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German Pages 368 Year 2007
Iannelli Das Siegel der Moderne
Francesca Iannelli, Francesca Iannelli, and Francesca Ianelli 978-3-8467-4424-6
HEGELFORUM
herausgegeben von ANNEMARIE GETHMANN-SIEFERT ELISABETH WEISSER-LOHMANN
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Francesca Iannelli
Das Siegel der Moderne Hegels Bestimmung des Hässlichen in den Vorlesungen zur Ästhetik und die Rezeption bei den Hegelianern
Wilhelm Fink Verlag Francesca Iannelli, Francesca Iannelli, and Francesca Ianelli 978-3-8467-4424-6
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INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG.................................................................................................. 13 1.
DIE BESTIMMUNG DES KUNSTSCHÖNEN UND DES IDEALS – DER ALTERNATIVE ANSATZ DER ÄSTHETIK BEI HEGEL UND HOTHO ALS GRUNDLAGE DER STELLUNGNAHME ZUM HÄSSLICHEN ............................................................................. 37
1.1
Hegels Bestimmung des Kunstschönen und des Ideals in den Berliner Vorlesungen zur Ästhetik ......................................................... 37 Das Ideal als „Dasein“, „Existenz“ und „Lebendigkeit“ der Idee ............ 45 Das Ideal als Kunstwerk ........................................................................ 48 Die Kunstformen als geschichtliche Konkretion des Ideals und als Rechtfertigung der Vielfalt möglicher Kunstgestaltung ..................... 52 Das Ideal als Ermöglichung der nicht mehr schönen Gestalt.................. 58 Das Ideal als „sinnliches Scheinen der Idee“: Hothos Deutung des Schönen und des Ideals ......................................................................... 64 Hothos logische Fassung des Schönen: die Idee als Bereich der Kunst ... 70 Die dialektische Rekonstruktion des Schönen aus der Idee: Idee des Schönen – Naturschönes – Kunstschönes................................. 75 Die Auszeichnung des Schönen in der Hothoschen Ästhetik: Die spekulative Kunstgeschichte als Kunstrichterin ............................... 77 Ästhetischer Platonismus oder Geschichtlichkeit des Ideals? Ein Vergleich zwischen Hegel, Hotho und der Druckfassung der Ästhetik........................................................................................... 82 Fazit ...................................................................................................... 88
1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.3 1.4
2.
JENSEITS DES KLASSIZISMUS? DIE BEDEUTUNG DER SCHÖNEN KUNST IN DER „ROMANTISCHEN KUNSTFORM“ BEI HEGEL UND HOTHO ........ 89
2.1
Die Deutung der Schönheit und der schönen Kunst in der romantischen Kunstform....................................................................... 89 2.1.1 Goethes Iphigenie als schöne und zugleich auf Reflexion angelegte „moderne“ Kunst ................................................................... 92 2.1.2 Hegels Deutung des West-östlichen Divan: Schöne Kunst und objektiver Humor .................................................. 100 2.1.3 Die Umdeutung der Divan Interpretation ........................................... 113 Francesca Iannelli, Francesca Iannelli, and Francesca Ianelli 978-3-8467-4424-6
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2.2 2.3
Hothos Gedanken über Goethe als Dichter ......................................... 124 Die Bedeutung der schönen Kunst im Rahmen der romantischen Kunstform bei Hegel und Hotho: Der Geniegedanke ......................... 130
3.
DIE BESTIMMUNG DES HÄSSLICHEN BEI HEGEL UND HOTHO ................................................................................... 137
3.1
Hegels Bestimmung der Bedeutung des Häßlichen in unterschiedlichen Künsten .................................................................. 137 Die christliche Malerei als nicht-mehr-schöne ..................................... 144 Über Dissonanzen oder: Die Vorbereitung des nicht-mehr-schönen als Ausdruck des Bedeutsamen in der Musik ....................................... 157 Hegels Shakespeare Deutung: Die formelle unschöne Subjektivität ..... 161 3.1.3.1 Substantielle Subjektivität? – Julia, Miranda und Hamlet ...... 162 3.1.3.2 Die substantialitätslose Subjektivität: Macbeth, Lady Macbeth, Richard III, Othello, Margarethe, Falstaff .............. 170 Hegels Schillerinterpretation: Die Bedeutung des Häßlichen in der Poesie ........................................ 179 Hothos Bestimmung des Häßlichen .................................................... 190 Die Naturschönheit und das Häßliche ................................................ 194 Das Unschöne im Tierreich ................................................................ 196 Das Unschöne und Prosaische des geistigen Naturlebens..................... 205 3.2.3.1 Natürliches und Häßliches der menschlichen Gestalt............. 207 3.2.3.2 Das Prosaische und das Häßliche in Familie, Staat und Religion ................................................................. 213 Die „romantische Häßlichkeit“: Hotho über das Böse und das Häßliche ....................................................................................... 216 Fazit .................................................................................................... 224
3.1.1 3.1.2 3.1.3
3.1.4 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3
3.2.4 3.3
4.
DIE REZEPTION DER ÄSTHETIK UND DER STREIT UM DIE BEDEUTUNG DES HÄSSLICHEN BEI DEN HEGELIANERN ........... 227
4.1
Hegel und die Hegelianer: Ein unterschiedlicher Ansatz der Bestimmung des Häßlichen ................................................................ 227 Die Bestimmung des Häßlichen im Anschluß an Hegels Ästhetik von 1835 bzw. an die Wissenschaft der Logik ........................................ 229 Konzeptionen des Häßlichen bei den Hegelschülern und Hegelianern 232 Christian Hermann Weisse: Häßlichkeit als die in ihr Gegenteil verkehrte Schönheit ............................................................................ 232 Karl Rosenkranz: Systematische Ästhetik des Häßlichen ...................... 249 Die traditionelle Deutung des Häßlichen als Folge des Bösen und als Abschattung des Schönen bei den Hegelianern ............................... 259 Friedrich Theodor Vischer: Vom Häßlichen als Moment der Kunst zur Deutung der Häßlichkeit als Ferment der Differenzierung .. 268
4.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4
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4.4
7
4.3.4.1 Vischers Auseinandersetzung mit Heinrich Gustav Hotho: Das Häßliche als „Moment“ der Kunst .................................. 268 4.3.4.2 Der ästhetische Idealismus Vischers ....................................... 277 4.3.4.3 Die Häßlichkeit in der Malerei .............................................. 283 4.3.4.4 Die Rückkehr zum Schönen .................................................. 286 Fazit .................................................................................................... 290
5.
RÜCKBLICK UND KRITIK: DIE AKTUALITÄT DER HEGELSCHEN KONZEPTION DES HÄSSLICHEN ALS GRUNDLAGE EINER IDEOLOGIEKRITISCHEN AUSEINANDERSETZUNG MIT DEN KÜNSTEN ........................................................ 293
5.1 5.2
Vom Schönheitsideal zur nationalsozialistischen Ideologie? ................. 293 Die Aktualität der Hegelschen Ästhetik: Ein Blick auf die Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts ......................... 298
6.
ANHANG ........................................................................................... 305
6. 1. Hotho [nach Notizen von Friedrich Theodor Vischer zu Aesthetick. Vorlesungen gehalten von Heinrich Gustav Hotho in Berlin seit dem Sommersemester 1833] ............................................................... 306 6. 2. Über Goethe als Dichter. Vorlesung von PR. Hotho 1832 / 33 Nachgeschrieben von Friedrich Theodor Vischer ................................ 324
7.
BIBLIOGRAPHIE ................................................................................ 351
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INHALTSVERZEICHNIS
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VORWORT
Für die langjährige wissenschaftliche Betreuung meiner Dissertation und für die Möglichkeit, mich einem internationalen Promotionsverfahren in Deutschland und Italien zu unterziehen, danke ich den Betreuern meiner Arbeit, Professor Dr. Annemarie Gethmann-Siefert (FernUniversität in Hagen) und Professor Dr. Paolo D’Angelo (Università degli studi Roma Tre). Bei der FernUniversität in Hagen bedanke ich mich für die Förderung meiner Arbeit durch ein dreijähriges Promotions-Stipendium (1999-2002). Danken möchte ich auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die mir eine Mitarbeit am Forschungsprojekt „Ästhetik und spekulative Kunstgeschichte. Philosophische Grundlagen der Kunstgeschichte als historischer Wissenschaft im Hegelianismus“ zusammen mit Frau Dr. Bernadette Collenberg-Plotnikov unter der Leitung von Frau Professor Dr. A. GethmannSiefert ermöglicht hat. Im Rahmen dieses Projektes wurden die im Anhang der vorliegenden Arbeit mitgeteilten Editionen von Manuskripten Friedrich Theodor Vischers erarbeitet. Besonders danke ich der Kommission für die Verleihung des Lucio Colletti Preises, namentlich dem Abgeordneten Ferdinando Adornato (Vorsitzender der Kommission Kultur, Wissenschaft, Bildung der italienischen Abgeordnetenkammer und der Kommission für die Preisverleihung), Professor Giuseppe Bedeschi und Professor Carlo Cellucci, die mich am 16. 11. 2005 im Saal der Königin der Abgeordnetenkammer in Rom mit dem Lucio Colletti Preis 2004 ausgezeichnet haben. Weiterhin danke ich Professor Remo Bodei und Professor Umberto Curi für die besondere Erwähnung, die meiner Dissertation im Rahmen des Premio di Filosofia „Viaggio a Siracusa“ 6. Edition 2005 verliehen haben. Frau Dr. Elisabetta Hofelich und Herrn Dr. Friedmar Hofelich danke ich für die unermüdliche Hilfe bei der Transkription und Interpretation der VischerManuskripte. Ohne ihre sachkundige Hilfe wäre mir diese Arbeit nur schwer möglich gewesen. Für die Korrektur und sprachliche Überarbeitung meiner Dissertation leisteten mir Frau Maria Böhmer, Herr M.A. Karsten Berr, meine Freundin Frau Anja Exner und Frau Rosemarie Pößnecker wertvolle Hilfe; auch ihnen sage ich herzlichen Dank ebenso wie den Mitarbeitern des Lehrgebiets Philosophie III der FernUniversität in Hagen, hier insbesondere Frau Dr. Elisabeth Weisser-Lohmann für Ratschläge, Empfehlungen und unermüdliche konstruktive Kritik. Bei der Suche der Quellen waren mir die Mitarbeiter des Hegel-Archivs der Ruhruniversität Bochum, des Tübinger Universitätsarchivs, des Marbacher Schiller Nationalmuseums sowie Professor Monika Schmitz-Emans in außerordentlich zuvorkommender Weise behilflich. Ihnen möchte ich herzlich danken, ebenso wie Herrn Professor Dr. Otto Pöggeler, dem vormaligen Direktor des
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VORWORT
Hegel-Archivs und dem derzeitigen Direktor, Herrn Professor Dr. Walter Jaeschke. Bei Herrn Professor Dr. Francesco Valentini (Rom) möchte ich mich für viele informative Gespräche und Hinweise bedanken und nicht zuletzt dafür, daß er während meiner Studienzeit (1991-1997) an der Università degli Studi di Roma La Sapienza mein Interesse an der Hegelschen Philosophie geweckt hat. Nicht zuletzt danke ich meiner Mutter, Fiorella Iannelli, herzlich für alle die Hilfe, die sie mir im Laufe dieser Jahre hat zuteil werden lassen. Besonders dankbar bin ich für die beharrliche Ermutigung, trotz aller Schwierigkeiten nie aufzugeben. Diese Arbeit widme ich meiner Familie und meinen Freunden, und alle denen, die daran geglaubt haben, daß ich diese Herausforderung bewältigen kann. Rom, im Februar 2007
Francesca Iannelli
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VORWORT
„Eine Ästhetik des Häßlichen? und warum nicht?“ Karl Rosenkranz, Ästhetik des Häßlichen
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EINLEITUNG
Die edierte Ästhetik oder die Vorlesungsquellen? Auf der Suche nach Hegels Konzeption des Häßlichen. Warum nicht eine Ästhetik des Häßlichen? Mit dieser Frage beginnt Karl Rosenkranz im Jahr 1853 seine Aesthetik des Häßlichen. Es ist eine Frage, die wir uns heute höchstwahrscheinlich nicht mehr stellen in Anbetracht dessen, daß die Kunst unserer Zeit durch das Zerbrechen oder den Verzicht auf traditionelle 1 Formen, insbesondere das Schöne oder Harmonische, geprägt ist . Die Akzeptanz des Häßlichen ist heute schlicht selbstverständlich. Trotzdem ist es fast unvermeidlich, daß eine Forschungsarbeit über das Häßliche auf einige Überraschung stoßen wird, wenn sie zum Gegenstand nicht die Ästhetik von Philosophen der Gegenwart wie Theodor W. Adorno oder Arthur C. Danto, sondern vielmehr die ästhetische Philosophie des Deutschen Idealismus und insbesondere die Ästhetik des angeblich „klassizistischen“ und in Sachen Kunst für reaktionär gehaltenen Philosophen Hegel hat. Die Möglichkeit, in Hegels systematischer „Ästhetik oder Philosophie der Kunst“ die Ansätze zu einer Theorie des Häßlichen zu finden, ist bislang eigentlich kaum in Betracht gezogen worden. Die Vernachlässigung des Häßlichen resultiert letztlich – das soll im Zuge dieser Arbeit nachgewiesen werden – aus der Beschäftigung mit einer bis vor einigen Jahrzehnten einzig bekannten Version der Hegelschen Ästhetik, nämlich der von Heinrich Gustav Hotho 1835-38 bzw. in zweiter Auflage ab 1842 herausgegebenen Druckfassung der Ästhetik. Erst die Forschungen der letzten Jahre haben zu dem Ergebnis geführt, daß diese Textgrundlage in vielen Einzelfragen zu Mißdeutungen der Hegelschen Überlegungen führt. Die Auseinandersetzung mit den Quellen zur gedruckten Ästhetik, nämlich den wenigen Notizen, die von Hegels Hand erhalten sind, und einer ganzen Reihe von Vorlesungsmitschriften und Vorlesungsnachschriften seiner Berliner Ästhetikvorlesungen hat gezeigt, daß Hegel in diesen Vorlesungen eine erheblich von der Druckfassung seiner Ästhetik unterschiedene Konzeption der Philosophie der Kunst vorgetragen hat. Hegel ist von der systematischen Grundlage seiner Enzyklopädie ausgegangen und hat in den Vorlesungen die philosophische Bestimmung der Kunst durch eine Diskussion des Phänomens, der einzelnen Kunstwerke durch eine Bestimmung ihrer geschichtlichen Bedeutung und 01 Über die Krise der Formen im 20. Jahrhundert als Resultat einer neuen Bestimmung der Form zwischen 1700 und 1800, besonders dank Goya, Goethe und Hegel, informiert die Arbeit von Dino Formaggio: Forma, paradigma, trans-morfosi. In: Problemi di Estetica. Palermo 1991. S. 193-207.
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EINLEITUNG
durch eine Konzeption des Ideals dargestellt, die die geschichtliche Entwicklung der Künste und der künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten erschließt. In diesen Vorlesungen entwickelt er für die Kunst in der modernen Welt auch eine Recht2 fertigung des Häßlichen. Im Gegensatz zu Hegel vertritt und verbreitet Hotho nämlich in der von ihm 1835-38 bzw. ab 1842 publizierten Ästhetik – Bezug nehmend auf die schöne 3 Kunst des klassischen Altertums – prinzipiell eine klassizistische Ästhetik und läßt die erhabene, die charakteristische und die häßliche Kunst weitestgehend außer Acht. Es ist also unmöglich, sowohl die Thematik des Häßlichen überhaupt als auch die einzelnen Aspekte, die Hegel in den unterschiedlichen Vorlesungsjahrgängen von 1820/21 bis 1828/29 entwickelt hat, ausschließlich anhand der edierten Fassung der Ästhetik zu untersuchen. Insgesamt vier Mal (1820/21-1823-1826-1828/29) las Hegel in Berlin über 4 die Ästhetik. Semester für Semester modifizierte und entwickelte er seine Vorlesungen über die Philosophie der Kunst weiter. Er hatte zwar früh die Absicht, seine Ästhetik, die er nach und nach immer differenzierter ausarbeitete zu veröffentlichen, kam aber nie zu einer gesamten und vollständigen Überarbeitung. Schon 1821 schrieb Hegel an Creuzer, daß er sein ganzes Material zur Ästhetik 5 überarbeite und demnächst zum Druck geben möchte. Die Entwicklung der Ästhetik in den drei auf die erste Berliner Vorlesung (1820/21) folgenden Kolle02 Dies wurde im Blick auf die von Hegel bestimmte Funktion der Kunst in der menschlichen Kultur im Zusammenhang bei Annemarie Gethmann-Siefert dargestellt: Die Funktion der Kunst in der Geschichte. Überlegungen zu Hegels Ästhetik. Bonn 1984 (Hegel-Studien. Beiheft 25). Vgl. auch dies.: Einführung in Hegels Ästhetik. Studienbrief der FernUniversität Hagen und Buchpublikation München: Wilhelm Fink Verlag 2005. Zum Häßlichen vgl. insbesondere dies.: Hegel über das Häßliche in der Kunst. In: Hegels Ästhetik. Die Kunst der Politik – Die Politik der Kunst. Zweiter Teil. Hrsg. von Andreas Arndt, Karol Bal, Henning Ottmann [= Hegel-Jahrbuch 2000]. S. 21-41. Eine umfangreiche Version dieses Artikels ist in den Hagener Universitätsreden. Bd. 25. Hagen 1999 erschienen; zur Bedeutung der Enzyklopädie als der systematischen Grundlage der Ästhetik vgl. dies.: Die Kunst (§§ 556-563). Hegels systematische Begründung der Geschichtlichkeit der Kunst. In: Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830). Ein Kommentar zum Systemgrundriß von Hermann Drüe, Annemarie Gethmann-Siefert, Christa Hackenesch, Walter Jaeschke, Wolfgang Neuser und Herbert Schnädelbach. Frankfurt am Main 2000. S. 317-374. 03 Dieser klassizistische Standpunkt Heinrich Gustav Hothos ist auch in den Vorstudien für Leben und Kunst zu finden, die er 1835, parallel zu seiner Arbeit an Hegels Ästhetik (1835/38), veröffentlichte. Vgl. zum Beispiel: „[...] die Kunst der Griechen ist und bleibt nun einmal als Kunst die einzig in sich vollendete“. (H. G. Hotho: Vorstudien für Leben und Kunst. Stuttgart und Tübingen 1835. S. 198 [Eine Neuedition wurde hrsg. von Bernadette Collenberg-Plotnikov. Stuttgart-Bad Cannstatt 2002]). 04 Über das Vorlesungszeugnis des ersten Kollegs vgl. Helmut Schneider: Eine Nachschrift der Vorlesung Hegels über Ästhetik im Wintersemester 1820/21. In: Hegel-Studien. Bd. 26. Bonn 1991. S. 89-92. Über die weiteren Kollegien siehe A. Gethmann-Siefert: Ästhetik oder Philosophie der Kunst. Die Nachschriften und Zeugnisse zu Hegels Berliner Vorlesungen. In: Hegel-Studien. Bd. 26. Bonn 1991. S. 92-110. 05 So lässt sich aus dem Entwurf eines Briefes von Hegel an Creuzer Ende Mai 1821 entnehmen; 3 vgl. Briefe von und an Hegel. Hrsg. von J. Hoffmeister und F. Nicolin. 4 Bde. Hamburg 19691981 (im Folgenden zit.: Briefe. Band- und Seitenzahl); hier Bd. 2. S. 266.
