusammenhangs verfolgt, ist sittlich, da die Sittlichkeit aus dem lebendigen Vermittlungsprozess des Gemeinwesens und der Familie konstruiert ist. Die „Erinnye“ vertritt das reine Recht der Blutsverwandtschaft und versucht Orestes zu rächen, der seine Mutter ermordet hat. Orestes aber hat für den allgemeinen Zweck gehandelt, den Apollo ihm aufgetragen hat. Die „Erinnye“ möchte ihr Recht auf die gerichtliche Strafe verabsolutieren, ohne die sittliche Verfassung zu berücksichtigen, in der das formelle Rechtssystem der politischen Regierung untergeordnet ist, die den allgemeinen Zweck realisiert. Die Handlung von Klytaimnestra ist unsittlich, da ihr Rechtsanspruch auf die Blutsverwandtschaft unter dieser sittlichen Verfassung nicht verabsolutiert werden darf. Da die Handlung, die nur ein privates Interesse zu erfüllen unternimmt, unsittlich ist, kann sie sich nicht der Handlung von Orestes entgegensetzen. Die Eumeniden stellen den Konflikt dar, dessen Lösung durch die ästhetische Anschauung der Göttin Athena ausgeführt wird. Die Realisierung des Urteils von Athena ist nichts anderes als die athenische Sittlichkeit. Die Aufgabe des Dichters (Aischylos) liegt darin, die vorhandene Sittlichkeit wiederzugeben. Für ihn aber ist dieser Konflikt nicht mehr notwendig, da er schon die Lösung in der Wirklichkeit wahrnimmt. Diese Lösung aber muss dem Chor oder dem Volk erst durch die Aufführung der Tragödie mitgeteilt werden. Für das Volk erscheint der Konflikt zuerst als unlösbar, der erst durch das Urteil der Göttin gelöst werden kann, die deswegen Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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als die Stadtgöttin der Athene verehrt wird. Aber für diejenigen, die die sittliche Verfassung erkannt haben, zu denen die aufgeklärten Zuschauer, Leser, Dichter und der „Philosoph“ gehören, gilt der Konflikt in der Tragödie nicht mehr als notwendig. Wer schon die Lösung gesehen hat, dem ist der Konflikt des privaten Zwecks mit dem öffentlichen nicht mehr ernst zu nehmen. Ödipus Rex von Sophokles In diesem Werk sind die im Konflikt liegenden Mächte nicht durch den Charakter veranschaulicht, sondern „nur an sich, in der inneren Schuld des Entschlusses und des Handelns vorhanden“ (GW9, 255). Ödipus identifiziert sein Wissen mit der Wirklichkeit. Aber dieses selbstbewusste Wissen ist nur ein Teil der ganzen Wirklichkeit. Er hat mit seiner Überzeugung das Recht des verborgenen Teils der Wirklichkeit, nämlich des „Unwissens“, verletzt, da er dieses von der Wirklichkeit ausgeschlossen hat. Aber die ganze Wirklichkeit entlarvt seine Einseitigkeit. In diesem Werk wird der Konflikt nicht veranschaulicht, sondern spielt sich ausschließlich im Inneren von Ödipus ab. Sieben gegen Theben von Aischylos Polyneikes, der auf Grund des Rechts der Blutsverwandtschaft sein „gleiches Recht an die Staatsgewalt“ beansprucht (GW9, 257), greift Eteokles an, der die gemeinsame Vereinbarung, jährlich abwechselnd zu regieren, auszuführen verweigert hat. Die beiden stehen gleichberechtigt in Bezug auf die Staatsgewalt. Da Polyneikes und Eteokles um das Recht der Blutsverwandtschaft kämpfen, das aber für die Sittlichkeit zufällig ist, müssen beide untergehen. Ihre Handlungen sind nicht sittlich, da sie die natürliche Bestimmtheit in der Sphäre der Sittlichkeit zu verabsolutieren versuchen. Diese Zufälligkeit der Natürlichkeit muss in die Sittlichkeit aufgehoben werden. Antigone von Sophokles Die Handlung der Familie, die das göttliche Gesetz vertritt und zu ihrem Zweck die Erfüllung der natürlichen Bedürfnisse hat, ist nicht sittlich, da sie nicht „die ganze Existenz“ des Individuums, sondern „nur etwas Einzelnes an Ihm tut“. Dagegen ist die Handlung des Bürgers, die in einem gesellschaftlichen Zusammenhang ausgeführt wird, sittlich, da sie zum gemeinsamen Wohl des Gemeinwesens beiträgt, bzw. die Handlung aller vertritt. Die Handlung der Familie muss deswegen durch das Gemeinwesen vermittelt werden, damit sie sittlich wird. Den Vermittlungsprozess realisiert die sittliche Verfassung. Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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Für Hegel hat die Beerdigung unter den Handlungen der Familie einen sittlichen Sinn, obwohl sie nicht eine Realisierung der gesellschaftlichen Allgemeinheit ist, die „das Tun aller“ ist und die Sittlichkeit als „das allgemeine Werk“ realisiert (GW9, 239), da die Beerdigung nicht auf die Erfüllung der besonderen Lust des Einzelnen, sondern „nur auf den ganzen Einzelnen, oder auf ihn als allgemeinen“ sich bezieht (GW9, 243).181 In Bezug darauf, was „den ganzen Einzelnen“ angeht, bezieht sich dies nicht auf die biologische Erhaltung der einzelnen Existenz.182 Die einzige unrechtliche Gewalt, die dem Individuum angetan werden kann, ist der Tod, der es in das rein passive Wesen gegenüber der Natur verwandelt und es dem Vernichtungsprozess derselben ausliefert. Wenn das Gemeinwesen das Individuum in seinen Zusammenhang zurückbringt, das versucht, sich von diesem zu isolieren und die Erfüllung seiner natürlichen Bedürfnisse zu verabsolutieren, ist es hier nicht der Fall, dass das Individuum vom Gemeinwesen das „Unrecht“ erfahren habe.183 „Das 181 Butler kritisiert diese Interpretation, dass die Handlung von Antigone das „Einzelfallgesetz ohne Allgemeingültigkeit und Übertragbarkeit“ ausmache, da Antigone sage, dass sie ausschließlich für ihren Bruder handle. „Nicht aber für jeden Verwandten ist sie bereit, gegen das Gesetz zu verstoßen“ (J. Butler, Antigones Verlangen. Verwandtschaft zwischen Leben und Tod, aus dem Amerikanischen von R. Ansén, mit einem Nachwort von B. Menke, Frankfurt am Main 2001, 25-26). Hegel aber erklärt, dass nur im Verhältnis zwischen Bruder und Schwester die „freie Individualität“ ohne Ungleichheit bzw. Übergehen in eine höhere Instanz möglich sei. Außer dieser Anerkennung der freien Individualität, die nicht mit einem Begehren oder Bedürfnis vermischt sei, zählt Hegel als die Besonderheit dieses Verhältnisses die Unersetzlichkeit desselben auf (H.-Chr. Lucas, „Die Schwester im Schaftten. Bemerkungen zu Hegels Schwester Christiane“, in: „O Fürstin der Heimath! Glückliches Stutgard“. Politik, Kultur und Gesellschaft im deutschen Südwesten um 1800, hg. von Chr. Jamme u. O. Pöggeler, Stuttgart 1988, 284306. Hier sind die Gedanken von Hegel über das Schwester-Bruder Verhältnis ausführlich dargestellt, die für die Antigone-Interpretation wichtig sind. Vgl. Th. D. George, a.a.O. 85). 182 Wenn die biologische Erhaltung des Einzelnen einen Moment ausmachen würde, der die Entgegensetzung mit der Sittlichkeit als solcher bilden könnte, wäre es widersprüchlich, wenn Hegel akzentuiert, dass das Individuum für das Gemeinwesen sterben könne (GW9, 251). Als „Element“ des Gemeinwesens wird die Familie bestimmt, da sie nicht eine materielle (biologische) Basis, sondern eine abstrakte Grundlage der geschichtlichen Geistigkeit ausmacht. 183 Hegel schreibt das „Unrecht“ nicht dem Gemeinwesen, sondern ausschließlich der Natur zu. „Die Macht, welche diß Unrecht an dem Bewußtseyn verübt, es zu einem reinen Dinge zu machen, ist die Natur, es ist die Allgemeinheit nicht des Gemeinwesens, sondern die abstrakte des Seins; und die Einzelnheit wendet sich in der Auflösung des erlittenen Unrechts nicht gegen jenes, denn von
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Unrecht, welches im Reiche der Sittlichkeit dem Einzelnen zugefügt werden kann, ist nur dieses, daß ihm rein etwas geschieht“ (GW9, 393). Der Tod ist für den Betroffenen die absolute Negation, die über die Erfahrung als solche hinaussteigt. Obwohl das Individuum für einen allgemeinen Zweck des Gemeinwesens stirbt, kann es nicht erfahren, was es gemacht hat, da es ein bloßes Ding wird. Wenn die Macht der Natur darin liegt, den Toten in ein namenloses Ding zu verwandeln, ist die Beerdigung ein Kampf gegen diese Macht und eine Handlung, die dem Ding gewordenen Toten den Namen wiedergibt. Durch die Beerdigung wird der Tote ein geistiges Wesen, das seinen einzigartigen Namen hat. In den Berliner Vorlesungen über die Ästhetik interpretiert Hegel die Pyramide als ein Haus für den Toten. Das Sterben werde nicht als die Rückkehr zur Natur, sondern als die Betätigung der Unsterblichkeit der Seele ausgedrückt. Diese ist „die Lösung des Natürlichen vom Geistigen, das eine Selbständigkeit erhielt“ (23, 138). Da die Beerdigung von Antigone auf der einzigen Pflicht aus dem göttlichen Gesetz basiert, entspricht sie dem gleichen Rang wie die Handlung für das Gemeinwesen. Kreon nehme Polyneikes sein Recht auf die Beerdigung, da er als ein Ausländer das Gemeinwesen angegriffen habe. Er ist ein Individuum, das von diesem Gemeinwesen nicht respektiert und beschützt wird, nämlich ein außerhalb des positiven Gesetzes bzw. der sittlichen Verfassung stehendes Wesen. Deswegen darf sein Leichnam nicht beerdigt werden. Antigone aber verleiht diesem das Recht, das er als ein Mensch hat, ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit und seiner Handlung. Der Konflikt zwischen diesem Recht und der vorhandenen sittlichen Verfasihm hat es nicht gelitten, sondern gegen dieses“ (GW9, 250). Wenn das verbrecherische Individuum durch das Gemeinwesen getötet wird, liegt das Unrecht nicht in der Aufhebung des Individuums durch das Gemeinwesen, sondern in der Beherrschung der Natur über den Toten. Aber es gibt das Unrecht, das das Gemeinwesen dem Individuum antun kann, das die Quelle der Tragik bzw. der Antigone ausmacht. Dieses Unrecht ist das Verbot der Beerdigung. Die Handlung von Antigone richtet sich nicht gegen den Tod ihres Bruders, sondern gegen das Verbot der Beerdigung. In diesem Sinne schreibt Menke das „Unrecht“ der Handlung von Kreon zu. Nach ihm wird die Idee der „singularen“ Individualität wahrgenommen, wenn das Individuum die tragische Erfahrung durch die Gewalt der sittlichen Gerechtigkeit trifft, die als die gleiche Behandlung des Rechts konzipiert ist (TiS, 163-168). Gleicherweise interpretiert Michael Schulte wie im Folgenden: Die Beerdigung von Antigone wendet „gegen den Zwang der Natur“, und auch „gegen den für sie [= Familie – C.C.O.] naturhaften Zwang, das naturanaloge Handeln des Gemeinwesens“. Wenn der erste Sinn der Beerdigung die Vergeistigung des Todes sei, sei der zweite die Kritik des Natur gewordenen Gemeinwesens (M. Schulte, a.a.O. 158ff.).
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sung entlarvt die Tatsache, dass die vorhandene sittliche Verfassung das Recht ausschließt, das der Einzelne in sich haben muss. Dieses Recht bzw. die Handlung von Antigone liegt außerhalb der Sittlichkeit, die sich als den lebendigen bzw. tragischen Vermittlungsprozess zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Gesetz zeigt. Die Handlung von Antigone ist sittlich, obwohl sie keine Betätigung der vorhandenen Sittlichkeit ist.184 Kreon, der die vorhandene Sittlichkeit vertritt, wird konfrontiert mit dieser neuen sittlichen Handlung, die er nicht anerkennen kann, da für ihn die Sittlichkeit schon vorhanden, abgeschlossen und unveränderlich ist. Aber der verborgene Sinn der Handlung von Antigone führt eine neue Dimension in die Geschichte ein.
4.3. Der Untergang der Sittlichkeit und die natürliche Macht Wenn Antigone als ein Lösungsversuch des Konflikts zwischen der die private Sphäre vertretenden Familie und dem die öffentliche Sphäre realisierenden Gemeinwesen interpretiert wird, funktioniert das Werk, wie erwähnt, als eine Repräsentation bzw. Legitimierung der vorhandenen Sittlichkeit. Antigone hat die unmittelbare Überzeugung, dass ihre Handlung nur eine Betätigung der vorhandenen Sittlichkeit sei. Die Pflicht, die sie zu realisieren versucht, scheint aus der vorhandenen Sittlichkeit herzurühren. Sie versucht lediglich ihr privates Interesse zu verfolgen. Ihr Fehler liegt darin, dass sie die Grenze der Verfolgung überstiegen hat, wofür sie bestraft werden muss. Aus dieser Interpretation kann man eine Folgerung ziehen, wie Nussbaum formuliert.185 Sie interpretiert diesen Widerspruch als ein notwendiges Element, durch das die traditionelle Ordnung nicht untergeht, sondern sich stabilisieren kann. Die tragische Erfahrung entstehe aus einer Fehlinterpretation der Tradition. Antigone und Kreon haben nur einen Wert verabsolutiert, dem die anderen Werte untergeordnet werden sollen. Aber dieser Versuch der Individuen, der für Nussbaum nichts anderes als eine Suche nach der Harmonie bedeutet, beruhe auf dem falschen Verständnis der 184 Natürlich wollte Antigone die vorhandene Sittlichkeit realisieren. Aber der Sinn ihrer Handlung transzendiert ihre Überzeugung von der unmittelbaren Einheit mit der vorhandenen Sittlichkeit. 185 M. C. Nussbaum, The Fragility of Goodness, 51-84.
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Tradition, in der die pluralen Werte nebeneinander bestehen müssen. Ein Individuum könne einen Wert bevorzugen. Aber es müsse auch offen gegenüber den anderen Werten sein, die sich in einem Spannungsverhältnis mit dem bevorzugten Wert befinden. Nach der tragischen Erfahrung lerne es „a practical wisdom“. Wir können den Widerspruch der ästhetischen Lösung anders herausarbeiten, durch den die griechische Sittlichkeit sich nicht stabilisiert, sondern untergeht. Diese Interpretation kann folgendermaßen zusammengefasst werden: Antigone habe das Gesetz, auf dem sie beruhe, befolgt. Sie sei davon überzeugt, dass sie richtig gehandelt habe, obwohl sie zugleich gestehen müsse, dass sie ein Verbrechen begangen habe. Ihr Geständnis sei trügerisch. Dieser Widerspruch der Intention der Handlung und ihrer Folge führe die griechische Sittlichkeit zum Untergang, da die ästhetische Harmonie, auf der diese beruhe, nicht in der Lage sei, diesen Widerspruch zu lösen. Zwar kann er durch den Schicksalsglauben überwunden werden, aber wenn man über ihn reflektiert, wird deutlich, dass dieser anders gelöst werden muss. Um ihn zu beheben, müsse das neue bzw. reflexive Subjekt auftreten, das das Innere seiner Handlung von ihrem Äußeren unterscheidet.186 Der Grund des Untergangs der griechischen Sittlichkeit hat mit dieser Entstehung der Innerlichkeit des Subjekts zu tun. Die Pflicht von Antigone liegt in der Tat außerhalb der vorhandenen Sittlichkeit und ist dieser entgegengesetzt. Obwohl diese als das lebendige Verhältnis des göttlichen Gesetzes und des menschlichen Gesetzes erscheint, ist die natürliche Macht, die das göttliche Gesetz beherrscht, nicht vollständig in dieser Sittlichkeit aufgehoben und artikuliert. In diesem Konflikt, der bei der Beerdigung zu finden ist und hervortritt, offenbart sich die natürliche Macht als die Grenze der vorhandenen Sittlichkeit, sobald diese ihre Grenze zu überschreiten versucht.
4.3.1. Antigone als die erste Gestalt der reinen natürlichen Macht Hegel interpretiert die Kulturgeschichte von der natürlichen Religion bis zur Kunstreligion als einen Prozess der Versöhnung der natürlichen und der sittlichen Macht.187 „Die Handlung des Cultus“, die hier als ein Bei186 T. Pinkard, „Symbolic, classical, and romantic art“, in: Hegel and the Arts, edt. By St. Houlgate, Evanston, Illinois 2007, 16-18. 187 Diese Ansicht hat Hegel besonders in den Berliner Vorlesungen über die Ästhetik von 1826 deutlich expliziert (26, 115-134).
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spiel zu nennen ist, beginne „mit der reinen Hingabe“ des Eigentums, das den Göttern geweiht werde (GW9, 383). Man identifiziere das Opfer mit den Göttern, das aber gleich zum Gegenstand des Genusses werde. Durch die „Hingabe“ habe man seine natürlichen Bedürfnisse negiert. Aber durch das Essen erreiche man die Einheit der natürlichen Bedürfnisse und seiner religiöser Sehnsucht nach der Transzendenz. Das Opfer, das als eine Existenz der Götter angesehen werde, werde gegessen, damit man die Einheit mit den Göttern erreiche, und zugleich seine natürlichen Bedürfnisse erfüllt werden. Die sittliche Macht könne immer nur mit der Anerkennung der natürlichen Macht realisiert werden. Die Kultur oder die Religion sei die Versöhnung beider Mächte. Gegenüber dieser Kulturgeschichte stellt Antigone eine Ausnahmefigur dar.188 Die Pflicht auf „den ganzen Einzelnen“, die Antigone zu erfüllen versucht, hält Kreon nur für „den Eigensinn und den Ungehorsam des innerlichen Fürsichseins“ (GW9, 252). Aber ihre Handlung basiert auf einem neuen Prinzip, das als die Grenze der vorhandenen Sittlichkeit außerhalb dieser liegt. Die natürliche Macht, die als ein Moment in der Ganzheit der kulturellen Wirklichkeit, die Hegel den „Geist“ nennt, aufgehoben zu sein scheint, bleibt außerhalb dieser Ganzheit und bedroht die Kultur als solche, wenn diese ihre Grenze übersteigt.189 Im System der Sittlichkeit stellt Hegel diese natürliche Macht als „die erste Potenz“ der bestimmten Negation dar, die nicht einen Teilbereich der Kultur, sondern als „die natürliche Vernichtung, die zwecklose Zerstörung, die Verwüstung“ diese Kultur bzw. „Bildung“ als solche zu tilgen versucht (GW5 313-314), die wir die wildeste bzw. reine Bestimmung der natürlichen Macht nennen dürfen. Wir werden auch auf die Verborgenheit der reinen natürlichen Macht in der Kulturgeschichte ausführlich eingehen, die als das Böse in der modernen Tragödie erscheint und als die Grenze der vorhandenen Sittlichkeit diese ständig bedroht. Hier ist nur auf die erste Gestalt dieser verborgenen Macht, nämlich Antigone, hinzuweisen. Die natürliche Macht, die in der gesellschaftlichen Integrität unartikuliert bleibt, beginnt sich darzustellen, wenn ihr Recht durch den vorhan-
188 Hier kann man erkennen, dass die Tragödienkonzeption von Nietzsche von der von Hegel abweicht. Zwar ist die Tragödie als ein Versöhnungsversuch der natürlichen und der sittlichen Macht (Hegel), bzw. von Dionysos und Apollo (Nietzsche) zu begreifen. Aber für Hegel steckt hinter dieser Versöhnung ein auswegloser Konflikt, der nur durch den Untergang der Sittlichkeit gelöst werden kann. 189 Anders ausgedrückt, kann man folgendermaßen formulieren: Wenn die Mythologie vorgibt, durch ihre Interpretation die Mythen vollständig absorbiert zu haben, behaupten diese, dass sie die Interpretation transzendieren.
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denen „Geist“ verletzt wird. Ein Beispiel dieser Selbstartikulation ist die Handlung von Antigone. Die griechische Sittlichkeit hat nicht das Recht des Individuums auf Beerdigung respektiert und ist durch die Rache der natürlichen Macht untergegangen. Diese Rache aber hat die Sittlichkeit selbst verdient. Zur Selbsterhaltung hat das Gemeinwesen, das sich als die vollständige Versöhnung darstellt, Antigone bestraft, da sie gegen die vorhandene soziale Regel verstoßen hat. Aber diese Selbsterhaltung ist zugleich die Selbstnegation, durch die die griechische Sittlichkeit untergeht, da sie ihre Existenzgrundlage getilgt hat, indem sie Antigone getötet hat. Wie Hegel später in der Rechtsphilosophie das „Notrecht“ behandelt (GW14,1, 112, §127), wird in der Phänomenologie auch so argumentiert, dass wenn Antigone für Kreon nur gegen eine besondere Bestimmung des Gesetzes verstoßen habe, die Vernichtung des Rechts des Individuums durch Kreon die Grundlage des Gesetzes als solches zerstöre (Vgl. TiS, 252ff.). Der Befehl, den Leichnam als ein bloßes Ding zu behandeln, bedeutet die Verletzung der Menschheit und ihrer Geistigkeit als solcher, die die Beerdigung ausdrückt. Die Beerdigung basiert auf dem Grundrecht, das von den positiven Gesetzen auch respektiert werden soll, abgesehen davon, dass der Tote Hochverrat begangen hat, da dieses Recht darauf, dass man beerdigt und durch die Erinnerung in eine geistigen Gemeinde aufgenommen wird, die grundlegende Geistigkeit des Menschen bildet, die erst die Existenz des Gesetzes ermöglicht. Der Selbsterhaltungsversuch der positiven Sittlichkeit geht notwendigerweise in die Selbstnegation über, die aber zu der weiteren dialektischen Entwicklung der Sittlichkeit bzw. des Geistes beiträgt. Die griechische Sittlichkeit geht durch ihren Selbsterhaltungsversuch unter, der in die Selbstnegation übergeht. Die Rache der natürlichen Macht, die für die vorhandene Sittlichkeit als das Böse erscheint, verhindert vielmehr, dass diese Selbstnegation zum absoluten Nichts gelangt, und es ermöglicht, dass die Sittlichkeit sich dialektisch aufhebt und eine neue Versöhnung erreicht. Diesen Prozess nennt Hegel „die ewige Ironie des Gemeinwesens“ (GW9, 259), die erst durch die Rache der natürlichen Macht eingeführt wird. Dadurch, dass das Gemeinwesen die Individualität bzw. das Grundrecht der Menschheit vertilgt, erweckt es „seinen innern Feind“, der nicht nur im Gemeinwesen integriert ist, sondern es transzendiert.
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4.3.2. Die Bestimmung der natürlichen Macht im Verhältnis mit der griechischen Sittlichkeit Die Selbstartikulation der natürlichen Macht, die nicht vollständig in der vorhandenen Sittlichkeit, die als die geschichtliche Versöhnung der natürlichen und sittlichen Macht zu konzipieren ist, integriert bleibt, kann ihre Bestimmung nur im Verhältnis zu dieser geschichtlichen Bestimmung des „Geistes“ gewinnen. Obwohl der reine Ausdruck der natürlichen Macht als die absolute Negation der Kultur zu erfassen ist, erscheint sie nur in einer Form der Entgegensetzung gegen die vorhandene Kultur. Die absolute Negation der natürlichen Macht wird dadurch eine bestimmte Negation der besonderen Kultur. Diese Bestimmung durch die Entgegensetzung mit der besonderen Kultur gewährt der natürlichen Macht ihre Geistigkeit, bzw. ihren sittlichen Sinn, denn insofern sie eine Entgegensetzung zu der vorhandenen Sittlichkeit hervorbringen kann, wie wir in der Antigone finden, enthält sie schon ihren sittlichen Grund in sich. Wenn die Sittlichkeit die Negation der Natur ist, ist diese die Grundlage derselben. Die Natur aber setzt sich der Sittlichkeit entgegen, wenn diese als die Negation der Natur anzusehen ist, d. h. ihre Grundlage verliert. Kreon hat die abstrakte bzw. grundlegende Geistigkeit des Menschen zerstört, indem er die Handlung von Antigone bestraft hat. Er selbst wollte die vorhandene Sittlichkeit erhalten. Aber durch seine Handlung wird vielmehr ihre Grundlage negiert. Gegen diese Sittlichkeit erscheint die natürliche Macht als die Grundlage derselben. In diesem Sinne können wir über die sittliche Bestimmung der natürlichen Macht sprechen, wie Hegel die Handlung von Antigone bezeichnet hat. Diese sittliche Bestimmung der natürlichen Macht bildet den Sinn der Tragödie. Die natürliche Macht (Antigone) kritisiert als ungeschriebenes Gesetz die rechtserhaltende Macht (Kreon) und hebt diese auf. Als die bestimmte Negation, die in der Antigone das Grundrecht des Individuums artikuliert, wird aber die natürliche Macht in die rechtsetzende Macht umgewandelt,190 die die Grenze der griechischen Versöhnung überwindet und eine neue Alternative aus sich entwickelt. Zwar ist die Handlung von Antigone sittlich, aber ihre Sittlichkeit wird nur durch den „Philosophen“ als die Grenze der substantiellen Sittlichkeit erkannt. Das neue Prinzip, das die Handlung von Antigone realisiert, ist die Individualität, die sich auf „den ganzen Einzelnen“ bezieht, der die 190 Benjamin stellt das Verhältnis zwischen der rechtsetzenden und der rechterhaltenden Gewalt dar (GS II/1, 179-203).
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von der vorhandenen Sittlichkeit anerkannte Bestimmung des Einzelnen übersteigt, die auf die Erfüllung der natürlichen Bedürfnisse zurückzuführen ist. Das Kernproblem liegt in der Frage, ob die ganze Existenz des Einzelnen durch die substantielle Sittlichkeit in seiner vollständigen Reichweite artikuliert ist. Dieses Problem formuliert Hegel im Kapitel Religion in der Phänomenologie des Geistes als das logische Vermittlungsverhältnis der Allgemeinheit und der Einzelheit. Im Epos werden die pluralen göttlichen Wesen mit der zufälligen Gestalt der Individualität vermittelt, die miteinander einen Konflikt konstituieren (GW9, 396). Die Tragödiendichter geben in diese plurale Wertekonstellation die Regel des „Begriffs“ ein. Die pluralen Werte, die gleichrangig sind, werden auf die zwei (das göttliche Gesetz und das menschliche) zurückgeführt, die wieder in das Vermittlungsverhältnis der Sittlichkeit aufgehoben werden.191 Die tragische Erfahrung aber entlarvt, dass die Individualität nicht vollständig in das erreichte Vermittlungsverhältnis aufgehoben ist. Bevor wir dieses Kapitel abschließen, ist es sinnvoll, auf die weitere Entwicklung des Gedanken von Hegel anhand der Interpretation von Menke einzugehen. Für Menke gibt es zwei Leseweisen der Tragödie. Die erste Lektüre entspreche dem Gesichtspunkt vom tragischen Dichter, der die pluralen Werte in die begriffene Sittlichkeit aufhebe. Die zweite erkenne das neue Prinzip, das diese begriffene Sittlichkeit aufhebe. Die Moderne sei ein Lösungsversuch der ästhetischen Tragik, durch die Altgriechenland untergegangen sei. Aber diese tragische Erfahrung hinterlasse ihre Spuren, die in der Moderne wiederkehren würden. Die begriffene Sittlichkeit erscheine als die Idee der Gerechtigkeit bzw. der „Autonomie“, die als die rechtliche Gleichheit zu verstehen ist, und das neue Prinzip als die Idee der „Authentizität“, die als die Selbstverwirklichung in Orientierung am „je eigenen Guten“ zu konzipieren ist. Aus diesen zwei Prinzipien der Individualität aber kehre die Tragik in der Moderne wieder, die nicht mehr ästhetisch, sondern „ethisch“ sei (TiS, 79-201). Nach Menke versucht Hegel in der Rechtsphilosophie, aus den zwei Prinzipien das moderne Gute zu konstruieren (TiS, 302ff.) Nach der einmaligen tragischen Erfahrung in der Geschichte komme nur „die ethische Tragik“ zum Erscheinen, die aus der Entzweiung von Autonomie und Authentizität, 191 Die „Komödie“ ist eine Gestalt, in der diese Vermittlung am höchsten erreicht ist (Vgl. Chr. Jamme, „Kunstreligion. Hegels Phänomenologie des Geistes als Ursprung seiner Ästhetik“, in: Bild – Sprache – Kultur. Ästhetische Perspektiven kritischer Theorie. Hermann Schweppenhäuser zum 80. Geburtstag, hg. von Sven Kramer, Würzburg 2009, 86ff., Helmut Schneider, a.a.O.
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bzw. Recht und Individualität entstehe (TiS, 12 und 62). Menkes Interpretation beruht auf der Phänomenologie des Geistes, in der Hegel der Kunst in der Moderne geringe Aufmerksamkeit gegeben hat.192 Wir werden aber sehen, dass die ästhetische Tragik auch in der Moderne zu beobachten ist, wie Hegel sie in den Berliner Vorlesungen über die Ästhetik entwickelt. Die moderne Sittlichkeit, die Menke als die ethische Tragik interpretiert, kann als eine Lösung der griechischen Tragik begriffen werden, die aber nicht vollständig genug ist, die Tragik als solche zu überwinden. In der modernen Tragödie können wir auch eine immanent-transzendente Kritik erkennen, wie die klassische Tragödie sie ausgeübt hat. Diese ästhetische Tragik begründet Hegel durch den Begriff der ästhetischen Individualität, die er in der Theorie der romantischen Kunstform entwickelt.193 Diese Theorie der modernen Tragödie besagt, dass die ethische Lösung, die Menke bei Hegel konzipiert, nicht imstande ist, die Tragik in der Moderne vollständig zu begreifen.
