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German Pages 252 [246] Year 2011
HEGEL-STUDIEN BEIHEFT 54
HEGEL-STUDIEN Herausgegeben von WALTER JAESCHKE UND LUDWIG SIEP
Beiheft 54
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
DIE SELBSTBEWEGUNG DES BEGRIFFS Stufen der Realisierung der spekulativen Metaphysik Hegels in den Jahren 1801–1804/05
von CATIA GORETZKI
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-7873-1977-0
© Felix Meiner Verlag, Hamburg 2011. ISSN 0440-5927. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.
inhaltsverzeichnis
Einleitung ......................................................................................................
IX
teil i auf dem weg zum system 1. kapitel Spekulative Metaphysik versus Reflexionskultur ...................................... 2. kapitel Kritische Analyse als Selbstverständigung ................................................ a) Hegels Auseinandersetzung mit Kants transzendentalem Idealismus ........................................................................................... b) Hegels Interpretation und Kritik der Fichteschen Wissenschaftslehre 1794 ................................................................... 3. kapitel Das Absolute als Resultat ............................................................................ 4. kapitel Die Antinomie .............................................................................................. a) Die Selbstzerstörung des Begriffs und die transzendentale Anschauung als positiver Vernunftausdruck ................................. b) Andeutung der Möglichkeit eines begrifflich entfalteten positiven Vernunftausdrucks ........................................................... 5. kapitel Konstituierung der wahrhaften Unendlichkeit als Grundlage der Selbstentfaltung des Begriffs .......................................................................
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17 17 31
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inhaltsverzeichnis
teil ii jenaer systementwurf ii (1804/05): logik 6. kapitel Einfache Beziehung ..................................................................................... a) Von der Qualität zur Quantität: Der Übergang vom Fürsichsein in die Beziehung auf Anderes als Setzen eines neuen Fürsichseins ............................................................................. b) Die Quantität oder der unendliche Progreß des Setzens und Aufhebens der Grenze .......................................................................
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7. kapitel Das Verhältnis des Seins ............................................................................. a) Die wahrhafte Unendlichkeit oder die reine Selbstbewegung des Begriffs und die Frage nach dem Status »unserer Reflexion« b) Erster Ausdruck der Unendlichkeit: Das Substantialitätsverhältnis oder die Entgegensetzung von Möglichkeit und Wirklichkeit ........................................................................................ c) Zweiter Ausdruck der Unendlichkeit: Das Kausalitätsverhältnis oder die verfehlte Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit ........................................................................................ d) Übergang in die Wechselwirkung oder der Weg in die Paralyse der Unendlichkeit, d. i. der Selbstbewegung ihrer Momente ........
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exkurs: Die Verhältnislogiken als Prinzipientheorie der Naturphilosophie .......
111
8. kapitel Das Verhältnis des Denkens ....................................................................... a) Der bestimmte Begriff oder die unmittelbare Verbindung von Sein und Denken ............................................................................... b) Der bestimmte Begriff als Widerspruch von Allgemeinheit und Einzelheit – Aufhebung der Paralyse des unendlichen Prozesses c) Das Urteil als wechselseitiges Subsumtionsverhältnis von Subjekt und Prädikat ......................................................................... d) Subsumtion des Subjekts unter das Prädikat: Universelles, partikuläres, singuläres und hypothetisches Urteil .......................
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117 117 121 125 130
inhaltsverzeichnis
e) Subsumtion des Prädikats unter das Subjekt: Positives, negatives, unendliches und disjunktives Urteil ............................. f) Problematischer Übergang vom Urteil zum Schluß: Die Lücke zwischen der leeren Kopula »ist« und der »entwickelten Allgemeinheit« sowie eine Bedeutungsverschiebung der qualitativen Subjekt- und der quantitativen Prädikatallgemeinheit ........................................................................ g) Der Schluß: Die Unterscheidung von Mitte und Mittel und zwei daraus resultierende Subsumtionen ............................... h) Die in sich reflektierte Einzelheit des Subjekts im hypothetischen und disjunktiven Schluß ....................................... i) Die Prädikatallgemeinheit im Schluß der Induktion – resümierende Betrachtung des Schlußverfahrens .........................
VII
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138 142 144 150
k) Das zur Definition entwickelte Subjekt und das sich teilende Allgemeine als Vorstufe der »Proportion« von Denken und Sein 152
9. kapitel Rekapitulation des logischen Prozesses .....................................................
155
10. kapitel Das formale Erkennen ................................................................................ a) Problem des Übergangs vom Denken zur Proportion .................. b) Konstruktion, Beweis und Deduktion .............................................
167 167 172
teil iii jenaer systementwurf ii (1804/05): metaphysik 11. kapitel Absolutes Ich oder das Selbstverhältnis des Erkennens als System von Grundsätzen .......................................................................
179
a) Der Satz der Identität ......................................................................... b) Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten.......................................... c) Der Satz vom Grund .........................................................................
181 183 184
VIII
inhaltsverzeichnis
12. kapitel Metaphysik der Objektivität oder die Wahrheit über Seele, Welt und höchstes Wesen ........................................................................... a) Seele ..................................................................................................... b) Welt ..................................................................................................... c) Die absolute Gattung oder das höchste Wesen .............................. 13. kapitel Metaphysik der Subjektivität ...................................................................... a) Einfache oder auf sich selbst bezogene Negation ........................... b) Ursprüngliche Bestimmtheit oder der Schein der Entgegensetzung bzw. des Fremden in der absoluten Einheit des Ich ......... c) Das Problem des Verhältnisses von absolutem Ich und Bewußtsein .........................................................................................
187 187 193 196
203 203 204 211
schluss ..................................................................................................... 219 literaturverzeichnis .......................................................................
225
einleitung Hegel erarbeitet sich sein systematisches Philosophieren als Kritiker des absoluten Subjekts, d. h. als Kritiker einer Herrschaft des Denkens über das Sein, die er als Produkt der neuzeitlichen Philosophie begreift. Insbesondere aber versteht er sie als eine Folge des auch ältere Denkepochen absolut dominierenden Verstandesdenkens. In dessen Bestimmungsdifferenzen fixierender Methode sieht Hegel den Grund für die als unüberwindlich gefaßte Differenz von Denken und Sein, von Subjekt und Objekt, von Gott und Welt. Um diesen Mangel zu beseitigen, gibt es nur eine Alternative: Entweder wird das Denken schlechthin als untauglich im Hinblick auf die Lösung dieses Grundproblems verabschiedet oder es muß eine Möglichkeit geben, die Fixierungen des Verstandesdenkens aufzulösen, ohne doch in ein Differenzen verschleifendes Denken zu geraten. Da sich die erste Option für Hegel verbietet, ergibt sich notwendig die Konsequenz, das Unternehmen der Entwicklung eines die Fixierungen und damit Beschränkungen des Verstandes überschreitenden Denkens anzugehen. Er beginnt mit dieser Aufgabe, indem er sich auf diejenigen Philosophien bezieht, in denen ihm zufolge dem Prinzip nach die Überwindung des verständigen Denkens durch ein Fixierungen aufbrechendes spekulatives Denken erreicht ist, die in der systematischen Entfaltung dieses Prinzips jedoch wieder in das Verstandesdenken zurückfallen, so daß in ihnen der bis dahin nur implizit wirkende Widerspruch, den absoluten Inhalt der Metaphysik mit verständigen Mitteln zu behandeln, sich gleichsam in einen offenen Widerstreit modifiziert. Das gilt insbesondere für die Philosophien Kants und Fichtes, deren spekulative, Einheit und Differenz bzw. Subjekt und Objekt vereinigende Prinzipien Hegel aufgreift und nun seinerseits versucht, eine für ihre systematische Explikation adäquate Methode zu entwickeln. Grundvoraussetzung dafür ist die Aufhebung des bewußtseinsspezifischen Dualismus, demzufolge dem Subjekt einzelne Inhalte von außen, also von ihm unabhängig gegeben werden, die es dann im Denken in eine strukturierende Beziehung zu setzen hat. Diesem Dualismus stellt Hegel ein Immanenzkonzept entgegen, mit dem er zu zeigen beabsichtigt, daß die Inhaltsbestimmtheiten in sich relational
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einleitung
verfaßt sind, ihr Beziehungsgefüge somit intern und nicht durch ein Denken, dem sie äußerlich sind, gestiftet ist. Diese immanente Relationalität von Bestimmtheiten umschreibt er mit dem Ausdruck der »Bewegung« bzw. genauer der »Selbstbewegung« des Begriffs, um sie dem isolierenden Verstandesdenken, das die Bestimmtheiten in ihrer Einzelheit fixiert, kontrastierend entgegenzusetzen. Mit dem Ausdruck der »Selbstbewegung« wird dabei hervorgehoben, daß der Relationen konstituierende Denkvollzug, insofern er im Begriff selbst liegt, eine Selbstbeziehung desselben impliziert. Allerdings wird in dieser Selbstbeziehung nicht von Anfang an die Denkbewegung als solche auch reflektiert, d. h. sie ist nicht per se schon eine wissende Selbstbeziehung. Diese ist erst dann erreicht, wenn die Totalität der Bestimmtheiten, also das absolute Relationsgefüge und folglich die absolute Selbstbeziehung konstituiert ist. Diese dialektisch-spekulative Methode einer Selbstbewegung des Begriffs hat Hegel 1801 mit seiner Differenzschrift, also zu Beginn der Entfaltung seines Systems, noch längst nicht ausgearbeitet. Doch beschreitet er schon den Weg in diese Richtung, indem er die Antinomie, ansonsten Inbegriff eines aporetischen Denkens, als Erkenntnismittel im Hinblick auf die zu explizierende absolute Einheit einsetzt, insofern sie die Vereinigung von Gegensätzen zwar nicht positiv erfassen kann, diese Vereinigung aber, so Hegels Antinomiekonzept, als Forderung in sich trägt. Für die Realisierung dieser Forderung, also für den positiven Vernunftausdruck des Absoluten, den er zunächst nur mit Hilfe des Rückgriffs auf die Anschauung zu konzipieren vermag, wird er im Verlauf der weiteren Ausarbeitung seiner Systematik ein begriffliches Programm entwickeln. Die Entwicklung dieses Programms und damit auch die Konstituierung der wissenden Selbstbeziehung oder der absoluten Subjektivität in Absetzung vom kritisierten absoluten Subjekt wäre über die Logikskizze von 1801/02 und den wichtigen Jenaer Systementwurf II von 1804/05 hinaus auch anhand der im Jenaer Systementwurf III angedeuteten neuen Logikkonzeption,1 der Nürnberger Schullogiken und natürlich der Wissenschaft der Logik sowie mit Bezug auf die Philosophie des absoluten Geistes, insbesondere die der Religion, zu verfolgen.2 Doch vor allem
1
GW 8.286. – Alle in dieser Arbeit verwendeten Siglen sind im Literaturverzeichnis aufgelöst. 2 Wenn hier von der wissenden Selbstbeziehung sowohl im Hinblick auf die Wissenschaft der Logik als auch im Hinblick auf die Philosophie des absoluten Geistes gesprochen wird, so soll damit natürlich nicht behauptet werden, daß es sich in beiden
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bei der Auseinandersetzung mit Logik und Metaphysik des sogenannten Jenaer Systementwurfs II, die ja Hauptteil dieser Arbeit sind, zeigt sich, daß eine fruchtbare Auseinandersetzung nur möglich ist, wenn diese beiden Textblöcke Schritt für Schritt durchgearbeitet werden3 – zumal es offensichtlich noch keine detaillierte Untersuchung zum Jenaer Systementwurf II gibt.4 Doch eine Betrachtung des Zeitabschnitts von 1801–1804/05 ist auch deswegen sinnvoll, weil dieser Zeit in Hegels Entwicklung eine besondere Bedeutung zukommt. Denn die von ihm zunächst noch aus der Tradition übernommene Trennung von Logik und Metaphysik beginnt sich im Jenaer Systementwurf II, auch wenn sie darin vordergründig noch aufrechterhalten wird, intern schon aufzulösen; zum einen insofern die »Das Verhältnis« und »Proportion« betitelten Teile der Logik nicht mehr als Verstandeslogik und damit auch nicht mehr eindeutig als Wissenschaft der endlichen Denkformen aufzufassen sind, zum anderen insofern der letzte Teil der Logik mit dem »Erkennen« schon in die Sphäre der Metaphysik eintritt. Im Jenaer Systementwurf II kündigt sich somit schon die entscheidende Modifikation an, die Logik nicht mehr von der Metaphysik zu unterscheiden, sondern sie selbst als Wissenschaft des Absoluten zu konzipieren. Was nun den Aufbau dieser Arbeit im einzelnen anbelangt, so sieht die Einteilung wie folgt aus: Zu Beginn wird erörtert, was Hegel unter dem Reflexionsdenken versteht und inwiefern er dieses Denken im Hinblick auf eine Metaphysik für unzureichend hält. Im Anschluß erfolgt eine Darstellung der Auseinandersetzung Hegels mit den Systemen Kants und Fichtes, die zeigen
Fällen um dieselbe Form von wissender Selbstbeziehung handelt. Vielmehr ist diese innerhalb der Logik zunächst in prinzipientheoretischer Weise entfaltet, während ihre Realisierung sich erst in der Philosophie des (absoluten) Geistes vollzieht. In bezug auf diese Texte müßte also die Herausarbeitung dieser Differenz einen wesentlichen Aspekt ausmachen. 3 Ein sich hier zeigendes Grunddilemma der Beschäftigung mit Hegels Philosophie spricht Rolf-Peter Horstmann an: »Insgesamt gesehen wird man wohl gut daran tun, sich einfach damit abzufinden, dass man über seine [sc. Hegels] Philosophie entweder zu pauschal oder zu detailliert redet.« (R.-P. Horstmann Den Verstand zur Vernunft bringen? Hegels Auseinandersetzung mit Kant in der Differenzschrift. 108) 4 Vgl. dazu Wilfried Grießer: »… meiner Kenntnis nach [gibt es] bis heute noch keinen durchgängigen Kommentar der Jenenser Logik und Metaphysik …« (W. Grießer Geist zu seiner Zeit. Mit Hegel die Zeit denken. 30, Fußn. 23)
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soll, warum er diese Philosophien für die Vollendung einer langen Reflexionstradition hält, obwohl er in ihnen prinzipiell diese Tradition doch überwunden sieht. Was dabei die Darstellung der Fichteanalye und -kritik anbelangt, so orientiert sie sich an Hegels Beschäftigung mit dessen Wissenschaftslehre von 1794, die im Rahmen der Differenzschrift erfolgt. Zwar beschäftigt sich Hegel dann innerhalb von Glauben und Wissen auch mit der zu diesem Zeitpunkt aktuelleren Fichteschen Schrift Bestimmung des Menschen von 1800, doch kommt er auch in diesem Kontext wieder auf die Wissenschaftslehre zurück. Vor allem aber wird gerade an diesem Text Fichtes deutlich, wie Hegel die Antinomie im Hinblick auf die Erkenntnis des Absoluten einsetzt. Nach dieser Erörterung der Hegelschen Kritik an der Reflexionskultur im allgemeinen und an den Philosophien Kants und Fichtes als diese Kultur vollendenden Systemen im besonderen setzt derjenige Teil ein, in dem betrachtet wird, welche Anstrengungen Hegel seinerseits unternimmt, um die Tradition der Reflexionsmetaphysik nicht nur dem Prinzip, sondern auch der systematischen Umsetzung nach zu überschreiten. Dabei geht es im ersten Schritt um die Hervorhebung des von Hegel herausgestellten grundlegenden Aspekts, daß das Absolute als sich entwickelnd, d. h. als Prozeß und nicht als unmittelbar gesetzt bzw. sich setzend begriffen werden muß, wenn es nach Weise des Reflexionsdenkens nicht wieder in den absoluten Gegensatz zur Endlichkeit der Welt geraten, also zum Jenseits derselben werden soll. Dieser Endlichkeit und Unendlichkeit immanent verbindende Prozeß erfordert notwendig auch ein die Gegensätze oder Beschränkungen des Verstandes- bzw. Reflexionsdenkens aufhebendes begriffliches Vorgehen. Die Erarbeitung desselben beginnt mit der Weiterentwicklung des Verstandes von einem isolierend verfahrenden zu einem antinomisch operierenden Denken, d. h. in Hegels Terminologie, mit der Entfaltung der »isolirten« zur »philosophischen Reflexion«. Durch diese nun wird die absolute Einheit zwar postuliert, nicht aber auch schon konstruiert; die Antinomie stellt somit nur den negativen Vernunftausdruck des Absoluten dar. Da Hegel zu diesem frühen Zeitpunkt aber noch über keine Methode verfügt, auch die Vereinigung von Gegensätzen begrifflich zu vollziehen, so versucht er, die positive Bestimmung des Absoluten mit Hilfe der transzendentalen Anschauung zu erreichen. Somit widmet sich der zweite Schritt der Erörterung des Verhältnisses von Reflexion und (transzendentaler) Anschauung.
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Im dritten Schritt wird mit Blick auf die Logikskizzen der Vorlesungsfragmente 1801/02 gezeigt, daß die Anschauung, insofern sie bezüglich des Übergangs der Logik als der Wissenschaft der endlichen Denkformen in die Metaphysik keinerlei Erwähnung findet, ihre konstitutive Erkenntnisfunktion ganz offensichtlich zugunsten eines begrifflichen Verfahrens verlieren soll, das Hegel mit der Rede von der zu untersuchenden »spekulativen Bedeutung der Schlüsse« allerdings nur andeutet. Die entscheidende Veränderung, die im vierten Schritt untersucht wird, vollzieht sich mit der Entwicklung des Begriffs der wahrhaften Unendlichkeit innerhalb der Systemskizze des Naturrechtsaufsatzes von 1802/03. Die wahrhafte Unendlichkeit versteht Hegel als Wesensmerkmal der absoluten Einheit als der Einheit von Einheit und Vielheit. Sie besagt, daß die Beziehung von Einheit und Vielheit keine äußerliche ist, sondern daß Einheit und Vielheit immanent aufeinander bezogen sind, folglich keine Relata im Sinne punktueller Größen darstellen, sondern selbst Relationen oder unmittelbar das Gegenteil ihrer selbst sind. Mit diesem Begriff der Unendlichkeit als einer Relation, die durch die Relata selbst konstituiert wird, schafft Hegel die Grundlage für eine im Begrifflichen verbleibende Auflösung der durch das Reflexions- oder Verstandesdenken produzierten Gegensätze, d. h. genauer für eine Selbstentwicklung des Begriffs, die Hegel in der Logik und Metaphysik des Jenaer Systementwurfs II erstmalig durchexerziert, und die in dem fünften und letzten Schritt zunächst als nicht wissende, schließlich als sich auf sich selbst richtende und zur wissenden oder absoluten Selbstbeziehung sich entfaltende Erkenntnisbewegung ihren einzelnen Schritten nach untersucht wird.
Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2008 von der Fakultät für Philosophie, Pädagogik, Publizistik der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen und für die Drucklegung leicht überarbeitet. Betreut wurde sie von Herrn Prof. Dr. Walter Jaeschke, dem ich an dieser Stelle für seine Unterstützung danken möchte. Mein Dank gilt ebenso Herrn Prof. Dr. Burkhard Mojsisch für die freundliche Übernahme des Korreferats. Bochum, im Januar 2011
Catia Goretzki
teil i auf dem weg zum system 1. kapitel Spekulative Metaphysik versus Reflexionskultur »Hegels Name wird schon seit langem mit wissenschaftlichen Erkundungsleistungen verbunden. Und immer wieder einmal ist ihm der Rang eines Entdeckers oder Wegbereiters zugefallen, wenn Disziplinen neu auftraten oder Theoriebereiche sich neu orientierten … Alle solche Leistungen gehören Bereichen zu, die Hegel in seine Philosophie des Geistes eingeordnet hätte. Rühmt man Hegel also ihretwegen, so gibt man in einem damit zu verstehen, daß vielem von dem keine solche fortwirkende Bedeutung zukommt, was er selbst sich zugute hielt und was ihm als seine eigentliche Aufgabe erschien: Die Grundlehre der Philosophie als spekulative Metaphysik unter dem Gedanken eines einzigen Absoluten zu vollenden.«1 Mit diesen Worten warnt Dieter Henrich vor einer Sicht auf die Hegelsche Philosophie, die Gefahr läuft, deren eigentlichen Grundgedanken zu verkennen. Denn dieser besteht in der Überzeugung Hegels, daß wissenschaftliche Einsichten nur dann gewonnen und in ihrer äußersten Komplexität nicht zuletzt für die Vorgänge der Alltagswelt fruchtbar gemacht werden können, wenn das Denken sich nicht an der Unmittelbarkeit und d. h. Zusammenhangslosigkeit der ungeheuren Vielfalt einzelner Dinge, Phänomene und Abläufe orientiert, sich also nicht als Funktion zur Gewinnung vereinzelter Kenntnisse mit der Folge der beliebigen Erweiterung oder auch Neubegründung von Wissensgebieten versteht, sondern von einem dieser Vielfalt impliziten, immanenten Einheitsprinzip ausgeht und dieses explizit zu machen versucht. Das wiederum kann nur gelingen, wenn dieses Prinzip nicht als absolute Einheit, in der alle Differenzen aufgelöst sind, sondern als die alles Differente einbegreifende Einheit konzipiert wird. Dieses Prinzip der Verbindung von Einheit und Differenz, welches das elementare, von Hegel als spekulativ bezeichnete Prinzip seiner Philosophie ausmacht, ist jedoch ein vermittels des 1
Dieter Henrich Erkundung im Zugzwang: Ursprung, Leistung und Grenzen von Hegels Denken des Absoluten 9.
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1. kapitel
überkommenen, von unüberwindlichen Grunddifferenzen ausgehenden Rationalitätsdenkens nicht mehr zu entwickelndes Prinzip. Insofern ergibt sich für Hegel, wie Henrich zu Recht herausstellt, die spekulative Überbietung der traditionellen Metaphysik als zentrale Aufgabe seines eigenen Denkens. Die Lösung dieser Aufgabe besteht also zunächst einmal wesentlich in einer kritischen Auseinandersetzung mit dem traditionellen Rationalitätsdenken, das Hegel zusammenfassend mit dem Begriff der Reflexionskultur charakterisiert. Diese erreicht seinem Verständnis zufolge ihren Kulminations- und Endpunkt in den Philosophien seiner Zeitgenossen Kant, Fichte und Jacobi, die daher den Abstoßungspunkt bilden, von dem aus Hegel seine eigene philosophische Theorie zu entfalten beginnt – wobei vor allem die Systeme der beiden zuerst Genannten die entscheidende Kontrastfolie für sein Denken darstellen. Die nähere Erörterung dieses Zusammenhangs sei begonnen mit einer Ausführung zum Hegelschen Begriff der Reflexion. Reflexion ist das Verfahren, die Mannigfaltigkeit der Bestimmungen in ihrer Unterschiedenheit, ihrer Entgegensetzung, d. h. also in ihrer Begrenzung absolut zu fixieren. Es ist dies das Verfahren des Verstandes als der »Kraft des Beschränkens«.2 Gleichwohl ist der Verstand darauf aus, diesen Bereich der Beschränkungen zu überschreiten, indem er diese in ihrem durchgängigen, vollständigen Zusammenhang zu erfassen, kurz: indem er sie in ein absolutes Ganzes zu bringen sucht. Getrieben wird er dazu von der Vernunft als der Erscheinung oder dem Ausdruck des Absoluten.3 Nun ist es ein Widerspruch in sich und insofern zwangsläufig zum Scheitern verurteilt, wenn der Verstand als das wesentlich Endliche, nach dem Prinzip der Entgegensetzung Operierende das Unendliche, Absolute konstruieren soll: Da jede Bestimmung als eine anderen Bestimmungen entgegengesetzte ein Bedingtes und zugleich Bedingendes ist, so sucht der Verstand zu jeder Bestimmung als bedingter ihre bedingende Bestimmung und, insofern diese ihrerseits bedingt ist, auch zu dieser wieder die Bedingung; er setzt dies endlos fort, ohne doch dadurch dieses System des Bedingten, Endlichen überwinden und das Unbedingte, Unendliche erreichen zu können.
2 3
GW 4.12. Vgl. GW 4.10.
Spekulative Metaphysik versus Reflexionskultur
3
»… in den Teilen verloren treibt es den Verstand zu seiner unendlichen Entwicklung von Mannigfaltigkeit, der, indem er sich zum Absoluten zu erweitern strebt, aber endlos nur sich selbst produziert, seiner selbst spottet.«4 Der Verstand produziert also eine unendliche Endlichkeit, ein unendliches Aneinanderreihen der endlichen Bestimmungen seiner objektiven seienden Welt und macht damit das Unendliche zu dem, was dem Endlichen absolut entgegengesetzt, was das Jenseits, das schlechterdings Ausgeschlossene des Endlichen ist. D. h. aber umgekehrt auch, daß das Unendliche zu dem wird, in dem das Endliche total negiert ist, also das gesamte Verstandessystem seine Vernichtung erfährt. Durch sein reflexives Verfahren des fixierenden Entgegensetzens holt sich der Verstand also selbst ein: Entweder er zerstört sich, wie gesehen, im Unendlichen als der Größe, die er sich selbst absolut entgegensetzt, oder aber er deklariert, um dies zu vermeiden, das Unendliche zu einem Unmöglichen, dann jedoch negiert er generell das Denken in fixen Gegensätzen und zerstört auch damit sich selbst. »Fixiert der Verstand diese Entgegengesetzten, das Endliche und Unendliche, so daß beide zugleich als einander entgegengesetzt bestehen sollen, so zerstört er sich, denn die Entgegensetzung des Endlichen und Unendlichen hat die Bedeutung, daß insofern eines derselben gesetzt, das andere aufgehoben ist.«5 An diesem Punkt setzt der zweite Schritt der Vernunft ein: Hatte sie den Verstand, wie oben angeführt, zunächst aus seiner objektiven Welt der Endlichkeiten auf das Unendliche und damit zu dem Verfahren getrieben, die endlichen Bestimmungen als gegenseitig bedingte und sich bedingende endlos aneinanderzusetzen und dergestalt eine Unendlichkeit von Endlichen oder eine objektive Unendlichkeit herzustellen, so veranlaßt die Vernunft ihn angesichts des Scheiterns dieses Verfahrens nun, vom Entgegensetzen zu einem »reine[n] Setzen … ohne [Hervorhebung d. Verf.] Entgegensetzen« (ebd.) überzugehen. Dieses an sich vernünftige und d. h. wahre Setzen ohne Entgegensetzen wird jedoch seinerseits zu einer bloß verständigen Operation, zu einem Bedingten, wenn es selbst in Entgegensetzung zum Setzen als Entgegensetzen gebracht wird. Das ist der Fall, insofern das Setzen ohne Entge4 5
GW 4.13. GW 4.17.
4
1. kapitel
gensetzen als ein Denken aufgefaßt wird, in welchem das Entgegensetzen grundsätzlich ausgeschlossen ist, ein »… Denken [, das] nur für ein reineres Reflektieren [gilt], d. i. ein solches, in welchem von der Entgegensetzung nur abstrahiert wird …«6 Vernünftiges Denken hingegen zielt auf etwas anderes ab: Solche festgewordene Gegensätze aufzuheben, ist das einzige Interesse der Vernunft; dies ihr Interesse hat nicht den Sinn, als ob sie sich gegen die Entgegensetzung und Beschränkung überhaupt setzte, denn die notwendige Entzweiung ist ein Faktor des Lebens, das ewig entgegensetzend sich bildet, und die Totalität ist, in der höchsten Lebendigkeit, nur durch Wiederherstellung aus der höchsten Trennung möglich. Sondern die Vernunft setzt sich gegen das absolute [Hervorhebung d. Verf.] Fixieren der Entzweiung durch den Verstand …7 Dieses nicht fixierende Entgegensetzen bedeutet nichts anderes als die Konzeption der Verbindung von Einheit und Entgegensetzung, von Identität und Verschiedenheit. Es kann nun aus zwei Gründen geschehen, daß der Verstand den Vernunftgedanken des Setzens ohne Entgegensetzen zu einem bedingten, verständigen herabstuft: Entweder er verfehlt schon das in diesem Gedanken implizierte Konzept einer in sich differenten, nicht abstrakten Identität; oder aber er erfaßt zwar dieses Konzept, verfügt jedoch nicht über die adäquaten Mittel zu seiner systematischen Entwicklung. Im einen wie im anderen Fall wird er dieselbe einseitige Unendlichkeit produzieren, die schon Ergebnis des Denkens in fixen Gegensätzen war: Wurde hierbei, wie gezeigt, eine unendliche Reihe entgegengesetzter, endlicher Bestimmungen, kurz: eine objektive Unendlichkeit konstruiert, so erfolgt dabei die unendliche Ausdehnung des Unterschiedslosen, der abstrakten, leeren Identität, oder »… die unendliche Wiederholbarkeit von Einem und Ebendemselben als Eins und Ebendasselbe, in Einem und Ebendemselben und durch Eins und Ebendasselbe …«,8 wie Hegel es in polemischer Übernahme einer Wendung Reinholds ausdrückt; kurz: es entsteht die subjektive Unendlichkeit. Diese ist die freie intellektuelle Welt und der objektiven Unendlichkeit als der notwendigen, sinnlichen Welt absolut entgegengesetzt. 6 7 8
GW 4.18. GW 4.13/14. GW 4.18.
Spekulative Metaphysik versus Reflexionskultur
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Diese Entzweiung der Welt in eine objektive und eine subjektive, eine materielle und eine intellektuelle als Ergebnis des Reflexionsdenkens, und vor allem die mit dieser Entzweiung einhergehende Dominanz einer Seite über die jeweils andere ist das, was Hegel unter dem eingangs genannten Terminus der Reflexionskultur versteht. Was nun die beiden Spielarten des Dominanzverhältnisses betrifft, so spricht er im Falle der Dominanz des Objektiven über das Subjektive von einem »Dogmatismus des Seyns« oder auch von der »Metaphysik der Objectivität«, im anderen Fall der Dominanz des Subjektiven über das Objektive von einem »Dogmatismus des Denkens« oder von der »Metaphysik der Subjectivität«.9 Hegel zufolge stellen nun die von ihm erörterten Philosophien Kants, Fichtes und Jacobis den Höhepunkt dieser »Metaphysik der Subjectivität« dar,10 deren Entwicklung, wie er in seiner Schrift Ueber das Wesen der philosophischen Kritik überhaupt, und ihr Verhältniss zum gegenwärtigen Zustand der Philosophie insbesondere ausführt, mit der Philosophie Descartes’ einsetzt, »… welche den allgemein um sich greifenden Dualismus in der Kultur der neuern Geschichte unserer nordwestlichen Welt … in philosophischer Form ausgesprochen hat …«11 Dieser Dualismus und 9
Vgl. GW 4.412. – Diesen Termini der »Metaphysik der Objectivität« bzw. der »Metaphysik der Subjectivität« kommt also, insofern sie Weisen des Reflexionsdenkens zum Ausdruck bringen, eine, wie Walter Jaeschke zu Recht feststellt, andere Bedeutung zu als diejenige, die sie 1804/05 in Hegels eigener spekulativer Metaphysik des Jenaer Systementwurfs II erhalten werden. (Walter Jaeschke Hegel-Handbuch 137) 10 Diesen eine philosophische Entwicklung vollendenden Status macht Hegel auch durch den vollständigen Titel seiner Schrift Glauben und Wissen von 1802 deutlich: Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjectivität, in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische und Fichtesche Philosophie. (GW 4.313– 314) 11 GW 4.126. – Hegels Inanspruchnahme des Cartesianischen Denkens als desjenigen geistesgeschichtlichen Standpunkts, der den Dualismus »der neuern Geschichte« in die Philosophie getragen habe, und gegen den, wie er fortfährt, »jede Seite der lebendigen Natur, so auch die Philosophie, Rettungsmittel suchen [mußte]«, steht in einem interessanten Kontrast zur Einschätzung dieses Denkens, die sich 1817 im Rahmen seiner Rezension des dritten Bands der Werke Jacobis findet. Denn hier nimmt Hegel eine im frühen Kontext fehlende Differenzierung zwischen Rationalismus und Empirismus vor, die unausgesprochen auch eine unterschiedliche Bewertung des Dualismus beider Richtungen impliziert: »Die f r anzösis che Philosophie hatte den großen Geist des Kartesianischen: cogito ergo sum, den Gedanken als den Grund des Seyns zu wissen, und die Gestaltungen des letztern nur aus und in jenem zu erkennen, aufgegeben, und den umgekehrten Weg des Lockeanismus eingeschlagen, den Gedanken aus dem unmittelbar Gegebenen der E rs chei nu ng s welt abzuleiten.« (GW 15.8)
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1. kapitel
der darin implizierte Primat des Subjektiven gegenüber dem Objektiven finden sich dann vor allem auch, wie Hegel konstatiert, in der Philosophie der Aufklärung und im Eudämonismus.12 Diesen und jene stellen in der Einleitung von Glauben und Wissen den Bezugspunkt für seine Erörterung derjenigen Reflexionsstruktur dar, die er in den Systemen Kants, Fichtes und Jacobis auf ambivalente Weise verarbeitet sieht. Symptomatisch für den Eudämonismus und die Philosophie der Aufklärung, die Hegel hier, wie gesagt, ausschließlich mit dem Empirismus Lockes und Humes, vor allem aber Lockes in Zusammenhang bringt (vgl. Fußnote 12), ist bekanntlich die Einschränkung der wißbaren, erkenntnisfähigen Inhalte auf den Bereich des Empirischen, Endlichen. Diese Einschränkung hat, wie Hegel ausführt, zur Folge, daß die Idee der Letztbegründung von Welt, die Idee eines erkennbaren Absoluten demontiert, und statt dessen das Absolute zu einem nur noch der Intuition, dem Ahnen zugänglichen Jenseitigen gemacht wird. D. h. das Absolute verwandelt sich in einen bloß negativen Inhalt, und dementsprechend wird die Vernunft, deren Gegenstand das Absolute ist, zu einer negativen Funktion herabgestuft. Das negative Verfahren der Aufklärung, dessen positive Seite in seinem eiteln Getue ohne Kern war, hat sich dadurch einen verschafft, daß es seine Negativität selbst auffaßte, und sich teils von der Schalheit durch
12
Hegel verwendet den Begriff »Eudämonismus« in derjenigen Bedeutung, welche Kant in der Vorrede zur Metaphysik der Sitten. Tugendlehre expliziert. »Eudämonismus« bezeichnet hier die von Kant kritisierte Richtung der Ethik, der zufolge der Wille zur sittlichen Pflichterfüllung nicht im Bewußtsein dieser Pflicht selbst gründet, sondern in der Aussicht auf das Glückseligkeitsempfinden, welches sich im Individuum bei Befolgung des Sittengesetzes einstellt. Glückseligkeit meint in diesem Kontext also einen Gefühlszustand, wird von Kant mithin als empirischer Begriff verstanden (vgl. Metaphysik der Sitten AA 6.377). Auf welche Denker als Vertreter des Eudämonismus Hegel sich jedoch konkret bezieht, wird hier nicht deutlich. Auch in seinen späteren Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie findet sich die nicht weniger unspezifische Aussage: »Im Praktischen herrschte vor Kant die sogenannte Glückseligkeitslehre, die Bestimmung des Menschen, sein Begriff, und wie er seinen Begriff realisieren soll.« (V 9.149) – Ebenso unbestimmt ist der Begriff der Aufklärung hier verwendet, so daß unklar bleibt, wen Hegel über Locke und Hume hinaus damit im Blick hat. Und eine Differenzierung zwischen den philosophischen Ansätzen dieser beiden Denker, die er gleichermaßen als »Ur- und Grundempiriker« bezeichnet (GW 4.375), nimmt er ebensowenig vor. So kann es hier nur darum gehen, diejenigen Aspekte seiner Ausführungen herauszustellen, mit denen Hegel den Reflexionscharakter der neuzeitlichen Philosophie expliziert.
Spekulative Metaphysik versus Reflexionskultur
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die Reinheit und Unendlichkeit des Negativen befreite, teils aber eben darum für positives Wissen wieder eben so nur Endliches und Empirisches, das Ewige aber nur jenseits haben kann; so daß dieses für das Erkennen leer ist, und dieser unendliche leere Raum des Wissens nur mit der Subjektivität des Sehnens und Ahndens erfüllt werden kann; und was sonst für den Tod der Philosophie galt, daß die Vernunft auf ihr Sein im Absoluten Verzicht tun sollte, sich schlechthin daraus ausschlösse und nur negativ dagegen verhielte, wurde nunmehr der höchste Punkt der Philosophie …13 Mit dieser Verbannung des Absoluten aus dem Bereich des Wissens hat dasselbe unweigerlich auch als Erklärungsgrund von Welt ausgedient. Dieser wird nun ins einzelne, empirische Subjekt verlagert, das zur absoluten Instanz des Erkennens und Handelns avanciert. Nach der Aufgabe der Philosophie, wie sie durch die Lockesche und Humesche Kultur bestimmt worden ist, soll vom Standpunkt des Subjekts die Welt berechnet, und nunmehr erklärt werden …14 … diese Versöhnung fürs Bewußtsein machte sich in der Glückseligkeitslehre, so daß der fixe Punkt, von welchem ausgegangen wird, das empirische Subjekt, und das, womit es versöhnt wird, eben so die gemeine Wirklichkeit ist, zu der es Zutrauen fassen, und sich ihr ohne Sünde ergeben dürfe.15 … der Lockeanismus und die Glückseligkeitslehre [hatten] die Philosophie in empirische Psychologie verwandelt, und zum ersten und höchsten Standpunkt den Standpunkt eines Subjekts und die schlechthin seiende Endlichkeit erhoben …16 Nun verstehen die diversen Philosophien des Empirismus das Subjekt zweifellos als die Seite, die sich an dem, was empirisch vorliegt, also an der Objektseite, zu orientieren hat, und insofern könnte es den Anschein haben, als basierten empiristische Philosophien auf einem objektdominierten Denken. Hegel geht es jedoch darum herauszustellen, daß die objektive Welt vor allem als dasjenige in Betracht gezogen wird, das dem Subjekt gegeben, d. h. auf dasselbe bezogen ist und durch diese Beziehung die Form der Einzelheit und damit der Unmittelbarkeit, in der sie gegeben 13 14 15 16
GW 4.316. GW 4.388. GW 4.318. GW 4.322.
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1. kapitel
ist, aufgehoben wird. Genauer bedeutet dies, daß das Subjekt reflektiert wird als dasjenige, welches Bewußtsein ist und als solches die Synthesefunktion ausübt, durch die, und zwar vermittels des Begriffs als des Allgemeinen, des Einheitsprinzips, das ihm gegebene empirische Material in ein Ordnungssystem gebracht und auf diese Weise legitimiert wird. … das Empirische, was in der Welt als gemeine Wirklichkeit daliegt, ist in Philosophien desselben in Form des Begriffs als Eins mit dem Bewußtsein und darum gerechtfertigt vorhanden.17 Allerdings wird, so Hegel weiter, dieser Legitimationsanspruch nicht eingelöst. Denn angesichts des hier zugrundeliegenden Dualismus, also angesichts der dem Verstandesdenken entspringenden absoluten Trennung des objektiven Mannigfaltigen und der subjektiven Einheit des Bewußtseins bleibt der Empirismus die Erklärung für die Möglichkeit der Beziehung beider Seiten schuldig. Gesetzt ist eine unmittelbare, somit willkürliche Beziehung, ein bloß äußerliches Aufeinander-Verwiesensein des Objektiven und Subjektiven: Dort das vorliegende an sich ungeordnete, empirische Mannigfaltige, welches der Systematisierung durch den ihm entgegengesetzten Begriff bedarf, hier der Begriff als an sich leeres, folglich rein formales Einheitsprinzip, das sich seinen Inhalt – völlig zufällig – von außen durch eben dieses empirische Mannigfaltige geben lassen muß. D. h.: Der Begriff, der gegenüber dem Endlichen, Empirischen das Unendliche, Legitimierende sein soll, erweist sich als relativ, folglich selbst als ein bloßer Aspekt des Endlichen, als endliches Unendliches, und wird in seiner Einseitigkeit als Einheits-, als Bewußtseinsprinzip gegenüber dem nicht bewußten empirischen Stoff zur beherrschenden Seite. Mit besonderer Bezugnahme auf den Eudämonismus heißt es hierzu bei Hegel: Dieser Absolutheit des empirischen und endlichen Wesens steht der Begriff, oder die Unendlichkeit so unmittelbar gegenüber, daß Eins durchs andere bedingt, und Eins mit dem andern, und weil das Eine in seinem für sich seyn absolut ist, es auch das andere, und das Dritte, das wahrhafte Erste, das Ewige jenseits dieses Gegensatzes ist. Das Unendliche, der Begriff, als an sich leer, das Nichts, erhält seinen Innhalt durch dasjenige, worauf es in seiner Entgegensetzung bezogen ist, nemlich die empirische Glückseligkeit des Individuums…18 17 18
GW 4.316. GW 4.319.
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Legitimation von Inhalten kann folgerichtig nur durch Aufhebung der absoluten Trennung, des fixierten Gegensatzes von Subjekt und Objekt, von Begriff und Sein, Form und Inhalt, Einheit und Differenz erreicht werden; d. h. es muß die Identität beider Seiten, d. i. das Absolute konstruiert werden, welches auf der Basis des Dualismus zur dritten, dem verständigen Denken unzugänglichen jenseitigen Größe wird. In eben diese Richtung, so fährt Hegel fort, zielt, was Kant, Fichte und Jacobi in ihren philosophischen Systemen zu entwickeln suchen. Um dies darzustellen, muß noch einmal auf den erörterten Gegensatz von empirisch vorliegendem Mannigfaltigem auf der einen und Begriff auf der anderen Seite zurückgekommen und der widersprüchliche Status betrachtet werden, der hier der Begrifflichkeit eignet. Als dem empirischen Mannigfaltigen entgegengesetzt wird der Begriff seiner Struktur nach einerseits als dessen Gegenteil behandelt: Gegenüber dem Empirischen, Endlichen repräsentiert er das Unendliche, Geistige. Andererseits aber ist er in diesem fixierten Entgegengesetztsein, wie ausgeführt, wiederum nur eine relative, d. h. endliche, dependente Größe, formales Prinzip, welches hinsichtlich seiner Inhaltlichkeit auf den empirischen Stoff verwiesen ist. Der Gegensatz, so wie der Empirismus mit ihm operiert, wird also als solcher nicht reflektiert, der Begriff infolgedessen in seiner Andersartigkeit und vor allem Vorrangigkeit gegenüber dem Sein als dem Empirischen, Gegebenen, die ihm dem Anspruch nach doch zukommen soll, relativiert. In eben dieser Hinsicht nun gehen die Philosophien Kants, Fichtes und – mit Einschränkungen, wie noch zu zeigen sein wird – auch Jacobis einen entscheidenden Schritt weiter. In ihnen ist die Reflexion auf den Gegensatz und damit das Bewußtsein vorhanden, daß der Begriff als das Unendliche absolut gefaßt, d. h. aus seiner Abhängigkeit vom Empirischen, Endlichen befreit werden muß. Um dies zu erreichen, ist es einerseits erforderlich, den Begriff gänzlich aus seinem Gegensatz zum Empirischen zu lösen, wenn er nicht wieder zu einem bloß Relativen, Endlichen herabsinken soll, gleichzeitig aber verbietet es sich, den Gegensatz schlechthin zu negieren, denn erst durch denselben wird der Begriff in seiner Bestimmtheit als Unendliches konstituiert. Dieser Schwierigkeit nun begegnen Kant und Fichte erfolgreich insofern, als sie den Gegensatz in den Begriff selbst verlegen. Sie entwikkeln also das Konzept der geforderten Einheit von Gegensatzlosigkeit und Gegensatz, von Einheit und Differenz, von Unendlichkeit und Endlich-
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1. kapitel
keit und bewegen sich damit vom Verstandesdenken zum Gegensatzfixierungen auflösenden vernünftigen Denken. Um dieses Konzept nun auch zu realisieren, müßte Schritt für Schritt eine immanente Relation von Differenz und Einheit, von Inhalt und Form, Sein und Begriff entwickelt werden. Eben diese Entwicklung aber wird in den Systemen Kants und Fichtes nicht vollzogen, vielmehr bleibt darin die objektive Welt – das Ding-an-sich bzw. das Nicht-Ich – dem Begriff äußerlich und steht zu diesem insofern in einer zufälligen Beziehung. Damit fallen die Kantische und Fichtesche Philosophie in den Dualismus des Empirismus zurück: Sie machen den Begriff einseitig zum Subjektiven, womit er wieder zur relativen, endlichen Größe herabsinkt und in das willkürliche Verhältnis des Beherrschens gegenüber dem Objekt tritt. M. a. W.: Der Begriff der absoluten Einheit von Form und Inhalt, von Identität und Differenz wird zur bloß abstrakten, formalen Einheit, die Vernunft auf die Ebene des Verständigen, Endlichen eingeschränkt, so daß das wahrhafte Unendliche als die absolute Einheit wieder als Jenseitiges über dem Gegensatz steht. Wir stellen die Formen der Unendlichkeit kurz zusammen; das wahrhafte [Hervorhebung d. Verf.] Unendliche ist die absolute Idee, Identität des Allgemeinen und Besondern, oder Identität des Unendlichen und Endlichen selbst, nämlich des Unendlichen, insofern es einem Endlichen entgegengesetzt ist, und dieses [Hervorhebung d. Verf.] Unendliche ist reines Denken; gesetzt als diese Abstraktion ist es reine absolutformale Identität, reiner Begriff, Kantische Vernunft, Fichtesches Ich. Aber gegen dieses Endliche gestellt, ist es eben deswegen absolutes Nichts desselben, + A - A = 0; es ist die negative Seite der absoluten Idee …19 An dieser Stelle wird nun deutlich, worin der oben angesprochene ambivalente Bezug zwischen Empirismus und Eudämonismus auf der einen und Kants und Fichtes Philosophien auf der anderen Seite besteht: Dem Konzept nach stehen diese dem Empirismus und Eudämonismus konträr entgegen, insofern in ihnen der Begriff aus dem Verstandesgegensatz von Denken und Sein gelöst und zur Vernunfteinheit dieser entgegengesetzten Seiten ausgebildet wird; bei der systematischen Entfaltung dieser Einheit jedoch fallen die Kantische und die Fichtesche Philosophie in das
19
GW 4.358/359.
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Verstandesdenken und damit in das dualistische Muster des Empirismus zurück. Das Resultat dieser widersprüchlichen Tendenzen beschreibt Hegel als Vollendung des Empirismus: Im Empirismus ist der Begriff in seiner unmittelbaren absoluten Entgegensetzung gegenüber dem Mannigfaltigen des Seins einerseits von diesem abstrahiert, d. h. für sich seiend, andererseits ist er auf das Sein bezogen und von diesem abhängig, in seinem Fürsichsein also relativiert; er ist, wie Hegel dies ausdrückt, als Begriff »nicht rein gesetzt«, »ist … in positiver Gleichheit mit seinem Entgegengesetzten …«20 Wenn Kant und Fichte hingegen den Gegensatz als Gegensatz reflektieren und dadurch den Begriff selbst zur Einheit der Entgegengesetzten weiterentwickeln, machen sie den im Empirismus nur als implizit vorhandenen reinen, nicht-empirischen Charakter des Begriffs explizit und überwinden damit den Dualismus des Empirismus. Wenn sie den Begriff dieser reinen Einheit Entgegengesetzter aber seinerseits zu einem einseitig Subjektiven gegen ein Sein als das einseitig Objektive gleichsam zurückentwickeln, dann vollenden sie den Empirismus und verfestigen auf diese Weise den Dualismus von Denken und Sein, von Unendlichem und Endlichem, den sie eigentlich überwinden wollten, zementieren also die mit dem Dualismus notwendig verbundene Herrschaft des Begriffs als eines endlich Subjektiven über das Sein als das Objektive, kurz: Sie zementieren den Dogmatismus des Denkens. Dem bis hierhin Ausgeführten zufolge ist die Modifikation, welche sich in den Philosophien Kants und Fichtes vollzieht, darin zu sehen, daß hier der Dualismus, der in Empirismus und Eudämonismus lediglich vorausgesetzt ist, zum Gegenstand der Betrachtung wird – wenn auch entgegen der eigentlichen Absicht der beiden Denker; mit Hegels Worten: Es ist also in diesen Philosophien nichts zu sehen, als die Erhebung der Reflexions-Kultur zu einem System …21 Und diese in sich gespaltenen Systeme der auf das Endliche eingeschränkten Vernunfteinheit von Denken und Sein kennzeichnet Hegel zusammenfassend mit dem Terminus »Idealismus des Endlichen«.22
20 21 22
GW 4.320. GW 4.322. Vgl. ebd.
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1. kapitel
Hegel subsumiert ausdrücklich auch die Philosophie Jacobis unter diesen »Idealismus des Endlichen«, wenngleich er seine diesbezüglichen Ausführungen, wie oben schon angemerkt, nur z. T. für dieselbe gelten läßt. Denn Hegel zufolge stellt sie anders als die Theorien Kants und Fichtes keinen Rückfall in das Verstandesdenken und den Dualismus dar, insofern Jacobi das Unbedingte überhaupt nicht als möglichen Inhalt des Denkens begreift. Zwar zielt auch seine Theorie auf die absolute Identität von Unendlichem und Endlichem, doch versteht sie diese absolute Identität als dem Wissen schlechthin unzugänglich, ja als allem Wissen vorausliegend. So ist das einzelne Subjekt in seinem Streben nach dem Unbedingten auf den Glauben und die Sehnsucht verwiesen. D. h. nichts anderes als daß Jacobi das Denken expressis verbis auf Operationen reduziert, die ausschließlich am unendlich sich selbst reproduzierenden Verhältnis von Bedingtem und (ihrerseits bedingter) Bedingung orientiert sind. Folgerichtig deklariert er dieses Denken als auf den Bereich des Endlichen eingeschränkt. Die Vernunft wird ihm, im Unterschied zu Kant und Fichte, auf diese Weise zum Instrument des vom Denken absolut getrennten Glaubens, zum Vermögen des unmittelbaren, intuitiven Erfassens des Absoluten. In Jacobis Philosophie zeigt sich also dieselbe Spaltung wie in den Philosophien Kants und Fichtes: Die absolut sein sollende Identität von Unendlichem und Endlichem wird in den Gegensatz zum Endlichen gebracht und erweist sich so selbst als ein nur Relatives, Endliches. Grundsätzliche Verschiedenheit liegt jedoch darin, daß diese widersprüchliche Konstruktion des Absoluten bei Kant und Fichte in den Begriff fällt, der zur verständigen Vernunfteinheit, d. h. zum Gegensatzfixierungen sowohl auflösenden als auch setzenden Gebilde gemacht wird, während bei Jacobi dieses relative Absolute, dieses endliche Unendliche im empirischen Subjekt entsteht, welches sich denkend als absolut getrennt vom Unendlichen, glaubend jedoch als vereint mit demselben begreift. Die Jacobische Philosophie … verlegt den Gegensatz und das absolut postulierte Identischsein in die Subjektivität des Gefühls, als einer unendlichen Sehnsucht und eines unheilbaren Schmerzens.23 Nach dieser Darstellung der Hegelschen Erörterung des subjektdominierten Reflexionsdenkens und seiner speziellen Ausprägung in den Philosophien Kants, Fichtes und, wie ausgeführt, teilweise auch Jacobis soll 23
GW 4.321.
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nun noch ein Blick auf Hegels spezifische Auseinandersetzung mit den Systemen Kants und Fichtes geworfen und gezeigt werden, wie er 1. den reflexionsüberschreitenden, spekulativen Charakter ihrer philosophischen Prinzipien beschreibt, und worin er 2. im Rahmen der systematischen Entwicklung dieser Prinzipien die Ursache für den Rückfall in das Reflexionsdenken sieht. Hegels Jacobi-Kapitel dagegen wird nicht mehr eigens behandelt. Denn Jacobis Philosophie liegt zwar, wie oben dargelegt, die Vernunfteinheit von Unendlichkeit und Endlichkeit zugrunde; doch insofern er sie als grundsätzlich jedem begrifflichen Erkennen unzugängliche, nur unmittelbar sich erschließende Einheit versteht, ist sein Denken, im Gegensatz zu den auf begrifflichen Einheitsprinzipien basierenden Systemen Kants und Fichtes, für die Entfaltung von Hegels eigenem spekulativen Ansatz weniger signifikant. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, daß diese für Hegel kontraproduktive Dissoziation von Erkenntnis und Glauben zwar wesentlich für Jacobis Philosophie ist, jedoch aus einer Einsicht resultiert, die für Hegels eigenes Denken umso entscheidender ist und von Jacobi sehr viel schärfer gesehen und formuliert wird als von Kant und Fichte. Es ist die Einsicht in die oben schon explizierte Regressionsstruktur des Denkens, in die dieses durch das vermittelnde oder demonstrierende Vorgehen, d. h. das Produzieren einer unaufhörlichen Reihe von bedingten Bedingungen gerät, das folglich aus der Endlichkeit bzw. Bedingtheit und ihrem Mechanismus der Notwendigkeit nicht herausführt, sondern sie vielmehr nur ins Unendliche fortsetzt. Doch auch wenn Hegel selbst dieses Charakteristikum des Verstandesdenkens24 nachdrücklich ins Bewußtsein hebt, so beschäftigen ihn in dieser frühen Zeit der Entwicklung seines systematischen Philosophierens gleichwohl mehr die für ihn nicht akzeptablen Konsequenzen, die Jacobi aus dem erkenntnistheoretischen Dilemma des sich in seiner Endlichkeit fixierenden Denkens zieht; zum einen, weil er selbst nach einem Weg sucht, die Verstandesgrenzen mit begrifflichen Mitteln zu überwin-
24
Jacobi ordnet zunächst das demonstrierende Denken nicht dem Verstand, sondern einer bestimmten Form der Vernunft zu, die im folgenden als »instrumentelle Vernunft« zur Sprache kommen wird. Es ist jedoch erkennbar, daß er diese Form der Vernunft mit dem Verstand identifiziert. Später wird er das Vorgehen des demonstrierenden Denkens ausdrücklich auf den Verstand beziehen; so 1802 in seiner kleinen Schrift Ueber eine Weissagung Lichtenbergs (JWA 3.7–31).
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1. kapitel
den, und dieser Weg für ihn ein methodisches Verfahren impliziert, das nur vom Verstand selbst angestoßen werden kann und das sich daher auf Basis des Jacobischen Ansatzes nicht entwickeln läßt;25 zum anderen, weil er, gerade in Anbetracht des Diktums der Unerreichbarkeit des Unbedingten für das Denken, eine Inkonsequenz in der Weise sieht, in der Jacobi dazu gelangt, das Verhältnis von Bedingtem und Unbedingtem als eine Einheit zu behandeln. Hegel bezieht sich in diesem entscheidenen Punkt auf das »heimliche Hauptwerk« Jacobis, die Beylage VII der 2. Auflage seines Werks Ueber die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (1789).26 Im Kontext dieser Beylage skizziert Jacobi zunächst eine ausweglose Alternative: Weder lasse sich, so führt er aus, die unendliche Reihe endlicher Phänomene als eine wirkliche Reihe plausibel denken noch sei der Begriff einer jenseitigen Intelligenz, die durch ihren Willen den Anfang einer solchen Reihe setze, ein sinnvoller Begriff. Die von Jacobi so umrissene Unbegreiflichkeit beider Optionen läßt sich, sofern die Vernunft in den Grenzen des Denkens, d. h. in den Grenzen der Begriffe des Bedingten verbleibt, nicht beseitigen; doch wenn, so fährt Jacobi fort, sie sich der letztlich nicht abzuweisenden Erkenntnis öffnet, daß die Bedingung der Möglichkeit eines bedingten Daseins außerhalb ihrer Begriffe liegen muß, dann stellt sich die aus der scheinbar aporetischen Situation herausführende unmittelbare Gewißheit eines nicht erst zu suchenden, d. h. eines nicht erst im Denken zu konstituierenden, sondern eines allem Denken vorausliegenden Unbedingten ein. Jacobi entwickelt in diesem Zusammenhang seine bekannte Differenzierung einer Vernunft, die den Menschen hat und die als solche »Prinzip der Erkenntniß überhaupt« ist, also einer Vernunft, die alle Erkenntnis ermöglicht, aber selbst kein Resultat der Erkenntnis darstellt, und einer als instrumentell zu bezeichnenden Vernunft, die der Mensch hat und die nichts anderes als das mit Begriffen des Bedingten operierende Denken bezeichnet. Jene versteht Jacobi als den Geist,
25
Das wird insbesondere an der im Kontext der vorangegangenen Fußn. erwähnten Schrift Ueber eine Weissagung Lichtenbergs deutlich. Hier beschreibt, ja verurteilt Jacobi den Verstand als ein grundsätzlich defizitäres Vermögen, das über seine Endlichkeit und Bedingtheit, in der es gefangen ist, gar nicht erst hinausstrebt, sich im Gegenteil in ihr befriedigt und daher einen Weg, der aus dem Zusammenhang des Notwendigen herausführt, nicht nur nicht ermöglicht, sondern absolut ausschließt. 26 Zu dieser Einschätzung der Beylage VII s. Birgit Sandkaulen Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis. 64–76, insbesondere 70–73.
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in dem allein die lebendige Natur im allgemeinen und der Mensch im besonderen möglich ist, diese als eine Beschaffenheit des Menschen, die er allmählich in sich ausbildet und derer er sich wie eines Werkzeugs bedient.27 Daß dieser Gegensatz einer außerhalb aller Begrifflichkeit liegenden Vernunft als Ausdruck des Unbedingten und einer begrifflichen Vernunft als eines genuin menschlichen und daher endlichen Vermögens den Menschen zu keiner in sich zerrissenen Existenz macht, schließt Jacobi mit dem Hinweis aus, daß die Vorstellungen des Bedingten und des Unbedingten ursprünglich im menschlichen Bewußtsein vorhanden seien und diejenige des Bedingten nur unter der Bedingung derjenigen des Unbedingten gegeben sein könne. Folglich machten sie zwar zwei unterschiedliche, aber gleichwohl unauflöslich zusammenhängende Seiten des menschlichen Bewußtseins aus.28 Gegen diese für Jacobis Ansatz zentrale Argumentation wendet Hegel ein, daß dieser beschworene Zusammenhang zwischen Bedingtem und Unbedingtem deswegen nicht bestehen könne, weil das Unbedingte doch als dasjenige deklariert wurde, das wesentlich außer allem Begreifen und damit außerhalb der Notwendigkeit des Zusammenhangs von Bedingtem und Bedingung liege; somit könne diese notwendige Relation für das Verhältnis von Bedingtem und Unbedingtem auch nicht in Anspruch genommen werden. Kurz: Hegel macht geltend, daß das nicht Begreifliche und das Begreifliche nicht in eine Relation gesetzt werden können, die ausschließlich für das Begreifliche bestimmend ist. Zudem impliziert die Relation von Bedingtem und Bedingung einen Akt der Vermittlung, so daß das Unbedingte, sofern es als Bedingung des Bedingten erkannt wird, nicht als Erfahrung einer unmittelbaren Gewißheit ausgegeben werden kann. Eine Einheit zwischen Bedingtem und Unbedingtem und folglich auch der für Jacobi so wichtige Gedanke des ungeteilten Menschen ist Hegel zufolge nur dann sinnvoll zu explizieren, wenn diese Einheit nicht als Einheit des Bewußtseins, sondern als Einheit der als Prinzip aller Erkenntniß bestimmten substantiven Vernunft erkannt und als ursprüngliche Identität des Unbedingten und Bedingten, d. h. als absolute Identität Differenter 27
Diese beiden Formen der Vernunft wird Jacobi in der Beylage II des Brief[s] an Fichte (1799) näher definieren als »substantive« Vernunft (die Vernunft, die den Menschen hat) und »adjective« Vernunft (die Vernunft, die der Mensch hat) (JWA 2/1.232). 28 Zu diesen der Beylage VII entnommenen Ausführungen vgl. JWA 1/1.257–260.
16
1. kapitel
konzipiert wird.29 Hegel benennt also in absolutem Gegensatz zu Jacobis Auffassung der Vernunft als eines aller Begrifflichkeit vorausliegenden Vermögens dasjenige begrifflich zu fassende Vernunftprinzip, welches grundlegend für seinen eigenen spekulativen Ansatz werden wird. Von dieser frühen Kritik der Jacobischen Philosophie wird sich Hegel auch später nicht distanzieren, aber sie wird hinter die Wertschätzung, die Hegel der grundlegenden Einsicht Jacobis in die Grenzen des demonstrierenden Denkens der instrumentellen Vernunft bzw. des Verstandes entgegenbringt, zurücktreten. So wird er z. B. im dritten Teil seiner Wissenschaft der Logik, der Lehre vom Begriff (1816), die Leistung des Jacobischen Denkens wie folgt beschreiben: Wenn Kant mehr der Materie nach, die vormalige Metaphysik angriff, so hat sie Jacobi vornemlich von Seiten ihrer Weise zu demonstriren angegriffen, und den Punkt, worauf es ankommt, aufs lichteste und tiefste herausgehoben, daß nemlich solche Methode der Demonstration schlechthin in den Kreis der starren Nothwendigkeit des Endlichen gebunden ist, und die Fre y he it , das ist, der Begriff, und damit a l l e s , was wahrhaft ist , jenseits derselben liegt, und von ihr unerreichbar ist. – Nach dem Kantischen Resultate ist es der eigenthümliche Stoff der Metaphysik, der sie in Widersprüche führt … nach dem Jacobischen ist es die Methode und ganze Natur des Erkennens selbst, das nur einen Zus ammenhang der B e dingt heit und Abhäng ig ke it erfaßt, und daher dem, was an und für sich und das absolut-Wahre ist, sich unangemessen zeigt.30
29 30
Zu diesen Einwänden Hegels gegen Jacobi vgl. GW 4.360 f. GW 12.229.
2. kapitel Kritische Analyse als Selbstverständigung a) Hegels Auseinandersetzung mit Kants transzendentalem Idealismus »Die Kantische Philosophie hatte es bedurft, daß ihr Geist vom Buchstaben geschieden, und das rein spekulative Princip aus dem übrigen herausgehoben wurde, was der raisonnirenden Reflexion angehörte, oder für sie benutzt werden konnte.«1 Mit dieser berühmten Formel der erforderlichen Scheidung des Geistes der Kantischen Philosophie von ihrem Buchstaben macht Hegel deutlich, daß auch derjenige Aspekt, der ihm zufolge diese Philosophie zum »ächten Idealismus« macht, Kant selbst nicht eigentlich bewußt und infolgedessen von ihm auch nicht adäquat formuliert ist. Denn das »Princip der Spekulation, die Identität des Subjekts und Objekts«, ist nach Hegels Urteil in Kants transzendentaler Deduktion der Kategorien, dem Kernstück der Kritik der reinen Vernunft (im folgenden: KrV), zwar »aufs bestimmteste ausgesprochen«, doch insofern diese Deduktion konzipiert ist als eine Verstandestheorie, muß der spekulative Geist, der Hegel zufolge ihrem Einheitsprinzip innewohnt, also die Vernunftstruktur, von der diese Theorie »über die Taufe gehalten [wurde]«,2 durch kritische Analyse erst deutlich gemacht werden. Wenn Hegel also – in nicht sehr glücklicher Weise – formuliert, die spekulative Identität des Subjekts und Objekts sei durch Kants Theorie »aufs bestimmteste ausgesprochen«, so meint er damit nicht, daß eine solche Identität von Kant selbst intendiert ist, sondern daß die Funktion, die dieser seinem Einheitsprinzip zuweist, es notwendig macht, dieses Prinzip als Einheit von Subjekt und Objekt zu verstehen. Denn Kant selbst hat, Hegels eigener kritischer Analyse zufolge, sein Einheitsprinzip keineswegs ausdrücklich als SubjektObjekt-Identität konzipiert. Darin unterscheidet er sich von Fichte, der, 1 2
GW 4.5. GW 4.6.
18
2. kapitel
wie im folgenden Kapitel zu sehen sein wird, mit dem absoluten Ich das spekulative und somit vernünftige Prinzip der Subjekt-Objekt-Einheit unmißverständlich als Prinzip seiner Philosophie deklariert. D. h.: Kant bewegt sich, anders als Fichte, auch bezüglich des Prinzips seiner Philosophie noch im Bereich des Verständigen, nimmt allerdings in diesem Zusammenhang so weitreichende Modifikationen vor, daß sich dieses seiner transzendentalen Deduktion zugrundeliegende Einheitsprinzip, so Hegels Diagnose, bei genauerer Untersuchung als ein Vernunftprinzip erweist, das inkonsequenterweise »mit Verstand behandelt« wird. Die detaillierte Untersuchung der Kantischen transzendentalen Deduktion der Kategorien oder Verstandesbegriffe, die nach dieser in der Vorerinnerung der Differenzschrift gegebenen grundsätzlichen Betrachtung nun aussteht, liefert Hegel im Kant-Kapitel seiner Schrift Glauben und Wissen. Er beginnt, die von ihm diagnostizierte Inkonsistenz eines verständig gedachten an sich vernünftigen Einheitsprinzips mit Bezug auf die Kantische Lehre von den »zwei Stämmen der menschlichen Erkenntnis« zu erörtern. Diese besteht bekanntlich darin, daß Kant von zwei »Grundquellen des Gemüts« ausgeht, zum einen von der Rezeptivität oder der Sinnlichkeit, also der Fähigkeit, Eindrücke (durch Affektion) in der Anschauung zu empfangen, zum anderen von der Spontaneität, d. i. das Vermögen des Verstandes und seiner Begriffe, Vorstellungen selbst hervorzubringen. Durch jene werden uns Gegenstände gegeben, durch diese werden diese Gegenstände gedacht.3 So sehr Kant nun einerseits auf der strikten Trennung beider Erkenntnisquellen besteht, so betont er doch andererseits, daß keine der beiden für sich allein bestehen könne, da sowohl das Gegeben- als auch das Gedachtwerden von Gegenständen für Erkenntnis konstitutiv sei. Insofern gilt: »Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.«4 Und dieses Aufeinanderbezogensein von Anschauung und Begriff bzw. von Sinnlichkeit und Verstand hebt Hegel hervor, weil er darin den Ansatz zur Auflösung des Dualismus, der »bald als Geist und Welt, als Seele und Leib, als Ich und Natur u. s. w. aufgefaßt [wird]«,5 und dadurch die absolute Identität, in der beide Gegensätze aufgehoben sind, zum 3 4 5
S. KrV B 74 f.; vgl. auch B 29. KrV B 75. GW 4.325.
Kritische Analyse als Selbstverständigung
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Prinzip der Philosophie gemacht sieht. So attestiert er Kants Philosophie in dieser Hinsicht denn auch, »das Verdienst [zu haben], Idealismus zu sein«. (ebd.) Da Kant dieser Beziehung von Begriff und Anschauung aber nur in ihrer endlichen Form, d. h. nur insofern sie durch Erfahrung hergestellt werde, Erkenntnis stiftenden Charakter zuerkenne, so ist sie, wie Hegel nun einwendet, eine durch den Verstand gedachte, äußerliche Beziehung, die somit nur auf die Endlichkeit eingeschränkte Erkenntnis hervorbringe. Nun ist es ja Kants erklärte Absicht, durch diese Restriktion der Erkenntnis auf den Erfahrungsbereich einen Vernunftdogmatismus zu verhindern. Doch ebenso geht es ihm mit seiner Philosophie, genauer mit seiner transzendentalen Deduktion darum, die Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung, d. h. die apriorischen Voraussetzungen für Aposteriorität zu bestimmen, um die auf der Basis von Erfahrung gefällten Urteile als Erkenntnisse, d. h. als notwendige Urteile auch legitimieren zu können. Und diese Legitimation kann selbstredend nicht wieder durch Erfahrung, also in Form von Urteilen a posteriori erfolgen. Die Möglichkeit von Erfahrung ist vielmehr nur plausibel zu machen, wenn auch eine Möglichkeit aufgezeigt werden kann, die Synthese von Begriff und Anschauung a priori zu vollziehen und damit das Muster für die Anwendung der Verstandesbegriffe auf das Mannigfaltige einer empirischen Anschauung zu geben. Dieses Erfordernis bringt Kant mit seiner Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori zum Ausdruck. Diese Frage aber betrachtet Hegel als diejenige Formel, in der nicht mehr eine endliche Erkenntnis bzw. die Voraussetzung für eine solche vorliegt, sondern die »wahrhafte Vernunftidee ausgedrückt [ist]«.6 Denn, so sein Argument, durch die Synthese von Subjekt und Prädikat werden zwei Ungleichartige, ein Gegenstand und seine Gedankenbestimmung, miteinander verbunden, und insofern diese Verbindung a priori zu vollziehen, der Gegenstand also nicht als empirisch, d. h. vom Denken unabhängig gegeben zu betrachten ist, kann sie nur durch eine ursprüngliche Identität, in welcher die Gegensätze des Seins und Denkens als aufgehoben enthalten sind, ermöglicht werden. Die Vernunftidee dieser ursprünglichen Identität sieht Hegel nun mit Kants Konzeption der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption bereitgestellt. Sie ist ihm zufolge das Prinzip sowohl der Differenz 6
GW 4.326.
20
2. kapitel
des Mannigfaltigen der Anschauung, insofern in dieser Differenz die Einheit, wenn auch erst implizit, schon enthalten ist, als auch der durch den Verstand dem Differenten entgegengesetzten und auf diese Weise explizit gemachten Einheit. Für diese das Verhältnis von synthetischen Urteilen a priori und synthetischer Einheit der Apperzeption weiter denkende Sichtweise Hegels liefern ihm insbesondere zwei Stellen der transzendentalen Deduktion starke Argumente. Zum einen verweist er auf den im Paragraphen 15 betonten, für die weiteren Ausführungen grundlegenden Sachverhalt, daß die synthetische Einheit des Mannigfaltigen, die Kant im folgenden Paragraphen unter der Bezeichnung der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption bzw. der transzendentalen Einheit des Selbstbewußtseins näher bestimmt, nicht etwa Produkt einer Verbindungshandlung ist, sondern vielmehr jede Verbindung überhaupt erst ermöglicht: »Verbindung ist Vorstellung der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen. Die Vorstellung dieser Einheit kann also nicht aus der Verbindung entstehen, sie macht vielmehr dadurch, daß sie zur Vorstellung des Mannigfaltigen hinzukommt, den Begriff der Verbindung allererst möglich.«7 Ein Einheitsprinzip jedoch, das die Verbindung des anschaulichen Mannigfaltigen, d. h. das die Subsumtion dieses Mannigfaltigen oder Differenten unter die Allgemeinheit der Verstandesbegriffe, ermöglichen soll und also, wie Hegel betont, kein »Aggregat von zusammengelesenen Mannichfaltigkeiten, und erst nach diesen, und zu ihnen hinzugetreten [und somit kein äußerliches Prinzip] ist«,8 muß immanente Einheit der zu verbindenden Seiten, der Differenzen der Anschauung und der Einheitsfunktionen der Begriffe, der Sinnlichkeit und des Verstandes, sein. Kant jedoch betrachtet das Prinzip der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption als »oberstes Prinzip alles Verstandesgebrauchs«9 und trennt es auf diese Weise grundsätzlich von der Sinnlichkeit, macht also aus diesem auf beide der entgegengesetzten Seiten ursprünglich bezogenen Vernunftprinzip ein auf eine Seite einseitig bezogenes Reflexionsprinzip.10 7
KrV B 130 f. GW 4.328. 9 KrV B 136. 10 Klaus Düsing weist darauf hin, daß Kant mit der »Einheit des Selbstbewußtseins« häufig zwei Bedeutungen verbindet. Zum einen diejenige einer – dem englischen »unity« entsprechenden – »in sich einigen Ganzheit verschiedener Vorstellungen«, zum anderen die der – dem englischen »identity« entsprechenden – »Selbigkeit des 8
Kritische Analyse als Selbstverständigung
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Ein weiteres gewichtiges Argument für diese Sichtweise des Kantischen Apperzeptionsprinzips zieht Hegel aus Kants Konzeption der produktiven Einbildungskraft. »Einbildungskraft«, so führt dieser aus, »ist das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen.« Da Anschauung Kant zufolge stets sinnliche Anschauung ist, so ist die Einbildungskraft zur Gemütsquelle der Sinnlichkeit zu rechnen.11 Der rezeptive Charakter allerdings, der, wie gesehen, das Wesensmerkmal der Sinnlichkeit ausmacht, erhält in diesem Fall eine modifizierte Bedeutung. Denn insofern die Einbildungskraft Gegenstände anschaulich präsentiert, ohne daß sie wirklich, d. h. in einer empirischen Anschauung gegeben sind, kann keine Affektion der Sinnlichkeit ihrem äußeren Sinne nach, also durch das Ding an sich, vorliegen, und sich somit auch keine Empfindung einstellen. Da Sinnlichkeit nach Kant aber kein bestimmendes, also spontanes Vermögen, sondern ausschließlich bestimmbar ist, muß die zu jeder Gegenstandspräsentation erforderliche Affektion auf der Seite des Subjekts selbst erfolgen. Das heißt nichts anderes als daß die alle Erfahrung bedingende apriorische Synthesis des Mannigfaltigen der Anschauung, also die Anwendung der Kategorien auf Anschauung a priori, nur durch eine Form der Selbstaffektion sich vollziehen kann. Eben dieses Konzept einer Selbstaffektion ist, wie sich nun zeigen wird, auch wesentlich mit dem Kantischen Begriff der Einbildungskraft verbunden. Denn diese vermag, als zur Sinnlichkeit gehörend, einen Einen und Selben in diesen vielen Vorstellungen.« (Klaus Düsing Subjektivität und Freiheit 150, Fußn. 7) Beide Bedeutungen werfen jedoch Schwierigkeiten auf. Denn versteht man zum einen unter dem nicht recht deutlichen Begriff der »in sich einigen Ganzheit verschiedener Vorstellungen« eine Einheit, in der differente Vorstellungen zusammengefaßt sind, ohne daß deren Differenz in eine absolute Unterschiedslosigkeit aufgelöst ist, so läuft das, insofern die Einheit des Selbstbewußtseins Kant zufolge in jedem Fall als ursprüngliche Einheit zu verstehen ist, exakt auf die ursprüngliche Identität Entgegengesetzter hinaus, die Hegel darin zum Ausdruck gebracht sieht; und ist zum anderen unter der »Selbigkeit des Einen und Selben in diesen vielen Vorstellungen« eine der Vielfalt der Vorstellungen zugrundeliegende tautologische Identität zu verstehen, so ist diese Identität der Vielfalt oder Mannigfaltigkeit der Vorstellungen absolut entgegengesetzt, und es ist nicht mehr einsichtig zu machen, wie diese einfache Identität Bedingung der Möglichkeit der Verbindung des Mannigfaltigen bzw. des Differenten sein könnte. Der Überblick zur Rezeptionsgeschichte der Hegelschen KantKritik, den Düsing ebd. 164–167 gibt, zeigt, wie zentral dabei die Auseinandersetzung mit Hegels Sicht auf die Kantische Apperzeptionsproblematik ist, die auch in einigen neueren Arbeiten durchaus positiv aufgegriffen wird. 11 S. KrV B 151.
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2. kapitel
(nicht gegenwärtigen) Gegenstand in der Anschauung nur dann vorzustellen, und d. h. genauer: den Kategorien eine ihnen korrespondierende Anschauung nur dann zu geben, wenn sie selbst die Affektion auf sich als Sinnlichkeit, d. h. in diesem Fall auf den inneren Sinn, ausübt. Diese Selbstaffektion aber fällt zusammen mit der Bestimmung des inneren Sinns, also mit der Beziehung der Kategorien auf denselben, die der Kantischen Theorie zufolge naturgemäß nur eine Wirkung des Verstandes, folglich nur eine »Ausübung der Spontaneität« sein kann. Dieselbe Einbildungskraft also, die Kant, insofern sie den Kategorien Gegenstände der Anschauung gibt, als sinnliches Vermögen konzipiert, ist in dieser Funktion zugleich auch spontan, insofern ein Vermögen des Verstandes und als solches unter der Bezeichnung der produktiven Einbildungskraft ausgewiesen. Ihre gesamte, zugleich affizierende wie auch synthetisierende, Leistung faßt Kant unter dem Begriff der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft zusammen, welche figürliche Synthesis bzw. synthesis speciosa oder »die erste Anwendung … [des Verstandes] (zugleich der Grund aller übrigen) auf Gegenstände der uns möglichen Anschauung ist.«12 Mit der produktiven Einbildungskraft stellt Kant also, insofern diese durch ein und dieselbe Handlung sowohl Anschauung gibt als auch deren Mannigfaltiges durch die Kategorien synthetisiert, das Konzept einer immanenten Einheit von Sinnlichkeit und Verstand, von Rezeptivität und Spontaneität vor. Mit einigem Recht sieht Hegel demnach in der Einbildungskraft die ursprüngliche Identität Entgegengesetzter ausgesprochen und identifiziert sie daher mit der synthetischen Einheit der Apperzeption. Er nennt sie »Spontaneität und absolute synthetische Thätigkeit«, die als solche Prinzip der sonst nur als rezeptiv verstandenen Sinnlichkeit ist.13 Dieses Verständnis der produktiven Einbildungskraft wird auch nicht deswegen schon ad absurdum geführt, weil Kant auch in diesem Kontext weiter auf der absoluten Heterogenität von Verstand und Sinnlichkeit besteht. Sein Insistieren, der Verstand sei kein Vermögen der Anschauungen, und er sei sich der Einheit seiner Handlung, als einer solchen, auch ohne Sinnlichkeit bewußt, betont zwar erneut die grundsätzliche Differenz von Verstand und Sinnlichkeit, ändert aber nichts daran, daß der Verstand im Vollzug seiner Verbindungshandlung wesentlich oder 12 13
KrV B 152. GW 4.327.
