Kritik Der Theorie Sozialer Systeme: Auseinandersetzungen Mit Luhmanns Hauptwerk 3518285963, 9783518285961


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Kritik Der Theorie Sozialer Systeme: Auseinandersetzungen Mit Luhmanns Hauptwerk
 3518285963, 9783518285961

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Kritik der Theorie

sozialer Systeme Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk - Herausgegeben von Werner KrawielZ und Michael Welker suhrkamp taschenbuch wissenschaft

suhrkamp taschenbuch wissenschaft 996

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Die in diesem Band enthaltenen Beiträge setzen sich mit Luhmanns Werk Soziale Systeme auseinander. Kritische Untersuchungen von Grundbegriffen und Grundoperationen der Theorie Luhmanns erfolgen in interund multidisziplinärer Wahrnehmung. Theologen, Juristen, Soziologen, Sozialethiker und Pädagogen befragen die Grundlagentheorie Luhmanns hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit im allgemeinen und im Blick auf spezifische Fachrichtungen im besonderen. Dabei stellen sie nicht nur kritische Anfragen, sondern bieten auch systematische Auseinandersetzungen mit den für Luhmanns Theorie zentralen und unverzichtbaren Konzeptionen und den von ihm verwendeten Grundbegriffen. Die hier vorgelegten Untersuchungen bieten eine wohl seltene Verbindung von grundlagentheoretischer Diskussion und Kritik mit vielperspektivischen Anfragen von Fachvertretern und Fachvertreterinnen aus höchst unterschiedlichen Disziplinen. Michael Welker, Dr. theol., Dr. phil., Professor für systematische Theologie an der Universität Heidelberg. Werner Krawietz, Dr. jur., Dr. rer. pol., Professor für Rechtssoziologie, Rechts- und Sozialphilosophie an der Universität Münster.

Kritik der Theorie sozialer Systeme Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk Herausgegeben von Werner Krawietz und Michael Welker

Suhrkamp



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Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kritik der Theorie sozialer Systeme : Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk / hrsg. von Werner Krawietz und Michael Welker. 1. Aufl. - Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1992 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft ; 996) ISBN 3-518-28596-3 NE: Krawietz, Werner [Hrsg.]; GT suhrkamp taschenbuch wissenschaft 996 Erste Auflage 1992 © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1992 Suhrkamp Taschenbuch Verlag Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Satz und Druck: Wagner GmbH, Nördlingen Printed in Germany Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt 1

2 3 4 5 6 - 97 96 95 94 93 92

Inhalt

Vorwort . . . . .

.. . . ......... ... ... . . .

9

Werner Krawietz Zur Einführung: Neue Sequenzierung der Theoriebildung und Kritik der allgemeinen Theorie sozialer Systeme . . . . . . . . . .

THEORIEKONSTRUKTION - IHRE ONTOLOGISCHEN, EPISTEMOLOGISCHEN UND ANTHROPOLOGISCHEN VORAUSSETZUNGEN

Arm in N assehi Wie wirklich sind Systeme? Zum ontologischen und epistemologischen Status von Luhmanns Theorie selbstreferentieller Systeme . . . . . . . . . . . . . .

43

Dierk Starnitzke Theoriebautechnische Vorentscheidungen, Differenzhandhabung und ihre Implikationen

71

Georg Kneer Bestandserhaltung und Reflexion. Zur kritischen Reformulierung gesellschaftlicher Rationalität

86

Ralf Dziewas Der Mensch - ein Konglomerat autopoietischer Systeme?

113

ERWARTUNGSGENERALISIERUNG,

ZEIT UND ERZIEHUNG

Athanasios Gromitsaris Symbolische und soziale Generalisierung von Erwartungen als Strukturelemente gesellschaftlichen Sinns

133

Werner Schiewek Zum vernachlässigten Zusammenhang von >symbolischer Generalisierung< und >Sprache< in der Theorie sozialer Systeme . . . . . . . . . . . . . . .

14 7

Sigrid Brandt Systemzeit und Zeit sozialer Systeme. Zeitverständnis des Commonsense als evidenzsichernde Größe?

162

Ute Gause/Heinz Schmidt Das Erziehungssystem als soziales System. Codierung und Programmierung - Binnendifferenzierung und Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

178

NORMATIVITÄT, SOZIALES HANDELN UND RECHT

Petra Werner Soziale Systeme als Interaktion und Organisation. Zum begrifflichen Verhältnis von Institution, Norm und Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

200

Andreas Schemann Strukturelle Kopplung. Zur Festlegung und normativen Bindung offener Möglichkeiten sozialen Handelns . . . . . . . . .

215

Antonis Chanes Erwartungsstruktur der Norm und rechtliche Modalisierung des Erwartens als Vorgaben sozialen Handelns und Entscheidens . . . . . . . . . . . . .

2 30

Werner Krawietz Staatliches oder gesellschaftliches Recht? Systemabhängigkeiten normativer Strukturbildung im Funktionssystem Recht . . . . . . . . . . . . .

247

MULTIREFERENTIALITÄT SOZIALER SYSTEME, WELTKONZEPT UND RELIGION

Bernd Oberdorfer Einschränkung von Beliebigkeit? Systemische Selbstreproduktion und gesellschaftlicher Strukturaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . .

302

Günter Thomas Welt als relative Einheit oder als Letzthorizont? Zur Azentrizität des Weltbegriffs . . . . . . .. Michael Welker Einfache oder multiple doppelte Kontingenz? Minimalbedingungen der Beschreibung von Religion und emergenten Strukturen sozialer Systeme . . . .