192 O. Pöggeler, Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes, 101f. Die Philosophie vollende „den Erben der Tragödie“. Die Moderne sei nachtragisch und könne nur durch die Philosophie begriffen werden. 193 Menke behauptet, dass Hegel die „singulare Gerechtigkeit“ nur aus der „tragischen Genealogie des Rechts“ in der Phänomenologie entwickelt habe. Da er später diesen genealogischen Gesichtspunkt aufgegeben habe, gelinge es ihm in der Rechtsphilosophie nicht, diesen Begriff mit der „Sittlichkeit“ zu vermitteln (TiS, 209-210). Obwohl Hegel diesen Gesichtspunkt aufgegeben hat, hat Hegel aber m. E. die „singulare Gerechtigkeit“ noch im Auge behalten, indem er einerseits seine Rechtsphilosophie, andererseits seine Ästhetik entwickelt hat. Es ist hier sinnvoll, auf die Interpretation von Pöggeler hinzuweisen, um Hegels Ansicht zu verdeutlichen. Nach Pöggeler habe Hegel in der Phänomenologie sein tragisches Denken durch „ein dialektisch-teleologisches Denken“ ersetzt und die griechische Tragödie als eine geschichtliche Gestalt konzipiert (O. Pöggeler, a.a.O. 96ff.). Er weist in diesem Kontext darauf hin, dass Hegel sich „im Namen der dialektisch-teleologischen „Aufhebung“ „gegen Schellings Versuch (vor allem in den Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit), die Natur in Gott zu betonen, die Eigenständigkeit dessen, was nur Grund in Gott und nicht er selbst ist“ wendet (O. Pöggeler, a.a.O. 98). Köhler hat auch diesen Unterschied beider Denker untersucht, der aus dem „Spannungsverhältnis von Freiheit und System“ herrühre (D. Köhler, Freiheit und System im Spannungsfeld von Hegels Phänomenologie des Geistes und Schellings Freiheitsschrift, München 2006, 36). Wir werden später diese Interpretationen bei einem anderen Aspekt in Hegels System diskutieren, indem wir das Problem der modernen Tragödie behandeln.
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Exkurs: Die „Bildung“ des Geistes Auf den „nachtragischen“ Prozess in der Phänomenologie werden wir nur kurz eingehen, da es hier nur um die ethische Lösung geht, wie Menke interpretiert. Hegel stellt dar, dass Zeus, der als die den tragischen Konflikt versöhnende Macht erscheine, in die selbstbewusste Subjektivität der Komödie übergehe. Dieses Selbstbewusstsein wisse, dass das neue Prinzip von Antigone und die rechtserhaltende Sittlichkeit als Momente des neu auftretenden Geistes zu begreifen seien. Die Realisierung dieses Selbstbewusstseins ist die Aufgabe der dialektischen Bewegung des Geistes (Vgl. GW9, 363). Die „Person“ ist die erste Versöhnungsform. Die Person ist der abstrakteste Begriff der Versöhnung des tragischen Konflikts. Als das geistige Wesen kann sie nach dem Prinzip der rechtlichen Gleichheit alle Dinge in sich haben. Aber gegenüber dieser Möglichkeit hat jede Person nur ein bestimmtes Eigentum, welches sie für ihr Gut gewinnt. Hier ist „das unglückliche Bewußtsein“ im Begriff der Person zu finden (GW9, 263). Zwar werde die Person als das geistige Wesen respektiert und anerkannt. Sie könne alle Dinge beherrschen. Aber sie werde nur durch ihr konkretes Eigentum anerkannt, da dieses ihre Objektivierung sei, durch das sie mit und von den anderen vermittelt und anerkannt werde. Die Person als der reine Begriff der Autonomie werde zwar gleichbehandelt, aber die Anerkennung könne nur durch die Realisierung ihrer Authentizität durchgeführt werden. Da jede Person nicht in der Lage sei, eine gleiche Menge von Eigentum zu haben, werde sie ungleich behandelt und anerkannt. Durch diese Anerkennung erfahre die Person sowohl ihre abstrakte Unendlichkeit (Autonomie) als auch ihre Endlichkeit (Authentizität). Dieser Geist, der in sich die widersprüchliche Trennung der Unendlichkeit und der Endlichkeit bzw. der Gerechtigkeit und des Guten hat, überwindet diese durch die „Entfremdung“ und die „Bildung“. Dieser Prozess kann als eine Versöhnung der Autonomie und der Authentizität begriffen werden, auf die hier aber nicht mehr einzugehen ist. Während die Phänomenologie diesen Prozess genealogisch entwickelt, wird das Resultat dieses geschichtlichen Prozesses in der Rechtsphilosophie systematisch dargestellt. Hier werden über den Prozess der Individualisierung, den Hegel zwischen der beobachtenden Vernunft und dem „Geist“ darstellt, ein paar Anmerkungen gemacht.194 Das vernünftige Individuum, das die Trennung 194 Über den „Prozess der Individualisierung“, E. Rózsa, Hegels Konzeption praktischer Individualität. Von der Phänomenologie des Geistes zum enzyklopädischen System, hg. von K. Engelhard und M. Quante, Paderborn 2007.
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von der Allgemeinheit voraussetze, versuche nur sein „Fürsichsein“ zu finden. Wenn dieses in das Verhältnis mit den anderen gerate, trete es aber schon in die Wirklichkeit ein, die nichts anderes als die Sphäre der Allgemeinheit sei. In diesem Sinne weise seine Handlung nur auf „die Entfremdung seiner selbst“ hin (GW9, 204). Das Individuum, das die Lust bzw. die Liebe verabsolutiere, werde in der Wirklichkeit durch die gesellschaftliche Regel aufgehoben. Das Individuum, das „das Gesetz des Herzens“ verfolge, das sich von der allgemein geltenden rechtlichen Regel unterscheide, halte nur sein Gesetz für wirklich. Wenn sein Gesetz aber verwirklicht werde, müsse es allgemeingültig sein. Vorher habe sich das Individuum gegen das allgemeingültige Gesetz gewandt, das es aber durch seine Handlung zu realisieren versucht. Es gerate in einen Selbstwiderspruch, durch den es „im Innersten verrückt ist“ (GW9, 206). Wie Siep interpretiert, hat Hegel in dieser Darstellung der Individualisierung die Werke der modernen Tragödie behandelt.195 Was wir hier beachten müssen, ist die Tatsache, dass diese Darstellung im Kapitel Vernunft in der Phänomenologie des Geistes durchgeführt ist, obwohl die Kunst nach Hegel zum absoluten Geist gehört, in dem die Trennung der Individualität und Allgemeinheit überwunden und der Geist mit dem anderen versöhnt ist. Deswegen kann man diese Darstellung nicht als „eine Theorie der Literatur“ interpretieren, wie Marco Aurélio Werle interpretiert.196
195 Nach Siep findet Hegel die Gestalt der Individualität, die „das Gesetz des Herzen“ sucht, in „Karl Moor aus Schillers Drama Die Räuber“, in dem „Typ des individualistischen Revolutionärs in Sturm und Drang und Frühromantik“ und in Jacobis Roman ‚Woldemar‘“ (L. Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes. Ein einführender Kommentar zu Hegels »Differenzschrift« und zur »Phänomenologie des Geistes«, Frankfurt am Main 2000, 154). 196 Nach ihm habe Hegel die literarische Form für die Darstellung der Individualität gewählt, da sie den „Bereich der Sinnlichkeit“ darstelle, „insofern sie als der Ausdruck eines totalen Menschen genommen wird“ (M. A. Werle, „Literatur und Individualität. Zur Verwirklichung des Selbstbewußtseins durch sich selbst“, in: Hegels Phänomenologie des Geistes Ein kooperativer Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne, hg. von K. Vieweg, u. W. Welsch, Frankfurt am Main 2008, 365). Aber der Verfasser begründet nicht, wie die moderne Literatur für Hegel „den Ausdruck eines totalen Menschen“ darstellen kann. Er geht davon aus, dass die moderne Literatur noch „,schöne‘ Verbindung von Einzelheit und Allgemeinheit“ erreiche, deren ästhetische Gestalt aber für Hegel in der Moderne nicht mehr möglich ist. A. Gethman-Siefert behandelt Hegels Gewissensdarstellung in der Phänomenologie auch als eine Interpretation der modernen Tragödie. A. Gethmann-Siefert, Die Funktion der Kunst in der Geschichte, 225ff.
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5. DER VERGANGENHEITSCHARAKTER DER KUNST
Die Kunst stellt nach Hegel als eine Form des absoluten Geistes denselben Inhalt dar, wie die Religion und die Philosophie. Von diesen beiden unterscheidet sich die Kunst nur nach ihrer Form. Wir wollen die Eigenständigkeit der Kunst in der Modere aus ihrem systematischen Ort in Hegels Philosophie ableiten, die er in Berlin entwickelt hat. In der Enzyklopädie stellt Hegel die sich denkende logische Idee dar, die die Denkbestimmungen produziert, deren dialektische Abfolge ihre Realisierung vollzieht. Die Natur und der Geist sind die realisierten Formen der logischen Idee. Das Subjekt, das diese dialektische Entwicklung vollzieht, wird zum Gegenstand des absoluten Geistes, der nichts anderes als das Sich-Wissen ist.197 Dieses Sich-Wissen ist absolut, insofern sich der Geist zum Gegenstand hat, d. h. die Trennung des Subjekts vom Objekt überwunden ist.198 Während die Natur das dem Geist äußerliche Sein ist, haben der der Natur gegenüberstehende subjektive Geist und der sich zur Weltgeschichte entwickelnde objektive Geist, da sie die Formen des Geistes sind, an sich die Form des Sich-Wissen des Geistes in sich. Aber da diese Formen durch die endlichen Bestimmungen beschränkt sind, ist ihr Wissen endlich. Der Geist, der der Gegenstand des absoluten Geistes ist, ist absolut, da er der Natürlichkeit und der durch diese vermittelten Geistigkeit („Wirklichkeit“) enthoben ist, die die Endlichkeit des Wissens des subjektiven bzw. objektiven Geistes bilden. In der Interpretationsgeschichte des Begriffs des absoluten Geistes geht es darum, wie man die Absolutheit des Wissens versteht. Wenn man den Begriff als metaphysisch versteht, bezieht sich die Absolutheit auf die
197 Die entwicklungsgeschichtliche Untersuchung zum Begriff des absoluten Geistes findet man in Th. Steinherr, Der Begriff „Absoluter Geist“ in der Philosophie G. W. Hegels, München 1992. 198 Insofern der absolute Geist das Wissen ist, setzt er selbstverständlich die Trennung des Subjekts vom Objekt voraus (K. J. Schmidt, „Religion und Religions-Philosophie in Hegels Enzyklopädie“, in: Hegels Enzyklopädisches System der Philosophie. Von der „Wissenschaft der Logik“ zur Philosophie des absoluten Geistes, hg. von H.-Chr. Lucas, B. Tuschling, und U. Vogel, Stuttgart-Bad Cannstatt 2004, 424). Das Selbst-Wissen als solches aber drückt gleichzeitig die Aufhebung dieser Trennung aus.
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Transzendenz des Geistes.199 Wenn man den Begriff kritisch versteht, bezieht sich die Absolutheit auf die geschichtliche Letztbegründung des Geistes. Pippin expliziert die „nichtmetaphysische“ (pragmatische) bzw. „kritische“ Darstellung des Begriffs des Geistes.200 Der absolute Geist sei nach Pinkard „a form of social practice“ und stelle die verschiedene Weise des Selbstverständnisses über die gesellschaftliche Identität dar.201 Als „reflective institutions“ reflektiere der absolute Geist darüber, ob die Autorität, die in der Gesellschaft als gültig angenommen sei, zu legitimieren sei. Er prüfe oder schaffe den gesellschaftlichen „Konsens“, der durch verallgemeinerbare Begründungsversuche konstituiert werde.202 Während Habermas diese 199 M. Theunissen, Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat, Berlin 1970, Jürgen Habermas, „Wege der Detranszendentalisierung. Von Kant zu Hegel und zurück“, in: Wahrheit und Rechtfertigung. Frankfurt am Main 1999, 138-185. 200 Nach dieser Position liegt das zentrale Problem der Hegelschen Philosophie darin, durch diese nichtmetaphysische, nicht-empirische und nicht-psychologische Konzeption des Geistes die praktische Normativität zu erklären (R. B. Pippin, Die Verwirklichung der Freiheit. Der Idealismus als Diskurs der Moderne, Frankfurt am Main 2005, 30). 201 T. Pinkard, Hegel’s Phenomenology, Cambridge 1994, 221. Habermas bezeichnet diese Interpretation als einen Versuch, „der absoluten Idee alles Überschwengliche abzustreifen“ (Habermas, a.a.O. 218). Diese „deflationierte“ Interpretation des absoluten Geistes ermögliche es, Hegel intersubjektivitätstheoretisch zu interpretieren. Diese „deflationäre“ Theorie der Wahrheit besagt nur eine überflüssige Bestätigung dafür, wenn es der Fall ist (Vgl. Thomas Grundmann, Analytische Einführung in die Erkenntnistheorie, Berlin 2008, 56-62). Wie Hegel sagt, kann man schon essen, ohne dass „wir die Kenntnis der chemischen, botanischen oder zoologischen Bestimmungen der Nahrungsmittel erworben“ haben (GW20, 41). Man ist schon sittlich, bevor man über den Begriff der Sittlichkeit nachdenkt. Aber der absolute Geist, der als die Reflexion über die Sittlichkeit zu verstehen ist, ist nicht nur eine bewusste Wiederholung dessen, was man unbewussterweise handelt. Seine Reflexion bildet eine normative Darstellung für das Handlungsspiel und erweitert es (Vgl. Chr. Halbig, Das objektive Denken. Erkenntnistheorie und Philosophy of Mind in Hegels System, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, 160). 202 R. B. Pippin, a.a.O. 175. Nach Terry Pinkard sei die absolute Idee sowohl die Totalität der Normen, als auch „the ground of Intelligibility of thoese norms“, deren Ausdruck in den Formen des absoluten Geistes zu finden sei. Diese stellen dar, wie das Selbstverständnis des Menschen, das in den Normen ausgedrückt sei, legitimierbar sei. (T. Pinkard, „Symbolic, Classical, and Romantic Art“, in: Hegel and the Arts, 3-28). Diese Legitimierung könne nur geschichtlich gewonnen werden, da der Grund der Rechtfertigung der gegenwärtigen Institution darin liege, dass einerseits die Realisierung des vergangenen Selbstverständnisses gescheitert sei, andererseits die Institution den Darstellungen des absoluten Geistes entspreche.
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reflexive Funktion des absoluten Geistes als die „epistemische Rolle der Rechtfertigung von Meinungen und Handlungsweisen“ abwertet,203 erscheine diese Selbstreflexion sowohl als ein Ausdruck der Wahrheitsvermittlung, als auch als eine gesellschaftliche Praxis.204 Da diese Praxis, die das Sich-Wissen des absoluten Geistes verkörpere, sich auf die Letztbegründung für die unter geschichtlichen Bedingungen bestimmten Normen beziehe, sei sie selbstbegründend und „selbstbestimmt“,205 d. h. „absolut“.206 Die Absolutheit des „absoluten Geistes“ hier bedeutet die Unhinterfragbarkeit seiner Funktion, die sich auf die Letztbegründung der Legitimität der sozialen Normen bezieht. Die Modi der Letztbegründung sind die drei Formen des absoluten Geistes, die nach dem bestimmten geschichtlichen Kontext verschiedene Geltungsansprüche gewinnen. Wichtig ist, dass diese Modi sowohl als Institution als auch als Reflexionsform zu verwirklichen sind.207 Als Institutionen bleiben die Modi des absoluten Geistes innerhalb einer Gesellschaft und praktizieren die Bewegung der Anerkennung, die durch die intersubjektiven Begründungsversuche vollzogen wird, die über die Institution als solche reflektieren und diese realisieren. Da diese Bewegung auf dem Boden der Allgemeinheit vollzogen wird, die durch die Formen des absoluten Geistes (Anschauung, Vorstellung und Begriff ) garantiert wird, erhält sie einie Begründungs- und Prüfungsfunktion. Wichtig ist auch, dass
203 J. Habermas, a.a.O. 218. 204 In der Enzyklopädie akzentuiert Hegel die praktische Funktion der Philosophie: „Das Denken vergegenwärtigt die Wahrheit des Geistes, führt ihn in die Welt ein und befreit ihn so in seiner Wirklichkeit und an ihm selbst“ (GW20, 534). 205 R. B. Pippin, a.a.O. 178. 206 Der Begriff des absoluten Wissens sei keine quantitative geschlossene Konzeption, die nicht eine Erweiterung bzw. Modifikation des Wissens erlaubt, sondern „die jeweils spezifische Qualität des Wissens“ (M. Buhr, „Absolute Vernunft – ein Oxymoron? Zum Verhältnis von absoluter und historischer Vernunft“, in: Hegels Logik der Philosophie. Religion und Philosophie in der Theorie des absoluten Geistes, hg. von D. Henrich und R.-P. Horstmann, Stuttgart 1984, 105). Der Wissensmodus ist absolut, da er sich auf die Letztbegrünung bezieht. Dies bedeutet nicht, dass der Inhalt des Wissens vollendet ist. 207 Die Unterscheidung des absoluten Geistes als Institution von dem als Reflexion stellt Hegel besonders im Verhältnis der Kirche (Religion) mit dem Staat dar. Dieses Thema erörtert Hegel in der Rechtsphilosophie, in den drei Auflagen der Enzyklopädie und in den Religionsvorlesungen mit unterschiedlicher Akzentuierung (M. Alvarez-Gomez, „Zu Hegels Theorie des Verhältnisses von Staat und Religion“, in: Hegels Enzyklopädisches System der Philosophie, 411-420).
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diese Reflexionsform zwar als normative Wissensform auftritt, die jedoch als die neue Praxis in der Geschichte die Erneuerung der Institution verursacht.
5.1. Der Vergangenheitscharakter der Kunst in der Moderne und die romantische Kunstform Die Kunst ist für Hegel eine Form des absoluten Geistes. Die Besonderheit der Kunst liegt in ihrer anschaulichen Form, die denselben Inhalt darstellt, wie die Religion mit ihrer Vorstellung und die Philosophie mit dem Begriff. Insofern die Kunst eine Form des absoluten Geistes ist, behauptet sie einen absoluten Wahrheitsanspruch. Sie ist eine Reflexionsform über die soziale Institution, die nichts anderes als die objektive Realisation der Freiheit ist. Kant konzipiert das Schöne ausschließlich unter dem rezeptionsästhetischen Aspekt, wonach es die Harmonie der subjektiven Erkenntnisvermögen (Verstand und Urteilskraft) bzw. die durch die reflektierende Urteilskraft konstruierte ästhetische Erfahrung bezeichnet. Hegel fügt dem Schönen neben diesem Aspekt den produktionsästhetischen Aspekt hinzu, wonach es eine Ausdrucksform des geschichtlichen Selbstverständnisses des Menschen ist.208 Wenn Hegels Ästhetik ausschließlich als eine Gehaltsästhetik interpretiert würde, könnten wir die vielschichtigen Aspekte der tragischen Erfahrung nicht verstehen: Die tragische Erfahrung veranschaulicht uns einen Konflikt des rezeptionsästhetischen Aspekts mit dem produktionsästhetischen.209 Wenn man die griechische Tragödie nur unter dem pro208 Über den Unterschied zwischen der Ästhetik der ästhetischen Erfahrung und der Werkästhetik: R. Bubner, Ästhetische Erfahrung, Frankfurt am Main 1989, 9-51. Die Ästhetik der ästhetischen Erfahrung analysiere den formellen Prozess der ästhetischen Erfahrung. Die Werkästhetik dagegen schreibe dem Schönen den Wahrheitsanspruch zu. Sie leite das Schöne „heterogen“ nach dem Inhalt der Wahrheit ab. Aber Hegels Ästhetik kann nicht bloß als Werkästhetik bestimmt werden. Über die Konzeption der ästhetischen Erfahrung in Hegels Ästhetik: J. M. Miller, Subjectivity in Hegel’s Aesthetics, Notre Dame, Indiana April 2011. 209 Die „Tragödie im Sittlichen“, die Menke bei Hegel konzipiert, ist eine Bestätigung seiner These, die er in der Souveränität der Kunst entwickelt: Die ästhetische Erfahrung sei eine Krisenerfahrung, die genealogisch dem diskursivem Denken einen Totalitätsanspruch aufgebe. Die Idee der Vernunft könne nur genealogisch (nicht teleologisch) durch die Krisenerfahrung entworfen werden, in der das diskursive Denken seine Auflösung erfahre. Diese Auflösungserfahrung fordere von ihm eine Lösung, die nur durch den Totalitätsanspruch gewonnen werden kön-
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duktionsästhetischen Aspekt betrachtet, stellt die Tragödie das Selbstverständnis des griechischen Volkes dar, das im Namen des Schicksals den Konflikt für gelöst hält. Aber die tragische Erfahrung zeigt einen neuen Aspekt, der nicht auf das Selbstverständnis des Volkes zurückzuführen ist und dieses aufhebt. Die Tragödieninterpretation fordert von uns, die beiden Aspekte (den produktionsästhetischen und den rezeptionsästhetischen) zu berücksichtigen. Während die Hermeneutik den „Horizont“ des geistigen Selbstverständnisses akzentuiert, der die rezeptionsästhetischen Rahmenbedingungen bildet, spricht Hegel über die „Objektivität“ der Kunst, die nur erreicht werden könne, wenn die Kunst das aktuelle Selbstverständnis darstelle, das erst durch die Produktion und die Rezeption der Kunst konstruiert und verändert werden müsse (23, 115ff.). Die Autonomie der Kunst für Hegel ist ein Resultat des Modernisierungsprozesses. Aber dieser darf nicht als die Arbeitsteilung verstanden werden, die die verschiedenen Wertsphären bildet.210 Durch den Diskurs über den Vergangenheitscharakter der Kunst können wir die Autonomie der Kunst in Hegels Ästhetik neu konstruieren. Die Kunst unterscheidet ne. Für Menke veranschauliche die griechische Tragödie den Auflösungsprozess des diskursiven Denkens, das als Sittlichkeit das Private und das Öffentliche umfasse. Diese Negation des diskursiven Denkens fordert von diesem einen neuen Totalitätsanspruch zu begreifen, da durch diese Negation dem diskursiven Denken eine neue Tragik entstanden sei, die im Konflikt zwischen der Authentizität und der Autonomie liege. Der genealogisch entstandene Totalitätsanspruch laute, dass diese moderne Tragik gelöst werden müsse. Beim frühen Schelling haben wir auch einen ähnlichen Versuch gesehen. Für den frühen Schelling sei die Tragödie die Darstellung der Anschauung (bzw. der Erfahrung) des Absoluten. Man versuche diese ästhetische Erfahrung in der Geschichte durch die diskursiven Begriffen darzustellen, damit man zwei falsche Totalitätssysteme aufstelle. Durch den Vergleich der ästhetischen Erfahrung, in der die Einfachheit des Absoluten angeschaut werde, und der dieses in die Zerrissenheit bringenden diskursiven Systems könne man einen neuen Totalitätsanspruch gewinnen, der die Antinomie auflösen müsse, die die beide falschen Systeme bilden. Die ästhetische Erfahrung ist für Menke die der Negativität der Diskursivität. Dagegen ist sie für Schelling die der Positivität des Absoluten. Durch seine Tragödieninterpretation schreibt Menke der Autonomie der Kunst die Allgemeingültigkeit zu. Die Autonomie der Kunst ist nicht ein Resultat des Modernisierungsprozesses, wie Bürger, Marquard und Hegel behaupten, sondern eine transzendentale Kategorie, die die ästhetische Erfahrung der Negativität ermöglicht, da Menke die tragische Erfahrung als die der Negativität interpretiert, die nur möglich ist, insofern die ästhetische Erfahrung eine autonome Wertsphäre bildet. Für Hegel ist es wichtig, die Autonomie der Kunst gegenüber dem diskursiven Denken als eine moderne Kategorie zu verstehen, die den Vergangenheitscharakter der Kunst prägt. 210 J. Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne, 9ff.
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sich als eine Form des absoluten Geistes von der Gesellschaft. Aber sie unterscheidet sich durch ihre eigenständige Form auch von der Religion und der Philosophie. Auf die erste Unterscheidung haben wir schon durch den kritischen Begriff des absoluten Geistes hingewiesen. Die zweite Unterscheidung soll anhand des Vergangenheitscharakters der Kunst erörtert werden, da Hegel davon ausgeht, dass die Kunst nach dem Untergang des griechischen Reichs ihre Eigenständigkeit gegenüber der Religion und der Philosophie gewonnen habe.
5.1.1. Der Vergangenheitscharakter der Kunst Die These des Vergangenheitscharakters der Kunst211 wird von Hegel behauptet, da die Kunst in der Moderne nicht mehr „die höchste Weise“ ist, „das Wahre auszusprechen“ (23, 5). Die Kunst hat zwar denselben Gegenstand, nämlich den „Geist“, wie die Religion und die Philosophie. Die Besonderheit der Kunst aber liegt in ihrer sinnlichen Form. Man kann noch das Selbstverständnis sinnlich darstellen. Aber es ist in der Moderne fragwürdig geworden, ob das sinnlich Dargestellte noch einen allgemeingültigen Wahrheitsanspruch erheben kann. Erstens ist die sinnliche Form nicht mehr für alle verstehbar, da es keine gemeinsame Mythologie mehr gibt. Zweitens kann sie den Inhalt des Selbstverständnisses nicht vollständig darstellen, da dies nur durch den Begriff ausgeführt werden kann, d. h. der Inhalt so geistig geworden ist, dass die sinnliche Form ihn nur partikulär darstellen kann. Dagegen ist der Begriff verstehbar und kann den vergeistigten Inhalt besser darstellen. Die klassische Kunstform, in der die Form sich bedeutet, d. h. die Form dem Inhalt entspricht, hat das geschichtliche Selbstverständnis dargestellt, nach dem die gesellschaftliche Wirklichkeit nur ästhetisch gerechtfertigt
211 Die Literatur, die das Thema „Ende der Kunst“ behandelt, ist unübersichtlich. Gegen die klassizistische Interpretation gab es eine Wende, nach der Hegels Ästhetik eine neue Aufmerksamkeit gezogen hat (Chr. Jamme, „Hegels Satz vom Ende der Kunst“, in: Poetische Autonomie? Zur Wechselwirkung von Dichtung und Philosophie in der Epoche Goethes und Hölderlins, hg. von H. Bachmaier und Th. Rentsch, Stuttgart 1987, 273-286). Die klassizistische Interpretation der These vom „Ende der Kunst“ kann in dieser Arbeit nicht behandelt werden, da sie die moderne Kunst nur als eine mangelhafte Form gegenüber der klassischen Kunstform behandelt und da wir den eigenständigen Charakter der modernen Kunstform erörtern wollen (dazu, A. Gethmann-Siefert, Die Funktion der Kunst in der Geschichte).
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wird.212 Die Existenzweise der Sittlichkeit ist die Sitte, deren konkrete Inhalte z. B. durch die Statue von Athene veranschaulicht wird, wie die Eumeniden von Aischylos darstellen. Diese Statue spricht über die Handlung von Athene, die das göttliche Recht und das menschliche ins harmonische Verhältnis überführt hat. Ihre Schönheit garantiert die Autorität der diese Handlung verkörpernden Sittlichkeit in Athen. Diese ästhetische Autorität aber verliert in der Moderne ihre Geltung. Das Selbstverständnis des Menschen kann nicht mehr durch eine schöne Form dargestellt werden. Die Wirklichkeit muss durch die diskursiven Begriffe erfasst werden, denn die Rechtfertigung der Autorität der Normen muss für alle verstehbar und annehmbar sein. In der Rechtsphilosophie argumentiert Hegel, dass die soziale und politische Wirklichkeit durch den Begriff erfasst werden muss. Die Moralität, die durch die Handlung verwirklicht wird, muss durch die Sittlichkeit aufgehoben werden,213 deren Verwirklichung die Einheit der Institution und der Gesinnung ist, die nur im diskursiven Wissen erscheint (GW14.1, 201). Die Kunst verliert ihre Rechtfertigungsfunktion, die sie im alten Griechenland gehabt hat, und gewinnt stattdessen eine autonome Sphäre als eine Institution durch den Modernisierungsprozess. Als Institution bleibt sie neben anderen Institutionen in einem Staat. Als eine Reflexionsform des absoluten Geistes aber ist sie vom Staat zu unterscheiden.214 Für Hegel 212 Die ästhetische Rechtfertigung der Wirklichkeit durch die Tragödie beim frühen Nietzsche bezieht sich auf die kompensatorische Funktion der Kunst für das nicht lebenswertige Leben. Das Leben ist nach Nietzsche total pessimistisch. Die Kunst schafft diesem Rausch des leidenden Lebens einen Traum, der das Leiden vergesslich macht. Die Kunst steht dem Leben gegenüber. Dagegen bezeichnet die ästhetische Rechtfertigung bei Hegel die Staatsbildung durch die Kunst. Die Legitimität der Lebensform kann nur ästhetisch bewiesen werden. In dieser Rechtfertigung besteht die Identität der Kunst und des Lebens. 213 Ludwig Siep, „Was heißt ‚Aufhebung der Moralität in Sittlichkeit‘ in Hegels Rechtsphilosophie?“, in: Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus, Frankfurt am Main 1992, 217–239. 214 Über das Verhältnis von Kunst und Staat hat Hegel zwar nicht ausführlich gesprochen. Aus seinen Erklärungen über das Verhältnis der Religion zum Staat aber können wir indirekt seinen Gedanken über jenes ableiten. Nach Jaeschke hält Hegel das Verhältnis der Religion zum Staat aus dem damaligen Diskussionskontext für sehr wichtig. Die Religion ist einerseits eine Institution im Staat. Andererseits bildet sie eine „Grundlage“ des Staats. Dieser Ausdruck „Grundlage“ aber bezieht sich auf das vergangene Geschehen, nämlich die Religion hat bei der Staatsbildung seine Legitimität garantiert (GW14,1, 213ff.). Aber in der Moderne bildet die Religion nicht mehr eine substantielle Grundlage des Staates. Nach Jaeschke geht Hegel davon aus, dass nach der Säkularisierung sich der Staat
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hat die Modernisierung der Kunst zwei Ergebnisse. Die Kunst ist erstens autonom, da sie eine Institution neben anderen geworden ist. Zweitens ist sie noch eine Form des absoluten Geistes. Zwar bleibt sie als Institution innerhalb eines Staates. Aber sie reflektiert noch über sein Prinzip. Insofern die Kunst sich auf die Letztbegründung des Selbstverständnisses bezieht, übersteigt sie den Bereich des objektiven Geistes. Aber die Kunst hat nur die sinnliche Form, die nicht mehr „die höchste Weise“ ist, „das Wahre auszudrücken“, was die Philosophie übernimmt. Muss die Kunst, da sie von der Philosophie in Bezug auf die Darstellungsform unterschieden wird, da ihre Form sinnlich ist, abgewertet werden? Diese Frage bezieht sich auf die Bestimmung der romantischen Kunstform. Die romantische Kunstform ist eine Form, in der der Geist nicht mehr in einer schönen Form, sondern in sich selbst, nämlich in seiner geistigen Form seine „Realität“ findet (23, 179). Ästhetisch oder religiös ausgedrückt, findet der Geist nicht mehr in der Handlung Jesu, sondern in seinem Tod seine angemessene Ausdrucksform. Die sinnliche Form der Kunst entspricht nicht mehr dem Inhalt des Geistes. Trotz dieser Nichtidentität bleibt die Kunst noch eine Form des absoluten Geistes, da der Geist „unendlich“ ist. Der Geist ist „die sich als unendlich wissende Subjektivität“ (23, 180). Das Subjekt ist unendlich, insofern es sein Wesen in seiner „absoluten Innerlichkeit“ hat. Für diese Innerlichkeit ist „die Mannigfaltigkeit“ der Sinnlichkeit „zu einem Ideellen herabgesetzt“. Während in der klassischen nur auf sich selbst gründe. Ein-Staatsbürger-Sein sei nicht abhängig davon, zu welcher Religionsgemeinschaft man gehöre. Der Mensch sei würdig, ein Staatsbürger zu sein, weil er eine Person sei (W. Jaeschke, „Die geoffenbarte Religion“, in: Hegels Enzyklopädie, 463). Damit lehnt Hegel die Forderung vom christlichen Staat definitiv ab. Das Prinzip des Staates muss religiös-neutral begründet werden. Die Macht der Kirche muss eingeschränkt werden, da sie eine Institution im Staat ist. Aber wenn man auf das Prinzip des „Protestantismus“ eingeht, wie Hegel in der Rechtsphilosophie schreibt, kann man einsehen, dass „das eigentümliche Princip des Protestantismus“ nicht gleichgültig dem Prinzip des Staates ist (GW14,1, 16), denn „was Luther als Glauben im Gefühl und im Zeugniß des Geistes begonnen, es ist dasselbe, was der weiterhin gereifte Geist im Begriffe zu fassen“ hat. Was der Glaube darstellt, ist dasselbe, was durch die Philosophie begriffen wird. Der Glaube kann durch die Begriffe übersetzt werden, ohne dass er seine eigene Geltung verliert. Dies besagt, dass die Religion dasselbe darstellt, was die Philosophie über den Staat (nämlich die Rechtsphilosophie) spricht. Die Religion bleibt eine Form des absoluten Geistes, die die Reflexion bzw. die Kritik über das Prinzip des Staats ausdrücken kann. Die Kunst als Institution und als eine Form des absoluten Geistes hat in ihrem Verhältnis zum Staat dieselbe Bestimmung.