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besser immanent auf Sinnlichkeit bezogen ist, da er seine Kategorien andernfalls nicht auf empirische Anschauung anwenden kann und ihm somit die erkenntniskonstitutive Funktion, die Kant ihm doch wesentlich beilegt, nicht mehr zukommt.14 Und was den im Paragraphen 10 unternommenen Versuch angeht, die Einbildungskraft vom Verstand zu trennen, indem Kant die durch sie vollzogene Synthese als den zweiten Schritt nach dem Gegebensein des Mannigfaltigen der reinen Anschauung beschreibt, dem nun noch der dritte zu folgen habe, mit dem der Verstand dieser Synthese der Einbildungskraft vermittels seiner Begriffe Einheit gebe,15 – was also dieses Sinnlichkeit, Einbildungskraft und Verstand strikt trennende Vorgehen betrifft, so ist es insofern nicht recht nachzuvollziehen, als die reine Synthese des Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft doch keine unbegriffliche Handlung darstellt, der durch die Begriffe des Verstandes erst Einheit gegeben wird, sondern vielmehr ist diese Synthese diejenige Verbindungshandlung, durch welche die sowohl sinnliche als auch spontane Einbildungskraft das Mannigfaltige der reinen Anschauung zugleich gibt und, den Katgorien gemäß, zur objektiven Einheit bringt.16 14
Und selbst die von Kant sogenannte synthesis intellectualis oder Verstandesverbindung, welche eine die Kategorie noch nicht auf Anschauung anwendende, sondern eine erst »in der bloßen Kategorie gedachte« Synthesis ist, kann der Verstand nur »in Ansehung des Mannigfaltigen einer Anschauung überhaupt« vollziehen (KrV B 151). Die synthesis intellectualis ist also keine unabhängig von der Sinnlichkeit, sondern vielmehr eine mit Bezug auf eine mögliche Sinnlichkeit sich vollziehende Synthesis, also eine Synthesis, in deren Vollzug der Verstand seine Beziehung auf die Sinnlichkeit antizipiert. Andernfalls wäre sie eine im reinen Denken ausgeübte Verbindungshandlung, und dem Verstand müßte somit auch die Fähigkeit zuerkannt werden, autonom Inhalte hervorzubringen. Das aber schließt Kant definitiv aus. 15 S. KrV B 104. 16 Martin Bondeli zufolge geht Kant davon aus, daß die Übereinstimmung heterogener Bestimmungen wie Anschauung und Denken prinzipiell nicht explizierbar sei; gleichwohl versteht er dessen Konzeption der produktiven Einbildungskraft u. a. als den Versuch, trotz dieses Heterogenitätsproblems die Möglichkeit der Anwendbarkeit der Kategorien auf raum-zeitliche Gegebenheiten zu erklären. Abgesehen einmal davon, daß nicht recht einsichtig wird, warum Kant einen Klärungsversuch in einer Sache unternehmen sollte, die er grundsätzlich für nicht einsichtig zu machen hält, liegt doch die Überlegung näher, daß er die produktive Einbildungskraft vielmehr als ein Vermögen einführt, mit dem gerade die Heterogenität von Anschauung und Begriff überwunden werden soll, weil nur so die Beziehung von Verstand und Sinnlichkeit und damit synthetische Urteile a priori als Bedingung für Erfahrung möglich sind. Deswegen auch stellt Hegel die Kantische Einbildungskraft als Spontaneität, die zugleich Prinzip der Sinnlichkeit bzw. der Rezeptivität ist, heraus. Da Kant spürt, daß
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In diesem für Kants kritische Erkenntnistheorie grundlegenden Dualismus von Anschauung und Denken und, daraus folgend, von Ding an sich und Erscheinung liegt für Hegel der Grund, dessen Philosophie als eine Spielart des Lockeanismus aufzufassen. Insofern dieser jedoch lediglich »das Wahrnehmen überhaupt, einen allgemeinen Verstand« als Eigenschaften des Subjekts gelten läßt und »die Begriffe und Formen« als durchs Objekt gegeben betrachtet, ist die Kantische Form des Dualismus als ein erweiterter Lockeanismus zu verstehen. Denn Kant geht im Unterschied zu Locke davon aus, daß das Subjekt auch unabhängig von empirisch gegebenen Gegenständen Inhalte formuliert, indem es eben a priori Verstandesbegriffe auf Anschauung bezieht, also über die Möglichkeit zur Bildung synthetischer Urteile a priori verfügt.17 In dieser nun in der Tat erheblichen Erweiterung des Lockeanismus sieht Hegel den Dualismus fast schon wieder überwunden, insofern, wie er ausführt, Kant auf diese Weise zumindest prinzipiell die Grunddifferenz von Apriorität und Aposteriorität überwindet und folglich den Vernunftcharakter der Verstandesoperationen erkennen läßt. Da er jedoch die Inhalte der synthetischen Urteile a priori als verstandesimmanent dem Bereich der empirischen Sinnlichkeit wieder absolut entgegensetzt, bleibt seine Philosophie bei einem lediglich »formellen Begriff der Vernunft« bzw. bei einer mit Mitteln des Verstandes ausgedrückten spekulativen Idee stehen. Dieses – Kants Verstandesprinzip der synthetischen Einheit als Identität Entgegengesetzter und somit als Vernunftprinzip weiterdenkende – Konzept Hegels impliziert notwendig den Gedanken der Immanenz, d. h. den Gedanken eines seine näheren Bestimmungen durch Selbstentfaltung entwickelnden Prinzips, den Hegel seinerseits von Beginn der Jenaer Zeit an auszuarbeiten versucht. Diesen Gedanken, der die Grundlage für die vollständige Überwindung der Grunddifferenz von Denken und Sein darstellt, hält Hegel nun durch die Kantische Triplizität der einzelnen Kategorienklassen und vor allem durch die damit einhergehende These, »daß die dritte Kate-
ein solches immanentes Einheitsprinzip mit dem von ihm vertretenen Gedanken der zwei Erkenntnisstämme nicht kompatibel ist, ist er bemüht, die Einbildungskraft als ein drittes von Sinnlichkeit und Verstand verschiedenes Vermögen darzustellen. (S. Martin Bondeli Das Verhältnis Hegels zu Kant in den frühen Jenaer Texten und seine Vorgeschichte in der Frankfurter Zeit. 39) 17 S. GW 4.333.
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gorie allenthalben aus der Verbindung der zweiten mit der ersten ihrer Klasse entspringt«,18 im Ansatz für realisiert. Entsprechend lobt er Kant und spricht ihm das Verdienst zu, mit dieser Kategorienkonzeption den »Keim des Spekulativen gelegt« zu haben.19 In dieser Hinsicht allerdings dürfte Hegel das von ihm ansonsten doch so klar gesehene und entschieden kritisierte isolierende Vorgehen Kants nicht deutlich genug im Blick gehabt haben. Denn die Bedeutung der einzelnen Kategorien ergibt sich, wie Konrad Cramer zu Recht bemerkt, nicht erst aus ihrer Konjunktion, wie es für das Hegelsche Programm der begrifflichen Selbstbewegung kennzeichnend ist, sondern sie wird in dieser Konjunktion der Kategorien schon vorausgesetzt,20 die somit als rein äußerliche, folglich als Verstandesrelation aufzufassen ist. Das zeigt sich auch darin, daß die Konstitution der jeweils dritten Kategorie einer Klasse Kant zufolge nicht ausschließlich durch die Verbindung der jeweils ersten und zweiten Kategorie ermöglicht wird, sondern »einen besonderen Aktus des Verstandes« erfordert,21 der nicht identisch ist mit demjenigen, der den ersten beiden Kategorien zugrundeliegt. Wäre dies der Fall, so käme, und diese Folgerung ist signifikant für eine äußerliche oder Verstandesverbindung, der dritten Kategorie, wie Kant feststellt, nicht mehr der Status eines »Stammbegriffs des reinen Verstandes«, sondern nur derjenige eines abgeleiteten Begriffs zu. Die spekulative Idee, die Hegel zufolge in der ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption bzw. in der produktiven Einbildungskraft angelegt, aber nicht konsequent ausgearbeitet ist, weil Kant sie als Verstandesprinzipien konzipiert, formuliert dieser explizit schließlich in dem, was er die Vernunfteinheit nennt. Im Gegensatz zum Verstand, der das Mannigfaltige einer möglichen empirischen Anschauung durch Anwendung der Kategorien verbindet und diese Verbindung im Urteil vollzieht, richtet sich die Vernunft auf
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KrV B 110. GW 4.334 f. 20 Konrad Cramer Kant oder Hegel – Entwurf einer Alternative. 144. Diese zutreffende Analyse wie auch Cramers grundsätzliche, also nicht nur auf das Triplizitätsverhältnis bezogene und sicherlich richtige Bemerkung, in Kants Philosophie gebe es keine Selbstbewegung des Begriffs, schließt jedoch nicht aus, mit Hegel ein solches Programm, auch wenn es von Kant selbst nicht intendiert war, gleichwohl als Konsequenz seines Denkens zu betrachten. Eben das akzeptiert Cramer nicht, schon deswegen, weil er dieses Programm für nicht tragfähig hält. 21 KrV B 111. 19
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die Urteile des Verstandes, um die darin ausgedrückten naturgemäß endlichen und insofern bedingten Erkenntnisse vermittels der verschiedenen Formen der Syllogismen auf ihre Bedingungen zurückzuführen, die als ihrerseits bedingte wiederum unter Bedingungen stehen, die in weiteren Schlußoperationen zu bestimmen sind, bis in dieser Reihe von Schlüssen »zu dem bedingten Erkenntnisse des Verstandes das Unbedingte [gefunden] und die Einheit desselben vollendet [ist]«.22 Dieses Unbedingte nun, d. h. die Totalität aller Bedingungen, nennt Kant die Vernunfteinheit. Insofern diese vernünftige absolute Einheit den Bereich der Erfahrung, auf den der Verstand restringiert ist, überschreitet, stellt sie einen Begriff dar, den der Verstand selbst aus sich nicht entwickeln kann. Aus demselben Grund jedoch entspricht umgekehrt dieser absoluten Einheit auch kein Gegenstand in der Anschauung, so daß nur ein »Mißverstand … eine solche unbeschränkte Vollständigkeit übereilterweise von der Reihe der Bedingungen in den Gegenständen selbst postuliert …« und diese Vollständigkeit für erkennbar hält, obwohl es doch nur eine »logische Vorschrift« ist, sich ihr anzunähern und sie so in den Horizont des Verstandes zu stellen.23 Gleichwohl ist sie, wie schon der Ausdruck der »logischen Vorschrift« erahnen läßt, kein willkürlicher, sondern ein in der Natur der Vernunft selbst liegender und damit unabweislich sich aufdrängender Begriff. Denn mit der Idee der Vollständigkeit oder Totalität aller Bedingungen übt die Vernunft im Hinblick auf die Erkenntnisse des Verstandes die wesentliche Funktion aus, diesen eine systematische Einheit zu verleihen, ohne die der Verstand nur zusammenhanglose Einzelurteile hervorbringen würde. Gerade diese die vielfältigen Kenntnisse in ein System bringende Funktion der Vernunft ist es, in der Hegel sich mit Kant einig sieht und die ihn daher besonders interessiert. Da er allerdings unter der absoluten Vernunfteinheit ein immanent sich konstituierendes Relationsgefüge versteht, kann diese, so Hegel, kein bloßes Regulativ, wie bei Kant, sein, sondern sie ist im Gegenteil höchste, weil absolute Erkenntnis. Und in der Tat ist Kants Konzeption der theoretischen Vernunft insofern nicht konsequent, als er einerseits die Notwendigkeit ihrer auf das Unbedingte zielenden Operationen deklariert, insofern der Verstand auf die darin erfolgende Systematisierung seiner Erkenntnisse angewie-
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KrV B 364. KrV B 365 f.
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sen ist, andererseits aber diesen Operationen und der Idee der absoluten Totalität die objektive Gültigkeit bzw. Realität abspricht, insofern diesen nichts anschaulich Gegebenes entspreche. So kritisiert Hegel denn auch die theoretische Vernunft Kants als eine »Vernunft, die in diese [sc. die spekulative] Idee überzugehen sich weigert«,24 so daß ihre Einheit zur leeren Einheit, also zur bloß formalen Identität herabsinke.25 Diese Inkonsequenz des Vernunftgebrauchs, die aus der unüberwindlichen Differenz des auf Erfahrung eingeschränkten Verstandes und der ausschließlich regulativ fungierenden Vernunft resultiert, bringt zum einen die Inkonsistenz hervor, die im Hinblick auf den Verstand geforderte inhaltliche Systematisierung mit einer rein formalen Vorgehensweise der Vernunft zu vollziehen. Zum anderen aber führt sie, dem isolierenden Charakter des Reflexionsdenkens entsprechend, zur absoluten Entgegensetzung des Unbedingten und des Bedingten, so daß auch jenes ein nur relativer Begriff, also ein Bedingtes ist, das sich entgegen Kants Absicht nicht in einer letzten, ihrerseits keinen Bedingungen mehr unterliegenden Prämisse ausdrückt. Diese Inkonsistenzen innerhalb der theoretischen Philosophie wirken sich schließlich, so Hegels weiterführende Kritik, auf die gesamte Systemkonzeption Kants aus, wie sich am Verhältnis zur praktischen Philosophie zeigen wird. Das Gebiet der theoretischen Philosophie ist, insofern sie es mit der Frage nach der Möglichkeit von Erkenntnis und d. h. ja mit der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung zu tun hat, dasjenige der Naturbegriffe,26 vermittels derer allgemeine Naturgesetze formu-
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GW 4.335. Die grundsätzliche, der Inkonsequenzen wegen aber durch scharfe Kritik eingeschränkte, Zustimmung Hegels hinsichtlich der Kantischen Vernunfteinheit hebt auch Rolf-Peter Horstmann hervor: »… [Es] sind für ihn [sc. Hegel] die Kantischen Ausführungen in Sachen Vernunft ein Indikator dafür, daß auch Kant mit einer Vorstellung der synthetischen Einheit, nämlich der transzendentalen Idee als unbedingter Totalität, einen eminenten Sinn verbindet, indem er sie als notwendig erklärt, was gelobt zu werden verdient, wenn er auch einer solchen Idee jede Bedeutung, jeden Bezug auf ein Objekt, abspricht, was bedauerlich, weil falsch ist.« (Rolf-Peter Horstmann Den Verstand zur Vernunft bringen? Hegels Auseinandersetzung mit Kant in der ›DifferenzSchrift‹. 106) 26 Kant spricht hier von den Verstandesbegriffen oder Kategorien als Naturbegriffen, wohl um sie in ihrer Funktion, Naturerkenntnisse zu ermöglichen, schärfer von der praktischen Philosophie, die hinsichtlich der theoretischen Erkenntnis der Natur in keiner Weise etwas bestimmen kann, abzugrenzen. Naturbegriffe (a priori) sind je25
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liert werden. Diejenige Instanz nun, der diese gesetzgebende Funktion zukommt, ist der Verstand, der innerhalb der theoretischen Philosophie folglich konstitutiv ist, während die Vernunft, wie gesehen, hier nur regulativ wirkt. Das Gebiet der praktischen Philosophie hingegen ist dasjenige des Freiheitsbegriffs, insofern durch ihn die Gesetze formuliert werden, nach welchen das Handeln des Menschen innerhalb der von notwendigen Naturabläufen bestimmten Wirklichkeit zu erfolgen hat. Hier ist die Vernunft die gesetzgebende, also konstitutive Instanz. Was nun das Verhältnis von theoretischer und praktischer Philosophie angeht, so werden beide durch den Freiheitsbegriff, durch den sie eigentlich verbunden sein müßten, vielmehr als zwei ganz verschiedene Teile auseinandergehalten. Das hat seinen Grund darin, daß dieser Begriff, so Hegels Kritik, durch einen inneren Widerspruch gekennzeichnet ist, der sich systemzerstörend auswirkt. Denn der Begriff der Freiheit enthält, wie Kant einerseits ausführt, nur das negative Prinzip der Entgegensetzung in bezug auf die Naturbegriffe.27 D. h.: Da Freiheit, die die Möglichkeit bezeichnen soll, eine Kausalreihe unbedingt zu beginnen, ein Begriff ist, der über die Grenzen der Natur hinausgeht, folglich dem Bereich des Übersinnlichen angehört, ist sie nicht nur ihrer Wirklichkeit, sondern auch ihrer Möglichkeit nach nicht zu beweisen;28 m. a. W. sie ist erkenntnistheoretisch ein Unding, etwas, »das schlechthin Nichts ist« außerhalb des Gegensatzes zu den Naturbegriffen, die nur eine der Notwendigkeit unterworfene Kausalität erkennen.29 Auf der anderen Seite jedoch wird dieser erkenntnistheoretisch unmögliche, negative Begriff der Freiheit, insofern diese Prinzip der praktischen Vernunft ist, zur »Idee von einer Spontaneität, die von selbst anheben könne zu handeln, ohne daß eine andere Ursache vorangeschickt werden dürfe, sie wiederum nach dem Gesetze der Kausalverknüpfung zur Handlung zu bestimmen«.30 Und im Sinne dieser transzendentalen Idee ist Freiheit das Prinzip, durch das die praktische Vernunft Gesetze der Moralität konstituiert.
doch, wie Kant sagt, »eigentlich reine Verstandesbegriffe«. (Kritik der Urteilskraft [im folgenden: KdU] AA 5.XXIV) 27 S. KdU XII. 28 S. KrV B 586. 29 GW 4.336. 30 KrV B 561.
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Aufgrund dieses inkonsistenten Freiheitsbegriffs fallen theoretische und praktische Philosophie absolut auseinander, und das bedeutet nichts weniger, als daß die Vernunft sich in sich selbst spaltet, da es ja ein und dieselbe Vernunft ist, die als theoretische lediglich reguliert, als praktische jedoch konstituiert. Dennoch muß, wie Kant ausführt, diese Kluft, die zwischen beiden Teilen der Philosophie besteht, überwunden werden, schon weil es der Begriff der Freiheit bzw. genauer der Kausalität aus Freiheit verlangt, den durch seine Gesetze aufgegebenen Zweck in der Natur zu realisieren – nicht indem die Handlung aus Freiheit direkt in die Kausalität der Naturdinge eingriffe, was unmöglich ist, sondern indem sie, wie Kant sich ausdrückt, der Naturkausalität gemäß wirkt.31 Freiheit im Sinne einer absolut autonomen Willensbestimmung jedoch, die der Naturnotwendigkeit entgegengesetzt ist, kann ihre Wirkung nicht in der Natur entfalten, d. h., sie ist, wie Hegel entgegnen würde, keine Freiheit. Um nun die erforderliche Verbindung von theoretischer und praktischer Philosophie in der genannten Weise einer Verwirklichung moralischer Gesetze zu ermöglichen, bezieht sich Kant auf das dritte der oberen Erkenntnisvermögen, nämlich auf die Urteilskraft, die als Mittelglied zwischen Verstand und Vernunft aufzufassen ist. Die Urteilskraft ist grundsätzlich das Vermögen, ein Besonderes unter ein Allgemeines, sei es eine Regel, ein Prinzip oder ein Gesetz, zu subsumieren. Ist das Allgemeine von außen gegeben, so heißt die Urteilkraft bestimmend. Muß sie jedoch zu einem gegebenen Besonderen das Allgemeine, unter das es zu subsumieren ist, selbst setzen, so ist die Urteilskraft reflektierend. Bezüglich der allgemeinen Naturgesetze, die der Verstand a priori vorschreibt, fungiert die Urteilskraft demnach nur als bestimmende, und als solche verfügt sie, anders als Verstand und Vernunft, über kein Gebiet, in dem sie dem Inhalt nach gesetzgebend wäre. Da die Naturerscheinungen jedoch so mannigfaltig und komplex sind, daß sie durch die allgemeinen Naturgesetze des Verstandes allein nicht zu erfassen sind, sondern auch nach Maßgabe von Gesetzen, sofern sie sich auf Empirie gründen, betrachtet werden müssen, so bedarf es, um diesen Gesetzen gleichwohl Notwendigkeit zuerkennen zu können, eines a priorischen Prinzips,
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KdU LIV.
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durch das die systematisierende Vernunfteinheit, die allein alles Empirische notwendig verbindet, legitimiert wird. Dieses Prinzip kann also nur gefunden werden, indem vom empirisch Gegebenen ausgehend und seine natürliche Beschaffenheit reflektierend auf ein zugrundeliegendes Allgemeines geschlossen wird. Dieses Verfahren ist, wie soeben angeführt, kennzeichnend für die reflektierende Urteilskraft, die, insofern sie das aufgefundene Allgemeine gleichsam wie ein a priori gültiges Gesetz handhaben muß, ein gesetzgebendes Vermögen ist. Nun konfrontiert allein das Phänomen organischer Wesen innerhalb der Natur Kant zufolge das Denken mit einem grundsätzlichen Problem, insofern dieses Phänomen mit physikalischen Prinzipien, und d. h. für Kant mit den mechanistischen Prinzipien der Newtonschen Physik, nicht zu erklären ist. Folglich wird es »unentbehrlich nötig, der Natur den Begriff einer Absicht unterzulegen …«,32 d. h. ein außer der Welt existierendes verständiges Wesen anzunehmen, das ein absolutes Einheitsprinzip stiftet, in dem das Mannigfaltige der Natur notwendig verbunden ist. Da die Organismen in sich abgeschlossene, den Grund ihrer Entwicklung in sich enthaltende Einheiten und daher als Zwecke zu betrachten sind, wird die reflektierende Urteilskraft darauf geführt, die Natur insgesamt als zweckmäßig strukturiert aufzufassen, d. h. diese Einheit nach Zwekken als das der Natur a priori zugrundeliegende Gesetz zu betrachten. Der außer der Welt existierende Verstand aber, der diese nach Zwecken organisierte Natureinheit, in der das Besondere durch das allgemeine Ganze gesetzt ist, gibt, muß als solcher notwendig ein »urbildlicher«, also anschauender oder intuitiver Verstand33 sein, im Unterschied zum diskursiven Verstand, dem zum Allgemeinen das Besondere in einer Anschauung erst gegeben wird. Diese Konzeption eines intuitiven Verstandes, der Begriff und Anschauung und damit Möglichkeit und Wirklichkeit vereint, ist für Hegel der interessanteste Aspekt des Kantischen Systems, zum einen, weil hier der Gedanke einer ursprünglichen Identität expliziert ist, den Hegel, wie dargestellt, schon in der produktiven Einbildungskraft angelegt, aber nicht entfaltet sieht, zum anderen, weil Kant selbst sehr eindringlich auf die Unumgänglichkeit einer solchen Konzeption hinweist. Denn nur so wird, wie ausgeführt, die teleologische Naturbetrachtung möglich, die Vor32 33
KdU 334; vgl. auch 337 f. KdU 349.
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aussetzung für die Erforschung der Natur ist. Zugleich aber stellt sich, und d. i. ein weiterer wesentlicher Aspekt der KdU, die Frage nach dem objektiven Grund, durch den der intuitive Verstand in seinem Wirken nach Zwecken bestimmt ist und der den unbedingten oder Endzweck der Schöpfung, d. i. des Daseins einer Welt, darstellt.34 Kant beantwortet diese Frage dahingehend, daß dieser Endzweck oder objektive Grund des intuitiven Verstandes der Mensch (als Noumenon betrachtet) sei, insofern er als einziges Wesen in der Welt ein übersinnliches Vermögen besitze, nämlich das Vermögen, aus Freiheit eine auf moralische Zwecke gerichtete Kausalität zu beginnen.35 Abgesehen einmal von der Frage, ob die Einheit von theoretischer und praktischer Philosophie überzeugend damit erklärt ist, daß die gesamte im intuitiven Verstand gründende teleologische Naturkausalität sich nur um einer Kausalität aus Freiheit willen, die ihre moralischen Zwecke in der Natur entfaltet, vollzieht, ergibt sich die eigentliche Schwierigkeit dadurch, daß Kant diesem intuitiven Verstand, dessen zweckbezogenes Wirken er doch so emphatisch als notwendige Maxime des Naturerkennens deklariert, dennoch keine Wirklichkeit zuerkennt, sondern ihn gleichsam nur als Hilfskonstruktion der reflektierenden Urteilskraft konzipiert. Denn Wirklichkeit kann ihm zufolge nur einem diskursiven, der Sinnlichkeit grundsätzlich entgegengesetzten Verstand zuerkannt werden. Kant hält also auch in diesem Kontext an der Lehre von den zwei Stämmen der Erkenntnis fest, mit der Folge, so Hegels Kritik, daß auch dasjenige Prinzip, in dem die spekulative Idee am deutlichsten ausgesprochen ist, schließlich wieder dem Reflexionsdenken zum Opfer fällt. b) Hegels Interpretation und Kritik der Fichteschen Wissenschaftslehre 1794 Gleich im ersten Satz seiner Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre 1794 (im folgenden: WL) nennt Fichte das Ziel seines Philosophierens, nämlich das Aufsuchen des »absolutersten, schlechthin unbedingten Grundsaz[es] alles menschlichen Wissen«.36 Absolut, schlechthin unbe-
34 35 36
KdU 421f., insbesondere Fußnote. KdU 396–398. GA I/2.255.
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dingt kann dieser Grundsatz nur sein, wenn er frei ist von allen »empirischen Bestimmungen unseres Bewußtseins«, deren Begründung ja erst durch ihn gewährleistet werden kann. Gleichwohl sieht Fichte keine andere Möglichkeit, sich dieses Grundsatzes zu versichern, als durch ein induktives und damit zirkuläres Verfahren: Ausgegangen werden soll, so das Programm, von irgendeinem allgemein als unmittelbar einsichtig zugestandenen Satz des empirischen Bewußtseins, von dem Schritt für Schritt jede empirische Bestimmung zu abstrahieren ist, »bis dasjenige, was sich schlechthin selbst nicht wegdenken und wovon sich weiter nichts absondern läßt, rein zurückbleibt.« (ebd. 256) Zur Auffindung des reinen Gedankens, des absoluten Grundsatzes bedarf es also schon empirischer Bestimmungen und Sätze, deren Legitimation erst durch diesen absoluten Grundsatz geleistet werden kann. Dem Einwand gegen dieses zirkuläre Verfahren meint Fichte dadurch begegnen zu können, daß er dessen Zirkelhaftigkeit zugibt und sie als unvermeidlich bezeichnet. Eine weitere Rechtfertigung seines Vorgehens scheint er im Phänomen der Evidenzen, also unbegründeter, doch gleichwohl als gewiß deklarierter Sätze zu sehen, welche er, wie oben erwähnt, als Anfangspunkte seiner systematischen Entwicklung in Anspruch nimmt. Mit dem Rekurs auf solche unmittelbare Gewißheiten, so meint er, schreibe der Mensch sich das Vermögen zu, durch sein Bewußtsein etwas schlechthin, d. h. absolut zu setzen. Fichte begreift also evidente Sätze als Verweise auf den absoluten Wissensgrund und damit als Kennzeichen der Fähigkeit des menschlichen Bewußtseins, über seine empirischen Attribute, d. h. über sich selbst hinauszugehen. Derjenige allgemein zugestandene, also evidente Satz des empirischen Bewußtseins nun, den Fichte als Ausgangspunkt wählt, ist der logische Grundsatz der Identität: A ist A bzw. A=A (Fichte gebraucht beide Ausdrücke synonym). Über den in diesem Satz ausgesprochenen notwendigen Zusammenhang der Sich-selbst-Gleichheit von A, über die in diesem Zusammenhang liegende Differenz des A als eines Subjektiven und eines Objektiven und über die Schlußfolgerung, das Ich selbst müsse den Satz A ist A konstituiert haben, insofern dieser in ihm ohne allen Grund gegeben sei, gelangt Fichte dann vom empirischen zum absoluten Ich, welches sich in dem Grundsatz ausspricht: »Das Ich sezt ursprünglich schlechthin sein eigenes Seyn.« (ebd. 261)
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»Die Grundlage des Fichte’schen Systems ist [also] intellektuelle Anschauung, reines Denken seiner selbst, reines Selbstbewußtseyn Ich=Ich; Ich bin; das Absolute ist Subjekt-Objekt, und Ich ist diese Identität des Subjekts und Objekts.«37 Fichtes Begriff des Ich stellt demnach die geforderte Vernunft- oder spekulative Einheit der Gegensätze dar: Reine Selbstbeziehung, in der sich das Ich als Subjekt zugleich auch Objekt ist. Das kann nun, wie oben ausgeführt, nicht bedeuten, daß der Unterschied des Subjektiven und Objektiven, des Intellektuellen und Materiellen gänzlich eliminiert wäre, sondern es heißt vielmehr, daß dieser Unterschied als fixierter, als absolute Entgegensetzung aufgehoben ist. Die Vernunfteinheit ist insofern genauer nicht nur als Einheit der Gegensätze bzw. Identität der Differenten, sondern ebensosehr als (in sich) differente Identität aufzufassen. Nur dann also, wenn Fichtes absolutes Ich ebensosehr differentes wie identisches Prinzip ist, ist es nicht mehr nur reine Sebstbeziehung, reines Bewußtsein, sondern auch empirisches Bewußtsein, genauer: Identität des reinen und empirischen Bewußtseins, somit Totalität. D. h. dann auch, daß sich aus der reinen Selbstbeziehung des absoluten Ich die »Mannichfaltigkeit des empirischen Bewußtseins«38 als die objektive Seite der Totalität aufzeigen lassen muß; oder: daß »reines Bewußtseyn als Begriff aufgehoben [wird] … als Begriff, [d. h.] als Abstraktion von allem Mannichfaltigen, aller Ungleichheit des Subjekts und Objekts.« (ebd. 35) Erst durch die Konstituierung dieser Identität des reinen und empirischen Bewußtseins gelangt, wie Hegel betont, ein philosophisches System zum Wissen und wird so »Wissenschaft des Wissens« (ebd. 36). Inwieweit erfüllt nun Fichtes Prinzip des absoluten Ich diesen Anspruch, gleichermaßen Subjekt-Objekt-Identität wie Subjekt-Objekt-Differenz zu sein? Hegel zeigt in seinen Ausführungen, daß Fichte die Notwendigkeit eines solchen identisch-differenten Prinzips wohl sieht – »Ich=Ich ist Identität und Duplicität zugleich, es ist eine Entgegensetzung in Ich=Ich; Ich ist einmal Subjekt, das anderemal Objekt …« (ebd.) –, es ihm aber nicht gelingt, dieses spekulative Prinzip methodisch adäquat zu entfalten. Denn er beschreibt dessen spekulativen Charakter mit Mitteln des
37 38
GW 4.34. GW 4.36.
34
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Reflexionsdenkens,39 insofern er »für die Darstellung des Princips seines Systems die Form von Grundsätzen [wählt] …«40 Um diese Vermischung von Spekulation und Reflexion in Fichtes Prinzip besser analysieren zu können, muß das Verhältnis des Reflexionsdenkens zum spekulativen Denken noch einmal genauer betrachtet werden. Die absolute Einheit des Identischen und Differenten, welche durch das spekulative Denken konstruiert wird, kann von dem in fixen Gegensätzen denkenden Verstand nur als absoluter Widerspruch begriffen werden: Es ist ihm unmöglich, die Differenz der endlichen Bestimmungen transparent zu machen, indem er sie in ihrer wechselseitigen Bezüglichkeit aufzeigt und so ihren immanenten Zusammenhang, d. i. ihre absolute Identität herstellt; vielmehr gelangt er, wie oben demonstriert, durch sein Verfahren des endlosen kausalen Aneinanderreihens der Differenzen zu einem lediglich äußerlichen Zusammenhang, gerät folglich nur in ein unendliches Reproduzieren von Endlichkeiten.
39
Gegen diese Kritik Hegels betont Patrick Grüneberg, daß Fichte, insofern er mit seiner WL einen transzendentalphilosophischen Ansatz verfolge, die Subjekt-ObjektIdentität des absoluten Ich wesentlich als Möglichkeitsbedingung für die Erkenntnisleistung des endlichen Subjekts expliziere. Und insofern könne dieser Ansatz auch nicht als »eine Metaphysik der absoluten Identität« verstanden werden. Genau davon aber gehe Hegel aus. Dessen Kritik, Fichte wolle mit Mitteln des Reflexionsdenkens die absolute Identität konstruieren, erfolge somit unter Verkennung des Grundgedankens der WL. Fichte zufolge könne, so Grüneberg, »dem endlichen bzw. vorstellenden Subjekt … gerade aufgrund seiner Endlichkeit kein Bewußtsein einer absoluten Identität beigebracht werden.« (Patrick Grüneberg Ist die Identität des Selbstbewusstseins in Fichtes System unerreichbar? 125) – Nun versteht Fichte seine WL zweifellos als Transzendentalphilosophie. Auch soll nicht bestritten werden, daß er die Unzulänglichkeit der Kategorien des endlichen Erkennens im Hinblick auf die Bestimmung der absoluten Subjekt-Objekt-Einheit reflektiert. Doch gerade vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die im folgenden erörterten umfassenden Anstrengungen zu verstehen sind, die Fichte unternimmt, um die Möglichkeit eines Nicht-Ich und damit auch die eines endlichen Ich im absoluten Ich zu explizieren. M. a. W.: Der Prozeß, in dem Fichte das absolute Ich als Bedingung der Möglichkeit des endlichen Ich oder der vorstellenden Intelligenz entwickelt, wird von ihm als ein ichinterner Prozeß konzipiert; und dieser bleibt unzureichend entfaltet, wenn er als eine Tätigkeit expliziert wird, durch die sich das absolute Ich in ein Verhältnis der unüberwindlichen Entzweiung zum Subjekt-Objekt-Gegensatz bringt, der das Reflexionsdenken des endlichen Ich wesentlich bestimmt. Und eben diese Dissoziation von Identität und Differenz im Rahmen eines Immanenzsystems ist es, die Hegel als »Idealismus des Endlichen« kritisiert. 40 GW 4.37.
Kritische Analyse als Selbstverständigung
35
Wenn also aus der Natur des Verstandes folgt, das Absolute verfehlen zu müssen, er gleichwohl danach strebt, dasselbe zu erfassen, so kann dieses Dilemma, wie Hegel ausführt, nur durch Vernichtung, genauer durch Selbstvernichtung des Verstandes aufgelöst werden. Ein solches Sich-gegen-sich-selbst-Wenden kann nur dann einsetzen, wenn der Verstand begreift, daß sich die durchgängige Identität der endlichen Bestimmungen nicht jenseits ihrer Differenzen einstellt, sondern nur durch diese Differenzen konstituiert werden kann, daß also das Identische und das Differente nicht absolute Gegensätze sind und somit im Widerspruch zueinander stehen, sondern sich wechselseitig bedingen. Bleibt diese Einsicht aus, so gelangt der Verstand über das Setzen fixer Gegensätze nicht hinaus und verhält sich so als »isolirte Reflexion«, die »ein Aufheben des Absoluten« ist.41 Entwickelt er sich jedoch zu dieser Einsicht, so wird der Verstand konsequenterweise das Gesetz vom auszuschließenden Widerspruch als das Gesetz des gegensatzfixierenden Denkens außer Kraft setzen. Durch diesen gegen sich selbst gerichteten Akt ist er dann nicht mehr »isolirte Reflexion«, sondern »Reflexion als Vernunft« oder »philosophische Reflexion.«42 Freilich ist die »philosophische Reflexion« noch kein spekulatives Denken, und folglich stellt der Verstand auf dieser Stufe seiner Entwicklung wohl eine Beziehung zum Absoluten her, gelangt jedoch noch zu keiner Erkenntnis desselben. Denn er negiert zwar durch den Verstoß gegen das Widerspruchsverbot seine eigene dem Absoluten entgegenstehende reflexive Struktur, stellt damit aber keine über das Reflexionsverfahren hinausgehende Methode zur positiven Bestimmung des Absoluten bereit. M. a. W.: Der Verstand bleibt, wenn er sich gegen sein Reflexionsdenken wendet, dennoch auf die Mittel desselben verwiesen: Er muß in Sätzen formulieren, und insofern ein Satz ein endliches, begrenztes, im Gegensatz zu anderen Sätzen stehendes Gebilde ist, ist sein Formulieren ein ausschließendes Formulieren. Dieses aber gestattet lediglich, die Einheit der Gegensätze zu postulieren, nicht jedoch, sie zu konstituieren. Denn der Verstand kann zwar – gegen das Gesetz vom auszuschließenden Widerspruch – zwei gegensätzliche Inhalte als gleichermaßen gültige deklarieren, die ausschließende Struktur des Satzes erlaubt es ihm jedoch nicht, die Inhalte aus dieser Widersprüchlichkeit in ihre angestrebte Synthese 41 42
Vgl. GW 4.16. Vgl. GW 4.16 f.
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zu überführen. Die Relationierung von Entgegensetzungen ist somit »der höchst mögliche Ausdruk der Vernunft durch den Verstand … [dieser Ausdruk] ist der Ausdruk der Antinomie …«,43 welche »die einzige Weise der Reflexion [ausmacht], das Absolute darzustellen …«44 An dieser Stelle wird nun deutlich, in welche Schwierigkeiten Fichte bei der Entfaltung seines identisch-differenten Ich-Prinzips geraten muß: Die Grundsätze, durch die er dieses Prinzip darzustellen sucht, gestatten ihm nur, die Subjekt-Objekt-Identität und die Subjekt-Objekt-Differenz des Ich antinomisch aufeinander zu beziehen, nicht jedoch, wie es die Einheit des Ich verlangte, beide zu synthetisieren. Das führt zum einen dazu, daß ihm der erste, oben erwähnte Grundsatz des sich selbst setzenden Ich, welcher als schlechthin unbedingter, d. h. seiner Form und seiner Materie nach absoluter Grundsatz konzipiert ist, zum Satz der Subjekt-Objekt-Identität unter Ausschluß der Subjekt-Objekt-Differenz und damit zu einem bedingten Satz gerät.45 Zum anderen zwingt Fichte dies zu dem Widersinn, den zweiten Grundsatz des Entgegensetzens – »Von allem, was dem Ich zukommt, muß kraft der bloßen Gegensetzung dem Nicht-Ich das Gegentheil zukommen«46 – als teilweise, nämlich seiner Form nach, absoluten und teilweise, seinem Inhalt nach, bedingten Grundsatz zu konzipieren: Durch die Absolutheit des Aktes der Entgegensetzung, der Differenzierung soll der Forderung nach Ursprünglichkeit auch der Subjekt-Objekt-Differenz, d. i. des empirischen Bewußtseins und seiner mannigfaltigen Objekte, Rechnung getragen werden, welche Forderung sich aus dem Ich ergibt, insofern es als identisch-differentes Prinzip die Subalternität der Differenz in bezug auf die Identität verbietet. Und dadurch, daß das Produkt des Entgegensetzens, das Nicht-Ich, bedingt, weil nur unter der Voraussetzung des Ich denkbar ist, kann Fichte den absoluten Akt des Entgegensetzens gleichzeitig als einen auf das Setzen bezogenen, also bedingten Akt auffassen, wodurch gesichert wäre, daß die Ursprünglichkeit des Entgegensetzens gleichwohl nicht seine Unabhängigkeit vom Ich bedeutet. Fichte kämpft hier mit der Schwierigkeit, die Differenz des empirischen Bewußtseins als die objektive Seite der Identität des subjektiven reinen Selbstbewußtseins aufzuzeigen, ohne ein Auseinanderbrechen des 43 44 45 46
GW 4.26. GW 4.38. Vgl. GW 4.37. GA I/2.267.
Kritische Analyse als Selbstverständigung
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Subjekt-Objekt herbeizuführen und auf diese Weise entweder die Einheit des Ich zu zerstören oder die Ursprünglichkeit und d. h. die Gleichrangigkeit der Objekt-Seite aufzuheben und sie so der Subjekt-Seite unterzuordnen. Diese Schwierigkeit wird nicht zu überwinden sein, solange sich das Denken in den Grenzen des Verstandes vollzieht, denn die äußerste Erkenntnisleistung, die der Verstand, wie gesehen, zu erbringen fähig ist, besteht darin, auf die von ihm als Struktur des Absoluten begriffene spekulative Einheit des Identischen und Differenten durch den Ausdruck der Antinomie lediglich zu verweisen; entwickeln kann er sie mit seinen Mitteln jedoch nicht mehr. Doch auch wenn sich die Möglichkeiten des Verstandes darin erschöpfen, auf die absolute Identität »nur« zu verweisen, insofern er diese bloß negativ als nicht fixierendes Entgegensetzen, als Nicht-Antithese des Identischen und Differenten bestimmt, so ist dieses bloße Andeuten ihrer Synthese andererseits aber ein erstes Entwerfen, gleichsam ein Skizzieren des Absoluten, durch das der Verstand den Weg zum vernünftigen Denken und seinen spekulativen Inhalten überhaupt erst eröffnet. Dieser Aspekt ließe dann Fichtes Vorgehen in einem anderen Licht erscheinen: Bekanntlich expliziert er sein Prinzip des absoluten Ich nicht nur durch die beiden genannten Grundsätze des Setzens und Entgegensetzens, sondern darüber hinaus noch vermittelst eines dritten Grundsatzes, durch den, wie die Aufgabe lautet, »das entgegengesezte Ich und Nicht-Ich vereinigt, gleich gesezt werden [sollen], ohne daß sie sich gegenseitig aufheben [Hervorhebung d. Verf.]«.47 Es wäre also denkbar, daß Fichte durch seine ersten beiden Grundsätze zunächst einmal jenes auf das Absolute gerichtete Verweis-, Entwurfsverfahren des zur Form der Antinomie entwickelten Verstandes darstellen will, um dann mit eben dem dritten Grundsatz Setzen und Entgegensetzen, Ich und Nicht-Ich aus dem Widerspruch, absolut entgegengesetzte Relata zu sein, herauszuführen und beide zur absoluten, d. h. zugleich subjektiven und objektiven, »zugleich ideelle[n] und reelle[n] Synthese«48 zu konstruieren, welche mit dem Prinzip des absoluten Ich konzeptionell schon vorliegt. Und genau diese Deutungsmöglichkeit der Fichteschen Grundsatzmethode spielt Hegel zunächst auch durch:
47 48
GA I/2.269. GW 4.38.
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2. kapitel
Diese ideellen Faktoren des reinen Setzens und des reinen Entgegensetzens könnten aber nur zum Behuf der philosophischen Reflexion gesetzt seyn, welche, ob sie zwar von der ursprünglichen Identität ausgeht, gerade um das wahre Wesen dieser Identität zu beschreiben, mit der Darstellung absolut entgegengesetzter anfängt, und sie zur Antinomie verbindet … um die absolute Identität sogleich aus der Sphäre der Begriffe wegzunehmen, und sie … als eine Identität des Subjekts und Objekts zu konstituiren.49 Von einer solchen Konzeption der ersten beiden Grundsätze kann sinnvoll jedoch nur dann ausgegangen werden, wenn die geforderte Synthese in Form des dritten Grundsatzes auch wirklich vollzogen wird. Und eben das erscheint angesichts des Umstandes, daß Fichte auch hier wieder mit einem Satz operiert, sogleich zweifelhaft, ist doch der Satz, wie oben gezeigt, als Verstandesfunktion seiner Struktur nach ausschließend, antithetisch. Fichte führt denn auch, um diesem Problem zu begegnen, über den Gehalt des dritten Grundsatzes den Begriff einer neuen unbedingten Handlung ein: Ist die Form dieses Grundsatzes, welche in der Forderung besteht, daß synthetisiert werden muß, bedingt, insofern sie sich aus der Einheit des absoluten Ich herleitet, so ist hingegen das Wie dieser Synthese, das den Gehalt des Satzes ausmacht, dadurch in keiner Weise bestimmt und muß sich folglich un-bedingt ergeben. Dies geschieht durch ein von Fichte nicht näher expliziertes »besondres Gesez unsers Geistes«, welches unmittelbar zum Bewußtsein bringt, daß die Synthese der beiden entgegengesetzten Faktoren nur erfolgen kann, wenn sie sich gegenseitig einschränken; und insofern »[e]twas einschränken heißt: die Realität deßelben durch Negation nicht gänzlich, sondern nur zum Theil aufheben«,50 ist in diesem Begriff des Einschränkens außerdem derjenige der »Theilbarkeit« bzw. Quantitätsfähigkeit enthalten. Ich und Nicht-Ich, Setzen und Entgegensetzen werden somit, indem sie sich gegenseitig einschränken, zu teilbaren Faktoren, zu Faktoren bestimmter Quantität. Es lautet also der dritte Grundsatz: »Ich setze im Ich dem theilbaren Ich ein theilbares Nicht-Ich entgegen.«51 Diese Aussage macht aber sofort deutlich, daß mit dem Begriff des Sich-gegenseitig-Einschränkens etwas behauptet wird oder doch zumin49 50 51
Ebd. GA I/2.270. GA I/2.272.
Kritische Analyse als Selbstverständigung
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dest suggeriert werden soll, was der Sache nach gar nicht vorliegt. Denn es handelt sich durchaus nicht um ein gegenseitiges Einschränken des absolut setzenden Ich und des unbestimmten absoluten Entgegensetzens bzw. Nicht-Ich-Setzens, sondern das absolute Ich schränkt sich vielmehr selbst ein: Denn ein Ich, das, wie es im dritten Grundsatz heißt, »im Ich« setzt, ist absolute, d. h. alles umfassende, nichts außer sich vorfindende Realität, kann folglich nur sich selbst einschränken und setzt auf diese Weise in sich die beiden begrenzten Realitäten des teilbaren Ich und des teilbaren Nicht-Ich, dergestalt, daß »dem Nicht-Ich diejenige [Realität] zu[kommt], die dem Ich nicht zukommt, und umgekehrt«.52 Dadurch wird jedoch der Widerspruch zwischen Ich und Nicht-Ich, Setzen und Entgegensetzen nicht gelöst, sondern lediglich in das absolute Ich bzw. Setzen verlagert: Stand in Form der ersten beiden Grundsätze dem absoluten Sich-Setzen des Ich ein ebenfalls absolutes und daher ganz unbestimmtes, mit dem Ich unvereinbares Entgegensetzen gegenüber, so wird im dritten Grundsatz das Entgegensetzen über die Handlung des Einschränkens zwar zu einem Akt des setzenden Ich selbst, doch bleibt sich das Ich in diesem Akt fremd, denn es ist nicht begründbar, wie und warum überhaupt die ins Unendliche laufende Ich-Handlung des Setzens sich selbst einschränken sollte und könnte. Mit dem dritten Grundsatz tritt also das Ich nur in Widerspruch zu sich selbst, und insofern wird auch hier wieder nur die Forderung ausgesprochen, daß das Setzen des Ich gleichermaßen ein Entgegensetzen, seine Subjekt-Objekt-Identität gleichermaßen eine Subjekt-Objekt-Differenz sein solle, wie aber diese Synthese möglich sei, bleibt weiterhin unbestimmt. Damit ist das Scheitern der systematischen Entwicklung des Ich-Prinzips, in welche der dritte Grundsatz überleitet, schon vorweggenommen. Insofern der dritte Grundsatz das wechselseitige Sich-Bestimmen des teilbaren Ich und des teilbaren Nicht-Ich ausspricht, hat diese Entwicklung des Systems in zwei Teilen zu erfolgen: Der erste Teil, dessen Grundsatz lautet: »Das Ich sezt sich selbst, als beschränkt durch das Nicht-Ich«, stellt die theoretische WL dar; der zweite Teil, der unter dem Grundsatz steht: »Das Ich sezt das Nicht-Ich, als beschränkt durch das Ich«,53 macht die praktische WL aus.
52 53
GA I/2.271. GA I/2.285.
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2. kapitel
Der Grundsatz der theoretischen WL leitet sich unmittelbar aus dem dritten Grundsatz ab, insofern er die Antithese, die im Begriff der Selbstbeschränkung des Ich liegt, formuliert: Ich ist einerseits bestimmend, tätig, indem es selbst sich einschränkt, macht sich dadurch jedoch andererseits zum teilbaren, d. h. endlichen, empirischen Bewusstsein oder intelligentem Ich, das durch ein ihm entgegengesetztes Nicht-Ich, eine ihm entgegenstehende fremde Welt mannigfaltiger Objekte bestimmt wird und somit leidend ist. Dieser Widerspruch zwischen bestimmendem und bestimmtem, tätigem und leidendem Ich kann nur gelöst werden, wenn das empirische Bewußtsein aus seiner Entgegensetzung herausträte und sich vollständig objektiv setzte. Diese Synthese aber gelingt nicht und kann nicht gelingen, weil es nicht möglich ist zu erklären, inwiefern das absolute Ich überhaupt die selbstbegrenzende Tätigkeit des Entgegensetzens vollzieht. M. a. W.: Das Nicht-Ich bleibt seinem Daß-Sein nach unbestimmt und daher ein Faktum außerhalb und gegen das absolute Ich. Fazit: Ich vermag als t he oret is ches Vermögen nicht, sich vollständig objektiv zu setzen, und aus der Entgegensetzung heraus zu kommen … Wenn sich nun gleich die objektive Welt als ein Accidenz der Intelligenz erweißt … so bleibt doch eine Seite des theoretischen Vermögens übrig, von welcher es bedingt ist; nemlich die objektive Welt in ihrer unendlichen Bestimmtheit durch die Intelligenz, bleibt zugleich immer ein Etwas für sie, das für sie zugleich unbestimmt ist; das NichtIch hat zwar keinen positiven Charakter, aber es hat den negativen, ein Anderes d. h. ein Entgegengesetztes überhaupt zu seyn …54 Das intelligente Ich als solches bleibt also bedingt durch die nicht bestimmbare pure Faktizität des Nicht-Ich. Die Synthese zwischen Ich und Nicht-Ich, Subjekt-Objekt-Identität und Subjekt-Objekt-Differenz ist folglich am Ende der theoretischen WL noch unvollkommen. Und Fichte selbst spricht dies in folgenden Sätzen, auf die Hegel seinerseits Bezug nimmt, aus: [D]as Ich als Intelligenz ist zwar, insofern es dies schon ist, seinen besondern Bestimmungen nach innerhalb dieser Sphäre durch sich selbst bestimmt … Aber diese Sphäre selbst, überhaupt, und an sich betrachtet, 54
GW 4.42.
Kritische Analyse als Selbstverständigung
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ist ihm nicht durch sich selbst, sondern durch etwas ausser ihm gesezt … Wir konnten nemlich die Vorstellung überhaupt auf keine Art möglich denken, als durch die Voraussetzung, daß auf die ins unbestimmte und unendliche hinausgehende Thätigkeit des Ich ein Anstoß geschehe. Demnach ist das Ich als Intelligenz überhaupt, abhängig von einem unbestimmten, und bis jetzt völlig unbestimmbaren Nicht-Ich; und nur durch und vermittelst eines solchen Nicht-Ich ist es Intelligenz.55 Soll die Synthese doch noch gelingen, so kommt es nun darauf an zu demonstrieren, »daß das Ich jenes bis jezt unbekannte Nicht-Ich, dem der Anstoß beigemessen ist, durch welchen das Ich zur Intelligenz wird, durch sich selbst bestimme«.56 Und genau dieses Programm wird durch den Grundsatz der praktischen WL angekündigt: »Ich sezt das Nicht-Ich, als beschränkt durch das Ich.«57 Fichte beginnt diesen zweiten, also den praktischen Teil seines Systems mit einer näheren Analyse des Bedingtheits- und d. h. Kausalitätsverhältnisses von Intelligenz und Nicht-Ich: Wenn jene das Bedingte, Bewirkte ausmacht und dieses die Ursache, so muß, gemäß dem Prinzip des Einschränkens und der darin implizierten Teilbarkeit, ein Teil der ins Unendliche laufenden Tätigkeit des absoluten Ich aufgehoben und ins Nicht-Ich gesetzt worden sein. Es ist jedoch mit dem Absolutheitscharakter des Ich unvereinbar, daß dasselbe eine Einschränkung erleidet; die Begrenzung seines unendlichen Setzens kann infolgedessen nur vom Ich selbst ausgehen. Damit aber kehrt sich das Kausalitätsverhältnis um: Nicht das Nicht-Ich bestimmt das Ich zur Intelligenz, sondern das Ich bestimmt das Nicht-Ich und macht sich dadurch selbst zur Intelligenz. Das absolute Ich steht auf diese Weise mit dem endlichen, intelligenten Ich im Selbstverhältnis,58 und die absolute Synthese von Setzen und Entgegensetzen scheint somit vollzogen. 55
GA I/2.386 f. GA I/2.387. 57 GA I/2.285. 58 Diesen wesentlichen Aspekt hebt Yoichi Kubo hervor, wenn er mit Verweis auf die allumfassende Tätigkeit des absoluten Ich betont, daß auch das »passive« Verhältnis des Ich zum Nicht-Ich auf das Setzen des absoluten Ich zurückzuführen sei. (Yoichi Kubo Transformation der Deduktion der Kategorien. Fichte in Hegel. 85.) In diesem immanenten Bezug des endlichen, intelligenten zum absoluten Ich aber ist notwendig das Überwinden des Subjekt-Objekt-Gegensatzes und d. h. nichts anderes als die Konstitution der absoluten Identität gefordert. Insofern hält Kubo, obwohl er betont, daß Fichtes WL keine Wissenschaft der Erkenntnis des Absoluten sei, es dennoch für konsequent, wenn Hegel sie gleichwohl als solche behandelt (s. ebd. 76, 80 u. 85 f.). 56
42
2. kapitel
Doch mit diesem umgedrehten Kausalitätsverhältnis kehrt die Antinomie des ersten und zweiten Grundsatzes, aus der die systematische Entwicklung doch gerade herausführen sollte, zurück: Ein Nicht-Ich, welches als vom Ich bewirkt, als sein bloßes Produkt konzipiert wird, ist kein eigenständiges, ursprüngliches Prinzip mehr; es hört auf, dem Ich entgegengesetzt, etwas anderes zu sein, kurz: es ist als Nicht-Ich vernichtet. Wird aber das Nicht-Ich nicht als ein vom Ich Bewirktes, sondern als etwas Ursprüngliches im Ich verstanden, das Ich also so konzipiert, daß es den Grund, sich nicht zu setzen, ebenso wie den Grund, sich zu setzen, in sich enthält, so gerät es in Widerspruch mit sich selbst und zerstört insofern seine Einheit. In deutlichem Bewußtsein dieser Grundproblematik »beginnt [Fichte nun] eine Sisyphus-Arbeit des Auf- und Abwälzens des Problemsteins des Anstoßes.«59 Die Vergeblichkeit seiner Anstrengungen führt schließlich dazu, daß er sein Programm aufweicht: Aus der zu vollziehenden absoluten Synthese von Ich und Nicht-ich, von Setzen und Entgegensetzen wird eine nur noch anzustrebende absolute Synthese. Mit Hegels Worten: Diese Unmöglichkeit, daß das Ich sich aus der Entgegensetzung … rekonstruirt, und Eins wird mit seiner Erscheinung – drükt sich so aus, daß die höchste Synthese, die das System aufzeigt, ein S ol le n ist; Ich g lei ch Ich verwandelt sich in: Ich s ol l gleich Ich seyn; das Resultat des Systems kehrt nicht in seinen Anfang zurük.60 Diese Herabstufung der »höchsten« Synthese zu einem Sollen setzt mit Fichtes Behauptung ein, das Vorhandensein eines Entgegensetzens sei »a priori eine bloße Hypothese«;61 wohl sei a priori gewiß, d. h. »schlechthin im Wesen des Ich gegründet«, daß wenn ein Setzen existiere, welches nicht ein Setzen des Ich sei, dieses Setzen ein Entgegensetzen sein müsse; doch ob ein Entgegensetzen existiere, lasse sich a priori, also aus Vernunftgründen, nicht beweisen, sondern könne sich nur in der Erfahrung eines jeden einzelnen zeigen.62 Nun läßt sich durch Erfahrungen – innere wie äußere – nichts legitimieren, d. h. als notwendig erweisen, wie zwingend diese Erfahrungen 59 60 61 62
Peter Baumanns J. G. Fichte. 98. GW 4.45. GA I/2.390. Vgl. ebd.
Kritische Analyse als Selbstverständigung
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dem empirischen Subjekt auch erscheinen mögen. Fichte nimmt also mit dieser Äußerung seinen Darlegungen den Notwendigkeitscharakter, und folglich läßt sich der Absolutheitsanspruch, den er mit seiner Systementwicklung verbindet, nicht aufrechterhalten. Das bloß Hypothetische der WL wird im weiteren Verlauf ihres praktischen Teils verfestigt, wenn Fichte die Tätigkeit des Entgegensetzens, die außerhalb des Ich sich vollziehen und doch der Tätigkeit des Ich gleich sein muß, ein Ideal nennt, das naturgemäß nicht realisiert, sondern nur angestrebt werden könne.63 Doch trotz der Unvollkommenheit der absoluten Synthese von Ich und Nicht-Ich, von Unendlichkeit und Endlichkeit sieht Fichte sein System nicht gescheitert. Denn die Notwendigkeit, die dem System dadurch verlorengeht, daß die absolute Synthese nicht konstituiert, sondern nur angestrebt werden kann, meint er in dasselbe wieder hineinzubringen, indem er das Streben selbst als eine Notwendigkeit des empirischen Bewußtseins konzipiert: Insofern der Mensch sich als grundsätzlich frei versteht, d. h. als dasjenige Lebewesen, welches, im Unterschied zu allen anderen, aus der Naturnotwendigkeit prinzipiell herauszutreten fähig ist, liegt es in seinem Wesen, über seine Endlichkeit hinaus nach der absoluten Freiheit zu streben, sein endliches, die Welt teilweise, nämlich ihrem Was-Sein nach, bestimmendes Bewußtsein zum absoluten Ich entwickeln zu wollen, dessen Bewußtsein durch nichts, also auch durch das Daß-Sein der Welt nicht mehr bestimmt wird, sondern vielmehr selbst absolut bestimmend ist. So wird zwar das absolute Ich, insofern es nicht denkbar ist, zur Idee entrückt, gleichwohl ist das empirische Bewußtsein in seinem Denken und Handeln unausweichlich und unaufhörlich auf diese Idee bezogen: … [Die] Idee eines Ich, dessen Bewußtseyn durch gar nichts außer ihm bestimmt würde, sondern vielmehr selbst alles außer ihm durch sein blosses Bewußtseyn bestimmte, [ist] … selbst nicht denkbar … indem sie für uns einen Widerspruch enthält.64 Dennoch schwebt die Idee einer solchen zu vollendenden Unendlichkeit uns vor, und ist im Innersten unsers Wesens enthalten. Wir sollen, laut der Anforderung desselben an uns, den Widerspruch lösen; ob wir seine Lösung gleich nicht als möglich denken können, und
63 64
Vgl. GA I/2.396 f. GA I/2.277.
44
2. kapitel
voraussehen, daß wir sie in keinem Momente unsers in alle Ewigkeiten hinaus verlängerten Daseyns werden als möglich denken können. Aber eben dies ist das Gepräge unserer Bestimmung für die Ewigkeit.65 Doch wenn das Streben des endlichen, empirischen Bewußtseins nach dem alles bestimmenden, absolut freien Bewußtsein unsere »Bestimmung für die Ewigkeit« ist, so bedeutet dies, daß auch die Differenz zwischen beiden »für die Ewigkeit«, also unüberbrückbar ist. Mit dieser absoluten Trennung von endlichem, begrenztem und absolut freiem Bewußtsein aber fällt Fichte in das Verstandes- oder Reflexionsdenken zurück, verläßt also die Ebene des spekulativen Denkens, auf der er sich schon bewegte, indem er seinem System das Prinzip des Ich als Subjekt-Objekt zugrunde legte. Durch den absoluten Gegensatz zum endlichen Bewußtsein wird dieses Prinzip nun selbst in der Form des Bedingten, Endlichen, d. h. einseitig als Subjektives gesetzt; es ist somit subjektives Subjekt-Objekt, das absolute Kausalität auf das Objekt, das Nicht-Ich haben soll, zu dem es durch diese Willkür des Sollens in ein Herrschaftsverhältnis tritt. Und so lautet denn Hegels Urteil über die WL: Ich=Ich ist hiemit von der Spekulation verlassen worden, und der Reflexion anheim gefallen; das reine Bewußtseyn tritt nicht mehr als absolute Identität auf, sondern in seiner höchsten Würde ist es dem empirischen Bewußtseyn entgegengesetzt. - Es erhellt hieraus, welchen Charakter die Freyheit in diesem Systeme hat; sie ist nemlich nicht das Aufheben der Entgegengesetzten, sondern die Entgegensetzung gegen dieselben; und wird in dieser Entgegensetzung als negative Freyheit fixirt; die Vernunft konstituirt sich durch Reflexion als Einheit, der absolut eine Mannichfaltigkeit gegenüber steht; das Sollen drükt diese bestehende Entgegensetzung, das NichtSeyn der absoluten Identität aus. Das reine Setzen, die freye Thätigkeit ist als eine Abstraktion, in der absoluten Form eines subjektiven gesetzt. [Hervorhebung d. Verf.]66
65 66
GA I/2.403 f. GW 4.45 f.
3. kapitel Das Absolute als Resultat Nach dieser Kritik Hegels an den »Reflexionsphilosophien« Kants und vor allem Fichtes stellt sich unweigerlich die Frage, welchen Weg er selbst einschlägt, um das als Einheit von Subjekt und Objekt und d. h. als Einheit von Identität und Differenz prinzipiell richtig bestimmte Absolute nun auch in methodisch adäquater Weise zu entfalten. Bei der Konstituierung seines eigenen systematischen Vorgehens ist folgende Beobachtung von grundlegender Bedeutung: Alle Theorien, so konstatiert Hegel im Kontext der Differenzschrift, die, wie Fichtes Philosophie, durch die Diskrepanz zwischen spekulativem, also absolutem Identitätsprinzip und einer diesem Prinzip nicht adäquaten systematischen Entfaltung gekennzeichnet sind, machen stets die absolute Identität zum Ausgangspunkt des systematischen Vollzugs. Ein solches Vorgehen jedoch beruht auf einem Systemverständnis, das dem Begriff der absoluten Identität widerspricht: Denn diese bezeichnet wie ausgeführt die Einheit von Totalität und Differenz, d. h. von Absolutem und Endlichem, so daß Absolutheit nichts anderes heißt als die durchgängige Erfassung der vielfältigen endlichen differenten Bestimmungen. Wenn also dem Absoluten das Endliche nicht äußerlich, sondern immanent, wesentlich ist, dann muß erstens seine Erkenntnis für und durch das endliche Bewußtsein zugleich Selbsterkenntnis des Absoluten sein, und insofern das endliche Bewußtsein Erkenntnis nur auf diskursivem Weg gewinnen kann, muß zweitens das Absolute im System konstruiert werden, m. a. W. es muß Prozeß sein. Wird die absolute Identität hingegen nicht konstruiert, sondern zum Ausgangspunkt des Systemvollzugs gemacht, also voraus-, d. h. als unmittelbar vorhanden gesetzt, so ist die Subjekt-Objekt-Differenz und damit das endliche reflexive Bewußtsein aus dem Absoluten eliminiert. Das Produzieren einer solchen Subjekt-Objekt-Entzweiung, welche nun vom Absoluten ausgehen soll, kann dann nur noch einen willkürlichen und daher methodisch im Grunde unmöglichen Deduktionsakt darstellen, in dem das Absolute sich zwangsläufig fremd bleiben muß:
46
3. kapitel
Eine ächte Spekulation, die aber nicht zu ihrer vollständigen Selbstkonstruktion im System durchdringt, geht nothwendig von der absoluten Identität aus; die Entzweyung derselben in Subjektives und Objektives ist eine Produktion des Absoluten. Das Grundprincip ist also völlig transcendental, und von seinem Standpunkt aus, gibt es keine absolute Entgegensetzung des Subjektiven und Objektiven [Hervorhebung d. Verf.]. Aber somit ist die Erscheinung des Absoluten, eine Entgegensetzung; das Absolute ist nicht in seiner Erscheinung; beyde sind selbst entgegengesetzt.1 Um diese absolute Entgegensetzung der Identität des Absoluten und der Subjekt-Objekt-Differenz der erscheinenden Welt zu vermeiden und vielmehr die Immanenz der Erscheinung im Absoluten, die ebenso eine Immanenz des Absoluten in der Erscheinung ist, zu erweisen, fordert Hegel: Das Absolute muß sich … in der Erscheinung selbst setzen, d. h. diese nicht vernichten, sondern zur Identität konstruiren.2 In genauer Entgegensetzung zu Fichtes Vorgehen besteht also Hegels systematische Konzeption darin, den Ausgang von der in Subjekt und Objekt entzweiten endlichen Welt zu nehmen und diese Subjekt-ObjektDifferenz Schritt für Schritt in die absolute Subjekt-Objekt-Identität zu überführen, d. h. die absolute Identität als Wahrheit, als das Verborgene der Differenz, des Endlichen zu erweisen. Hegel versteht infolgedessen die absolute Identität nicht mehr als Ausgangspunkt, sondern als Resultat der systematischen Entwicklung. Um diese auf den ersten Blick widersprüchlich scheinende Konzeption begreiflich zu machen, muß genauer betrachtet werden, was Hegel 1. unter der Konstruktion der absoluten Identität versteht, und wodurch er 2. einen solchen Konstruktionsakt, welcher ihm zufolge die Aufgabe der Philosophie ausmacht,3 veranlaßt sieht. Um zunächst einmal den zweiten Aspekt in den Blick zu nehmen, so macht Hegel in diesem Zusammenhang zwei Faktoren geltend, die ihm zufolge die Veranlassung jeder philosophischen Weltbetrachtung darstellen: Zum einen nennt er »das Herausgetretensein des Bewußtseins aus der
1 2 3
GW 4.32. Ebd. Vgl. GW 4.16.
Das Absolute als Resultat
47
Totalität«,4 also das endliche, einzelne Bewußtsein, dem andere endliche bewußte Wesen und vor allem eine fremde Natur entgegengesetzt sind. Als zweiten Faktor führt er die Totalität, »das Absolute selbst«, also den Einheitsgrund an, von dem das endliche Bewußtsein sich differenziert und den es damit verloren hat. Gleichwohl bleibt es auf ihn als seinen unerkannten Ursprung bezogen, und durch dieses Bezogensein wird im endlichen Bewußtsein das Bedürfnis geweckt, die Entzweiung, in der es sich vorfindet, zu überwinden und die Identität zwischen sich und dem ihm Entgegengesetzten herzustellen. Entzweiung ist der Quell des B e dür f niss es der Philos ophie, und als Bildung des Zeitalters die unfreye gegebene Seite der Gestalt. In der Bildung hat sich das, was Erscheinung des Absoluten ist, vom Absoluten isolirt, und sich als ein Selbstständiges fixirt. Zugleich kann aber die Erscheinung ihren Ursprung nicht verleugnen, und muß darauf ausgehen, die Mannigfaltigkeit ihrer Beschränkungen als ein Ganzes zu konstituiren …5 Das solchermaßen über sich hinausgetriebene endliche Bewußtsein ist nichts anderes als der durch »die geheime Wirksamkeit der Vernunft« über seine endlichen Bestimmungen zum Unendlichen hinausdrängende Verstand, wie er zu Beginn dieser Arbeit eingehender beschrieben wurde. Wenn Hegel das Absolute als Resultat einer systematischen Entwicklung vorstellt, so versteht er unter diesem Entwicklungsprozeß also nicht etwa eine creatio ex nihilo, sondern das Erkennen des immer schon existenten, dem endlichen Bewußtsein aber entfremdeten Weltganzen: es [sc. das Absolute] ist das Ziel, das gesucht wird; es ist schon vorhanden, wie könnte es sonst gesucht werden?6 Was aber meint Hegel mit dem »Absoluten selbst« als dem Ursprung der Subjekt-Objekt-entzweiten Welt, wenn diese Ursprünglichkeit nicht in dem Sinne des Anfänglichen, des Ausgangspunktes zu verstehen sein soll, den Hegel an Fichtes System kritisiert? Anders gefragt: In welcher Weise ist das Absolute, welches das erst noch zu suchende Ziel ist, gleichwohl schon vorhanden? Aufschlußreich im Hinblick auf diese Frage ist 4 5 6
GW 4.15. GW 4.12. GW 4.15.
48
3. kapitel
eine bestimmte Formulierung im Kontext des oben angeführten Zitats GW 4.12: Hegel bestimmt hier die Subjekt-Objekt-Entzweiung näher dadurch, daß in ihr das, was Erscheinung des Absoluten sei, sich vom Absoluten isoliert habe. Mit dieser Bestimmung nun ist erstens gesagt, daß die erscheinende Welt nicht immer schon als eine in Subjektives und Objektives entzweite Welt existiert, sondern diese Entzweiung vielmehr ein bestimmtes geschichtliches Stadium, einen besonderen Zustand der erscheinenden Welt darstellt – eben denjenigen, in dem sich Bildung etabliert. In seinen späteren Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie wird Hegel dieses Stadium der Bildung mit der Epoche der Sophistik identifizieren.7 Zweitens impliziert die genannte Bestimmung, daß das, was der Subjekt-Objekt-Spaltung vorausgeht, was ihren Ursprung ausmacht, also das, was Hegel das »Absolute selbst« nennt, nichts Erscheinungsloses, sondern immer auch an seine Erscheinung, d. h. an seinen epochenspezifischen Vernunftausdruck gebunden ist; und infolgedessen darf dieses »Absolute selbst« auch nicht als differenzloses Ganzes mißverstanden werden, denn die Welt ist immer schon als eine von Differenzen bestimmte wahrgenommen worden. Nur sind ihre Differenzen ursprünglich nicht als sich ausschließende, als von ihrer Bezüglichkeit aufeinander abstrahierte, die Welt also noch nicht als von ihrem Einheitsgrund getrennte, in eine zusammenhanglose Vielheit zersplitterte gesetzt – dies geschieht eben erst dann, wenn sich die Entzweiung der Welt in Subjektives und Objektives, in Geistigkeit und Materie vollzieht, d. h. wenn die Epoche der Bildung einsetzt und damit ein reflexives Bewußtsein in die Welt tritt. Im sogenannten Systemfragment von 18008 betrachtet Hegel dieses Verhältnis der unentzweiten Welt, also der Welt des vorreflexiven Seins, das er hier »Leben« nennt, und des endlichen reflexiven Bewußtseins. Er stellt
7
Bildung bedeutet dabei stets Ausbildung des Verstandes- bzw. Reflexionsdenkens, d. h. Ausbildung der Fähigkeit, die vielfältigen Gesichtspunkte zu kennen, die zu jedem Ding und jedem Sachverhalt gehören, und diese Gesichtspunkte als das Allgemeine zu erfassen, unter das die betreffenden Dinge und Sachverhalte zu subsumieren sind (vgl. V 7.111). Insofern es jedoch in das Interesse des einzelnen empirischen Subjekts gestellt bleibt, welche Gesichtspunkte als die wesentlichen aufzufassen sind, ist die Fähigkeit, etwas im Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem zu betrachten, erst eine rein formale, in der das inhaltliche Verhältnis der allgemeinen Gesichtspunkte zueinander ein zufälliges, äußerliches bleibt (vgl. ebd. 121). 8 Systemfragment von 1800 In: Hegels theologische Jugendschriften. Hg. v. Herman Nohl. 343–351.
Das Absolute als Resultat
49
den Versuch desselben dar, die Totalität des Lebens, aus der es herausgetreten ist, erkennend zu erfassen und auf diese Weise die Spaltung seiner Welt zu überwinden. Dabei beschreibt das reflexive Bewußtsein das Leben zutreffend als gekennzeichnet sowohl durch Individualität als auch durch Mannigfaltigkeit, durch Beziehung ebenso wie durch Trennung, durch Allgemeines wie auch durch Einzelnes; doch insofern Reflexion ein Bestimmungen fixierendes Denken ist, kann durch sie dieses Sowohlals-Auch, die Einheitlichkeit ihrer »ins Leben gebrachten« Begriffe9 nicht erfaßt werden; die Reflexion kann diese Einheit vielmehr wieder nur als Gegensatz, als Ausschließen der Differenz dieser Begriffe denken. … ich müßte mich ausdrücken, das Leben sei die Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung, d. h. jeder Ausdruck ist Produkt der Reflexion, und sonach kann von jedem als einem Gesetzten aufgezeigt werden, daß damit, daß etwas gesetzt wird, zugleich ein Anderes nicht gesetzt, ausgeschlossen ist …10 Die Totalität des Lebens oder die Welt des vorreflexiven Seins – und damit wäre die Antwort auf die oben gestellte Frage gegeben – ist also ein in sich veränderliches, aber geschlossenes Beziehungs- oder Einheitsgefüge vielfältiger organischer und anorganischer Einheiten, dem als solchem jedoch noch keine Denkoperationen, somit auch kein Wissen um seine Strukturen innewohnt. Somit ist es zwar »schon vorhanden«, doch als ungewußtes, gleichsam blindes ist dieses totale Beziehungsgefüge ebenso das Nicht-Vorhandene, »das Ziel, das gesucht wird«, dasjenige, das begriffen, das Objekt eines Wissens werden muß. Insofern Wissen aber nur durch Reflexion entsteht, d. h. nur dann, wenn differenziert, partialisiert wird, genauer: wenn relative Zusammenhänge bzw. Allgemeinheiten konstruiert werden, entsteht auch, wie schon angedeutet, das Dilemma, das absolut Allgemeine gerade dadurch, es dem Wissen zugänglich machen zu wollen und zu müssen, vielmehr aufzulösen, zu negieren. Damit rückt nun der andere, zuerst genannte fragliche Aspekt in den Blick, nämlich: was Hegel zufolge unter der Konstruktion der absoluten Identität bzw. des absolut Allgemeinen durch das reflexive Bewußtsein zu verstehen sei.
9 10
Nohl 346/347. Nohl 348.
50
3. kapitel
Dieser Aspekt nun beinhaltet nicht nur die Frage, inwiefern dieses endliche, reflexive Bewußtsein der Erkenntnis des Absoluten fähig ist bzw. werden könnte, also die Frage nach den methodischen Voraussetzungen eines Denkens des Absoluten, sondern auch die Frage nach dem Verhältnis des nicht-denkenden, von Entzweiung noch nicht geprägten Absoluten und des Absoluten, insofern es von Entzweiung und damit von einer (reflexiven) Denkstruktur bestimmt ist. Und hier liegt ein grundsätzliches, auch für Hegels reifes System relevantes Problem: Wenn er einerseits davon spricht, daß das Absolute zwar immer »schon vorhanden«, andererseits aber nicht auch immer schon von einer Denkstruktur dominiert wird, dann muß das Nicht-Denken dem Denken immanent sein, sonst würden das Absolute als »die Nacht« und das reflexive Bewußtsein als »das Licht, [das] jünger als sie« ist, auseinanderfallen und somit »absolute Differenz« sein,11 durch welche die Einheit des Absoluten naturgemäß destruiert wäre. Insofern ist im folgenden nicht nur zu betrachten, wie Hegel von 1801 an das Denken des Absoluten zu entwickeln versucht, sondern auch zu sehen, ob »die Nacht« der Bewußtlosigkeit des Absoluten durch dieses Denken eingeholt werden kann.
11
GW 4.16.
4. kapitel Die Antinomie a) Die Selbstzerstörung des Begriffs und die transzendentale Anschauung als positiver Vernunftausdruck Nach dieser Erörterung der Veranlassung bzw. Funktion der Konstruktion der absoluten Identität von Objekt und Subjekt, von Unendlichem und Endlichem kann diese nun genauer bestimmt werden als Konstruktion des Objekts zum Subjekt, d. h. als eine über die Endlichkeit des Reflexionswissens erfolgende Entwicklung des wissensblinden unendlichen Seins zur sich wissenden Unendlichkeit. Das aber bedeutet, daß der Intention nach schon für diese ersten systematischen Gehversuche von 1801/02 das Paradigma gilt, welches Hegel erst in der Vorrede zum System innerhalb der Phänomenologie des Geistes explizit aussprechen wird, nämlich: das Absolute bzw. Wahre »nicht als Substanz, sondern eben so sehr als Subject« auffassen und ausdrücken zu müssen.1 Umso mehr fällt auf, daß Hegel in diesem Kontext zwar von der »Selbstproduktion der Vernunft«, gar dem »reine[n] Selbsterkennen derselben« spricht oder »ihre Tätigkeit ein reines Darstellen ihrer selbst« nennt,2 die intendierte subjektive Struktur des Absoluten aber – und darauf soll nun näher eingegangen werden – (noch) nicht zu realisieren vermag. Im Systemfragment von 1800 schränkt Hegel den Zuständigkeitsbereich der Philosophie noch auf die Untersuchung der Strukturen des endlichen Denkens und seines fehlgehenden Unendlichkeitsbegriffs ein, d. h. genauer auf die Aufgabe, »… in allem Endlichen die Endlichkeit aufzuzeigen, und durch Vernunft die Vervollständigung desselben ›zu‹ fordern, besonders die Täuschungen durch ihr eigenes Unendliche ›zu‹ erkennen, und so das wahre Unendliche außerhalb ihres Umkreises [Hervorhebung d. Verf.] ‹zu› setzen.«3 M. a. W.: Die Philosophie wird ein1 2 3
GW 9.18. GW 4.30. Nohl 348.
