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German Pages 227 [228] Year 2019
Sebastian Krebs Kripkes Metaphysik Möglicher Welten
Philosophical Analysis
Edited by Katherine Dormandy, Rafael Hüntelmann, Christian Kanzian, Uwe Meixner, Richard Schantz und Erwin Tegtmeier
Volume 80
Sebastian Krebs
Kripkes Metaphysik Möglicher Welten
ISBN 978-3-11-065118-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-065264-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-065125-6 ISSN 2627-227X Library of Congress Control Number: 2019931224 Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available on the Internet at http://dnb.dnb.de. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Printing and binding: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Inhalt Danksagung | IX 1 1.1 1.2 1.3
Einleitung | 1 Ziele dieses Buches | 1 Kripke als „Sokrates unserer Zeit“ | 3 Begriffliche und methodische Anmerkungen | 6
2 2.1 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.6
Was sind mögliche Welten? | 11 Vorbemerkungen | 11 Was ist unter Modallogik zu verstehen? | 12 Grundlagen der Modallogik | 14 Die strikte Notwendigkeit bei Clarence Irving Lewis | 14 Die axiomatischen Systeme K, T, B, S4 und S5 | 16 Wahrheitsfunktionalität und Kripke-Modelle | 17 Modallogik und metaphysischer Essentialismus | 20 Quines Zweifel an der (quantifizierten) Modallogik | 20 Aristotelischer Essentialismus | 26 Individual- und Artessentialismus | 28 Modallogik und Referenz | 33 Kennzeichnungs- und Clustertheorie | 35 Rigid designation und direkte Referenz | 39 Probleme der Neuen Referenztheorie | 43 Der Zusammenhang von Modallogik, Referenz und Essentialismus | 49
3 3.1 3.1.1
Was bedeuten mögliche Welten für die Metaphysik? | 52 Aspekte einer modalmetaphysischen Landkarte | 52 Reduktionismus vs. Primitivismus: Ist Modalität ein grundlegender Begriff der Wirklichkeit? | 54 Modaler Realismus versus Anti-Realismus: Existieren mögliche Welten? | 57 Aktualismus vs. Possibilismus: Welche Gegenstände gehören zum ontologischen Inventar einer Welt? | 59 Das Problem der transworld identity | 64 Was ist Genuiner Modaler Realismus? | 66 Ontologische und explanatorische Komponenten | 66 Formale Hintergründe der Counterpart-Theorie | 69
3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.2 3.2.1 3.2.2
VI | Inhalt 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3 3.5.4 3.6 4 4.1 4.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.4 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3
Possibilismus und Essentialismus in David Lewis’ GMR | 71 Attraktivität des Genuinen Modalen Realismus | 74 Beweislast und Ockhams Skalpell | 78 Theorieinterne Kritik am Modalen Realismus | 80 Der Lycan-Shalkowski-Einwand: Mögliche Welten als primitiv-modaler Begriff | 81 Das Unvollständigkeitsargument von Divers und Melia | 86 Fazit und Übergang | 95 Theorieexterne Kritik am Modalen Realismus | 96 Ideologiegebundenheit und Kritik am Physikalismus | 98 Das Besondere des Wirklichen und die Kritik am gleichberechtigten Nebeneinander möglicher Welten | 107 Die Absurdität der Counterpart-Theorie in Bezug auf transworld identity | 116 Drei Ansprüche an eine modale Metaphysik des gesunden Menschenverstands | 119 Andere modalmetaphysische Positionen | 120 Realismus in Bezug auf unmögliche Welten | 121 Meinongianismus | 123 David Kaplans heuristischer modaler Realismus | 126 Ersatzismus und Aktualismus | 130 Zusammenfassung | 136 Modalmetaphysischer Deflationismus | 138 Vorbemerkungen | 138 Modalmetaphysischer Deflationismus: Begriffsursprung und -definition | 139 Deflationäre Metaphysik auf der modalmetaphysischen Landkarte | 143 Deflationärer Primitivismus: Modalität als Grundbestandteil sprachlicher Beschreibung von Wirklichkeit | 143 Eliminativer Anti-Realismus | 147 Deflationärer Aktualismus und Als-Ob-Possibilismus | 149 Kripkes Zurückweisung von transworld identity | 153 Zusammenfassung des modalmetaphysischen Deflationismus | 157 Argumente für den modalmetaphysischen Deflationismus | 161 Kohärenz des modalmetaphysischenen Deflationismus | 162 Ideologische Andockfähigkeit | 167 Intuitionen und der gesunde Menschenverstand | 174
Inhalt |
4.5.4 4.6 5 5.1 5.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.4
VII
Die Besonderheit des Wirklichen | 181 Fazit | 186 Rückblick, Resümee und Potential für die künftige Forschung | 189 Was in diesem Buch geleistet wurde | 189 Ertrag für die Forschung | 191 Welten in nicht-alethischen Modalkontexten | 194 Welten in der deontischen Logik | 195 Welten in der temporalen Logik | 198 Zusammenfassung | 200
Literatur | 201 Stichwortverzeichnis | 213 Personenverzeichnis | 216
Danksagung Bei diesem Buch handelt es sich um meine Dissertation, die ich am 13. Februar 2018 mit dem Titel „Kripke-Semantik und Weltentheorie“ an der Otto-FriedrichUniversität Bamberg eingereicht habe. Meinen Betreuern Christian Schäfer und Uwe Voigt danke ich von Herzen nicht nur für unzählige wertvolle Hinweise und Gespräche zu diesem Buch, sondern vor allem dafür, stets ein offenes Ohr für mich zu haben und mich auf meinem akademischen Weg unablässig zu fördern. Dieser Dank gebührt ebenso Thomas Becker, Gabriele de Anna, Christian Illies und Stefanie Stricker sowie meinen Kollegen und Freunden an der OttoFriedrich-Universität Bamberg, insbesondere Alexander Fischer, Marko Fuchs, Fabian Geier, Hendrike Hellmann, Dominik Klein, Martin Sticht und Sonja Zeman. Ich danke Saul Kripke, Romina Padro, Jeff Buechner und Gary Ostertag, die mich im akademischen Jahr 2013 bis 2014 zu einem einjährigen Forschungsaufenthalt am Saul-Kripke-Center am Graduate Center der City University of New York eingeladen haben, der maßgeblich zum Erfolg meiner Dissertation beigetragen hat. Dieser Forschungsaufenthalt wurde finanziert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst, dem ebenso mein Dank gebührt wie der Studienstiftung des deutschen Volkes, die mir die Anfertigung dieser Arbeit durch ein Promotionsstipendium ermöglichte. Für hilfreiche Kommentare zu meiner Arbeit danke ich außerdem den Teilnehmern der Summer Schools „Metaphysics or Modernity?“ (2012), „Individuals and Indeterminacy“ (2014) und „Philosophy of Language“ in Bamberg, der ECAP-8-Konferenz in Bukarest (2014), der SoPhiA-Konferenz in Salzburg (2014), der Workshops „Language and World“ in Hamburg (2015) und „Varieties of Existence“ (2015) in Bamberg, sowie Gerhard Ernst, Kit Fine, Uwe Meixner, Michael Mendler, Olivier Roy, Nathan Salmon, Benjamin Schnieder, Barbara Vetter sowie den anonymen Gutachtern. Über allem steht mein zutiefst empfundener Dank an meine Partnerin Helena Rosengrün und an meine Eltern Josef und Edelgard Krebs dafür, mich in jeder möglichen Welt, immer und bei allem bedingungslos zu unterstützen.
https://doi.org/10.1515/9783110652642-201
1 Einleitung 1.1 Ziele dieses Buches Dieses Buch entwickelt und verteidigt den modalmetaphysischen Deflationismus. Darunter ist eine Position zu verstehen, die der amerikanische Sprachphilosoph und Logiker Saul Kripke hinsichtlich der Frage nach dem ontologischen Status von Möglichkeit und Notwendigkeit andeutet, aber nicht in systematischer Form entwickelt. Der historische Hintergrund dieser Position ist die seit den 1970er Jahren geführte und bis in die Gegenwart reichende Debatte in der analytischen Philosophie um das im Zusammenhang mit der Entwicklung der formalen Modallogik geprägte Konzept der möglichen Welten, zu dessen Klärung dieses Buch einen Beitrag leistet. Im nachträglich eingefügten Vorwort seiner in Buchform veröffentlichten und inzwischen als Klassiker der analytischen Philosophie geltenden Vorlesungsreihe Naming and Necessity schreibt Kripke: I will say something briefly about ‚possible worlds‘. (I hope to elaborate elsewhere.) (Kripke 1980, S. 15)
Kripke hat bis heute keine systematische Ausarbeitung seines Konzepts der möglichen Welten vorgelegt. Außerdem ist nicht zu erwarten, dass er in den nächsten Jahren und Jahrzehnten elsewhere eine solche Ausarbeitung vornimmt, geschweige denn veröffentlicht. Dies hat verschiedene Gründe, die unmittelbar mit seiner ganz eigenen philosophischen Arbeitsweise zusammenhängen, welche sicher die größte Herausforderung einer Systematisierung von Kripkes Philosophie darstellt, wie sie dieses Buch anstrebt und worauf deshalb in Abschnitt 1.2 ausführlich eingegangen wird. Vorab ist es wichtig zu betonen, dass dieses Buch ein systematisches und kein exegetisches Ziel verfolgt. Dies bedeutet, dass Kripkes Werk hier vor allem als Vorlage dafür dient, eine Position zu entwickeln und zu verteidigen, die in der in der gegenwärtigen analytischen Philosophie geführten Debatte um den ontologischen Status von Möglichkeit und Notwendigkeit eine neue Richtung vorschlägt. Streng genommen präsentiert dieses Buch daher nicht – wie sein Titel es verspricht – Kripkes Metaphysik möglicher Welten, sondern meine eigene Metaphysik möglicher Welten, wobei dies auf den Titel zu schreiben nicht nur viel zu anmaßend gewesen wäre, sondern auch insofern falsch, als ich mir nicht einmal sicher bin, ob meine deflationäre Position überhaupt als Metaphysik bezeichnet werden kann. https://doi.org/10.1515/9783110652642-001
2 | 1 Einleitung
Kripkes Metaphysik möglicher Welten finde ich als Titel für dieses Buch dennoch passend, da es von Saul Kripke, der philosophischen Disziplin der Metaphysik und von möglichen Welten handelt. Außerdem würde ich gerne dafür argumentieren, dass auch wissenschaftliche Buchtitel Eigennamen und daher rigid designators sind. Wem dieses sprachphilosophische Konzept bisher noch unbekannt ist, sei an dieser Stelle nur so viel verraten, dass es nicht nur in Kripkes Metaphysik möglicher Welten, sondern auch in Kripkes Metaphysik möglicher Welten einen zentralen Platz einnimmt und ich somit manchen erst durch den Titel erweckten Erwartungen an mein Forschungsziel am Ende doch gerecht werde. Da bis dato keine deutschsprachige¹ und kaum englischsprachige monographische Literatur vorliegt, die die Hintergründe der Debatte in einen historischen Zusammenhang stellt und einen systematischen Überblick darüber gibt, worin sich einzelne Positionen im Bereich der modalen Metaphysik überhaupt unterscheiden, beziehungsweise – salopp gesagt – worüber eigentlich genau debattiert wird, ist es ein weiteres wichtiges Forschungsziel, in diesen Fragen Klarheit zu schaffen. Um diese Klarheit zu erreichen, werden in Kap. 2 zunächst einige wichtige formal-logische und begriffliche Grundlagen gelegt, die für ein Verständnis des zentralen Konzepts der möglichen Welt unabdingbar sind. Darauf aufbauend entwickle ich in Kap. 3.1 eine systematische Landkarte, anhand derer ich die wesentlichen Aspekte der gegenwärtigen Debatte aufzeichne und alle wichtigen modalmetaphysischen Positionen einordne. Dies betrifft insbesondere den von David Lewis in On the Plurality of Worlds (1986) und anderen Werken entwickelten modalen Realismus, der für viele Autoren den wichtigsten historischen Bezugspunkt bietet und für Kripke– und damit auch für den hier vertretenen modalmetaphysischen Deflationismus – die wirkmächtigste Gegenposition darstellt. In meiner Auseinandersetzung und Zurückweisung von Lewis’ modalem Realismus entwickle ich unter Berufung auf den gesunden Menschenverstand einen Maßstab, an dem sich jede überzeugende modalmetaphysische Position messen lassen muss (vgl. Kap. 3.2 bis 3.4). Während ich diesen Maßstab in Kapitel 3.5 auf einige andere einflussreiche Positionen der jüngeren Debatte anwende, ist es im vierten Kapitel mein Ziel, aufzuzeigen, warum gerade der modalmetaphysische Deflationismus die mit dem Maßstab einhergehenden Ansprüche des gesunden Menschenverstands erfüllt und damit eine überzeugende Position in der Debatte um den ontologischen Status von möglichen Welten darstellt (vgl. Kap. 4.5). Be-
1 Die einzig nennenswerten Ausnahmen sind die Veröffentlichungen zur Modalität und zu David Lewis von Uwe Meixner (2006a, 2008), dessen wichtigster systematischer Beitrag The Theory of Ontic Modalities (2006b) jedoch auch in englischer Sprache erschienen ist.
1.2 Kripke als „Sokrates unserer Zeit“ | 3
vor dies geschieht, lege ich zunächst dar, was unter dem modalmetaphysischen Deflationismus genau zu verstehen ist und wie sich dieser auf der modalmetaphysischen Landkarte verorten lässt (vgl. Kap. 4.2 bis 4.4). Es wird schließlich deutlich, warum sich die ausgiebige Beschäftigung mit den Anmerkungen und Andeutungen Saul Kripkes zu Möglichkeit und Notwendigkeit lohnt. Die auf seiner Philosophie basierende und im Laufe dieses Buches zu entwickelnde Position zum ontologischen Status von möglichen Welten entlarvt nämlich einige Scheinprobleme der gegenwärtigen analytischen Metaphysik, und stellt alleine daher einen gewichtigen Beitrag zur gegenwärtigen Debatte dar. Warum der von mir als modalmetaphysische Deflationismus bezeichnete Ansatz jedoch nicht genau dem entspricht, was Kripke selbst zum Thema beiträgt, hängt vor allem damit zusammen, dass Kripke Theorien und Systematisierungen grundsätzlich ablehnend gegenübersteht. Um dies zu verstehen, ist es wichtig, im Folgenden seine Arbeitsweise genauer zu betrachten.
1.2 Kripke als „Sokrates unserer Zeit“ Saul Kripke gehört zu den bedeutendsten Philosophen der Gegenwart. Mit seinen Arbeiten zur Sprachphilosophie, Erkenntnistheorie, Metaphysik und Logik hat er nicht nur zahlreiche Debatten geprägt, sondern philosophische Teildisziplinen geradezu revolutioniert, wofür ihm 2001 der Schock-Preis (der sogenannte Nobelpreis der Philosophie) verliehen wurde. Uwe Voigt bezeichnet Kripke in seinem Nachwort zur deutschen Ausgabe der Philosophical Troubles treffend als „Sokrates unserer Zeit“ (Voigt 2017, S. 337), um seine eigenwillige philosophische Methodik und seinen besonderen Status innerhalb der gegenwärtigen Philosophie zu unterstreichen: Wie jener [= Sokrates, S. Krebs], so tritt auch Kripke als ein Denker auf, der die einflussreichen Theorien seiner Epoche grundsätzlich erst einmal in Zweifel zieht. Gegen jene häufig eindrucksvoll ausgebauten, von angesehenen Kollegen vertretenen Theorien richten sich dabei häufig einfach anmutende Fragen, die ausgehend von vertrautem Sprachgebrauch, dabei durchaus aber auch mit Sachbezug, auf dem Hintergrund einer unerbittlichen Logik zu oft unerwarteten Problemen führen. Dies dient jeweils nicht dem Zweck, die solchermaßen in die Krise gestürzten Ansichten durch einen eigenen großartigen Entwurf zu ersetzen. Vielmehr geht es in erster Linie darum, akute Probleme (Aporien in der sokratischplatonischen Redeweise, troubles gemäß Kripke) als solche zu erkennen, anzuerkennen und wenn nötig als solche zunächst einmal bestehen zu lassen. (Voigt 2017, S. 337, Hervorh. im Orig.)
Eine weitere Gemeinsamkeit mit Sokrates besteht darin, dass Kripke sich vor allem mündlich äußert. Seine wichtigsten Werke (unter anderem Naming and Ne-
4 | 1 Einleitung
cessity und Reference and Existence) basieren auf frei gehaltenen Vorträgen, die in den letzten Jahrzehnten aufgezeichnet, transkribiert und – von nachträglich hinzugefügten Fußnoten und Anmerkungen abgesehen – größtenteils unverändert in Buchform publiziert worden sind. Diese Arbeits- und Publikationsweise dürfte in der gegenwärtigen Philosophie einmalig sein. Sie bringt für die Kripke-Forschung jedoch den großen Nachteil mit sich, dass ein Großteil seiner Arbeiten noch nicht veröffentlicht worden ist. Seit 2007 widmet sich das Saul-Kripke-Center an der City University of New York seinem Werk mit dem Ziel, möglichst viele noch unveröffentlichte Vorträge in den nächsten Jahren zu publizieren – wobei dies aufgrund der schieren Menge an teilweise nur auf Tonbandkassetten gespeicherten Vorträgen eine mühevolle Detailarbeit darstellt. In meinem Forschungsjahr am Kripke-Center habe ich einige Vortragsmitschriften und Notizen sichten können, die sich mit Kripkes Konzept der möglichen Welten auseinandersetzen. Interessant für dieses Buch wäre vor allem die Seminarreihe „Modal Logic und Possible Worlds“, die Kripke gemeinsam mit David Lewis im akademischen Jahr 1979-80 an der Princeton University unterrichtet hat, die unter anderem Klarheit in Kripkes teilweise ungenaue Lewis-Rezeption (vgl. Kap. 3.5.3) bringen könnte. Jedoch ist diese bisher noch nicht transkribiert worden und bleibt daher auf absehbare Zeit unveröffentlicht. Wenngleich ich in diesem Buch selbstverständlich nicht aus unveröffentlichtem Material zitiere, ist es nach einer intensiven Recherchearbeit am KripkeArchiv durchaus nicht zu viel gesagt, dass sich das Bild dessen, was Kripke zu Möglichkeit und Notwendigkeit zu sagen hat, sich auch unter Einbezug des unveröffentlichten Materials nicht wesentlich verändern würde. Eine elaborierte Position zur modalen Metaphysik oder eine systematische Zusammenfassung der gegenwärtigen Debatte wird es von Kripke selbst – wie bereits in Kap. 1.1 gesagt – nicht geben. Dies hängt insbesondere mit zwei wesentlichen Aspekten seines in dem obigen Zitat von Uwe Voigt durchklingenden Philosophieverständnisses zusammen, die ich im Folgenden kurz erläutere, um gleichzeitig die Schwierigkeiten zu beschreiben, denen sich jede systematische Arbeit zu Kripke– und damit auch die hier vorliegende – gegenüber sieht. Die erste Besonderheit besteht darin, dass Kripke grundsätzlich skeptisch gegenüber philosophischen Theorien eingestellt ist und es sich daher streng exegetisch verbieten würde, eine systematische Position aus seinen Anmerkungen zu Möglichkeit und Notwendigkeit zu entwickeln. Dies wird etwa deutlich, wenn er in Bezug auf die Clustertheorie sprachlicher Referenz (vgl. Kap. 2.5.1) schreibt: It really is a nice theory. The only defect I think it has is probably common to all philosophical theories. It’s wrong. You may suspect me of proposing another theory in its place; but I hope not, because I’m sure it’s wrong too if it is a theory. (Kripke 1980, S. 64)
1.2 Kripke als „Sokrates unserer Zeit“ | 5
Wenig später in Naming and Necessity greift er genau diese von ihm zuvor geäußerte Ablehnung philosophischer Theorien wie folgt auf: I think I said the other time that philosophical theories are in danger of being false, and so I wasn’t going to present an alternative theory. Have I just done so? Well, in a way; but my characterization has been far less specific than a real set of necessary and sufficient conditions for reference would be. (Kripke 1980, S. 93)
Während diese beiden Aussagen zwar lediglich die sprachphilosophische Frage nach der Referenz von Eigennamen und Gattungsbegriffen betreffen (vgl. Kap. 2.5), zieht sich Kripkes hier zum Ausdruck gebrachte Theorieskepsis wie ein roter Faden durch sein gesamtes Werk. Fitch beschreibt Kripkes Philosophie entsprechend wie folgt: Kripke cannot be said to be a system-building philosopher like Kant. His approach to philosophy seems to be to find a puzzle or problem to unravel and then follow the unravelled trail to wherever it leads. (Fitch 2004, S. xiii)
Diese Grundproblematik einer jeden Arbeit, die sich systematisch mit Kripke beschäftigt, umgehe ich dadurch, dass ich seinen unravelled trails so lange folge, bis ich an einer umfassenden modalmetaphysischen Position angelangt bin – wissend, dass Kripke selbst den Weg dorthin aufgrund seiner Theorieskepsis nicht mitgehen würde. Doch wie bereits in Kap. 1.1 deutlich gemacht, ist das Ziel dieses Buches ein systematisches und kein exegetisches, sodass ich mich nicht in Detailfragen der Kripke-Interpretation verlieren muss, sondern fokussiert seinem Konzept der möglichen Welten im Kontext der gegenwärtigen Debatte um deren ontologischen Status nachgehe und daraus einen eigenständigen Forschungsbeitrag entwickle. Eine zweite Besonderheit in Kripkes Philosophie besteht darin, dass er zwar – wie Uwe Voigt darlegt – „die einflussreichen Theorien seiner Epoche [. . . ] in Zweifel zieht“ (Voigt 2017, S. 337), seine Zuschreibungen einzelner Autoren zu diesen Theorien jedoch häufig historisch ungenau sind. Dies betrifft sowohl seine Rezeption von Frege und Russell im Zuge der sprachphilosophischen Debatte um Referenz als auch seine Rezeption von David Lewis’ modalem Realismus und David Kaplans Jules-Verne-o-skop .Unabhängig davon, dass Kripkes Kritik an einzelnen Positionen zumeist sehr klug formuliert ist, sollte man sich bewusst sein, dass es sich bei Kripkes Rekonstruktion einzelner Positionen häufig um Strohmannpositionen handelt, die von den genannten Autoren nur bedingt vertreten werden, worauf ich in den betreffenden Abschnitten jeweils im Einzelnen hinweise. Es ist jedoch müßig darüber zu spekulieren, ob diese historischen Ungenauigkeiten der
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spontanen Vortragssituation geschuldet sind oder als gezieltes argumentatives Manöver verstanden werden müssen. Für den philosophischen Gehalt seiner eigenen Argumentation ist diese Frage ohnehin unerheblich, wenngleich sich eine Arbeit zu Kripkes Philosophie dieser Eigenart durchaus bewusst werden muss. Wieder kann hier jedoch nur betont werden, dass das Ziel dieses Buches systematisch und nicht historisch-exegetisch ist, sodass wie über Kripkes grundsätzliche Theorieskepsis im Folgenden auch über Kripkes historische Ungenauigkeiten hinweggesehen werden kann und ich diese in relevanten Fällen gesondert diskutiere.
1.3 Begriffliche und methodische Anmerkungen Bevor ich im zweiten Kapitel einen ausführlichen Überblick über die historischen und konzeptionellen Hintergründe der Modallogik leiste, folgen an dieser Stelle kurz einige wichtige methodische Anmerkungen, die sich auf mein Vorgehen innerhalb des vorliegenden Buches beziehen. Dazu gehört eine kurze Definition dessen, was ich überhaupt unter modaler Metaphysik verstehe, sowie Bemerkungen zur Notation und nicht zuletzt eine wichtige methodische Beschränkung, die sich durch die Fokussierung auf die Modallogik in der analytischen Philosophie ab Mitte des 20. Jahrhunderts ergibt. Häufig verwende ich die Bezeichnungen „Modale Metaphysik“ beziehungsweise „Metaphysik der Modalität“, und als Adjektiv auch „modalmetaphysisch“ – letzteres insbesondere in der Benennung der von mir dargelegten Position des modalmetaphysischen Deflationismus. Unter der modalen Metaphysik verstehe ich denjenigen Teilbereich der philosophischen Disziplin der Metaphysik, der sich mit Fragen zur Modalität beschäftigt. Modalität kann dabei für einen Großteil meiner Argumentation als alethische Modalität, das heißt als Überbegriff für Möglichkeit, Notwendigkeit und Kontingenz, verstanden werden, wobei ich in Kap. 2.2 und vor allem in Kap. 5.3 kurz auf nicht-alethische Modalitäten zu sprechen komme. Dabei lege ich den Metaphysikbegriff zugrunde, der in der gegenwärtigen Debatte der analytischen Philosophie der vorherrschende ist. Metaphysik ist demnach die philosophische Disziplin, die sich mit Fragen nach Existenz, Sein und Wirklichkeit beschäftigt, oder um es aus dem Vorwort der einflussreichen Einführung von Michael Loux zu zitieren: I have chosen to follow a very old tradition (one that can be traced back to Aristotle) that interprets metaphysics as the attempt to provide an account of being qua being. On this conception, metaphysics is the most general of all the disciplines; its aim is to identify the nature and structure of all that there is. (Loux 2006, S. x, Hevorh. im Orig.)
1.3 Begriffliche und methodische Anmerkungen | 7
Die Metaphysik (oder auch: die Ontologie²) der Modalität fragt also nach dem Sein von Möglichkeit und Notwendigkeit– und eine modalmetaphysische Position (oder Theorie) ist eine Position (oder Theorie), die eine Antwort auf die Frage nach dem Sein von Möglichkeit und Notwendigkeit gibt. Entsprechend verstehe ich den modalmetaphysischen Deflationismus als eine deflationäre Position in der Disziplin der modalen Metaphysik. Was ich genau unter „deflationär“ beziehungsweise „Deflationismus“ verstehe, lege ich in Kap. 4.2 ausführlich dar. Die von mir verwendete Notation für logische Formeln ergibt sich aus meinen Erklärungen im zweiten Kapitel dieses Buches. Ich folge dabei den Konventionen gängiger Einführungsbücher, etwa von Fitting und Mendelsohn (1998). Anführungszeichen verwende ich gemäß der Quine’schen Unterscheidung von use und mention (vgl. Quine 1940, S. 23–26) immer dann, wenn ich einen Begriff erwähne, aber nicht gebrauche: – Angela Merkel ist deutsche Bundeskanzlerin. – „Angela Merkel“ hat 12 Buchstaben. – „Angela Merkel“ ist der Eigenname von Angela Merkel. Außerdem verwende ich Anführungszeichen bei wörtlichen Zitaten im Text sowie bei der Nennung von Aufsatztiteln. Buchtitel werden dagegen kursiviert, genauso fremdsprachige Begriffe (Latein, Griechisch oder Englisch), logische Formeln und – in wichtigen Punkten – einzelne unscheinbare Wörter, die man jedoch nicht überlesen sollte. Nicht nur mein hier zugrunde gelegtes Metaphysikverständnis und die von mir verwendete Notation folgen den Konventionen der gegenwärtigen Debatte in der analytischen Philosophie. So wie in dieser Debatte üblich verengt sich meine zentrale Forschungsfrage nach dem ontologischen Status von möglichen Welten durch eine wichtige methodische Einschränkung: Ich konzentriere mich in meiner Untersuchung lediglich auf das Verständnis von möglichen Welten, wie es in der analytischen Philosophie seit Ende der 1950er Jahre auf Grundlage der Fortschritte in der formalen Modallogik vorherrscht (vgl. Kap. 2.3). Selbstverständlich gibt es sehr reiche Modalkalküle und philosophische Debatten zur Modalität bereits in der Antike (z. B. bei Aristoteles), im Mittelalter (z. B. bei Comenius), in der Neuzeit (vor allem bei Leibniz) und im 19. Jahrhundert (z. B. bei Peirce). Es ist allerdings unklar, ob und inwieweit man frühere Logiken für die gegenwärtigen Debatten überhaupt nutzbar machen kann – gleichzeitig ist eine solche Nutzbarmachung ein spannendes und gegenwärtig nicht wenig bearbei-
2 Ich unterscheide – wie ebenfalls in der analytischen Philosophie weit verbreitet – nicht zwischen diesen beiden Disziplinen.
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tetes Projekt im Bereich der Geschichte der Philosophie, Logik und Mathematik. Für das Ziel dieses Buches stehen diese historischen Positionen jedoch so sehr außerhalb der gegenwärtigen Debatte, dass eine Integration sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich erscheint. Ich setze daher – bewusst geschichtsignorant – den Beginn der klassischen Logik mit Gottlob Frege, Alfred Whitehead und Bertrand Russell fest. Diese Beschränkung bedeutet vor allem, dass ich mit der Theorie von Leibniz den wichtigsten Ansatz einer Metaphysik möglicher Welten in der Geschichte der Philosophie bewusst ignoriere. Dies geht einher mit den Aussagen von Kripke und David Lewis, die sich zwar dessen bewusst sind, dass Leibniz’ Theorie gewisse Ähnlichkeiten mit Lewis’ modalem Realismus aufweist (vgl. Meixner 2006b, S. 35–36), ihre Ansätze jedoch vollkommen unabhängig von Leibniz formuliert haben. Daher schließe ich mich der gegenwärtigen analytischen Philosophie an und lasse bis auf einige Randbemerkungen den Ansatz von Leibniz, dessen Philosophie der Modalität Untersuchungsgegenstand einer eigenständigen Forschungsarbeit sein müsste, außer Acht. Im Vorwort zu On the Plurality of Worlds schreibt David Lewis dazu: It may come as a surprise that this book on possible worlds [. . . ] contains no discussion of the views of Leibniz. Is it that I consider him unworthy of serious attention? – Not at all. But [. . . ] it is no easy matter to know what his views were. [. . . ] Anything I might say about Leibniz would be amateurish, undeserving of others’ attention, and better left unsaid. (D. K. Lewis 1986a, S. viii)
Ergänzend dazu schreibt Kripke in Naming and Necessity: Many have pointed out to me that the father of counterpart theory is probably Leibnitz [sic!]³. I will not go into such a historical question here. (Kripke 1980, S. 45)
Auch komme ich nur an wenigen Stellen, in denen es mir für meine Argumentation besonders relevant erscheint, auf den aristotelischen Hintergrund der gegenwärtigen Debatte und meiner eigenen Position zu sprechen. Beispielsweise müsste Aristoteles’ Akt-Potenz-Theorie durchaus eine ausführliche Würdigung als historisches Fundament der ontologischen Frage nach realen Modalitäten (das heißt in der Debatte zwischen Aktualismus und Possibilismus, vgl. Kap. 3.1.3) verdienen, was ein anonymer Gutachter vollkommen zurecht angemerkt hat. Dennoch verweise ich stets nur zögerlich auf den aristotelischen Ursprung dessen, was ich
3 Dieser Schreibfehler, der sich beispielsweise auch in Quines Word and Object (1960, S. 247) eingeschlichen hat, ist vielleicht die treffendste Illustration der Unkenntnis des Leibniz’schen Oeuvres innerhalb der analytischen Debatte zur Modalität.
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als Kripkes Metaphysik möglicher Welten herausarbeite: Nicht nur wäre eine historisch angemessene Würdigung der Akt-Potenz-Theorie gewiss ein Buch für sich geworden⁴, sondern sie birgt meines Erachtens auch die Gefahr, als argumentum ad verecundiam missverstanden zu werden. Überspitzt gesagt: Ich vertrete meine an Kripkes Argumentation angelehnte Position des modalmetaphysischen Deflationismus nicht deshalb, weil sie philosophiegeschichtlich an Aristoteles’ AktPotenz-Theorie erinnert, sondern weil ich sie für überzeugend halte. Selbst was die gegenwärtige Debatte um den ontologischen Status von möglichen Welten betrifft, beansprucht dieses Buch keine historische, sondern lediglich systematische Vollständigkeit. Dies bedeutet vor allem, dass ich nicht auf die einzelnen Nuancen verschiedener Positionen in ihrer chronologischen Abfolge ausführlich eingehe. Ich habe mich stattdessen in meiner Übersicht zur gegenwärtigen Debatte (vgl. Kap. 3.5) vor allem auf Ansätze beschränkt, in deren Kontrast oder Fortentwicklung sich der modalmetaphysische Deflationismus später als eigenständige Position besonders gut herausarbeiten lässt. Dies bedeutet, dass ich vor allem den modalen Realismus von David Lewis ausführlich vorstelle und kritisiere, und später die Ansätze von Meinong, Kaplan sowie den Realismus in Bezug auf unmögliche Welten nur kurz umreiße; ebenso fasse ich die im Detail durchaus verschiedenen Positionen etwa von Robert Stalnaker, Alvin Plantinga und Peter van Inwagen als aktualistischen Ersatzismus zusammen, um in dessen Darstellung und Kritik prägnant dem Forschungsziel dieses Buches zuarbeiten zu können. Die historischen Unterschiede in speziellen Fragen unterschlage ich dabei durchaus bewusst, da es nicht der Anspruch meiner Arbeit ist, die Geschichte der analytischen Philosophie (und schon gar nicht der gesamten abendländischen Philosophie) in Bezug auf Möglichkeit und Notwendigkeit nachzuzeichnen. Dasselbe gilt auch für den jüngst sehr einflussreichen Nezessitismus von Timothy Williamson, auf den ich in Kap. 3.1.3.2 kurz eingehe, den ich aber – wie ich an entsprechender Stelle begründe – für mein systematisches Ziel der Verteidigung des modalmetaphysischen Deflationismus ausblende. Jedoch entwickle ich in Kap. 3.1 eine Landkarte der modalen Metaphysik, auf der die Bandbreite aller denkbaren Positionen zum ontologischen Status von möglichen Welten erfasst werden kann. Der Anspruch dieses Buches ist es schließlich, eine systematische Vollständigkeit der analytischen Debatte zum ontologischen Status von möglichen Welten zu erarbeiten. Um diese zu erreichen, ist es wichtig, einen grundrissartigen Überblick über die Geschichte der Modallogik sowie einige wichtige Konzepte aus der Philosophie der Modalität und ihre Verbindung zu Fragen der sprachphilosophi-
4 Eine solche Studie hat beispielsweise Sarah Waterlow vorgelegt, vgl. Waterlow 1982.
10 | 1 Einleitung
schen Referenz und des aristotelischen Essentialismus herzustellen. Diesem Ziel widmet sich das nun folgende zweite Kapitel.
2 Was sind mögliche Welten? 2.1 Vorbemerkungen Mögliche Welten sind ein formaler Behelf, um Aussagen in formal-logischen Modalkontexten einen Wahrheitswert zuweisen zu können. Was dies im Einzelnen bedeutet und in welchem breiteren philosophischen Zusammenhang die formale Logik sowie das Konzept der möglichen Welten steht, werde ich in diesem Kapitel zeigen. Dabei werde ich in diesem Kapitel noch keine metaphysische Argumentation leisten, mit deren Hilfe die Frage nach dem ontologischen Status von möglichen Welten beantwortet werden könnte. Stattdessen lege ich das für eine solche Argumentation notwendige mathematisch-logische, sprachphilosophische und begriffliche Fundament, um in den späteren Kapiteln dieses Buches metaphysisch argumentieren zu können. Für eine systematische und historische Einführung in die Modallogik des 20. und 21. Jahrhunderts gibt es sowohl qualitativ als auch quantitativ betrachtet sehr reiche Darstellungen. Explizit verweisen möchte ich dabei auf A New Introduction to Modal Logic (1996) von George Hughes und Max Cresswell¹, First-Order Modal Logic (1998) von Melvin Fitting und Richard Mendelsohn sowie An Introduction to Non-Classical Logic (2008) von Graham Priest, von deren technischer Herangehensweise der hier zu leistende Abriss am meisten beeinflusst ist. Weiter steht dieses Kapitel unter dem Einfluss von Uwe Meixners Schriften zum Thema Modalität (vgl. Meixner 2006b, 2008), den Kripke-Monographien von Gregory Fitch (2004) und John Burgess (2013) sowie einigen Beiträgen des von Alan Berger herausgegebenen Sammelbands Saul Kripke (2011). Es werden hier nur jene Aspekte der Modallogik behandelt, die für eine gezielte Hinführung zur Frage nach dem metaphysischen Status von möglichen Welten und die Systematisierung des modalmetaphysischen Deflationismus erforderlich sind. Ich möchte die dafür nötigen begrifflichen und formalen Grundlagen klären, wozu auch ein kurzer Sprung in die sprachphilosophische Referenztheorie und die Debatte um einen aristotelischen Essentialismus gehört. Ich werde außerdem aufzeigen, vor welchem historischen und formalen Hintergrund mögliche Welten überhaupt als interessantes philosophisches Problem erscheinen, da es für ein Verständnis meiner späteren Argumentation unerlässlich ist, sich zuvor ein möglichst unvoreingenommenes Bild der Ausgangslage zu machen.
1 Außerdem natürlich auf deren inzwischen als Klassiker geltende frühere Einführungen An Introduction to Modal Logic (1972) und A Companion to Modal Logic (1984). https://doi.org/10.1515/9783110652642-002
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Möglichst unvoreingenommen heißt, dass viele technische Einzelheiten meiner Darstellung nicht ganz so unstrittig sind wie sie auf den ersten Blick vielleicht erscheinen und ich beispielsweise in meiner Darstellung von co-reference in der Sprachphilosophie (vgl. Kap. 2.5.3) bereits aufzeige, warum dieses Problem keine Herausforderung für den modalmetaphysischen Deflationismus darstellt. Dennoch dient dieses Kapitel vor allem dazu, die Grundlagen für die im dritten und vierten Kapitel dieses Buches relevanten modalmetaphysischen Fragen aufzuzeigen. Viele der folgenden Ausführungen – insbesondere jene zur Geschichte der Modallogik– gelten daher durchaus als einhellige Forschungsmeinung (sofern es eine solche in der Philosophie überhaupt gibt), sind aber gleichzeitig von großer Wichtigkeit, um die für dieses Buch relevanten philosophischen Streitpunkte überhaupt verdeutlichen zu können. Entsprechend wird in Kap. 2.2 zunächst kurz die Frage beantwortet, was überhaupt unter Modallogik zu verstehen ist, bevor in den weiteren Kapiteln die formalen und historischen Grundlagen der Modallogik (vgl. Kap. 2.3) sowie die in ihr angelegten Verbindungen zur metaphysischen Theorie des aristotelischen Essentialismus (vgl. Kap. 2.4) und zur sprachphilosophischen Referenz von Eigennamen und Gattungsbegriffen (vgl. Kap. 2.5) aufgezeigt werden.
2.2 Was ist unter Modallogik zu verstehen? Die Modallogik ist ein formaler Kalkül, der auf Modaloperatoren aufbaut. Modaloperatoren sind intensional, qualifizieren die Wahrheit von Aussagen und sind nicht wahrheitsfunktional. Historisch und systematisch gesehen ist die wichtigste und geläufigste Form der Qualifizierung von Aussagen die Qualifizierung mit Hilfe von Möglichkeitsund Notwendigkeitsoperatoren. Häufig wird Modallogik daher gleichgesetzt mit der Logik von Notwendigkeit und Möglichkeit. Präziser müsste man diese aber als alethische Modallogik bezeichnen, denn es gibt noch viele weitere Modallogiken: beispielsweise die deontische Logik, in der Aussagen nicht mit den Operatoren „Es ist notwendig, dass . . . “ und „Es ist möglich, dass . . . “ qualifiziert werden, sondern mit den Operatoren „Es ist verpflichtend, dass . . . “ und „Es ist erlaubt, dass . . . “. Auch bei der doxastischen Logik, der epistemischen Logik und vor allem der temporalen Logik handelt es sich (zumindest wenn man sie standardmäßig betrachtet) um Modallogiken– und es haben sich in den letzten Jahrzehnten noch unzählige weitere Modallogiken herausgebildet (vgl. Priest 2008, S. 36–60):
2.2 Was ist unter Modallogik zu verstehen? | 13
Tab. 2.1: Übersicht über verschiedene gängige Modallogiken Alethische Modallogik Es ist möglich, dass der Strafstoß sicher verwandelt wird. Es ist notwendig, dass einem Strafstoß eine regelwidrige Situation vorausgeht. Es ist kontingent, dass Deutschland Fußballweltmeister 2014 ist.
Deontische Modallogik Es ist erlaubt, dass der Torwart sich bei einem Strafstoß auf der Torlinie bewegt. Es ist verpflichtend, dass ein Spieler beim Einwurf das Gesicht dem Spielfeld zuwendet. Es ist verboten, den Ball absichtlich mit der Hand zu spielen.
Temporale Modallogik Für einen zukünftigen Zeitpunkt gilt: Der FC Bayern wird als Rekordmeister abgelöst. Für alle zukünftigen Zeitpunkte gilt: Schiedsrichterentscheidungen sind umstritten.
Epistemische Modallogik Der Schiedsrichter weiß, dass der Stürmer eine Schwalbe begangen hat. Der Trainer glaubt, dass der Schiedsrichter einen Elfmeter übersehen hat.