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EINLEITUNG
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gien zeigt aber, daß Hegel zu dieser Zeit noch weit von einer Vollendung der Philosophie der Kunst entfernt war. 1831 starb Hegel plötzlich, ohne seine Berliner Überlegungen über die Philosophie der Religion, die Geschichte der Philosophie, die Weltgeschichte und die Philosophie der Kunst, die er in seinen Vorlesungen während seiner letzten zehn Lebensjahre Jahr für Jahr fortentwickelt hatte, veröffentlicht zu haben. Die Aufgabe der Publikation dieser Vorlesungen übernahmen einige Schüler Hegels, die sich zu einem Verein der Freunde des Verewigten zusammenschlossen. Im Rahmen dieser Freundesvereinsausgabe übernahm Heinrich Gustav Hotho die Aufgabe, Hegels Ästhetik herauszugeben. Jedoch können weder die erste (von 1835-38) noch die zweite Auflage (von 1842) der von ihm publizierten Ästhetik als kritische Ausgaben bezeichnet werden. Diese Kritik trifft auch die anderen Berliner Vorlesungen Hegels, die von anderen Schülern Hegels ediert wurden. Nicht editorische Genauigkeit und Präzision, sondern eine eindeutige, lesbare, leicht verständliche und vor allem für alle zugängliche Präsentation der Philosophie ihres Lehrers wurde von den Mitgliedern des Vereins der Freunde angestrebt, um die Hegelsche Philosophie – besonders gegen die konkurrierende Philosophie Schellings – in der akademischen und nicht-akademischen Welt zu verbreiten. Von daher war klar, daß ein geschlossenes Ganzes – und nicht der vorsichtig abwägende und sich auch manchmal revidierende mündliche Vortrag Hegels in den Vorlesungen – durch die Ausgabe der Ästhetik der Nachwelt überliefert werden sollte. Hothos 6 Arbeit ist stark durch diese Intention des Vereins der Freunde geprägt und nicht durch die eines treu gesinnten Restaurators, wie er sich selbst in der Vorrede zur ersten Auflage charakterisiert. Ganz im Gegensatz zu dieser Behauptung größter Originaltreue in der Bearbeitung der Hegelschen Gedanken ergänzte Hotho, dem nur wenig Material zur Ästhetik aus der Feder Hegels zur Verfügung stand, das zu größten Teilen skizzenhafte und immer wieder überarbeitete Manuskript seines Lehrers durch die Mitschriften der Studenten aus den Vorlesungen, die zudem verschiedenen Jahrgängen (1820/21, 1823, 1826, 1828/29) zuzuordnen sind. Durch die Druckfassung der Ästhetik wird es gegenwärtig unmöglich gemacht, die chronologische Entwicklung von Hegels Konzeption der Philosophie der Kunst zu rekonstruieren und die Überlegungen, die ihn zu Änderungen motiviert haben, nachzuvollziehen. Hinzu kommt, daß häufig ästhetische Urteile zu einzelnen Kunstwerken aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen wurden und in anderem Zusammenhang wiedererscheinen, wo sie eine völlig andere Bedeu06 Hotho hatte vor, wie er selbst 1835 im Vorwort zur ersten Auflage erklärt, einen nicht so sehr philologisch begründeten Text als vielmehr ein klares und leicht lesbares Buch zu schreiben, das den Geschmack der Zeitgenossen treffen könne: G. W. F. Hegel: Sämtliche Werke. Faksimile. Neu hrsg. von H. Glockner. Zwölfter Band. Vorlesungen über die Ästhetik. Bd. I. Mit einem Vorwort von H. G. Hotho. Stuttgart-Bad Cannstatt 1971. S. 9. Das Vorwort Hothos, das er 1835 bzw. 1842 der ersten und zweiten Auflage der Ästhetik beigegeben hatte, ist ohne genaueres Zusehen häufig wieder abgedruckt worden; siehe G. W. F. Hegel: Einleitung in die Ästhetik. Mit den beiden Vorreden von Heinrich Gustav Hotho. Hrsg. von W. Henckmann. 2. neubearbeitete Auflage. München: Fink 1985. S. 9.
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EINLEITUNG
tung erhalten. Häufig hat Hotho sogar die Reihe der von Hegel gewählten Beispiele erweitert und ergänzt und so den exemplarischen Wert der Auseinandersetzung mit eigens hervorgehobenen Kunstwerken verfälscht, wenn er nicht sogar 7 seine eigene Beurteilung an die Stelle der Hegelschen setzt. Trotz vieler Kunsturteile, die nicht Hegel zugeschrieben werden können, wurde die Arbeit Hothos von seinen Zeitgenossen als sehr gelungen gelobt, wie die Rezension der Ästhetik, die Karl Rosenkranz 1836 in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik veröffentlichte, belegt. Bezeichnenderweise stammt dieses scheinbar äußerst kompetente Urteil von einem Hegelschüler, der nicht die Vorlesung gehört, wohl aber die Materialfülle gesehen hat, die Hotho der Bearbeitung zugrunde legte. So schreibt Rosenkranz: „Auf das dankbarste will ich noch erwähnen, was mein Freund Hotho für diese Vorlesungen gethan hat. (...) Auch bin Ich insofern kein competenter Richter, als ich nicht selbst Hegels Zuhörer gewesen bin. Ich hatte aber Gelegenheit, vor drei Jahren in Berlin das Material zu sehen, aus welchem diese so schön stylisirte, so wohl verkettete Arbeit hervorgegangen ist. Ohne die Hefte, welche sorglich von emsigen Zuhörern nachgeschrieben und an Hotho freundlich mitgetheilt wurden, ohne seine eigene Nachschrift dürfte freilich das Unternehmen unmöglich gewesen sein. Ein derber Stoss Folioblätter von verschiedener Größe lag vor ihm. Hier war eine Seite hindurch die geläufigste Entwicklung. Plötzlich brach sie ab. Es folgten fragmentarische Sätze, einzelne nur durch Buchstaben zusammengeheftete Worte (...) Es war die reizendste, geistvollste, ahnungsreichste Verwirrung. Aber welch‘ eine aufopfernde, mühselige Arbeit, diese disjecti membra poetae zu einem so organischen Ganzen zusammenzubringen, daß nichts verloren ging, daß das Schleppende der privaten Wiederholung vermieden wurde, und daß Hegel dennoch sich selbst in Anordnung und Ausdruck bis auf das Kleinste hin anerkennen müsste, wobei nur nicht zu vergessen, was Hotho auch einschärft, daß Hegel nicht so schrieb, wie er 8 sprach!“
Auch im 20. Jahrhundert wurde die Druckfassung der Ästhetik – diesmal für ihre 9 besondere Lesbarkeit – weiter gelobt, u. a. von H.-G. Gadamer , vor allem aber bei R. Bubner, der seiner Edition der Ästhetik die Beteuerung voranschickt, Ho10 tho habe in absolut zuverlässiger Originaltreue Hegels Ästhetik vollendet. Man 07 Zu dieser Verfremdung Hegelscher Gedanken in der Druckvorbereitung vgl. die Darstellung in der Einleitung zu Hothos eigener Mitschrift von 1823 bei A. Gethmann-Siefert in: G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Kunst. Berlin 1823. Nachgeschrieben von Heinrich Gustav Hotho. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert (= G.W.F. Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. 2). Hamburg 1998. Siehe besonders S. XXX ff. Auf Italienisch siehe P. D’Angelo: Simbolo e arte in Hegel. Roma-Bari 1989. S. 235-242 und ders.: Hegel e l’estetica. In: Hegel. Guida storica e critica. Roma-Bari 1992. S. 121-150. 08 K. Rosenkranz: Rezension von G. W. Fr. Hegels „Vorlesungen über die Ästhetik“. Herausgegeben von D. H. G. Hotho. Erster Band. XX. Berlin 1835. In: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. Bd. I. Januar 1836. N. I. S. 1-8; N. II. S. 9-20; hier S. 19-20. 09 Hans-Georg Gadamer: Ende der Kunst ? Von Hegels Lehre vom Vergangenheitscharakter der Kunst bis zur Antikunst von Heute. In: Ende der Kunst – Zukunft der Kunst. Hrsg. von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. München 1985. S. 16-33. 10 A. Gethmann-Siefert hat demgegenüber nachgewiesen, daß sich dieses Urteil nach Kenntnis der Vorlesungsnachschriften nicht halten lässt. Da Bubner in dem von ihm herausgegebenen Reclam
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EINLEITUNG
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mußte lange warten, und zwar bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts, bis Georg Lasson zum ersten Mal die Zuverlässigkeit der Arbeit von Heinrich Gustav Hotho im Rahmen der vom „Kreise der Freunde des Verewigten“ veröffentlichten Werkausgabe von Hegels Vorlesungen über die Ästhetik in Zweifel zog und die Notwendigkeit einer neuen Ausgabe durch eine differenzierte Prüfung der in der Druckfassung zusammengemischten Quellen nachwies. Jedoch bot G. Lasson nur eine unvollkommene Edition, da er nur für den ersten Teil eine Quellenkritik vorlegte und so noch keine präzise und systematische Rekonstruktion der Berliner 11 Vorlesungen über die Ästhetik publiziert hat. Erst in den letzten 30 Jahren des 20. Jahrhunderts, gefördert durch die Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften und das Bochumer Hegel-Archiv, begann das Programm einer kritischen Edition der Gesammelten Werke und Ausgewählter Nachschriften und Manuskripte 12 Hegels, und die editorische Arbeit wurde insgesamt auf eine solide Basis gestellt.
Band (vgl. G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik. Erster und zweiter Teil. Mit einer Einführung hrsg. von R. Bubner. Stuttgart 1971. Reclam Universalbibliothek) Hegels Behandlung der symbolischen Kunstform weggelassen hat, verzichtet er gerade auf den Teil der Ästhetik, der neben der romantischen Kunstform von Hegel am eingehendsten geprüft und geändert wurde. Vgl. dazu Paolo D’Angelo: Simbolo e arte in Hegel sowie die umfassende Darstellung bei J.-I. Kwon: Hegels Bestimmung der Kunst. Die Bedeutung der symbolischen Kunstform in Hegels Ästhetik. München 2001. Neben dieser zuletzt erwähnten Arbeit, die wie die hier vorliegende Dissertation im Forschungsschwerpunkt zur Ästhetik des deutschen Idealismus am philosophischen Institut der Fernuniversität in Hagen unter der Leitung von Professor Dr. A. Gethmann-Siefert entstanden ist, gibt die Einführung in Hegels Ästhetik von A. Gethmann-Siefert einen Überblick über den gesamten Zusammenhang: Einführung in Hegels Ästhetik, München 2005. 11 Vgl.: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Die Idee und das Ideal. Nach den erhaltenen Quellen neu herausgegeben von Georg Lasson. Leipzig 1931. 12 Innerhalb dieses Projekts erschien 1998 die von A. Gethmann-Siefert edierte und kommentierte Mitschrift Hothos aus dem Jahr 1823. Diese Mitschrift wurde 2000 von Paolo D’Angelo ins Italienische übersetzt und eingeleitet; vgl. G. W. F. Hegel: Lezioni di Estetica. Corso del 1823. Nella trascrizione di H. G. Hotho. Traduzione e Introduzione di Paolo D’Angelo. Roma-Bari 2000. Eine koreanische Übersetzung dieser Nachschrift wird gegenwärtig von Jeong-Im Kwon vorbereitet, ebenso eine ins Ungarische von D. Zoltai. 2004 und 2005 wurden wichtigen Quellen zu Hegels Ästhetikvorlesung aus dem Jahre 1826 publiziert, nämlich zunächst die Mitschrift von Hermann von Kehler über Philosophie der Kunst oder Ästhetik. Nach Hegel. Im Sommer 1826. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert und Bernadette Collenberg-Plotnikov unter Mitwirkung von Francesca Iannelli und Karsten Berr. Studienbrief der FernUniversität Hagen und Buchpublikation Wilhelm Fink Verlag (Reihe jena-sophia), München 2004 und dann die Mitschrift von der Pfordten über die Philosophie der Kunst, 1826. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert, J.-I. Kwon, K. Berr, Frankfurt am Main, 2005. Im Jahr 2004 ist glücklicherweise bei der Bibliothèque VictorCousin der Université Paris Sorbonne ein nachgeschriebenes Manuskript der Hegelschen Ästhetikvorlesung von 1823 von Alain Patrick Olivier entdeckt worden. Das Manuskript wurde von einem unbekannten Übersetzer für Victor Cousin ins Französische übertragen. (G. W. F. Hegel, Esthétique. Cahier de notes inédit de Victor Cousin. Transcription, édition et notes de Alain Patrick Olivier. Vrin 2005. Eine deutsche Übersetzung davon erscheint voraussichtlich im Fink Verlag 2007). Die Veröffentlichung einer Mitschrift von der letzten Berliner Vorlesung Hegels über die Ästhetik aus dem WS 1828/29 wird von A. Gethmann-Siefert und A. P. Olivier für 2007 vorbereitet. Eine Übersetzung auf Spanisch des Teiles über die Musik ist schon vor einigen Jahren erschienen: vgl. G.W.F. Hegel, La música. Extracto de los cursos de Estética impartidos en Berlín en 1828/29, según el manuscrito de Karol Libelt, texto establecido por Annemarie
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Im Rahmen dieser Edition ist auch eine Neuedition der Berliner Vorlesungen, unter anderem auch der Ästhetik geplant. Die Quellen zu den Hegelschen Ästhetikvorlesungen werden seit den 80er Jahren von A. Gethmann-Siefert erschlossen und sind zum Teil bereits für die Forschung sowie als Studienausgabe (die Nachschrift von Hotho aus dem Jahre 1823) publiziert und übersetzt, andere Teile 13 werden in den nächsten Jahren veröffentlicht. Zum einen wurde die Unzuverlässigkeit der Druckfassung durch viele Studien 14 bewiesen . Zum anderen ergab sich die Notwendigkeit des Rückgriffs auf die inzwischen bekannten Mitschriften der Studenten, die die Vorlesungen Hegels über die Ästhetik in Berlin hörten, um Hegels genuine Konzeption der Kunst wirklich eruieren zu können. Durch diesen Rückgriff auf die Vorlesungsquellen wurde die Gethmann-Siefert; traducción de Yolanda Espiña; Presentación y notas de Alain Olivier, „Anuario Filosofico“, 29/1, 1996, 195-231. 13 In der Habilitationsschrift von A. Gethmann-Siefert Die Funktion der Kunst in der Geschichte sowie in zahlreichen Studien, Forschungstagungen und nicht zuletzt im Rahmen des oben genannten Forschungsschwerpunktes zur Ästhetik des deutschen Idealismus wurde die Fruchtbarkeit und Unerlässlichkeit des Rückgriffs auf die Vorlesungszeugnisse zu Hegels Berliner ÄsthetikKollegien unter Beweis gestellt. Vgl. auch Welt und Wirkung von Hegels Ästhetik. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert und O. Pöggeler. Bonn 1986 (Hegel-Studien. Beiheft 27) sowie Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin Hegels. Hrsg. von O. Pöggeler und A. Gethmann-Siefert. Bonn 1983 (Hegel-Studien. Beiheft 22) sowie Die geschichtliche Bedeutung der Kunst und die Bestimmung der Künste. Hegels Berliner Ästhetikvorlesungen im Kontext der Diskussion um die Grundlagen der philosophischen Ästhetik. Kolloquium der Fritz Thyssen Stiftung und der Fern Universität Hagen vom 1.12.1999 – 3.12.1999 in Hagen. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert, Lu de Vos und B. Collenberg-Plotnikov. München: Wilhelm Fink Verlag 2005. In einer Reihe weiterer Forschungsarbeiten wird dieser Ansatz verfolgt, so z. B. in einer Analyse der Musikästhetik von Alain Patrick Olivier: La Philosophie hégélienne de la Musique (Philosophische Dissertation, Paris/Hagen 1998; im Druck erschienen mit dem Titel Hegel et la musique. Paris 2003) und in einer Auseinandersetzung mit Hegels Bestimmung der Landschaftsmalerei von Karsten Berr: Untersuchung über Hegels Bestimmung der Landschaftsmalerei in den Berliner Ästhetikvorlesungen (Magisterarbeit FernUniversität Hagen 2000) sowie in der Arbeit von Jeong-Im Kwon: Hegels Bestimmung der Kunst. 14 Siehe die Einleitung von A. Gethmann-Siefert zu: Phänomen versus System. Zum Verhältnis von philosophischer Systematik und Kunsturteil in Hegels Berliner Vorlesungen über Ästhetik oder Philosophie der Kunst. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert. Bonn 1992 (Hegel-Studien. Beiheft 34). S. 9-39; dies.: Das „moderne“ Gesamtkunstwerk: Die Oper. In: Phänomen versus System. S. 165230; Jeong-Im Kwon: Die Metamorphosen der „symbolischen Kunstform“. Zur Rehabilitierung der ästhetischen Argumente Hegels. In: Phänomen versus System. S. 41-89; dies.: Hegels Bestimmung der Kunst; Bernadette Collenberg: Hegels Konzeption des Kolorits in den Berliner Vorlesungen über die Philosophie der Kunst. In: Hegel-Studien. Beiheft 34, (Phänomen versus System. Zum Verhältnis von philosophischer Systematik und Kunsturteil in Hegels Berliner Vorlesung über Ästhetik oder Philosophie der Kunst), hrsg. von A. Gethmann-Siefert, (1992), S. 91-164; Paolo D’Angelo: Simbolo e arte in Hegel. – Für die Auseinandersetzung mit der nicht-schönen Kunst sind besonders interessant die folgenden Beiträge des oben genannten Kolloquiums Die geschichtliche Bedeutung der Kunst und die Bestimmung der Künste: A. Gethmann-Siefert: „Drama oder Komödie? Hegels Konzeption des Komischen und des Humors als Paradigma der romantischen Kunstform“; J.-I. Kwon: Hegels Bestimmung der „formellen Bildung“ und die Aktualität der symbolischen Kunst für die moderne Welt; F. Iannelli: Hegels Konzeption der nicht-mehr-schönen Kunst in der Vorlesung von 1826. – Zur Bestimmung der „Welt der Künste“ vgl. von A. Gethmann-Siefert: Einführung in Hegels Ästhetik. und die Einleitung zu G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Kunst. Berlin 1823. S. CXXXIII-CCXV.