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4. kapitel
geschränkt auf das reflexive Denken. Die Erfassung des Absoluten bzw. die »Erhebung des Menschen … vom endlichen Leben zum unendlichen Leben [hingegen] – ist Religion.«4 Im Kontext der Differenzschrift gilt dann diese strikte Aufgabentrennung nicht mehr, und Hegel erweitert die Philosophie von der Wissenschaft des Endlichen zur Wissenschaft des Absoluten, so daß ihr, wie oben schon erwähnt, nun die Aufgabe zugewiesen ist, »[d]as Absolute … fürs Bewußtsein [zu] konstruier[en].«5 Die damit aufgehobene Heterogenität der Erkenntnisbereiche des Endlichen und Unendlichen kehrt jedoch in anderer Gestalt innerhalb der Philosophie wieder, und zwar indem Hegel im Bereich des endlichen und des unendlichen Erkennens mit zwei kategorial voneinander verschiedenen Erkenntnisprinzipien operiert: in jenem mit der Reflexion, in diesem mit der transzendentalen Anschauung. Ein solches Vorgehen aber steht in Kontrast zu dem Ziel, welches er mit der Übertragung der Erfassung des Absoluten von der Religion auf die Philosophie doch wohl anvisierte: nämlich zu einer strikt begrifflichen Erkenntnis des Absoluten zu gelangen – zumindest legt dies die grundsätzliche Funktion nahe, welche Hegel der Reflexion schon im Kontext des Systemfragments von 1800 zuweist.6 Dieses Vorhaben aber setzte eine die Reflexion erweiternde, nicht aber durch die transzendentale Anschauung gleichsam komplementierende Erkenntnismethode voraus. Ein solches Begriff und transzendentale Anschauung kombinierendes, also nicht rein auf die Begrifflichkeit konzentriertes Vorgehen überrascht aber auch angesichts der Forderung nach Systematisierung des Wis4
Nohl 347. GW 4.16. 6 Natürlich geht es in diesem Textfragment in erster Linie darum, die Unzulänglichkeit der Reflexion hinsichtlich der absoluten, d. i. der Erkenntnis des unendlichen Lebens darzustellen; und d. h. vor allem zu zeigen, daß Reflexion eben nicht zum Denken des unendlichen Lebens selbst, sondern nur in eine unendliche Regression führt (»… diese[s] Fortgetriebenwerden ohne Ruhepunkt …« [Nohl 348]). Doch andererseits ist es gerade diese Regression bzw. die Einsicht des reflexiven Bewußtseins in die Regressionsstruktur seines Denkens, die einen Weg eröffnet, auf dem das unendliche Leben aus der Endlichkeit des Bewußtseins selbst zugänglich wird: Dieses unendliche Leben ist, wie das reflexive Bewußtsein nun erkennt, »ein Sein außer der Reflexion«, was zu diesem Zeitpunkt zwar, wie schon gesagt, ein Sein bedeutet, welches nur im religiösen Gefühl erfaßbar ist und welches sich von der Reflexion nur behelfsweise mit dem antinomischen Ausdruck von der »Verbindung der Verbindung und Nichtverbindung« umschreiben läßt. Darin aber, daß diese wenn auch erst negative Erkenntnis des unendlichen Lebens sich im und durch das reflexive Bewußtsein selbst konstituiert, ist die Forderung, auch die positive Erkenntnis desselben im Denken zu erreichen, schon impliziert. 5
Die Antinomie
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sens, die Hegel in dem bekannten, an Schelling gerichteten Brief vom 2. November 1800,7 vor allem aber im Rahmen der Differenzschrift formuliert. Hier führt er aus, daß erst aufgrund einer solchen Systematisierung, also aufgrund einer durchgängigen, einheitlichen Bestimmung der vielfältigen vereinzelten Wissensinhalte, die als solche nur bloße Kenntnisse sind, absolutes Wissen entsteht. … jedes beschränkte ist … selbst im Absoluten, also innerlich ein unbeschränktes; seine äussere Beschränkung verliert es dadurch, daß es im systematischen Zusammenhange in der objektiven Totalität gesetzt ist; in dieser hat es auch als ein beschränktes Wahrheit, und Bestimmung seiner Stelle ist das Wissen von ihm. – Zu Jakobi’s Ausdruk, daß die Systeme ein organisirtes Nichtwissen seyen, muß nur hinzugefügt werden, daß das Nichtwissen, – das Erkennen Einzelner – dadurch, daß es organisirt wird, ein Wissen wird.8 Darüber hinaus aber betont Hegel vor allem, daß diese Systematisierung nur durch die Reflexion geleistet werden kann: Aber das Absolute, weil es im Philosophiren von der Reflexion fürs Bewußtseyn producirt wird, wird hierdurch eine objektive Totalität, ein Ganzes von Wissen, eine Organisation von Erkenntnissen …9 In dem erwähnten Brief an Schelling werden »Reflexion« und »System« sogar synonym gebraucht: … das Ideal des Jünglingsalters mußte sich zur Reflexionsform, in ein System verwandeln …10 Nun beginnt Hegel diese Systematisierung, d. h. Vereinheitlichung des Wissens auch insoweit, als er, wie gesehen, den Komplex des Endlichen und das Unendliche nicht mehr getrennt voneinander erörtert, sondern zu der einen philosophischen Wissenschaft vereinigt. Nur verbindet er die auf diese Weise erfolgte Erweiterung der Philosophie von der Wissenschaft des Endlichen zur Wissenschaft des Absoluten nicht auch mit einer Erweiterung der reflexiven Begrifflichkeit zur absoluten bzw. – in seiner Terminologie gesprochen – zur spekulativen Begrifflichkeit. Dabei 7 8 9 10
Briefe von und an Hegel. Bd. I.58–60. GW 4.71. GW 4.19. Briefe von und an Hegel. Bd. I.59.
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hatte er mit der innerhalb des Fichte-Kapitels schon kurz angerissenen Entwicklung der »isolirten« Reflexion zur »Reflexion als Vernunft« bzw. »philosophischen Reflexion« schon einen entscheidenden Schritt vollzogen, die Begrifflichkeit über die Reflexionsform hinauszuführen: Indem das Reflexionsdenken sich selbst zum Gegenstand der Betrachtung macht,11 erkennt es sein gegensatzfixierendes Verfahren als unzulänglich, insofern das Absolute dadurch nicht begriffen, sondern lediglich ein unendlicher Regreß erzeugt wird. In der Konsequenz negiert es das Gesetz vom auszuschließenden Widerspruch, welches dieses Fixieren gegensätzlicher Bestimmungen vorschreibt, und verfährt antinomisch, d. h. selbstvernichtend. Mit diesem äußersten Punkt der Entwicklung der Reflexion ist nun allerdings auch die Begrifflichkeit überhaupt an ihre Grenze gestoßen; es gibt auf ihrer Ebene keine Möglichkeit mehr, die in der Antinomie geforderte Synthese entgegengesetzter Bestimmungen, und das bedeutet letztlich und vor allem die absolute Synthese von Identität und Differenz, von Unendlichkeit und Endlichkeit zu realisieren. Der auf das Absolute gerichtete Konstruktionsakt hat mit der »Reflexion als Vernunft« bzw. der »philosophischen Reflexion« folglich ein Stadium erreicht, an dem das endliche Bewußtsein, um ihn fortsetzen, d. h. den negativen in einen positiven Vernunftausdruck überführen zu können, von seiner rein begrifflichen Operation zu einem transzendentalen Anschauen gelangen muß. Diesen Übergang nun versteht Hegel zwar ausdrücklich als einen Syntheseprozeß, d. h. als einen Prozeß, in welchem die philosophische Reflexion nicht in einem rein intuitiven Erfassen des Absoluten aufgelöst, sondern in welchem ihr diskursives Verfahren mit der Unmittelbarkeit der Intuition vereinigt werden soll. Doch es wird sich zeigen, daß dieser Prozeß nicht zur Konstruktion einer solchen Einheit führt, sondern daß, Hegels Intention entgegen, die Reflexion, also die begriffliche Seite, innerhalb der transzendentalen Anschauung, welche diese Einheit darstellen soll,12 negiert ist. In diesem Zusammenhang wird dasjenige Kapitel der Differenzschrift wichtig, in welchem Hegel die Prinzipien Begrifflichkeit und Anschaulichkeit unabhängig voneinander, also jenseits ihrer Bezüglichkeit zueinander, bestimmt. Hinsichtlich der Reflexion stellt er dabei noch einmal ihre antinomische, zur Selbstvernichtung führende Struktur heraus: Sie ist »ohne Anschauung … die Vernichtung der Entgegengesetzten im 11 12
S. GW 4.18. S. GW 4.27.
Die Antinomie
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Widerspruch« und somit »die negative Seite des [spekulativen] Wissens, das formale, das von der Vernunft regiert, sich selbst zerstört«.13 Anschauung hingegen konstituiert zwar die »positive Seite« der Spekulation; ohne Reflexion jedoch ist sie nur möglich als »empirisch, gegeben, bewußtlos«.14 Sie ist demnach für sich die sinnliche, passive, objektive Funktion, dasjenige, wodurch das Mannigfaltige des Seins gegeben, aber nicht strukturiert wird; eine solche Strukturierungsleistung erbringt erst die Reflexion, welche somit die bewußte, subjektive Funktion ausmacht. Gleichwohl stellt dieses Strukturieren der gegebenen mannigfaltigen Inhalte, also das Verbinden derselben in analytisch gewonnenen Allgemeinheiten, keine Legitimation dieser vorgefundenen Inhalte dar; denn die Reflexion vermag diese analytischen Einheiten nicht zu dem durchgängigen Beziehungsgefüge des absolut Allgemeinen zu synthetisieren. Um dies zu realisieren, müßte das Reflexions- bzw. Verstandesdenken die immanente Beziehung der analytischen Einheiten konstruieren, d. h. es müßte die in ihnen verbundenen Inhalte selbst generieren. Ein solches systematisches Programm aber kann nur umgesetzt werden, indem das Verstandesdenken sich selbst, also seine formalen Operationen, denkt und diese als inhaltskonstitutiv aufzeigt, so daß auf diese Weise die immanente Entwicklung der Totalität der Inhalte in Gang gesetzt wird. Und eben diesen Weg beschreitet Hegel ja auch zunächst: Das sich denkende (Verstandes)denken erkennt, daß sein Verfahren, die allgemeinen Bestimmungen in ihrer Differenz zu fixieren und sie somit zu isolieren, dazu führt, sie lediglich in einem ihnen äußerlichen, folglich nicht notwendigen Zusammenhang zu verbinden. In der Konsequenz negiert der Verstand dieses isolierende Vorgehen, indem er gegen das Gesetz vom auszuschließenden Widerspruch die Synthese der Entgegengesetzten fordert, d. h. Antinomien formuliert. Doch auch im antinomischen Ausdruck, in welchem die immanente Beziehung der Verstandesbestimmungen eben nur postuliert, nicht aber konstruiert wird, bleibt das Denken seinem Inhalt noch äußerlich, d. h. einseitig formal. M. a. W.: Der Verstand hat zwar durch die Antinomie den »höchsten formellen Ausdruk des Wissens und der Wahrheit«15 erreicht und ist somit in »Beziehung auf das Absolute« (ebd. 17) getreten, doch vermag er durch diese formale Operation der Relationierung entgegengesetzter Bestimmungen keinen 13 14 15
GW 4.27. Ebd. GW 4.26.
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Inhalt zu konstituieren und infolgedessen die absolute Identität des Endlichen und Unendlichen nicht positiv zu bestimmen. Hegel läßt nun an diesem äußersten Punkt der Entwicklung des Verstandes den Prozeß des sich denkenden Denkens, also den Prozeß der begrifflichen Entwicklung des Verständigen zum Vernünftigen enden; er verfügt folglich im Kontext dieser ersten systematischen Überlegungen noch über keine Möglichkeit der weiteren Entfaltung des Begriffs über das Reflexive hinaus. Damit aber bleibt die Synthese von philosophischer Reflexion und empirischer Anschauung, d. i. die Vereinigung von Begriff und Sein, unvollständig. Nur durch sie jedoch hätte die transzendentale Anschauung als ein Diskursivität und Intuition synthetisierendes Erfassen der absoluten Identität von Endlichkeit und Unendlichkeit konstruiert werden können. Statt dessen transformiert Hegel die Antinomie von Endlichkeit und Unendlichkeit in eine rein anschauliche Gestalt, die er als positiven Vernunftausdruck dieser Entgegensetzung versteht, d. h. als »wahre Antinomie, die beydes … nicht nebeneinander, sondern zugleich als identisch setzt …«: Diese »wahre Antinomie« ist »die »bestimmte Anschauung der Zeit … die … beschränkter Moment der Gegenwart, – und Unbeschränktheit seines Außersichgesetztseyns – beydes zugleich, also Ewigkeit seyn [muß]«.16 Dieser Begrifflichkeit ausschließende Charakter der absoluten Erkenntnis wird auch an anderer Stelle deutlich, an der Hegel die Überführung der fixierten Entgegensetzungen der Reflexion in ihre Einheit wiederum als einen Übergang in ein rein anschauliches Erfassen beschreibt. … in der transcendentalen Anschauung ist … aller Unterschied der Konstruktion des Universums durch und für die Intelligenz, und seiner als ein objektives angeschauten, unabhängig erscheinenden Organisation vernichtet. Das Produciren des Bewußtseyns dieser Identität ist die Spekulation, und weil Idealität und Realität in ihr Eins ist, ist sie Anschauung.17 Abgesehen einmal von der Frage, ob eine solche Zusammenschau von Zeitlichkeit und Überzeitlichkeit, kurz: die Erkenntnis der Ewigkeit in der transzendentalen Anschauung einem endlichen Bewußtsein überhaupt möglich ist, zieht dieser Ausschluß der Begrifflichkeit aus dem Absoluten die Konsequenz nach sich, daß auch Subjektivität nicht in das 16 17
GW 4.29. GW 4.28.
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Absolute integriert ist. Denn diese ist untrennbar verbunden mit dem reflexiven Denken: Die Entstehung desselben durch die Entzweiung einer ursprünglichen, absoluten Einheit ist nichts anderes als die Begründung von Subjektivität. Sie ist das negative, d. i. bewegende Prinzip des in eine geistige und eine natürliche Welt aufgespaltenen Absoluten, durch welches es in den Prozeß des Sich-Bewußtwerdens eintritt. Wie aber dieses von Hegel intendierte Sich-Wissen des Absoluten, auf das schon zu Beginn dieses Kapitels mit den Zitaten von der Selbstproduktion, Selbstdarstellung und Selbsterkenntnis der Vernunft verwiesen wurde, möglich werden soll, insofern es der subjektiven Struktur entbehrt, ist nicht nachzuvollziehen. Damit aber ist die methodische Umsetzung seines Konzepts des sich zum Wissen seiner selbst entfaltenden Absoluten gescheitert; das Absolute im Kontext der systematischen Erwägungen der Differenzschrift bleibt ein Produkt der Reflexion – gerade so wie Hegel es hinsichtlich des Absoluten der Fichteschen WL kritisiert; nur daß Fichte von einem absoluten Ich, also einem absoluten Bewußtsein ausgeht, das er dann mit der erscheinenden Welt als dem Objekt nicht zu synthetisieren vermag und infolgedessen ein nur subjektives Subjekt-Objekt konstruiert, während Hegel von der die erscheinende Welt bestimmenden Entzweiung in Subjekt und Objekt, in Begriff und Anschauung, d. i. in Bewußtsein und Bewußtloses ausgeht, deren Aufhebung durch den intendierten Syntheseprozeß der Entgegengesetzten jedoch insofern mißlingt, als der Begriff dabei negiert wird, so daß die absolute Identität lediglich zu einem vom Bewußtsein, also vom Subjekt absolut Verschiedenen in der Anschauung, m. a. W.: zu einem objektiven Subjekt-Objekt wird. Diesen Ausschluß von Subjektivität aus dem Absoluten haben auch Klaus Düsing und Manfred Baum diagnostiziert: Schelling ist sich nun mit Hegel darin einig, daß das Absolute in einem philosophischen System dargestellt werden muß und daß dieses als eine Selbstproduktion der Vernunft zu verstehen ist, in der das Absolute sich selbst erkennt. Dieses Sich-Wissen des Absoluten wird aber von beiden in dieser Zeit nicht als Subjektivität gedacht, weil ihrer Meinung nach für diesen Begriff die Endlichkeit konstitutiv ist.18 Die »Spekulation« … enthält die intellektuelle Anschauung, oder vielmehr sie ist die intellektuelle Anschauung, sofern sie des Subjektiven entkleidet und somit zum reinen Zusehen, zur Theorie des Ansichsei18
Klaus Düsing Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. 144.
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enden geworden ist (SW 4.77), aber dennoch nur als Vollendungsstufe der Reflexion möglich wird.19 Beide Autoren verstehen jedoch, wie den Zitaten zu entnehmen ist, dieses subjektlose Absolute nicht als unbeabsichtigtes Resultat eines methodisch unzureichenden Denkprozesses, sondern als ein von Hegel bewußt konzipiertes Erkenntnisziel. Nun trifft es zweifellos zu, daß dieser im Rahmen seiner frühen systematischen Versuche die Endlichkeit, wie Düsing feststellt, als konstitutiv für die Subjektivität ansieht; doch ist es erklärtermaßen auch Hegels Absicht, die Endlichkeit mit der Unendlichkeit zu vereinen, also die philosophische Reflexion mit der Anschauung zu synthetisieren, d. h. immanent zu verbinden, um so die Selbstkonstitution des Absoluten als Identität von Begriff und Sein zu explizieren. Nur so wird auch die Rede von einer Selbstproduktion bzw. Selbsterkenntnis der Vernunft sinnvoll.20 Zudem kann es nicht um die Beziehung der Reflexion zur transzendentalen Anschauung gehen, bei der diese als Vollendungsstufe jener gedacht wird, wie es bei Baum und in ähnlicher Form auch bei Düsing
19
Manfred Baum Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. 88. Widersprüchlich äußert sich Giuseppe Varnier zu Hegels Konzeption des Absoluten in der frühen Jenaer Zeit. Zunächst dementiert er die Möglichkeit eines von Anfang an subjektiv gedachten Absoluten ausdrücklich: »Man muß … zugeben, daß 1801 die denkende Selbstbeziehung noch nicht der explizite Hauptcharakter des Absoluten ist. Hegel unternimmt noch nicht den Versuch, die spinozistische Substanz als Subjekt und subjektivierte Vernunft zu fassen.« (Giuseppe Varnier Naturphilosophie, Identitätsphilosophie, vernichtende Logik. Natur und Geist beim Jenaer Hegel. 60) Dann jedoch hebt er, sich wieder auf Texte von 1801 und 1802 beziehend, die Konzeption des wenn auch noch sehr unzulänglich ausgearbeiteten Prinzips eines sich selbst denkenden Absoluten hervor: »[Das Hegelsche Absolute] ist, schon in Jena wie später, zumindest programmatisch Denken und Ganzes der Bewegung, sowie (Selbst-)Denken dieser Bewegung selbst, innerhalb der entfalteten Identität. Innere Form und Definition des Prinzips sowie methodische Entfaltung des Systems bleiben, im Vergleich zu dieser Einsicht in die logische Struktur der Idee und des Denkens eines absoluten Wesens (genitivus subjektivus), noch weit zurück.« (Ebd. 65) Thomas Sören Hoffmann hingegen vertritt den Standpunkt, daß mit dem Absoluten auch im Kontext der Differenzschrift schon eine »spekulative Funktion« zu verbinden sei. Er bezieht sich dabei u. a. auf die immanente Beziehung des reflexiv operierenden endlichen Bewußtseins zum Absoluten, die Hegel im Blick hat, wenn er GW 4.19 sagt, daß das Absolute, »weil es im Philosophiren von der Reflexion fürs Bewußtsein producirt wird … ein Ganzes von Wissen, die Organisation von Erkenntnissen« wird (Thomas Sören Hoffmann Der Begriff des Erkennens beim Jenenser Hegel und die Überwindung der Gnoseologie. 101). 20
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an anderer Stelle21 dargestellt wird. Denn zum einen wären sich in einer solchen Relation Reflexion und transzendentale Anschauung äußerlich, verblieben also in einem Reflexionsverhältnis, zum anderen würde dabei die transzendentale Anschauung zu einem Relatum einer ihr übergeordneten Relation herabgestuft, und sie soll doch vielmehr selbst Relation sein, nämlich die absolute Relation bzw. Identität von philosophischer Reflexion und empirischer Anschauung. Zwar spricht Hegel im Hinblick auf die Anschauung davon, daß sie die Reflexion vervollständige, doch ist dies nicht im Sinne eines Überschreitens der Reflexion, sondern im Sinne einer Vereinigung derselben mit der Anschauung zu verstehen, durch die allein die Beschränktheit, der beide Seiten als Unbezogene unterworfen sind, aufgehoben werden kann. … die Anschauung ist wohl das von der Vernunft postulirte, aber nicht als beschränktes, sondern zur Vervollständigung der Einseitigkeit des Werks der Reflexion, nicht daß sie sich entgegengesetzt bleiben, sondern Eins seyen. [Hervorhebung d. Verf.]22 Daß die transzendentale Anschauung nichts anderes als die mit der philosophischen Reflexion synthetisierte empirische Anschauung sein soll, wird besonders deutlich an folgender Stelle: Dadurch, daß die Anschauung transcendental wird [Hervorhebung d. Verf.], tritt die Identität des Subjektiven und Objektiven, welche in der empirischen Anschauung getrennt sind, ins Bewustseyn …23 Hegel spricht hier also nicht von der transzendentalen Anschauung, die hinzutritt, nachdem die philosophische Reflexion die positive Einheit ihrer Antinomien postuliert hat, sondern er stellt, wie der Ausdruck »wird« anzeigt, die transzendentale Anschauung als Ergebnis eines Entwicklungsprozesses dar. Und in diesem Entwicklungsprozeß kann sich nichts anderes vollziehen als die Synthese des Begriffs mit dem ihm äußerlichen Sein der empirischen Anschauung, d. h. die bewußtseinsimmanente Konstruktion der absoluten Identität. Darüber hinaus betont Hegel auch, daß »transcendentales Wissen und transcendentales Anschauen Eins und dasselbe [ist]; der verschiedene Ausdruk deutet nur auf das Überwiegende des ideellen oder reel21 22 23
Klaus Düsing Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. 140. GW 4.29. GW 4.27 f.
60
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len Faktors.«24 Auch daraus wird ersichtlich, daß Hegel nicht ein begriff-, also subjektloses Absolutes anvisiert, sondern auf die absolute Vereinigung von Begriff und Sein abzielt. Natürlich bezieht er sich mit diesem Verhältnis von »ideellem und reellem Faktor«, von Subjekt und Objekt, von Bewußtem und Bewußtlosem eindeutig auf Schellings System des transzendentalen Idealismus (1800),25 demzufolge das Absolute in der transzendentalen Anschauung erfaßt wird. Doch diese ist genauer die ästhetische Anschauung des künstlerischen Genies als »objektiv gewordene transzendentale Anschauung«,26 die ausdrücklich der wissenschaftlichen Erkenntnis des Absoluten, um die es Hegel ja geht, entgegengesetzt ist. Zudem stehen innerhalb des Schellingschen Systems der Bereich des Reellen, d. h. die Naturphilosophie, und der Bereich des Ideellen, die Transzendentalphilosophie, in einer Wechselbeziehung, während Hegel den Prozeß der Erkenntnis des Absoluten auf seiten der Reflexion, also des Subjekts, vorantreibt, und zwar, wie gesehen, von der Entgegensetzungen fixierenden »isolirten Reflexion« zur Entgegensetzungen relationierenden philosophischen, d. i. antinomischen Reflexion.27 Die zur absoluten Vereinigung von Begriff und Sein nun erforderliche Weiterentwicklung der Reflexion über ihre antinomischen Operationen hinaus scheitert an den in dieser frühen Jenaer Zeit noch fehlenden methodischen Mitteln, so daß es zu einem der Reflexion äußerlichen Übergang in die transzendentale Anschauung kommt, der mit Hegels Gedanken der Einheit des Absoluten nicht zu vereinbaren ist.
24
GW 4.28. System des transzendentalen Idealismus SW I/3.327–634. 26 SW I/3.627 (in einer Fußn. ist »transzendentale« durch »intellektuelle Anschauung« korrigiert). 27 Von einem der Reflexion zumindest implizit zuerkannten Primat vor der Anschauung und damit einer Abgrenzung Hegels von Schelling bereits im Kontext und zur Zeit der Differenzschrift spricht schon Thomas Kesselring. Die von ihm dabei erwähnte These Kroners, daß sich Hegel über diese frühe Abgrenzung »noch nicht völlig klar [war], vielleicht aber … auch keine größere Klarheit darüber verbreiten [wollte]« (Richard Kroner Von Kant bis Hegel. Bd. 2.165), insofern er seinen eigenen philosophischen Ansatz hier lediglich in programmatischen Ausführungen vorstellt, würde erklären, warum Hegel trotz dieser erkennbaren methodischen Eigenständigkeit ein vorbehaltloses Bekenntnis zu Schellings Denken ablegt (Th. Kesselring Die Produktivität der Antinomie. 69). 25
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b) Andeutung der Möglichkeit eines begrifflich entfalteten positiven Vernunftausdrucks In den Vorlesungsmanuskripten von 1801/02 scheint sich dann hinsichtlich dieses Verhältnisses von endlicher und unendlicher, von Verstandesund Vernunfterkenntnis eine entscheidende Modifikation zu vollziehen. Zunächst jedoch ist zu sehen, in welchen Punkten diese neue Konzeption des Erkenntnisprozesses mit den Ausführungen der Differenzschrift übereinstimmt. Nach wie vor ist es das endliche Bewußtsein, für und durch das die Konstruktion des Absoluten sich vollzieht. Dementsprechend bleibt auch die Unterscheidung eines Bereichs der endlichen und der unendlichen Erkenntnis erhalten. Ebenso wird der Gedanke eines unmittelbaren Gegenwärtigseins des Absoluten im endlichen Bewußtsein übernommen, nur daß Hegel nun die Rede von einer »geheimen Wirksamkeit der Vernunft«28 bzw. von »einem Gefühl«, in welchem das Absolute den Menschen begleitet,29 dadurch ergänzt, daß er von einem »feste[n] klare[n] Anschauen« der absoluten Idee »in ihrer höchsten Einfachheit« spricht, das »überhaupt die erste Bedingung des Philosophirens [sei]«.30 Der Umstand, daß die absolute Idee in ihrer Einfachheit auch »das höchste, ein heiliges Denken« genannt wird,31 darf nicht so verstanden werden, als nehme der systematische Erkenntnisprozeß seinen Ausgang von der absoluten Identität der Entgegengesetzten. Ein solches Vorgehen hatte Hegel ja als Grundfehler der Fichteschen WL von 1794 bemängelt. Vielmehr ist die absolute Idee bzw. das anfängliche Anschauen derselben als unmittelbare und daher ganz undifferenzierte Totalitätsvorstellung zu verstehen, welche für das endliche Bewußtsein den Auslöser darstellt, seine vereinzelten Bestimmungen als Abstraktionen einer unerkannten und daher zu konstruierenden Totalität zu begreifen.32 In eben diesem Sinne beschreibt Walter Jaeschke das »feste, klare Anschauen«: 28
GW 4.17. GW 4.20. 30 GW 5.264. 31 Ebd. 32 Anne-Kristina Kwade gelangt in ihrer Studie Grenze – Hegels «Grenz»-Begriff 1804/05 als Keimzelle der Dialektik zu einer grundsätzlich anderen Deutung dieses »feste[n], klaren[n] Anschauen[s]« der Idee »in ihrer höchsten Einfachheit«, weil sie nicht davon ausgeht, daß es sich hier überhaupt um »den allerersten Anfang des Philosophierens« handele. Der Ausdruck des absoluten Wissens, den Hegel hier ins Spiel 29
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Allein die vorausgesetzte Anschauung ermöglicht auch, die Formen der Endlichkeit als »Reflex des Absoluten« (GW 5.273) [Angabe d. Verf.] darzustellen. Wenn man auch geltend machen kann, daß die Fundierungsfunktion der Anschauung auf Schellings Einfluß beruhe, so enthebt dies nicht der Aufgabe, diese Funktion für Hegels frühes Logikkonzept herauszuarbeiten, zumal die Übernahme des Anschauungsbegriffs eine spezifisch Hegelsche Pointe aufweist: das feste, klare Anschauen ist zwar Bedingung, – aber eigentliche Philosophie
bringt, verweise »darauf, dass bereits in dieser Zeit etwas existiert haben mußte, das mit allen Konsequenzen die Funktion und Bedeutung einer ›Phänomenologie‹ hatte…« und das insofern schon innerhalb der ersten Logikkonzeption als ein der Entfaltung der Kategorien vorausgehender eigenständiger Abschnitt zu verstehen sei (57f.). Nun legt zwar der Ausdruck des absoluten Wissens den Gedanken an das Ende der »Phänomenologie« nahe, doch läßt er sich in diesem frühen Kontext gleichwohl nicht sehr plausibel in einem quasiphänomenologischen Sinn interpretieren; zum einen, weil er an keiner weiteren Stelle dieser fragmentarischen Vorlesungsmanuskripte erwähnt, geschweige denn näher expliziert wird, vor allem aber, weil Hegels Diktum vom festen klaren Anschauen als überhaupt erster Bedingung des Philosophierens die Annahme von Ausführungen, die diesem Anschauen vorangegangen sein sollen, kaum zuläßt. Eben dies jedoch unterschlägt Kwade, wenn sie das feste klare Anschauen lediglich als »eine Bedingung der Philosophie« (ebd. 57) bezeichnet und dessen Status als Anfangs- bzw. Ausgangspunkt der Philosophie unkenntlich macht. Doch die Erwähnung des absoluten Wissens in dieser frühen Zeit ist auch für Kwade selbst allein kein hinreichender Beleg ihrer These. Wirklich gestützt oder zumindest sehr bestärkt sieht sie ihre Interpretation erst durch die anfänglichen Passagen der Vorlesungsnachschrift zur Logik und Metaphysik von Ignaz Paul Vital Troxler (unter dem Titel Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik [1801–1802] hrsg. u. interpretiert v. Klaus Düsing). Da diese von Kwade als »Vorspann« bezeichneten Passagen der Seiten 64–68 zwar in den Logikkontext gestellt, in diesem Rahmen jedoch der kategorialen Entwicklung vorgeordnet sind, schließt sie, daß es sich um einen eigenen, zur Kategorienlehre allererst hinführenden anfänglichen Logikteil handeln müsse, dem quasiphänomenologische Bedeutung zukomme. Diese Sichtweise ist insofern überraschend, als in diesem »Vorspann« Grundbegriffe der Physik (Materie sowie Attraktiv- und Repulsivkraft) und der Mathematik (Raum und Zeit) thematisch werden, und zwar ganz offensichtlich, um an ihnen die aus dem Gegensatzdenken des Verstandes resultierenden Mängel zu illustrieren und damit das Programm der Logik – die Darstellung der Setzung und (Selbst-)Zerstörung der endlichen Formen des Denkens – beispielhaft zu umreißen, nicht aber, um mit diesen mathematisch-physikalischen Inhalten einen phänomenologischen Vorlauf zu skizzieren. Und schließlich verweist Kwade selbst darauf, daß der Inhalt des »Vorspanns« 1804/05 fast vollständig in den Anmerkungsteil zum Quantum verschoben wird (vgl. Anne-Kristina Kwade Grenze – Hegels «Grenz»-Begriff 1804/05 als Keimzelle der Dialektik. 76 u. 150 ff.). Damit aber wird dieser Inhalt, den sie doch ausdrücklich als ersten vorkategorialen Teil der Logik verstanden wissen will, in die Kategorienlehre integriert.
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beginnt erst, indem das Absolute nicht in der unbewegten Einheit der Anschauung verharrt, sondern Differenzen in es gesetzt werden. Diese erforderliche Konstruktion und Produktion des Absoluten für das Bewußtsein ist Aufgabe der Reflexion.33 Diese den Erkenntnisprozeß der Reflexion einleitende, unmittelbare Totalitätsanschauung wird auch im Kontext von Glauben und Wissen angesprochen. Dort führt Hegel aus, daß das wahrhafte Erkennen »vom Absoluten an[fängt], das … durch wahrhafte intellectuelle Anschauung, ist.«34 Irritierend ist hierbei zunächst die Verknüpfung der intellektuellen Anschauung mit dem Beginn des philosophischen Erkenntnisprozesses, da Hegel sie doch vorher als das Erkennen der absoluten Identität zum End- und damit Höhepunkt desselben gemacht hatte. Doch gerade in dieser Modifikation besteht allem Anschein nach ein bewußt vollzogener, entscheidender Schritt innerhalb seiner systematischen Entwicklung. Die intellektuelle oder, wie Hegel sie im Kontext der Differenzschrift nannte, transzendentale Anschauung wird im Hinblick auf die Konstituierung des Absoluten ganz offensichtlich zugunsten eines rein begrifflichen Vorgehens zurückgedrängt. Dies deutet sich schon dadurch an, daß die Logik als die Wissenschaft der Formen der Endlichkeit nicht auf ihre Einleitungsfunktion hinsichtlich der Metaphysik als der Wissenschaft des Absoluten eingeschränkt, sondern explizit auch selbst als Metaphysik bezeichnet wird, und zwar insofern sie selbst als Wissenschaft der Idee zu betrachten sei: Hegel betont hier sehr viel stärker den immanenten Zusammenhang zwischen der ursprünglichen Totalität und den Vereinzelungen des endlichen Seins und Erkennens. Die Logik ist nämlich nichts anderes als die »ausgedehnte Wissenschaft der Idee«,35 deren Vollzug einsetzt, nachdem die einfache, noch undifferenzierte Idee erkannt ist, und zwar erkannt im »festen, klaren Anschauen«, das Hegel, wie gesehen, in Glauben und Wissen als intellektuelle Anschauung bezeichnet. Ebenso besteht zwischen endlichem und unendlichem Erkennen kein absoluter Gegensatz, sondern »das endliche Erkennen, oder die Reflexion abstrahirt nur von der absoluten Identität desjenigen was in der vernünftigen Erkenntniß aufeinander bezogen, oder einander gleichgesetzt ist, und durch diese Abstraktion allein, wird es ein endliches Erkennen …«36 Dieses endliche Er33 34 35 36
Walter Jaeschke Äußerliche Reflexion und immanente Reflexion. 100 f. GW 4.392. GW 5.263. GW 5.271.
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4. kapitel
kennen in seiner Entwicklung von der fixierend vorgehenden »isolirten« zur Antinomien bildenden philosophischen Reflexion wird von Hegel nun detaillierter anhand einer dreistufigen Logik-Skizze dargelegt, welche sich im Rahmen des dritten Fragments der Vorlesungsmanuskripte Logica et metaphysica findet. Die Konzeption dieser Dreistufigkeit ist eine zweifache: Zum einen werden die einzelnen Schritte des systematischen Vollzugs umrissen, zum anderen die besonderen Denkformen bezeichnet, anhand derer jeder dieser systematischen Schritte erfolgt. Stufe I hat zum Ziel, »die Formen der Endlichkeit aufzustellen, und zwar nicht empirisch zusammengerafft, sondern wie sie aus der Vernunft hervortreten, aber durch den Verstand des Vernünftigen beraubt, nur in ihrer Endlichkeit erscheinen«.37 Diese »allgemeinen Formen oder Geseze der Endlichkeit [sind] sowohl in objectiver als subjectiver Rücksicht, oder abstrahirt davon ob diese Formen subjectiv oder objectiv sind [und] hiebey immer ihre Endlichkeit, und sie als Reflex des Absoluten dar[zu] stellen«.38 Das unmittelbar sich aufdrängende Problem der Konzeption dieser ersten Logikstufe besteht darin, daß die geforderte systematische, d. h. vernünftige Herleitung der Kategorien naturgemäß kein Resultat der endlichen Verstandestätigkeit sein kann. Rainer Schäfer verweist hinsichtlich dieser Anfangsschwierigkeit zu Recht auf Hegels Auseinandersetzung mit der Kantischen ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption.39 Ebenso wie Kant betrachtet Hegel die Apperzeption als denjenigen Einheitspunkt, aus welchem die Kategorien »hervortreten«; doch anders als jener versteht er sie als ursprüngliche, absolute Identität Entgegengesetzter, d. h. als einheitliches Prinzip des Verstandes und der Anschauung.40 Die spekulative absolute Identität kann jedoch nicht den Ausgangspunkt des systematischen Erkenntnisprozesses bilden; dies wäre ein, wie Schäfer selbst bemerkt, der Logik als der Wissenschaft der endlichen Denkformen unzulässigerweise vorangestellter metaphysischer Vorlauf. Zudem ist die von Hegel solchermaßen umgedeutete synthetische Einheit der Apperzeption wohl kaum mit der anfänglichen »Idee in ihrer höchsten Einfachheit«, welche dem Verstand anschaulich, also unmittelbar gegenwärtig ist, gleichzusetzen. Und dieses Gegenwärtigsein der einfachen Idee wiederum erklärt zwar das Streben des endlichen Bewußt37
GW 5.272. GW 5.273; beigefügt ist dieser Stelle die erläuternde Randnotiz »allgemeine Logik, Kategorien«. 39 Rainer Schäfer Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik. 9 ff. 40 GW 4.327. 38
Die Antinomie
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seins nach der Erkenntnis des Absoluten, aber es erklärt nicht die Bedingung der Möglichkeit einer negativen Verstandesfunktion überhaupt. Die Vorwegnahme von Erörterungen, welche eigentlich erst innerhalb der Metaphysik erfolgen können, zeigt sich auch darin, daß Hegel bezüglich der am Anfang der Logik aufzustellenden Kategorien einmal ihre Darstellung »sowohl in objectiver als subjectiver Rüksicht«, zum anderen abstrahiert von dieser zweifachen Rücksicht fordert. Der Logik adäquat ist die Darstellung in zweifacher »Rüksicht«, insofern der Standpunkt des endlichen Erkennens der Standpunkt der Trennung von Subjekt und Objekt, von Begriff und Anschauung ist, und dieser Standpunkt impliziert eben auch eine Erörterung der Kategorien einmal als subjektiver Formen und zum anderen als Formen, welche ebenso auf das in der Anschauung gegebene mannigfaltige Sein zu beziehen sind. In der vernünftigen Erkenntnis dagegen werden Subjekt und Objekt, Begriff und Sein identisch gesetzt, so daß von den Entgegensetzungen des Subjektiven und Objektiven abstrahiert werden muß. Diesen Unterschied des Denkens in endlicher und absoluter Hinsicht beschreibt Hegel schon im Reinhold-Kapitel der Differenzschrift: Es ist aber nicht schwer zu sehen, daß so wie das Denken in die reine d. h. von der Materiatur abstrahirende, also entgegengesetzte Einheit gesetzt wird, und dann, wie nothwendig ist, auf diese Abstraktion das Postulat einer vom Denken wesentlich verschiedenen und unabhängigen Materie folgt … das Denken … hier wesentlich nicht die Identität des Subjekts und Objekts [ist], wodurch es als die Thätigkeit der Vernunft charakterisirt und damit zugleich von aller Subjektivität und Objektivität nur dadurch abstrahirt wird, daß es beydes zugleich ist …41 Stufe II soll »die Bestrebung des Verstandes [darstellen], wie er die Vernunft in einer Produktion der Identität nachahmt, aber nur eine formelle Identität hervorbringen kan; – um aber den Verstand als nachahmend zu erkennen, müssen wir uns zugleich das Urbild, das er kopirt, den Ausdruk der Vernunft selbst immer vorhalten.«42 Diese die Vernunft nachahmenden Totalitätsbestrebungen sollen anhand der Formen des Denkens, Begriff, Urteil und Schluß, dargestellt werden. Dabei betont Hegel den rein formellen Charakter der Struktur des Schlusses, aufgrund dessen er als reine Verstandesfunktion und nicht, wie gewöhnlich, als Vernunft41 42
GW 4.87 f. GW 5.272.
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4. kapitel
form aufzufassen ist.43 Stufe II stellt also den scheiternden ersten Versuch der »isolirten Reflexion« dar, die absolute Identität herzustellen: Statt dieser produziert der Verstand aber nur ein unendliches Aneinanderreihen von Endlichkeiten, kurz: einen unendlichen Regreß. Da er dabei jedoch stets von der ihm unmittelbar präsenten absoluten Einheitsvorstellung geleitet wird, vollzieht er, reflektierend auf sein ausschließendes Verfahren, die Weiterentwicklung zu Stufe III. Dort »müssen wir endlich die Verständigen Formen selbst durch die Vernunft aufheben, zeigen welche Bedeutung und welchen Gehalt diese endlichen Formen des Erkennens für die Vernunft haben; die Erkenntniß der Vernunft insofern sie der Logik angehört, wird also nur ein negatives Erkennen derselben seyn.«44 Und: »hier wird … der Ort [seyn] die spekulative Bedeutung der Schlüsse zu untersuchen …«45 Es vollzieht sich in diesem letzten Schritt folglich die Modifikation von der »isolirten« zur philosophischen Reflexion. Damit werden die verständigen Formen Begriff, Urteil und Schluß aufgehoben, und es setzen die antinomischen Operationen des Verstandes ein. Darin schreitet er fort bis zur allgemeinsten Antinomie von Denken und Sein, zerstört sich darin, und mit dieser negativen Vernunfterkenntnis des dritten Teils der Logik wird der »Übergang zur eigentlichen Philosophie oder zur Metaphysik gemacht werden«.46 Für diesen Übergang zur Wissenschaft des Absoluten ist nun nicht mehr die transzendentale oder intellektuelle Anschauung von Bedeutung, sondern Hegel faßt jetzt mit seiner – allerdings nicht weiter explizierten – Überlegung einer spekulativen Weiterentwicklung des Schlusses eine begriffliche Überleitung vom negativen, antinomischen in den positiven Vernunftausdruck ins Auge.47 Damit wäre eine immanente Entwicklung des Denkens des endlichen Bewußtseins zum Vernunftdenken und insofern die Konstituierung einer subjektiven Struktur innerhalb des Absoluten möglich. 43
Vgl. GW 5.273. GW 5.272. 45 GW 5.273 f. 46 GW 5.274. 47 Durch diese Interpretation einer an den Anfang der Logik versetzten, für die Erkenntnis des Absoluten nicht mehr konstitutiven intellektuellen Anschauung würde sich die von Rainer Schäfer vorgenommene Unterscheidung zwischen einer »anfangenden« und einer »metaphysischen« intellektuellen Anschauung erübrigen und auch seine Konstruktion einer Verbindung dieser »metaphysischen« intellektuellen Anschauung mit dem Schlußverfahren als Übergangsoperation von der Logik in die Metaphysik überflüssig werden (vgl. Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik 6, 42 und 31). 44
5. kapitel Konstituierung der wahrhaften Unendlichkeit als Grundlage der Selbstentfaltung des Begriffs Die Konzeption eines begrifflichen und damit immanenten Übergangs des endlichen zum unendlichen Denken impliziert eine Struktur der Bestimmungen des Endlichen, durch die sie über sich selbst hinausweisen, d. h. durch die sie sich selbst aufheben, und zwar nicht im Sinne einer Selbstzerstörung, die den (äußerlichen) Übergang in eine nicht begriffliche Erkenntnisform erzwingt, sondern im Sinne einer Manifestation ihrer wahren Bedeutung. Und allein aufgrund eines solchen Manifestationsprozesses wird gleichsam rückwirkend auch die Bedeutung der Bestimmungen als endlicher für die Vernunft aufzeigbar (vgl. die dritte Stufe der skizzierten Logik). Eine solche selbstüberschreitende Struktur des Endlichen versucht Hegel nun mit der Konstitution des Begriffs der wahrhaften Unendlichkeit aufzuweisen. Diese Konstitution erfolgt im Verlauf des ersten Teils derjenigen Logik, die er im Rahmen des Jenaer Systementwurfs II von 1804/05 entwickelt. Allerdings liefert Hegel schon innerhalb des Aufsatzes über die Wissenschaftliche[n] Behandlungsarten des Naturrechts (1802/03)1 wenn auch keine schrittweise Entfaltung, so doch eine ausführliche Definition dieses entscheidenden Unendlichkeitsbegriffs, auf die im folgenden nun genauer eingegangen werden soll. Der Kernpunkt dieser Abhandlung besteht in der Betrachtung des Verhältnisses der Wissenschaft des Naturrechts zur Philosophie. Hegel unterscheidet dabei zwei Typen des Naturrechts. Zum einen sind dies die »frühern Behandlungsarten des Naturrechts«,2 welche durch die zunehmende Konzentration der Philosophie auf das Gebiet der Metaphysik mehr und mehr dem Bereich des Philosophischen entfremdet wurden und in die Nähe der Empirie gerückt seien, so daß sie schließlich nicht viel 1
Ueber die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, seine Stelle in der praktischen Philosophie, und sein Verhältniß zu den positiven Rechtswissenschaften. GW 4.415–485. 2 GW 4.419.
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5. kapitel
mehr darstellten als ein Sammelgebiet empirischer Kenntnisse und »in der Mannichfaltigkeit von … Grundsätzen, Gesetzen, Zwecken, Pflichten, Rechten sich befinde[n], deren keines absolut ist …«3 Gleichwohl trete in ihnen, wie in jeder anderen die Empirie zum Prinzip erhebenden Wissenschaft, das Bedürfnis nach einer »wissenschaftlichen Totalität als eine[r] Totalität des Mannigfaltigen«4 hervor. Doch aufgrund ihrer Verankerung im Empirischen muß ihr Verfahren ein induktives sein, das naturgemäß nur zur Konstruktion willkürlicher, aber nicht notwendiger inhaltlicher Zusammenhänge gelangt. Über diese Konsequenz jedoch, so führt Hegel weiter aus, kann dieses Verfahren (sich selbst) hinwegtäuschen, indem darin die Apriorität seiner voraussetzungsweise angewendeten formalen Verstandesprinzipien behauptet wird. Auf diese Weise produzieren die sogenannten empirischen Wissenschaften die unzureichende Vermischung eines leeren Formalismus mit nicht legitimierten, »erschlichenen« Inhalten. Diesen empirischen Naturrechtswissenschaften stellt Hegel die vernunftrechtlichen Theorien Fichtes und Kants, Grundlage des Naturrechts (1796/97)5 und Metaphysik der Sitten (1797),6 entgegen. In ihnen ist zwar die absolute Einheit Prinzip der praktischen Philosophie, doch bleibt sie als einfache oder reine Einheit der Entgegengesetzten den mannigfaltigen Entgegensetzungen der physischen Natur äußerlich, ist demnach von den Differenzen der Natur abstrahierte, einseitige Verstandeseinheit. Die Theorien Fichtes und Kants gehören somit zum zweiten Typ der »unächten Arten der wissenschaftlichen Behandlungen des Naturrechts«, zum Typ der »reinformellen Wissenschaft«.7 Hegel erkennt in Fichtes und Kants vernunftbasierten Naturrechtssystemen also grundsätzlich dieselben Mängel, die er schon in der Differenzschrift und in Glauben und Wissen hinsichtlich der WL 1794 und der Kritiken Kants diagnostiziert hatte. Mit direkter Bezugnahme auf Fichtes WL nun analysiert Hegel schrittweise den Begriff des Absoluten als dieser Einheit Entgegengesetzter, d. h. als der Identität der Identität und der Vielheit bzw. der Differenz. Insofern in diesem Begriff das absolute Verhältnis als Identität der Identität und der Vielheit gefaßt ist, stellt es zwar keine der Differenz entbehrende
3 4 5 6 7
GW 4.422. GW 4.423. Grundlage des Naturrechts 1796 GA I/3.291–460; 1797 GA I/4.3–165. Metaphysik der Sitten. AA 6.203–491. GW 4.420.
Konstituierung der wahrhaften Unendlichkeit
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tautologische Verstandesidentität dar, doch sind die differenten Relata ihrerseits einseitig in ein Einheitsverhältnis, in welchem von ihrer (fixierten) Unterschiedenheit abstrahiert wird, gesetzt. Die Seite der Vielheit oder Differenz aber macht eben dieses Fixieren bzw. Bestehen der Unterschiede aus und muß infolgedessen genauso wie die Einheit Prinzip des Absoluten sein. Um aber die Vielheit als immanentes Prinzip erweisen zu können, muß diese im Absoluten als gleichursprünglich mit der Identität erwiesen werden. Ein solcher Erweis aber ist Hegel zufolge nur möglich, wenn die Relata der absoluten Beziehung jeweils selbst wieder als Identität der Identität und der Vielheit bzw. der Differenz aufgefaßt werden.8 Damit zieht er die logische Konsequenz aus einer Konzeption, welche das Absolute nicht als differenzlose, tautologische, sondern als Identität Differenter, somit als relational und nicht als punktuell, d. h. unbewegt begreift. Und eben dieser Konsequenz entbehrt die Fichtesche Systematik, wie Hegel mit Bezug auf den dritten Grundsatz der WL 1794 zeigt: Um gleichermaßen die Einheit der Entgegengesetzten und das Bestehen, die fixierte Differenz beider zu setzen, stellt Fichte das absolute Ich unter das Prinzip der Teilbarkeit, d. h. er versteht es als Identität eines teilbaren Ich und eines teilbaren Nicht-Ich. So bestünde einmal ein Mehr des Ich als der Einheit, das andere Mal ein Mehr des Nicht-Ich als des Vielen oder der Differenz, ohne daß die eine die andere Seite absolut negierte. Die Schwierigkeit dieses Verfahrens liegt jedoch darin zu erklären, wie das Prinzip der Teilbarkeit im absoluten Ich überhaupt wirksam werden könne. Denn es ist nicht möglich, den von Fichte behaupteten Anstoß auf die ins Unendliche gehende Tätigkeit des absoluten Ich als zugleich ursprünglich und Ich-immanent zu erweisen. Ohne diesen Erweis jedoch ist die Möglichkeit einer Differenz von teilbarem Ich und teilbarem NichtIch, also die Möglichkeit einer endlichen Welt bei gleichzeitiger Wahrung der absoluten Immanenz des Ich nicht plausibel zu machen. In der Folge bedeutet dies, daß sich das absolute Ich nicht mit der Vielheit der erscheinenden Welt vermitteln kann, so wie andererseits das teilbare, empirische Ich die Entgegensetzungen der natürlichen Welt nicht zu überwinden vermag und die absolute Einheit nur als Ideal, d. h. als Jenseits gegen sich hat, wie im Fichte-Kapitel dieser Arbeit schon gezeigt wurde. So ist das absolute Ich der Vernunft »wesenlose Abstraktion des Einen« oder negatives Absolutes, und die Natur als Inbegriff der Differenz des Endlichen
8
S. GW 4.432.
70
5. kapitel
ist »wesenlose Abstraktion des Vielen«.9 M. a. W.: Die absolute Identität ist zum Relatum eines Reflexionsverhältnisses geworden, in welchem sie, wie schon im Rahmen der empirischen Naturrechtswissenschaft, als Unendlichkeit der Mannigfaltigkeit bzw. Differenz der endlichen Welt absolut entgegengesetzt bleibt. Hegels gegen Fichte entwickelte Konzeption nun fußt auf der Überlegung, daß die absolute Identität Differenter, insofern sie immanent und daher keine dritte, zu den entgegengesetzten Relata hinzutretende Größe ist, eine Beziehung darstellt, welche nur durch die Bezogenen selbst, nämlich Einheit und Vielheit, besteht. D. h.: Die Einheit ist nur möglich als bezogen auf eine Vielheit, auf Differente, und die Vielheit ist nur möglich als ein Bezugssystem, d. i. bezogen auf ein Einheitsprinzip. Einheit und Vielheit sind folglich keine unbewegten, punktuellen Größen, sondern ineinander übergehend, d. h. sie sind »das unvermittelte Gegentheil [ihrer] selbst« oder sie sind unendlich.10 Somit stellen sie keine Relata, sondern selbst Relationen dar, und zwar zum einen die Relation der Einheit von Einheit und Vielheit in der Bestimmung der Einheit, zum anderen die Relation der Einheit von Einheit und Vielheit in der Bestimmung der Vielheit. Insofern aber die Vielheit das Bestehen oder die fixierte Differenz der Einheit und der Vielheit, somit nicht den Übergang der Entgegengesetzten, sondern deren positive Realität, d. h. die erscheinende, endliche Welt ausmacht, ist die Einheit von Einheit und Vielheit in der Bestimmung der Vielheit eine in sich entgegengesetzte, in doppelter Weise vorhandene Einheit, und zwar wiederum als Einheit von Einheit und Vielheit in der Bestimmung der Einheit und als Einheit von Einheit und Vielheit in der Bestimmung der Vielheit. Jene ist Prinzip der sittlichen, diese Prinzip der physischen Natur. Indem Hegel also die absolute Identität nicht mehr als Relation von Relata, sondern als Relation von Relationen neu bestimmt, zeigt er, daß das Übergehen der Gegensätze oder die Unendlichkeit nicht nur die Immanenz des Absoluten, sondern auch die Erscheinung seiner Äußerlichkeit bestimmt. M. a. W.: Die in der Beschränktheit des fixierten Gegensatzes sich präsentierende endliche Welt erweist sich ihrerseits als ein Relationsgefüge, ist folglich nicht nur vielfältig bestehendes Sein, sondern ebenso das absolute Übergehen, d. i. das Nichts des bestehenden Seins, kurz: die Einheit von Endlichkeit und
9 10
Vgl. GW 4.432. GW 4.431.
Konstituierung der wahrhaften Unendlichkeit
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Unendlichkeit. Damit aber manifestiert sich die Äußerlichkeit der natürlichen Welt als Aspekt der Immanenz des Absoluten. Das Problem dieser Konzeption eines absoluten Relationssystems liegt jedoch darin, daß das Übergehen in das Gegenteil seiner selbst oder die Unendlichkeit als Bestimmung der absoluten Relation eine einseitige ist. Zwar ist die absolute Identität Relation von Einheit und Vielheit, somit Relation des Übergehens und des Bestehens, doch ist diese Relation ihrerseits das Übergehen des Übergehens und des Bestehens. Durch das Übergehen ins Entgegengesetzte oder die Unendlichkeit aber entwickelt sich nur die negative Seite des Absoluten.11 Denn obwohl dieses Übergehen anders als die antinomische Operation keinen ausschließenden und damit die entgegengesetzten Realitäten zerstörenden Relationsprozeß darstellt, so ist es doch ein Prozeß des Sich-Aufhebens der Realitäten in ihrem Gegensatz, d. h. ein Setzen der Gleichheit mit sich nur durch die Beziehung auf Anderes, folglich ein Prozeß der permanenten Veränderung, der zu keiner positiven Selbstbestimmung des Absoluten führt. Dieser Schwierigkeit nun versucht Hegel zu begegnen, indem er beide Seiten des Absoluten ihrer jeweils dominierenden Bestimmtheit gemäß neu definiert: Insofern in der einheitsdominierten Einheit von Einheit und Vielheit die Vielheit das Aufgehobene ist, deklariert er sie als Indifferenz, und insofern in der vielheitsdominierten Einheit von Einheit und Vielheit die Einheit das Aufgehobene ist, deklariert er diese als Verhältnis – in dem oben ausgeführten Sinne einer doppelten, einander absolut entgegengesetzten Seinsweise der Einheit von Einheit und Vielheit einerseits als sittlicher, andererseits als physischer Natur. Schon die Wahl der Terminologie verrät eine unzulässige, weil verstandesmäßige Trennung beider Seiten des Absoluten: Die Indifferenz soll ja eine gegensatzlose Einheit bezeichnen, und Hegel konzipiert sie auch wie eine Einheit, die gegen ihr Übergehen in die Vielheit gleichsam immun ist, so wie die Vielheit das absolute, der Einheit oder dem Übergehen äußerliche Bestehen von Einheit und Vielheit bedeutet. Damit aber wird auf dieser Seite der Vielheit die sittliche Natur als die einheitsdominierte Einheit von Einheit und Vielheit zur relativen Identität, die der anderen Seite der physischen Natur als der vielheitsdominierten Einheit von Einheit und Vielheit absolut entgegengesetzt ist. In dieser Isolation bzw. Äußerlichkeit zur physischen Natur muß dann die sittliche Natur mit der differenzlosen, absolu-
11
Vgl. GW 4.431.
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5. kapitel
ten und daher positiven Identität, die Hegel Indifferenz nennt, in Einheit gesetzt werden. Mit diesem Vorgehen aber, insbesondere der Einführung des offensichtlich von Schelling entlehnten Begriffs der Indifferenz, sabotiert Hegel den Fortschritt, den er durch seine Unendlichkeitskonzeption bei der Weiterentwicklung der Begrifflichkeit erzielt hatte: Indem er ein absolutes Relationssystem konstituiert, hatte er einen Weg beschritten, auf dem die immanente Entwicklung der äußerlichen, natürlichen Welt zur absoluten Einheit oder, mit seinen Worten, das Herauskommen der absoluten Identität aus der Differenz möglich wurde. Denn insofern sich die Realitäten der endlichen Welt als das Gegenteil ihrer selbst, als relational erweisen, heben sie an sich selbst ihr Bestehen, ihre Gegensätzlichkeit auf.12 Die Weiterbestimmung des absoluten Übergehens in einen positiven Ausdruck muß dann ebenso auf immanente Weise erfolgen. Der von Hegel eingesetzte Begriff der Indifferenz hingegen führt einerseits zu einer verstandesmäßigen Trennung der beiden Momente des Absoluten, Einheit und Vielheit, und ist andererseits auch uneindeutig, insofern er gleichsam eine Zwitterstruktur aufweist: zum einen die der Hegelschen Systemkonzeption entsprechende Struktur einer absoluten Einheit Diffe12
Rolf-Peter Horstmann versteht diesen methodischen Ansatz, entgegengesetzte Realitäten bzw. Bestimmungen als wesentlich relational strukturiert aufzufassen, zu Recht als Neuorientierung Hegels im Verlauf der Entwicklung seines Systems und sieht im Gegensatz zu diesem methodischen Vorgehen die ersten systematischen Versuche, insbesondere denjenigen der Differenzschrift, dadurch charakterisiert, daß entgegengesetzte Bestimmungen hier noch als »Gegenstandstypen« konzipiert sind. Wenn er dies jedoch auf die einer Substanzmetaphysik verpflichtete Bestimmung der absoluten Identität als Identität von Subjekt und Objekt zurückführt, so läßt er damit unberücksichtigt, daß, wie Schäfer berechtigterweise entgegnet, innerhalb der Differenzschrift die absolute Identität auch die Identität der Identität und Nichtidentität genannt wird; und diese Auffassung des Absoluten ist der Konzeption einer absoluten Identität von Einheit und Vielheit in der Tat sehr ähnlich. Hegel muß also von Anbeginn der Jenaer Zeit eine relationale Struktur von Bestimmungen im Blick gehabt haben. Und dies bestätigt auch seine Konzeption der philosophischen, also der antinomisch operierenden Reflexion. Denn die Antinomie ist ja nichts anderes als das Auflösen des Bestehens der Gegensätze von Bestimmungen. Nur ist dieser Prozeß des Auflösens der Fixierungen seinerseits den Bestimmungen äußerlich, so daß diese sich nicht immanent beziehen, folglich punktuell oder eben »Gegenstandstypen« bleiben und als solche in der Antinomie zerstört werden. Es liegt also an dieser noch unzulänglichen Methode, nicht an einer substanzmetaphysischen Systemkonzeption, wenn Hegel die absolute Identität Differenter nicht von Anfang an in ein absolutes Relationssystem überführt. (Vgl. RolfPeter Horstmann Jenaer Systemkonzeptionen. 48; Rainer Schäfer Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik. 38, Fußn. 94)
Konstituierung der wahrhaften Unendlichkeit
73
renter, zum anderen die Schellingsche identitätsphilosophische Struktur einer mit keiner Differenz affizierten, weil ursprünglichen und nicht produzierten absoluten Identität, kurz: die Struktur eines absoluten Indifferenzpunktes.13 Zwar liegt es nahe, in diesem Begriff der Indifferenz eine Vorwegnahme der innerhalb des Jenaer Systementwurfs II entwickelten logischen Kategorie der Wechselwirkung zu sehen, insofern durch diese die »Indifferenziierung aller Bestimmtheiten« gesetzt ist,14 welche zum Verhältnis des Denkens überleitet. Doch ist erstens unter dieser »Indifferenziierung« keine absolute Relationslosigkeit zu verstehen, und zweitens steht sie nicht in absoluter Entgegensetzung zum Verhältnis, sondern ist eine Gestalt desselben. D. h.: Sie stellt eine entscheidende Phase des immanenten Entfaltungsprozesses der zum Verhältnis bestimmten wahrhaften Unendlichkeit dar. Hiermit ist schon angedeutet, welchen Ansatz Hegel im Kontext seines logisch-metaphysischen Erkenntnisprozesses des Absoluten von 1804/05 nehmen wird. Das Wesen der Unendlichkeit, unvermitteltes Gegenteil seiner selbst zu sein, wird hier nicht nur als Grundprinzip der noch nicht näher ausgeführten Selbstvermittlung der absoluten Identität mit sich eingeführt, sondern nun als der Prozeß des Sich-Aufhebens des endlichen Denkens, somit als diejenige Stufe des absoluten Erkenntnisprozesses expliziert, auf der an sich die Aufhebung der Trennung von Endlichkeit und Unendlichkeit oder die absolute Einfachheit bzw. Selbstbezüglichkeit erreicht ist, die im folgenden allerdings durch den langen und komplizierten Realisierungsprozeß des Begriffs der Unendlichkeit, d. h. durch das Werden der Unendlichkeit aus sich selbst, zu legitimieren ist. In Hegels Systementwurf von 1804/05 ist folglich nicht nur der Selbstaufhebungsprozeß des endlichen Denkens, sondern auch die Selbstentfaltung des Begriffs der Unendlichkeit Thema der Logik. Diese ist damit im Vergleich zur Logik, wie sie Hegel 1801/02 skizziert, erheblich erweitert, wenngleich sie nach wie vor als eine von der Metaphysik unterschiedene, dieser vorausgehende Wissenschaft konzipiert ist. Diese Erweiterung der logischen Funktion impliziert vor allem auch eine Neu13
Die Schwierigkeit, die sich mit dieser Uneindeutigkeit verbindet, spiegelt sich auch in Rainer Schäfers Ausführungen bezüglich der betreffenden Stelle des Naturrechtsaufsatzes wieder. Die Indifferenz beschreibt er lediglich als »die reine, vollständige Identität« und umgeht die Erwähnung ihrer relationalen Struktur. Die Relation von Einheit und Vielheit und ihre jeweiligen Prävalenzen bringt er explizit nur mit der Vielheit als dem Verhältnis in Zusammenhang (R. Schäfer ebd.). 14 Vgl. GW 7.75.
74
5. kapitel
bestimmung des logischen Inhalts. Die Kategorien und die Formen des Denkens, Begriff, Urteil und Schluß, werden innerhalb der Logik von 1801/02 sämtlich noch als Bestimmungen des Verstandesdenkens begriffen. Die Logik von 1804/05 hingegen entwickelt die Relationskategorien Substanzialität, Kausalität und Wechselwirkung sowie in einem weiteren Schritt Begriff, Urteil und Schluß als Formen der Realisierung der Unendlichkeit. Mit diesem Begriff der Unendlichkeit wird also zum einen ein Übergang innerhalb der Logik vollzogen, der 1801/02 schon den Übergang der Logik in die Metaphysik darstellt, und zweitens geht mit diesem Übergang eine Weiterbestimmung (eines Teils) der ursprünglich noch als endlich eingestuften Denkformen zu unendlichen einher. Hegel unterscheidet dementsprechend den (Selbst-)Entfaltungsprozeß der Unendlichkeit als Logik des Verhältnisses vom Aufhebungsprozeß der endlichen Denkformen als Logik der einfachen Beziehung, welche die Kategorien Qualität und Quantität in ihrer Entwicklung expliziert. Dabei stellt diese Explikation der Logik der einfachen Beziehung gleichsam das Muster für die dialektischen Prozesse der Logik des Verhältnisses dar – ganz in dem von Hegel ausgeführten Sinn, daß das endliche vom unendlichen Erkennen nicht grundsätzlich, sondern durch die Abstraktion von der absoluten Identität seiner Bestimmungen unterschieden ist. An dieser Stelle ist es wichtig, sich noch einmal die elementare Struktur einer Wissenschaft der endlichen Denkformen zu verdeutlichen, unabhängig davon, ob diese als Logik von der Metaphysik abgetrennt oder als anfänglicher Teil einer über das endliche Erkennen hinausgreifenden Logik konzipiert ist. Abstraktion vom absoluten Zusammenhang und damit Isolation der Bestimmungen impliziert vor allem die Trennung in einen subjektiven, Beziehungen konstituierenden Denkvollzug und einen objektiven fixierten Inhalt des Denkens, der in ein Beziehungsgefüge zu stellen ist. Die Aufhebung endlicher Denkformen würde folglich eine allmähliche Aufhebung dieser Trennung der subjektiven und objektiven Seite des Denkens bedeuten, durch welche die Vollzüge des denkenden Subjekts sich schließlich als Beziehungsstruktur des Inhalts selbst erweisen. Und eben dieser Prozeß der Identifizierung des Subjektiven und Objektiven wird innerhalb der Logik des Jenaer Systementwurfs II dargestellt. Um einen solchen Prozeß ging es auch schon in der 1801/02 skizzierten Logik, doch war die Antinomie als deren »oberstes Gesetz«15 eine nur unzureichende Methode, insofern die Auflösung der fixierten Entgegensetzungen durch 15
GW 4.82.
Konstituierung der wahrhaften Unendlichkeit
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sie nur gefordert, nicht aber realisiert werden konnte und infolgedessen äußerlich blieb. Mit der Konstituierung des Begriffs der wahrhaften Unendlichkeit ergibt sich für die Logik von 1804/05 nun die Möglichkeit einer immanenten Aufhebung, d. h. einer Selbstaufhebung der endlichen Denkformen, die sich als solche jedoch erst am Ende der Logik der einfachen Beziehung als der Logik der Endlichkeit erweist.
teil ii jenaer systementwurf ii (1804/05): logik 6. kapitel Einfache Beziehung a) Von der Qualität zur Quantität: Der Übergang vom Fürsichsein in die Beziehung auf Anderes als Setzen eines neuen Fürsichseins Der bekanntlich fragmentarische Charakter der Logik von 1804/05 – Fehlen des Anfangs und ein sehr lückenhafter Text innerhalb des ersten Logikteils – erforderte Rekonstruktionsversuche, die im Editorischen Bericht des Bandes 7 der GW von den Herausgebern Rolf-Peter Horstmann und Johann Heinrich Trede im einzelnen vorgestellt werden. Der Hegelsche Text setzt ein mit der Explikation der Grenze als letzter der Formen der Kategorie der Qualität. Innerhalb dieser Ausführungen wird die Grenze bestimmt als Beziehung von Realität und Negation, woraus relativ sicher zu entnehmen ist, daß die Entwicklung dieser Formen der Darstellung der Grenze vorausgingen. Ferner wird in diesem Kontext die Realität als das Fürsichsein von Qualitäten und die Negation als das Äußerliche und somit auch das Andere dieses Fürsichseins beschrieben. Als das Andere des Fürsichseins zeigt die Negation jedoch eine ambivalente Struktur, durch die sie ihr Anderssein als ein absolutes Entgegengesetztsein aufbricht: Einerseits ist sie als dieses absolute Entgegengesetztsein, d. h. als Gleichgültigsein gegen das Fürsichsein ihrerseits ein Fürsichsein oder eine Negation, die sich selbst gleich ist, andererseits ist sie gerade in diesem Fürsichsein, in dieser Beziehung auf das, was ihr eigenes Wesen ausmacht, nämlich die Beziehung auf Anderes zu sein, kein reines Fürsichsein, keine gegen Anderes gleichgültige Selbstbeziehung. Die Negation oder Beziehung auf Anderes steht folglich zwar in einem ausschließenden Verhältnis zum Fürsichsein, jedoch ist sie in diesem Ausschließen ebenso auf das Fürsichsein bezogen. Sie ist demnach das Nichts oder Aufheben des Seins, d. h. des (gleichgültigen) Bestehens der Bestimmtheiten, ist aber dennoch auf das Sein oder Bestehen bezogen, insofern sie dieses nicht schlechthin, sondern nur in Beziehung auf sich selbst aufhebt. In dieser an der Negation sich zeigen-
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6. kapitel
den Dialektik entsteht also die Einheit der Realität und der Negation, des Fürsichseins und der Beziehung auf Anderes, d. h. es »entspringt« die Grenze.1 Mit der Form der Grenze nun ist der Begriff der Qualität in das Gegenteil seiner selbst übergegangen, insofern er seine fixe Verstandesbestimmtheit, »nur sich selbst gleich zu seyn, ohne die Rücksicht auf ein anderes«2 verliert und in die Dynamik hineingezogen wird, in seinem Fürsichsein sich auf Anderes (ausschließend) zu beziehen. Diese Beziehung einer fürsichseienden Bestimmtheit auf ihr Anderes hebt gleichwohl noch nicht die Äußerlichkeit des Anderen auf. Denn die Dynamik, die mit dem Übergang des Fürsichseins als eines Gleichgültigseins gegen Anderes in das Fürsichsein als negativer, d. h. ausschließender Beziehung auf Anderes einsetzte, war nicht die Dynamik der Kategorie der Qualität selbst, sondern die Bewegung eines noch äußerlichen Denkens, welches der Einsicht in den negativen, also Vermittlungscharakter des Bestimmens folgte. M. a. W.: Es ist der Verstand, welcher durch die Bestimmung der Negation als des Entgegengesetzten der Realität ihre Doppelbedeutung entdeckt und dadurch notwendigerweise das isolierende Prinzip, welches dem Fürsichsein als einem Gleichgültigsein gegen Anderes zugrundeliegt, durchbricht, indem er die Einheit von Selbstbeziehung und Beziehung auf Anderes formuliert, die sich als immanente Beziehung beider aber erst noch zu realisieren hat. Es liegt auch hier wieder die schon für die programmatischen Ausführungen der Differenzschrift und für die Logikskizze von 1801/02 relevante Weiterentwicklung des Verstandes von der »isolirten« zur philosophischen Reflexion vor; nur konstruiert die philosophische Reflexion die Einheit entgegengesetzter Bestimmungen nun nicht mehr als Antinomie, d. h. sie vollzieht keinen bestimmungszerstörenden Prozeß, sondern verbindet die Entgegengesetzten, wie gesehen, durch ein Übergehen ins Gegenteil, um dann allerdings, wie im folgenden zu zeigen sein wird, von diesem Übergehen zu abstrahieren und so den Gegensatz selbst zu fixieren, zu einem für sich bestehenden zu machen und folglich eine beiden Bestimmungen äußerliche Einheit zu setzen. Dieser Prozeß, der sich zwischen den Entgegengesetzten vollzieht, ist also immer noch ein Vorgang, der durch das äußerliche Verstandesdenken realisiert wird und sich nicht an den entge-
1 2
Vgl. GW 7.5 f. GW 7.6.
Einfache Beziehung
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gengesetzten Bestimmungen selbst zeigt. Hegel verdeutlicht diesen noch äußerlichen Charakter der Einheit von Selbstbeziehung und Beziehung auf Anderes, wenn er von der Grenze sagt: In dem Begriff der Gräntze selbst sind so die … Realität und Negation, noch für sich bestehende, und ihr Princip, als das allgemeine Princip der Logik des Verstandes wird anerkannt als nicht für sich seyend dadurch es in Wahrheit aufgehoben wird, nicht daß es nur aufgehoben werden soll.3 Mit der Form der Grenze wird also die Aufhebung des isolierenden Prinzips des Verstandes, somit die Aufhebung des gleichgültigen Bestehens von Realität (Selbstbeziehung) und Negation (Beziehung auf Anderes) schon ausgesprochen, gleichwohl bleibt ihre Beziehung innerhalb der Grenze noch äußerlich, insofern Realität und Negation in ihr ebenso noch für sich Bestehende sind. Auch der von Hegel weiter unten verwendete Ausdruck des »Und« der Grenze4 verweist auf die Äußerlichkeit der Einheit von Realität und Negation. Zwar spricht er selbst in bezug auf die Dialektik der Negation bzw. der Grenze nicht explizit von einem Prozeß, der in die Äußerlichkeit des Verstandesdenkens fällt, sondern von demjenigen, »was unsre nothwendige Reflexion auf die Qualität war«,5 doch eine Identifikation »unsrer Reflexion« mit dem Verstandesdenken rechtfertigt sich nicht nur durch die eben angeführten Überlegungen zur Grenze und dem Umstand, daß Vollzüge, die »unsrer Reflexion« zugeschrieben werden, notwendigerweise außerhalb der Bestimmungen stattfinden, sondern auch durch die Definition der Logik der einfachen Beziehung als einer »Logik des Verstandes«, welche Hegel im Kontext der Metaphysik dieses zweiten Systementwurfs ausdrücklich vornimmt (»… der erste Theil der Logik, oder Logik des Verstandes«6). Allerdings wird durch das »unsrer Reflexion« zugordnete Attribut »nothwendig« stärker
3
GW 7.3. – So aus dem Kontext genommen könnte diese Formulierung das Mißverständnis erzeugen, Hegel behaupte das Aufgehobenwerden des Verstandesprinzips innerhalb der Grenze. Er bezieht sich hier jedoch auf Fichte mit dem kritischen Einwand, daß die mit der Form der Grenze anerkannte und damit geforderte Aufhebung der Trennung von ideeller und reeller Tätigkeit grundsätzlich auch realisiert, folglich über die Grenze hinausgegangen werden muß und nicht, wie von Fichte konzipiert, bei einem Sollen bzw. Streben stehenzubleiben ist. 4 GW 7.5. 5 GW 7.7. 6 GW 7.175.
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6. kapitel
als zu Beginn der Jenaer Zeit die Bedeutung der Bestimmungen selbst als Richtlinie des sich an ihnen vollziehenden Denkprozesses hervorgehoben: »Unsre Reflexion« ist zwar der Motor des logischen Prozesses, aber nicht im Sinne eines gleichsam allwissenden philosophischen, sondern im Sinne eines begrenzten endlichen Bewußtseins, das, gebunden an die begrifflichen Bestimmungen in ihrer Unmittelbarkeit, Erkenntnis erst gewinnt, indem es sukzessive deren lediglich potentiell vorhandene relationale, also vermittelte und vermittelnde Struktur freilegt.7
b) Die Quantität oder der unendliche Progreß des Setzens und Aufhebens der Grenze Der Begriff der Qualität, das beziehungslose Fürsichsein, ist, wie schon ausgeführt, durch die Grenze in sein Gegenteil, das Fürsichsein als ausschließende Beziehung auf Anderes, übergegangen. Insofern diese Beziehung auf Anderes jedoch von einem äußerlichen Denken hergestellt wurde, bestimmt Hegel diesen Übergang weiter als einen Übergang der Qualität in die Quantität, welche die Kategorie der äußerlichen Beziehungen darstellt. Seine weiteren Ausführungen zielen also zunächst darauf zu zeigen, inwiefern innerhalb der Quantität, d. h. innerhalb des Fürsichseins als (ausschließender) Beziehung auf Anderes, das Moment des Bestehens wieder hervortritt. M. a. W.: Es wird expliziert, inwiefern die Negation oder Beziehung auf Anderes ihrerseits ein Bestehen, ein indifferentes Fürsichsein darstellt. Dieses in der Quantität ausgeschlossene gleichgültige, d. i. beziehungslose Bestehen von Qualitäten, die Realität, bestimmt sich eben aufgrund dieser Beziehungslosigkeit näher als eine Menge isolierter, und damit bloß zahlenmäßig unterschiedener Fürsichseiender, kurz: es bestimmt sich als »das Viele Sein«.8 Durch die Negation oder Beziehung auf Ande7
Diesen wesentlichen Aspekt einer gleichermaßen lenkenden als auch geleiteten Reflexion stellt Manfred Baum explizit heraus: »… das hier … Gesetzte ist das, ‚was unsere … Reflexion war‘, nämlich, daß die Qualität nicht das ist, was sie ihrem Begriffe nach sein soll, also nicht eine ‚wahrhafft‘ beziehungslose Bestimmtheit, und diese unsere Reflexion war eine ‚nothwendige Reflexion‘, sofern sie sich nur an dem Begriff der zu denkenden Sache und der Aufgabe seiner Bestimmung orientierte [Hervorhebung d. Verf.].« (Manfred Baum Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. 240) 8 GW 7.7.