All diese Logiken funktionieren technisch sehr ähnlich, und Wahrheitsfunktionalität, Modelltheorie, Vollständigkeit und Gültigkeit der Modallogik lassen sich genauso gut etwa anhand der deontischen Logik verdeutlichen. Dies wäre aber äußerst ungewöhnlich, denn die frühe Modallogik² und die aus ihr heraus entstehenden Debatten zur quantifizierten Modallogik haben sich allesamt aus der alethischen Modallogik heraus gebildet. Auch die im Zentrum dieses Buches stehende Frage nach dem ontologischen Status von möglichen Welten ergibt vor allem dann Sinn, wenn sie aus der Perspektive der alethischen Modallogik gestellt wird, da sie inhärent mit der Frage verknüpft ist, wie Möglichkeit und Notwendigkeit philosophisch zu verstehen sind – was auch die gesamte modalmetaphysische Debatte der analytischen Philosophie insofern prägt, als sich ihre einflussreichsten Protagonisten (insbesondere Saul Kripke und David Lewis, vgl. Kap. 3.2, 3.5 und 4) ausschließlich auf die alethische Modallogik beziehen. Während ich im Ausblick zum Ende dieses Bu-
2 Das heißt im Kontext dieses Buches die Modallogik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vgl. Kapitel 1.3.
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ches darauf zurückkomme, wie sich die Frage nach dem ontologischen Status von möglichen Welten verändert, wenn man ihr beispielsweise einen temporalen oder deontischen Modalkalkül zu Grunde legt (vgl. Kap. 5.3), basiert auch der modalmetaphysische Deflationismus auf der Interpretation möglicher Welten im alethischen Modalkalkül. Daher beschränke ich mich in diesem Kapitel auf die Grundlagen der alethischen Modallogik, zumal die technischen Unterschiede und Besonderheiten anderer modallogischer Kalküle für die in diesem Buch relevanten metaphysischen Fragen keine gewichtige Rolle spielen und im Folgenden vernachlässigt werden können.³
2.3 Grundlagen der Modallogik 2.3.1 Die strikte Notwendigkeit bei Clarence Irving Lewis Der für dieses Buch relevante historische Anfangspunkt ist bei Clarence Irving Lewis zu finden. Dieser begründete 1918 das erste axiomatische System eines modalen Kalküls, nachdem er sich kritisch mit den Principia Mathematica (1910, 1912, 1913) von Alfred Whitehead und Bertrand Russell auseinandergesetzt hatte. Whitehead und Russell entwickelten darin sowohl einen propositionalen Kalkül (Aussagenkalkül) als auch einen funktionalen Kalkül (Prädikaten- oder Quantorenkalkül). Sie verfolgten, ähnlich wie bereits Gottlob Frege, das Ziel, mathematische Arithmetik auf logische Axiome und Schlussregeln zurückzuführen. Von den Propositionalfunktionen der Principia Mathematica sah C. I. Lewis jedoch eine als problematisch an: die materiale Implikation P ⊃ Q, von Whitehead und Russell definiert als ¬P ∨ Q mit den folgenden Wahrheitswerten: Tab. 2.2: Wahrheitstabelle der materialen Implikation, definiert nach Whitehead und B. Russell 1910, 1912, 1913. P
Q
P⊃Q
0 0 1 1
0 1 0 1
1 1 0 1
3 Ein grober Überblick zur deontischen und temporalen Modallogik findet sich in Kap. 5.3.
2.3 Grundlagen der Modallogik | 15
Diese Definition der materialen Implikation ist bis heute aus gutem Grund Standard in der Aussagen- und Prädikatenlogik. Nicht wenigen erscheint diese Wahrheitstabelle allerdings implausibel, wenn sie das erste Mal mit ihr in Berührung kommen – zumeist aus einer Intuition heraus, die bereits der Megariker Diodoros Kronos teilte, als er die Lesart des Konditionals bei Philon von Megara (die in etwa der materialen Implikation bei Russell und Whitehead entspricht) in Zweifel stellte: A conditional holds in the Diodorean sense if and only if it holds at all times in the Philonean sense. (Mates 1961, S. 45, Hervorh. im Orig.)
Entsprechend zeigen Fitting und Mendelsohn auf, wie C. I. Lewis ähnlich wie Diodoros die Paradoxien der materialen Implikation zu umgehen versuchte: As with Diodorus, Lewis found the material condition wanting as a formalization of If p, then q, especially insofar as it entailed the so-called Paradoxes of Material Conditional. These are, first, that a false statement (materially) implies anything, i.e., ¬P ⊃ (P ⊃ Q), and, second, that a true statement is (materially) implied by anything, i.e., Q ⊃ (P ⊃ Q). Lewis sought to tighten up the connection between antecedent and consequent, and he introduced a new connective, symbolized by J (known as the „the fishhook“). (Fitting und Mendelsohn 1998, S. 41, Hervorh. im Orig.)
In der Notation von C. I. Lewis steht P J Q für „P impliziert strikt Q“, was er wie folgt definierte: „Die Konjunktion von P und ¬Q ist nicht möglich“ (vgl. C. I. Lewis 1918, S. 293). Darauf wiederum gründet sich der durch das Symbol ⋄. . . dargestellte modale Operator „Es ist möglich, dass . . . “. „Es ist notwendig, dass . . . “ umschrieb Lewis mit „Es ist nicht möglich, dass nicht . . . “, also mit ¬⋄¬. . . Notwendigkeit ist demnach die Unmöglichkeit des Gegenteils und im Umkehrschluss kann Möglichkeit als die Nichtnotwendigkeit des Gegenteils definiert werden, etwa bei Ruth Barcan Marcus, die später für die Notwendigkeit den Operator ◻. . . einführte: ⋄A =df ¬◻¬A (vgl. Barcan Marcus 1946, S. 12).⁴ Entsprechend definiert sich die strikte Implikation bei C. I. Lewis formal wie folgt: P J Q =df ◻(P ⊃ Q)
4 Die Äquivalenz von Möglichkeit und Nichtnotwendigkeit des Gegenteils entspricht weitestgehend den Folgebeziehungen modaler Ausdrücke bei Aristoteles, vgl. Aristoteles 2015, De Int. 12 u. 13.
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Dies wiederum ist äquivalent zu ¬⋄(P ∧ ¬Q), also der Aussage, dass die Konjunktion von P und ¬Q nicht möglich sei.⁵ Dass das Konzept der Modalität plötzlich die von Whitehead und Russell eingeführte klassische Prädikatenlogik ergänzte, geht also auf die Intuition von C. I. Lewis zurück, die Implikation im klassischen Kalkül sei unzureichend definiert. Indem er über den Umweg der strikten Notwendigkeit einen Operator für die Möglichkeit in die Logik einführte, ermöglichte er es, Modallogik „back into the mainstream of logic“ (Fitting und Mendelsohn 1998, S. 41) zu bringen.
2.3.2 Die axiomatischen Systeme K, T, B, S4 und S5 Auf Basis dieser strikten Implikation entwickelte C. I. Lewis gemeinsam mit Cooper Langford in Symbolic Logic (1959) fünf verschiedene axiomatische Modalsysteme S1 bis S5, wovon heute vor allem S4 und S5 noch größere Bedeutung haben. Jedoch schreibt Fitch vollkommen zu Recht: Lewis was not alone in considering various logical systems of possibility and necessity, resulting in a myriad of formal deductive modal systems. (Fitch 2004, S. 4)
Von dieser Myriade an Systemen haben sich heute einige wenige als besonders wichtig herausgestellt und nur die für dieses Buch relevanten Systeme finden in der folgenden Übersicht Platz.⁶ Sie basieren alle auf der basalen Nezessierungsschlussregel N: (N) Wenn α ein Theorem ist, dann ist ◻α ebenfalls ein Theorem Hinzu kommen, abhängig vom jeweiligen System, unterschiedliche Axiome in unterschiedlicher Kombination. Die vier wichtigsten Axiome sind: (A0) ◻(A ⊃ B) ⊃ (◻A ⊃ ◻B) (A1) ◻A ⊃ A (A2) ◻A ⊃ ◻◻A (A3) A ⊃ ◻¬◻¬A Das grundlegendste Modalsystem, welches nur auf (N) und (A0) aufbaut, heißt K, benannt nach Kripke. Die weiteren heute gebräuchlichen Systeme T, S4, B und S5 5 C. I. Lewis’ äußerst komplexe Notation kann hier nur verkürzt dargestellt werden. Ich folge dabei unter anderem Fitting und Mendelsohn 1998, S. 41–42. 6 Im Weiteren beziehe ich mich vor allem auf die Darstellung in Burgess 2011, S. 122. Für eine sicher nicht vollständige, aber zumindest sehr umfassende Übersicht verschiedener Modalsysteme, vgl. G. E. Hughes und Cresswell 1996.
2.3 Grundlagen der Modallogik | 17
basieren allesamt auf K und ergänzen es um eine jeweilige Kombination aus den oben genannten Axiomen: T: (A1) S4: (A1), (A2) B: (A1), (A3) S5: (A1), (A2), (A3) Angesichts dieser Myriade an unterschiedlichen Modalsystemen hat sich bereits in den 1960er Jahren eine bis heute andauernde Debatte darüber entwickelt, welches System denn Notwendigkeit adäquat abbildet (vgl. Meixner 2008, S. 26–70). Jedoch stellt diese ‚verwirrende Vielfalt‘ an Systemen nicht grundsätzlich die Berechtigung modaler Kalküle in Frage. Nur weil er für verschiedene Aufgaben verschiedene Werkzeuge gebraucht, ist ein Modallogiker kein schlechter Handwerker. Im Gegenteil garantieren die unterschiedlichen Systeme sogar eine Flexibilität hinsichtlich dessen, was Modaloperatoren leisten können. Weiter handelt es sich nicht um Myriaden völlig unterschiedlicher Systeme, sondern praktisch alle gängigen Systeme bauen auf K auf und unterscheiden sich nur anhand weniger Axiome. Es sind daher nicht verschiedene Werkzeuge, sondern faktisch dasselbe Werkzeug, das je nach Bedarf durch Aufsätze erweitert werden und damit unterschiedliche Funktionen erfüllen kann. Die formalen Anforderungen an ein System sind Vollständigkeit und Gültigkeit. Gültig (sound) ist ein logisches System dann, wenn alle seine demonstrierbaren Formeln valide sind. Vollständig (complete) ist es, wenn umgekehrt alle validen Formeln demonstrierbar sind (vgl. Burgess 2011, S. 121–126). Dass dies sowohl für das Grundsystem K als auch für S1 bis S5 zutrifft, hat Kripke in seinen frühen Schriften bewiesen (vgl. Kripke 1959), auch die mathematischen Beweise für die anderen gebräuchlichen Systeme sind allgemein anerkannt.⁷
2.3.3 Wahrheitsfunktionalität und Kripke-Modelle Ein erstes Problem für die sich ab den 1930er Jahren ausbreitende Modallogik war ihre fehlende Wahrheitsfunktionalität und daraus resultierend die Frage, was Wahr- und Falschheit im modalen Kontext überhaupt bedeuten und wovon diese abhängen. Das Problem ist formaler Natur und bereitet das mathematischlogische Fundament der für dieses Buch zentralen modelltheoretischen Semantik. Es wird von Fitch folgendermaßen beschrieben: 7 Für die Beweisführung vgl. etwa G. E. Hughes und Cresswell 1996; Fitting und Mendelsohn 1998.
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Unlike negation, for example, the truth of a sentence formed using these [modal, S. Krebs] operators is not always determined by the truth-value of the sub-sentence. „It is not the case that snow is white“ is true provided it is not true that snow is white. However, the truth of the claim that it is necessary that snow is white is not determined by the truth of the claim that snow is white. Similarly it may be true that it is possible that snow is blue even though it is false that snow is blue. The truth and falsity of modal claims seem to depend on items other than the simple facts of the world. (Fitch 2004, S. 3)
Anders ausgedrückt: Obwohl C. I. Lewis die axiomatische Modallogik begründete, blieb unklar, was Wahrheit und Falschheit in seinem Kalkül überhaupt bedeuten und wie einer Modalaussage ein Wahrheitswert zugeordnet werden kann. Es gab in den 1950er und 60er Jahren verschiedene Ansätze, um die Wahrheitsfunktionalität der Modallogik zu erklären, vor allem von Hintikka (1969), aber unter anderem auch schon von Carnap (1946, 1947) und Prior (1955, 1956). Die heute einflussreichste Erklärung der Wahrheitsfunktionalität von Modallogik ist jedoch das sogenannte Kripke-Modell, das teilweise auf Carnaps und Priors Versuchen aufbaut und im grundsätzlichen Ansatz den Hintikka-Mengen sehr ähnlich ist.⁸ Kripkes Modelltheorie (vgl. Kripke 1962, 1963a,b, 1965) ist bis heute das Standardmodell für die Semantik der alethischen Modallogik und verwandte Kalküle, etwa doxastische oder deontische Modallogik. Bei einem logischen Modell geht es, vereinfacht gesagt, um einen Erklärungsrahmen für Wahrheit. Es definiert also, wann eine Formel in einem Kalkül als wahr gilt und bildet damit „the bridge connecting the formal language with its interpretation“ (Chang und Keisler 1973, S. 1). Was es bedeutet, Modalität durch formale Operatoren auszudrücken, beschreibt Kripke mit dem Begriff der möglichen Welten und einer ihnen zugehörigen Modellstruktur.⁹ Diese Modellstruktur umfasst die aktuale Welt G, eine Menge möglicher Welten K und die Relation zwischen den Welten R. Formal wird sie als 3-Tupel < G, K, R > dargestellt, wobei G ein Element von K ist. Das eigentliche Modell besteht in der Erklärung, wie sich Modalaussagen innerhalb dieser Struktur verhalten: Der Wahrheitswert einer modallogischen Formel wird im Kripke-Modell relativ zu einer möglichen Welt H bestimmt, die ebenfalls Element von K ist und daher in Beziehung zu anderen möglichen Welten dieser Menge, einschließlich der aktualen Welt G, steht. Dieses Modell ermöglicht eine Semantik für modallogische Kalküle. Die unterschiedlichen modallogischen Systeme (vgl. 2.3.2) geben
8 Für einen historischen Überblick vgl. Copeland 1996, S. 8–25, 2002. 9 Vgl. im Folgenden Burgess 2011, 2013, S. 143–156; Fitting und Mendelsohn 1998, S. 11–14; Priest 2008, S. 20–57 .
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dabei vor, inwiefern andere Welten von einer Welt aus zugänglich sind. Anschaulich lässt sich dies am besten als galaktisches Reisen¹⁰ beschreiben, wobei man je nach modallogischem System einen anderen Typ von ‚Flugticket‘ erhält, um von einer Welt in die andere zu kommen. Von diesen Flugtickets wiederum hängt es ab, ob ein modaler Beweis innerhalb eines Systems gültig ist. Für dieses Buch wichtig festzuhalten ist, dass mögliche Welten in der Modallogik deshalb eine zentrale Rolle einnehmen, weil sie Wahr- und Falschheit einer modalen Aussage erklären. Ohne das eben skizzierte Modell und den daraus entspringenden Begriff der möglichen Welten wäre Modallogik im heutigen Sinn kaum vorstellbar. Wahrheit im Modalkontext bedeutet daher immer Wahrheit in Bezug auf eine Welt, sei es die aktuale Welt oder eine (andere) mögliche Welt. Auf diesem formalen Hintergrund basiert auch die inzwischen zum Standard gewordene Definition der Begriffe „Möglichkeit“, „Notwendigkeit“ und „Kontingenz“: Möglichkeit: Es ist möglich, dass P, ist genau dann wahr, wenn in einer zugänglichen möglichen Welt P. Notwendigkeit: Es ist notwendig, dass P, ist genau dann wahr, wenn in jeder zugänglichen möglichen Welt P. Kontingenz: Es ist kontingent, dass P, ist genau dann wahr, wenn in einer zugänglichen möglichen Welt P und in einer anderen zugänglichen möglichen Welt Nicht-P.¹¹ Wie gezeigt, sind mögliche Welten lediglich formale Konstruktionen – oder auch schlicht Erklärungsindizes für Wahrheit in nicht-wahrheitsfunktionalen Kalkülen. Dennoch entwickelte sich mit der Etablierung dieses Begriffs durch Saul Kripke (oder – je nach Sichtweise – auch der Revolution eines alten Leibniz’schen Begriffs) eine lebhafte metaphysische Debatte um den ontologischen Status dieser möglichen Welten, insbesondere zwischen Kripke und David Lewis. Eine Analyse und Fortentwicklung dieser Debatte ist das Herzstück meiner Arbeit und wird ab dem dritten Kapitel ausführlich behandelt.
10 Für diese Metapher vgl. Gensler 2010, S. 248–251. 11 Diese Definition ist inzwischen sogar Teil vieler nicht-formal orientierter Einführungen in die Philosophie geworden, siehe etwa Tetens 2010, S. 97. Präziser müssten diese Definitionen noch um den Hinweis ergänzt werden, dass Aussagen stets nur relativ zu einer Welt wahr sind – was jedoch gerade in weniger technisch orientierten Werken (und dazu zähle ich dieses Buch) häufig nur mitgedacht wird, um die Definitionen nicht zu verkomplizieren. Eine präzisere Definition für Möglichkeit wäre demnach: „Es ist möglich, dass P, ist in einer Welt w genau dann wahr, wenn in einer von w aus zugänglichen Welt w’ P“. Für Notwendigkeit und Kontingenz lauten die präziseren Definitionen analog dazu.
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Um diese metaphysische Debatte verstehen zu können, ist es jedoch wichtig, auf zwei weitere philosophische Hintergründe einzugehen, die ich in den nächsten beiden Abschnitten erläutern werde: Erstens der mit einer (alethischen) Modallogik einhergehende aristotelische Essentialismus und zweitens die enge Verbindung zwischen Referenz und Modallogik, die zeigt, warum Modaloperatoren als intensional aufgefasst werden müssen. Zum Zusammenhang zwischen Modallogik und Essentialismus sei im Folgenden die berühmte Quine’sche Kritik an quantifizierter Modallogik in Erinnerung gerufen.
2.4 Modallogik und metaphysischer Essentialismus 2.4.1 Quines Zweifel an der (quantifizierten) Modallogik Im Zuge der Entwicklung der modallogischen Systeme ab den 1930er Jahren gab es einige Zweifel am Projekt einer philosophischen Modallogik. Allen voran ist hier Willard Van Orman Quine zu nennen, der die philosophische Debatte im angloamerikanischen Raum spätestens ab den 1950er Jahren mit seinem positivistischempiristischen Pragmatismus dominierte (vgl. Hägler 1994, S. 12–13). Vor allem warnte Quine vor dem „metaphysical jungle of Aristotelian essentialism“ (Quine 1966b, S. 174), der mit der Etablierung der Modallogik in der Philosophie einherzugehen scheine, aber gänzlich im Gegensatz zu Quines eigener Metaphysikskepsis steht. Während Kripke zu Recht festhält, dass Quines Einstellung zur Modallogik „varied through the years from extreme and flat rejection of modality to a more nearly moderate critique“ (2015, S. 1), bleibt dessen grundsätzliche Skepsis gegenüber der Modallogik– insbesondere der quantifizierten Modallogik– doch über sein gesamtes Werk hindurch bestehen. Am deutlichsten wird dies in Quines „Three Grades of Modal Involvement“ (1966), in welchem er drei Stufen beschreibt, wie Modalität in der formalen Logik prinzipiell erfasst werden kann. Um die Quine’sche Skepsis gegenüber der Modallogik und damit auch die von Kripke (2015) dargelegte enge Verknüpfung zwischen Modallogik und Essentialismus verständlich zu machen, werden diese drei Stufen im Folgenden jeweils kurz dargestellt.¹²
12 Die Darstellung beschränkt sich auf drei Stufen von Notwendigkeit, wenngleich das Modell hinter diesen drei Stufen selbstverständlich auch auf Möglichkeit und Kontingenz übertragen werden kann.
2.4 Modallogik und metaphysischer Essentialismus
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2.4.1.1 Notwendigkeit erster Stufe Die Notwendigkeit erster Stufe wird laut Quine gar nicht als formaler Operator in einem eigenen Modalkalkül, sondern stattdessen als ein semantisches Prädikat¹³ realisiert, das über Aussagen ausgedrückt wird: N9>7 . Dies bedeutet so viel wie „Die Aussage ‚9 > 7‘ hat die Eigenschaft, notwendig zu sein“ – oder allgemeiner ausgedrückt: Die Notwendigkeit erster Stufe besteht darin, dass über einen gewöhnlichen Aussagesatz ausgedrückt wird, dass er eine bestimmte Eigenschaft besitzt, nämlich notwendig zu sein. Diese Notwendigkeit durch ein semantisches Prädikat ist für Quine unproblematisch. Es widerstrebt allerdings zutiefst dem Anliegen von C. I. Lewis, Modalität durch einen eigenen Kalkül abzubilden. N9>7 bedarf nämlich lediglich eines propositionalen Kalküls, der genau jenes Problem der materialen Implikation nach sich zieht, welches Lewis an den Principia Mathematica kritisierte, und es unmöglich zu machen scheint, über Modalaussagen zu quantifizieren.¹⁴ Jedoch ist es gerade der Vorzug von Modallogik, dass man – wie Michael-Thomas Liske schreibt – „offene Sätze, die durch einen Operator modalisiert sind, quantifizieren darf, während Zitate, auf die sich das semantische Prädikat bezieht, grundsätzlich nicht quantifizierbar sind. Die Frage also, ob Modallogik sinnvoll ist, steht und fällt damit, ob quantifizierte Modallogik sinnvoll ist“ (Liske 1985, S. 31). Damit sind bereits Quines Notwendigkeit zweiter Stufe und dritter Stufe angedeutet, die nämlich genau darin bestehen, die oben bereits vorgestellten Operatoren „Es ist möglich, dass . . . “ und „Es ist notwendig, dass . . . “ zunächst in einen neuen axiomatischen Kalkül einzuführen und es schließlich ermöglichen sollen, in derartige modale Kontexte hineinzuquantifizieren. 2.4.1.2 Notwendigkeit zweiter Stufe Die Notwendigkeit zweiter Stufe besteht demnach darin, einen eigenständigen modalen Aussagenoperator nach dem Vorbild von C. I. Lewis (1918), C. I. Lewis und Langford (1959) und Barcan Marcus (1946) einzuführen: ◻9>7
13 Ich unterscheide im Folgenden nicht zwischen Attributen, Eigenschaften und Prädikaten: Während in der aristotelischen Tradition zumeist von Attributen (attributes) die Rede ist, spricht die analytische Debatte eher von Eigenschaften (properties, vgl. Matthews 1990, S. 251), wobei diese in formal-logischen Betrachtungen durch Prädikate (predicates) repräsentiert werden, die Gegenständen zugeordnet werden. 14 Die sogenannte Counterpart-Theorie von David Lewis (1968), deren Zweck gerade die Rückführung quantifzierter Modallogik auf einen propositionalen Kalkül darstellt, sei an dieser Stelle noch ausgeblendet und wird in Kapitel 3.2.2 eigens behandelt.
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Im Unterschied zum semantischen Prädikat (das grammatisch dem Adjektiv „notwendig“ entspricht, das als Attribut einem Aussagesatz zugewiesen wird) kann der Modaloperator grammatisch als das Satzadverb „notwendigerweise“ interpretiert werden: „Notwendigerweise ist 9 größer als 7“ (oder: „Es ist notwendig, dass 9 > 7“). Quine argumentiert, dass ein eigenständiger Modaloperator zu einer Verletzung des auch als Leibniz-Gesetz bekannten Prinzips der Ununterscheidbarkeit identischer Dinge führt und sieht dessen Etablierung in der formalen Logik daher zunächst kritisch. Die Hintergründe dieser Kritik werden erst in Kapitel 2.5 näher ausgeführt, da diese eng mit dem Thema Referenz verknüpft sind, welches später eigens untersucht wird. Zumindest in seinen späteren Werken akzeptiert Quine den Modaloperator zweiter Stufe – allerdings nur, weil er auf ein semantisches Prädikat und damit auf Modalität erster Stufe reduzibel sei. „◻ 9 > 7“ bedeutet demnach für Quine auch nichts anderes als Die Aussage ‚9 > 7‘ hat die Eigenschaft, notwendig zu sein.
„Bei iterierten Modaloperatoren bereitet eine solche Reduktion allerdings schon gewisse Schwierigkeiten“, wie Hägler (1994, S. 76) zutreffend bemerkt und an folgendem Beispiel illustriert werden kann: Es ist möglich, dass es notwendig ist, dass es möglich ist, dass 9 größer ist als 7.
„Notwendig“ und „möglich“ hier als Prädikat aufzufassen, führt zur „Quadratur einer Konfusion“ (Hägler 1994, S. 76), nämlich einer Verschachtelung, die formal kaum darzustellen ist: Die Aussage „Die Aussage ‚Die Aussage ‚9 ist größer als 7‘ hat die Eigenschaft, möglich zu sein‘ hat die Eigenschaft, notwendig zu sein“ hat die Eigenschaft, möglich zu sein.
Iterierte Modaloperatoren kommen in Quines Stufenmodell nicht vor, wären jedoch trotz der damit einhergehenden Konfusion zumindest prinzipiell noch auf ein semantisches Prädikat reduzibel. 2.4.1.3 Notwendigkeit dritter Stufe Nicht auf ein semantisches Prädikat reduziert werden kann dagegen die Notwendigkeit dritter Stufe. Diese besteht nämlich darin, den in der zweiten Stufe eingeführten Modaloperator mit Quantorenausdrücken aus der Prädikatenlogik zu verbinden, was Quine scharf kritisiert:
2.4 Modallogik und metaphysischer Essentialismus
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23
[I]f to a referentially opaque [= modal, S. Krebs¹⁵] context of a variable we apply a quantifier, with the intention that it govern that variable from outside the referentially opaque context, then what we commonly end up with is unintended sense or nonsense [. . . ]. In a word, we cannot in general properly quantify into referentially opaque contexts. (Quine 1961a, S. 148, Hervorh. im Orig.)
Um überhaupt zu verdeutlichen, was es heißt, in einen modalen Kontext hinein zu quantifizieren (quantify into), ist es wichtig, zwischen Modalität de re und de dicto zu unterscheiden, hier am Beispiel der Notwendigkeit: – Notwendigkeit de dicto: ◻∃xPx – Notwendigkeit de re: ∃x◻Px Bei der Notwendigkeit de dicto umfasst der Skopus des Modaloperators ◻. . . den ihm nachgestellten Quantorenausdruck ∃xPx. Dabei wird ausgedrückt, dass es notwendig ist, dass (irgend-)einem Gegenstand x ein gewöhnliches Prädikat P zukommt. Notwendigkeit de re bezieht sich dagegen auf einen bestimmten Gegenstand: Der Skopus des Existenzquantors umfasst dabei den Modaloperator, sodass die Notwendigkeit nicht über die Aussage, sondern über den betreffenden Gegenstand ausgedrückt wird. Bei der Notwendigkeit de dicto findet die Quantifikation daher innerhalb des modalen Kontexts statt; nur bei der Notwendigkeit de re wird in einen modalen Kontext hinein quantifiziert. Der Unterschied wird anhand der folgenden Beispiele deutlich: – Notwendigkeit de dicto: Es ist notwendig, dass (irgend-)jemand Rekordnationalspieler ist. – Notwendigkeit de re: Jemand (bestimmtes) ist notwendig Rekordnationalspieler. (Jemand hat die notwendige Eigenschaft, Rekordnationalspieler zu sein.) Modalitäten de dicto, die einen Existenzquantor beinhalten, sind für Quine unproblematisch, da sie analog zur Notwendigkeit zweiter Stufe auf ein semantisches Notwendigkeitsprädikat reduziert werden können: „Die Aussage ‚(Irgend)jemand ist Rekordnationalspieler‘ hat die Eigenschaft, notwendig zu sein“. Dagegen sind Notwendigkeiten de re für Quine problematisch: Sie führen nämlich zu einem aristotelischen Essentialismus, hier schlicht zu verstehen als eine Doktrin, die zwischen notwendigen und kontingenten Eigenschaften eines Gegenstandes unterscheidet (vgl. Kap. 2.4.2).
15 Zum Begriff der referentiellen Opazität, vgl. Kap. 2.5.
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Wer jedoch Modalität de re aus prinzipiellen Gründen ablehnt, wird automatisch auch Modallogik im Allgemeinen ablehnen, wie Quine in „Reference and Modality“ darlegt: [S]o much the worse for quantified modal logic. By implication, so much the worse for unquantified modal logic as well; for, if we do not propose to quantify across the necessity operator, the use of that operator ceases to have any clear advantage over merely quoting a sentence and saying that it is analytic. (Quine 1961b, S. 156)
Tatsächlich lehnte Quine die Modallogik vor allem deshalb ab, weil sie die metaphysische Annahme in die Philosophie zurückzubringen drohte, Gegenstände haben essentielle Eigenschaften. Dass Quine dies regelrecht als Drohkulisse aufbaute, um jede weitere Diskussion über Modallogik überflüssig zu machen, ist bezeichnend für das Mitte des 20. Jahrhunderts vorherrschende empiristischpragmatistische Umfeld der frühen analytischen Philosophie (vgl Hägler 1994, S. 10–11; Rorty 1980). Für einen von metaphysischen Dogmen befreiten Empirismus, wie Quine (1961a) ihn fordert, ist die Außenwelt „nur in Form unserer sprachlichen Beschreibungen und Kennzeichnungen“ (Rapp 1995, S. 48) zugänglich. Die notwendigen (oder essentiellen) Eigenschaften von Gegenständen ausfindig machen zu wollen, muss für Quine daher ein vergebliches Projekt sein – und aus ebendiesem Grund weist er Modalität de re grundsätzlich zurück. Wenn es überhaupt so etwas wie metaphysische Notwendigkeit gibt, müsse diese de dicto sein, wie er in seinem berühmten Beispiel des Rad fahrenden Mathematikers veranschaulicht: Mathematicians may conceivably be said to be necessarily rational and not necessarily twolegged; and cyclists necessarily two-legged and not necessarily rational. But what of an individual who counts among his eccentricities both mathematics and cycling? Is this concrete individual necessarily rational and contingently two-legged or vice versa? Just insofar as we are talking referentially of the object, with no special bias toward a background grouping of mathematicians as against cyclists or vice versa, there is no semblance of sense in rating some of his attributes as necessary and others as contingent. (Quine 1960, S. 199)
Dieses Verständnis von Notwendigkeit qua Beschreibung akzeptiert Quine„for the sake of the argument“ (C. Hughes 2004, S. 81–82) und interpretiert sie als Analytizität, wobei er zumindest in seinen frühen Aufsätzen (insbesondere in From a Logical Point of View, 1961) auch Analytizität als verbliebenes metaphysisches Dogma überwinden wollte. Notwendigkeit de re ist laut Quine aufgrund ihrer Konse-
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quenz des aristotelischen Essentialismus aber vollkommen undenkbar und wird von ihm nicht einmal for the sake of the argument akzeptiert.¹⁶ Die anglo-amerikanische Philosophie hat sich, insbesondere durch den Einfluss von Kripke (1980, 2011c, 2015), von der Quine’schen Metaphysikskepsis verabschiedet und gerade der aristotelische Essentialismus findet heutzutage wieder eine breite Anhängerschaft. Doch unabhängig von der Frage, wie man sich in dieser metaphysischen Debatte positioniert, hat Quine wohl als erster¹⁷ auf diesen sehr engen Zusammenhang zwischen quantifizierter Modallogik (das heißt der Notwendigkeit dritter Stufe) und der Postulierung von notwendigen Eigenschaften aufmerksam gemacht. Kripke (2015) geht aber sogar noch weiter: Mit einem mathematisch zwingenden Beweis zeigt er auf, dass bereits die Akzeptanz von Quines Notwendigkeit erster Stufe (das heißt Notwendigkeit als semantisches Prädikat über eine beschreibende Aussage) zwingend zur Akzeptanz von notwendigen Eigenschaften führt: Quine has interpreted necessity as analyticity, and predicated his remarks on this interpretation, it is clear that the problem of essentialism can be approached in a more general context, namely: what philosophical or logical differences are there among the various grades of modal involvement? What new assumptions are required for the transition from the first grade to the third? Surprisingly enough, our answer will be: none. Anyone who accepts the first grade must accept the third; hence, in particular, anyone who accepts analyticity accepts essentialism also. [. . . ] [A]nyone who denies this denies a mathematical result. (Kripke 2015, S. 6–7)¹⁸
Es kommt daher nicht von ungefähr, wenn Kripke Quine als „one of the principal contributors to modern modal logic“ (Kripke 2015, S. 12) bezeichnet – wenngleich Quine sich über diese Ehrauszeichnung sicher alles andere als gefreut hätte. Durch die Unverblümtheit, mit der Philosophen wie Saul Kripke und Hilary Putnam ab den 1960er Jahren Modallogik konsequent betrieben und ihre metaphysischen Auswirkungen ernstgenommen haben, hat sich in der angloamerikanischen Philosophie die Bewegung des Neuen Essentialismus (vgl. Hägler 1994; Rapp 1995, S. 29–30) herausgebildet, die „ohne die seit langem schwelende
16 Vgl. Hägler 1994, S. 9–18. Dort findet sich auch eine spannende historische Verbindungslinie von Humes Empirismus und Kants Anti-Essentialismus hin zu Quines Modalitätsskepsis, die etwa auch Rorty in seiner Rezension „Kripke versus Kant“ (1980) andeutet und ich in meinem Aufsatz „A Trip to the Metaphysical Jungle – How Kripke’s Intuitions Revived Aristotelian Essentialism“ (vgl. Krebs 2013) aufgreife. 17 Quine hat die quantifizierte Modallogik in „Notes on Existence and Necessity“ (1943) schon zu widerlegen versucht, bevor diese überhaupt von Carnap und Barcan Marcus ausformuliert worden ist, vgl. Føllesdal 2004, S. 202–203. 18 Zur Beweisführung vgl. Kripke 2015, S. 6–10.
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Kontroverse um die Interpretation modaler Kalküle kaum entstanden“ (Hägler 1994, S. 15) wäre. Dieser häufig mit Aristoteles historisch in Verbindung gebrachte Essentialismus wird im Folgenden genauer betrachtet, um zunächst einmal die enge Verzahnung von Modallogik als formalem Kalkül und philosophischer Metaphysik aufzuzeigen, damit diese Verzahnung ab dem dritten Kapitel dieses Buches philosophisch bewertet werden kann. Dafür werden zunächst einige zentrale Charakteristika dieses Essentialismus herausgearbeitet.
2.4.2 Aristotelischer Essentialismus Wie gezeigt, behandelt Quine Modalität de re in seinem oben vorgestellten Stufenmodell als Essentialismus und führt das damit verbundene Festhalten an notwendigen Eigenschaften auf Aristoteles zurück: Aristotelian essentialism. This is the doctrine that some of the attributes of a thing (quite independently of the language in which the thing is referred to, if at all) may be essential to the thing, and others accidental. E.g., a man, or talking animal, or featherless biped (for they are in fact all the same things), is essentially rational and accidentally two-legged and talkative, not merely qua man but qua itself. (Quine 1966b, S. 173–174, Hervorh. im Orig.)¹⁹
Selbstverständlich steht der Metaphysikkritiker und reine Empirist Quine dieser Position kritisch gegenüber: Wenn Quine einen Autor oder eine Theorie als essentialistisch oder aristotelisch charakterisiert, dann ist dies stets despektierlich zu verstehen. Dennoch definiert Kripke Essentialismus entsprechend dem Quine’schen Verständnis relativ pragmatisch aus der Perspektive der formalen Logik: By ‚essentialism‘ I think I simply meant that modal operators can apply to open sentences, and that quantifying in to such modally-operated open sentences is acceptable. No deeper philosophical doctrine was involved. (Kripke 2015, S. 13, Fn. 11)²⁰
Dies präzisiert etwa Burgess, wenn er auf die Unterschiede von Kripkes und Quines Definition einerseits und dem rein formalen Essentialismus-Verständnis einer Ruth Barcan Marcus andererseits aufmerksam macht: (Kriple [sic!], in addressing Quine, naturally used „essentialism“ in Quine’s and not Marcus’ sense.) For while Marcus understands the question whether modal logic is committed to „essentialism“ to be a question of whether formal laws of a certain formal type are formally derivable, Quine repeatedly and emphatically asserts that on his understanding „essentia-
19 Vgl. Quine 1961c, S. 22–24; Matthews 1990; Kripke 2015. 20 Vgl. Kripke 1980, S. 39–40, 2011c, S. 15–17.
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lism“ is not such a formal feature. What Quine objects to as arbitrary „essentialism“ is an inegalitarian treatment of different ways of specifying the same thing, according to which some features of a thing are to be counted as essential and others as accidental to it, even though the latter follow just as analytically from some ways of specifying the thing as the former do from others. (Burgess 1996, S. 40–41, Hervorh. im Orig.)
Essentialismus bezeichnet im Folgenden also die Position, dass einige Eigenschaften (oder Attribute) von Dingen essentiell sind, andere Eigenschaften nicht. „P ist eine essentielle Eigenschaft von Gegenstand x“ ist dabei definiert als „Es ist notwendig, dass x P hat, ganz egal, wie (und ob) x instanziiert ist.“²¹ Christopher Hughes charakterisiert diese von Kripke vertretene Form des Essentialismus als moderaten Essentialismus, den er von einem Hypo- und einem Hyperessentialismus abgrenzt. Der Hypoessentialismus geht davon aus, Gegenstände können nur triviale Eigenschaften notwendig besitzen. Dies sind zum Beispiel „being self-identical, being round or not round, and being massive if heavy“ (C. Hughes 2004, S. 108, Hervorh. im Orig.), also Eigenschaften, die jeder Gegenstand besitzen muss, sofern er existiert. Terence Parsons, Robert Stalnaker und Pavel Tichy wären als gegenwärtige Vertreter des Hypoessentialismus zu nennen (vgl. C. Hughes 2004, S. 108). Weiter ist diese Position eng verwandt mit der von Penelope Mackie vertretenen Theorie des minimalistischen Essentialismus, der zufolge gewöhnliche Gegenstände keine (oder relativ wenige) interessante notwendige Eigenschaften besitzen (vgl. Mackie 2006, S. 150–168). Auch wenn Hughes selbstverständlich Recht damit hat, dass Kripke für eine stärkere Form des Essentialismus argumentiert (vgl. Kap. 2.4.3), ist für den von mir vertretenen modalmetaphysischen Deflationismus vor allem relevant, dass bereits ein solcher minimalistischer Essentialismus genügt, um Modalität de re adäquat zu integrieren – weshalb ich in Kap. 4.5.2 noch einmal auf diese Position zurückkomme. Der Hyperessentialismus ist dagegen eine sehr starke metaphysische These, demnach ein Gegenstand alle seine Eigenschaften notwendig besitzt. Kripke ist weit davon entfernt, für einen solchen Hyperessentialismus zu argumentieren, für den Hughes in der gegenwärtigen Debatte keinen Vertreter explizit benennen kann, den er aber historisch auf Leibniz zurückführt (vgl. C. Hughes 2004, S. 108–109).²² Für den modalmetaphysischen Deflationismus ist der Hyperessen-
21 Definition nach Matthews 1990, S. 251–252, leicht modifiziert durch S. Krebs. 22 Interessant ist in diesem Zusammenhang Hughes’ kurze Anmerkung, dass auch die von Lewis begründete Counterpart-Theorie schon mit dem Hyperessentialismus in Verbindung gebracht wurde, was deren gegenwärtige Vertreter jedoch vehement zurückweisen (vgl. C. Hughes 2004, S. 108, Fn. 48). Auf Lewis’ Verständnis des Essentialismus komme ich in Kap. 3.2.3 ausführlich zu sprechen. Ob dieses dem Essentialismusverständnis von Leibniz beziehungsweise dem hier kurz
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tialismus daher irrelevant, sodass im Folgenden auch nicht weiter darauf eingegangen wird. Matthews argumentiert dafür, dass Quines oben skizzierte EssentialismusDefinition (von vielen Autoren als Neuer Essentialismus oder Neue Referenztheorie, vgl. Kap. 2.5, bezeichnet) tatsächlich „an attempted explication of Aristotle’s own doctrine“ (Matthews 1990, S. 251) ist. Dies ist in der Forschung allerdings umstritten, wie etwa Christof Rapp schreibt: Es erweist [. . . ] derjenige, der die Neue Referenztheorie daran zu messen versucht, wie ‚aristotelisch‘ sie ist, der Neuen Referenztheorie einen geringen Gefallen. Ebenso kommt derjenige nicht allzu weit, der die Aktualität und sachliche Angemessenheit des Aristotelischen Substanzmodells dadurch auszuschreiten versucht, daß er es mit den Ergebnissen der Neuen Referenztheorie konfrontiert. (Rapp 1995, S. 49)²³
Ob Kripke und andere Modallogiker überzeugte Aristoteliker sind, ist allerdings im Rahmen des hier zu leistenden Grundrisses irrelevant. Darüber hinaus ist diese Frage insofern fehlgeleitet, als ein metaphysischer Essentialismus in der analytischen Philosophie vor allem als Konsequenz aus der Modallogik akzeptiert wird. Es geht im Neuen Essentialismus also gar nicht darum, aristotelischen Hylomorphismus neu zu begründen. Stattdessen ist die Annahme eines Essentialismus– entsprechend der obigen Minimaldefinition – geboten, wenn man in der formalen Logik an einem irreduziblen Modaloperator festhalten will. Zu fragen, ob Gegenständen essentielle Eigenschaften zukommen, bedeutet demnach nicht mehr als die oben vorgestellte rein formale Frage, in welche modalen Kontexte hinein quantifiziert werden kann beziehungsweise ob quantifizierte Modallogik überhaupt sinnvoll ist. Dabei wird in der Debatte zumeist zwischen Individualund Artessentialismus unterschieden, welche im Folgenden anhand von einigen ausgewählten Beispielen kurz skizziert werden.