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Kunstform die Sinnlichkeit unmittelbar mit der Geistigkeit identisch ist, weist sie in der romantischen als ein Moment der Geistigkeit auf diese hin. In der Phänomenologie des Geistes stellt Hegel dar, wie der Geist seine Unendlichkeit erkennt und sie im Rechtszustand realisiert. In diesem Rechtszustand, der als Resultat der tragischen Erfahrung auftritt, ergreift der Stoizismus den reinen Gedanken als das Wesen des Geistes. Der Geist ist unendlich, da er der reine Gedanke ist, der als die absolute Negation aller einzelnen Dinge diese in sich umfasst, die ihm keine Grenze mehr sind. Der Geist hat das Recht, die Dinge zu besitzen. Der Besitz ist eine Form der Realisierung der Unendlichkeit des Geistes. Da der Geist unendlich ist, besitzt er die Dinge. Aber der Besitz ist eine Begrenzung der Geistes, da dieser durch den Besitz sich mit den einzelnen Dingen identifiziert, und er als ein die bestimmten Dinge Besitzender durch die anderen anerkannt wird. Aber diese Begrenzung widerspricht der Unendlichkeit des Geistes, der nichts anderes als die absolute Negation der Dinge ist. Insofern er unendlich ist, muss er sich von seinem Besitz unterscheiden (GW9, 260-264). „Der objektive Geist“ versucht, seine Unendlichkeit durch den Besitz, bzw. durch die Realisierung des Rechtszustandes zu erkennen, damit er in die Struktur des „unglücklichen Bewußtseins“ gerät, in der er sich begrenzt (realisiert) und sich gleichzeitig von dieser Realisation befreien muss. Dagegen sind die Dinge für den unendlichen Geist der romantischen Kunstform nicht mehr Gegenstand des Besitzes, sondern Form bzw. Medium für den Ausdruck seiner Unendlichkeit. Der Geist der romantischen Kunstform weiß, dass die Sinnlichkeit nicht seiner Innerlichkeit entspricht, da diese Innerlichkeit nichts anderes als die absolute Negation der Sinnlichkeit ist. Wegen dieser Nicht-Identität ist die klassische Form der Kunst vergangen, da der Geist zur Darstellung seines Selbstverständnisses eine andere Form braucht.215 Die Nicht-Identität bezieht sich auf die gegenwärtige Epoche, deren Darstellung die romantische Kunstform übernimmt. Aus dieser Nicht-Identität ergibt sich einerseits die Degradierung der Kunst gegenüber der Philosophie. Die Sinnlichkeit kann nur die unendliche Geistigkeit ausdrücken, insofern sie sich negiert. Diese Seite macht die Negativität des Materials der Kunst aus. Andererseits kann die Unendlichkeit des Geistes, wie wir am Begriff des Besitzes gesehen haben, sich durch das sinnliche Material ausdrücken, da er dieses als „ideell“ setzt und durch diese Aufhebung es frei entlässt. Das Material muss nicht mehr bearbeitet 215 Diese Form basiert auf dem „Humanus“, der „der neue Heilige der Kunst“ ist (Vgl. A. Gethmann-Siefert, a.a.O. 319, Martin Donougho, „Remarks on „Humanus heißt der Heilige …““, in: Hegel-Studien Bd.17 (1982), 214-225.
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(„idealisiert“) werden, denn das rohe Material als solches kann auch wegen der Unendlichkeit des Geistes einen geistigen Inhalt ausdrücken kann. Diese Seite macht die Positivität des Materials der Kunst aus. Das rohe Material ist die fremdeste Form für den Ausdruck der Geistigkeit. Aber da der Geist unendlich ist, kann er diese fremdeste Form zum Selbstausdruck annehmen. Dagegen stellt die Philosophie den Geist durch den Begriff dar, der die dem Geist nächste bzw. entsprechende Form ist.
5.1.2. Die Diskussion um das „Ende der Kunst“ Hier werden vereinfacht nur die drei Interpretationen berücksichtigt, die für unseren Zweck der Charakterisierung der modernen Kunst relevant sind. Danach wird die These der Eigenständigkeit der Kunst vorgeschlagen, die für die Bestimmung der modernen Tragödie wichtig ist.216 a) Abstrahierung der Kunst Diese Interpretation hebt die Negativität des Materials der Kunst hervor. Die abstrakte Kunst ist eine Realisation des Vergangenheitscharakters der Kunst, da sie das Material von der Kunst entfernt. Pippin führt für diese Deutung vier Gründe an. Er hält die repräsentative Kunst für die traditionelle, die abstrakte für die moderne.217 Erstens sei die moderne Kunst der Ausdruck des Selbstverständnisses des Menschen, und nicht die Repräsentation von einem religiösen Gott. Zweitens sei die Kunst nicht die Repräsentation der Natur, sondern die Vergeistigung der Natur. Drittens sei das ethische Leben rationalisiert; die diesem angemessene Darstellungsweise sei der vernünftige Begriff. Die die Prosa des Lebens repräsentierende Kunst verliere ihren Existenzgrund. Viertens gewinne die Kunst nach der Degradierung der Sinnlichkeit bzw. der Bevorzugung der Intellektualität des menschlichen Geistes durch die Kantische Philosophie die abstrakte Form. Diese Deutung fokussiert nur die Negativität des Materials der
216 Diese Vereinfachung der Interpretationsgeschichte geht davon aus, dass die berühmte These „Vergangenheitscharakter der Kunst“ ein sehr breites Spektrum der Interpretierbarkeit aufweist, das zur Bestimmung der modernen Tragödie nicht berücksichtigt werden kann. Z. B. Martin Donougho schlägt sechs Interpetationen vor: Ders., „Art and History: Hegel on the End, the Beginning, and the Future of Art“, in: Hegel and the Arts, 179-215. 217 R. B. Pippin, „What was abstract art? (From the Point of View of Hegel)“, in: Hegel and the Arts, 244-270.
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Kunst. Diese ist aber nur eine Seite der Modernisierung der Kunst, in der das Freientlassen des Materials auch berücksichtigt werden muss. b) Partikularisierung der modernen Kunst Diese Deutung basiert auf den neu edierten Nachschriften der Ästhetikvorlesungen. Während die von Hotho edierte Ästhetik nach dieser Deutung ein unter seiner Konzeption der „spekulativen Kunstgeschichte“ organisierter Text sei, könne man in den Ästhetiknachschriften eine neue Konzeption der Kunst finden, in der nicht die dialektische Logik, sondern das Kunstphänomen den zentralen Punkt bilde.218 Die Hauptkritik liegt darin, dass Hotho seine klassizistische Kunstkonzeption in Hegels Ästhetik eingepflanzt habe, nach der die romantische Kunstform aufgrund der Kunstnorm der klassischen Kunst bzw. der Konzeption des Schönen abgewertet werde. Mit einer funktionalistischen Konzeption der Kunst219 aber müsse der romantischen Kunstform ihre eigene Konzeption zugeschrieben werden. Wenn die schöne Kunst der Altgriechen dem Volk ihre Sittlichkeit veranschauliche, d. h. die Kunst ihrer höchsten Möglichkeit nach die Funktion der Wahrheitsvermittlung ausübe, sei dieses Schöne nicht mehr möglich, d. h. die romantische Kunstform könne nur diese Funktion wegen ihrer Form partikulär ausüben. Stattdessen gewinne sie die unendlich vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten. Die Form der Kunst sei defizient im Vergleich zu der der Philosophie. Deswegen könne sie nur eine partielle Wahrheitserkenntnis gewinnen, die durch die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten erreicht werden kann. c) Die Entgrenzung der modernen Kunst Danto bezieht diese unendliche Gestaltungsmöglichkeit der modernen Kunst auf diese These vom „Ende der Kunst“. Da die geschichtliche Entwicklung der Kunst vollendet sei, könne die nachromantische Kunst im nachhistorischen Zeitalter alle in der Geschichte verwendeten Materialien und Formen benutzen. Danto schreibt Hegel „die These vom Ende der Kunst“ zu und hält die These „für historisch wahr“220. Die Philosophie habe auf „die philosophische Entmündigung der Kunst“ wegen ihrer Gefährlichkeit abgezielt und ihre Besonderheit gewonnen, indem sie die Kunst verbanne. Die Kunst überwinde diese „Entmündigung“ durch sich 218 A. Gethmann-Siefert, Einführung in Hegels Ästhetik, München 1995. 219 A. Gethmann-Siefert, Die Funktion der Kunst in der Geschichte. Die essentialistische (bzw. klassizistische) Deutung von Hegels Ästhetik, die die Definition des Schönen akzentuiert, sei auf die Edition von Hotho zurückzuführen. 220 A. C. Danto, Die philosophische Entmündigung der Kunst, München 1993, 12.
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selbst, indem sie am ehesten das Sich-Wissen erreiche, das für die Philosophie als die höchste Aufgabe gelte. Sobald die Kunst dieses Wissen erreiche, verschwinde die Grenze zwischen Kunst und Philosophie, die die Philosophie für sich selbst gestellt habe. Danto geht davon aus, dass die Kunst und die Philosophie dieselbe Aufgabe haben, die Realität darzustellen. Diese Darstellung sei nicht Imitation, sondern der Ausdruck einer Interpretation („about“) der Realität. Seine Argumentation basiert auf der Konzeption der Geschichte des Geistes von Hegel. Hegel spreche über „einen kognitiven Fortschritt“ in der Geschichte: „Die Geschichte endet mit dem Anbruch des Selbstbewußtseins, oder besser: des Sich-selbst-wissens“221. Die Kunst exemplifiziere diesen kognitiven Fortschritt, um den sich die Philosophie auch bemühe. Der kognitive Fortschritt sei der Prozess der Überwindung der Trennung des Subjekts vom Objekt. Das Sich-Wissen sei das Ende dieses Fortschritts, da im Sich-Wissen das Subjekt unmittelbar mit dem Objekt identisch sei. Durch das Sich-Wissen sei die Geschichte des Geistes zu Ende.222 Wenn die Geschichte der Kunst die der Darstellung der Realität sei, beende die avantgardische Kunst die Geschichte, da „das Hauptanliegen der Kunst“ in der „Auseinandersetzung mit der Frage nach ihrer eigene Identität“ liege.223 Die Kunst selbst sei ein Gegenstand für sie geworden, d. h. sie philosophiere über sich selbst. Das „Ende der Kunst“ sei die Überwindung des Gegensatzes des Subjekts gegen das Objekt, das Verschwinden des Unterschieds zwischen der Kunst und der Philosophie und die Entgrenzung der Kunst, durch die die Kunst nachromantisch und nachhistorisch werde. Dantos Deutung kann so zusammengefasst werden: Kunst habe ihr Ende erreicht, da sie sich philosophisch erkannt habe. Insofern sie sich erkenne, gebe es für sie keine Geschichte mehr. Der Begriff des Selbst-Wissens, das Danto mit dem „absoluten Wissen“ von Hegel identifiziert, bezieht sich auf die metaphysische Deutung des absoluten Geistes. Wie wir oben erörtert haben, ist die Form des absoluten Geistes überhaupt das Selbst-Wissen. Danto geht davon aus, dass die Kunst das Sich-Wissen erreiche, da sie nicht mehr die Realität, sondern sich selbst darstelle. Es sei nicht verständlich, warum die Philosophie, obwohl sie formell sich zum Gegenstand habe, noch in der Geschichte bleibe. Die Kunst sei eine Form des absoluten Geistes, die das Selbst-Wissen 221 A. C. Danto, a.a.O. 137. 222 A. C. Danto, Die Verklärung des Gewöhnlichen. Eine Philosophie der Kunst, Frankfurt am Main 1991, 94. 223 A. C. Danto, Die philosophische Entmündigung der Kunst, 139.
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des Menschen ausdrücke. In der Tragödie hat man schon die Trennung des Subjekts von dem Objekt überwunden, da man in der tragischen Erfahrung über sich reflektiert hat. Darüber hinaus hat Danto Hegels Bestimmung der Kunstphilosophie missverstanden: Die Kunst müsse durch die Philosophie erkannt werden, da das Schöne vergangen ist.224 Die Kunstphilosophie braucht man, da die Kunst den Vergangenheitscharakter gewonnen habe. Diese These kehrt Danto um: Da die Kunst Kunstphilosophie geworden sei, erreiche sie ihr Ende. Hegel begründet die Notwendigkeit der Kunstphilosophie aus dem Vergangenheitscharakter der romantischen Kunstform. Wenn die klassische Kunst sich bedeute, d. h. die Form unmittelbar mit dem Inhalt identisch sei, entspreche die Form der romantischen Kunst nicht mehr dem Inhalt. Die Form, die nicht mehr selbstverständlich sei, müsse interpretiert werden. Der Inhalt sei mit der Form nicht gegeben, sondern müsse erst gesucht werden. Dieser Vergangenheitscharakter der romantischen Kunstform, d. h. die Nicht-Identität der Form mit dem Inhalt brauche die Kunstphilosophie, deren Aufgabe darin liege, die romantische Kunst als Kunst anzuerkennen (GW20, 555). Die Kunstphilosophie ist eine Übersetzung der Kunst mit Begriffen, wie die Religionsphilosophie.225 Bürger stimmt mit Danto überein, dass „der Hegelsche Gedanke eines Endes der Kunstperiode“ durch den Versuch der Entgrenzung der Kunst realisiert worden sei. Die avantgardische Kunst habe die autonome Kunst als Institution aufgehoben und versucht, die Kunst in das Leben zurückzunehmen.226 Aber Bürger ist der Auffassung, dass dieser Versuch scheiterte. Die autonome Kunst überlebe und das „Ende der Kunst“ sei noch nicht gekommen. Die Wiederherstellung der Autonomie der Kunst sei bei Adorno zu finden.227 Es geht uns nicht darum, zu urteilen, ob dieser avantgardische Versuch scheiterte. Das „Ende der Kunst“ ist bei Hegel nicht zu finden. Die Experimente der avantgardischen Kunst gehören für Hegel zur Realisation der unendlichen Gestaltungsmöglichkeit der romantischen Kunstform, deren Konzeption abstrakt genug ist, um alle Experimente der modernen Kunst
224 Der „Ende“ der Kunst ist nicht auf Hegel, sondern auf seine Schüler zurückzuführen. D-J. Kwon, Das Ende der Kunst. Analyse und Kritik der Voraussetzungen von Hegels These, Würzburg 2004, 11-13. 225 J. Habermas, Glauben und Wissen, Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001, Frankfurt am Main 2001. 226 P. Bürger, Theorie der Avantgarde, Frankfurt am Main 1974, 34. 227 P. Bürger, Das Altern der Moderne. Schriften zur bildenden Kunst, Frankfurt am Main 2001, 193-204.
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zu umfassen: Es geht darum, diese Vielfältigkeit der Kunst anzuerkennen, die den Vergangenheitscharakter hat.
5.1.3. Die Eigenständigkeit der modernen Kunst Die unendliche Gestaltungsmöglichkeit rührt aus der „Unendlichkeit“ des Geistes her, die den Vergangenheitscharakter der Kunst begründet. Die Nicht-Identität der Form mit dem Inhalt bildet die neue Form der Kunst in der Moderne. Die Deutung der Partikularität zeigt, dass die Kunst wegen ihrer Form nur einen Teil der Wahrheit vermitteln könne, deren Totalität nur die Philosophie begreife.228 Gegen diese Deutung lässt hier sich fragen, ob diese Nicht-Identität nicht nur die Besonderheit der Kunst gegenüber der Philosophie, sondern auch ihre Eigenständigkeit zulässt. Diese Eigenständigkeit bedeutet, dass die Kunst ihre eigene Wahrheitsvermittlung aufgrund ihrer eigenen Form ausüben kann.229 Gegen die Partikularitätsdeutung, die die Defizienz der Form der Kunst hervorhebt, wollen wir mit der These der Eigenständigkeit der Kunst den Vorteil ihrer Form explizieren. Die Sphäre, die die Kunst wegen ihrer Form und ihres Vergangenheitscharakters darzustellen vermag, kann die Philosophie nicht begreifen, da ihre Begriffe zu abstrakt sind, um die konkrete Phänomene darzustellen.230 Hegel geht davon aus, dass der Geist in der Moderne nur in seiner Intellektualität seine angemessene Ausdrucksform finden könne. Aus dieser Argumentation ist die Defizienz der Kunst abzuleiten. Aber der Geist ist unendlich, nämlich, er kann sich durch die Kunstform noch ausdrücken. Die Kunstform bestätigt, dass der Geist unendlich ist. Darüber hinaus kann diese Unendlichkeit nur durch die Kunst ihren Inhalt erfüllen. Sonst wäre sie leer und abstrakt. Die Kunst konkretisiert den Inhalt des Geistes. 228 Aus dieser kognitiven Einschränkung rührt die Partikularität der Leistungsfähigkeit der Kunst her (A. Gethmann-Siefert, Die Funktion der Kunst in der Geschichte, 350). 229 Diesen Gedanken hat Adorno geäußert. Nach ihm ist die Theorie des absoluten Geistes von Hegel eine Konstruktion des Bestehenden als eine Verwirklichung der Utopie. Hegels Ästhetik aber ordnet „die Kunst der widerspruchsvollen Existenz“ zu, „die wider alle affirmative Philosophie fortwährt.“ (GS3, 55). Aber dieses Spannungsverhältnis zwischen der Kunst und der Philosophie rührt nicht nur aus der bloßen Negativität der Kunst, wie bei Adorno, sondern aus ihrer Eigenständigkeit her, in der auch ihre Positivität enthalten ist. 230 Ähnliche Reflexion über diese eigenständige Eigenschaft der Kunst: J. Walker, „Art, Religion, and the Modernity of Hegel“, in: Hegel and the Arts, 271-295.
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In der modernen Tragödie tritt das verdinglichte, entzauberte Individuum auf. Dieses entgötterte Individuum ist die fremdeste Form zum Ausdruck des geistigen Inhalts im Vergleich zum göttlichen Individuum in der griechischen Tragödie, das unmittelbar diesen geistigen Inhalt bedeutet. Während die Philosophie den geistigen Inhalt durch die geistige Form, nämlich den Begriff, und die griechische Tragödie den geistigen Inhalt durch die diesem angemessene Form, nämlich das schöne Individuum darstellt, ist die moderne Kunst die einzigartige Form, die denselben Inhalt trotz der Nicht-Identität darzustellen versucht. Da das entgötterte Individuum die fremdeste Form zur Darstellung des geistigen Inhalts ist, kann die Philosophie es nicht zu ihrem Gegenstand haben. Indem die Kunst es darstellt, bildet sie ihre eigene Sphäre, die für die Philosophie nicht zugänglich ist. Die moderne Kunst hat eine eigene Aufgabe, die fremdeste Form mit dem geistigen Inhalt in Verbindung zu setzen. Wenn diese Aufgabe, wie Bubner vermutet, durch den Begriff der „Werkästhetik“ schon als gelöst entworfen wäre, wäre dieser Versuch der Kunst „heteronom“231. Aber Hegel denkt nicht, dass diese Vermittlung gelinge. Diese Nicht-Identität bildet die Eigenständigkeit der modernen Kunst, die ihre eigene Wirkung hat. Um diese Konzeption der Eigenständigkeit zu verdeutlichen, können wir mit dieser einerseits die Kompensationsthese der Kunst, andererseits die Souveränitätsthese der Kunst vergleichen. Die beiden Theorien haben zwei Ansichten gemeinsam. Erstens ist die Autonomie der Kunst der zentrale Begriff für die beiden. Aber wenn die Kompensationstheorie die Autonomie der Kunst für eine geschichtliche Kategorie hält, gilt sie für die Souveränitätstheorie transzendental.232 Zweitens bildet die Struktur der „reflektierenden Urteilskraft“ die ästhetische Erfahrung. Wenn die Souveränitätstheorie die ästhetische Erfahrung der „Negativität“ akzentuiert, gilt diese für die Kompensationstheorie als „Schadenersatz“, „Ergänzung ohne Ganzes“ gegen das Übel.233 Die Kompensationstheorie geht davon aus, dass der Modernisierungsprozess einerseits die Entzauberung (die Verdinglichung) und andererseits die Autonomisierung der Kunst umfasse, deren Aufgaben darin liegen, zau231 R. Bubner, a.a.O. 9-51. 232 Die Tragödieninterpretation von Menke geht davon aus, wie wir oben erörtert haben, dass die Autonomie der Kunst selbstverständlich für die griechische Tragödie gilt. Dagegen hält die Kompensationstheorie die autonome Kunst für ein Resultat des Modernisierungsprozesses (O. Marquard, Asthetica und Anaesthetica. Philosophische Überlegungen, München 2003, 64-81). 233 ebd. 113.
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berhafte Züge, die durch die Entzauberung verbannt seien, zu retten und damit das Übel der Entzauberung zu entlasten. Die autonome Kunst nimmt zwar als Institution „Folgenlosigkeit“ hin (Bürger). Aber sie gewinnt eine Entlastungsfunktion gegen den Verdinglichungsprozess durch ihre Autonomisierung. Schiller leitet aus der Autonomie der Kunst, die ein Resultat der Arbeitsteilung sei, ihre geschichtliche Funktion ab.234 Die Kunst drücke die ganze Menschlichkeit aus, die durch die Arbeitsteilung zerstört worden sei. Die Wirkungstheorie der autonomen Kunst von Schiller kann folgendermaßen zusammengefasst werden: Man erkenne das ganze Gemüt des Menschen („Spieltrieb“) durch die ästhetische Erfahrung, damit man sich auf die Gesellschaft der Zukunft vorbreite, in der die Menschlichkeit realisiert werde. Wenn diese eschatologische Ästhetik der Utopie die Negation der Wirklichkeit durch die Kunst akzentuiert,235 kritisiert die Kompensationstheorie diesen „Weltverlust“: Die Kunst kompensiere die Negativität der Wirklichkeit, indem sie die durch die Wirklichkeit verbannte Innerlichkeit darstelle. Diese Theorie bringt mit sich, dass die negative Wirklichkeit als solche anerkannt wird, da, obwohl sie als negativ erfahren wird, die Kunst sie erträglich macht. Die Kompensation bedeutet, dass die Wirklichkeit ästhetisch gerechtfertigt werden muss, wie der frühe Nietzsche gefordert hat.236 Die Souveränitätstheorie steht dieser Kompensationstheorie entgegen. Menke unterscheidet die Autonomie der Kunst von ihrer Souveränität. Die Autonomie der Kunst liege in der Erfahrung der ästhetischen Negativität, die das identifizierende Denken, bzw. das nicht-ästhetisches Verstehen negiere.237 Während Bürger die Autonomie der Kunst für ihre „Fol234 Schiller, SäW V. 611ff. 235 O. Marquard, a.a.O. 13. 236 Die Entfernung von der ungeklärten Wirklichkeit gleiche der „Annäherung“ an diese. Diese These hat Adorno aufgestellt, indem er den Ästhetizismus kritisiert. Wenn die Kunst versuche, nur sich von der Wirklichkeit zu entfernen und autonom zu bleiben, systematisiere sie ihre eigene Wertsphäre gegenüber der systematisierten Wirklichkeit (GS3, 10). Jamme fügt zu dieser These hinzu, dass die Kompensationstheorie das Ästhetische für „eine zweite, spätere Stufe bloßer Antwort auf die Übermacht der Wirklichkeit“ hält. Das Ästhetische aber sei nicht eine bloße nachträgliche Leistung für die negative Wirklichkeit bzw. die Angst vor ihrer Unbestimmbarkeit. „Der Mensch deutet von Anfang an seine Wirklichkeit“ (Chr. Jamme, »Gott an hat ein Gewand«, 102-103). 237 Über die Konzeption der Autonomie der Kunst: Chr. Menke, Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida, Frankfurt am Main 1991, 18-186.
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genlosigkeit“ hält, geht Menke davon aus, dass die Autonomie der Kunst mit ihrer Souveränität kompatibel sei. Die „Antinomie“ der ästhetischen Negativität, die Adorno formuliere, liege darin, dass die Kunst einerseits autonom, d. h. folgenlos sei, und andererseits die allgemeingültige Geltung für die anderen Wertesphären erhebe, d. h. souverän sei. Diese Antinomie kann nach Menke folgendermaßen gelöst werden: Die Kunst könne souverän bleiben, insofern sie autonom sei. Diese These könne durch die Kritik an Derridas Versuch der Formulierung der Souveränität der Kunst verdeutlicht werden. Derrida rette die Souveränität der Kunst, indem er ihre Autonomie negiere: Er übertrage die Logik der ästhetische Erfahrung einfach auf das nicht-ästhetische Denken, da jene Logik das Verstehen überhaupt begründe: Alles Verstehen müsse ästhetisch vollzogen werden. Dagegen beschränke Adorno die Geltung der ästhetischen Erfahrung auf den ästhetischen Bereich und behauptet, dass diese autonome Kunst auf das nicht-ästhetische Denken wirke: Die ästhetische Erfahrung vollziehe sich souverän.238 In der ästhetischen Erfahrung treffe man die Auflösung des nicht-ästhetischen Verstehens. Diese Erfahrung der Negativität geschehe innerhalb der autonomen Kunst. Durch diese Erfahrung aber gewinne man eine kritische Einstellung gegen die Vernunft. Wenn die Kompensationstheorie die Kunst als ein „Schadenersatz“ für den Mangel der Vernunft konzipiert, damit die Vernunft bzw. die Wirklichkeit bejaht wird, hält die Souveränitätstheorie die Kunst für Vernunftkritik. Wenn für jene das Zusammensein der Kunst und der Vernunft notwendig ist, steht die Kunst für diese der Vernunft entgegen. Wir wollen die Eigenständigkeitsthese der Kunst von Hegel zwischen den oben behandelten Theorien einordnen. Die Kunst übt weder die Vernunftkritik, noch die Affirmation der negativen Vernunft aus. Die Kunst zeigt die Negativität der Vernunft, damit diese sich verbessern kann. Die Kunst kritisiert die Vernunft in dem Sinne, dass sie das der Vernunft fremdeste Material darstellt, das außerhalb der Vernunft bleibt. Aber die Eigenständigkeit der Kunst liegt darin, dass sie dieses Material wieder mit der Vernunft in Verbindung setzt. Die Kunst stellt das Spannungsverhältnis zwischen der eigenständigen Sinnlichkeit und der Vernunft dar. Wie oben erwähnt, liegt die Eigenständigkeit der Kunst in ihrem Vermögen, mit dem fremdesten Material den Geist darzustellen. Diese Darstellung der Nicht-Identität erweckt die Sensibilität für den Bereich, der durch die Philosophie unter dem Namen „Rationalität“ nicht erfasst werden kann. Dies leistet die Kunst, indem sie nicht nur das rohe Material aus ihrer melancholischen Einstellung, wie wir später explizieren werden, son238 Chr. Menke, a.a.O. 189-293.
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dern das „Symbol“ darstellt. Das rohe Material zeigt die Nicht-Identität, nämlich die Negativität der Wirklichkeit. Das „Symbol“ zeigt die Harmonie, die neben der Nicht-Identität bleibt. Diese Antinomie der Nicht-Identität und des „Symbols“ bildet die Form der modernen Tragödie.
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6. DIE BESTIMMUNG DER MODERNEN TRAGÖDIE BEI HEGEL
Die „klassizistische“ Interpretation, die Möglichkeit der modernen Tragödie bei Hegel zu denunzieren, geht davon aus, dass die moderne Tragödie eine „Verfallsform“ der klassischen Tragödie sei, da in der modernen Tragödie keine dialektische Bewegung des Substantiellen zu finden sei, die Hegel exemplarisch in der Antigone erfasst. Wenn man Hegels Bestimmung der Tragödie nur für klassizistisch hält, ist diese im dialektischen Prozess des logischen Begriffs integriert, wie Bohrer behauptet.239 In seinem geschichtsphilosophischen System sei in diesem Sinne „kein eigentliches Interesse am Kunstwerk“ zu finden. Dagegen konzentriere sich „die Ästhetik der Tragödie nicht auf die begriffliche Versöhnung bzw. die Aufhebung in den Begriff, sondern auf „Schrecken“, „Trauer“, „Melancholie“240. Wie wir aber in der Konzeption der Tragödie in der Phänomenologie des Geistes erörtert haben, ist sie zweideutig. Bei der oberflächlichen Lektüre findet man die begriffliche Versöhnung in der griechischen Tragödie, die durch den dialektischen Prozess zu verstehen ist. Aber die Tragödie offenbart auch „das Fremdartige“, das die erreichte Versöhnung untergehen lässt.241 Den besonderen Fall, in dem die Eigenständigkeit der modernen Kunst klar erscheint, finden wir in der modernen Tragödie, die in den typisch dialektischen Prozess des logischen Begriffs nicht integriert werden kann.
239 K. H. Bohrer, Das Tragische. Erscheinung, das Pathos, Klage, München 2009, 18. 240 Für Bohrer ist die griechische Tragödie „um eines modernen Projektes willen“ von den drei Denkern befragt worden: „Kierkegaard um seiner quintessentiellen Frage nach der in Melancholie befallenen modernen Subjektivität willen, Nietzsche um seines Konzepts einer in Richard Wagners Musik sich vollziehenden Erneuerung der griechischen Tragödie als Erneuerung der deutschen Kultur willen und Walter Benjamin um der Erkenntnis des barocken Trauerspiels als Vorschein einer melancholischen Moderne willen“ (ebd.). 241 K. H. Bohrer, a.a.O. 17.