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vorliegende Untersuchung über die Bedeutung des Häßlichen bei Hegel eigentlich erst ermöglicht. Außerdem erwies sich für die vorliegende Untersuchung auch der Rückgriff auf die erste Vorlesung, die H. G. Hotho in Berlin zur Ästhetik gehalten hat und die durch zwei Quellen dokumentiert ist, als wissenschaftlich sehr aufschlußreich und wertvoll. Es handelt sich bei den beiden Quellen um eine 15 Ausarbeitung von Hegels jüngstem Sohn Immanuel Thomas Christian und um 16 eine Nachschrift von Friedrich Theodor Vischer , die im Rahmen eines durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft in den Jahren 1999 bis 2001 geförderten Projekts über „Ästhetik und spekulative Kunstgeschichte. Philosophische Grundlagen der Kunstgeschichte als historischer Wissenschaft im Hegelianismus“ am Forschungsschwerpunkt zur „Ästhetik des deutschen Idealismus“ der FernUniversität in Hagen historisch-kritisch bearbeitet wurden. Beide Quellen ermöglichen es, die neue ästhetische Orientierung und Akzentsetzung in Hothos Deutung der Kunst im Vergleich mit der Philosophie der Kunst seines Lehrers Hegel genau zu analysieren. Diese Ästhetikvorlesung von 1833 ist wissenschaftlich sehr aufschlußreich für eine Rekonstruktion von Hothos Umdeutung der Hegelschen Philosophie der Kunst, da sie genau zwischen Hegels Berliner Vorlesungen (1820/21; 1823; 1826; 1828/29) und Hothos edierter Fassung der Hegelschen Ästhetik (1835-38) entstanden ist. Eindeutig hat Hotho 1833 auf Hegels Heidelberger und Berliner Heft zu den Vorlesungen und auf die Mitschriften seiner Studenten zurückgegriffen, also dasselbe Material benutzt, das er für die Edition der Hegelschen Ästhetik zur Verfügung hatte. Er beginnt jedoch schon hier, ein eigenes ästhetisches System mit neuen Schwerpunkten zu entwickeln. Zahlreich sind die Änderungen und Neuheiten der Vorlesung Hothos, die ins Auge springen: Hothos Umdeutung der Hegelschen Interpretation der Kunst, die nach Hegel durch den Blick auf ihre kulturelle, geschichtliche Funktion gewonnen werden muß, in eine subjektive Deutung der Kunst, für die der Begriff der Phantasie zentral wird. Die für unsere Thematik wichtigste Variation ist aber Hothos Konzentration auf das Schöne und ein konsequenter Ausschluß des Häßlichen als Gestalt der Kunst (siehe dazu das Kapitel 3: Die Bestimmung des Häßlichen bei Hegel und Hotho). Im Vergleich der genuin Hegelschen Konzeption des Häßlichen mit der der Hegelianer wird in der vorliegenden Arbeit versucht, die Aktualität Hegels für die gegenwärtige ästhetische Diskussion unter Beweis zu stellen. Es wird sich nämlich im Laufe dieser Untersuchung zeigen, daß Hegels Ästhetik im Gegensatz zu Ho15 H. G. Hotho: Vorlesungen über Ästhetik oder Philosophie des Schönen und der Kunst. Berlin 1833. Nachgeschrieben und durchgearbeitet von Immanuel Hegel. Hrsg. und eingeleitet von Bernadette Collenberg-Plotnikov. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 2004 (Spekulation und Erfahrung I,8). 16 „Hotho“ [Nach Notizen von Friedrich Theodor Vischer zu Aesthetick. Vorlesungen gehalten von Heinrich Gustav Hotho in Berlin seit Sommersemester 1833] Hrsg. von Francesca Iannelli. Der Text wird als Anhang in der vorliegenden Untersuchung mitpubliziert. Eine weitere Veröffentlichung dieses Manuskripts ist in den Hegel-Studien, Bd. 37, Hamburg 2004, S. 11-28 erschienen.
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thos Theorie der Kunst durch ein starkes Interesse und eine große Offenheit gegenüber der Vielschichtigkeit des ästhetischen Phänomens charakterisiert ist, so daß, wie im dritten Kapitel demonstriert wird, Hegels Vorlesungen zur Philosophie der Kunst auch ein zentrales Dokument einer Ästhetik des Häßlichen sind. In Hothos Vorlesung von 1833 taucht dessen Vorstellung vom Häßlichen als Lapsus auf, die, wenn sie auch positiv überwunden scheint, von den anderen Hegelianern, für die das Häßliche beispielsweise Salz oder Ferment der Schönheit wird (K. Rosenkranz, F. Th. Vischer), jedenfalls im Wesentlichen geteilt wird. Das bedeutet, daß dem Häßlichen in den von den Hegelschülern entwickelten Abhandlungen zur Ästhetik immer und überall eine relativ marginale Rolle zukommt. In der Hegelschen Ästhetik zeigt sich also eine gewisse Kontinuität in ihrer immer erneuerten Konzentration auf das Schöne in der Kunst, wofür sich keine Grundlage in Hegels Berliner Ästhetikvorlesungen findet. So kann man wohl kaum den Hegelschen Klassizismus der Ästhetik als Ursprung der Konzentration auf das Schöne bei den Hegelianern werten. In den vielen Skripten zu den Hegelschen Berliner Vorlesungen findet sich nämlich neben einer im Vergleich 17 zur Druckfassung differenzierteren Konzeption des Schönen auch eine andere Bedeutung des Nicht-mehr-Schönen, wobei das Häßliche im Sinne Hegels Zeugnis einer neuen geistigen Tendenz ist: der Freiheit des Ausdrucks und der hervorbrechenden Subjektivität der Moderne. Besonders wegen Hothos Hochschätzung Goethes als Dichter der Harmonie und der Versöhnung – wie im 2. Kapitel dieser Arbeit (Jenseits des Klassizismus? Die Bedeutung der schönen Kunst in der „romantischen Kunstform“ bei Hegel und Hotho) und ebenso im 3. Kapitel Die Bestimmung des Häßlichen bei Hegel und Hotho, das sich mit Hothos Deutung Goethes als Höhepunkt der deutschen modernen Poesie auseinandersetzt, gezeigt werden soll − sind Hegels Überlegungen zur Bedeutung der nicht-schönen Kunst – des Charakteristischen und des Häßlichen – in der durch Hotho redaktionell bearbeiteten Druckfassung der Hegelschen Ästhetik schwer auffindbar. Die Tatsache, daß auch Hegel eine Konzeption des Häßlichen entwickelt hat, stellt offensichtlich die Gültigkeit der weitverbreiteten These in Frage, nach der erst die Hegelianer Karl Rosenkranz, Christian Hermann Weiße, Friedrich Theodor Vischer, Max Schasler und Kuno Fischer das Häßliche berücksichtigt und sich in ihrer Ästhetik ernsthaft damit auseinandergesetzt haben. Umgekehrt stützt diese Einschränkung der Ästhetik des Häßli17 Wie in Kapitel 2: Jenseits des Klassizismus? Die Bedeutung der schönen Kunst in der „romantischen Kunstform“ bei Hegel und Hotho dieser Untersuchung gezeigt werden soll, reduziert sich das Schöne nach Hegel nicht auf die Harmonie der klassischen griechischen Skulpturwerke. In der Tragödie findet sich eine bereits differenziertere Form des Schönen und in der romantischen Kunstform entwickelt Hegel noch weitere Differenzierungen. In der romantischen Kunstform gibt es nämlich drei mögliche Weisen, wie das Schöne über sich hinausgeht: Zuerst bei der Oper, wo eine schöne Form durch einen nicht bedeutenden Inhalt gefüllt wird; dann bei der Verknüpfung der Schönheit mit der Reflexion bei der Goethischen Iphigenie; und bei der Verknüpfung der Schönheit mit dem Humor im Goethischen Divan. Vgl. dazu A. Gethmann-Siefert: Das „moderne“ Gesamtkunstwerk: Die Oper. In: Phänomen versus System. S. 165-230 sowie dies.: Einführung in Hegels Ästhetik.
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chen auf die Konzeptionen der Hegelianer die weitverbreitete These, daß es Hegel nur um die an der griechischen Antike orientierte schöne Kunst gegangen sei, an der gemessen die Gegenwartskunst nur als Verfallserscheinung beurteilt wer18 den kann. Interpretiert man Hegels Bestimmung der Kunst auf der Grundlage des Textes der Druckfassung der Ästhetik, dann bestätigt sich diese Kritik, denn dort wird der Thematik des Häßlichen allenfalls eine marginale Rolle und eine überdies ziemlich simple Bedeutung zuteil, weil das Häßliche einfach mit dem 19 20 21 Begriff des Ekelhaften , Widrigen , und Bösen gleichgesetzt wird. Gegen diese gängige Interpretation, derzufolge die Hegelianer die ersten und in der idealistischen Ästhetik die einzigen Theoretiker des Häßlichen sind, wird in der vorliegenden Untersuchung der Versuch unternommen, die Schwächen der Reflexionen der Nachhegelianer aufzudecken. Die Hauptfrage, die im 4. Kapitel über Die Rezeption der Ästhetik bei den Hegelianern und der Streit um die Bedeutung des Häßlichen zu beantworten ist, ist die, ob die verschiedenen Interpretationen der Hegelianer eine moderne Deutung des Häßlichen ermöglichen oder ob sie nicht eher eine Wiederholung der platonischen Metaphysik des Schönen vertreten, in der unter geänderten Vorzeichen abschließend auch die Problematik des Nicht-schönen, des Häßlichen behandelt wird.
18 Der darin zum Ausdruck kommende „Klassizismus“ der Hegelschen Ästhetik wird gegenwärtig, wurde aber schon ab ovo an Hegels Bestimmung der Kunst kritisiert. Vgl. dazu die lange Zeit maßgebliche Interpretation von Helmut Kuhn: Die Vollendung der klassischen deutschen Ästhetik durch Hegel. Berlin 1931. Wiederabgedruckt in: ders.: Schriften zur Ästhetik. Hrsg. von W. Henckmann. München 1966. S. 15-144 sowie ders.: Hegels Ästhetik als System des Klassizismus. In: Archiv für Geschichte und Philosophie. Berlin. 1 (1931). S. 90-105. Dieser Meinung ist zum Beispiel auch Peter Szondi: Antike und Moderne in der Ästhetik der Goethezeit. In: Poetik und Geschichtsphilosophie I. Frankfurt a.M. 1974. Szondi schreibt: „Vollends dringt bei Hegel der Klassizismus, trotz des historischen, des historisierten Systems wieder durch, oder genauer: gerade indem sich der historische Wandel des Schönen zu einem System verfestigt, gelangt das antike Ideal wieder an die höchste Stelle, welche nun freilich in eine Entwicklung eingebaut ist, deren Gipfelpunkt sie bildet. Doch gerade durch diesen Einbau wird bei Hegel die Unerreichbarkeit und die Vollendung griechischer Kunst nicht etwa geleugnet, sondern spekulativ bestätigt: alles frühere ist Vorbereitung, alles spätere Ausklang; und die Epoche wird Hegel zufolge ihren Vorrang gegenüber der Antike nicht in der Kunst, sondern nur in der Philosophie behaupten können, von welcher die Kunst als solche überholt wird.“ (A.a.O. S. 19). − A. Gethmann-Siefert hat sich um eine differenzierte Bestimmung sowohl der Bedeutung der sog. These vom „Ende der Kunst“ als auch des scheinbaren Klassizismus bemüht. Vgl. hierzu dies.: Hegels These vom Ende der Kunst und der „Klassizismus“ der Ästhetik. In: Hegel-Studien. 19 (1984). S. 205-258. Zur Auseinandersetzung mit einigen Interpretationen der These vom Ende der Kunst siehe auch A. Gethmann-Siefert: Eine Diskussion ohne Ende: zu Hegels These vom Ende der Kunst. In: Hegel-Studien. 16 (1981). S. 230-243. 19 So beispielsweise greifbar in den Aussagen über die Tiere, die einen ungewöhnlichen Körperbau haben und daher für uns häßlich sind. (Vgl. G. W. F. Hegel: Ästhetik. 2 Bde. Hrsg. von F. Bassenge. Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1965. Bd. I., S. 131, 135) [Im Folgenden zitiert: G. W. F. Hegel: Ästhetik. Edition Bassenge. Band- und Seitenangabe]. 20 Vgl. die Überlegungen zu den Mächten des Negativen als Ursprung des Handelns, die letztlich häßlich und widrig bleiben. (A.a.O. I., S. 219). 21 D.h., die innere Bosheit, die durch eine häßliche Darstellung zum Ausdruck gebracht wird. (A.a.O. I., S. 255 und 518).