3 55

Niklas Luhmann Stellungnahme . .

37 1

.. .... ..............

Vorwort

Diese »Kritik der Theorie sozialer Systeme« bietet Beiträge zur Auseinandersetzung mit Niklas Luhmanns Hauptwerk. Kritische Untersuchungen von Grundbegriffen und Grundoperationen der reifen Theorie Luhmanns erfolgen in inter- und multidisziplinärer Wahrnehmung. Vertreterinnen und Vertreter der Theologie, der Jurisprudenz, der Soziologie, der Sozialethik und der Pädagogik bzw. Religionspädagogik befragen die Grundlagentheorie Luhmanns hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit im allgemeinen und im Blick auf spezifische Fachrichtungen im besonderen. Dabei stellen sie nicht einfach kritische Anfragen, sondern bieten systematische Auseinandersetzungen mit den für Luhmanns Theorie zentralen Konzeptionen und den von ihm verwendeten Grundbegriffen. Sie fragen nach den ontologischen und epistemologischen Grundlagen der Theorie sozialer Systeme: Wie wirklich sind Systeme? Welchen Status haben der Begriff »Zeit« und die Konzeption »Welt« bei Luhmann? Was ist unter »Nichtbeliebigkeit«, unter »Emergenz« von Strukturen sozialer Systeme zu verstehen? Sie schalten sich in die Debatte darüber ein, inwieweit Luhmanns allgemeine Theorie mit dem von ihm neuerdings favorisierten Konstruktivismus kompatibel ist. Sie beobachten die Folgen der Ausblendung des Organisationsbegriffs und den für eine Theorie sozialer Systeme erstaunlichen Verzicht auf Anschluß an die internationale normentheoretische Diskussion der Gegenwart. Die Tragfähigkeit des von Luhmann verwendeten »Problembegriffs der doppelten Kontingenz«, auf dem seine Theorie sozialer Systeme »aufgebaut« sein soll, wird ebenso kritisch überprüft wie seine Strategien der »symbolischen Generalisierung« und der Differenzhandhabung. Schließlich werden auch »konventionelle« und nach Luhmanns Darstellung scheinbar erledigte Fragen auf der Basis seines von ihm selbst als »maßgeblich« angesehenen Grundlagenwerks reformuliert und neu durchdacht: Fragen z.B. nach dem Verhältnis dieser Theorie zu vernunfttheoretischen und modern-anthropologischen Ansätzen. Das Interesse der Herausgeber dieser »Kritik der Theorie sozialer Systeme«, insbesondere an einer soziologischen Systemtheorie, 9

wie Luhmann sie im Verlauf von zwei Jahrzehnten konzipiert hat, ist älter als sein Hauptwerk, mit dem der Autor im Jahre 1984 erstmals den »Grundriß einer allgemeinen Theorie« vorlegte. Die Idee und Einsicht in die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit der Luhmannschen Theorie sozialer Systeme wurde auf einem Internationalen Luhmann-Kongreß geboren, der vom 21. bis 23. Oktober 1983 unter dem Rahmenthema » Teoria dei sistemi e razionalita sociale« in Bologna stattfand und einer Aufarbeitung der fruchtbaren Rezeption der Systemtheorie in Italien sowie einer Auseinandersetzung mit ihr diente. 1 Schon seinerzeit wurde in den Diskussionen, die die Herausgeber in Bologna mit Luhmann führten, das Spannungsverhältnis deutlich, das sich daraus ergab, daß letzterer seine Theorie vor allem als eine genuin soziologische, insoweit fach universale Theorie konzipierte. Hingegen können und dürfen der Kontakt und die Kommunikation mit der Theorie sozialer Systeme aus der Sicht der Theologie bzw. Religionssoziologie2 sowie aus der Sicht der Rechtswissenschaft bzw. der Theorie und Soziologie des Rechts 3 naturgemäß nicht auf die Perspektive der Soziologie als Fachwissenschaft reduziert werden, wenn man die Systemtheorie ernst nimmt. Eine Reduktion der allgemeinen Theorie sozialer Systeme auf die fachuniversale, aber eben doch bloß fachwissenschaftliche Perspektive der Soziologie erschien uns auch aus ontologisch/deontologischen bzw. epistemologischen Gründen nicht angebracht, da die von Luhmann aus fachbedingten Gründen propagierte Engführung seiner Theorie dem Grade möglicher Allgemeinheit in der systemtheoretischen Theoriebildung - auch mit Blick auf die normativen Phänomene sozialer Sinnbildung, ganz zu schweigen von Religion, Moral und Recht - nicht gerecht wird. In seinem von uns jetzt kritisierten »Grundriß einer allgemeinen Theorie« erscheint das von Luhmann schon damals eingegangene Wagnis 1 »Atti del convegno di Bologna 21-23 ottobre 1983«, abgedruckt in: Enrico M. Forni (Hg.), Teoria dei sistemi e razionalita sociale, Bologna 1986. 2 Dazu vor allem: Michael Welker, »La cura della razionalita e l'asserzione della realta. Un problema di contatto tra teologia e teoria funzio-nale dei sistemi«, in: ebd., S.9-21. 3 Hierzu: Werner Krawietz, »Razionalita del diritto e teoria dei sistemilegal theory« (Rechtstheorie, Juris20