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6.1. Reflexionen über die Möglichkeit der modernen Tragödie Die zugrundeliegende Ansicht des Diskurses über die Tragik in der Moderne liegt darin, dass sie auf die Erfahrung der Grenze der Vernunft des Menschen verweist. Aus den Explikationen für die Fragen, was die Grenze der Vernunft ist, und wie die tragische Erfahrung läuft, rühren verschiedene Reflexionen über die Tragik in der Moderne her. Es geht darum, ob die Grenze der Vernunft geschichtlich bzw. kulturell bestimmbar (Simmel, Schmitt, Zirfas, Menke), oder zeitlos (Nietzsche) ist und ob die tragische Erfahrung die unmittelbare Erfahrung der Negativität der Grenze ist (Steiner, Nietzsche, Zirfas) oder ob sie ein dialektischer Prozess ist, in dem die Negativität der Grenze überwunden wird (Simmel, Schmitt).242 Steiner „Wo es Entschädigung und Ausgleich gibt, haben wir Gerechtigkeit, keine Tragödie. Dieses Verlangen nach Gerechtigkeit ist der Stolz und die Bürde der jüdischen Tradition“243. Steiner geht davon aus, dass der jüdische Geist die Erfahrung des Leidens unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit erkläre. Das Leiden sei nichts anderes als ein Resultat der Strafe gegen das Verbrechen. Man müsse das Leiden ertragen, da es ein Moment in der vernünftigen Welt sei. Alles sei vernünftig und durch die Vernunft erklärbar, da der vernünftige Gott die Welt erschaffen habe. Wo alles vernünftig erklärbar sei, da gebe es keine Tragik. Die tragische Erfahrung entstehe, wenn man unter der Unvernunft leide, die als das unerklärbare Schicksal erscheine. „Das tragisches Drama entsteht aus der genau entgegengesetzten Behauptung: Das Schicksal ist blind, und die Begegnung des Menschen mit dem Schicksal beraubt ihn seiner Augen, ob es sich um Theben oder Geza handelt. Diese Behauptung ist die griechische, und das tragische Lebensgefühl, das sich darauf gründet, ist der wesentlichste Beitrag des griechischen Geistes zu unserm Erbe“244. Das Schicksal werde als etwas Unvordenkliches, als die absolute Negation der Vernunft erfahren, wie bei der griechischen Tragödie oder bei
242 Es geht um den Diskurs über die Tragik in der Moderne, nicht über die Tragödie, die nur aufgrund der Tragik ihren Darstellungsstoff gewinnt. 243 G. Steiner, Der Tod der Tragödie, 9. 244 G. Steiner, a.a.O. 10.
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Shakespeare. Dadurch, dass der Mensch an diesem Schicksal leide, erhalte er „eine neue Größe“245. „Der Tod der Tragödie“ fange dort an, wo die Aufklärung ihre Herrschaft erhalte, bzw. die „tragische Weltanschauung“ ihre Gültigkeit verliere. Wenn das blinde Schicksal aus der rationalen Weltordnung vertrieben werde, gebe es keine Tragödie mehr, oder sie bleibe „bloße Unterhaltung“ ohne einen geschichtlichen Inhalt.246 Schmitt Schmitt kritisiert Wilamowitz Moellendorff, der „die Herkunft der Tragödie“ im Mythos sucht. Für ihn besteht die Tragik „in der lebendigen Erfahrung einer gemeinsamen geschichtlichen Wirklichkeit“,247 aber nicht im erfundenen Mythos. Die Tragödie sei eine Darstellung der bestehenden Tragik, die man in der Wirklichkeit erfahre. Wenn die Kunst ihren geschichtlichen Inhalt verliere, sei die Tragödie zum Tode verurteilt. Hamlet zeige exemplarisch, wie die Kunst ihren geschichtlichen Inhalt verliere. Durch die Glaubensspaltung gehe das Erkenntniskriterium für die Negativität der Wirklichkeit verloren. Wenn es keine gemeinsame Interpretationsgrundlage für die negative Erfahrung gebe, befreie sich die Kunst von der Erfahrung und werde ein „Spiel“. Die „Liberalisierung“ bzw. „Säkularisierung“ für Schmitt ist der Grund des Todes der Tragödie. Schmitt und Steiner heben die Abwesenheit der Tragik in der Moderne hervor. Für sie ist die moderne Tragödie nichts anderes als ein bloßes künstlerisches Spiel ohne geschichtlichen Inhalt. Dieses Verschwinden der Tragik schreibt Steiner der Rationalisierung, bzw. Entzauberung der Welt zu. Für Schmitt vernichtet die Pluralisierung der Weltanschauung die gemeinsame Grundlage für die geschichtliche Erfahrung der Tragik. Simmel Für ihn sei die Tragik ein Prozess in der Kultur, durch den diese eine höhere Versöhnung erreiche. Die Kultur mache die Vereinigung des Subjekts und des Objekts zu ihrem Zweck.248 „Das Paradoxon der Kultur“ besteht darin, „daß das subjektive Leben, das wir in seinem kontinuierlichen Strome füh245 G. Steiner, a.a.O. 14. 246 G. Steiner, a.a.O. 99. 247 C. Schmitt, Hamlet oder Hekuba. Der Einbruch der Zeit in das Spiel, (zuerst 1956) Stuttgart 1985, 47. 248 G. Simmel, „Der Begriff und die Tragödie der Kultur“, in: Gesamtausgabe. Bd. 14. Hauptprobleme der Philosophie, Philosophische Kultur, hg. von R. Kramme und O. Rammstedt, Frankfurt am Main 1996, 388.
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len, und das von sich aus auf seine innere Vollendung drängt, diese Vollendung, von der Idee der Kultur aus gesehen, gar nicht aus sich heraus erreichen kann, sondern nur über jene, ihm jetzt ganz formfremd gewordenen, zu selbstgenügsamer Abgeschlossenheit kristallisierten Gebilde“249. Wie das Subjekt nur durch die Vermittlung mit dem Objekt zu sich komme, könne das Objekt sich auch nur durch die Betätigung des Subjekts entwickeln. Die Tragik bestehe im „Dualismus von Subjekt und Objekt“, der „ihre Synthese voraussetzt“250. Die Tragik ist für Simmel die Erfahrung der Grenze der Vernunft. Diese, die im „Dualismus“ befangen ist, muss ihre Grenze erfahren, um zu sich zu kommen. Die Grenze, die nur kulturell bzw. geschichtlich bestimmt ist, ist schon überwunden, da der „Dualismus“ seine „Synthese“ voraussetzt. Simmels Ansicht scheint der Ansicht Steiners entgegengesetzt zu sein, da Simmel die tragische Erfahrung mit der Erklärbarkeit durch den Begriff in Verbindung setzt. Insofern Simmel aber die Tragik nur als ein Moment im Prozess der Kultur versteht, ist sie für ihn die Erfahrung der noch nicht erfassten Vernunft. Wenn die Vernunft prozessual verstanden wird, wird die tragische Erfahrung überwunden. Wer den Prozess in der Kultur vollständig versteht, erfährt nicht mehr die „Tragödie der Kultur“. Goldmann Goldmann hat eine metaphysische Theorie der Tragödie entwickelt. Die Tragik weise auf „globale Sinnstrukturen“ des Menschen hin, die durch „die tragische Weltanschauung“ erkannt werde.251 Alle Tragödien „drücken eine tiefe Krise der Beziehungen zwischen den Menschen und der sozialen und kosmischen Welt aus“252. Sie kritisieren die optimistische Perspektive über die Wirklichkeit. Dieser tragische Pessimismus habe sich in der Geschichte modifiziert. „Was der sokratische und platonische Rationalismus für die griechische Tragödie war, was der moderne Rationalismus und Empirismus für die Tragödie Shakespeares bedeutete“253. „Die tragische Weltanschauung“ sehe die Welt unter dem Gesichtspunkt des „verborgenen Got-
249 G. Simmel, a.a.O. 389. 250 G. Simmel, a.a.O. 402. 251 L. Goldmann, Der verborgene Gott. Studie über die tragische Weltanschauung in den Pensées Pascas und im Theater Racines. Übersetzt von H. Baum unter Mitwirkung von K.-H. Klär, Frankfurt am Main 1985, 9. 252 L. Goldmann, a.a.O. 67-68. 253 L. Goldmann, a.a.O. 74.
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tes“254. Gott sei „den meisten Menschen verborgen“. Aber wenn man „unter dem Blicke Gottes lebt“, könne man die Amoralität und Areligiosität „des Empirismus und Rationalismus“ erkennen und „eine Rückkehr zu Moral und Religion“ fordern.255 Zirfas Das Projekt der Moderne nach Zirfas bezieht sich auf die Bemühung, die alles in eine vorhersehbare Ordnung bringe. Demgemäß werde die Sphäre der Freiheit des Individuums, nämlich „der Bereich des Auch-anders-seinKönnens“ erweitert. Der Konflikt zwischen der Sphäre der Ordnung und der des Chaos, der Notwendigkeit und der Kontingenz bilde die „Tragik“ in der Moderne.256 Die Tragik des modernen Menschen bestehe in der „Verschränkung von Nicht-Kontingenz und Kontingenz“257. Die Aufgabe des modernen Individuums liege darin, die Versöhnung zwischen der gesellschaftlich entworfenen Notwendigkeit und der Kontingenz der individuellen Freiheit zu gewinnen. Es müsse einerseits seine Freiheit gegen die Zwangsordnung verteidigen. Andererseits müsse es auch dem Chaos seiner Freiheit die Berechenbarkeit geben. „Die eigentliche Tragik“ liege in der Unmöglichkeit, dass das Individuum diese Aufgabe erledige. Es gerate in eine Antinomie, sowohl für die Freiheit auf die Notwendigkeit zu verzichten, als auch für die Notwendigkeit auf die Freiheit zu verzichten. Diese Tragik bestimmt die existentielle Grenze des modernen Menschen. Die Grundansicht des Diskurses über die Tragik lässt sich so zusammenfassen, dass sie sich auf die Erfahrung der Grenze des Menschen bezieht, unabhängig davon, ob die Grenze geschichtlich bestimmt ist, oder nicht. Wenn die Grenze geschichtlich bestimmt ist, kann man über die Tragik in der Moderne sprechen, die gerade das Thema dieser Arbeit bildet. Goldmann erfasst die Tragik nur als eine epistemologische Kategorie, die erst die tragische Erfahrung ermöglicht. Die anderen Theoretiker halten sie für eine ontologische bzw. geschichtliche, die erst die Erkenntnis der Tragik ermöglicht. Die Frage, ob diese Grenze überwindbar ist, wird verschiedentlich behandelt. Außer Simmel haben alle Zweifel daran gehabt. 254 L. Goldmann, a.a.O. 99. 255 L. Goldmann, a.a.O. 57. 256 J. Zirfas, „Kontingenz und Tragik“, in: Dramen der Moderne Kontingenz und Tragik. Kontingenz und Tragik im Zeitalter der Freiheit, hg. von E. Liebau und J. Zirfas, Bielefeld 2010, 20. 257 J. Zirfas, a.a.O. 20.
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Hier lässt sich die Position von Hegel kurz bestimmen. Hegel geht davon aus, dass die Tragik die Erfahrung der geschichtlichen Grenze der Vernunft ist, die sich in der Moderne differenziert. Die ethische Tragik gewinnt ihre Lösung im rechtsphilosophischen Versuch. Die ästhetische Tragik, die nur in der Moderne von der ethischen getrennt und ihre Autonomie gewinnt, wird in der Kunstphilosophie behandelt, wie wir im Folgenden weiter untersuchen. Diese ästhetische Tragik stellt die Grenze der rationalistischen Vernunft dar. Sie ist keine ontologische Kategorie, wenn man Hegels Logik, bzw. ihr realisiertes System als eine ontologische Wissenschaft versteht. Diese Tragik gilt auch nicht als eine epistemologische Kategorie, die nur das ontologische System realisiert.258 Sie stellt nur eine äußerliche Reflexion über das wissenschaftliche System von Hegel dar. Sie wird innerhalb der Kunstphilosophie behandelt, die im Rahmen des wissenschaftlichen Systems von Hegel eingeordnet ist. Aber sie stellt eine Position dar, die außerhalb des Systems bleibt. Ihre paradoxe Bestimmung rührt aus der Eigenständigkeit der Kunst in der Moderne. Diese Eigenständigkeit ist zwar systemtheoretisch bestimmt, aber sie lässt die Kunst systemkritisch sein. Die Frage, ob diese Grenze, die die ästhetische Tragik darstellt, überwindbar ist, bleibt deswegen nur die Frage, die in der modernen Tragödie ihre Artikulation gewinnt.
6.2. Die ästhetische Authentizität als die Quelle der ästhetischen Tragik in der Moderne 6.2.1. Die ethische Tragik in der Moderne Ich gehe davon, dass die Rechtsphilosophie ein Lösungsversuch der „ethischen Tragik“ in der Moderne ist, die nach Menke im Konflikt zwischen der Autonomie und der Authentizität besteht und durch den tragischen Prozess, der in der griechischen Tragödie dargestellt ist, genealogisch rekonstruiert werden kann. Die neuesten Studien zeigen, wie dieser Versuch auf verschiedene Weise interpretiert werden kann.
258 Halbig geht davon aus, dass Hegels Epistemologie nur „auf der Grundlage seiner heute zumeist als inakzeptabel ‚stark‘ betrachteten metaphysischen Prämissen“ verstanden werden muss (Chr. Halbig, a.a.O. 30). Die Epistemologie sei eine Realisierung der ontologischen Bewegung des Logischen.
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Als zentrale Konzeption für die Lösung wird die „Bildung“ behandelt.259 Das System der Bedürfnisse erscheint in der Rechtsphilosophie zwar als Verlust der Sittlichkeit („das System der in ihre Extreme verlorenen Sittlichkeit“) (GW14,1, 160), Hegel aber versucht zu zeigen, wie die in der bürgerlichen Gesellschaft als Verlust der Sittlichkeit bestimmte relative Totalität ihren Verlust rückgängig macht, indem sie sich durch den „Bildungsprozess“ entwickelt. Das Individuum in der bürgerlichen Gesellschaft nimmt zur Befriedigung seiner besonderen Bedürfnisse, die als die Selbstverwirklichung bzw. Authentizität zu verstehen ist, am allgemeinen Arbeitsprozess teil, in dem die Befriedigung der Bedürfnisse eines Individuums nur durch die Vermittlung der Befriedigung der anderen möglich ist, und muss für das Wohl anderer arbeiten, um sein Wohl zu erreichen. Die bürgerliche Gesellschaft verwirklicht das Gute in dem Sinne, dass das besondere Interesse eines Individuums in der Allgemeinheit, d. h. mit den besonderen Interessen anderer verwirklicht werden kann. Diese Verwirklichung des Guten in der bürgerlichen Gesellschaft ist „das Interesse der Idee“, die die Individuen in den Arbeitsprozess bringt, in dem „die Einzelnheit und Natürlichkeit derselben … zur formellen Freiheit und formellen Allgemeinheit des Wissens und Wollens“ erhoben und die Subjektivität in ihrer Besonderheit gebildet wird (GW14,1, 162ff.). Das Wissen, das durch diese Bildung erworben ist, ist aber ein formelles, weil in der bürgerlichen Gesellschaft die Besonderheit der Individuen und die Allgemeinheit im Arbeitsprozess als voneinander getrennt erscheinen (GW14,1, 158-159). Die Besonderheit des Willens bleibt nur in der relativen Einheit mit der Allgemeinheit, d. h. im Sollen. Durch die Reflexion beider ineinander wird die relative Einheit erworben, damit die Individuen das Wissen und Wollen der formellen Allgemeinheit erhalten. Diese Bildung gibt „dem Rechte das Dasein“ in dieser Sphäre des Verhältnisses, „als allgemein Anerkanntes, Gewußtes und Gewolltes zu sein, und vermittelt durch dies Gewußt- und Gewolltsein Gelten und objektive Wirklichkeit zu haben“ (GW14,1, 175), damit die bloße Positivität des Rechts aufgehoben wird. „Das Recht ist positiv in sofern es gilt, weil es ist, nicht weil es vernünftig ist“260. Das Recht ist an sich objektiv gültig. Aber diese Positivität des Rechts bzw. seine Form der bloßen Objektivität wird durch die Bildung und das Denken der Individuen aufgehoben und erhält durch das subjek259 E. Weisser-Lohmann, a.a.O. 260 G.W.F. Hegel, „Philosophie des Rechts. Nach der Vorlesungsnachschrift von H. G. Hotho 1822/23“, in: Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818-1831. Bd. 3. Edition und Kommentar in sechs Bänden von K.-H. Ilting. Stuttgart-Bad Cannstatt 1974, 105.
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tive Wissen und Wollen als die Idee seine objektive Wirklichkeit. Das Recht ist nicht mehr an sich gültig, sondern „als allgemein Gültiges gewußt“ (ebd.). Das Individuum erreicht die Einsicht in die formelle Allgemeinheit durch die Teilnahme am Arbeitsprozess. Diese Einsicht funktioniert in der Geschichte als der Grund der Einführung der geschriebenen Gesetze und erweitert sich in der Sittlichkeit zur politischen Gesinnung. Durch die „Bildung“ gewinnt das Individuum die Einsicht, dass seine Selbstverwirklichung nur im Zusammenhang der gesellschaftlichen Allgemeinheit erreicht werden kann, die nichts anderes als die Realisierung der Autonomie ist. Die „Bildung“ übt eine Vermittlungsfunktion zwischen der Authentizität und der Autonomie aus. Für Rózsa ist diese Bildungskonzeption nicht ausreichend für die „Versöhnung“. Die Bildungskonzeption zeige nur, wie im Begriffssystem von Hegel diese ethische Tragik ihre Versöhnung erreiche. In der Wirklichkeit bleibe noch der unversöhnte Zustand. Für Rózsa bleibe die politische Gesinnung nur in der Form der Gewohnheit oder der vorbewussten Identität. Die Gesinnung sei die unmittelbare Erinnerungsform der schon objektiv verwirklichten Vernunft. Das als die Gewohnheit dem Individuum gegebene Wissen ist, wie in der Vorrede in Rechtsphilosophie erwähnt, „das einfache Verhalten des unbefangenen Gemütes“, das „sich mit zutrauensvoller Überzeugung an die öffentlich bekannte Wahrheit zu halten, und auf diese feste Grundlage seine Handlungsweise und feste Stellung im Leben zu bauen“ (GW14,1, 7). Die Hauptaufgabe der Vorrede der Rechtsphilosophie liegt nach Rózsa darin, diese vorbewusste Identität zur bewussten oder erkannten Identität zu bilden. Die Vorrede als solche sei als eine kulturelle Praxis der Philosophie zu verstehen. Die systematische Philosophie könne „die paradoxe Natur der modernen Freiheit“ nicht lösen, die darin liege, dass die Versöhnung, die durch das System der Philosophie erreicht sei, nur „die universell-formelle Freiheit“ bleibe261 und den handelnden Individuen die moderne, subjektive Freiheit als „empirisch-universelle“ gewährt sei. Aus der Kluft zwischen der formellen Freiheit und der subjektiven, die für uns als die ethische Tragik zu verstehen ist, rühre „die schwankende Haltung der Individuen“ her, die als „Habitus von Hamlet“ zu verstehen sei.262 Das philosophische System stelle dar, wie „die universell-formelle Freiheit“ dialektisch als die begriffliche Versöhnung erreicht werde. Als die kulturelle Praxis versuche 261 Rózsa, a.a.O. 14. 262 Rózsa, a.a.O. 15.
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die Philosophie dagegen eine konkrete Orientierungshilfe für die Individuen zu geben. Die Kunstphilosophie zeige exemplarisch durch die moderne Tragödie, wie man handeln solle. In Schillers Räuber trete als ein schwankendes Individuum Karl Moor auf, der seine unendliche Freiheit der gesetzlichen Allgemeinheit entgegensetze. Aber „die Individuen können oft nicht einsehen und zur Geltung bringen, dass ihre subjektive Freiheit nur durch die Anerkennung und Vermittlung von substantiellen Komponenten ein festes Fundament, einen „wahrhaften Boden“ gewinnen kann.263 Für Rózsa zeige die Kunstphilosophie von Hegel, dass die Selbstverwirklichung nur durch die Anerkennung der gesetzlichen Allgemeinheit möglich ist. Die ethische Tragik kann im Kontext der Debatte zwischen dem Liberalismus und dem Kommunitarismus verstanden werden, die durch die Anerkennungstheorie überwunden wird. Hegels Position kann als „beyond Liberalism and Communitarian“ angesehen werden.264 Der Liberalismus behauptet, dass das, was moralisch richtig ist, nur im moralischen Diskurs bestimmt werden kann. Bei diesem Diskurs ist die Autonomie bzw. die Selbstbestimmung des freien Menschen hervorgehoben. Der Kommunitarismus behauptet, dass die Individuen immer an der vorhandenen Gesellschaft gebunden sind. Ihr Selbst-Verständnis ist abhängig vom traditionell überlieferten Sinnhorizont, unter dem die gesellschaftliche Existenz des Individuums konstruiert wird. Hegel kritisiert die formelle Freiheitskonzeption des Liberalismus, die auf dem atomistischen Individualismus beruht, und entwickelt die vermittelte Freiheit durch die reziproke Anerkennung.265 Nach Hegel ist der Liberalismus die kontraktualistische Theorie des Staates, in der die bürgerliche Gesellschaft und der Staat verwechselt werden. Hegel kritisiert am Kommunitarismus, dass das Gute nur für die Selbstverwirklichung innerhalb der überlieferten Tradition gilt. Das Gute in der Moderne muss nur auf der Grundlage des Prinzips der Freiheit konzipiert werden, die der Liberalismus nur abstrakt darstellt. Hegel expliziert in der Rechtsphilosophie, wie sich die Freiheit durch „die Bewegung des Anerkennens“ entwickelt und dadurch die Rahmenbedingungen für die Selbstverwirklichung und die gesetzlichen Institutionen für die Autonomie konstruiert werden.266 263 Rózsa, a.a.O. 57. 264 R. R. Williams (hg.), Beyond Liberalism and Communitarianism: Studies in Hegel’s „Philosophy of Right“, Albany 2001. 265 R. R. Williams, a.a.O. 1-5. 266 R. R. Williams, Hegel´s Ethics of Recognition, Berkeley/Los Angeles/London 1997. Williams erweitert die reziproke Anerkennungstheorie bis auf das reife Sys-
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Wenn wir auch die Rechtsphilosophie als den Lösungsversuch der ethischen Tragik interpretieren, müssen wir mit der Interpretation von Rózsa nicht einverstanden sein, die die ästhetische Tragik von der ethischen nicht unterscheidet. Für sie zeigt die ästhetische Tragik, die durch die Handlung von Karl Moor veranschaulicht ist, nur die schwankende Haltung des modernen Individuums, das noch nicht die gesellschaftlich erreichte Versöhnung erkannt hat. Die durch den dialektischen Begriff erreichte Versöhnung steht nicht in Frage. Die freien Individuen lernen von der kulturellen Leistung der Philosophie, warum die durch die systematische Philosophie erreichte Versöhnung wahr ist. Ihnen fehlt nur die „Einsicht“ in diese „Wahrheit“. Für Rózsa ist die ästhetische Tragik in der ethischen Tragik integriert. Die schwankende Haltung des melancholischen Charakters, die ästhetisch angesehen ist, verschwindet, wenn er von der praktischen Philosophie lernt, wie er handeln muss. Demzufolge wird hier die Tragik (unabhängig davon, ob sie ethisch oder ästhetisch ist) nur als eine Station des dialektischen Prozesses verstanden, die in die Versöhnung aufgehoben wird. Nach dieser Interpretation gibt es keine Tragik mehr, da die tragische Erfahrung nachträglich erklärbar wird. Zu Recht gelangt Rózsa zum folgenden Resultat: „Die modifizierte Funktion der Kunst in der neueren Zeit zeigt sich auch in der Auflösung des Tragischen, die in der modernen dramatischen Kunst stattfindet“267. Wir gehen davon aus, dass die ästhetische Tragik von der ethischen unterschieden werden muss. Diesen Unterschied kann man nur aufgrund der Theorie des absoluten Geistes begründen, wie wir im vorigen Kapitel versucht haben darzustellen. In den Berliner Vorlesungen über die Ästhetik ist diese ästhetische Tragik anhand des Bedürfnisses nach der ästhetischen Anerkennung in der Moderne expliziert. Um es zu verdeutlichen, müssen wir zuerst die Konzeption der Authentizität nach dem Vorschlag von Cooke differenzieren.268
tem von Hegel hin, die Siep, Habermas und Honneth nur dem Jenaer Hegel zuschreiben (Vgl. J. Habermas, „Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser ,Philosophie des Geistes‘“, in: Technik und Wissenschaft als ,Ideologie‘ Frankfurt am Main 1968, 9-47. L. Siep, Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes, Freiburg/ München 1979 und A. Honneth, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt am Main 1992). 267 E. Rózsa, a.a.O. 58. 268 M. Cooke, „Postkonventionelle Selbstverwirklichung: Überlegungen zur praktischen Subjektivität“, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Berlin 42(1) (1994), 61-72.
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Die Authentizität als die Selbstverwirklichung kann auf zwei verschiedene Weisen verstanden werden. Die eine bezieht sich auf die Selbstverwirklichung, die auf den hermeneutischen Sinnhorizont beruht. Diese Authentizität, die ethisch genannt werden kann, gilt nur dem einzigartigen Individuum, die aber von den Mitgliedern, die den gemeinsamen Sinnhorizont bzw. die „starke Wertung“269 teilen, anerkannt werden muss. Anders als die ethische gilt dem einzigartigen Individuum die andere, die ich ästhetisch nennen möchte, da sie nur in der ästhetischen Dimension als sinnvoll gilt, die aber von den Mitgliedern, die den gemeinsamen Sinnhorizont teilen, nicht anerkannt werden muss.270 Wie Cooke erklärt, setzt die ethische Authentizität die Transparenz des Subjekts voraus. Sie verweist auf den gemeinsamen Sinnhorizont, auf dem das individuelle Selbstverständnis erreicht wird. Dieser Sinnhorizont setzt wieder „die ursprüngliche Sprachlichkeit des menschlichen In-der-WeltSeins“271 (Gadamer) voraus. Aber dieses hermeneutische Selbstverständnis verpasst „eine problematisch gewordene Vorstellung transparenter Subjektivität“ in der Moderne.272 Die ästhetische Authentizität hat ihre Sinnresourcen nicht im Sinnhorizont, der vermittels der reziproken Anerkennung sprachlich verfasst ist, sondern im verborgenen Innern des Individuums, „daß meine Urteile und Handlungen ein authentischer Ausdruck meiner „inneren Natur“ sind, wobei diese „innere Natur“ mir allein eigen ist und von der inneren Natur aller anderen unterschieden werden kann“273. Da diese innere Natur dem Subjekt selbst nicht transparent erscheint, kann sie nicht eindeutig bestimmt werden. Diese Unbegreiflichkeit der Idee der Authentizität gewinnt in der modernen Kunst, besonders in der modernen Tragödie ihren Ausdruck.274 269 Ch. Taylor, Negative Freiheit? Zur Kritik des neuzeitlichen Individualismus, Übersetzt von H. Kocyba. Mit einem Nachwort von A. Honneth, Frankfurt am Main 1988, 11. 270 Für Cooke sind die beiden Konzeptionen der Authentizität ethisch. 271 H.-G. Gadamer, a.a.O. 447. 272 M. Cook, a.a.O. 67. 273 M. Cook, a.a.O. 70. 274 Dieser Gedanke beruht auf der „These einer unvermeidlichen Kluft zwischen der sprachlich vermittelten Erkenntnis von Subjektivität und der Subjektivität selbst“ (ebd.). Nach Cooke gibt es „keine Maßstäbe, an denen die Gültigkeit eines solchen auf die „innere Natur“ bezogenen Anspruchs gemessen werden könnte; dennoch ist es möglich, die rationale Zurechnungsfähigkeit des Subjekts zu kritisieren, das jenen Anspruch erhebt. Man kann die Gültigkeit solcher Ansprüche auf Authentizität sinnvoll diskutieren, auch wenn kein endgültiges Urteil über ihre Richtigkeit. denkbar ist“ (ebd.). In diesem Punkt kann man die Affinität zwi-
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Wir können diese ästhetische Authentizität als die Quelle der ästhetischen Tragik in der Moderne erfassen, die nicht in den Sinnhorizont integriert werden kann, der durch die reziproke Anerkennungsbewegung der Freiheit erreicht wird.
6.2.2. Die ästhetische Anerkennung bzw. Authentizität „Die symbolische Kunstform“ drückt die Unbestimmbarkeit des Geistes durch die „Verzerrung“ der Gestalt aus. Dagegen stellt „die klassische Kunstform“ den verwirklichten Geist durch die angemessene Form, nämlich „die menschliche Gestalt“ dar. Da die Kunst die angemessene Form für den verwirklichten Inhalt des Geistes ist, bedeutet sie sich selbst, d. h. sie ist für das Volk völlig verständlich. Diese Eindeutigkeit der sinnlichen Gestalt geht zu Ende, da in der griechischen Tragödie eine Dimension verborgen ist, auf die sich die sinnliche Gestalt bezieht. Die Kunst in der Moderne steigt über sich hinaus, da der Geist nur in seiner Innerlichkeit, nämlich im Begriff seine angemessene Gestalt findet. Aber die künstlerische Sinnlichkeit kann auch eine Form des Geistes sein, da er unendlich geworden ist, d. h. omnipräsent in jeder Gestalt. Aber das Problem liegt daran, dass die Kunst nicht mehr verständlich ist, da ihre Gestalt zu endlich geworden ist und sich verselbstständigt hat. Die Kunst braucht zu ihrer Verständigung eine Erklärung (Interpretation) und anschließend Anerkennung durch die Philosophie (GW20, 555), die nichts anderes als die Kunstphilosophie ist. Die Anerkennung wird von Hegel als eine praktische bzw. theoretische Anstrengung des Menschen verstanden, das bloße Leben zu überwinden und sein Leben zu konstruieren und ihm Sinn zu verleihen. Kunst, Religion und Philosophie sind höchste Formen der Anerkennung, über das sittliche Leben zu reflektieren und es zu kritisieren oder plausibel zu machen.275 Die Selbstartikulation des Menschen durch die Kunst entsteht aus dem Bedürfnis des Menschen nach der ästhetischen Anerkennung. Dieses Beschen dem Anspruch dieser Authentizität und dem ästhetischen Urteil (von Kant) finden, worüber nicht disputiert, sondern gestritten werde kann (I. Kant, Kritik der Urteilskraft. Beilage: Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft. Mit Einleitungen und Bibliographie, hg. von H. F. Klemme. Mit Sachanmerkungen von P. Giordanetti, Hamburg 2006, 235. 275 Siep hat z. B. diese Ansicht vertreten (L. Siep, a.a.O. 203-222). Dagegen schränkt Honneth die „Anerkennung“ nur auf die moralische Grammatik sozialer Konflikte ein (A. Honneth, a.a.O.).