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Von der Veröffentlichung der 1835-38 von H. G. Hotho herausgegeben Ästhetik Hegels direkt beeinflußt wie F. Th. Vischer oder indirekt wie C. H. Weiße, neigen die Hegelianer dazu, ihre systematische Ästhetik durch eine Theorie des Häßlichen als zeitgemäße Berücksichtigung der Vielfalt künstlerischer Gestaltungsmöglichkeiten zu ergänzen oder explizit eine Ästhetik des Häßlichen auf dem Hintergrund der Theorie des Schönen zu entwickeln. Jedoch sind diese Konzeptionen des Häßlichen weniger innovativ als die Hegels, da das Häßliche als etwas Relatives aufgefaßt wird, das als derivativer Modus des Schönen keine selbstständige Existenz hat. Durch den Verlust der Distanz zwischen den Überlegungen Hegels in den Vorlesungen über Ästhetik und Hothos eigenen ästhetischen Reflexionen, der Druckfassung der Ästhetik und der Deutung der Hegelianer, die sich an eine Metaphysik des Schönen anschließen, geht Hegels Bestimmung des Häßlichen für die nachfolgende philosophische Kritik verloren. C. H. Weiße bestimmt 1830 im System der Ästhetik als Wissenschaft von der Idee der Schönheit den Begriff des Häßlichen als absoluten Widerspruch, der im Begriff des Schönen liegt, K. Rosenkranz sieht 1853 in seiner berühmten Ästhetik des Häßlichen im Häßlichen den negativen Doppelgänger des Schönen. Einzig Friedrich Theodor Vischer findet 1833 in seinen frühen Überlegungen, insbesondere in einer Kritik des Hothoschen Ansatzes einen eigenen Zugang zur Bestimmung des Häßlichen, die er in seiner Habilitationsschrift 1836 – also wenig später – zu einer Reflexion über das Erhabene und das Komische entfaltet. Er wird aber diese erste Intuition, die er in seinen Notizen zu Hothos Vorlesungen über Ästhetik 22 1833 festgehalten hat und gegen Hotho geltend macht, erst spät entwickeln; d.h. erst nach Abfassung seiner umfangreichen eigenen Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen (1846/1857) interpretiert er das Häßliche als Salz und als Ferment 23 der Differenzierung . Die Aktualität seines bekanntesten Werkes, nämlich seiner Ästhetik, ist gegenüber den Ansätzen seiner frühen Hotho-Kritik und seiner Habilitation selbst begrenzt, da er in der Ästhetik eine Rückkehr zum Schönen sowie eine inhaltliche Festlegung der Kunst, die sich vom Religiösen befreit hat, auf die
22 Zur Interpretation dieser frühen kritischen Notizen Vischers, die im Anhang dieser Arbeit angefügt sind, vgl. F. Iannelli: Friedrich Theodor Vischer zwischen Hegel und Hotho. Kommentar zur Edition der Notizen Friedrich Theodor Vischers von Hothos Ästhetikvorlesung von 1833. Hegel Studien. Bd. 37. Hamburg 2004. Eine erste, kürzere, vorbereitend erschließende und von der genannten Abhandlung in den Hegel-Studien daher leicht abweichende Version der Kommentierung von Vischers Notizen mit dem Titel Friedrich Theodor Vischer: ein Hegelianer? wurde ins Koreanische übersetzt und ist in der Zeitschrift The Korean Society of Aesthetics and Science of Art. Seoul 2002. Bd. 15. S. 133-163 (deutsche Version), S. 165-192 (koreanische Version) erschienen. In der Vorbereitung ist auch eine italienische Fassung dieser Studie. 23 Siehe dazu das vierte Kapitel dieser Untersuchung sowie F. Iannelli: Das Häßliche – Ein Lapsus oder das ,Ferment der Differenzierung‘? Zu F. Th. Vischers Diskussion mit H. G. Hotho. In: Zwischen Philosophie und Kunstgeschichte. Kolloquium der Deutschen Forschungsgemeinschaft am Institut für Philosophie der FernUniversität Hagen vom 18.9.2002-21.9.2002. Hrsg. von Annemarie Gethmann-Siefert, Bernadette Collenberg-Plotnikov und Lu de Vos. München 2007 (in Vorb.).
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germanische Kultur fordert . Die Wirkung der Rezeption der Hegelschen Ästhetik durch seine Schüler auf die Gestalt der Ästhetik selbst wird im fünften Kapitel dieser Arbeit Rückblick und Kritik: Die Aktualität der Hegelschen Konzeption des Häßlichen als Grundlage einer ideologiekritischen Auseinandersetzung mit den Künsten untersucht, wo die Konsequenzen des Klassizismus in Deutschland, die bis zum politischen wie auch ästhetischen Schönheits- und Vollkommenheitswahn der Nationalsozialisten reichen, thematisiert werden. Im Bezug auf die Tradition und auf die zukünftige Entwicklung der Ästhetik und der Kunst im 20. Jahrhundert erweist sich – so soll es die vorliegende Arbeit aufweisen – die Rolle der Hegelschen Ästhetik des Häßlichen als eine wichtige Station, durch die die Vielschichtigkeit des Wesens der Kunst und das Häßliche als Gestalt zwischen anderen Gestalten gerechtfertigt wird. Hegels Ästhetik erweist sich, wenn man auf die Vorlesungsnachschriften zurückgreift, als ausgesprochen aktuell. Es gelingt Hegel, gerade das facettenreiche Wesen der Kunst und des Phänomens des Häßlichen selbst zu fassen, das von jeher, schon in den Überlegungen des Aristoteles, wie Carsten Zelle schreibt, zwischen entgegengesetzten Positionen hin- und hergerissen ist. Hegel gelingt es, die Vielschichtigkeit des Häßlichen, das die verschiedensten Inhalte in sich aufnimmt, zu reflektieren und sich für eine philosophisch relevante Bestimmung des Häßlichen in der Kunst nicht nur zu entscheiden, sondern diese seinen Studenten auch plausibel zu vermitteln. Dadurch wird die Unzulänglichkeit der Bestimmung des Häßlichen aufgehoben, die Zelle zutreffend charakterisiert hat: „Die Vielfältigkeit des Häßlichen erklärt sich mithin daraus, daß unter diese formale Kategorie alles das subsumiert wurde, worüber zivilisationsgeschichtlich ein Verdikt verhängt worden war, nämlich das sexuell Polymorphe, das, als Häßliches aufgefaßt, künstlerisch ins Komische oder Groteske gewendet wurde, oder das durch Gewalt Verunstaltete und Tödliche, das ästhetisch zum Schrecklichen, Pathetischen und Erhabenen sublimiert werden konnte. Mit dem Häßlichen schlagen die rohen Extreme des Körpers, Sex und Tod, in ihre kulturellen Sublimationsformen, Komik 25 und Erhabenheit, zurück.“ Wenn Hegel auf die Bestimmungsvielfalt der Kunstgestaltung vom Schönen bis zum Häßlichen zurückgreift, so geht es ihm nicht um das Häßliche als das Abzulehnende, auch nicht um eine bloß gegen die Konvention gerichtete Rehabilitierung des Häßlichen, wie man sie in gegenwärtigen Überlegungen, auch bei C. Zelle, findet. Vielmehr geht Hegel von einer Bestimmung der geschichtlichen Bedeutung der Kunst und ihrer Gestaltungsmöglich24 Dazu A. Gethmann-Siefert: Friedrich Theodor Vischer – „Der große Repetent deutscher Nation für alles Schöne und Gute, Rechte und Wahre“. In: „O Fürstin der Heimath! Glückliches Stutgard“. Politik, Kultur und Gesellschaft im deutschen Südwesten um 1800. Hrsg. von O. Pöggeler und Ch. Jamme. Stuttgart 1988. S. 329-351. 25 Carsten Zelle: Ästhetik des Häßlichen: Friedrich Schlegels Theorie und die Schock- und Ekelstrategien der ästhetischen Moderne. In: Ästhetische Moderne in Europa. Grundzüge und Problemzusammenhänge seit der Romantik. Hrsg. von Silvio Vietta und Dirk Kemper. München 1998. S. 197-233, hier S. 204 f. Vom selben Autor seien auch erwähnt: „Angenehmes Grauen“. Literarhistorische Beiträge zur Ästhetik des Schrecklichen im achtzehnten Jahrhundert. Hamburg 1987 sowie Die doppelte Ästhetik der Moderne. Stuttgart 1995.
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keit in der modernen Welt aus, für die das Häßliche ein wichtiges gestalterisches 26 Element ist. Es muß klargestellt werden, daß man auf viele verschiedene Weisen vom Häßlichen sprechen kann; aber nur, wenn das Häßlich beschreibend aufgefaßt wird, wie Hegel es tut, dann wird dieser Kategorie ein positiver Wert und eine eigene Würde zuerkannt. Das heißt, daß ein an sich nicht schöner poetischer Inhalt uns eine bedeutende ästhetische Erfahrung ermöglichen kann, wie zum Beispiel Les Demoiselles d'Avignon (1907) oder Guernica (1937) von Picasso. Diese ästhetische Kategorie ist mit der Zeit in unserer Kultur allgegenwärtig und in gewisser Weise auch geheimnisvoll geworden, sie scheint jenen rätselhaften Charakter zu besitzen, den Dostojewskij im Idiot in der Schönheit entdeckte. Solange, bis man versteht, in welchem Sinn sie gebraucht wird, wobei zu bedenken ist, daß im außerästhetischem Bereich die verschiedensten Faktoren im Häßlichen zusammenfließen (wie Sympathie oder Antipathie als anthropologische Faktoren), während man im ästhetischen Bereich vom Häßlichen sowohl wertend sprechen kann, weshalb häßlich ist, was künstlerisch nicht oder schlecht gelungen ist und daher das Häßliche mit der Nicht-Kunst zusammenfällt, aber auch beschreibend, indem man vom häßlichen Inhalt eines Romans oder eines Bildes oder einer musikalischen Komposition spricht, ohne damit jedoch die Ausdruckskraft jenes häßlichen Kunstwerks zu begrenzen oder abzuwerten, beziehungsweise seine Wirkung auf den Rezipienten, die eine enorme Tragweite haben kann, abzumindern. Tatsächlich ist es die Wirklichkeit selbst, die grauenhaft ist, und der Künstler tut nichts anderes als die Welt und ihr Elend darzustellen. Daher kann Picasso dem deutschen Offizier, der ihn angesichts des berühmten Guernica fragte, wer der Autor des Grauens sei, antworten: „Ihr“. Im spanischen Bürgerkrieg führten die deutschen Luftangriffe auf die baskische Stadt zur Inspiration des Malers, der in einem Bild, das sich an der Grenze zum Albtraum befindet, die Angst und die Qual einer schutzlosen Bevölkerung auf immer festhält. Es ist also die Wirklichkeit selbst, die den Künstler zum Gebrauch (und heute oft zum Mißbrauch) des Häßlichen veranlaßt. Das macht die Behauptung des italienischen Künstlers Maurizio Cattelan verständlich, daß die Kunst zwar Skandale provozieren könne, die Wirklichkeit aber weitaus zynischer und absurder sei als jegliche künstlerische Provokation. Die Wirklichkeit sollte uns erschüttern und nicht die Kunst, die, selbst wenn sie häßlich und ungehörig ist, nie den Schrecken der Existenz übersteigt. Ein kurzer, aus Gründen der Konzentration auf Hegels Deutung fragmentarischer und keineswegs als vollständig gedachter Hinweis auf die Entwicklung der ästhetischen Auseinandersetzung mit dem Häßlichen soll die Facetten dieses 26 So betont er in der Enzyklopädie, die Kunst müsse bis zum Häßlichen fortgehen, und er hatte dies, wie sich zeigen soll, in den Ästhetikvorlesungen begründet. Vgl. dazu: A. Gethmann-Siefert: Hegel über das Häßliche in der Kunst. S. 21-41. Gethmann-Siefert geht von dem auch für diese Arbeit zugrundegelegten Zusammenhang philosophischer Theorien über die geschichtliche Rolle der Kunst in der Moderne aus und zeigt, warum Hegel seine Bestimmung des „Ideals“ erweitern muß.
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philosophischen Problems vor Augen führen. Zugleich zeigt sich so der grundlegende Stellenwert einer unvoreingenommenen Bestimmung des Häßlichen für eine philosophische Ästhetik. Die Geschichte der theoretischen Begründung der ästhetischen Kategorie des Häßlichen läßt man gewöhnlich 1746 beginnen mit den Überlegungen von Charles Batteaux über die Nachahmung und das von ihr hervorgerufene Vergnügen in Les Beaux Arts réduits à un même principe. Dieses Vergnügen wird jedoch für Batteaux nur in Beziehung zum Bewußtsein erschließbar. Bei der Betrachtung des Häßlichen ist es dem Betrachter bewußt, vor einer Fiktion von Objekten zu stehen, die sich in der Natur als besonders häßlich zeigen. Auf diese Rechtfertigung des Häßlichen in den Künsten folgt die Relativierung des Gegensatzes schön / häßlich mit den Lettres sur les sourds et muets von Diderot (1751), in denen gezeigt wird, wie das, was in der Natur häßlich ist, in der Kunst schön sein kann und umgekehrt. In A Philosophical Inquiry into the Origin of Our Ideas of the Sublime and Beautiful setzt Edmund Burke (1756) die Differenzierung des Begriffs des Häßlichen fort. Burke stellt fest, daß Schönheit und Proportion nicht notwendigerweise korreliert sein müssen; deswegen können auch Unverhältnismäßigkeit und Entstellung einem schönen Objekt zukommen. Das, was Burke als Gegenteil des Schönen ansieht, ist also nicht die Disproportion, sondern das Häßliche, das seinerseits ein negatives Vergnügen hervorruft und das sich mit dem Erhabenen als vereinbar zeigt. In der Abhandlung Über die Hauptgrundsätze der Schönen Künste und Wissenschaften von M. Mendelssohn wird dann jenes gemischte ästhetische Gefühl bestimmt, das sich anläßlich des Abstoßenden und Häßlichen einstellt. Schließlich finden sich Überlegungen zur Akzeptanz der „unschädlichen“ Häßlichkeit und der Unvollkommenheit in Lessings Laokoon (1766), auf die Hegel in seinen Berliner Ästhetikvorlesungen verweist, und in der Feststellung der entschiedenen Gegenwart des Häßlichen in der modernen Kunst durch Schlegel in dem Aufsatz Über das Studium der Griechischen Poesie (1797) zeigt sich eine unvoreingenommene, neutrale Bestimmung des Häßlichen.
27 Einen knappen historischen Überblick über die Entwicklung der philosophischen Kategorie des Häßlichen gibt Ursula Franke in ihrem Artikel über das „Häßliche“ in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von J. Ritter. Bd. 3. Sp. 1003-1007. Auf italienisch erschien von Umberto Eco: Brutto. In: Enciclopedia Filosofica. Ristampa aggiornata della seconda edizione interamente rielaborata. Firenze 1982. Bd. 1. S. 1104-1106; von Paolo D’Angelo: Brutto. In: Dizionario di Estetica. Hrsg. von Gianni Carchia/Paolo D’Angelo. Unter Mitwirkung von: Stefano Catucci, Flavio Cuniberto, Tonino Griffero, Stefano Velotti. Roma-Bari 1999. S. 44-51; sowie von Gabriele Scaramuzza: Brutto. In. Idee dell’arte. A cura di E. Pagnoni. Firenze 1991. Auf englisch erschien von Ronald Moore: Ugliness. In: Encyclopedie of Aesthetics. Bd. 4. S. 421. New York and Oxford (University Press) 1998. Auf französisch erschien Laid/Laideur. In: Vocabulaire d’esthétique. Hrsg. von Étienne Souriau. Paris 1990. S. 939-940. − Zur Bedeutung der Bestimmung des Häßlichen in der Ästhetik der Hegelianer vgl. die Arbeit von Holger Funk: Ästhetik des Häßlichen. Beiträge zum Verständnis negativer Ausdrucksformen im 19. Jahrhundert. Berlin 1983, auf die in vorliegender Arbeit später eingegangen wird.
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Schlegel spielt ebenso wie Lessing eine grundlegende Rolle in dem langen 28 Streit um eine Ästhetik des Häßlichen . Mit Recht werden die Überlegungen Lessings als eine Art „Wasserscheide“ angesehen zwischen der langen Zeit einer nur unsystematischen Theoretisierung des Häßlichen und einer „Geschichte“, d. h. einer Aufeinanderfolge kontinuierlich weiter gedachter Überlegungen zum 29 Häßlichen, die in der modernen Zeit beginnt. Im Laokoon unterscheidet Lessing zwischen den bildenden und den Redekünsten und zieht eine Grenze für die künstlerische Darstellungsmöglichkeit des Häßlichen in der Malerei. Anders als für die Malerei akzeptiert er aber die Häßlichkeit in der Poesie als eine vollgültige Gestaltungsweise, weil hier die Häßlichkeit ihre physisch abstoßende Qualität verliert. Es handelt sich also offensichtlich zumindest um eine Teilakzeptanz, da 30 sie im Rahmen einer „klassizistischen Grundhaltung“ erfolgt . „In der Poesie (…) verliert die Häßlichkeit der Form, durch die Veränderung ihrer coexistierenden Theile in succesive, ihre widrige Wirkung fast gänzlich; sie höret von dieser 31 Seite gleichsam auf, Häßlichkeit zu sein“ . Auf der anderen Seite erweist sich auch der Beitrag von F. Schlegel als von entscheidender Bedeutung für eine Ästhetik des Häßlichen. So schreibt Schlegel über die moderne Kunst im Studium-Aufsatz: „Beinahe überall werdet Ihr eher jedes andre Prinzip als höchstes Ziel und erstes Gesetz der Kunst, als letzten Maßstab für den Wert ihrer Werke stillschweigend vorausgesetzt oder ausdrücklich aufgestellt finden; nur nicht das Schöne. Dies ist so wenig das herrschende Prinzip der modernen Poesie, daß viele ihrer trefflichsten Werke ganz offenbar Darstellungen des Häßlichen sind, und man wird es wohl endlich, wenngleich ungern, eingestehen müssen, daß es eine Darstellung der Verwirrung in höchster Fülle, der Verzweiflung im Überfluß aller Kräfte gibt, welche eine gleiche wo nicht eine höhere Schöpferkraft und künstlerische Weisheit erfordert, wie die Darstellung der Fülle und Kraft in vollständiger Übereinstimmung. Die gepriesensten modernen Gedichte scheinen mehr dem Grade als der Art nach von dieser Gattung verschieden zu sein, und findet sich ja eine leise Ahndung vollkommner Schönheit, so ist es nicht sowohl im ruhigen Genuß, als in unbefriedigter Sehnsucht. Ja nicht selten entfernte man sich von dem Schönen um so weiter, je heftiger man nach demselben strebte. So verwirrt sind die Gränzen der Wissenschaft und der Kunst, des Wahren und des Schönen, daß sogar die Überzeugung von der Unwandelbarkeit jener ewigen Grenzen fast allgemein wankend geworden ist. Die Philoso28 Über Lessings „Lizenzierung des Häßlichen und Schrecklichen“ siehe C. Zelle „Angenehmes Grauen“. Literarhistorische Beiträge zur Ästhetik des Schrecklichen im achtzehnten Jahrhundert. Hamburg 1987. S. 395 ff. 29 So zum Beispiel G. Scaramuzza in seiner Einleitung zu Il brutto nell’arte. Hrsg. von G. Scaramuzza. Napoli 1995. S. 8. 30 „Trotz der klassizistischen Grundhaltung also, die im Prinzip die Häßlichkeit als Gegenstand der Kunst verwirft, weil sie gegen deren Endzweck, die Darstellung des Schönen und die Erweckung angenehmer Empfindungen verstößt, gibt es bei Lessing eine begrenzte Zulassung des Häßlichen als Mittel zur Erzeugung des Komischen und Erhabenen.“ (Dieter Kliche: Häßlich. In: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Bd. 3. Hrsg. von Karlheinz Barck. Stuttgart/Weimar 2001. S. 25-66, hier S. 36). 31 G. E. Lessing: Laokoon. In: Sämtliche Schriften. Neunter Band. Hrsg. von Karl Lachmann. Dritte Auflage. Stuttgart 1893. S. 145. Hegel greift, wie sich zeigen wird, diese Gedanken Lessings auf.