meine Einsichten der allgemeinen Theorie Luhmanns entgegenzusetzen. Auch handelt es sich nicht darum, dabei auf das von der Soziologie schon betreute Feld überzuwechseln, um eine Theorie und Soziologie der Erziehung, der Religion8 oder des Rechts, so wie Luhmann sie sieht, zu rekonstruieren mit dem Ziel, diese sodann der Kritik zu unterwerfen. Eine derartige Begrenzung und Beschränkung der Theoriebildung auf einzelne Funktionssysteme der Gesellschaft würde zwangsläufig das Anliegen der allgemeinen Theorie sozialer Systeme wie ihrer Kritik verfehlen. Das Theorieproblem, mit dem die hier geübte Kritik Luhmanns allgemeine Theorie konfrontiert, ist vielmehr darin zu erblicken, daß eine relevante Beobachtung sozialer Systeme wie der Funktionssysteme nicht mehr von der Soziologie allein erbracht werden kann, sondern gleichsam arbeitsteilig praktiziert werden muß. Sie bedarf infolgedessen der laufenden Kooperation aller Wissenschaften, die mit der Beobachtung und Beurteilung von sozialen Systemen befaßt sind. Dies hat zur Folge, daß in der Begriffs- und Theoriebildung, auch im Bereich der allgemeinen Theorie Luhmanns, eine Integration der fach systematisch sehr heterogenen Erkenntnisse in seine Theorie unerläßlich erscheint. Es geht hier somit um einen Ausgleich von Theoriedefiziten in Luhmanns soziologischem Theorieangebot. Hierzu möchten diese kritischen Untersuchungen beitragen.

prudenz) unterscheidet. Vgl. ferner: Werner Krawietz, Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984, S. 97 f. 8 Eingehend hierzu: Günter Geisthardt, »Skizze der Religionstheorie Niklas Luhmanns«, in : Welker (Hg.), Theologie und funktionale Systemtheorie (Fn. 6), S. 16-25. Vgl. hierzu ferner: Welker, »Die neue >Aufhebung der Religion>völlig unklar, wie sich aus Erwartungen« Normen, ins besondere Rechtsnormen, »generalisieren« lassen .16 Auch die in diesem Bande in einer Reihe von Beiträgen geübte Kritik hat es mit - vor allem logisch begründeten - Zweifeln an der Ableitbarkeit der Norm aus sozialen Erwartungen und demzufolge auch mit der Kritik am Begriff der normativen Erwartung (SoSy, S. 436 ff., 439) zu tun. Geht man von den - in logischer Hinsicht wohlbegründeten - Unableitbarkeitspostulaten aus, daß (i) Sollen nicht aus Sein folgt sowie (ii) Sein nicht aus Sollen folgt, so kann in der Tat eine Norm bzw. eine normative Konsequenz nur aus einer Klasse von Prämissen gewonnen werden, in der wenigstens ein praktischer, auf das mensc.hliche Verhalten bezogener (oder doch zumindest beziehbarer) Normsatz bereits enthalten ist. Selbstverständlich müssen normative Regeln, um im soziologischen Sinne als existent angesehen zu werden, nicht explizit als N ormsätze sprachlich formuliert sein. Vielmehr genügt es, wenn die sozialen Normen, besonders die des Rechts, in ihrer befolgten Form als Regel - vom Beobachterstandpunkt einer die normative Regelbefolgung als solche identifizierenden, begrifflich erfassenden und informationell verarbeitenden Wissenschaft - als soziale normative Kommunikation identifizierbar und damit rekonstruierbar sind. Es erscheint daher ausreichend, wenn eine soziale Normierung - auch hier zunächst ganz zu schweigen vom Recht! - zumindest ex post sprachlich formuliert und damit einer wissenschaftlichen Betrachtung unterzogen werden kann. Die von Luhmann vorgenommene Ableitung der sozialen Norm aus der sozialen Erwartung erscheint somit - in begrifflicher wie in normentheoretischer, vor allem aber in systemtheoretischer Hinsicht - als höchst problematisch, weil gerade auf der Ebene seiner allgemeinen Theorie die von ihm vermeintlich »an theoretisch sekundärer, abgeleiteter Stelle« (SoSy, S. 444) eingeführte Norm aus der faktischen sozialen Erwartung - wessen auch immer! - nicht ableitbar ist, sondern, wenn überhaupt, als in ihr zumindest partiell schon existent vorausgesetzt werden müßte, um logisch ableitbar zu sein. Damit tut Luhmann in seiner be16 Insoweit zutreffend: Rottleuthner, ebd., S. 302.