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dürfnis modifiziert sich in der Geschichte. Was Hegel interessiert, ist das besondere Bedürfnis nach der Kunst in der Moderne, das nicht mehr das sittliche Leben rechtfertigt, sondern kritisiert. Es wird im Teil der philosophischen Deduktion der Existenz der Kunst in den Berliner Vorlesungen über die Ästhetik behandelt.276 Der Mensch ist nicht mit der „politischen Freiheit“ zufrieden, die wir als die Lösung der ethischen Tragik verstehen, und sucht nach der ästhetischen Freiheit (1828/29, Ms. 25), da in der politischen Freiheit der Mensch nur im winzigen Raum unter den bestimmten Verhältnissen lebt. Zwar ist „das Staatsleben“ „die höchste Weise der Befriedigung der Weltlichkeit“ (ebd.). Aber in diesem Leben wird der Einzelne nur als eine Person anerkannt, die im System der Abhängigkeit der reziproken Anerkennung befangen ist. Um diesen Mangel zu überwinden und „lebendig“ bzw. unendlich zu werden, findet der Mensch in der Kunst eine andere Freiheitsdimension, die der rechtlichen Allgemeinheit gegenübertritt, die die „politische Freiheit“ verkörpert. In der Kunst möchte man befreit von der politischen Freiheit die ästhetische Authentizität bzw. „die Freiheit des Schönen“ erfahren (29, Ms. 46). Diese Authentizität bedeutet nichts anderes als „das Beruhen in sich selbst“ (ebd.). Die „Lebendigkeit“ der Kunst stellt Hegel der Abstraktheit der modernen „Bildung“ gegenüber. Im „Staatsleben“ sei „das Gemüt“ „in kleinlichen Interessen, in Gesichtspunkten der Nützlichkeit befangen“, da „allgemeine Regeln, Gesetze herrschend sind“ und „das Individuum“ „durch das Gesetz“ bestimmt wird (26, 8). Diese Subsumtion des Individuums unter die Allgemeinheit macht die Grundlage der modernen „Bildung“ aus, die „dem Kunstleben nicht günstig“ ist. Das Individuum möchte seine autarke Freiheit durch die Kunst genießen, die der reflexiven Bildung durch die Vermittlung der reziproken Anerkennung in der Sittlichkeit gegenübersteht. Diese ästhetische Authentizität, die die Menschen als „Wesen mit inneren Tiefen“, wie Taylor darstellt, nur in sich finden können, transzendiert die „soziale Identitätsbestimmung“ des Menschen.277 Dieses Bedürfnis nach der ästhetischen Anerkennung hat mit dem nach der religiösen und dem nach der philosophischen die Überwindung der verwirklichten Sittlichkeit zum gemeinsamen Inhalt. Aber diese „Befreiung“ von der Sittlichkeit wird bei Hegel nach der Form der Anerkennung unterschiedlich erfasst.
276 20/21, 27-38, 26, 32-40, und 28/29, Ms. 20-28. 277 Ch. Taylor, Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung, Frankfurt am Main 2009, 18-21.
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Die Eigenständigkeit der Kunst beruht auf ihrer besonderen Form. Die Kunstform bedeutet sich nicht, sondern verweist auf etwas anderes. Die Interpretation durch die Philosophie ist, wie erwähnt, eine Anerkennung in dem Sinne, dass die nicht mehr selbstverständliche Kunst als Kunst gewürdigt wird. Aber die Eigenständigkeit der Form bringt auch die Eigenständigkeit des Inhalts mit sich, die wir als die ästhetische Anerkennung verstehen. Die Anerkennung der Kunst durch die Philosophie ist als paradox zu verstehen. Der Geist ist unendlich geworden. Durch die Unendlichkeit wird die Kunstform verselbständigt, die aber als die Realität der Idee des Geistes verstanden werden muss. Der Geist ist so mächtig (unendlich) geworden, dass er sich durch eine fremde Gestalt zu artikulieren weiß. Die fremde Gestalt muss auf die Unendlichkeit des Geistes verweisen. Das Problem liegt darin, dass sich die Kunst wegen ihrer Eigenständigkeit von dem Geist als solchem zu befreien versucht. Die „entgötterte“ Gestalt der Kunst ist ein Problem für die Philosophie geworden. Die ästhetische Authentizität kann von der Philosophie nicht begriffen werden. Dies aber ist nur eine Seite, die die moderne Tragödie aufweist. Das Symbol in ihr zeigt eine andere Seite, mit der sich die Philosophie wieder beschäftigen kann, wie wir unten untersuchen werden.
6.3. Die ästhetische Tragik in der Moderne Die moderne Tragödie modifiziert bzw. erweitert die „ethische“ Tragik. Die moderne Tragödie als eine Kunstgestalt stellt statt der ethischen Authentizität die ästhetische dar, die aus dem Bedürfnis nach der modernen Kunst herrührt. Der Anspruch auf die ästhetische Authentizität, die darin liegt, das ganze Leben aus sich selbst zu konstruieren, gerät in einen Konflikt mit der sozialen Allgemeinheit, die nichts anderes als die Realisation der erreichten Anerkennung in der Sittlichkeit ist. Dieser Konflikt macht die ästhetische Tragik in der Moderne aus, die die grundlegende Form der modernen Tragödie konturiert. Die Besonderheit der modernen Tragödie liegt darin, dass sie den Konflikt in der geschichtlichen Moderne in sich abspiegelt, den die Philosophie nicht begreifen kann. Sie diagnostiziert die nachphilosophische Zerrissenheit in der Moderne. Der Antagonismus zwischen der ästhetischen Freiheit und dem rationalistischen System in der Moderne ist das durch die Anschauungs- bzw. Vorstellungsweise der Kunst gestaltete Bild des Lebens in der Moderne, das einerseits der in der Rechtsphilosophie entwickelChang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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ten Idee der Sittlichkeit, in der die ethische Tragik in der Moderne aufgehoben wird, zu widersprechen scheint, aber andererseits ihre Lücke, die in der modernen Sittlichkeit verwurzelt ist, entlarvt, denn die Versöhnung des Antagonismus in der Moderne wird in der Rechtsphilosophie nur auf begriffliche Weise geleistet. Diese ästhetische Authentizität erscheint in der modernen Tragödie als die „Handlung“, die der Gegenstand des Dramas ist. (26, 221). Wenn man die ästhetische Handlungskonzeption mit der rechtsphilosophischen vergleicht, lässt sich die Besonderheit der ästhetischen Authentizität verdeutlichen, die als die Quelle für die ästhetische Tragik in der Moderne zu erfassen ist.
6.3.1. Der Vergleich des Handlungsbegriffs in den Berliner Ästhetikvorlesungen mit dem in der Rechtsphilosophie Man kann den „Handlungsbegriff als Hauptkategorie der Hegelschen Ästhetik“278 verstehen, die eine grundlegende „Gemeinsamkeit“ für die verschiedenen Kunstwerke bildet. Da das Kunstwerk ein geistiges ist, das von den Dingen zu unterscheiden ist, muss es die Geistigkeit ausdrücken, die nur durch die Handlung veranschaulicht werden kann. Die Handlung des Individuums in der griechischen schönen Sittlichkeit oder in der antiken Tragödie nach Hegel stiftet das sittliche Ganze. Diese Handlung in der alten Tragödie als eine Betätigung der Substanz des „Geistes“ stellt vorbildlich dar, wie man in der Wirklichkeit handeln soll. Es gibt keinen Unterschied zwischen der ästhetischen Handlung und der sittlichen. Aber die Handlung in der Moderne kann sich nicht mehr anmaßen, dass sie als Handlung aller noch gültig ist. Diese veränderte Handlungskonzeption nach der geschichtlichen Veränderung der Sitt278 R. Wiel, „Über den Handlungsbegriff als Kategorie der Hegelschen Ästhetik“, in: Hegel-Studien Bd. 6, (1971), 135-170. Vgl. Es gibt auch einen Versuch, das „Leben“ als eine zugrundlegende Konzeption der „Idee des Schönen“ zu verstehen: L. De Vos, „Ideal. Anmerkungen zum spekulativen Begriff des Schönen“, in: Hegel-Jahrbuch 2000. Hegels Ästhetik. Die Kunst der Politik – Die Politik der Kunst. Zweiter Teil, hg. von A. Arndt, K. Bal und H. Ottmann in Verbindung mit W. van Reijen, Berlin 2000, 13-20. Er unterscheidet das Schöne von dem Leben, da dieses nicht für sich ist, d. i. sich nicht bewusst ist, dagegen das Schöne als das geistige, selbstbewusste Wesen ist. Trotzdem hält er „die begriffliche Bestimmtheit“ der „Existenz des absoluten Geistes“ als das „Ideal“ für „das Leben“. Um die Geistigkeit des Schönen hervorzuheben, muss man dagegen statt des Lebens den Begriff der „Handlung“ als die wesentliche Bestimmtheit des Schönen erfassen.
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lichkeitskonzeption führt Hegel in der Rechtsphilosophie aus. Demgemäß wird die ästhetische Handlungskonzeption von der rechtsphilosophischen abgetrennt. Auf dem Boden der Moderne ist die Handlung eines Individuums eine Äußerung des Inneren, die im gesamten Bereich des „Daseins“ bzw. dem System der reziprok anerkennenden Abhängigkeit durchgeführt werden kann. Diese Handlung setzt schon ein vorgegebenes gesetzliches Ordnungssystem voraus, in dem sie als endliche und begrenzte auftritt. Die Handlung im Rechtssystem muss in Wissen und Wollen aufgehoben werden in dem Sinne, dass sie nur ein Moment der Sittlichkeit ist, die nicht in der anschaulich einfachen Einheit bleibt, d. h. nicht durch die Handlung ausgedrückt wird, sondern zum sich organisierenden System fortschreitet, das durch das Wissen des Handelnden anerkannt wird.279 Das „Leiden an Unbestimmtheit“280, das die Handlung wegen ihrer Beschränktheit in der Moderne ergreift, muss durch die „Sittlichkeit“ aufgehoben werden. Diese bestimmte Handlung, die nur als ein Fragment eine partielle Funktion im System der Abhängigkeit ausübt, ist von der in der anschaulichen Gestalt erfassten Handlung aller zu unterscheiden, die nur in der antiken Sittlichkeit möglich ist. An die Stelle der Handlung in der antiken Tragödie tritt die reflektierte Sittlichkeit. Diese kann nicht mehr durch die anschauliche Handlung dargestellt werden, sondern durch die Philosophie. Bei Hegels Erklärung der Handlungskonzeption spielt der Unterschied derselben von der Tat eine wichtige Rolle.281 Hegel erklärt diesen Unterschied auf verschiedene Weise. Erstens als den geschichtlichen zwischen der antiken Handlung und der modernen, zweitens als den Unterschied des „Handlungsereignisses“ von seiner „Beschreibung“, drittens als den Unterschied zwischen der ästhetischen Handlung und der rechtsphilosophischen.
279 Die „Handlung“ in der „Moralität“ in der Rechtsphilosophie bezieht sich nur auf einen „Standpunkt“, der in sich vielfältige Widersprüche enthält, der in die Sittlichkeit aufgehoben werden muss (Dazu, F. Menegoni, „Elemente zu einer Handlungstheorie in der „Moralität“ (§§ 104-128)“, in: Grundlinien der Philosophie des Rechts, hg. von L. Siep, Berlin 1997 (=Klassiker Auslegen), 125-146, und A. Peperzak, „Moralische Aspekte der Hegelschen Rechtsphilosophie“, in: Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte, hg. von H.-Chr. Lucas und O. Pöggeler, Stuttgart- Bad Cannstatt 1986, 447-464. 280 A. Honneth, Leiden an Unbestimmtheit. Eine Reaktualisierung der Hegelschen Rechtsphilosophie. Stuttgart 2001, 69. 281 M. Quante, Hegels Begriff der Handlung, Stuttgart-Bad Cannstatt 1993, 141ff.
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Zuerst kann man ihn als einen geschichtlichen erfassen. In der Antike gibt es kein Wissen um die Unendlichkeit des Willens.282 Die Ethik des Handelns liegt in der Identifizierung des Ichs mit der vorhandenen Sittlichkeit, wie wir in der Antigone gesehen haben. Bei dieser Ethik gibt es keine Unterscheidung des Inneren der Handlung von ihrem Äußeren. Die Handlung ist nicht die Realisierung des Inneren, sondern die der vorhandenen Sittlichkeit. Hegel entwickelt die spekulative Konzeption des Willens in der Rechtsphilosophie. Der Wille, der nur sich selbst zum Gegenstand hat, ist spekulativ. Das Sich-Wollen hängt nach Taylor283 davon ab, welches Selbstverständnis ich habe. Diese Konzeption ist von der „Willkür“ zu unterscheiden. Die „Willkür“ setzt die Mannigfaltigkeit des Gegebenen voraus, unter der ich etwas wähle (GW14,1, 38-39). Gegen diese „Willkür“, in der das Subjekt dem Objekt gegenübersteht, ist der spekulativ verstandene Wille das Sich-Wollen, das nicht mit der abstrakten Identität des Ich=Ich (GW14,1, 32) identifiziert werden darf. Ich treffe ein ethisches Urteil je nachdem, wie ich verstehe, wer ich bin. Dieses Selbstverständnis hängt von dem Sinnhorizont ab, der durch die „Bewegung des Anerkennens“ gebildet wird. Nach dieser spekulativen Konzeption entsteht die Sphäre des Inneren des Willens, die erst durch die Handlung auf dem Boden des Sinnhorizontes erscheint. Nachdem die Ethik der unmittelbaren Identifizierung des Ich mit der vorhandenen Sittlichkeit verschwunden ist, die in der klassischen Tragödie dargestellt ist, entsteht der Unterschied der Handlung von der Tat. Die antike Handlung kann als die Tat verstanden werden, da es bei ihr keine Unterscheidung zwischen der zurechenbaren und der nicht zurechenbaren Folge gibt. Die Sittlichkeit in der Moderne muss erst durch die Verwirklichung der Freiheit konstruiert werden, je nachdem, wie der Sinnhorizont gebildet wird. Dabei wird die Handlung als die „Äußerung“ des subjektiven bzw. formellen Willens verstanden, die bei der Bildung des Sinnhorizontes bzw. der Sittlichkeit mitwirkt. Dieser geschichtliche Unterschied bezieht sich inhaltlich auf den begrifflichen, der in der Rechtsphilosophie aufgeführt ist.
282 Achill ist durch den Streit mit Agamemnon um Briseis „nicht entehrt“, … „sondern ihm ist ein wirklicher Besitz entrissen. Er wird durch ein bloßes Rückgeben des Besitzes besänftigt. Die Helden setzen sich durch Beleidigung in Zorn. Das romantische Prinzip hat die Unendlichkeit der Subjektivität, wodurch die Ehre diese Stellung erhält, daß, worin das Subjekt seine unendliche Persönlichkeit hineinlegt, daß darin die Verletzung das Subjekt selbst unendlich verletzt“ (23, 191). 283 Ch. Taylor, Negative Freiheit? 9-51.
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Zweitens kann der Unterschied als der des „Handlungsereignis“ von seiner „Beschreibung“ verstanden werden. Die Absicht ist „formell“, da sie von dem zu verwirklichenden Resultat getrennt ist, das nur unter dem Gesichtspunkt des erreichten Sinnhorizontes verstanden werden kann. Für dieses Resultat sind viele Momente verantwortlich.284 Der individuelle Wille weiß nicht, ob er wegen seines begrenzten Wissens um die Handlungssituation das Resultat allein hervorgebracht hat. Er hat „das Recht des Wissens“ (GW14,1, 105), das als das Kriterium für die Unterscheidung der zurechenbaren und der nicht zurechenbaren Folge gilt. Nach diesem Kriterium kann das „Handlungsereignis“ von seiner „Beschreibung“ unterschieden werden.285 Die „Handlung“ verweist nur auf den Teil von dem ganzen „Handlungsergebnis“, der dem Handelnden zurechenbar ist und von diesem als die „Beschreibung“ seiner Handlung erklärt werden kann. Die „Tat“ ist nichts anderes als das ganze „Handlungsergebnis“. Die Unterscheidung von der „Handlung“ und der „Tat“ entspricht der von der „Beschreibung“ und dem „Ereignis“. Drittens kann der Unterschied der Handlung von der Tat systemtheoretisch verstanden werden. Die rechtsphilosophische Handlungskonzeption hebt diesen Unterschied hervor. Der ästhetische Handlungsbegriff aber desavouiert diese Unterscheidung des Inneren des Handelnden von seinem Ereignis in der Handlung, damit die Unterscheidung der Handlung von der Tat wieder aufgehoben wird. Die Handlung in der modernen Tragödie ist eine formelle Wiederherstellung derjenigen, die in der antiken Tragödie und der Sittlichkeit zu finden ist. Sie drückt inhaltlich die Forderung nach der ästhetischen Anerkennung aus. Das Subjekt versucht, seine Forderung nach der Einzigartigkeit bzw. Authentizität durch die Handlung zu realisieren, obwohl diese durch die „politische Freiheit“ nicht ausführbar ist. Seine einzigartige Integrität muss durch seine Handlung ausgedrückt werden. Dieses Subjekt in der modernen Tragödie gehört der „entgötterten Natur“ an. Seine Handlung ist nur eine Äußerung seines tiefen Inneren, das von der konkreten Sittlichkeit ausgeschlossen ist, bzw. diese transzendiert. Diese Anmaßung wird durch die Rache oder Strafe der äußeren Macht negiert, da diese angemaßte Handlung in der modernen Sittlichkeit nur als ein Verbrechen betrachtet wird. Aber die Handlung als das Kunstschöne muss als die sinnliche Existenz nicht als das Endliche und Bedingte, sondern als das ganze Sittliche auftreten. Diese Forderung nach
284 M. Quante, a.a.O. 161. 285 M. Quante, a.a.O. 142ff.
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der ästhetischen Authentizität bewirkt die ästhetische Tragik in der Moderne. Diese Unterscheidung beider Handlungsbegriffe ermöglicht die systemtheoretische Reflexion über die moderne Tragödie. Der Prozess der Handlung in der modernen Tragödie ist teilweise durch die Bestimmung der modernen Sittlichkeit bestimmt. Aus diesem Bestimmtwerden ergeben sich die Beschränktheit der Handlung in der modernen Tragödie und ihr Vergangenheitscharakter in dem Sinne, dass sie nicht mehr das sittliche Ganze repräsentiert, d. h., dass sie als die Gestalt nicht mehr auf dieses als den Inhalt verweist. Hier ist das paradoxe Verhältnis der Sittlichkeit zur modernen Tragödie zu finden. Die in der Geschichte realisierte Sittlichkeit ist „ein Bestimmtes, das in eine höhere Sphäre als in seine Grundlage übergeht“ (GW14,1, 214). Die Kunst, die zur Sphäre des absoluten Geistes gehört, gewährt „das Bewußtsein des Unwandelbaren und der höchsten Freiheit und Befriedigung“ und die „Grundlage“ der Sittlichkeit. Obwohl die Kunst systemtheoretisch der Sittlichkeit übergeordnet ist, wird sie, wie die moderne Tragödie, durch die geschichtliche Gestalt der Sittlichkeit beschränkt, da die moderne Tragödie, die im modernen Theater aufgeführt wird, für den Zuschauer verständlich sein muss.286 Wenn Hegel sagt, dass die Kunst „in den Staat“ eintreten müsse, hat er gemeint, dass sich die Kunst im Staat als institutionalisiert mit den Zuschauern verständigen müsse. In diesem Sinne ist die Kunst inhaltlich durch die in der Geschichte realisierte Sittlichkeit beschränkt. Aber die Kunst geht formell über sie hinaus, indem sie über sie reflektiert und „in eine höhere Sphäre“ „übergeht“. Diese Seite verleiht ihr eine kritische Funktion gegenüber der realisierten Sittlichkeit. Aus diesem paradoxen Verhältnis werden die Wahrheitserkenntnis und ihre Vermittlung der modernen Tragödie in der Geschichte abgeleitet.287 286 In diesem Punkt weist Hegel auf den Versuch der Modernisierung der Iphigenie von Goethe hin. Goethe habe in diesem Stück die Götter subjektiviert und sie als eine innere Stimme erscheinen lassen (23, 101). 287 Honneths Versuch, Hegels Rechtsphilosophie dadurch zu reaktualisieren, den freien Willen als die „kommunikative Beziehung“ zu interpretieren, die die Selbstverwirklichung und die reziproke Anerkennung in den Sphären der Sittlichkeit harmonisch realisiert, geht davon aus, dass die Rechtsphilosophie ein geschlossenes System sei (A. Honneth, a.a.O.). Das Individuum, das das formell verstandenes Recht („das abstrakte Recht“) und sein Gewissen („die Moralität“) verselbständigt, leide „an Unbestimmtheit“, da es wegen der Unbestimmtheit seines Willens, in der Wirklichkeit untergehen solle. (A. Honneth, a.a.O. 52f., 69f.) Diese „Zeitdiagnose“ der negativen Effekte zeigt „den bestimmenden Zug“ der modernen Menschen, nämlich „Handlungslosigkeit“ (A. Honneth, a.a.O. 69). Dieses
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Was Hegel systemtheoretisch begründet hat, ist die Beschränkung der modernen Tragödie und ihre kritische Funktion gegenüber der Gesellschaft. Auf Basis dieser Begründung analysiert er den Charakter in der modernen Tragödie, der als „Schicksal“ erscheint. Das Individuum in der modernen Tragödie gehört zur „entgötterten Natur“, in der „das Weltliche, Äußerliche für sich“ (26, 148), das von der realisierten Sittlichkeit abstrahiert ist, Selbstständigkeit erlangt. Die Bestimmung der entgötterten Natur ist der besondere „sittliche Trieb“, der zwar im Bereich des „Daseins“ sich zu befriedigen versucht, aber in der Trennung vom sittlichen Ganzen nur abstrakt bleibt. Der „sittliche Trieb“ der entgötterten Natur und die äußerlich vorhandene Sittlichkeit geraten in den Konflikt, in dem das Individuum in seiner „Partikularität“ zugrunde geht. (26, 145)
6.4. Die Bestimmung der modernen Tragödie Die moderne Tragödie stellt die ästhetische Tragik dar. Sie übersetzt den Konflikt zwischen der individuellen Authentizität und der rechtlichen Allgemeinheit in den Streit zwischen dem ästhetischem Subjekt und der prosaischen Umwelt. Dieser übt eine kritische Funktion gegenüber der Gesellschaft aus, die den in ihr bleibenden Antagonismus veranschaulicht und dem Menschen bewusst macht, über den Weltbezug erneut zu reflektieren, indem die durch die „Bildung“ bzw. durch die kulturelle Praxis der Kunst, Religion und Philosophie erreichte „politische Gesinnung“, die die Versöhnung mit der gesellschaftlichen Integration genießt, der kritischen Prüfung untergezogen wird. Aber die „schöne“ Lösung, die nur in der antiken Tragödie möglich wäre, kann nicht in der modernen Tragödie dargestellt werden. Der Grund der Unvollständigkeit der Lösungsdarstellung liegt nicht in ihr, sondern im Fortbestehen der ästhetischen Tragik in der modernen Gesellschaft, die das Individuum in seiner ästhetischen Imagimelancholische Individuum müsse in der Erhebung zur Sittlichkeit befreit werden. Die Befreiung bedeutet einerseits die „Entlastung“ von der endlichen Freiheit, andererseits „die Hinwendung zur realen Freiheit“. Sie übt „die therapeutische Funktion“ in der modernen Gesellschaft aus (A. Honneth, a.a.O. 71). Aber Honneth sieht davon ab, dass das rechtsphilosophische System nicht geschlossen ist, das durch „eine höhere Sphäre“ aufgehoben werden soll. Die Kunstphilosophie erschließt die Aufgeschlossenheit dieses Systems, indem sie durch ihre Reflexion auf seine Beschränktheit hinweist.
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nation erfährt und deren Fortbestehen die Tragweite der Wahrheitsvermittlung der modernen Tragödie einschränkt.
6.4.1. Der Charakter in der modernen Tragödie Die Trennung der Kunst von der Religion ist ein Ergebnis der modernen Rationalisierung. Durch sie ist der Religion die Innerlichkeit, und der Kunst die Äußerlichkeit, d. h. „Entgötterung“ zugewiesen. Die Kunst der Äußerlichkeit drückt einerseits dieses notwendige Ergebnis des modernen rationalisierten Geistes aus: Der Geist findet seine angemessene Form nur in der Innerlichkeit. Dadurch ist die Äußerlichkeit der Kunst dem Geist fremd geworden. Diese fremd gewordene Äußerlichkeit, „das Außergöttliche“ ist das entgötterte Individuum und seine Handlung. Die Äußerlichkeit hat zwar ihre negative Seite von dieser Modernisierung erhalten, aber auch gleichzeitig ihre positive Seite von derselben: Der Geist findet zwar seine angemessene Form nur in der Innerlichkeit, aber er kann wegen der Unendlichkeit des Inhalts sich in jeglicher Form der Äußerlichkeit ausdrücken. Die Entgötterung ist ein Ergebnis der radikalen Säkularisierung. Der rationalistische Geist stellt nach dem „Verlust der Tugend“ (MacIntyre) durch die „Bewegung des Anerkennens“ sein versöhntes System mit sich wieder her. Mit dieser dialektischen Rationalisierung der Moderne, die Hegel in seinem wissenschaftlichen System darstellt, entsteht das Bedürfnis nach der ästhetischen Authentizität, deren bildliche Darstellung das entgötterte Individuum in der modernen Tragödie ist. Diese ästhetische Entgötterung ist ein Gegenbegriff zur Rationalität, die durch die Vernunft in der Wirklichkeit konstruiert wird. Das durch die Säkularisierung von der konkreten Sittlichkeit der göttlichen Mächte288 getrennte entgötterte Individuum hat noch das Recht, sich zu realisieren. Diese Behauptung des Rechts, die ästhetische Authentizität auszudrücken, bewirkt den Konflikt und die Tragik in der modernen Tragödie. Der Ausgangspunkt der Tragik ist der „Formalismus“ des Charakters, der auf der „Konzentration des Gemüts in sich“ beruht (26, 109). Die Formalität oder die „Entgötterung“ wird durch die Trennung bzw. Abstraktion von der konkreten Sittlichkeit hervorgebracht. Dieser formelle Charakter hat „nicht gedachte Zwecke und Absichten, nicht ein allgemeines Interesse für sich“. Er handelt nur „nach seiner unmittelbaren 288 Der Staat wird als „göttlicher Wille“ (GW14,1, 214) bezeichnet.
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Natur“ (26, 145). Durch diese Handlung erfährt er im Bereich des „Daseins“ den tragischen Untergang, der die Endlichkeit der Handlung in der Moderne aufzeigt. Der Prozess zum Entschluss zur Handlung wird als eine Entwicklung des Charakters dargestellt.289 Diese Entwicklung findet auf zwei verschiedene Weisen statt, die sich aus den zwei unterschiedenen Charakteren ergibt: dem praktischen und dem theoretischen „Formalismus“. Der Charakter, der zum praktischen Formalismus gehört, hängt von seiner „Festigkeit“, bzw. „Einfachheit“ ab, die mit „Rücksichtslosigkeit“ (26, 146) in die Praxis übergeht. Da der Charakter zwar der Form nach die „sich als das Absolute“ behauptende „Subjektivität“ (GW14,1, 123), aber dem Inhalt nach die vom sozialen Verhältnisse abstrahierte Besonderheit ist, muss er durch die Handlung untergehen, wie Macbeth und Wallenstein. Dieser Untergang geschieht zwar durch eine zufällige Äußerlichkeit, aber sie ist schon in der Bestimmtheit des Subjekts enthalten, das diese für sein Schicksal hält. „Die Einheit des Charakters“ (26, 58) gewährt „die innerliche Notwendigkeit“ zum Untergang (23, 309). Die Bestimmtheit, zu welcher das Individuum sich entschließt, ist eine feste, von der es nicht wieder loskommen kann. Diese Bestimmtheit hält es für die Artikulation seiner ästhetischen Authentizität. Diese hat für das Individuum einen absoluten Geltungsanspruch, der die anderen Werte in der Gesellschaft negiert. Aber sie ist bloß eine Bestimmtheit, die durch die Handlung mit der Wirklichkeit konfrontiert und von dieser vermittelt wird. Da das Individuum seine Bestimmtheit verabsolutiert, muss seine Handlung in der Wirklichkeit als Verbrechen bestimmt werden. Seine Handlung ist schon zum Untergang bestimmt. Der Charakter, der zum theoretischen Formalismus gehört, ist ein „kindliches Gemüt“ (26, 147) „ein schönes Gemüt, das tief in sich ist, aber sich nur innerlich bewegt“ (23, 195). Es ist formell, weil es zu „ungebildet“ und naiv ist, sich zu artikulieren, weil es in seiner „Verschlossenheit“ keine angemessene Bestimmtheit zum Sich-Äußern weiß, wie Julia oder Hamlet. Wichtig ist, dass es weiß, was es ist, und dass es nicht weiß, wie es handeln muss (26, 58). Dieser Charakter weiß um seine „Verschlossenheit“, die seine Willensbestimmung ausmacht. Er schwankt, da er zu gut weiß, wer er ist. Aber wenn er sich für eine Leidenschaft entscheidet, vernachlässigt er andere Bestimmtheiten durch die Verabsolutierung der Leidenschaft. Wegen der „Ungeschicklichkeit, sich klar zu werden und zu handeln“, muss er untergehen.