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res wird nun zwar, wie dargelegt, diese Gleichgültigkeit des Seins, die Vielheit aufgehoben. Indem dieses Aufheben jedoch nur in Beziehung auf die Negation selbst erfolgt, indem also das Ausschließen, die Beziehung auf Anderes nur als Selbstbeziehung, als Fürsichsein stattfindet und nicht »nach außen geht«, wie Hegel formuliert,9 stellt es sich nicht als Vollzug, d. i. als ein Negieren, sondern nur als ein Negiertsein dar. Somit wird die Negation als Gegensatz der vielen Fürsichseienden zwar negative Einheit, aber nur sich selbst gleiche, indifferente Einheit als Aufgehobensein des Vielen, d. i. numerisches Eins. M. a. W.: Die Negation ist ein Bestehen, insofern sie nicht ein Ausschließen, sondern ein Ausgeschlossensein der vielen Fürsichseienden, folglich äußerliche Beziehung ist. Hegel demonstriert hier, daß die Äußerlichkeit des Verstandesdenkens nicht etwa in einer völligen Negations- oder Beziehungslosigkeit besteht, daß aber der Verstand die Negation abstrahiert vom Einssein mit dem Anderen, also punktuell setzt, d. h. wie ein reines Sichselbstgleichsein handhabt. Indem sich so der Gegensatz des Begriffs der Qualität, die Negation oder Beziehung auf Anderes, selbst als ein Fürsichsein, eine Qualität erwiesen hat, ist das Denken in diese zurückgekehrt; d. h. es hat die Qualität zur Totalität ihrer und ihres Gegenteils realisiert und so die bestimmte Qualität oder Qualität, die einen Inhalt hat, gesetzt. Dieser Inhalt, die negative Einheit oder das numerische Eins als Ausgeschlossensein, d. i. als Gegensatz der Vielheit der beziehungslosen Qualitäten, stellt als solcher die Weiterbestimmung der Vielheit zur positiven Einheit dar, insofern deren Negations-, also Unterschiedslosigkeit das Bestehen der Qualitäten zur einfachen Sichselbstgleichheit zusammenfaßt. Die Qualität ist dadurch zur Einheit des Gegensatzes von positiver und negativer Einheit geworden. Doch ist auch diese Einheit eine nur äußerliche, weil an ihr der Gegensatz der Bestimmungen nicht realisiert ist: Die positive Einheit ist als negationslos nichts anderes als tautologische, also unterschiedslose Einheit, d. i. positives Eins, und die negative Einheit setzt, insofern sie, wie gesehen, die Negation nicht als ein Negieren, sondern als ein Negiertsein ist, den Unterschied selbst als eine vom Unterschiedenen abstrahierte Sichselbstgleichheit. Somit sind positive und negative Einheit jede gleichermaßen eine ausgeschlossene Sichselbstgleichheit, deren Gegensatz nicht in der Bestimmtheit der einen gegen die Bestimmtheit der anderen, sondern nur in ihrem Ausgeschlossensein, also darin besteht, daß die eine nicht das ist, was die andere ist. Somit gibt es keinen Gegensatz von positiver 9
GW 7.8.
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und negativer Einheit, sondern gesetzt sind die vielen voneinander ausgeschlossenen Sichselbstgleichen oder die vielen numerischen Eins. Indem das numerische Eins ein Fürsichsein als Ausgeschlossensein des Anderen, d. h. negatives Sein ist, erscheint es als absolutes, unaufhebbares Fürsichsein, indem seine Indifferenz sich gleichsam als absoluter Gegensatz gegen das andere Sein präsentiert, während die Indifferenz des negationslosen Fürsichseins, also des Fürsichseins ohne ein Anderssein, die absolute Isolation oder Leere darstellt. Doch das numerische Eins ist gerade in seinem Fürsichsein auf das Andere bezogen, da es als negative Einheit das Ausgeschlossensein schlechthin ist, sein Fürsichsein somit in der Beziehung auf Anderes besteht. M. a. W.: Es ist dasjenige Sein, welches in seinem Fürsichsein ein Einssein mit dem Anderen ist, folglich darin sich aufhebt, oder es ist die Sichselbstgleichheit als Aufgehobensein ihrer selbst. Das Andere nun, auf das das numerische Eins schlechthin bezogen ist oder in dem es sich aufhebt, war die Vielheit der numerischen Eins. Folglich ist das numerische Eins ein Eins, das in seinem Fürsichsein in das viele Eins übergeht, und als solches wird es zur Allheit. Mit der Allheit entfaltet sich also im numerischen Eins die Negation oder Beziehung auf Anderes, die in ihm bisher nur als ein (undynamisches) Negiert- bzw. Ausgeschlossensein, kurz: als absolutes Fürsichsein zum Ausdruck kam, zur Dynamik des Negierens bzw. des Beziehens. Die Allheit ist somit das Übergehen oder Sich-Aufheben der Bestimmungen, ein Bezogensein des Eins und des Vielen. Dieses ist jedoch kein absolutes Bezogensein im Sinne eines Integriertseins des Nichtbezogenseins, also im Sinne einer Einheit von Bezogensein und Nichtbezogensein des Eins und des Vielen, sondern die Allheit ist relativ das Bezogensein des Eins und des Vielen unter Ausschluß ihres Nichtbezogenseins, d. i. ihres Bestehens bzw. Fürsichseins. An diesem Punkt des logischen Fortgangs liegt der Struktur nach dasjenige vor, was Hegel im Kontext des Naturrechtsaufsatzes als Einheit von Einheit und Vielheit in der Bestimmung der Einheit beschreibt. Dieser steht dementsprechend das ausgeschlossene Nichtbezogensein als die Einheit von Einheit und Vielheit in der Bestimmung der Vielheit gegenüber. Das numerische Eins ist folglich nicht mehr die einfache negative Einheit, aus welcher die Vielheit ausgeschlossen ist; sie ist vielmehr in diese übergegangen und somit an sich selbst auf sie bezogen. Damit ist der äußerliche Unterschied zwischen beiden Seiten aufgehoben, allerdings noch nicht in der Weise, daß er den Gliedern immanent geworden wäre, sondern so, daß er im Übergehen,
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d. i. im reinen, unterschiedslosen Beziehen des Eins und des Vielen (Eins) ausgeschlossen ist. Als dieses unterschiedslose Beziehen ist das numerische Eins Gleichheit oder seinerseits positive Einheit des Eins und des Vielen. Insofern die positive Einheit jedoch das Fürsichbestehen des Eins und des Vielen ausschließt, ist sie ausschließende oder begrenzte positive Einheit. Infolgedessen ist der äußerliche Unterschied des Eins und des Vielen sowohl aufgehoben als auch gesetzt – aufgehoben in dem reinen Beziehen des numerischen Eins, das als dieses reine Bezogensein zur positiven Einheit wird, und gesetzt, indem das Eins und das Viele aus diesem reinen Bezogensein ausgeschlossen sind, und die positive Einheit sich als begrenzt setzt und damit Quantum10 ist. Der Unterschied des Quantums als der begrenzten positiven Einheit zur ersten, dem numerischen Eins als der negativen Einheit entgegengesetzten positiven Einheit besteht darin, daß diese eine Menge der isolierten, also absolut relationslosen vielen Eins darstellt, während jene die Relation des Eins und des Vielen in Abgrenzung zu ihrer Relationslosigkeit ist; im ersten Fall sind Eins und Vieles also punktuelle Größen und stehen als solche lediglich in einem äußerlichen Unterschied, im Fall des Quantums dagegen wird der äußerliche Unterschied gesetzt, weil die Relation des Eins und des vielen Eins unter Ausschluß ihrer Relationslosigkeit besteht und auf diese Weise die Dynamik der Relation aufgehoben und diese selbst punktuell wird. M. a. W.: Die erste positive Einheit ist reines Fürsichsein der vielen Eins, das Quantum hingegen ist reine Beziehung der vielen Eins, die durch das Abgrenzen des Fürsichseins oder des Nichtbezogenseins der vielen Eins zu diesem Nichtbezogensein zwar eine Beziehung, aber eben nur die für die Grenze typische äußerliche Beziehung herstellt, folglich Beziehung und Nichtbeziehung der vielen Eins in einer nur äußerlichen Verschiedenheit stehen. Diese Äußerlichkeit, d. h. die Trennung und die in der Grenze geforderte Aufhebung der Trennung von Beziehung und Nichtbeziehung der vielen Eins demonstriert Hegel 10
Hegel nennt die begrenzte positive Einheit nicht explizit Quantum, sondern »e i ne Quantität, oder« (vgl. GW 7.12). Da der Text an dieser Stelle unterbrochen ist (vgl. dazu wiederum den Editorischen Bericht GW 7.357–360), kann nicht selbstverständlich davon ausgegangen werden, daß nach dem »oder« der Begriff »Quantum« folgte. Die Identifizierung der begrenzten positiven Einheit mit dem Quantum wird jedoch deutlich, indem weiter unten von diesem genau das gesagt wird, was charakteristisch auch für die begrenzte positive Einheit ist: »Das Quantum hebt … sich selbst auf, insofern es ausschliessend, für sich das Bezogenseyn des Eins und des Vielen ist, ausser welchem das Nichtbezogenseyn des Eins und des Vielen wäre.« (ebd. 14)
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am Wesen der Zahl. Denn »die Z ahl ist erst das realisirte Quantum, worin es sich ausdrückt, als das was es ist; … [etwas muß] um als Quantum bestimmt zu sein, zur Zahl [seine] Zuflucht nehmen.«11 Die Zahl nun ist einerseits ein Eins als Beziehung der vielen Eins, und als solche ist sie ein Ganzes oder genauer: die Ununterschiedenheit des Ganzen und seiner Teile. Andererseits ist sie aber ebenso ein Eins als eines der vielen einander begrenzenden Eins, und als solches ist sie Teil. Dieser Doppelcharakter der Zahl oder des numerischen Eins liegt darin begründet, daß sie als Beziehung oder positive Einheit durch das Ausschließen anderer Zahlen aus ihrem Beziehungsgefüge, also durch das Setzen dieser anderen Zahlen als nichtbezogener selbst zu einem nichtbezogenen Eins oder zur negativen Einheit als einer bestimmten Menge von Einsen wird – so wie die anderen nichtbezogenen Zahlen ihrerseits Beziehung vieler Eins, d. h. positive Einheit sind. M. a. W.: Die Zahl ist Beziehung oder positive Einheit; indem sie diese Beziehung aber als begrenzt, als bestimmte Menge oder negative Einheit ist, ist sie gleichermaßen nichtbezogenes vieles Eins. Somit hat sich das Quantum demjenigen, das es eigentlich ausschließen sollte, gleich gesetzt und ist daher auch kein Begrenztes, sondern ein Nichtbegrenztes. Da es sich auf diese Weise dem Nichtbezogenen oder der negativen Einheit aber als Beziehung bzw. als positive Einheit gleich setzt, so setzt es sich gleich als ungleich, d. h. die immanente Beziehung der Beziehung und Nichtbeziehung bleibt Forderung, und es entfaltet sich ein Progreß ad infinitum oder der absolute Widerspruch: Die positive Einheit hebt die Grenze auf, indem sie sie setzt, so hebt sie sich auf und wird das, was sie begrenzend ausschließt, nichtbezogenens Eins, das seinerseits ein viele Eins Beziehendes, also positive Einheit ist. Kurz: Das Quantum ist Beziehung nur, indem es Nichtbeziehung und Nichtbeziehung nur, indem es Beziehung, d. h. ein Setzen und Aufheben bzw. ein unendliches Hinausschieben der Grenze ist. Insofern der Unterschied, wie er sich am Quantum entfaltete, ein rein äußerlicher ist, kann eine Sache niemals durch ihr Quantum bestimmt werden. Dieses stellt eine reine Größenbestimmung, ein pures Mehr oder Weniger einer Sache dar, welches nichts über ihren Inhalt aussagt. Nun könnte es jedoch scheinen, als sei der Unterschied oder die Differenz, gerade indem sie sich als äußerlich präsentiert, als das erkannt, was sie wesenhaft ausmacht. Denn die äußerliche Differenz ist, so führt Hegel
11
GW 7.13 f.
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aus, eine »das [absolute] Wesen selbst durchaus nicht afficierende«12 und würde so vordergründig die Vorstellung bestätigen, derzufolge das Absolute die reine differenzlose Einheit ist, in welcher die Gegensätze nur als aufgehobene sind, so daß das Bestehen und Aufheben derselben einen Vollzug außerhalb der absoluten Einheit darstellt. Doch gerade durch diese Vorstellung wird die Einheit des Absoluten zerstört, insofern sie einseitig als das Aufgehobensein dem Sein und Aufheben der Differenzen entgegengesetzt und auf diese Weise relativ und undynamisch wird. Das Absolute ist Absolutes aber nur dadurch, daß »Nichts ausser dem Absoluten ist«,13 daß es absolutes Beziehen, d. h. Übergehen und Bestehen seiner Momente ist, der Unterschied folglich kein äußerlicher oder indifferenter sein kann. Eben deswegen ist das Absolute nicht einfache, tautologische Einheit, sondern Einheit Differenter. Die absolut Differenten sind different also in immanenter Weise, d. h. »sie haben keine Bedeutung, als nur insofern sie sich entgegengesetzt sind, und sie sind diß wesentlich, oder es ist kein quantitativer Unterschied an ihnen.«14 Der Unterschied ist folglich selbst absolut, und als solcher ist er schlechthin qualitativ. Das bedeutet aber auch, daß die Dinge in ihrer isolierten Einzelheit und Endlichkeit nicht ihr wahrhaftes Wesen haben, sondern daß das, was ein Ding wesenhaft ist, erstens darin besteht, ein System oder ein Verhältnis von Momenten, also nicht einfach, sondern different zu sein,15 und daher zweitens als solches System differenter Momente seinerseits zu anderen Dingheiten, also anderen Systemen von Momenten, im Verhältnis zu stehen.16 Diese Identifizierung des immanenten oder qualitativen 12
GW 7.16 Ebd. 14 Ebd. 15 Vgl. GW 7.22. 16 Diese Zurückweisung des äußerlichen oder quantitativen Unterschieds stellt implizit, aber unmißverständlich eine Kritik an Schellings Konzeption des Absoluten als absoluter Indifferenz dar, außerhalb derer als dem Bereich der Unendlichkeit die Gegensätze als das rein endliche und quantitative gesetzt sind. Auf diese Kritik ist schon vielfältig eingegangen worden, z. B. innerhalb der z. T. schon genannten Titel wie etwa Klaus Düsings Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. 153, Manfred Baums Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. 245f., Hermann Schmitz Hegels Logik. 181 oder Rainer Schäfers Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik. 107, und sie ist, insofern Hegel im Rahmen des Naturrechtsaufsatzes auf Schellings Konzeption der absoluten Indifferenz zurückgreift, auch als Selbstkritik zu verstehen. Zwar hatte er sich dort, wie im Haupttext dargelegt, mit der Konstituierung des Begriffs der Unendlichkeit als dem Prinzip, das unvermittelte Gegenteil seiner selbst zu sein, schon in entscheidender Weise von Schelling abgesetzt, doch da er in bezug auf die Seite 13
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Unterschieds mit dem Verhältnis, in der sich schon der Übergang zur Logik des Verhältnisses oder Logik der Differenz bzw. des immanenten Unterschiedes andeutet, weist die Quantität als bestimmende Kategorie der Logik des Verstandes oder der einfachen Beziehung aus. Insofern aber die Entwicklung der Qualität zum Verhältnis wesentlich durch die Quantität erfolgt, so muß die Beziehung des äußeren und immanenten Unterschieds selbst immanent sein. Das Diktum Hegels, es gebe nichts außer dem Absoluten, darf also nicht so mißverstanden werden, als gebe es in Wahrheit die Äußerlichkeit nicht. Der Standpunkt des äußerlichen Denkens, welches das Erkennen vom zu Erkennenden, die Reflexion von ihrem Gegenstand absolut trennt, ist Ausdruck des Absoluten selbst und muß als solcher auch plausibel gemacht werden. Dies kann nur geschehen, indem das äußerliche oder Verstandesdenken seine Äußerlichkeit an sich selbst aufhebt, d. h. indem seine äußerliche Reflexion sich als Reflexion der Bestimmungen selbst erweist. Und so sagt Hegel denn auch explizit in bezug auf den äußerlichen Vorgang des Ausschließens des Nichtbezogenseins von Eins und vielem Eins, der das Quantum ausmacht, er vollziehe sich nicht mehr in unserer Reflexion, sondern gehöre zum Begriff des Quantums selbst, folglich sei auch der daraus resultierende unendliche Progreß oder absolute Widerspruch an diesem selbst gesetzt.17 Insofern durch den unendlichen Progreß die Einheit von Beziehung und Nichtbeziehung bzw. von Einheit des Eins und des Vielen und Vielheit des Eins und des Vielen konstituiert werden soll, tatsächlich aber nur der unaufhörliche Wechsel beider Seiten sich vollzieht, so ist er diejenige Unendlichkeit, die »nur das Bestreben, sie selbst zu seyn, aber nicht in Wahrheit sich selbst ausdrücken [kann]« oder er ist »schlechte Unendlichkeit«.18 In dieser realisiert sich folglich die Äußerlichkeit der gesamten Sphäre der einfachen Beziehung, d. h. die (schlechte) Unendlichkeit hat sich als die wahrhafte Struktur der einfachen Beziehung
der Indifferenz, welche innerhalb des gesamten Systemaufbaus die Seite der Logik und Metaphysik repräsentieren müßte, keinerlei Ausführungen macht, die darauf schließen lassen, daß es hier um eine komplexe Erörterung der Beziehung von Differenz und Indifferenz geht, wie sie die Logik und Metaphysik von 1804/05 dann ja enthält, so ist für die Systemskizze des Naturrechtsaufsatzes von einem Rückgriff Hegels auf Schellings Indifferenzverständnis auszugehen. 17 S. GW 7.28. 18 GW 7.29.
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erwiesen, und insofern stellt sich jedes ihrer Momente als Unendliches dar: Die Qualität ist die sich rein auf sich selbst beziehende Bestimmheit, also die Bestimmtheit, der die Beziehung auf Anderes äußerlich ist, d. i. Qualität als schlechte Realität; die Quantität dagegen entwickelt die Beziehung auf Anderes, jedoch nur als ausschließende Beziehung oder Aufgehobensein, in welchem vom Einssein mit dem Anderen abstrahiert wird, d. i. Quantität als schlechte Idealität; das Quantum setzt dann die Beziehung als Beziehen, und zwar Beziehen der Selbstbeziehung (Realität) und der Beziehung auf Anderes (Idealität oder Negation), des Vielen und des Eins, aber es setzt dieses Beziehen als Ausschließen des Nichtbeziehens (begrenzte positive Einheit), so daß dieses jenem äußerlich ist, im Quantum somit das Bestehen beider vorliegt und zugleich ihre Einheit in dem Und des Ausschließens oder der Grenze gefordert wird. Das Quantum ist dadurch die schlechte Unendlichkeit als Wechsel von Setzen und Aufheben, d. h. ein Übergehen zur Negation oder Idealität, indem die Realität zurückgelassen, und ein Übergehen zur Realität, indem die Negation zurückgelassen wird. Bezogen auf die vielen Bestimmtheiten stellt sich dieser unaufhörliche Wechsel so dar, daß jede Bestimmtheit, um sich in ihrem Fürsichsein, ihrer reinen Selbstbeziehung zu erhalten, die ihr entgegengesetzte Bestimmtheit ausschließt, also eine Grenze setzt, in dieser Grenze jedoch in Beziehung auf die andere ausgeschlossene Bestimmtheit tritt, damit die Grenze aufhebt und sich in Einheit mit der anderen Bestimmtheit setzt, die ihrerseits als ein Fürsichsein eine Grenze setzt, die sie durch dieses Setzen ebenso wieder aufhebt usw. ad infinitum. Die absolute Einheit der vielen einzelnen Bestimmtheiten bleibt also ein Jenseits, und nur insofern sie ein Jenseits der vielen Bestimmtheiten ist, haben diese als einzelne ein Bestehen. Ebenso sind sie aber durch dieses Jenseits ihrer Einheit bedingt, insofern sie sich gerade in ihrem Bestehen begrenzen müssen und daher nicht aufhören können, sich zu beziehen, d. h. aufzuheben. Sie sind infolgedessen wesentlich auf das Jenseits ihrer Einheit bezogen und dadurch von dieser nicht ausgeschlossen, sondern in ihrem Bestehen vielmehr identisch mit ihr. Die Beziehung jeder Bestimmtheit auf ihre entgegengesetzte, andere ist in Wahrheit also keine Beziehung auf Anderes als auf ein außerhalb der jeweiligen Bestimmtheit Bestehendes, sondern jede Bestimmtheit hat das Andere an sich selbst, genauer: Bestimmtsein heißt das Andere seiner selbst zu sein. Die Unendlichkeit ist insofern kein Jenseits des Bestimmens mehr, sie ist diesem vielmehr immanent, und als solche ist sie wahrhafte oder absolute Unendlichkeit.
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Durch diese dialektische Entwicklung von der schlechten zur wahrhaften Unendlichkeit, die wesentlich auf dem Erweis der Äußerlichkeit des unendlichen Progresses als Äußerlichkeit der Bestimmung des Quantums selbst beruht, hat Hegel einen Weg eröffnet, die Grenzen des Verstandesdenkens zu überschreiten, ohne die Begrifflichkeit hinter sich zu lassen und Zuflucht zu einer Vermittlung ausschließenden Methode zu nehmen. Kurz: Die Anschauung, die schon im Kontext der Logikskizze von 1801/02 beim Übergang von der Endlichkeit in die Unendlichkeit zugunsten einer von Hegel vorgesehenen, hier jedoch noch in keiner Weise durchgeführten spekulativen Weiterentwicklung des Schlusses aufgegeben wird, ist nun durch die detaillierte dialektische Entfaltung der wahrhaften Unendlichkeit als konstitutives Erkenntnismoment endgültig verabschiedet. Hegel stellt dies ausdrücklich heraus, indem er die Unzulänglichkeit, ja Wertlosigkeit der Anschauung im Hinblick auf die Auflösung des unendlichen Progresses, d. h. auf die geforderte absolute Synthese der Differenten diagnostiziert: Die schlechte Unendlichkeit ist die letzte Stuffe, zu welcher die Unfähigkeit, den Gegensatz auf eine absolute Weise zu vereinigen und aufzuheben fortgeht, indem sie nur die Foderung dieses Aufhebens aufstellt, und sich an der Darstellung der Foderung begnügt, statt sie zu erfüllen; sie meynt sich am Ende, indem sie im Anschauen über das beschränkte hinausgeht, und über das unermeßliche zahllose etwa der Gestirne, oder der mannichfaltigen Organisation in ein vernunftloses Staunen geräth …19 Die Aufhebung oder genauer: die Selbstaufhebung der endlichen Denkformen, die sich mit der wahrhaften Unendlichkeit vollzieht, stellt, insofern sie in einem Übergehen der entgegengesetzten Bestimmungen besteht, keinen Zerstörungsprozeß mehr dar. Durch die Antinomie werden die Entgegengesetzten zwar auch aufeinander bezogen, doch erfolgt dieses Beziehen durch ein äußerliches Denken, so daß die Bestimmungen an sich selbst isoliert bleiben und in der nicht an ihnen selbst gesetzten Beziehung zerstört werden. Die wahrhafte Unendlichkeit hingegen ist die absolute Unruhe der Bestimmungen, in ihrer Selbstbeziehung wesentlich Beziehung auf Anderes, in ihrem Fürsichsein das Übergehen in ihr Entgegengesetztes zu sein. Die absolute Einheit von Selbstbeziehung und Beziehung auf Anderes, von Vielem und Einem konstituiert sich somit 19
GW 7.32.
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nur dadurch, daß die Differenten selbst die Einheit ihrer und ihres Gegensatzes sind. M. a. W.: Die Relata der absoluten Identität als der Relation Differenter müssen ihrerseits Relationen sein. Hegel hat also durch den Erkenntnisprozeß der Logik der einfachen Beziehung eben die Elementarstruktur seines Systems expliziert, die er thesenartig schon innerhalb des Naturrechtsaufsatzes formuliert hatte, und die er hier mit folgenden Worten erneut beschreibt: Diß ist, um es hier vorlaüffig zu erinnern, das wahre Erkennen des Absoluten, nicht daß bloß erwiesen wird, daß das Eine und Viele Eins ist, diß sey allein absolut; sondern daß an dem Einen und Vielen selbst das Einsseyn eines jeden mit dem andern gesetzt ist.20 Die Verschiedenheit des Prozesses der ineinander übergehenden bzw. sich aufhebenden Bestimmungen von einem Zerstörungsprozeß hebt Hegel ausdrücklich hervor, wenn er ausführt, daß ein Bestimmtes, indem es sich aufhebt, nicht Nichts, sondern »das andere selbst, und diß andre ebenso das Gegentheil seiner selbst wieder das erste ist …«,21 somit eine doppelte Negation, d. h. eine Affirmation vorliegt. Vielmehr ist es das Bestehen, das Sein als reines, relationsloses Fürsichsein der vielen Qualitäten, welches in eine Leerheit oder das Nichts mündet. Diese Identifikation des Seins mit dem Nichts, in welcher unschwer schon die Anfangsstruktur der späteren Seinslogik zu erkennen ist, impliziert jedoch nicht den Ausschluß des Seins oder Bestehens der Bestimmungen aus ihrem Beziehen oder Übergehen. Damit wäre ein Rückfall in die Trennung von Selbstbeziehung und Beziehung auf Anderes, also in die schlechte Unendlichkeit zu verzeichnen. Das Übergehen der Bestimmungen bedeutet, wie gesehen, daß sie in ihrem Sein oder Bestehen wesentlich auf ihr Gegenteil bezogen sind, also muß ihr Beziehen wesentlich ihr Sein enthalten, oder ihr Beziehen bzw. ihre Selbstaufhebung kann sich nur an ihnen als einem Sein oder Bestehen vollziehen. Folglich ist die wahrhafte Unendlichkeit das Übergehen des Seins oder des Nichts in das Beziehen oder die Bestimmtheit und ebenso das Übergehen des Bestimmten in das Nichts, kurz: sie ist die Bewegung des Bestimmten, nicht zu sein, was es ist. Zwischen dem Sein oder der Nichtbezogenheit der Bestimmungen und ihrem Beziehen oder Sich-Aufheben besteht daher kein ausschließender Gegensatz, sondern eine Wechselbeziehung: Indem die Bestim20 21
GW 7.35. GW 7.33.
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6. kapitel
mungen bestehen, gehen sie unmittelbar ineinander über oder heben sich auf, und in ihrem Übergehen oder Sich-Aufheben sind sie unmittelbar ein Aufgehobensein, ein Beziehungsloses oder Nichts. Damit ist die wahrhafte Unendlichkeit als absolute Einheit des Seins und des Übergehens erwiesen, aus der kein Herausgehen möglich ist, oder: sie ist die absolute Immanenz. Zwar macht das Sein oder Bestehen der entgegengesetzten Bestimmungen deren Äußerlichkeit aus, doch insofern das Wesen der Bestimmungen im Beziehen oder Sich-Aufheben besteht, kann sich die Äußerlichkeit ihres Seins in der Dynamik dieses Beziehungsvorgangs nicht fixieren, oder, wie Hegel es ausdrückt, »der Gegensatz kann sich nicht bey seinem Seyn aufhalten«.22 Die wahrhafte Unendlichkeit ist damit die realisierte, in der schlechten Unendlichkeit nur geforderte, Einheit des gleichgültigen Fürsichseins und des Beziehens oder Übergehens der vielen Eins, kurz: Einheit der Einfachheit und des Gegensatzes, und als solche ist sie Verhältnis.
22
GW 7.34.
7. kapitel Das Verhältnis des Seins a) Die wahrhafte Unendlichkeit oder die reine Selbstbewegung des Begriffs und die Frage nach dem Status »unserer Reflexion« Die wahrhafte Unendlichkeit ist das, was sie als Verhältnis ist – nämlich Totalität bzw. absolute Immanenz – nicht aus sich selbst geworden. Sie ist aus dem äußerlichen Denken der Logik der einfachen Beziehung, also aus ihrem Anderen, somit gewissermaßen wesensfremd entsprungen. Damit wird nicht dem oben ausgeführten Standpunkt, das äußerliche Denken sei Hegel zufolge Ausdruck des Absoluten selbst, widersprochen. Es geht hier darum, daß das äußerliche Denken für sich eine einseitige Erkenntnisperspektive darstellt, die als solche zu überwinden, d. h. in die absolute Immanenz der Unendlichkeit zu integrieren bzw. in dieser aufzuheben ist. Und insofern ist die Weise des äußerlichen Denkens als das Andere des Absoluten anzusehen. Folglich müssen dann auch die Momente der bezogenen oder übergehenden und der nichtbezogenen oder fürsichseienden vielen Eins, die nach der Art dieses äußerlichen oder Verstandesdenkens getrennt bzw. in einer nur geforderten Einheit gesetzt wurden, sich nun als Momente der wahrhaften Unendlichkeit, d. h. immanent oder an sich selbst entfalten. Das bedeutet genauer, daß sie sich als das, was sie ihrem Begriff nach sind, nämlich Einheit ihrer und ihres Gegenteils, realisieren müssen, m. a. W.: sie müssen das Andere ihrer selbst und aus diesem die Rückkehr in sich selbst werden. Mit der wahrhaften Unendlichkeit ist also auch eine erste Form von Subjektivität in dem Sinne gesetzt, daß ihre dialektische Entfaltung sich als reine Selbstbewegung vollzieht, d. h. daß die Unendlichkeit sich selbst objektiv oder Differenz ihrer selbst wird. Dies legt sich auch insofern nahe, als Hegel, wie oben schon angeführt, den dialektischen Prozeß mit der Entstehung der schlechten Unendlichkeit im Quantum aus unserer Reflexion in die Bestimmungen selbst verlagert und ausdrücklich die Unendlichkeit, und zwar insofern sie sich vom unendlichen Progreß zum Übergehen in sich selbst entwickelt, als »absolut dialektisches Wesen«
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7. kapitel
bezeichnet. Gleichwohl tilgt er damit nicht, wie es zunächst zu erwarten wäre, den Standpunkt »unserer Reflexion«, vielmehr wird die dialektische Bewegung der wahrhaften Unendlichkeit von der Dualität unserer Reflexion und der Reflexion des Inhalts selbst bestimmt. Insofern unsere Reflexion jedoch den Standpunkt eines äußerlichen Erkennens repräsentiert, so stellt sich die Frage, welche Form von Äußerlichkeit die absolute Immanenz der Unendlichkeit noch impliziert bzw. inwiefern die reine Selbstbewegung oder Selbstdifferenzierung der absoluten Unendlichkeit gleichwohl noch keine vollendete Selbstbeziehung darstellt. Die reine Selbstbewegung bedeutet zunächst nur, daß das Movens und die Resultate dieser Bewegung nicht außerhalb der Dynamik der Unendlichkeit liegen bzw. aus ihr herausführen können. Es bedeutet aber nicht, daß mit dieser Bewegung ursprünglich auch ein Wissen um das, was sich durch sie konstituiert, einhergeht. Eben darin besteht aber das Wesen des Absoluten, durch den Prozeß der Selbstdifferenzierung zum Wissen seiner selbst zu gelangen. Und dieser allmähliche Selbsterkenntnisprozeß vollzieht sich in der Logik durch eine vierstufig verlaufende Vermittlung des Fürsichseins der Bestimmungen: Im Rahmen der einfachen Beziehung war dieses 1. als relationsloser, gleichgültiger Selbstbezug gesetzt, in der Unendlichkeit oder dem Verhältnis des Seins ist die Bestimmung 2. in ihrem »für sich seyn, nur seyend in der Gleichheit des andern, oder als sich aufhebend; es drükte sich nur die Foderung des für sich seyns aus, die sich nicht realisiren konnte, sondern das für sichseyend gesetzte verschwand in seiner Realisation …« Im Übergang von diesem Verhältnis des Seins in das Verhältnis des Denkens »definirte sich [3.] das für sich seyn als ein solches, das wäre indem es seinem Gegentheil gleich, und in ihm sich als es selbst erhielte; als die Reflexion in sich selbst.«1 Die Realisation dieser Reflexion in sich selbst erfolgt dann 4. im Verlauf des dritten Teils der Verhältnislogik, der Proportion; und das bedeutet: das Fürsichsein wird in der Unendlichkeit als dem Anderswerden nicht mehr nur aufgehoben, sondern es ist ebenso eins mit diesem Prozeß des Aufhebens, in dem es sich folglich selbst als ideell bzw. aufgehoben gegenübertritt. M. a. W.: Es ist die Reflexion geworden, die sich selbst beschreibt, d. h. es ist das Erkennen und als solches Thema der Metaphysik. Die absolute Unendlichkeit als das Anderswerden oder Aufheben, das sich selbst thematisch wird, tritt also erst am Ende der Logik hervor und muß seine Selbstbeschreibung in der Metaphysik vollziehen, um Wissen 1
GW 7.112.
Das Verhältnis des Seins
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seiner selbst zu werden. In diesem Sinne einer zunächst noch nicht wissenden Selbstbeziehung oder Selbstdifferenzierung läßt sich die absolute Immanenz der Unendlichkeit als Äußerlichkeit, nämlich als Äußerlichkeit ihrer selbst verstehen. Und dies könnte Hegel im Blick gehabt haben, wenn er gleich zu Beginn des Schlußkapitels der Logik »Es ist gesetzt das Erkennen« sehr irreführend feststellt, daß die gesamte vorausgegangene Bewegung des Verhältnisses sich an einem toten Inhalt, daher äußerlich, und zwar in unserer Reflexion vollzogen habe. Mit dem »toten Inhalt« wäre dann nicht dessen undynamischer Charakter, sondern die in ihm vorliegende Blindheit für das Telos und damit für den Gesamtzusammenhang seiner differenzierenden Bewegung gemeint. Innerhalb des verhältnislogischen Prozesses ist in der Folge dieser Blindheit »der absolute Begriff [das wäre das um seine Übergangsstruktur wissende bzw. diese beschreibende Unendliche] … selbst das Begrifflose, Unbegriffene …«2 Es liegt lediglich der permanente Wechsel des Auftretens einer Bestimmtheit und des Aufhebens ihres Seins in das Sein einer anderen Bestimmtheit vor. Wie diese Bewegung des Übergangs jedoch veranlaßt ist und wohin sie führt, ist nicht von vornherein in ihr gewußt, so daß das Unendliche sich als logischer Prozeß noch äußerlich und das Wissen um das Woher und Wohin, kurz: um das die Totalität stiftende Prinzip unserer Reflexion vorbehalten bliebe. Diese Deutung einer der dialektischen Entwicklung der absoluten Unendlichkeit noch äußerlichen, in unserer Reflexion beheimateten Perspektive, welche das Gesamte dieser Bewegung gleichsam konzeptionell vorwegnimmt, findet sich schon bei Hermann Schmitz. Er betont mit Bezug auf die genannte Passage zu Beginn des Kapitels »Es ist gesetzt das Erkennen« ausdrücklich, daß der Ablauf der Verhältnislogik sehr wohl »ein Geschehen in der Sache selbst und nicht bloß ein theoretisches Konstrukt des Philosophen ist …«3 Nur sei dieses Geschehen in der Sache selbst ein quasi schicksalhaftes Ereignis, dessen Ziel nicht schon von Anbeginn in ihm reflektiert, sondern von unserer Reflexion vorweggenommen werde. Dennoch stellt sich bei dieser Interpretation, die hier grundsätzlich ja gestützt wird, die Frage, wie die vorwegnehmende Perspektive unserer Reflexion sich überhaupt in die Immanenz der Unendlichkeit integrieren läßt. Denn schließlich muß die vorausschauende Bewegung unserer Reflexion für die Reflexion innerhalb der 2 3
GW 7.112. Hermann Schmitz Hegels Logik. 202.
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7. kapitel
Bestimmungen selbst eine konstitutive Funktion haben. Dadurch aber würde die absolute Immanenz der Unendlichkeit gesprengt, insofern der dialektische Prozeß des Verhältnisses, in dem sie sich realisiert, dann zwar in ihren Momenten sich vollzöge, nicht aber auch durch diese vorangetrieben würde – diese Funktion obläge eben unserer Reflexion. Ist die Dialektik unserer Reflexion hingegen nicht konstitutiv, sondern eine den Selbstentfaltungsprozeß des Absoluten nur begleitende Bewegung, so fragt es sich, welchen Sinn sie als solche erfüllt, abgesehen davon, daß sie in dieser Funktion den Momenten der Unendlichkeit in ihrer (dann selbstbestimmten) Entwicklung nicht mehr voraus sein kann. Für einen solchen nur begleitenden Charakter unserer Reflexion gibt es innerhalb des Hegelschen Textes gleichwohl einen nicht unwesentlichen Anhaltspunkt. Zu Beginn des Abschnitts »Verhältniss des Denkens« heißt es in bezug auf unsere Reflexion: … unmittelbar hier geht uns nichts an, als diß nothwendig so entstandene, und wie die Unendlichkeit an ihm beruhigt ist, so müssen wir gleichsam ebenso unsere Reflexion beruhigen, und nur nehmen was da ist; unsere Reflexion wird die Reflexion dieses Verhältnisses selbst werden.«4 Unsere Reflexion wird hier somit als das Geschehen dargestellt, das nun nicht mehr den dialektischen Prozeß leitet, sondern das sich umgekehrt demjenigen der Reflexion des Verhältnisses selbst anzupassen hat und damit genau genommen auch aufgehoben sein müßte. Manfred Baum stellt diese bemerkenswerte Ausführung über unsere Reflexion heraus und betont zu Recht, daß »um der Objektivität der Entwicklung willen von der Rolle unserer Reflexion abgesehen werden [kann und muß]«, doch wird dann umso weniger plausibel, warum er dennoch unsere Reflexion, die er lediglich »deskriptiv und nachahmend« nennt, im Hinblick auf »das Dialektische des Übergangs und [die] Realisierung der Begriffe« für unverzichtbar erklärt.5 Doch bei allen Interpretationsbemühungen im Hinblick auf die Frage nach dem Status unserer, d. h. einer äußerlichen Reflexion für den Realisierungsprozeß der absoluten Unendlichkeit wird sich wohl kaum Klarheit erzielen lassen, da Hegel selbst inkonsistent im Gebrauch dieser Reflexionsform verfährt. Aber auch wenn nach Einsetzen des verhältnislogischen Prozesses noch eine Form des äußerlichen Erkenntnisvollzuges plausibel wäre, so könnte dies sicherlich nicht das nämliche äußerliche 4 5
GW 7.76. Manfred Baum Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. 252.
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Denken sein, welches für die Logik der einfachen Beziehung bestimmend ist. Denn dieser erste Teil der Logik ist, wie schon erörtert, erklärtermaßen Logik des Verstandes und als solche von der Trennung unserer Reflexion als der Reflexion eines endlichen Erkenntnissubjekts und eines Erkenntnisinhaltes, dem die Dynamik des Beziehens noch nicht immanent ist, bestimmt. Freilich ist die Frage, welche Art des dialektischen Prozesses der verhältnislogische Ablauf darstellt, da er ja nicht mehr dem Verstandesdenken unterliegt, gleichwohl aber noch von der Metaphysik geschieden wird.
b) Erster Ausdruck der Unendlichkeit: Das Substantialitätsverhältnis oder die Entgegensetzung von Möglichkeit und Wirklichkeit Die dialektische Selbstentfaltung der wahrhaften oder absoluten Unendlichkeit ist, wie schon dargelegt, genauer eine Entfaltung ihrer Momente, insofern diese sich zum Begriff, die Einheit ihrer und ihres Gegenteils, kurz: Relation zu sein, entwickelt haben. Die Bewegung der Momente der Unendlichkeit vollzieht sich, den Verlauf der einfachen Beziehung auf einer höheren Stufe fortsetzend, ausgehend von der Seite ihres Fürsichseins oder Bestehens. Zwar sind die Qualitäten als Momente der wahrhaften Unendlichkeit wesentlich aufeinander bezogene bzw. aufgehobene, doch gerade diese immanente Bezüglichkeit stellt unmittelbar einseitig den Aspekt der Identität oder, wie Hegel es ausdrückt, der positiven Einheit als Raum des Seins dieser Qualitäten dar, in welchem jede ebenso ist wie ihre entgegengesetzte. Und in dieser Gleichwertigkeit, d. i. Unterschiedslosigkeit ihres Seins sind sie unmittelbar auch wieder gleichgültige gegeneinander. Damit aber markiert der Anfangsstandpunkt der Verhältnislogik eben diejenige Position, die auch den Anfang der Logik der einfachen Beziehung ausmacht, nur daß sich die den Bestimmungen äußerliche Dialektik der einfachen Beziehung innerhalb des verhältnislogischen Prozesses nun als bestimmungsinterne Dialektik vollzieht. Die absolute Immanenz des Verhältnisses oder der wahrhaften Unendlichkeit, in welche die Äußerlichkeit des gegensatzfixierenden Verstandesdenkens aufgehoben ist, drückt sich dabei unmittelbar als Verhältnis von Substanz und Akzidenzien aus.6 6
Daß der Bereich des Verhältnisses überhaupt als Verhältnis des Seins von anderen Arten des Verhältnisses unterschieden (vgl. GW 7.38: »A. Verhältniss des Seyns«),
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Die anfängliche Gleichgültigkeit der Qualitäten innerhalb des Verhältnisses erweist sich jedoch sogleich als ihre nicht eigentliche Struktur, insofern ihre Bezüglichkeit bzw. Identität sich als eine solche erwiesen hatte, in der jede Qualität ihr Sein nur als Aufgehobensein der anderen hat. Das Sein als solches ist demnach schlechthin nur als ein Sein für anderes, also nicht als ein gleichgültiges Sein für sich. Der Raum des Seins oder auch die Substanz der Bestimmtheiten hat sich folglich zur Möglichkeit entwickelt, kurz: die einzelne Bestimmtheit ist nur potentiell. Als Möglichkeit oder aufgehobenes Sein ist die Substanz daher in sich gespalten: Einerseits ist sie Einheit als Ausschließen des Bestehens der Bestimmtheiten, und als solche ist sie das Aufgehobensein derselben oder negative Einheit. Doch gerade insofern die Bestimmtheiten aufgehobene und somit nicht ein Nichts sind, haben sie in ihrem Aufgehobensein auch ihr Bestehen, und so ist andererseits die Substanz als Möglichkeit ebenso das Bestehen der Bestimmtheiten, d. i.positive Einheit. Damit tritt sie als das, was sie wesenhaft ist, nämlich Möglichkeit, »gegen sich selbst auf die Seite, oder wird ein anderes, als sie selbst ist«,7 sie wird das Bestehen als Ungleichheit des Setzens der einen und des Nichtsetzens der anderen der potentiellen Bestimmtheiten, m. a. W.: Sie wird Wirklichkeit.8 Die Wirklichkeit ist folglich nicht ein Bestehen als Gleichgültigkeit für sich seiender Bestimmtheiten, sondern ein Hervorheben bzw. Setzen der einen Bestimmtheit als seiend gegen ihre andere Bestimmtheit als nichtgesetzte oder mögliche. Damit werden zwar auch in der Wirklichkeit die Bestimmtheiten fixiert, nämlich als seiend fixiert, doch entsteht diese Fixierung nicht mehr aufgrund ihrer Relationslosigkeit, also Gleichgültigkeit gegeneinander, sondern weil von ihrem Beziehungscharakter, also und speziell das Substantialitätsverhältnis anderen Formen des Verhältnisses des Seins entgegengesetzt wird, nennt Hegel eine »anticipirte Reflexion«, die sich durch die Entwicklung des Inhalts selbst erst zu legitimieren und »für itzt nur die Bedeutung eines Zeichens« habe (ebd. 39). Er bringt also wiederum eine Reflexion ins Spiel, die nicht die Reflexion der Bestimmungen der wahrhaften Unendlichkeit selbst ist. Insofern er ihr in diesem Kontext aber explizit die legitimierende Funktion abspricht und lediglich einen Verweischarakter zuerkennt, müßte das eigentlich die Aberkennung des konstitutiven Charakters der bestimmungsexternen Reflexion implizieren. 7 GW 7.41. 8 Mit diesem Übergang der Möglichkeit in die Wirklichkeit, der in der immanent negativen Struktur der Möglichkeit begründet liegt, macht Hegel deutlich, daß dieser Begriff der Möglichkeit, der ja nichts anderes bedeutet als daß etwas die Fähigkeit zur Verwirklichung in sich trägt, sinnvoll nur in Beziehung auf den Begriff der Wirklichkeit gedacht werden kann.
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von ihrem Einssein mit dem Anderen, abstrahiert wird. Die Wirklichkeit weist somit eben jene Negationsstruktur auf, die durch die Quantität gesetzt wurde, d. i. die auf sich selbst bezogene bzw. diejenige Negation, welche sich nicht als ein Negieren, sondern nur als ein Negiertsein zum Ausdruck bringt. Dementsprechend kann sich die Wirklichkeit in dieser Abstraktion nicht halten, sie wird gleichsam von ihrer Dialektik eingeholt und muß die Ungleichheit ihres Setzens (Fixierens) und Nichtsetzens aufheben. Denn diese entspricht nicht dem Wesen der Bestimmtheit, aufgehoben, also schlechthin auf die andere bezogen zu sein. Sie ist nur der Ausdruck der Entzweiung dessen, was in der Substanz als Möglichkeit immanent aufeinander bezogen ist. Jede Bestimmtheit ist seiend, insofern ihr Gegenteil aufgehoben oder ein bloß Mögliches ist, aber sie ist in dieser Bedingtheit ihres Seins ebenso ein Aufgehobenes oder Mögliches, da auch die ihr entgegengesetzte Bestimmtheit als ein Sein gesetzt ist. Eine Bestimmtheit, insofern sie seiend bzw. wirklich ist, muß also wesenhaft ebenso in ihr Aufgehobensein bzw. ihre Möglichkeit übergehen. Die Substanz ist somit der Widerspruch, daß jedes Wirkliche ein Mögliches bzw. jedes Mögliche ein Wirkliches ist. Durch dieses Übergehen von Wirklichkeit und Möglichkeit entwickelt sich die Substanz zur Notwendigkeit. Diese ist die Realisierung der Möglichkeit als des Aufgehobenseins oder der Idealität, insofern in ihr (sc. der Notwendigkeit) das Aufgehobene als aufgehobene Wirklichkeit ist oder: »sie drükt die Unendlichkeit, als die sichselbstgleiche Einheit der entgegengesetzten als absolute Möglichkeit aus …«9 Die Konstituierung von Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit zusammen mit derjenigen des Verhältnisses markiert einen wesentlichen Unterschied zu Kants theoretischer Philosophie, durch den Hegels Anspruch, mit seiner Systemkonzeption die Überwindung der Äußerlichkeit des Verstandesdenkens möglich zu machen, besonders deutlich umrissen wird. Bestimmen die Modalitätskategorien Möglichkeit, Dasein / Wirklichkeit und Notwendigkeit bei Kant erklärtermaßen die Beziehung des gegebenen Gegenstandes zum Verstandessubjekt, während die drei anderen Kategorientypen jeweils spezifische Bestimmungen der Gegenstände selbst bzw. ihrer Beziehung untereinander darstellen, so macht Hegel, wie gesehen, Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit zu Bestimmungen der Inhalte selbst. Diesen Unterschied wird er in der späteren Seinslogik von 1832 im Abschnitt »Das Maass.« explizit ansprechen: 9
GW 7.42.
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Diese Kategorie [sc. die der Modalität] hat daselbst [sc. im transzendentalen Idealismus] die Bedeutung, die Beziehung des Gegenstands auf das Denken zu seyn. Im Sinne jenes Idealismus ist das Denken überhaupt dem Ding-an-sich wesentlich äusserlich. … diese [Kategorien der Modalität] vermehren nach Kants Ausdruck, den Begriff, als Bestimmung des Objects nicht im mindesten, sondern drücken nur das Verhältniß zum Erkenntnißvermögen aus, (Kr. d. rein. Vern. 2te Aufl. s. S. 99, 266).10 Hegels Konzeption zufolge, und das gilt, wie gesehen, auch schon für den hier betrachteten Logikentwurf von 1804/05, stellen Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit also sehr wohl eine »Vermehrung« des Inhalts dar, indem sie Momente der dialektischen Selbstentfaltung desselben, und zwar der Selbstentfaltung als eines seienden, ausmachen. Mit der Notwendigkeit als realisierter Möglichkeit bzw. aufgehobener Wirklichkeit hat sich das Fürsichsein als in sein Gegenteil, als in sein Anderes übergehend erwiesen, aber es hat seine relationale Struktur noch nicht soweit realisiert, daß es sich auch als ein in sich Zurückgekehrtes, d. h. als ein im Aufheben sich erhaltendes Sein gesetzt hätte. Eben dieses sich erhaltende und letztlich selbst reflektierende Fürsichsein ist dasjenige Ziel, auf das, wie oben schon kurz angerissen, die gesamte Logik durch einen in vier Stufen sich vollziehenden Entwicklungsprozeß hinsteuert. Mit diesem methodischen Entwurf geht Hegel eben dasjenige Problem an, welches innerhalb des Naturrechtsaufsatzes, in dem er seinen neu konzipierten Begriff der Unendlichkeit vorstellt, noch ungelöst im Raume steht, nämlich wie sich die unaufhörliche negative Bewegung des Übergehens, d. h. das unaufhörliche Differenzieren oder das absolute Sein-für-Anderes, in eine positive Selbstbeziehung des Absoluten überführen läßt. Dieses Problem läßt sich vor dem Hintergrund des bis hierin Dargestellten auch so ausdrücken, daß der substantielle Charakter oder der Charakter des Seins, welcher dem unendlichen Prozeß des Übergehens als einer absolut immanenten, also absolut einheitlichen Bewegung zukommt, sich nur zu realisieren vermag, indem die Momente dieses absoluten Übergehens oder Aufhebens ihrerseits substantiell bzw. seiend werden und auf diese Weise dem Aufheben nicht mehr unterliegen, von diesem gleichsam nicht mehr mitgerissen werden, sondern sich selbst aufheben. Die absolute Unendlichkeit muß folglich 10
GW 21.323 f.
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Substanz von Substanzen werden, um in ein absolutes Selbstverhältnis, d. i. das Wissen ihrer selbst, zu treten.
c) Zweiter Ausdruck der Unendlichkeit: Das Kausalitätsverhältnis oder die verfehlte Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit Das Wirkliche als das Bestehen oder Sein kann sich als solches nur erhalten, indem es aus seinem Aufgehobensein oder seiner Möglichkeit in sich selbst zurückkehrt. Das heißt in der Konsequenz nichts anderes, als daß das Wirkliche das Anderssein der Möglichkeit aufhebt, also die Einheit der Entgegensetzung oder des Widerspruchs seiner und seines Aufgehobenseins darstellt. Damit aber hat das Wirkliche seine Möglichkeit an sich selbst. Als dieses Einssein von Wirklichkeit und Möglichkeit bezieht das Wirkliche sich auf sich selbst und schließt das andere Wirkliche, durch welches es in seiner eigenen Wirklichkeit aufgehoben und zu einem Möglichen gemacht würde, aus sich aus und ist selbst Substanz. So besteht jedes Wirkliche für sich, und nur als dieses für sich Bestehende kann es sich als Wirkliches gegen die Notwendigkeit des unendlichen Übergehens erhalten. Gerade dadurch aber, daß jedes Wirkliche selbst die Einheit von Wirklichkeit und Möglichkeit darstellt, also sein Aufgehobensein oder seine Idealität an sich selbst hat, hat es auch das ihm entgegengesetzte Wirkliche, welches ja sein Aufgehoben- oder sein Möglichsein ausmacht, an sich. Somit allerdings kann kein Wirkliches sein Gegenteil aus sich ausschließen bzw. es ist in seinem Ausschließen auf dasselbe bezogen und setzt sich dadurch selbst als aufgehoben oder als ein Mögliches. Folglich besteht das Verhältnis des ausschließenden Wirklichen zu dem ausgeschlossenen Wirklichen darin, daß jenes sich zunächst als Gegenteil seiner selbst, als Möglichkeit, somit sich selbst als das Ausgeschlossene setzt, um dann seine Möglichkeit in diesem zur Wirklichkeit zu bestimmen und dadurch die Wirklichkeit dieses Entgegengesetzten selbst aufzuheben. Als solchermaßen Möglichkeit und Wirklichkeit beziehendes Wirkliches ist es wirkendes oder Ursache. Als Ursache hat das Wirkliche seine Möglichkeit folglich nicht so an sich selbst, daß es sein entgegengesetztes Wirkliches absolut aus sich ausschließt – damit wären die Wirklichen nur als relations-, weil möglichkeitslose Fürsichseiende gesetzt, es fände also ein Rückfall in die Gleichgültigkeit der vielen numerischen Eins statt. Vielmehr hat das Wirkliche als Ursache seine Möglichkeit an sich, indem es sein ausgeschlossenes
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entgegengesetztes Wirkliches als sein Wirkliches, d. h. als das von ihm Bewirkte setzt. Damit aber ist das Verhältnis der Wirklichen nicht dasjenige absolut Fürsichseiender, sondern das Bezogener, und zwar das kausal Bezogener. Dem Begriff des Kausalitätsverhältnisses, so wie Hegel ihn hier entfaltet, liegen, entgegen der üblichen verständigen Auffassung, Ursache und Wirkung insofern nicht als zwei absolut für sich seiende Substanzen zugrunde; es wäre in diesem Fall nicht deutlich, wie ein Verhältnis zwischen beiden Seiten überhaupt möglich sein könnte. Hegel bezieht sich mit dieser Überlegung explizit auf Hume und das von diesem erörterte Problem, wie der Anspruch der Notwendigkeit angesichts zweier absolut für sich seiender Substanzen, die als kausal verknüpft beschrieben werden, zu legitimieren sei.11 Die Konsequenz, die er selbst aus diesem Problem zieht, besteht darin, daß er das zur Ursache bestimmte Wirkliche als immanent auf seine entgegengesetzte Bestimmung als auf die Wirkung bezogen konzipiert – und damit, wie zu zeigen sein wird, das Kausalitätsprinzip selbst aufhebt. Da die immanente Beziehung entgegengesetzter Bestimmungen für den Begriff der wahrhaften Unendlichkeit überhaupt konstitutiv ist und die Seite des Aufhebens oder der Idealität dieser Immanenzbeziehung in der (Unendlichkeit als) Notwendigkeit realisiert wurde, stellt sich nun die Frage, inwiefern die Beziehung von Ursache und Wirkung sich von diesen vorhergegangenen Formen immanenter Beziehung unterscheidet. Die elementare Struktur der immanenten Beziehung einer Bestimmung auf ihre entgegengesetzte besteht, um es noch einmal zu vergegenwärtigen, darin, daß die eine Bestimmtheit auf die andere nicht als auf eine außerhalb ihrer Bestehende, sondern auf diese ihrem Wesen nach bezogen, somit Einheit ihrer und ihres Gegensatzes ist, wie Hegel dies auch explizit ausführt: Die wahrhaffte Unendlichkeit … ist nicht eine Reihe, die ihre Vervollständigung immer in einem andern aber diß andere immer ausser sich hat, sondern das andere ist an dem bestimmten selbst, es ist für sich absoluter Widerspruch und diß ist das wahre Wesen der Bestimmtheit, 11
Vgl. GW 7.49. – Es geht Hegel hier nicht etwa darum, Hume als Kritiker der Verstandesansicht des Fürsichseins kausal aufeinander bezogener Dinge ins Feld zu führen. Er will im Gegenteil darauf hinweisen, daß Hume gerade dadurch, daß er diese Verstandesansicht vertrat und konsequent zu Ende dachte, eine notwendige, d. h. immanente Beziehung zwischen Substanz der Ursache und Substanz der Wirkung bestreiten mußte.
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oder nicht daß ein Glied des Gegensatzes für sich ist, sondern daß es nur in seinem entgegengesetzten, oder daß nur der absolute Gegensatz ist …12 Diese Wesensstruktur jeder Bestimmtheit, ihr Sein in der entgegengesetzen Bestimmtheit zu haben, impliziert, wie ebenfalls schon ausgeführt, ihren relationalen Charakter. Bestimmtheiten aber, welche nicht mehr als fixe, von einem äußerlichen Denken zueinander in Relation gesetzte Relata, sondern selbst als Relationen gedacht, müssen sinnvollerweise auch als selbsttätig betrachtet werden. Denn ihr wesentliches Bezogensein stellt an ihnen selbst einen Verweis auf ihr Gegenteil dar. Auch dieser wesentliche Aspekt wurde schon herausgestellt durch die ausdrückliche Anmerkung, daß der Entfaltungsprozeß der wahrhaften Unendlichkeit bzw. ihrer Momente einen Prozeß der Selbstbewegung darstellt. Das Spezifikum des Verhältnisses von Ursache und Wirkung nun, das als Weiterentwicklung des Substanz-Akzidenz-Verhältnisses die zweite Phase dieses Entfaltungsprozesses markiert, kann also weder in der immanenten Relationalität der Bestimmtheiten noch in ihrem selbsttätigen Charakter gesucht werden. Bisher, d. h. in der Substanz als Notwendigkeit, konnte, wie gesehen, die eine Bestimmtheit ihre Wirklichkeit nicht gegen die Wirklichkeit ihrer anderen, entgegengesetzten Bestimmtheit erhalten. Wesenhaft auf ihr Gegenteil bezogen, wurde sie durch die Wirklichkeit desselben aufgehoben, d. h. als Möglichkeit gesetzt. So trat sie zwar aus sich heraus, bezog sich also selbsttätig auf ihr Anderes, konnte in diesem aber nicht als ein Fürsichsein bestehen. Erst durch die Entwicklung der Bestimmtheit zur Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit wurde sie fähig, sich als Wirkliches gegen ein anderes Wirkliches zu erhalten. Die entscheidende Frage ist nun, wie sich die Bestimmtheit zu dieser Einheit des Gegensatzes von Wirklichkeit und Möglichkeit konstituiert oder wie sie das Anderssein ihrer Möglichkeit aufhebt. Die Bedingung dafür ist in einer Weiterentwicklung des subjektiven Charakters der Bestimmtheiten, der bis jetzt erst in der Form der Selbsttätigkeit an ihnen hervortrat, zu suchen. Der Verlust des Fürsichseins oder Bestehens einer Bestimmtheit durch ihr Aufgehobenwerden in der entgegengesetzten Bestimmtheit, der bisher das Verhältnis ihrer Möglichkeit und Wirklichkeit charakterisierte, gründet darin, daß sie sich in diesem Aufgehobenwerden zwar, wie gese12
GW 7.33.
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hen, selbsttätig auf ihr Anderes, nicht aber gleichermaßen auch auf sich selbst bezieht. So kann sie aus ihrem Aufgehobensein nicht in sich selbst zurückkehren, d. h. sie kann als mögliche nicht durch sich selbst in ihr Wirklichsein übergehen. Mit der Entwicklung der wahrhaften Unendlichkeit vom Substanz-Akzidenz-Verhältnis zum Verhältnis von Ursache und Wirkung nun konstituiert sich eben diese Selbstbeziehung der Bestimmtheit als aufgehobener oder nur möglicher. Denn eine Bestimmtheit kann Ursache, also wirkend nur dann sein, wenn sie in der Beziehung auf ihr Entgegengesetztes nicht nur aufgehoben wird, sondern sich in diesem Möglich-, d. h. nur Potentiellsein zugleich auch zu sich selbst verhält. Dieses neue Moment von Subjektivität führt Hegel über den Begriff der Kraft ein, den er wesentlich an denjenigen der Ursache bindet: Kraft ist somit die Funktion, durch die eine Bestimmtheit ihre Möglichkeit zur Wirklichkeit bringt, indem sie sich aus ihrem Aufgehobensein in das Bestehen oder die Wirklichkeit ihres Gegenteils setzt. Durch den Begriff der Kraft ist folglich die Ursache als Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit bestimmt.13 Die Bestimmtheit als Ursache ist damit nicht mehr
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Den Begriff der Kraft diskutiert Hegel schon im Kontext seiner Habilitationsschrift Dissertatio philosophica de orbitis Planetarum (1801) in kritischer Auseinandersetzung mit Newton. Er betrachtet dessen Anspruch, die Kraft und andere für die Gravitationstheorie relevante physikalische Begiffe philosophisch hergeleitet zu haben, als gescheitert, insofern Newton die Natur nicht vernünftig, d. h. nicht vom Prinzip der absoluten, die Verschiedenheit in sich selbst setzenden, Identität her begreife. Infolgedessen fasse er dann einen Begriff wie Kraft als äußeren Impuls auf, durch den die Körper in ihrem Getrenntsein aufeinander wirken (GW 5.247,17–25). Gegen diesen verständigen setzt Hegel nun seinen immanenten Begriff von Kraft als der sich äußernden bzw. außer sich kommenden Ursache, kurz: als der Einheit von Wirken und Wirkung. Folgerichtig verbindet er den Begriff der Ursache mit demjenigen der Kraft, sobald er den Begriff der Kausalität nicht mehr ausschließlich als verständigen auffaßt, wie dies 1801/02 noch der Fall ist. Dies geht etwa aus den Vorlesungsnachschriften zur Logik von Ignaz Paul Vital Troxler (unter dem Titel Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik hrsg. u. interpretiert v. Klaus Düsing) hervor, in denen es heißt, daß »Wirkung und Ursache … zwei Verschiedenheiten [sind], die nie ineinander übergehen können, wenn sie unter dem Kausalitätsverhältnis gedacht werden.« Denn durch dieses »wird ein Einzelnes als Ursache gedacht und ein andres als Bewirktes.« (69) Und in dieser Äußerlichkeit des Kausalitätsverhältnisses spielt dann die Kraft naturgemäß auch keine Rolle. Erst als sich für Hegel 1804/05 durch die Kausalität wesentlich die Forderung der Immanenzbeziehung von Ursache und Wirkung ausspricht, wird der Begriff der Kraft für dieses Verhältnis konstitutiv. Nun ist natürlich nicht unmittelbar einsichtig, inwiefern innerhalb der Logik von 1804/05, die ja ihrerseits noch nicht als Metaphysik konzipiert ist, ein ausdrücklich über die Verstandesgrenzen hinausgehender Begriff thematisch werden kann. In Anbetracht des Umstandes aber, daß Kausalität
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Akzidenz, dessen Wirklichkeit in der Notwendigkeit des Substantialitätsverhältnisses aufgehoben wird, sondern sie ist nun selbst unendlich oder Substanz, d. h. sie ist selbst die Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit. Die immanente Beziehung der Bestimmtheiten, wie sie sich als Verhältnis von Ursache und Wirkung entfaltet, unterscheidet sich also dadurch von derjenigen Immanenzbeziehung, die Bestimmtheiten eignet, sobald sich ihr Verhältnis als Verhältnis der wahrhaften Unendlichkeit erweist, daß ihre Bewegung des Aufhebens nicht mehr nur die Beziehung der einen Bestimmtheit auf ihre Andere, sondern auch deren Beziehung auf sich selbst ist, m. a. W.: daß diese Bewegung ebensosehr das Bezogensein wie das Nichtbezogen-, also Getrenntsein der Bestimmtheiten darstellt. Durch diesen Doppelcharakter der Bestimmtheit, Möglichkeit und Wirklichkeit, Beziehen und Bestehen zu sein, d. h. durch die Substantiierung der vielen Bestimmtheiten expliziert Hegel den mit dem Kausalitätsprinzip sich verbindenden, von ihm schon diagnostizierten Widerspruch, eine notwendige Beziehung zweier getrennter, d. h. sich äußerlicher Substanzen zu setzen, und zeigt, wie in der Folge die wahrhafte Unendlichkeit als die absolute Immanenzbeziehung der Bestimmtheiten im Kausalitätsverhältnis sich nicht realisiert, sondern ihre Seiten des Beziehens und des Bestehens darin vielmehr (wieder) auseinanderfallen. Die Kraft als immanente Beziehung eines Möglichen auf sein entgegengesetztes Wirkliches ist einerseits die Einheit beider Momente, andererseits muß sie, um überhaupt verwirklichende Beziehung sein zu können, das erst nur Mögliche, Aufgehobene sein, dem das Wirkliche, in welchem sie ihr Aufgehobensein aufhebt, gegenübersteht. Infolgedessen müßte die Kraft das In-sich-Sein oder die Möglichkeit, welche ihr Außersichsein oder ihre Wirklichkeit wesentlich enthält, bzw. die Möglichkeit sein, die in ihrem Außersichsein in sich, sich selbst gleich ist. Sie müßte also die Identität der Getrennten als Unendlichkeit darstellen, doch stellt sie diese Identität nur als einfache Identität, d. h. einseitig nur als Beziehung der Entgegengesetzten, nicht aber auch als Nichtbeziehung derselben dar. Das Bestehen der Entgegengesetzten liegt somit außerhalb der Kraft, so und Kraft innerhalb des verhältnislogischen Prozesses erörtert werden, welcher explizit nicht mehr von der Äußerlichkeit des Verstandesdenkens bestimmt ist, legt es sich nahe, diesen Prozeß als ersten Ausdruck des vernünftigen Denkens und damit als eigentlich schon zur Metaphysik gehörig zu verstehen. Diese systematische Inkonsistenz, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem schon angesprochenen Problem des undurchsichtigen verhältnislogischen Status »unserer Reflexion« steht, könnte einen Grund für die spätere Modifikation der Logik zur Metaphysik ausmachen.
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daß diese in ihrer Möglichkeit fixiert wird und als einem ihr fremden Bestehen inhärierend betrachtet werden muß. Dieses Auseinanderfallen des durch Kraft bedingten kausalen Ablaufs auf der einen und eines Trägers, dem dieser kausale Ablauf inhäriert, auf der anderen Seite, genauer: die Auflösung der Ursache als Einheit des Beziehens und Bestehens versucht Hegel an Beispielen zu konkretisieren. Das Wasser etwa ist seiner Bestimmung nach wesentlich naß, es trägt jedoch nicht die Notwendigkeit in sich, seine Nässe wirkend auf ein anderes Ding zu übertragen. Wenn es regnet, ist damit zwar notwendig der Vorgang des Nässens verbunden, doch ist Regen nicht die notwendige Erscheinungsweise des Wassers. Demnach ist eine Bestimmtheit, insofern sie Ursache ist, wesentlich auch Kraft, also notwendig auf ihr Entgegengesetztes bezogen; aber es liegt nicht notwendig in ihr, daß sie überhaupt Ursache ist. Umgekehrt stellt die Kraft das Beziehen auf Anderes schlechthin dar, sie impliziert somit nicht das Bestehen der Bestimmtheiten, das in ihr vielmehr aufgehoben ist. Beispielhaft führt Hegel hier die Anziehungs-, Magnet-, Verwandtschafts- und die elektrische Kraft an. Diese Phänomene stellen Beziehungsvorgänge dar, die das gängige Verständnis spaltet in die als reine Möglichkeit fixierte Kraft einerseits und deren Wirklichkeit in Form zweier Bestehender, an denen sie sich äußert, andererseits. Insofern werden Anziehung, Magnetismus etc. als reine Beziehung zweier Entgegengesetzter begriffen, der diese Entgegengesetzten als Getrennte oder Bestehende äußerlich sind. Dieses Verständnis hat seinen Grund darin, daß sich die genannten Beziehungsphänomene jeweils an einzelnen Körpern zeigen und auf diese vereinzelten Erscheinungsweisen beschränkt werden. So sind etwa der Stein, der zu Boden fällt oder die Reibung einer Glasplatte jeweils »isolirte Darstellungen« der Anziehung bzw. der Elektrizität und diesen als solche zufällig. Es gibt mannigfaltige andere einzelne Erscheinungsformen, die ebenso zufällig, d. h. deren Wirklichkeit der Anziehung, Elektrizität etc. ebenso äußerlich ist. Die Untrennbarkeit von Möglichkeit und Wirklichkeit kann es in der vereinzelten, also einfachen Beziehung nicht geben; sie konstituiert sich nur im Verhältnis oder der unendlichen Beziehung. Die Mannigfaltigkeit von Äußerungen der genannten Beziehungsphänomene ist denn in Wahrheit auch nichts anderes »als die Vielheit der Momente [ihres] Verhältnisses selbst«, also nichts anderes als die Gesamtheit ihrer Darstellungen oder Äußerungen, und als solche nicht vereinzelt aufgefaßte gehören die Äußerungen wesentlich zu ihren Beziehungsphänomenen, die somit in diesen Äußerungen sich selbst gleich bleiben, in ihrer
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Möglichkeit immer schon wirklich sind oder mit Hegels Worten: »… die Vielheit, welche in der Aüsserung gesetzt ist, ist in der als nicht sich aüssernd gesetzten Krafft dieselbe.«14 Anziehung, Magnetismus, Elektrizität, Verwandtschaft sind in Wahrheit also nicht einfache, sondern unendliche Beziehungen oder Verhältnisse und damit nicht beschränkt auf eine Darstellungs- bzw. Äußerungsform, sondern Einheit der Vielheit ihrer Äußerungen. Aber auch als Verhältnis sind sie nicht vereinzelt, sondern stehen untereinander und zu anderen Verhältnissen ebenfalls im Verhältnis, so daß sie bestimmte Verhältnisse sind, d. h. jeweils Momente innerhalb der wahrhaften Unendlichkeit als dem »System der Verhältnisse«. Hegel charakterisiert den vorgeführten Unterschied zwischen der in das verständige, trennende Denken zurückfallenden Auffassung der genannten Phänomene, wie sie für das Kausalitätsprinzip bestimmend ist, und ihrem unendlichen Erkennen näher dadurch, daß der mit dem Begriff der Kraft verbundene Anspruch, die unendliche Beziehung oder das Verhältnis zu realisieren,15 sich als Schein erweist: Denn durch diesen Begriff wird das Verhältnis, welches Anziehung, Elektrizität, Magnetismus etc., wie gesehen, eigentlich ja darstellen, gewissermaßen verdinglicht, so daß es selbst zu einem Relatum, zu einem Bestehenden gemacht wird, das den einzelnen Körpern in einer auch für das wissenschaftliche Begreifen nicht deutlichen Weise zukommt bzw. zukommen soll. Der Struktur des Verhältnisses widerspricht der Begriff der Kraft also geradezu: Es folgt hieraus, daß es für das Erkennen, welches an sich unendlich, nur auf das unendliche, und das nothwendige geht, keine Krafft gibt, 14
GW 7.54. Johannes Heinrichs erkennt sehr genau den Unterschied eines verständigen und eines unendlichen Sinns von Kraft, den Hegel hier macht. Er sieht darin jedoch eine Doppelbedeutung des Begriffs der Kraft zum Ausdruck gebracht, nicht die allmähliche Aufdeckung des unendlichen Sinnes als eines mit der Kraft verbundenen nicht realisierten Postulats. (Johannes Heinrichs Die Logik der »Phänomenologie des Geistes«. 179 f., Fußn. 113) Diese Interpretation bedeutet allerdings, daß Hegel seinen in der Habilitationsschrift konzipierten immanenten Begriff von Kraft hier nicht zu realisieren vermag. Kraft als ein Sich-Äußern, d. h. als Einheit von Innerem und Äußerem wird erst im Kontext der späteren Logik des Wesens realisiert. Dort aber wird das Verhältnis von Innerem und Äußerem weder mit der Beziehung von Möglichkeit und Wirklichkeit noch mit derjenigen von Ursache und Wirkung identifiziert. Vielmehr begründet die Einheit von Innerem und Äußerem als das sich äußernde oder sich offenbarende Wesen die Wirklichkeit, welche als solche Totalität ist. Und erst die Wirklichkeit ist – als eigentliche Wirklichkeit – konstitutiv für die Möglichkeit sowie – sich weiter entfaltend zum absoluten Verhältniß – für die Kausalität. 15
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daß es nicht die bewegende, beschleunigende Krafft, sondern die Bewegung, Beschleunigung u. s. w. nicht die magnetische, elektrische u. s. w. Krafft, sondern den Magnetismus, Elektricität u. s. w. betrachtet … wenn die elektrische, magnetische … Krafft u. s. w. nichts als reine Identitäten … sind; so bezeichnen diese Nahmen doch diese Bestimmtheit der elektrischen, der magnetischen Beziehung.16 Durch dieses mit dem Begriff der Kraft verknüpfte Verständnis der reinen oder einfachen Identität Entgegengesetzter fällt also die Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit, zu der sich die einzelnen Bestimmtheiten entwickelt hatten, wieder auseinander: Indem die Bestimmtheit als Ursache, d. h. als Möglichkeit oder Aufgehobensein sich auf ihr entgegengesetztes Wirkliches bezieht, wird sie Substanz und schließt in diesem durch Selbstbeziehung bedingten Akt die andere Substanz aus. Da dieser Beziehungsakt aber darin besteht, die eigene Bestimmtheit in die Wirklichkeit der anderen Substanz zu setzen, bezieht die ausschließende Substanz sich zugleich nicht ausschließend auf die andere, bezieht sich also durch die Beziehung auf die andere auf sich selbst, so daß sie das Ausschließen selbst, d. h. das Fürsichsein ihrer und ihres Gegenteils aufhebt.
d) Übergang in die Wechselwirkung oder der Weg in die Paralyse der Unendlichkeit, d. i. der Selbstbewegung ihrer Momente So entwickelt sich das Verhältnis innerhalb der Kausalität zu »schlechthin nur … diesem Aufgehobenseyn, oder [zum] Product«,17 d. h. das Verhältnis ist nun einfache Beziehung, welcher der Unterschied äußerlich ist. Bestand also das Verhältnis von Möglichkeit und Wirklichkeit in der Notwendigkeit des Substanz-Akzidenz-Verhältnisses in der Ungleichheit des Setzens der einen Bestimmtheit (als wirklicher) und des Nichtseztens ihrer anderen (als möglicher), folglich in einer Kontinuität des Aufhebens der Bestehenden, so wird durch das Kausalitätsverhältnis die Substantiierung der Bestimmtheiten, d. h. die Gleichheit des Setzens beider (als wirklicher) vollzogen, doch erweist sich diese Gleichheit als Unterschiedslosigkeit der Bestimmtheiten, insofern sie nicht verschiedene Wirkliche, sondern ihre Wirklichkeit ein- und dieselbe ist, in der sie folg-
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GW 7.60. GW 7.64.
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lich aufhören, entgegengesetzt zu sein.18 Es besteht insofern nur das Aufgehobensein der getrennten oder für sich seienden Bestimmtheiten, so »daß die Kontinuität [der Bewegung der Unendlichkeit] ganz unterbrochen ist«.19 Im Verhältnis von Ursache und Wirkung realisiert sich, wie durch das Kausalitätsprinzip eigentlich gefordert, die wahrhafte Unendlichkeit somit nicht als Bestehen bzw. Unterschied der Bestimmtheiten, kurz: sie realisiert sich nicht als System von unendlichen Beziehungen oder Relation von Relationen; sie wird im Gegenteil einfache Beziehung, d. i. Aufhebung der Kausalität, aber nicht als ein Zurückkehren in die Kontinuität des Aufhebens, sondern als ein Sich Fixieren im unbewegten Produkt des Aufgehobenseins der getrennten Bestimmtheiten. Indem in diesem Produkt die Bewegung fixiert oder, wie Hegel es nennt, »paralysirt« ist,20 ist ebenso die Einseitigkeit der Richtung dieser Bewegung von der Ursache auf die Wirkung aufgehoben: Insofern die ursächliche oder mögliche Bestimmtheit sich in die Wirklichkeit ihres Gegenteils setzt und in dieser Beziehung-auf-Anderes Beziehung auf sich selbst ist, hebt sie nicht nur ihre gegenteilige Bestimmtheit, sondern, indem diese Bedingung ihres Beziehens ist, auch sich, und d. h. die von ihr ausgehende tätige Bewegung selbst auf. Die Richtung ihrer Bewegung des Aufhebens wird also gleichsam von ihrer entgegengesetzten Bestimmtheit auf sie selbst umgebogen, so daß ebenso diese andere Bestimmtheit als tätige zu betrachten wäre, könnte hier überhaupt noch von Tätigkeit gesprochen werden. … aber die gedoppelte Thätigkeit ist nichts als der Ausdruck davon, daß auf gleiche Weise jede der beyden Bestimmtheiten aufgehoben werden … denn die Thätigkeit ist schlechthin nur die Beziehung der Bestimmtheit auf die entgegengesetzte Bestimmtheit; und nur diß entgegengesetztseyn, und die Negation, die Idealität des Gegensatzes an sich selbst ist die Thätigkeit; also ist keine auf etwas anderes thätig, das
18
Die Reflexion, daß es sich sowohl bei der Bestimmtheit, welche Ursache, als auch bei der Bestimmtheit, welche Wirkung ist, um eine, unterschiedslose Wirklichkeit handelt, spricht Hegel gleich zu Beginn des Kausalitätskapitels aus, doch nennt er sie hier naturgemäß noch »eine Reflexion, die nicht an ihnen [sc. den beiden wirklichen Bestimmtheiten] selbst gesetzt ist«. Auch hier bezieht er sich also auf eine bestimmungsexterne Reflexion, in bezug auf die wiederum nicht deutlich ist, inwiefern sie konstitutiv für den ausgeführten dialektischen Prozeß des Kausalitätsverhältnisses sein sollte. 19 GW 7.64. 20 GW 7.67.
108
7. kapitel
ihr nicht entgegengesetzt, oder das nicht die Thätigkeit selbst der andern wäre; d. h. es ist nur Eine Thätigkeit, oder was dasselbe ist nur ein Product …21 Die einfache, gegensatzlose Beziehung also, in der sich die Unendlichkeit am Ende der dialektischen Bewegung des Kausalverhältnisses fixiert oder paralysiert, ist eine von der Negation abstrahierte und somit isoliert von ihrem Anderen, dem Nichtbezogen- oder Getrenntsein der Bestimmtheiten. In dieser Isolation aber ist sie reines, auf sich gerichtetes Fürsichsein und unterscheidet sich darin nicht vom Fürsichsein der getrennten Bestimmtheiten. Zwei fürsichseiende, getrennte Bestimmtheiten sind als diese Getrennten, Bezuglosen jedoch nicht mehr unterscheidbar: Die eine ist ebenso isoliertes Fürsichsein wie die andere, und beide fallen damit in eine Bestimmtheit zusammen. So aber erweist sich das Getrenntoder Nichtbezogensein der Bestimmtheiten vielmehr als deren Aufgehobensein, d. h. als dasselbe eine, einfache Produkt wie die von ihm ausgeschlossene Beziehung. Als einfaches Produkt aber stellt es wiederum ein Fürsichsein dar, welches isoliert dem Nicht-Einfachen oder Getrenntsein gegenübersteht, welches sich seinerseits auch wieder als einfaches Produkt erweist u. s. w. ins Unendliche. Die einfache Beziehung als Produkt des Kausalitätsverhältnisses stellt somit den Rückfall in den unendlichen Progreß oder die schlechte Unendlichkeit dar. Diese verläuft aber nicht mehr in der Sphäre der Grenze, die immerhin noch ein Unterscheiden von Beziehung und Nichtbeziehung erzeugt, wenn auch ein äußerliches Unterscheiden in Form des unaufhörlichen Setzens und Aufhebens der Grenze. Im Produkt des Kausalitätsverhältnisses hingegen ist die Prozessualität oder das Kontinuum der Bestimmtheiten selbst unterbrochen, insofern die Entgegensetzung oder die Beziehung auf ein Anderes schlechthin, d. h. auch die Beziehung auf ein äußerliches Anderes, aufgehoben wird. Somit ist eine schlecht unendliche Vielheit absolut auf sich selbst bezogener Fürsichseiender entstanden, also ein quantitatives Verhältnis, das wahrhaft kein Verhältnis ist, sondern ein gegenseitiges Aufheben, d. i.Neutralisieren der Bestimmtheiten. Dadurch aber geht das Kausalitätsverhältnis in die Wechselwirkung über, die »statt die wahrhaffte Bewegung [der Bestimmtheiten], das gegenseitige Seyn einer jeden in der andern hervorzubringen, … sie vielmehr in die Ruhe des Gleichgewichts [setzt] …«22 21 22
GW 7.68. Ebd.