2.4.3 Individual- und Artessentialismus Der nach Kripke aus der Modallogik zwingend folgende Essentialismus hat zwei Facetten, die nicht immer sauber voneinander getrennt werden. Die erste Facette ist der Individualessentialismus, dem zufolge Individuen bestimmte Eigenschaften notwendig, andere Eigenschaften nur kontingent besitzen. Die zweite Facette
charakterisierten Hyperessentialismus entspricht, ist für sich genommen eine spannende, aber komplexe Forschungsfrage, die von der Zielsetzung dieses Buches jedoch zu weit weg führt, um sie auch nur annähernd adäquat thematisieren zu können. 23 Vgl. Hägler 1994; Lowe 2005; Schnieder 2005.
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ist der Artessentialismus, dem zufolge alle Vertreter einer spezifischen Art qua ihrer Zugehörigkeit zu dieser Art bestimmte Eigenschaften notwendig besitzen. Dies möchte ich im Folgenden an den in Kripkes Naming and Necessity vorgebrachten (und von mir leicht modifizierten) Beispielen kurz veranschaulichen. 2.4.3.1 Beispiele für den Individualessentialismus (1)
Saul Kripke ist ein Mensch.²⁴
(2)
Saul Kripke ist der Sohn von Myer Kripke und Dorothy Kripke, geb. Karp.²⁵
(3)
Saul Kripkes Schreibtisch ist aus Holz.²⁶
Kripke würde alle diese Sätze als notwendig ansehen, da es sich bei „ist ein Mensch“ und „ist der Sohn von Myer Kripke und Dorothy Kripke, geb. Karp“ um essentielle Eigenschaften von Saul Kripke beziehungsweise bei „ist aus Holz“ um eine essentielle Eigenschaft von Kripkes spezifischem Schreibtisch handelt. Formal lässt sich der von Kripke intendierte Individualessentialismus wie folgt darstellen: ∃x(Px ∧ ◻Qx)
Philosophisch begründet Kripke seinen Essentialismus dabei einzig über Intuition, wie etwa Christopher Hughes deutlich macht: The view that things have at least some of their properties accidentally (and some of their properties essentially) is not just the view of Aristotle, or Aquinas, but also the view of the man on the Clapham omnibus–or so Kripke argued. (C. Hughes 2004, S. 84)²⁷
In einer nachträglich eingefügten Fußnote zu Naming and Necessity führt Kripke zudem das für ihn ebenfalls intuitives Prinzip des notwendiges Ursprungs in Bezug auf den Individualessentialismus ein: If a material object has its origin from a certain hunk of matter, it could not have had its origin in any other matter. (Kripke 1980, S. 114, Fn. 56)²⁸
Die Rolle, Interpretation und Gültigkeit dieses Prinzips ist in der Forschung allerdings umstritten (vgl. Salmon 1979; Cameron 2005) – in einem noch später ein-
24 25 26 27 28
Vgl. Kripke 1980, S. 96–97; Stalnaker 2011b, S. 107–108. Vgl. Kripke 1980, S. 110–113; Sprigge 1962. Vgl. Kripke 2011c, S. 15–16, 1980, S. 113–114. Vgl. Krebs 2013; Kripke 1980, S. 42. Kursivierung entfernt durch S. Krebs.
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gefügten Vorwort kritisiert Kripke das Prinzip selbst als unklar, ohne jedoch für zusätzliche Klärung zu sorgen (vgl. Kripke 1980, S. 1–2). Kripke beschreibt das daraus resultierende „intuitive problem of essentialism“ (Kripke 2015, S. 10) wie folgt: In the case of human beings, we have only vague criteria of identity and identification, so the question is vague (though not, I think, intuitively meaningless). In the case of natural numbers, on the other hand, we use precise criteria of identity: the identity of a natural number depends on its position in the natural number series, and nothing else. (Kripke 2015, S. 11)
Die Begründung der obigen Beispiele für den Individualessentialismus (wie auch später für den Artessentialismus) ist allerdings deshalb so vage, weil es den Protagonisten des Neuen Essentialismus wie bereits gezeigt gar nicht so sehr auf die metaphysischen Folgen ihrer Theorie ankommt, sondern Essentialismus allein dadurch begründet wird, dass quantifizierte Modallogik als ein sinnvolles Instrument innerhalb der formalen Logik angesehen wird und Essentialismus zwingend daraus folgt, dass formal in bestimmte Modalkontexte hineinquantifiziert werden darf. Darüber hinaus bleibt die Intuition das wichtigste Unterscheidungskriterium für die Benennung konkreter essentieller Eigenschaften – und der Satz „Die Zahl 9 hat die essentielle Eigenschaft, ungerade zu sein“ ist dabei deutlich intuitiver als der Satz „Kripkes Schreibtisch hat die essentielle Eigenschaft, aus Holz zu sein“, welcher einige Probleme mit sich bringt, die an dieser Stelle aber nicht diskutiert werden sollen.²⁹ Darüber hinaus scheint es in obigem Zitat aufgrund der dort anklingenden Identitätskriterien so, als stecke hinter dem Essentialismus der Modallogik auch ein sogenanntes Principium individuationis – wie etwa auch Hägler behauptet. Darunter ist die Frage zu verstehen, ob eine essentielle Eigenschaft eines Gegenstands „jeweils nur einem materiellen Ding zu[kommt]“ (Hägler 1994, S. 218), Kripkes Schreibtisch also durch seinen notwendigen Ursprung von anderen Gegenständen unterschieden werden kann. Dass dies aber nicht der Fall ist, lässt sich an den obigen Beispielen aufzeigen – wie es Kripke etwa auch in einer Fußnote zum Schreibtisch-Beispiel selbst bemerkt: [I]f the very block of wood from which the table was made had instead been made into a vase, the table never would have existed. (Kripke 1980, S. 115, Fn. 57)
Ähnlich verhält es sich mit den anderen Beispielen: Wenn es tatsächlich eine notwendige Eigenschaft von Saul Kripke ist, der Sohn von Myer und Dorothy Krip-
29 Vgl. Krebs 2013.
2.4 Modallogik und metaphysischer Essentialismus
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ke zu sein, bedeutet das nicht automatisch, dass er darüber identifiziert werden kann. Saul Kripke hätte ja auch einen Bruder haben können, der dieselbe notwendige Eigenschaft besitzt wie er.³⁰ Kripke steht einem solchen Prinzip daher ablehnend gegenüber, wie er in einer Fußnote von „Identity and Necessity“ eigens betont: Let me [. . . ] emphasize that, although an essential property is (trivially) a property without which an object cannot be a, it by no means follows that the essential, purely qualitative properties of a jointly form a sufficient condition for being a, nor that any purely qualitative conditions are sufficient for an object to be a. (Kripke 2011c, S. 15, Fn. 13, Hervorh. im Orig.)
Diese Ablehnung eines Principium individuationis geht, wie in Kapitel 4.3.4 noch deutlich wird, einher mit Kripkes Zurückweisung der Frage, wie ein Individuum über mögliche Welten hinweg identifiziert werden kann, dem sogenannten Problem der transworld identity (vgl. Kap. 3.1.4) – und lässt sich auch auf den Artessentialismus übertragen, der im nächsten Abschnitt näher vorgestellt wird. 2.4.3.2 Beispiele für den Artessentialismus Genau wie im Individualessentialismus beruht die Begründung der Beispiele für die essentiellen Eigenschaften von natürlichen Arten (natural kinds) im Neuen Essentialismus auf Intuition: (4)
Tiger sind Säugetiere.
(5)
Wasser ist H2 O.³¹
Wie Hägler kritisiert, bietet Kripkes Essentialismus keine überzeugende Antwort auf die zentrale Frage, wie denn eine beliebige Eigenschaft eines Musterexemplars zur essentiellen Eigenschaft der gesamten Art ausgewählt wird – oder gar wie die Zugehörigkeit eines Gegenstands zu einer natürlichen Art überhaupt erkannt wird: [Es] fehlt [. . . ] die wünschenswerte Allgemeingültigkeit; wir hätten am liebsten eine formale Argumentation, die für jede natürliche Art F – und nicht nur anhand einiger favorisierter Beispiele – nachzuweisen versuchte, daß jedes Mitglied dieser Art wenigstens eine notwendige Eigenschaft G besitzt. Daß man sich bislang nie an einem generalisierten Argument
30 Selbst wenn man der von Kripke eigentlich bevorzugten strengeren Lesart des Beispiels folgt und statt Kind-von-XY-sein lieber „aus der Fusion einer bestimmten Eizelle mit einem bestimmten Spermium entstanden“ als notwendige Eigenschaft einer Person ansieht, besteht immer noch die Möglichkeit, dass Saul Kripke einen eineiigen Zwillingsbruder haben könnte, das heißt selbst dann von einem Principium individuationis nicht die Rede sein kann. 31 Vgl. Kripke 1980, S. 96–97; Stalnaker 2011b, S. 107–108.
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versucht hat, läßt schon gewisse Zweifel an der Durchführbarkeit eines solchen Projekts aufkeimen. (Hägler 1994, S. 201)
Hägler hat Recht, dass Kripkes nur vage erläuterte Intuitionen hinsichtlich des Essentialismus an einen Zaubertrick erinnern: Man hat das „undeutliche Gefühl, daß nicht alles mit rechten Dingen zugeht, ohne sagen zu können, wie das Kaninchen in den Zylinder kam“ (Hägler 1994, S. 218). Dies widerlegt allerdings nicht die Notwendigkeit des Ursprungs und den Essentialismus selbst, sondern bezweifelt lediglich die Art und Weise, wie Kripke zu seinen Beispielen findet. Michael Della Rocca bringt diesen Gedanken auf den Punkt: We must not let the errors of essentialists taint essentialism itself. (Della Rocca 1996, S. 186)
Selbst wenn die Rechtfertigung des metaphysischen Essentialismus über vage Intuitionen problematisch erscheint, bedeutet dies nicht, dass die Modallogik generell falsch liegt, wenn sie in modale Kontexte hinein quantizifieren möchte. Dennoch ist Quine durchaus zuzustimmen, wenn er einen solchen Essentialismus als ‚metaphysischen Dschungel‘ bezeichnet, insbesondere da Modallogiker wie Kripke es nicht verstehen, im metaphysischen Beet ihres formal-logischen Gartens für Ordnung zu sorgen. Wie bereits erwähnt, spielen die metaphysischen Aspekte in diesem aristotelischen Essentialismus eine eher untergeordnete Rolle. Stattdessen deutet sich hier ein eher deflationäres Verständnis von Metaphysik bei Kripke an, welches in diesem Buch später in Bezug auf mögliche Welten herausgearbeitet wird. Ähnlich wie mögliche Welten versteht Kripke notwendige Eigenschaften als Setzungen (stipulations) – weshalb eine über die Intuition hinaus gehende Begründung aus dieser Perspektive überflüssig wird, auch wenn man die Überzeugungskraft der von Kripke, Putnam und anderen gewählten Beispiele für den Individual- sowie für den Artessentialismus selbstverständlich immer hinterfragen kann. Gerade in Bezug auf den Artessentialismus wird dabei eine enge Verknüpfung zum Themengebiet der sprachlichen Referenz deutlich, wie sie im folgenden Abschnitt weiter behandelt wird. Rapp deutet das an, wenn er die Bestimmung der essentiellen Eigenschaften wie folgt beschreibt: Die Extension des Terms ‚Tiger‘ wurde festgelegt, indem man einst auf ein vorbeikommendes Exemplar dieser Art zeigte und dabei ‚Tiger‘ sagte. Aber auch die Extension von Stofftermen wird so bestimmt, etwa indem man ein Glas voll Wasser nimmt und ‚Wasser‘ sagt. (Rapp 1995, S. 39)³²
32 Vgl. Kripke 1980, S. 115–144; Hägler 1994, S. 181; C. Hughes 2004, S. 57–61.
2.5 Modallogik und Referenz | 33
Das zur Festlegung der Extension benutzte Individuum einer natürlichen Art (z. B. Tiger) hat laut Kripke und Putnam gewisse essentielle Eigenschaften (z. B. ein Säugetier zu sein). Daraus folgt, dass es keine mögliche Welt gibt, in der ein Tiger kein Säugetier ist. Diese These ist jedoch nur haltbar, wenn man ein gewisses Bild von Referenz vertritt, welches Kripke (1980) in diesem Zusammenhang neu begründete und im folgenden Kapitel daher ausführlich betrachtet wird.
2.5 Modallogik und Referenz Wer sich mit quantifizierter Modallogik und dem daraus resultierenden Essentialismus als philosophische Konsequenz beschäftigen möchte, kommt nicht umhin, sich auch über Fragen der Referenz von singulären und generellen Termini Gedanken zu machen. Die philosophische Debatte zum Thema Referenz bewegt sich dabei im Spannungsfeld zwischen der Kennzeichnungstheorie von Gottlob Frege und Bertrand Russell auf der einen Seite und dem von Kripke entwickelten Ansatz der rigid designation auf der anderen Seite. Es gibt unzählige Abwandlungen, Modifikationen und Erweiterungen dieser Ansätze (vgl. Kap. 2.5.3), doch diese Darstellung wird sich auf die für das Thema dieses Buches relevanten Theorien beschränken. Ich werde daher im Folgenden kurz das Problem der sprachlichen Referenz erläutern, dann die Kennzeichnungstheorie von Frege und Russell und ihre Erweiterung zur Clustertheorie von Searle und Wittgenstein skizzieren, um anschließend das als Gegenprogramm entwickelte „better picture“ (Kripke 1980, S. 94) der rigid designation von Kripke vorzustellen und dabei auf wesentliche Kritikpunkte der einzelnen Theorien einzugehen. Der enge Zusammenhang zwischen Modalität (nicht nur alethischer, sondern etwa auch doxastischer Modalität, vgl. Kap. 2.2) und Referenz zeigt sich dabei am besten an den klassischen Beispielen von Quine (1961b): (6)
Philip weiß nicht, dass Tullius Catilina beschuldigt hat.
(7)
Philip weiß nicht, dass Cicero Catilina beschuldigt hat.
(8)
9 ist notwendigerweise größer als 7.
(9)
Die Zahl der Planeten ist notwendigerweise größer als 7.
Sowohl in doxastischen (Beispiel 6 und 7) als auch in alethischen Modalkontexten (8 und 9) scheint die Bedeutung der Eigennamen oder Bezeichnungen wichtig zu sein, um den gegebenen Aussagen einen Wahrheitswert zuzuweisen. Zum Beispiel kann Philip wissen, dass Cicero Catilina beschuldigt hat, ohne aber zu wissen, dass die Eigennamen „Cicero“ und „Tullius“ auf dieselbe Person referieren.
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(7) wäre dann eine falsche, (6) dagegen eine wahre Aussage. Analog bezeichnen die Ausdrücke „9“ und „Die Zahl der Planeten (plus 1)“ dieselbe Zahl, nämlich neun. Dennoch ist (8) eine wahre und (9) eine falsche Aussage: (9) kann schon deshalb nicht notwendig sein, weil die Zahl der Planeten in unserem Sonnensystem durch wissenschaftliche Entdeckungen, Neu- und Umdefinitionen veränderbar ist. Dies zeigt etwa die Entdeckung Plutos als neunter Planet im Jahr 1930, die Herabstufung von Pluto zum Zwergplaneten im Jahr 2006, die etwas kuriose und auf den US-Bundesstaat Illinois beschränkte Wiedereinführung des Planetenstatus von Pluto durch den Senat von Illinois im Jahr 2009, die vor etwa 30 Jahren eingestellte Suche nach einem „Transpluto“ genannten zehnten Planeten und die (von den meisten Physikern allerdings zurückgewiesene) jüngste Debatte um eine Aufwertung des transneptunischen Himmelskörpers Sedna zum Planeten. Um dieses Beispiel in die gegenwärtigen Debatten zur Referenz einordnen zu können, muss aber zunächst definiert werden, was allgemein unter der Referenz eines sprachlichen Ausdrucks verstanden wird. Frege schreibt in seiner Terminologie von Sinn und Bedeutung: Es liegt nun nahe, mit einem Zeichen (Namen, Wortverbindung, Schriftzeichen) außer dem Bezeichneten, was die Bedeutung des Zeichens heißen möge, noch das verbunden zu denken, was ich den Sinn des Zeichens nennen möchte, worin die Art des Gegebenseins enthalten ist. (Frege 2008b, S. 24)
Referenz (in Freges Terminologie: Bedeutung) meint in der heutigen Debatte den durch ein sprachliches Zeichen bezeichneten Gegenstand beziehungsweise den Vorgang der Verknüpfung von sprachlichem Zeichen und bezeichnetem Gegenstand. Was das bedeutet, beschreibt etwa Hägler: Eine so verstandene Referenztheorie soll Antworten auf folgende Fragen geben: Wie wird der Sachbezug eines Eigennamens fixiert? Wie läßt sich bestimmen, was als Referenzobjekt eines Namens zu gelten hat? Wie wird der Umfang (die Extension) eines generellen Terms festgelegt? Wodurch wird bestimmt, ob ein Individuum zu einer (natürlichen) Art gehört oder nicht? Oder, ganz allgemein: wie ist Referenz überhaupt möglich? (Hägler 1994, S. 145)
Kripkes rigid designation (vgl. Kripke 1980, 2011a,c, 2013) hat sich dabei inzwischen als Standardtheorie innerhalb der Referenzdebatte etabliert. Allerdings ist sie ursprünglich – genau wie der oben skizzierte Essentialismus– weniger ein eigenständiger Beitrag zur Sprachphilosophie und Metaphysik als eine Fußnote zu Kripkes modaler Theorie aus seinen frühen Aufsätzen (vgl. Kripke 1959, 1963a,b, 1965). Um das von Kripke in die Debatte eingebrachte „better picture“ (Kripke 1980, S. 94) von Referenz zu verstehen, wird zunächst die Kennzeichnungstheorie von Frege und Russell skizziert, welche bis in die 1970er Jahre als das „maßgeb-
2.5 Modallogik und Referenz | 35
lich[e] Bil[d] der Referenz“ (Rapp 1995, S. 34) galt – und von welchem sich Kripke in Naming and Necessity und späteren Veröffentlichungen gezielt abgrenzte.
2.5.1 Kennzeichnungs- und Clustertheorie Der innerhalb der frühen analytischen Philosophie wirkmächtige Ansatz von Gottlob Frege und Bertrand Russell sah vor, Eigennamen als Abkürzung für eine Kennzeichnung (definite description) aufzufassen. Dies lässt sich am einfachsten am semiotischen Dreieck von Ogden und I. Richards (1989) veranschaulichen:
Name bedeutet
denotiert (verweist auf)
Bedeutung
Referenz
Abb. 2.1: Semiotisches Dreieck, vgl. Ogden und I. Richards 1989, S. 11; Löbner 2015, S. 21–46. Anpassung an die in diesem Buch verwendete Terminologie und kleinere Modifikationen durch S. Krebs.
Gemäß der Kennzeichnungstheorie wird die Referenz eines Namens also über den Zwischenschritt einer Bedeutung (Sinn in der Terminologie Freges, engl. meaning) bestimmt. Diese Bedeutung entspricht einer Kennzeichnung. Der Eigenname „Socratés“ etwa bedeutet demnach „Südamerikas Fußballer des Jahres 1983“ und die Referenzperson von „Socratés“ ist dabei diejenige Person, die über diese Kennzeichnung ermittelt wird:
«Socratés» bedeutet
«Südamerikas Fußballer des Jahres 1983
denotiert (verweist auf)
Socratés
Abb. 2.2: Beispiel für das semiotische Dreieck gemäß der Kennzeichnungstheorie.
36 | 2 Was sind mögliche Welten?
Der Unterschied zwischen der Bedeutung und der Referenz lässt sich dabei an Freges berühmtem Beispiel von Morgenstern und Abendstern veranschaulichen: Die Namen „Morgenstern“ und „Abendstern“ haben jeweils eine unterschiedliche Bedeutung, aber dasselbe Referenzobjekt, nämlich den Planeten Venus (vgl. Frege 2008b, S. 24). Die Bedeutung entspricht dabei jeweils einer Kennzeichnung der Form „Am Morgen an Position x sichtbarer Himmelskörper“ beziehungsweise „Am Abend an Position x sichtbarer Himmelskörper“.³³ Die Bedeutung ist dabei synonym mit dem Eigennamen und legt jeweils dessen Referenz (wie oben beschrieben) fest. Kripke beschreibt die hier skizzierte Position, welche er (historisch etwas verallgemeinernd³⁴) Frege und Russell zuschreibt, wie folgt: Frege and Russell both thought, and seemed to arrive at these conclusions independently of each other [. . . ]: really a proper name, properly used, simply was a definite description abbreviated or disguised. Frege specifically said that such a description gave the sense [= Sinn in Freges Terminologie, S. Krebs] of the name. (Kripke 1980, S. 27)
Dieser Ansatz klingt auf den ersten Blick überzeugend, da er überhaupt erklären kann, wie die Referenz eines Eigennamens bestimmt wird. Kripkes auf John Stuart Mill zurückgehende direkte Referenzauffassung (vgl. Kap. 2.5.2) tut sich dabei deutlich schwerer. Unter anderem deshalb galt die Kennzeichnungstheorie bis in die 1970er Jahre als Standard bezüglich der Referenz von Namen, Kripke bezeichnet sie sogar als „natural account of how reference is determined“ (Kripke 1980, S. 28). In Naming and Necessity macht Kripke allerdings zunächst die bekannte Kritik an dieser Frege-Russell’schen-Tradition stark, auf die Frege selbst in einer Fußnote von „Über Sinn und Bedeutung“ hingewiesen hat:
33 Dass es sich bei Morgenstern und Abendstern nicht um einen Stern, sondern um einen Planeten handelt, ist ein zusätzliches Problem für die Kennzeichnungstheorie, vgl. Fn. 41. 34 Insbesondere Michael A. E. Dummett unterstellt Kripke ein falsches Verständnis von Freges Position, vgl. Dummett 1981, S. 110–151. Dass Russell selbst streng genommen kein Vertreter einer Kennzeichnungstheorie ist, gibt Kripke in einer Fußnote (Kripke 1980, S. 27, Fn. 4) zu – rechtfertigt seine Einschätzung aber durch das spezielle Verständnis von Namen in Russells Terminologie, vgl. B. Russell 1905, 1920. Inwieweit die hier skizzierte Kennzeichnungstheorie historisch einwandfrei Frege und Russell zuzuordnen ist, kann in diesem Buch nicht beantwortet werden. Unabhängig davon bildet die Kennzeichnungstheorie aber den wichtigsten Gegenpunkt zur rigid designation in der sprachphilosophischen Debatte um die Referenz von Eigennamen, sodass eine Verallgemeinerung und historische Vereinnahmung von Frege und Russell systematisch gerechtfertigt ist.
2.5 Modallogik und Referenz | 37
Bei einem eigentlichen Eigennamen wie ‚Aristoteles‘ können freilich die Meinungen über den Sinn auseinandergehen. Man könnte z. B. als solchen annehmen: der Schüler Platos und Lehrer Alexander des Großen. (Frege 2008b, S. 24–25, Fn. 2)
Obwohl es naheliegend scheint, Namen als abgekürzte Kennzeichnungen aufzufassen, ist in vielen Fällen nicht klar, für welche denkbare Kennzeichnung ein Name überhaupt steht: Verweist „Aristoteles“ auf den Schüler Platons oder auf den Lehrer Alexander des Großen? Solche Unvollkommenheiten will Frege in seiner als Begriffsschrift titulierten Plansprache umgehen, indem er Eigennamen gänzlich aus dieser ‚verbannt‘ (vgl. Frege 2008a, 1977, 2008b, S. 24–25, Fn. 2). In diesem Geiste versucht Quine später, Eigennamen als Prädikate aufzufassen, was wiederum mit seiner Skepsis gegenüber der Modallogik zusammengeht (vgl. Kap. 2.4.1). Beispielsweise ist bei Quine der Name „Sokrates“ dann nur noch ein Platzhalter für einen sogenannten Sokratisierer (socratizer), das heißt also für jemanden, der ‚sokratisiert‘.³⁵ Um an der Grundidee der Kennzeichnungstheorie festhalten zu können und gleichzeitig das gerade beschriebene Problem der Mehrdeutigkeit zu umgehen, haben Searle (1958) und Wittgenstein (2003) die sogenannte Clustertheorie (auch Bündel- oder Büscheltheorie) entwickelt. Ihrer Meinung nach legt nicht eine Kennzeichnung, sondern ein Set von Kennzeichnungen die Referenz eines Namens fest. Kripke skizziert diese Position wie folgt: According to this view [. . . ], the referent of a name is determined not by a single description but by some cluster or family. Whatever in some sense satisfies enough or most of the family is the referent of the name. (Kripke 1980, S. 31)
Dabei muss wiederum angemerkt werden, dass Kripke die Positionen von Searle und Wittgenstein verallgemeinert. Wittgensteins Antwort auf das oben beschriebene Problem der Mehrdeutigkeit von „Aristoteles“ hängt mit seinem Konzept der Familienähnlichkeit zusammen: Demnach können Eigennamen (und Gattungsbegriffe³⁶) nicht eindeutig beschrieben werden. Stattdessen „übergreifen und kreuzen sich [. . . ] verschieden[e] Ähnlichkeiten“ (Wittgenstein 2003, §67), die eine Familie von Kennzeichnungen bilden. Die Referenzbestimmung eines Eigennamens erfolgt dann dadurch, dass sein Träger die Mehrheit – Kripke spricht von einer gewichteten Mehrheit (vgl. Kripke 1980, S. 64–65) – dieser familien-
35 Dieses Beispiel wird Quine zumindest häufig zugeschrieben, auch wenn er es selbst nie so veröffentlicht hat, vgl. Graff Fara 2011. 36 Wittgenstein fokussiert sich in seinen Ausführungen zur Familienähnlichkeit vor allem auf den Begriff „Spiel“.
38 | 2 Was sind mögliche Welten?
ähnlichen Kennzeichnungen erfüllt, wie Wittgenstein am Beispiel von „Moses“ illustriert: Unter ‚Moses‘ verstehe ich den Mann, der getan hat, was die Bibel von Moses berichtet, oder doch vieles davon. Aber wievieles? Habe ich mich entschieden, wieviel sich als falsch erweisen muß, damit ich meinen Satz als falsch aufgebe? Hat also der Name ‚Moses‘ für mich einen festen und eindeutig bestimmten Gebrauch in allen möglichen Fällen? – Ist es nicht so, daß ich sozusagen eine ganze Reihe von Stützen in Bereitschaft habe, und bereit bin, mich auf eine zu stützen, wenn mir die andere entzogen werden sollte, und umgekehrt? (Wittgenstein 2003, §79)
In „Proper names“ deutet Searle ebenfalls an, Eigennamen würden nicht durch eine Kennzeichnung, sondern durch ein „set of descriptions“ (Searle 1958, S. 171) bestimmt. Entgegen von Kripkes Lesart soll dieses Set den Namen zwar konstituieren (das heißt das Set entspricht der Bedeutung des Namens), ihn aber nicht überflüssig machen. Die konstituierenden Charakteristika eines Namens fungieren für Searle nämlich nicht als Kennzeichnungen, sondern als „pegs on which to hang descriptions“ (Searle 1958, S. 172). Ähnlich wie bei der Kennzeichnungstheorie sollte man sich auch bei der Clustertheorie bewusst sein, dass es sich um eine Strohmannposition handelt, die von Kripke in Naming and Necessity als Gegenthese skizziert wurde und die nicht unbedingt historisch exakt den Positionen von Frege und Russell beziehungsweise Wittgenstein und Searle entspricht. Dass Kripkes Skizze der Clustertheorie der Position von Searle jedoch sehr nahe kommt, klingt in folgendem Zitat aus Searles „Proper names“ durch: I am suggesting it is a necessary fact that Aristotle has the logical sum, inclusive disjunction, of properties commonly attributed to him: any individual not having at least some of these properties could not be Aristotle[.] (Searle 1958, S. 172)
Die hier anklingende Gewichtung von Kennzeichnungen stellt für die Clustertheorie jedoch ein Problem dar. Wenn die Referenz eines Namens durch die Erfüllung einer (wie auch immer gewichteten) Mehrheit von Kennzeichnungen bestimmt werden soll, dann müsste die Clustertheorie Kriterien für diese Gewichtung angeben und würde damit vor einem ähnlichen Problem stehen wie Frege, wenn er fragt, ob „Aristoteles“ den Schüler Platons oder den Lehrer Alexander des Großen repräsentiert. Kripke macht in Naming and Necessity außerdem zwei weitere Argumente gegen die Clustertheorie (die a fortiori auch gegen die Kennzeichnungstheorie anwendbar sind) stark, die eine epistemologische und eine modale These der Clustertheorie betreffen. Diese beiden Thesen lauten wie folgt:
2.5 Modallogik und Referenz | 39
(10)
Die Aussage „Wenn x existiert, dann erfüllt x die gewichtete Mehrheit des Kennzeichnungsclusters“ wird vom Sprecher a priori gewusst.
(11)
Die Aussage „Wenn x existiert, dann erfüllt x die gewichtete Mehrheit des Kennzeichnungsclusters“ drückt (im Idiolekt des Sprechers) eine notwendige Wahrheit aus.³⁷
Gegen die Apriori-These (10) wendet Kripke ein: Ob ein Gegenstand oder eine Person der gewichteten Mehrheit des Clusters entspricht, gründet sich auf Sinneserfahrung und ist daher a posteriori: Ob beispielsweise Moses das meiste, was die Bibel über ihn berichtet, wirklich getan hat, weiß man durch Ausgrabungen oder historische Dokumente, aber nicht a priori. Auch umgekehrt könnten nur derartige Quellen zeigen, dass Moses die Kennzeichnungen des Clusters nicht erfüllt. Das Wissen darüber, ob ein Eigenname das ihm zugeordnete Cluster von Kennzeichnungen erfüllt, ist deshalb empirisch und keineswegs a priori, wie (10) es behauptet. Darüber hinaus wendet sich Kripke auch gegen die Notwendigkeitsthese (11), indem er zeigt, dass ein Cluster auch metaphysisch kontingent ist. Laut Kripke sind mögliche Welten vorstellbar, in denen Moses seine Aussetzung im Schilfkorb gar nicht überlebt hätte. Moses würde dann die gewichtete Mehrheit der ihm zugeordneten Kennzeichnungen verfehlen. Dennoch könnte noch sinnvoll von Moses die Rede sein, etwa in dem Satz: „Es ist möglich, dass Moses in ein weißes Leintuch gewickelt wurde“. Es ist daher nicht Teil des Namens „Moses“ (und damit keine notwendige Wahrheit), das ihm zugeordnete Cluster zu erfüllen. Mit Hilfe dieser beiden gewichtigen Argumente weist Kripke sowohl die Clustertheorie als auch die zugrunde liegende Kennzeichnungstheorie von Frege und Russell zurück. Mit seiner Konzeption der rigid designation zeichnet er daraufhin sein ‚besseres Bild‘ von Referenz, welches mit der Fortentwicklung der Modallogik einhergeht, wie ich am Ende dieses Kapitels zeigen werde.
2.5.2 Rigid designation und direkte Referenz Im Unterschied zur Kennzeichnungs- und Clustertheorie geht der von Kripke angestoßene Ansatz der rigid designation davon aus, dass Eigennamen (und Ausdrücke für natürliche Arten) in allen möglichen Welten auf denselben Referenzgegenstand verweisen. Socratés ist dem zufolge unter allen denkbaren Umstän-
37 Vgl. die Thesen 5 und 6 in Kripke 1980, S. 71, zum besseren Verständnis hier leicht modifiziert durch S. Krebs.
40 | 2 Was sind mögliche Welten?
den³⁸ die Person, die in der aktualen Welt „Socratés“ genannt wird. Um die Referenz von „Socratés“ zu bestimmen, wird keine Kennzeichnung beziehungsweise kein Cluster von Kennzeichnungen benötigt. Stephen Schwartz (1977) hat für diesen Ansatz den Begriff der Neuen Referenztheorie geprägt.³⁹ Neben Kripke wurde dieser Ansatz vor allem von Donnellan (1966) und Putnam (1975) mitbegründet. In Naming and Necessity führt Kripke sein Konzept der rigid designation wie folgt ein: Let’s call something a rigid designator if in every possible world it designates the same object, a nonrigid or accidental designator if that is not the case. Of course we don’t require that the objects exist in all possible worlds. (Kripke 1980, S. 48, Hervorh. im Orig.)⁴⁰
Aufgrund der unmittelbaren, starren Verbindung zwischen Namen und benanntem Gegenstand wird rigid designation häufig als direkte Referenz (oder extensionaler Gegenstandsbezug) bezeichnet. Anders als in der Kennzeichnungstheorie ist die Verbindung zwischen Name und Referent daher nicht über ein semiotisches Dreieck darzustellen, da die Bedeutung des Namens für die Bestimmung der Referenz herausfällt. Inwieweit Eigennamen eine Bedeutung haben, ist in der Debatte innerhalb der direkten Referenztheorie umstritten (vgl. Kripke 1980, S. 32; Ziff 1960, S. 102–105), für die Bestimmung der Referenz wird die Ecke unten links im semiotischen Dreieck jedoch nicht benötigt (vgl. Abb. 2.3), sondern die Referenz eines direkt referierenden Namens erfolgt über einen direkten Pfeil zwischen ihm und seinem Referenten, sodass letztlich nur noch ein semiotisches ‚Zweieck‘ bleibt:
38 Dies entspricht Kripkes metaphysischem Verständnis von möglichen Welten, vgl. Kap. 4. 39 Vgl. auch Kripke 1980, S. 23, Fn. 2; Putnam 1975; Hägler 1994, S. 175; Rapp 1995, S. 49; Fitch 2004, S. 172. 40 Außerdem definiert Kripke strongly rigid designators als rigid designators, deren Referent notwendig (das heißt in allen möglichen Welten) existiert, wie z. B. bei Zahlwörtern: „9“ referiert auf die Zahl 9 und die Zahl 9 existiert in allen Welten.
2.5 Modallogik und Referenz |
41
«Socratés» bedeutet
«Südamerikas Fußballer des Jahres 1983
denotiert (verweist auf)
Socratés
Abb. 2.3: Semiotisches ‚Zweieck‘ nach Wegfall der Bedeutung gemäß dem Ansatz der rigid designation.
Historisch führt Kripke diese Ansicht auf John Stuart Mill zurück, der in A System of Logic (1843) die These vertritt, dass Eigennamen keine Konnotation (connotation, entspricht bei Mill in etwa dem oben eingeführten Bedeutungsbegriff), sondern nur einen Referenten (denotation in Mills Terminologie) haben. Ein Beispiel wäre die unterfränkische Stadt Schweinfurt. Wenngleich ihr Name ursprünglich eine Untiefe im Main bedeutete, durch die Schweine getrieben werden konnten, hat „Schweinfurt“ längst keine solche Bedeutung mehr. Selbst ein eingefleischter Bamberger würde heute kaum noch behaupten, dass Schweinfurt eine Furt für Schweine wäre. Stattdessen hängen der Name der Stadt und die Stadt selbst direkt zusammen.⁴¹ In allen möglichen Welten referiert „Schweinfurt“ dabei auf dieselbe Stadt (sofern Schweinfurt existiert), wenngleich Schweinfurt in anderen Welten durchaus einen anderen Namen haben könnte: Claims about what a term designates in a world, and about whether a sentence is true in a world, of course do not reflect how those words, or at least sounds, could have been meaningfully used. It is a fact about the words with the meaning they actually have, that they designate what they do in different worlds, and that the sentences they make up are true or false in various worlds. This is the sense in which it is not an objection to saying that ‚2 + 2 = 4‘ is a necessary truth that ‚2‘ might have been the name for 3. (Linsky 2011, S. 23; vgl. Kripke 1980, S. 77–78; Perry 2001, S. 148)
Anders als Mill weitet Kripke seinen Ansatz der rigid designation dabei auch auf verschiedene Gattungs- und Stoffbezeichnungen (natural kind terms) aus: [T]erms for natural kinds are much closer to proper names than is ordinarily supposed. The old term ‚common name‘ is thus quite appropriate for predicates marking out species or natural kinds, such as ‚cow‘ or ‚tiger‘. My considerations apply also, however, to certain
41 Vgl. Kripke 1980, S. 26, für Mills Originalbeispiel zur englischen Stadt Dartmouth. Ähnlich verweist auch der Name „Morgenstern“ noch immer auf die Venus, obwohl die Wissenschaft längst herausgefunden hat, dass es sich bei ihr um keinen Stern, sondern um einen Planeten handelt.
42 | 2 Was sind mögliche Welten?
mass terms for natural kinds, such as ‚gold‘, ‚water‘, and the like. (Kripke 1980, S. 127, vgl. S. 134–135)
Mit dieser Ausweitung der rigid designation auf Gattungs- und Stoffbezeichnungen wendet sich Kripke nicht nur gegen die Frege-Russell-Tradition , sondern auch gegen Kant. Dieser veranschaulicht in den Prolegomena am Beispiel „Gold ist ein gelbes Metall“ sein Konzept der Analytizität: [D]enn um dieses zu wissen, brauche ich keiner weitern Erfahrung, außer meinem Begriffe vom Golde, der enthielte, daß dieser Körper gelb und Metall sei: denn dieses machte eben meinen Begriff aus, und ich durfte nichts tun, als diesen zergliedern, ohne mich außer demselben wornach anders umzusehen. (Kant 1900ff.[b], S. 267)
Kripke führt dieses Beispiel ad absurdum, indem er ein Szenario beschreibt, in welchem Gold (etwa aufgrund einer optischen Täuschung) zwar immer gelb erschienen sei, sich in Wahrheit aber als blau herausstellt. Kant müsste aus einem solchen Szenario aufgrund der von ihm behaupteten Analytizität von „Gold ist ein gelbes Metall“ schließen: „What we took to be gold is not in fact gold“ (Kripke 1980, S. 118). Dies ist allerdings kontraintuitiv. Stattdessen ist es überzeugender, aus dem Szenario zu folgern, dass Gold immer noch Gold sei, jedoch nicht – wie fälschlicherweise angenommen – gelb, sondern blau ist. Deshalb kann eine Kennzeichnung⁴² wie „gelbes Metall“ kein Teil des Begriffs von Gold sein. Kripke unterstreicht diesen Schluss mit Paul Ziffs Beispiel eines dreibeinigen Tigers (vgl. Ziff 1960). Während das Wörterbuch suggeriert, dass ein Tiger ein „large carnivorous quadrupedal feline, tawny yellow in color with blackish transverse stripes and white belly“⁴³ sei, würde ein Biologe bei der Sichtung eines dreibeinigen Tigers kaum schließen, dass er gar keinen Tiger vor sich hat, da das gesichtete Exemplar nicht vier Beine besitzt und damit die Kennzeichnung aus dem Wörterbuch nicht erfüllt. Gemäß Kripkes– deutlich intuitiverer – Position handelt es sich bei einem dreibeinigen Tiger selbstverständlich um ein Exemplar der Gattung Tiger, da die Referenz der meisten Stoff- und Gattungsbezeichnungen – ähnlich wie
42 Um keine zusätzliche Terminologie einführen zu müssen, spreche ich auch im Fall von Stoffund Gattungsbezeichnungen von Kennzeichnungen, engl. definite descriptions, wenngleich es sich hier streng genommen gar nicht um eine definite, sondern um eine indefinite Beschreibung handelt. In der deutschsprachigen Literatur wird manchmal zwischen definiten und indefiniten Kennzeichnungen unterschieden, um dem Rechnung zu tragen, wenngleich eine Kennzeichnung in der ursprünglichen Verwendung per se definit ist. Für meine Darstellung spielt diese Begrifflichkeit jedoch keine große Rolle, weshalb ich aus Gründen der Übersichtlichkeit und Stringenz sowohl bei Eigennamen als auch bei Stoff- und Gattungsbezeichnungen von Kennzeichnungen spreche. 43 Aus dem Oxford Dictionary, hier zitiert nach Ziff 1960, S. 184.
2.5 Modallogik und Referenz |
43
bei Eigennamen – nicht über eine einer intensionalen Bedeutung entsprechende Kennzeichnung festgelegt wird, sondern direkt erfolgt. Auch bei derlei Termini handelt es sich um rigid designators, woran die bereits im vorherigen Kapitel ausgemachte enge Verbindung zwischen Referenztheorie und dem aristotelischen Essentialismus deutlich wird (vgl. Kripke 1980, S. 115–144; Hägler 1994, S. 181; C. Hughes 2004, S. 57–61; Rapp 1995, und Kap. 2.4.3). Wenn zur Festlegung der Referenz eines Artenbegriffs ein Musterexemplar dieser Art herangezogen wird, dann besitzt laut Kripke dieses Musterexemplar auch gewisse essentielle Eigenschaften: Beispielsweise ist es für einen Tiger essentiell, ein Tier zu sein, und für Wasser ist es essentiell, H2 O zu sein. Daraus schließt Kripke, dass es keine mögliche Welt gibt, in der ein anderes Exemplar dieser natürlichen Art diese Eigenschaft nicht besitzt. Die Referenz von „Wasser“ ist etwa anhand eines bestimmten Wasserglases festgelegt worden, dessen Inhalt notwendig H2 O ist. Dies darf nicht verwechselt werden mit einer Kennzeichnung in der Tradition von Frege und Russell: Die Referenz von „Wasser“ wurde nicht durch die Kennzeichnung „Stoff, der H2 O ist“ festgelegt, sondern durch das Zeigen auf das Musterglas Wasser. Die molekulare Zusammensetzung von Wasser war zu Zeiten der Festlegung der Referenz noch gar nicht bekannt, sondern wurde erst später durch die empirische Wissenschaft herausgefunden. Für Kripke wäre der Satz „Wasser ist H2 O“ daher ein Beispiel für die von ihm postulierte Notwendigkeit a posteriori (vgl. Kripke 1980, S. 115–130). Zwar ist es durchaus vorstellbar, dass es in einer anderen möglichen Welt einen Stoff gibt, der Wasser in vielfacher Hinsicht sehr ähnlich ist (z. B. ebenfalls durchsichtig ist und einen Gefrierpunkt von 0 Grad Celsius unter Normaldruck besitzt), aber der nicht aus H2 O-Molekülen aufgebaut ist. Dann würde es sich laut Kripke bei diesem Stoff nicht um Wasser, sondern um ‚Narrenwasser‘ (fool’s water) handeln – genau wie es sich bei Narrengold nicht um Gold handelt, sondern nur um einen Stoff, der Gold zum Verwechseln ähnlich sieht (vgl. Kripke 1980, S. 116–125; C. Hughes 2004, S. 52; Putnam 1975, S. 131–193).