289 A. Gethmann-Siefert, Einführung in Hegels Ästhetik, 126-135.
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6.4.2. Der Charakter und die Melancholie Die in der Moderne vom Individuum erfahrene Tragik endet mit dem Untergang des Individuums. Diesen Untergang oder den Tod erfahren die Zuschauer als einen Typ der Tragik. Der Grund des Untergangs liegt in der Zerrissenheit in der Moderne, die aus der ästhetischen Perspektive angeschaut wird. Der Konflikt ist insofern möglich, als diese Zerrissenheit bleibt. Der Reflex dieser Zerrissenheit im Subjekt ist die entgötterte Natur, die sich ohne Weltbezug ausschließlich auf sich konzentriert. Die Frage, wie dieses Subjekt zur Welt verhält, ist diejenige, die die moderne Tragödie gegenüber der durch sie reflektierten Sittlichkeit stellt. Das Individuum, das in diese Abstraktion in der modernen Sittlichkeit gerät, kann diese Abstraktion festmachen, sich verabsolutieren, und Ekel zur äußerlichen Welt empfinden. Dieser Haltung des Subjekts290 in der Moderne liegt die Hypochondrie, oder Melancholie291 zugrunde, die „ein Ansichhalten bei seiner Innerlichkeit“ ist, „das einen Ekel hat an den Verhältnissen zur Äußerlichkeit.“292 Diese Stimmung erscheint als eine Haltung der 290 Das Interesse an dieser „Krankhaftigkeit“ oder der Zerrissenheit in der Moderne macht den Ausgangspunkt von Hegels Philosophie aus. Wenn die Reflexionsphilosophie ein philosophischer Ausdruck dieser Melancholie ist, der religiöse Fanatismus ein religiöser, ist die ironische Haltung oder die ironische Gestaltung eines Charakters ein ästhetischer. Die Darstellung der Symptome dieser „Krankhaftigkeit“ hat Hegel in der Phänomenologie des Geistes und in der Rechtsphilosophie ausgeführt (GW9, 323-362, GW14,1, 122-134). 291 Hegel benutzt beide Begriffe nach seiner zeitgenössischen Sprachgewohnheit. „Die Begriffe Hypochondrie und Melancholie werden in der Aufklärungszeit noch promiscue gebraucht“ (Wolfgang Promies, Der Bürger und der Narr. München 1966), 243. 292 G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie des Geistes. Berlin 1827/28. Nach geschrieben von Johann Eduard Erdmann und Ferdinand Walter, hg. von F. Hespe Und B. Tuschling unter Mitarbeit von M. Eichel, W. Euler, D. Hüning, T. Poths und U. Vogel. Hamburg 1994, 55. In den Vorlesungen über die Philosophie des subjektiven Geistes beschreibt Hegel die Hypochondrie bzw. Melancholie als einer Stufe des Lebenslaufs: „Dieser Uebergang in das sogenannte Philisterleben kommt dem Menschen sauer an, die Wirklichkeit giebt ihm alles was ihm zukommt in sehr kleinen Portionen, seine Hoffnungen realisiren sich nicht. Indem er seine Ideale durch seine Thätigkeit verwirklichen will, zeigt sich dieser große Unterschied, daß statt allgemein zu sein vielmehr alles vereinzelt erscheint, nur in einzelnen Punkten gewährt wird, das Allgemeine sich in eine unendliche Menge von Einzelnheiten zersplittert. Dieser Uebergang flößt dem Menschen Furcht ein, eine gewisse Traurigkeit, Hypochondrie tritt ein bei den meisten Menschen, dieß ist das Verweilen in sich , nicht aus sich heraus Können, wobei er doch das Bewußtsein hat, daß dieß nur subjektiv ist, doch heraus sein soll, damit verbindet
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Flucht vor der Tragik, die zwischen der individuellen Freiheit und der rechtlichen Allgemeinheit stattfindet.293 Diese Konzeption der Melancholie, die den Charakter in der modernen Tragödie prägt, kann man als die „poetische Melancholie“ verstehen, die nach dem Mittelalter von der Melancholie als Disposition und von der als Krankheit unterschieden wird und den Begriff des modernen Genies begründet, wie wir es in der berühmten Studie der Warburgs-Schule Saturn und Melancholie finden.294 Das Genie transzendiert die Welt durch seine Imagination und genießt seine Erhabenheit. Die Melancholie ist als „gesteigerte Selbsterfahrung“ der „bitter-süße Widerspruch“, in dem die „Selbstersteigerung“ immer „mit dem Erlebnis des Dunkels, der Einsamkeit und sogar der Trauer als solcher“ verbunden ist.295 „Die Spannung zwischen Depression und Aufschwung, Unglücklichsein und ,Besonders-sein‘, Todesschauer und gesteigertem Lebensgefühl“ muss der poetische Melancholiker aushalten.296 Nach dem „Verlust der Tugend“, die das Mittelalter beherrscht, entsteht die „Problematik“ der „Freiheit“297. Gegen diesen „Verlust der Tugend“ gab es drei Versuche, aus dem Chaos des Verlustes der Moral herauszutreten. Es gab erstens diejenigen, die „im Vollgefühl ihrer neu erworbenen Freiheit jeglichen Einfluß der Sterne erbittert bekämpfen“298. Zweitens gab es diejenigen, die aus der Angst vor dem Chaos sich „einem fast islamischen Gestirnfatalismus oder höchst obskuren astralen Zauberpraktiken verschreiben“299. Die poetische Melancholie ist die dritte Position, die „einen Ausgleich zwischen der theoretisch bejahten, praktisch aber nicht ganz vollziehbaren Freiheitsüberzeugung und der theoretisch verworfenen, prak-
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sich das Urtheil über die Unangemessenheit des Ideals mit dem was äusserlich existirt“ (GW25, 255). Nach Daniel Berthold-Bond hält Hegel die „Verrücktheit“ für eine Regression in den Urzustand der Natur, wie die Romantiker. Für diese sei die „Verrücktheit“ ein notwendiges Resultat der Kultur, da die Sehnsucht nach dem Ursprung immer vorhanden ist, die als die „Verrücktheit“ in der Kultur erscheint (D. Berthold-Bond, a.a.O. 29). Sie sei „a state in which the mind is open to higher truths and poetic insights“ (ebd.). Dagegen verweise sie für Hegel auf die Rückkehr in die abstrakte Identität, die nur einen Anfang zum dialektischen Prozess in die Kultur bilde. Demnach interpretiert der Verfasser die Konzeption der „Melancholie“ von Hegel nur als psychologisch (D. Berthold-Bond, a.a.O. 147ff.). Saturn und Melancholie, 321. Saturn und Melancholie, 337. Saturn und Melancholie, 341. Saturn und Melancholie, 356. Saturn und Melancholie, 357. ebd.
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tisch aber nicht ganz überwundenen Sternenfurcht zu finden“ versucht.300 Da das Genie die unendliche Freiheit genießt, erhebt es „den Anspruch“, „in Leben und Leistung nicht mit dem Maßstab der normalen Moralgesetze und Kunstregeln gemessen zu werden“301 und sieht, dass seine Freiheit im Stern realisiert ist. Für das Genie ist die Sehnsucht nach der unendlichen Freiheit mit dem Befolgen eines Sterns identisch, „daß die Selbstverwirklichung des modernen Genies sich nur unter dem Zeichen des Saturn und der Melancholie vollziehen konnte und daß jetzt umgekehrt den allgemein anerkannten Begriffen ,Saturn‘ und ,Melancholie‘ eine neue geistige Auszeichnung zuteil werden mußte“302, wie wir in Wallenstein gesehen haben, der Saturn für seinen Schutzgott hält. Diese Konzeption der Melancholie wird in der deutschen Aufklärung rezipiert und weiter entwickelt. Der Melancholiker wird für den „Gesellschaftsfeind par excellence“ gehalten, da er sich von der Welt, gegen die er Ekel ausdrückt, isoliert (Schings, 46). Seine Freiheit ist nichts anderes als die „Misanthropie“. Wie wir in Hegels Beschreibung von Abraham als einem Melancholiker erwähnt haben, genießt der Melancholiker nur seine Einsamkeit bzw. Erhabenheit, die in der Negation aller Werte liegt, die in der Wirklichkeit gelten. Er wird in der Wirklichkeit für „abergläubig“ gehalten. „Im melancholischen Menschenfeind lauert der Rebell. Im letzten wird sich seine Melancholie gegen die Grundfesten der Welt richten“ (Schings, 48). Da entsteht „ein spezifisch anti-melancholisches Interesse der Aufklärung an der Melancholie“ (Schings, 39), zu dessen Projekt auch die Philosophie von Hegel gehört. Der Charakter in der modernen Tragödie kann als der ästhetische Melancholiker verstanden werden. Er erhebt den Anspruch auf die ästhetische Authentizität, die die Negation aller geltenden Werte ausdrückt. Sinnresourcen findet er nicht im erreichten Sinnhorizont, sondern in seiner „inneren Natur“, die in der Tragödie als „Hexen“ (Macbeth), „Geist“ (Hamlet) oder „Stern“ (Wallenstein) dargestellt wird.303 Wallenstein findet seine Sinnresourcen für die Handlungsorientierung in Saturn, Macbeth in den Hexen, Hamlet und Julia in der verborgenen 300 301 302 303
Saturn und Melancholie, 357-358. Saturn und Melancholie, 367. Saturn und Melancholie, 358. Im seiner Rezeption von Über die Bekehrten von Rauchpach unterscheidet Hegel „das Motiv selbst, das in diesen Hexen liegt“, „von der Gestalt, in die es eingekleidet ist“. Die Gestalt als solche (Hexen, Stern oder der Geist Vaters) ist nicht wichtig, sondern das Motiv, warum diese Gestalt eingeführt ist. Diese Gestalt bietet den Handlungsrahmen bzw. Sinnhorizont, in welchem sich die Charaktere in der modernen Tragödie bewegen.
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„inneren Natur“, die nicht sprachlich ausgedrückt werden kann. Ihre ästhetische Authentizität transzendiert den geltenden Sinnhorizont. Diese Forderung nach der Authentizität erscheint als die „Misanthropie“. Aber diese Transzendenz wird nur durch die Handlung realisiert, die nicht mehr in der Moderne als die „Tat“ erscheinen kann. Diese Handlung wird nur unter dem erreichten Sinnhorizont interpretiert und als ein Verbrechen bestraft, damit die Charaktere untergehen.
6.4.3. Die Melancholie und das Böse Der tragische Charakter, der die ästhetische Authentizität zu realisieren versucht, erscheint als das Böse gegen die vorhandene Gesellschaft. Das Böse kann als eine ästhetische Kategorie verstanden werden, die außerhalb des logisch Begreiflichen liegt.304 Deswegen kann hier z. B. die Frage nicht gestellt werden, „ob es nach Ausschwitz eine ‘Ästhetik, des Bösen noch geben darf“305. „Böses“ als ein ästhetischer Gegenstand „geschieht und wird erlebt, und auch wenn alles erklärt ist, was zu erklären ist, bleibt unbegreiflich, warum überhaupt geschieht, was so erlebt wird. … Das ist die Herausforderung, vor die der Einbruch des Bösen in ein Leben stellt. In diesem Sinne fungiert die Kategorie des Bösen als Artikulations- und Denkform des Unbegreiflichen“306. Wir haben Antigone als das Böse interpretiert, das den integrierenden Prozess der griechischen Sittlichkeit zerstört. Für diese ist Antigone das Böse. Aber für das dialektische Denken, das darüber überlegt, was nach der Zerstörung kommt, ist sie das Neue, das als die Quelle der ethischen Tragik in der Moderne zu verstehen ist. Hier wird das Böse als ein Moment der neuen Kulturform verstanden. Dalferth erklärt: „Erst wo es so zur Ausbildung eines gemeinsamen Sinnhorizontes des Umgangs mit Bösen und damit zur kulturellen Denkform des Bösen kommt, gewinnt
304 Das Böse als eine ästhetische Kategorie erklärt P.-A. Alt so, „daß die Kategorie des Bösen nicht allein durch ethische, religiöse und juristische Denkformen geprägt ist, sondern ihren Sinn wesentlich über poetische Erfindungen im Rahmen (zumeist) erzählerischer Ordnungen und Strukturmodelle empfängt“. P.-A. Alt, Ästhetik des Bösen, München 2010, 11. 305 Zwar erfasst P.-A. Alt das Böse als eine ästhetische Kategorie, aber er verwechselt das Böse als ästhetische und das Böse als ethische Kategorie, indem er die Frage stellt. 306 I. U. Dalferth, Das Böse. Essay über die kulturelle Denkform des Unbegreiflichen, Tübingen 2006, VII.
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eine Kultur ein gemeinsames Gepräge und verknüpfen sich die vielen Geschichten von Menschen zu einer gemeinsamen Geschichte“307. In diesem Sinne können wir Hegels Logik bzw. sein wissenschaftliches System als „eine Sinngeschichte des Bösen“308 verstehen, in der das Projekt der „Entbösung des Bösen“ entfaltet wird.309 Unter diesem Projekt werden das „Negative“ in der Logik, das „Verbrechen“ in der Rechtsphilosophie und das „Böse“ in den Vorlesungen über die Religion behandelt. Dieses „Böse“ ist ein immanentes Moment des dialektischen Prozesses des Logischen.310 Das Böse aber, das wir in der modernen Tragödie in Bezug auf die Melancholie erfassen, ist nicht immanent. Dieses Böse unterliegt nicht dem Projekt der „Entbösung des Bösen“. Wie Peter-André Alt ausgedrückt hat, „existiert keine Begriffsgeschichte des Bösen mehr“ „in der Moderne“, „sondern nur eine Vielzahl ästhetischer Formen, die seine Erscheinungsweisen reflektieren“311. Dieses Böse ist das Unbegreifliche als solches, das die Kultur als solche, die durch das wissenschaftliche System von Hegel begriffen wird, vergegenständlicht.
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I. U. Dalferth, a.a.O. 30. I. U. Dalferth, a.a.O. 31. I. U. Dalferth, a.a.O. 47. Dazu, A. Heller, „Der Begriff des Bösen und die moderne Individualität in Hegels System“, in: Logik und Realität, 45-57. Der Verfasser weist darauf hin, dass Hegel Shakespeare in Bezug auf seine Darstellung des „radikalen Bösen“ vorgeworfen hat, das „keine sittliche Macht“ repräsentiert. Ob es sich hier um „Vorwürfe wegen seiner groben Behandlung der Geschichte in der Darstellung des Bösen“ (A. Heller, a.a.O. 47) handelt, ist es fraglich. Hegel akzentuiert das Böse von Macbeth und von König Lear: Shakespeare sei es wichtig „das Gräßliche ganz in seiner Gräßlichkeit“ zu schildern (26, 51). In dieser Darstellung geht es nicht um „Vorwürfe“ wie der Verfasser interpretiert, sondern darum, wie Shakespeare Kollisionen und Charaktere in seiner Tragödien radikalisiert, deren sittliche Bedeutung den Gegenstand seiner Reflexion bildet. 311 P.-A. Alt, a.a.O. 19.
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6.4.4. Melancholie und Symbol Die moderne Tragödie diagnostiziert die Melancholie des Individuums, die als die absolute Isoliertheit von der Gesellschaft zu verstehen ist, und bietet den Zuschauern die Erfahrung der Tragik durch die Handlung des „festen Charakters“ an, damit die melancholische Verfassung der Moderne veranschaulicht wird. Die Melancholie veranschaulicht diese Tragik. Die moderne Tragödie für Hegel aber beschreibt nicht nur diese Tragik. Hegel hält die Leerheit des Gedankens, das Bewusstsein der Trennung, Sehnsucht, „Zustand der Unlebendigkeit und Form- und Gestaltlosigkeit des Geistes, die unfruchtbare „Abstraction der Innerlichkeit“ für die metaphysische Hypochondrie oder Melancholie, die von der „sentimentalen“ zu unterscheiden ist (GW16, 95). Die metaphysische Hypochondrie zeichnet einen Zustand, in dem man sich befindet, wenn man sich absolut vom konkreten Leben isoliert. Dagegen zeichnet die sentimentale Hypochondrie einen Zustand, in dem man sich der „ins Leben verwickelten, noch lebenslustigen und lebenskräftigen Sehnsucht“ widmet. Wenn jene das absolute Unvermögen zum Poetisieren oder zum Sich-Ausdrücken bewirkt, das aus der Leerheit des Gedanken kommt, bezieht sich diese auf den Gemütszustand, in dem man „durch die Production“ eines Kunstwerks „diese Verstimmung aus sich“ herauszuarbeiten, und „sich davon“ zu befreien suchen (GW16, 96). Die moderne Tragödie ist eine Ausdrucksweise, durch die sich die sentimentale Melancholie artikuliert. F. Schlegel, und Tieck formulieren für Hegel die metaphysische Melancholie als die „Ironie“ als ihren philosophischen und ästhetischen Ausdruck und wenden sie auf die künstlerische Praxis an. Die absolute Isoliertheit von der Welt wird durch die Ironie der Subjektivität ausgedrückt. Hegel hat sich gegen diese beschreibende Melancholie der „Poesie der Poesie“ und dieses Praktizieren anlehnend an die Tragödienstücke von Schiller und Shakespeare gewandt, in denen er die sentimentale Melancholie erfasst, die nicht nur die ästhetische Tragik beschreibt, sondern auch eine von ihr befreiende Perspektive darstellt. Nach Hegel entsteht in der Moderne das Bedürfnis nach der „Geschicklichkeit“, „ihr [der Vernunft – C.C.O.] Inneres sich adäquat zu exponieren“ (23. 122), dem durch die Einführung des „Symbols“ Genüge getan wird. Die Gewinnung der Autonomie der Kunst, die in der Darstellung des entgötterten Individuums besteht, weist deswegen einerseits auf den Verfallsprozess der Kunst, aber andererseits auf die neue Möglichkeit der Kunst in der Moderne hin. Obwohl die Äußerlichkeit durch die Säkularisierung der Kunst und Verinnerlichung der modernen Subjektivität entgöttert wird, wird sie durch das Symbol und die „Geschicklichkeit“ des Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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Geistes, sich zu äußern, rehabilitiert.312 Durch die „Geschicklichkeit“ kann das entgötterte Individuum eine neue Möglichkeit finden, sich zu artikulieren. Die moderne Tragödie, in der die symbolische Phantasie ihren Ausdruck findet, diagnostiziert nicht nur die melancholische Verfassung der Moderne. Sie gewinnt eine therapeutische Rolle in der Moderne, die darin liegt, das moderne Subjekt aus der Anfälligkeit für Melancholie zu retten. Diese Funktion übernimmt sie durch die Einführung des Symbols, das zwar aus der morgenländischen Phantasie geboren ist, aber als eine künstlerische Form bearbeitet ist, die als ein formalisiertes Symbol bewussterweise benutzt wird, z. B. die Vergleichung und die Metapher. Dieses formalisierte Symbol zielt auf die Wirkung, nämlich „ein affirmatives Verhältnis zu der endlichen Gestaltung“ (26, 92) ab, das der morgenländischen Phantasie unbewussterweise zugrunde liegt.
6.4.5. Das Symbol bei Hegel Hier muss die Symbolkonzeption in ihrer philosophischen Diskussion im 18. Jahrhundert expliziert werden.313 Kant hält das Symbol für das Gestal312 In diesem Punkt kann das Charakteristikum der Kunst in der Moderne der Kompensationstheorie von O. Marquard angeschlossen werden. Er hält das Auseinandertreten der Form und des Inhalts in der romantischen Kunstform bei Hegels Ästhetik für die „Entzweiung von Innerlichkeit und Sachlichkeit (von Subjektivität und Objektivität)“ (O. Marquard, Aesthetica und Anaesthetica, 38) und interpretiert die „Entgötterung“ als „Versachlichung“. Nach ihm wird die Entgötterung der Welt wieder durch die Innerlichkeit der ästhetischen Subjektivität kompensiert (O. Marquard, a.a.O. 79), die sich im unserem Kontext auf das Symbol bezieht. „Die Versachlichung der Welt entschädigt sich durch die Genese der Innerlichkeit. Zur Entzauberung der Wirklichkeit gehört als Kompensation die Entwicklung der Subjektivität als Stätte einer ausgleichenden – der ästhetischen – Faszination“. Aber anders als die Kompensationstheorie liegt die therapeutische Funktion des Symbols in der modernen Tragödie nicht in der Rechtfertigung der Sittlichkeit durch die künstlerische Entschädigung. Wenn die Melancholie schon in sich die kritische Implikation gegen die Sittlichkeit hat, verhindert das Symbol, dass die Melancholie in die Abstraktion gerät, wie Hegel dies in der Verwendung der „Ironie“ beobachtet. 313 Ausführlich: G. Pochat, Der Symbolbegriff in der Ästhetik und Kunstwissenschaft, Köln/DuMont, 1983. In dieser Arbeit geht es um die Symbolkonzeption als die ästhetische Kategorie, die Hegel spezifisch entwickelt hat (J-I. Kwon, a.a.O.). Über das Symbol, das im unterschiedlichen Kontext benutzt wird: E. Rolf, Symboltheorien. Der Symbolbegriff im Theorie, Berlin/New York 2006. Die auf die
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tungsprinzip der Kunst. Die Kunst ist demnach die Gestalt, die die Vernunftidee durch „Analogie“ veranschaulicht bzw. symbolisiert. Die Vernunftidee ist ein Begriff, dem keine Anschauung angemessen ist. Dagegen ist die ästhetische Idee eine Anschauung, der kein Begriff entspricht, die aber analog die Vernunftidee ausdrückt. Das Genie ist „das Vermögen der Darstellung der ästhetischen Ideen“314. Das schöne Kunstwerk ist die symbolische Darstellung der sittlichen Idee („Symbol des Sittlichen“315), in der die sichtbare Anschauung indirekt mit der Idee zusammenhängt. Das Symbol ist die Anschauung, die indirekt bzw. reflexiv die Vernunftidee darstellt, da diese keine angemessene Anschauung hat. Das Schöne als solches ist intuitiv zugänglich für den Geschmack. Aber seine Bedeutung als die sittliche Idee kann nur reflexiv verstanden werden. Nach Pochat hat „die Organismusvorstellung“, die damals verbreitet ist, Herder „zu einer Ausweitung seines Symbolbegriffs bewogen“316. Das Symbol wird im Gegensatz zu dem von Kant „als organisch lebendiges Ganzes aufgefaßt, dessen Dasein und Bedeutung eins sind“. Nach Kant ist das Symbol eine Gestalt, die auf etwas anderes (die sittliche Idee) verweist. Goethe hat auch den Symbolbegriff von Herder weiter entwickelt. Die Kunstgestalt bedeutet sich selbst für diesen. Sie drückt die Idee des Wahren aus, die aber nicht „direkt“ von uns erkannt werden kann. Wenn die Idee in vielfältiger Weise von uns sprachlich ausgedrückt, aber nicht eindeutig begriffen werden kann, stellt die Kunstgestalt sie als das Besondere dar. Diese Einheit des Besonderen und des Allgemeinen ist unendlich interpretierbar.317 Schelling modifiziert diese Symbolkonzeption in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Kunst, indem er das Symbolische sowohl vom Schematismus als auch vom Allegorischen unterscheidet.318 „Diejenige Darstellung, in welcher das Allgemeine das Besondere bedeutet, oder in welcher das Besondere durch das Allgemeine angeschaut wird, ist Schematismus“. Im Gegensatz dazu ist das Allegorische „diejenige Darstellung“, „in welcher das Besondere das Allgemeine bedeutet, oder in welcher das Allgemeine durch das Besondere angeschaut wird“. Das Symbolische ist „die Synthesis
314 315 316 317 318
Sprachphilosophie bezogene Studie über das Symbol von Hegel: K. D. Magnus, Hegel and the Symbolic Mediation of Spirit, Albany 2001. I. Kant, a.a.O. 202. I. Kant, a.a.O. 253. G. Pochat, a.a.O. 25. G. Pochat, a.a.O. 30-31. F.W.J. Schelling, Philosophie der Kunst, Darmstadt 1980, 51f. Ausführlich: M. Tomberg, Studien zur Bedeutung des Symbolbegriffs. Platon, Aristoteles, Kant, Schelling, Cassirer, Mead, Ricœur, Würzburg 2001, 69-88.
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dieser beiden, wo weder das Allgemeine das Besondere, noch das Besondere das Allgemeine bedeutet, sondern wo beide absolut eins sind“. Für Goethe wie Schelling bezieht sich das Symbol auf die anschaulichen Dinge, die durch ihre Besonderheit das Allgemeine repräsentieren und es gegenwärtig und bewusst machen. Creuzer konzipiert den Begriff des Symbolischen in Anlehnung an Kants Auffassung des Symbols anders als Schelling und Goethe. Für ihn prägt die „Unentschiedenheit zwischen Form und Wesen“ oder die „incongruenz des Wesen mit der Form“, sowie eine „Ueberfülle des Inhalts in Vergleichung mit seinem Ausdrucke“ das Symbol.319 Hegel nimmt die Symbolkonzeption von Creuzer an und entwickelt und modifiziert sie eingehend in seinen Berliner Vorlesungen über die Ästhetik.320 Hegel unterscheidet das bewusste Symbol, das als „Zerfallen der Bedeutung und des Bildes“ bestimmt ist, von dem Symbol, das unbewussterweise benutzt wird. Nachdem die ägyptische Kunst „das eigentlich Symbolische“ gebildet hat, folgen die drei symbolischen Formen nach,321 die zum „Zerfallen der Bedeutung und des Bildes“ gehören. Die erste Form „dieser Unterscheidung der Bedeutung von der Gestalt“ ist das jüdische Symbol, das als „das eigentliche Erhabene“ zu verstehen ist, nach dem die Welt „entgöttert“ ist (26,91) und der Gott und die Welt absolut getrennt sind, und die Welt nur als endlich bzw. negativ gilt. Die zweite Form ist der „orientalische Pantheismus“, in dem „das Eine als absolute Substanz herausgehoben wird, aber so, daß sie ein affirmatives Verhältnis zu der endlichen Gestaltung hat“ (26, 92). „Die Immanenz des Göttlichen im Gegenständlichen“ bildet die Grundlage dieser pantheistischen Phantasie. Die dritte Form ist das „Freiwerden der Bedeutung“. Der Künstler hat die Bedeutung, für die er die Gestalt finden soll. Diese lässt sich wieder in drei Formen einteilen. Das Erste ist „die Äsopische Fabel“, „Parabel“, und „Apolog“. Das zweite ist „Rätsel, Allegorie, überhaupt Metapher und Vergleichung“. Die dritte Form bildet das „Lehrgedicht“ und „beschreibende Gedicht“.
319 F. Creuzer, Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen. 6 Bde. Leipzig/Darmstadt 21819ff,. Bd. 1, 58. 320 H.-G. Gadamer, „Hegel und die Heidelberger Romantik (1961)“, in: Gesammelte Werke Bd. 4, 395ff. Über die Differenzen zwischen Hegel und Creuzer bei der Auffassung der Symbolkonzeption, O. Pöggeler, Hegels Kritik der Romantik, (zuerst Bonn 1856) München 1998, 82ff. 321 Diese Einteilung ist bei Hegel nicht festgelegt, wie J-I. Kwon zeigt (J-I. Kwon, a.a.O.).
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Das, was uns angeht, ist die zweite Form des Symbols, besonders die Metapher und die Vergleichung.322 Diese Form bleibt nicht nur eine rhetorische Technik. Hegel bezieht sie auf die pantheistische Phantasie. Die morgenländische Phantasie, die der Geburtsort des bewussten Symbols ist, beruht für Hegel auf dem Pantheismus, in dem „die Immanenz des Göttlichen im Gegenständlichen“ „ausgesprochen“ ist (26, 93). Wenn die jüdische Erhabenheit in der Trennung von Gott und der Welt liegt, hat die pantheistisch verstandene Substanz eine immanente Beziehung auf die Endlichkeit. „Der Geist des Dichters“, der diese pantheistische Phantasie hat, zeigt sich „substantiell, frei, unabhängig, weit, groß“. „In der freien selbständigen Unabhängigkeit bildet er sich hinein in ein affirmatives Verhältnis, in Identität mit den natürlichen Dingen und mit seinem Gegenstand“ (26, 93). Diese substantielle Identität ermöglicht dem Künstler, in der Natur bei sich zu bleiben. Hegel zeigt, dass die westliche Phantasie „nur gedruckte Innigkeit“ zu äußern weiß. Für diese Innigkeit erscheint die Natur bloß „etwas Angenehmes, Schmuck“, da die Innigkeit nur als die Abstraktion („Idee) der konkreten Natur gilt. Dagegen vertieft sich der Dichter „bei den Orientalen“ „in den Geist, die Natur“. Diese Identität des Geistes und der Natur bildet die Grundlage der symbolischen Phantasie. Das Symbol, das wir in der Metapher und der Vergleichung begreifen, ist eine Form, die erst gesucht werden muss für die vorhergedachte Bedeutung. Deswegen kann die Form willkürlich sein, die „der subjektive Geist des Dichters so witzigerweise in Beziehung bringt“ (26, 95). Der Unterschied zwischen Symbol und Zeichen liegt darin, dass dieses willkürlich auf die Bedeutung nach der Gewohnheit verwiesen ist. Dagegen hat das Symbol als eine Form in sich schon den Inhalt, der mit der Bedeutung zu tun hat (GW20, 452). Wenn das Zeichen, das in sich keine Bedeutung hat, nur auf das Andere verweist, bedeutet sich das Symbol. Aber die Form des Symbols erschöpft nicht die Bedeutung, da diese die „unendliche Fülle“ ist, die nicht durch eine sinnliche Form dargestellt werden kann. Der Grund, warum Hegel in Bezug auf die moderne Tragödie diesen beiden symbolischen Formen seine besondere Aufmerksamkeit schenkt, liegt darin, dass sie, obwohl sie auf der morgenländischen Phantasie beruhen, für die Moderne als eine besondere „Geschicklichkeit“ gelten, das Innere des Menschen auszudrücken. „Der neue Stil“ im Vergleich zum „Stil der Alten“ „verlangt Metaphern“ (26, 105). Hegel überlegt, warum diese symbolischen Formen in der Moderne bevorzugt werden. In der klassischen Kunstform besteht die Identi322 Über die Allegorie werden wir im nächsten Kapitel sprechen.
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tät der Gestalt mit dem Inhalt. Da der Geist in der Moderne für seinen Inhalt keine angemessene sinnliche Gestalt hat, muss er trotzdem „geschickt“ sein, sich durch eine sinnliche Form zu artikulieren. Bei dieser Zusammensetzung der Gestalt mit dem Inhalt darf die subjektive Willkür nicht herrschend sein. Da dem modernen Künstler der substantielle Grund der Phantasie fehlt, auf dem der Inhalt mit der Gestalt zusammengesetzt wird, kann er vom symbolischen Geist lernen, der die „unendliche Fülle“ der Substanz durch das unendlich modifizierbare Symbol darstellt. Das Symbol ist eine Form der Zusammensetzung der Gestalt mit dem Inhalt, wenn dieser auch jener nicht entspricht.323 Diese Zusammensetzung ermöglicht die pantheistische Phantasie, die das „affirmative Verhältnis“ der Substanz „zu der endlichen Gestaltung“ darstellt. Hier können wir die Überlegungen von Blumenberg über die „Metaphorologie“ einbeziehen. Blumenberg stellt drei Erscheinungsweisen der Metapher „auf dem Wege vom Mythos zum Logos“ fest. In der klassischen Zeit bestehe die Korrespondenz zwischen dem „Kosmos“ und dem „Logos“324. Die Rolle der Metapher liege darin, die Kommunikation zu fördern. Die Metapher sei nur ein rhetorisches Mittel zur Bezeichnung der mythischen Mächte. Durch die Rationalisierung werden die mythischen Mächte vertrieben, die durch den Begriff ersetzt werden müssen. Die Metaphern, die ursprünglich die mythischen Mächte bezeichneten, seien nach der Rationalisierung nicht mehr selbstverständlich. Diese als die „Restbestände“ der klassischen Zeit müssen durch die wissenschaftlichen Begriffe ersetzt werden. Aber in der Moderne bleibe noch die „absolute Metapher“, die die „Idee“ im kantischen Sinne symbolisiert. Sie ist „Übertragung der Reflexion über einen Gegenstand der Anschauung auf einen ganz andern Begriff, dem vielleicht nie eine Anschauung direkt korrespondieren kann“325. Da diese Idee in der Geschichte unterschiedlich gegeben sei, kann man die „Paradigmen zu einer Metaphorologie“ rekonstruieren. Die Metaphern erweitern nicht die theoretische Erkenntnis, sondern 323 Eine interessante Betrachtung über den „metaphorischen Charakter“ der Logik: W. Welsch, „Logik und Metaphorik – Zu Hegel und Nietzsche“, in: Hegel und Nietzsche. Eine literarisch-philosophische Begegnung, hg. von K. Vieweg, und R. T. Gray, Weimar 2007, 146ff. Die logischen Begriffe seien übergängig. Ein Begriff sei dem anderen nicht gleich. Trotzdem könne der Begriff aus sich selbst in den anderen übergehen, damit die Totalität der Begriffe in der Logik konstruiert werde. Dieser Übergang sei metaphorisch. Wie erörtert, gibt es bei der Metapher den Übergang einer sinnlichen Gestalt in die andere, dessen Grund in der pantheistischen Anschauung liegt. 324 H. Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie. Frankfurt am Main 1998, 9. 325 H. Blumenberg, a.a.O. 12.