Das Verhältnis des Seins
109
Auf diese Weise stellt sich derselbe Raum, dieselbe trennende oder leere, weil nur gemeinschaftliche Einheit des Seins wieder her, welche die sich konstituierende wahrhafte Unendlichkeit unmittelbar ausdrückte, insofern sie als absolute Immanenz zunächst einseitig die Identität gegen die Entgegensetzung der Qualitäten darstellte. Diese Einseitigkeit löste sich jedoch sogleich wieder auf, insofern die Qualitäten sich im Verlauf des dialektischen Prozesses der Logik der einfachen Beziehung als solche erwiesen hatten, deren Sein nur im Aufgehobensein der Anderen besteht, die also wesentlich Sein-für-Anderes oder sich aufhebende sind. Als solche in ihrem Sein Bedingte entwickelten sie sich zur Möglichkeit, die als potentielles Sein, d. h. als Verhältnis von Aufgehobensein und Sein, sich spaltete und den Wechselprozeß von Möglichkeit und Wirklichkeit generierte. Auch in der Wechselwirkung sind die Bestimmtheiten aufgehobene oder mögliche, doch sind sie nun als solche, d. h. in der Beziehung auf Anderes fixiert oder genauer: sie haben das Andere oder die Nicht-Beziehung und damit den Unterschied an sich selbst aufgehoben, so daß jede gleichermaßen das einfache Beziehen darstellt, ihr Verhältnis oder besser: Nicht-Verhältnis somit in ihrer Indifferenz gegeneinander besteht. Aber auch diese Indifferenz als Resultat der unterbrochenen Bewegung der wahrhaften Unendlichkeit stellt die Unbestimmtheit nicht absolut, d. h. nicht als ein endgültiges Übergegangensein in die Sphäre des Quantitativen dar. Denn die einzelnen Bestimmtheiten weisen im Aufgehobenoder nur Möglichsein ihres Getrenntseins oder Bestehens die charakteristische über sich hinaus weisende Struktur des potentiellen Seins auf: Sie sind zwar abstrahiert von ihrer Wirklichkeit oder ihrem Getrenntsein, aber sie sind nicht nichts, sondern sie sind als diese Nicht-Getrennten, Aufgehobenen oder als einfache Beziehung. Und als solche verweisen sie auf ihre Entgegensetzung, also auf die Ungleichheit oder die Tätigkeit, als vergehende oder mögliche das Entstehen oder die Wirklichkeit der anderen und umgekehrt zu setzen. Insofern sie aber als einfache Beziehung fixiert, d. h. als Aufgehobensein gesetzt sind, oder genauer: weil sie ihr Bestehen selbst aufgehoben, also sich gegen ihre eigene Wirklichkeit als Möglichkeit gesetzt haben, liegt diese Wirklichkeit oder ihr Getrenntsein nur als ein Postulat in ihnen. Die Bestimmtheiten sind demnach nicht mehr entweder nur das Mögliche gegen das entgegengesetzte Wirkliche oder das Wirkliche gegen das entgegengesetzte Mögliche, sondern sie sind die Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit, aber eine Einheit, in der die Wirklichkeit aufgehoben ist. M. a. W.: Die Bestimmtheiten sind
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7. kapitel
das Tätige, das seine Tätigkeit aufhebt bzw. die Substanz, die in ihrem Entstehen, also dadurch, daß sie in die Wirklichkeit tritt, vergeht. Somit ist die wahrhafte Unendlichkeit nicht mehr Substanz als das Übergehen, d. h. das permanente Setzen und Aufheben der Bestehenden, sondern Substanz als Einheit der entgegengesetzten Bestimmtheiten, die in ihrer Entgegensetzung jedoch als aufgehoben gesetzt sind, oder Substanz der aufgehobenen Substanzen. »Das Verhältniß hat [damit] seinen Begriff erfüllt, es ist nicht aus sich herausgetreten …«,23 aber der erfüllte Begriff des Verhältnisses, die Identität als Identität der Entgegengesetzten, ist das Verborgene oder: diese Identität besteht erst als Indifferenz der Differenten, d. i. als »das Bezogenseyn der ideellen«.24 Auf diese Weise geht das Verhältnis der Bestimmtheiten als der Entgegengesetzten, d. h. als der ungleich sich setzenden und aufhebenden, kurz: das Verhältnis des Seins über in die Idealität oder das Verhältnis des Denkens, d. i. das Verhältnis des Allgemeinen und Besonderen.
23
GW 7.75. Ebd. – Der Umstand, daß Hegel hier die Indifferenz oder die leere Einheit der Bestimmtheiten als deren Idealität versteht, welche das Prinzip des Verhältnisses des Denkens ausmacht, zeigt nun deutlich, daß er sich von Schellings Konzeption der Indifferenz distanziert, die ja, wie gesehen, nicht das Aufgehobensein, sondern die Abwesenheit jedes Unterschieds (im Absoluten) bedeutet. Zwar charakterisiert Hegel die Verhältnisstruktur am Ende des Prozesses des Verhältnisses des Seins auch als Sichselbstgleichheit oder reinen Selbstbezug, doch versteht er diese Sichselbstgleichheit, wie gesagt, nicht als Unterschiedslosigkeit, sondern als Einheit der aufgehobenen Unterschiedenen, die Produkt der in der Wechselwirkung nur paralysierten, nicht beendeten Bewegung der Unendlichkeit ist. Hegel macht damit an dieser Stelle deutlich, daß der Erkenntnisprozeß des Absoluten ohne begrifflich differenzierende Operationen nicht möglich ist. 24
exkurs Die Verhältnislogiken als Prinzipientheorie der Naturphilosophie Nicht unwichtig ist eine zunächst schwer einzuordnende Äußerung, die Hegel eher beiläufig zur näheren Charakterisierung dieser in der Wechselwirkung aufgehobenen Entgegensetzung bzw. Wirklichkeit einfließen läßt: … die ausschliessende Wirklichkeit, ist selbst so eine nur gefoderte Wirklichkeit, sie ist nur als eine entstehende, sich auf ihr Nichtgewesenseyn beziehend, d. h. ohne Zeit [Hervorhebung d. Verf.] …1 Die ausdrückliche Erwähnung der Außerzeitlichkeit der aufgehobenen entgegengesetzten Bestimmtheiten legt unmittelbar die Vermutung nahe, daß Hegel die bis zu diesem Punkt verlaufene Entwicklung in irgendeiner Weise an die Zeitlichkeit gebunden sieht. Das aber erscheint sowohl bezüglich der Logik der einfachen Beziehung als der Wissenschaft der sich aufhebenden Endlichkeit des Verstandesdenkens als auch bezüglich der Verhältnislogik des Seins als des ersten Teils der Wissenschaft der wahrhaften Unendlichkeit oder des immanenten Denkprozesses wenig plausibel. Darüber hinaus wird durch eine Aussage im Kontext der Naturphilosophie deutlich, an welchem systematischen Ort die Zeit relevant wird. »Die Momente«, so führt Hegel aus, »des unmittelbar als wahrhafft unendlich sich aufschliessenden Äthers [oder der absoluten Materie], sind Raum und Zeit …«2 In Logik und Metaphysik kann also kein Platz für Erörterungen über Zeit bzw. über das Verhältnis von Zeit und Raum sein. Gleichwohl läßt sich anhand dieser Erörterungen innerhalb der Naturphilosophie rückblickend erschließen, warum Hegel die aufgehobene Entgegensetzung oder Wirklichkeit der Bestimmtheiten als außerzeitlich und damit indirekt das vorangegangene Kontinuum des Setzens und Aufhebens der Bestimmtheiten als auf die Zeit bezogen charakterisiert. 1 2
GW 7.72. GW 7.192.
112
exkurs
Zunächst aber ist genauer die Struktur der Einheit oder des Bezogenseins der aufgehobenen bzw. ideell Differenten, die in einem Widerspruch besteht, zu betrachten: Einerseits ist die Entgegensetzung, d. h. das Bestehen der Bestimmtheiten aufgehoben, zugleich aber bestehen die Bestimmtheiten als aufgehobene, haben ihr Fürsichsein in ihrem Aufgehobensein; kurz: sie sind bestehend als nicht-bestehend oder seiend als nichtseiend. Als diese »Identität des Nichtseyns und Seyns«3 sind sie nicht mehr negativ gegeneinander, sondern negativ in sich oder besser gegen sich selbst, d. h. sie sind »in diesem das Gegenteil ihrer selbst Gewordensein auf sich selbst bezogen«,4 in ihrem sich selbst Ungleichsein sich selbst gleich, negative Einheit als positive Einheit. Der Selbstbezug der Bestimmtheiten ist also nicht mehr ihr reines Fürsichsein als auf das Andere gerichtete Negation, sondern ihr Fürsichsein als auf sich selbst gerichtete Negation, d. i. Einheit ihrer und ihres Aufgehobenseins. War das Sein der Bestimmtheiten als wesentlich bezogener oder bedingter innerhalb des Verhältnisses des Seins von ihrem Aufgehobensein unterschieden, so besteht hier innerhalb des Verhältnisses des Denkens ihr Sein in ihrem Aufgehobensein, d. h. sie sind in ihrem Wesen, nämlich in ihrem Bedingt- oder Aufgehobensein, in ihrer Möglichkeit, gesetzt oder: sie sind erstmals. Diese Sichselbstgleichheit, dieses den Prozeß der Unendlichkeit paralysierende Insichsein der Bestimmtheit, die als solches Insichsein nicht mehr bestimmtes Sein, sondern bestimmter Begriff, unmittelbare Einheit des Allgemeinen (positive Einheit) und Besonderen (negative Einheit) ist, bringt Hegel im Kontext der Naturphilosophie mit dem Raum in Verbindung, so wie er die der indifferenten Sichselbstgleichheit vorangegangene Prozessualität der Unendlichkeit als Struktur der Zeit versteht. Den zeitlichen Prozeß stellt er als Dialektik von Gegenwart (Jetzt), Zukunft (Einst) und Vergangenheit (Ehmals) dar, die sich als analog zur Dialektik der Kausalität und ihres Übergangs in die paralysierte Tätigkeit der Wechselwirkung erweist: Die Momente der Unendlichkeit des Zeitprozesses stellen jeweils »das absolute dieses der Zeit«, d. i. das die folgenden anderen Momente aus sich ausschließende Jetzt dar, welches aber gerade dadurch, daß es ausschließend ist, sich auf das andere, gegenteilige Moment bezieht. So negiert sich das Jetzt oder die Gegenwart und
3 4
GW 7.76. Ebd.
Die Verhältnislogiken
113
wird das Gegenteil seiner selbst, Zukunft, in welcher es aufgehoben ist. Die Zukunft jedoch, insofern die Gegenwart, das Jetzt, in ihr aufgehoben ist, wird ihrerseits zum Gegenteil ihrer selbst, zu einer neuen Gegenwart. Ebenso wie im Verhältnis von Ursache und Wirkung also zieht im Verhältnis von Gegenwart und Zukunft das Aufheben des einen Moments auch das Aufheben des anderen nach sich: Durch das Sich-Aufheben der Gegenwart in die Zukunft wird auch die Zukunft als Zukunft aufgehoben. Beide Momente sind demnach gleichermaßen aufgehoben, so daß sich »die Differenz beyder reducirt [… in ein erneutes Jetzt, d. i.] in die Ruhe der Ve rg an g e n h e it .«5 Die Vergangenheit als das Nichtsein oder der aufgehobene Gegensatz von Gegenwart und Zukunft entspricht somit der reinen Beziehung, in welcher der Gegensatz der im Verhältnis von Ursache und Wirkung zueinander stehenden Bestimmtheiten, d. h. das Negative, aufgehoben ist. In dieser Isolation von der Nichtbeziehung oder dem Bestehen der Bestimmtheiten war die reine Beziehung reines Fürsichsein. Ebenso ist die Vergangenheit isoliert vom Bestehen der Gegenwart und der Zukunft, reine Beziehung oder einfaches Produkt, in dem die Prozessualität des Zeitablaufs fixiert ist. Und ebenso wie die aus dem Produkt des Kausalitätsprozesses, der reinen, einfachen Beziehung, ausgeschlossenen getrennten Bestimmtheiten in ihrer Beziehungslosigkeit jeweils ununterscheidbare und damit in Eins zusammenfallende Fürsichseiende waren, in dem seinerseits wiederum das Getrenntsein der Bestimmtheiten isoliert und damit eine schlecht unendliche Vielheit fürsichseiender Bestimmtheiten produziert wurde, so sind auch die für sich seienden, getrennten Gegenwart und Zukunft in ihrer Beziehungslosigkeit zwei ununterscheidbare Jetzt-Punkte, die als solche in den einen Jetzt-Punkt der Vergangenheit zusammenfallen, der seinerseits wieder den Gegensatz von Gegenwart und Zukunft aus sich ausschließt u. s. w. in eine schlecht unendliche Aneinanderreihung von gegeneinander gleichgültigen Jetzt-Punkten, die sich ebenso neutralisieren wie die unendliche Vielheit gleichgültiger Bestimmtheiten in der Wechselwirkung. Doch so wie sich erwies, daß diese rein quantitative, weil indifferente Einheit, d. i. das bloße Auch der Bestimmtheiten nicht ihren getilgten, sondern ihren aufgehobenen, und zwar als aufgehoben gesetzten Gegensatz ausmacht, so ist ebenso »die unendlichhaüffige Wiederholung« der gleichen Gegenwartsmomente, »welche Gleichheit nicht an diesem wiederhohlten, son-
5
GW 7.194 f.
114
exkurs
dern ausser ihm ist«,6 in Wahrheit die in sich zurückgenommene Zeit, in welcher der aufgehobene Gegensatz der Momente Gegenwart und Zukunft als solcher gesetzt ist. Denn in der Vergangenheit hören Gegenwart und Zukunft auf, Momente des kontinuierlichen Sich-Negierens zu sein, und sind vielmehr selbst jeweils die Einheit ihrer und ihres Gegenteils, in welcher aber der Gegensatz beider Seiten aufgehoben ist, und zwar aufgehoben in einem neuen Gegenwartspunkt. Die Vergangenheit stellt somit den Widerspruch dar, einerseits der »ganze Kreislauf« der Zeit, andererseits selbst nur Moment dieses Kreislaufes zu sein. D. h.: Sie ist zum einen das Aufgehobensein oder die Einheit der Momente Gegenwart und Zukunft, zum anderen aber ist sie dieses Aufgehobensein als eine neue Gegenwart und somit wieder nur Moment des Prozesses von Gegenwart und Zukunft. Dieses Moment aber, der neue Gegenwartsoder Jetztpunkt, ist kein fürsichseiendes Drittes gegen den Gegensatz der (ersten) Gegenwart und Zukunft, sondern die Einheit bzw. Totalität beider, in welcher ihr Gegensatz als aufgehoben gesetzt ist. Indem also die Vergangenheit aus dem Sich-Negieren von Gegenwart und Zukunft als ein neues Moment der Gegenwart hervorgeht, in welchem aber zugleich der vollständige Zeitkreislauf enthalten ist, hebt sie sich als Moment unmittelbar auch wieder auf. D. h. als Vergangenheit besteht die Zeit nicht mehr in der negativen Beziehung zwischen den Momenten Gegenwart und Zukunft, sondern sie richtet ihre negative Tätigkeit gegen das Übergehen des einen Moments in das andere schlechthin. Durch diese Reflexion der Zeit in sich wird sie »zur sichselbstgleichen Totalität, welche sich als Bewegung in sich … aufhebt«, ist dadurch die »paralysirte Unruhe des absoluten Begriffes«7 und so ins Gegenteil ihrer selbst, den Raum, übergegangen. Der Raum ist also die Bestimmtheit des Sichselbstgleichen gegen die Zeit als der Bestimmtheit des unendlichen Kontinuums des Übergehens. Diese oben schon erwähnte Entsprechung des Raums und der Sichselbstgleichheit oder Allgemeinheit geht nun nicht nur aus dem Kontext der Naturphilosophie hervor, sondern wird auch innerhalb der Logik ausgesprochen. Im ersten Kapitel des Verhältniss[es] des Denkens nennt Hegel die Allgemeinheit, welche als »einfache beruhigte Unendlichkeit« das Sein oder Existieren der Bestimmtheiten darstellt, den »allge-
6 7
GW 7.196. GW 7.197.
Die Verhältnislogiken
115
meinen Raum«, in dem die zur Besonderheit entfalteten Bestimmtheiten sind.8 Mit dieser Bezeichnung bezieht er sich auf den Anfang des Verhältniss[es] des Seyns, also auf den Anfang der Selbstentfaltung der wahrhaften Unendlichkeit, deren absolute Immanenz sich unmittelbar einseitig als Identität gegen die Entgegensetzung der Qualitäten darstellte; und eben diese reine, vom Gegensatz abstrahierte Identität, die als solche rein positive Einheit oder nur Gemeinschaftlichkeit ist, bezeichnet Hegel ebenfalls als den Raum der Qualitäten, in dem diese »gleichgültig gegeneinander, und aussereinander« sind.9 Diese reine Identität weist in ihrer Einseitigkeit also dieselbe Fixierung auf wie die beruhigte Unendlichkeit oder Allgemeinheit, nur daß in jener als dem unmittelbaren Ausdruck der wahrhaften Unendlichkeit vom Gegensatz, welcher schon als den Bestimmtheiten immanent erwiesen ist, abstrahiert wird, während in der Allgemeinheit der Gegensatz in sich reflektiert und damit als aufgehoben gesetzt ist. Die Verhältnislogik des Seins stellt demnach den Verlauf von der abstrakten Identität über das Kontinuum des ungleichen Setzens von Beziehung (Identität) und Nichtbeziehung (Gegensatz) zur Identität des als aufgehoben gesetzten Gegensatzes dar, welche das Prinzip der Verhältnislogik des Denkens ist. Diesem Verlauf entspricht innerhalb der Naturphilosophie der Entfaltungsprozeß von Raum und Zeit als der Momente des Äthers oder der absoluten Materie, der wie folgt verläuft: Der Äther als diese absolute Einheit des sichselbstgleichen und des unendlichen ist die Einheit beyder als Momente, als … sichselbstaufhebender, und in sich zurükgekehrter … und es ist nur diese Einheit dieser Reflexion des Ganzen, daß aus Raum Zeit, aus Zeit Raum wird, unmittelbar indem es das eine und das andere ist, unmittelbar auch das Gegentheil des einen so wie des andern.10 Wenn Hegel also Raum und Zeit – jenen explizit, diese implizit – schon in den Kontext des verhältnislogischen Dialektikprozesses stellt, so liegt dies in dem Prinzipiencharakter begründet, welcher dieser Dialektik in bezug auf die raum-zeitlichen Prozesse der Materie als der Einheit des
8 9 10
S. GW 7.78. GW 7.39. GW 7.193.
116
exkurs
Sichselbstgleichen und des Unendlichen11 zukommt und den er hier ganz offensichtlich herausstellen will.12
11
Hermann Schmitz weist darauf hin, daß Hegel diese Einheitsstruktur in seiner Theorie des Äthers bzw. der absoluten Materie zunächst nicht geltend macht, sondern zu Beginn seiner Ausführungen den Äther im Gegenteil auf das Moment der Sichselbstgleichheit einschränkt. Erst im Verlauf der näheren Erörterung dieses Moments geht Hegel schließlich dazu über, den Äther als Einheit des Sichselbstgleichen und des Unendlichen zu begreifen (s. GW 7.188-190; u. Hermann Schmitz Hegels Logik. 189 u. 212). Insofern würde sich auch die Frage stellen, wie der Raum und insbesondere die Zeit, die Hegel am Anfang seiner Äthertheorie beide nicht erwähnt, zu diesem zunächst restringierten Materieverständnis in Beziehung gesetzt sein könnten. 12 Diese Prinzipienfunktion spricht auch Heinz Kimmerle in seinem Buch Georg Wilhelm Friedrich Hegel interkulturell gelesen an: »In der weiteren Ableitung wird gezeigt, daß der Äther als die ›absolute Ruhe‹ seiner Sichselbstgleichheit, zugleich auch ›absolute Unruhe‹ ist, indem er ebenso ist wie auch nicht ist. In der Einheit dieses Gegensatzes zeigt sich die Unendlichkeit des Äthers, in sich ›absolut Anders‹, sichselbstgleich und das Entgegengesetzte zu sein. Auf diese Weise sind in der Struktur des Äthers die Begriffe der Zeit, des Raumes und der Einheit beider in der Bewegung mit Hilfe logischer Bestimmungen vorgezeichnet.« (56 f)
8. kapitel Das Verhältnis des Denkens a) Der bestimmte Begriff oder die unmittelbare Verbindung von Sein und Denken Das Charakteristikum der Einheit der als aufgehoben oder ideell gesetzten differenten Bestimmtheiten besteht, wie schon dargelegt, in der Ununterschiedenheit ihres Seins und Aufgehobenseins. Das kontinuierliche ungleiche Setzen des Beziehens bzw. Aufhebens und des Bestehens der Bestimmtheiten, welches bestimmend für das Verhältnis des Seins war, ist damit in sich fixiert. Diese Modifikation nahm ihren Ausgang im kausalen Verhältnis der Bestimmtheiten zueinander, in welchem ihre negative Beziehung sich von einer Beziehung gegeneinander in eine Beziehung gegen sich selbst reflektierte. Durch den damit vollzogenen Übergang vom kausalen Verhältnis in dasjenige der Wechselwirkung haben die Bestimmtheiten ihr Sein oder Bestehen aufgehoben und sich durch diesen Akt der Selbstaufhebung als aufgehoben auch gesetzt. Auf diese Weise hat sich ihr Sein, das, wie schon der Verlauf der Logik der einfachen Beziehung erwiesen hatte, darin besteht, sich aufzuheben oder nicht zu sein, als solches realisiert. Und dieses realisierte Sein, d. i. also das ideale oder das Sein als Aufgehobensein, begründet die Sphäre der Verhältnislogik des Denkens. Mit diesem Übergang hat Hegel die immanente Verbindung, d. h. die Einheit von Sein und Denken konstituiert. Hinsichtlich dieser Entfaltung der Verhältnislogik des Denkens aus der Verhältnislogik des Seins betont Klaus Düsing, daß sie nur dann gelingen könne, wenn die objektive Realität bzw. Gültigkeit der Kategorien des Seins sowie des Seinsverhältnisses und dadurch dann auch die ontologische Bedeutung der Formen des Denkens erwiesen sei. Da Hegel jene objektive Gültigkeit innerhalb dieser Logik des zweiten Jenaer Entwurfs aber nicht eigens begründe, müsse die Identität des Seins und Denkens »als evident und gültig vorausgesetzt werden«. Düsing hält eine solche Voraussetzung nun insoweit für legitim, als Hegel im Zusammenhang seiner Auseinandersetzung mit dem Denken Kants im Kontext von
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8. kapitel
Glauben und Wissen dessen transzendentale Deduktion der Kategorien als, wenn auch nicht konsequent durchgeführten, Erweis eben dieser Identität zu analysieren versuchte. Logikintern aber sieht Düsing diesen Übergang vom Sein zum Denken, wie Hegel ihn hier vollzieht, mit einem Legitimationsmangel behaftet.1 Gegen diese Bedenken sei noch einmal der logische Weg von der einfachen Beziehung bis zum Verhältnis des Denkens nachgezeichnet: Die Logik der einfachen Beziehung als Logik des Verstandes basiert auf der bewußtseinsspezifischen Trennung des erkennenden Subjekts und des ihm äußerlichen Erkenntnisinhalts. Mit diesem vorausgesetzten äußerlichen Standpunkt legt Hegel zunächst einmal nur die unmittelbare, naive Welteinstellung des Bewußtseins zugrunde. Natürlich kann man einwenden, daß der Standpunkt des verständig operierenden Bewußtseins ein schon vermittelter ist. Hegel selbst wird ja in der Phänomenologie des Geistes das sinnliche und wahrnehmende vom verständigen Bewußtsein unterscheiden und diesem voranstellen.2 Doch sind alle drei Formen des Bewußtseins darin identisch, einen dualistischen Standpunkt zu repräsentieren, d. h. eine Welteinstellung des endlichen Subjekts, der zufolge ein gegebener Inhalt vorliegt, den dieses Subjekt mit seinen Mitteln, sinnlichen wie intellektuellen, zu rezipieren und zu strukturieren hat. Eben dieser Dualismus als derjenige Standpunkt, welcher dem Bewußtsein gleichsam natürlicherweise innewohnt, ist es, der Hegel hier einzig interessiert und den er im Hinblick auf die kategorialen Operationen des Bewußtseins analysiert. Seine Intention ist dabei die zu demonstrieren, daß das Bewußtsein, gerade indem es diesen Standpunkt zu zementieren versucht, ihn vielmehr selbst auflöst. Denn so wie das Bewußtsein sein Erkennen grundsätzlich von dem als gegeben angenommenen Inhalt trennt, so trennt es auch die aus dem Gegebenen abstrahierten Bestimmtheiten voneinander und fixiert sie als reine, beziehungslose Fürsichseiende oder Realitäten, d. h. als Realitäten, die äußerlich gegeneinander sind. Damit aber hat das Bewußtsein die erste seinslogische Kategorie der Realität ohne Bezug auf die zweite seinslogische Kategorie der Negation gesetzt. Diese Relationslosigkeit oder Äußerlichkeit jedoch läßt sich im Verlauf des Entfaltungsprozesses der einfachen Beziehung 1
Klaus Düsing Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. 161. Ansatzweise beschäftigt sich Hegel auch schon im Kontext der Logik von 1804/05 mit dem Aspekt des sinnlichen Auffassens. Doch geschieht dies, wie noch gezeigt werden wird, erst im Kapitel vom Schluß und auch nur in indirekter Weise. 2
Das Verhältnis des Denkens
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insofern nicht mehr aufrecht erhalten, als das reine Fürsichsein der Qualitäten oder Bestimmtheiten unter Ausschluß ihrer Negation oder Beziehung zur unterschiedslosen Einheit, d. i. zur gleichgültigen Vielheit der Bestimmtheiten und dadurch zur Unbestimmtheit des Quantitativen führt. Vermittelst der schlechten Unendlichkeit als dem unaufhörlichen Aneinanderreihen von Beziehung und Nichtbeziehung des Vielen zeigt sich schließlich, daß das Setzen der einen zugleich ein Setzen der anderen Seite und umgekehrt ist, wodurch die Äußerlichkeit des Beziehens und Nichtbeziehens sich zum immanenten Verhältnis beider Seiten modifiziert. Mit der Unhaltbarkeit des gleichgültigen Fürsichseins der einzelnen Bestimmtheiten aber ist auch der Verstandesstandpunkt der Trennung von Erkennen und Erkanntem überwunden. Denn insofern sich die Theorie vom reinen Fürsichsein der Bestimmtheiten als unwahr erwiesen hat, ist notwendig auch die verstandesspezifische Dualität des fürsichseienden Erkennens gegen das fürsichseiende Erkannte hinfällig geworden. Die auf diese Weise konstituierte wahrhafte Unendlichkeit oder absolute Immanenz stellt somit die Einheit von Subjekt und Objekt, von Denken und Sein dar,3 die sich allerdings nun aus und in sich selbst entfalten, d. h. realisieren und so legitimieren muß. Mit dem Verlauf der (Verstandes-)Logik der einfachen Beziehung zeigt Hegel also, daß gerade auf der Grundlage des Sein und Denken trennenden Bewußtseinsstandpunkts den Kategorien des Seins keine objektive Realität bzw. Gültigkeit zukommt, diese sich vielmehr aufheben in dem immanenten, selbstbezüglichen Denkprozeß der wahrhaften Unendlichkeit. Diesen Entfaltungsprozeß nun setzt Hegel in Gang, indem er den wesenhaft bedingten, d. i. relationalen Charakter der Bestimmtheiten als deren Möglichkeitsstruktur aufzeigt. Diese wiederum enthält, insofern sie nicht etwa das Vernichtet-, sondern das Aufgehobensein der Bestimmtheiten darstellt, den Widerspruch des potentiellen Seins in sich, durch den die Bestimmtheiten sich zur Ungleichheit des Setzens oder Wirklichseins der einen gegen das Nichtsetzen oder Möglichsein der anderen entwickeln. Daß Möglichkeit und Wirklichkeit also anders als, wie oben schon herausgestellt, bei Kant zu bestimmtheitsinternen Kategorien werden – auf 3
Zu erinnern ist hier jedoch an die oben schon besprochene Inkonsistenz, daß Hegel nach Konstituierung der wahrhaften Unendlichkeit gleichwohl an der für die Verstandeslogik der einfachen Beziehung relevanten Dualität von bestimmungsinterner und bestimmungsäußerlicher Reflexion, d. i. »unserer« Reflexion, festhält.
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8. kapitel
der Basis der absoluten Immanenz eine notwendige Konsequenz –, macht den ersten Begründungsschritt für die objektive Realität der Kategorien des Seinsverhältnisses aus. Ein zweiter Schritt wird vollzogen, insofern die Bestimmtheiten ihre selbstbezügliche Struktur weiterentwickeln und den Charakter von Akzidenzien der wahrhaften Unendlichkeit als ihrer Substanz verlieren und selbst unendlich bzw. substantiell werden. Diese Substantiierung erfolgt, indem die Bestimmtheit zur Ursache, d. h. zur Einheit ihrer und ihres Entgegengesetzten, zur Einheit von Möglichkeit und Wirklichkeit wird und nicht mehr nur einseitig entweder Mögliches gegen das Wirkliche oder umgekehrt ist. Doch gerade durch diese Weiterentwicklung zur Ursache als Einheit oder Beziehung der Entgegengesetzten fixiert sich die Bestimmtheit gegen ihr Nichtbezogensein oder Bestehen, und zwar indem die Negation, die sie, beziehend, gegen das Bestehen ihres Gegenteils richtet, sich gegen sie selbst wendet. Dadurch wird das Kausalitätsverhältnis aufgehoben, da es doch die Einheit der Entgegengesetzten nicht als tautologische, vom Unterschied abstrahierende, sondern als Einheit von Einheit und Unterschied und damit das Bestehen der Bestimmtheiten realisieren sollte. Statt dessen paralysiert sich der Prozeß der Unendlichkeit durch die sich im reinen Beziehen oder Aufheben gegenseitig neutralisierenden Bestimmtheiten und entfaltet sich so zum Verhältnis der Wechselwirkung. In diesem sind also die beiden Seiten des Beziehens und Nichtbeziehens, der Einheit und Entgegensetzung wieder auseinandergefallen, jedoch nicht als ein Heraustreten der Entgegensetzung oder des Bestehens aus dem Verhältnis – dadurch wäre die absolute Immanenz der wahrhaften Unendlichkeit zerstört und ein Rückfall in das Verstandesdenken vollzogen –, sondern indem die Entgegensetzung oder das Bestehen der Bestimmtheiten, insofern diese nun negativ an bzw. gegen sich selbst sind, als aufgehoben oder »verborgen« im Beziehen oder in der Einheit gesetzt wurden.4 Und erst in diesem als 4
Daß durch das Aufheben des Bestehens oder Seins der Bestimmtheiten, insofern es auf Negation in bzw. gegen sich beruht, die absolut immanente oder unendliche Substanz nicht aus sich herausgeht, sondern sich als Verhältnis erfüllt und so den immanenten Übergang vom Sein zum Denken vollzieht, stellt Karl Rosenkranz als besonderes, ganz eigenes Verfahren Hegels bezüglich der Relationskategorien Kausalität und Wechselwirkung heraus: »Diese Begriffe [sc. Substantialität, Causalität und Wechselwirkung] waren seit dem Hume’schen Skepticismus, der die Causalität zum Erisapfel des Denkens machte, von Kant, Fichte, Jacobi und Schelling so vielfach bearbeitet, daß Hegel hier am wenigsten zu verändern fand … Wodurch er aber von jenen Denkern sich unterschied, das war der Ue b e r g a n g , den er vom Begriff der Umkehrung des Activen in’s Passive, des Passiven in’s Active als der Entgegensetzung der Substanz ge-
Das Verhältnis des Denkens
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Aufgehobensein gesetzten Aufgehobensein ist das Sein oder Bestehen der Bestimmtheiten realisiert, insofern es, wie schon ausgeführt, wesentlich im Aufgehobensein, kurz: insofern ihr Sein wesentlich in ihrer Idealität besteht, die Hegel dann in den Formen des Denkens entwickelt. Soweit der reflektierende Rückblick auf die bis jetzt untersuchte Logik der einfachen Beziehung, die Verhältnislogik des Seins und deren Übergang in die Verhältnislogik des Denkens als Auseinandersetzung mit Klaus Düsings These der in diesem logischen Kontext von Hegel lediglich vorausgesetzten Einheit des Seins und Denkens.
b) Der bestimmte Begriff als Widerspruch von Allgemeinheit und Einzelheit – Aufhebung der Paralyse des unendlichen Prozesses Die Einheit von Sein und Aufgehobensein der Bestimmtheiten, durch die sie sich, wie schon erwähnt, vom bestimmten zum reflektierten Sein, d. i. zum bestimmten Begriff, entwickelt haben, bedeutet, daß die Bestimmtheit als Bestehen und ihr Sich-Aufheben, d. h. ihre Reflexion, zur einfachen Einheit geworden sind. Somit ist der bestimmte Begriff Reflexion in sich. Da in diesem Insichsein die Momente des bestimmten Begriffs gleichwohl nicht wahrhaft synthetisiert sind, sondern, wie ebenfalls schon ausgeführt, im Widerspruch zueinander stehen, tritt der bestimmte Begriff aus seiner Fixierung heraus und treibt den unendlichen Prozeß weiter. Dabei setzt er denselben Typ von Dialektik in Gang, dem auch die Qualität unterliegt: Er ist ebenso Bestimmtheit in der Form des einfachen, jetzt allerdings nicht mehr reinen unmittelbaren, sondern aus der Vermittlung in sich zurückgekehrten Seins, in dessen Einfachheit er ebensowenig verharren kann wie die Qualität in ihrem gleichgültigen Fürsichsein, und geht in die dialektische Entfaltung seiner Momente über. Die Widersprüchlichkeit zwischen den beiden Momenten des Seins und Aufgehobenseins, der bestehenden und der reflektierten Bestimmtheit resultiert daraus, daß der Akt der Selbstaufhebung der Bestimmtheiten letztlich ein nur formaler ist. Wohl ist die Bestimmtheit zur Einheit ihrer und ihrer entgegengesetzten Bestimmtheit geworden, doch hat sie als diese Einheit das Bestehen ihrer und ihres Gegenteils nicht gen sich und Auflösung des Gegensatzes in sich zum B e g r i f f d e s B e g r i f f s als der E i n h e i t des Allgemeinen, Besondern und Einzelnen machte.« (Karl Rosenkranz Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben. 106 f.)
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8. kapitel
integriert, sondern lediglich von diesem Bestehen abstrahiert, indem sie ihrer beider Entgegensetzung aufhob und als aufgehoben, d. h. als nur postuliert setzte. Eine solche Einheit nur postuliert Entgegengesetzter aber ist negatives oder bedingtes Eins, d. i. wiederum nur Bestimmtes gegen ein anderes Bestimmtes. Also hat sich die Bestimmtheit durch ihre Selbstaufhebung oder Selbstnegation zwar mit sich selbst vermittelt, ist so bestimmter Begriff geworden und folglich nicht aus sich herausgetreten, aber in diesem Insichsein tritt die Entgegensetzung der Einheit, also die bestehende der reflektierten Bestimmtheit erneut gegenüber, d. h. der bestimmte Begriff wird sich selbst äußerlich. Und durch diese Äußerlichkeit erweist sich die Unbedingtheit der Selbstbeziehung oder die Freiheit, welche der Bestimmtheit als in sich reflektierter zugewachsen ist, als nur formal; aus der Reflexion in sich wieder hervortretend ist das Bestehen, wie Hegel sich ausdrückt, die »Spur des Bedingtseins«, welche der bestimmte Begriff hinterläßt. Als äußerlich, d. h. in sich getrennte »existiert [die in sich reflektierte Bestimmtheit] auf die gedoppelte Weise«; insofern sie, wie der Entwicklungsprozeß innerhalb der Kausalität gezeigt hatte, wesentlich Beziehen auf ihr Gegenteil, d. h. selbst Substanz oder unendlich ist, ist sie einerseits Einheit ihrer und ihres Entgegengesetzten, aber abstrahiert von der Entgegensetzung, d. h. positive Einheit oder Allgemeinheit. Zugleich aber ist die Bestimmtheit, eben weil sie von der Entgegensetzung abstrahierte Einheit ist, nicht mehr Einheit oder Allgemeinheit, sondern nur ein Fürsichbestehendes oder Einzelnes. Aber umgekehrt ist auch die Bestimmtheit als Einzelheit nicht beziehungsloses Fürsichsein, das einem anderen beziehungslosen Fürsichsein absolut entgegengesetzt wäre, sondern als Fürsichseiendes oder Einzelnes ist es nichts anderes als abstrahierendes und dadurch auch abstrahiertes Beziehen, also wiederum positive Einheit oder Allgemeinheit. Indem also die beiden entgegengesetzten Existenzmomente der in sich reflektierten Bestimmtheit sich jeweils in ihr Gegenteil reflektieren, erweist sich, daß das Fürsichsein der einen aufgehoben wird durch das Fürsichsein der anderen. So ist das Allgemeine positive Einheit, in welcher die entgegengesetzten Einzelnen oder Substanzen aufgehoben sind, so wie umgekehrt dieses von der Entgegensetzung abstrahierte Allgemeine als solches aufgehoben und als Einzelheit gesetzt wird. Hegel spricht hier vom Widerspruch der entgegengesetzten Subsumtionen, durch den der bestimmte Begriff sich in seine Momente spaltet und in die Sphäre des Andersseins, d. i. das Urteil, übergeht.
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Abgesehen einmal von der Frage, ob dieses gegenseitige IneinanderReflektieren, vor allem dasjenige der Allgemeinheit in die Einzelheit, als Subsumtion zutreffend beschrieben ist, ergibt sich an dieser Stelle die Schwierigkeit, daß nicht plausibel wird, worin eigentlich die Entgegensetzung der beiden von Hegel behaupteten Subsumtionen bestehen soll. Natürlich stellen das Subsumieren der Substanz oder der Einzelheit unter die Allgemeinheit und das Subsumieren der Allgemeinheit unter die Einzelheit einen Gegensatz dar. Doch vergegenwärtigt man sich, daß die Subsumtion stets von einer Allgemeinheit in bezug auf eine Einzelheit vollzogen wird – die dann, als subsumiert, Besonderheit wird –, so kann umgekehrt von einer Einzelheit, welche die Allgemeinheit subsumiert, sinnvoll nur dann die Rede sein, wenn die Einzelheit selbst sich als Allgemeinheit erweist. Nun ist aber nicht einsichtig, wie durch die Reflexion der Allgemeinheit in die Einzelheit, die ja doch dem entspricht, was Hegel Subsumtion des Allgemeinen unter das Einzelne nennt, die Einzelheit sich zu einem neuen Typ von Allgemeinheit entwickeln sollte. Ein Unterschied zweier Allgemeinheitstypen aber muß aus den gegensätzlichen Reflexionen generiert werden, da ansonsten innerhalb des bestimmten Begriffs nicht der von Hegel diagnostizierte spezifische Widerspruch vorliegt, der dessen Selbstspaltung auslöst und damit den Übergang in die Sphäre des Urteils oder des Andersseins motiviert. M. a. W.: Hegel muß diese zwei Arten von Allgemeinheiten aus den Momenten des bestimmten Begriffs entfalten, um dasjenige äußerliche und damit widersprüchliche Verhältnis zu begründen, welches ihm zufolge kennzeichnend für das Urteil ist. Denn er versteht das Urteilsverhältnis von Subjekt und Prädikat als Beziehung zweier gegensätzlicher Typen von Allgemeinheiten, und zwar derjenigen der Dingheit und derjenigen der Eigenschaft. Und bezeichnenderweise wird Hegel im Urteilskapitel des zweiten Buches seiner späteren Wissenschaft der Logik, der Lehre vom Begriff von 1816, zwischen den beiden Weisen des Aufhebens, die sich aus diesen verschiedenen Allgemeinheitstypen ergeben, differenzieren, indem er in beiden Fällen nicht mehr unterschiedslos von Subsumtion spricht, sondern indem er das »Urteil des Daseins«, in welchem das Subjekt das Prädikat aufhebt, »Urteil der Inhärenz« nennt, während er das »Urteil der Reflexion«, in welchem das Prädikat das Subjekt aufhebt, als »Urteil der Subsumtion« bezeichnet. D. h. das Subjekt ist Allgemeinheit als Dingheit, und als solche bezieht es das Prädikat als eine seiner Eigenschaften auf die anderen Eigenschaften, die ihm außerdem noch zukommen. Das Prädikat dagegen ist Allgemeinheit, insofern es eine Eigenschaft dieser Dingheit
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ausmacht, welche diese mit denjenigen anderen Dingheiten, denen diese Eigenschaft ebenfalls zukommt, verbindet. Das Subjekt ist demnach die Einheit aller ihm inhärierender Eigenschaften, während das Prädikat die Einheit darstellt, in welcher eine bestimmte Menge von Subjekten subsumiert ist. Kurz: Das Subjekt ist qualitative Allgemeinheit, das Prädikat hingegen ist quantitative Allgemeinheit; und diese Differenzierung führt Hegel auch schon 1804/05 folgendermaßen aus: »die Substanz [oder die Einzelheit] [ist] … das allgemeine als (negative) Einheit, in welcher ausser der Bestimmtheit, die das allgemeine ist, auch anderes [sc. Allgemeines] gesetzt ist … «5 »… das Allgemeine ist die positive Einheit numerischer Eins.«6 Aber eben diese Spezifizierung der beiden Allgemeinheitstypen läßt sich, wie gesagt, aus den Erörterungen zum Reflexionsverhältnis der Momente des bestimmten Begriffs nicht plausibel entwickeln. Das Verständnis wird vollends erschwert, wenn Hegel schließlich die Einzelheit oder Substanz7 mit der positiven Einheit, also der Prädikatallgemeinheit, unter die sie doch subsumiert ist, identifiziert: »Umgekehrt ist die Substanz, das … auf das allgemeine bezogene, in ihm als aufgehoben gesetzte, selbst ebenso positive Einheit, allgemeines …«8 Die Schwierigkeit der Herleitung verschiedener Allgemeinheitstypen liegt darin begründet, daß die Qualität oder Bestimmtheit im Verlauf ihrer Entwicklung bzw. Selbstentwicklung nicht spezifiziert wird. Hegel spricht stets nur allgemein von der Bestimmtheit, obwohl er spätestens bei Erörterung des Kausalitätsverhältnisses zwischen der Bestimmtheit als Dingheit und derjenigen als Eigenschaft differenzieren müßte. Er vollzieht diese Unterscheidung jedoch nur unterschwellig, ohne daß deutlich würde, wie sie im einzelnen zustande kommt. Denn der Übergang vom 5
GW 7.78. GW 7.79. 7 Die Identifikation von Substanz und Einzelheit stellt insofern einen Bruch innerhalb der Entwicklung der Verhältnislogik dar, als der Substanzcharakter, welcher sich im Kausalitätsverhältnis an der Bestimmtheit entfaltete, diese, wie schon mehrfach betont, als wesentlich relational und nicht mehr einseitig als nicht bezogenes Bestehen erwies. In der Konsequenz der Bestimmtheitsentwicklung hätte es somit gelegen, die Substanzstruktur mit der Allgemeinheit in Verbindung zu bringen. Allerdings zeigt sich diese Restriktion der Substanz auf die Einzelheit sporadisch auch schon im Kausalitätsverhältnis selbst, und zwar an denjenigen Stellen, an denen Hegel die Substanz als ein Bestehen gegen ein anderes Bestehen von der Ursache als wesentlich relationaler Bestimmtheit unterscheidet, obwohl er gleich zu Beginn des betreffenden Kapitels die Substantiierung der Bestimmtheiten aus dem Begriff der Ursache ableitet. 8 Ebd. 6
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Substantialitäts- zum Kausalitätsverhältnis zeigt zwar den Unterschied der Bestimmtheit, insofern sie ein bloß Übergehendes ist, d. i. insofern sie in der Relation zu ihrem Entgegengesetzten aufgehoben wird, und der Bestimmtheit, insofern sie ein Bestehendes, d. i. insofern sie selbst das – letztlich jedoch nicht realisierte – Ganze der Relation ihrer und ihres Gegenteils ist. Doch dieser Unterschied von Übergehen und Bestehen ist nicht gleichzusetzen mit der Differenzierung der Bestimmtheit in Dingheit und Eigenschaft. Denn jede Art von Bestimmtheit ist einerseits bedingt durch andere Bestimmtheiten ihrer Art und steht andererseits unter dem Postulat, in dieser Bedingtheit, also in der Relation auf ihr Gegenteil sich als ein Fürsichsein oder Bestehen zu erhalten. Mit diesen Einwänden soll – dies sei, um Mißverständisse zu vermeiden, noch einmal verdeutlicht –, nicht bestritten werden, daß der bestimmte Begriff in seiner doppelten Existenzweise eines Allgemeinen und zugleich Einzelnen in sich widersprüchlich ist und sich dadurch in sich spaltet; es soll auch nicht die Plausibilität der Unterscheidung einer Subjekt- und einer Prädikat-Allgemeinheit innerhalb des Urteils als der Sphäre des gespaltenen Begriffs in Frage gestellt werden. Vielmehr richten sich diese Einwände gegen die Herleitung der Einzelheit als eines spezifischen Allgemeinheitstyps und der daraus resultierenden entgegengesetzten Subsumtionen aus den sich gegenseitig ineinander reflektierenden Momenten des Allgemeinen und Einzelnen.
c) Das Urteil als wechselseitiges Subsumtionsverhältnis von Subjekt und Prädikat Akzeptiert man nun aber einmal die Spaltung des Begriffs in Allgemeinheit und Einzelheit als eine Spaltung in zwei verschiedene Allgemeinheitstypen, so stehen, indem Prädikat- und Subjekt-Allgemeinheit sich gegenseitig aufheben und damit ausschließen, diese beiden unmittelbar in einem äußerlichen Verhältnis zueinander, so daß die Momente des bestimmten Begriffs als Ding und Eigenschaft auseinandergefallen sind. Die weitere Entwicklung soll nun darauf hinauslaufen, dieses äußerliche Verhältnis, das sich in der leeren, weil nicht vermittelten Beziehung der Kopula ist ausdrückt, durch den Verlauf der entgegengesetzten Subsumtionen, welche Subjekt und Prädikat in den verschiedenen Urteilsarten gegeneinander ausüben, aufzuheben und die immanente oder erfüllte Beziehung zu konstituieren.
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Das Urteils-Verhältnis als Subsumtionsverhältnis aufzufassen ist kein Spezifikum der Hegelschen Urteilskonzeption. Chong-Fuk Lau weist in seiner Arbeit Hegels Urteilskritik darauf hin, daß die Beziehung von Subjekt und Prädikat, insofern diese die Beziehung der Einzelheit eines Gegenstandsbegriffs auf einen Allgemeinbegriff darstellt, in der neuzeitlichen Philosophie als Subsumtion des Subjektbegriffs unter den Prädikatbegriff aufgefaßt wird. Repräsentativ führt er dafür Kants Definition der Urteilskraft in der »Analytik der Grundsätze« an: »Urteilskraft [ist] das Vermögen unter Regeln zu subsumieren, d. i. zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) stehe, oder nicht.«9 Unter der Regel ist dabei das Prädikat zu verstehen, insofern es eine Eigenschaft repräsentiert, die in dem zu subsumierenden Subjektbegriff vorgestellt wird. So geht z. B. mit dem Begriff des Tellers die Vorstellung der runden Form einher, so daß jener unter diese, also der Begriff des Tellers unter den Begriff des Zirkels subsumiert wird.10 Die umgekehrte Subsumtion, also die des Prädikatbegriffs unter den des Subjekts, ist mit dieser Auffassung des Urteils jedoch nicht kompatibel. Denn Subjekt und Prädikat werden als grundsätzlich voneinander verschieden aufgefaßt, d. h. als Einzelnes und Allgemeines fixiert. Hegel wird, anders als 1804/05, dieses gängige, von ihm kritisierte Verständnis in seiner späteren Lehre vom Begriff explizit benennen: Nach [der] s u b j e c t i v e n Betrachtung werden daher Subject und Prädicat, jedes als ausser dem andern für sich fertig, betrachtet; das Subject als ein Gegenstand, der auch wäre, wenn er dieses Prädicat nicht hätte; das Prädicat als eine allgemeine Bestimmung, die auch wäre, wenn sie diesem Subjecte nicht zukäme.11 Nun war ja ausgeführt worden, daß auch Hegel die Beziehung der Momente des Einzelnen und Allgemeinen und in der Folge diejenige von Subjekt und Prädikat als äußerlich expliziert. Doch ist diese Äußerlichkeit nicht in einer ursprünglichen Relationslosigkeit der beiden Seiten des Urteils begründet. Diese sind, wie dargestellt, im Gegenteil Resultat der sich spaltenden Einheit des bestimmten Begriffs. Und diese Spaltung vollzieht sich, weil die Momente des Einzelnen und Allgemeinen im Widerspruch zueinander stehen. Sie schließen sich somit gegensei9 10 11
KrV B 171. Vgl. ebd. B 176. GW 12.55.
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tig aus, sind aber gerade in diesem ausschließenden Verhältnis insofern wesentlich aufeinander bezogen, als jedes ein Fürsichsein oder Bestehen nur dadurch ist, daß es das Andere in sich aufhebt. Diesem Verständnis zufolge könnte also nicht nur das Prädikat ohne das Subjekt als eine der Dingheiten, die es bestimmt, nicht bestehen, sondern ebenso das Subjekt nicht ohne das Prädikat, welches ihm neben anderen zukommt. M. a. W.: Das Fürsichsein sowohl des Subjekts als auch des Prädikats ist bedingt durch die jeweils andere, aufgehobene Seite. Auf diese Weise gelangt Hegel zur Konzeption der entgegengesetzten Subsumtionen von Subjekt und Prädikat, durch die sich zeigt, daß die Glieder des Urteils nicht die getrennten Fürsichseienden sind, als die sie sich unmittelbar präsentieren. Die differente Gestalt des Urteils erweist sich somit als nicht wahrhafte Gestalt des Begriffs und hebt sich daher in ihrer weiteren Entwicklung auf. Das Spezifikum der Hegelschen Urteilskonzeption besteht also in der Aufhebung der einseitigen Richtung des Subsumtionsvollzuges. Wenn Lau dieses Spezifikum nun als eine Erweiterung des Begriffs der Subsumtion beschreibt, insofern »das Verhältnis nicht nur, wie üblich, auf Einzelnes zu Allgemeinem, sondern umgekehrt auch auf Allgemeines zu Einzelnem angewendet wird«,12 dann trifft dies insofern nicht zu, als Hegel ja nicht einfach das Verhältnis von Allgemeinem und Einzelnem umkehrt, sondern vom Subjekt als demjenigen Urteilsglied, welches dem üblichen Verständnis zufolge die Einzelheit des Gegenstandes repräsentiert, zeigt, daß es seinerseits ein Allgemeines ist. Er erweitert somit im Urteil nicht den Subsumtionsbegriff selbst, sondern dessen Anwendungsbereich, insofern er die durch diesen Begriff wesentlich ausgedrückte Aufhebung des Einzelnen durch das Allgemeine nicht nur für das Verhältnis des Prädikats zum Subjekt, sondern auch für dasjenige des Subjekts zum Prädikat geltend macht. Damit demonstriert Hegel, daß Einzelnes und Allgemeines innerhalb des Urteils Aspekte sowohl des Subjekts als auch des Prädikates und nicht einseitig fixiert sind. Was nun den Vollzug der beiden Subsumtionen auf dem Weg der Entfaltung spezifischer Urteilsarten angeht, so fällt zunächst einmal auf, daß sich das Urteil unmittelbar nicht in zwei getrennten Fürsichseienden und d. h. ja in zwei Allgemeinheiten ausdrückt. Eben diese zwei Allgemeinheiten, nämlich die Subjekt- und die Prädikatallgemeinheit, hatte Hegel jedoch als unmittelbares Resultat der Spaltung des Begriffs expli12
Chong-Fuk Lau Hegels Urteilskritik. 155.
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ziert. Tatsächlich aber stehen am Beginn der Entwicklung des Urteils die Allgemeinheit des Prädikats und das Subjekt als unter diese Allgemeinheit zu Subsumierendes. Die Allgemeinheit des Subjekts hingegen wird sich überhaupt erst im Verlauf dieses Subsumtionsvollzuges realisieren, bestimmt also anders als die Allgemeinheit des Prädikats nicht den unmittelbaren Ausdruck des Urteils. Hier zeigt sich nochmals das schon ausgeführte Problem der aus dem bestimmten Begriff bzw. der in sich reflektierten Bestimmtheit abgeleiteten zwei Allgemeinheitstypen: Die Spaltung des Einzelnen und Allgemeinen allein kann diese beiden Allgemeinheitstypen nicht konstituieren. Vielmehr stellt sie nur den Übergang dieser beiden Momente in ein äußerliches Verhältnis dar. Und der unmittelbare Ausdruck dieses äußerlichen Verhältnisses wäre »Das Einzelne ist allgemein« bzw. »Das Allgemeine ist einzeln«. Die Umkehrungsmöglichkeit dieses Verhältnisses ergibt sich aus der wechselseitigen Reflexion der Momente des Einzelnen und Allgemeinen, die ihrerseits, wie dargelegt, Resultat der ursprünglichen Identität ist, aus der diese Momente herausgetreten sind. Der angeführte unmittelbare Ausdruck des äußerlichen Verhältnisses nun entspricht der Urteilsart des positiven Urteils, welches zu den qualitativen, folglich zu denjenigen Urteilen gehört, in welchen das Subjekt das Zugrundeliegende und das Prädikat das zu Subsumierende bzw. Subsumierte ist. Hegel aber beginnt den Vollzug der wechselseitigen Subsumtionen, und darin liegt die zweite Auffälligkeit seines Vorgehens, mit einer Art der quantitativen, also derjenigen Urteile, in welchen das Prädikat das Zugrundeliegende und das Subjekt das Subsumierte ist. Dabei setzt er, auch das ist auffällig, mit dem universellen und nicht mit dem singulären Urteil ein, welches doch eher der Unmittelbarkeit oder Äußerlichkeit der Sphäre des Urteils entspräche. Nun bestätigen die Ausführungen, die Hegel zum singulären Urteil machen wird, diese Äußerlichkeit des Verhältnisses, welches zwischen Einzelnem und Allgemeinem besteht, durchaus: Ein Einzelnes, d. i. ein Dieses, sei dem Allgemeinen, so führt er aus, entgegengesetzt und damit von diesem befreit; bezogen auf ein Allgemeines, und d. h. subsumiert unter dasselbe sei es kein Einzelnes mehr, sondern ein Besonderes.13 Hegel macht damit deutlich, daß es Relationslosigkeiten oder absolut Fürsichseiende nicht gibt, sondern daß wir immer, wenn wir von Einzelheiten sprechen, in Wahrheit das Resultat eines Abstraktionsvorganges beschreiben, bei dem von dem Relations13
S. GW 7.84.
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gefüge abgesehen wird, in dem jedes Ding steht. Somit ist das Verhältnis zwischen Einzelnem und Allgemeinem in seiner Äußerlichkeit und d. h. Unvermitteltheit eigentlich kein Verhältnis, so daß das singuläre Urteil als unwahre Urteilsform negiert werden müßte. Eben dies ist jedoch nicht möglich, weil das negative Urteil, das allein den hier erforderten Vermittlungsakt begründen könnte, nicht zum Bereich der quantitativen Urteile gehört. Und darin ist der Grund zu sehen, warum Hegel die Subsumtionen mit dem universellen Urteil in Gang zu setzten versucht: Das Subjekt als Allgemeines im Sinne von »Alle A sind B« ist ein schon vermitteltes, somit in sich negatives, von dem aus der Übergang zu den weiteren Urteilsarten ermöglicht wird. Die Schwierigkeit dieses Anfangs mit dem universellen Urteil liegt dann allerdings darin, daß nicht plausibel zu machen ist, wie diese Vermittlung sich überhaupt vollziehen konnte. Denn der Ausdruck des Urteils, mit dem die wechselseitigen Subsumtionen einsetzen, muß, wie gesehen, der Ausdruck eines unmittelbaren, äußerlichen Verhältnisses sein. Das Urteilskapitel der Wissenschaft der Logik zeigt, daß Hegel genau diese hier angeführten Schwierigkeiten angehen wird: Die Entwicklung innerhalb der Sphäre des Urteils beginnt er nun mit dem positiven, also mit einem Urteil der qualitativen und nicht mehr der quantitativen Gruppe.14 Er stellt das positive Urteil als unmittelbaren Ausdruck der Spaltung des ursprünglich identischen Begriffs vor. Diese ursprüngliche Identität wird im Urteil der Unmittelbarkeit, wie Hegel das positive Urteil u. a. auch nennt, in der Kopula »ist« erkennbar. Insofern diese Kopula aber
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Hegel selbst spricht, anders als noch in den Logiken, die er für seinen Nürnberger Schulunterricht verfaßt hat, nicht mehr von qualitativen und quantitativen Urteilen. Positives, negatives und unendliches Urteil faßt er unter dem Oberbegriff »Urteil des Daseins« und singuläres, partikuläres, universelles Urteil unter dem (sich auch schon parallel zum Begriff des quantitativen Urteils in den Nürnberger Schullogiken findenden) Oberbegriff »Urteil der Reflexion« zusammen. Im Urteilskapitel der Logik von 1804/05 verzichtet er hingegen ganz auf eine zusammenfassende Bezeichnung und stellt die Entwicklung der zweiten Urteilsgruppe, mit der er hier, wie gesehen, ja beginnt, unter den Titel »Fürsichseyn des Prädicats, und Reflexion des Subjects in sich selbst.«, während er die darauf folgende Entfaltung der ersten Urteilsgruppe analog dazu »Fürsichseyn des Subjects, und Realisirung des Prädicats.« (GW 7.82 u. 87) betitelt. Der Verzicht auf eine Urteilsgruppenbezeichnung dürfte damit zu tun haben, daß, wie im folgenden noch gezeigt werden wird, Hegel beide Subsumtionsbewegungen mit einem »gruppenfremden« Urteil vollendet, und zwar die sich auf der Basis des Fürsichseins des Prädikats vollziehende mit dem hypothetischen und die entgegengesetzte Bewegung mit dem disjunktiven Urteil.
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eben nur die unvermittelte Relation der Urteilsglieder, also des Einzelnen und Allgemeinen darstellt, spricht sich deren Identität zunächst lediglich als Postulat aus. Durch die Identität bzw. Identitätsforderung nun ergibt sich zum einen die Möglichkeit der Umkehrbarkeit, durch welche die Fixierung des Einzelnen auf das Subjekt und des Allgemeinen auf das Prädikat aufgehoben wird, so daß der Ausdruck des positiven Urteils, wie oben schon angeführt, nicht nur »Das Einzelne ist allgemein«, sondern ebenso »Das Allgemeine ist einzeln« lautet. Zum anderen ergibt sich aus der Identitätsforderung die Einsicht in die Inadäquatheit der Urteilsglieder und damit in die Notwendigkeit, diese miteinander zu vermitteln. Eine solche Vermittlung aber ist auf der Ebene der Unmittelbarkeit des positiven Urteils naturgemäß nicht möglich. Damit erweist es sich als unwahr und motiviert so den immanenten Übergang zur nächsten, ihm entgegengesetzten Entwicklungsstufe des negativen Urteils. Mit der negativen Beziehung der Urteilsglieder nun setzt der Vermittlungsprozeß von Einzelnem und Allgemeinem ein. Und dieser Übergang von der unmittelbaren zur vermittelnden Urteilsbeziehung ermöglicht es Hegel, die Entfaltung des nächsten, des quantitativen Urteilskomplexes, also des »Urteils der Reflexion«, mit dem singulären statt mit dem universellen Urteil zu beginnen. Denn die Einzelheit des singulären Urteils ist nun nicht mehr die unmittelbare des positiven Urteils, sondern ist über das negative und unendliche Urteil in einem ersten Schritt mit dem Prädikat vermittelt worden. Der kurze Blick, welcher hier auf den Anfang des Urteilsprozesses innerhalb der Wissenschaft der Logik geworfen wurde, diente lediglich dazu, diejenigen Veränderungen der Urteilskonzeption herauszustellen, die ganz offensichtlich eine Folge der im Entwurf von 1804/05 enthaltenen Schwierigkeiten sind. Es sollte damit jedoch nicht indirekt behauptet werden, die Übergänge innerhalb der Urteilskonzeption der Wissenschaft der Logik seien durchgängig problemfrei.
d) Subsumtion des Subjekts unter das Prädikat: Universelles, partikuläres, singuläres und hypothetisches Urteil Die Weise, in der Hegel das universelle Urteil als diejenige Urteilsart einführt, mit welcher die entgegengesetzten Subsumtionen von Subjekt und Prädikat, Einzelnem und Allgemeinem einsetzen, scheint zunächst die
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oben angeführte Kritik, er beschreibe den unmittelbaren Ausdruck des Urteils entgegen seinen eigenen Voraussetzungen nicht als Verhältnis von Subjekt- und Prädikatallgemeinheit, zu widerlegen: Das im Fürsichsein des Prädikats als aufgehoben und damit als Besonderes gesetzte Subjekt müsse, so argumentiert Hegel, zunächst in diesem Aufgehobensein aufgehoben werden, »denn es soll für sich seyn, und nicht als Substanz, als Wirklichkeit; sondern das fürsichseyn, wie es itzt geworden ist, an sich haben, d. i. die Allgemeinheit.«15 Hegel scheint hier also unmittelbar neben die Prädikat- die Subjektallgemeinheit zu setzen und damit durchaus dem zu entsprechen, was er als Resultat der Selbstspaltung des Begriffs beschrieben hatte. Nun ist aber erstens dieses Setzen des Subjekts als Allgemeinheit kein unmittelbares Setzen, denn anfänglich ist ja, wie er selbst ausführt, das Subjekt als aufgehoben im Prädikat gesetzt. Zweitens entspricht die Subjektallgemeinheit des universellen Urteils nicht der für das Subjekt charakteristischen qualitativen Allgemeinheit: Der Ausdruck »Alle A sind B« oder »Jedes A ist B« bestimmt das Subjekt A nicht als Einheit entgegengesetzter Bestimmtheiten, d. h. Eigenschaften. Zwar liegt es nahe, die Allheit des Begriffs A durch den Gattungsbegriff A und damit implizit auch die quantitative durch die qualitative Allgemeinheit zu ersetzen, doch müßte ein solcher Übergang innerhalb des Urteils eigens vollzogen werden, was hier im Kontext der Logik von 1804/05 nicht der Fall ist. Erst in der späteren Begriffslogik, innerhalb derer Hegel die Urteilstafel nicht nur in der schon dargestellten Weise umstellt, sondern auch erweitert, wird er mit der Entwicklung vom universellen zum kategorischen Urteil einen solchen Übergang zu vollziehen versuchen. Was nun das weitere Fortschreiten von dem den Anfangspunkt der Urteilsentwicklung markierenden universellen Urteil aus angeht, so sieht Hegel das treibende Moment dafür in der bestehenden Gleichförmigkeit des Subjekts und des Prädikats. Da ja das Urteil wesentlich durch die Entgegensetzung seiner Glieder bestimmt ist und insofern stets das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem ausdrücken muß, stellt das universelle Urteil, in welchem sowohl das Subjekt als auch das Prädikat die Form der Allgemeinheit aufweisen, Hegel zufolge kein Urteil mehr dar. Vielmehr drücke sich darin ein Verhältnis aus, dessen Gliedern der Unterschied äußerlich sei, insofern er sich nicht an ihnen selbst zeige. Die Form des universellen Urteils würde somit »A ist A« lauten und damit die Umkehrbarkeit des Subjekts und Prädikats implizieren. 15
GW 7.82 f.
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Nun ist die Umkehrbarkeit der Urteilsglieder wohl für einige Fälle des universellen Urteils charakteristisch. Ein Wesensmerkmal dieser Urteilsart stellt sie jedoch nicht dar. Es gilt also etwa für das von Hegel angeführte Beispiel »Die Materie ist schwer« zweifellos auch die Umkehrung »das Schwere ist die Materie«. Doch schon auf eine Aussage wie »Alle Menschen sind sterblich« läßt sich dieses Prinzip nicht mehr anwenden, da eben nicht auch gilt: »Alles Sterbliche ist menschlich«. Wenn aber die Umkehrbarkeit kein grundsätzliches Merkmal des universellen Urteils darstellt, so kann sich in diesem Urteil auch nicht die tautologische Form »A ist A« ausdrücken. Vielmehr ist die Allheit des Subjekts nichts anderes als, wie Hegel es in seiner Urteilskonzeption der Wissenschaft der Logik treffend analysieren wird, die Allgemeinheit als »ein Zusammenfassen der für sich bestehenden Einzelnen«, also Allgemeinheit als »Gemeinschaftlichkeit«16 oder äußerliche Allgemeinheit, der wesentlich die Einzelheit zugrundeliegt. Der Gegensatz zwischen Subjekt und Prädikat wäre somit im universellen Urteil nicht bzw. nur äußerlich aufgehoben. Erst ein Übergang der Allgemeinheit als Allheit oder Gemeinschaftlichkeit zur objektiven Allgemeinheit des Gattungsbegriffs,17 welcher später mit der schon erwähnten Entwicklung vom universellen zum kategorischen Urteil stattfinden wird, würde das Subjekt wahrhaft zu einer Allgemeinheit modifizieren und dadurch dann allerdings auch seine Subsumtion unter das Prädikat aufheben. Doch auf eine solche Weiterführung der äußerlichen zur objektiven Allgemeinheit will Hegel hier mit dem universellen Urteil naturgemäß nicht hinaus, da dieses ja die Anfangs- und nicht die Endstufe des ersten Subsumtionvollzugs darstellt, der in diesem letzteren Fall mit dem singulären Urteil hätte einsetzen müssen. Ja, Hegel scheint sogar beide Allgemeinheitsformen undifferenziert zu gebrauchen, wie sein Beispielsatz zeigt, in dem er ja nicht etwa von »Allem Materiellen« und »Allem Schweren«, sondern von »der Materie« sowie »der Schwere« spricht. Seine Auslegung des universellen Urteils als einer tautologischen und damit einer Aussage, welcher die Eigenschaft, Urteil zu sein, nicht (mehr) zukommt, erfordert die Einschränkung der Allgemeinheit auf der Subjektseite. Auf diese Weise entfaltet sich das partikuläre Urteil, in welchem innerhalb der Sphäre der Allheit ein Unterschied gesetzt wird. Dieser erweist sich jedoch als äußerlicher, unbestimmter Unterschied, inso16 17
GW 12.74. Vgl. GW 12.76 ff.
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fern die Subjekt-Prädikat-Beziehung innerhalb des partikulären Urteils sowohl in ihrer positiven als auch negativen Form gleichermaßen Gültigkeit beanspruchen kann: Wenn gilt »Einige A sind B«, so ist dadurch nicht ausgeschlossen, daß ebenso gilt: »Einige A sind nicht B« (dieses negativ-partikuläre Urteil wäre nur dann ungültig, wenn das positiv-partikuläre unter der Voraussetzung der Gültigkeit des universellen Urteils bzw. Satzes gefällt worden wäre). Wenn aber das Subjekt sowohl positiv als auch negativ auf das Prädikat bezogen ist, so ist seine Sphäre letztlich nicht eingeschränkt, sondern es wird als Subjekt überhaupt zum Prädikat in Beziehung gesetzt, und es ist dabei unerheblich, ob diese Beziehung positiv oder negativ ausfällt. Damit aber bleibt die Einschränkung der Allheit des Subjekts Forderung, die als solche im partikulären Urteil nur explizit gemacht wird. Um diese Forderung zu erfüllen und den Unterschied zwischen Subjekt und Prädikat zu setzen, muß die Allheit des Subjekts daher absolut eingeschränkt, d. h. aufgehoben werden, so daß sich das Subjekt zum numerischen Eins oder zur Einzelheit bestimmt und dadurch das singuläre Urteil entfaltet wird. Das Subjekt-Prädikat-Verhältnis des singulären Urteils wird als solches jedoch, wie schon ausgeführt, aufgehoben, insofern das Subjekt als Einzelheit oder Fürsichseiendes abstrahiert von anderen Einzelnen gesetzt ist und damit die Einheit oder Allgemeinheit des Prädikats aufhebt. Das Subsumieren des Einzelnen unter das Allgemeine ist also ohne die Mitte des Besonderen, welche im partikulären Urteil nur postuliert wird, nicht vollziehbar. Anfang und Ende der ersten Urteilsgruppe – das spätere »Urteil der Reflexion« – stellen somit, jeweils in entgegengesetzter Weise, die Auflösung der Urteilsstruktur dar: War das universelle Urteil, so wie Hegel es auslegt, eine Tautologie, also reine unterschiedslose Beziehung, so löst sich im singulären Urteil das Verhältnis von Subjekt und Prädikat gänzlich auf, und es bleibt das relationslose Fürsichsein der Einzelheit. Als Relationsloses ist das Einzelne jedoch ein Unbestimmtes. Insofern hebt es sich selbst auf und wird zum bloß Möglichen. Sich selbst aufzuheben heißt aber nichts anderes als daß das Einzelne sein Bestimmtsein durch das Allgemeine an sich selbst vollzieht bzw. daß das Einzelne das Besondere aus sich selbst entwickelt. So ist es zwar auf das Allgemeine bezogen, aber insofern dieses Beziehen einen Akt der Selbsttätigkeit darstellt, ist das Einzelne oder das Subjekt in seinem Bezogensein in Wahrheit ein Getrenntes oder ein Fürsichsein und tritt dem Allgemeinen oder dem
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Prädikat entgegen. Das Subjekt selbst ist auf diese Weise zum Verhältnis von Wirklichkeit und Möglichkeit, von Einzelnem und Besonderem geworden, hat dadurch die Mitte des Verhältnisses von Subjekt und Prädikat sozusagen auf seine Seite geholt und sich vom Prädikat gelöst. Es hat sich damit zugleich aber auch zur Grundlage oder Bedingung des Prädikats gemacht und damit wiederum auf dieses bezogen. Mit diesem Beziehen Getrennter, zu dem das Verhältnis von Subjekt und Prädikat sich nun entwickelt hat, tritt das Urteil erneut in die Differenz zweier Fürsichseiender, die charakteristisch ist für das Verhältnis des Seins. Doch ist diese Differenz nicht mehr diejenige von Ursache und Wirkung, da die mögliche Bestimmtheit als Ursache sich in die Wirklichkeit ihrer entgegengesetzten Bestimmtheit setzt und in diesem Beziehen ihrer beider Bestehen oder Fürsichsein aufhebt. Das Subjekt als sich aufhebende Einzelheit oder als Verhältnis von Einzelheit und Besonderheit hingegen »bleibt als Subject für sich selbst«,18 denn als Bedingung des Prädikats setzt es sich zwar in Beziehung zu demselben, jedoch in eine bloß mögliche, eine nur gesollte Beziehung, die sich folglich am Subjekt nur negativ ausdrückt. Diese lediglich gesollte oder geforderte Beziehung des Subjekts zum Prädikat als Beziehung von Bedingung und Bedingtem ist das hypothetische Urteil. Im hypothetischen Urteil ist also nicht nur das Prädikat das Aufgehobene, insofern es als Bedingtes nun unter das Subjekt subsumiert und nicht mehr das Zugrundeliegende, Subsumierende ist, sondern auch das Subjekt ist, da es in einer bloß möglichen, hypothetischen Beziehung zum Prädikat steht, ein Aufgehobenes. Damit hat es seine Reflexion in sich vollendet, und die Realisation der im hypothetischen Urteil nur postulierten Subjekt-Prädikat-Beziehung kann nur durch die Realisation des Prädikats im zweiten Subsumtionsprozeß erfolgen. Hegel führt mit dem hypothetischen Urteil, mit welchem er die erste Subsumtion des Subjekts unter das Prädikat vollendet, eine Urteilsart ein, welche sich grundlegend vom Typ der davor entfalteten drei Urteile unterscheidet. Bilden universelles, partikuläres und singuläres Urteil eine Gruppe, die er später, wie gesehen, als quantitatives bzw. als Urteil der Reflexion bezeichnen wird, so gehört das hypothetische Urteil zu einem Urteilskomplex, den Hegel im Rahmen der Nürnberger Schullogiken und in der Wissenschaft der Logik unter den Titel »Urteil der Notwen-
18
GW 7.86.
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digkeit« stellen wird. Und eben die Notwendigkeit der Beziehung von Subjekt und Prädikat ist es, die, auch wenn eine entsprechende zusammenfassende Bezeichnung hier noch fehlt, mit dem hypothetischen Urteil wieder in das Verhältnis des Denkens eintritt. Denn im Übergang zu demselben war die Notwendigkeit in der reinen Selbstbeziehung der Bestimmtheiten aufgehoben, insofern diese darin ihr Bestehen gegeneinander, ihr Fürsichsein aufgehoben, als aufgehoben gesetzt und sich damit zum bestimmten Begriff entwickelt hatten. Diese reine, unbedingte Selbstbeziehung jedoch erwies sich als nur formal, da die Bestimmtheiten ihr Bestehen in ihr Beziehen nicht integriert, sondern davon nur abstrahiert hatten. Damit aber setzte wieder die Spaltung der Momente des Begriffs ein: Beziehen und Bestehen bzw. Allgemeines und Einzelnes fielen auseinander und traten in die äußerliche Beziehung des Urteils. Nun wäre zunächst anzunehmen, daß mit diesem Auseinandertreten der Begriffsmomente sofort auch wieder die Notwendigkeit in deren Verhältnis eingetreten sei. Doch entstand, wie gesehen, mit dieser das Urteil bildenden Spaltung nicht das Verhältnis zweier Fürsichseiender, sondern das Fürsichsein der einen Seite bedeutete im Gegenteil das Aufheben des Fürsichseins der anderen Seite, und zwar zunächst das Aufheben oder Subsumieren des Subjekts unter das Prädikat. Erst wenn das Subjekt die Subsumtion seiner Einzelheit unter die Allgemeinheit des Prädikats an sich selbst vollzieht, dreht es damit den Subsumtionsvorgang nicht nur um und wird selbst das Zugrundeliegende als Bedingung des Prädikats, sondern trennt sich auch von diesem, so daß es das Verhältnis zum Prädikat zugleich zu einem Verhältnis zweier Fürsichseiender macht. Folglich hat sich erst im hypothetischen Urteil, insofern es nicht nur ein Subsumtions-, sondern ebenso ein Verhältnis zweier Fürsichseiender darstellt, die Spaltung des Begriffs realisiert, und auf diese Weise ist das hypothetische Urteil ein Urteil der Notwendigkeit, genauer: ein Urteil der geforderten Notwendigkeit, insofern seine in ihm ausgedrückte SubjektPrädikat-Beziehung eine nur geforderte oder gesollte ist. Die Erfüllung der postulierten Notwendigkeit der Beziehung von Subjekt und Prädikat muß nun durch den Vollzug der schon eingeleiteten entgegengesetzten Subsumtion des Prädikats unter das Subjekt, d. i. durch die Reflexion des Prädikats in sich stattfinden.