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grifflichen Bestimmung der Norm genau das, was er vermeiden wollte, nämlich »nicht von normativen Präsuppositionen« auszugehen. Soziale Erwartungen normieren nicht, sondern sie werden normiert. Es erscheint schwer einsichtig, warum Luhmann das nicht zuzugeben vermag, da soziale Normierungen im Gegenstandsbereich seiner Theorie sozialer Systeme - und demzufolge auch seiner allgemeinen Theorie - überall vorkommen. Oder haben wir es hier nur mit einer mehr als unscharfen Vorstellung von Ableitung zu tun, die seine allgemeine Theorie verunklärt? Eine Reihe von kritischen Beiträgen zu diesem Band findet infolgedessen ihren Ansatz- und Ausgangspunkt in dem nicht hinrei- , chend geklärten Normbegriff Luhmanns. Dessen Unklarheit kommt auch darin zum Ausdruck, daß er an anderer Stelle im Hinblick auf die »Semantik von Sollen und Sein« mit Grund auf die »Modalisierung von Erwartungen« rekurriert (SoSy, S. 436, 439). Freilich erblickt er auch hier im »Modus des Erwartens« bzw. in der »Modalität« stets nur »eine zusätzliche Formgebung«, ohne ins Offene zu bringen, was darunter, institutionen- und systemtheoretisch gedeutet, in faktischer wie in normativer Hinsicht zu verstehen ist. Immerhin konzediert er hier, daß die Begriffe »Modus« und »Modalität«, sofern es um die normative Modalisierung von Erwartungen geht, »parallelgelagert zu den Modalitäten des Seins« bleiben. Es liegt auf der Hand, daß Luhmanns allgemeine Theorie von einer sprachanalytischen Klärung der zwischen den N armen und dem Handeln bestehenden sozialen Beziehungen auf den diversen Levels einer möglichen normenund systemtheoretischen Rekonstruktion zu profitieren vermöchte, da die durch normexpressive sprachliche Ausdrücke symbolisierten Normsätze - auch institutionen- und systemtheoretisch betrachtet - als Strukturierungsmedien der normativen Kommunikation, insbesondere der Rechtskommunikation, fungieren. Mit dem Einbau von normen- und institutionentheoretischen Überlegungen und Distinktionen in die soziologische Theorie sozialer Systeme könnte auch deren allgemeine Theorie an Differenzierungs- und Unterscheidungsvermögen gewinnen, an dem es bislang auf begrifflicher Ebene noch fehlt, soweit es um das Verhältnis von Normen und Handeln geht. 17 Weder das- auch 17 Dies gilt trotz der von Luhmann mit Bezug auf die im vierten Kapitel unter dem Stichwort »Kommunikation und Handlung« (SoSy,

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statistisch beobachtbare - Handeln von Einzelpersonen noch das von sogen. Kollektivpersonen (Kollektivsubjekten) oder genauer, ganz im Sinne Luhmanns gesprochen, dasjenige von Organisationen können zureichend beschrieben, gedeutet und erklärt werden ohne Bezugnahme auf sozial etablierte Normen und Regeln des menschlichen Verhaltens, die nicht nur eine Handlungsattribution, sondern auch eine normative Verantwortungsattribution ermöglichen.18 Durch Integration moderner normentheoretischer Überlegungen in die Systemtheorie könnte zugleich die Grundlage für den Aufbau einer wirklich allgemeinen Theorie autopoietischer Systeme gewonnen werden, die sich nicht mehr auf eine bloß fachuniversale, rein soziologische Begründung beschränkt, sondern in inter- und multidisziplinärer Kooperation begrifflich zu erarbeiten ist.

6. Religiöse, rechtliche und soziale Welt im Kontext und Rahmen »möglicher Welten« Zu den mehrjährigen Diskussionserfahrungen in der soziologischen Auseinandersetzung mit Soziale Systeme gehören eine Reihe üblicher, auch künftig möglicher und daher erwähnenswerter Miß~erständnisse, die innerhalb der Arbeitsgruppe auftauchten, aber nur schrittweise abgebaut und nach und nach in ihren Auswirkungen erkannt und eliminiert werden konnten. Es wäre nicht fair, sie dem Leser zu verschweigen, da zumindest einige von ihnen seinen Zugang zu Luhmanns Hauptwerk und zu der hieran geübten Kritik erschweren könnten. Diese Mißverständnisse waren einerseits bedingt und bestimmt durch die Form der kooperativen Wahrheitssuche, die hier in inter- und multidisziplinärem Zusammenhang praktiziert wurde, andererseits resultierten sie aus gewissen Informationsdefiziten und Fehleinschätzungen, die S. 191-241) vorgenommenen handlungstheoretischen Umdispositionen in seiner allgemeinen Theorie, da hier - wie die im vorliegenden Bande geübte Kritik im Detail belegt - die systemtheoretischen Voraussetzungen und Bedingungen normativer Kommunikation, insbesondere der Rechtskommunikation, nicht hinreichend berücksichtigt werden. I 8 Krawietz, Rechtliche Verantwortung oder wissenschaftliche Vernunft (Fn. 2), S. 64 ff., 67 ff., 71. Vgl. ferner: Welker, Verantwortung der Wissenschaft, Verantwortung des Glaubens (Fn. 2 ), S. 128 ff., 131.