2.5.3 Probleme der Neuen Referenztheorie Kripke betrachtet rigid designation nicht als Theorie, sondern als „better picture than the picture presented by the received views“ (Kripke 1980, S. 93). Dennoch ist sein Alternativvorschlag gegenüber der bis dato maßgeblichen Kennzeichnungstheorie⁴⁴ so einflussreich gewesen, dass er heute als Standardauffassung in Be44 Hier und im Folgenden ist mit Kennzeichnungstheorie stets auch die Clustertheorie als theoretische Erweiterung der Kennzeichnungstheorie mit gemeint.
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zug auf Referenz gilt. In der Tradition der Neuen Referenztheorie versuchten etwa Scott Soames (2002) und Nathan Salmon (1981), aus diesem Bild eine vollständige Theorie zu entwickeln.⁴⁵ Ausgehend von Kripkes vagen Ausführungen zu initialen Taufakten (initial baptism, vgl. Kripke 1980, 96–97, 106–107 u. 135–136), gewannen dabei vor allem kausal-historische Erklärungen der Referenz an Einfluss. Diese gehen davon aus, dass die Referenz eines Namens über eine Kette von Sprechern bis an ihren Ursprung verfolgt werden kann – und können auf diese Weise eine Antwort auf die zentrale Frage geben, wie ein Name überhaupt zu seiner Referenz kommt. Diese Erklärungen sind in Naming and Necessity bereits vorweggenommen, wenn Kripke schreibt: [T]he referent of the name is determined by a ‚causal‘ chain of communication. (Kripke 1980, S. 59)
Allerdings zeigt etwa Christopher Hughes auf, dass Gegenstände schon einen Namen besitzen können, bevor sie überhaupt existieren: Didn’t the people who built the Titanic have a name for her even before she came into existence? It is unclear exactly when the Titanic began to exist. Still, at some stage in her production her builders would have been happy to say that they were building the Titanic but not happy to say that the Titanic already existed. (C. Hughes 2004, S. 44, Hervorh. im Orig.)
Ein kausaler Ansatz, der Namen zu ihrem Ursprung zurückverfolgt, kann ein solches Szenario nicht erklären. Der vermeintliche Ausweg, Namen zunächst mit einem Entwurf, Gedankenkonstrukt o. ä. und erst später mit dem Gegenstand zu verknüpfen, würde dazu führen, dass der Name in verschiedenen möglichen Welten verschiedene Referenten besitzt, nämlich in der aktualen Welt den Entwurf und in einer möglichen (bzw. zukünftigen) Welt das fertig gestellte Schiff. Dies würde schließlich in das Problem leerer Namen, nichtexistenter Gegenstände und fiktiver Entitäten führen, welches John Perry (vgl. 2001, S. 1–7) knapp als no-reference-Problem bezeichnet und gemeinsam mit dem co-reference-Problem die aktuell größte Herausforderung für einen Vertreter der direkten Referenztheorie bildet. Diese beiden Probleme und Kripkes vorweggenommene Strategien der Entkräftung werden im Folgenden kurz vorgestellt, bevor abschließend für dieses Kapitel der enge Zusammenhang von Modalität, Referenz und Essentialismus noch einmal beleuchtet wird.
45 Vgl. dazu und zur Begründung der Neuen Referenztheorie auch Schwartz 1977; Linsky 2011, S. 33–35; C. Hughes 2004, S. 39–46.
2.5 Modallogik und Referenz |
45
2.5.3.1 Das no-reference-Problem Das no-reference-Problem der direkten Referenztheorie tritt bei sogenannten leeren Namen auf. Das sind Eigennamen beziehungsweise Stoff- oder Gattungsbezeichnungen, bei denen unklar ist, ob sie überhaupt auf etwas referieren (vgl. Kripke 1980), wie etwa im Fall von Namen für fiktive Entitäten oder von negativen Existenzaussagen: (12)
Aristoteles hat nicht existiert.
(13)
Moses hat nicht existiert.
(14)
Sherlock Holmes wohnt in der Baker Street 221b in London.
(15)
Einhörner haben ein weißes Horn und eine rosarote Mähne.
Der direkten Referenztheorie zufolge verweist „Aristoteles“ in (12) auf dasselbe wie „Moses“ in (13), nämlich auf gar nichts. Ebenso scheint in (14) und (15) die Referenz leer zu laufen, da sowohl die Referenzperson von „Sherlock Holmes“ als auch die natürliche Art der Einhörner als Referent von „Einhörner“ in der aktualen Welt nicht zu existieren scheinen, während in (12) und (13) die Existenz der jeweiligen Referenzpersonen negiert wird. Allerdings ist in der direkten Referenztheorie die Existenz des Referenten (in der aktualen Welt) Voraussetzung, um einen Namen überhaupt sinnvoll verwenden zu können. Dieses Problem der Nicht-Referenz von leeren Namen spielt insbesondere in der Debatte zwischen Aktualismus und Possibilismus im Zusammenhang mit der Frage nach dem ontologischen Status möglicher Welten eine gewichtige Rolle, weshalb ich in den Kapiteln 3.1.3, 3.5.2 und 4.3.3 ausführlich darauf zurückkomme. Da die Tragweite dieses Problems für die modale Metaphysik erst unter Einbezug dieser Positionen bewusst wird, kann Kripkes in Reference and Existence (2013) vorgeschlagene Antwort hier nur kurz vorgezeichnet werden. Zusammengefasst geht Kripke davon aus, dass Sherlock Holmes, Einhörner und andere fiktive Entitäten dem sogenannten Als-Ob-Prinzip unterliegen, dem zufolge wir bei der Verwendung ihrer Namen und Bezeichnungen so tun (to pretend)⁴⁶, als ob sie existieren und in diesem Sinne leere Namen und Gattungsbegriffe einen Referenten haben. Gleichzeitig bezeichnet Kripke die Frage nach der Referenz von leeren Namen als „genuine and unsolved problem – perhaps the most difficult in this area“ (Kripke 2013, S. 155, vgl. Kap. 4.3.3), was damit einhergeht, dass Kripke nur ein besseres Bild, nicht aber eine vollständige Theorie von Referenz entwickeln will (vgl. Kap. 1.2). Die oben bereits angedeutete Verbindung von Kripkes Antwort auf das Problem der no-reference zur Debatte um den ontologischen Status von möglichen 46 Zur Terminologie vgl. Fn. 11.
46 | 2 Was sind mögliche Welten?
Welten wird dabei in Kap. 4.3.3 deutlich, wenn es darum geht, den von mir vertretenen modalmetaphysischen Deflationismus ausführlich zu skizzieren und von anderen modalmetaphysischen Positionen abzugrenzen. 2.5.3.2 Das co-reference-Problem Kripkes Umgang mit dem Problem der no-reference ist sehr ähnlich seinem Umgang mit dem Rätsel der co-reference, wie er zum Ende seines einflussreichen Aufsatzes „A Puzzle about Belief“ bekennt: The primary moral [. . . ] is that the puzzle is a puzzle. As any theory of truth must deal with the Liar Paradox, so any theory of belief and names must deal with this puzzle. (Kripke 2011a, S. 156, Hervorh. im Orig.)
Der Kerngedanke dieses Rätsels entspricht dem Grundgedanken des oben bereits erwähnten „Cicero ist Tullius“-Beispiels (vgl. Kap. 2.5) und soll an folgendem abgewandelten Beispiel veranschaulicht werden: (16)
Angela Kasner isst gerne Kohlrouladen.
(17)
Angela Merkel isst gerne Kohlrouladen.⁴⁷
Viele Kindheitsfreunde der deutschen Bundeskanzlerin kennen Angela Merkel wahrscheinlich noch unter ihrem Mädchennamen „Angela Kasner“ und wissen deshalb, dass (16) wahr ist. Angenommen, einer dieser Freunde hätte den Werdegang von Angela aus den Augen verloren und weiß deshalb nicht, dass sie 1977 den Familiennamen ihres ersten Mannes angenommen hat. Er weiß zwar, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel heißt, aber nicht, dass „Angela Merkel“ und „Angela Kasner“ auf dieselbe Referenzperson verweisen. Entsprechend weiß er nicht, dass die deutsche Bundeskanzlerin seine Kindheitsfreundin Angela Kasner ist. Wie viele Menschen kennt auch dieser Freund nicht das Leibgericht der deutschen Bundeskanzlerin, während er sich an das Leibgericht seiner Kindheitsfreundin noch sehr gut erinnert. Der Freund weiß also, dass (16) wahr ist, aber nicht, dass (17) wahr ist. Wenn Kripke allerdings behauptet, dass Namen direkt auf ihren Gegenstand referieren, spielen Bedeutungsaspekte (wie z. B. „Die deutsche Bundeskanzlerin im Jahr 2017“ oder „Die Kindheitsfreundin von X, die gerne Kohlrouladen isst“) bei seiner Referenz keine Rolle. Koreferentielle Namen, das heißt Namen, die auf dasselbe Referenzobjekt verweisen, sind nach dem Ansatz der rigid designation daher nicht nur synonym, sondern auch salva veritate in allen Kontexten austauschbar. Da der Kindheitsfreund von Angela Merkel aber
47 Das Beispiel ist analog zu einem Beispiel aus Perry 2001, S. 5–6.
2.5 Modallogik und Referenz |
47
(16) weiß und (17) nicht weiß, führt die rigid designation in einen logischen Widerspruch: das co-reference-Problem. Kripke betrachtet das co-reference-Problem als offenes Paradox, das vor allem in Glaubens- und Wissenskontexten auftritt. In „A Puzzle about Belief“ bezeichnet er zurückgehend auf Peter Geach (vgl. Geach 1972, S. 139–146) solche Kontexte als „not ‚Shakespearean‘“, was auf die Shakespeare-Zeile: „[A] rose / By any other name, would smell as sweet“⁴⁸. anspielt. Quine bezeichnet solche Kontexte als „referentiell opak“ (vgl. Quine 1961b, S. 143) – und baut darauf seine in Kapitel 2.4.1 bereits dargestellte Kritik an einem Notwendigkeitsoperator innerhalb eines eigenständigen Modalkalküls auf. Koreferentielle Eigennamen führen nämlich, sofern man rigid designation voraussetzt, zu einer Verletzung des auch als Leibniz-Gesetz bekannten Prinzips der Ununterscheidbarkeit identischer Dinge, hier von Quine als Subsitutionsprinzip beschrieben: [It] provides that, given a true statement of identity, one of its two terms may be substituted for the other in any true statement and the result will be true (Quine 1961b, 139, Hervorh. im Orig.).
Auch Kripke bekennt sich im Vorwort von Naming and Necessity ausdrücklich zu diesem Prinzip: Already when I worked on modal logic it had seemed to me, as Wiggins has said, that the Leibnitzian [sic!] principle of the indiscernibility of identicals was as self-evident as the law of contradiction. That some philosophers could have doubted it always seemed to me bizarre. (Kripke 1980, S. 3)
Gemäß diesem Substitutionsprinzip sind (16) und (17) identische Aussagen, während dies in Glaubens- und Wissenskontexten anhand eines Szenarios wie dem oben beschriebenen allerdings bezweifelt werden darf. Derlei Kontexte gelten gemeinhin als intensional, da die Wahrheit einer Aussage in diesen Kontexten von der Intension (das heißt von der Bedeutung im semiotischen Dreieck, vgl. Abb. 2.1) der darin verwendeten Namen abhängt. Dass auch alethische Modalkontexte intensional sind, zeigt das ebenfalls schon oben eingeführte Beispiel bezüglich der Planetenzahl in unserem Sonnensystem (vgl. Kap. 2.5). Quine möchte diese referentielle Opazität bei nichtquantifizierten Modalaussagen jedoch durch Paraphrasieren der darin verwendeten Eigennamen auflösen, weshalb die in Kap. 2.4.1 beschriebene Rückführung des nichtquantifizierten Modalkalküls auf einen propositionalen Kalkül überhaupt erst möglich wird, wie Quine in „Reference and Modality“ schreibt:
48 Hier zitiert nach Kripke 2011a, S. 156, Fn. 41.
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The phenomenon of referential opacity has just now been explained by appeal to the behavior of singular terms. But singular terms are eliminable, we know [. . . ] by paraphrase. (Quine 1961b, S. 144)
Kripke merkt dabei zu Recht an, dass das Paraphrasieren von Eigennamen eng mit der Kennzeichnungstheorie verwandt ist und sich der Kennzeichnungstheorie daher das co-reference-Problem scheinbar nicht stellt (vgl. Kripke 1980, S. 40). In „A Puzzle about Belief“ zeigt er jedoch auf, dass auch die Kennzeichnungstheorie dem Problem nicht entgehen kann, indem er das Beispiel eines Franzosen namens Pierre kreiert, der der Proposition „London ist schön“ gleichzeitig zustimmen und nicht zustimmen kann, ohne sich selbst zu widersprechen (vgl. Kripke 2011a, S. 143–156). Dies geschieht nämlich unter der Voraussetzung, dass er die zu dieser Proposition gehörende Aussage einmal in Französisch („Londres est jolie“) und einmal in Englisch („London is pretty“) tätigt und darüber hinaus nie gelernt hat, dass „Londres“ und „London“ auf dieselbe Stadt verweisen. Auch wenn der Eigenname der Stadt London („Londres“ beziehungsweise „London“) – wie es die Kennzeichnungstheorie behauptet – jeweils für die Kennzeichnung „Die Hauptstadt Englands“ (in der jeweiligen Sprache) steht, ändert dies nichts am grundsätzlichen Bestehen des Problems, da – entsprechend der Vorgabe in Kripkes Beispiel – Pierre auch nicht weiß, dass „Angleterre“ und „England“ Namen für dasselbe Land sind (Kripke 2011a, S. 148–150). Entsprechend hat Kripke gezeigt, dass co-reference kein spezifisches Problem für den Ansatz der rigid designation darstellt, sondern ein offenes Paradox, dem sich jede Theorie der Referenz aus grundsätzlichen Gründen gegenüber sieht und für das es keine einfache Antwort geben kann. Das co-reference-Problem bildet daher keine Grundlage für ein Argument, um Kripkes Bild der rigid designation zurückzuweisen – was bis heute auch der einhelligen Forschungsmeinung im Bereich der Referenztheorie entspricht (vgl. etwa Burgess 2013, S. 78–103; Richard 2011). Dies ist für die im vierten Kapitel dieses Buches zu leistende Systematisierung und Verteidigung des modalmetaphysischen Deflationismus insofern von großer Wichtigkeit, als dieser auf rigid designation aufbaut und grundsätzlich davon ausgeht, dass Eigennamen und bestimmte Arten- und Gattungsbegriffe in jeder möglichen Welt auf denselben Träger referieren (vgl. Kap. 4.5.1). Anders als das im vorangegangen Abschnitt behandelte no-reference-Problem, das sich aus leeren Namen ergibt, ist co-reference jedoch für die in diesem Buch wichtigen modalmetaphysischen Fragestellungen nicht unmittelbar relevant. Daher genügt es an dieser Stelle daran festzuhalten, dass co-reference zwar ein wichtiges Problem von rigid designation und damit einer der wichtigen Prämissen des modalmetaphysischen Deflationismus darstellt (wie auch Kripke unumwunden zugibt). Dies ist
2.6 Der Zusammenhang von Modallogik, Referenz und Essentialismus
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aber insofern unbedenklich, als co-reference – wie soeben gezeigt – ein prinzipielles Problem jeder Auffassung von Referenz ist, sodass keine Auffassung von Referenz deswegen zurückgewiesen werden kann. Daher lassen sich aus diesem Problem keine ernstzunehmenden Einwände gegen den von mir vertretenen modalmetaphysischen Deflationismus ableiten, sodass auf co-reference im Folgenden nicht weiter eingegangen werden muss.
2.6 Der Zusammenhang von Modallogik, Referenz und Essentialismus Dass Modallogik, Referenz und Essentialismus miteinander zusammen hängen, wurde in diesem Kapitel bereits angedeutet. In dieser abschließenden Zusammenfassung werden diese drei Aspekte der Debatte in der modalen Metaphysik noch einmal als kohärentes Netz zusammen gefasst, welches die Hintergründe der modalmetaphysischen Landkarte des dritten Kapitels verständlich macht und als Ausgangspunkt für den im vierten Kapitel vorgestellten und verteidigten modalmetaphysischen Deflationismus dient. Die von Kripke in der sprachphilosophischen Debatte um die Referenz vertretene Auffassung der rigid designation führt zwangsläufig zu Überlegungen im Bereich der formalen Modallogik und zu metaphysischen Fragen nach einem aristotelischen Essentialismus: Wenn man nämlich davon ausgeht, dass ein Eigenname in allen möglichen Welten auf denselben Gegenstand beziehungsweise dieselbe Person referiert, setzt dies bereits voraus, dass die Rede von möglichen Welten und damit quantifizierte Modallogik Sinn ergibt. Aus formal-logischer Perspektive entspricht rigid designation nämlich genau einer extensionalen Bezugnahme auf einen Gegenstand innerhalb des Skopus eines Modaloperators. Aufgrund dieser sind die beiden folgenden Sätze als synonym aufzufassen: (18)
Es ist notwendig, dass Angela Merkel eine Frau ist.
(19)
Es ist notwendig, dass Angela Kasner eine Frau ist.
Formal-logisch kann sowohl (18) als auch (19) wie folgt ausgedrückt werden, wobei a für die durch den jeweiligen Eigennamen „Angela Merkel“ beziehungsweise „Angela Kasner“ bezeichnete Person steht und das Prädikat F für deren Eigenschaft, eine Frau zu sein: (20) ◻Fa Es liegt nahe, die Notwendigkeit in (20) de re aufzufassen, also als eine über diese Person ausgedrückte Notwendigkeit, die unabhängig davon besteht, mit welchem
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ihrer Eigennamen auf sie Bezug genommen wird. Dass Angela Merkel eine Frau ist, hat nichts damit zu tun, dass sie inzwischen den Familiennamen ihres ersten Ehemanns trägt und daher nicht mehr Angela Kasner heißt. Weiter hat Angela Merkel nicht die Eigenschaft, eine Frau zu sein, weil sie die deutsche Bundeskanzlerin im Jahr 2017 ist. Selbst wenn man daran zweifelt, ob Angela Merkels Frau-Sein tatsächlich notwendig ist,⁴⁹ wird man leicht einsehen, dass zwischen (18) beziehungsweise (19) und der folgenden Aussage ein grundsätzlicher Unterschied besteht: (21)
Es ist notwendig, dass der deutsche Bundeskanzler⁵⁰ im Jahr 2017 eine Frau ist.
Die in (21) verwendete Kennzeichnung „Deutscher Bundeskanzler im Jahr 2017“ ist kein rigid designator: Es ist nämlich durchaus möglich, dass Martin Schulz (oder gar eine ganz andere Person) die Wahl 2017 gewonnen hätte und damit Bundeskanzler wäre. Die Kennzeichnung verweist also nicht in jeder möglichen Welt auf dieselbe Person. (21) ist deshalb falsch, weil man sie für gewöhnlich de dicto interpretiert, also als Notwendigkeit über die gesamte Aussage und nicht nur über die Person, auf die die Kennzeichnung „Deutscher Bundeskanzler im Jahr 2017“ tatsächlich zutrifft. Die Diskussion über Notwendigkeit de dicto und de re unterstreicht, dass Modalität (und damit quantifizierte Modallogik) eng mit der These des aristotelischen Essentialismus verwandt ist, das heißt der Auffassung, dass Gegenstände und Personen, aber auch natürliche Arten und Stoffe, einige ihrer Eigenschaften notwendig besitzen. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass jeder Modallogiker gleichzeitig Vertreter eines starken metaphysischen Essentialismus sein muss. Es unterstreicht jedoch, dass die Themen sprachliche Referenz, Essentialismus und quantifizierte Modallogik eng miteinander verwoben sind und jeder, der sich ernsthaft mit einem dieser drei Themengebiete beschäftigen möchte, nicht umhin kommt, auch in Bezug auf die anderen Fragen Stellung zu beziehen.
49 Es lässt sich durchaus dafür argumentieren, dass es nicht notwendig ist, dass Angela Merkel eine Frau ist. Beispielsweise ist es durchaus möglich, dass sie sich künftig einer Geschlechtsumwandlung unterzieht. Präziser müssten die Beispiele dann lauten: Es ist notwendig, dass Angela Merkel beziehungsweise Angela Kasner als Frau geboren wurde. Doch auch dies könnte man unter Verweis auf gegenwärtige Gendertheorien selbstverständlich hinterfragen. Wie häufig in der Philosophie gilt daher auch hier, dass das prinzipielle Argument zur Verbindung von rigid designation, Modallogik und Essentialismus nicht an der Überzeugungskraft eines einzelnen Beispiels gemessen werden darf. 50 Geschlechtsneutral verstanden.
2.6 Der Zusammenhang von Modallogik, Referenz und Essentialismus
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Wie diese Stellungnahme der Vertreter der jüngeren Debatte genau aussieht, wird im folgenden dritten Kapitel dieses Buches deutlich, dessen Ziel es ist, eine modalmetaphysische Landkarte zu zeichnen und dabei insbesondere den Genuinen Modalen Realismus von David Lewis kritisch zu reflektieren. Im vierten Kapitel komme ich ausführlich auf Kripkes Ansichten zur sprachlichen Referenz und zum Essentialismus zurück, wenn ich mit dem modalmetaphysischen Deflationismus Kripkes Antwort auf die Frage nach dem ontologischen Status von möglichen Welten skizziere. Der in diesem zweiten Kapitel geleistete Überblick über historische und systematische Hintergründe der alethischen Modallogik bildet dafür das für den weiteren Fortgang meiner Argumentation wichtige begriffliche Fundament. Anders ausgedrückt: Ohne zu verstehen, was das Konzept der möglichen Welten im formal-logischen Verständnis von Kripkes Modellstrukturen genau bedeutet, ergibt es keinen Sinn, nach ihrem ontologischen Status zu fragen. Das in diesem zweiten Kapitel angelegte begriffliche Fundament ist daher wesentlich für eine systematische Analyse der verschiedenen modalmetaphysischen Positionen im folgenden dritten Kapitel sowie die Entwicklung des modalmetaphysischen Deflationismus nach dem Vorbild Kripkes im vierten Kapitel dieses Buches.
3 Was bedeuten mögliche Welten für die Metaphysik? 3.1 Aspekte einer modalmetaphysischen Landkarte Das Ziel dieses Kapitels ist es, einen Überblick über die vorhandenen metaphysischen Positionen hinsichtlich des ontologischen Status von möglichen Welten zu geben und ihre jeweiligen Probleme aufzuzeigen. Um eine hinreichende Orientierung zu ermöglichen, ist es erforderlich, zunächst eine modalmetaphysische Landkarte zu zeichnen, in deren Raster einzelne Positionen eingeordnet werden können. Dies geschieht in den nächsten Abschnitten, bevor auf einige ausgewählte Theorien in der gegenwärtigen Debatte (insbesondere auf David Lewis’ modalen Realismus) ausführlich eingegangen wird, um schließlich ein solides Fundament für die im vierten Kapitel dieses Buches zu begründende deflationäre Metaphysik möglicher Welten nach dem Vorbild von Saul Kripke zu erhalten. Die bisher geführte Debatte zu möglichen Welten in der modalen Metaphysik konzentriert sich im Wesentlichen auf vier Aspekte, anhand derer sich die jeweiligen Positionen unterscheiden. Diese möchte ich im Folgenden herausarbeiten. Sie spiegeln zumeist grundsätzliche Fragen der Philosophie wider und viele der typischen Einwände und Gegeneinwände finden daher auch in Bezug auf die modale Metaphysik Berücksichtigung. Der erste Aspekt, unter dessen Licht die Debatte betrachtet werden kann, ist die Frage, ob Modalität ein primitiver philosophischer Begriff ist oder inwieweit Modalität auf etwas anderes (z. B. mögliche Welten) reduziert werden kann. Wie in vielen anderen Bereichen der Philosophie (sei es die Debatte um das KörperGeist-Problem oder die Frage, inwieweit alle Wissenschaft auf die Physik als Einheitswissenschaft zurückführbar ist) lassen sich auch bei der Beantwortung dieser Frage zwei grundsätzliche Positionen ausmachen: Reduktionismus und Primitivismus, welche in Kapitel 3.1.1 jeweils kurz skizziert werden. Daneben gibt es noch drei weitere Aspekte, nach denen sich modalmetaphysische Positionen differenzieren lassen: Zum einen die Frage, inwieweit die in der formalen Semantik benötigten möglichen Welten wirklich existieren, die sich in einer Spannbreite von modalem Realismus hin zu modalem Anti-Realismus beantworten lässt (vgl. Kap. 3.1.2). Zum anderen die Frage nach der Domäne von All- und Existenzquantoren im zugrunde gelegten Modalkalkül und deren Bedeutung für das ontologische Inventar der Wirklichkeit: Eine Debatte, die sich grob zwischen Aktualismus und Possibilismus skizzieren lässt (vgl. Kap. 3.1.3), wobei auch kurz auf Timothy Williamsons (2010, 2013) Neufassung dieser Debatte unter https://doi.org/10.1515/9783110652642-003
3.1 Aspekte einer modalmetaphysischen Landkarte | 53
dem Blickwinkel von Nezessitismus und Kontingentismus eingegangen wird. Eng damit verbunden, aber im Folgenden als eigener Aspekt herausgearbeitet, ist der Umgang der jeweiligen metaphysischen Positionen mit dem Problem der transworld identity, also der Frage, wie ein Individuum über die verschiedenen Welten hinweg identifiziert werden kann beziehungsweise ob es überhaupt sinnvoll ist, eine solche Identifikation vorzunehmen (vgl. Kap. 3.1.4). Bei einer oberflächlichen Betrachtung der bisherigen Debatte scheint es, als gingen (wie in David Lewis’ modalem Realismus, vgl. Kap. 3.2) Reduktionismus, Realismus und Possibilismus natürlicherweise miteinander einher; ebenso (wie bei Saul Kripke, vgl. Kap. 4.3) Primitivismus, Anti-Realismus und Aktualismus – woraus sich wiederum die jeweilige Antwort auf das Problem der transworld identity ergibt. Da sich die einzelnen Positionen aber am besten anhand der vier genannten Aspekte verdeutlichen lassen, lohnt es sich dennoch, sie zunächst getrennt voneinander zu betrachten. Schließlich sind einige andere Kombinationen nicht nur denkbar, sondern wurden in den letzten Jahrzehnten immer wieder von Philosophen explizit vertreten, man denke etwa an Alvin Plantingas aktualistischen Realismus (vgl. Plantinga 1976, und Kap. 3.5.4). Auch die Zuordnung von David Lewis zum Possibilismus ist beispielsweise nicht so unumstritten wie es häufig dargestellt wird (vgl. Kap. 3.2.3). Andererseits sind nicht unbedingt alle Kombinationen sinnvoll: Ein nichtreduktiver modaler Realismus etwa wäre insofern abwegig, als die damit einhergehende Reduktion des Modalitätsbegriffs ein gewichtiges Argument (wenn nicht sogar das einzige gewichtige Argument) für den modalen Realismus darstellt, wie in Kapitel 3.2.4 noch gezeigt wird. Sowohl vom Umfang als auch vom Inhalt her betrachtet liegt der weitere Fokus dieses Kapitels dabei auf dem modalen Realismus von David Lewis, der in den Unterkapiteln 3.2 bis 3.4 zunächst ausführlich vorgestellt und später aufgrund theorieinterner Widersprüchlichkeiten und vor allem im Hinblick auf grundsätzlichere philosophische Überlegungen kritisiert wird. Zum einen ist, wie zu Beginn von Kapitel 3.2 erläutert wird, Lewis’ Ansatz noch immer die wichtigste Bezugsposition in der gegenwärtigen Debatte um modale Metaphysik. Zum anderen führen insbesondere die grundsätzlichen philosophischen Kritikpunkte am modalen Realismus in Kapitel 3.4 dazu, einen Maßstab zu entwickeln, mit dessen Hilfe der im vierten Kapitel dieses Buches zu entwickelnde modalmetaphysische Deflationismus nach dem Vorbild von Saul Kripke besser beurteilt werden kann – insbesondere auch aus dem Grund, dass Kripkes wenige Ausführungen zum metaphysischen Status von möglichen Welten fast ausschließlich in der unmittelbaren Abgrenzung von der Position von Lewis entstanden sind. Lewis ist damit nicht nur Kripkes wichtigster philosophischer Gegner, sondern auch der wichtigste philoso-
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phische Gegner meiner Argumentation, dem schon aus wissenschaftlicher Sorgfalt hinreichend Platz eingeräumt werden muss. Deutlich weniger umfangreich ist der eher kursorische Durchgang durch weitere modalmetaphysische Positionen in Kapitel 3.5, deren intensivere Betrachtung für sich genommen philosophisch durchaus interessant wäre. Jedoch würde dies zu sehr von dem Grundanliegen dieses Buches abweichen, den modalmetaphysischen Deflationismus als eigenständige Position zu entwickeln und auf der im Folgenden zu erstellenden Landkarte einzuzeichnen. Dennoch werden mit dem Realismus in Bezug auf unmögliche Welten, dem Meinongianismus, dem heuristischen modalen Realismus und dem aktualistischen Ersatzismus zumindest kursorisch vier wichtige Positionen der jüngeren Debatte herausgegriffen. Diese müssen entweder aus Vollständigkeitsgründen unbedingt erwähnt werden (wie etwa der Meinongianismus, vgl. Kap. 3.5.2) oder sie liefern wichtige Impulse für ein besseres Verständnis der Position Kripkes (z. B. das Jules-Verne-o-skop von David Kaplan, vgl. Kap. 3.5.3). Doch zunächst wird nun – wie eingangs angekündigt – die modalmetaphysische Landkarte gezeichnet, mit deren Hilfe sich die hier angedeuteten und später auszuführenden Positionen im Einzelnen darstellen und einordnen lassen.
3.1.1 Reduktionismus vs. Primitivismus: Ist Modalität ein grundlegender Begriff der Wirklichkeit? Modale Reduktionisten wollen Modalität auf ein grundlegenderes System oder Konzept zurückführen; die prominenteste reduktionistische Theorie im Bereich der modalen Metaphysik ist der bereits erwähnte modale Realismus von David Lewis, den dieser insbesondere in On the Plurality of Worlds (1986) dargelegt hat. Lewis reduziert darin die Begriffe „Möglichkeit“, „Notwendigkeit“ und „Kontingenz“ auf ein grundlegenderes ontologisches System, nämlich das der möglichen Welten, die er als wirklich existente Paralleluniversen auffasst. Unter Reduktion wird dabei nichts anderes verstanden als das, was van Riel und van Gulick in der Stanford Encyclopedia als relativ unumstrittene Minimaldefinition vorschlagen (und im Rahmen dieses Buches als Arbeitsdefinition genügen soll): Saying that x reduces to y typically implies that x is nothing more than y or nothing over and above y. (van Riel und van Gulick 2016, Hervorh. im Orig.)¹
1 Eine detailliertere Betrachtung, was dies genau beinhaltet, findet sich später in der Auseinandersetzung mit dem Divers-Melia-Einwand gegen David Lewis, vgl. Kap. 3.3.2.
3.1 Aspekte einer modalmetaphysischen Landkarte | 55
Neben der Reduktion von Modalität auf mögliche Welten gibt es mit Kit Fines Vorschlag, Modalität auf Essenz zu reduzieren (vgl. Fine 1994), mit Timothy Williamsons Vorschlag, Modalität auf kontrafaktische Tatsachen zu reduzieren (vgl. Williamson 2005), mit Gustav Bergmanns Reduktion von Modalität auf logische Relationen (vgl. Bergmann 1960)² und mit Christopher Peacockes Erklärung von Modalität durch grundlegende „principles of possibilities“ (vgl. Peacocke 1997; Wedgwood 2000) in der jüngeren Vergangenheit mindestens vier weitere einflussreiche Versuche, Modalität auf etwas Grundlegenderes zurückzuführen oder durch etwas Grundlegenderes zu erklären. Diese können aber unabhängig von der Frage nach dem ontologischen Status von möglichen Welten behandelt werden³ und spielen daher in diesem Buch keine Rolle – ganz anders als Lewis’ modaler Realismus, der die einflussreichste und vielleicht auch faszinierendste Gegenposition zu dem im vierten Kapitel dieses Buches zu verteidigenden modalmetaphysischen Deflationismus darstellt. Zu zeigen, dass Lewis’ reduktionistische Ambitionen scheitern, wäre ein äußerst gewichtiges Argument gegen die Existenz von möglichen Welten. Eine solche Argumentation wird, basierend auf den Einwänden unter anderem von Shalkowski, Lycan, Divers und Melia, in Kapitel 3.2 versucht. Anders als Reduktionisten halten Primitivisten an Modalität als Grundbegriff der Wirklichkeit fest. „Möglichkeit“, „Notwendigkeit“ und „Kontingenz“ (oder zumindest einer der drei Begriffe) sind demnach nicht reduzierbar, sondern gehören zur fundamentalen Struktur des Universums und einige Behauptungen über Modalität würden auch in der grundsätzlichen Beschreibung ebenjener Struktur auftauchen: Modal primitivism is a view about necessity and possibility. Necessity and possibility are part of the fundamental structure of the universe, and some modal claims, at least, would appear in even the most basic overall description of that structure. (deRosset 2004, S. 1; vgl. deRosset 2014).
Der in diesem Buch von mir entwickelnde deflationäre Ansatz einer MöglicheWelten-Theorie nach dem Vorbild Kripkes kommt einem solchen Primitivismus
2 Ich danke einem anonymen Gutachter für diesen Hinweis. 3 Wenngleich sowohl Fine als auch Williamson wiederum eigene Vorstellungen davon haben, wie mögliche Welten zu interpretieren sind (beziehungsweise im Falle von Kit Fine eher davon, warum Mögliche-Welten-Semantik – das heißt das formale Grundgerüst wie in Kapitel 2.3 dargelegt – grundsätzlich problematisch ist, weshalb er seine von ihm selbst entwickelte Semantik für Modalität bevorzugt), auf die hier nicht weiter eingegangen wird, da sie aufgrund ihrer überwiegend mathematischen Natur aus dem Rahmen der hier zu analysierenden Debatte heraus fallen, vgl. u.a. Embry 2014; Fine 1994, 2012a,b; Williamson 2005, 2010, 2013, S. 81–147.
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sehr nahe. Inwieweit er einem modalen Primitivismus entspricht, wird in Kapitel 4.3.1 untersucht. 3.1.1.1 Formal-logischer Hintergrund Die Debatte zwischen Reduktionismus und Primitivismus muss auch vor einem formal-logischen Hintergrund betrachtet werden: Beispielsweise charakterisiert Michael Loux die Kampflinie zwischen David Lewis und Alvin Plantinga vorrangig entlang der Debatte zwischen Reduktionismus und Anti-Reduktionismus, was für ihn mit der eher formalen Fragestellung zusammen hängt, wie denn die Modaloperatoren in der formalen Logik zu interpretieren sind und ob diese für sich stehen können (vgl. Loux 2008, S. 153–158). Lewis hat bereits 1968 (und damit gut 20 Jahre vor der Veröffentlichung von On the Plurality of Worlds) in seinem Aufsatz „Counterpart Theory and Quantified Modal Logic“ (1968, vgl. Kap. 3.2.2) eine Art Übersetzungsrichtlinie entwickelt, um den Modalkalkül auf einen prädikatenlogischen Kalkül erster Ordnung zu reduzieren. Die formalen Operatoren für Möglichkeit und Notwendigkeit (vgl. Kap. 2.3) können entsprechend Lewis’ Aufsatz vollständig auf Quantoren zurückgeführt werden, was bereits auf seine spätere Position hindeutet, dass Modalität vollständig durch mögliche Welten erklärt werden kann. Robert Stalnaker schreibt etwa: Modal concepts are to be analyzed in terms of quantification over entities of this kind [= parallel universes, S. Krebs]. (Stalnaker 2011b, S. 102)
Damit stehe Lewis in einer modalitätsskeptischen Traditionslinie vor allem mit Quine und Goodman (die aber schon bis zu Frege und Russell zurückreicht): Ironically, it was skepticism about primitive modality, and a kind of nominalism [. . . ] that motivated his modal realism. (Stalnaker 2011b, S. 102, vgl. Kap. 2.4.1)
Formal sehen dagegen Anti-Reduktionisten wie etwa Plantinga und Kripke Modaloperatoren als eigenständige Operatoren, die in ganz unterschiedlichen modalen Kalkülen Anwendung finden. Deshalb ergibt es für sie weder Sinn, Modaloperatoren auf prädikatenlogische Quantoren zu reduzieren noch den Modalitätsbegriff in der Philosophie als eigenständigen Begriff in Frage zu stellen. Trotz dieses formalen Hintergrunds darf man die von Lewis vorgeschlagene formal-reduktive Übersetzung der Modaloperatoren nicht zwangsläufig mit einer Reduktion des Modalitätsbegriffs verwechseln, da sich beide Ebenen durchaus getrennt voneinander betrachten lassen und man Lewis’ Übersetzungsvorschlag unter gewissen Umständen durchaus in einem formalen Computerprogramm anwenden könnte, ohne damit irgendwelche Implikationen für die Debatte um den
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Modalitätsbegriff in der Philosophie zu bezwecken. Dennoch zeigt sein Aufsatz „Counterpart Theory and Quantified Modal Logic“ bereits ebenjene reduktionistische Tendenz in Hinblick auf den Modalitätsbegriff, die Lewis später in On the Plurality of Worlds zum philosophischen Programm ausarbeitet – und gegen die modale Primitivisten (oder: Anti-Reduktivisten) argumentieren. Inwiefern die Reduktion von Modalität auf Welten tatsächlich für eine philosophische Beschreibung der Wirklichkeit attraktiv wäre (oder gar ein überzeugendes Argument darstellt), wird in der folgenden Auseinandersetzung mit Lewis’ modalem Realismus (vgl. Kap. 3.2 bis 3.4) thematisiert.
3.1.2 Modaler Realismus versus Anti-Realismus: Existieren mögliche Welten? Der zweite Aspekt, unter dem modalmetaphysische Positionen betrachtet werden können, betrifft die ontologische Frage, ob mögliche Welten existieren. Diesbezüglich haben Philosophen in den letzten 40 Jahren ganz verschiedene Auffassungen vertreten, angefangen von der Extremposition des Genuinen Modalen Realismus von David Lewis, der davon ausgeht, dass mögliche Welten auf dieselbe Weise wie die aktuale Welt existieren (vgl. Kap. 3.2) bis hin zum von mir herauszuarbeitenden modalmetaphysischen Deflationismus, dem zufolge die Frage nach der Existenz von möglichen Welten von vornherein fehlgeleitet ist. Dazwischen gibt es einige Vermittlerpositionen (etwa den heuristischen Realismus von David Kaplan sowie den Ersatzismus von Peter van Inwagen und Alvin Plantinga), auf die ich in Kapitel 3.5 noch kurz zurückkommen werde. Doch zunächst ist es wichtig zu klären, was genau unter Realismus und seinem Gegenstück des Anti-Realismus in der Philosophie (das heißt unabhängig von der modalmetaphysischen Debatte) zu verstehen ist. Da ich diese zentrale philosophische Fragestellung im Rahmen dieser Arbeit (und gewiss auch darüber hinaus) nicht abschließend beantworten kann, will ich eine brauchbare Arbeitsdefinition entwickeln, die sich für die Charakterisierung der MöglicheWelten-Debatte besonders eignet. Hierzu stütze ich mich auf die in der Tradition der analytischen Philosophie weithin akzeptierte Definition von R. J. Hirst, der Realismus vorrangig als Gegenposition zum Idealismus sieht, was u. a. Michael Devitt später in seinem einflussreichen Buch Realism and Truth wieder aufgegriffen und gegen modernere Interpretationen von Realismus verteidigt hat. Realismus ist demnach [t]he view that material objects exist externally to us and independently of our sense experience. Realism is thus opposed to idealism, which holds that no such material objects or external realities exist apart from our knowledge or consciousness of them, the whole uni-
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verse thus being dependent on the mind or in some sense mental. (Hirst 1967, S. 77; vgl. Devitt 1996, S. 13–25)
Dem Grundgedanken dieser Definition folgt auch Josh Parsons. Allerdings findet er es zu Recht problematisch, dass Hirst und Devitt in ihrer Definition einen Realismus in Bezug auf das Mentale von vornherein ausschließen, da das Mentale per definitionem nicht unabhängig von uns und unserer Sinneserfahrung ist (vgl. J. Parsons 2005, S. 161–165⁴). Deshalb liefert Parsons in seinem Aufsatz „Truthmakers, the Past, and the Future“ eine noch grundlegendere Definition von Realismus, die dieses Problem umgeht und gleichzeitig zwei verschiedene Weisen dessen vorstellt, was es heißt, Anti-Realist zu sein: Realism [...] is an ontological doctrine. It is conjunctive, having two conjuncts. Here is my definition: realism about X is the doctrine that Xs exist, and that Xs are not constitutively dependent on the paradigmatic non-Xs. Because realism is a conjunctive doctrine, anti-realism is a disjunctive one. There are two ways to be an anti-realist about some subject matter, X. One way is to deny the second conjunct of realism, and say that the Xs are really constitutively dependent on the paradigm non-Xs, as the Berkeleian idealist says material things are constitutively dependent on ideas. I call this view reductive anti-realism about X. The other way is just to deny the first conjunct, that Xs exist, as the eliminative materialist denies that there are any beliefs, or any believers. I call this eliminative anti-realism. (J. Parsons 2005, S. 161–162, Hervorh. im Orig.)