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phie poetisiert und die Poesie philosophiert: die Geschichte wird als Dichtung, diese aber als Geschichte behandelt. Selbst die Dichtarten verwechseln gegenseitig ihre Bestimmung; eine lyrische Stimmung wird der Gegenstand eines Dramas, und ein dramatischer Stoff wird in lyrische Form gezwängt. Diese Anarchie bleibt nicht an den äußern Gränzen stehn, sondern erstreckt sich über das ganze Gebiet des Ge32 schmacks und der Kunst.“
Mit Recht wird Schlegel also von der Mehrheit der Interpreten als der erste echte Theoretiker des Häßlichen angesehen, mit dessen ästhetischer Bestimmung des Häßlichen ein wirklicher Wendepunkt erreicht wird, weil zum ersten Mal die Untersuchung der Kategorie des Häßlichen in eine historische, nicht eine ästhe33 tisch wertende Bestimmung der Künste eingebettet wird. Wenn auch die klassische Welt von Anfang an das Scheußliche, das Schreckli34 35 che und das Monströse kennt, wie Homer bezeugt , ist es doch eine Tatsache, daß man im philosophischen Denken der Antike fast ausschließlich eine Cha36 rakteristik des Häßlichen in negativen Termini findet , angefangen von der ontologischen Elimination des Häßlichen bei Plato (Parmenides 130 c-d), weiter bei Plotin (Enneade I, 6, 2) und in der gesamten philosophischen Tradition des
32 F. Schlegel: Über das Studium der griechischen Poesie (1795-1797). In: Kritische Friedrich Schlegel Ausgabe. Hrsg. von Ernst Behler u. a. Bd.I. 1. S. 217-367, hier S. 219. 33 Siehe von F. Schlegel den Studium-Aufsatz, aber auch Von der Schönheit in der Dichtkunst. In: Kritische Friedrich-Schlegel Ausgabe. Hrsg. von Ernst Behler u. a. Bd. XVI. S. 17-31. Schlegel wird als Wendepunkt in der philosophischen Bestimmung des Häßlichen gewertet, so z. B. in den Überlegungen Paolo D’Angelos über das Häßliche in: Dizionario di Estetica. Hrsg. von Gianni Carchia/Paolo D’Angelo. Unter Mitwirkung von Stefano Catucci, Flavio Cuniberto, Tonino Griffero, Stefano Velotti. Roma 1999. S. 44-51. Besonders S. 47. Dazu siehe auch P. D’Angelo: L’estetica del Romanticismo. Bologna 1997. S. 125-130. Über Schlegels Deutung der modernen Kunst im Studium-Aufsatz siehe F. Vercellone: Identità dell’antico. L’idea del classico nella cultura tedesca del primo ottocento. Torino 1988, besonders S. 20 ff. und vgl. auch F. N. Mennemeier: Unendliche Fortschreitung und absolutes Gesetz. Das Schöne und das Häßliche in der Kunstauffassung des jungen F. Schlegel. In: Wirkendes Wort. Düsseldorf. (17) 1967, 393 – 408. 34 Schon in der primitiven Kunst und der des antiken Orients ist das Monströse in beträchtlichem Ausmaß gegenwärtig. In dieser Hinsicht ist der Artikel von Rosario Assunto über Mostruoso e Immaginario in der Enciclopedia Universale dell’Arte. Bd. 9. 2. Auflage. Firenze 1972. S. 706722, aufschlußreich sowie M. Mazzocut-Mis: Mostro. L’anomalia e il deforme nella natura e nell’arte. Milano 1992 und dies.: Gli enigmi della forma: Un’indagine morfologica tra biologia ed estetica a partire dal pensiero di D’Arey W. Thompson. Milano 1995. 35 Man denke zum Beispiel an die Figur des Thersites oder an Hephaistos. Dazu Giorgio Pasquali: Omero, il brutto e il ritratto. In: Pagine stravaganti. Firenze 1968. 36 Eine Ausnahme stellt Aristoteles dar, der in der Poetica das Häßliche als einen Begriff ansieht, unter den auch das Lächerliche fällt. Die Bedeutung des Häßlichen wird also nicht geleugnet wie in der platonischen Tradition, sondern seine Existenz erscheint akzeptabel, insoweit es an das Komische gebunden wird. Das Lächerliche ist ein Häßliches, das nichts Böses tut und keinen Schaden zufügt. (Aristoteles: Poetica 1449 a 31-36): „Die Komödie ist, wie wir sagten, Nachahmung von schlechteren Menschen, aber nicht im Hinblick auf jede Art von Schlechtigkeit, sondern nur insoweit, als das Lächerliche am Häßlichen teilhat. Das Lächerliche ist nämlich ein mit Häßlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht, wie ja auch die lächerliche Maske häßlich und verzerrt ist, jedoch ohne den Ausdruck von Schmerz.“ Vgl. Aristoteles: Poetik. Übersetzt und eingeleitet von Manfred Fuhrmann. Suttgart 1984. S. 17.
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Neoplatonismus. Im Phaidros (249 c) identifiziert Plato das Schöne mit dem Sein. Hieraus folgert er, daß das Häßliche mit der Abwesenheit des Seins zusam37 menfällt, eben mit dem Nicht-Sein . Diese Auffassung kehrt dann bei Plotin wieder, der in der sechsten Enneade das Häßliche als das Formlose definiert: „Denn alles Formlose ist bestimmt, Form und Gestalt anzunehmen; solange es daher keinen Teil hat an rationaler Form und Gestalt, ist es häßlich und ausgeschlossen von der göttlichen Formkraft; das ist das schlechthin Häßliche; häßlich ist aber auch das, was von der Form und dem Begriff nicht voll bewältigt wird, weil die 38 Materie eine gänzlich der Idee entsprechende Formung nicht zuließ.“
In der sechsten Enneade untersucht Plotin das Wesen des Häßlichen weiter, nämlich durch die akkurate Untersuchung einer „häßlichen Seele“. Letztlich kommt er aber zu dem Schluß, daß diese Häßlichkeit eigentlich „ein einge39 schlepptes Übel“, „ein fremder Zusatz“ für die Seele sei . Der Ursprung dieser Häßlichkeit ist leicht gefunden: Das Häßliche wie das Böse entstammt aus der Materie, es ist Nicht-Sein, nicht aber absolutes Nicht-Sein, da es für Plotin nichts dem Sein absolut Entgegengesetztes gibt, sondern es muß als Schwächung und Wegnahme des Seins bestimmt werden. Nur das Eine ist schön, zu ihm muß man aufsteigen, da vor der göttlichen Schönheit alles andere verblaßt und verschwindet: „Deshalb heißt es denn auch mit Recht, daß für die Seele gut und schön werden Gott ähnlich werden bedeutet, denn von ihm stammt das Schöne und überhaupt die eine Hälfte des Seienden; oder vielmehr ist das wahrhaft Seiende das Schöne, das nicht wahrhaft Seiende aber das Häßliche, und das ist zugleich das ursprünglich Böse; so ist auch anderseits Gutes und Schönes, Gutheit und Schönheit identisch. 40 Schön und gut, häßlich und böse ist also auf dem gleichen Wege zu untersuchen.“
Auch im christlichen Platonismus wird die Bedeutung des Häßlichen weiter marginalisiert. Für Augustinus stellt sich zudem ein weiteres Problem, auf das Plotin nicht gestoßen war, nämlich das der Erklärung des Häßlichen und des Bösen in einer Welt, die von einem Gott geschaffen wurde, der nichts Schlechtes, nichts Häßliches (weil Unvollkommenes) wollen kann. Das Häßliche und das Böse stellen für Augustinus damit ein komplexeres Problem dar, da er aus theologischen Gründen auch die Materie nicht für die Ursache des Bösen ansehen kann wie Plotin, da die Materie von Gott geschaffen, also von ihm gewollt ist und damit gut sein muß. Während Thomas von Aquin die Lösung für das Problem des Ursprungs des Bösen in jenem ursprünglichen Makel fand, an dem jeder Mensch nach dem Sündenfall von Adam und Eva mit seinen Vorfahren Teil hat, d.h. in
37 Wenn das Schöne Harmonie ist, dann muß für Plato das Häßliche das Disharmonische sein (Symposion 206). 38 Plotin: Das Schöne (Enneade I, 6). In: Ausgewählte Einzelschriften. Hrsg. von Richard Harder. Heft 1: Die Schriften 1, 9, 11 der chronologischen Reihenfolge. Hamburg 1956. S. 9. 39 Plotin: Das Schöne (Enneade I, 6). In: Ausgewählte Einzelschriften. S. 17. 40 Plotin: Das Schöne (Enneade I, 6). In: Ausgewählte Einzelschriften. S. 19.
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der Erbsünde , findet Augustinus sie im Nichts. Gott schuf ex nihilo; das Böse und das Häßliche sind also Reflexe des Nichts, aus dem Gott die Welt erschaffen hat, sie sind nichts weiter als eine dunkle und düstere Erinnerung an das Nichts, aus dem alles hervorgeht. Das Schöne wird also in der Ästhetik des Augustinus zum Spiegel der göttlichen Harmonie; hierbei handelt es sich noch in gewisser Hinsicht um eine Bestimmung der Schönheit als Harmonie neupythagoreischer Prägung, die jedoch von einem christlichen Standpunkt aus neu gedeutet wird. Diese Bestimmung des Häßlichen und ihre (letztlich theologische) Grundlage finden sich dann bei Marsilio Ficino wieder. Wie schon bei Augustinus beobachtet man eine Verschiebung, durch die an die Stelle der platonischen und plo42 tinischen Idee des Guten Gott gerückt wird. Das Schöne ist Gott. Aus Gott geht jedes Ding durch einen Willensakt hervor: der Engel, die Seele, die Qualität und der Körper. Zwar ist trotzdem kein Körper vollkommen schön, stellt Ficino fest, im Aufsteigen zur unendlichen Schönheit wird aber, so scheint es, das Häßliche nach und nach getilgt und vergessen. Im Denken der Renaissance herrscht weiterhin eine negative Interpretation des Häßlichen vor, vor allem dank Vasari, Leonardo und Alberti. Auch diese wird in der Forschung als Folge des Sichbehauptens der platonischen Auffassung der Schönheit als consensus et conspiratio partium, d.h. als harmonisches Gleichgewicht der Teile gedeutet. Vom theoretischen Standpunkt aus gesehen ist deswegen die Anerkennung einer spezifischen Rolle des Häßlichen in der künstlerischen Darstellung ein typisch modernes Phänomen, dessen Ursprung man in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückdatieren muß, die Zeit, in der die Schönheit als Grundkategorie durch die konkurrierende Betonung der Autonomie der Kunst in eine Krise gerät. In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung festzustellen, daß auch das Griechenlandverständnis von Hegels Jugendfreund Hölderlin durch die Betonung des tragischen Moments der Schönheit eine reflexivere Sicht entwickelt und vor allem orientalische Orientierung mit in die Bestimmung der antiken Schön43 heitskonzentration integriert , was ihn dazu brachte, eine klassizistische Haltung abzulehnen. Wie Heidegger es formuliert: Hölderlin überwindet sowohl den An41 Über die Häßlichkeit der Sünde bei Thomas von Aquin, vgl. Summa Theologiae I. II. 73. 7 c. 42 Das wird besonders klar anhand des Rückgriffes von Ficino auf jene berühmte Stelle in Platons Symposion (210 a – 212 b), in der Diotima Sokrates erklärt, wie man von einem schönen Körper zu vielen schönen Körpern gelangt, und dann zu der Schönheit der Seele und weiter, und weiter bis zum Höhepunkt, und zwar nicht an die absolute Schönheit oder das Gute (wie nach Platon anzunehmen wäre), sondern zu Gott. Die Lehre der platonischen Liebe bereichert Ficino also durch die Bestimmung der christlichen Liebe. Vgl. Marsilio Ficino: Sopra lo amore o ver’ Convito di Platone. Milano 1998. Kap. XVIII. S. 128 f. 43 Auch Hegel greift in seiner Bestimmung der Tragödie als Darstellung des Konflikts in der sittlichen Orientierung der Polis diesen Aspekt der Integration der Disharmonie in die Schönheit auf. Vgl. dazu O. Pöggeler: Hegel und die griechische Tragödie. In: Heidelberger Hegel-Tage 1962. Hrsg. von H.-G. Gadamer. Bonn 1964. S. 285-305 sowie A. Gethmann-Siefert: Die Funktion der Kunst in der Geschichte. Vgl. dazu die Darstellung dieses Zusammenhangs in dies.: Einführung in Hegels Ästhetik
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satz des metaphysischen Denkens und seiner Vollendung im „Nihilismus“ als auch auf dem Gebiet der Ästhetik die Auszeichnung des Schönen als der allein 44 die Kunst orientierenden Maßgabe . In der Tat ist der Klassizismus nach Höl45 derlins Ansicht kein ursprüngliches Element der griechischen Welt . Er weist darauf hin, daß griechische Statuen bemalt waren. D.h., bereits die klassische Skulptur besaß nicht diese marmorne Transparenz und damit die von Winckelmann hervorgehobene „edle Einfalt“, durch die sie uns heute bestimmt zu sein scheint, weil sich die Kunstrezeption bis heute an die schlichte Marmorfarbe hält und die historische Einsicht in die ursprüngliche Erscheinungsform auch jetzt noch für die Rezeption unmaßgeblich ist. Es gibt also – nach Hölderlin – ein barbarisches und orientalisches Element in der griechischen Kunst und Kultur (ein Gedanke, auf den auch Hegel in den Ästhetikvorlesungen mehrfach hinweist). Das in der idealistischen Ästhetik exemplarisch analysierte homerische Epos ist bereits eine späte Frucht der griechischen Welt, die schon das Aorgische verloren hatte zugunsten der Nüchternheit. Die Naivität der Griechen (in dem Sinne, wie Schiller von ihr spricht) muß man also nicht als Ursprung aller Entwicklung, sondern als ein Resultat verstehen. Wo immer man also in Kunst und Dichtung auf die griechische Schönheit, die „edle Einfalt“ und Größe Bezug nimmt, ist es zumindest der (für Hegel) zeitgenössischen Poesie und auch der Rezeption bewußt, daß es nicht um eine bloße Wiederholung des Schönen gehen kann. Goethe fordert, daß man nicht die Griechen nachahmen solle, sondern „den Griechen“ nachzueifern habe. Hölderlin unterscheidet den Gebrauch des Eigentlichen und Uneigentlichen in der wiederholenden poetischen Wiederbelebung. Dieser Gebrauch des Eigentlichen und des Uneigentlichen, von dem er in seinem Brief an Böhlendorf spricht, ist genau das, was Goethe im Divan gelingt – weshalb Hegel in seinen Vorlesungen den Divan eigens auszeichnet und ihn als ein für die poetische Aneignung der orientalischen Kultur bedeutsames und zugleich gelungenes poetisches Werk hervorhebt (siehe dazu Kap. 2). Durch dieses Differenzbewußtsein ist offensichtlich die gesamte reflektierte Auseinandersetzung mit der griechischen Kunst geprägt. Sie findet sich bei Schiller in dessen Griechenlandgedichten, in Hölderlins Griechenlandroman und -epen, in Goe46 thes Neufassungen griechischer Tragödien. Schon diese differenzierte Auseinandersetzung mit einer auf die Schönheit gegründeten Kultur in der nachaufklärerischen Ästhetik macht es wenig plausibel, Hegel, der alle diese Versuche rezipiert
44 Martin Heidegger: Gesamtausgabe. II. Abteilung: Vorlesungen 1923-1944. Band 53. Hölderlins Hymne „Der Ister“. S. 30: „Diese Dichtkunst ist nicht metaphysisch. Insofern es Kunst im strengen abendländischen Begriff nur als metaphysische Kunst gibt, ist Hölderlins Dichtung, wenn sie nicht mehr metaphysisch ist, auch nicht mehr ‚Kunst‘.“ 45 Über den Begriff „Klassizismus“ vgl. B. Collenberg-Plotnikov: Klassizismus. In: Metzler Philosophie Lexikon. Begriffe und Definitionen. Hrsg. von Peter Prechtl und Franz-Peter Burkard. Stuttgart/Weimar: Metzler 1996. S. 256. 46 Dazu A. Gethmann-Siefert: Das Klassische als das Utopische. Überlegungen zu einer Kulturphilosophie der Kunst. In: Über das Klassische. Hrsg. von Rudolf Bockholdt. Frankfurt am Main 1987. S. 47-76.