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e) Subsumtion des Prädikats unter das Subjekt: Positives, negatives, unendliches und disjunktives Urteil Der Ausdruck, durch den das Prädikat als subsumiert oder als Eigenschaft des Subjekts bezeichnet wird, das positive Urteil B ist A,19 geht unmittelbar über in den Ausdruck des negativen Urteils B ist nicht A, insofern dadurch das Subsumiertsein oder Inhärieren des Prädikats, d. h. das Prädikat als ein nicht Selbständiges, »nicht an sich selbst Seyendes« ausgesprochen wird. Die negative Beziehung dieses Urteils nun kann in zweifachem Sinn aufgefaßt werden. Entweder handelt es sich um eine bestimmte Negation, dann stellt der Ausdruck »nicht A« mittelbar selbst eine positive Bestimmtheit dar, nämlich eine dem A entgegengesetzte Bestimmtheit C. Diese muß, insofern sie entgegengesetzt und damit als Nicht-A bezeichnet wird, eine artgleiche Bestimmtheit sein, d. h. C und A müssen derselben allgemeinen Sphäre angehören. Wenn also beispielsweise das negative Urteil »Die Rose ist nicht blau« gefällt wird, so wird mit »nicht blau« der Rose indirekt eine andere Farbe, etwa rot, zugesprochen. Diese negative Bezeichnung des Rot als nicht blau ist aber nur möglich, weil beide Bestimmtheiten derselben allgemeinen Sphäre, nämlich der der Farbigkeit, als der Einheit, in der sie miteinander verbunden sind, zugehören. Wird mit dem negativen Urteil jedoch eine Negation überhaupt ausgesprochen, so ist damit jede positive Beziehung auf eine Bestimmtheit aufgehoben. Illustriert an dem genannten Beispiel impliziert das nicht nur den fehlenden Bezug auf eine andere bestimmte Farbe, sondern auch die Erweiterung der negativen Beziehung ins Unendliche, d. h. auf Sphären, denen das Subjekt Rose grundsätzlich nicht zugeordnet ist. Der Rose würde also nicht mehr nur keine Bestimmtheit der Farbigkeitssphäre zugesprochen, ihr würden darüber hinaus in beliebiger Weise Bestimmtheiten wesensfremder Sphären abgesprochen, wie z. B.: »Die Rose ist nicht geräuschvoll« oder »Die Rose ist nicht gerecht« etc.; negative Urteile also, die insofern widersinnig sind, als die allgemeine Sphäre des Prädikats, in diesem Beispiel diejenige des Akustischen und des Ethischen, mit
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Das Symbol B für das Subjekt ergibt sich daraus, daß dieses die an sich selbst entfaltete Besonderheit darstellt. Doch vollzog sich diese Entfaltung ja schon im hypothetischen Urteil. Dieses aber gibt Hegel unverständlicherweise mit dem Ausdruck: »Wenn Dieses ist, so ist B« (wobei »Dieses« genauer als »Dieses A« aufzufassen ist, wie aus dem weiteren Kontext hervorgeht) bzw. mit A:B wieder.
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dem Wesen des Subjekts, wie hier der Rose, nicht in Beziehung steht. Solche das Subjektwesen willkürlich überschreitende negative Urteile heißen unendliche Urteile. In diesen ist folglich, und darin sind sie den singulären Urteilen gleich, die Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat, d. h. die Urteilsstruktur selber, aufgehoben. Die geforderte notwendige Beziehung, d. i. Identifizierung der Urteilsglieder durch Aufhebung des Prädikats im Subjekt ist also im Prozeß von positivem, negativem und unendlichem Urteil nicht realisiert. Doch insofern sich vom unendlichen Urteil zeigt, daß es eigentlich kein Urteil ist, erweist sich auch die Doppeldeutigkeit des negativen Urteils als hinfällig. Die in ihm ausgedrückte negative Beziehung ist demnach eindeutig als bestimmte Negation aufzufassen. Es war schon ausgeführt worden, daß die bestimmte Negation des Prädikats A die positive Setzung einer dem A entgegengesetzten Bestimmtheit C impliziert. Dementsprechend impliziert umgekehrt die bestimmte Negation von C die positive Setzung von A. Kurz: Bestimmte Negation bedeutet, daß das Negierte in seinem Gegenteil aufgehoben ist und sich insofern schlechthin auf dieses bezieht. Ebenso bezieht sich die gesetzte Bestimmtheit schlechthin auf ihr Gegenteil, da sie ein positives Gesetztsein nur ist, indem sie eben dieses Gegenteil in sich aufgehoben hat. Zwischen den Prädikatbestimmtheiten besteht also eine ausschließende Beziehung, d. h. wenn die eine negiert ist, ist die andere gesetzt und umgekehrt. Infolgedessen kann sich das Subjekt auf die entgegengesetzten Bestimmungen nicht zugleich beziehen, sondern die Beziehung auf die eine schließt die auf die andere aus. Doch gerade dadurch, daß das Beziehen auf die eine Bestimmtheit das (bestimmte) Nicht-Beziehen auf die andere impliziert und umgekehrt, ist das Subjekt eben nicht nur auf die eine Prädikatbestimmtheit, sondern auch auf die dieser Prädikatbestimmtheit entgegengesetzten Bestimmtheiten bezogen, genauer: es ist auf die allgemeine Sphäre dieser Bestimmtheiten bezogen. Diese Beziehung wird wiedergegeben durch das Urteil »B ist entweder A oder C«, also durch das disjunktive Urteil. Im disjunktiven Urteil hat sich das Prädikat in sich reflektiert, insofern es als bestimmt Negatives ebenso die entgegengesetzten Bestimmtheiten Ausschließendes wie von diesen Ausgeschlossenes ist und damit die Allgemeinheit seiner Sphäre an sich selbst entwickelt hat. Die entgegengesetzten Bestimmtheiten dieser allgemeinen Sphäre sind folglich gleichermaßen, die eine ebenso wie die andere, auf das Subjekt bezogen bzw. nicht bezogen. Doch da sie nicht zugleich auf das Subjekt bezogen sind, ist ihre
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Einheit oder ihr Allgemeines nicht positiv gesetzt. So fallen im disjunktiven, so wie vorher schon im hypothetischen Urteil, Subjekt und Prädikat auseinander, und die Notwendigkeit der Beziehung des subjektiven Einheits- und des prädikativen Differenzprinzips ist eine nur geforderte. Das Subjekt ist demnach äußerliche, vom Prädikat getrennte Einheit, und die an diesem entwickelten Bestimmtheiten bestehen am Subjekt nur als gleichgültige Eigenschaften, die »andere für einander, nicht differente gegeneinander« sind. Die allgemeine Sphäre dieser Bestimmtheiten oder Eigenschaften entfaltet das Subjekt somit nicht immanent, d. h. nicht durch sich selbst, und ist so fixierte oder nach Hegels Ausdruck »paralysierte« Substantialität,20 so wie das Prädikat im hypothetischen Urteil vom Subjekt getrennt und gegen Einzelheit und Besonderheit fixierte Allgemeinheit ist.
f) Problematischer Übergang vom Urteil zum Schluß: Die Lücke zwischen der leeren Kopula »ist« und der »entwickelten Allgemeinheit« sowie eine Bedeutungsverschiebung der qualitativen Subjekt- und der quantitativen Prädikatallgemeinheit Die entgegengesetzten Subsumtionen verlaufen also so, daß an dem Punkt, an dem das jeweils subsumierte Glied seine Reflexion in sich vollendet und damit die Totalität des Verhältnisses an sich selbst entwickelt hat – das Subjekt im hypothetischen, das Prädikat im disjunktiven Urteil – nicht etwa die Adäquation der Urteilsglieder herbeigeführt ist, sondern dieselben statt dessen auseinanderfallen. Der Grund dafür liegt darin, daß die Reflexion in sich den Entwicklungsprozeß des jeweils subsumierten Gliedes hin zum Fürsichsein, also seine Emanzipation vom jeweils anderen subsumierenden Glied darstellt. M. a. W.: Indem Subjekt und Prädikat sich in sich reflektiert haben, haben sie sich selbst zum Fürsichsein entwickelt und als solches dem Fürsichsein des jeweils anderen Gliedes entgegengesetzt. Somit ist das Fürsichsein sowohl des Subjekts als auch des Prädikats ein zweifaches: Einmal ist es das unprozessuale, fixierte Fürsichsein des zugrundeliegenden Glieds, welches die Subsumtion am anderen vollzieht, zum anderen ist es, wie eben dargelegt, das Fürsichsein als Resultat des sich in sich reflektierenden subsumierten Glieds. So ist also im hypothetischen Urteil das Subjekt das aus dem Prozeß der Refle20
GW 7.90.
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xion in sich hervorgegangene, das Prädikat hingegen das fixierte Fürsichsein, während das disjunktive Urteil durch die umgekehrte Konstellation bestimmt wird. Um nun das Auseinanderfallen von Subjekt und Prädikat in diesen beiden Urteilen zu überwinden, müssen Hegel zufolge beide Urteilsglieder ihr in sich reflektiertes mit ihrem fixierten Fürsichsein, d. h. das hypothetische mit dem disjunktiven Urteil vereinigen. Möglich werden soll diese Vereinigung insofern, als beide durch ihre Reflexion in sich jede Stufe des Verhältnisses zueinander an sich selbst durchlaufen haben und sich damit nun auf ihr fixiertes Fürsichsein, das ihnen bis jetzt entgegengesetzt war, beziehen könnten. In dieser Vereinigung nun seien das in sich reflektierte Subjekt des hypothetischen und das in sich reflektierte Prädikat des disjunktiven Urteils identisch, und diese Identität sei »die entwickelte Allgemeinheit [als] Einheit des Besondern und Allgemeinen«.21 Dergestalt sieht Hegel die Extreme des Einzelnen und des Allgemeinen nun durch die erfüllte, nicht mehr durch die leere Mitte der Kopula »ist« verbunden, und so modifiziere sich das Urteil zum Schluß. Die so gedachte Vereinigung des hypothetischen mit dem disjunktiven Urteil und der damit einhergehende Übergang vom Urteil zum Schluß werfen allerdings Probleme auf. Erstens ist nicht plausibel, warum es die Verbindung von Subjekt und Subjekt sowie von Prädikat und Prädikat sein soll, welche diese Vereinigung herbeiführt. Wenn die Reflexion in sich die Entwicklung des subsumierten Subjekts sowie des subsumierten Prädikats zu einem Fürsichsein darstellt, dann ist in dieser Entwicklung doch wohl nichts anderes als die Realisierung ihres jeweils fixierten Fürsichseins zu sehen. In diesem Fall aber hätte man es nicht mit einem zweifachen Fürsichsein, sondern lediglich mit der vermittelten und der unmittelbaren Form desselben zu tun, so daß sinnvoll von einer Verbindung des Subjekts des hypothetischen mit dem des disjunktiven und des Prädikats des disjunktiven mit dem des hypothetischen Urteils nicht mehr gesprochen werden kann. Gleichwohl kann der unterschiedliche Status, der den Subjekten und Prädikaten dieser beiden Urteilsarten jeweils zukommt, nicht ignoriert werden. Das fixierte Fürsichsein des Prädikats innerhalb der ersten Subsumtion stellt, wie aus den Ausführungen zur Spaltung des bestimmten Begriffs schon hervorging, die quantitative Allgemeinheit dar, deren Entwicklung am Subjekt verläuft, welches im universellen, partikulären und singulären Urteil sich in sich reflektiert und sich im hypothetischen Urteil 21
GW 7.93.
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schließlich selbst als Fürsichsein dem Prädikat entgegensetzt. Das fixierte Fürsichsein des Subjekts im zweiten Subsumtionsvollzug hingegen ist qualitative Allgemeinheit, deren Bestimmtheiten durch das Prädikat, das sich im positiven, negativen und unendlichen Urteil in sich reflektiert und im disjunktiven Urteil als Fürsichsein vom Subjekt trennt, gesetzt und aufeinander bezogen werden. Das Prädikat des hypothetischen Urteils stünde somit als fixierte quantitative Allgemeinheit dem Prädikat des disjunktiven Urteils als in sich reflektierter qualitativer Allgemeinheit, und das Subjekt des disjunktiven Urteils als fixierte qualitative Allgemeinheit dem Subjekt des hypothetischen Urteils als in sich reflektierter quantitativer Allgemeinheit gegenüber. Wie aber diese entgegengesetzten Prädikat- bzw. Subjektfunktionen jeweils aufeinander zu beziehen sind, wird nicht einsichtig. Noch weniger plausibel ist, warum durch eine solche Beziehung des einen Prädikats auf das andere und des einen Subjekts auf das andere die Identität des in sich reflektierten Prädikats – also der in sich reflektierten qualitativen Allgemeinheit – und des in sich reflektierten Subjekts – also der in sich reflektierten quantitativen Allgemeinheit – konstituiert werden sollte, so daß Klaus Düsing zuzustimmen ist, wenn er diese Feststellung Hegels eine »reine Behauptung« nennt.22 Die mangelnde Plausibilität dieser von Hegel beanspruchten Identitätskonstitution liegt vor allem darin begründet, daß Prädikat und Subjekt trotz ihrer Reflexion in sich kein Moment entwickeln, welches einen immanenten Übergang zwischen den verschiedenen Allgemeinheitstypen, die sie repräsentieren, ermöglichte. Das wird sich in der Wissenschaft der Logik ändern. In dem dort sehr viel weiter entwickelten Urteilskapitel ergibt sich durch die Modifikation des quantitativen bzw. des Urteils der Reflexion und durch die Einführung des 1804/05 noch fehlenden kategorischen Urteils die Möglichkeit einer immanenten Verbindung von quantitativer und qualitativer Allgemeinheit: Denn insofern das Urteil der Reflexion hier nicht mehr, wie oben schon erwähnt, am Anfang steht, sondern dem qualitativen oder Urteil des Daseins folgt und sich, anders als 1804/05, nun vom singulären über das partikuläre zum universellen Urteil entfaltet, ergibt sich der Übergang vom universellen zum kategorischen Urteil, welches die erste Form des Urteils der Notwendigkeit ist und damit dem hypothetischen und disjunktiven Urteil vorangeht. Diesen Übergang gestaltet Hegel als das Fortschreiten von der quantitativen, d. h. der subjektiven oder induktiven Allgemeinheit der Allheit, welche 22
Klaus Düsing Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. 171, Fußn. 61.
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im Subjekt des universellen Urteils repräsentiert wird, zur qualitativen oder objektiven Allgemeinheit des Gattungsbegriffs, den das Subjekt des kategorischen Urteils repräsentiert und durch den sich ein Adäquationsverhältnis von Subjekt und Prädikat insofern herstellt, als sich in ihm das Wesen oder die innere Natur des Subjektbegriffs und damit die Notwendigkeit seiner Beziehung zum Prädikat ausspricht. So wird aus einer empirischen und deswegen noch im Zufälligen verbleibenden Aussage wie: »Alle Menschen sind vernunftbegabt« die notwendige Aussage: »Der Mensch (seinem Wesen nach) ist vernunftbegabt«. Diesen für sich genommen induktiven Übergang von der Allheit zur Gattung kann Hegel dadurch legitimieren, daß die Allgemeinheit des Prädikats innerhalb des Urteils der Reflexion eine schon – nämlich durch das Urteil des Daseins – vermittelte Allgemeinheit und so inneres Wesen des Subjekts ist, das aber erst im Gattungsbegriff des kategorischen Urteils explizit wird. Quantitative und qualitative Allgemeinheit innerhalb des Urteilskapitels 1804/05 hingegen bleiben sich nicht nur in der Verbindung der beiden Subjekte und der beiden Prädikate, sondern ebenso in der Verbindung des reflektierten Subjekts und des reflektierten Prädikats äußerlich. Ein weiteres Problem besteht darin, daß quantitative und qualitative Allgemeinheit in der Entwicklung des Urteils eine andere Bedeutung gewinnen als die, welche ihnen ursprünglich zugesprochen wurde. Die quantitative Allgemeinheit des Prädikats war ja bestimmt worden als die Einheit einer bestimmten Anzahl von Substanzen, d. h. als die Einheit, die außer der im Subjekt repräsentierten Substanz noch weitere, von dieser unterschiedene Substanzen in sich begreift. Der Vollzug der ersten Subsumtion aber zeigt, daß es nicht um die Entfaltung mehrerer, voneinander verschiedener Substanzen, sondern um die quantitative Verschiedenheit ein und derselben Substanz geht. Bezogen auf den Beispielsatz »Die Rose ist rot« heißt das: Die Allgemeinheit des Prädikats »rot« wird hier nicht als Einheit der Rose und anderer Substanzen, denen ebenfalls das Rote als Eigenschaft inhäriert, entwickelt, sondern als Einheit aller, einiger und einer einzelnen Rose. Analog verhält es sich mit der qualitativen Allgemeinheit des Subjekts, die als Einheit definiert wurde, welche außer der im Prädikat repräsentierten Eigenschaft noch andere Eigenschaften verbindet. Der Verlauf der zweiten Subsumtion aber zielt nicht darauf ab, das Subjekt als Einheit von Eigenschaften verschiedener allgemeiner Sphären, sondern es als Einheit verschiedener Eigenschaften ein und derselben Sphäre zu entfalten, wie sich an der disjunktiven Form des Beispielsatzes zeigen läßt: Die Aussage »Die Rose ist entweder rot oder gelb«
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intendiert die Rose nicht als Einheit differenter Eigenschaften, sondern beschreibt sie als Substanz, der eine der möglichen Eigenschaften ein und derselben allgemeinen Sphäre inhäriert. Die Einheit differenter Qualitäten läßt sich auch nicht durch das disjunktive Urteil explizieren; adäquat wäre vielmehr der Ausdruck: » B ist A, C und D«, d. h. bezogen auf den Beispielsatz etwa: »Die Rose ist rot, wohlriechend und langstielig«. Diese mit der Urteilskonzeption verbundenen Schwierigkeiten machen die Grundlage der nun zu betrachtenden Ausführungen Hegels zum Schluß zweifelhaft und erschweren somit das Verständnis derselben. Denn es ist nicht nur die Bildung der entwickelten Allgemeinheit als der für den Schluß konstitutiven Mitte unplausibel. Es bleibt aufgrund der Undurchsichtigkeit im Hinblick auf Zuordnung und Bedeutung der durch Subjekt und Prädikat repräsentierten Allgemeinheitstypen auch unklar, wie genau die Einzelheit des Subjekts auf der einen und die Allgemeinheit des Prädikats auf der anderen Seite und ihr Verhältnis zueinander zu verstehen sind.
g) Der Schluß: Die Unterscheidung von Mitte und Mittel und zwei daraus resultierende Subsumtionen Ziel des Schlußverfahrens soll es jedenfalls sein, die Spaltung beider Seiten aufzuheben und die im hypothetischen und disjunktiven Urteil nur geforderte Notwendigkeit ihres noch äußerlichen Verhältnisses zu realisieren, um dadurch schließlich die Legitimation der Identität des Verhältnisses des Denkens und des Seins zu erreichen. Ermöglicht werden soll diese Entwicklung Hegel zufolge durch die genannte Mitte des Schlusses. Diese unterscheidet sich von der leeren Kopula »ist« des Urteilsverhältnisses dadurch, daß sie Einzelheit und Allgemeinheit als ihre Momente in sich vereint, also deren Immanenzverhältnis darstellt, während beide Seiten sich im Urteil äußerlich sind, die Kopula »ist« somit das Dritte gegen sie darstellt. Die Mitte des Schlusses nennt Hegel daher auch die erfüllte Mitte, die er explizit als Identität von Subjekt und Prädikat und infolgedessen als deren notwendiges Verhältnis bezeichnet. Gleichwohl stellt diese Einheit von Subjekteinzelheit und Prädikatallgemeinheit noch nicht die Einheit von Einheit und Differenz beider Momente dar, sondern ist einseitig deren Einheit gegen deren Differenz. Subjekt und Prädikat sind also einerseits immanent aufeinander bezogen und konstituieren so die Mitte des Schlusses, andererseits aber sind sie
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einander und somit ihrer Mitte, in der sie verbunden sind, entgegengesetzt. In dieser Entgegensetzung sind sie also das Einzelne und das rein Allgemeine, welche dem Besonderen als ihrer Mitte entgegengesetzt sind. In dieser Äußerlichkeit der Momente zur Mitte aber ist diese nur Mittel, d. h. der Übergangspunkt, durch den sich das Einzelne mit dem Allgemeinen und umgekehrt verbindet. Als Mittel jedoch ist die Mitte nicht mehr wahrhafte Mitte, da wahrhaft eben nur die Mitte als Einheit beider Momente ist. Diese Unterscheidung der wahrhaften Mitte von der Mitte als Mittel wird insofern nicht einsichtig, als die Einheit von Subjekt und Prädikat bzw. Einzelheit und Allgemeinheit für sich gesetzt ebenso eine Einseitigkeit und damit Äußerlichkeit darstellt wie die Trennung beider Seiten. Unverständlich bleibt aber vor allem, wie nach der von Hegel behaupteten Vereinigung des disjunktiven Urteils mit dem hypothetischen Subjekt und Prädikat überhaupt noch als Getrennte oder Fürsichseiende gegen ihre Identität bestehen können, warum also, mit Hegels Worten, »der Bestimmte Begriff der Mitte … als solcher [nur] die einfache Einheit des allgemeinen und einzelnen, und [insofern …] seine gedoppelte Beziehung eine für ihn aüsserliche [ist]«. Die Erklärung, die dieser Ausführung unmittelbar folgt, ist denn auch eine höchst sonderbare. Es sei »unsere Reflexion, die ihn [sc. den bestimmten Begriff der Mitte] in diese Extreme entwickelt hat …«23 Daß an diesem Punkt der Entwicklung plötzlich das äußerliche Denken unserer Reflexion ins Spiel gebracht wird, muß als Willkür aufgefaßt werden, zumal unserer Reflexion hier nicht lediglich begleitende, sondern konstitutive Funktion zukommen muß, da die von ihr gebildete Konstellation der getrennt gesetzten Subjekt und Prädikat und der Mitte als Mittel die folgende Entwicklung des Verhältnisses des Schlusses hin zur Konstellation der Einheit von Subjekteinzelheit und Prädikatallgemeinheit als wahrhafter Mitte bestimmen wird. Insofern nun Einheit und Trennung beider Seiten einander entgegengesetzt sind, so soll durch die Entwicklung der einzelnen Schlußformen dieser Widerspruch dargestellt werden. Diese Darstellung erfolgt wiederum durch zwei entgegengesetzte Subsumtionen. Die erste Subsumtion ist diejenige der als getrennt gesetzten Subjekt und Prädikat, die jeweils die Mitte und die entgegengesetzte Seite subsumieren. Hierbei ist die Subsumtion der Mitte und des Prädikats unter das Subjekt als positive Subsumtion oder als Aufsteigen der Einzel23
GW 7.96.
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heit über die Mitte zur Allgemeinheit, die Subsumtion der Mitte und des Subjekts unter das Prädikat dagegen als negative Subsumtion oder als Niedersteigen des Allgemeinen über die Mitte zum Einzelnen zu verstehen. Positive und negative Subsumtion sollen Hegel zufolge schließlich zur zweiten, entgegengesetzten Subsumtion, d. i. zur Subsumtion des Subjekts und Prädikats unter die Mitte und damit zur Identität beider führen.
h) Die in sich reflektierte Einzelheit des Subjekts im hypothetischen und disjunktiven Schluß Die Einzelheit des Subjekts als des einen (positiv) subsumierenden Extrems des Schlusses repräsentiert nicht mehr die Einzelheit des Subjekts innerhalb des singulären Urteils. Diese war gleichgültiges Fürsichsein, d. h. von anderen Fürsichseienden abstrahiertes Fürsichsein, absolut Relations- bzw. Verhältnisloses, das als solches völlig unbestimmt ist. Insofern hob sich das Einzelne des singulären Urteils auf und wurde als dieses aufgehobene, also bloß mögliche Einzelne im hypothetischen Urteil gesetzt. Das Subjekt des Schlusses nun ist zwar auch ein Fürsichseiendes, Einzelnes, aber jetzt ist es die in sich reflektierte oder durch den Begriff gegangene Einzelheit und damit nicht mehr die Einzelheit als relationsloses Unbestimmtes, sondern die Einzelheit als Einheit von Bestimmtheiten oder die Einzelheit als Allgemeinheit. Sie ist demnach fürsichseiende Einheit oder: das Wirkliche der Einzelheit ist Allgemeines geworden. Allerdings wird diese Einzelheit, insofern sie zur Einheit von Bestimmtheiten entwickelt ist, als absolut Bestimmtes, d. h. als in sich Abgeschlossenes oder als Totalität begriffen. Auf diese Weise jedoch wird auch der Aspekt des Sichselbstgleichseins absolut bestimmend, so daß das Subjekt des Schlusses einseitig zur Einheit wird, welcher die Differenz ihrer Bestimmtheiten äußerlich ist. Die differenzlosen Bestimmtheiten aber sind nicht mehr als entgegengesetzte aufeinander bezogen, sondern gleichgültige gegeneinander. Damit aber werden sie zur schlecht unendlichen Vielheit und das Subjekt des Schlusses dementsprechend zur unbestimmten, leeren Einheit, welche Individualität heißt. Individualität ist demnach zwar, wie H. S. Harris ausführt, nicht mehr die absolut isolierte Einzelheit der Perzeption, sondern zur Allgemeinheit entwickelte Einzelheit, somit logische Substanz, doch insofern in der Individualität die Unterschiedenheit ihrer Bestimmtheiten aufgehoben ist, wird ihre Allgemeinheit wiederum zur unbestimmten Einzelheit
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oder zum leeren Dieses der sinnlichen Wahrnehmung. Und insoweit das Erkennen sich auf die sinnliche Wahrnehmung stützt, soll der Individualität wirkliches Sein auch nur als ein Dieses zukommen. Dann aber ist das Subjekt des Schlusses ein gänzlich unbestimmtes, leeres Sein bzw.: Es geht auf in seinem puren Daß-Sein. Dies nun drückt sich Hegel zufolge im hypothetischen Schluß aus, in welchem die im hypothetischen Urteil als aufgehoben oder möglich gesetzte Einzelheit nun wirklich gesetzt wird: Das im Obersatz: »Wenn dieses A ist, so ist B.« nur mögliche A wird im Untersatz zum wirklichen Sein: »Dieses A ist.«, und die conclusio lautet dementsprechend: »Da dieses A ist, so ist auch B.« Und gerade diese Einfachheit oder Unbestimmtheit des Subjekts A, welche lediglich zur reinen Existenzaussage führt, wird vom perzeptiv vorgehenden Denken bzw. vom »gemeinen Erkennen«, wie Hegel es nennt, als absolut Gewisses und somit als absolute Wahrheit aufgefaßt. Unvermittelt Aufgefaßtes ist jedoch keiner Erkenntnis zugänglich, so daß das reine Dieses des Subjekts des hypothetischen Schlusses sich in Nichts auflöst. Nun ist es ja aber auch nicht die Einzelheit als leere Diesheit, welche im Schluß-Subjekt repräsentiert wird. Vielmehr ist diese Einzelheit, wie gesehen, Reflexion in sich und damit Einheit entgegengesetzter Bestimmtheiten. Als solche kann sie allerdings nicht reine Einheit im Gegensatz zur Differenz ihrer Bestimmtheiten sein, sondern muß die immanente Beziehung dieser Bestimmtheiten ausmachen. Dadurch aber ist die Einzelheit des Subjekts immanent auf andere Einzelheiten, die selbst Einheiten entgegengesetzter Bestimmtheiten sind, bezogen. Sie kann also nicht in sich vollendete Einheit in dem Sinne sein, daß sie absolut getrennt von anderen Einheiten oder Individualitäten ist, denn damit würde eine unendliche Vielheit untereinander beziehungsloser Individualitäten konstruiert. Ein solches isoliertes Einzelnes wäre, wie Hegel zu Recht bemerkt, »ein bloßes Gedankending«, insofern es eine perzeptiv konstruierte Vorstellung eines gegen Anderes abgeschlossenen Ganzen oder Individuellen24
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Diese mit der Entwicklung des Schlußverfahrens einsetzenden Ausführungen Hegels zum Einzelnen als einem Diesem, dem wirkliches Sein zukommen soll, verweisen, wie Klaus Düsing zu Recht feststellt, schon auf das erste Kapitel der Phänomenologie des Geistes (Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. 174, Fußn. 68). Allerdings hätten diese Ausführungen, insofern sie die Frage nach der Rolle der Sinnlichkeit innerhalb des Erkennens implizieren, thematisch auch 1804/05 schon an den Anfang
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darstellt, dem als solchem kein reales Sein zukommen kann. Denn ein Ganzes im Sinne eines realen Dings muß ein vollständig Bestimmtes, d. h. ein Ding sein, dem von allen überhaupt möglichen Bestimmtheiten durchgängig jede zu- oder abgesprochen werden muß.25 Die Einzelheit des Subjekts kann insofern nicht nur ein Fürsichsein oder Sichselbstgleiches, d. h. ein Subsumierendes, sondern muß ebenso selbst Subsumiertes sein. Damit aber stellt sich die Frage, inwiefern das Subjekt Einheit sein kann, ohne als isoliertes Fürsichsein verstanden zu werden, kurz: inwiefern es »die in dem Entgegengesetzten sich erhaltende Einheit« sei. Eine solche Einheit nun wird möglich nur dann, wenn die beiden Seiten der im Subjekt repräsentierten Dingheit, seine Ganzheit auf der einen und die Mannigfaltigkeit seiner Eigenschaften auf der anderen Seite, nicht als gegeneinander äußerlich konzipiert, sondern als immanente Relation konstituiert werden. Dies aber kann ein perzeptiv operierendes Denken nicht leisten, da das sinnliche Beobachten den Aspekt der Ganzheit und denjenigen der Vielfalt seiner Eigenschaften immer nur separat aufzufassen in der Lage ist.26 Hegel führt nun den disjunktiven Schluß als diejenige begriffliche Operation an, durch die das Subjekt sowohl als subsumierendes wie auch als subsumiertes gesetzt zu sein scheint: Der Obersatz »B ist entweder A, C oder D« setzt das Subjekt B zunächst als Einheit oder Allgemeinheit
gestellt werden, also der Analyse der Verstandeskategorien Qualität und Quantität vorangehen müssen. 25 Es handelt sich hier um nichts anderes als den von Kant im Kapitel vom transzendentalen Ideal erörterten Grundsatz von der durchgängigen Bestimmung, unter dem jedes Ding, seiner Möglichkeit nach, stehe (KrV B 599 f.) und durch den gefordert ist, jedes Ding »mit dem Inbegriff aller möglichen Prädikate transzendental zu vergleichen.« Freilich ist Kant zufolge die Totalität der Bestimmtheiten eine Idee, d. h. einer empirischen Erkenntnis nicht zugänglich, so daß auch dem durch sie bestimmten transzendentalen Ideal eines »entis realissimi« keine objektive Realität zukommt. Gleichwohl ist dieses Ideal einer höchsten Realität kein Hirngespinst, insofern es die »vollständige materiale Bedingung« der Möglichkeit, Gegenstände ihrem Inhalt nach zu denken, also den Prototyp des Dings darstellt. Hegel seinerseits kann diese nur regelhafte Funktion naturgemäß nicht akzeptieren. Im Gegensatz zu Kant ist es sein Ziel, die Einheit von Denken und Sein zu konstituieren, um auf diese Weise, zumindest prinzipiell, auch den Inbegriff aller möglichen Bestimmtheiten erfassen zu können. 26 Dieses selektive Auffassen durch die Sinnlichkeit hat H. S. Harris im Blick, wenn er sagt: »The logical problem now is to discover the real essence of the thing so that its unity and its multiplicity will not remain mere observed facts.« (Hegel’s development. 380)
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seiner Eigenschaften A, C und D, insofern gleichermaßen jede sowohl positiv als auch negativ auf das Subjekt bezogen werden kann. Auf diese Weise jedoch ist seine Beziehung auf die Eigenschaften eine nur mögliche, das Subjekt somit nicht positiv gesetzte Einheit. Daher wird es im Untersatz auf eine dieser Eigenschaften oder Bestimmtheiten wirklich bezogen, d. h. unter diese subsumiert – »Nun ist B aber C.« –, um schließlich in der conclusio von den anderen Eigenschaften ausgeschlossen zu werden: »Also ist B weder A noch D.« Somit scheint das Subjekt B vollständig bestimmt, d. h. sowohl als subsumierend wie auch als subsumiert und damit in notwendige Beziehung zum Prädikat gesetzt. Tatsächlich jedoch wird diese Beziehung durch das disjunktive Schlußverfahren zerstört. Denn der Untersatz »Nun ist B aber C« stellt eine willkürliche Unterordnung des Subjekts B unter die als Prädikat gesetzte Eigenschaft C dar, insofern dem Obersatz zufolge C keine ausgezeichnete Stellung gegenüber den Eigenschaften A oder D zukommt. Dadurch jedoch verliert das Prädikat, das doch eigentlich die allgemeine Sphäre seiner sich gegenseitig ausschließenden und daher negativ aufeinander bezogenen Eigenschaften ausmacht, eben diesen Status der Allgemeinheit und wird herabgesetzt zu einem bloßen Dieses. Auf diese Weise aber wird die Bestimmtheit des Mittelbegriffs »eine diese, wie das Subject als ein dieses betrachtet wurde, und als solche ebenso nichtig.«27 M. a. W.: Es vollzieht sich keine Vermittlung zwischen Subjekt und Prädikat, zwischen Einzelheit und Allgemeinheit, sondern lediglich eine zufällige Verbindung zweier äußerlicher Bestimmtheiten. Hier deutet sich schon Hegels Kritik am subjektiven Formalismus des klassischen kategorischen Syllogismus an, die er in der Wissenschaft der Logik im Schlußkapitel, und zwar im Kontext des »Schlusses des Daseins« als der ersten, unmittelbaren Schlußform, ausführlich darstellen wird. Diese Kritik zielt im Kern darauf, daß die Begriffsbestimmungen innerhalb des Syllogismus als abstrakte, voneinander verschiedene behandelt werden, obwohl das Wesentliche des Schlußverfahrens doch gerade in der Konstituierung der Beziehung dieser Bestimmungen bestehen soll. Diese Inkonsequenz zeigt sich daher insbesondere am Mittelbegriff, der eben diese Beziehung oder Einheit darstellen soll, tatsächlich aber selbst nur wie eine weitere, von den anderen Bestimmungen verschiedene Bestimmung gehandhabt wird.28 27 28
GW 7.100. Vgl. GW 12.107.
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Und in diesen äußerlichen Formalismus vereinzelt gesetzter Bestimmungen, den Hegel 1804/05 als Verbundensein »nur durch ein anderes« beschreibt und als »einfachen« oder »Schluß überhaupt« bezeichnet, fällt nun die disjunktive Schlußoperation im Untersatz und der conclusio zurück. Sie führt damit im Ergebnis nicht zu der geforderten notwendigen Verbindung von Subjekt und Prädikat.29 Folglich muß diese Verbindung sich aus der Struktur des Subjekts selbst ergeben. Diese ist, wie gesehen, die Struktur der Einzelheit, welche nicht mehr ein leeres Dieses, sondern in sich reflektierte Einzelheit, d. h. Einzelheit als Einheit entgegengesetzter Bestimmtheiten ist. Diese Einzelheit aber ist unmittelbar selbst Allgemeinheit, und als solche ist sie eben nicht durch eine ihrer Bestimmtheiten auf die anderen Bestimmtheiten bzw. auf die allgemeine Sphäre, die sie ausmachen, bezogen. In diesem Fall wäre die Bestimmtheit, auf die das Subjekt wirklich bezogen ist, vereinzelt, insofern nur Mittel und dementsprechend die Beziehung, die dadurch hergestellt wird, eine nur äußerliche. M. a. W.: Die Mitte als Mittel wird zum Gegenteil dessen, was sie sein soll, nämlich zur scheidenden, nicht zur verbindenden Mitte. Das Subjekt steht zwar in ausschließender Beziehung zu seinen Eigenschaften, kann also auf eine Bestimmtheit immer nur unter Ausschluß der anderen bezogen sein. Doch insofern keine von diesen ausgezeichnet vor den anderen ist, kann auch keine als Mittel zur Konstituierung der Beziehung des Subjekts auf die Allgemeinheit, in der sie mit den übrigen verbunden ist, fungieren. Vielmehr konstituiert das Subjekt selbst diese Beziehung, insofern es Einheit als Wechselwirkung seiner Bestimmtheiten oder Eigenschaften und als solche selbst seine Mitte geworden ist. Diese ist jedoch keine neutralisierende Mitte. Denn das Subjekt setzt sich durchaus als bestimmt, doch ist dies Setzen das Setzen einer Bestimmtheit gegen die anderen Bestimmtheiten. Und in diesem ausschließenden Setzen der einen Bestimmtheit bleibt diese auf die anderen Bestimmthei-
29
In der Lehre vom Begriff der späteren Wissenschaft der Logik freilich wird im disjunktiven Schluß als der am höchsten entwickelten Schlußart eben diese notwendige Verbindung der Bestimmungen erreicht. Dies wird möglich, weil Hegel den disjunktiven Schluß ans Ende einer 1804/05 noch völlig fehlenden Syllogismus-Entwicklung setzt, innerhalb derer sich die Begriffsbestimmungen des Subjekts und Prädikats des Obersatzes von der Zufälligkeit bzw. Vereinzelung zum Verhältnis von Gattung und differentia specifica entwickeln.
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ten bezogen, so daß sie nicht zu einem leeren Dieses wird, sondern in ihr die ganze allgemeine Sphäre reflektiert ist. Kurz: Das Subjekt ist die in der Entgegensetzung sich erhaltende Einzelheit oder Bestimmtheit. Nun könnte der Einwand erhoben werden, daß dieses ausschließende Setzen doch eben diejenige Operation ist, die durch den disjunktiven Schluß vollzogen wird. Schließlich werde ja im Untersatz die eine Bestimmtheit gesetzt, um dann in der conclusio die entgegengesetzten auszuschließen. Doch eben dieses Setzen der einen Bestimmtheit in einem ersten und das Ausschließen der anderen in einem zweiten Schritt ist es, woran Hegel sich offensichtlich stößt. Denn das Ausschließen von entgegengesetzten Bestimmtheiten ist kein Akt, der aus dem Setzen einer dieser Bestimmtheiten erst gefolgert werden könnte. Das Setzen einer Bestimmtheit ist vielmehr nur möglich als Ausschließen ihrer entgegengesetzten Bestimmtheiten (und umgekehrt). Für sich genommen, sozusagen unter Ausschluß des Ausschließens, wäre das Setzen einer Bestimmtheit nur das Setzen eines leeren Dieses. Um den schon angeführten Beispielsatz heranzuziehen: Der Rose, die entweder rot, gelb oder weiß ist, kann eine dieser Farbbestimmtheiten nur dann zukommen, wenn die anderen als ihr nicht zukommend gesetzt werden. Erst dieses Zugleich von Setzen und Aufheben macht sie überhaupt zu einer Allgemeinheit oder einer Einheit, und nur als solche kann sie sich im Entgegengesetzten erhalten. Die Rose also, um das Beispiel noch einmal zu bemühen, die rot ist, insofern sie nicht gelb oder weiß ist, reflektiert in sich die allgemeine Sphäre der Farbigkeit und kann sich so in ihrer Bestimmtheit des Roten gegen die entgegengesetzten Bestimmtheiten erhalten. Dieses in sich reflektierte Subjekt, d. i. das bestimmte Subjekt, das in seiner Bestimmtheit zugleich Allgemeinheit ist und sich so gegen anderes Bestimmte erhält, hat sich zur Besonderheit entwickelt und ist als solches seine Definition. Nachdem das Subjekt sich auf diese Weise in seiner Einzelheit realisiert hat, muß nun umgekehrt auch das Allgemeine sich realisieren, d. h. sich mit dem Einzelnen zusammenschließen.
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i) Die Prädikatallgemeinheit im Schluß der Induktion – resümierende Betrachtung des Schlußverfahrens Im Gegensatz zum Subjekt besteht das Wesen des Allgemeinen nicht darin, eine Bestimmtheit unter Ausschluß der entgegengesetzten zu setzen und dadurch negative Beziehung der Bestimmtheiten zu sein, sondern vielmehr die Gleichheit der Entgegengesetzten, d. h. diese als in sich aufgehoben zu setzen und damit »das Positive der Disjunktion« zu sein. Konkret: In der allgemeinen Sphäre der Farbigkeit werden die einzelnen Farbbestimmtheiten gleich gesetzt bzw. ihre Entgegensetzung wird in der Identität oder Sichselbstgleichheit dieser allgemeinen Sphäre aufgehoben. Dieses Aufheben der Bestimmtheiten, das nicht ein Abstrahieren von deren Entgegensetzung darstellen darf, sondern Integration des Gegensatzes sein muß, vollzieht sich, indem die allgemeine Sphäre sich in die entgegengesetzten Bestimmtheiten differenziert und diese schließlich aufhebt, genauer: als aufgehoben setzt. Diese Realisierung des Allgemeinen nun scheint sich, ebenso wie die des Subjekts, adäquat durch eine bestimmte Schlußart zu vollziehen, und zwar durch den Schluß der Induktion. Die Induktion bezeichnet den Zusammenschluß des Allgemeinen mit dem Besonderen – als der negativen Einheit des Subjekts – durch die Einzelheit. Anders ausgedrückt: Was von der Vielheit der erfahrbaren einzelnen Subjekte gilt, das gilt von allen Subjekten. Z. B.: Rote Rosen sind farbig. Gelbe Rosen sind farbig. Weiße Rosen sind farbig … etc. Also: Alle Rosen sind farbig. Dieses induktive Schlußverfahren erweist sich jedoch ebenso wie das disjunktive als nicht wahrhafte Synthese des Prädikats und des Subjekts. Denn die Einzelheiten, durch die das Subjekt zu deren negativer Einheit und damit zur Besonderheit entwickelt und auf diese Weise unter das Allgemeine des Prädikats subsumiert werden soll, können noch keine in sich reflektierten Einzelheiten sein. Sie sind unmittelbar nichts weiter als gegeneinander gleichgültige unendlich Viele, somit leere Diese, denen, wie schon ausgeführt, keine Realität zukommt. Solche relationslosen Einzelheiten können also nicht das Resultat der Differenzierung des Allgemeinen in die Entgegensetzung sein und folglich auch nicht in diesem aufgehoben werden. Die Teilung des Allgemeinen und damit der Beginn seiner Realisierung als in sich selbst geschlossener Reflexion muß daher auf andere Weise erfolgen, die Hegel im einzelnen jedoch erst im dritten und letzten Teil der Logik erörtert.
Das Verhältnis des Denkens
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Bevor nun zu diesem letzten Teil übergegangen wird, sei eine abschließende Feststellung zur Funktion des Schlußverfahrens gemacht. Dieses sollte ja die durch das Urteil als dem im Äußerlichen verbleibenden Verhältnis nicht herbeigeführte notwendige Vereinigung von Subjekteinzelheit und Prädikatallgemeinheit konstituieren. Wie die Entwicklung zeigte, konnten allerdings auch die verschiedenen Schlußoperationen diese Synthese nicht entwickeln. Die Frage ist infolgedessen, warum sich Hegel überhaupt so ausführlich auf das Schlußverfahren einläßt, zumal die Realisierung der geforderten Synthese von seiten des Subjekts sich auf einer Basis vollzieht, die schon mit dem disjunktiven Urteil erreicht war. Nun könnte man spontan vermuten, daß es Hegel lediglich um eine Demonstration der Unzulänglichkeiten des Schlußverfahrens, welche dieses als ein Verfahren des Verstandesdenkens ausweisen, zu tun gewesen sei. Doch erscheint das angesichts des Umstands, daß der Schluß eine Entwicklungsstufe innerhalb der nicht mehr vom Verstandesdenken bestimmten Verhältnislogik darstellt, nicht sehr wahrscheinlich. Vielmehr muß Hegel mit seinen Ausführungen zu dieser Einheitsoperation schon ein Hinausgehen über den Bereich des Verstandes im Sinn gehabt haben. Und zweifellos ist die immanente Überleitung zwischen den einzelnen Schlußarten als ein solcher Versuch der Verstandesüberschreitung aufzufassen. Natürlich ist damit die spätere spekulative Weiterentwicklung des Schlusses nur angedeutet; er kann nur scheinbar die durch das Urteil aufgegebene Synthesefunktion erfüllen und macht infolgedessen, wie Hegel zu Beginn des letzten Kapitels noch einmal ausdrücklich feststellt, »die schlechte Realität des Begriffs« aus.30 Dieser Zwittercharakter des zugleich Verständigen und Vernünftigen, der dem Schluß eignet, zeigte sich schon an der Relationskategorie der Kausalität und dem mit ihr verbundenen Begriff der Kraft. Insofern tritt hier, in der Sphäre des Denkens, erneut der uneindeutige systematische Status der Logik des Verhältnisses hervor: Sie ist nicht mehr Logik des Verstandes, wird jedoch gleichwohl noch von der Metaphysik geschieden und erfordert so schließlich eine Neukonzeption der gesamten logischen Wissenschaft.
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GW 7.106.
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8. kapitel
k) Das zur Definition entwickelte Subjekt und das sich teilende Allgemeine als Vorstufe der »Proportion« von Denken und Sein Nachdem nun die erste der beiden geforderten Subsumtionen, nämlich diejenige der als getrennt gesetzten Subjekt und Prädikat, vollzogen ist, muß nun die wahrhafte Vereinigung des Subjekts und des Prädikats und damit die Mitte, in welcher beide subsumiert sind, konstituiert werden. Dies geschieht wesentlich dadurch, daß sich die Realisierung des Subjekts, d. i. der Zusammenschluß des Einzelnen mit dem Allgemeinen, auf der einen, und die Realisierung des Prädikats, d. i. der Zusammenschluß des Allgemeinen mit dem Einzelnen, auf der anderen Seite als jeweils unvollständige Synthesevorgänge aufgezeigt werden. Infolgedessen widmet Hegel die ersten beiden Abschnitte des Proportion betitelten letzten Kapitels der Logik einer vertiefenden Betrachtung des zur Definition entwickelten Subjekts und des sich teilenden Allgemeinen des Prädikats, um die Einseitigkeit beider Einheitsformen zu demonstrieren. Das in sich reflektierte Subjekt ist, wie gesehen, Allgemeinheit, insofern es in seiner Bestimmtheit gegen die entgegengesetzten Bestimmtheiten gerichtet und dadurch auf diese und d. h. auf die gesamte allgemeine Sphäre ausschließend bezogen bleibt. Es ist somit Selbsterhaltung als Aufheben des Entgegengesetzten, d. h. Definition. Doch gerade dieses immanente, notwendige Verhältnis zwischen der Selbsterhaltung des Subjekts und der Aufhebung seines Entgegengesetzten impliziert, daß das Subjekt in seinem Bestehen seinerseits bedingt ist durch eben dieses Entgegengesetzte. D. h.: Es ist wesentlich auf sein Anderes bezogen oder, wie Hegel formuliert, »dies Andere ist seinem Wesen nach in ihm selbst.«31 Das in sich reflektierte Subjekt kann sich insofern nicht gegen sein Anderes erhalten. Vielmehr hebt es, indem es sein Anderes und also sein eigenes Wesen aufhebt, auch sich selbst auf. Indem das Subjekt oder die (reale) Definition32 somit durch das Aufgehobensein oder die Idea31
GW 7.108. Daß es sich bei der Definition, zu der sich das Subjekt entwickelt hat, um eine Realdefinition handelt, geht zum einen daraus hervor, daß das Subjekt als negatives Eins Prinzip des Verhältnisses des Seins ist. Und das Sein impliziert, wie das Kapitel zur Definition deutlich macht, nicht nur die mechanischen Prozesse des Anorganischen, das Hegel als das wesentlich Untergehende, zur Selbsterhaltung nicht Fähige beschreibt, sondern vor allem auch die lebendigen Prozesse. Darüber hinaus aber wird er im weiteren Verlauf der logischen Entwicklung auch explizit von der Definition als realer Definition sprechen (s. GW 7.115). 32
Das Verhältnis des Denkens
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lität seines Anderen auch die Idealität seiner selbst ist, ist es Gleichheit beider, d. h. wesentlich selbst Allgemeinheit als positive Einheit. Diese positive Einheit als Idealität der Entgegengesetzten nun ist einseitig nur die Gleichheit und damit auch die Gleichgültigkeit, der »leere indifferente Raum« der als bestimmt gesetzten Subjekte. Zwar kann sie an diesem Punkt der Entwicklung nicht mehr auf die einfache unterschiedslose Gleichheit reduziert werden. Die positive Einheit oder Allgemeinheit ist mehr als diese einfache Gleichheit, denn sie ist Gleichheit als Resultat der in sich selbst reflektierten Fürsichseienden, der sich gegen ihr Anderes ausschließend verhaltenden Subjekte. Doch diese können, wie gesehen, im Ausschließen des Anderen sich nicht selbst erhalten. Die Selbsterhaltung des Einzelnen im Allgemeinen drückt sich in der Definition lediglich als Forderung aus, insofern das Subjekt darin nur zur Besonderheit als zur bestimmten Allgemeinheit entwickelt ist. Als Besonderheit aber soll die Bestimmtheit des Subjekts, die doch ihr Wesen in ihrer entgegengesetzten Bestimmtheit hat, sich eben gegen diese entgegengesetzte Bestimmtheit als ein Fürsichsein setzen. Das nun ist nur möglich, wenn das bestimmt gesetzte Subjekt zu seinem Anderen in einen äußerlichen Gegensatz tritt. Darin aber ist seine Selbsterhaltung eine nur scheinbare, da nichts anderes als das beziehungslose, gegen Anderes gleichgültige Fürsichsein des Dieses. In der Besonderheit stellt sich also die schlechte Realität dar, insofern sie das Zerfallen der positiven Einheit oder Allgemeinheit des Subjekts in die gleichgültige Vielheit seiner entgegengesetzten Bestimmtheiten ist. Allerdings stellt jede dieser entgegengesetzten Bestimmtheiten in ihrem Fürsichsein potentiell die Beziehung auf ihr Entgegengesetztes und d. h. auf das Ganze ihrer Allgemeinheit dar, insofern sie ihr Anderes ja nicht eigentlich aufgehoben, sondern sich von ihm nur abstrahiert bzw. isoliert gesetzt haben. Daher zeigt sich an jedem fürsichseienden, bestimmten Subjekt seine allgemeine Sphäre, und diese potentielle Immanenz des Verhältnisses der Subjekte zu ihrer positiven Einheit entfaltetet Hegel zufolge dieses Verhältnis zu demjenigen von Art und Gattung. Das ändert zunächst jedoch nichts an der Äußerlichkeit dieses Verhältnisses. Die Gattung selbst ist noch nicht immanente, negative Einheit; d. h. die Allgemeinheit oder Identität der Arten, die sie doch darstellen soll, hat sich noch nicht als Selbstbeziehung entfaltet, sondern existiert nur in der bestimmten Ausprägung, d. i. in der Besonderheit ihrer (fürsichseienden) Arten. Um wiederum das Rosenbeispiel zur Erläuterung heranzuziehen: Die Rose existiert nicht als Gattung oder Allgemeinheit,
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8. kapitel
sondern nur in ihrer Bestimmtheit oder Besonderheit der verschiedenen Rosenarten, welche sich nach den Wesensmerkmalen des Gattungsbegriffs wie in diesem Fall etwa denen der Farbigkeit, Stielförmigkeit, des olfaktorischen Charakters etc. spezifizieren und dementsprechend etwa als rote, langstielige Rose, als weiße, kurzstielige Rose, als gelbe, stark duftende Rose etc. existieren. Insofern also zerfällt die Allgemeinheit der Gattung in die gleichgültige Vielheit ihrer Arten, sie wird zur Einteilung oder verliert sich in der »Vervielfältigung der Definitionen«. Dieses äußerliche Verhältnis der Arten ist charakteristisch für die Unmittelbarkeit der empirischen Wahrnehmung des lebendigen Prozesses, in welcher die bestimmten Subjekte oder Arten nicht zueinander in Beziehung stehen. Sie existieren als Menge oder Vielheit sich für sich erhaltender Organismen, die gleichgültig gegeneinander sind und deren Differenz gegeneinander zunächst nicht an ihnen selbst hervortritt. Die negative Beziehung, in der sie zueinander stehen, liegt also gleichermaßen außer ihnen. Der lebendige Prozeß ist so die Totalität in der äußerlichen Form der Vielheit, die »das Ganze der so genannten empirischen Anschauung« ausmacht.33 Die Entwicklung nun aus der Vielfalt der indifferent existierenden Arten hin zur differenten Einheit derselben, also die Entwicklung der in Teilen verlorenen und damit bloße Gemeinschaftlichkeit gewordenen Allgemeinheit zur fürsichseienden Identität differenter Momente beginnt sich erst im Erkennen zu vollziehen. In diesem muß also das Aufheben der vielerlei Arten in die Allgemeinheit ihrer jeweiligen Gattungen und damit auch die Entwicklung der verschiedenen Gattungen zur Totalität der absoluten Gattung, kurz: die Synthese von Indifferenz und Differenz realisiert werden. Und dadurch soll sich schließlich die wahrhafte Mitte des Subjekts als des negativen Eins und des Prädikats als des positiven Eins, d. h. es soll sich die Einheit des Wesens des Seins und des Wesens des Denkens oder die absolute, sich wissende Selbstbeziehung konstituieren. Das, was Hegel »Proportion« nennt, die Entsprechung des Verhältnisses des Seins und des Verhältnisses des Denkens, entsteht also eigentlich erst im Erkennen. Die Ausführungen der »Definition« und »Einteilung« betitelten Abschnitte sind, wie schon angedeutet, genau genommen vertiefende Überlegungen zur Realisierung des Subjekts als Einzelnen und des Prädikats als Allgemeinen und gehören somit, Hegels Einteilung entgegen, eigentlich noch zum Verhältnis des Denkens. 33
GW 7.114.
9. kapitel Rekapitulation des logischen Prozesses Die Konstituierung der Verbindung von Indifferenz und Differenz, von positiver und negativer Einheit im Erkennen steht unter der Bedingung, aus der Verhältnisstruktur der Logik heraustreten zu müssen. Ehe dieser Übergang jedoch näher untersucht wird, ist es nötig, Ursprung und Verlauf des verhältnislogischen Prozesses zu rekapitulieren. Was den ersten Aspekt angeht, so ist festzuhalten, daß das Verhältnis Resultat der Entwicklung der logischen Sphäre der einfachen Beziehung ist, deren spezifische Struktur darin besteht, daß Qualitäten oder Bestimmtheiten als reine Sichselbstgleichheiten aufgefaßt werden, deren Relation zueinander in einem Verstand, der ihnen äußerlich ist, konstituiert wird. Diese Struktur der einfachen Beziehung mündet in einen unendlichen Progreß des Begrenzens und Nichtbegrenzens der vielen Bestimmtheiten. Insofern sich jedoch das Setzen und Aufheben der Grenze der Bestimmtheiten, d. i. das Unterscheiden und Beziehen derselben als wesentlich durcheinander bedingt erweisen, modifiziert sich ihre äußerliche Beziehung im unendlichen Progreß oder der schlechten Unendlichkeit in die immanente Beziehung der wahrhaften oder absoluten Unendlichkeit. Die Bestimmtheiten treten damit aus einem ihnen zunächst äußerlichen Prozeß in einen Prozeß der Selbstbewegung bzw. die Dynamik des Prozesses, dem sie unterworfen sind, erweist sich als in ihnen selbst liegend. Durch die auf diese Weise sich konstituierende subjektive Struktur der Bestimmtheiten vollzieht sich der Übergang von der Logik der einfachen Beziehung in die Logik des Verhältnisses. Deren Verlauf nun, und damit wird zum zweiten Aspekt dieser rekapitulierenden Betrachtungen übergeleitet, besteht darin, daß die wahrhafte Unendlichkeit oder die Subjektivität der Bestimmtheiten, insofern sie erst ihrem Begriff, also ihrer Konzeption nach entwickelt ist, sich realisieren oder legitimieren, d. h. aus und durch sich selbst entfalten muß. In der ersten Kategorie der logischen Sphäre des Verhältnisses, der Kategorie des Substanz-Akzidenz-Verhältnisses, entfaltet sich die subjek-
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9. kapitel
tive Struktur der Bestimmtheiten zunächst als Struktur der Möglichkeit. Denn ihre immanente Beziehung aufeinander bedeutet, daß sie ihr Bestehen nur in Relation zum Anderen, also wesentlich im Aufgehobensein, und d. h. eben als Möglichkeit haben. In ihrer Möglichkeitsstruktur zeigen sie sich also als in sich entzweite: Sie sind einerseits aufgehobene und somit nicht bestehende, haben andererseits jedoch eben in diesem Aufgehobensein ihr Bestehen. So fallen Bestehen und Aufgehobensein der Bestimmtheiten auseinander, und zwar in der Weise, daß das Bestehen der einen das Aufgehobensein der anderen und umgekehrt ausmacht. Und dieses ausschließende Verhältnis der Bestimmtheiten begründet ihre Wirklichkeit. Die Selbstbewegung jeder wirklichen Bestimmtheit realisiert sich also zunächst einseitig nur als Aufheben der entgegengesetzten. Doch gerade in dieser ausschließenden Bewegung bezieht sich die wirkliche Bestimmtheit auf die andere und manifestiert so ihr Wesen, selbst ein Aufgehobenes oder Mögliches zu sein. Um ihre Wirklichkeit gegen diejenige ihres Anderen zu erhalten, um sich also der Notwendigkeit des Aufhebens des einen Wirklichen im anderen Wirklichen zu entziehen, muß die Bestimmtheit ihre Beziehung auf ihr Anderes als Beziehung auf sich selbst reflektieren. Diese Reflexion erfolgt erst in der Kategorie der Kausalität als der zweiten Stufe des Verhältnisses, und zwar in folgenden Schritten: In der Bestimmtheit wird 1. die gegen das Andere gerichtete Bewegung des Aufhebens und damit letztlich das Bestehen oder die Wirklichkeit dieses Anderen als Bedingung für das eigene Bestehen reflektiert. Insofern aber die Wirklichkeit einer Bestimmtheit innerhalb des Substantialitätsverhältnisses als das Aufheben ihrer entgegengesetzten realisiert worden war, so reflektiert die Bestimmtheit nun 2. die Wirklichkeit des Anderen als ihre eigene Möglichkeit. Dadurch ergibt sich die Forderung, die Wirklichkeit des Anderen als die eigene Wirklichkeit zu setzen. Nur so kann das Bestehen oder die Wirklichkeit der Bestimmtheiten sich in ihrem Übergehen erhalten, und nur so kann schließlich das unaufhörliche Übergehen in Anderes, das zwar eine in den Bestimmtheiten selbst liegende, aber hinsichtlich ihres Anfangs- und ihres Zielpunktes in ihnen nicht begriffene Bewegung ist, langfristig in eine wissende Selbstbeziehung überführt werden. Die Realisierung des Bestehens der Bestimmtheiten kann jedoch, wie sich gezeigt hat, im Kausalitätsverhältnis nicht erfolgen. Denn der Begriff der Ursache läßt sich nicht realisieren als Äußerung einer Bestimmtheit,
Rekapitulation des logischen Prozesses
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die in dieser Äußerung sich selbst gleich bleibt, also ihr Bestehen erhält. Denn das Anderssein oder die Verschiedenheit ihres Bestehens und des Bestehens der Bestimmtheit, auf welche sie sich äußernd oder selbst-verwirklichend bezieht, ist in eben dieser Beziehung, insofern diese Selbstbeziehung ist, aufgehoben. So hat die wirkende Bestimmtheit die Wirklichkeit der entgegengesetzten zwar als ihre eigene, damit aber auch ihrer beider Unterschiedslosigkeit gesetzt, in der sie, ebenso wie sie die andere aufgehoben hat, selbst aufgehoben ist. Auf diese Weise wird das Kausalitätsverhältnis zum Verhältnis der Wechselwirkung, in dem beide Bestimmtheiten sich neutralisieren und die Kontinuität des unendlichen Übergehens fixiert oder »paralysiert« ist. Diese Bewegungslosigkeit entsteht also dadurch, daß die Bestimmtheiten als wirkliche und mögliche nicht mehr entgegengesetzt sind, sondern sich zur Einheit von Wirklichkeit und Möglichkeit entwickelt haben, einer Einheit allerdings, in welcher sie sich als Bestehende oder Wirkliche selbst aufgehoben haben, d. h. in welcher sie nicht mehr negativ gegeneinander, sondern negativ gegen sich selbst sind. Die Indifferenz, als die sich diese Einheit unmittelbar darstellt, erweist sich somit als Idealität des Bestehens der Bestimmtheiten; folglich ist diese Einheit keine leere Einheit, in welcher der Unterschied der Bestimmtheiten verschwunden wäre, sondern Einheit, in der ihr aufgehobener Unterschied als solcher gesetzt ist. Die Einheit als Beziehung der Ideellen stellt also nichts anderes dar als das Verhältnis des realisierten oder in sich reflektierten Seins, d. i. das Verhältnis des Denkens. Dieser Übergang von der Verhältnislogik des Seins in diejenige des Denkens nun scheint dem Übergang von der blinden, unbegriffenen Selbstbewegung der Bestimmtheiten in die begreifende Selbstbeziehung derselben zu entsprechen. Hegel nennt denn auch die durch den Prozeß von Kausalität und Wechselwirkung in sich reflektierte Bestimmtheit nicht nur den bestimmten Begriff, sondern explizit auch die sich begreifende Bestimmtheit. So hätte sich also schon an diesem Punkt das Heraustreten des Prozesses der Unendlichkeit aus dem Verhältnis vollzogen, das doch den Ausführungen dieses Logikentwurfs zufolge erst mit dem Erkennen einsetzt. Nun ist zwar, wie sich gezeigt hat, entgegen diesem ersten Anschein das Ende des Verhältnisses mit dem Übergang in den Bereich des Denkens noch nicht erreicht, gleichwohl wird dadurch der Schritt aus dem
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9. kapitel
Verhältnis heraus im Ansatz durchaus schon vollzogen: Im Denken sei, so führt Hegel aus, das Verhältnis das Gegenteil seiner selbst geworden; denn das Beziehen und Bestehen der Bestimmtheiten sind nicht mehr differente Seiten, sondern es existiert nur noch das reine Beziehen oder die reine Sichselbstgleichheit, in welcher das Bestehen der Bestimmtheiten als aufgehoben bzw. ideell gesetzt ist, so daß durch diese Unterbrechung des unendlichen Kontinuums unmittelbar auch das Verhältnis aufgehoben ist. Nicht von ungefähr bringt Hegel an diesem Wendepunkt, den die »paralysierte Unendlichkeit« markiert, das Verhältnis von Raum und Zeit, welches im naturphilosophischen Teil dieses Systementwurfs erörtert wird, ins Spiel. So beiläufig diese Erwähnung auch sein mag, so kann doch nicht ignoriert werden, daß Hegel die ideell gesetzte, also nur geforderte Wirklichkeit der unterbrochenen Prozessualität als ein Sein »ohne Zeit« beschreibt, was darauf schließen läßt, daß das vorausgegangene Kontinuum in irgendeiner Weise zeitbezogen sein muß. Erhärtet wird diese Überlegung dadurch, daß Hegel über diese indirekte Beschreibung »ohne Zeit« hinaus die Einheit der ideell Entgegengesetzten als deren »allgemeinen Raum« bezeichnet – so wie er schon zu Beginn der Verhältnislogik des Seins die sich unmittelbar als einfache, d. h. gegensatzlose Identität präsentierende wahrhafte oder immanente Unendlichkeit den Raum nannte, in dem die Qualitäten gleichgültig gegeneinander »eine so gut als [die] andere« ihr Sein haben. Indem nun, wie detailliert dargelegt wurde (s. S. 111–116), im Kontext des naturphilosophischen Teils der Raum als die Sichselbstgleichheit, die Zeit hingegen als Darstellung des Unendlichen bestimmt und dementsprechend ein immanentes Übergehen von Raum in Zeit und von Zeit in Raum konstituiert wird, so ist darin leicht der Prinzipiencharakter dieser beiden elementaren logischen Momente – Sichselbstgleichheit und Unendlichkeit – für die beiden elementaren Momente des materiellen Prozesses – Raum und Zeit – zu erkennen. Es gibt in diesem Kontext jedoch, und das ist besonders im Hinblick auf das im folgenden zu erörternde Heraustreten aus dem Verhältnis des Logischen signifikant, noch eine weitere Charakterisierung der Zeit, die umgekehrt als wichtiger Hinweis auf die Entwicklung der Stufen von Subjektivität innerhalb der Logik und schließlich auch der Metaphysik verstanden werden kann. Hegel nennt nämlich die Zeit »die absolute, nur blinde, Macht der Natur, sie ist … einer der ältern Götter, dem, was der Natur angehört nichts widerstehen kann, aber der wo der Geist sich realisirt, selbst in die Gränt-
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zen der Nacht zurükverwiesen wird.«1 Daß die Macht der Zeit über die Natur absolut ist, ergibt sich insofern, als, wie in der Logik prinzipiell vorgeführt, nichts Endliches sein Bestehen im unendlichen Kontinuum des Sich-Beziehens bzw. Sichnegierens bewahren kann. Daß dieses Kontinuum nun anders als im logischen Kontext explizit auch als ein blind verlaufender Prozeß charakterisiert wird, würde die in dieser Arbeit vertretene These von einer in den verhältnislogischen Bestimmtheiten zunächst zwar noch nicht begriffenen, aber durchaus in ihnen selbst sich vollziehenden Bewegung, die des äußeren Movens »unserer Reflexion« nicht mehr bedarf, stärken. In jedem Fall aber steht diese Charakterisierung des unendlichen Kontinuums als blinder Macht im Kontrast zu Hegels oben diskutiertem Diktum vom »toten Inhalt« der Verhältnislogik (s. S. 91–95), dessen Bewegung äußerlich, nämlich in »unserer Reflexion« verlaufe. Denn ist die Blindheit, durch die der Zeitprozeß bestimmt wird, auch für das unendliche Kontinuum des Sichnegierens innerhalb der Verhältnislogik des Seins relevant – und diese Analogie legt sich nahe, da die Zeit ja ausdrücklich als Darstellung des Unendlichen bestimmt wird –, so kann unter diesem Kontinuum wohl kaum die äußerliche Bewegung »unserer Reflexion« verstanden werden, da blind vollzogenen Operationen derselben keine konstitutive Funktion für die Entwicklung der Bestimmtheiten zukäme und sie somit überflüssig würde. Wird die Blindheit jedoch als Attribut des Inhalts selbst und dieser folglich als anleitungsbedürftig durch eine äußere Instanz aufgefaßt, so wäre die Immanenz und damit die Legitimationsfunktion des gesamten Prozesses der wahrhaften Unendlichkeit in Frage gestellt. Also kann die verhältnislogische Entwicklung sinnvoll nur als immanente, unabhängig von einer äußeren Reflexion verlaufende Entwicklung des Inhalts selbst, und dieser daher nicht als tot aufgefaßt werden. Freilich muß dann von der Möglichkeit ausgegangen werden, daß die Bestimmtheiten, obwohl sie zunächst blind, also nicht von Anbeginn schon begreifende sind, diese defiziente Struktur aus sich selbst heraus überwinden können. Ein erstes Fortschreiten der Subjektivität von der Selbstbewegung der Bestimmtheiten hin zu diesem begreifenden Selbstbezug vollzieht sich nun, wie schon gesagt, im Übergang zur Idealität des Verhältnisses des Denkens. In diesem war das Bestehen der Bestimmtheiten in ihrem reinen Sich-Beziehen, d. h. der reinen Sichselbstgleichheit aufgehoben. Die Bestimmtheiten haben sich im Denken also insoweit in sich selbst reflek1
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tiert, als sich ihr Negieren gegen Anderes umgebogen hat in ein Negieren gegen sich selbst. Und in diesem Insichsein der an sich selbst negativen Bestimmtheiten ist ihr Prozeß unterbrochen. Doch schon dieser Ausdruck des unterbrochenen oder, wie Hegel sagt, »paralysierten« Prozesses der Unendlichkeit zeigt an, daß deren Entwicklung hier noch nicht vollendet ist. Deutlich wird das schon im Kapitel über den bestimmten Begriff, in dem der nur formale Charakter des Aufgehobenseins der bestehenden Bestimmtheiten dargelegt wird: Die Bestimmtheiten haben sich zwar zur Einheit ihrer und ihres Entgegengesetzten entwickelt und sich dadurch mit sich selbst vermittelt, doch haben sie darin ihr Bestehen nicht aufgehoben, indem sie es integriert, sondern indem sie lediglich davon abstrahiert haben. So setzen sie sich zwar nicht mehr als negativ gegeneinander und treten somit auch nicht mehr aus sich heraus, aber sie treten zu sich selbst in Gegensatz oder unterscheiden sich von sich selbst, indem die beiden Seiten ihrer Einheit, das Eins- und das Getrenntsein, in ihnen unverbunden nebeneinander stehen. So werden sie sich gleichsam selbst äußerlich, und die Freiheit ihres Insich-, ihres nur noch auf sich selbst Bezogenseins erweist sich als formale, da sie nun bedingt sind durch den Gegensatz in sich selbst, der ihren unterbrochenen Prozeß wieder in Gang setzt.2 Dieser auf sich selbst bezogene Gegensatz äußert sich jedoch nicht mehr als Prozeß des Beziehens und Bestehens, sondern als Prozeß der Spaltung des bestimmten Begriffs in Allgemeinheit und Einzelheit, die sich aus der spezifischen Bewegung des Aufhebens als eines bloßen
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Die Analogie, die zwischen der Blindheit des Zeitprozesses und dem zunächst noch nicht begreifend verlaufenden logischen Kontinuum hergestellt wird, soll also keineswegs auch eine Analogie zwischen dem sich realisierenden Geist, in dem die Zeit Hegel zufolge ja getilgt wird, und dem Verhältnis des Denkens, in dem das Kontinuum nur unterbrochen ist, implizieren. Die Sichselbstgleichheit, zu der sich die Bestimmtheiten im Denken entwickeln, ist, wie ja schon erwähnt, mit dem Raum in Zusammenhang zu bringen, und stellt noch längst nicht die wissende Selbstbeziehung des Geistes, sondern den Gegensatz an sich selbst, d. h. ein erst negatives Selbstverhältnis dar, welches allerdings die erste Voraussetzung für das Sich-Wissen ausmacht. In diesem Zusammenhang kann grundsätzlich gefragt werden, ob Hegel hier überhaupt in angemessener Weise mit dem Kronos-Mythos operiert, auf den er mit seiner Rede von der Zeit als einem der älteren Götter ja zweifellos anspielt. Es erscheint jedenfalls fraglich, ob der Sturz des Kronos durch seinen jüngsten Sohn Zeus, also der Wechsel vom Göttergeschlecht der Titanen zu den olympischen Göttern, als Aufhebung der Zeit zu verstehen ist, zumal es variierende Mythen über das Schicksal des gestürzten Kronos gibt.
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Abstrahierens statt eines Integrierens ergibt: Das Moment des Einsseins mit dem Entgegengesetzten, durch das sich die Bestimmtheit einerseits zur Allgemeinheit entwickelt, reflektiert sich andererseits eben dadurch, daß es von der Entgegensetzung abstrahiert, zum einfachen Einssein oder zum Einzelnen, das selbst wieder nur ein Bestimmtes gegen ein anderes Bestimmtes ist; und das Moment des Einzelnen reflektiert sich seinerseits, insofern sein Fürsichsein kein relationsloses, sondern ein von der Relation zu Anderem nur abstrahiertes ist, wieder in die Allgemeinheit. Dieses wechselseitige Sich-Reflektieren der beiden Momente versteht Hegel als ein entgegengesetztes Subsumieren derselben, das sich durch das Verhältnis von Subjekt und Prädikat, kurz: durch das Urteil ausdrückt. Diese Auffassung nun ist, wie detailliert dargelegt wurde, insofern problematisch, als nicht einsichtig wird, inwiefern sich durch die Reflexion des Allgemeinen in das Einzelne ein zweiter Allgemeinheitstyp konstituieren sollte, der es erlaubte, in der Folge das Allgemeine als Dingheit von dem Allgemeinen als Eigenschaft zu unterscheiden. Eben diese Unterscheidung aber trifft Hegel, und er muß sie treffen, wenn sich das Verhältnis von Allgemeinem und Einzelnem zu dem von ihm behaupteten entgegengesetzten Subsumtionsverhältnis entwickeln soll, in dem nicht nur die übliche Subsumtion des Einzelnen unter das Allgemeine, d. h. des Subjekts unter das Prädikat, sondern ebenso die des Allgemeinen unter das Einzelne, also die des Prädikats unter das Subjekt sich vollzieht. Doch einmal abgesehen von der im einzelnen nicht plausiblen Herleitung des Unterschieds von Dingheit und Eigenschaft aus der wechselseitigen Reflexion des Allgemeinen und Einzelnen ist der entscheidende Gedanke Hegels in bezug auf seine das traditionelle Verständnis modifizierende Auffassung des Urteils darin zu sehen, daß er dieses nicht mehr als Beziehung zweier ursprünglich relationsloser Glieder, sondern als Spaltung der ideellen Einheit des bestimmten Begriffs versteht. Durch die entgegengesetzten Subsumtionsvorgänge setzt sich so zwar der in der reinen Sichselbstgleichheit des bestimmten Begriffs fixierte unendliche Prozeß fort, doch kann er aus dieser erreichten Sichselbstgleichheit nicht mehr heraustreten, so daß sein Weg notwendig aus der Spaltung des Begriffs in sein Insichsein oder seine Einheit mit sich zurückführen muß. Diese Rückkehr der auseinandergetretenen Momente in die Einheit des Begriffs kann sich vermittels der beiden Subsumtionsvorgänge, die sich als Entfaltung spezifischer Urteilsarten vollziehen, jedoch noch nicht realisieren. Denn weder das im universellen, partikulären, singulären
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und hypothetischen Urteil sich in sich reflektierende Subjekt gelangt zur Vereinigung mit dem Fürsichsein des ihm entgegengesetzten Prädikats, noch das im positiven, negativen, unendlichen und disjunktiven Urteil sich in sich reflektierende Prädikat zur Einheit mit dem Fürsichsein des ihm entgegengesetzten Subjekts. Vielmehr führt die Reflexion in sich auf beiden Seiten zur Konstituierung eines eigenen Fürsichseins, so daß am Ende beider Subsumtionen jeweils ein vermitteltes und ein unmittelbares Fürsichsein sich einander entgegensetzen. Durch den Prozeß, den das Urteil durchläuft, wird die Spaltung, die sich in ihm manifestiert, also nicht überwunden, sondern vielmehr vollendet. Diese Überwindung soll jetzt im Schluß erreicht werden. Wie der Übergang in diese Form des Verhältnisses allerdings vollzogen werden könnte, machen die Ausführungen Hegels in keiner Weise klar. Denn die für diesen Übergang von ihm geforderte Vereinigung von in sich reflektiertem Subjekt des hypothetischen und in sich reflektiertem Prädikat des disjunktiven Urteils, durch die sich die leere Kopula »ist« zur erfüllten Mitte des Schlusses umbilden soll, kann ja vom Resultat des Urteils aus nicht erfolgen. Hegel behilft sich nun damit, daß er der Reflexion in sich nicht nur die genannte Trennungsfunktion zuweist, die dazu führt, daß sich zunächst das sich in sich reflektierende Subjekt im hypothetischen Urteil selbst als Fürsichsein dem Prädikat entgegensetzt und dann das sich in sich reflektierende Prädikat im disjunktiven Urteil seinerseits als Fürsichsein dem Subjekt entgegensetzt. Hegel spricht darüber hinaus der Reflexion in sich nun auch eine Vereinigungsfunktion zu. Dafür macht er überraschenderweise dasjenige Charakteristikum derselben geltend, das doch eigentlich das vollständige Auseinandertreten von Subjekt und Prädikat bedingte. Diese nämlich konstituieren als sich in sich reflektierende die Totalität ihres Verhältnisses jeweils für und an sich selbst; und so, wie sie sich dadurch zunächst von der entgegengesetzten Seite ablösten, fallen sie eben deswegen, wie Hegel behauptet, mit dieser schließlich auch zusammen. Wie aber die Reflexion in sich einmal, und zwar innerhalb des Verlaufs der ersten und der zweiten Subsumtion, jeweils die Trennung von Subjekt und Prädikat nicht etwa aufhebt, sondern vollendet, dann jedoch wiederum die Vereinigung des Subjekts der ersten mit dem Prädikat der zweiten Subsumtion ermöglicht, wird schlechterdings nicht einsichtig. Unverständlich bleibt auch, warum angesichts dieser Vereinigung, gesetzt einmal sie wäre plausibel, die Trennung zwischen Subjekt und Prädikat weiterhin besteht, so daß auch der Widerspruch zwischen Trennung und Identität beider Seiten bestehen bleibt und sich auf das Schluß-
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verfahren überträgt. Dieses wird dementsprechend nicht nur von dem schon genannten Begriff der erfüllten oder wahrhaften Mitte, in der Subjekt und Prädikat aufgehoben bzw. miteinander vereinigt sind, bestimmt, sondern ebenso vom Begriff einer äußeren Mitte, die lediglich Durchgangspunkt für die voneinander getrennten Subjekt und Prädikat und als solche nur Mittel ist. Und mit diesen beiden Begriffen der Mitte sind wiederum zwei entgegengesetzte Subsumtionen verbunden: 1.) die Subsumtion, die sich über die äußere oder die Mitte als Mittel vollzieht und die zunächst positiv als Subsumtion des Prädikats und des Mittels unter das Subjekt und im zweiten Schritt negativ als Subsumtion des Subjekts und des Mittels unter das Prädikat verläuft; 2.) die Subsumtion des Subjekts und Prädikats unter die Mitte, die als solche die Identität beider oder erfüllte Mitte ist. Das Schlußverfahren nun erweist sich schon beim Vollzug der ersten Subsumtion als unzulänglich. Denn weder die Vermittlung des Subjekts mit dem Prädikat, d. h. seine Entwicklung zur bestimmten Allgemeinheit oder Besonderheit in der positiven Subsumtion noch die Vermittlung des Prädikats mit dem Subjekt, d. i. seine Einteilung im Verlauf der negativen Subsumtion, können durch den hypothetischen und disjunktiven Schluß im ersten bzw. durch den Schluß der Induktion im zweiten Fall realisiert werden. Es ist letztlich die Struktur der Einzelheit als einer in sich reflektierten, durch den Begriff gegangenen, also nicht mehr das leere Dieses repräsentierenden Einzelheit, durch die sich das Subjekt als (negative) Einheit oder Wechselwirkung der entgegengesetzten Bestimmtheiten erweist und so zur Besonderheit entwickelt. Diese stellt also die gegen ihr Entgegengesetztes sich erhaltende Bestimmtheit, d. i. die Definition dar. Indem aber diese Selbsterhaltung bedingt ist durch das Aufheben des Entgegengesetzten, so ist die fürsichseiende Bestimmtheit ihrem Wesen nach auf ihr Gegenteil bezogen. Hebt sie dieses nun auf, so hebt sie auch sich selbst auf und wird so zur Gleichheit ihrer und ihres Gegenteils. Damit geht die Besonderheit des Subjekts über in die positive Einheit oder Allgemeinheit. Insofern also die Besonderheit als negative Einheit, d. h. als ausschließende Beziehung der Bestimmtheiten einerseits die Forderung des Fürsichseins derselben gegeneinander enthält, dieses Fürsichsein andererseits jedoch wesentlich durch die Beziehung auf sein Gegenteil bedingt und dadurch mit diesem gleich ist, so fallen in sich reflektierte Einzelheit und Allgemeinheit auseinander, und es löst sich nicht nur die Besonderheit in der Allgemeinheit auf, sondern diese zerfällt wiederum
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9. kapitel
in die gleichgültige Vielheit fürsichseiender Einzelner. So vollzieht sich die Einteilung des Allgemeinen, die durch den Schluß der Induktion, dessen Einzelheiten relationslos und daher leere Diese sind, nicht zu realisieren ist. Diese sich schon im ersten Subsumtionsvollzug erweisende Unzulänglichkeit des Schlußverfahrens ist insofern irritierend, als es sich bei dieser Subsumtion ohnehin erst um eine äußere Vermittlung von Subjekt und Prädikat handelt. Unabhängig von dem schon angesprochenen Problem, warum eine solche Subsumtion nach den Entwicklungen innerhalb des Urteils überhaupt noch vollzogen wird, stellt sich also die Frage, warum der Schluß sogar für dieses äußere und damit nicht wahrhafte Vermittlungsverfahren ungeeignet ist. In diesem Zusammenhang ist auf den schon kurz angerissenen Aspekt hinzuweisen, daß die Entwicklung des Subjekts zur Besonderheit, so wie Hegel sie hier vorführt, nämlich allein aus ihrer in sich reflektierten Einzelheitsstruktur, schon auf der Basis des disjunktiven Urteils möglich gewesen wäre: Die Aussage »B ist entweder A, C oder D« präsentiert exakt die negative Einheit bzw. Wechselwirkung seiner Bestimmtheiten, die das Subjekt, insofern es Besonderes ist, darstellt. Demnach dürfte es eigentlich nicht mehr Ziel des Schlußverfahrens sein, das Moment der Besonderheit zu entfalten. Vielmehr müßte durch den Schluß, und eben dies wird Hegel in der Lehre vom Begriff seiner späteren Wissenschaft der Logik versuchen, das immanente Verhältnis von Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem als der drei Momente des Begriffs konstituiert werden, indem jedes dieser Momente zur Mitte entwickelt und nicht nur, wie im traditionellen Syllogismus, eines, und zwar das der Besonderheit, als Mittelbegriff fixiert wird. Mit seinem Vorgehen von 1804/05 also belastet Hegel das Schlußverfahren mit einer gleichermaßen überflüssigen wie verfehlten Aufgabe, deren Umsetzung dementsprechend nicht gelingen kann. Und was die weitere Entwicklung auf der Basis des jenseits des Schlusses konstituierten Moments des Besonderen angeht, so stellt dieses, wie gesehen, selbst erst den äußeren Übergang zum Allgemeinen und somit nur die Mitte als Mittel dar. Zwar entfaltet sich die Relation der vielen geteilten fürsichseienden Einzelheiten zu ihrem Allgemeinen aufgrund der Doppelseitigkeit des Besonderen – nicht nur gleichgültige, sondern ebenso auf ihr Anderes bezogene und damit potentiell auf ihr Allgemeines verweisende Einzelheit zu sein –, zur Relation von Art und Gattung, doch präsentiert sich auch diese zunächst noch als eine äußerliche Relation, in welcher die Gattung als bloße Gemeinschaftlichkeit ihren Arten gegenüber steht.