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geben ihr die Richtung vor, indem sie die Totalität der Erkenntnis verbildlichen. „Ihr Gehalt bestimmt als Anhalt von Orientierungen ein Verhalten, „sie geben einer Welt Struktur, repräsentieren das nie erfahrbare, nie übersehbare Ganze der Realität“326. Nach Hegel und Blumenberg übernimmt die Metapher in der Moderne eine große Rolle, den Begriff, dem keine angemessene Anschauung gegeben werden kann, durch die Anschauung auszudrücken. In der klassischen Zeit spielt die Metapher nur eine den Begriff ersetzende Rolle, da in ihr die Korrespondenz zwischen dem „Kosmos“ und dem „Logos“ bzw. der Kunstgestalt besteht.327 Wenn sich Blumenberg für die pragmatische Rolle der Metapher in der Moderne interessiert, die der wissenschaftlichen Entwicklung und der Religion ein leitendes Bild gibt, sieht Hegel bei der Verwendung der Metapher die Wiederbelebung des symbolischen Geistes, der die ästhetische Melancholie kompensiert, die sich von der wissenschaftlichen Rationalisierung isoliert. Hegel untersucht besonders den Sinn der Vergleichung, wenn diese nicht nur die „Wiederholung“ bleibt. In diesen Überlegungen von Hegel über die Vergleichung können wir die Metapher auch mit einbeziehen, da die beiden Formen, trotz des Unterschiedes, die Gemeinsamkeit haben, eine Bedeutung mit einer Anschauung einzubeziehen, die nur durch die Reflexion der Phantasie mit jener zusammengesetzt werden kann. Die Vergleichung bzw. die Metapher bringt uns „zwei nähere Interessen“. Das eine liegt darin, dass die abstrakte Innigkeit der Phantasie durch diese symbolischen Formen von ihrer Abstraktheit befreit wird und sich im Gegenstand vertieft. Das Andere bezieht sich darauf, dass die auf eine Bestimmtheit konzentrierte Innigkeit durch die symbolische Artikulation über ihre Konzentriertheit von dieser befreit wird. 326 H. Blumenberg, a.a.O. 25. 327 Nach Kurz kann man in den Metaphertheorien zwei Richtungen unterscheiden: die „Substitutionstheorie“ und die „Interaktionstheorie“ (G. Kurz, Metapher, Allegorie, Symbol, Göttingen 2004). Die Metapher ist nach der „Substitutionstheorie“ nur eine Wiederholung, statt den Begriff direkt zu nennen, auf ihn indirekt durch eine Anschauung hinzuweisen. Die Metapher nach der „Interaktionstheorie“ kann man aus kommunikationspragmatischen Gründen verstehen. Die Metapher ist eine Abweichung „vom dominanten, prototypischen Gebrauch eines Wortes“ (G. Kurz, a.a.O. 18) und zielt auf „eine konstruktive Bedeutungserzeugung“ (G. Kurz, a.a.O. 19) ab, die von den Teilnehmern an einer kommunikativen Praxis interaktiv erreicht werden, da die Metapher bzw. Vergleichung nicht durch eine Umschreibung ersetzt werden kann, wie Aristoteles behauptet hat. Die Metapher „gibt viel zu denken, ohne doch unverbindlich zu sein“ (G. Kurz, a.a.O. 22).
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Um einen Gedanken auszudrücken, bezieht sich der Künstler auf den Gegenstand. Dabei ist „das Interesse der Phantasie“, „den Gegenstand nicht zu verlassen“ (26, 107). Der Gedanke, der sonst abstrakt bleibt, wird durch die symbolische Phantasie auf die Gegenstände bezogen. Durch dieses „Sich-Ergehen in Phantasievorstellungen“, das „Schwelgen in Bildern“ wird nicht nur der Gedanke konkretisiert, sondern wird „die müßige Freude an diesen Bildern selbst“ ausgedrückt. „Das Interesse, sich bei dem Gegenstand zu verweilen“ ist „mehr theoretische als praktisch“ (26, 109). Durch dieses Verweilen wird der Gegenstand kontemplativ reflektiert und erweitert. Im Gegensatz zur „Sehnsucht“, für die nur um der abstrakten Idee willen die Gegenstände als endlich und aufgehoben gelten, genießt die symbolische Phantasie durch ihre Form dieses theoretische Verweilen. „Im Abendländischen ist mehr die Begierde, Ausgehen von sich, die Freiheit bei den Orientalen zeigt nur das Gefallen am Gegenstand“ (26, 109). Außer diesem Interesse der „Objektivität der Phantasie“ üben die symbolischen Formen der Metapher und der Vergleichung die „Wirkung“ aus, „die Freiheit des Charakters von dem gegenwärtigen Gegenstand zu beweisen“ (26, 111). Indem der Charakter, der von einem Interesse „praktischer Weise befangen ist“, sich in ein „Bild“ „hineinvertieft“, erhebt er sich über den Schmerz, der aus seinem Befolgen des Interesses ergeben ist. Er vergegenständlicht sein Gefühl, indem er es nicht direkt ausdrückt, sondern durch die symbolischen Formen. Dadurch wird ausgedrückt, „daß das Bild des Schmerzens nur vorhanden ist und der Schmerz als konzentrierte, subjektive Empfindung gebrochen ist und der Geist frei darüberstehen“ (26, 112).
6.4.6. Die symbolische Melancholie Hegel schreibt diese symbolische Phantasie besonders den shakespeareschen Charakteren zu. Beide Charaktere (praktischer und theoretischer „Formalismus“) gehören zum symbolischen Geist, der weiß, sich durch seine „Geschicklichkeit“ anzudeuten, weil er in sich die unendliche Fülle des Gedankens einschließt, derjenigen aber keine adäquate Äußerungsweise zuzuschreiben ist. „Die Idee in ihrer Allgemeinheit, Unbestimmtheit“ (26, 69) des symbolischen Geistes, da sie geistreich ist (26, 114),328 ist von der „Leerheit“ zu unterscheiden, die dem melancholischen Charak-
328 Hegel unterscheidet den „Witz“ vom „geistreichen“ Witz und schreibt den Witz Jean Paul, den geistreichen der morgenländischen Phantasie zu. (26, 107, 114, 229)
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ter zuzuschreiben ist, der sich nur durch die Ironie zu äußern weiß. (Vgl. GW16, 93f.). Der theoretisch formelle Charakter, wie Julia329 oder Hamlet, artikuliert sich durch die symbolischen Formen, indem er sich in den Gegenstand vertieft. Für ihn ist die „Objektivität der Phantasie“ sehr wichtig, da er in sich verschlossen ist. Von dieser Verschlossenheit kann er sich befreien, indem er bei dem Gegenstand verweilt (26, 108). Der praktisch formelle Charakter wie Macduff in Macbeth und Kardinal Wolsey in Heinrich VIII (26,111), der nur von einem Interesse befangen ist, befreit sich von ihm, indem er sein Gefühl symbolisch ausdrückt. Macbeth, der von der Angst überfallen ist, bleibt noch „ein edles, freies Gemüt“, da er „sich in ein Bild vertieft und so sich über seinem Schmerz zeigt“ (ebd.). „Die echte Wirkung, die die Vergleichungen bei Shakespeare haben können, ist, die Freiheit des Charakters von dem gegenwärtigen Gegenstand zu beweisen“ (ebd.). Die Melancholie, die aus der Entgötterung bzw. der Forderung nach der ästhetischen Authentizität ergeben ist, wird für Hegel mit dem Symbol in Verbindung gesetzt, damit die Melancholie trotz ihrer Isoliertheit eine neue Perspektive über den Weltbezug gewinnen kann. Die Melancholie steht in einem Spannungsverhältnis mit dem Symbol, das den affirmativen Weltbezug schafft. Diese symbolische Melancholie unterscheidet Hegel von der „metaphysischen“ Melancholie, die ihren ästhetischen Ausdruck in der „Ironie“ findet. Die Immanenz der pantheistischen Phantasie gibt der entgötterten Natur ihr „Leben“ wieder und erhebt sie „zur eigenen Herrlichkeit“, obwohl das Göttliche (der Inhalt) und die natürlichen Dinge voneinander geschieden sind. Der Künstler, der „substantiell, frei, unabhängig, weit, groß sich zeigt“, kann die „Identität mit den natürlichen Dingen“ gewinnen, die „der Charakter der heiteren, seligen Innigkeit“ ist, „die dem Orient eigentümliche ist“. Im Gegensatz zur morgenländischen Phantasie ist „die westliche, romantische Innigkeit“ „mehr vertieft in sich selbst, neigt sich mehr dahin, trübsinnig, unfrei, unglücklich, abhängig zu sein, bleibt subjektiv, selbstsüchtig, empfindsam“ (26, 93-94). Diese abstrakte Innigkeit, die nicht weiß, sich durch das Symbol zu artikulieren, findet ihren Ausdruck in der „Ironie“. Die Kritik der Ironie von Hegel bedeutet die der Melancholie. 329 „Julia wendet sich an die Nacht: ,Komm holde Nacht, mit den schwarzen Augenbrauen, gib mir meinen Romeo, und wenn er sterben soll, so schwinden Sterne mit hin, und er wird den Himmel so schön machen, daß alle Welt sich in die Nacht verlieben wird.‘“ (26, 108).
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Hegel schreibt der „sentimentalen“ Melancholie diese „Geschicklichkeit“ zu, sich durch das Symbol zu artikulieren. Während die metaphysische Melancholie in ihrer Zerrissenheit bzw. ihrer Isoliertheit von der Welt bleibt, die Hegel besonders F. Schlegel zuschreibt, versucht das Subjekt mit der symbolischen Melancholie, seinen objektiven Weltbezug anhand der pantheistischen Einbildungskraft des Symbols zu artikulieren, obwohl es die melancholischen Verfassung der Wirklichkeit erblickt. Die symbolische „Geschicklichkeit“ ist keine Lösung der Zerrissenheit, die ästhetisch angeschaut wird. Aber sie stiftet ein Spannungsverhältnis zwischen der ästhetischen Melancholie und dem den objektiven Weltbezug vorstellenden Symbol.
6.4.7. Kritik der Melancholie Hegel setzt sich in den Berliner Vorlesungen über die Ästhetik und in der Solger-Rezension mit den zeitgenössischen Tragödientheorien von Tieck, F. Schlegel und Solger auseinander, um seine Bestimmung der modernen Tragödie zu erweitern durch die Kritik der Melancholie und der Theorie der Ironie. Nach Hegel habe F. Schlegel den Begriff der Ironie, die den melancholischen Charakter rechtfertigt, erfunden, indem er das Prinzip der Identität von Fichte „direct auf Wirklichkeit gewendet“ habe (GW16, 115).330 Da er die spekulative Seite der Fichteschen Philosophie beiseite gesetzt
330 Behler interpretiert, dass Schlegel „die Wechselbestimmung“ von Fichte „übernahm“ (E. Behler, Ironie und literarische Moderne, Paderborn/München/Wien/ Zürich 1997, 94), die „durch eine doppelte Bewegungsrichtung bestimmt: durch ein zentrifugal oder schaffend aus sich heraustretendes und dann zentripetal in das Ich zurückkehrendes und dieses damit bestimmendes Streben“ (E. Behler, Klassische Ironie, Romantische Ironie, Tragische Ironie. Zum Ursprung dieser Begriffe, Darmstadt 1972, 86) und diese als eine ästhetische Kategorie der Ironie weiter entwickelt. Dabei versucht Behler die Unwillkürlichkeit der Schlegelschen Ironie gegen Hegels Kritik zu retten. Dagegen kritisiert Bubner diese Interpretation heftig. Er geht davon aus, „daß dem äußeren Anschein zum Trotz die wahre Quelle der Schlegelschen Vorstellung von Dialektik nicht in der Wechselbestimmung von Tätigkeit und Negation zu sehen ist“, die als „Grundsatz“ festgelegt ist. „Die Ironie“ von Schlegel „verfügt über keine solche Basis, sondern schwingt sich tätig auf in eine bodenlose Schwebe“ (R. Bubner, „Zur dialektischen Bedeutung romantischer Ironie“, in: Aktualität der Frühromantik, hg. von E. Behler und J. Hörisch, Paderborn/München/Wien/Zürich 1987, 92).
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und sein Prinzip in die Handlung hineingesetzt habe,331 wird „eine falsche Theorie“ (26, 58) sowohl zur Kunstkritik als auch zur Kunstproduktion produziert.332 Die Ironie gelangt „zum Verneinen der Lebendigkeit der Vernunft und Wahrheit, und zur Herabsetzung derselben zum Schein im Subject und zum Scheinen für Andere.“ (GW16, 114-115). Da die Subjektivität als die abstrakte Identität vorausgesetzt ist, der die Konkretheit der Wirklichkeit als nichtig herabgesetzt ist, ist die Ironie das die Wirklichkeit durchdringende Prinzip. Alle Bestimmtheiten sind nur ein Schein, der als solcher nichtig ist, da sie nicht als die Momente der abstrakten Identität bzw. des „Absoluten“ erfasst, sondern nur negiert werden. Abgesehen davon, dass Schlegel eine von der „Wechselbestimmung“ von Fichte abweichende und diese korrigierende Konzeption der Ironie bzw. der Dialektik entwickelt hat, ist die Voraussetzung des „Ganzen“, das nicht erkannt bzw. artikuliert, sondern nur „geahnt“ oder vorausgesetzt werden kann, unmittelbar. Durch das „unendliche Fortschreiten des tätigen Geistes durch vernichtete Irrtümer hindurch“333 nähert er sich an das Ganze, für das aber, da es als unbestimmbar vorausgesetzt ist, diese dialektische Bemühung erfolglos ins Unendliche fortgehen muss. Hegel schreibt dieser Konzeption der Ironie die metaphysische Melancholie zu, die ihre Isoliertheit festlegt. Unter der „Ironie“ versteht Hegel zuerst eine Haltung des Künstlers gegenüber dem Leben. Das ironische Subjekt ignoriert den Unterschied des Ästhetischen vom Rechtsphilosophischen. Es lebt in der Wirklichkeit, als ob es ein Künstler wäre. Es zeigt ein „Handeln“, das aber als Schein zurückgenommen werden kann. „Es gibt für mich ein Substantielles, es ist ein Inhalt, der zum meinem Wesen so gehört, daß ich nur bin durch dieses Mir-Angehören dieses Inhalts“ (26, 331 „Die Ironie, so in die Handlungen gebracht, hat sich selbst, d.h. das Charakterlose, produziert.“ (26, 23) 332 Es gibt eine lange Geschichte der Kontroverse um Hegels Interpretation der Ironie von F. Schlegel (Ernst Behler, Ironie und literarische Moderne, 138ff. Vgl. I. Strohscheider-Kohrs, Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, Tübingen 1960, 215ff.). Behler versucht zu antworten auf die Frage, „warum Hegel eine solche Entstellung von Schlegels Ironiebegriff vornahm“(E. Behler, a.a.O. 139). Er geht davon aus, dass „in den Stellungsnahmen Hegels zu Schlegel“ es „nicht vornehmlich um die ästhetischen Aspekte der Schlegelschen Ironie“, „sondern um das ursprüngliche, noch vor der Ästhetik liegende Hervorgehen der Ironie aus der übersteigerten Ich-Philosophie Fichtes“ geht (E. Behler, a.a.O. 140-141). Bohrer vertritt auch diese Interpretation (K. H. Bohrer, Die Kritik der Romantik. Der Verdacht der Philosophie gegen die literarische Moderne, Frankfurt am Main 1989, 142-157). 333 R. Bubner, a.a.O. 89.
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21). Aber das ironische Subjekt ist die unbestimmbare Abstraktion, unter der alle Bestimmtheiten negiert werden müssen. Diese Haltung gilt für Hegel als „der Standpunkt der Eitelkeit alles Substantiellen“ (ebd.). Zweitens versteht Hegel unter der „Ironie“ ein künstlerisches Gestaltungsprinzip.334 Die ironische Gestaltung erscheint nach Hegel auf zwei Weisen. Erstens zeigt die tragische Ironie von Solger eine unmittelbare Gegenwart des Göttlichen, die sich „in dem Verschwinden unserer Wirklichkeit offenbart“. Da Gott nur als die absolute Identität vorgestellt wird, offenbart er sich nur in der Negation der Kreaturen. Zweitens schafft die Ironie als das ästhetische Gestaltungsprinzip die „Charakterlosigkeit“ (26, 146). Die „Festigkeit“ des „Charakters“ wird aufgegeben, da eine Willensbestimmung, für die sich ein Charakter entschließt, willkürlich ist. Nach dem Prinzip der Ironie, die als „das Heraustreten des Autors aus seinem Werk“335 zu verstehen ist, kann sich der Künstler vom Werk fernhalten während des Schaffungsprozesses. Hegel lehnt dieses Verständnis von Ironie ab, welches durch dieses „Heraustreten“ die Festigkeit des Charakters aufgibt, die für Hegel die Grundlage der Tragik ausmacht. Das Ironische „stellt dar das Sichvernichten“. Der ironische Charakter „wird“ „etwas Nichtiges, Schwaches. … schlechte Subjekte haben die sittlichen Zwecke, können aber nicht dabei bleiben, geben sie wieder auf. Das ist aber das Charakterlose“ (26, 23). Hegel kritisiert die Theorie der Ironie in seiner Rezension von Über die Bekehrten von Raupach, indem er die Einheit der Charaktere hervorhebt. Die Theorie der Ironie versucht, sich dem „Tadel eines Widerspruchs zwischen der Heftigkeit dieser Scenen und der sonstigen Empfindung und Stimmung“ zu entziehen, indem sie behauptet „daß dieser Widerspruch der Triumph der Kunst, daß er die Ironie sei, denn bekanntlich wird diese für den Gipfel der Kunst erklärt. Sie soll darin bestehen, daß alles, was sich als schön, edel, interessant anläßt, hintennach sich zerstöre und auf ’s Gegentheil ausgehe, der echte Genuß in der Entdeckung gefunden werde, daß an den Zwecken, Interessen, Charakteren nichts sei“ (GW16, 11). Ein Individuum hat insofern einen Charakter, als „es ihm ernst ist mit diesem Gehalte“. Aber das ironische Subjekt ist grundsätzlich indifferent gegenüber der Bestimmtheit. Aus dieser Abstraktheit des Subjekts rührt seine „Haltungslosigkeit“ her. Diese „Haltungslosigkeit“ kann nach Hegel wie folgt zusammengefasst werden. Erstens, das ironische Subjekt erscheint als „ein schwacher Charakter, der sich zu einer Tat von ande334 Bohrer interpretiert die „Ironie“ als „ein Strukturgesetz des zukünftigen modernen Kunstwerks“ (K. H. Bohrer, a.a.O. 147). 335 E. Behler, Ironie und literarische Moderne, 108.
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ren bereden läßt und die entstehende Schuld auf andere schiebt“ (26, 58). Es ist „das unglückliche Subjekt“, dass es zwar in sich „Verlangen“ „nach einem Objekt“ hat, es aber „unfähig ist, das Feste zu erfassen, dies Beharren in sich aufzuheben und sich in eine Sache zu vertiefen“ (26, 22), da es „eine Hoheit und Vortrefflichkeit in sich“ trägt, „die aber gegen die Wirklichkeit in einem schiefen Verhältnis steht“. Dieses Subjekt ist als die „schöne Seele“ bestimmt. Zweitens erscheint das ironische Subjekt als „Doppeltwesen“. „Der Charakter tritt mit Bestimmtheit auf, zagt, fällt aber bald heraus und zeigt sich in seiner Nichtigkeit“ (26, 58), wie z. B. „der Prinz von Homburg“ (26 Pfordten, 166). Für Hegel stellt dieser Prinz nur „die Verrücktheit, diese Zweiheit, Dissonanz“(ebd.). Gegen diese Ironie des Charakters hebt Hegel „die Einheit des Charakters“ hervor. Der Charakter in der Tragödie drückt zwar nur „Ein Pathos“ aus. Aber „die lebendige Phantasie“ muss „alles reich und tief darstellen“ (26, 57). Der richtige „Charakter ist die Konsequenz einer lebendigen Mannigfaltigkeit und Vernünftigkeit“, da in ihm „die Idee wirklich ist, eine Einheit in sich selbst, die dem Gespenstigen ganz entgegen ist“. „Diese Einheit des Charakters“ ist ein Hauptmerkmal der sentimentalen Melancholie. Der Charakter befindet sich in einer melancholischen Situation, von der er sich aber dadurch befreit, dass er sich symbolisch artikuliert. Diesen Charakter findet Hegel besonders in Hamlet. Hegel wendet sich in seiner Deutung des Charakters von „Hamlet“ gegen Goethe, Tieck und F. Schlegel. Die letzteren halten Hamlet für einen melancholischen Charakter anders als Hegel, der ihn sowohl als einen melancholischen Charakter als auch als ein symbolisches „Gemüt“ interpretiert. Hegel kritisiert die Interpretation, die Hamlet ausschließlich für einen ironischen bzw. einen melancholischen Charakter hält, wegen seiner Krankhaftigkeit und „Halbheit der Charaktere“ heftig. Goethe erklärt den Charakter von Hamlet aus der Dissonanz von Wollen und Vollbringen in seinem Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre.336 Diese Dissonanz in der modernen Tragödie sei von der Harmonie von „Sollen und Vollbringen“ in der antiken zu unterscheiden. Da der moderne Charakter „ein unzulängliches Wollen“ hat, wird es in Hamlet „durch Veranlassungen zum unerläßlichen Sollen erhöht“337. Hegel kritisiert die Interpretation von Goethe, dass Hamlet ein schwaches Wollen hat, da Goethe in Hamlet nur die „Halbheit des Charakters“ sieht. Hamlet zögert für Goethe, sich für die 336 J. W. von Goethe, Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Bd. 7. München 1988 (=HA), 4. Buch. Vgl. HA, Bd. 12, 290ff. 337 Macht und Melancholie, 219ff.
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Rache zu entscheiden. Er will zwar die Rache ausführen. Aber diese Aufgabe übersteigt seine Fähigkeit. Deswegen muss es einen willkürlichen Anlass geben, der ihn zur Entscheidung zwingt. F. Schlegel übernimmt die Deutung von Goethe. Die Disharmonie des Gemüts von Hamlet sei „ein so gränzenloses Mißverhältnis der denkenden und der tätigen Kraft“338. Das Bewusstsein über den inneren Streit sei „das Gefühl der Verzweiflung“, die im Gemüt als der sittliche Schmerz über „unendlichen Mangel“ erscheint. Tieck hält den Charakter von Hamlet für „widerspruchsvoll“339. Gegen diese Interpretation, die Hamlet für einen schwachen Charakter hält, ist Hamlet für Hegel ein praller Charakter, der „entschieden nach seiner Unentschiedenheit“ ist (26, 233), da er „sich nicht klar“ ist, „was er tun will“, „aber wohl, was er ist“ (26, 58). Nach jener Interpretation liegt die Melancholie von Hamlet in der Widersprüchlichkeit des Gemüts, die nach Hegel von F. Schlegel als Ironie verstanden ist. Für Hegel ist Hamlet ein verschlossener Charakter, der in sich die „unendliche Fülle“ hat, die „nur durch seine Stile kundzutun“ ist (26, 146). Da Hamlet weiß, dass er ein „substantielles Gemüt“ hat, das „nicht zur Entwicklung, Äußerung, Objektivität kommt und damit nicht zur Befestigung seiner selbst“, wie wir schon bei Wallenstein gesehen haben, kann er nicht handeln. Seine Melancholie liegt nicht in seinem Schwanken bzw. in der Ironie seines Charakters, sondern im „Formalismus“ des Charakters. Die „entgötterte Natur“ von Hamlet ist die Konzentriertheit in sich selbst, die in sich verschlossen bleibt. Diese Melancholie kann nur symbolisch geheiligt werden. Da Hamlet dies weiß, kann er nicht handeln. Für Hegel ist Hamlet ein starker Charakter, der um seine symbolische Melancholie weiß und diese festhalten will. Für diesen melancholischen Charakter ist „die eigene Kunst des Dichters“ dazu benötigt, „um in den wenigen Äußerungen diese Stille, Unendlichkeit des Gemüts anzudeuten“ (26, 147). Der Formalismus des Charakters, seine Melancholie ist nur eine Seite, die den tragischen Charakter in der Moderne bestimmt. Für Hegel ist er ein symbolisches Gemüt, das trotz seiner Melancholie diese durch die symbolische Artikulation seiner selbst zu überwinden versucht. 338 F. Schlegel, „Über das Studium der Griechischen Poesie“, in: Kritische Schriften und Fragmente [1794-1797], hg. von E. Behler und H. Eichner (= Studienausgabe in sechs Bänden Bd. 1), Paderborn 1988, 82. 339 H. Blinn, Shakespeare-Rezeption. Die Diskussion um Shakespeare in Deutschland. II. Ausgewählte Texte von 1793 bis 1827. Mit einer Einführung, Anmerkungen und bibliographischen Hinweisen, hg. von H. Blinn, Berlin 1988, 52.
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Abschließend sei kurz auf die Aktualität der bisher untersuchten Bestimmung der modernen Tragödie bei Hegel eingegangen. Es lässt sich auf diese Aktualität verweisen, indem Hegels Konzeption der modernen Tragödie mit dem Begriff des „Trauerspiels“ bei Benjamin verglichen wird. Wenn man bei diesem Vergleich eine gemeinsame Einsicht in die moderne Tragödie beider Philosophen gewinnt, kann diese Aktualität insofern hervorgehoben werden, als die Theorie des Trauerspiels von Benjamin heute noch als aktuell gilt. Durch die Untersuchung über die Bestimmung der modernen Tragödie bei Hegel sind wir zur Einsicht gekommen, dass die moderne Tragödie eine systematische und systemkritische Stellung in der Philosophie Hegels einnimmt. Sie ist zwar eine Form des absoluten Geistes. Aber durch die Unendlichkeit des Geistes wird die Materie frei entlassen. Die „entgötterte“ Gestalt der modernen Tragödie kann nicht mehr in das philosophische System aufgehoben werden. Diese Entgötterung ist die Melancholie, die als die Forderung nach der ästhetischen Authentizität erscheint, die systemkritisch funktioniert. Das Symbol ist eine Kunstform, die die Extremität der Melancholie, die die geltenden sittlichen Werte absolut negiert, lindert. Diese Linderung ist eine Kompensation, die eine neue Perspektive dafür eröffnet, den kritisierten Sinnhorizont neu zu konstruieren. Die melancholische Anschauung dekonstruiert das sittliche System, das durch die Philosophie legitimiert wird. Das Symbol kompensiert diese Dekonstruktion, indem es rekonstruiert. Dieses Spannungsverhältnis zwischen der Melancholie und dem Symbol bildet die Bestimmung der modernen Tragödie bei Hegel. Wir finden im Begriff des „Trauerspiels“ von Benjamin ein ähnliches Spannungsverhältnis zwischen der Melancholie und der Allegorie.
7.1. Der Begriff des Trauerspiels bei Benjamin Das wichtigste Kriterium, das Benjamin von Hegel unterscheidet, liegt darin, dass Benjamin die Tragödie vom Trauerspiel anders abgrenzt als Hegel, der keinen Unterschied in beiden sprachlichen Ausdrücken findet. Benjamin überlegt, was der Ausdruck Trauerspiel bedeutet: Das Trauerspiel Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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sei „das Spiel vor Traurigen“ (GS I/1, 298).340 Die Trauer, die sowohl für Hegel als auch für Benjamin von der Tragik zu unterscheiden ist, hält Benjamin für eine Grundstimmung der Moderne, die nach der Auflösung vom alten Griechenland in die Geschichte eingetreten ist, im Gegensatz zu Hegel, der sie eher für eine Grundstimmung des Judentums hält, das der vorklassischen Welt zugewiesen ist.341 Benjamin hat die Konzeption des Trauerspiels nicht zuletzt in seiner Habilitationsschrift Ursprung des deutschen Trauerspiels entwickelt.342 In diesem Trauerspiel-Buch kritisiert Benjamin die klassizistische Interpretation des Trauerspiels, die es „als Zerrbild der Tragödie“ ansieht, weil sie nicht imstande ist, es sachgerecht zu würdigen. Durch diese Auseinandersetzung verschärft Benjamin seine Absicht zur Rehabilitierung des Trauerspiels und versucht seine gegenwärtige Bedeutung wiederherzustellen. Benjamin kritisiert den Versuch, die Tragödie ohne die geschichtsphilosophischen Überlegungen über den Unterschied zwischen „Tragödie“ und „Trauerspiel“ zu bestimmen. Dagegen reflektiert er über den prinzipiellen Unterschied durch seine theologisch-geschichtsphilosophische Metaphysik, die
340 U. Steiner, „Traurige Spiele – Spiel vor Traurigen. Zu Walter Benjamins Theorie des barocken Trauerspiels“, in: Allegorie und Melancholie, hg. von Willem van Reijen. Frankfurt am Main 1992, 32-62. 341 Hegel unterscheidet die Trauer von dem Tragischen. Die Kategorie der Trauer bezieht sich auf das Gefühl der absoluten Abhängigkeit von Gott, die im Judentum herrschend ist (GW1, 282). Aber das Tragische verweist auf den Konflikt und dessen Versöhnungsversuch, der im Prozess der Befreiung von der absoluten Abhängigkeit des Judentums stattfindet. 342 Hier geht es um Benjamins Bestimmung des Trauerspiels in seinem Trauerspiel-Buch. In diesem hat Benjamin die „Idee des deutschen Trauerspiels“, besonders des barocken erforscht. Das Problem, wie gerechtfertigt werden kann, dass diese Konzeption des deutschen Trauerspiels, das nur im 17. Jahrhundert erschien, als das Pendant zur alten Tragödie angesehen werden kann, das als eine in der ganzen Geschichte nach der Antike sich durchsetzende Gattung zum Tragen kommen soll, kann in zwei Hinsichten gelöst werden. Erstens hat Benjamin in seinen zwei Aufsätze (Trauerspiel und Tragödie und die Bedeutung der Sprache in Trauerspiel und Tragödie), die vor dem Trauerspiel-Buch geschrieben wurden, das Trauerspiel durch den Vergleich mit der Tragödie zu bestimmen versucht, dessen Bestimmung auch im Trauerspiel-Buch unverändert zu finden ist. Zweiten hat Benjamin im Trauerspiel-Buch seine Gegenstände nicht auf das deutsche Trauerspiel beschränkt, sondern die Trauerspiele von Calderon und Shakespeare in seine Bestimmung des Trauerspiels einbezogen (Vgl. GS I/1, 260. U. Steiner, a.a.O. 33ff.). Der direkte Gegenstand der Forschung ist das deutsche barocke Trauerspiel, das aber als eine sprachliche Kunstform in der Moderne im erweiterten Sinne konzipiert ist.