Parsons Definition ist deshalb so attraktiv, weil sie theorieneutral und damit möglichst unvoreingenommen charakterisiert, was es bedeutet, Realist beziehungsweise Anti-Realist in Bezug auf ein beliebiges Phänomen zu sein. Das X bei Parsons fungiert dabei lediglich als Platzhalter, der bei einer Charakterisierung des modalen Realismus beziehungsweise Anti-Realismus durch „mögliche Welten“ ersetzt wird. Realismus in Bezug auf mögliche Weltenist daher die philosophische Lehre, dass mögliche Welten existieren und dass sie in ihrer Konstitution nicht von etwas abhängen, das paradigmatisch keine mögliche Welt ist (d. h. dass sie nicht auf etwas ontologisch Grundlegenderes reduziert werden können).⁵ Entsprechend definieren sich die beiden Versionen des Anti-Realismus in Bezug auf mögliche Welten nach Parsons einerseits durch die Reduktion von möglichen Welten auf etwas ontologisch Grundlegenderes (= reduktiver Anti-
4 Siehe auch Cameron 2012, S. 16. 5 Theoretisch wäre es denkbar, dass Modalität auf mögliche Welten reduziert werden kann, mögliche Welten aber gar nicht die ontologisch grundlegenden Dinge ausmachen, sondern auf ein oder mehrere noch grundlegendere existierende Dinge weiterreduziert werden können. Dann wäre der modale Realismus gemäß der o. g. Definition allerdings kein Realismus mehr. Zum Reduktionsbegriff vgl. Kap. 3.1.1.
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Realismus) und andererseits durch das Bestreiten der Existenz von möglichen Welten (= eliminativer Anti-Realismus). Die später von mir zu entwickelnde deflationäre Position kann als Sonderform des eliminativen Anti-Realismus verstanden werden. Ich werde die Existenz von möglichen Welten insofern bestreiten, als ich unter Bezug auf Kripke dafür argumentieren werde, dass bereits die Frage, ob mögliche Welten existieren, auf einer Missinterpretation von modaler Semantik und Referenztheorie basiert und damit grundsätzlich fehlgeleitet ist. Doch zunächst ist festzuhalten, dass die Unterscheidung zwischen Realismus und AntiRealismus eine wichtige Position auf der hier zu zeichnenden modalmetaphysischen Landkarte einnimmt, über die sich insbesondere Lewis’ Extremposition definiert, wie im Laufe dieses Kapitel zu zeigen ist.
3.1.3 Aktualismus vs. Possibilismus: Welche Gegenstände gehören zum ontologischen Inventar einer Welt? Eng mit der Frage nach der Existenz von möglichen Welten verbunden, aber ein durchaus eigener Aspekt in der modalmetaphysischen Debatte, ist die Frage nach dem ontologischen Inventar der aktualen Welt beziehungsweise der möglichen Welten, das heißt die Frage, was es überhaupt gibt (beziehungsweise was existiert) – und damit verbunden die Frage, ob es mögliche Individuen (sogenannte Possibilia⁶) gibt, die nicht existieren. Die Spannbreite der Debatte reicht vom Aktualismus auf der einen, hin zum Possibilismus auf der anderen Seite. Christopher Menzel illustriert den Unterschied dieser Positionen anhand von folgendem Beispiel: Imagine a race of beings – call them ‚Aliens‘ – that is very different from any life-form that exists anywhere in the universe; different enough, in fact, that no actually existing thing could have been an Alien [. . . ]. Now, even though there are no Aliens, it seems intuitively the case that there could have been such things. [. . . ] So in virtue of what is it true that there could have been Aliens when in fact there are none, and when, moreover, nothing that exists in fact could have been an Alien? (Menzel 2016)
Gemäß dem Possibilismus wäre die oben skizzierte Frage wie folgt zu beantworten: Es gibt mögliche Aliens, das heißt es gibt Individuen, die wirkliche Aliens hätten sein können, und genau deshalb ist es wahr, dass es möglich ist, dass Ali-
6 Meixner (vgl. 2006a, S. 31–37) unterscheidet hier richtigerweise außerdem zwischen reinmöglichen und möglichen Individuen, und zählt zu den möglichen Individuen (= Possibilia) alle reinmöglichen plus alle aktualen Individuen, „denn was aktual ist, ist selbstverständlich auch möglich“ (Meixner 2006a, S. 34).
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ens existieren.⁷ Der Possibilismus geht dabei davon aus, dass existierende Individuen nur eine Teilmenge all jener Individuen ausmachen, die sind (beziehungsweise die es gibt). Laut dem Possibilismus sind Sein und Existenz also zwei unterschiedliche ontologische Kategorien, die in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen; die Kategorie des Seins unterteilt sich demnach in existierende und nicht-existierende Individuen, wobei mögliche Aliens und andere mögliche Individuen, z.B. mögliche Einhörner, mögliche Ungeheuer etc. als Possibilia zur zweiten Gruppe gehören.⁸ Wenngleich David Lewis häufig als prototypischer Vertreter des Possibilismus genannt wird, weicht sein Verständnis in gewisser Hinsicht von der hier vorgestellten klassischen possibilistischen Theorie ab, wie in Kapitel 3.2.3 gezeigt wird. Dagegen ähnelt die hier unter Bezugnahme auf Menzel (2016) geleistete Skizze des Possibilismus dem, was Alvin Plantinga als canonical conception umreißt, ohne sie einem bestimmten Autor zuzuordnen: The canonical conception of possible worlds [. . . ] is committed to the idea that there are or could have been nonexistent objects. (Plantinga 1976, S. 142)
Ein einflussreicher gegenwärtiger Vertreter dieser Grundidee des Possibilismus ist etwa Graham Priest, wobei es ihm vorrangig um den Seinsstatus fiktiver Entitäten (wie etwa Einhörnern) und die von ihm aufgezeigte Verbindung dieser Frage zur Logik und Metaphysik von Intentionalität geht. Da diese Debatten jeweils eigene Probleme mit sich bringen, die von der Frage nach dem ontologischen Status von möglichen Welten wegführen, kann Priests Position daher in dieser skizzenartigen Landkarte nicht genauer ausdifferenziert werden (vgl. Priest 2005). Historisch wird der Possibilismus zudem häufig mit Leibniz in Verbindung gebracht (vgl.
7 Vgl. hier und im Folgenden Menzel 2016. 8 Wenn hier von möglichen Aliens etc. die Rede ist, sind immer konkrete Individuen gemeint. Wenngleich insbesondere David Lewis als (scheinbar) prototypischer Vertreter des Possibilismus sich zum Nominalismus bekennt (vgl. D. K. Lewis 1983a), könnte ein Universalienrealist theoretisch ebenfalls eine possibilistische Position einnehmen und davon ausgehen, dass die platonische Idee o.ä. eines möglichen Aliens ist, aber in ihrer Existenz nicht instanziiert ist – ähnlich wie er auch eine aktualistische Position in Bezug auf Universalien einnehmen könnte; das Universalienproblem ist jedoch kein Thema dieses Buches, der Vereinfachung halber wird bei der hier aufgemachten Unterscheidung zwischen Aktualismus und Possibilismus und in der weiteren Argumentation (wie in den einschlägigen amerikanischen Forschungsbeiträgen) immer nur von möglichen Individuen die Rede sein, während man durchaus darüber nachdenken könnte, sie auf Stoffe, Gattungen, etc. auszudehnen, gerade eingedenk der Ausführungen in Kapitel 2.4.3 und 2.5.2 zum Individual- und Artessentialismus sowie der Referenz von Gattungs- und Stoffbezeichnungen. Für weitere Überlegungen zur Universaliendebatte im Kontext von Aktualismus und Possibilismus, vgl. insbesondere Armstrong 1978; D. K. Lewis 1983a.
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Meixner 2004, S. 66), worauf in diesem Buch – wie in der Einleitung, Kap. 1.3, dargelegt – jedoch nicht weiter eingegangen wird. Plantinga begründet in Abgrenzung zu dieser canonical conception seine Theorie des Aktualismus, da er die von Possibilisten vollzogene Unterscheidung von Sein und Existenz ablehnt: I believe there neither are nor could have been things that do not exist; the very idea of a nonexistent object is a confusion, or at best a notion, like that of a square circle, whose exemplification is impossible. (Plantinga 1976, S. 143)
Entsprechend ist Aktualismus laut Plantinga die Position, „that there neither are nor could be any non-existent objects“ (Plantinga 1976, S. 143), was wiederum genau der Definition von Robert Adams (1974) entspricht, auf die er sich bezieht. Aktualisten bestreiten also deshalb die von Possibilisten vollzogene Unterscheidung zwischen Sein und Existenz, da laut dem Aktualismus neben den Individuen, die aktual existieren, nichts anderes ist. Entsprechend versucht der Aktualismus, die Wahrheit von Aussagen wie „Es ist möglich, dass es Aliens gibt“ zu erklären ohne auf Possibilia zurückgreifen zu müssen. Wie diese Erklärungen genau aussehen, hängt vom jeweiligen Autor und dessen Positionierung in der modalmetaphysischen Debatte ab. Mit dem Ersatzismus wird eine prototypische aktualistische Theorie in Kapitel 3.5.4 kurz vorgestellt; auch die deflationäre Metaphysik Kripkes ist grundsätzlich aktualistisch, wie sich in Kapitel 4.3.3 dieses Buches zeigen wird. In der gegenwärtigen Debatte ist der Aktualismus weit verbreitet, wie etwa Loux ausführt: Most philosophers [. . . ] stubbornly hold to the view that the only things that exist are the entities that make up the actual world. They are actualists; and they find the intuitive support for actualism so strong that even if they were convinced of the explanatory power of Lewis’s possibilist approach to modal phenomena, they would reject it simply on the grounds that it posits objects that do not actually exist. (Loux 2008, S. 173)
Neben Plantinga gelten insbesondere Armstrong (vgl. 1983, S. 8–9, 135) und Stalnaker (2001, 2003c, 2011b,a) als prominente Vertreter eines Aktualismus. 3.1.3.1 Formal-logische Aspekte Die ontologische Debatte um Aktualismus und Possibilismus kann ebenfalls unter einem formal-logischen Aspekt betrachtet werden (vgl. etwa Divers 2002, S. 59–85). Dabei geht es um die Frage nach der Domäne von All- und Existenzquantor, also die Frage danach, worüber ein Quantorenausdruck eigentlich quantifiziert.
62 | 3 Was bedeuten mögliche Welten für die Metaphysik?
Die Domäne eines Quantors entspricht in etwa der Definitionsmenge in der Algebra, sie gibt also vor, welche Individuen für x eingesetzt werden in Aussagen wie den folgenden: (22)
Alle Schwäne sind weiß: ∀x(Sx ⊃ Wx)
(23)
Es ist möglich, dass es nicht-weiße (z.B. schwarze) Schwäne gibt: ⋄∃x(Sx ∧ ¬Wx)
Bei (22) scheint es sich offensichtlich um eine falsche Aussage zu handeln, da es insbesondere in Australien auch schwarze Schwäne gibt. Jedoch könnte man die Domäne der Quantoren in (22) und (23) so einschränken, dass sie nur weiße Schwäne enthält, weil man beispielsweise nur über die an den Bamberger Regnitzufern sichtbaren Schwäne sprechen möchte. Dann wäre (22) wahr.⁹ Wenn man diese Domäneneinschränkung beibehält und nun annimmt, bei (23) handelt es sich um eine wahre Aussage, würde der Possibilismus behaupten, dass es am Bamberger Regnitzufer nicht nur weiße, sondern auch schwarze Schwäne gibt, diese aber in ihrer Existenz nicht instanziiert sind. Dennoch wären diese möglichen Schwäne Teil der Quantorendomäne und in (23) würde auch über sie quantifiziert werden müssen.¹⁰ Gemäß dem Aktualismus würde der Existenzquantor in (23) dagegen nur über die tatsächlich am Bamberger Regnitzufer existierenden Schwäne quantifizieren; die Möglichkeit, dass in Bamberg auch nicht-weiße Schwäne leben, müsste dann entsprechend anders erklärt werden, beispielsweise dadurch, dass es auch anders hätte kommen können und daher in einer möglichen Welt – hier verstanden als eine kontrafaktische Situation – nicht-weiße Schwäne am Bamberger Regnitzufer existieren. 3.1.3.2 Nezessitismus vs. Kontingentismus bei Williamson Nicht unerwähnt bleiben kann an dieser Stelle die in jüngster Zeit sehr einflussreiche Neufassung der gesamten Debatte um Aktualismus und Possibilismus durch Timothy Williamson (2002, 2010, 2013), der statt der häufig nicht ganz klaren Unterscheidung dieser beiden Positionen vorschlägt, zwischen Nezessitismus und
9 Zumindest sind allen Teilnehmern einer nicht-repräsentativen Umfrage im Rahmen meiner Forschungsarbeit an den Bamberger Regnitzufern bisher nur weiße Schwäne begegnet. 10 Man könnte argumentieren, dass auch in (22) über die möglichen schwarzen Schwäne quantifiziert werden müsste und die Aussage daher – selbst wenn man die Domäne auf das Bamberger Regnitzufer beschränkt – falsch wäre. Dagegen würde sprechen, dass eine Aussage ohne Modalausdruck sich typischerweise nur auf existierende Individuen bezieht, das heißt „Alle Schwäne sind weiß“ nur eine abkürzende Redeweise für „Alle existierenden Schwäne sind weiß“ darstellt.
3.1 Aspekte einer modalmetaphysischen Landkarte |
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Kontingentismus zu unterscheiden, wenn es darum geht, die Frage nach dem ontologischen Inventar möglicher Welten zu beantworten: Necessitism partially resembles views associated with the term ‚possibilism‘; contingentism partially resembles views associated with the term ‚actualism‘. However, the use of the words ‚actualism‘ and ‚possibilism‘ has become badly confused. (Williamson 2010, S. 662)
Eine genaue Definition von Nezessitismus und Kontingentismus legt Williamson in seinem jüngsten Buch Modal Logic as Metaphysics (2013) vor: Call the proposition that it is necessary what there is necessitism, and its negation contingentism. In slightly less compressed form, necessitism says that necessarily everything is necessarily something; still more long-windedly: it is necessary that everything is such that it is necessary that something is identical with it. In a slogan: ontology is necessary. Contingentism denies that necessarily everything is necessarily something. In a slogan: ontology is contingent. (Williamson 2013, S. 2)
Diese Unterscheidung lässt sich am Beispiel des Flusses Regnitz illustrieren.¹¹ Ein Kontingentist würde behaupten, dass es notwendig ist, dass die Regnitz ein Fluss ist, aber dass es kontingent ist, dass die Regnitz existiert. Ein Nezessitist (wozu Williamson sich selbst bekennt) dagegen würde behaupten, dass es kontingent ist, dass die Regnitz ein Fluss ist, aber dass es notwendig ist, dass die Regnitz existiert. Die Regnitz wäre – in Situationen (Welten), in denen sie kein Fluss ist – gewissermaßen ein Nicht-Fluss, der im Nirgendwo existiert, der aber ein Fluss hätte sein können. Dabei unterscheidet Williamson nicht zwischen Sein und Existenz (wie der Possibilismus, s.o.), sondern spricht stattdessen davon, ob die notwendige Existenz der Regnitz als Fluss instanziiert (instantiated) ist oder nicht. Trotz seiner berechtigten Kritik an der oftmals unklaren Unterscheidung zwischen Aktualismus und Possibilismus in der bisherigen Debatte wird Williamsons relativ spezielle Terminologie in den folgenden Kapiteln zugunsten der traditionellen Unterscheidung von Aktualismus und Possibilismus jedoch wieder verworfen. Da diese auch bei den für meine Argumentation zentralen Referenzautoren Verwendung findet, würde sich der Fokus der folgenden Analyse ansonsten zu sehr auf Williamsons Neufassung der Debatte verengen und insbesondere Kripke und David Lewis nicht gerecht werden können, für die Nezessitismus und Kontingentismus keine Rolle spielen.
11 Inspiriert durch Williamsons eigenes Themse-Beispiel, vgl. Williamson 2010, S. 664.
64 | 3 Was bedeuten mögliche Welten für die Metaphysik? 3.1.4 Das Problem der transworld identity Eng mit den bisher vorgestellten Aspekten einer modalmetaphysischen Landkarte zusammen hängt das Problem der transworld identity, also die Frage danach, wie ein Individuum (oder eine natürliche Art) über verschiedene mögliche Welten hinweg identifiziert werden kann. Wenn Möglichkeiten formal-logisch durch mögliche Welten repräsentiert sind, erscheint es notwendig, eine Art Identitätskriterium für die Individuen zu benennen, über welche Modalaussagen getroffen werden, wie das folgende Beispiel zeigt: (24)
Es ist möglich, dass Angela Merkel deutsche Fußballbundestrainerin ist.
Im Sinne der Kripke-Semantik (vgl. Kap. 2.3.3) lässt sich diese Aussage wie folgt auflösen: (25)
Es gibt (mindestens) eine von der wirklichen Welt aus zugängliche mögliche Welt, in welcher Angela Merkel deutsche Fußballbundestrainerin ist.
Das Problem der transworld identity besteht dann darin, herauszufinden, welcher (beziehungsweise ob ein) ‚Bewohner‘ der entsprechenden möglichen Welt(en) denn nun mit der wirklichen Angela Merkel identisch ist. Das Problem erinnert damit an das antike Paradoxon von Theseus’ Schiff, das die Frage aufwirft, was denn die Identität eines Gegenstands bei seiner gleichzeitigen Veränderung über die Zeit hinweg garantiert. Modallogisch interpretiert würde das Theseus-Paradox dann fragen, was denn die Identität eines Gegenstands über mögliche Welten hinweg garantiert, das heißt wie man sich sicher sein kann, dass man in einer Modalaussage überhaupt von demselben Gegenstand spricht. Wenn Angela Merkel in einer möglichen Welt deutsche Fußballbundestrainerin ist, was garantiert dann noch ihre Identität mit der Angela Merkel in der wirklichen Welt? Vielleicht kommt noch hinzu, dass Angela Merkel in dieser möglichen Welt üppiges schwarzes Haar hat, in breitem badischen Dialekt spricht und an der Seitenlinie einen stets gut gewickelten Männerschal trägt. Was würde die mögliche Angela Merkel dann noch vom wirklichen Joachim Löw unterscheiden beziehungsweise was garantiert die Identität von Angela Merkel in der wirklichen Welt mit Angela Merkel in dieser kontrafaktischen Situation und woher weiß man, dass die obige Modalaussage nicht doch einfach eine Aussage über Joachim Löw und eben nicht über Angela Merkel ist? Sollte eine solche Identifizierung des betreffenden Gegenstands über mögliche Welten hinweg nämlich nicht auf zufrieden stellende Weise gelingen, würde die obige Modalaussage nichts über einen möglichen anderen Beruf von Angela Merkel aussagen, sondern im besten Fall etwas über den möglichen Beruf einer anderen Person und im schlechtesten Fall gar nichts.
3.1 Aspekte einer modalmetaphysischen Landkarte |
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Jedoch scheint diese Identifizierung gar nicht so einfach und die Art der Antwort auf dieses Problem hängt stark davon ab, wie man die sprachliche Referenz von Eigennamen (vgl. Kap. 2.5) fassen und welches grundsätzliche modalmetaphysische Verständnis man in Bezug auf mögliche Welten mitbringen möchte. Wer (wie etwa Frege, Russell oder Quine) davon ausgeht, dass ein Eigenname wie „Angela Merkel“ nur eine Abkürzung für die Kennzeichnung „Deutsche Bundeskanzlerin im Jahr 2017“ darstellt, müsste bei jeder kontrafaktischen Aussage über Angela Merkel in den relevanten möglichen Welten nach der deutschen Bundeskanzlerin im Jahr 2017 suchen und würde von dieser dann aussagen, dass sie (vielleicht gar als Nebentätigkeit?) Trainerin der deutschen Fußballnationalmannschaft ist. David Kaplan erfindet in seinem Aufsatz „Transworld Heir Lines“ ein fiktives Teleskop (das sogenannte Jules-Verne-o-skop vgl. Kaplan 1979, S. 93 u. 99 u. Kap. 3.5.3), das es ermöglicht, „to peep in at goings-on at non-actual worlds“ (Yagisawa 2010, S. 98). David Lewis umgeht dieses Problem durch seine CounterpartTheorie, die in Kapitel 3.2.2 kurz vorgestellt wird. Kripke dagegen weist transworld identity als Pseudoproblem zurück, was eng mit seinem Verständnis von Namen als rigid designators zusammenhängt und was ich im vierten Kapitel dieses Buches ausführlich herausarbeite. Häufig wird das Problem der transworld identitiy auch als Debatte zwischen Häkzeitismus und Anti-Häkzeitismus umschrieben – Begrifflichkeiten, die auf Kaplans Aufsatz „How to Russell a Frege-Church“ zurückgehen und die dieser wie folgt definiert: The doctrine that holds that it does make sense to ask – without reference to common attributes and behavior – whether this is the same individual in another possible world, that individuals can be extended in logical space (i.e., through possible worlds) in much the way as we commonly regard them as being extended in physical space and time, and that a common „thisness“ may underlie extreme dissimilarity or distinct thisnesses may underlie great resemblance, I call Haecceitism. [. . . ] The oppositive view, Anti-Haecceitism, holds that for entities of distinct possible worlds there is no notion of trans-world being. (Kaplan 1975, S. 722–723)
Diese Unterscheidung erschwert die modalmetaphysische Debatte allerdings insofern, als die im Folgenden zu betrachtenden Positionen kaum eindeutig entweder dem Häkzeitismus oder dem Anti-Häkzeitismus zugeordnet werden können und sie daher der Komplexität der einzelnen Positionen zur transworld identity nur ungenügend gerecht wird. Daher wird in diesem Buch allgemein vom Problem der transworld identity gesprochen und mögliche Antworten individuell auf den jeweiligen Autor zugeschnitten skizziert.
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3.2 Was ist Genuiner Modaler Realismus? Der modale Realismus von David Lewis (um den Ansatz von Spielarten des modalen Realismus abzugrenzen, im Folgenden als Genuiner Modaler Realismus, kurz: GMR, bezeichnet¹²) würde sicher eine Extremposition auf der soeben skizzierten modalmetaphysischen Landkarte einnehmen, würde man versuchen, ihn zu verorten. Kaum ein Philosoph ist bereit, die Lewis’sche Theorie vollständig anzuerkennen, da ihre metaphysischen Konsequenzen teilweise – wie Uwe Meixner anmerkt – den „Anstrich des Absurden“ (Meixner 2008, S. 118) besitzen. Davon abgesehen, dass der GMR in bestimmten philosophischen Kreisen jedoch wieder zunehmend Beliebtheit genießt¹³, ist in jedem Fall festzuhalten, dass Lewis’ Theorie bis heute der vielleicht wichtigste Referenzpunkt in der gesamten modalmetaphysischen Debatte ist und kein ernstzunehmender Versuch einer Erklärung von möglichen Welten umhin kommt, sich mit Lewis auf die ein oder andere Weise auseinanderzusetzen. Gerade da Lewis auch historisch gesehen der wichtigste philosophische Gegenpol zur Philosophie Saul Kripkes darstellt, kann mit einer ausführlichen Auseinandersetzung mit der Position von Lewis ein erfolgreicher Grundstein dafür gelegt werden, im vierten Kapitel dieses Buches die deflationäre Weltenmetaphysik Kripkes im Detail herauszuarbeiten. Daher werden im Folgenden die wesentlichen Thesen des GMR nach Lewis vorgestellt, um diese Theorie anschließend anhand einiger wichtiger Kritikpunkte zurückzuweisen. Diese Kritikpunkte bieten, wie bereits erwähnt wurde und wie in Kapitel 3.4.4 ausführlich dargestelt wird, schließlich einen Maßstab für die später von mir zu verteidigende Position.
3.2.1 Ontologische und explanatorische Komponenten In seinem Buch Counterfactuals schreibt David Lewis: I believe there are possible worlds other than the one we happen to inhabit. (D. K. Lewis 1973, S. 84)
Spätestens in On the Plurality of Worlds entwickelt er daraus ein philosophisches Programm, welches er im entsprechenden Vorwort wie folgt skizziert: 12 In der Forschungsliteratur findet sich neben GMR manchmal auch die Abkürzung EMR („Extremer modaler Realismus“) als Bezeichnung von Lewis’ Position, z. B. bei Pruss 2011, S. 63. 13 Insbesondere bei einigen von Lewis’ Schülern, etwa Christian Edward Mortensen, David A. Vander Laan und Takashi Yagisawa, die die ontologischen Komponenten des GMR auch auf unmögliche Welten ausdehnen, vgl. Kap. 3.5.1.
3.2 Was ist Genuiner Modaler Realismus? |
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This book defends modal realism: the thesis that the world we are part of is but one of a plurality of worlds, and that we who inhabit this world are only a few out of all the inhabitants of all the worlds. (D. K. Lewis 1986a, S. vii)
Diese Position von Lewis wird von vielen Teilnehmern der heutigen Debatte als Genuiner Modaler Realismus bezeichnet.¹⁴ Divers und Melia (vgl. 2002, S. 15–20) kennzeichnen Lewis’ GMR zutreffend anhand von insgesamt zwölf ontologischen Komponenten (O1 bis O12) und einer explanatorischen Komponente, die wiederum aus fünf Unterkomponenten (E1.1 bis E1.5) besteht.¹⁵ Die ontologischen Komponenten gemäß Divers und Melia¹⁶ lauten wie folgt: O1 O2 O3 O4 O5 O6 O7
O8 O9
Es gibt Mengen. Es gibt Individuen. Alles ist entweder eine Menge oder ein Individuum. Für alle Individuen existiert ein Individuum, das die mereologische Summe genau dieser Individuen ist. Es gibt eine leere Menge. Für jedes Individuum x gibt es eine Menge y, sodass x das einzige Element von y ist. Es existieren alle Mengen der gewöhnlichen mengentheoretischen Hierarchie, wobei diese iterativ aus der leeren Menge und den Einermengen der Individuen konstruiert werden. Einige Individuen sind Welten.¹⁷ Ein Individuum x ist genau dann eine Welt, wenn jede zwei Teile von x raumzeitlich miteinander in Beziehung stehen und alles, was raumzeitlich mit irgendeinem Teil von x in Beziehung steht, selbst ein Teil von x ist.
14 Vgl. z. B. Daly 2008, Divers 2002, S. 41–58, Divers und Melia 2002, Divers und Melia 2003, Divers und Melia 2006. 15 Divers (vgl. 2002, S. 45–50) führt in seinem Buch Possible Worlds diese explanatorischen Komponenten etwas präziser und anschaulicher als begriffliche Anwendungen (conceptual applications) der ontologischen Komponenten ein. Da der gemeinsame Aufsatz von Divers und Melia (2002) für die Debatte allerdings einschlägiger ist, bleibe ich bei der Bezeichnung „explanatorische Komponente“. 16 Meine deutsche Übersetzung ist nicht wörtlich, sondern sinngemäß und wurde um das entsprechende Vokabular bei David Lewis ergänzt. Die Originalnummerierung der Komponenten von Divers und Melia wurde beibehalten. 17 Diese von Divers und Melia etwas merkwürdig ausformulierte und von mir in der Übersetzung übernommene Komponente ist ein Zwischenschritt von O4 zu O9. Sie besagt nichts weiter als dass Welten die mereologische Summe aller Individuen in der jeweiligen Welt sind und gemäß O3 Welten daher selbst Individuen darstellen. Anders gesagt: Alle Welten sind Individuen, aber nicht alle Individuen sind Welten.
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O10 Jedes Individuum, das ein Teil einer Welt ist, ist ein Teil von genau einer Welt. O11 α (d. h. die aktuale Welt) ist die Welt, von der wir Teile sind. O12 Für alle Individuen x1 , x2 . . . xn gibt es eine Welt, die irgendeine Anzahl von Duplikaten (auch Counterparts oder Gegenstücke genannt) derselben Individuen enthält, wenn es eine Raumzeit gibt, die groß genug ist, sie alle zu beinhalten. Diese Welt ist dann so gestaltet, dass für jede raumzeitliche Beziehung gilt, dass die fraglichen Duplikate in ebendieser raumzeitlichen Beziehung zueinander stehen. (Diese Komponente entspricht dem für Lewis zentralen Principle of Recombination.¹⁸) Zusammengefasst besteht die ontologische Komponente des GMR also darin, dass unendlich viele mögliche Welten existieren (gemäß der Definition von Realismus in Kapitel 3.1.2), die von derselben Art sind wie die aktuale Welt α, die in keiner raumzeitlichen Beziehung zueinander stehen und die von einer Kombination von Dingen (den sogenannten Counterparts oder Gegenstücken) ‚bewohnt‘ werden, von denen zumindest einige den Dingen in α gleichen oder zumindest sehr ähnlich sind. Nicht explizit in den ontologischen Komponenten von Divers und Melia erwähnt, aber wichtig zur Charakterisierung des GMR ist außerdem, dass die möglichen Welten nicht nur in keiner raumzeitlichen, sondern vor allem auch in keiner kausalen Beziehung zueinander stehen, was den Ansatz von Lewis deutlich von der Viele-Welten-Interpretation (many-worlds interpretation) der Quantenmechanik innerhalb der theoretischen Physik abgrenzt (vgl. Meixner 2006a, S. 34). Die von Divers und Melia richtigerweise ausgemachten explanatorischen Subkomponenten E1.1 bis E1.5 (vgl. Divers und Melia 2002, S. 16–17) lassen sich dagegen vereinfacht so zusammenfassen, dass Lewis diese ontologischen Komponenten benutzt, um eine vollständige und konsistente reduktive Analyse des Modalitätsbegriffs anbieten zu können: [T]he G[enuine]R[ealist] interpretation of P[ossible]W[orlds] purports to offer explicit and non-modal analyses of the family of modal concepts. (Divers 2002, S. 47)
Eine reduktive Analyse eines Begriffs ist genau dann vollständig, wenn alle Verwendungen eines Begriffs auf einen grundlegenderen Begriff zurückgeführt werden können; eine reduktive Analyse ist genau dann konsistent, wenn es keine Verwendungen des grundlegenderen Begriffs gibt, die nicht dem zu reduzierenden Begriff entsprechen. Wenn Lewis Modalität (oder konkreter: Möglichkeit) in Form
18 Siehe dazu die Einschränkung in Divers und Melia 2002, S. 16, Fn 1; für die Einführung des Prinzips vgl. D. K. Lewis 1986a, S. 86–92; für eine ausführliche Erörterung vgl. Divers 2002, S. 100– 103.
3.2 Was ist Genuiner Modaler Realismus? |
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von Welten analysiert, heißt dies nichts anderes als dass die Rede von Modalität immer durch die Rede von Welten ersetzt werden kann (Kriterium der Vollständigkeit) und umgekehrt immer dann, wenn von Welten geredet wird, dies genau deshalb geschieht, um eine Erklärung unserer Rede von Modalität zu geben (Kriterium der Konsistenz). Lewis ist demnach auf der in Kapitel 3.1 gezeichneten modalmetaphysischen Landkarte als Reduktionist und Realist einzuordnen. Dies spiegelt sich auch formal in seiner als Counterpart-Theorie bekannt gewordenen Reduktion der Modallogik auf einen klassischen Prädikatenkalkül erster Ordnung wider, auf welche im Folgenden kurz eingegangen wird, um die formalen Hintergründe des GMR besser zu verstehen.
3.2.2 Formale Hintergründe der Counterpart-Theorie Wie bereits in Kapitel 3.1.1 erwähnt, schlägt Lewis in „Counterpart Theory and Quantified Modal Logic“ eine Alternative zu den in den 1960er und 1970er Jahren populär werdenden formalen Modalkalkülen vor. Diese Counterpart-Theorie (zu Deutsch manchmal auch Gegenstück-Theorie) bildet den formalen Grundstein für die in Kapitel 3.2.1 aufgelisteten ontologischen Komponenten des GMR. Lewis beschreibt darin, wie Modalkalküle auf einen Prädikatenkalkül erster Ordnung reduziert werden können – was darauf hindeutet, dass die oben angesprochene Reduktion von Modalität auf Welten zunächst als eine rein formale Reduktion innerhalb logischer Kalküle angedacht war und Lewis erst später ihre ontologischen Implikationen ausgeführt hat, um seine formale Reduktion philosophisch zu begründen. Wie diese formale Reduktion aussieht, kann hier nur an zwei einfachen Beispielen demonstriert werden, während Lewis selbst die technischen Hintergründe dazu ausführlich erläutert (vgl. u.a. D. K. Lewis 1968, S. 116–119): (26) ⋄∃xPx (27)
◻Qx
Um die beiden modallogischen Aussagen (26) und (27) auf prädikatenlogische Ausdrücke zu reduzieren, ersetzt Lewis den zu eliminierenden Modaloperator durch einen Quantorenausdruck. Weiter benutzt er das einstellige Prädikat Wx („x ist eine mögliche Welt“) und die beiden zweistelligen Prädikate (Relationen) Ixy („x ist ein Gegenstand in der möglichen Welt y“) und Cxy („x ist ein Counterpart von y“) (vgl. D. K. Lewis 1968, S. 113). Die reduzierten Gesamtausdrücke lauten entsprechend wie folgt: (28)
∃y(Wy ∧ ∃x(Ixy ∧ Px))
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Es gibt ein y, das eine mögliche Welt ist, und es gibt einen Gegenstand x, der in y ist und die Eigenschaft P hat. (29)
∀y1 ∀x1 (Wy1 ∧ Ix1 y1 ∧ Cx1 x ⊃ Qx1 ) Für alle y1 und für alle x1 gilt: y1 ist eine mögliche Welt und x1 ist ein Gegenstand in y1 und wenn x1 ein Counterpart von x ist, dann hat x1 die Eigenschaft Q.¹⁹
Aus metaphysischer Perspektive besonders interessant an dieser formalen Übersetzung ist die durch Cxy ausgedrückte Counterpart-Beziehung: (26) beziehungsweise (28) drücken nämlich aus, dass Q genau dann eine notwendige Eigenschaft von x ist, wenn alle Counterparts in allen möglichen Welten die Eigenschaft Q haben. Dabei ist es wichtig, dass die einzelnen Counterparts ontologisch voneinander verschieden sind. Sie stehen daher nicht in einer Identitätsbeziehung, sondern lediglich in einer Ähnlichkeitsbeziehung zueinander, was jedoch einige Probleme hervorruft, die Lewis selbst benennt: The counterpart relation is a relation of similarity. So it is problematic in the way all relations of similarity are: it is the resultant of similarities and dissimilarities in a multitude of respects, weighted by the importances of the various respects and by the degrees of the similarities. (D. K. Lewis 1968, S. 115)
Meixner präzisiert diese Ähnlichkeitsbeziehung wie folgt und kritisiert dabei zu Recht, dass diese von Lewis beinahe ausschließlich formal charakterisiert wird: Die Gegenstücke einer aktualen Person beispielsweise ähneln ihr in hohem Grade in wichtigen Hinsichten, sowohl, was die Person für sich genommen angeht, als auch, was den aktualen Kontext betrifft, in den sie eingebettet ist; ja, die Gegenstücke, die eine Person in einer Welt w hat, sind diejenigen Teile von w, die der Person ähnlicher sind [. . . ] als alle an-
19 Vgl. D. K. Lewis 1968, S. 118. Lewis umschreibt hier (28) vereinfacht mit „Eine Welt enthält ein P“ und (29) mit „Jeder Counterpart von a, in jeder Welt, ist ein Q“. Es ist anzumerken, dass unter anderem Michael Fara und Timothy Williamson die formal-logische Korrektheit der Übersetzungsroutine in Lewis’ Counterpart-Theorie anzweifeln (Fara und Williamson 2005), wogegen wiederum unter anderem J. S. Russell (2013) und Rigoni und Thomason (2014) Lewis verteidigen. Die formal-logische Korrektheit der von Lewis vorgeschlagenen Übersetzungen wird in diesem Buch vorausgesetzt, da eine nähere Untersuchung dieser rein technischen Kritik das Ziel dieses Kapitels verfehlen würde. Aus Vollständigkeitsgründen sei auch noch auf die an Lewis angelehnten alternativen Übersetzungsschema von quantifizierter Modallogik in einen First-Order-Kalkül von Graeme Forbes (vgl. Forbes 1982, 1985, 1990) und Murali Ramachandran (vgl. Ramachandran 1989, 1990a,b) hingewiesen, mit denen sich auch Fara und Williamson ausführlich auseinandersetzen (vgl. Fara und Williamson 2005, S. 17–20).
3.2 Was ist Genuiner Modaler Realismus? | 71
deren Teile von w. – Aber was ist mit alledem spezifisch inhaltlich zur Gegenstückbeziehung gesagt? Nichts. (Meixner 2006a, S. 48, Hervorh. im Orig.)
Durch diese formale Counterpart-Theorie bietet Lewis dennoch eine Antwort auf das in Kapitel 3.1.4 dargelegte Problem der transworld identity an, die in Zusammenhang mit der Zuordnung von Lewis zum Possibilismus steht (vgl. Kap. 3.2.3), wie Uwe Meixner verdeutlicht: Die Gegenstückbeziehung ist Lewis’ Ersatz für die Identität zwischen Dingen – Possibilia – in verschiedenen möglichen Welten [. . . ]. Denn eine Identität zwischen Possibilia in verschiedenen möglichen Welten kann es im Rahmen des lewisschen Possibilismus nicht geben, da jedes Possibile Teil von genau einer Welt ist. Ein Ersatz für die Transweltenidentität von Possibilia wird aber von Lewis benötigt[.] (Meixner 2006a, S. 47)
Jedoch knüpft unter anderem Meixner seinen berühmten Einwand gegen den Lewis’schen GMR genau an der Ähnlichkeitsbeziehung innerhalb der CounterpartTheorie an, da Lewis durch sie dazu gezwungen ist, zu behaupten, dass es möglich ist, dass Angela Merkel deutsche Fußballbundestrainerin und nicht deutsche Bundeskanzlerin geworden wäre, würde bedeuten, dass nicht Angela Merkel, sondern eine andere, unabhängig von ihr existierende Person – die ihr lediglich in mancher Hinsicht ähnelt – in einer anderen möglichen Welt deutsche Fußballbundestrainerin wäre. Genau diese Konsequenz aus Lewis’ GMR aber hat, wie Meixner zu Recht anmerkt, den „Anstrich des Absurden“ (Meixner 2008, S. 118)– wie in Kap. 3.4.3 noch gezeigt wird. Im folgenden Abschnitt soll es aber zunächst darum gehen, diese Konsequenz der Lewis’schen Ontologie in Zusamenhang mit der Zuordnung seiner Theorie zum Possibilismus und zum Essentialismus zu bringen.
3.2.3 Possibilismus und Essentialismus in David Lewis’ GMR Die obigen Ausführungen zu Lewis’ Counterpart-Theorie und insbesondere die Ähnlichkeitsbeziehung unter den Counterparts scheinen auch Lewis’ Einordnung als Possibilist gemäß der Kapitel 3.1.3 geleisteten Definition zu bekräftigen: Da mögliche Welten existieren, werden diese Welten von Individuen ‚bewohnt‘, die von denen der aktualen Welt verschieden sind, das heißt Lewis geht von der Existenz nicht-wirklicher Individuen beziehungsweise Possibilia aus. Jedoch unterscheidet sich der von Lewis vertretene Possibilismus in einigen Hinsichten von oben vorgestellter possibilistischer Theorie. Der wesentliche Unterschied besteht laut Meixner darin, „dass zu den Possibilia [. . . ] die möglichen Welten (samt der wirklichen Welt) zählen“, während „[n]ach anderen Auffassun-
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gen [. . . ] mögliche Welten keine Individuen“ (Meixner 2006a, S. 34, Hervorh. im Orig.) sind. Da bei Lewis aber, wie im vorherigen Kapitel dargelegt, die möglichen Welten raumzeitlich und kausal voneinander verschieden sind und jedes Individuum Teil einer Welt ist,²⁰ ergibt sich aus seiner Position heraus wiederum, dass Aktualität (oder Wirklichkeit) indexikalisch verstanden werden muss, wie Lewis in „Anselm and Actuality“ erläutert: I suggest that „actual“ and its cognates should be analyzed as indexical terms: terms whose reference varies, depending on relevant features of the context of utterance. The relevant feature of context, for the term „actual“, is the world at which a given utterance occurs. [. . . ] „[A]ctual“ (in its primary sense) refers at any world w to the world w. „Actual“ is analogous to „present“, an indexical term whose reference varies depending on a different feature of context: „present“ refers at any time t to the time t. „Actual“ is analogous also to „here“, „I“, „you“, „this“ and „aforementioned“ – indexical terms depending for their reference respectively on the place, the speaker, the intended audience, the speaker’s act of pointing, and the foregoing discourse. (D. K. Lewis 1970, S. 184–185, Hervorh. im Orig.)