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gewöhnlich das Verhältnis der beteiligten Disziplinen zum Recht sowie untereinander betreffen, insbesondere aber das wechselseitige Verhältnis von Rechtswissenschaft und Soziologie. Sie belasteten daher auch die soziologischen Auseinandersetzungen in der Arbeitsgruppe. Letztere setzte sich hauptsächlich aus Politikwissenschaftlern, Pädagogen, Sozialethikern, Soziologen, Theologen und Juristen zusammen, die durch gemeinsame systemtheoretische Erkenntnisinteressen verbunden sind. Besonders erwähnenswert erscheinen die folgenden, üblicherweise im inter- und multidisziplinären systemtheoretischen Diskurs auftretenden Schwierigkeiten und Argumentationsprobleme: ( 1) An manchen Irrtümern und Fehleinschätzungen, die das Verhältnis der modernen Theorie der Normen19 zur soziologischen Systemtheori~, insbesondere dasjenige von Rechtstheorie und Rechtssoziologie, betreffen, ist Luhmann selbst nicht ganz unschuldig. Er betont seit jeher immer wieder, daß erstere auf den Zusammenhang mit rechtsordnungsspezifischen Dogmatiken abziele und es deswegen im metadogmatischen Kontext derartiger Probleme hauptsächlich mit rechtsdogmatischen Fragestellungen zu tun habe, die deshalb im Kontext von Rechtswissenschaft allenfalls zu kritischen Reflexionstheorien des Rechtssystems selbst führen können. 20 Den:igegenüber hebt er - aus systemtheoretischer Perspektive - gewöhnlich hervor, daß letztere es als soziologische Theorie der Normen, insbesondere derjenigen des Rechts, nicht mit einer Selbstbeschreibung des Rechtssystems, sondern mit seiner Fremdbeschreibung zu tun habe, die das sich selbst identifizierende Rechtssystem in ihrem Gegenstandsbereich vorfinde. Infolgedessen behandelt er unter dem soziologischen Firmenzeichen Semantik und Gesellschaftsstruktur auch gern die dogmengeschichtlich in der Tat vernachlässigten - Rechtssedimentierungen, um zu zeigen, wie merkwürdig Juristen denken, mit dem Ziel, ihre begrifflichen Denkrückstände einer soziologischen Sekundärinterpretation zu unterwerfen. Auch Politikwissenschaftler, Theologen, Ökonomen und Literaturwissenschaftler, um nur diese zu nennen, wissen ein Lied davon zu singen, wie 19 Hierzu die Beiträge in: Werner Krawietz/Helmut Schelsky u. a. (Hg.), Theorie der Normen, Berlin 1984. 20 So schon: Niklas Luhmann, Rechtssystem und Rechtsdogmatik, Stuttgart 1974.

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es bei einer derartigen soziologischen Aufklärung und Aufarbeitung ihrer denk- und dogmengeschichtlichen Überreste zugeht. Kaum jemand wird etwas gegen diese soziologische Flurbereinigung einwenden wollen, zumal sie sich als ein kritischer Akt geistiger Hygiene darstellt. Die von Luhmann aufgestellte These einer ausweglosen Abhängigkeit der Rechtstheorie vom Rechtssystem, der gegenüber sich seine soziologische Systemtheorie, auch und gerade auf der Ebene allgemeiner Theoriebildung, wegen ihrer externen Beobachterposition im Vorteil befinde, ist nicht ganz unrichtig, aber in ihrer Einseitigkeit zumindest irreführend, wenn es um die Beurteilung von Grundlage und Grenzen moderner N ormentheorie überhaupt, insbesondere einer wirklich allgemeinen Rechtstheorie geht. Seine Einwendungen sind in der Tat zutreffend gegenüber einer vor allem von Dreier und Alexy vertretenen, sich auf die normative Diskursethik von Habermas stützenden, moraltheoretisch fundierten und unterbauten, aber fachspezifisch verengten Konzeption von Rechtstheorie, die in der Rechtsdogmatik das »juristische Forschungsinteresse par excellence« erblickt und deshalb auch Rechtstheorie als eine »allgemeine juristische Theorie des Rechts und der Rechtswissenschaft« bestimmt, deren Forschungsinteresse »durch ihren Dogmatikbezug definiert« werde.21 Eine derartige Rechtstheorie, die ihr opus proprium in der Rechtsdogmatik erblickt und, was ihr Verhälti;iis zur Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie angeht, die beiden letzteren im Ergebnis als »außerjuristische Disziplinen« aus der Theorie des Rechts weitgehend ausgrenzen will, soweit sie »nicht von und für Juristen, sondern von und für Philosophen bzw. von und für Soziologen gelehrt und betrieben werden«, weil ihnen in diesem Falle nur ein »im objektiven Sinne philosophisches bzw. soziologisches Forschungsinteresse« zugrunde liege22 , muß - unseres Erachtens mit Grund - den berechtigten Widerspruch Luhmanns wecken.23 21 Hierzu: Ralf Dreier, Recht - Staat - Vernunft. Studien zur Rechtstheorie, Frankfurt am Main 1991, S.213ff., 216f., 218. Im obigen Zitat kursiv von W. K. Vgl. ferner: Robert Alexy/Ralf Dreier, »The Concept of Jurisprudence«, in: Ratio luris 3 (1990), S. 1-13, 2f., 6f., 8ff. 22 Dreier, Recht - Staat - Vernunft (Fn. 21), S. 218 f. Im obigen Zitat kursiv von W. K. Vgl. ferner: Alexy/Dreier, »The Concept of Jurisprudence« (Fn. 21), S. 3 f., 5 f., 9f. 23 Vgl. hierzu die - in der Sache bis auf den heutigen Tag unabgeschlos-

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Die von Luhmann selbst hervo~gerufene, noch schwelende Kontrovertik um den >richtigen>Gerechtigkeit in den Rechtssystemen der modernen Gesellschaft«, in: Rechtstheorie 4 (1973), S. 131-167; Ralf Dreier, »Zu Luhmanns systemtheoretischer Neuformulierung des Gerechtigkeitsproblems«, in: Rechtstheorie 5 (1974), s. 189-200. 24 Dreier, Recht-Staat- Vernunft (Fn. 21), S. 217f. Demgegenüber kritisch: Krawietz, Recht als Regelsystem (Fn. 7), S. 161 ff. 2 5 Krawietz, » Theorie und Forschungsprogramm menschlicher Rechtserfahrung« (Fn. 14), S. 16 ff.