Rekapitulation des logischen Prozesses
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Die Selbstentfaltung der Gattung zur immanenten, d. h. zur in sich negativen Einheit der Differenten, und damit die Vereinigung des zur Art entwickelten negativen oder ausschließenden Eins als dem Wesen des Seins mit der zur Gattung entwickelten positiven oder einfachen Einheit als dem Wesen des Denkens muß nun die absolute Selbstbeziehung konstituieren. Dieser Konstitutionsprozeß besteht also in nichts anderem als dem Umbilden des Verhältnisses als der Negation gegen Anderes in die auf sich selbst bezogene Negation, also in der Vollendung dessen, was als Prinzip schon mit dem Übergang ins Verhältnis des Denkens begründet wurde. Diese Vollendung nun bildet den Gegenstand des Prozesses des Erkennens.
10. kapitel Das formale Erkennen a) Problem des Übergangs vom Denken zur Proportion »… im Verhältnisse des Denkens … definirte sich das für sich seyn als ein solches, das wäre indem es seinem Gegentheil gleich, und in ihm sich als es selbst erhielte; als die Reflexion in sich selbst. Sie als Definition setzte eine bestimmte negative Einheit als diese Reflexion in sich, welcher in der Eintheilung die Allgemeinheit, positive Einheit wiederhergestellt wurde; und beyde als in Eins gesetzt sind das Erkennen … Hier beschreibt die Reflexion sich selbst.« 1 Die Einheit also von Selbsterhaltung und Allgemeinheit, von Definition und Einteilung, die im Erkennen hergestellt wird, konstituiert die Reflexion als in sich geschlossene, nur noch auf sich selbst gerichtete. War es Hegel zufolge bisher »unsere Reflexion«, welche die Bewegung der Bestimmtheiten oder Einzelheiten als eine »dialektische Behandlung« an denselben vollzog, so ist nun die Reflexion Reflexion der Bestimmtheiten selbst. Daß die Beibehaltung »unserer Reflexion« auch im Kontext der Verhältnislogik als des beginnenden Selbstentfaltungsprozesses der immanenten oder wahrhaften Unendlichkeit inkonsistent ist, wurde hinreichend erörtert. Mit der Entfaltung des Erkennens ergibt sich im Hinblick auf »unsere Reflexion« jedoch noch eine weitere Schwierigkeit. Das Erkennen stellt zwar die zur Geschlossenheit mit sich selbst gekommene Reflexion dar, dennoch ist es nicht von Anbeginn das wahrhafte Erkennen der absoluten Selbstbeziehung, sondern tritt zunächst erst als formales Erkennen auf. M. a. W.: Auch im Erkennen ist nicht von vornherein der Modus des Andersseins überwunden, auch wenn das Anderssein hier nur noch die »negative Bedeutung [des Erkennens] selbst [hat].«2 Nun besteht aber dieses formale Erkennen in nichts anderem als dem schon zu Beginn des Abschnitts »Proportion« vollzogenen 1 2
GW 7.112. GW 7.126.
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10. kapitel
äußerlichen Übergang von der Definition in die Einteilung, wie den folgenden Ausführungen Hegels zu entnehmen ist: »… das Erkennen selbst ist zunächst nichts als dieser Übergang der Definition zur Eintheilung; der Übergang inzwischen ist das leere, die Foderung daß jene zu dieser werde, die Gleichheit beyder überhaupt, das Zusammenschliessen, aber es ist noch nicht das Gleiche, die Mitte derselben hervorgetreten.«3 Wenn aber schon dieser äußere Übergang Ausdruck des Erkennens ist, so müßte sich die Modifikation »unserer Reflexion« in die in sich geschlossene Reflexion auch schon mit der Überleitung des Verhältnisses des Denkens in die Proportion vollziehen. Doch auch das ist nicht plausibel, da die für die Konstituierung des Erkennens grundlegende Entfaltung des Begriffs der Definition nicht erst mit der Proportion, sondern schon am Ende des Verhältnisses des Denkens einsetzt. Und Voraussetzung für diese Entfaltung der Definition ist wiederum die Entwicklung des Subjekts von einem leeren Dieses zur in sich reflektierten Einzelheit bzw. zur Individualität im Verlauf des Urteils- und des Schlußverfahrens. Und dieser Vorgang seinerseits ist nur möglich auf der Basis des Verhältnisses des Denkens, in dem sich die Bestimmtheiten als differente aufgehoben und ihre reine Sichselbstgleichheit gesetzt haben. Die Entwicklung »unserer Reflexion«, gesetzt diese hätte auch für die Verhältnislogik noch Relevanz, zur in sich geschlossenen Reflexion müßte sich also mit dem Übergang zum Verhältnis des Denkens und nicht erst mit der Überleitung vom Denken in die Proportion vollziehen. Der mögliche Einwand, die Idealität der Bestimmtheiten sei im Denken eine erst formale, so daß das Bestehen oder Fürsichsein der Bestimmtheiten auf der einen und ihre Einheit auf der anderen Seite als Gegensatz von Einzelheit und Allgemeinheit wieder auseinanderfielen und damit ihre reine Sichselbstgleichheit noch nicht als in sich negative Einheit realisiert sei, ist insofern nicht stichhaltig, als auch der Prozeß der Proportion in ein zunächst nur formales Erkennen mündet, das als solches ebenso von einer Dissoziation des Einzelnen und des Allgemeinen gekennzeichnet ist: »Daß aber das Erkennen … noch formell ist, rührt daher, daß die Definition die Selbsterhaltung, oder die Reflexion der Bestimmtheit als einer solchen in sich selbst, ist; ein einfachgesetztes bestimmtes; ein seyendes …«4 Die Stufe des Erkennens weist also dieselbe innere Spaltung auf, die schon das Verhältnis des Denkens prägte, nur mit dem entscheidenden Unterschied, 3 4
GW 7.118. GW 7.118.
Das formale Erkennen
169
daß das Erkennen die letzte Stufe der gesamten reflektierenden Entwicklung der Bestimmtheiten darstellt, so daß die Konstituierung der in sich negativen Einheit, also die Entfaltung des Übergangs der Definition zur Einteilung als eines immanenten Übergangs durch das Erkennen selbst geleistet werden muß. Und eben die Lösung dieser Aufgabe macht den Gegenstand der Metaphysik aus.5 Die Forderung, die immanente Beziehung zwischen Definition und Einteilung zu entwickeln, als eine in der Definition selbst begründete Forderung ergibt sich, wie gesehen, daraus, daß die Definition nicht nur Selbsterhaltung der in sich reflektierten, d. h. ihr Entgegengesetztes ausschließenden Einzelheit oder Bestimmtheit, sondern ebenso auf ihr Entgegengesetztes sich beziehende und daher ihre Selbsterhaltung im Allgemeinen aufhebende Einzelheit ist. Und das Allgemeine als diese der Selbsterhaltung seiner einzelnen Momente äußerliche Einheit wird zur bloßen Gemeinschaftlichkeit oder zum Eingeteilten, in die Vielheit seiner Momente Zerfallenen. Diese Bewegungen nennt Hegel das Dialektische der Definition, die »beyden Wege des Auf und niedersteigens«, die sich jedoch nur »durchkreuzen und begegnen«,6 durch die also Einzelnes und Allgemeines nicht zur absoluten Einheit gelangen, sondern nur in einer äußeren Mitte verbunden sind. Gleichwohl ist es doch die in sich reflektierte Einzelheit, die Einheit des zur Definition entfalteten Subjekts, aus der heraus sich diese verschiedenen Wege vollziehen, und daher, so bemerkt Hegel einschränkend, setze dieses Insichsein der Definition die wahrhafte Mitte schon voraus: »Indem so [sc. in der schon zitierten äußeren bzw. »leeren« Weise] die Definition zur Eintheilung übergeht, setzt sie eigentlich zu ihrer [Mitte] unter den absoluten unbestimmten Theilungen die einzig wahrhaffte schon voraus …«7 Natürlich, so wäre zu erwidern, kann sich die Bewegung des Auf- und Niedersteigens, des Übergangs der Einzelheit in die Allgemeinheit und der Allgemeinheit in die Einzelheit nur auf der Basis eines Grundes, in dem beide Momente ursprünglich vereint sind, vollziehen. Doch diesen Grund hatte Hegel durch den Übergang von der Differenz des Seins in 5
Diese Aufgabe wird von Hegel mit folgenden Worten umrissen: »Der Gang derselben [sc. der Metaphysik], oder das aus seinem Anders zu sich selbst kommen des Erkennen, das Erkennen, das Erkennen wird, ist daß diß indifferente andere, ein für dasselbe differentes [wird], nur als die Negation desselben sich bestimmt, wodurch das Erkennen, das allein positive, das wahre An sich wird.« (GW 7.126) 6 GW 7.120. 7 GW 7.118.
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10. kapitel
die Einheit des Denkens, in der die Bestimmtheiten als gegeneinander differente aufgehoben sind, durchaus schon aufgezeigt: Das Denken ist die als notwendig erwiesene Verbindung des Seins und des Bezogen- bzw. Aufgehobenseins der Bestimmtheiten, d. i. der Erweis, daß die Bestimmtheiten als negativ gegen ihr Entgegengesetztes negativ an oder gegen sich selbst sind. Der erst formale Charakter der Einheit des Denkens rührt daher, daß das Aufgehobensein des Bestimmten lediglich erst eine Abstraktion von demselben darstellt und insofern die daraus als Resultat hervorgehende einfache Sichselbstgleichheit oder Allgemeinheit des Denkens dem Bestimmtsein entgegengesetzt bleibt und dadurch selbst wieder ein Bestimmtsein oder Einzelnes wird, das seinerseits durch den negativen Bezug auf sein Anderes in die Allgemeinheit übergeht usf. Das Verhältnis des Denkens ist also gleichsam das Insichsein des Begriffs, dessen Momente jedoch noch im Modus des Übergehens verbleiben, so daß dieses sich selbst gleiche, keinem Prozeß mehr unterliegende Insichsein seinen Momenten noch entgegengesetzt ist. Erst durch das Heraustreten der Momente aus dem unaufhörlichen Übergehen oder Aufheben, welches sich aber auch in der dialektischen Bewegung der Definition, also auf der Stufe der Proportion noch zeigt, kann sich die Adäquation von Einzelheit und Allgemeinheit als die wahrhafte Mitte konstituieren, d. h. die Rückkehr des Begriffs in seinen Einheitsgrund vollziehen. Die dafür vorauszusetzende Entfaltung der Reflexion als in sich geschlossener muß also, wie schon angeführt, mit der Entfaltung des Verhältnisses des Denkens zusammenfallen und kann nicht erst mit der Proportion einsetzen. Es wurde schon festgestellt, daß sich auf der Ebene der Proportion eigentlich nur eine Weiterentwicklung des schon im Denken entfalteten Begriffs der Definition vollzieht. Somit wäre die Proportion als Bestandteil des Denkens aufzufassen. Berücksichtigt man weiter, daß die Definition die Realisation der Doppelseitigkeit des Besonderen darstellt – Fürsichsein als Ausschließen des Anderen und in diesem Ausschließen gleichermaßen das Beziehen auf das Andere und so das Reflektieren der gesamten allgemeinen Sphäre8 –, so ist die Proportion, insofern sich im Denken die erste Seite, das Fürsichsein oder die Selbsterhaltung, reali8
Diese beiden wechselwirkenden Seiten des Besonderen beschreibt Hegel wie folgt: »… diß Subject ist die realisirte Besonderheit, welche an sich selbst für sich nach innen und aussen gekehrt für sich ist …« (GW 7.102) Darin ist schon der später als Doppelschein des Besonderen bezeichnete dialektische Charakter desselben vorgezeichnet: Das Besondere als Scheinen nach innen und als Scheinen nach außen.
Das formale Erkennen
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siert, als Entfaltung der zweiten Seite, nämlich des Übergangs der Selbsterhaltung in die Allgemeinheit oder Einteilung, zu verstehen. Die Definition ist somit die Darstellung der Dialektik des Besonderen, die sich in der Proportion vollendet. Somit könnte die Proportion als diejenige Stufe betrachtet werden, auf der sich die Reflexion von Einzelnem und Allgemeinem selbst beschreibt, zumal nicht übersehen werden darf, daß sich das Allgemeine im Kontext des Verhältnisses des Denkens in eine andere Entgegensetzung zum Einzelnen bringt als in der Dialektik der Definition, durch die es zum Allgemeinen als Einteilung wird. Und dieser Unterschied könnte als einer der äußeren und der immanenten Entgegensetzung des Allgemeinen und Einzelnen beschrieben werden. Doch 1. liegt auch dem Verhältnis des Denkens schon das In-sich-Reflektiertsein, die reine Sichselbstgleichheit zugrunde, aus der der logischmetaphysische Prozeß nicht mehr hinausführen kann, auch wenn diese Sichselbstgleichheit im weiteren Verlauf dieses Prozesses sich noch realisieren und daher modifizieren muß; und 2. ist, wie schon ausgeführt, die Dialektik von Einzelnem und Allgemeinem, die sich an der Definition zeigt, wiederum eine Dialektik, die zur Dissoziation von Allgemeinheit und Einzelheit führt. Und daher wird nicht einsichtig, inwiefern diese Dialektik den Übergang von einer offenen in eine geschlossene Denkbewegung markieren soll. Vielmehr wird deutlich, daß sie kein Fortschreiten hin auf eine in sich geschlossene Reflexion darstellt, sondern vielmehr einen schon erfolgten Verlauf widerspiegelt, und zwar widerspiegelt im natürlichen Verhältnis von Art und Gattung. Die Geschlossenheit der reflexiven Bewegung, welche durch die Weiterbestimmung des Verhältnisses von Definition und Einteilung zum Verhältnis von Art und Gattung erst entstehen soll, insofern die Gattung das Allgemeine ist, welches in der Entgegensetzung seiner Arten unverändert dasselbe bleibt, diese Geschlossenheit ist mit dem Übergang vom Sein ins Denken längst konstituiert, da auch hier das Allgemeine die Identität der wechselseitig sich aufhebenden entgegengesetzten Bestimmtheiten ist. Daß diese Identität oder Sichselbstgleichheit zunächst der Differenz der Bestimmtheiten entgegengesetzt ist und sich daher nicht am Allgemeinen selbst entwickelt, gilt auch für das Verhältnis der Gattung zu ihren Arten, das ebenfalls, wie oben dargestellt, unmittelbar ein äußerliches ist. Die Bildung der in sich geschlossenen Reflexion hängt vielmehr davon ab, daß das Allgemeine nicht nur Moment innerhalb des Prozesses der Unendlichkeit bleibt, sondern sich als Totalität dieses Prozesses konstituiert. Und diese Konstitution ist mit der Sichselbstgleichheit des Denkens
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10. kapitel
an sich erfolgt; sie muß sich nun in der Weise legitimieren, d. h. selbst setzen, indem die einzelnen Bestimmtheiten oder negativen Eins sich von indifferenten Teilen zu differenten Momenten konstruieren.
b) Konstruktion, Beweis und Deduktion Wenn das Wesen der in sich geschlossenen Reflexion oder des Erkennens als Modifikation des indifferenten Verhältnisses in das differente beschrieben wird, so ist das insofern unzureichend, als dieser Übergang nicht das Aufheben des Verhältnisses der Indifferenz bedeutet, sondern in die Gleichheit beider Verhältnisse mündet. Denn durch das Setzen der Bestimmtheiten als differenter, also relationaler, wird die Totalität derselben konstruiert, d. h. das Absolute oder das konkrete Allgemeine, welches in seiner absoluten Selbstbeziehung zugleich Einzelnes oder Indifferentes ist. Nicht zufällig wird hier vom Konstruieren der Totalität der Bestimmtheiten gesprochen. Hegel führt den Begriff der Konstruktion für die im folgenden anstehende Umwandlung der gleichgültigen zu differenten Bestimmtheiten ausdrücklich ein. Es stellt sich jedoch sehr schnell die Frage, was mit diesem Begriff überhaupt gewonnen sein soll. Denn eigentlich gebraucht Hegel ihn als Synomym für den schon entfalteten Prozeß der Einteilung: Durch diesen zerfielen die von ihrer Entgegensetzung und damit von ihrem Allgemeinen abstrahierenden Bestimmtheiten in gleichgültige Teile, die aber durch ihre potentiell differente oder relationale Struktur ebenso die Forderung enthalten, dieses Verhältnis der Indifferenz zu einem der Differenz umzubilden. Und mehr besagt auch der Begriff der Konstruktion nicht. Diese beschreibt ebenso wie die Einteilung die beiden Seiten der Indifferenz und Differenz der Bestimmtheiten, deren immanente Verbindung auch durch sie nicht hergestellt wird. Und wenn Hegel von der Konstruktion sagt, sie sei notwendig, insofern sie das gleichgültige Eins aufschließe für die Bewegung des Beweises, in der sich eigentlich der immanente Übergang der indifferenten Teile in differente Momente vollzieht, so ist damit nur gemeint, daß das indifferente Verhältnis wesentlich Voraussetzung für das differente ist, daß also das Einteilen oder genauer Zerteilen des indifferenten Raums des Allgemeinen in indifferente Eins die Bedingung ist für die Zurückführung derselben aus ihrer Entgegensetzung zum Ganzen in ihre differente Einheit.
Das formale Erkennen
173
Wodurch Hegel veranlaßt wird, die Konstruktion als für das philosophische Erkennen relevanten Begriff einzuführen, ist nicht recht klar. Macht man als Quelle der Anregung Schellings Aufsatz Ueber die Construction in der Philosophie9 geltend – was sich rein zeitlich durchaus nahelegt –, so ist aber doch auffällig, wie grundlegend sich die Bedeutung dieses Begriffs bei beiden Denkern unterscheidet. Rainer Schäfer stellt zu Recht heraus, daß die intellektuelle Anschauung, die für Schellings Konstruktionsbegriff zentral sei, bei Hegel keine Rolle spiele. Entsprechend stellt denn auch die Schellingsche Konstruktion ein selbständiges, in sich geschlossenes Verfahren dar, während sie im Hegelschen Kontext, wie schon angedeutet, nur in Verbindung mit dem Beweis ihre Notwendigkeit zeigt. So sind sich Hegel und Schelling zwar darüber einig, daß die Konstruktion für die Philosophie fruchtbar zu machen sei, doch hinsichtlich ihres Funktionscharakters stehen beide in strikter Opposition zueinander. Klaus Düsing und Manfred Baum stellen denn auch das Hegelsche Konstruktionsverständnis als Gegenkonzept zu Schellings Theorie der intellektuellen Anschauung, durch die er einen Intuitionismus des metaphysischen Erkennens geltend macht, heraus. Baum hebt dabei zu Recht hervor, daß Hegel die Anschauungsunabhängigkeit der absoluten Reflexion oder des metaphysischen Erkennens durch eine Auseinandersetzung mit dem Prinzip der geometrischen Konstruktion aufzuweisen versuche. Im Hintergrund stehe dabei Kants Theorie von der Konstruktion der Begriffe, die dieser als Eigentümlichkeit der mathematischen Erkenntnis betrachte und die auch Schelling in seinem genannten Aufsatz über die philosophische Konstruktion zugrunde lege. Ließe sich nun zeigen, so Baums weiterführende, nun allerdings eine unerwartete Wendung nehmende Argumentation, daß die Reflexion sogar in der Geometrie, dem Spezialgebiet der Anschauung, eben der Anschauung nicht bedürfe, um Erkenntnis zu sein, so bedürfe das metaphysische Erkennen erst recht keiner (intellektuellen) Anschauung. Um dieses Beweisziel zu realisieren, zeige Hegel, daß es bei der metaphysischen Erkenntnis zwar ebenso wie bei Kants mathematischer Erkenntnis um die Konstruktion des Allgemeinen im Besonderen gehe, insofern die vielen, sich indifferent gesetzt habenden Eins in die potentiell in ihnen liegende Differenz übergehen und sich damit zum Allgemeinen konstituieren müssen. Doch im Gegensatz zu Kant betone Hegel, daß das in der Anschauung präsentierte Fürsichsein oder die Beziehungslosigkeit der mannigfaltigen einzelnen 9
GW 4.277–293.
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10. kapitel
Teile nur ein Schein sei, welchen »eben die Darstellung ihrer Beziehung [aufhebt]«.10 Dieser Darstellung von Gemeinsamkeit und Unterschied der Hegelschen und Kantischen Überlegungen zur Erkenntnis ist durchaus zuzustimmen. Nur hätte Hegel damit, anders als Baum insinuiert, nicht etwa demonstriert, daß die Geometrie keiner Anschauung bedürfe, um Erkenntnis zu sein, sondern daß sie vielmehr, da sie wesentlich auf Basis der an der Anschauung ausgerichteten Konstruktion operiere und damit die Indifferenz der Mannigfaltigkeit der Teile, d. h. das Außersichkommen derselben darstelle, nicht zur Erkenntnis der immanenten Beziehung dieser Mannigfaltigkeit und ihrer Einheit gelange. Die Darstellung dieser immanenten Beziehung, in welcher der Schein des Fürsichseins der Teile aufgehoben ist, hat folglich über die Anschauung hinauszugehen und kann deswegen durch die Konstruktion allein nicht erbracht werden. Diese demonstriert zwar, daß die Indifferenziierung der einzelnen Teile in die Leere des Dieses mündet und fordert somit den immanenten Übergang dieser Indifferenz in die Differenz; die Durchführung dieses Übergangs ist jedoch nur durch den Beweis zu leisten. Dieses Verwiesensein der Konstruktion auf den Beweis bedeutet jedoch nicht ein Hinzukommen desselben zur Konstruktion, sondern es impliziert die Forderung, daß Konstruktion und Beweis Eins werden müssen. Erst dann ist der Schein des indifferenten Fürsichseins aufgehoben und damit auch in seiner Notwendigkeit erkannt. Diese Einheit jedoch wird im mathematischen Erkennen nicht konstituiert, in ihm fallen Konstruktion und Beweis auseinander, und infolgedessen wird der Übergang von der Vereinzelung der Teile zur Beziehung derselben zwar vollzogen, aber nicht begriffen, wie Hegel mit folgenden Worten diagnostiziert: »In dem mathematischen Erkennen … wird wohl erkannt, das gleichgültige geht in das differente Verhältniß über, aber dieser Übergang ist nicht selbst erkannt, es wird nicht begriffen. Die Bewunderung der mathematischen Beweise ist diese zurükbleibende Nichtbefriedigung, die von dem als zufällig erscheinenden der Construction zur Nothwendigkeit der Beziehung wohl übergeht, aber jene Construction nicht durch sich selbst begreift, weil sie nicht ein Begriff nicht ein differentes ist, und darum auch nicht den Übergang.«11 10
GW 7.113. – Vgl. Manfred Baum Die Entstehung der Hegelschen Dialektik. 253–
255. 11
GW 7.117 f.
Das formale Erkennen
175
Auch im philosophischen, genauer metaphysischen Erkennen sind, insofern es erst formales Erkennen ist, Konstruktion und Beweis zunächst getrennt, d. h. Indifferenz und Differenz sind zwar Momente der in sich geschlossenen Reflexion des Erkennens, doch in dieser Geschlossenheit wiederum entgegengesetzt, d. h. das Erkennen tritt sich in ihnen selbst gegenüber: Die Konstituierung des Verhältnisses der Indifferenz bzw. der Fürsichseienden ist Resultat der Bewegung des zur Definition entwickelten, sich selbst erhaltenden Subjekts. Dieses hatte seine Selbsterhaltung begründet durch das Aufheben des entgegengesetzt Bestimmten, zugleich aber, insofern es sich dadurch der Bedingung seiner Selbsterhaltung benommen hat, diese auch wieder aufgehoben. So ist das Subjekt übergegangen in die einfache positive Einheit oder den indifferenten Raum des Allgemeinen, das in die indifferente Vielheit seiner Teile zerfällt. Die vielen Teile jedoch sind, insofern sie gleichgültige und d. h. unbestimmte sind, ihrer Entgegensetzung bzw. Bestimmtheit entgegengesetzt, so daß sie als gleichgültige oder unbestimmte selbst zu bestimmten werden, die sich ausschließend aufeinander beziehen und sich so wiederum in der Allgemeinheit aufheben. Diese Bewegung vom sich erhaltenden Einzelnen zur indifferenten Allgemeinheit oder Unbestimmtheit und von diesem unbestimmt Allgemeinen zur Bestimmtheit des sich selbst erhaltenden Einzelnen nennt Hegel den Kreislauf der Reflexion oder die sich gleich bleibende Bewegung des Erkennens. Als solche ist sie in sich geschlossene Bewegung, doch setzt sie zugleich ein Anderes, nicht Bewegtes, ein negatives Eins voraus, an dem sie sich vollzieht und das ihren Inhalt ausmacht. Dieses ruhende, gleichgültige, erst durch die Bewegung des Erkennens bezogene Eins ist aber nicht nur einfach vorausgesetzt, sondern ebenso selbst Moment dieser Bewegung, und zwar insofern es, wie sich gezeigt hatte, das Resultat des »zusammenschlagen[s] der Momente als sich aufhebender« darstellt. M. a. W.: Das negative Eins ist zum einen indifferentes Eins als unmittelbares, anschaulich gegebenes leeres Dieses, zum anderen aber indifferentes Eins als Resultat der vermittelnden Bewegung des Erkennens, somit als indifferentes eigentlich aufgehoben und folglich als Schein erwiesen, der jedoch durch die Vermittlung des Erkennens sogleich wieder produziert wird. Und eben an diesen Punkten des produzierten Scheins der indifferenten oder fürsichseienden Eins, also an den Punkten der paralysierten Bewegung des Erkennens fallen dieses und sein Inhalt auseinander. Die Wege des Aufsteigens vom Einzelnen zum Allgemeinen und des Niedersteigens vom Allgemeinen zum Einzel-
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10. kapitel
nen »durchkreuzen und begegnen« sich somit nur, wie Hegel es nannte, sie gelangen aber nicht zur Einheit. Mit dem Erkennen liegt also, sofern es die geschlossene Bewegung ist, in der die Indifferenzpunkte bezogen, damit aufgehoben und zu differenten Momenten werden, die Einheit als differente Einheit vor, in der jedes Anderssein negiert ist. Hegel nennt diese geschlossene Bewegung ohne die Ruhe oder das Sein der gleichgültigen Eins Deduktion. Sofern im Erkennen hingegen die bezogenen Momente sich gegenseitig aufheben und zu indifferenten Einheitspunkten zusammenschließen, produziert das Erkennen die deduzierte Sphäre, die es als Inhalt von sich selbst trennt und als etwas ihm Fremdes setzt. Wie die Entwicklung zeigte, gehen der Inhalt oder die vielen indifferenten Eins, da sie selbst different gegenüber ihrer Differenz sind, in die Vermittlungsbewegung des Erkennens über. Für das Erkennen aber präsentieren sie sich als unmittelbar gegeben, als »eine Reihe von gleichgültigen, die abgeschnitten jedes für sich auftreten«12 und die Differenz zum Anderen, d. h. ihre Bestimmtheit nicht in sich selbst haben, sondern durch das Beziehen des Erkennens erst erhalten. Dieses begreift sich demnach wohl als die Bewegung, welche die Indifferenz des Inhalts aufhebt und damit »das Allgemeine als Totalität [ist], indem in ihm der ganze Innhalt des Allgemeinen sich entwickelt darstellt.«13 Es begreift die Indifferenzpunkte aber nicht als Resultat seiner eigenen Bewegung, so daß es den Inhalt zwar ganz abstrakt als seinen Inhalt begreift, ihn seinen konkreten Bestimmtheiten nach jedoch nicht aus sich selbst zu entwickeln vermag, sondern als anschaulich, d. h. unmittelbar gegebenes Vielfältiges auffaßt. Wenn sich das Erkennen aber auf diese Weise als reines sichselbstgleiches Beziehen den (indifferenten) Produkten dieses Beziehens entgegensetzt, so geht es selbst in die Indifferenz über und d. h. es hebt sich als Beziehen oder als Prozeß auf. Es wird dadurch zum leeren, indifferenten
12
GW 7.122. – Wenn Hegel diese »Reihe von gleichgültigen« als Linie interpretiert, so ist das insofern irreführend, als die Linie immerhin ein Kontinuum darstellt, während in der »Reihe von gleichgültigen, die abgeschnitten jedes für sich auftreten« das Kontinuum aufgehoben ist. Daher kann es auch nicht mehr darum gehen, das lineare Kontinuum des »kommt und verschwindet« in die kreisförmige Bewegung der in sich geschlossenen Reflexion des Erkennens »umzubiegen«, wie Hegel es im einleitenden Kapitel der Metaphysik ausführt (s. GW 7.127), sondern darum, wie das Erkennen die von ihm selbst produzierten und aus seiner geschlossenen Bewegung gleichsam ausgesonderten Indifferenzpunkte in eben diese Bewegung wieder integriert. 13 GW 7.121.
Das formale Erkennen
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Raum, in sich geschlossene, absolute Reflexion zwar und also Totalität, aber eine Totalität, die ihren Momenten (noch) entgegengesetzt ist, da sie diese nicht vermittelt, sondern unmittelbar in sich setzt. Es ist das Erkennen, das seine Momente als das abstrakt Seinige weiß, dem es in seinen Konkretionen aber fremd bleibt; in Hegels Worten: »Der sich selbstgleiche Krais des Erkennens ist … ganz vollendet in sich, die absolute Reflexion in sich selbst; aber nur als allgemeines [Hervorhebung d. Verf.].«14 So ist das Erkennen in seinen Momenten wohl auf sich, jedoch auf sich als auf ein Indifferentes gerichtet, d. h. es negiert sich in seinen Momenten selbst. Diese entfremdete, weil abstrakte Selbstbeziehung kann aber noch kein begreifendes Wissen sein, sondern verbleibt zwangsläufig im Modus der Unmittelbarkeit des Anschauens. Und eben diese noch inadäquate Form des wissenden Selbstbezuges ist angesprochen, wenn Hegel sagt, das Erkennen oder die absolute Reflexion reflektiere sich so in sich selbst, daß es die Anschauung seiner Momente sei.15 Keinesfalls ist damit das Absolute als intellektuelle Anschauung gemeint, die Hegel im Kontext des Übergangs von der schlechten in die wahrhafte oder absolute Unendlichkeit als Erkenntnisform ausdrücklich zurückgewiesen hatte.16 Das Erkennen als diese indifferente Einheit seiner Momente drückt also den Widerspruch aus, sich über die zunächst linear verlaufende, dann sich in sich schließende Selbstbewegung der Bestimmtheiten innerhalb der Verhältnislogiken und der Proportion als vernünftiges Denken, d. h. als absolute Einheit expliziert zu haben, auf dieser Stufe aber in sich den Dualismus des Verstandes, welcher die Logik der einfachen Beziehung bestimmt, zu reproduzieren. Mit dieser inneren Spaltung des vernünftigen Erkennens arbeitet Hegel in den Grundzügen denjenigen Standpunkt aus, den er in der Phänomenologie des Geistes als abstrakte oder »beobachtende Vernunft« darstellen wird. Diese ist Resultat der »Gewißheit alle Realität zu seyn. Dieses Ansich oder diese Realität ist aber noch ein durchaus allgemeines, die reine Abstraction der Realität.«17 »Indem 14
GW 7.123. S. GW 7.124. 16 Vgl. dazu S. 88 dieser Arbeit. Hegel spricht in dem dort angeführten anschauungskritischen Zitat nicht wörtlich von der intellektuellen Anschauung, meint diese aber, wenn er den Versuch des Verstandesdenkens beschreibt, die in dem von ihm produzierten unendlichen Progreß nicht zu überwindenden Beschränkungen im Anschauen zu überschreiten, und als Resultat dieses Versuchs das Abgleiten des Verstandes in ein bloßes »vernunftloses Staunen« festhält. 17 GW 9.134. 15
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10. kapitel
die Vernunft alle Realität in der Bedeutung des abstracten Meins, und das Andere ihm ein gleichgültiges Fremdes ist, so ist darin gerade dasjenige Wissen der Vernunft von einem Anderen gesetzt, welches als Meynen, Wahrnehmen und [als] der das gemeynte und wahrgenommene auffassende Verstand vorkam.«18 Ebenso wie das Erkennen wird hier die Vernunft als Totalität, d. h. als Einheit von Sein und Denken bestimmt, die aber, insofern sie abstrakte Einheit ist, ihrer Realität (zunächst) ebenso fremd bleibt wie das Erkennen seinem Inhalt und dadurch, um Hegels Worte aufzugreifen, in sich das Wissen von einem Anderen setzt, welches als Dualismus des Verstandes (innerhalb der Logik der einfachen Beziehung) vorkam. Die Ausführungen des zweiten Jenaer Entwurfs unterscheiden sich allerdings dadurch von denen der Phänomenologie, daß sie das dem Verstand korrespondierende sinnliche Auffassen nur implizit thematisieren; lediglich durch die Rede von der absoluten Reflexion des Erkennens, die die Anschauung ihrer Momente sei, bezieht Hegel sich explizit auf diesen Aspekt. Dementsprechend wird sich im weiteren Fortgang das Erkennen, welches als absolut selbstbezügliches Denken nun Gegenstand der Metaphysik ist, zunächst als System von Grundsätzen, d. h. dem isolierenden Vorgehen des Verstandes gemäß als »System des absoluten für sichseyns«19 entfalten.
18 19
GW 9.136. GW 7.128.
teil iii jenaer systementwurf ii (1804/05): metaphysik 11. kapitel Absolutes Ich oder das Selbstverhältnis des Erkennens als System von Grundsätzen Das Erkennen als Totalität, die Totalität zweier indifferenter Seiten ist, stellt sowohl die eine dieser beiden fürsichseienden Seiten als auch die Einheit derselben dar, oder das Erkennen als Totalität, welche ihren Momenten entgegengesetzt ist, ist die absolute Differenz der Indifferenten. Als diese auf sich selbst absolut bezogene, somit in sich selbst fixierte Bewegung oder Differenz ist das Erkennen »absolutes Ich; Erkennen als negatives Eins.«1 Die Beziehung auf sich selbst, die in der logischen Bewegung, die sich bisher vollzog, »unaufgeschlossen« war, ist also in der kreisförmigen, in sich zurückgekehrten Bewegung des absoluten Ich entfaltet. Der logische, genauer: der verhältnislogische Prozeß ist zwar eine in den Bestimmtheiten selbst liegende Bewegung, aber eine Bewegung, die ihre Dynamik erst als Negieren des Anderen, nicht aber als Negieren an oder gegen sich selbst entfaltet und daher auch keine Selbstbeziehung im eigentlichen Sinn des Sich-Wissens darstellt. Denn auch die in der Verhältnislogik des Denkens als negativ an ihnen selbst entwickelten Bestimmtheiten sind dies erst in formaler Weise, da sie ihr Bestehen oder ihr Bestimmtsein nicht eigentlich aufgehoben, sondern lediglich davon abstrahiert haben, so daß die im Denken einerseits konstituierte Sichselbstgleichheit andererseits sich wieder in sich in das Beziehen und Bestehen spaltet und der bis dahin vollzogene Prozeß als negative Reflexion des wechselseitigen Übergangs von Einzelnem und Allgemeinem fortgesetzt wird. Erst in der aufgeschlossenen Selbstbeziehung des absoluten Ich ist das Aufgehobensein der Bestimmtheiten realisiert, indem diese in der indifferenten Meinigkeit des Ich als Momente vertilgt, d. h. selbst als gleichgültige Viele gegen das gleichgültige Ich gesetzt werden. Damit ist die gesamte Bewegung, die bis hierhin stattfand, in den anfänglichen Standpunkt der Logik zurückgekehrt, welcher der Stand1
GW 7.127.
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11. kapitel
punkt der gleichgültigen Sichselbstgleichheit ist. Allerdings ist dieser Standpunkt nun kein unlegitimierter, zufälliger mehr, sondern durch das Erkennen vermittelt, insofern dieses alle Verschiedenheit aufgehoben und damit die Bestimmtheiten als einfache, dem Aufheben entnommene Fürsichseiende gesetzt hat. Das Fürsichsein der Bestimmtheiten ist dadurch also kein substantielles mehr; vielmehr ist die Substantialität oder das unmittelbar Seiende in der Allgemeinheit des Erkennens bzw. des absoluten Ich aufgelöst, und die Bestimmtheiten sind erkannte, d. h. solche, »denen [das Ansich des Erkennens] das für sichseyn ertheilt.«2 Daher drückt dieses System der Vielheit oder des gleichgültigen Fürsichseins, welches das Erkennen entfaltet, nicht mehr den Standpunkt der einfachen Unmittelbarkeit, also nicht mehr denjenigen von Qualität und Quantität, sondern denjenigen der vermittelten Unmittelbarkeit aus und stellt sich so als System von Grundsätzen des Denkens dar. Diese sind somit einerseits Produkt des Erkennens als des zur Vernunft entwickelten Denkens, andererseits spezifischer Ausdruck des isolierenden oder Verstandesdenkens, dessen Dualismus das Erkennen, insofern es erst abstrakt vernünftiges Denken ist, in sich wieder hergestellt hat. Im absoluten Ich oder im Erkennen als System von Grundsätzen ist also das Verstandesdenken als einfache oder zufällige Unmittelbarkeit, welche die Logik der einfachen Beziehung bestimmt, aufgehoben und als vermittelte, legitimierte Unmittelbarkeit wieder gesetzt. Diese Grundsätze des im und durch das Erkennen gesetzten Verstandesdenkens präsentieren sich allerdings nicht sogleich als solchermaßen vermittelte. Sie gelten herkömmlich als unmittelbar gewisse, unbeweisbare Gesetze des Denkens,3 und in dieser Weise werden sie vom Erkennen zunächst auch aufgefaßt. Erst im Verlauf ihrer näheren Analyse erweist sich für das Erkennen, daß sie in ihrer Unmittelbarkeit Resultat einer Vermittlung, d. h. in sich negativ sind.
2
GW 7.128. Diese den Grundsätzen zugesprochene unmittelbare Evidenz wird von Kant kritisch reflektiert. Im System aller Grundsätze des reinen Verstandes betont er, daß Grundsätze, obwohl »sie selbst nicht in höheren und allgemeineren Erkenntnissen gegründet sind«, eines Beweises gleichwohl nicht überhoben sind. Freilich kann dies nur ein Beweis »aus den subjektiven Quellen der Möglichkeit einer Erkenntnis des Gegenstandes überhaupt«, nicht ein objektiv geführter sein, da alle objektive Erkenntnis auf den Grundsätzen fuße (vgl. KrV B 188). Eine solche objektive Legitimation der Grundsätze aber will Hegel erbringen. 3
Absolutes Ich
181
Der Charakter der einfachen Unmittelbarkeit oder unmittelbaren Gewißheit zeigt sich daran, daß diese sogenannten allgemeinsten Denkgesetze als Grund-Sätze formuliert sind. Der Satz ist Hegel zufolge das genuine Ausdrucksmittel des Verstandes, insofern die in ihm gesetzte Gleichheit von Subjekt und Prädikat dem verständigen Verfahren, Gegensätze als von ihrer negativen Beziehung aufeinander abstrahiert zu fixieren, entspricht. Drücken Subjekt und Prädikat innerhalb des Urteils eine Ungleichheit, nämlich diejenige der Begriffsmomente des Einzelnen und Allgemeinen aus, so stellen beide Seiten als Elemente des Satzes fürsichseiende, isolierte Einzelheiten dar, stehen also in einem äußerlichen, zufälligen Verhältnis zueinander.4 Die folgende Entwicklung des Erkennens wird nun zeigen, daß die in den Grundsätzen ausgedrückte Indifferenz oder Sichselbstgleichheit von Subjekt und Prädikat, insofern diese in sich reflektierte Einzelheiten sind, vielmehr ein differentes Verhältnis ist, so daß sich die Grundsätze als Grundsätze, d. h. als unmittelbare, gegeneinander isolierte Denkgesetze aufheben. a) Der Satz der Identität Im Zusammenhang seiner Auseinandersetzung mit Fichtes Wissenschaftslehre innerhalb der Differenzschrift hatte Hegel auf die Diskrepanz hingewiesen, die zwischen dem spekulativen, d. h. vernünftigen Prinzip der Fichteschen Philosophie, dem absoluten Ich als Subjekt-Objekt, und der systematischen Entfaltung dieses Prinzips besteht, insofern sie sich auf der Basis von Grundsätzen und damit vermittels der isolierenden Operationen des Verstandesdenkens vollzieht. Eben diese Diskrepanz ist es, die sich hier nun am Erkennen zeigt, indem es als abstrakt vernünftiges Denken einerseits Einheit von Sein und Denken, von Inhalt und Form ist, als diese absolute Einheit bzw. dieses absolute Selbstverhältnis andererseits jedoch wieder in den verstandestypischen Gegensatz beider Seiten zurückfällt. Im Unterschied zu Fichtes Philosophie allerdings steht die absolute Einheit bei Hegel nicht am Anfang der systematischen Ent-
4
Diese bestimmtere Unterscheidung zwischen Satz und Urteil wird Hegel erst in der Begriffslogik von 1816 ausführen (s. GW 12.55 f.). Grundsätzlich grenzt er den Satz vom Urteil aber auch schon 1804/05 im Kontext der Erörterungen zum Satz der Identität (GW 7.130 f.) sowie in den Gymnasialkursen zur Logik von 1809/10 (GW 10.148 u. 266) ab.
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11. kapitel
wicklung, so daß der Gegensatz des Denkens und Seins aus dieser (willkürlicherweise) erst produziert werden müßte, sondern diese Einheit ist im Gegenteil Resultat einer in diesem Gegensatz gründenden und ihn aufhebenden Entwicklung. So ist dann auch der Verstandesstandpunkt, auf dem der systematische Vollzug des Erkennens oder des absoluten Ichs einsetzt, kein unmittelbarer mehr, und damit auch der erste Grundsatz der Identität nicht, wie es zunächst scheint, Ausdruck der einfachen Sichselbstgleichheit der Qualität, sondern des vermittelten, in sich reflektierten Fürsichseins, das somit in sich negativ ist. Dieser Grundsatz wird sich also im Laufe der folgenden Entwicklung als hergeleiteter und folglich auf die anderen Grundsätze immanent bezogener erweisen. Er muß somit anders als bei Fichte nicht mehr als unmittelbar evidentes, unbeweisbares Denkgesetz aufgefaßt werden. Die Sichselbstgleichheit der unmittelbar im Erkennen gesetzten indifferenten Bestimmtheiten ist gleichgültig gegen jedes Bestimmtsein, da ein Bestimmtes sich nur konstituiert, indem es negativ bezogen auf ein anderes Bestimmtes und damit auch negativ in sich selbst ist. M. a. W.: Die indifferente, rein auf sich selbst bezogene Bestimmtheit ist vernichtete, und zwar in ihrer reinen Sichselbstgleichheit vernichtete Bestimmtheit. Der Grundsatz der Identität, A=A, durch den diese tautologische Sichselbstgleichheit ausgesprochen wird, setzt also in Form von A irgendeine Bestimmtheit, die als solche jedoch für die ausgedrückte Sichselbstgleichheit oder Identität irrelevant ist. Damit aber führt der Satz der Identität in die Auflösung jedes Erkennens. Ein Satz wie: »Der Baum ist der Baum« sagt nichts aus, weil die Bestimmtheit Baum in diesem Ausdruck kein Verschiedenes und somit als Bestimmtheit sogleich auch wieder aufgehoben ist. Im Satz der Identität fallen also die reine Sichselbstgleichheit und die Bestimmtheit auseinander, gleichwohl kann jene nur mit Bezug auf ein Bestimmtes, d. h. mit Bezug auf die Verschiedenheit gesetzt werden.5 Damit ist gezeigt, daß die im Erkennen gesetzten sichselbstgleichen oder identischen Bestimmtheiten keine indifferenten, also unbezogenen
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Damit geht der Satz der Identität implizit über in den Satz vom auszuschließenden Widerspruch: Der Bestimmtheit A steht eine Bestimmtheit Nicht-A entgegen, auf die A sich ausschließend beziehen muß, um mit sich identisch zu sein. Explizit spricht Hegel den Zusammenhang beider Grundsätze nur im Titel des betreffenden Abschnitts an: »Satz der Identität oder des Widerspruchs.« (GW 7.130)
Absolutes Ich
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sein können, sondern in Beziehung stehen, d. h. Bestimmung der einen durch die andere sein müssen. Anders ausgedrückt: Die Vielheit der indifferenten Bestimmtheiten, die das Erkennen, die Manier des Verstandesdenkens in sich reproduzierend, von sich selbst als dem Einheitsprinzip trennt und sich als das Fremde entgegensetzt, ist in Wahrheit immanentes Beziehungsgefüge, so daß die vielen Bestimmtheiten der Einheit des Erkennens nicht entgegengesetzt sind, sondern diese vielmehr aus sich selbst produzieren. Der Gegensatz von Einheit und Vielheit ist folglich kein Gegensatz, der außerhalb beider liegt; die Vielheit selbst ist negative Beziehung oder Unterschied an sich selbst und damit immanent auf die Einheit bezogen. An ihr entfaltet sich damit der
b) Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten Hegel grenzt diese Betrachtung des Vielen als des Unterschiedes an sich selbst noch einmal ausdrücklich ab von der Betrachtung des Vielen, wie es unmittelbar im Erkennen gesetzt ist, nämlich als eine Menge indifferenter sichselbstgleicher Bestimmtheiten: Das Viele als das an sich Entgegengesetzte aufzufassen, scheint, so führt er aus, dem Vielen nicht zu entsprechen, denn das empirische, d. h. auf die Anschauung bezogene Denken des Verstandes rezipiert die gegebenen vielen Bestimmtheiten als voneinander isolierte. Erst durch die schrittweise Entfaltung der Grundsätze der Identität und, implizit, des auszuschließenden Widerspruchs erweisen sich die isolierenden Denkoperationen als unhaltbar, so daß der Verstand diese an einem anschaulich gegebenen Vielfältigen orientierte Weise des Auffassens, welche Hegel das »nichtphilosophische Denken«6 nennt,7 aufgeben und die Entgegensetzung als im Inhalt selbst enthalten erkennen muß. Insofern das Viele Unterschied an sich selbst ist, fällt der Gegensatz, in dem es zur Einheit des Erkennens steht, nicht mehr außerhalb seiner, sondern das Viele stellt selbst den Gegensatz von Einheit und Vielheit dar, d. h. es ist wesentlich das Andere seiner selbst bzw. sein Gegensatz, die Einheit, ist selbst eines seiner Glieder. Das Viele schließt 6
GW 7.133. Diese Charakterisierung zeigt nun eindeutig, daß das seine Momente als entgegengesetzte anschauende Erkennen, von dem Hegel oben schon sprach, ein sinnlich, und nicht intellektuell anschauendes ist (vgl. S. 177 f. dieser Arbeit u. GW 7.124). 7
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somit ein Drittes, in welchem Einheit und Vielheit erst vereinigt werden müssen, aus. Dieses Ausschließen hat also nicht etwa die Bedeutung, daß das Dritte ein Anderes außer dem Vielen Gesetztes sei, sondern es besagt, daß es ein Anderes außer dem Vielen schlechthin nicht gibt. Das Viele nun, insofern es das Andere, das es ausschließt, an sich selbst hat, ist dasjenige, welches sich von sich selbst ausschließt. Somit teilt es sich in das Viele, das Vieles, d. i. das Bestehen seiner Bestimmtheiten, und in das Viele, das nicht Vieles, d. i. das Aufgehobensein seiner Bestimmtheiten, Eines, ist. Dieses Teilen ist jedoch nicht als Auseinanderfallen beider Seiten in den Gegensatz des Entweder-Oder mißzuverstehen, sondern muß als eine Teilung des Vielen in sich, und das Viele damit als absolute Einheit des Bestimmten und des aufgehobenen Bestimmten aufgefaßt werden.8
c) Der Satz vom Grund In dieser absoluten Einheit, zu der sich die Vielheit der Bestimmtheiten oder der Inhalt entfaltet hat, ist jedoch Hegel zufolge der Gegensatz zum Erkennen noch nicht aufgehoben. Zwar sind die Bestimmtheiten, insofern sie eins mit ihrem Gegenteil oder das Andere ihrer selbst, also relational sind, nicht mehr das Vereinzelte, welches die Anschauung als gegeben vorstellt; vielmehr sind sie in dem Beziehungsgefüge, in dem sie stehen bzw. das sie aus sich selbst entwickeln, auf ihren Grund gekommen, d. h. in sich geschlossen oder selbst ein Erkennen. Doch gerade weil sie diesen in sich selbst gründenden eigenen Kreislauf ausmachten, seien sie gleichsam gegen das Erkennen abgeschlossen und daher, so führt Hegel aus, weiterhin mit der Differenz gegen dasselbe behaftet. Diese Argumentation jedoch erscheint keineswegs plausibel. Denn die aus ihrer immanenten Entgegensetzung sich entfaltenden Bestimmtheiten als der zum Grund gewordene Inhalt des Erkennens stellen nun selbst die Reflexion in sich dar, so daß sie dem Erkennen gleich und somit als 8
Hegels Begriff von der Teilung des Vielen stellt insofern auch keinen quantitativen Faktor dar und ist daher von Fichtes Begriff der Teilbarkeit des absoluten Ich, die erklärtermaßen eine Quantitätsfähigkeit desselben zum Ausdruck bringt, zu unterscheiden.
Absolutes Ich
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negativer Ausdruck desselben aufgehoben sein müßten. Nun bestätigt Hegel einerseits diese Identität des Erkennens und seines zum Grund entwickelten Inhalts, indem er diesen die Realisation bzw. »das Werden [des Erkennens] für sich selbst« nennt.9 Wenn er andererseits aber zugleich betont, diese Identität bestehe nur für uns, das Erkennen für sich aber fasse den Grund, der als solcher selbst ein Erkennen ist, dennoch als ein anderes, von ihm selbst noch verschiedenes Erkennen auf, das es insofern noch nicht als sich selbst anerkenne, so muß diese Aufrechterhaltung des Gegensatzes, den das Erkennen anfänglich in sich selbst setzte, willkürlich erscheinen – zumal, da Hegel zur Stützung dieses Vorgehens auf den äußeren Standpunkt »unserer Reflexion« zurückgreift, den er doch ausdrücklich als bloße »dialektische Behandlung« des an sich toten Inhalts, die mit der Konstituierung des Selbstverhältnisses des Erkennens an ihr Ende gekommen sei, verabschiedet hatte. Und wenn er herausstellt, daß die in sich gründenden Bestimmtheiten den Bestimmtheiten der Verhältnislogik des Seins entsprechen, anders als diese aber nicht mehr dem permanenten Übergehen unterworfen, sondern in sich reflektierte sind, so ist durch diese Entwicklung der Bestimmtheiten zu Bestimmtheiten eines in sich gründenden, und d. h. in sich geschlossenen Seins doch wohl nicht ihre anfängliche Differenz zum Erkennen zementiert, sondern es hat sich im Gegenteil erwiesen, daß es das Erkennen selbst ist, welches im Modus des Seins als der ersten Phase des Weges seiner Realisation erscheint. Nur das kann Hegel auch meinen, wenn er im Hinblick auf das Erkennen von der »Notwendigkeit [spricht] sich selbst aus seinem Gewordenseyn noch einmal zu werden, wobey mit sich in der Form der ersten Potenz angefangen wird …«10 Wenn diese erste Potenz, das in sich gründende Sein, aber als im Gegensatz zum Erkennen verbleibend aufgefaßt wird, so würde sich die Realisation des Erkennens, welche Hegel im folgenden als Metaphysik der Objektivität entfaltet, als etwas dem Erkennen Fremdes, von ihm Verschiedenes vollziehen. Ein nicht sehr durchsichtiger Gedanke, der sich aber wegen der widersprüchlichen Ausführungen zum Verhältnis von Grund und Erkennen nicht eindeutig zurückweisen läßt – ein Problem, welches schon Rosenkranz mit folgenden knappen Worten umrissen hat: »Was Hegel aber die Objectivität nannte, blieb noch sehr dunkel … Der Grundgedanke, der diese dialektisch kühne, mit äußerster Anstren9 10
GW 7.136. GW 7.135.
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gung durchgeführte Entwicklung durchdringt, besteht wohl darin, die Objectivität als vom erkennenden Subject freie, in sich selbst bestimmte Realität zu fassen.«11
11
Karl Rosenkranz Hegels Leben. 110.
12. kapitel Metaphysik der Objektivität oder die Wahrheit über Seele, Welt und höchstes Wesen a) Seele Durch die Ausführungen in dem kurzen einleitenden Abschnitt zu Beginn dieses zweiten Teils der Metaphysik erhält das dargelegte Problem des Verhältnisses von Grund und Erkennen eine weitere Dimension. Denn unabhängig davon, ob Hegel den Grund mit dem Erkennen identifiziert oder ihn demselben als ein anderes Erkennen entgegensetzt, wäre nun in jedem Fall die Entfaltung einer anderen Stufe des Erkennens zu erwarten. Statt dessen erklärt Hegel, daß der Grund dasselbe ist »was das Erkennen …, insofern es einen Innhalt hat, oder insofern es diesen … bestimmt, und sich zugleich in seinem Bestimmen desselben negirt, oder ihn für sich seyn läßt.«1 Im Grund tritt also, obwohl er Resultat einer Entwicklung ist, durch die sich der vom Erkennen getrennte Inhalt selbst als ein Erkennen erwiesen hat, erneut eben dieses Auseinanderfallen des Erkennens und seines Inhalts auf, d. h. er vollzieht denselben Kreislauf, in welchem die indifferenten einzelnen Momente zu differenten werden und sich so in einfache Allgemeinheiten aufheben, die als diese einfachen wiederum zu indifferenten Eins und als solche aus dem Kreislauf ausgeschlossen werden, der dadurch als Prozeß aufgehoben ist und in der Trennung der beiden Seiten der einfachen sich auf sich beziehenden Einheit und der Vielheit fürsichseiender Momente sich fixiert. So stünden sich auch auf der Basis des zum Grund entwickelten Inhalts Einheit und Vielheit wiederum als zwei indifferente Glieder gegenüber. Damit jedoch wäre das Resultat der Entwicklung des ersten Teils der Metaphysik negiert, im Verlauf derer gerade dieses vom (zunächst noch formalen) Erkennen gesetzte System der Indifferenz oder des »absoluten für sichseyns« sich auflöste, und zwar dadurch, daß die dieses System bestimmenden Verstandesgrundsätze als unmittelbar gewisse, unterein1
GW 7.138.
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12. kapitel
ander beziehungslose Sätze aufgehoben und als ineinander übergehende entfaltet wurden. Der auf diese Weise als relational und damit als in sich gründend aufgezeigte Inhalt wird von Hegel, und damit tritt wieder das erste und eigentliche Problem in den Vordergrund, dennoch weiterhin als dem Erkennen entgegengesetzt behandelt, und insofern bleibt auch das Indifferenzverhältnis beider Seiten bestehen, in dem der Inhalt zwar Inhalt des Erkennens und somit auf dieses bezogen ist, in dieser Beziehung aber gleichwohl ein Fremdes bleibt. Fragt man sich nach dem Motiv dieses Vorgehens, so wird es ganz offensichtlich diktiert von den Gegenständen des nun folgenden zweiten Teils Metaphysik der Objektivität, die ja denjenigen der vorkantischen metaphysica specialis entsprechen: Seele, Welt und Gott bzw. höchstes Wesen. Wenn Hegel nun den Grund, als dem Erkennen strukturell gleich und dennoch von diesem verschieden, mit der Seele identifiziert, so entspricht das dem vorkantischen Verständnis, demzufolge die Seele die rein geistige und daher unteilbare und unsterbliche Substanz des individuellen Menschen ausmacht, durch die er mit Gott verbunden und an Gott gebunden, von diesem aber gleichwohl verschieden ist. Hegel muß also den Grund in dieses ambivalente Verhältnis zum Erkennen setzen, um mit jenem in plausibler Weise zum ersten Gebiet der metaphysica specialis überleiten zu können. Nun wird er im folgenden aber dieses Verständnis der Einfachheit und Unsterblichkeit der Seele seiner Kritik unterziehen, insofern das Denken, durch das der Mensch geistiges Wesen wird, nicht als Einfachheit bzw. reine Allgemeinheit und damit auch nicht als unveränderlich aufgefaßt werden kann. Die strikte Trennung von Geistigem und Seiendem, die sich aus dieser einseitigen Auffassung ergibt und die Grundlage für das vorkritische Verständnis der Seele wie übrigens auch für dasjenige der beiden anderen Gegenstände der metaphysica specialis ist, kann somit nicht aufrecht erhalten werden. Dadurch aber wird sich auch die Trennung des zum Grund entwickelten Inhalts oder Seins und des Erkennens als unwahr erweisen, so daß also auch diese Trennung in die kritische Betrachtung der traditionellen speziellen Metaphysik mit einbezogen wäre. Obwohl Hegel den Grund lediglich als Wiederholung der Spaltung des (formalen) Erkennens auffaßt und damit, wie dargelegt, eigentlich an den Anfang der Metaphysik zurückkehrt, so wiederholt er im weiteren Verlauf gleichwohl nicht die Entwicklung des Systems der Grundsätze, sondern knüpft an das Resultat dieser Entwicklung des ersten Teils der Metaphysik an.
Metaphysik der Objektivität
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Durch diese Entwicklung ist der Grund oder die Seele als die absolute Einheit des Bestimmten und des aufgehobenen Bestimmten, d. h. das Bestimmte als schlechthin eins mit seinem Gegenteil erwiesen. Die Seele stellt somit nicht mehr das System des »absoluten für sichseyns«, sondern gleichsam das System des Seins als des Aufgehoben- oder Ideellseins dar. In diesem System der gegenseitig bezogenen und dadurch sich gegenseitig, d. h. ihre Verschiedenheit aufhebenden Bestimmtheiten jedoch zerstört sich die absolute Einheit des Grundes oder der Seele, insofern sie als Einheit oder Sichselbstgleichheit die Vielheit oder das Bestehen ihrer Bestimmtheiten ausschließt und sich dagegen als indifferentes Fürsichsein setzt. Dieses Zerstören stellt allerdings kein Auseinanderfallen der absoluten Einheit in den äußeren Gegensatz mehr dar, weil die Relation von Einheit und Vielheit als ein Drittes ausgeschlossen und dagegen als beiden Seiten immanent erwiesen wurde. Vielmehr schließt sich durch das Ausschließen der Vielheit der Bestimmtheiten die Seele von sich selbst aus, und d. h. daß die Einheit oder Sichselbstgleichheit, die sie gegen diese Vielheit setzt, nicht indifferent, sondern different, also Bestimmtes gegen die Bestimmtheit der Vielheit ist. So ist die Seele zum einen Einheit gegen die Vielheit, d. i. Totalität als Aufgehobensein der Bestimmtheiten, insofern Indifferentes oder Unbestimmtes, und zum anderen wird sie, da die aufgehobene Vielheit das Andere ihrer selbst ist, in dieser Unbestimmtheit Bestimmtes gegen die Vielheit und damit selbst eine der vielen Bestimmtheiten. Als ein Bestimmtes ist die Seele zwar ein Bestehendes und als dieses Bestehende Substanz, doch insofern das Bestimmte das Andere seiner selbst, also wesentlich relational ist, ist es auch Differentes sowohl gegen Anderes als auch in sich selbst, und als solches dasjenige, welches in seinem Bestehen das Andere und dadurch auch sich selbst aufhebt. Diese Bestimmung der Seele aber entspricht nicht mehr dem vorkantischen Substanzverständnis derselben: Denn die Eigenschaften der Einfachheit und Unvergänglichkeit sind mit dieser Explikation des Begriffs der Seele nicht mehr vereinbar. Das Entscheidende dieser kritischen Betrachtung ist dabei darin zu sehen, daß Hegel das Bestimmtsein, also das Bedingtund folglich Begrenzt- bzw. Aufgehobensein, als der Seele wesentlich herausstellt und damit die Forderung, sie aufzuheben, als unausweichlich aufzeigt. Er nimmt in diesem Zusammenhang bezug auf Versuche der vorkritischen Metaphysik, »die Unsterblichkeit der Seele zu behaupten 2
GW 7.141.
190
12. kapitel
und zu beweisen«,2 ohne allerdings auf einzelne dieser Versuche näher einzugehen, und stellt grundsätzlich fest, diese seien stets, um ihr Beweisziel erreichen zu können, mit dieser Forderung, die Bestimmtheit der Seele aufzuheben, konfrontiert; zugleich aber macht natürlich eben das Erfüllen dieser Forderung das Beweisziel auch wieder zunichte. Nun ist die Seele, da sie Grund und somit Erkennen ist, Reflexion in sich und bezieht sich daher, bestimmt als einfache Einheit, ausschließend auf die Vielheit und setzt sich gegen sie als ein Fürsichsein. So ist sie Subjekt und der Beziehung auf ihr Entgegengesetztes enthoben. Doch diese Selbsterhaltung gegen ihr Entgegengesetztes, diese Sichselbstgleichheit ist nicht eigentlich eine solche, sondern stellt sich, wie Hegel sich ausdrückt, nur als solche dar,3 weil sie Resultat eines Abstrahierens vom Gegenteil der Vielheit, nicht aber ein Zurückkehren aus demselben und somit auch keine Selbsterhaltung in der Allgemeinheit oder Einheit mit dem Gegenteil ist. M. a. W.: Die Seele ist nicht die in der Vielheit ihrer Momente sich erhaltende Einheit oder Sichselbstgleichheit und insofern auch nicht wahrhaft Subjekt. Vollzieht sich aber das Ausschließen der Vielheit nicht als ein bloßer Abstraktionsvorgang, dann hebt die Seele, indem sie die Vielheit ausschließt oder aufhebt, das Andere ihrer selbst und folglich ihr eigenes Wesen auf. D. h. ihre Reflexion oder Rückkehr in sich ist kein Vorgang der Selbsterhaltung, sondern einer der Selbstaufhebung. Die Seele steht somit in einfacher, unterschiedsloser Einheit oder Allgemeinheit mit ihrem Entgegengesetzten, in der das eine ebenso das Tätige bzw. das Passive ist wie das Andere, und in der sich so die Differenzbewegung des Tätigen und Passiven im neutralisierten und d. h. indifferenten Verhältnis der Wechselwirkung fixiert. In der Wechselwirkung fallen also die Einheit der Seele und die Vielheit ihrer Momente wieder als indifferente Seiten auseinander; allerdings nicht mehr in der Weise wie vorher das Erkennen und sein Inhalt, denn dieser stand dem Erkennen als ein Fremdes gegenüber. Die Vielheit jedoch ist in dem gleichwertigen Verhältnis der Wechselwirkung ebenso ein Erkennen wie die Einheit. Es ist demnach nicht nur die Seele ein in sich Reflektiertes, sondern es gibt eine indifferente Vielheit oder »Mehrheit An sich seyender, in sich selbstreflectirter …« oder anders: es gibt eine Mehrheit von Seelen. Insofern diese vielen in sich Reflektierten aber im Verhältnis der Wech3
Vgl. GW 7.140.
Metaphysik der Objektivität
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selwirkung stehen, in dem sie sich nur so aufeinander beziehen, daß die Bewegung dieser Beziehung ein endloses Wechseln zwischen Bestimmen und Bestimmtwerden und damit letztlich ein Fixieren ihrer selbst darstellt, so sind sie nur »auf die oberflächliche Weise unter sich bezogen, eine Kette von Synthesen …«4 Dieses »oberflächliche« Beziehen gegeneinander gleichgültiger Ansichseiender stellt sich allerdings sogleich als sein Gegenteil heraus: Indem jedes vordergründig indifferent Ansichseiende ein Erkennen oder in sich Reflektiertes ist, ist es ein auf das Andere als auf sein Objekt oder seinen Inhalt Bezogenes, so wie es selbst Inhalt dieses Anderen als eines ebenso in sich Reflektierten ist. So sind die vielen in sich Reflektierten nicht gleichgültig gegeneinander, sondern notwendig Relationen, so daß »ihr Seyn, in ihrer Gleichgültigkeit gegeneinander … unmittelbar zu einem Bestimmtwerden derselben durcheinander [wird], indem eins der Innhalt des andern ist.« Mit der Rede von der »Kette der Synthesen« als der nur oberflächlich, weil wechselwirkend Bezogenen nimmt Hegel ganz offensichtlich Bezug auf Leibniz’ Theorie von der Verknüpfung der Monaden, auch wenn er erst im Zusammenhang der folgenden Ausführungen über die Welt bzw. das Verhältnis von Seele und Welt ausdrücklich von Monaden und ihren (Welt-)Vorstellungen sprechen wird. In der unter den Titeln Die Prinzipien der Philosophie oder die Monadologie oder auch nur Monadologie bekannten Schrift (geschrieben 1714) bestimmt Leibniz die Monaden bekanntlich als einfache Substanzen, d. h. als nicht aus Teilen bestehend und somit unzusammengesetzt.5 Gleichwohl müssen sich auch in den Monaden, wie in den zusammengesetzten Dingen, Veränderungen vollziehen, da ihnen sonst kein Sein zukommt und sie sich nicht voneinander unterscheiden.6 Diese Veränderungen nun, d. i. die Vielheit in der Einheit der Monade oder ihre Spezifikationen, bestehen in vorübergehenden Zuständen, die durch ein inneres Prinzip bewirkt und Perzeptionen genannt werden; diese machen die Qualitäten der Monaden, die von den Teilen der zusammengesetzten Dinge zu unterscheiden sind, aus.7 Die Perzeptionen unterscheiden sich durch einen unterschiedlichen Grad der Deutlichkeit voneinander: es gibt erstens unbewußte,8 zweitens deutlichere, d. h. mit Erinnerung ver4 5 6 7 8
GW 7.142. Vgl. 1. Abschn. Vgl. 8. und 9. Abschn. Vgl. 11.–14. Abschn. Vgl. 14. u. 20. Abschn.
192
12. kapitel
bundene, empirische Perzeptionen9 und drittens schließlich die reflexiven Akte, welche durch die Erkenntnis der notwendigen und ewigen Wahrheiten entstehen, die uns zu vernünftigen und Wissenschaft treibenden Wesen macht und durch die der Mensch geistiges, vom Tier unterschiedenes Wesen ist. Erst die reflexiven Akte ermöglichen ein Ich-Bewußtsein, durch das wir den Unterschied eines Inneren bzw. eines Selbst und eines Äußeren, des Geistigen und des Materiellen, des Begrenzten und Unbegrenzten machen und uns alles, was in uns begrenzt ist, in Gott unbegrenzt vorstellen.10 Leibniz nennt nun alle Wesen oder Monaden, die über deutliche, mit Erinnerung verbundene Perzeptionen verfügen, Seelen;11 diejenigen unter ihnen, die der vernünftigen Erkenntnis und daher reflexiver Akte fähig sind, besitzen Geist (Esprit) und heißen vernünftige Seelen (»Ames raisonnables«).12 Was nun das für diesen Kontext entscheidende Verhältnis der Monaden untereinander und überhaupt auf etwas von ihnen Verschiedenes angeht,13 so kann dieses Verhältnis aus ihnen selbst heraus nicht hergestellt werden, da sie fensterlos sind und folglich weder Einfluß auf Anderes nehmen können noch für äußeren Einfluß empfänglich sind.14 Möglich ist nur ein idealer Einfluß zwischen ihnen (»influence ideale«), d. i. ein Einfluß, welcher seine Wirkung nur durch den Eingriff Gottes entfalten kann.15 Dieser ideale Einfluß nun realisiert sich in der Weise, daß Gott in der Vergleichung der Monaden miteinander dasjenige, was in der einen aufgrund deutlicher Perzeptionen deutlich zu erkennen ist, als Grund für ein in einer anderen Monade sich vollziehendes und von ihr erlittenes Ereignis auffassen und sie dementsprechend in einem System des wechselseitigen Handelns und Erleidens aneinander anpassen muß.16 Eben dieses von Gott bewirkte System der Verknüpfung oder Anpassung (»Liaison ou accommodement«) der Monaden17 entspricht Hegels 9
Vgl. 19., 26. u. 28. Abschn. Vgl. 29. u. 30. Abschn. 11 Vgl. 19. Abschn. 12 Vgl. 29. Abschn. 13 Der gesamte vorangegangene, sehr geraffte Überblick ist nur zum Zweck des besseren Verständnisses dieses Verhältnisses gegeben worden, nicht etwa, um Fragen der Leibnizschen Philosophie darzustellen oder gar kritisch zu erörtern. 14 Vgl. 7. Abschn. 15 Vgl. 51. Abschn. 16 Vgl. 49. u. 52. Abschn. 17 Vgl. 56. Abschn. 10
Metaphysik der Objektivität
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Beziehung der Wechselwirkung, in welcher die vielen in sich Reflektierten zueinander stehen. Insofern er aber die Wechselwirkung als ein in die Indifferenz seiner Glieder mündendes Verhältnis darstellt, das er als oberflächliches Bezogensein derselben bezeichnet, da in Wahrheit nicht die Gleichgültigkeit, sondern das Bestimmtwerden durcheinander das Verhältnis der in sich Reflektierten kennzeichnet, so ist Hegels Anknüpfen an Leibniz’ Monadenlehre zugleich als Kritik an der Konzeption der einfachen Substanzen und an deren äußerlicher Vereinigung in einem von ihnen verschiedenen Schöpfergott zu verstehen, der sie aufgrund ihrer Einfachheit und Isolation nur blitzartig, von Moment zu Moment (»par des Fulgurations continuelles de moment à moment«) oder mit einem Schlag (»tout d’un coup«), d. h. sozusagen ohne ein Werden erzeugt.18
b) Welt Der Prozeß der Wechselwirkung, in dem jede der vielen in sich reflektierten Einzelheiten sowohl Tätiges als auch Passives ist und der in die Indifferenz seiner Glieder sich fixiert und daraus sogleich wieder in die Differenz derselben übergeht, ist der Selbsterhaltungsprozeß dieser in sich reflektierten Einzelnen, in dem sich die elementare Form des Weltprozesses ausdrückt und in dessen dialektischem Verhältnis von Tätigkeit und Passivität sich die grundlegende Verbindung von Notwendigkeit und Freiheit zeigt: Denn indem die Einzelheit Passives ist, ist sie sowohl dasjenige, welches durch die Tätigkeit eines Anderen bestimmt und somit Moment und der Notwendigkeit unterworfen wird, als auch dasjenige, welches, selbst aller Tätigkeit und d. h. allem Beziehen bzw. Bestimmen entnommen, sich in sich reflektiert und das rein auf sich selbst Bezogene und dadurch frei ist. Das Bemerkenswerte an diesen Ausführungen zum Verhältnis von Notwendigkeit und Freiheit liegt darin, daß Hegel die Freiheit des rein auf sich selbst bezogenen Einzelnen als der elementaren Weise des Inder-Welt-Seins nicht mit einer Form der Tätigkeit in Verbindung bringt, sondern sie als Zustand der Gleichgültigkeit gegen Anderes versteht. Diese Freiheit ist also nicht die Freiheit des absoluten Fürsichseins, und sie kann dies auch nicht sein, sondern sie stellt die formelle Freiheit der einzelnen Seele dar, in dem Gegensatz und damit im Beziehungsgefüge, 18
Vgl. 47. bzw. 6. Abschn.
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12. kapitel
in dem sie steht und das sie grundsätzlich auch nicht tilgen kann, gleichwohl die Bezugnahme auf Anderes zu negieren. Der Unterschied zwischen den vielen einzelnen ist dann »nur ein gradweiser der grössern und geringern Freyheit, mit welcher [sie] vielseitiger [d. h. gegen mehr oder weniger viele Andere] gleichgültig bleib[en].«19 Durch diesen Zustand der Passivität oder Gleichgültigkeit in der bzw. gegen die Welt wird die Seele, wie Hegel weiter ausführt, zur Monade, d. h. sie verfügt, wie dargelegt, über Perzeptionen, durch die ihr, und zwar insbesondere als Geistmonade, die Welt wohl gegenwärtig ist, in der und auf die sie aus sich heraus aber nicht reagiert und Leibniz zufolge auch nicht zu reagieren vermag. Mit dieser Bestimmung der Seelen als Monaden nutzt Hegel also das Leibnizsche Gedankenmodell, ohne doch die mit diesem einhergehende und von ihm indirekt ja kritisierte Konzeption der Fensterlosigkeit der Monaden zu übernehmen. Denn insofern die Seele Hegels Theorie zufolge nicht ein absolut Fürsichseiendes, sondern Fürsichseiendes als Passives ist, welches ebenso wie es sich auf sich selbst bezieht, auch zur Tätigkeit Anderer in Relation steht, kann der Seele nicht der absolute Indifferenzund daher Isolationscharakter der Leibnizschen Monade zukommen. Hegel zeigt denn auch sogleich die Grenze dieses monadischen Zustands der Gleichgültigkeit, durch den die Seele sich in ihrer Einzelheit zu erhalten sucht: Denn als das rein auf sich selbst Bezogene, in dem das Andere getilgt ist, ist sie auch das Bestimmungslose, pure Existenz, reines Dieses und als solches dasjenige, welches sich in seinem Selbsterhaltungsprozeß vielmehr selbst aufhebt. Kurz: Der Selbsterhaltungsprozeß des Einzelnen ist das Erkennen als Vernichtung des Anderen, die zur Vernichtung seiner selbst wird.20 Die Selbsterhaltung der Einzelheit kann sich also nur durch ihre Selbstaufhebung realisieren, in welcher die Seele Moment und d. h. Differentes gegen anderes Differente wird. M. a. W.: Sie muß in ihrer Selbsterhaltung gegen Anderes gleichwohl auf dieses bezogen bleiben oder: sie muß ihre Sichselbstgleichheit in ihrem Anderssein finden.