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er aber niemals begründet hat.343 Basiert die Tragödie auf dem Tragischen, gründet sich das Trauerspiel auf die Trauer.344 Wenn jene eine symbolische Form ist, ist diese eher eine allegorische. Jene hat zu ihrem Gegenstand den Mythos, diese die Geschichte bzw. „das geschichtliche Leben“. Dieser Unterscheidung liegt seine theologische Geschichtsphilosophie zugrunde: Nach dem Sündenfall tritt der Mensch aus dem paradiesischen Zustand. Zuerst untersteht er den mythischen Mächten. Aber er kämpft gegen diese und emanzipiert sich. Aber diese Emanzipation in die sittliche Welt ist nur der Zurückfall in den Naturstand bzw. „Schöpfungsstand“. Die Geschichte ist der „Verfallsprozess“, der den Menschen in den Naturstand bringt: Die Geschichte ist nur die „Naturgeschichte“. Wenn die Tragödie den Emanzipationsprozess der Menschheit dokumentiert, entlarvt das Trauerspiel, dass diese Emanzipation nur der Rückgang in den Naturstand ist. In der säkularisierten Geschichte, in der der Bezug auf das Unendliche verschwindet, kann nur die politische Lösung für den Konflikt erwartet werden, aber nicht die religiöse. Diese in sich abgeschlossene Geschichte, nämlich die „Naturgeschichte“, ist der Gegenstand der Darstellung des barocken Trauerspiels.345 Benjamin hält mit Hegel die antike Tragödie für eine Kunstgestalt, die eine Übergangsfunktion von der mythischen bzw. dämonischen Welt in die sittliche, von der polytheistischen Weltanschauung in die monotheistische ausübt. In der dämonischen Weltordnung untersteht das Individuum dem dämonischen Schicksal und verdient „die dämonische Schuld“. In dieser Übergangszeit tritt der tragische Held auf, der die „tragische Schuld“ in sich trägt. „Diese Schuld, die nach den alten Satzungen von außen durch das Unglück den Menschen zuwachsen sollte, nimmt im Verlauf des tragischen Geschehens ein Held auf sich und in sein Inneres“ (GS I/1, 310). Der tragische Held muss sich opfern, da er an der Rebellion gegen die Schicksalsordnung schuld ist. Sein Tod hat „die Doppelbedeutung, das alte Recht der 343 M. Rumpf, Spekulative Literaturtheorie. Zu Walter Benjamins Trauerspielbuch, Hanstein 1980, 141f. 344 Dazu, B. Menke, „Reflexion des Trauer-Spiels. Pedro Calderón de la Barcas El mayor mónstruo, los celos nach Walter Benjamin“, in: Literatur als Philosophie – Philosophie als Literatur, hg. von E. Horn, B. Menke und Chr. Menke, München 2006, 253ff. 345 In dieser Arbeit ist auf die Theorie des Trauerspiels von Benjamin kurz einzugehen, damit die Aktualität der Bestimmung der modernen Tragödie von Hegel durch den Vergleich akzentuiert werden kann. In dieser kurzen Darstellung ist die Umstrittenheit vieler Thesen von Benjamin nicht berücksichtigt, z. B. die These der Abgeschlossenheit bzw. der „Immanenz“ der Geschichte usw. (für diesen Punkt, M. Rumpf, a.a.O. 66-77).
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Olympischen zu entkräften und als den Erstling einer neuen Menschheitsernte dem unbekannten Gott den Helden hinzugeben“ (GS I/1, 285-286). Benjamin konzipiert seine Bestimmung der Tragödie wie Solger, der den Tod des Endlichen für die gegenwärtige Existenz des Unendlichen hält und ihn die „tragische Ironie“ nennt. In der Handlung und im Tod des tragischen Helds geschieht der Umschwung von der Verzweiflung zur vollen Hoffnung. Diese tragische Ironie ist nach Benjamin ein „Symbol“ und „schön“. Das Symbol ist „schön“ im Gegensatz zur Allegorie, deren Form „erhaben“ ist. Seine Konzeption des Symbols grenzt Benjamin von der von Goethe ab. Für Goethe wie Schelling bezieht sich das Symbol auf das anschauliche Besondere, das unmittelbar das Allgemeine ist.346 Nach Benjamin „verzerrt“ diese Symbolkonzeption „die Einheit von sinnlichem und übersinnlichem Gegenstand, die Paradoxie des theologischen Symbols zu einer Beziehung von Erscheinung und Wesen“ (GS I/1, 336). Das theologische Symbol liegt nicht in der unmittelbaren Einheit des Besonderen mit dem Allgemeinen, wie Goethe gemeint hat, sondern in der indirekten Einheit bzw. der tragischen Ironie, in der das Besondere nur in seiner Negation auf das Allgemeine verweist. Die Allegorie ist vom Symbol zu unterscheiden. Während dieses als ein Endliches durch seine Negation auf das Allgemeine hinweise, das für das Endliche Rettung bedeute, stelle die Allegorie nur die in die erlösungslose Naturgeschichte versunkenen Dinge dar, die auf keine Hoffnung auf Rettung hinweisen. Wenn das Besondere als das Symbol in sich den Bezug auf das Unendliche enthält, verweist das allegorische Besondere auf das andere, ohne dass jenes in sich einen inhaltlichen Zusammenhang auf dieses hat. Diese Allegorie setzt die ästhetische Subjektivität voraus, die durch ihre freie Einbildungskraft bzw. willkürlich das Besondere auf das andere verweisen lässt.347 Dieser allegorische Verweis auf das andere wird nur durch die subjektive Willkür garantiert. Dagegen impliziert das symbolische Besondere in sich den Bezug auf das Unendliche. Für Benjamin ist die Allegorie die einzige Darstellungsform, die in der säkularisierten Geschichte funktioniert. Dagegen kann das Symbol nur in Bezug auf die Erlösungsgeschichte verwendet werden. Diese Allegorie sei eine „Stilform“ 346 Nach Benjamin aber begann Goethe seit Wahlverwandtschaft dieser Symbolkonzeption entgegenzutreten, die als „eine Wende“ zu bezeichnen ist (GS I/1, 165, Vgl. S. Kramer, Walter Benjamin zur Einführung, Hamburg 2010, 52ff.). 347 Über die Allegorie bei Benjamin, Suk Won Lim, Die Allegorie ist die Armatur der Moderne. Zum Wechselverhältnis von Allegoriebegriff und Medientheorie bei Walter Benjamin, Würzburg 2011, 32-94.
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des Trauerspiels. „Das ist der Kern der allegorischen Betrachtung, der barocken, weltlichen Exposition der Geschichte als Leidensgeschichte der Welt; bedeutend ist sie nur in den Stationen ihres Verfalls (GS I/1, 343). Für Benjamin ist die Melancholie eine Grundstimmung, die der in sich abgeschlossenen Geschichte zugrunde liegt. Für den Melancholiker ist die Geschichte nur die ewige Wiederholung des natürlichen Geschehens. Leo Armenius von Andreas Gryphius ist Benjamin ein sehr wichtiges Stück für die Erklärung der allegorischen Struktur des barocken Trauerspiels.348 In diesem Stück bildet die Auseinandersetzung um die Macht einen Schwerpunkt. Leo, der Kaiser besteht darauf, dass die Macht von Gott garantiert wird. Dagegen behauptet Michael Balbus, dass die Macht aus dem Volk stammt. Jeder hat einen Grund für seine Behauptung. Aber diese Begründung ist für Benjamin nur eine Täuschung, da das Recht, das einen vernünftigen bzw. theologischen Grund in sich zu haben und dadurch legitimiert zu werden scheint, nur eine „Manifestation“ der Gewalt ist.349 Vor diesem mythischen Grund des Rechts kann der Melancholiker nicht handeln, da er ahnt, dass die Handlung nur in die Kette der kausalen Naturgeschehnisse verwickelt wird. Die Melancholie, die aus der Anschauung der Kette der Dinge stammt, kann nur in der Form der Allegorie dargestellt werden. Die ewige Wiederholung der Naturgeschehnisse findet im reflexiven Gegensatz statt. Wie die „verkehrte Welt“ von Hegel, stellt dieser Gegensatz der Geschehnisse nur die Reflexivität der Selbstdopplung des Gleichen dar. Die beiden, die im Gegensatz stehen, unterscheiden sich voneinander. Aber das eine geht in das andere, d.h. das eine verweist auf das andere, obwohl die beiden keinen inhaltlichen Zusammenhang aufweisen. Dieser reflexive Verweis ist die Form der Allegorie.
348 Zur Rezeptionsgeschichte des Trauerspielbuches in der Barock-Forschung, K. Garber, Rezeption und Rettung. Drei Studien zu Walter Benjamin, Tübingen 1987, 59-81. 349 In der Kritik der Gewalt vertritt Benjamin die These, dass die Gewalt nicht als ein bloßes Mittel zur Erhaltung der rechtlichen Idee funktioniere. Vielmehr sei das Recht ein bloßes Mittel für die Manifestation der Gewalt (GS I/2, 196). Diese Geschlossenheit der Geschichte, in der diese Manifestation der Gewalt stattfindet, basiert auf seiner Trennung der Geschichte des Rechts von der Gerechtigkeit, die von Benjamin als „göttlich“ zu bezeichnen ist. Diese Geschlossenheit ist der Hauptgegenstand seiner dekonstruierende Kritik von Derrida an der Kritik der Gewalt (Chr. Menke, „Für eine Politik der Dekonstruktion. Jacques Derrida über Recht und Gerechtigkeit“, in: Gewalt und Gerechtigkeit. Derrida-Benjamin, hg. von A. Haverkamp, Frankfurt am Main 1994, 283f.).
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Leo, der das Recht zu erhalten versucht, wird gegen Michael, der geplant hat, ihn zu ermorden, als Märtyrer dargestellt. Für Michael aber ist Leo ein bloßer Tyrann. Die Vorstellung vom Märtyrer und die vom Tyrannen stehen im Gegensatz. Aber die beiden übergehen ineinander: Die eine verweist auf die andere; die beiden machen eine allegorische Reflexivität aus. Dieser allegorische Verweis konturiert die ewige Wiederkehr des Gleichen. Michael, der gegen den Tyrann das neue Recht gesetzt hat, das auf der Volkssouveränität basieren soll, wird im Stück als ein Tyrann angedeutet. Michael ist auch ein Opfer dieser allegorischen Reflexivität des „Schicksals“. In der Kritik der Gewalt stellt Benjamin den Gegensatz zwischen der rechtsetzenden und der rechtserhaltenden Gewalt dar: Die beiden scheinen im Gegensatz zu stehen: Ihre Legitimation beruht auf dem „Wissen um gut und böse“, das Benjamin als „satanisch“ bezeichnet, da dieses Wissen die unendliche Kette der „Manifestation“ der Gewalt fördert (GS 1/2, 152): In der Tat aber gehen die beiden ineinander über. Die beiden unterscheiden sich voneinander. Aber diese Unterscheidung ist bloß eine Täuschung. Diese unendliche Übergangskette ist die bloße „Manifestation“ der Gewalt, die sich entzweit und sich in dieser Entgegensetzungsform erhält. Die Gewalt reproduziert sich in der allegorischen Entgegensetzung. Dem melancholischen Charakter, der im Trauerspiel dargestellt wird, schreibt Benjamin, wie Hegel, nicht „die Antithese zwischen Herrschermacht und Herrschvermögen“ (GS I/1, 250) zu. Der Charakter als solcher ist in sich nicht widersprüchlich. Er könne „einzig auf dem Grund der Lehre von der Souveränität“ erklärt werden, die Benjamin von Schmitt übernommen hat (ebd.). Die Souveränität des Fürsten (Leo) liegt darin, dass er „die Entscheidung über den Ausnahmezustand“ treffen kann. Aber seine melancholische Anschauung über die Naturgeschichte bringt ihn zur Verzweiflung, die als „die Entschlußunfähigkeit des Tyrannen“ erscheint. Die melancholische Anschauung wird in der Form der Allegorie dargestellt, zu der das Trauerspiel gehört. Wenn die Allegorie die Darstellungsform der unendlichen Kette in der Naturgeschichte als Wiederholung des Gleichen gilt, unterscheidet Benjamin sie von der „Allegorie der Allegorie“350. Die erste Allegorie ist die Strukturierungsform des Dramas. Dage350 B. Lindner, „Allegorie“, in: Benjamins Begriffe. Erster Band, hg. Von M. Opitz und E. Wizisla, Frankfurt am Main 2000, I 61. Diese Konzeption der „Allegorie der Allegorie“ ist als „Umschlags der Allegorien in Symbol“ zu verstehen. Diesen dialektischen Umschlagskonzeption hat Benjamin von der Warburgs-Schule übernommen (W. Bock, Walter Benjamin – Die Rettung der Nacht. Sterne, Melancholie und Messianismus, Bielefeld 2000, 96ff.).
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gen ist die zweite Allegorie ein Umschwung von dieser allegorischen Reflexivität der Naturgeschichte. Die Naturgeschichte als solche, die im Trauerspiel dargestellt wird, ist eine Allegorie, die auf ein anderes verweist, das nichts anderes als die Erlösung bedeutet, die Benjamin nur theologisch begründet. Die Allegorie als ein satanisches Wissen und ihre Ausdrucksform gewinnt ihre neue Bedeutung durch die ihr eigene „Dialektik“: „Als Wissen führt der Trieb in den leeren Abgrund des Bösen hinab, um dort der Unendlichkeit sich zu versichern. … Vor allem herrscht dabei der Gegensatz.“ (GS I/1, 404). Die toten Dinge, die mit Schuld verurteilt sind, sind Allegorie sowohl für den satanischen Naturverfall, als auch für die „Auferstehung“ (GS I/1, 406). Die Melancholie bei Benjamin bleibt nicht nur die Verzweiflung an der Wirklichkeit, sondern verweist vermittels der „Allegorie der Allegorie“ auf die neue Perspektive, die sich aus der Abgeschlossenheit der Naturgeschichte eröffnet.
7.2. Benjamin und Hegel Der Gegensatz zwischen dem Symbol und der Allegorie, den Benjamin akzentuiert, konstituiert einen begriffsgeschichtlichen Hintergrund, wie Gadamer erklärt: Wenn das Symbol in der klassizistischen Tradition als die Form der Autonomie bzw. Nicht-Rationalität der Kunst konzipiert werde, stamme die Allegorie aus der rationalistischen Tradition und werde demnach abgewertet.351 Das Symbol, das Hegel nicht klassizistisch begreift, ist eine Kunstform, in der die Gestalt nicht in sich selbst die Bedeutung hat, sondern auf diese verweist. Als klassizistisches Symbol gilt für Hegel nur die klassische Kunstform. Das Symbol bei Hegel, welches, obwohl es einen inhaltlichen Zusammenhang mit der Bedeutung aufweist, dieser nicht entspricht, kann mit dem Begriff der Allegorie bei Benjamin verglichen werden.352 Die Melancholie bei Hegel ist zuerst als Verweigerung der sittlich konstruierten modernen Wirklichkeit erfasst, aus welcher die Forderung nach 351 Gadamer, a.a.O. 76-87. 352 Hegel hält die Allegorie für eine Form des Symbols. Er übernimmt die Vorstellung der Allegorie, die im 18. Jahrhundert weit verbreitet ist, nach welcher sie nur als „Personifikation“ der abstrakten Begriffe gilt, die mit der jetzt gängigen Konzeption der Allegorie nichts zu tun hat (G. Kurz, a.a.O. 60-64).
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der ästhetischen Authentizität stammt, die die vorhandene Sittlichkeit kritisiert und dekonstruiert. Wie Hegel die moderne Melancholie begreift, erfasst Benjamin auch die Melancholie als die Grundstimmung der Moderne, die nichts anderes als die Wiederkehr der mythischen Welt nach der Emanzipation aus dieser ist. Diese Melancholie ist die Trauer, die aus der Anschauung der ewigen Wiederholung der allegorischen Bewegung der Naturgeschehnisse empfunden wird, in der kein Sinn zu finden ist. Wenn die Verzweiflung an der gegenwärtigen Wirklichkeit der Ursprung der Melancholie bei den beiden Philosophen ist, findet Hegel im Symbol eine antimelancholische Möglichkeit, das die Extremität der Melancholie nicht nur lindert, sondern ihre dekonstruierende Wirkung aufnehmend eine neue Perspektive vorstellt, die nur noch ästhetisch dargestellt werden kann. Diese symbolische Melancholie bei Hegel ist eine Vereinigungsform der extremen Melancholie, die aus der westlichen Einbildungskraft gefördert wird, und der pantheistischen Weltanschauung des Orients. Die Allegorie bei Benjamin ist zuerst als eine Darstellungsform der melancholischen Anschauung konzipiert. Sie ist die „Stilform“ des Trauerspiels, die die Übergangsbewegung der im Gegensatz stehenden Extreme in ihren anderen Pol konturiert. Diese naturgeschichtliche Kette, die Benjamin als „Schicksal“ konzipiert, aber ist wie erwähnt, eine Allegorie, die auf ihren anderen Pol verweist, der nichts anderes als die „Erlösung“ bedeutet. Diese „Allegorie der Allegorie“ ist ein „Umschwung“ des Sinnes, bzw. eine „Übersetzung der Sprache der Dinge in die des Menschen“ (GS I/2, 152). Für Benjamin ist die Allegorie sowohl eine Strukturierungsform des Trauerspiels als auch seine Bedeutung. Das Werk des Trauerspiels stellt eine allegorische Bewegung der Naturgeschichte dar. Aber diese abgeschlossene Geschichte als solche bedeutet ein anderes, das nur als „Umschwung“ verstanden werden kann. Diese Allegorie ist die Sprache des Werks, das durch dieses Anders-Sprechen einen Sinn gewinnt. Für Hegel ist das Symbol die Sprache des Melancholikers, der sich durch dieses Anders-Sprechen von seiner Isolierung befreit und eine neue Perspektive vorstellt. Der melancholische Charakter bleibt in seiner Festigkeit. Aber er artikuliert sich symbolisch in seiner Festigkeit. Der Konflikt kann wegen seiner Entschiedenheit nicht geschlichtet werden. Aber in seiner Entschiedenheit versucht er sich von seiner Festigkeit zu entfernen, indem er durch die symbolische Sich-Artikulation seine Melancholie vergegenständlicht. Er bleibt einerseits in seiner Festigkeit, damit er untergeht, indem er durch das „Symbol“ seine Festigkeit ästhetisch aufhebt. Der „Ernst“ des Lebens bleibt mit dem ästhetischen Spiel in einem Spannungsverhältnis. Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
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Bei Benjamin ist die allegorische Struktur des Trauerspiels als solche, die von dem Melancholiker angeschaut wird, die Allegorie der geschlossenen Welt, die auf etwas anderes verweist. Bei Hegel ist die Struktur der modernen Tragödie melancholisch strukturiert. Die Festigkeit des Charakters veranschaulicht die geschlossene Welt, die von Hegel als „Versöhnung“ konzipiert ist.353 Diese Festigkeit bringt ihn zum Untergang, der den Konflikt zwischen der Welt und dem Ästhetischen veranschaulicht. Bei diesem spannenden Konflikt fungiert das Symbol als ein Medium, durch das sich der melancholische Charakter artikuliert. Die melancholische Anschauung bringt die Geschlossenheit der (rationalisierten) Welt zu Tage. Die Allegorie (Benjamin) oder das Symbol (Hegel) verweist durch das Anders-Reden auf eine andere Perspektive, unter welcher diese Geschlossenheit aufgehoben werden soll. Dieses Spannungsverhältnis zwischen der Melancholie bzw. dem von ihr angeschauten Weltbild und der ästhetischen Form (Allegorie oder Symbol) bildet die Bestimmung des Trauerspiels (Benjamin) bzw. der modernen Tragödie (Hegel).
7.3. Abschluss Hegel interessiert sich in den Berliner Vorlesungen über die Ästhetik nicht mehr für den „Abschied“ vom Charakter in der modernen Tragödie, als er den von Antigone in der Phänomenologie des Geistes behandelt hat. Der „Abschied“ von Antigone ermöglicht es Hegel, den Entstehungsprozess der modernen Subjektivität zu konstruieren. Dieser Abschied ist eine „Wiederkehr“ des „Geistes“354. Aber der „Abschied“ in der modernen Tragödie bleibt ein „Abschied“, dem nicht mehr geschichtsphilosophisch ein Sinn zugeschrieben werden kann. Seine systematische Philosophie ermöglicht den „Abschied“ ohne „Wiederkehr“, da dieser „Abschied“ nicht mehr als die bestimmte Negation begrifflich zu konzipieren ist, durch welche eine neue Form des Geistes konstruiert werden kann. Die Melancholie, die den „Abschied“ verursacht, ist eine ästhetische Haltung, die sich dem System der Philosophie entgegensetzt. Diese Entgegensetzung wird durch eine ästhetische Form kompensiert. Das Symbol
353 E. Rózsa, a.a.O. 354 Dazu, K. H. Bohrer, Der Abschied. Theorie der Trauer: Goethe, Baudelaire, Nietzsche, Benjamin, Frankfurt am Main 1996. 9ff.
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funktioniert als ein „Schadenersatz“. Damit wird die Melancholie gerechtfertigt. Das Spannungsverhältnis der Melancholie und des Symbols bietet eine systemkritische, aber eine Sinn stiftende Perspektive. Diese ästhetische Perspektive, die aus der symbolischen Melancholie in der Tragödie herrührt, kann „keine normativen Gesichtspunkte“ für die Lösung der Tragik bieten, die nur „ethische Reflexivität“ zu stellen versuchen kann (TiS, 301). Nach Menke versucht Hegel „die Idee eines Guten jenseits von Wohl und Recht“ zu konstruieren, die wir in der Rechtsphilosophie finden. Diese Inklusivität des Guten, in der die Symmetrie der Gerechtigkeit und des Guten garantiert ist, aber ist ein Versuch, „Erfahrung des Unmöglichen“355 begrifflich zu erfassen, der oft der Kritik unterzogen wird.356 Es ist schwierig, diese Symmetrie auf dem normativen Gesichtspunkt zu konstruieren. In diesem Sinne bietet die ästhetische Perspektive einen freien Spielraum für die Reflexion über dieses Problem, ohne dass diese in eine Systematik verwickelt wird. Diese Perspektive wird durch die Eigenständigkeit der modernen Kunst begründet. Wir haben die Eigenständigkeit der modernen Kunst bei Hegel durch die Bestimmung der modernen Tragödie rekonstruiert. Diese Bestimmung kann einerseits von der Kompensationstheorie der Kunst, die die negative Wirklichkeit rechtfertigt und ihre Negativität ästhetisch entschädigt, andererseits von der Souveränitätstheorie, die die negative Wirklichkeit als solche kritisiert, unterschieden werden. Die Bestimmung der modernen Tragödie zeigt, dass in der Wirklichkeit, die durch die rationalistische Vernunft konstruiert ist, der individuelle Anspruch auf die Authentizität nicht vollständig realisiert ist. Diese Unvollständigkeit der Artikulation der individuellen Freiheit bildet die ästhetische Melancholie, die die Quelle der ästhetischen Tragik in der Moderne ist. Außer dieser melancholischen Perspektive, die die negative Wirklichkeit kritisiert bzw. die Lücke der Versöhnung in der „Sittlichkeit“ veranschaulicht, zeigt die moderne Tragödie eine andere, die durch das „Symbol“ eröffnet wird, das zeigt, dass diese Lücke überwunden werden muss. Es stellt die pantheistische Weltanschauung dar, die der melancholischen gegenübersteht. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Melancholie und Symbol besagt, dass die moderne Kunst die negative Wirklichkeit nicht bloß entschädigt und damit nicht rechtfertigt. Die moderne Kunst ist auch nicht souverän, da ihre Melancholie insofern 355 J. Derrida, Gesetzeskraft. Der »mystische Grund der Autorität«. Aus dem Französischen von A. G. Düttmann, Frankfurt am Main 1991, 31. 356 Z. B. J. Habermas, „Kulturelle Gleichbehandlung und die Grenzen des Postmodernen Liberalismus“, in: Zwischen Naturalismus und Religion, 279-323.
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besteht, als die negative Wirklichkeit fortbesteht, die die Vernunft konstruiert. Das Symbol bietet einen Verbesserungsvorschlag gegenüber der Vernunft, indem die Melancholie ihre Lücke veranschaulicht.
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REGISTER
Abraham 23, 24, 25, 72, 73, 76, 77, 87, 119, 124, 125, 126, 195 Allegorie 27, 201, 202, 204, 213, 214, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 232, 235 Anerkennung 15, 22, 102, 105, 112, 138, 142, 146, 151, 155, 179, 180, 181, 182, 183, 184, 188, 189, 228, 230, 234, 235 Antigone 15, 17, 19, 25, 28, 68, 69, 85, 108, 134, 135, 136, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 151, 171, 187, 196, 221, 228, 229, 233 Ästhetik 11, 12, 13, 14, 15, 19, 21, 22, 25, 26, 36, 79, 83, 87, 89, 90, 103, 109, 111, 121, 124, 137, 143, 145, 149, 150, 156, 157, 158, 163, 166, 168, 171, 180, 183, 185, 192, 196, 199, 201, 207, 208, 221, 225, 227, 228, 229, 230, 231, 232, 233, 236 Aussöhnung 28 Authentizität 19, 25, 26, 27, 28, 149, 151, 157, 176, 177, 178, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 188, 189, 190, 191, 192, 195, 196, 206, 213, 220, 222
Ende der Kunst 11, 13, 14, 15, 19, 21, 28, 158, 162, 163, 164, 165, 229, 231, 232 entgötterte Individuum 167, 191, 199 Entgötterung 191, 199, 206, 213 entwicklungsgeschichtlich 16, 28, 29, 64, 96, 111, 153, 229
Böse 25, 26, 28, 127, 130, 131, 146, 147, 196, 197, 219, 227, 228, 230
Macbeth 24, 25, 81, 86, 87, 89, 90, 119, 124, 129, 192, 195, 197, 206 Melancholie 21, 23, 25, 26, 27, 28, 33, 34, 39, 87, 113, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 124, 126, 127, 128, 130, 131, 171, 193, 194, 195, 196, 197, 198, 199, 204, 205, 206, 207, 208, 210, 211, 213, 214, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 227, 228, 232, 234, 235
Dialektik 12, 23, 28, 36, 69, 91, 95, 96, 97, 107, 111, 112, 113, 125, 130, 207, 208, 219, 227, 229, 231, 232 Eigenständigkeit 15, 25, 27, 28, 94, 150, 153, 158, 162, 166, 167, 169, 171, 176, 184, 222
Formalismus 112, 191, 192, 205, 211 Gerechtigkeit 18, 78, 97, 104, 105, 106, 107, 108, 110, 112, 133, 135, 143, 149, 150, 151, 172, 217, 222, 232 Hamlet 120, 173, 178, 192, 195, 206, 210, 211, 234 Ironie 21, 22, 26, 147, 198, 199, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 216, 227, 228, 235 Kompensationsthese 167 Leiden 16, 31, 34, 35, 36, 38, 39, 50, 67, 78, 92, 105, 130, 136, 159, 172, 186, 192, 217, 230
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REGISTER
Metapher 199, 201, 202, 203, 204, 205, 232 Moderne 1, 13, 14, 15, 17, 18, 20, 21, 22, 24, 25, 26, 27, 28, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 50, 55, 58, 63, 64, 65, 69, 72, 76, 77, 80, 84, 89, 90, 91, 92, 94, 95, 99, 101, 102, 103, 108, 110, 113, 114, 115, 117, 120, 123, 124, 126, 127, 128, 130, 131, 133, 136, 149, 150, 152, 154, 156, 157, 158, 159, 165, 166, 171, 172, 173, 175, 176, 179, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 189, 191, 192, 193, 196, 197, 198, 199, 202, 203, 204, 207, 208, 209, 211, 214, 216, 220, 222, 227, 228, 229, 230, 232, 233, 235, 236 pantheistisch 26, 27, 201, 202, 203, 206, 207, 220, 222 phänomenologisch 12, 28, 29 Rechtsphilosophie 15, 17, 26, 129, 147, 149, 150, 151, 155, 159, 160, 176, 177, 178, 179, 180, 184, 185, 186, 187, 189, 193, 197, 222, 226, 230, 233, 234 Säkularisierung 25, 124, 127, 159, 173, 191, 198 Schicksal 16, 19, 24, 42, 50, 52, 70, 71, 72, 73, 74, 76, 77, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 95, 98, 101, 102, 104, 105, 106, 107, 110, 119, 121, 123, 138, 145, 157, 172, 173, 190, 192, 215, 218, 220, 233 Shakespeare 19, 20, 21, 23, 71, 72, 81, 85, 86, 89, 173, 174, 197, 198, 206, 211, 214, 227, 234 Souveränitätsthese 167 Strafe 52, 77, 78, 81, 82, 86, 104, 105, 106, 107, 110, 112, 133, 140, 172, 188, 233 Symbol 1, 11, 26, 27, 28, 33, 145, 154, 170, 184, 198, 199, 200, 201,
202, 203, 204, 206, 207, 213, 216, 218, 219, 220, 221, 222, 226, 232, 233, 234, 235 symbolisch 11, 12, 26, 182, 199, 200, 201, 202, 204, 205, 206, 207, 210, 211, 215, 216, 220, 222, 232 symbolische Kunstform 11, 182 Systematik 11, 12, 15, 27, 28, 222, 229 systemtheoretisch 18, 28, 29, 176, 188, 189, 190 Tragik 16, 17, 18, 19, 20, 22, 25, 26, 27, 45, 61, 95, 101, 103, 113, 133, 143, 149, 157, 172, 173, 174, 175, 176, 178, 179, 180, 182, 183, 184, 185, 189, 190, 191, 193, 196, 198, 209, 214, 222, 229, 236 Tragödie 11, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 42, 43, 44, 45, 46, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 56, 58, 59, 60, 61, 63, 64, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 77, 79, 80, 81, 82, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 106, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 119, 120, 121, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 146, 148, 149, 150, 152, 156, 159, 162, 165, 167, 170, 171, 172, 173, 174, 176, 179, 181, 182, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 193, 194, 195, 197, 198, 199, 202, 207, 210, 213, 214, 215, 221, 222, 227, 232, 233, 234, 235 Trauer 16, 23, 27, 75, 85, 86, 110, 118, 126, 171, 194, 213, 214, 215, 217, 218, 220, 221, 227, 232, 234, 235 Verbrechen 23, 25, 50, 52, 77, 78, 79, 81, 82, 89, 100, 105, 106, 107,
Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0
REGISTER
112, 122, 127, 129, 145, 172, 188, 192, 196, 197 Versöhnung 20, 22, 27, 71, 76, 77, 78, 79, 80, 82, 85, 87, 91, 92, 93, 94, 95, 100, 115, 127, 135, 145, 146, 147, 148, 151, 171, 173, 175, 178, 180, 185, 190, 214, 221, 222, 234
239
Wallenstein 24, 90, 114, 115, 118, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 192, 195, 211, 227, 228, 230
Chang Oh Cho - 978-3-8467-5771-0