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mehr oder weniger gleichgesetzt werden. Nicht von ungefähr geht auch Dreier von der - meines Erachtens so gar nicht zutreffenden - Annahme aus, alles Recht sei »im modernen, gewaltenteilenden Rechtsstaat in erster Linie staatlich gesetztes Recht«.26 Demgegenüber ist für die moderne, erheblich distanzierter vorgehende und daher auf ihrem abstrakten Level auch entwicklungsgeschichtlich reflektierte, wirklich allgemeine Rechtstheorie alles Recht in erster Linie und stets zunächst einmal gesellschaftliches Recht, das nur unter bestimmten Voraussetzungen sekundär auch staatliches Recht sein oder werden kann, aber nicht muß. Sie vermag deshalb einer dogmatischen Rechtswissenschaft bestimmter staatlich organisierter Rechtssysteme und der ihr zugehörigen allgemeinen Rechtslehre, die den Zusammenhang von Staat und Recht- wenn auch aus naheliegenden Gründen - allzu sehr in den Vordergrund rückt, insofern nicht zu folgen, da sie auf einer universalistischen, gesellschaftsweit verwendbaren, soziologisch fundierten Normentheorie aufbauen muß. Jede Verabsolutierung einer bestimmten sozialen Systemreferenz, hier: derjenigen des Staates, muß daher vom Standpunkt einer sinnkritischen und rechtsrealistischen, von vornherein gesellschaftsweit am Verhältnis von Normen und Handeln orientierten Auffassung, die auch in der hier geübten Kritik vorausgesetzt27 wird, als zu einseitig erscheinen. Wenn in diesem Bande in der im folgenden geübten Kritik an der allgemeinen Theorie sozialer Systeme gleichwohl in diversen Beiträgen die Organisation - nicht der Staat bzw. die Staatsorganisation! - in den Vordergrund gerückt wird, so nur deswegen, weil die Autoren der Auffassung sind, daß diese Form der Bildung von sozialen Systemen, entgegen der schon eingangs erwähnten und kritisierten Auffassung Luhmanns (SoSy, S. 551 ), aus seiner allgemeinen Theorie nicht eliminiert werden durfte oder sollte. Es wäre daher abwegig, hierin eine Identifikation von Staat und Recht oder doch zumindest eine Art Votum für die Präponderanz des Staates erblicken zu wollen und den ständig mitlaufenden Bezug auf die gesellschaftsweite Relevanz des Rechts zu ignorieren. Auch wäre es verfehlt, darin ein 26 Dreier, Recht-Staat- Vernunft (Fn.21), S.8, 15f., 74ff. 27 Einen Überblick hierzu bieten: Eugene Kamenka/Robert S. Summers/ William Twining (Hg.), Soziologische Jurisprudenz und realistische Theorien des Rechts, Berlin 1986.

verstecktes Plädoyer für einen bestimmten oder gar für den Staat und sein Recht zu erblicken. Eine derartige Option oder gar Präferenz liegt den in diesem Bande vereinten Kritikern einer allgemeinen soziologischen Systemtheorie- nach der von ihnen eingenommenen formalen Betrachtung der Norm, des Rechts und des Rechtssystems - völlig fern. Andererseits kann und soll auch gar nicht geleugnet werden, daß in der modernen Gesellschaft Staaten (und ihre Teilsystembildungen) sowie Staatenverbindungen an der laufenden Produktion und Reproduktion von Recht einen maßgebenden Anteil haben. Es geht vielmehr nur darum, in der Welt des Rechts28 bei der Identifikation und der näheren konstruktiven Bestimmung normativer Kommunikationsstrukturen künftig sehr viel genauer als bisher der Multireferenzialität sämtlicher an ihrer Genese und Geltungserstreckung beteiligten sozialen· Systeme Rechnung zu tragen sowie der Tatsache, daß bei der normativen Erwartungsbildung stets auch Organisationen beteiligt sind. Die hier geübte Kritik sucht mit Blick auf einige Funktionssysteme der modernen Gesellschaft, wie beispielsweise Religion und Recht, deutlich zu machen, was der allgemeinen Theorie Luhmanns fehlt, wenn sie dies ignoriert. (3) Schwierigkeiten in den soziologischen Diskussionen der Arbeitsgruppe ergaben sich schließlich aus dem stets virulenten, auch in Luhmanns allgemeiner Theorie nicht aufgelösten, ihr immanenten Widerspruch, daß er in seiner Theoriebildung einerseits auf Gesellschaften, andererseits auf das -leider allzu abstrakt bleibende - Niveau einer Weltgesellschaft rekurriert (SoSy, S. 16, 557f., 585 ff.). Für eine auf Erfahrung und Beobachtung basierende Theorie sozialer Systeme ergeben sich daraus, unter dem Gesichtspunkt der schon wiederholt angesprochenen theoretischen Handhabung der Multireferenzialität gleichzeitig zu berücksichtigender sozialer Systempositionen betrachtet, eine Fülle von Zweifelsfragen bezüglich der begrifflichen Bestimmung und Zurechnung konkreter (wirklicher/möglicher) Referenzen. Aus der Existenz diverser gesellschaftsweit, aber nicht immer ubiquitär wirksam werdender Funktionssysteme, wie beispielsweise Politik, Religion und Recht, ergeben sich zusätzliche Zweifelsfragen, die sich in diesem Bande vor allem, aber nicht ausschließlich bei 28 Aus institutionen- und systemtheoretischer Perspektive zu eng: Ronald Dworkin, Law's Empire, London 1986.