Aktualität (Wirklichkeit) ist also abhängig vom jeweiligen Standpunkt des Betrachters beziehungsweise davon, in welcher Welt gerade davon gesprochen wird, dass etwas aktual der Fall ist. Während es für Angela Merkel in α (das heißt in der für uns aktualen Welt) wirklich ist, dass sie deutsche Bundeskanzlerin ist, und möglich, dass sie deutsche Fußballbundestrainerin ist, ist es beispielsweise für ihren Counterpart in w1 wirklich, deutsche Fußballbundestrainerin, und möglich, deutsche Bundeskanzlerin zu sein: „x ist ein in der Welt w wirkliches/aktuales Individuum“ besagt nun für Lewis einfach, dass das Individuum x ein Teil der Welt w ist. [Daraus] ergibt sich [. . . ] unmittelbar, dass jedes mögliche Individuum in einer bestimmten Welt aktual und in jeder anderen Welt nichtaktual ist. Insbesondere ist jede Welt w einzig und allein in w aktual. (Meixner 2006a, S. 35)
Wenn man diesen Gedanken konsequent fortführt, sind alle Welten aktual (aus der Perspektive ihrer jeweiligen Bewohner) und damit ist auch das Inventar dieser Welten (aus der Perspektive der Bewohner der jeweiligen Welt) aktual. Wenn nun bei Lewis aber alle Welten und alle Individuen aktual sind, ist „Lewis’ Possibilismus [. . . ], so gesehen, ein Aktualismus“ (Meixner 2006a, S. 37) – und Lewis ist keineswegs mehr als der prototypische Possibilist zu verstehen als der er häufig verstanden wird. Meixner bezeichnet Lewis’ Ontologie daher als „Aktualistischen Possibilismus“ (Meixner 2006a, S. 31), um den soeben dargelegten und für Lewis
20 Lewis lehnt sogenannte Transweltenindividuen, das heißt Individuen die aus Teilen verschiedener Welten bestehen, ab (vgl. D. K. Lewis 1986a, S. 211; Meixner 2006a, S. 34).
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zentralen Punkt der Indexikalität des Aktualitäts- beziehungsweise Wirklichkeitsbegriffs zu unterstreichen. Damit verbunden ist auch die gesamte Debatte um Notwendigkeit de re (vgl. Kap. 2.4.1 bis 2.4.2), welche Lewis ebenfalls über Ähnlichkeitsbeziehungen erklärt – was wiederum sein ambivalentes Verhältnis zum aristotelischen Essentialismus unterstreicht. Diesen bezeichnet Lewis einerseits als „congenial“ (D. K. Lewis 1968, S. 119), weil er – genau wie sein Lehrer Quine– erkennt, dass eine gewisse Minimalform von aristotelischem Essentialismus zwingend aus der quantifizierten Modallogik folgt, er aber – anders als Quine– dazu bereit ist, diesen Essentialismus in seinen GMR zu integrieren, um damit an der Modallogik festzuhalten. Andererseits ist Lewis– eindeutiger noch als Quine– bekennender Materialist, der davon ausgeht, dass „die Physik, falls sie erfolgreich ist, unsere Welt vollständig beschreiben wird“ (Meixner 2006a, S. 15; vgl. D. K. Lewis 1983b, xi, und Kap. 3.2.4). Da aber Notwendigkeit und Möglichkeit für die Physik keine sinnvollen Kategorien sind, kann Lewis unmöglich einen Essentialismus vertreten, dem zufolge die essentiellen Eigenschaften eines Individuums diesem notwendig zukommen. Entsprechend bedient sich Lewis der Counterpart-Theorie, um am Begriff einer essentiellen Eigenschaft festhalten zu können, den er wie folgt definiert: [A]n essential attribute of something is an attribute it shares with all its counterparts. (D. K. Lewis 1968, S. 122)
Notwendigkeit de re interpretiert Lewis also so, dass nicht ein Individuum eine Eigenschaft in allen möglichen Welten besitzt, sondern dass ontologisch verschiedene Individuen, die in einer Ähnlichkeitsbeziehung zueinander stehen, diese Eigenschaften in der für sie jeweils aktualen Welt besitzen: Wenn Angela Merkel ein Mensch ist und alle Counterparts von Angela Merkel Menschen sind, dann ist es eine essentielle Eigenschaft von Angela Merkel, ein Mensch zu sein. Wenn Angela Merkel deutsche Bundeskanzlerin ist, aber nicht alle Counterparts von Angela Merkel deutsche Bundeskanzlerin sind, dann ist es keine essentielle Eigenschaft von Angela Merkel, deutsche Bundeskanzlerin zu sein. Lewis scheint es zu gelingen, der modalitätsskeptischen Tradition des Materialismus (beziehungsweise Physikalismus²¹) seines Lehrers Quine treu zu bleiben, indem er den metaphysischen Dschungel des aristotelischen Essentialismus dadurch umgeht²², dass er Notwendigkeit de re durch seine Counterpart-Theorie wegerklärt, sodass es letztlich keine notwendigen Eigenschaften für ein einzel-
21 Vgl. Meixner 2006a, S. 14–26; D. K. Lewis 1983b, S. ix-xii. 22 Dabei verliert er sich jedoch in einem (oder gar mehreren) ganz anderen metaphysischen Dschungel, wie in Kap. 3.3 und 3.4 gezeigt wird.
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nes Individuum geben kann, sondern nur eine unendlich große Menge von ontologisch unterschiedlichen Individuen, die aufgrund ihrer Ähnlichkeitsbeziehung verschiedene Eigenschaften gemein haben können. Gleichzeitig begründet Lewis mit der Counterpart-Theorie einen „laissez-faire Essentialismus“ (Meixner 2006a, S. 46), der genügt, um quantifizierte Modallogik sinnvoll betreiben zu können und ein Verständnis von Modalität ermöglicht, das zwar einige Sonderbarkeiten (vgl. Meixner 2006a, S. 50) in Kauf nimmt, aber insgesamt mit dem Weltbild des Materialismus einhergeht, worin wiederum die Attraktivität des GMR als philosophische Position begründet ist, wie im folgenden Abschnitt näher ausgeführt wird.
3.2.4 Attraktivität des Genuinen Modalen Realismus Aus der von Divers ausgemachten explanatorischen Komponente (vgl. Kap. 3.2.1) ergibt sich die Attraktivität des Genuinen Modalen Realismus als ernstzunehmende philosophische Position, wie etwa Robert Stalnaker festhält: A large part of the attraction of modal realism is that it purports to provide a genuine eliminative reduction of modality. (Stalnaker 2011b, S. 102)
Auch Lewis schreibt in On the Plurality of Worlds: Why believe in a plurality of worlds? – Because the hypothesis is serviceable, and that is a reason to think that it is true. (D. K. Lewis 1986a, S. 3)
Selbstverständlich gibt es an dieser Einstellung einiges zu kritisieren, allen voran dieses: Nicht alles, was nützlich ist, ist wahr. Dies veranschaulicht wohl am eindrucksvollsten Bertrand Russell mit seiner berühmten (wenngleich polemischen) Kritik an William James’ Pragmatismus: Nur weil die Hypothese, dass der Weihnachtsmann existiert, zumindest in den Augen vieler Kinder, sehr nützlich ist, ist sie dennoch falsch (vgl. B. Russell 1946, S. 817–818). Insbesondere müsste von Lewis nicht nur dargelegt werden, warum die Pluralität von Welten nützlich ist, sondern auch für wen und in welcher Hinsicht. Beispielsweise kann es in der Physik durchaus sinnvoll sein, bestimmte Annahmen in der Quantenmechanik nur deshalb zu treffen, weil sie nützlich sind (z. B. weil sie mit bestimmten mathematischen Berechnungen einhergehen und in ein bis dato konsistentes Weltbild aus Sicht der Physik passen) und nur dadurch weitere wissenschaftliche Forschung betrieben werden kann, die die nützlichen Annahmen im Idealfall später als wahre Annahmen bestätigt. In Bezug auf die Debatte um den metaphysischen Status von möglichen Welten scheint die von Lewis vor-
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ausgesetzte Nützlichkeit aber woanders zu liegen: Die Pluralität von möglichen Welten scheint nützlich, weil sich Philosophen dann nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen müssten, was denn Möglichkeit ist. Damit könnte Lewis zwar Recht haben, aber ein solches Nützlichkeitsargument ist nicht sonderlich hilfreich, wenn man die Frage beantworten möchte, was Möglichkeit ist. Dies wäre in etwa so, als würde man gegenüber Theologen argumentieren, dass „Gott existiert nicht“ eine wahre Annahme sei, weil sie insofern nützlich ist, als man sich damit der Diskussion über die Theodizee entledigen könnte. Dennoch hätte der GMR (falls er tatsächlich wahr wäre) durch seine reduktive Erklärung von Modalität gegenüber dem Primitivismus (vgl. Kap. 3.1.1) scheinbar einen gewissen Nutzen für die philosophische Debatte, was denn Möglichkeit, Notwendigkeit und Kontingenz überhaupt sind – und dieses „argument from utility“ (Vander Laan 2011, S. 77) hat noch immer großes Gewicht in der gegenwärtigen Debatte. Ross Cameron schreibt etwa: There’s something unattractive about the claim that the world just could have been otherwise and that that’s the end of the matter – nothing more illuminating to say! Such a primitivism about modality threatens to leave the notion mysterious, and the primitivist leaves themselves open to the challenge from the sceptic that their notion is not in good standing. (Cameron 2012, S. 1)
Das in der Geschichte der Philosophie heftig umstrittene Konzept der Modalität kann gemäß dem GMR auf das Konzept der Welt zurückgeführt werden. Mit Welten sind wir laut Lewis aber bestens vertraut, da wir selbst in einer ebensolchen Welt leben, denn die möglichen Welten bei Lewis sind ihrer Definition nach von genau derselben Art wie die aktuale Welt α. Entsprechend würden wir uns in der Philosophie eines umstrittenes Konzepts entledigen, indem wir es durch ein uns vertrautes Konzept ‚wegerklären‘. 3.2.4.1 Konsequente Auslegung der Hume’schen Supervenienz Lewis geht sogar soweit, aufzuzeigen, dass sich der GMR aus seinem physikalistischen Weltbild und der von ihm selbst so bezeichneten ‚Hume’schen Supervenienzthese‘ ergibt, die er wie folgt beschreibt: Humean supervenience is named in honor of the greater denier of necessary connections. It is the doctrine that all there is to the world is a vast mosaic of local matters of particular fact, just one little thing and then another. (But it is no part of the thesis that these local matters are mental.) [. . . ] [W]e have an arrangement of qualities. And that is all. There is no difference without difference in the arrangement of qualities. All else supervenes on that. (D. K. Lewis 1986b, S. ix-x)
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Während David Hume diese These zwar vertritt, aber idealistisch auslegt (d.h. die Qualitäten sind bei Hume mentaler Art, vgl. Meixner 2006a, S. 20–22), ist Lewis, wie im vorherigen Abschnitt bereits erwähnt, Materialist.²³ Daher erwartet Lewis, „dass die lokalen Qualitäten, von denen in der These der Hume’schen Supervenienz die Rede ist, sich als physische Eigenschaften herausstellen werden [. . . ] und zwar als mehr oder weniger zu denjenigen fundamentalen physischen (‚physikalischen‘) Eigenschaften gehörend, die die gegenwärtige Physik im Auge hat“ (Meixner 2006a, S. 23; vgl. D. K. Lewis 1994, S. 226). Entsprechend geht es Lewis bei der Supervenienzthese darum, philosophischen Argumenten zu widerstehen, denen zufolge es „more things in heaven and earth“ (D. K. Lewis 1994, S. 474) gibt als die Physik zu erklären imstande ist. Dies entspricht in etwa der Argumentation Humes: There are no Ideas, which occur in Metaphysics, more obscure and uncertain, than those of Power, Force, Energy or necessary Connexion, of which it is every Moment necessary for us to treat in all our Disquisitions. (Hume 1748, S. 101–102, Hervorh. im Orig.)
Ohne im Detail auf das Kausalitätsproblem beziehungsweise Induktionsproblem einzugehen²⁴, kann Humes Argumentation zu Kausalität wie folgt vereinfacht dargestellt werden: Kausalität kann nicht in der Welt beobachtet werden, sondern wird stattdessen durch die menschliche Vorstellungskraft gebildet. Beispielsweise hat ein Fußballtorwart im Laufe seiner Karriere mehrfach beobachtet, dass sich beim Elfmeterschießen der Ball, nachdem er vom Gegenspieler getreten worden ist, vom Elfmeterpunkt fortbewegt. Aufgrund dieser Beobachtung von Ball und Schuh hat sich für den Torwart die Vorstellung gebildet, dass die Fortbewegung des Balles kausal vom Dagegentreten des Gegenspielers abhängt; deshalb rechnet er auch beim nächsten Elfmeter damit, dass sich der Ball auf sein Tor zubewegt.²⁵ Der Torwart kann aber nur die Berührung des Balls und die Bewegung des Balls als zwei verschiedene Qualitäten wahrnehmen, niemals aber die Kausalität als solche. Erst durch eine gewisse Gewöhnung (beziehungsweise Erfahrung) kommt der Torwart dazu, eine Kausalität anzunehmen – und damit beim nächsten Elfmeter gegen seine Mannschaft davon ausgehen, dass der Ball nicht einfach am Elfmeterpunkt liegen bleibt, wenn der Gegenspieler gegen den Ball tritt.
23 Meixner merkt zu Recht an, dass Lewis seine These präziser „Lucretian supervenience“ (Meixner 2006a, S. 22) hätte bezeichnen sollen. 24 Für eine ausführliche Darstellung vgl. beispielsweise Stroud 1977, S. 42–95. 25 Ein guter Torwart kann aufgrund seiner Erfahrung natürlich auch ungefähre Richtung und Geschwindigkeit des Balls erahnen.
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In Lewis’ Terminologie könnte man sagen, dass die local matters of particular fact über der Kausalitätsbeziehung supervenieren, d.h. dass Veränderungen in diesen local matters zu einer neuen Kausalitätsbeziehung führen würden; eine andere Kausalitätsbeziehung aber nicht notwendig dazu führt, dass sich die local matters verändern. Beispielsweise könnte – in einem zugegebenermaßen etwas abwegigen Szenario – die Kausalitätsbeziehung auch darin bestehen, dass der Ball mit einer unsichtbaren elektrischen Steuereinheit versehen ist, die die Bewegung des Balls verursacht. Obwohl die Kausalitätsbeziehung eine andere wäre, wären die wahrnehmbaren local matters immer noch die gleichen wie in der Ausgangssituation. Aus dem selben Grund, aus dem die „obscure and uncertain“ (Hume 1748, S. 101) Idee von Kausalität nicht ins Hume’sche Weltbild passt, stört sich Lewis an der Rede von Modalität: Beide stellen keine Qualitäten physikalischer Art dar und finden in Lewis’ physikalistischem Weltbild daher keinen Platz. Dies erscheint auch insofern plausibel, als unter anderem bereits Aristoteles in Peri hermeneias die enge Verknüpfung von Modalität und Ursächlichkeit aufgezeigt hat: Feuer hat beispielsweise das Vermögen, d.h. die Möglichkeit (beziehungsweise vielleicht sogar die Notwendigkeit), zu wärmen, und ist genau deshalb auch die Ursache für die Wärme (vgl. Aristoteles 2015, De Int. 13, 22b-23a). Insofern kann es für Lewis nur konsequent sein, neben der Kausalität auch Modalität aus der aktualen Welt zu verbannen, was er dadurch erreicht, dass er Modalität externalisiert: Zwar können wir in unserer wirklichen Welt denken und davon sprechen, dass Dinge entweder möglich oder notwendig sind, aber in unserer wirklichen Welt können sich diese Möglichkeiten und Notwendigkeiten nicht befinden, da – Lewis’ Verständnis von Physikalismus vorausgesetzt – nur Dinge in der Welt sind, die auch tatsächlich beobachtet werden können. Damit die Rede von Möglichkeit und Notwendigkeit dennoch Sinn ergibt, geht Lewis davon aus, dass mögliche Welten existieren und in ihnen Individuen leben, die von den Individuen in der (für uns) wirklichen Welt verschieden sind, wenngleich wir mit manchen von ihnen in einer Ähnlichkeitsbeziehung stehen. Diese Counterparts sind genau deshalb von den Individuen unserer wirklichen Welt verschieden, weil Lewis sonst das Problem hätte, dass es für bestimmte Individuen unserer wirklichen Welt Möglichkeiten gibt, was er jedoch aufgrund der oben erläuterten Supervenienzthese ablehnen muss. Lewis bleibt so zwar das Problem, über diese anderen möglichen Welten vom Standpunkt der wirklichen Welt eigentlich nichts sagen zu können, da diese vom Standpunkt der wirklichen Welt aus nicht empirisch beobachtbar sind; da er aber gleichzeitig die Existenz von unendlich vielen möglichen Welten postuliert, existiert für alles, was ein Mensch in der wirklichen Welt für möglich erachten kann, eine mögliche Welt, in der ebenjene Dinge wirklich sind.
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Die Attraktivität des GMR begründet sich wie soeben gezeigt also darin, dass Lewis’ Theorie die Supervenienzthese Humes konsequent im Sinne seines Physikalismus auslegt ohne den Begriff der Modalität als sinnlos zurückweisen zu müssen. Die Pluralität von Welten ermöglicht es Lewis stattdessen, die im 20. Jahrhundert aufkommende Modallogik zu integrieren, ohne den gerade im Zuge des naturwissenschaftlichen Fortschritts besonders in der anglo-amerikanischen Philosophie weit verbreiteten Physikalismus aufgeben zu müssen. Dafür nimmt Lewis sogar in Kauf, dass seine modale Metaphysik und insbesondere die in ihr enthaltene Counterpart-Theorie für viele Theoretiker den ‚Anstrich des Absurden‘ besitzen, was unweigerlich zur Frage der Beweislast führt, die im nächsten Abschnitt gestellt wird. Dabei stellt sich für Lewis außerdem das Problem, dass mit einer Widerlegung des Physikalismus auch seine modale Theorie widerlegt wäre, was in Kapitel 3.4.1 dieses Buches ausführlich diskutiert und als zentraler Kritikpunkt am modalen Realismus vorgebracht wird.
3.2.5 Beweislast und Ockhams Skalpell Eine Maxime für vernünftige Argumentation könnte in etwa lauten: Wer etwas Ungewöhnliches behauptet, ist den anderen eine Rechtfertigung schuldig. Die These, dass Möglichkeiten in Form von Paralleluniversen existieren, ist in der Tat ungewöhnlich und entsprechend scheint die Beweislast für diese These auf Seiten von Lewis liegen. Auch das gerade in der analytischen Philosophie des 20. und 21. Jahrhunderts weit verbreitete ontologische Sparsamkeitsprinzip (Ockhams Skalpell) schlägt in dieselbe Kerbe: „Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem“²⁶. Wenn Entitäten nicht über Notwendigkeit hinaus multipliziert werden dürfen, müsste Lewis zeigen können, warum es denn notwendig ist, an die Existenz von möglichen Welten zu glauben. Wiederum wäre die Beweislast auf seiner Seite. Allerdings ist die Ablehnung einer philosophischen Theorie nur aus Sparsamkeit oder Gründen der Beweislast immer mit großer Vorsicht zu genießen. Wenngleich ich für die Idee der Beweislast und das ontologische Sparsamkeitsprinzip grundsätzlich Sympathie empfinde, kann daraus keine zweifelsfreie Zurückweisung des Genuinen Modalen Realismus erfolgen. Dass Lewis seine ungewöhnliche Position vielleicht nicht zufriedenstellend rechtfertigen kann, sagt letztlich nur wenig über Richtigkeit oder Falschheit dieser Position aus. Dies trifft insbesondere auch deshalb zu, weil Lewis das Sparsamkeitsprinzip für sich selbst beansprucht und dafür sogar gute Argumente vorbringen kann.
26 Hier in der hinlänglich bekannten Formulierung von Johann Clauberg, vgl. 1654, S. 320.
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Zu den unzähligen Neu- und Umformulierungen des Prinzips zählt etwa auch die in der englischsprachigen Philosophie sehr einflussreiche Version von Bertrand Russell: Whenever possible, substitute constructions out of known entities for inferences to unknown entities. (B. Russell 2010a, S. 130)
Wenngleich Lewis’ modaler Realismus selbstverständlich eine unendlich große Zahl an Entitäten postuliert, so reduziert er doch gleichsam die Zahl der unterschiedlichen Arten von Entitäten, indem er unbekannte Entitäten (nämlich Möglichkeiten) auf uns allen wohlbekannte Entitäten (nämlich Welten) zurückführt. Dadurch versucht Lewis, die Beweislast umzukehren und damit von seinen Kritikern Argumente einzufordern, warum mögliche Welten nicht real sind: It is uncontroversially true that things might be otherwise than they are. I believe, and so do you, that things could have been different in countless ways. But what does this mean? Ordinary language permits the paraphrase: there are many ways things could have been besides the way they actually are. On the face of it, this sentence is an existential quantification. It says that there exist many entities of a certain description, to wit ‚ways things could have been‘. I believe permissible paraphrases of what I believe; taking the paraphrase at its face value, I therefore believe in the existence of entities that might be called ‚ways things could have been‘. I prefer to call them ‚possible worlds‘. (D. K. Lewis 1973, S. 84)
Gemäß diesem Argument von Lewis folgt sein Genuiner Modaler Realismus lediglich alltagssprachlichen Intuitionen: In der Alltagssprache wird über Möglichkeiten quantifiziert, die Weisen darstellen, wie sich die Dinge hätten verhalten können. Diese Weisen sind aber nichts anderes als die möglichen Welten, deren Existenz in der Alltagssprache somit fest verankert sei. Damit hätten aber seine philosophischen Gegner die Beweislast auf ihrer Seite, wie Stalnaker (der selbst zu Lewis’ philosophischen Gegnern gehört) ausführt: The aim of the argument is to shift the burden to the skeptic who, if he is to defeat the argument, must point to the problems which commitment to possible worlds creates, and the alternative analysis which avoids those problems (Stalnaker 2003b, S. 3)
Dies ist allerdings vor allem als argumentativer Schachzug seitens Lewis zu verstehen. Der Verweis darauf, dass bereits in der Alltagssprache über mögliche Welten (wenngleich sie dort nicht so genannt werden) quantifiziert wird, ist nämlich keineswegs ausreichend, um die argumentative Beweislast umzukehren. Beispielsweise verwenden wir in der Alltagssprache auch Begriffe wie „Gott“, „Der gegenwärtige König von Frankreich“ und „Einhorn“, die die Existenz ihrer jewei-
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ligen Referenten semantisch präsupponieren. Dennoch ist es verfehlt, daraus zu schließen, dass Gottesleugner, Gaullisten und Einhornskeptiker automatisch eine philosophische Bringschuld hätten. Wenn überhaupt illustriert die hier kurz skizzierte versuchte Beweislastumkehr die bereits angedeutete Gefahr von derlei Argumenten, Philosophie unbedacht zu einer Partie Schwarzer Peter verkommen zu lassen. Gerade aus diesem Grund ist es wichtig, sich mit dem Genuinen Modalen Realismus als philosophische Position auseinanderzusetzen und sachliche Gegenargumente zu formulieren, die unabhängig von Fragen der Beweislast und dem Sparsamkeitsprinzip funktionieren. Hier gibt es zwei mögliche Argumentationsstrategien: Zum einen könnte man interne Unstimmigkeiten, Widersprüche oder Zirkularität innerhalb des modalen Realismus aufzeigen. Zum anderen könnte man versuchen, mit Hilfe von allgemeineren philosophischen Überlegungen aufzuzeigen, warum der GMR in philosophische Absurditäten führt und tatsächlich fundamentalen alltagssprachlichen Intuitionen widerspricht. Genau dies wird in den folgenden Unterkapiteln geleistet. Zunächst wende ich mich dabei den bekannten formalen Einwänden von Lycan und Shalkowski sowie Divers und Melia gegen die innere Stimmigkeit des modalen Realismus zu.
3.3 Theorieinterne Kritik am Modalen Realismus Wer für den Genuinen Modalen Realismus argumentiert, bedient sich häufig, wie oben ausgeführt, eines äußerst gewichtigen Arguments: Der GMR biete als einzige modale Theorie eine akkurate Analyse des Möglichkeitsbegriffs in nichtmodaler Terminologie und entspreche damit einer konsequenten Auslegung der Hume’schen Supervenienzthese. Das wiederum führe dazu, dass der GMR, anders als der Aktualismus und auch Kripkes deflationärer Ansatz, als Erklärung von Modalität nicht zirkulär ist, da er sich für seine Analyse von Modalität nicht auf unmittelbar modale Begriffe berufen müsse.²⁷ Im Folgenden untersuche ich, inwiefern sich der modale Realismus in seiner Analyse des Möglichkeitsbegriffs ebenfalls modaler Terminologie bedient – und damit theorieintern widersprüchlich, unvollständig oder zirkulär ist, wodurch er seine in Kap. 3.2.4 dargestellte Attraktivität einbüßen würde. Dafür gehe ich zunächst kurz auf die Anfang der 1990er Jahre geführte Debatte zwischen Lycan und
27 Zur Zirkularität aktualistischer Positionen vgl. Kap. 3.5.4, zur Zirkularität des modalmetaphyischen Deflationismus vgl. Kap. 4.5.1.
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Miller ein, bevor ich letztlich mit Hilfe der Argumente von Lycan, aber vor allem von Divers und Melia aufzeige, woran der modale Realismus intern scheitert.
3.3.1 Der Lycan-Shalkowski-Einwand: Mögliche Welten als primitiv-modaler Begriff Eine ernstzunehmende Kritik an den reduktionistischen Ambitionen des GMR stammt von William Lycan und Scott Shalkowski, wie etwa Ross Cameron herausarbeitet.²⁸ Deren Kritik zielt nämlich darauf ab, dass „for Lewis’s account of modality to succeed, he needs resources beyond those mentioned above [= die ontologischen Kompontenten, vgl. Kap. 3.2.1], and that such resources must be modal for the account to work“ (Cameron 2012, S. 5). Wenngleich diese Argumentation heute weitestgehend als entkräftet gilt (vgl. Divers und Melia 2002, S. 20–24; Cameron 2012, S. 5–11), ist es wichtig, sie in ihrem historischen Fortgang kurz zu rekonstruieren, um die Stoßrichtung des einschlägigsten theorieinternen Arguments von Divers und Melia (vgl. Kap. 3.3.2) nachvollziehen zu können. Lycan argumentiert, dass die Konsistenz (vgl. Kap. 3.3.2) der Analyse des Möglichkeitsbegriffs im GMR nur dann aufrecht zu erhalten ist, wenn „Welt“ beziehungsweise „mögliche Welt“ bereits ein modaler Begriff ist; andernfalls könnte Lewis nicht ausschließen, dass sich unter den von ihm postulierten Welten nicht auch unmögliche Welten befänden²⁹, was wiederum dazu führen würde, dass seine modale Metaphysik keine zufrieden stellende Analyse von Modalität bieten würde: Lewis mobilizes a modal primitive nonetheless. It is ‚world‘. ‚World‘ for him has to mean „possible world,“ since the very flesh- and-bloodiness aforementioned prevents him from admitting impossibilia. Some sets of sentences describe „worlds“ and some (the inconsistent ones as we know them to be) do not; but Lewis cannot make that distinction in any definite way without dragging in some modal primitive or other. (Lycan 1988, S. 46)
Shalkowskis argumentiert sehr ähnlich: [O]ne constraint on any reductive theory of modality is that all objects in the reductive base, those things whose existence and nonmodal attributes are to ground modality, must be objects that possibly exist. A set of objects that just happens to be „lying around“ is inappropriate for grounding modality unless all the objects meet the prior modal condition that
28 Vgl. im Folgenden insbesondere Cameron 2012, S. 5–11. 29 Einige Lewis-Schüler postulieren tatsächlich einen Realismus in Bezug auf unmögliche Welten als konsequente Fortführung des GMR. Darauf gehe ich jedoch erst in Kap. 3.5.1 ausführlich ein.
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they are possible. If they don’t, [. . . ] they are not suited to the task of grounding modality. (Shalkowski 1994, S. 677, Hervorh. im Orig.)
Shalkowski integriert in sein Argument die zu Beginn der 1990er Jahre in der analytischen Philosophie aufkommende Debatte um metaphysisches Grounding, auf welche im Rahmen dieses Buches jedoch nicht detailliert eingegangen wird³⁰, weshalb der Fokus im Folgenden vor allem auf der intensiv geführten Debatte zwischen Lycan und Richard Miller liegt, wobei letzterer den GMR gegenüber dem soeben skizzierten Einwand verteidigt. Miller erkennt die potentielle ‚Tödlichkeit‘ (vgl. Miller 1989, S. 477) dieser Argumentation für den GMR an, da sie das „very heart of Lewis’s argument“ (Miller 1989, S. 477) angreift, nämlich eine reduktive Analyse des Möglichkeitsbegriffs in nicht-modaler Terminologie: This argument is that possible worlds must be postulated in order to give satisfying philosophical analyses of stubborn but crucial concepts [= die Begriffe Möglichkeit und Notwendigkeit, S. Krebs]. If possibilia are the only way to solve these problems, then Ockham’s Razor will not cut. On the other hand, if ‚possible world‘ is itself a concept which requires unanalysed modalities for its analysis, then Lewis’s analyses would be fraudulent. The satisfying simplicity they promise would be a cheat. (Miller 1989, S. 477)
Zwar gesteht Miller zu, dass einige Formulierungen in Lewis’ Beschreibungen der möglichen Welten so klingen, als würden sie modale Terminologie beinhalten (vgl. Miller 1989, S. 477–478), jedoch verteidigt er Lewis damit, dass es ihm prinzipiell möglich wäre, die reduktive Analyse von Modalität auf Welten ohne Rückbezug auf modale Terminologie durchzuführen. Während es bei Lewis zwar viele Erklärungen und Anmerkungen zu den möglichen Welten, jedoch keine explizite Definition des Begriffs „Welt“ gibt, schlägt Miller vor, mögliche Welten wie folgt zu definieren und scheint dabei ohne modale Terminologie auszukommen: 1. Individuen sind Weltgenossen (worldmates), wenn sie in einer raumzeitlichen Beziehung zueinander stehen.
30 Unter Grounding wird im Allgemeinen eine metaphysische Erklärung verstanden, bei der Explanans und Explanandum nicht nur kausal miteinander verbunden sind, sondern in ihrer ontologischen Konstitution voneinander abhängen (vgl. Correia und Schnieder 2012; Fine 2012c). Gemäß dem GMR wäre Modalität ontologisch abhängig von der Existenz von möglichen Welten, das heißt Modalität wäre ontologisch in den möglichen Welten gegründet oder die möglichen Welten würden den ontologischen Ground für Modalität darstellen.
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Eine Welt ist die mereologische Summe von Weltgenossen (vgl. Miller 1989, S. 477).³¹
Laut Lycan verlagert diese Definition von Welt die modale Terminologie in der reduktiven Analyse jedoch nur weiter auf die Individuen, weil Lewis (beziehungsweise Miller, der Lewis verteidigt) schließlich sicher stellen müsste, dass es sich bei den raumzeitlich miteinander in Beziehung stehenden Individuen, deren mereologische Summe jeweils eine Welt bilden, nur um mögliche Individuen handeln kann – und dies könnte er nur tun, indem er modale Terminologie in seine Definition von Individuen integriert: Miller’s Lewis would not be able to rule out worlds containing round square cupolas. (Lycan 1991, S. 212, Hervorh. im Orig.)
Da Lewis aber die Existenz von Impossibila bestreitet³², würde Millers zweite Prämisse eigentlich nichts anderes bedeuten als: 2’. Eine Welt ist die mereologische Summe von möglichen Weltgenossen, das heißt logisch akzeptablen Anwärtern auf die Mitgliedschaft in der jeweiligen ‚Weltgenossenschaft‘ (vgl. Lycan 1991, S. 212–213). Mit dieser Einschränkung würde Miller zwar das Problem, die Existenz von unmöglichen Individuen (wie beispielsweise der runden und quadratischen Kuppel) anerkennen zu müssen, umgehen, würde aber modale Terminologie geradewegs wieder durch die Hintertür in das Haus lassen, aus dem er sie gerade erst verbannen wollte. Wieder wäre die reduktive Analyse des GMR in Frage gestellt, zumal – so argumentiert Lycan fort – auch die raumzeitliche Beziehung, in der die jeweiligen Weltgenossen zueinander stehen, einen modalen Kern enthält: [T]he spatiotemporal relatedness must itself be understood as the bearing of a possible or logically acceptable spatiotemporal relation. (Lycan 1991, S. 213, Hervorh. im Orig.)
Da es nämlich denkbar wäre, dass die raumzeitlichen Beziehungen in anderen Welten anders aussehen, könnte es schließlich sein, dass es eine Welt gibt, in der unmögliche raumzeitliche Beziehungen bestehen, was Lewis jedoch selbst ausschließt, da die raumzeitlichen Beziehungen in anderen Welten mindestens analog zu denen in der aktualen Welt aussehen müssen:
31 Diese Definition findet sich in den von Divers und Melia aufgelisteten ontologischen Komponenten des GMR in O8 bis O10 wieder, wobei diese sich in der Ausformulierung explizit auf Miller beziehen (vgl. Divers und Melia 2002, S. 22–23). 32 Was er vielleicht gar nicht zwingend tun müsste, vgl. Kap. 3.3.2.
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[E]ach world is interrelated (and is maximal with respect to such interrelation) by a system of relations which, if they are not the spatiotemporal relations rightly so called, are at any rate analogous to them. (D. K. Lewis 1986a, S. 75)
Würde Lewis andere raumzeitliche Beziehungen zulassen, könnte er kausale oder anderweitig raumzeitliche Interaktionen zwischen den Welten nicht ausschließen, wie Lycan am Beispiel der Hafenbrücke von Sydney verdeutlicht: Without that tacit understanding [dass die raumzeitlichen Beziehungen in anderen Welten logisch möglich sein müssen], any object [. . . ] is spatiotemporally related to the (actual) Sydney Harbour Bridge – albeit by some logically incoherent relation. (Lycan 1991, S. 213, Hervorh. im Orig.)
Divers und Melia (vgl. 2002, S. 23–24) antworten auf dieses Argument wie folgt: Die Anforderung, eine konsistente Analyse von Modalität darzubieten, zwinge den GMR zwar – wie von Lycan richtigerweise postuliert – dazu, keine Welt anzuerkennen, in der es unmögliche Individuen gibt. Jedoch sei die Konsequenz, dass „Individuum“ im Sinne des GMR bereits begrifflich modal ist, nicht zwingend, da der GMR dies durch die Hinzufügung neuer Axiome umgehen könnte: [J]ust as the genuine modal realist tried to express completeness by finding a principle that generated all the worlds there could be, so she might express consistency by finding a principle that limited the worlds to only those there could be. Nothing that Lycan has said gives us reason to think that any such principle must be irreducibly modal. (Divers und Melia 2002, S. 24)
Genau wie Lewis durch sein Principle of Recombination (entspricht der ontologischen Komponente O12, vgl. Kap. 3.2.1) sicher stellen konnte, dass er alle Welten generiert, die möglich sind, könnte er problemlos auch ein Prinzip einbauen, welches seine Konsistenz garantiert, d.h. dass nur die Existenz von möglichen, nicht aber von unmöglichen Welten postuliert wird. Daher schließen Divers und Melia, dass nichts darauf hindeutet, dass der GMR durch seine Begriffe von „Welt“ und „Individuum“ zwingend modal sei in einer Weise, die die reduktionistischen Ansprüche des GMR scheitern ließen. Eine etwas andere, grundlegendere Strategie benutzt Cameron, um die eben dargestellte Kritik von Lycan und Shalkowski zu entkräften, der zufolge der GMR sich in seinen Begrifflichkeiten auf genuin modale Termini berufe und daher in seinen reduktionistischen Ansprüchen scheitere.³³ Laut Cameron basiert der Einwand von Lycan und Shalkowski auf einem falschen Verständnis dessen, was es bedeutet, eine reduktive Analyse eines Phänomens durchzuführen: Wenn Lycan
33 Vgl. im Folgenden Cameron 2012, S. 5–11.
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Lewis etwa – wie oben dargelegt – vorwirft, Impossibilia nicht umgehen zu können, ohne anzunehmen, dass „Welt“ und „Individuum“ bereits modale Begriffe sind, schlägt Cameron folgende Antwortstrategie für Lewis vor: No, I don’t need a modal understanding of ‚world‘ or ‚individual‘. I can guarantee that there are no impossibilia because if they exist, my analysis says precisely that they’re not impossibilia – they’re possibilia! (Cameron 2012, S. 8)
Cameron zufolge ist der Einwand von Lycan und Shalkowski also deshalb zurückzuweisen, weil er ein falsches Verständnis dessen voraussetzt, was genau unter einer reduktiven Analyse zu verstehen ist und was von einer solchen erwartet werden kann. Cameron veranschaulicht dies anhand der Frage, was es bedeutet ΦTatsachen auf Ψ-Tatsachen zu reduzieren: Suspicion should be raised by the fact that, if the objection is successful, it’s hard to see how any reductive analysis could be possible. Consider a proposed reductive analysis of the Φ-facts in terms of the Ψ-facts. A condition of success is that the analysis be materially adequate [. . . ]. But unless our concept of Ψ implicitly involves an appeal to the concept of Φ, what can ensure this? But of course, if our concept of Ψ does so involve the concept of Φ, the reduction must fail. That can’t be right. [. . . ] [T]alk of „ensuring“ that an analysis is materially adequate is misleading. In one sense, it’s trivial that that [sic!] the analysis is ensured to be materially adequate. After all, if the analysis of the Φ-facts in terms of the Ψ-facts is indeed correct, then there is no question of the Ψ-facts not corresponding in the appropriate manner (i. e. to ensure material adequacy) to the Φ-facts – precisely because, if the analysis is correct, the Φ-facts simply are the Ψ-facts! (Cameron 2012, S. 7)
Cameron zeigt damit richtigerweise auf, dass eine reduktive Analyse von Möglichkeit (Φ) auf mögliche Welten (Ψ) nur dann korrekt sein kann, wenn Ψ eine materiale Adäquatheit gegenüber Φ darstellt, d.h. wenn durch die möglichen Welten tatsächlich nur Möglichkeiten repräsentiert werden. Der Einwand von Lycan und Shalkowski, dass dies nur funktioniert, wenn „Welt“ und im nächsten Schritt von Lycans Argument „Individuum“ bereits selbst modale Termini sind, schlägt laut Cameron also deshalb fehl, weil Lewis antworten könnte, dass „Welt“ und „Individuum“ genau deshalb den Anschein haben, modale Termini zu sein, weil sie die korrekte reduktive Analyse von Möglichkeit repräsentieren. Ähnlich könnte man einem physikalistischen Reduktionismus in Bezug auf das Körper-Geist-Problem kaum vorwerfen, dass die physikalischen Zustände, auf die mentale Zustände zurückgeführt werden, Repräsentationen von mentalen Zuständen seien und damit
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inhärent mentale Terminologie in der Reduktion angewandt werde.³⁴ Im Gegenteil zeigt Cameron richtigerweise auf, dass das, worauf Φ reduziert wird, einem vortheoretischen Verständnis von Φ sogar möglichst nahestehen soll, damit eine reduktive Analyse überhaupt sinnvoll ist: An analysis can be informative, but it can’t be drastically revisionary, so what’s true at a world had better not come too far apart from what we pre-theoretically think is possible if Lewis’s analysis is to be acceptable in the first place. (Cameron 2012, S. 10)
Sowohl mit Cameron als auch mit Divers und Melia wurde soeben gezeigt, dass der von Lycan und Shalkowski vorgetragene Einwand zurückzuweisen ist.³⁵ Gleichzeitig darf er in seiner historischen Tragkraft insofern nicht unterschätzt werden, als die bei der Entkräftung dieses Einwands zur Geltung kommende Argumentation zentral ist, um das im nächsten Abschnitt zu betrachtende Argument von Divers und Melia gegen den GMR im Einzelnen nachzuvollziehen. Auch dieses Argument (und der meiner Meinung nach scheiterende Widerlegungsversuch von Cameron) hängen eng mit der bereits mehrfach angerissenen Frage zusammen, was genau unter einer vollständigen reduktiven Analyse zu verstehen ist.
3.3.2 Das Unvollständigkeitsargument von Divers und Melia 3.3.2.1 Voraussetzungen für eine akkurate Analyse des Möglichkeitsbegriffs Die nach wie vor bedeutsamste theorieinterne Kritik am GMR wurde von John Divers und Joseph Melia in ihrem gemeinsamen Aufsatz „The Analytic Limit of Genuine Modal Realism“ (2002) vorgebracht. Darin zeigen sie auf, dass der GMR keine akkurate Analyse des Möglichkeitsbegriffs darstellt und somit in seinen reduktionistischen Ansprüchen (vgl. Kapitel 3.1.1) scheitert. Dafür stellen sie zunächst mit der Vollständigkeit (completeness) und Konsistenz (consistency) zwei Kriterien auf, die eine akkurate Analyse des Möglichkeitsbegriffs erfüllen müsse: A genuine realist analysis of possibility is accurate only when the ontological component of GMR determines the existence of a set of worlds that is perfectly accurate–that is to say that the set of worlds GMR posits must be complete, by containing worlds of sufficiently many
34 Dies heißt selbstverständlich nicht, dass ich in diesem Buch einen physikalistischen Reduktionismus verteidige. 35 Auf weitere Fortführungen und Repliken zu diesem Einwand wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen, da sich an der grundsätzlichen Stoßrichtung jeweils nur wenig ändert und die hier vorgetragenen Gegenargumente grundsätzlich auch darauf übertragen werden können; eine Übersicht dazu (und eine kurze Widerlegung weiterer Varianten des Einwands von Lycan und Shalkowski) bietet etwa Cameron 2012, S. 5–11.