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GW 7.144. Durch diese Argumentation demonstriert Hegel, daß nicht die Beziehung auf Anderes, sondern das indifferente Fürsichsein der Monade ein Schein ist. Denn da die Monade Leibniz’ Theorie zufolge ein Qualitatives oder Bestimmtes ist, muß sie sich immanent auf andere Monaden beziehen, insofern Bestimmtheiten sich ohne Negationsprozesse, d. h. ohne Beziehung auf Anderes, nicht konstituieren können. 20
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In diesem Bezogensein auf das Gegenteil als auf sich selbst wird die einzelne Seele zum Allgemeinen, in dem ihre und die Einzelheit ihres Gegenteils aufgehoben und als aufgehoben gesetzt sind, d. h. in dem beide in ihrem Aufgehobensein als Einzelheiten zugleich auch bewahrt bleiben. Mit diesem Allgemeinen der zugleich aufgehobenen und gesetzten Einzelheiten entfaltet sich die Gattung, in welcher also die Einzelheiten als rein auf sich selbst Bezogene, d. h. als Passive bzw. als Monaden und als auf Anderes Bezogene, d. h. als Tätige vereint sind und sich daher auch das Erkennen als Vernichten des Anderen modifiziert in ein Anerkennen desselben. Dieses Anerkennen drückt sich in der grundlegenden spezifischen Differenz der Gattung des Lebendigen, nämlich in der Geschlechtsdifferenz, aus. Mit der Gattung oder dem Erkennen als Anerkennen entwickelt sich der Weltprozeß zu einer höheren Sphäre der Freiheit. Gleichwohl ist damit nicht die Freiheit des Einzelnen, sich als Einzelnes gegen anderes Einzelnes zu erhalten, aufgehoben; das Erkennen als Anerkennen kann sich ja nur vollziehen, wenn die sich anerkennenden Einzelnen in ihrem Sein sich erhalten. Das führt dazu, daß die Gattung sich wieder spaltet in den Gegensatz ihrer Momente des Passiven und Tätigen. Allerdings ist diese Spaltung nicht als ein Auseinanderfallen zu verstehen, sondern als ein Differenzieren oder, mit Hegels Ausdruck, als ein Sich-Ausspannen der Gattung in ihre Momente, in dem sie »das Freye [ist], das über die Momente des Kreislauffes erhaben, allein das sichselbstgleiche ist.«21 Indem die Gattung aber die immanente Einheit bzw. Differenz ihrer Momente ist, steht sie als das Sichselbstgleiche zum Kreislauf ihrer Momente, der sich gegeneinander selbst erhaltenden Einzelnen, zugleich in immanentem Gegensatz, so daß sie selbst in diesen Kreislauf gezogen und zu einem (notwendigen) Moment gegen ihre Momente, d. h. selbst zur Einzelheit wird und ihrerseits nur durch Reflexion in sich selbst wieder zur Beziehung auf sich übergeht. Dieser Wechsel zwischen dem Selbsterhaltungsprozeß der Einzelheiten, die sich in der Gattung aufheben, und dem Prozeß der Erhaltung der Gattung, welche als immanente Einheit oder absolute Reflexion in sich ihrerseits in das Einzelnsein zurückfällt, kurz der Wechsel zwischen der Sphäre der Freiheit der Einzelheit und derjenigen der Gattung setzt sich fort, solange der Prozeß der Selbsterhaltung des Seienden die Form der Entgegensetzung hat, sich also als Kommen und Verschwinden der 21
GW 7.147.
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Indifferenten oder Passiven, d. h. der sich selbst außer sich setzenden Einzelheiten vollzieht.22
c) Die absolute Gattung oder das höchste Wesen Die Form der Entgegensetzung, in welcher die Selbsterhaltung sich vollzieht, liegt wesentlich in der ambivalenten Struktur der Einzelheit begründet. Als in sich reflektierte Einzelheit, wie sie sich als Subjekt des Schlusses herausgebildet hatte, ist sie Einheit ihrer und ihres Gegenteils und insofern sowohl dasjenige, das sich in der Beziehung auf dieses Gegenteil selbst aufhebt, als auch dasjenige, welches sich in sich reflektiert und sich gegen sein Gegenteil abschließt. Als dieses in sich Reflektierte, nur auf sich Bezogene, ist es das gegen andere Einzelne und damit auch gegen die Allgemeinheit der Gattung Gleichgültige und daher Zufällige. Doch gerade weil das Einzelne das in sich Reflektierte, aus der Allgemeinheit in sich Zurückgekommene, selbst ein Erkennendes, oder nach Hegels Darstellung, »Punkt einer unendlichen Menge sich in ihm kreuzender Linien«23 ist, gegen die es sich in sich abschließt, die aber gleichwohl sein Beziehungsgefüge ausmachen, in welchem jedes Einzelne seinen Grund hat, kann es sich in dieser gleichgültigen Abgeschlossenheit in sich nicht halten. Es ist bestimmt durch anderes Einzelne und steht daher in notwendiger Beziehung zu diesem. Nun setzt gerade diese Notwendigkeit, mit der sich die Einzelnen immanent aufeinander beziehen, eben den Selbsterhaltungsprozeß in Gang, der Prozeß der Entgegensetzung ist, in welchem das Aufheben der Einzelnen in ihrer Gattung und das Abscheiden von derselben, durch das 22
Diese (fundamentale) Form der Selbsterhaltung als Selbsterhaltung gegen Anderes beschreibt schon Spinoza, dessen Überlegungen bei den diesbezüglichen Erörterungen Hegels sicherlich unausgesprochen im Hintergrund stehen. Im dritten Teil seiner Ethik, der vom Ursprung und der Natur der Affekte handelt, führt er unter propositio VI aus, daß im Wesen eines jeden Dinges (res) das Streben liege, sich in seinem Sein zu erhalten (conatus in suo esse perseverare – dabei gilt für das geistige Sein, wie aus propositio IX hervorgeht, daß sein Streben nach Selbsterhaltung von Bewußtsein begleitet ist). Da nun die Zerstörung eines Dinges nur durch eine äußere Ursache bewirkt werden könne und die Dinge folglich einander entgegengesetzt sein müssen, wie Spinoza in den vorangehenden propositiones IV und V darlegt, kann die Selbsterhaltung der Dinge nur als Prozeß der Entgegensetzung des einen gegen das andere verstanden werden. 23 GW 7.151.
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die Gattung selbst Moment bzw. Einzelnes wird, wechseln. Insofern ist diese Notwendigkeit der immanent Entgegengesetzten schlechte Notwendigkeit, d. h. Notwendigkeit als rein negativer Prozeß. Da dieser Wechsel zwischen Gattungsprozeß und dem Prozeß der Einzelheit aber zugleich der Wechsel schlechthin und damit auch das Unveränderliche, Sichselbstgleiche ausmacht, in welchem der Kreislauf in sich zurückkehrt, erweist sich die schlechte Notwendigkeit oder der negative Prozeß der Entgegengesetzten ebenso als absolute Notwendigkeit, und diese ist die Notwendigkeit der Gattung, insofern sie »das Wesen der Wesen«, d. i. das absolut bestimmte Sichselbstgleiche bzw. das absolut Einzelne ist, in dem die vielen Bestimmtheiten als aufgehoben gesetzt sind. Die Gattung als das Wesen der Wesen oder als absolute Gattung und die Gattung als das in die Entgegensetzung seiner Momente sich Ausspannende und somit in die Existenz Tretende sind folglich Eins und Dasselbe; und sofern jene als Denken und diese als Sein oder Ausdehnung verstanden wird, sind Denken und Sein also identisch. Bis zu diesem Punkt kann man Hegels Ausführungen zweifellos als Explikation seiner eigenen Konzeption des Absoluten verstehen. Im folgenden jedoch gehen diese Überlegungen zum Absoluten bzw. zur absoluten Gattung einher mit einer kritischen Positionierung gegenüber der traditionellen theologia naturalis bzw rationalis. Hegel nimmt nun eine Weiterbestimmung der absoluten Gattung durch den Begriff des höchsten Wesens vor. Dieses bestimmt er zwar auch als Idealität, d. h. als Einheit, in der die vielen, entgegengesetzten Bestimmtheiten der Welt aufgehoben sind, so daß es nicht etwa als leere, den Erscheinungen der Welt äußerliche Allgemeinheit, sondern durchaus als Wesen oder Substanz dieser vielfältigen Erscheinungen aufzufassen ist. Doch die Welt stellt nicht nur das Sein oder die Ausdehnung im höchsten Wesen dar, so daß sie in der Idealität bzw. der Möglichkeit desselben verbliebe, sondern sie muß in ihrem Wesen, d. i. in ihren Entgegensetzungen und somit Begrenztheiten gegen die Einheit und Unbegrenzheit des höchsten Wesens auch zur Existenz kommen. Natürlich erweist sich, wie Hegel immer wieder ausführt, das Sein der Welt, gerade insofern es Sein als Entgegengesetztsein ist, als das Sein im Anderen, also als dasjenige, das sich wesentlich aufhebt und in die Einfachheit oder Sichselbstgleichheit des höchsten Wesens als des absoluten Grundes seiner Entgegensetzung oder Ungleichheit zurückkehrt. Damit sich die Welt aber als dieses endliche, sich aufhebende und in der reinen Einheit der höchsten Wesenheit wieder aufgehende Sein zeigen kann, muß sie überhaupt erst
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einmal in der Negativität gegen dieselbe existiert haben. M. a. W.: Der sogenannte Schöpfungsakt der Welt muß ein Akt der absoluten Negation sein, in dem die Einzelheiten sich von ihrem Grund und d. h. voneinander isolieren. Wird diese Negation, die notwendig als Prinzip des höchsten Wesens selbst zu verstehen ist, geleugnet und vielmehr als das »böse Prinzip« oder als »Finsterniß« seiner »ätherhellen Durchsichtigkeit und Klarheit«24 entgegengesetzt, so ergibt sich das Problem, die Welt zwar auf das höchste Wesen als auf ihren Grund zurückführen zu müssen, ihren Anfang aber nicht aus diesem erklären zu können. D. h.: Der Beweis dessen, was die Welt und die Individualitäten in ihr wahrhaft sind, »geht in dieses [sc. das höchste Wesen] zurük, aber er geht nicht aus diesem hervor, sondern fängt bey einem unbegreiflichen Anfangspunkt an, nemlich dem der Existenz …«25 So bliebe dann die Einheit des höchsten Wesens der Vielheit seiner Erscheinung, das Denken dem Sein fremd, was in der Konsequenz nichts anderes bedeutet, als daß das höchste Wesen wohl Substanz, aber nicht Subjekt ist. Gewährsmann für seine Konzeption eines negativen, sich selbst gleichen Absoluten ist Spinoza, auf den Hegel in diesem Zusammenhang wieder zurückkommt: Dessen absolut immanente Substanz hat den Gegensatz von Denken und Sein »schlechthin nur als Attribut … in sich«, d. h. Denken und Sein sind nur verschiedene Ausdrucksformen ihres Wesens und beschreiben nicht die grundsätzliche Verschiedenheit eines rein positiven Absoluten (Denkens) und eines rein negativen, endlichen Seins.26 Damit aber wäre Spinozas Substanz eben nicht nur Substanz, sondern auch Subjekt; und in dieser Hinsicht wird Hegel Spinoza ja weiterzuführen versuchen. 24
GW 7.153 f. GW 7.154. 26 Wie bedeutsam Spinozas Denken für Hegels eigene philosophische Entwicklung ist, zeigt sich daran, daß es von Anbeginn der Jenaer Zeit in seinen Schriften präsent ist. Beispielhaft seien hier zum einen die Stellen GW 4.24 (Differenzschrift) und 4.208 (Skeptizismusaufsatz) genannt, an denen Hegel die Bedeutung der Antinomie für das Vernunftdenken mit Verweis etwa auf die Konzeption der immanenten Ursache, in der Ursache und Wirkung vereint gedacht werden, oder auf die hier im Haupttext angeführte Einheit der Substanz und ihrer Attribute illustriert. Zum anderen sei die Stelle 4.392 (Glauben und Wissen) angeführt, an der Hegel die absolute Geschlossenheit der Spinozanischen Substanz in sich, d. h. deren Struktur einer in sich differenten Einheit herausstellt. Nicht zu vergessen ist schließlich auch seine die Beschäftigung mit diesem Denken sicherlich vertiefende Arbeit an Bd. 2 der von seinem Freund Heinrich Eberhard Gottlob Paulus herausgegebenen Opera quae supersunt omnia des Spinoza (vgl. GW 5.513–516). 25
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Um auch die Frage zu beantworten, gegen wen bzw. gegen welche Richtung des Denkens sich Hegel mit seiner Kritik an der Konzeption eines negationslosen Absoluten wendet, so mag es legitim sein, zu diesem Zweck einen Blick auf die späteren Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie zu werfen und daraus die für die gesuchte Antwort entsprechenden Rückschlüsse zu ziehen. Schließlich hat Hegel seine erste Vorlesung zu diesem Thema schon im Wintersemester 1805/06 gehalten, so daß eine gründliche philosophiehistorische Kenntnis und ebenso eine klare Vorstellung über den systematischen Aufbau einer solchen Historie zur Zeit der Abfassung der Logik und Metaphysik von 1804/05 vorausgesetzt werden kann.27 Bezüglich der von Pierre Garniron und Walter Jaeschke herausgegebenen vier Teile der Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie in den Bänden 6–9 fällt der ambivalente Charakter auf, durch den die Philosophie des Mittelalters, d. i. die von Hegel sogenannte zweite Periode der Geschichte der Philosophie, geprägt ist. Deren wesentliches Merkmal besteht darin, daß sie sich in einer Epoche der Menschheitsgeschichte entwickelt, in der mit dem Christentum »eine neue Religion in der Welt aufgegangen ist.«28 Mit der christlichen Religion vollzieht sich, wie Hegel ausführt, einerseits der entscheidende intellektuelle Fortschritt, daß Gott als Geist und d. h. als »sich selbst unterscheidend, als konkret gefaßt [wird].«29 Durch diese grundlegende Änderung in der Auffassung Gottes wird das Prinzip der immanenten Einheit von Gott und Mensch, d. h. das Bewußtsein konstituiert, daß die Welt und in ihr vor allem der Mensch das Andere Gottes ist, welches nicht mehr, wie in älteren Religionen, als ein Fremdes auf ihn bezogen ist, sondern in welchem sich die Beziehung Gottes auf sich selbst ereignet. Das Christentum stellt also nichts Geringeres als den Prozeß der Versöhnung von Gott und Mensch dar. Die Kehrseite dieses wichtigen Fortschritts liegt der Hegelschen Sicht zufolge jedoch darin, daß das auf dieser höchsten Form der Religion basierende patristisch-scholastische Denken nicht zur adäquaten Entfaltung dieses Versöhnungsprozesses gelangt. Eine solche Entfaltung kann sich durch das Denken nur, insofern es »freies, von sich ausgehendes«, d. h. sich aus sich entfaltendes Denken ist, vollziehen. Die philosophi27 28 29
Vgl. dazu GW 5.538 bzw. Karl Rosenkranz Hegels Leben. 201–202. V 9.1. V 9.4.
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sche Theologie des Mittelalters aber operiert auf der Basis des Verstandesdenkens, mit dem die immanente göttliche Einheit nicht zu begreifen ist; vielmehr bleibt diese in sich konkret sein sollende Einheit ein leeres, nicht realisiertes Prinzip und Gott bzw. das höchste Wesen somit ein Abstraktum, also ein Jenseits alles Weltlichen. Und eben darauf zielt ja die im Kontext des Kapitels über das höchste Wesen geübte Kritik Hegels. Insofern ist davon auszugehen, daß er sich mit dieser Kritik gegen eine theologisch orientierte Metaphysik richtet. Das in ihr nicht entfaltete freie, für sich seiende Denken sieht er im Kontext seiner Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie denn auch erst in der dritten Periode derselben, d. h. in den Philosophien der Neuzeit, sich entwickeln. Doch nicht nur diese dritte und letzte Epoche der Geistesgeschichte gelangt zu diesem sich selbst denkenden Denken; auch in der ersten Periode der Geschichte der Philosophie, die die griechische Philosophie bis zum Neuplatonismus umfaßt, sieht Hegel schon dieses die Isolierungen und damit die Äußerlichkeit des Verstandes überwindende Vernunftdenken entfaltet. Deswegen schließt er erste und dritte Periode der Philosophiegeschichte durch den Terminus »eigentliche Philosophie« zusammen und grenzt so diese Perioden ausdrücklich vom mittelalterlichen Denken ab: »Wir treten damit [sc. mit Descartes Denken] erst wieder in eigentliche Philosophie seit der neuplatonischen, -pythagoräischen Schule.«30 Doch trotz dieser entwickelteren Weise des Denkens zeigt sich das Problem eines abstrakt bleibenden höchsten Wesens Hegel zufolge gleichwohl auch im Neuplatonismus. In der seiner Einschätzung nach ausgereiftesten Gestalt dieser Richtung, der Philosophie des Proklos, lobt er zwar das Vorhandensein einer Dialektik des Einen und Vielen, doch insofern das göttliche Eine als das Unerkennbare, Unmitteilbare aufgefaßt wird, bleibt ebenso die Emanation oder das Herausgehen Gottes aus sich in die vielfältigen Erscheinungen des Seins ein unbegreiflicher Vorgang. Die Dialektik des Denkens vollzieht sich hier also nicht in, sondern außerhalb Gottes oder: »Das negative Moment ist an ihm noch nicht als tätig gesetzt.«31 Diesen Mangel eines zwar als sich aus sich selbst entwickelnd verstandenen, aber nicht konsequent eingesetzten Denkens hat Hegel vermutlich im Blick, wenn er am Schluß seines Kapitels über das höchste Wesen 30 31
V 9.88. V 8.188.
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diagnostiziert: »die Emanation der Einzelnheit aus dem höchsten Wesen, ist ein leerer Gedanke, denn das womit sie erfüllt wäre, wäre nur eine Ungleichheit, der die absolute Einheit der Gattung nicht fähig ist.«32 Die nun folgende Metaphysik der Subjektivität wird gegen die Unzulänglichkeiten, die in der Metaphysik der Objektivität hervortraten, zunächst die Aufgabe haben, das höchste Wesen als »die absolute Negation und diese [als] absoluteinfach [darzustellen]«, und dies bedeutet, die absolute Negation »als absoluteinfache Reflexion in sich selbst, als Ich oder als Intelligenz« zu explizieren.33 Mit der Metaphysik der Objektivität überführt Hegel also »die Themen der metaphysica specialis ihrer inneren Unwahrheit: Das Ich ist die Wahrheit des ›höchsten Wesens‹; denn für die Monade, und mehr noch für das ›höchste Wesen‹ ist das Andere nur die Negation; für das Ich hingegen ›ein dem Ich gleiches‹. Die Darstellung der Metaphysik ist … zugleich ihre Kritik.«34
32 33 34
GW 7.154. Ebd. Walter Jaeschke Hegel-Handbuch. 167.
13. kapitel Metaphysik der Subjektivität a) Einfache oder auf sich selbst bezogene Negation Das höchste Wesen als die absolute, einfache Negation darzustellen bedeutet nicht nur, es als immanent negativ oder entgegengesetzt, sondern als dieses Negative auch als das auf sich selbst Bezogene, Sichselbstgleiche darzustellen. Angedeutet hatte Hegel diese konkrete Struktur des Absoluten schon in der Darstellung des Verhältnisses der in den Prozeß der Entgegensetzung zur Einzelheit zurückfallenden Gattung und der Gattung, insofern sie das Sichselbstgleiche dieser Entgegensetzung oder dieses Wechsels und somit Totalität oder absolute Gattung ist. Doch bestand diese Darstellung erst in der Demonstration eines unmittelbaren Umschlagens der Beziehung der Einzelheiten als Beziehung der Entgegengesetzten in die Entgegensetzung als solche oder die Beziehung schlechthin, d. h. in die absolute Selbstbeziehung. Nun aber wird Hegel die Beziehung der Entgegensetzung der Einzelheiten, die genauer die Beziehung der Entgegensetzung oder des Wechsels der Einzelheiten und der Allgemeinheit ihrer Gattung ist, als Entwicklung einer modifizierten Form der Einzelheit darstellen. Die Gattung, in der sich die Einzelheiten aufgehoben haben und so zu ihren Momenten geworden sind, tritt, wie ausgeführt, als Einheit ihrerseits wiederum in den immanenten Gegensatz zur Differenz ihrer Momente, so daß sie selbst zugleich Moment oder Einzelheit wird. Diese Einzelheit aber, in welche sich die Gattung modifziert, ist nicht mehr die erste, sich gegen eine andere Einzelheit setzende und in der Bedingtheit dieser negativen Beziehung sich aufhebende Einzelheit, sondern sie ist Resultat des Prozesses dieser Aufhebung der Einzelheiten, kurz: sie ist die Idealität derselben, Einzelheit als Allgemeinheit oder Totalität. Wenn die Gattung aber nicht mehr in den Prozeß der entgegengesetzten Einzelnen zurückfällt, sondern ihre Einzelheit Einzelheit als ihr eigenes Aufgehobensein ist, so gibt es kein Ansichsein, kein indifferentes Fürsichsein der Einzelheit mehr; die Einzelheit ist vielmehr wesentlich das durch die Allgemeinheit
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ihrer Gattung Bestimmte. Die Entgegensetzung oder negative Beziehung der Gattung zu ihren einzelnen Momenten besteht folglich nur noch als Aufgehobensein dieser Momente, d. h. als Selbstbeziehung der Gattung oder als einfache, auf sich selbst bezogene Negation. Was das Verhältnis der Gattungen zueinander angeht, so ist es zwar auch ein Verhältnis vieler Einzelner zueinander, doch sind diese Einzelnen selbst Allgemeine, d. h. Einzelne, deren Verhältnis gegeneinander aufgehoben ist oder deren Ansichsein nur noch als ihr Aufgehobensein besteht. Diese absolute Idealität ist die absolute Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit oder sie ist Ich.
b) Ursprüngliche Bestimmtheit oder der Schein der Entgegensetzung bzw. des Fremden in der absoluten Einheit des Ich Insofern in der absoluten Einheit des Ich die entgegengesetzten Einzelnen selbst Allgemeine und d. h. Aufgehobene sind, ist der Gegensatz selbst aufgehoben oder in das Ich zurückgenommen, und damit ist erwiesen, daß im Ich nichts Fremdes gesetzt ist. Das heißt aber nicht, daß das Aufgehobensein der Einzelheiten oder Entgegensetzungen im Ich als Vernichtetsein derselben zu verstehen ist, sondern es bedeutet, daß alles Entgegengesetzte, d. h. alles Bestimmte nur in Beziehung auf Ich gesetzt ist. Die Frage ist nun: Wie ist das Ansichsein des Gegensatzes oder wie ist die Vielheit bzw. die Indifferenz der Bestimmtheiten in der absoluten Idealität oder Differenz des Ich überhaupt möglich? M. a. W.: Inwiefern kann ein Fremdes, d. i. ein Bestimmtsein, das nicht Bestimmtsein des Ich ist, gleichwohl zum Wesen des Ich selbst gehören? Hegel beantwortet die Frage damit, daß das Ich in seinem absoluten Fürsichsein eine Bestimmtheit gleichsam mitbringe, eine Bestimmtheit also, die sich nicht »unter den Augen des Ichs« erst erzeuge.1 Wie ist das zu verstehen? Die absolute Allgemeinheit des Ich, in der alle Einzelheiten aufgehoben sind, ist absolute Einheit und als solche das absolut auf sich selbst Bezogene. In ihrer absoluten Selbstbezüglichkeit aber ist die absolute Allgemeinheit ebenso auch absolute Einzelheit, und d. h. das absolut Indifferente. Das Ich ist somit nicht nur absolute Allgemeinheit, sondern auch 1
GW 7.160.
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das gegen diese Allgemeinheit und d. h. gegen sein eigenes Wesen Gleichgültige. Ich ist also als absolut Bestimmendes zugleich auch Bestimmtes, gleichsam bestimmt als bestimmend. Es ist die ursprüngliche, sozusagen unhintergehbare Bestimmtheit, die als solche im Ich »unbegreiflich, bewußtlos« ist2 und durch die es immanent, also wesenhaft der Gegensatz des Bestimmenden, dem seine Bestimmtheiten als ein Fremdes gegenüberstehen, ist. Diese ursprüngliche Bestimmtheit oder Entgegensetzung des Ich ist, insofern unbegriffen, natürlich nicht erklärt, sondern lediglich vorausgesetzt. Hegel bleibt denn auch nicht bei dieser Setzung, sondern versucht zu zeigen, daß die Ursprünglichkeit der absoluten Bestimmtheit oder Einzelheit des Ich nur eine vermeintliche ist: Die absolute Einheit des Ich habe Einzelnes aufgehoben, komme also aus der Einzelheit her,3 so daß die Bestimmtheit oder Einzelheit des Ich selbst eine aus dem absoluten Gegensatz der Existenz Gewordene sei, insofern nicht ursprüngliche, absolut indifferente, sondern wieder different werdende Bestimmtheit ist, die sich ihrerseits aufheben muß. Würde die Bestimmtheit oder Einzelheit des Ich als eine nicht aufzuhebende, ursprüngliche aufgefaßt, so könnte das Ich nur als Jenseits der Vielheit der Welt, d. h. als höchstes Wesen oder tautologische Einheit ersehnt, nicht aber als absolutes Wesen oder differente Einheit begriffen werden. Der weitere Verlauf der Metaphysik der Subjektivität hat infolgedessen auch die Funktion, den Prozeß der Aufhebung der scheinbar ursprünglichen Bestimmtheit und damit auch des »unendlichen Anstoßes«,4 der von ihr auszugehen und das Ich zu einem sich selbst Entgegengesetzten zu machen scheint, zu realisieren und dadurch den Schein als solchen zu erweisen. Damit jedoch ist die Frage, die Hegel selbst aufgeworfen hatte, nicht beantwortet. Denn es geht ja nicht (nur) darum, die Einzelheit des Ich, insofern sie sich als indifferentes Fürsichsein, d. h. vom Allgemeinen unabhängige Einzelheit und somit als Ursprüngliches präsentiert, als Schein zu erweisen, sondern zu erklären, wie dieser Schein der Ursprünglichkeit und also der Schein der Entgegensetzung im Ich überhaupt möglich ist. Kurz: 2 3 4
Ebd. Vgl. GW 7.160. Ebd.
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Es geht darum, die Bedingung der Möglichkeit der gesamten Entwicklung, die das Ich bisher durchlaufen und durch die es sich als zu sich selbst kommendes Erkennen konstituiert, einsichtig zu machen. Erst dann wäre das Fichtesche Problem des unendlichen Anstoßes, auf das Hegel hier zurückkommt und das er zu lösen beansprucht, behoben. Wenn allerdings die Einzelheit des Ich nur als Resultat der Bewegung des Aufhebens von Einzelnem, von der sie schließlich selbst wieder erfaßt wird, zu begreifen ist, so wird nicht deutlich, wie der Schein eines Fremdartigen oder Entgegengesetzten, welchem dieser Prozeß des Aufhebens entspringt und welcher Bedingung aller bewußten Operationen ist, überhaupt entsteht. Dabei hatte Hegel doch selbst, eingebettet in seine Kritik einer theologisch orientierten Metaphysik, das Problem der Ursprünglichkeit bzw. des Ausgangspunktes der Welt als des Inbegriffs der Vielheit fürsichseiender Einzelheiten in bezug auf das Ich oder das höchste Wesen, in welches sie aufgehoben wird, analysiert, und zwar in sehr eindringlicher Weise: Es ist erwiesen, daß nur das höchste Wesen an sich ist; aber dieses für sichseyn der Welt steht dieser Nothwendigkeit schlechthin gegenüber; sein Seyn ist ein Nichtseyn; aber diß Nichtseyn ist selbst ist jenem absoluten Seyn gegenüber; es zerschmilzt verschwindet in ihm, aber daß es so veschwinde, setzt voraus daß es gewesen ist, oder es behält sein Für sich seyn; und diß für sichseyn und das absolute Wesen bleiben getrennt.5 D. h.: Die Welt hat zwar in der Einheit des höchsten Wesens ihren Grund, hat folglich kein Sein in sich selbst bzw. ihr Sein ist ihr Nichtsein, ihr »Verschwinden« im höchsten Wesen, doch damit sie verschwinden, sich im höchsten Wesen aufheben kann, muß sie als das, was sie ist, nämlich als Nichtsein, oder, wie sich nun auch sagen ließe, als Schein gewesen sein. Gibt es dieses Nichtsein oder diesen Schein nicht, d. h. gibt es die Täuschung einer in sich anfangenden Welt nicht, so kann die Welt auch nicht das im höchsten Wesen aufzuhebende sein. Dann aber behielte sie, da sie ja in irgendeiner Weise als existierend vorausgesetzt werden muß, ihr Fürsichsein gegen das höchste Wesen, das sich damit seinerseits nicht zum absoluten entfaltet, also Substanz, aber nicht Subjekt ist. Der Anfangspunkt der Welt, der ja nichts anderes als die ursprüngliche Bestimmtheit oder Einzelheit des Ich ist, kann also nicht als abkünftig aus 5
GW 7.154.
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dem höchsten Wesen begriffen werden, da er wesentlich in das höchste Wesen zurück-, nicht aber aus diesem hervorgeht. Diese Einsicht, daß der Anfangspunkt der Welt wesentlich das Sich-Aufhebende, das Nicht-Sein ist, ist folglich nur Resultat eines Prozesses, dessen Beginn aus dem höchsten Wesen oder Ich nicht zu erklären ist. Es ist das, was Hegel den Beweis nennt, dessen Bewegung in das Ich zurückführt, nicht aber in diesem entspringt. Der Ursprung ist die Indifferenz der Einzelheit, das Außersichsein des Ich, nicht aber das Außersichkommen desselben, das wäre die Konstruktion des Anfangspunktes der Welt aus dem Ich. Der Beweis … fängt bey einem unbegreiflichen Anfangspunkt an, nemlich dem der Existenz; der sich freylich aufheben muß. Aber wenn er diß nur muß, so ist er nicht gewesen; und er ist nicht gewesen, er ist nicht; dieses selbst ist nur Resultat eines Beweises, dem die Bewegung des Beweises, und der Ausgangspunkt des Beweises voranging – aber nicht seine C onst r uc t ion …6 Insofern kann Hegel am Ende der Metaphysik sagen: »Es kann nicht gefragt werden, wie das Unendliche zum endlichen werde, oder herausgehe, und was dergleichen begrifflose Ausdrücke sind.«7 Denn insofern das Endliche oder die Welt wesentlich das sich Aufhebende ist, kann sein Fürsichsein gegen die Unendlichkeit nicht aus derselben sich herleiten. Hegel selbst beansprucht nun, durch den Beweis, daß das Fürsichsein oder die Ursprünglichkeit des Endlichen ein Scheinhaftes ist, dessen Verhältnis zur Unendlichkeit zureichend erklären zu können. Um diesen Anspruch verstehen und beurteilen zu können, sei zunächst in einem kurzen Rückblick rekapituliert, welche Schritte ihn zu diesem Punkt des logischen und metaphysischen Prozesses geführt haben. Hegel zeigte 1.) überzeugend, daß jedes indifferente Fürsichsein ein Unbestimmtes, ein Nichts ist und die Einzelheit sich insofern nicht für sich erhalten kann, sondern sich in der Einheit oder Allgemeinheit mit seinem Gegenteil aufheben muß. Konsequent bezeichnet er daher, nachdem sich der logische Prozeß zum Insichsein des Erkennens entwickelt hatte, das Fürsichsein der getrennten Einzelnen als Schein. Diesen Schein nun stellte Hegel 2.) als Moment des Kreislaufs der Reflexionsbewegung des Erkennens selbst dar, indem die Allgemeinheit, in der die Einzelnen sich aufheben, unmittelbar einfache, unter6 7
Ebd. GW 7.173.
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schiedslose Einheit und somit Indifferentes ist, welches das Erkennen aus seinem Kreislauf heraus- und sich als ein Fremdes gegenübersetzt. So tritt das Erkennen in seinen Momenten sich selbst gegenüber und hebt, indem diese als indifferente gesetzt sind, seine eigene Bewegung auf, so daß es selbst Indifferentes wird. Das auf diese Weise den Schein der indifferenten Einzelheiten selbst produzierende Erkennen setzt sich so als System des absoluten Fürsichseins und gibt sich seinen Ausdruck in den Grundsätzen des Verstandes. In der Folge erweist sich dann das isolierende Prinzip, auf dem diese Grundsätze fußen, als nicht aufrechtzuerhalten, und insofern ist gezeigt, daß die indifferenten Einzelheiten, die dem Erkennen vermeintlich von außen in einer Anschauung gegeben sind, sich vielmehr ausschließend aufeinander beziehen und daher in der Einheit des Erkennens aufheben, die folglich ihrerseits keine indifferente, der Vielheit ihrer Momente entgegengesetzte Einheit mehr sein kann. Im Anschluß an diese Metaphysik der Grundsätze führt Hegel denselben Prozeß der Setzung und Aufhebung der Einzelheiten in dem – nun zum Grund entwickelten – Erkennen an den Gegenständen der alten metaphysica specialis vor: Der Selbsterhaltungsprozeß der Einzelheit oder Individualität hebt sich im Gattungsprozeß der Welt auf, und die Gattung als Einheit der Aufgehobenen ist zwar ihrerseits Einzelheit, aber Einzelheit als Resultat dieses Prozesses der Aufhebung, d. h. Einzelheit als Allgemeinheit. Hegel explizierte somit 3.) die Gattung als das Aufgehobensein der Entgegensetzung oder Einzelheit schlechthin, ihren Prozeß folglich als das Zurückgehen der Welt in die absolute Einheit des höchsten Wesens oder des Ich. Diese drei Schritte des kurzen Rückblicks machen deutlich, daß das indifferente Fürsichsein der Einzelheit durch den gesamten logischen Prozeß, insofern dieser in die Geschlossenheit der Reflexion des Erkennens mündet, längst als Schein erwiesen ist. Es hat sich sogar gezeigt, wie dieser Schein entstehen konnte; nämlich durch die zunächst gegen sich selbst gerichtete Bewegung des Erkennens selbst, durch die es sich seine Momente als einen fremden Inhalt entgegensetzt. Nur liegt die Schwierigkeit eben darin, daß das Erkennen Resultat eines Prozesses ist, der seinerseits überhaupt erst durch den Schein des indifferenten Fürsichseins in Gang gesetzt wurde. Auf diese Weise wäre das Einzelne und damit das Endliche, dessen Prinzip es ist, wiederum mit einer begrifflich nicht zu fassenden Ursprünglichkeit behaftet.
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Doch gerade darin, daß Hegel das Erkennen und schließlich das Ich, welches das absolut Allgemeine ist, in dem die Selbstentgegensetzung des Erkennens aufgehoben wird, als Resultat konstituiert, ist nicht nur der Auslöser dieser Schwierigkeit, sondern auch der Ausweg aus derselben zu sehen. Denn in dieser Auffassung des Absoluten als eines Prozessualen, sich zum Wissen seiner selbst, d. h. zum durchgängigen Relationsgefüge erst Entwickelnden besteht ja gerade der Gegenentwurf zu Fichtes Konzeption des absoluten Ich, welches dieser zwar spekulativ als Einheit der Vielen faßt, diese Einheit aber nicht systematisch konstituiert, sondern im Gegenteil zum Grundprinzip der systematischen Entfaltung macht und insofern mit dem Problem kämpft, die absolute Entgegensetzung oder Indifferenz von Einheit und Vielheit setzen zu müssen, diese aber aus der absoluten Einheit des Ich, in der sie immer schon aufgehoben ist, nicht herleiten zu können. Hegel dagegen setzt ein bei der Vereinzelung oder Endlichkeit der Welt und zeigt, daß die vielen scheinbar Fürsichseienden, einander absolut Ausschließenden wesentlich durcheinander bedingt sind, ihr Fürsichsein somit darin besteht, daß sie sich aufheben in der Einheit ihres absoluten Beziehungsgefüges. In der Selbstbeziehung dieser absoluten differenten Einheit wird wiederum – dieses Mal jedoch nicht voraussetzungsweise, sondern expliziert durch Abstraktionsvorgänge – die absolute Entgegensetzung der Indifferenten gesetzt, die ihrerseits in den Prozeß der Selbstaufhebung und damit in die absolute Allgemeinheit des Ich übergeht. Hegel hat also gezeigt, daß nur, wenn das Absolute als Resultat verstanden wird, es auch als in sich negative Einheit, und dadurch das indifferente Fürsichsein als ein von dieser differenten Einheit Abstrahiertes oder Isoliertes begriffen werden kann. Auf diese Weise wird deutlich, daß das indifferente Fürsichsein oder die Einzelheit kein Fürsichsein gegen die absolute Einheit des Ich, sondern die Erscheinungsweise des sich von sich selbst unterscheidenden Ich selbst darstellt. Die Frage nach dem Ursprung des Prinzips der Einzelheit und damit nach dem Ursprung der Endlichkeit der Welt erweist sich so als verfehlte Frage: Wir befinden uns immer schon in dem geschlossenen Kreislauf des Wechselverhältnisses von Indifferenz und Differenz, von Vereinzelung und Relation, in welchem Anfang und Ende nicht entgegengesetzt, sondern der Anfang nur durch das Ende, und das Ende nur durch den Anfang begriffen werden kann. Wird das Absolute hingegen nicht als Resultat und somit auch nicht prozessual konzipiert, steht die systematische Entfaltung entweder vor
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dem Fichteschen Problem, die absolute, in sich negative und d. h. wesentlich vermittelte Einheit der Entgegengesetzten als unmittelbar setzen zu müssen oder das Absolute als schlechthin Einfaches zu verstehen und das Endliche wenig überzeugend als »vollkommenes Abbrechen«, als »Abfall«, »Sprung« oder »Entfernung« vom Absoluten zu konzipieren, wie Schelling dies in seiner Schrift Philosophie und Religion8 von 1804 durchführt. Als Fazit dieser Überlegungen kann also festgehalten werden, daß, sofern Philosophie als Philosophie des Absoluten konzipiert ist, Hegels Resultat-Theorie wohl den leistungsfähigsten Ansatz darstellt, weil sie die alte Frage nach dem Verhältnis von Absolutem und Endlichem, von Gott und Welt und damit die Frage nach Anfang und Ende der Welt auf eine neue Basis stellt. Umso befremdlicher ist allerdings, wenn Hegel seinerseits, der konventionellen Denkweise entsprechend, die Frage nach der Möglichkeit der Einzelheit in der Idealität des Ich, d. h. die Frage nach der Möglichkeit des absoluten Fürsichseins oder der Ursprünglichkeit des Endlichen, das seinen eigenen Ausführungen zufolge wesentlich nur in der Dimension des Absoluten zu verstehen ist, aufwirft. Hatte doch der Prozeß der sich in die Allgemeinheit ihrer Gattungen aufhebenden Einzelheiten gezeigt, daß dieses Aufheben kein Vernichten derselben bedeutet, insofern die Einheit oder Allgemeinheit der Gattung selbst Einzelheit, allerdings nicht mehr isolierte oder abstrahierte, sondern beziehende bzw. bezogene Einzelheit ist. M. a. W.: Die Gattung ist Einzelheit als »gewordene Totalität«, die ihrerseits auf andere Totalitäten oder Gattungen bezogen und in dieser Beziehung aller Gattungen, d. h. in der absoluten Gattung oder dem Ich aufgehoben ist. Doch ebenso wie die Gattung in der absoluten Idealität des Ich aufgehoben, weil Einzelheit als Allgemeinheit ist, ist sie Allgemeinheit als Einzelheit, d. i. die ihre Einheit aus dem totalen Beziehungsgefüge abstrahierende und somit sich gegen die anderen Gattungen als fürsichseiende Einzelheit setzende Gattung. Es ist dies die Konstellation des Ich als des absolut Allgemeinen und d. h. als der absoluten Differenz, dessen Momente einerseits ebenso Allgemeine und folglich im Ich aufgehoben, andererseits jedoch von der absolut differenten Einheit des Ich abstrahierte und dieser insofern als Einzelheiten oder als Indifferente entgegengesetzt sind. Als diese vom Ich abstrahierte eignet den Momenten jedoch keinerlei Ursprünglichkeit oder Fremdheit, d. h. es gibt nichts vom Ich nicht Bestimmtes an ihnen, sondern sie haben 8
SW I/6.11–70.
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sich lediglich aus dem absoluten Beziehungs- oder Differenzgefüge des Ich isoliert. Hegel aber fragt, wie ausgeführt, befremdlicherweise nach eben dieser Ursprünglichkeit bzw. absolut auf sich selbst bezogenen Bestimmtheit der dem Ich entgegengesetzten Momente, so als bedeute, entgegen dem, was er selbst ausführt, ihr Aufgehobensein im Ich ihr Vernichtetsein und damit das Vernichtetsein aller Differenz im Ich: Das Ich, auf diese Weise in sich reflectirte Gattung, in seiner Einzelnheit, absolut allgemeines, hat das Fremde schlechthin nur als ein allgemeines gegen sich; aber so ist diß entgegengesetzte in der That nur aufgehoben, es ist nicht ein entgegengesetztes; daß an ihm selbst der Gegensatz sey, muß das als allgemein bezeichnete, das ideelle, selbst zugleich ein bestimmtes, oder ein dem Ich entgegengesetztes seyn, und eine Seite haben, von welcher es nicht durch Ich bestimmt, oder ihm nicht gleich ist, denn eben nicht als Ich selbst, sondern als ein zum Ich gewordenes, oder als allgemeines, das durch seine Allgemeinheit hindurch sein Seyn durch Entgegensetzung an sich trägt.9
c) Das Problem des Verhältnisses von absolutem Ich und Bewußtsein Um also das Verhältnis der Indifferenz zur absoluten Einheit des Ich, d. h. die absolute Entgegensetzung im Ich adäquat aufzufassen, kann die Indifferenz nicht als ein scheinbar ursprüngliches Bestimmt- oder Fremdsein im Ich betrachtet, sondern muß als Ausdruck eines Selbstentgegensetzungsprozesses des Ich verstanden werden, welcher sich notwendig aus der negativen Struktur seines Wesens ergibt. Denn das Ich, insofern es die gewordene absolut differente Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit ist, stellt nicht nur die durchgängige Beziehung und damit das Aufgehobensein der Einzelheiten dar, sondern ebenso deren Unterschied und folglich die Möglichkeit ihres von aller Relation abstrahierten Fürsichseins. Seine absolut differente, immanent negative Struktur impliziert demnach schon die Entgegensetzung des Indifferenten. Diese Entgegensetzung ist sinnvoll aber nicht mehr als eine Spaltung zu verstehen, in welcher der Allgemeinheit oder dem Bestimmen des Ich 9
GW 7.159.
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als einfacher Sichselbstgleichheit die indifferenten Einzelheiten als ein Fremdes erscheinen; in diesem Fall würde das Ich in den Verstandesdualismus zurückfallen, den schon das – zunächst formale – Erkennen in sich reproduziert, das daher, obwohl es an sich schon der geschlossene Kreislauf des nur noch auf sich selbst gerichteten Bestimmens ist, wieder in ein äußerliches Beziehen verfällt, die Einzelheit seiner Momente folglich nicht aufhebt, sondern von sich abscheidet, dadurch in seinem Beziehen selbst zu einem Einzelnen wird und so ein System des absoluten Fürsichseins setzt, in welchem es seine Momente nur als das abstrakt Seinige begreift. Das Ich als absolut differente Einheit hingegen, die sich aus dem Aufhebungsprozeß der Einzelheiten konstituierte, den Hegel durch die Beziehung der Selbsterhaltungsprozesse von Einzelheit und Gattung explizierte, kann sich nicht mehr nur als abstraktes Bestimmen wähnen, sondern muß sich als durchgängiges und d. h. konkretes Beziehen und damit als absolutes Selbstverhältnis begreifen, also die Unendlichkeit oder das sich aufhebende Verhältnis der Einzelheiten als seine eigene Bewegung erkennen. Die Indifferenz seiner einzelnen Momente ist dann nichts anderes als Ergebnis von Abstraktions- oder Isolationsvorgängen, die notwendig im Wesen seiner absoluten Differenz selbst angelegt sind. Das Ich kann somit die Indifferenten nicht mehr als ein Ursprüngliches, von außen Gegebenes auffassen, sondern muß sie als Momente der Dialektik seines eigenen Wesens erkennen, und dieses Erkennen impliziert das Wissen, daß der Indifferenz oder dem absoluten Fürsichsein nicht das Prinzip der Unmittelbarkeit, also die Anschauung zugrundeliegt, sondern daß sie seinem eigenen vermittelten Wesen und somit anschauungsunabhängigen Vorgängen entspringt. Damit wäre auch das Einssein von Konstruktion und Beweis erreicht: Die Bewegung des Beweises als das Zurücknehmen der scheinbar äußerlich gegebenen indifferenten, absolut fürsichseienden Einzelheiten in das Ich, das sich durch diese Bewegung als absolute differente, d. h. immanent negative Einheit konstituiert, erweist eben durch dieses Resultat die Konstruktion des Indifferenten als einen Vollzug im Ich selbst. Es wird also nicht verständlich, warum Hegel im folgenden, nachdem er durch einen komplexen logisch-metaphysischen Prozeß erwiesen hat, daß es das Wesen der Einzelheiten, also das Wesen des Endlichen ausmacht, sein Sein in seinem Aufgehobensein zu haben, und dieses Aufgehobensein, welches erklärtermaßen nicht das Nichts der Einzelheiten bedeutet, die absolute Einheit des Allgemeinen und Einzelnen oder des Bestimmens und des Bestimmten, d. h. absolute Selbstbeziehung oder
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Ich sein muß, warum Hegel also das in dieser Weise als Resultat entfaltete absolute Ich ausgerechnet derjenigen Spaltung erneut ausgesetzt sieht, die er im Ich doch gerade überwunden wissen wollte. Denn das Auseinanderfallen des Ich in ein nur bestimmendes, sich gleiches, freies einerseits und in ein ursprüngliches oder von einem scheinbar Fremden bestimmtes andererseits führt zu eben dem Verstandesgegensatz von (leerer, abstrakter) Allgemeinheit und Einzelheit zurück, der die Logik der einfachen Beziehung bestimmte, und den, wie vorhin erinnert, schon das formale Erkennen in sich reproduzierte und der doch im Gattungsprozeß aufgehoben wurde. Daß Hegel dieses Auseinanderfallen schließlich unter dem Stichwort des theoretischen Ich oder des Bewußtseins, wohl auch unter dem der Intelligenz (s. S. 201 dieser Arbeit) thematisiert, irritiert vollends, da er dazu offensichtlich auf die Ausführungen zum Bewußtsein zurückgreift, die sich innerhalb des Jenaer Systementwurfs I befinden und den wesentlichen Bestandteil der Philosophie des Geistes ausmachen. Die Philosophie des Geistes im eigentlichen Sinne bildet aber innerhalb der Gesamtkonzeption, wie sie in Frg. 16 skizziert ist,10 den dritten und letzten Teil des Systems.11 D. h. im einzelnen: Wird im ersten Systemteil, das sind Logik und Metaphysik (die Hegel hier allerdings nicht explizit nennt), der Geist als Idee, d. h. als Einheit von Sichselbstgleichheit und Unendlichkeit oder als absolute Sichselbstgleichheit bzw. absolute Substanz, insofern sie »ebenso absolut ist als sie wird«,12 konstruiert, so fällt diese Einheit in der Philosophie der Natur absolut auseinander, und zwar in der Gestalt des Gegensatzes von himmlischem System (Äther) und Erde, welche im Organischen das numerische Eins
10
GW 6.268. Auf einen Zusammenhang der Systementwürfe 1803/04 und 1804/05 hinsichtlich der Ausführungen zum Bewußtsein verweist schon Heinz Kimmerle: »Die Bewußtseinsthematik, die hier im Zusammenhang der Metaphysik auftritt, hat schon in den Fragmenten zur Natur- und Geistesphilosophie von 1803/04 eine wichtige Rolle gespielt. Das Sichdarstellen des unendlichen Geistes in den Gestalten der Natur und der menschlichen Welt führt in dem Hervorgehen der Intelligenz aus den höchsten Formen des organisch-animalischen Daseins zum Bewußtsein, in dem sich der Naturprozeß selbst durchsichtig wird, sich in der Entgegensetzung seiner Prinzipien und der Überwindung dieser Entgegensetzung selbst erfaßt. Das zum Bewußtsein Kommen der Natur in der Intelligenz geschieht zunächst in der Sphäre des einzelnen endlichen Bewußtseins, das sich zum absoluten Bewußtsein, zur völligen Selbstdurchsichtigkeit des Weltprozesses fortentwickeln muß.« (H. Kimmerle Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. 129 f.) 12 GW 6.268. 11
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als die verborgene Einheit beider Seiten heraushebt, um sich schließlich in der Philosophie des Geistes als absolute Allgemeinheit zu realisieren. Dies könnte, soweit es die beiden ersten Systemteile betrifft, ebenso eine Skizze des zweiten Jenaer Entwurfs darstellen: Das Ende des logischmetaphysischen Prozesses bildet die Idee des absoluten Geistes, d. i. das Sichselbstgleiche, welches sein Anderes als sich selbst setzt.13 Das Andere sind die vielen indifferenten Einzelheiten, die sich in ihrem Selbsterhaltungsprozeß, also in dem Streben, sich gegen ihr Anderes zu erhalten, vielmehr auf dieses beziehen und sich so selbst aufheben, und zwar aufheben in der Sichselbstgleichheit ihres durchgängigen, folglich absoluten Beziehungsgefüges. Dieser Prozeß des Sichselbstaufhebens der Einzelheiten ist nichts anderes als die sich realisierende oder in sich zurückkehrende wahrhafte Unendlichkeit, die Einzelheit, die, in den Gattungsprozeß übergehend, sich selbst als Allgemeinheit setzt. Warum Hegel nun meint, eben diese selbstbezügliche absolute Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit, dieses absolute Ich als in sich reflektierte Gattung durch die geistesphilosophische Gestalt des Bewußtseins legitimieren zu müssen, wird schon insofern nicht einsichtig, als er auf diese Weise die für das Bewußtsein charakteristische Entwicklung, wie er sie nicht nur 1803/04 darstellt, sondern auch in allen weiteren Ausarbeitungen der Geistesphilosophie beibehalten wird, genau umkehrt: Das Bewußtsein ist 1. stets konzipiert als Folgegestalt der natürlichorganischen Entwicklung, während es 1804/05 dem Prozeß der Natur unmittelbar vorangeht. 2. ist es immer diejenige Gestalt, in der die Natur sich selbst gegenübertritt, und zwar zunächst in Form eines endlichen Subjekts, das als das seiner selbst gewisse Bewußtseiende dasjenige, dessen es sich bewußt ist, als absolut Entgegengesetztes und daher Ungleiches begreift. Das Bewußtsein ist so nur die eine Seite des Gegensatzes, an sich ist es aber das ganze Verhältnis, also die Einheit dieses Gegensatzes, dasjenige, das sein Anderes auf sich bezieht und so dieses als das Andere seiner selbst oder sich selbst als das Andere erkennt. Erst im Verlauf der Entfaltung der theoretischen und praktischen Ausformungen bzw., wie es 1803/04 heißt, Potenzen des Bewußtseins, wird sich dann diese zunächst an sich seiende Einheit des Gegensatzes als absolutes Bewußtsein realisieren.14 13 14
Vgl. GW 7.176 f. Vom absoluten Bewußtsein spricht Hegel 1803/04, weil er in dieser Phase der
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Diese Entwicklung des Bewußtseins vom endlichen, seinem Gegenstand entgegengesetzten Verstandessubjekt zur sich selbst durchsichtig werdenden absoluten Einheit wird nun in der Metaphysik von 1804/05 umgekehrt: Das absolute Bewußtsein, d. i. das Ich als absolute Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit, fällt auseinander und insofern zurück in die Endlichkeit seiner Entgegensetzung und wird so zum theoretischen Ich oder Bewußtsein, welches Hegel auch den Geist überhaupt nennt.15 Diese Entwicklungsrichtung des Bewußtseins ist jedoch insofern widersinnig, als damit seine eigentliche Funktion, die darin besteht, die in der Vereinzelung verlorene Natur zur Reflexion ihrer selbst zu führen und so ihr Zurückkehren in die absolute Allgemeinheit einzuleiten, aufgegeben wird. Statt dessen führt Hegel den Gegensatz, welcher das theoretische Ich oder das Bewußtsein kennzeichnet, herbei, um so den selbstbezüglichen Charakter des Ich, der doch längst expliziert ist, zu legitimieren, und muß diesen Gegensatz schließlich durch das praktische Ich in der Einheit der Idee des absoluten Geistes wieder aufheben, um das Auseinandertreten dieser sich zum Äther oder zur absoluten Materie weiterbestimmenden Idee in die Sichselbstgleichheit und Unendlichkeit, welches – ähnlich wie in der Konzeption von 1803/04 – in der Natur sich vollziehen wird, überhaupt erst zu ermöglichen. Zusammenfassend läßt sich somit sagen, daß Hegel die Metaphysik der Subjektivität als den letzten Teil der Metaphysik von 1804/05 wesentlich mittels eines Versatzstückes der Philosophie des Geistes durchführt und mit diesem metaphysischen Fremdkörper die Leistungsfähigkeit seiner Resultattheorie des Absoluten relativiert, nicht zuletzt deswegen, weil er dadurch seinerseits in das Fahrwasser der Fichteschen SystementwickSystementwicklung die Philosophie des Geistes noch ausschließlich als Philosophie des Bewußtseins versteht. Später wird er den Begriff des Bewußtseins auf seine dualistische, vom Subjekt-Objekt-Gegensatz bestimmte Struktur restringieren und ihn damit ausdrücklich von den anderen Formen des Geistes, insbesondere denjenigen abgrenzen, in denen dieser Gegensatz sich aufzuheben beginnt und in denen er schließlich aufgehoben ist. Das ändert aber nichts an dem systematischen Ort, der dem Bewußtsein und seinen weiteren Ausformungen zugewiesen wird, und auch nichts an der Richtung seiner Entwicklung, die stets eine Entwicklung des sich aufhebenden, aber nicht eine des sich setztenden Subjekt-Objekt-Gegensatzes ist. 15 Auch auf diesen Sachverhalt der Umkehrung verweist Heinz Kimmerle, ohne ihn jedoch als problematisch herauszustellen: »In der Metaphysik von 1804, nach der Darstellung des höchsten Wesens, kann die Bewußtseinsthematik nur als eine Entfaltung des absoluten Bewußtseins vorkommen.« (Heinz Kimmerle Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. 130.)
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lung gerät, die die Trennung von Sichselbstgleichheit und Entgegensetzung aus der absoluten Einheit, in der sie (immer) schon aufgehoben ist, erst herbeiführen will. Aufschlußreich ist denn auch, daß die Figuren des theoretischen Ichs bzw. Bewußtseins und des praktischen Ichs später als theoretischer und praktischer Geist bzw. als Intelligenz und Willen am Ende der Philosophie des subjektiven Geistes wiederkehren werden. In diesem Kontext aber ist der theoretische Geist konzipiert als unmittelbarer Ausdruck der Vernunft, die sich aus dem Subjekt-Objekt-Gegensatz des Bewußtseins und aus dem das entgegengesetzte Objekt als seinen Inhalt setzenden Selbstbewußtsein entfaltet hat und die nun zwar den Gegensatz des Bewußtseins als ihren Gegensatz setzt, in ihrer Unmittelbarkeit aber, d. h. insofern sie Intelligenz ist, sich darin spaltet, so daß sie einerseits das Freie, den Inhalt in sich Aufhebende ist, andererseits jedoch diesen Inhalt als das Ansichseiende gegen sich hat und daher sich zugleich als von diesem bestimmt findet. Und dieses Sich-Bestimmtfinden der Intelligenz bezeichnet Hegel als den Schein ihrer Unmittelbarkeit, der durch den praktischen Geist und die folgenden geistesphilosophischen Gestalten schließlich aufgehoben wird. Das Ich als absolute Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit aber, das sich am Ende der Metaphysik konstituiert, stellt naturgemäß nicht mehr das unmittelbar, sondern das sich selbst durchsichtig gewordene Vernünftige dar, in dem der Schein der Einzelheit und damit des Bestimmtseins notwendig schon aufgehoben ist, so daß sich die für die Intelligenz bzw. für das unmittelbar Vernünftige charakteristische Spaltung in das Freisein auf der einen und das Bestimmtsein auf der anderen Seite in ihm gar nicht mehr vollziehen kann. Die Metaphysik der Subjektivität wäre somit hinreichend entwickelt gewesen durch die Darstellung des Ichs als Resultat der sich in sich reflektierenden Gattung, d. h. der Gattung, insofern sich in ihr die Einzelheit als Allgemeinheit realisiert. Diese Darstellung aber ist vollständig in dem einleitenden Kapitel dieses letzten Teils der Metaphysik enthalten, das den Kapiteln über das theoretische und praktische Ich sowie über den absoluten Geist vorangeht. Wenn oben also vom »metaphysischen Fremdkörper« innerhalb der Metaphysik der Subjektivität gesprochen wird, so sind damit eben diese drei Kapitel gemeint. Ein anderes Problem am Ende der Metaphysik ergibt sich mit der Frage, welche Art von Selbsterkenntnis durch den absoluten Geist, zu dem sich das Ich durch seine Entfaltung als theoretisches und praktisches Ich ent-
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wickelt hat, eigentlich erreicht ist. Hegel betont ausdrücklich, daß der absolute Geist absoluter Geist nur ist, sich aber als solcher nicht erkannt hat, d. h. nicht sich selbst absoluter Geist geworden ist.16 Denn es ist, wie er ausführt, erst die Idee des absoluten Geistes, die sich am Ende der Metaphysik konstituiert hat. Diese beschreibt Hegel als den Geist, »der [1.] sich selbst in dem Anders als sich selbst anschaut, [der… 2.] unmittelbar wieder der sich auf sich selbst als absoluter Geist beziehende Geist [ist]; oder es ist [3.] der absolute Geist als Unendlichkeit …«17 Alle drei Explikationen der Idee des absoluten Geistes bergen Probleme in sich; was zunächst die zweite angeht, so stellt sich die Frage, welche Art von Unmittelbarkeit dem Geist, insofern er sich als absoluter Geist auf sich selbst bezieht, noch zukommen kann. Sollte diese in der Selbstanschauung, von der in der ersten Explikation die Rede ist, bestehen, so wäre die Selbstbeziehung des absoluten Geistes nicht begrifflicher Natur; das aber hat Hegel ja nun ausdrücklich verworfen. Und wird die Idee des absoluten Geistes schließlich als Unendlichkeit expliziert, so kann es sich um keine unmittelbare Selbstbeziehung des Geistes handeln, da weder die Unendlichkeit, wie sie sich in der Verhältnislogik zu entwickeln begann, und schon gar nicht die in sich zurückgekehrte, sich selbst durchsichtig gewordene Unendlichkeit ein Unmittelbares darstellen kann. Folglich steht man zum einen vor dem Problem, daß Hegel zufolge keine Selbsterkenntnis des absoluten Geistes vorliegt, gleichwohl am Ende der Metaphysik als der Wissenschaft der sich selbst gegenständlich gewordenen Reflexion irgendeine Art des Wissens des Geistes von sich selbst stehen muß, die jedoch keine unmittelbare sein kann, und zum anderen vor der Schwierigkeit, daß ohne eine unmittelbare Selbstbeziehung des Geistes der Übergang in die Naturphilosophie nicht gelingen kann – ein Problem, das an dieser Stelle jedoch unerörtert bleiben muß, da die Naturphilosophie nicht mehr Thema dieser Arbeit ist.
16 17
S. GW 7.177. Ebd.
schluss In dieser Arbeit wurde zunächst gezeigt, daß Hegel auf der Basis seiner Kritik der traditionellen Metaphysik, die dem Einzelheiten fixierenden Verstandesdenken verhaftet und daher von der unüberwindlichen Grunddifferenz des Denkens und Seins, des Subjekts und Objekts, des Endlichen und Unendlichen bestimmt ist,1 das Konzept der spekulativen absoluten Einheit von Einheit und Differenz entwickelt, welches er dem Prinzip nach auch schon in den Philosophien Kants und Fichtes vorliegen sieht. Dieses Konzept impliziert der systematischen Umsetzung nach, Inhaltsbestimmungen wesentlich nicht mehr als einzelne, untereinander unbezogene zu sehen, sondern sie als immanent verbunden zu verstehen, so daß sie auch nicht mehr als punktuelle Größen oder als Relata in einer ihnen äußerlichen Relation, sondern selbst als Relationen, d. h. als sich Beziehende aufzufassen sind. Das durchgängige, absolute Beziehungsgefüge, das sie so aus sich heraus entfalten, stellt im Resultat die Aufhebung der genannten Grunddifferenz von Denken und Sein, von Endlichem und Unendlichem dar. Damit jedoch wird das Unendliche nicht mehr als Jenseits des Endlichen begriffen, sondern Endliches und Unendliches stehen in immanenter Beziehung zueinander; und diese Immanenzbeziehung oder absolute Einheit kann keine unmittelbare, der begrifflichen Explikation unzugängliche sein, sie konstituiert sich vielmehr durch einen Selbstentfaltungsprozeß des Endlichen, der sich als Selbstaufhebungsprozeß in dem Sinne erweist, daß alles Endliche sein Bestehen nur
1
Die Prägung durch das Verstandesdenken bescheinigt Hegel der neuzeitlichen ebensosehr wie der vorneuzeitlichen Metaphysik. Daher wird hier zunächst unterschiedlos von »traditioneller Metaphysik« gesprochen. Allerdings unterscheidet Hegel, wie dargelegt wurde, innerhalb dieser Tradition eine Verstandes- oder Reflexionsmetaphysik der Objektivität, die durch eine »Dominanz des Seins über das Denken« gekennzeichnet ist, von der neuzeitlichen Reflexionsmetaphysik der Subjektivität als einer Metaphysik der »Dominanz des Denkens über das Sein«. Da er in dieser Subjektzentrierung naturgemäß die wesentliche Voraussetzung seines eigenen spekulativen Ansatzes sieht, vollzieht sich die konkrete Ausarbeitung seiner eigenen Logik und Metaphysik dann fast ausschließlich in kritischer Auseinandersetzung mit der Metaphysik der Neuzeit.
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in Relationen hat und als Einzelnes lediglich Produkt von Abstraktionsbzw. Isolationsvorgängen ist, durch die die Totalität des Einheitsgefüges punktuell negiert wird, die aber gleichwohl notwendig in diesem absoluten Beziehungssystem angelegt sind. Diese Prozeßkonzeption, die Hegel in der Zeit 1801/02 zunächst nur skizzenhaft darstellt, schließlich im Jenaer Systementwurf II erstmals im Detail durchführt, ist das wesentliche und neue Moment im Hinblick auf die systematische Entfaltung der absoluten Einheit, mit dem eine Möglichkeit eröffnet wird, die isolierende Vorgehensweise des Verstandesdenkens zu überwinden. Erstaunlich ist dabei allerdings, daß dieser Entfaltungsprozeß der absoluten Einheit sich noch auf der traditionellen Basis der Dualität von Logik und Metaphysik vollzieht. Schließlich geht es ja um die Entfaltung des Unterschieds von Endlichkeit und Unendlichkeit, von Denken und Sein als eines nicht (mehr) äußerlichen, sondern als des immanenten Unterschieds des einen Absoluten, und so wäre der Vollzug dieses Prozesses in einer einzigen Wissenschaft des Absoluten schon zu Beginn seines systematischen Philosophierens, also von Anfang der Jenaer Zeit an, konsequent gewesen. Nun darf allerdings nicht übersehen werden, daß Hegel in dieser frühen Jenaer Phase, in der er die Trennung von Logik und Metaphysik noch übernimmt, beiden Disziplinen gleichwohl schon eine neue Funktion zuweist. Wurden Logik und Metaphysik bzw. Ontologie traditionell als Lehre von den (formalen) Gesetzmäßigkeiten des Denkens2 auf der einen und als Wissenschaft von den Kategorien des Seienden bzw. des 2
In der Philosophie der Neuzeit wendet man sich zwar gegen die für die scholastische Tradition charakteristische Beschränkung der Logik auf das rein Formale der syllogistischen Schlußweisen, doch abgesehen davon, daß etwa Christian Wolff gleichwohl die »tres operationes mentis«, Begriff, Urteil und Schluß, als die wichtigsten Bestandteile (des theoretischen Teils) seiner Logik versteht, die dann freilich in einem praktischen Teil zur Anwendung gebracht werden müssen, wird die Logik – und darauf kommt es in diesem Kontext an – als Lehre von den Regeln und Gesetzen des Erkennens klar von der Ontologie als der Wissenschaft von der Bedeutung dessen, was ist, geschieden. Auf diese Aufgabentrennung verweist z. B. auch Ernst Vollrath, wenn er herausstellt, daß Wolff seiner Philosophia rationalis sive logica einen Discursus praeliminaris de Philosophia in genere voranstellt, also in enger Verbindung mit der Logik über das Wesen und die Einteilung der Philosophie als solcher reflektiert. Dies bedeutet nach Vollrath, »daß bei Wolff die Metaphysik das Gepräge ihrer Gestalt nicht selbst in die Hand zu nehmen im Stande ist. Die nach der Logik erschienenen Schriften, zumal die ‚Philosophia prima, sive Ontologia’ von 1730 nehmen überall Bezug auf den Discursus praeliminaris der Logik.« (Ernst Vollrath Die Gliederung der Metaphysik in eine metaphysica generalis und eine metaphysica specialis. 260)
schluss
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Dings überhaupt (ens) auf der anderen Seite auseinandergehalten, wurden also beide Bereiche ihrem Gegenstand nach strikt unterschieden, so enthält bei Hegel die Logik auch ihrer frühesten skizzenhaften Ausprägung nach nicht nur die Lehre von Begriff, Urteil und Schluß, sondern sie ist ebenso eine Kategorienlehre. Was sie nach Hegel in der frühen Jenaer Phase noch von der Metaphysik unterscheidet, ist folglich auch nicht ihr Gegenstand, sondern die Art und Weise, wie dieser Gegenstand behandelt wird: Auch die Logik ist eine Wissenschaft der Bestimmungen des Seienden, aber diejenige Wissenschaft, in der diese Bestimmungen abstrahiert von ihrem Zusammenhang, also isoliert bzw. einzeln betrachtet und behandelt werden. Diese »Wissenschaft des Einzelnen«, die nichts anderes ist als die Wissenschaft des endlichen verständigen Erkennens, muß, insofern dieses endliche Erkennen selbst nach Überwindung seines in Bedingtheiten gefangenen Denkens strebt, den Übergang in die Metaphysik als in diejenige Wissenschaft vollziehen, in der die absolute Einheit der in der Logik isoliert auftretenden Bestimmungen des Seienden und auf diese Weise der Begriff der Totalität des Seins konstituiert wird. Diese Konstitution kann nur so erfolgen, daß diese Bestimmungen oder die Kategorien durch die Formen des Denkens als einzelne, einander entgegengesetzte aufgehoben und in eine Verhältnisstruktur gebracht werden. Voraussetzung dafür ist, daß das Verstandesdenken die für seine Operationen grundlegende Differenz des Subjektiven und Objektiven überwindet, derzufolge es sich selbst als reine, inhaltsunabhängige Funktion versteht, die auf einen außerhalb seiner liegenden (sinnlichen oder nicht-sinnlichen) Inhalt, dessen Seinsstruktur durch Kategorien in allgemeinster Weise charakterisiert wird, synthetisierend zugreift. Denn erst durch die Aufhebung dieser Grunddifferenz kann die Relations- oder Einheitsstruktur als eine in den Kategorien als den Bestimmungen des Seienden selbst liegende begriffen werden. Das aber heißt nichts anderes als daß die Kategorien selbst zu Denkbestimmungen werden und auf diese Weise den absoluten Zusammenhang des Seienden als absolute Einheit von Sein und Denken konstituieren. Mit dieser Vorgehensweise stellt Hegel Logik und Metaphysik von Anfang an in einen immanenten Zusammenhang: Er verlagert die Kategorienlehre der metaphysica generalis oder Ontologie in die Logik und weist dieser die Aufgabe zu, die Kategorien in ihrer Vereinzelung und Entgegensetzung, in der sie in der Ontologie vorliegen, als zufällig und insofern im Hinblick auf das Seiende als objektiv ungültig aufzuzeigen. Ihre Synthese, durch die sie sich schließlich selbst als Denkbestimmungen
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erweisen, kann in der Logik, so wie Hegel sie 1801/02 skizziert, durch die Formulierung von Antinomien jedoch nur gefordert, nicht aber umgesetzt werden. In der Logik des Jenaer Systementwurfs II von 1804/05 dagegen wird mit dem Übergang der Verstandeslogik der einfachen Beziehung in die Verhältnislogik, vor allem aber mit dem Übergang der Verhältnislogik des Seins in diejenige des Denkens die geforderte Synthese in ihren grundlegenden Schritten vollzogen und in der Metaphysik als wissende Selbstbeziehung des Denkens vollendet. Mit dieser Erweiterung der Logik von einer die Grenzen des Verstandes aufzeigenden, gleichwohl aber in diesen verbleibenden zu einer diese Grenzen überschreitenden Wissenschaft des Erkennens wird die Trennung der Logik von der Metaphysik, in der sich ja von Anfang an keine grundsätzliche Differenz ausdrückte, nun in erheblichem Maße aufgeweicht.3 Im Jenaer Systementwurf III von 1805/06 deutet sich dann das Aufgehen des Metaphysischen im Logischen an, in den für den Gymnasialunterricht in Nürnberg ausgearbeiteten Schullogiken ist es klar erkennbar und in der Wissenschaft der Logik, deren erster Teil 1812 3
Die Behandlung des Verhältnisses von Logik und Metaphysik hängt also wesentlich vom Stand der auf der methodischen Ebene erreichten Entwicklung ab. Solange Hegel für die Auflösung der Verstandesgegensätze nur das antinomische Verfahren zur Verfügung steht, bietet es sich an, die Logik gleichsam als reine, auf der Basis der Subjekt-Objekt-Spaltung operierende verständige Kategorienlehre zu konzipieren, in der die Unzulänglichkeiten dieses Verfahrens durch den Verstand zwar reflektiert, aber nicht überwunden werden, und dementsprechend die Metaphysik als Wissenschaft der, in welcher methodischen Weise auch immer, sich auflösenden Gegensätze von ihr zu unterscheiden. Sobald jedoch durch den Begriff der wahrhaften Unendlichkeit die äußere Reflexion des Verstandes sich in eine immanente Reflexion modifiziert, somit die Begriffe als in sich negativ gefaßt sind und folglich innerhalb der Verhältnislogik das Programm der Selbstbewegung des Begriffs entfaltet wird, ergeben sich Abgrenzungsprobleme zwischen Logik und Metaphysik. Sehr deutlich zeigt sich dies, wenn Hegel im letzten Kapitel der Logik »Es ist gesetzt das Erkennen« die gesamte verhältnislogische Bewegung als Selbstbewegung nicht gelten läßt, insofern diese sich noch im Modus der Relation auf Anderes und nicht im Modus der reinen Selbstbeziehung vollziehe. Der dort entwickelte Inhalt sei tot, seine Entfaltung nichts anderes als eine »dialektische Behandlung«, welche ihm durch »unsere Reflexion« zuteil geworden sei. Abgesehen einmal von dem undurchsichtigen systematischen Status, der »unserer Reflexion« innerhalb der Verhältnislogik zukommt, ist das von Hegel angeführte Argument einer noch nicht entwickelten Selbstbeziehung als Indiz für eine in diesem Teil der Logik noch fehlende Selbstbewegung des Begriffs insofern nicht stichhaltig, als die Relation auf Anderes, wie sie sich dort realisiert, eine immanente und keine von außen gestiftete Verstandesrelation mehr ist und daher schon eine Form der Selbstbewegung des Begriffs ausmacht. Wenn aber die Selbstbewegung des Begriffs schon in der Logik einsetzt, wird ihre Trennung von der Metaphysik künstlich.
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erscheint, schließlich vollzogen: Die Selbstentfaltung der Kategorien als Verbindungsprozeß des Seins mit dem Denken wird nun in einer einzigen, freilich in spezielle Entwicklungsphasen unterteilten Wissenschaft des zum Erkennen seiner selbst gelangenden Absoluten expliziert. Diese Modifikation der metaphysica generalis oder Ontologie in eine Logik betrachtet Hegel nicht als seine originäre Leistung. Er folge darin, wie er ausdrücklich erklärt, dem Programm der transzendentalen Logik Kants, die dieser an die Stelle der traditionellen Metaphysik oder Ontologie gesetzt habe.4 Dabei sieht Hegel sein eigenes und Kants Logikkonzept darin übereinstimmen, daß auch die transzendentale Logik kein reines, von allem Inhalt abstrahierendes Denken zum Gegenstand hat, sondern im Gegenteil die Frage erörtert, wie Erkenntnis von Gegenständen a priori möglich ist, also untersucht, wie sich Kategorien auf Gegenstände in Form von synthetischen Urteilen a priori beziehen. Insoweit also betreibt Hegel zufolge auch Kant die Logik als Wissenschaft der Verbindung des Subjektiven und des Objektiven, des Denkens und des Seins. Wenn er jedoch, und in diesem Punkt setzt seine Kritik an Kants transzendentallogischem Ansatz ein, die Kategorien und damit die Erkenntnis a priori ursprünglich an das Selbstbewußtsein bindet und dieses dem Ding an sich absolut entgegensetzt, so fällt er seinerseits in die verstandestypische Subjekt-Objekt-Trennung zurück und hebt so sein transzendentallogisches Programm der absoluten Synthese und d. h. das Programm des absoluten Denkens, wie Hegel es nun mit seiner Logik durchzuführen beansprucht, wieder auf. Mit seinem Relations- bzw. Einheitskonzept und der daraus resultierenden immanenten Verbindung von Logik und Metaphysik, die schließlich zum Aufgehen des Metaphysischen im Logischen führt, konzipiert Hegel nicht nur die metaphysica generalis neu, sondern unterzieht außerdem die Gegenstände der metaphysica specialis einer fundamentalen Kritik. Auch darin hat er in Kant seinen Vorgänger, doch ist Hegels Kritik, entsprechend seinem – gegenüber Kants Kritizismus – erweiterten systematischen Anspruch, anders motiviert. Verwirft Kant in seiner transzendentalen Dialektik die Gegenstände der speziellen Metaphysik, Seele, Welt
4
GW 11.22 u. GW 21.35 sowie GW 10.825. An dieser Stelle innerhalb des Privatgutachtens an Niethammer vom Oktober 1812, auf die Walter Jaeschke als eine für diesen Zusammenhang weniger geläufige Referenzstelle hinweist (Hegel-Handbuch. 224), betont Hegel die Bedeutung der Zusammenführung von Logik und Metaphysik durch Kant stärker als im Einleitungskapitel der Lehre vom Sein (1812 und 1832).
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und Gott, als Objekte der Erkenntnis, weil er sie als Resultat einer Hypostasierung der Kategorien und somit als Resultat einer unzulässigen Überschreitung des Bereichs der Erfahrung betrachtet, so nimmt Hegel diese Gegenstände in den logisch-metaphysischen Selbstentfaltungsprozeß der Kategorien auf, allerdings mit der entscheidenden kritischen Wendung, daß er deren Substratcharakter als inhaltslose, leere Vorstellung destruiert und die ihnen attribuierten Denkbestimmungen – als den eigentlichen Inhalt der metaphysica specialis – für sich betrachtet.5 Insofern werden diese Gegenstände in der Wissenschaft der Logik auch gar nicht mehr in der geläufigen terminologischen Weise aufgeführt, sondern treten nun in der modifizierten Form des kritisch untersuchten begrifflichen Apparates der Reflexionsbestimmungen, Modal-und Relationskategorien innerhalb der Lehre vom Wesen (1813) auf. Wenn sie dagegen im Kontext der Metaphysik von 1804/05 mit den drei Kapiteln Seele, Welt und höchstes Wesen noch in der traditionellen Weise aufgegriffen werden, so darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie auch hier schon ihrer Substratstruktur nach destruiert werden: Die Seele ist nicht mehr einfache, unvergängliche Substanz (substantia simplex), ihre monadische Struktur oder ihre indifferente Einzelheit ist nur noch Moment innerhalb des Prozesses der Gattung, durch den Hegel zufolge der Weltprozeß bestimmt ist. Die Gattung ist, als Allgemeinheit oder Einheit der aufgehobenen Einzelheiten, zwar selbst Einzelheit, jedoch nicht mehr entgegensetzende bzw. entgegengesetzte Einzelheit, sondern verbindende Einzelheit, d. h. Einzelheit als Allgemeinheit. Sie ist als solche die Idealität schlechthin, absolute Einheit von Einzelheit und Allgemeinheit, in der der Prozeß der Entgegensetzung in sich zurückkehrt. Der Gattungsprozeß wird somit zum Prozeß der absoluten Selbstbeziehung des Seienden, d. h. in ihm vollzieht sich die immanente Verbindung des in isolierte Einzelheiten zerfallenen Seins, d. i. das Allgemeine als Ausdehnung, und des Seins als absoluter Identität, d. i. das Allgemeine als sich selbst gleiche Einheit oder als Denken.6 In dieser Vereinigung von Sein und Denken synthetisiert Hegel die beiden in der metaphysica specialis als endliches und höchstes Sein, als Welt und Gott absolut unterschiedenen Seiten und beseitigt dadurch die ihr Verhältnis prägende Diesseits-Jenseits-Differenz, in der Gott oder das höchste Sein ein unbegreifliches unmittelbares und daher nicht selbstbezügliches, unlebendiges Substrat jenseits der Welt bleibt. 5 6
Vgl. GW 11.32 u. GW 20.71 f. Vgl. GW 7.152.
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