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der Erörterung des Weltbegriffs niedergeschlagen haben. 29 Die kritischen Kommentare und Anfragen beziehen sich hier nicht nur auf die Unterscheidbarkeit von System und Umwelt sowie auf die - als Faktum gar nicht zu leugnende - Systemrelativität von Welt. Zieht man hier nicht nur die Vielzahl und Vielfalt der zugleich bestehenden Religionen, sondern exemplarisch auch das Recht als Funktionssystem der Gesellschaft in Betracht, so muß auffallen, daß - wie vor allem interkulturell vergleichende Untersuchungen zeigen - die Vorstellung der Identität oder Einheit des Rechtssystems ein· wenig illusionär erscheinen kann oder gar muß. Ein Monismus im Rechtsdenken erscheint, ähnlich wie im Religionssystem, kaum realisierbar, wenn man den Pluralismus der bestehenden Religionen und Rechtskulturen bedenkt. 30 Andererseits liegt auf der Hand, daß auch die modernen Staaten allenfalls eine Prärogative, aber kein Monopol für Rechtserzeugung besitzen. Die Verfassungs- und Rechtsgeschichte der Staaten Europas sowie die Rechtsgeschichte der großen Industrienationen der westlichen Welt sind nun einmal nicht identisch mit der Weltgeschichte des Rechts. Offensichtlich leben wir zugleich in einer Welt und in vielen, durch vielfältige regionale und kulturelle Unterschiede bedingten Welten, deren systemabhängige und systembedingte Ordnungen und Regeln noch dazu f aktentranszendent gelten und anwendbar sind in dem Sinne, daß sie »nicht nur in der tatsächlich bestehenden Welt universell«, d. h. in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ihre Wirksamkeit entfalten. Sie fungieren zugleich auch als » konstitutive Rahmen für die Konstruktion möglicher Welten«. 31 Dies wirft auch für eine allgemeine Theorie sozialer 29 Hierzu auch: Matthias J. Raden, »Die chiffrierte Einheit einer expansiven Welt: Die heimlich >religiöse Funktion< der Weltgesellschaft in der funktionalen Systemtheorie Luhmanns«, in: Welker (Hg.), Theologie und funktionale Systemtheorie (Fn. 6), S. 38-56, 46 ff. 30 Eingehend hierzu: Peter G. Sack/Carl P. Wellman/Mitsukuni Yasaki (Hg.), Monismus oder Pluralismus der Rechtskulturen? Anthropologische und ethnologische Grundlagen traditioneller und moderner Rechtssysteme, Berlin 1991. 31 Dazu vor allem: Ota Weinberger, »Das Wesen der Regeln«, in: Werner Krawietz/Antonio A. Martino/Kenneth I. Winston (Hg.), Technischer Imperativ und Legitimationskrise des Rechts, Berlin 1991, S. 169-191, 172 f.

Systeme, die auf den diversen Levels begrifflicher Abstraktion und Verallgemeinerung sämtliche Formen sozialer Ordnungsund Systembildung im Rahmen einer neuen Sequenzierung berücksichtigen muß, eine Reihe von kritischen Fragen und Folgeproblemen auf, denen die Beiträge zu diesem Bande im Detail nachgehen.

7. Kritik der radikal konstruktivistischen Anforderungen

an »Realität« und Kommunikation von Religion und Rech Die von höchst verschiedenartigen Ansatz- und Ausgangspunkten her an der allgemeinen Theorie und ihrer im »Grundriß« erkennbaren Konzeption geübte, im ganzen wie im Detail höchst differenzierte Kritik versucht nicht etwa, Luhmann im nachhinein doch noch die Konzession abzuringen, daß seine Theorie sozialer Systeme letzten Endes einer »ontologisch vorgegebenen« Realität verpflichtet sei. Sie macht sich auch nicht gemein mit den schon etwas abgelebten, wenig plausiblen Versuchen, seine Theoriebildung als Ontologismus oder - neuerdings - als Biologismus zu etikettieren. 32 Auch folgt die Kritik nicht gewissen Übertreibungen eines radikalen Konstruktivismus, der im Bereich der sozialen Handlungswissenschaften und der Soziologie in Schwierigkeiten geraten muß, wenn es darum geht, die systembedingten sozialen Beziehungen zu rekonstruieren, die zwischen Normen und Handeln bestehen. Es geht ihr überhaupt nicht darum, philosophische (ontologische, epistemologische, logische) Vorgaben für die so32 Hierzu: Hubert Rottleuthner, >>Biologie und Recht«, in: ZeitsFhrift für Rechtssoziologie 6 (1985), S. 104-126; ders., »Biological Metaphors in Legal Thought«, in: Gunther Teubner (Hg.), Autopoietic Law: A New Approach to Law and Society, Berlin 1988, S. 97-127. Dagegen sehr treffend: Niklas Luhmann, »Steuerung durch Recht? Einige klarstellende Bemerkungen«, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 12 (1991), S. 142-146, 142, der sich mit Grund gegen das »Nacherzählen der Legende, es handele sich um eine biologische Metapher«, wendet. Da es sich bei Luhmanns allgemeiner Theorie durchgängig um soziale Sinnsysteme, d. h. um normative bzw. kognitive Informations- und Kommunikationssysteme, handelt, wird hier in der Tat »nicht mit einer biologischen Metapher und erst recht nicht mit einer Analogie« argumentiert, sondern soziologisch »formal«.