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different types to represent all of the possibilities, and consistent, by containing no worlds of any type that represents any impossibility. (Divers und Melia 2002, S. 18)³⁶
Der Genuine Modale Realismus ist – wie bereits in Kapitel 3.2.1 gezeigt – genau dann vollständig, wenn für alles, was möglich ist, eine Welt existiert, die diese Möglichkeit repräsentiert. Er ist genau dann konsistent, wenn es keine Welten gibt, die Unmöglichkeiten repräsentieren. Inwieweit man vom modalen Realisten tatsächlich Konsistenz einfordern kann, ist umstritten. Nicht von ungefähr fordern viele Anhänger von Lewis auch die Existenz sogenannter unmöglicher Welten ein³⁷ und eine Reduktion von Möglichkeit auf Welten wäre auch dann noch möglich, wenn es neben den möglichkeitsrepräsentierenden Welten vielleicht sogar Welten gibt, die keiner Möglichkeit entsprechen. Lewis selbst schließt die Existenz unmöglicher Welten aus, könnte damit aber auch durch die Hinzunahme von unmöglichen Welten den im vorherigen Abschnitt geschilderten Einwand von und Shalkowski umgehen, dass „Welt“ ein genuin modaler Begriff sei, würde seine Ontologie damit aber noch weiter aufblähen. Dennoch wäre – um noch einmal die Analogie zum Körper-Geist-Problem zu bedienen – die Reduktion von mentalen Zuständen auf physische Zustände im Gehirn auch dann noch problemlos möglich, wenn es neben den reduzierten mentalen Zuständen noch weitere physische Zustände gäbe. Eigentlich liegt darin sogar der Witz einer Reduktion. Während man das Kriterium der Konsistenz also durchaus kritisch sehen könnte, kommt Lewis nicht umhin, das Kriterium der Vollständigkeit zu erfüllen, wenn er am GMR als akkurate Analyse des Möglichkeitsbegriffs festhalten will. Wenn es nämlich mentale Zustände geben sollte, die nicht auf physische Zustände zurückgeführt werden können, dann kann man kaum von einer erfolgreichen Reduktion im Sinne des Physikalismus sprechen. Genau dasselbe würde für den Fall gelten, dass es Möglichkeiten gibt, die in keiner möglichen Welt repräsentiert wären. Dann wäre die Analyse des GMR nicht länger akkurat und Lewis müsste seine reduktionistischen Ansprüche zurückschrauben. Für den Erfolg des folgenden Einwands von Divers und Melia genügt es anzuerkennen, dass die Reduktion vollständig sein muss, weshalb es an dieser Stelle
36 Vgl. Divers und Melia 2002, S. 27: „[I]f GMR is to provide an accurate analysis of the concept of possibility then the worlds it postulates must be neither too many nor too few in kind. For every possible way the world could be there must be a world where that possibility is true, and there must be no worlds where impossibilities are true“. 37 Siehe dafür etwa Mortensen 1997; Vander Laan 1997; Yagisawa 1988; und Yagisawa 2010. Diese spannende, aber relativ losgelöste Debatte um die Existenz von unmöglichen Welten wird in Kap. 3.5.1 kurz thematisiert.
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offen gelassen werden kann, ob Konsistenz eine notwendige Bedingung einer erfolgreichen Reduktion sein muss. 3.3.2.2 David Lewis und die fremden natürlichen Eigenschaften Um ihren Einwand gegen die Akkuratheit von Lewis’ Möglichkeitsanalyse aufzubauen, machen sich Divers und Melia eine bisher noch nicht erwähnte und in der jüngeren Forschung häufig vernachlässigte Besonderheit des GMR zunutze: Die von Lewis behaupteten fremden (alien) natürlichen Eigenschaften: Let us say that a property is alien to a world iff (1) it is not instantiated by any inhabitant of that world, and (2) it is not analysable as a conjunction of, or as a structural property constructed out of, natural properties all of which are instantiated by inhabitants of that world. (D. K. Lewis 1983a, S. 364, Hervorh. im Orig.)³⁸
Eine fremde natürliche Eigenschaft wäre demnach also eine Eigenschaft, die weder in der aktualen Welt vorkommt noch aus anderen in der aktualen Welt vorkommenden Eigenschaften aufgebaut ist. Die Eigenschaft „ein sprechender Esel zu sein“ z. B. wäre demnach also nicht α-fremd, weil es in der aktualen Welt α zwar keine sprechenden Esel gibt, aber sehr wohl die Eigenschaften „ein Esel sein“ und „sprechen können“. Ein konkretes Beispiel für eine α-fremde Eigenschaft kann daher nicht gegeben werden, da ich in der aktualen Welt, in der ich gerade an diesem Buch schreibe, gar kein Verständnis davon haben kann, welche konkreten Eigenschaften es vielleicht in anderen möglichen Welten gibt, die mit den Eigenschaften in α nichts zu tun haben. Nicht alle Modaltheoretiker akzeptieren α-fremde Eigenschaften. Lewis beruft sich aber gerade auf α-fremde Eigenschaften, um sich vom Ersatzismus und anderen rivalisierenden Modaltheorien abzugrenzen (vgl. Divers und Melia 2002, S. 27; D. K. Lewis 1986a, S. 159–165). Anders als Lewis nämlich ist es für den Ersatzismus aus prinzipiellen Gründen nicht möglich, von α-fremden Eigenschaften auszugehen, da diese per definitionem der aktualen Welt fremd sind und sie sich daher von der ersatzistischen Theorie, die davon ausgeht, dass alles, was existiert, aktual existiert, sprachlich gar nicht fassen lassen (vgl. D. K. Lewis 1986a, S. 159, und Kap. 3.5.4). Lewis nützt die Annahme von α-fremden Eigenschaften also dahingehend, dass seine Theorie dadurch ein Phänomen erklären kann, welches der Ersatzismus nicht erklären kann (weil es das Phänomen laut dem Ersatzismus gar nicht geben kann). Dieser – wie sich in Kap. 3.5.4 herausstellen wird,
38 Siehe D. K. Lewis 1986a, S. 91; die Definition geht auf die Neuauflage des Universalienstreits zwischen Lewis und David Armstrong zurück, vgl. daher Armstrong 1978, 30–42 u. 67–71; D. K. Lewis 1983a.
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durchaus nicht unstrittigen – Argumentation Lewis’ folgend, wäre es für den GMR also äußerst unattraktiv, fremde natürliche Eigenschaften als Teil seiner ontologischen Komponenten abzulehnen, da ein Großteil seiner Erklärungskraft von der Annahme α-fremder Eigenschaften abhängt. In den oben aufgelisteten ontologischen Komponenten des Genuinen Modalen Realismus (GMR) O1 bis O12 von Divers und Melia werden solche fremden Eigenschaften allerdings noch nicht abgedeckt. Wenn Lewis an der Existenz von mindestens einer α-fremden Eigenschaft festhalten will (und dies sollte er aus genanntem Grund tun), kommt also noch eine weitere ontologische Komponente hinzu, die Divers und Melia als OA1 einführen: OA1 Es gibt mindestens eine Welt, in der es ein Individuum gibt, das eine natürliche Eigenschaft instanziiert, die α-fremd ist (also in der aktualen Welt nicht vorhanden ist). Doch, so argumentieren Divers und Melia richtigerweise weiter, wäre es inkonsequent, von nur einer α-fremden Eigenschaft auszugehen. Wenn es also eine α-fremde Eigenschaft gibt, dann muss es unendlich viele α-fremde Eigenschaften geben. Wenn der Geunine Modale Realist also OA1 akzeptiert, muss er auch OAN als ontologische Komponente seiner Theorie akzeptieren.³⁹ OAN Für jedes n gibt es n Gegenstände, die, unter ihnen, n unterschiedliche fremde natürliche Eigenschaften instanziieren. Der Schritt von OA1 zu OAN ist also zwingend. Jedoch wird GMR durch Hinzunahme von OAN als zusätzliche Komponente unvollständig, wie Divers und Melia weiter argumentieren. 3.3.2.3 Das Unvollständigkeitsargument von Divers und Melia Damit der GMR eine vollständige Reduktion von Modalität darstellen kann, muss er für jede Weise, wie die aktuale Welt sein könnte, die Existenz einer Welt garantieren. Der logische Raum darf also keine Lücken aufweisen. Oder negativ ausgedrückt: Der GMR ist unvollständig, wenn es nur eine Möglichkeit gibt, für die er nicht die Existenz einer möglichen Welt garantieren kann.⁴⁰ Durch Hinzunahme
39 Ich folge hier den in diesem Buch nicht weiter ausgeführten drei Argumenten von Divers und Melia, mit deren Hilfe der Übergang von OA1 zu OAN begründet wird, vgl. Divers und Melia 2002, S. 28–30. 40 Siehe die Vollständigkeitsdefinition weiter oben in diesem Kapitel.
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der α-fremden Eigenschaften (und damit der ontologischen Komponente OAN) steht die Frage im Raum, ob GMR + OAN diese Vollständigkeit noch garantieren können. Dies könnte man von Anfang an verneinen, doch damit wäre für den GMR nichts gewonnen. Seine Analyse von Möglichkeit wäre dann nicht vollständig, die Reduktion würde scheitern und der GMR seine Attraktivität als ernstzunehmende philosophische Theorie einbüßen. Mit anderen Worten: Lewis’ utility argument für den modalen Realismus (vgl. Kap. 3.2.4) wäre widerlegt, da der modale Realismus keine vollständige Reduktion vom Modalität mehr bieten würde. Dennoch gestehen Divers und Melia GMR + OAN die Vollständigkeit zunächst zu, um anschließend argumentativ zu zeigen, dass gerade die Annahme, GMR + OAN seien vollständig, paradoxerweise zu der Konklusion führe, dass GMR + OAN unvollständig seien (vgl. Divers und Melia 2002, S. 31–32). Aus GMR + OAN lässt sich nämlich die Menge S konstruieren, die eine vollständige Menge all jener Welten darstellt, deren Existenz GMR + OAN garantieren. OAN besagt zudem, dass es unendlich viele α-fremde Eigenschaften gibt, die in einer abzählbaren Folge stehen: P1 , P2 . . . P n . Daraus schließen Divers und Melia, dass es eine ordentliche Teilmenge von S gibt, die sie S∗ nennen und die alle Welten aus S enthält mit Ausnahme derer, in denen die α-fremden Eigenschaften P1 , P3 , P5 . . . (für alle n in P2n+1 ) instanziiert sind. Wenn man nun alle ontologischen Komponenten von GMR + OAN betrachtet, stellt man fest, dass diese sowohl für die Menge S als auch für deren Teilmenge S∗ gültig sind. Mit S∗ gibt es also eine Menge an möglichen Welten, für die die Axiome GMR + OAN zutreffen, die aber eindeutig unvollständig ist, da Möglichkeiten, die die α-fremden Eigenschaften P1 , P3 , P5 . . . (für alle n in P2n+1 ), beinhalten, nicht durch eine Welt repräsentiert werden. Daher schließen Divers und Melia zu Recht, dass GMR + OAN unvollständig sind, wenn man davon ausgeht, dass es α-fremden Eigenschaften gibt und GMR + OAN vollständig sind. Mit diesem Argument für die Unvollständigkeit des Genuinen Modalen Realismus würde diese Position auch ihre philosophische Attraktivität verlieren, wie oben bereits ausgeführt wurde. Deshalb wurde von modalen Realisten aus ganz unterschiedlichen Richtungen gegen das Unvollständigkeitsargument von Divers und Melia argumentiert. Zunächst werde ich daher kurz auf formale Einwände eingehen, die aber allesamt auf Missverständnisse des eigentlichen Arguments zurückgehen und somit leicht entkräftet werden können, wodurch wiederum der genaue Mechanismus des Arguments von Divers und Melia verständlicher wird. Anschließend werde ich die nicht-formale Gegenstrategie von Ross Cameron entkräften, um somit am Unvollständigkeitsargument von Divers und Melia festzuhalten.
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3.3.2.4 Formale Kritik am Unvollständigkeitsargument von Divers und Melia Divers und Melia entkräften mögliche Kritikpunkte am Ende ihres Aufsatzes, indem sie vier mögliche Antwortstrategien vorstellen (vgl. 2002, S. 32–35). Eine Strategie scheint dabei besonders vielversprechend: Das Unvollständigkeitsargument habe zwar gezeigt, dass GMR + OAN unvollständig seien, aber nicht, dass die Vollständigkeit für den modalen Realisten durch Hinzunahme eines weiteren Axioms nicht wiederherzustellen sei.⁴¹ Dabei bringen sie mit OAM sogar einen möglichen Kandidaten für ein zusätzliches Axiom ins Spiel: OAM Jede Weise, wie ein Teil der Welt sein könnte, ist eine Weise, wie ein Teil von irgendeiner Welt ist.⁴² Damit würde das oben ausgeführte Kriterium für Vollständigkeit sozusagen als ontologische Komponente in GMR + OAN integriert. Allerdings hätte OAM das Problem, primitiv modal in einem für Lewis nicht mehr zu rechtfertigenden Sinne zu sein: Das Wort „könnte“ (could) in OAM setzt nämlich einen nichtreduzierbaren Möglichkeitsbegriff voraus. Mit der Hinzunahme von OAM wäre GMR + OAN also durchaus wieder vollständig, aber eben keine funktionierende Reduktion von Modalität mehr, da hier ein primitives Verständnis von Modalität als Axiom vorausgesetzt wird. Diese primitive Modalität könnte auch nicht durch ein zusätzliches Axiom aufgelöst werden. Auch der Gegeneinwand von Cameron gegen Lycan, dem zufolge inhärente Modalität nicht zu vermeiden sei, da diese gerade das Wesen einer Reduktion von Modalität ausmache, würde nicht greifen, da die primitive Modalität hier nicht nur in einem der Grundbegriffe, auf die reduziert werden soll, steckt, sondern das gesamte Axiom OAM in seinem Wesen primitiv modal sein muss. Genau damit aber wäre der modale Realismus keine attraktive philosophische Position mehr, da dies die Reduktion von Modalität auf Welten scheitern ließe. Auch andere Autoren haben versucht, GMR + OAN durch ein zusätzliches Axiom zu ergänzen, um die Vollständigkeit der Reduktion von Modalität auf mögliche Welten zu gewährleisten. Zu nennen sind dabei insbesondere Manuel Bremer (2003) und Alexander Paseau (2006), auf deren Axiomatisierungsvorschläge im Folgenden jedoch nicht ausführlich eingegangen wird. Wenngleich Divers und Melia die Stoßrichtung der Einwände von Bremer und Paseau als „certainly not
41 Es sei daran erinnert, dass Divers und Melia die Konsistenz von Lewis’ GMR gegenüber dem Einwand von Lycan und Shalkowski gerade dadurch verteidigen, dass ein zusätzliches Axiom die inhährente begriffliche Modalität ausschließen könnte, vgl. Kap. 3.3.1. 42 Auf Englisch: „Every way that a part of world could be is a way that a part of some world is“ (Divers und Melia 2002, S. 34).
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trivial“ (Divers und Melia 2003, S. 85) anerkennen, zeigen sie in der sich daran anschließenden Debatte auf, dass auch die von ihnen vorgeschlagenen Axiome primitiv modal in einem nicht mehr zu rechtfertigendem Sinn sind. Dass Divers und Melia diese Art von formalen Einwänden gegen ihr Argument überzeugend widerlegen, gesteht etwa auch Cameron zu, der eigentlich gegen den Einwand von Divers und Melia für Lewis argumentiert (vgl. Cameron 2012, S. 12–13; Divers und Melia 2002, 2003, 2006). Deshalb wird der Augenmerk der verbleibenden Abschnitte dieses Kapitels nun auf die philosophisch gehaltvollere Debatte zu den Anforderungen an eine reduktive Analyse von Modalität gerichtet. 3.3.2.5 Camerons Einwand zu den Anforderungen an eine reduktive Analyse Eine vielversprechendere Strategie zur Entgegnung auf das Unvollständigkeitsargument von Divers und Melia wählt Ross Cameron.⁴³ Er erkennt das Argument nämlich als gültig an, kritisiert aber, dass Divers und Melia die falschen Schlussfolgerungen daraus ziehen, da sie falsche Anforderungen an eine reduktive Analyse stellen: [W]hile Divers and Melia are right about what the Lewisian realist cannot do, there is no demand that she should be able to do it in the first place. Hence while Divers and Melia are right about the „analytic limit“ of Lewisian realism, this poses no threat to that theory’s reductive ambitions. (Cameron 2012, S. 12)
Cameron hält in seiner Analyse des Divers-Melia-Einwands richtigerweise fest, dass laut Divers und Melia der GMR nicht nur eine Erklärung dafür beinhalten muss, was Möglichkeit ist, sondern Lewis auch den Umfang dessen erklären muss, was möglich ist, um eine erfolgreiche reduktive Analyse von Modalität anbieten zu können. Dies ist insofern berechtigt, als es Divers und Melia tatsächlich darum geht, mit der von ihnen konstruierten Teilmenge S∗ aufzuzeigen, dass es Möglichkeiten geben kann, die nicht von den Axiomen des GMR erfasst werden können, und nur deshalb nicht von einer erfolgreichen reduktiven Analyse von Modalität durch den GMR gesprochen werden kann. Jedoch kritisiert Cameron diese von Divers und Melia aufgestellten Forderungen an den GMR über die Natur einer reduktiven Analyse, da er nicht glaubt, dass die Axiome des GMR auch eine Erklärung für den Umfang dessen, was möglich ist, anbieten müssen.
43 Ich danke den Teilnehmern des Workshops „Varieties of Existence“ im Juli 2015 in Bamberg für ihr Feedback zu meinem Vortrag „Why Lewis’s Analysis of Modality Fails in its Reductive Ambitions“, welcher die Grundlage für meine in diesem Abschnitt dargelegte ausformulierte Entkräftung des Cameron-Einwands bildete.
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I see no reason at all to think that a successful account of what possibility is should by itself settle the extent of what is possible. (Cameron 2012, S. 13)
Laut Cameron muss der GMR also nicht den Umfang des logischen Raums erklären, d.h. er muss gewissermaßen nicht Buch darüber führen, welche Welten möglich sind und wie diese Welten genau beschaffen sind, um eine vielversprechende begriffliche Analyse des Modalitätsbegriffs anzubieten. Dies begründet er mit Hilfe eines Vergleichs zu anderen begrifflichen Analysen: I think we should reject such a demand, not just for the modal concepts, but for any analysis. When the consequentialist tells us what goodness is, she can leave it open what is in fact good. If I offer you an account of what mathematical truth is, I have to leave it open to some extent what the mathematical truths are [. . . ]. Likewise, then, an analysis of possibility can stay quiet on the extent of possibility. (Cameron 2012, S. 13)
Dieser Vergleich kann jedoch insofern zurückgewiesen werden, als es in Lewis’ GMR gerade nicht um eine gewöhnliche Erklärung, sondern um eine reduktive Erklärung von Modalität geht. Wie in Kapitel 3.2.4 dargelegt, ist es gerade ein entscheidendes Argument für den GMR, dass dieser im Einklang mit der von Lewis vertretenen Hume’schen Supervenienzthese den Begriff der Modalität auf etwas Grundlegenderes, nämlich den Begriff der möglichen Welt reduzieren kann, da Möglichkeit und Notwendigkeit von der Physik nicht erklärt werden und daher in der aktualen Welt keinen Platz finden können, sofern man ein physikalistisches Weltbild vertritt. Kurzum: Der GMR will nicht nur erklären können, was Möglichkeit ist (ähnlich wie vielleicht der Mathematiker erklären will, was eine mathematische Wahrheit ist), der GMR behauptet, dass Möglichkeit nichts anderes ist als Wirklichkeit in einer anderen Welt. Lewis beansprucht, mit seinem GMR eine vollständige Reduktion von Möglichkeit auf etwas ontologisch Grundlegenderes zu leisten, um die Rede von Möglichkeiten aus genannten Gründen eliminieren zu können. Dies geht über eine gewöhnliche Erklärung (wie sie in Camerons Beispielen vom Guten und von mathematischen Wahrheiten angedeutet wird) weit hinaus. Während Cameron durchaus Recht hat, dass nicht jede Form von Erklärung etwas über den Umfang des zu Erklärenden aussagen muss, kann jedoch kaum von einer erfolgreichen reduktiven Erklärung gesprochen werden, wenn der Umfang des zu Reduzierenden nicht beachtet wird. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass von Lewis erwartet werden könnte, dass er von vornherein alle Möglichkeiten auflistet und für jede einzelne dieser Möglichkeiten aufzeigt, dass es eine mögliche Welt gibt, auf die diese Möglichkeit zurückgeführt werden könnte. Dies wäre angesichts unendlich vieler Möglichkeiten auch ein hoffnungsloses Unterfangen, dem Lewis angesichts der zeitlichen Endlichkeit seines Lebens gar
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nicht hätte gerecht werden können – etwa vergleichbar damit, von einem physikalistischen Reduktionisten in Bezug auf das Körper-Geist-Problem zu verlangen, er müsse von vornherein für jeden scheinbaren mentalen Zustand den physikalischen Zustand benennen können, auf den jener reduziert werden soll. Darum geht es Divers und Melia in ihrem Einwand aber auch gar nicht. Divers und Melia zeigen lediglich auf, dass es unter Zuhilfenahme von S∗ und aller ontologischen Komponenten des GMR Möglichkeiten gibt, die Lewis’ Theorie nicht erklären kann, weil sie durch keine mögliche Welt repräsentiert werden. Sollte es jedoch Möglichkeiten geben, die Lewis’ Theorie nicht erklären kann, scheitert diese in ihren reduktionistischen Ambitionen, da sie damit anerkennen müsste, dass Modalität ein primitiver Begriff der Wirklichkeit ist und Lewis’ physikalistisches Weltbild diesen schlicht nicht hinreichend wegerklären kann. Um dies zu veranschaulichen, soll im Folgenden noch einmal kurz darauf eingegangen werden, was eine reduktionistische Analyse ist und was diese zu leisten imstande sein muss, um als erfolgreich gelten zu können. Darauf aufbauend wird zum Ende dieses Unterkapitels zur theorieinternen Kritik an Lewis’ modalem Realismus am Unvollständigkeitsargument von Divers und Melia festgehalten, dem zufolge der GMR keine hinreichende Reduktion von Modalität bietet, was diesem wiederum sein wichtigstes explanatorisches Fundament nehmen würde. In Kapitel 3.1.1 wurde die relativ unumstrittene Minimaldefinition von van Riel und van Gulick für eine reduktive Analyse vorgestellt: Saying that x reduces to y typically implies that x is nothing more than y or nothing over and above y. (van Riel und van Gulick 2016, Hervorh. im Orig.)
In dieser Definition steckt bereits die folgende Annahme, nämlich das für jede erfolgreiche Reduktion gilt: x wird auf y reduziert, nur wenn alle x y sind. Oder in anderen Worten: Es ist eine notwendige Bedingung für die Reduktion von x auf y, dass alle x y sind. Dies bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass x nicht auf y reduziert werden kann, wenn es (mindestens) ein x gibt, das nicht y ist. Der Begriff der Möglichkeit kann damit nicht auf mögliche Welten reduziert werden, wenn es eine Möglichkeit gibt, die keine mögliche Welt ist (bzw. nicht durch eine solche repräsentiert wird). Da Divers und Melia mit ihrem Argument aber genau dies gezeigt haben, stößt der GMR durch Hinzunahme des Axioms OAN (d.h. der fremden natürlichen Eigenschaften) tatsächlich an seine analytische Grenze und scheitert damit an seinen reduktionistischen Ambitionen. Dies bedeutet zwar nicht, dass die gesamte metaphysische Position des GMR durch dieses Unvollständigkeitsargument widersprüchlich und damit widerlegt wäre: Natürlich könnte es trotzdem noch Paralleluniversen geben und natürlich
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könnten einige (oder vielleicht sogar alle) von ihnen dem entsprechen, was in der wirklichen Welt der Fall hätte sein können, und in ihnen könnten vielleicht sogar Individuen leben, mit denen wir in einer Ähnlichkeitsbeziehung zueinander stünden. Doch all dies würde nichts zum Verständnis des wichtigen metaphysischen Begriffs der Möglichkeit beitragen, da sich in der Teilmenge S∗ nicht für alle Möglichkeiten, die es in der wirklichen Welt gibt, diesen Möglichkeiten korrespondierende mögliche Welten gibt. Da aber selbst Lewis seiner eigenen Position nur deshalb Wahrheit zugesteht, weil sie „serviceable“ (D. K. Lewis 1986a, S. 3, vgl. Kap. 3.2.4) ist, macht diese analytische Grenze den GMR jedoch so unattraktiv, dass er geradezu als widerlegt gelten könnte. Aufgrund des Unvollständigkeitsarguments von Divers und Melia ist er daher als ernstzunehmende modalmetaphysische Position zurückzuweisen.
3.3.3 Fazit und Übergang Mit der Verteidigung des Unvollständigkeitsarguments von Divers und Melia könnte die weitere Debatte um den GMR als philosophische Position an dieser Stelle schon beendet sein. Wie in den vorherigen Abschnitten gezeigt, gelingt es Lewis nicht, eine vollständige Reduktion von Modalität auf mögliche Welten zu leisten ohne selbst primitive Modalität für sich zu beanspruchen. Wie komplex die Anforderungen an eine solche Reduktion sind, hat bereits die Auseinandersetzung mit dem Einwand von Lycan und Shalkowski gezeigt, der allerdings zugunsten von Lewis zurückgewiesen werden konnte (vgl. Kap. 3.3.1), während Divers und Melia punktgenau die formalen Schwächen von Lewis’ reduktiver Theorie herausgearbeitet haben (vgl. Kap. 3.3.2.3). Dabei ist es für die folgenden Kapitel wichtig festzuhalten, dass alleine die Art dieser theorieinternen Kritik ein Argument gegen den modalen Realismus von Lewis darstellt, da – wie in Kapitel 3.4.1 gezeigt wird – der GMR auf starken ideologiegebundenen Vorraussetzungen basiert, während der in diesem Buch vertretene modalmetaphysische Deflationismus nach dem Vorbild von Kripke gerade dadurch überzeugt, dass er weitestgehend ideologiefrei im Hinblick auf seine metaphysischen Voraussetzungen ist und damit in vielerlei Hinsicht eine attraktive Position zur Frage nach dem ontologischen Status von möglichen Welten darstellt (vgl. Kap. 4.5.2). Die folgenden Kritikpunkte am Genuinen Modalen Realismus sind daher insbesondere deshalb für die Frage einer modalen Metaphysik interessant, weil sie gleichzeitig als Maßstab dafür dienen, die Überzeugungskraft einer modalmetaphysischen Position zu bewerten – und im vierten Kapitel dieses Buches gezeigt wird, wie der deflationäre Ansatz von Kripke die im Folgenden herauszuarbei-
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tenden Ansprüche an eine modale Metaphysik des gesunden Menschenverstands weitaus überzeugender in sich integrieren kann. Einige der im Folgenden zu betrachtenden Kritikpunkte am GMR ergeben sich direkt aus den bisherigen Überlegungen zur theorieinternen Kritik. Doch während sich die vorangegangen Abschnitte dadurch auszeichnen, auf der Grundlage bereits intensiv diskutierter Einwände (etwa von Divers und Melia) den GMR hinsichtlich formaler Widersprüche und Unvollständigkeiten innerhalb der explanatorischen und ontologischen Komponenten zu analysieren, beleuchten die nächsten Abschnitte die Position des GMR mit eher grundsätzlichen philosophischen Überlegungen gewissermaßen von außen, um darauf schließlich ein Fundament für die im vierten Kapitel dieses Buches zu entwickelnde überzeugendere Gegenposition zu bauen.
3.4 Theorieexterne Kritik am Modalen Realismus Bevor der Genuine Modale Realismus in diesem Kapitel von einer möglichst theorieneutralen Außenperspektive aus kritisiert wird, sei angemerkt, dass hier unmöglich alle bis dato vorgetragenen Kritikpunkte erfasst werden können.⁴⁴ In diesem Kapitel beschränke ich mich daher auf drei wesentliche Punkte, die grundsätzlichen philosophischen Erwägungen entspringen und daher gerade in der häufig mehr an spezifischen, meist formalen Detailproblemen orientierten Debatte innerhalb der jüngeren analytischen Philosophie zumeist vernachlässigt werden. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass ich allen der in diesem Buch wenig oder gar nicht berücksichtigten Argumente keine Bedeutung zuschreibe, ich sie als unschlüssig erachte, ich ihrer nicht gewahr bin oder es sich nicht lohnt, sie im Zusammenhang mit einer intensiven Auseinandersetzung mit der Theorie von David Lewis ausführlich zu studieren. Mit dem im vorangegangen Kapitel ausführlich dargelegten Unvollständigkeitsargument von Divers und Melia halte ich den GMR aber für hinreichend widerlegt, sodass ich mich nur auf die drei Kritikpunkte beschränke, die ich für wesentlich erachte, um später in Abgrenzung zu Lewis (und anderen modalmetaphysischen Positionen, vgl. Kap. 3.5) eine deflationäre modale Metaphysik nach dem Vorbild von Kripke entwickeln zu können – was dem zentralen Anliegen meines Buches entspricht. Diese drei Punkte sind erstens eine ausführliche Kritik an der Ideologiegebundenheit des modalen Realismus, auf deren Basis ich in Kapitel 3.4.1 ein Prin-
44 Eine Übersicht bieten etwa Meixner 2006b, S. 35–40; Vander Laan 2011; Pruss 2011, S. 82–123.
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zip der ideologischen Unbefangenheit entwickle, an welchem sich später auch der von mir vertretene modalmetaphysische Deflationismus messen lassen muss. Zweitens kritisiere ich in Kapitel 3.4.2 das mit dem Ansatz von Lewis verbundene gleichberechtigte Nebeneinander von Welten als kontraintuitiv – und zeige damit einen zweiten Maßstab für metaphysische Erklärungen von Welten im Allgemeinen auf. Schließlich widme ich mich in Kapitel 3.4.3 den Absurditäten der Counterpart-Theorie im Hinblick auf das Problem der transworld identity und kritisiere diese anhand des berühmten Humphrey-Einwands von Kripke, den vor allem Meixner gegen den modalen Realismus stark macht. Auch dieser Einwand liefert eine Richtschnur, um später die modale Metaphysik von Kripke abstecken zu können: Es wird nämlich aufgezeigt, dass eine überzeugende Erklärung von möglichen Welten einen überzeugenden Umgang mit transworld identity voraussetzt und Lewis’ GMR genau diesen Umgang nicht zu leisten vermag. Auf den folgenden Seiten unberücksichtigt bleibt dagegen etwa das mengentheoretische Kardinalitätsargument von Alexander Pruss (vgl. Pruss 2001, 2011, S. 91–91), das auf der Schwelle zwischen theorieinterner und theorieexterner Kritik steht und dem zufolge Lewis’ GMR die Existenz einer Menge aller möglichen Welten nicht garantieren kann.⁴⁵ Auch auf das von Pruss stark gemachte epistemologische Argument von Tom Richards (vgl. T. Richards 1975; Pruss 2011, S. 119– 121) wird hier nicht explizit eingegangen, wenngleich die Stoßrichtung seines Arguments mir mit meinem in Kap. 3.4.2 ausgearbeitetem Argument des gleichberechtigten Nebeneinanders von Welten kompatibel scheint. Ebenfalls nicht ausführlich diskutiert werden die von Robert Adams erstmals formulierten und als „most fundamental“ (Adams 1974, S. 215) bezeichneten ethischen Probleme des GMR (vgl. Adams 1974; Heller 2003, S. 100–110; Pruss 2011; Sinhababu 2008), wenngleich diese ebenfalls in Kap. 3.4.2 aufgegriffen werden, da auch sie sich meiner Meinung nach aus dem grundsätzlicheren Problem des gleichberechtigten Nebeneinanders von Welten ergeben. Nicht unerwähnt bleiben soll das teilweise auf dem von Adams vorgetragenen ethischen Argument aufbauende „Possible Girls“-Argument von Neil Sinha-
45 Dieses relativ formale Argument soll an dieser Stelle explizit nicht bewertet werden; mit dem deutlich einflussreicheren Unvollständigkeitsargument von Divers und Melia wurde bereits ein sehr tragfähiges formales Argument aufgezeigt, das auf interne Widersprüche im GMR hindeutet. Eine ausführliche Diskussion des Kardinalitätsarguments von Pruss wäre daher zwar für eine noch gründlichere Bewertung der Argumentation von Lewis sicher lohnenswert, aber nicht zielführend im Sinne des Anliegens dieses Buches, den modalmetaphysischen Deflationismus als eigenständige Position in der Debatte zu entwickeln und zu verteidigen – davon abgesehen natürlich, dass jedes weitere interessante Argument gegen den modalen Realismus einem Anhänger von Kripke natürlich nicht zum Nachteil gereicht.
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babu (2008), dem zufolge Lewis Trost für vereinsamte Philosophenherzen bieten kann, da es gemäß dem GMR möglich wäre, transworld relationships mit dem individuellen Traumpartner zu führen. Wenngleich dieses Argument in ironischer Weise die absurden metaphysischen Konsequenzen von Lewis’ Theorie aufzeigt, würde eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Argument seinen Unterhaltungswert so sehr untergraben, dass ich mich auf den folgenden Seiten ernsteren Einwänden gegen den modalen Realismus zuwende und in diesem Zusammenhang zunächst die Ideologiegebundenheit des GMR und sein Verhältnis zum Physikalismus kritisch hinterfrage.
3.4.1 Ideologiegebundenheit und Kritik am Physikalismus 3.4.1.1 Physikalismus als ideologische Voraussetzung Wie bereits in Kapitel 3.2.4 gezeigt wurde, geht der GMR mit der von Lewis’ vertretenen Hume’schen Supervenienzthese und seinem physikalistischen Weltbild einher. Die Attraktivität des modalen Realismus gründet sich also gerade darauf, dass er Möglichkeit und Notwendigkeit auf andere Welten auslagert, sodass eine erfolgreiche Physik in der Lage ist, unsere Welt vollständig zu beschreiben (vgl. Meixner 2006a, S. 15; vgl. D. K. Lewis 1983b, xi, Kap. 3.2.3 und 3.2.4): Möglichkeit und Notwendigkeit, die von der Physik nicht vollständig beschrieben werden können, gibt es gemäß dem modalen Realismus nämlich nicht auf der Welt⁴⁶, sondern können reduziert werden auf die Wirklichkeit einer Welt beziehungsweise die Wirklichkeiten aller Welten – wobei diese Wirklichkeiten von einer erfolgreichen Physik innerhalb der jeweiligen Welt vollständig beschrieben werden können. Diese Argumentation für den modalen Realismus setzt dabei voraus, dass die Hume’sche Supervenienzthese und der Physikalismus gemäß den Definitionen von Lewis wahr sind – was auch Lewis etwa im Vorwort seiner Philosophical Papers (vgl. D. K. Lewis 1983b, S. ix-xii) offen zugesteht. Da Lewis aber vollkommen von der Supervenienzthese und dem Physikalismus überzeugt ist, wäre es ihm gegenüber wahrscheinlich kein tragfähiges Argument, aufzuzeigen, dass der modale Realismus auf starken philosophischen Vorannahmen beruht. Dennoch wäre jedes Argument gegen den Physikalismus und die Supervenienzthese zwangsläufig auch ein Argument gegen den modalen Realismus, da dieser damit seine philosophische Attraktivität grundlegend einbüßen würde. Es würde schlicht keinen Sinn ergeben, die starke metaphysische These der Plurali-
46 Weder auf der unseren noch auf irgendeiner anderen Welt.
3.4 Theorieexterne Kritik am Modalen Realismus | 99
tät von Welten in Kauf zu nehmen, ohne damit auf der anderen Seite ein in sich stimmiges physikalistisches Weltbild zu gewinnen. Natürlich könnte sich ein Diskussionsteilnehmer immer noch auf den extremen Standpunkt berufen, dass die Pluralität von Welten unabhängig vom Physikalismus wahr ist, und erst bereit sein, von der Pluralitätsthese Abstand zu nehmen, wenn ihre Ungültigkeit zweifelsfrei bewiesen ist. Ein solcher Diskussionsteilnehmer würde sozusagen die Frage nach der philosophischen Attraktivität vollkommen ignorieren und stattdessen grundlos an einer starken und ungewöhnlichen metaphysischen These festhalten wollen. Dem wäre argumentativ schwer beizukommen: Genauso gut könnte jemand an der Existenz von Russells Teekanne (vgl. B. Russell 1997) festhalten wollen, bis deren Existenz zweifelsfrei widerlegt wäre und sich damit allen eher pragmatischen Argumenten über die Sinnhaftigkeit und Attraktivität von Russells Teekanne als ernstzunehmender philosophischer Position verschließen. Da in der Philosophiegeschichte bisher jedoch keine einzige Wahrheit zweifelsfrei begründet beziehungsweise widerlegt worden ist,⁴⁷ und es darüber hinaus mehr als unklar ist, wie eine solche Begründung beziehungsweise Widerlegung überhaupt aussehen könnte, ähnelt ein solches ‚teekannenhaftes‘ Festhalten an der Pluralität von Welten sehr dem Standpunkt eines radikalen Skeptikers. Auch einem solchen wäre in einer argumentativen wissenschaftlichen Arbeit nicht beizukommen, sodass gegen einen Vertreter einer solch extremen Position ein Diskussionsabbruch die einzig rationale Konsequenz ist. An der Existenz von möglichen Welten festzuhalten, ohne diese Welten aus einem physikalistischen Weltbild heraus als Reduktion von Modalität betrachten zu wollen, wäre schlicht absurd – es sei denn, es könnte gezeigt werden, dass sich die Pluralität von Welten stimmig auch aus einem anderen Weltbild heraus ergibt.⁴⁸
47 Einige Transzendentalphilosophen mögen hier vielleicht widersprechen. Nur weil sie selbst von der absoluten Wahrheit bestimmter Sätze überzeugt sind, heißt dies jedoch nicht, dass man nicht grundsätzlich daran zweifeln kann. 48 In der jüngeren Debatte wurde dies jedoch von keinem Beteiligten als ernstzunehmende Option vorgebracht und es ist darüber hinaus schwer vorstellbar, dass eine solche Position so einfach zu konstruieren wäre. Eventuell wäre Leibniz’ Theorie zur „besten aller möglichen Welten“ mit Lewis’ Pluralität von Welten in Verbindung zu bringen, wobei Leibniz ganz sicher nicht aus einem physikalistischen Weltbild heraus argumentiert und sein gesamter Ansatz letztlich darauf fußt, dass die Welten von Gott ausgedacht worden sind (vgl. Meixner 2004, 66 u. 143–147, 2006b, S. 35–36; Stalnaker 2003c, S. 25; Pruss 2011, S. 205–210). Jedoch wäre dann wiederum zu überlegen, ob Leibniz’ psychophysischer Parallelismus hinsichtlich der physikalischen (und damit mit Hilfe der Physik erklärbaren) Welt nicht – ähnlich wie Lewis’ starker Physikalismus– das Problem hätte, Möglichkeit und Notwendigkeit reduzieren zu müssen, da Leibniz die materielle und die immaterielle Welt strikt voneinander trennt und es laut Leibniz keinerlei kausale Interaktion
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Da jedes Argument gegen den Physikalismus und die Supervenienzthese auch ein Argument gegen den modalen Realismus ist, würde es für eine Widerlegung des modalen Realismus genügen, diese beiden Grundannahmen (oder zumindest eine davon) zu widerlegen. Eine Widerlegung des Physikalismus liegt jedoch fernab von dem, was ich in diesem Buch zu leisten imstande bin.⁴⁹ Dennoch sei hier zumindest kurz skizziert, dass insbesondere der Physikalismus keine unproblematische philosophische Grundannahme ist, sondern eine von zahlreichen möglichen Positionen – noch dazu eine Extremposition – innerhalb des Körper-GeistProblems darstellt und sich auf ihn ein ganz grundlegendes Weltbild gründet, demnach alles durch die Physik erklärt werden kann beziehungsweise alles auf durch die Physik erklärbare Phänomene reduziert werden kann. Insbesondere im 20. Jahrhundert, bedingt durch die Fortschritte der Physik und anderer empirischen Wissenschaften, gewann der Physikalismus große Beliebtheit – und setzte insbesondere bei einigen ‚klassischen‘ Autoren der analytischen Philosophie in verschiedenen Spielarten als grundlegendes Weltbild durch – ist aber auch gerade im anglo-amerikanischen Raum in den letzten Jahrzehnten intensiv diskutiert worden (vgl. u.a. Chalmers 2002; Kim 1996, 1998, 2005; Nagel 2012). Dies wiederum hängt unter anderem mit dem starken Einfluss von Quine auf die analytische Debatte zusammen, da dessen Philosophie selbst stark naturalistische Züge aufweist und sein nach David Lewis zweiter wichtiger Schüler Donald Davidson mit der sogenannten Identitätstheorie des Geistes (vgl. u.a. Davidson 1970) eine stark physikalistisch-monistische Theorie geprägt hat, die die Debatte innerhalb der Philosophie des Geistes bis heute mitbestimmt: The philosophical identity theorist maintains [. . . ] that the physical description has in fact left nothing out: that the experience of seeing the color of the light consists of nothing more
zwischen Materiellem und Immateriellem gibt, sodass die Physik innerhalb ihres Geltungsbereich auch gemäß Leibniz’ Theorie das Problem hat, Möglichkeit und Notwendigkeit nicht erklären zu können, sodass eine Reduktion auf andere Welten für Leibniz – ähnlich wie für Lewis– eine Konsequenz aus seinem „psychophysikalistischen“ Weltbild wäre und sich Leibniz und Lewis hinsichtlich ihrer Positionierung im Körper-Geist-Problem damit vielleicht gar nicht so sehr unterscheiden. Diese Verbindungen zwischen Lewis und Leibniz systematisch aufzuzeigen, wäre nicht nur aus historischer Perspektive eine äußerst spannende Forschungsleistung, zu der bisher jedoch kaum Literatur vorliegt. Im Rahmen dieses Buches kann eine hinreichende Würdigung des Ansatzes von Leibniz jedoch nicht einmal im Ansatz geschehen, sodass diese – eher spekulativen – Überlegungen leider nicht über den Status eines weiterführenden Fußnotengedankens hinausgehen können (vgl. Kap. 1.3). Unabhängig davon läge aber auch dann eine Gebundenheit des modalen Realismus an ein bestimmtes Weltbild vor. 49 Ich zweifle daran, dass überhaupt eine philosophische Arbeit dies in letzter Konsequenz zu leisten imstande wäre, und gebe Kripke Recht, der das Körper-Geist-Problem in einer Fußnote als „wide open and extremely confusing“ (Kripke 1980, S. 155, Fn. 77, vgl. Kap. 4.5.2) bezeichnet.