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und für seine Überlegungen genutzt hat, einen bloßen „Klassizismus“, eine unreflektierte Orientierung der Kunst an der antiken Schönheit zu unterstellen. In der Kunst der christlichen und modernen Welt kann die Schönheit nicht mehr als bloße Harmonie der Elemente der Gestalt wiederholt, abgespiegelt werden, sondern sie integriert das für die Moderne typische Moment, nämlich das reflexive Bewußtsein, in die künstlerische Darstellung. Die Auseinandersetzung um das Häßliche setzt sich fort in den Überlegungen der Hegelianer, die in ihrer Ästhetik die Bestimmung des Häßlichen aus der der Schönheit entfalten. Nach der gängigen Meinung kann Hegel an diesem fortlaufenden Aufbau des Begriffes des Häßlichen in keiner bedeutenden Weise beteiligt gewesen sein. Hegel scheint für seinen Teil in der nach seinem Tod publizierten Ästhetik das Nachdenken über das Häßliche abzubrechen, das dann vor allem von 47 seinen Schülern Karl Rosenkranz und Friedrich Theodor Vischer wieder aufgenommen werden muß. In dieser Perspektive muß man die durch die historische Kontinuität der Beschäftigung mit dem Häßlichen unplausible Annahme machen, Hegel habe sich von der Denkentwicklung bewußt und gezielt abgesetzt. Diese Annahme läßt sich aber – was im Zuge dieser Arbeit versucht wird – als Vorurteil entlarven, das eher auf die Bearbeitung der Ästhetik durch Hotho zurückweist als auf Hegels eigene Reflexionen. Denn die Berliner Ästhetikvorlesungen zeigen, daß Hegel sich sowohl mit der Bestimmung der Schönheit als auch mit der des Häßlichen eigens auseinandersetzt und die Gedanken Hölderlins, Schillers, Schlegels wie Goethes aufgreift und bei der Beurteilung der kulturellen Gestalt der Künste in der modernen Welt nutzt. Die Allgegenwart der Auseinandersetzung mit dem Häßlichen als ästhetischem Phänomen läßt sich belegen, wenn man – von dieser unmittelbar für Hegel relevanten Diskussion ausgehend – weitere Aspekte prüft. Man darf nicht denken, daß es sich bei der Bestimmung des Häßlichen als ästhetischer Kategorie um ein Thema handelt, das ausschließlich in Deutschland diskutiert wurde oder beschränkt war auf die direkte Einflußsphäre der Hegelschen Philosophie. Den Gegenbeweis tritt z. B. die Publikation von Giacomo Racioppi (1827 – 1908) in italienischer Sprache an Del brutto nell’arte ovvero del 48 deforme, del male e del ridicolo, die 1854 in Neapel erschien, nur ein Jahr später als Rosenkranzs Ästhetik des Häßlichen. Es sei ferner auch an Francesco De Sanctis (1817-1883) erinnert, der 1855 eine Vorlesung über die Darstellung des Häßli49 chen in der Göttlichen Komödie Dantes hält und bei mehreren Gelegenheiten in
47 Zu Rosenkranz’ Ästhetik des Häßlichen vgl. Dieter Kliche: Pathologie des Schönen. Die Ästhetik des Häßlichen von Karl Rosenkranz. In: Karl Rosenkranz: Ästhetik des Häßlichen. Hrsg. von D. Kliche. Leipzig 1990. S. 401-427. 48 G. Racioppi: Del brutto nell’arte. Neue Edition von M. Mazzocut-Mis und G. Scaramuzza. Padova 1990. 49 F. De Sanctis: La rappresentazione del brutto nella Divina Commedia. In: „Commemorazione di Francesco De Sanctis nel primo centenario della nascita“ a cura della R. Università di Napoli. S. 59-95.
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seiner Storia della letteratura italiana, besonders im Bezug auf Dantes Werk , zu 51 diesem Thema Stellung nimmt . Im gleichen Jahr 1854 publiziert Eduard Hanslick sein Hauptwerk Vom Musikalisch Schönen, womit er sich 1856 in Wien habilitiert. In diesem berühmten Buch, das auf heftige Kritik stoßen wird, behauptet Hanslick, die Schönheit eines Musikwerks liege ausschließlich in seiner Struktur und in seiner Form – nicht in den Gefühlen bzw. Assoziationen, die es erweckt und hervorruft. Somit eröffnet er eine neue Perspektive für die Musikwissenschaft und die ästhetische Rezeption der Bestimmung des Schönen im 20. Jahrhundert. Auf der anderen Seite tragen auch Victor Hugo und Charles Baudelaire zur Definition und zur Anerkennung der Berechtigung des Häßlichen in der ästhetischen Gestaltung bei, das sich als äußerst vielseitiger Begriff erweist, geradezu 52 „chamäleonhaft“, wie der italienische Philosoph Remo Bodei feststellt . Hugo befaßt sich in vielen seiner Romane mit dem Phänomen des Häßlichen, aber vor allem in der berühmten Einleitung zu Cromwell von 1827 und im William Shakespeare von 1864. Baudelaire geht in besonderer Weise auf das Häßliche in seiner Schrift Le peintre de la vie moderne von 1863 ein, wo er in der flüchtigen Schönheit gelegentlich die typische Schönheit seiner Zeit erkennt: „La modernité, c’est le transitoire, le fugitif, le contingent, la moitié de l’art, dont l’autre moitié est l’éternel et l’immuable. (...) Cet élément transitoire, fugitif, dont les métamorphoses sont si fréquentes, nous n’avez pas le droit de le mépriser ou de vous enpasser. En le supprimant, vous tombez forcément dans le vide d’une beauté 53 abstraite et indéfinissable, come celle de l’unique femme avant le premier péché.“
Das Ewige und das Vergängliche begegnen sich in der Mode, die die Modernität durch ihr unermüdliches Streben nach dem Unkonventionellen und Extravagan54 ten kennzeichnet. Im Jahr 1892, ein Jahr bevor der berühmte norwegische Maler Edvard Munch sein bekanntestes Werk, den Schrei (1893), schuf, in dem er beispielhaft die mo-
50 F. De Sanctis: Storia della letteratura italiana a cura di B. Croce. Bari 1958. Bd. I. S. 176- 201. Es sei hier auch auf Le bruttezze di Dante von Giuseppe Ricciardi, Napoli 1879 hingewiesen. 51 Siehe auch De Sanctis: Saggio critico sul Petrarca.Torino 1952. S. 34: „l’essenza dell’arte non è l’ideale nè il bello, ma il vivente, la forma; anche il brutto appartiene all’arte come nella natura anche il brutto è vivente: fuori del regno dell’arte si trova solo l’informe e il deforme.“ Saggi Critici. III. Bari 1963. S. 259, 288. 52 In der modernen Kunst wird das Häßliche nach Bodei immer stärker präsent, so daß es allmählich schwierig wird, die Identifikationskriterien für diese ästhetische Kategorie zu entdecken, die langsam ein „chamäleonhafter“ Begriff wird, oder wie G. Scaramuzza meint, ein Terminus („termine ombrello“), worunter viele verschiedene Bestimmungen dieses Begriffes sich miteinander vermischen. Dazu siehe Remo Bodei: Le logiche del brutto, besonders S. 8 f. und G. Scaramuzza: (a cura di ) Il Brutto nell’arte. Napoli 1995. S. 10. 53 Charles Baudelaire: Oeuvres complètes. III. L’art romantique. Paris 1885. S. 69. 54 Über die Möglichkeit, die Ästhetik Baudelaires teilweise als eine Ästhetik des Häßlichen zu interpretieren, siehe René Wellek: A History of Modern Criticism. 1750-1950. New Hawen: Yale University Press 1955.
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derne Existenzangst darstellt, stellt W. Dilthey fest , daß die Schönheit sich nicht mehr als absoluter ästhetischer Maßstab durchsetzen kann, sondern die Kunst notwendigerweise ihren Horizont erweitern und sich auch den dunkelsten Aspekten öffnen muß. Es setzt sich also in der Ästhetik des ausgehenden 19. Jahrhunderts der Anspruch auf Vielfalt im ästhetischen Bereich durch, von dem 56 einige Jahrzehnte später in Italien auch Dino Formaggio spricht . Gerade diese Vielfältigkeit der ästhetischen Kategorien, die zur Beurteilung der neuen Gestaltungsweisen der Kunst entwickelt werden, kennzeichnet schon die Berliner Vorlesungen Hegels über die Philosophie der Kunst und kann als einer ihrer charakteristischen Grundzüge gelten, wenn dies auch den meisten Kritikern nicht bewußt ist, da sie die Vorlesungsquellen zur Hegelschen Ästhetik nicht kennen. Manchmal zeigt sich also, daß die Philosophie Neues vorwegnimmt, daß sie fähig ist, das Neue, das sich aber noch nicht in seiner ganzen Tragweite auswirkt, aufzunehmen, wie es in der Ästhetik Hegels selbst geschieht, die lange Zeit mißverstanden 57 wird und fälschlich − durch die problematische These vom Ende der Kunst − als selbst der Vergangenheit angehörig eingeschätzt wird. Auf der Schwelle des 20. Jahrhunderts steht man offensichtlich vor einer Erweiterung des ästhetischen Horizonts und der Durchsetzung des Häßlichen als einer vorherrschenden ästhetischen Kategorie, die dann die Bilder von Künstlern wie Kirchner, Nolde, Kokoschka und Schiele sowie die Skulpturen aus Holz und 58 Bronze von Barlach, die Zwiespältigkeiten des musikalischen Dramas , die Dissonanzen der Zwölftonmusik Schönbergs, die Abenteuer im Unbewußten der 59 entstehenden Psychoanalyse ebenso wie die ästhetischen Überlegungen vieler 55 W. Dilthey: Die drei Epochen der modernen Ästhetik und ihre heutige Aufgabe. In: Wilhelm Diltheys gesammelte Schriften. Bd 6. Stuttgart-Göttingen 1978, 248-287. In dieser Schrift vertritt Dilthey die Ansicht, daß man nach 1848 eine vollständige Umwälzung sowohl auf politischem wie auch auf ästhetischem Gebiet beobachtet. In der Kunst ist diese Veränderung besonders auf den Naturalismus zurückzuführen, der in seinem Versuch, das Leben in seiner Gesamtheit zu ästhetisieren, die Ästhetik des 19. Jahrhunderts in eine tiefe Krise stürzt. 56 D. Formaggio: L’idea di artisticità. Milano 1962. S. 305. 57 A. Gethmann-Siefert: Hegels These vom Ende der Kunst und der „Klassizismus“ der Ästhetik. In: Hegel-Studien. 19 (1984). S. 205-258 sowie dies.: Ist die Kunst tot und zu Ende? Überlegungen zu Hegels Ästhetik. Erlangen und Jena 1994. Zum „Ende der Kunst“ siehe auch B. Croce: La fine dell’arte nel sistema hegeliano [1933]. In: Ultimi Saggi. Bari 1935; G. Vattimo: Morte o tramonto dell’arte. In: Orizzonte e progetti dell’Estetica. Pratiche/Parma 1980; Willi Oelmüller: Hegels Satz vom Ende der Kunst und das Problem der Philosophie der Kunst nach Hegel. In: Philosophisches Jahrbuch LXXIII. 1965-66. S. 75-94; G. Scaramuzza: Il problema della morte dell’arte nell’estetica di Hegel. In: AA. VV. Problemi del Romanticismo; D. Formaggio: La „morte dell’arte“ e l’estetica. Bologna 1983; Stephen Houlgate: Hegel and the „End“ of Art. In: The Owl of Minerva. Villanova. 29 (1997). S. 1-21. 58 Wie der Philosoph Gabriele Scaramazza ausführt, stellt das Musikdrama des 19. Jahrhunderts, vor allem die italienische Oper, insbesondere vertreten durch Verdi, einen signifikanten Komplex dar, in dem das Interesse am Häßlichen ziemlich dauerhaft ist, eine Art privilegierten Feldes des Häßlichen im italienischen Musikdrama. Siehe G. Scaramazza (Hrsg.): Il Brutto nell’arte. Napoli 1995, der auf P. Brooks The melodramatic Imagination. Yale: University Press 1976 (ins Italienische übersetzt: L’immaginazione melodrammatica. Parma 1985) hinweist. 59 S. Freud: Der Dichter und das Phantasieren. Gesammelte Werke. Bd. 7. Frankfurt am Main 1960-1968. Dazu siehe Letteratura e psicoanalisi. Hrsg. von Remo Bodei. Bologna 1974 sowie A.
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Philosophen belebt. Zum Beispiel behauptet 1906 Max Dessoir in seiner Ästhetik, daß dem Häßlichen als einer ästhetischen Form unter den verschiedenen Formen ein positiver Wert zuerkannt werden müsse, ein besonderer Reiz und eine Fähig60 keit des Ausdrucks, die durch nichts ersetzt werden könne. So veröffentlicht Filippo Tommaso Marinetti im Jahr 1912 das Manifest der Futuristen und ruft dazu auf, in der Literatur vom Häßlichen Gebrauch zu machen, um überall der 61 „Feierlichkeit“ ein Ende zu setzen. Im gleichen Jahr lehnt der Neukantianer H. Cohen im System der Philosophie jede Ästhetik ab, die glaubt, vom Häßlichen absehen zu können. Das Häßliche erinnert den Menschen an seine animalischen Grenzen und Unvollkommenheiten und erlaubt ihm, darüber zu lachen. Von neuem taucht also diese Verbindung von Häßlichem und Komischem, Ernst und Lachen auf, die seit Aristoteles in der Geschichte des westlichen Denkens präsent blieb. Die Erfahrung des ersten und zweiten Weltkriegs motivierte Künstler und Philosophen dazu, im Häßlichen eine adäquate Form der Kunst zu sehen, die den Rezipienten dazu nötigt, sich der Bedrohung der Gegenwart auszusetzen. Im selben Jahr 1937, in dem Valentin Feldman das Häßliche ausdrücklich als einen 62 Aspekt des Wahren hervorhebt , wird das Häßliche in dem riesigen, von Picasso anläßlich des Massakers von Guernica geschaffenen Gemälde als Instrument zur 63 Verurteilung des Mordens und der vom Krieg hervorgerufenen Verzweiflung eingesetzt. Allerdings fehlen auch im 20. Jahrhundert die Stimmen nicht, die sich gegen die ästhetische Zulässigkeit des Häßlichen wenden. Einer der bekanntesten Repräsentanten der Ästhetik der Empathie, J. Volkelt, versteht im System der Ästhe-
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Pagnini: Psicoanalisi ed estetica. Firenze 1975 und F. Sossi: Mentre l’angoscia si fa guardare. Lo spazio dell’oggetto in Freud, Heidegger e Kant. Milano 1995. Interessant ist auch Freuds Hinweis auf das Motiv des Doppelgängers in der Schrift von 1919 über Das Unheimliche. Siehe S. Freud: Gesammelte Werke. Bd. XII. Werke aus den Jahren 1917-1920. London 1947. S. 227-268, bes. 247ff. Doppelgänger des Schönen ist z. B. das Häßliche für Karl Rosenkranz und „unheimlich“ im Sinne Freuds erscheint uns die Häßlichkeit in C. H. Weißes ästhetischen Überlegungen. Das Element des Doppelgängers, auch wenn Freud explizit weder vom Schönen noch vom Häßlichen redet, ermöglicht also, einige Verknüpfungen zu finden. Wie – nach Freud – der Doppelgänger des Ichs „alle unterbliebenen Möglichkeiten der Geschicksgestaltung, an denen die Phantasie noch festhalten will, und alle Ich-Strebungen, die sich infolge äußerer Ungunst nicht durchsetzen konnten“ (S. 248), zum Ausdruck bringt, so ist – für einige der Hegelianer – das Häßliche der Doppelgänger des Schönen. Siehe auch Max Dessoir: Der Wert des Häßlichen. In: Die Woche. 3 (1901). H. 43. Filippo Tommaso Marinetti: Die futuristische Literatur. Technisches Manifest. In: Worte in Freiheit. Der italienische Futurismus und die deutsche literarische Avantgarde. (1912-1934). S. 193200, hier S. 199: „Gebrauchen wir das ‚Häßliche‘ in der Literatur und töten wir überall die Feierlichkeit“. Auf Italienisch vgl. auch Filippo Tommaso Marinetti: Fondazione e manifesto del futurismo. In: Archivi del futurismo Roma 1958. Dazu siehe: P. D’Angelo: L’estetica del futurismo. In: L’estetica italiana del Novecento. S. 127 ff. Valentin Feldman: Structures formelles de la laideur. Deuxième Congrés International d’Esthétique et de Science de l’Art“. Paris 1937. S. 162-167. Über Picasso siehe Walter Biemel: Der Künstler als Herrscher. In: A. Gethmann-Siefert/E. Weisser-Lohmann (Hrsg): Kultur-Kunst-Öffentlichkeit. München 2001. S. 225-247.