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ziologische Theoriebildung zu machen. Vielmehr wird - genau umgekehrt - mit Blick auf die soziale Praxis davon ausgegangen, daß die sie beobachtenden sozialen Handlungswissenschaften unter Einschluß von Religions- und Rechtswissenschaften, aber auch der Soziologie - zunächst einmal ihre Arbeit getan haben müssen, damit sodann nach den ihr zugrunde liegenden philosophischen Voraussetzungen und Implikationen gefragt und geforscht werden kann. Ganz in diesem Sinne wird hier der Versuch unternommen, das noch nicht hinreichend ausgelotete Handlungs- und Forschungsparadigma der soziologischen Systemtheorie, insbesondere von Luhmanns allgemeiner Theorie, näher zu bestimmen. Offensichtlich besteht die zentrale Schwierigkeit hier - in der Perspektive einer neuen Sequenzierung der Theoriebildung - darin, daß soziale Systeme genau so, wie sie systemtheoretisch auf begrifflicher Ebene bezeichnet und beschrieben werden, als solche nicht zugleich auch >in der Realiltät< vorkommen. Gleichwohl kann kein Zweifel daran bestehen, daß es soziale Systeme gibt. Von dieser Feststellung geht heute - auch die soziologische Systemtheorie ist inzwischen in die Jahre gekommen! - keinerlei schockierende Wirkung mehr aus. Es fragt sich jedoch, wie diese sozialen Systembildungen mit wissenschaftlichen Mitteln zu identifizieren, levelspezifisch zu beschreiben, zu deuten und zu erklären sind. Dies erscheint besonders dann schwierig, wenn wir es im Gegenstandsbereich auch mit normativen Strukturen zu tun haben, wie beispielsweise in der Kommunikation von Religion und Recht. 33 Weder ist die gesellschaftliche Wirklichkeit sozialer Systeme, 33 Hierzu: Welker, »Die neue >Aufhebung der Religion< in Luhmanns Systemtheorie« (Fn. 6), S.110, der die »Dynamik der Bildung von sozialer >Ordnung in Ordnung«< in den Bereich einer »Reproduktion und Variation gerade in und durch Interaktion« verlegt. Vgl. ferner: Jochen Cornelius, »Die Wirklichkeit der Weltgesellschaft«, in: Welker (Hg.), Theologie und funktionale Systemtheorie (Fn. 6), S. 57-75, 65 f.; Werner Krawietz, »Recht und moderne Systemtheorie«, in: Torstein Eckhoff/Lawrence M. Friedman u. a. (Hg.), Vernunft und Erfahrung im Rechtsdenken der Gegenwart, Berlin 1986, S.281-309, 304 ff., 306 f. Vgl. ferner: Werner Krawietz, »Prinzipien öffentlicher Moral versus Recht?«, in: Gerd Roellecke (Hg.), Öffentliche Moral. Gut und Böse in der Beobachtung durch Geschichte, Religion, Wirtschaft, Verteidigung und Recht, Heidelberg 1991, S. 21-68, 55 ff., 66 f.

theoriebautechnisch gesehen, als solche hierarchisch gebaut, noch handelt es sich für die zugehörige Theorie darum, eine hierarchische Struktur der Realität hierarchisch abzubilden. 34 Die Kritik konnte sich hier mit Blick auf den recht knappen (und deswegen zu zahlreichen Mutmaßungen Anlaß bietenden!) erkenntnistheoretischen Teil von Soziale Systeme im wesentlichen auf eine Auseinandersetzung mit dem radikalen Konstruktivismus sowie auf eine Erörterung der ontologischen und epistemologischen Probleme beschränken, die sich daraus ergeben, daß die Theorie sozialer Systeme, insbesondere deren allgemeine Theorie, es auch mit normativen Erwartungsstrukturen, insbesondere mit Rechtsnormen zu tun hat. Wie die Kritik im einzelnen herausarbeitet, handelt es sich dabei um Probleme einer ganz neuen Normenontologie, die sich von den klassischen Voraussetzungen der Ontologie35 , gegen die L uhmann mit Grund polemisiert, völlig gelöst hat. Sie werden von Luhmann ebensowenig erörtert wie die logischen Probleme des Umgangs mit Normen, die wegen der aktuellen Kontroversen um die Konzeption einer Normenlogik bzw. einer deontischen Logik höchst umstritten sind. All dies sind Folgeprobleme der unzureichenden begrifflichen Bestimmung der sozialen Norrn, die als Defizite bei der Theoriebildung in Erscheinung treten und eine angemessene Sequenzierung der Theoriearbeit erschweren. Da die moderne Normentheorie in der Behandlung dieser Fragen, auch was die Rekonstruktion der Struktur von Normen bzw. Normensystemen - und nicht nur ihre lebenspraktische Konstruktion! - angeht36 , gegenwärtig sehr 34 Zur Heterarchie sozialer Regelsysteme, auch in epistemologischer Hinsicht: Werner Krawietz, »Die Lehre vom Stufenbau des Rechts eine säkularisierte politische Theologie?«, in: Rechtstheorie Beiheft 5 (1984), S. 25 5-271; ders., »The Concept of Law Revisited: A New Approach to Theory and Sociology of Law«, in: Vincenzo Ferrari (Hg.), Laws and Rights. Proceedings of the International Congress of Sociology of Law f or the Ninth Centenary of the University of Bologna, Milano 1991, S.155-170, 166ff., 169f. 35 Eingehend hierzu: Werner Krawietz, »What Does it Mean >To Follow an Institutionalized Legal Rule