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tik (1905/1914) das Häßliche als eine Art ästhetischer Verletzung, eine Beleidigung, das Antiästhetische an sich, in Übereinstimmung mit den von Theodor Lipps (1851-1914) in der Ästhetik 1903 vertretenen Thesen, nach denen das Häßliche ein Unwert ist und Gegenstand negativer Empathie. In Italien ist es die Estetica von Benedetto Croce aus dem Jahre 1902, in der das Häßliche – wie in der nachidealistischen Ästhetik in Deutschland – die gleiche Behandlung erfährt und ästhetisch auf eine bloße Nicht-Existenz, auf einen reinen Unwert reduziert wird. Während das Schöne die ästhetische Kategorie schlechthin ist, kommt das Häßliche im Bereich des Ästhetischen überhaupt nicht vor, da für Croce das Ästhetische ausschließlich das Umfeld dessen ist, was auf der künstlerischen Ebene gelungen ist, so daß sich das auf einen ungelösten Widerspruch zurückgeführte Häßliche aus dieser Sphäre ausschließt. Wenn das Häßliche vielfältig und graduell ist, so ist das Schöne dagegen Eins; es ist oder ist nicht, aber nie ist es teilweise. Im Gegensatz zum Schönen ist das Häßliche nie absolut, sondern zeigt sich in höherem oder geringerem Grade, niemals vollstän64 dig . In ebenso negativen Formulierungen äußert sich auch Gentile in seiner Fi65 losofia dell’arte über das Häßliche . Die Ablehnung des Häßlichen setzt sich im 20. Jahrhundert auch auf politischem Gebiet fort, wo das Häßliche als Synonym für Dekadenz gebrandmarkt wird. So geschieht es in Deutschland während des Dritten Reichs, das die moderne Kunst als entartet verurteilt; es geschieht aber auch im Herrschaftsbereich des Kommunismus und der entsprechenden künstlerischen Ideologie des sozialistischen Realismus. In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg kehrt dann die Idee wieder, das Häßliche als Deformation eines der Natur nach Schönen zu rechtfer66 tigen, statt es abzuwerten. Man denke an Lydie Krestovsky oder an Georges 67 Bataille , der von schöner Häßlichkeit und häßlicher Schönheit spricht. Auch hier steht die Nachahmungstheorie der Kunst im Hintergrund, denn in Wahrheit ist es die Realität selbst, die deformiert ist, und die Künstler stellen nur die Disharmonien der Wirklichkeit dar. Im Theater reduziert Eugène Ionesco in einigen inzwischen klassischen Stücken des Absurden Theaters, nämlich La Cantatrice chauve (Die kahle Sängerin; 1950), La Leçon (Die Unterrichtstunde; 1951) Les chaises (Die Stühle; 1952) die Sprache auf ein törichtes Gestammel, während Samuel Beckett 1953 mit seiner Uraufführung von En attendant Godot in Paris das 64 Über Croces Ästhetik siehe P. D’Angelo: L’estetica di Benedetto Croce. In: L’estetica italiana del Novecento. Roma-Bari 1997. S. 5-71. Zu Croces ästhetischem Denken vgl. auch ders.: Croce e l’estetica romantica. In: Per Croce: estetica etica storia. Napoli 1995. S. 153-203 sowie ders.: Croce: l’estetica e il sistema. In: Croce e l’estetica. Palermo 1983. S. 19-30 und ders.: L’estetica di Benedetto Croce. Roma-Bari 1982. 65 G. Gentile: Filosofia dell’arte. Firenze 1975, besonders S. 124 ff. „Ogni valore si oppone perciò a un disvalore, che è il suo contrario, a cui è da preferire: il bello al brutto, il vero al falso, il bene al male.“ Hier S. 124. Zu Gentiles Ästhetik vgl. P. D’Angelo: L’estetica di Giovanni Gentile. In: L’estetica italiana del Novecento. Roma-Bari 1997. S. 73-115. 66 Lydie Krestovsky: Le problème spiritual de la beauté et de la laideur. Paris 1948. 67 G. Bataille: La laideur belle ou la beautè laide dans l’art et littèrature. In: Critique 34, 1949. S. 215-220.
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unendliche Warten auf einen Sinn, der nie zu kommen scheint, auf die Bühne bringt. 1968 schreibt C. Enzensberger den provokanten Größeren Versuch über den Schmutz, in welchem er behauptet, daß nicht das wirklich ist, was sauber ist, sondern gerade das, was schmutzig ist: „Sauber ist schön und gut. Sauber ist hell brav lieb. Sauber ist oben und hier. Schmutzig ist häßlich und anderswo. Sauber ist doch das Wahre, schmutzig ist unten und übel, schmutzig hat keinen Zweck. 68 Sauber hat recht. (...) aber schmutzig das ist also wirklich“. Sei es, daß das Häßliche gefeiert wird, sei es, daß es abgelehnt wird, es ist unvermeidlich festzustellen, daß die Kunst nicht mehr heiter ist, wie Adorno behauptet, und – wie Carsten Zelle gerade in Bezug auf Adorno anmerkt – daß die Kategorie des Häßlichen selbst nunmehr ihrem Untergang nahe ist: „Angesichts der ubiquitären Häßlichkeit der heutigen Medienwelt hat die Kategorie des Häßlichen, die im 19. Jahrhundert Eigenständigkeit gewann, um der Ästhetik gegenüber den Phänomenen der modernen Kunst die Sprache zurückzugewinnen, ihren Wert verloren. Wo nichts mehr verfemt ist, hat die kritische Kraft des Häßli69 chen ihren Stachel verloren.“
Im Gegensatz zur aktuellen Inflation des Häßlichen geht es in der Auseinandersetzung mit der Hegelschen Konzeption des Häßlichen gerade darum, eine differenzierte Bestimmung des Häßlichen als ästhetische Kategorie, die ihre Relevanz im Zusammenspiel mit anderen Kategorien gewinnt, zu entwickeln. Der Kontext, in den Hegel seine Überlegungen stellt, läßt deutlich werden, daß es ihm – wie Hölderlin und Schlegel – um das kritische Element der ästhetischen Form des Häßlichen geht. Im Kontrast zu seiner Bestimmung des Schönen läßt sich zudem zeigen, daß Hegel auch die Schönheit und ihre Bedeutung in der Kunst in diesem provokatorischen Sinn: im Betonen ihres kritischen, reflexiven Moments, 70 neu bestimmt. Es geht also nicht darum, isoliert eine Ästhetik des Häßlichen aus den Hegelschen Äußerungen zu entwickeln, sondern vielmehr darum, sich mit seiner Überlegung auseinanderzusetzen, daß die Kunst in der modernen Welt eine große Spannbreite von Gestaltungsmöglichkeiten – vom Schönen bis zum Häßlichen –erreicht. Da Hegel diese Überlegung mit seinem Grundgedanken, der Einheit von Form und Inhalt, verknüpft, gewinnt die ästhetische Kategorie nicht als solche, als bloßes Spiel mit Form bzw. als De-Formation ihre Bedeutung, sondern legitimiert sich durch den Inhalt der Kunst: die Vermittlung geschichtlicher Wahrheit und des Selbstbewußtseins, das sich im aufklärerischen Fortschritt in unterschiedlichen Gestalten vermittelt.
68 Christian Enzensberger: Größerer Versuch über den Schmutz. München 1968. Mit diesem Buch will der Autor zeigen, wie die enge Verknüpfung zwischen Macht und Schmutz der modernen Gesellschaft „die Welt und die Person selbst in Schmutz“ (S. 8) verwandelt. 69 Carsten Zelle: Ästhetik des Häßlichen. S. 229. 70 Vgl. dazu die zusammenfassenden Überlegungen in: A. Gethmann-Siefert: Einführung in Hegels Ästhetik.
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1. DIE BESTIMMUNG DES KUNSTSCHÖNEN UND DES IDEALS – DER ALTERNATIVE ANSATZ DER ÄSTHETIK BEI HEGEL UND HOTHO ALS GRUNDLAGE DER STELLUNGNAHME ZUM HÄSSLICHEN 1.1 Hegels Bestimmung des Kunstschönen und des Ideals in den Berliner Vorlesungen zur Ästhetik. HEGELS BESTIMMUNG DES KUNSTSCHÖNEN UND DES IDEALS
Anders als im Mittelalter und in der Antike wird die Schönheit von den wichtigsten Repräsentanten der deutschen Philosophie des 19. Jahrhunderts nicht mehr als eine Qualität des Universums, sondern als ein Resultat des menschli1 chen künstlerischen Schaffens aufgefaßt . Hintergrund dieser geänderten Perspektive hinsichtlich der Schönheit und demzufolge der Kunst ist die Betonung der Subjektivität, die die Philosophie des Deutschen Idealismus kennzeichnet. Dieter Henrich behauptet: „Die idealistische Ästhetik denkt Kunst als das Hinaussetzen und Darstellen einer durch Subjektivität (...). Solche bedarf der Subjektivität, um hervorzutreten und schließt sie somit in ihrem Begriffe ein. Deshalb ist Subjektivität in ihr auch nicht negiert, son2 dern gerade begründet“. Subjekt und künstlerische Produktion sind eng mit3 einander verflochten. Insofern meint G. W. F. Hegel zusammen mit Schelling , 01 Über diese geänderte Perspektive siehe Paolo D’Angelo: Estetica della natura. Bellezza naturale, paesaggio, arte ambientale. Roma-Bari 2001. Bes. Kap. I. S. 35-42; Dieter Henrich: Kunst und Natur in der idealistischen Ästhetik. In: H. R. Jauß: Nachahmung und Illusion. München 1964. S. 128-134; N. Rath: Kunst als „zweite Natur“. Einige Konsequenzen der Ablösung des Nachahmungsgedankens in der klassischen Ästhetik. In: Kolloquium Kunst und Philosophie 3. Hrsg. von W. Oelmüller. Paderborn 1983. S. 94-103; Hartmut Böhme: Gibt es objektive Gefühle? Zum Problem einer Naturästhetik aus der Sicht der Goethezeit. In: Ästhetik und Naturerfahrung. Hrsg. von Jörg Zimmermann. Stuttgart-Bad Cannstatt 1996. S. 13- 25. 02 Dieter Henrich: Kunst und Natur in der idealistischen Ästhetik. S. 133. 03 In seiner berühmten Rede, gehalten am 12.10.1807 anlässlich des Namenstags des Königs von Bayern, stellt Schelling die Behauptung auf, daß es nicht die Produkte der Natur sind, sondern eher die schöpferische Kraft, die die Natur beseelt, die der Künstler nachahmen muß, wenn er nicht leere „Larven“ schaffen will. Vgl. F.W.J. von Schelling: Über das Verhältniß der bildenden Künste zu der Natur (1807). In: Früher Idealismus und Frühromantik. Der Streit um die Grundlagen der Ästhetik (1795-1805). Quellenband. Hrsg. von Walter Jaeschke. Hamburg 1995. S. 341366, hier S. 347: „Die Lage des Künstlers gegen die Natur sollte oft durch den Ausspruch klar gemacht werden, daß die Kunst, um dieses zu seyn, sich erst von der Natur entfernen müsse, und nur in der letzten Vollendung zu ihr zurückkehre. Der wahre Sinn desselben scheint uns kein anderer sein zu können als folgender. In allen Naturwesen zeigt sich der lebendige Begriff nur blind wirksam: wäre er es auf dieselbe Weise im Künstler, so würde er sich von der Natur überhaupt nicht unterscheiden. Wollte er sich aber mit Bewußtseyn dem Wirklichen ganz unterordnen, und das Vorhandene mit knechtischer Treue wiedergeben, so würde er wohl Larven hervorbringen, aber keine Kunstwerke. Er muß sich also vom Produkt oder vom Geschöpf entfernen, aber nur um sich zu der schaffenden Kraft zu erheben, und diese geistig zu ergreifen. (...) Jenem im Innern der Dinge wirksamen durch Form und Gestalt nur wie durch Sinnbilder redenden Naturgeist soll der Künstler allerdings nacheifern, und nur insofern er diesen lebendig nachahmend ergreift, hat er selbst etwas Wahrhaftes erschaffen.“
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Schleiermacher und Solger , daß die für eine philosophische Bestimmung der Kunstschönheit relevante Schönheit die eigens geschaffene Schönheit sein muß und auf keinen Fall die Naturschönheit sein kann. „Die natürlichen Dinge sind nur, sind nur einfach, nur einmal. Doch der Mensch als Bewußtsein verdoppelt sich, ist einmal, dann ist er für sich, treibt, was er ist, vor sich, schaut sich an, 6 stellt sich vor, ist Bewußtsein von sich; und er bringt nur vor sich, was er ist.“ Die Kunst ist für Hegel genau eine solche Art und Weise, in der der Mensch sich verdoppelt und sich vor sich selbst bringt. Diese Selbstanschauung und Vorstellung des menschlichen Wesens ist es, was die Ästhetik betrachtet: „Das Kunstwerk ist demnach vom Menschen gemacht, damit das Bewußtsein sich selbst zum Gegenstande werde. Und dies ist die große Notwendigkeit der Ver7 nünftigkeit des Menschen.“ Schon im WS 1820/21 behauptet und erklärt Hegel daher in seiner Vorlesung, der Bereich der Ästhetik umfasse ausschließlich das Kunstschöne. So beginnt er seine erste Vorlesung und gleichlautend auch die späteren Vorlesungen zur Philosophie der Kunst: „Diese Vorlesungen sind der Aesthetik gewidmet, und 8 ihr Feld ist das Schöne, hauptsächlich die Kunst.“ Auch 1823 fängt er seine zweite Vorlesung zur Ästhetik so an: „Der Gegenstand unserer Betrachtung bestimmt 9 sich als das Reich des Schönen, näher als das Gebiet der Kunst.“ Die Begrenzung des ästhetischen Bereichs ist jedoch im dritten (1826) und im vierten Vorlesungsjahr (1828/29) noch deutlicher als vorher, da Hegel von Anfang an erklärt, daß seine Hinwendung zum einzigen Objekt der Philosophie der Kunst, nämlich dem Kunstschönen, und die folgerichtige Ausschließung des Naturschönen keinesfalls arbiträr, sondern notwendig ist: „Die Vorlesungen sind der Ästhetik gewidmet, d.h. der Philosophie, der Wissenschaft des Schönen, und zwar des Kunstschönen. Wir schließen das Naturschöne aus; man könnte sagen, jede Wissenschaft hat sich ihren Umfang beliebig zu bestimmen, und wir können hier [unter Ästhetik] die Wissenschaft des Schönen [überhaupt] verstehen. Es ist jedoch keine willkürliche Bestimmung, daß wir nur das Kunstschöne zum Ge-
04 F. D. Schleiermacher: Aesthetik. Ueber den Begriff der Kunst. Hrsg. von T. Lehnerer. Hamburg 1984. Insbesondere S. 4-5. Schleiermacher meint, man soll „die Kunst im Menschen unmittelbar“ aufsuchen (a.a.O. S. 5). 05 K.W.F. Solger: Vorlesungen über Ästhetik. Hrsg. von K. L. Heyse. Leipzig 1829. Reprint Darmstadt 1980. 06 Für die Vorlesung aus dem Jahr 1823 wird aus folgender Nachschrift zitiert: G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Kunst. Berlin 1823. Nachgeschrieben von Heinrich Gustav Hotho. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert (=G.W.F. Hegel: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte. 2), Hamburg 1998 (im Folgenden zit.: Hotho 1823). Hier Hotho 1823, Ms. 11, S. 12 f. 07 Hotho 1823, Ms. 12, S. 13. 08 Für die erste Vorlesung Hegels über die Ästhetik wird aus folgender Nachschrift zitiert: G. W. F. Hegel: Vorlesung über Ästhetik. Berlin 1820/21. Eine Nachschrift. Hrsg. von Helmut Schneider. Frankfurt am Main 1995 [im Folgenden zit.: Ascheberg 1820/21]. Hier Ascheberg 1820/21, Ms. 1. 09 Hotho 1823, Ms. 1, S. 1.
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genstand gemacht haben.“ Da das Kunstschöne von einem Subjekt geschaffen ist und insofern ein Produkt des Geistes ist, ist es höher als das Naturschöne, denn „soviel höher der Geist als die Natur ist, so viel höher das Kunstschöne als 11 das Naturschöne sei“. Auch 1828/29 präzisiert Hegel zu Beginn ganz genau, worauf er seine Aufmerksamkeit richten wird: „Das Bereich des Schönen, die Kunst, ist das Gebiet dieser Wissenschaft. (...). Es ist die Philosophie der Kunst, des Schönen. (...) Wenn wir den Umfang beschränken, so schließen wir das Naturschöne aus, und nehmen bloß das Kunstschöne. Es scheint eine willkürliche Beschränkung zu sein. Doch so viel auch von den Naturschönheiten die Rede ist, so hat doch Niemand eine systematische Beschreibung der Naturschönheiten zu machen gewagt. Einzelne Gesichtspunkte hat man da herausgehoben, wie den der Nützlichkeit (...). Wir sind bei den Naturschönheiten zu sehr im Unbestimmten. Halten wir uns an die eigentlichen Werke des Geistes und [der] Geschicklichkeit, so scheint sich die Wissenschaft zu vermindern. Allein die Quelle der menschlichen Künste ist die Phantasie und die ist freier als die Natur, ihr steht die Natur und mehr als die Natur zu Gebote. Ihre schöpferische Kraft ist unermeßlich. Die Willkür der Phantasie entzieht sich der Kategorie der Notwendigkeit, die der 12 wissenschaftlichen Betrachtung zu Grunde liegt.“
Ganz am Anfang der Vorlesungen von 1826 und 1828/29 zieht Hegel also eine präzise Trennungslinie zwischen dem Bereich des Natürlichen, der seiner Ansicht nach zu unbestimmt bleibt, und dem Bereich des Kunstschönen, welches als Frucht der Kreativität des Menschen, seiner Phantasie, wie man in der vierten Vorlesung von 1828/29 liest, ein unverwechselbares Zeichen einer geistigen Freiheit darstellt, die sich in der natürlichen Welt in der Tat nicht findet. Diese Unterscheidung zwischen Naturschönem und Kunstschönem aber durchzieht das Denken Hegels von Anfang an. Schon im Wintersemester 1820/21 verknüpft er Kunst und Freiheit, indem er eben vom Kunstschönen als dem „freien Schönen“ spricht und es also vom der Notwendigkeit unterworfenen Naturschönen unterscheidet. Eine solche wichtige Unterscheidung eines ‚ästhetischen Raumes‘, wie 10 Es wird hier für das Jahr 1826 aus den folgenden Nachschriften zitiert: G.W.F. Hegel: Philosophie der Kunst oder Ästhetik. Nach Hegel. Im Sommer 1826. (Mitschrift von Hermann von Kehler). Hrsg. von Annemarie Gethmann-Siefert und Bernadette Collenberg-Plotnikov unter Mitwirkung von Francesca Iannelli und Karsten Berr. Studienbrief der FernUniversität Hagen und Buchpublikation Fink Verlag. München 2004 [im Folgenden zit.: Kehler 1826]; ders.: Philosophie der Kunst. 1826. Nachgeschrieben durch von der Pfordten (Ms. Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin) Hrsg. von Annemarie Gethmann-Siefert, Jeong-Im Kwon, Karsten Berr, Frankfurt am Main, 2005, [im Folgenden zit.: von der Pfordten 1826]; ders.: Ästhetik. Nach Prof. Hegel. 1826 (Ms. Stadtbibliothek Aachen) [im Folgenden zit.: Aachen 1826]; ders.: Philosophie der Kunst. Von Prof. Hegel. Sommer 1826. Nachgeschrieben durch Griesheim (Ms. Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin) [im Folgenden zit.: Griesheim 1826]; ders.: Aesthetik nach Hegel. 1826. Löwe (Ms. Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin) [im Folgenden zit.: Löwe 1826]. Hier Kehler 1826, Ms. 1, S.1. 11 Kehler 1826, Ms. 2, S.1. 12 Für die Vorlesung vom WS 1828/29 wird aus der folgenden Nachschrift zitiert: G. W. F. Hegel: Ästhetik nach Prof. Hegel im Winter Semester 1828/29. Mitschrift von Karol Libelt (Ms. Jagiellonische Bibliothek Krakau) [im Folgenden zit: Libelt 1828/29]. Hier Libelt 1828/29, Ms. 1a [2].
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Hegel sie in den beiden letzten Vorlesungen 1826 und 1828/29 entwickelt, wird entschieden in den Vordergrund gestellt, sehr wahrscheinlich, weil Hegel absolut klarstellen wollte, daß die beiden fraglichen Bereiche nicht äquivalent sind und daß also das Naturschöne nicht – wie etwa bei Kant in der Kritik der Urteilskraft – der der Kunst affinere Bereich sein kann. In seiner dritten Kritik unterscheidet Kant einerseits ganz deutlich zwischen 13 Naturschönheit und Kunstschönheit , jedoch meint er andererseits, daß die Kunst die Fähigkeit der Natur, Symbol der Sittlichkeit zu sein, nachahmen muß. 14 Das Schöne ist nämlich „Vorübung zur Moral“ , wie Kant etwa in seinen Reflexionen aus den Jahren 1788/1789 meint. In Paragraph 45 der Kritik der Urteilskraft taucht dann ein weiterer Aspekt auf, weshalb die Kunst auf die Natur zurückgreifen muß, und zwar soll die Kunst sich die Spontaneität der Natur zum Vorbild nehmen. Trotz der Evidenz, daß die Kunstwerke keine Naturprodukte sind, sollen sie aber nach Kant natürlich „erscheinen“. Vor der Kunst soll ich vergessen können, daß es Kunst ist. Sie soll trotz ihrer unvermeidlichen Intentionalität frei von Regeln und unabsichtlich erscheinen. Die Kunst soll also Nachahmung der Natur in diesem spezifischen Sinne und nicht bloße Wiederholung von exemplarischen Mustern sein. Die Deutung, die Kant in der dritten Kritik für das Genie entwickelt, beweist es. Besonders klar ist er in Paragraph 47, wo er erklärt, 15 daß das Genie „dem Nachahmungsgei ste gänzlich entgegen zu setzten“ ist . Das Genie als genius, das in uns ist, ist eine angeborene und natürliche Gabe, die 16 „der Kunst die Regel gibt.“ Die Kunst ist also Nachahmung der Natur in dem Sinne, daß das Genie die Naturvorstellung nachahmt, dabei aber absolut originell 13 Siehe Paragraph 42 der Kritik der Urteilskraft: Bei der Bewunderung des Naturschönen (z. B. einer Nachtigall oder der Blumen) sind wir an dem „Dasein“ des Gegenstandes interessiert, das dagegen für uns im Fall des Kunstschönen irrelevant ist. Vor der Natur entspringt also ein „unmittelbares Interesse“ (vgl. I. Kant: Kritik der Urteilskraft. In: Werkausgabe Band X. Hrsg. von W. Weischedel. Frankfurt a M. 1974, S. 232). Das Naturprodukt gefällt uns nicht nur wegen seiner Form, sondern auch wegen seiner realen Existenz. Eine künstliche Blume oder ein verfälschtes und artifizielles Singen würde uns nicht gefallen. Kant unterscheidet dann weiter Naturschönheit von Kunstschönheit in Paragraph 43, wo er unterstreicht, wie das facere (das Tun) der Kunst (deren Produkt opus genannt wird) anders als das agere (das Wirken) der Natur (die ein effectus produziert) ist. Auch in Paragraph 48 unterscheidet er das Naturschöne und das Kunstschöne weiter und erklärt, wie die Naturschönheit einfach „ein schönes Ding“ ist, das nicht mit der „schönen Vorstellung eines Dinges“ (nur das ist die Kunstschönheit) übereinstimmt. I. Kant: Kritik der Urteilskraft, S. 246. 14 I. Kant: Aus den Reflexionen zur Ästhetik, Nr. 993, S. 438 in Kant’s Gesammelte Schriften (Akademieausgabe), Bd. 15.1, Berlin 1923. 15 I. Kant: Kritik der Urteilskraft, § 47, S. 243 16 I. Kant: Kritik der Urteilskraft, § 46, S. 241. Kants Deutung des Genies ist Teil der lebhaften Diskussion seiner Zeit von Diderot bis Batteaux und Sulzer. Über die Bedeutung des Geniekonzeptes und zu den verschiedenen philosophischen Interpretationen siehe den Überblick von J. Ritter in Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von J. Ritter, Bd. 3. Basel 1974. S. 279309 sowie auch auf Italienisch die Rekonstruktion des Begriffes von Gianni Carchia im Dizionario di estetica. Hrsg. von P. D’Angelo/ G. Carchia unter Mitwirkung von Stefano Catucci, Flavio Cuniberto, Tonino Griffero, Stefano Velotti. Roma-Bari 1999, S. 122-127. Vgl. dazu auch die Interpretation von A. Gethmann-Siefert in Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaften. Hrsg. von Jürgen Mittelstraß. Bd. 1. Stuttgart/Weimar 1980, S. 733.
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ist. Das für das Genie charakteristische Merkmal ist nämlich gerade die Origina17 lität, die Fähigkeit etwas Neues und Ursprüngliches hervorzubringen . In seiner besonderen Art und Weise, die Natur nachzuahmen, sucht also das Genie die für die natürlichen Objekte typische Spontaneität wiederzugeben und es wird damit 18 das moralische Gefühl, das die Natur in primis hervorruft, erregen . Wie die Natur soll von daher die Kunst letztlich sittliche Ideen stimulieren. Mit der Überzeugung, daß der ästhetische Bereich ausschließlich das Kunstschöne als Frucht der menschlichen Kreativität umfaßt und mit der entschiedenen Höherbewertung des Kunstschönen setzt sich Hegel nicht nur von Kants Ästhetik, sondern zugleich auch von der Aufklärungsästhetik ab und – dies wird er im Folgenden eigens explizieren – von der grundlegenden Bestimmung der 19 Kunst als Nachahmung der Natur , ihrer Wahrheit als Richtigkeit der Wieder20 gabe eines vorliegenden Naturobjekts . Die Grundlage dieser Einschätzung findet sich in Hegels systematischer Philosophie, näherhin in seinem Anliegen, durch das System der Philosophie – als Konzeption der Entwicklung des Geistes in der wirklichen Welt und in ihrer Geschichte – die Kantische Transzendentalphilosophie fortzusetzen und die Kritik jeweils durch eine Metaphysik zu ergänzen. Der Wahrheitsbegriff seiner systematischen Philosophie kann auf dieser Basis nicht mehr der einer realistischen Ontologie, d. h. einer adaequatio rei et intellectus sein. Für die Kunst bedeutet dies zweierlei: Erstens ist die vorgegebene Natur nicht ihr Maßstab, die Natur als bewußtlose nicht das Vorbild ihrer Gestaltung, sondern sie ist ein kulturelles, ein geistiges Phänomen. Zweitens muß die „Wahrheit“ der Kunst gegenüber der Richtigkeit der Naturwiedergabe eigens neu bestimmt werden, was Hegel durch die Bestimmung des Begriffs des Scheins erreicht. Natur ist nun als erkannte, geistig vermittelte „für uns“, sie ist nicht in sich selbst Vorbild der Kunst, sondern nun im geistigen Vollzug der Gestaltung 21 erfahrbar. 17 Für weitere Erläuterungen dazu siehe A. Gethmann-Siefert: Einführung in die Ästhetik. S. 103 18 I. Kant: Kritik der Urteilskraft. § 42, S. 231f. Man liest, daß „ein unmittelbares Interesse an der Schönheit der Natur zu nehmen (nicht bloß Geschmack haben, um sie zu beurteilen) jederzeit ein Kennzeichen einer guten Seele“ ist. Und daß, „wenn dieses Interesse habituell ist, es wenigstens eine dem moralischen Gefühl günstige Gemütsstimmung anzeige, wenn es sich mit der Beschauung der Natur gerne verbindet.“ 19 Die Nachahmung (auf Lateinisch imitatio, und auf griechisch µίµησις) wird zum ersten Mal bei Plato philosophisch betrachtet. Es ist dann Batteaux (1746), der alle schönen Künste auf den einzigen Ansatz der Nachahmung zurückführt. In der Aesthetica Baumgartens (1750-1758) wird dann in § 429 behauptet, daß die Kunst keine Abschilderung der Welt, sondern Nachahmung sei – nicht aber Nachahmung der Natur in ihrer faktischen Erscheinung, eher Nachahmung einer bestimmten Vorstellung der Natur, nämlich der Vorstellung der Natur als einer vollendeten Welt. 20 Vgl. dazu z. B Ascheberg 1820/21, Ms. 15, S. 35. 21 Diesen Zusammenhang hat Karsten Berr in seiner Magisterarbeit Untersuchung über Hegels Bestimmung der Landschaftsmalerei in den Berliner Ästhetikvorlesungen anhand der Hegelschen Ästhetikvorlesungen untersucht. Siehe dazu auch ders.: Hegels Bestimmung der Landschaftsmalerei in den Berliner Ästhetikvorlesungen. In: Die geschichtliche Bedeutung der Kunst und die Bestimmung der Künste, 205-225.
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DIE BESTIMMUNG DES KUNSTSCHÖNEN UND DES IDEALS BEI HEGEL U. HOTHO
Wie man sehen wird, weicht die von H.G. Hotho bearbeitete und dann edierte Fassung der Hegelschen Ästhetik in diesem Punkt, nämlich der Bestimmung der Bedeutung der Naturschönheit, wesentlich von den Vorlesungszeugnissen ab und gibt keineswegs den Gedanken Hegels wieder. Sie führt daher zu einer 22 langen Reihe von Mißverständnissen, die bis in unsere Zeit reichen. Die Gestaltung des ausführlichen Kapitels über das Naturschöne stammt nämlich, wie festzustellen sein wird, von H. G. Hotho, der einzelne Überlegungen aus Hegels Vorlesungen mit seiner eigenen systematischen Entfaltung des Naturschönen verknüpft, so daß der Gedankengang Hegels bezüglich der Naturschönheit ab23 solut verdreht wird. Außerdem lauten die Eingangssätze der Vorlesungen in der von Hotho 183538 edierten Druckfassung leicht anders: „Diese Vorlesungen sind der Ästhetik 24 gewidmet ; ihr Gegenstand ist das weite Reich des Schönen, und näher ist die 25 26 Kunst , und zwar die schöne Kunst ihr Gebiet“ . Im Editionstext findet sich also diese Behauptung, „die schöne Kunst ist ihr Gebiet“, d.h. das Gebiet der Ästhetik. Diese Behauptung läßt sich in keinem der überlieferten Vorlesungszeugnisse nachweisen. Man könnte zwar einwerfen, Hegel spreche doch jedes Mal vom 27 28 Schönen („ihr Feld ist das Schöne“ ; „Wissenschaft des Schönen“ ; „Bereich des 29 Schönen“ ) und dies sei das Gleiche wie „schöne Kunst“. Es ist jedoch nicht das Gleiche. Wenn Hegel den Bereich der Ästhetik an dieser Stelle auf die schöne Kunst festgelegt hätte, dann hätte er – wie Hotho – alle nicht-schönen Künste und Kunstwerke vernachlässigen müssen, was er aber weder faktisch tut noch beabsichtigt. Auch könnte man einwerfen, Hegel spreche hier nicht vom Häßlichen, was tatsächlich eindeutig richtig ist. Es ist jedoch nicht unsere Absicht zu 22 1902 wird Benedetto Croce z. B. in seiner berühmten Estetica – die auch in Deutschland viel gelesen und schon 1905 ins Deutsche übersetzt wurde – irrigerweise behaupten, daß „die berühmteste und verbreitetste Abhandlung“ über das Naturschöne gerade die von F. Th. Vischer sei, „der, den Spuren Hegels folgend“, einen Abschnitt seiner Ästhetik eben dem Naturschönen widmen wird. Vgl. Benedetto Croce: Ästhetik als Wissenschaft des Ausdrucks und allgemeine Linguistik. Leipzig 1905. S. 331. 23 Die Differenz in der systematischen Einschätzung und der Ausführlichkeit der Behandlung lässt sich an den Quellen zu Hothos Ästhetikvorlesungen von 1833 nachweisen. Vgl. H. G. Hotho: Vorlesungen über Ästhetik oder Philosophie des Schönen und der Kunst. Berlin 1833. Nachgeschrieben und durchgearbeitet von Immanuel Hegel. Hrsg. und eingeleitet von Bernadette CollenbergPlotnikov. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 2004 (Spekulation und Erfahrung I,8) [im Folgenden zit.: Immanuel Hegel 1833]. Hier Ms. 27-47. Auch die Notizen Vischers belegen dies, siehe Vischers Manuskript „Hotho“ [Nach Notizen von Friedrich Theodor Vischer zu Aesthetick.Vorlesungen gehalten von Heinrich Gustav Hotho in Berlin seit Sommersemester 1833] veröffentlicht in den Hegel-Studien, Bd. 37, S. 11-28. Hrsg. von Francesca Iannelli. Meiner, Hamburg 2004. Eine Edition dieser Notizen findet sich auch im Anhang vorliegender Untersuchung. [im Folgenden zit.: Vischer 1833]. Hier Ms. 2v-3v. 24 So auch 1820/21 und 1826. 25 So ungefähr auch 1823. 26 Das findet sich so in keiner anderen Vorlesung. 27 Ascheberg 1820/21, S. 21. 28 Kehler 1826, Ms. 1, S.1. 29 Libelt 1828/29, Ms. 1.
Francesca Iannelli, Francesca Iannelli, and Francesca Ianelli 978-3-8467-4424-6
HEGELS BESTIMMUNG DES KUNSTSCHÖNEN UND DES IDEALS
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demonstrieren, Hegel habe eine Ästhetik des Häßlichen an die Stelle einer Ästhetik des Schönen setzen wollen. Eher ist es unser Ziel zu beweisen, daß die Konzeption des Schönen, die Hegel hier entwickelt, das Häßliche weder ausschließt noch es schlicht auf sein Gegenteil reduziert. Es muß daher auch eigens darauf hingewiesen werden, daß Hothos Satz in der Druckfassung: „Der eigentliche Ausdruck jedoch für unsere Wissenschaft ist 30 >Philosophie der Kunst< und bestimmter >Philosophie der schönen Kunst