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than the occurrence of certain events in the visual areas of the brain, and has been mentioned in the physical account under the latter description, and similarly with the other subjective experiences. These mental events just are, according to such philosophers, the ‚corresponding‘ neural events. (Burgess 2013, S. 131)
Der Physikalismus in seinen verschiedenen Spielarten sieht sich dennoch zahlreichen gewichtigen Einwänden gegenüber. Hier sei nur kurz die Argumentation Kripkes herausgegriffen, da diese im vierten Kapitel dieses Buches wichtig wird, um die ideologische Unbefangenheit Kripkes als Stärke seines deflationären Ansatzes zur Interpretation möglicher Welten herauszuarbeiten (vgl. Kap. 4.5.2). Kripke bezeichnet in seinen Aufsätzen „The First Person“ und „Frege’s Theory of Sense and Reference: Some Exegetical Notes“ physikalistische Theoretiker etwa als ‚Roboterphilosophen‘ (vgl. Kripke 2011g, S. 305, Fn. 33) und kritisiert an ihnen, dass sie in ihrer Subjektvergessenheit übersehen, „that indeed each of us is acquainted with her/himself in a special first person way“ (Kripke 2011b, S. 287). In Naming and Necessity entwickelt er sogar ein bis dato völlig neues modales Argument gegen die oben skizzierte physikalistische Identitätsthese, das im Folgenden zumindest verkürzt wiedergegeben wird.⁵⁰ Gemäß der physikalistischen Identitätstheorie wären laut Kripkes Argument Schmerz und das Feuern von C-Fasern identisch – genauer: Schmerz könnte auf das Feuern von C-Fasern reduziert werden. Da Identität immer notwendig ist⁵¹, muss ein Vertreter der Identitätstheorie folgern, dass Schmerz notwendig das Feuern von C-Fasern ist. Dies hält Kripke jedoch für kontraintuitiv, da Schmerz möglicherweise auch durch etwas anderes als C-Faser-Feuern ausgelöst werden könnte. Dann könnte die Identität von Schmerz und dem Feuern von C-Fasern aber nicht notwendig sein. Da es formal widersprüchlich ist⁵², Identitätsaussagen als kontingent anzusehen, würde das bedeuten, dass Schmerz und das Feuer von C-Fasern gar nicht identisch sind (vgl. Kripke 1980, S. 144–155; Shoemaker 2011; Burgess 2013, S. 128–141). Wenn Lewis dieses (und zahlreiche andere, hier nicht näher ausgeführte) Argumente gegen den Physikalismus nicht entkräften kann, müsste er von seiner Prämisse abweichen, dass die Physik die Welt, wie sie ist, zumindest potentiell
50 Es sei aus Vollständigkeitsgründen darauf hingewiesen, dass die Identitätsthese in zwei verschiedenen Versionen vertreten werden kann, auf die hier nicht weiter eingegangen wird: TypenIdentität und Token-Identität. Kripkes Argument richtet sich hauptsächlich gegen die These der Typen-Identität, lässt sich aber mutatis mutandis auch auf die Token-Identität übertragen (vgl. Burgess 2013, S. 131). 51 Kripke beruft sich dafür auf ein formales Argument von Ruth Barcan Marcus, das hier jedoch nicht ausführlich wiedergegeben wird, vgl. Kripke 1980, S. 97–101; Barcan Marcus 1961. 52 Gemäß dem eben zitierten Argument von Barcan Marcus.
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vollständig beschreiben kann. Sicher würde es dem Physikalismus nicht gerecht werden, ihn nach dieser beispielhaften Ausführung des Arguments von Kripke als widerlegt anzusehen, doch unterstreicht dieses in gegenwärtigen Debatten äußerst einflussreiche Argument (vgl. Burgess 2013, S. 128–141; Shoemaker 2011) das grundsätzliche Problem der Ideologiegebundenheit der Theorie von Lewis– sowie von den meisten modalmetaphysischen Ansätzen im Allgemeinen. Es handelt es sich dabei um ein wissenschaftstheoretisches Problem, abzielend auf die Frage, wie attraktiv eine Theorie sein kann, die auf philosophisch umstrittenen ideologischen Grundlagen aufbaut. 3.4.1.2 Prinzip der ideologischen Unbefangenheit Ein in diesem Zusammenhang hilfreiches wissenschaftstheoretisches Prinzip der ideologischen Unbefangenheit könnte etwa lauten: PIU Wenn zwei Erklärungen für ein Phänomen X miteinander konkurrieren, ist grundsätzlich die Erklärung vorzuziehen, die die geringsten ideologischen Voraussetzungen hinsichtlich eines zweiten Phänomens Y macht – insbesondere dann, wenn nur ein loser Zusammenhang zwischen X und Y besteht. Die Vorteile von PIU liegen auf der Hand: Wenn nämlich die ideologischen Voraussetzungen hinsichtlich Y oder das diesen Voraussetzungen zugrundeliegende Weltbild falsch sind, ist auch die Erklärung für X falsch. Eine ideologisch unbefangenere Erklärung für X dagegen wäre von einer bestimmten Erklärung für Y unabhängig – und müsste nicht fallen gelassen werden, wenn sich die ideologische Voraussetzung hinsichtlich Y als falsch herausstellen sollte, sondern könnte unabhängig von einem bestimmten Weltbild weiterhin als Erklärung für X gelten. Positiv könnte man PIU auch als Prinzip der ideologischen Andockfähigkeit PIA wie folgt formulieren: PIA Wenn zwei Erklärungen für ein Phänomen X miteinander konkurrieren, ist grundsätzlich die Erklärung vorzuziehen, die die größte ideologische Andockfähigkeit besitzt, das heißt die mit den meisten philosophischen Weltbildern oder Theorien hinsichtlich eines zweiten Phänomens Y vereinbar ist – insbesondere dann, wenn nur ein loser Zusammenhang zwischen X und Y besteht. Dabei ist festzuhalten, dass sich nicht unendlich viele philosophische Weltbilder zeichnen lassen, sondern die Anzahl aller philosophischen Weltbilder wahrscheinlich eine einstellige Zahl ist, auf die man verschiedene Explikationen und
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Spielarten, die sich im Laufe der Philosophiegeschichte entwickelt haben, zurückführen kann. Es können also nicht neue Weltbilder erfunden werden, um einer Erklärung eine größere Andockfähigkeit zu ermöglichen.⁵³ Außerdem unterliegen diese Weltbilder einem „Prinzip der Nicht-Eliminierbarkeit“⁵⁴, dem zufolge man sich in der Philosophie zwar von Positionen argumentativ distanzieren kann, die Gültigkeit eines philosophischen Weltbilds letztlich aber nicht aufgehoben beziehungsweise widerlegt werden kann – anders als etwa in der Naturwissenschaft, in der beispielsweise das geozentrische Weltbild durch das heliozentrische Weltbild abgelöst wurde, sodass das geozentrische Weltbild heute von keinem ernstzunehmenden Physiker mehr vertreten wird.⁵⁵ Aufgrund dieser prinzipiellen Nicht-Eliminierbarkeit philosophischer Weltbilder spricht es also für eine Erklärung eines Phänomens (in dem für meine Argumentation relevanten Fall: dem Phänomen der Modalität), wenn diese an möglichst viele grundlegende Weltbilder anknüpfbar ist. Gemäß dem hier dargelegten Prinzip der ideologischen Unbefangenheit ist der modale Realismus anderen Erklärungen von Möglichkeit gegenüber insofern im Nachteil, als er – wie oben dargestellt – auf dem Physikalismus als Voraussetzung basiert. Damit ist der modale Realismus nur mit einem der gängigen philosophischen Weltbilder kompatibel. Sobald man statt dem Physikalismus aber ein anderes Weltbild bevorzugt, ist die von Lewis geforderte Reduktion von Modalität auf Welten nicht mehr hinnehmbar.
53 Dieser Grundgedanke ist dem Vortrag „Tote alte Griechen Lesen“ von Christian Schäfer entnommen, den dieser am 25. Januar 2017 in einer Vortragsreihe der Fränkischen Gesellschaft für Philosophie in Bamberg gehalten hat. Schäfer argumentierte dafür, die von Christopher Booker aufgestellte literaturwissenschaftliche Theorie der „Seven Basic Plots“ (vgl. Booker 2004) auf philosophische Ideologien zu übertragen; demnach gibt es also eine überschaubare Anzahl philosophischer Ideologien, auf die alles philosophische Denken reduziert werden könne. Für eine Zusammenfassung dieses Vortrags vgl. Pfromm 2017. Ich danke Christian Schäfer für diesen Gedanken und sich daran anknüpfende Diskussionen. 54 Auch diese Bezeichnung sowie die nachfolgenden Ausführungen sind an Christian Schäfers Argumentation angelehnt. 55 Ähnliche Gedanken zur Nicht-Eliminierbarkeit philosophischer Systeme finden sich etwa in The Strife of Systems (1985) von Nicholas Rescher, der darin seine Kohärenztheorie der Wahrheit auf philosophische Systeme überträgt. Wulf Kellerwessel schreibt, dass eine Theorie für Rescher „sich als vorzugswürdig gegenüber einer anderen“ (Kellerwessel 2014, S. 35) erweist, „wenn – sie ein breiteres Fragenspektrum aufweist, – sie kohärenter und weniger mit Anomalien durchsetzt ist, – sie einfacher ist bzw. eine geringere Komplexität aufweist, – ihre Prinzipien besser mit Gründen abgesichert sind, – sie besser mit dem vortheoretischen Wissen zusammenpasst – und mit dem (sozialen) Leben in höherem Maße verträglich ist“ (Kellerwessel 2014, S. 35). Insbesondere das erste und die letzten beiden Kriterien dieser Auflistung von Kellerwessel kommen dem oben von mir postulierten Prinzip der ideologischen Andockfähigkeit sehr nahe.
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Dass diese ideologische Gebundenheit gerade für den modalen Realismus problematisch ist, zeigt sich beispielsweise auch an der in Kap. 3.3 dargestellten theorieinternen Debatte um den Unvollständigkeitseinwand von Divers und Melia. Die darin – und bereits auf der modalmetaphysischen Landkarte in Abschnitt 3.1.1 – aufgeworfenen Fragen und Probleme rund um den Begriff und die Voraussetzungen einer vollständigen Reduktion stellen sich erst, wenn man einen reduktionistischen Physikalismus zu seinem Weltbild erhebt und aus diesem heraus alles, was die Physik scheinbar nicht erklären kann, auf etwas reduzieren muss, was physikalisch prinzipiell erklärbar ist. Einer ideologisch unvoreingenommeren Position hinsichtlich des ontologischen Status von möglichen Welten würde sich eine solche Herausforderung gar nicht erst stellen, da sie prinzipiell an ganz verschiedene Weltbilder angeknüpft werden könnte. Damit ist es ein tatsächlich großes Problem für den modalen Realismus von David Lewis, so gravierend vom physikalistischen Weltbild abhängig zu sein, wohingegen der im vierten Kapitel dieses Buches zu entwickelnde modalmetaphysische Deflationismus ideologisch ungebunden mit einer ganzen Reihe von Weltbildern kompatibel ist – und selbst an einen Physikalismus andocken könnte, wie ich im folgenden Abschnitt kurz andeute und in Kapitel 4.5.2 noch einmal ausführlicher aufzeige. 3.4.1.3 Folgt der modale Realismus zwangsläufig aus dem Physikalismus? In Kapitel 3.2.4 und zu Anfang dieses Unterkapitels wurde der Genuine Modale Realismus als einhergehend mit dem physikalistischen Weltbild von David Lewis vorgestellt. Die Kritik der ideologischen Gebundenheit des modalen Realismus an den Physikalismus wurde bisher allerdings nur in eine Richtung vorgestellt, die man verkürzt wie folgt umreißen könnte: Wenn man sich für den modalen Realismus entscheidet, entscheidet man sich auch für ein physikalistisches Weltbild. Dies wirft allerdings umgehend die Frage auf, ob sich das Konditional auch umkehren lässt, das heißt ob auch gilt: Wenn man sich für ein physikalistisches Weltbild entscheidet, entscheidet man sich auch für den modalen Realismus? Damit wäre für den GMR einiges gewonnen: Wenn nämlich der modale Realismus zwingend aus dem Physikalismus folgen würde, würde – qua logischer Äquivalenz der Implikation – auch gelten: Wenn man sich gegen den modalen Realismus entscheidet, entscheidet man sich auch gegen ein physikalistisches Weltbild. Damit wiederum wäre der modale Realismus die einzige Erklärung für Modalität, die mit dem Weltbild des Physikalismus einhergeht. Ein modaler Realist könnte also das hier vorgebrachte Argument der ideologischen Gebundenheit entkräften, indem er darauf verweist, dass jeder Vertreter einer anderen modalen Theorie insofern ideologisch gebunden ist, als er sich konsequenterweise automatisch gegen den Physikalismus entscheiden müsste.
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Rein faktisch lässt sich dies allerdings nicht bestätigen. Während es in der Philosophiegeschichte eine unzählbare Anzahl an Theoretikern gegeben hat, die ein physikalistisches beziehungsweise materialistisches Weltbild ausformuliert oder vertreten haben, ist die Debatte um den modalen Realismus und damit verbunden die Existenz möglicher Welten ein jüngeres Phänomen. Darüber hinaus haben sich auch in den letzten Jahrzehnten deutlich mehr Theoretiker zum Physikalismus als zum modalen Realismus im Lewis’schen Sinne bekannt. Zugespitzt könnte man sagen: Nicht jeder Physikalist vertritt überhaupt eine modalmetaphysische Theorie und ganz sicher ist nicht jeder Physikalist Lewisianer. Dem könnte Lewis wiederum entgegen halten, dass der modale Realismus für einen Physikalisten die einzig konsequente und konsistente Weise ist, Modalität zu erklären und er nur der erste (oder einer der wenigen⁵⁶) sei, der diese Verbindung erkannt und in seiner philosophischen Theorie zu Ende gedacht habe. Erstens ist es jedoch zweifelhaft, ob die Reduktion von Möglichkeit und Notwendigkeit auf mögliche Welten tatsächlich notwendiger Bestandteil einer konsequent zu Ende gedachten physikalistischen Theorie ist. In Kapitel 3.1.1 wurde bereits darauf hingewiesen, dass etwa Gustav Bergmann (1960), Kit Fine (1994), Christopher Peacocke (1997) und Timothy Williamson (2010) jeweils eigene Vorschläge entwickelt haben, worauf Modalität reduziert beziehungsweise wie mögliche Welten erklärt werden können. Wenngleich hier nicht explizit darauf eingegangen werden kann, inwieweit etwa Fines Reduktion von Modalität auf Essenz mit einem physikalistischen Weltbild kompatibel ist⁵⁷, unterstreichen derlei Versuche zumindest, dass mögliche Welten nicht die einzig denkbare Erklärung für Modalität sind, sondern es vielleicht noch andere reduktionistische Erklärungen für Modalität geben könnte, die mit dem Physikalismus kompatibel wären. Damit ist zumindest gezeigt, dass der GMR zwar eine mögliche, aber nicht die notwendige Konsequenz des physikalistischen Weltbilds und der Hume’schen Supervenienzthese im Hinblick auf Modalität ist. Dies lässt sich auch insofern unterstreichen, als ein Physikalist auch noch den extremen sprachskeptischen Standpunkt einnehmen könnte, dem zufolge die Rede von Modalität im Grunde genommen gar nichts ausdrückt und vielleicht ähnlich wie die Rede von Kausalität bei Hume (vgl. Kap. 3.2.4.1) nur zu einer Gewohnheit führt, die aber nur wenig mit der Beschaffenheit der Realität gemein hat.
56 Lewis selbst verweist etwa auf Hume, Meixner zieht den überzeugenderen Vergleich zwischen Lewis und Lukrez (vgl. Meixner 2006a, S. 22). 57 Tendenziell wären Essenzen und die in Bezug zu Kit Fine automatisch damit verbundene Debatte um metaphysisches Grounding jedoch nicht mit der Idee vereinbar, dass die Physik eine vollständige Beschreibung der Wirklichkeit bieten kann, da sowohl Essenzen als auch Grounding aus dem Erklärungsrahmen der Physik fallen. Zu Grounding vgl. Fn. 30.
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Zweitens kann durchaus hinterfragt werden, ob es überhaupt notwendig ist, den Physikalismus so konsequent auslegen zu wollen. Wenngleich Physikalismus so definiert ist, dass die Physik (zumindest, wenn sie erfolgreich ist) alles erklären kann, was es auf der Welt gibt (vgl. Kap. 3.2.4.1), lohnt es sich vielleicht darüber nachzudenken, ob es wirklich ein Erklärungsdefizit der Physik ist, wenn sie die Rede von Möglichkeit und Notwendigkeit nicht integrieren kann. Der im vierten Kapitel dieses Buches zu entwickelnde modalmetaphysische Deflationismus nach dem Vorbild von Kripke wäre beispielsweise insofern auch mit dem Physikalismus kompatibel, als er möglichen Welten beziehungsweise Modalität gar nicht zwingend einen metaphysischen Status zuschreibt, sondern ihm zufolge es sich nur um eine gewisse Redeweise handelt, die intuitiv Sinn ergibt, aber aus der gar nicht der Anspruch abgeleitet wird, dass sie metaphysisch erklärt werden muss – unabhängig davon, ob man ein physikalistisches oder ein anderes Weltbild zugrunde legt (vgl. Kap. 4.4). Der Physikalismus würde damit also über das Ziel hinausschießen, wenn er eine mit der Physik kompatible Reduktion von Modalität versuchen würde: Beispielsweise würde man von einem konsequenten Physikalisten auch keine Erklärung verlangen, wo genau in der physikalisch beschreibbaren Welt sich Russells Teekanne befindet, da es sich bei dieser schlicht um ein philosophisches Gedankenexperiment handelt, über dessen Argumentationsfigur nachzudenken intuitiv Sinn ergeben kann.⁵⁸ Analog dazu kann es Sinn ergeben, über mögliche und notwendige Szenarien in Form eines Gedankenexperiments nachzudenken – ohne dass dies gleich bedeutet, daraus irgendwelche metaphysischen Konsequenzen ziehen zu müssen. Warum Kripkes deflationäre Metaphysik im Hinblick auf Modalität damit dem oben aufgestellten Prinzip der ideologischen Unbefangenheit am nächsten kommt, wird jedoch erst in Kapitel 4.5.2 ausführlich diskutiert, da diese Position bisher noch nicht hinreichend vorgestellt wurde. An diesem Punkt ist zunächst wichtig festzuhalten, dass der GMR zwar eine, aber nicht die einzige konsequente Fortführung des Physikalismus im Hinblick auf Modalität anbietet – und andere modalmetaphysische Positionen damit durchaus auch mit einem physikalistischen Weltbild kompatibel sind. Gleichzeitig bleibt Lewis, wie in den vorangegangen Abschnitten gezeigt, bezüglich der philosophischen Grundfrage zur Beschaffenheit von Wirklichkeit nicht ideologisch offen, sondern kann die Frage, was Modalität ist, nur ideologisch voreingenommen beantworten, indem er sich für einen starken Physikalismus (vgl. Kap. 3.2.4) entscheiden muss, damit der GMR überhaupt eine attraktive philosophische Po-
58 Unabhängig davon, welche Schlüsse man daraus ziehen möchte.
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sition darstellt. Damit wäre er einer ideologisch andockfähigeren Erklärung von Modalität unterlegen.
3.4.2 Das Besondere des Wirklichen und die Kritik am gleichberechtigten Nebeneinander möglicher Welten Wie bereits zu Beginn von Kapitel 3.4 angedeutet, argumentiert Robert Adams (vgl. Adams 1974), dass der GMR keine plausible Theorie des Guten in der Welt und unserer moralischen Urteile anbieten kann. Gemäß dem GMR (und der in ihm enthaltenen Theorie der Indexikalität von Wirklichkeit, vgl. Kap. 3.2.3) wäre z. B. eine Welt, in der man Babys willkürlich mit Nadeln die Augen aussticht, genauso wirklich wie unsere Welt, in der dies (so hoffe ich es zumindest) nicht geschieht.⁵⁹ Entsprechend müsste ein solches Verbrechen in einer anderen Welt auch auf die gleiche Weise verurteilt werden wie wenn es in dieser Welt geschieht.⁶⁰ Wenn ich aber in der für mich aktualen Welt α ein Baby sehe und ihm nicht die Augen aussteche, ist es dennoch möglich, dass ich dies tue. Gemäß dem GMR würde dies bedeuten, dass es eine mögliche Welt w gibt, in der ein Counterpart von mir einem Counterpart des Babys in der für meinen Counterpart wirklichen Welt die Augen aussticht. Das Verbrechen wäre genauso wirklich, egal ob es in α oder in w geschieht – und ist genauso zu verurteilen. Wenn ich nun umgekehrt in α – entgegen meiner moralischen Standards – dem Baby die Augen aussteche, ist es möglich, dass ich dies nicht tue. Gemäß dem
59 Die folgende Argumentation basiert lose auf Adams 1974; Heller 2003; vgl. auch Pruss 2011, S. 97–110; Sinhababu 2008. Pruss weist ferner darauf hin, dass ein ähnliches Argument auch von D. C. Williams vorgebracht wurde (vgl. Pruss 2011, S. 96; D. K. Lewis 1986a, S. 93; Williams 1962). 60 Aufgrund der unendlichen Anzahl von Welten gibt es selbstverständlich auch Welten, in denen andere moralische Standards herrschen als in der unseren. Aber aus unserer Sicht kann es für ein moralisches Urteil kaum einen Unterschied machen, ob ein Verbrechen auf unserer Welt oder einer anderen Welt geschieht. Zwar gehen uns auch auf unserer Welt Verbrechen, die in unserem unmittelbaren Umfeld geschehen, emotional in der Regel näher als Verbrechen, die auf einem anderen Kontinent geschehen, aber für eine moralische Bewertung sollte davon abstrahiert werden. Egal, ob nun auf unserer oder einer anderen Welt Babys gequält werden: In beiden Fällen müssen wirkliche Babys darunter leiden. Darüber hinaus muss angemerkt werden, dass dieses Argument voraussetzt, dass wir in unserer Welt gewisse moralische Standards haben, die sich im besten Falle auch philosophisch rechtfertigen lassen. Die allermeisten Menschen (und hoffentlich auch die allermeisten Philosophen unabhängig von einer bestimmten Moraltheorie) auf unserer Welt würden jedoch zustimmen, dass es moralisch zu verurteilen ist, Babys willkürlich mit Nadeln die Augen auszustechen. Daher dieses extreme Beispiel.
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GMR würde dies bedeuten, dass es eine mögliche Welt w gibt, in der ein Counterpart von mir einem Counterpart des Babys in der für meinen Counterpart wirklichen Welt die Augen nicht aussticht. Da die Geschehnisse sowohl in α als auch w wirklich sind (aus ihrer jeweiligen Perspektive), sind sie moralisch auch gleich zu bewerten. Daher müsste ein modaler Realist konsequenterweise zu dem Schluss kommen, dass es keinen Unterschied macht, ob ich in der für mich wirklichen Welt α einem Baby die Augen aussteche oder einer meiner Counterparts in der für ihn wirklichen Welt w. Diese Argumentation könnte man sogar soweit treiben, dass ich gemäß dem GMR die Augen eines Babys in w verschone, indem ich die Augen eines Babys in α aussteche – und umgekehrt mein Counterpart in w die Augen eines Babys in α verschont, wenn er einem Baby in w die Augen aussticht.⁶¹ Einer ähnlichen (aber weniger dramatischen) Argumentation wie der hier dargelegten folgend, legt Adams dem modalen Realisten die folgende Frage in den Mund, die – wie soeben dargelegt – zwingend aus seiner Theorie folgt: What is wrong with actualizing evils, since they will occur in some other possible world anyway if they don’t occur in this one? (Adams 1974, S. 216)
Wenngleich es problematisch sein kann, gerade bei Fragen der Moral, mit Intuitionen zu argumentieren,⁶² kann doch festgehalten werden, dass eine solche Theorie offensichtlichen Intuitionen bezüglich einer Erklärung des Guten und moralischer Urteile vehement entgegen läuft. Gemäß dem in Kap. 3.4.1 aufgestellten Prinzip der ideologischen Unbefangenheit PIU beziehungsweise Andockfähigkeit PIA könnte argumentiert werden, dass der GMR zwangsläufig in eine modale Variante eines moralischen Indifferentismus beziehungsweise Fatalismus führt, der zufolge eine bestimmte Handlung (z. B. ein Verbrechen) sowieso in einer der unzähligen Welten vollzogen wird und es daher gleichgültig ist, ob jemand eine gewisse Handlung in der für ihn jeweils wirklichen vollzieht. Möglicherweise ist eine gewisse fatalistische Indifferenz ohnehin eine Konsequenz des von Lewis vertretenen Physikalismus im Allgemeinen,
61 Das Argument ist insofern verkürzt, als es unzählige und nicht nur zwei Alternativen gibt; aber gemäß den in Kapitel 3.2.1 aufgelisteten ontologischen Komponenten des GMR entspricht jede dieser Alternativen genau einer Welt, während keine zwei der unendlichen Welten genau gleich sind. Daher gilt: All das, was ich in der für mich aktualen Welt nicht tue, tut demnach ein Counterpart von mir in einer anderen Welt. Wenn ich also ein Verbrechen nicht begehe, begeht es stattdessen einer meiner Counterparts; und wenn ich ein Verbrechen begehe, gibt es stattdessen einen meiner Counterparts, der das gleiche Verbrechen in seiner Welt nicht begeht. 62 Zur besonderen Rolle von Intuitionen in der Philosophie vgl. meine entsprechenden Ausführungen in Kap. 4.5.3
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da Werte und Normen in der Regel aus dem Erklärungsrahmen der Naturwissenschaften herausfallen und ein Physikalist diese daher entweder reduzieren oder wegerklären können muss. Der modale Realismus ist also gemäß einer solchen Argumentation gleich in mehrfacher Hinsicht ideologisch befangen. Dasselbe gilt, wenn Lewis einhergehend mit dem Physikalismus einen starken Determinismus annehmen würde, dem zufolge meine Handlungen vollkommen durch Naturgesetze determiniert wären und ich daher gar nicht die Wahl habe, ob ich ein Verbrechen begehe oder nicht. Jedoch steckt hinter dieser ideologischen Befangenheit und den kontraintuitiven Folgen des GMR für eine Moraltheorie ein viel grundlegenderes Problem für den GMR, auf das auch Adams hinweist, wenngleich er den Schwerpunkt seiner Lewis-Kritik auf die oben skizzierten kontraintuitiven moralischen Konsequenzen legt, die im Weiteren ausgeklammert werden, da diese bereits durch PIU eingefangen werden können: According to the indexical theory, actuality is a property which the actual world possesses, not absolutely, but only in relation to us, its inhabitants. Absolutely considered, the actual as such does not have a different status from the possible as such. Lewis’s purpose in introducing the indexical theory [. . . ] depends on this point. This indexicalist doctrine seems very implausible to me. It is greatly at variance with our normal way of thinking about actuality, which I am very reluctant to give up. We normally believe that actuality as such is, absolutely considered, a special metaphysical status – that the actual is, absolutely considered, more real than the merely possible. We do not think that the difference in respect of actuality between Henry Kissinger and the Wizard of Oz is just a difference in their relations to us. (Adams 1974, S. 215)
Später zeigt Adams auf, dass die Gründe für die starken Intuitionen gegen die oben skizzierte moralische Indifferenz damit zusammen hängen, dass wir der für uns wirklichen Welt einen metaphysischen Sonderstatus einräumen: I think that our very strong disapproval of the deliberate actualizing of evils similarly reflects a belief in the absolutely, and not just relatively, special status of the actual as such. (Adams 1974, S. 216)
Adams macht es damit als Kern des von ihm vorgebrachten ethischen Einwands gegen den modalen Realismus aus, dass dieser der Wirklichkeit nicht die Sonderrolle zugesteht, die diese für uns besitzt, sondern unsere Wirklichkeit nur eine von vielen Wirklichkeiten ist – abhängig davon, auf welcher Welt man sich gerade befindet. Dieses Argument findet auch eine formale Entsprechung bei Fara und Williamson (2005), die argumentieren, dass Lewis’ formale Counterpart-Theorie und das damit verbundene Übersetzungsschema (vgl. Kap. 3.2.2, insbes. Fn. 19) Aktua-
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lität (das heißt Wirklichkeit) nicht hinreichend integrieren kann. Ohne sich dabei jedoch explizit auf Adams zu beziehen, schlagen Fara und Williamson vor, einen sogenannten Aktualitätsoperator (actuality operator) in die formale CounterpartTheorie zu integrieren, um der metaphysischen Sonderrolle der Wirklichkeit gerecht zu werden, zeigen dann jedoch auf, warum eine Counterpart-Theorie, die diesen Aktualitätsoperator beinhaltet, formal scheitert, sodass auch eine Reduktion von quantifizierter Modallogik auf einen Prädikatenkalkül nicht gelingen kann – und der GMR damit auch formal seine Attraktivität verliert. Diese rein formale Betrachtung des Aktualitäts-Problems durch Fara und Williamson wird in den folgenden Absätzen aber zugunsten von weiterführenden philosophischen Überlegungen hintan gestellt, die das gleichberechtigte Nebeneinander von Welten im modalen Realismus betreffen. Unter dem gleichberechtigten Nebeneinander von Welten ist dabei zu verstehen, dass gemäß den ontologischen Komponenten des GMR (vgl. Kap. 3.2.1) und der daraus resultierenden Indexikalitätstheorie (vgl. Kap. 3.2.3) weder unsere Welt noch bestimmte andere mögliche Welten, von einem absoluten Standpunkt aus gesehen, besonders sind. Wer einen solchen absoluten Standpunkt einnähme, würde sozusagen auf eine unendliche Zahl von Welten herabblicken, die sich zwar in ihrer individuellen Beschaffenheit unterscheiden, aber ihrer Art nach genau gleich beschaffen sind und von denen keine als besonders herausragt. Dieser absolute Standpunkt würde in der Literaturtheorie etwa dem Modell eines auktorialen Erzählers entsprechen, der alle Einzelcharaktere (übertragen auf die hier relevante Debatte: alle Welten) gleichermaßen in den Fokus rücken kann, ohne das Innenleben eines Charakters als besonders im Vergleich zu den anderen Charakteren herauszustellen. Dieser absolute Standpunkt käme im modalen Realismus in etwa einem göttlichen Standpunkt (auf Englisch häufig treffender als god’s eyes view bezeichnet⁶³) gleich, was man alltagsmetaphorisch wie folgt veranschaulichen könnte: Betrachtet man die Welten im GMR etwa als Fernsehkanäle, wäre dieser göttliche Standpunkt mit der Hoheit über die Fernbedienung vergleichbar. Mit Hilfe einer solchen kann man durch verschiedene Fernsehkanäle schalten; das Programm auf dem einen Kanal vielleicht besonders gut finden, das Programm auf einem anderen Kanal verurteilen, während auf einem dritten Kanal vielleicht gerade gar nichts Interessantes passiert. Ihrer Art nach unterscheiden sich die ein-
63 Hier könnte man die in Fn. 48 kurz angedeuteten Parallelen zwischen Lewis und Leibniz weiterziehen, da es eine wichtige Pointe bei Leibniz ist, dass die möglichen Welten von Gott ausgedacht worden sind, Leibniz also tatsächlich von einem göttlichen Standpunkt im wörtlichen Sinne ausgeht, während dieser Begriff in Bezug auf Lewis eher im übertragenen Sinne zu verstehen ist und einen absoluten, weltenneutralen Standpunkt bezeichnet ohne tatsächlich philosophische Fragen zur Existenz Gottes zu involvieren.
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zelnen Kanäle jedoch nicht voneinander – und der Fernsehkanal, in dem ich gerade an diesem Buch schreibe, ist nicht mehr oder weniger besonders als der Kanal, in dem ein Counterpart von mir gerade das Siegtor im WM-Finale schießt.⁶⁴ Das soeben veranschaulichte gleichberechtigte Nebeneinander von Welten im GMR birgt zwei grundlegende Probleme, die zwar auseinander folgen, deren einzelne Betrachtung sich jedoch zum besseren Verständnis derselben lohnt: Erstens ist es nicht nur unmöglich, einen solchen göttlichen Standpunkt einzunehmen, sondern es ist auch fragwürdig, die Existenz eines solchen Standpunkts zu postulieren. Zweitens widerspricht es der alltäglichen Rede von Wirklichkeit, Möglichkeit und Notwendigkeit, anzunehmen, dass die Wirklichkeit nichts Besonderes ist im Vergleich zu anderen Welten. 3.4.2.1 Die Fragwürdigkeit des göttlichen Standpunkts Wenngleich das gleichberechtigte Nebeneinander von Welten automatisch dazu führt, einen göttlichen oder absoluten Standpunkt – in der Terminologie von Thomas Nagel häufig als Blick von Nirgendwo (view from nowhere) bezeichnet (vgl. Nagel 1986) – postulieren zu müssen, von dem aus gesehen alle Welten gleich sind, ist es fragwürdig, ob es einen solchen Standpunkt überhaupt geben kann, und darüber hinaus unmöglich, diesen Standpunkt einzunehmen.⁶⁵ Lewis kann das gleichberechtigte Nebeneinander von Welten nur vom relativen Standpunkt der für ihn wirklichen Welt aus postulieren, kann aber genauso wenig wie ein anderer Weltgenosse unserer Wirklichkeit aus unserer Welt ausbrechen, um zu überprüfen, ob es einen solchen Standpunkt wirklich gibt. Gemäß den ontologischen Komponenten O10 und O11 (vgl. Kap. 3.2.1) ist jedes Individuum, das Teil der aktualen Welt ist, nur Teil der aktualen Welt (und nicht auch noch Teil anderer Welten oder gar einer überweltlichen Existenzsphäre, die im GMR nicht vorgesehen ist, da sie die ganze Theorie ad absurdum führen würde). Jedoch ist es nur innerhalb der für ihre jeweiligen Bewohner wirklichen Welt möglich, eine modale Theorie wie den GMR zu postulieren und damit von einem absoluten Standpunkt auszugehen, von dem aus gesehen alle Welten gleichberechtigt sind. Der Standpunkt selbst kann dabei aber nie eingenommen werden, da jeder dieser Bewohner Teil einer Wirklichkeit ist.
64 Selbst diese Möglichkeit ist in Lewis’ Pluriversum als Welt realisiert, wenngleich es aus aktualer Perspektive wohl wahrscheinlicher ist, dass meine Counterparts den entscheidenden Elfmeter verstolpern. 65 Die folgende Argumentation entspricht einer Anwendung der grundlegenden Ansicht Nagels, dass der objektive Blick von Nirgendwo kein von einem Subjekt einnehmbarer Standpunkt sein kann (vgl. Nagel 1986), auf modalmetaphysische Fragen.
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Damit verwandt ist das epistemologische Argument von Tom Richards, das unter anderem Alexander Pruss gegen den GMR stark macht. Richards kritisiert am GMR, dass dieser kein epistemologisches Kriterium habe, um wissen zu können, was auf den anderen Welten geschieht (vgl. T. Richards 1975; Pruss 2011, S. 119–121): [H]ow can we have knowledge of these entities that are causally isolated from us? How can we know, e.g. that it is possible that there exist unicorns and that it is impossible that there exist square circles, without employing an impossible telescope for gazing at worlds other than ours and finding that some of them contain unicorns but none have square circles in them? (Pruss 2011, S. 119)
Ähnliches wendet Robert Stalnaker gegen den modalen Realismus ein: But if other possible worlds are causally disconnected from us, how do we know anything about them? If the truth or falsity of our modal claims depends on the existence of things and events which are causally disconnected from us, then even the simplest claims about what is possible are unverifiable speculations. (Stalnaker 2003c, S. 30)
Zwar könnte Lewis dem entgegnen⁶⁶, was bereits in Kap. 3.2.4 in Bezug auf die Attraktivität des GMR ausgearbeitet wurde: Dadurch dass es laut den ontologischen Komponenten des GMR unendlich viele mögliche Welten gibt und damit jede Möglichkeit durch eine Welt repräsentiert wird, kann man auch immer wissen, was auf einer anderen Welt vor sich geht. Damit wäre zumindest die Existenz von Welten, in denen Einhörner leben, garantiert. Jedoch hätte der GMR nach wie vor das Problem, ohne die Einnahme eines göttlichen Standpunkts (oder, wie Pruss es darstellt, ohne ein diesem Standpunkt entsprechendes Teleskop⁶⁷) nicht zwischen möglichen und unmöglichen Welten unterscheiden zu können, was wiederum in die in Kap. 3.3 dargelegte theorieinterne Kritik bezüglich Vollständigkeit und Konsistenz des GMR führen würde, wobei mit dem Unvollständigkeitsargument von Divers und Melia gezeigt wurde, dass der GMR genau diese Vollständigkeit nicht garantieren kann, ohne genuin modale Terminologie für sich zu beanspruchen. Um zu wissen, was auf anderen Welten vor sich geht, bräuchte Lewis also einen göttlichen Standpunkt, der neutral auf das Geschehen auf allen gleichbe-
66 Pruss diskutiert eine mit diesen Ausführungen verwandte Antwortstrategie auf den epistemologischen Einwand von Richards (vgl. Pruss 2011, S. 121), die hier jedoch nicht explizit ausgeführt wird. Er kommt dabei ebenso zu dem Ergebnis, dass das epistemologische Argument von Richards – und damit verbunden das gleichberechtigte Nebeneinander von Welten, das Pruss nicht eigens als Problem herausarbeitet – ein nicht einzuholendes philosophisches Problem für den GMR darstellt. 67 Vgl. dazu auch das Jules-Verne-o-skop von David Kaplan, Kap. 3.5.3.
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rechtigten Welten herabsehen kann. Diesen Standpunkt einnehmen zu müssen, ist jedoch – wie dargelegt – unmöglich, sodass das gleichberechtigte Nebeneinander von Welten ein grundsätzliches philosophisches Problem für den GMR darstellt – zumal dieses Nebeneinander typischen alltagssprachlichen Intuitionen in Bezug auf Wirklichkeit und Möglichkeit widerspricht, wie im folgenden Abschnitt gezeigt wird. 3.4.2.2 Alltagssprachliche Intuitionen zu Wirklichkeit und Möglichkeit In seinem ethischen Argument beruft sich Robert Adams, wie oben ausgeführt, vor allem auf den Sonderstatus der Wirklichkeit, der im GMR nicht hinreichend berücksichtigt würde: We normally believe that actuality as such is, absolutely considered, a special metaphysical status – that the actual is, absolutely considered, more real than the merely possible. (Adams 1974, S. 215)
Tatsächlich ist es nicht sonderlich intuitiv anzunehmen, dass Möglichkeiten denselben ontologischen Status haben wie die Wirklichkeit – dass also beispielsweise Henry Kissinger und der Zauberer von Oz sich hinsichtlich ihrer Existenz nur insofern unterscheiden, als Kissinger in der für uns wirklichen Welt und der Zauberer von Oz in einer anderen Welt im selben Pluriversum lebt. Lewis selbst gesteht zu, dass der modale Realismus unter anderem deshalb dem gesunden Menschenverstand (common sense) widerstrebt: Modal realism does disagree, to an extreme extent, with firm common sense opinion about what there is. (D. K. Lewis 1986a, S. 133)
Dagegen hält Lewis, dass dem gesunden Menschenverstand keine absolute Autorität in philosophischen Fragen zukomme: Common sense has no absolute authority in philosophy. It’s not that the folk know in their blood what the highfalutin’ philosophers may forget. (D. K. Lewis 1986a, S. 134)
Was im Einzelnen dafür spricht, eine intuitive Theorie gegenüber einer kontraintuitiven Theorie zu bevorzugen, wird in Kap. 4.5.3 ausführlich behandelt, wenn es darum geht, die Vorteile der in diesem Buch herauszuarbeitenden Ansicht in Bezug auf mögliche Welten darzustellen. Grundsätzlich ist es jedoch durchaus zweifelhaft, wenn sich ‚hochtrabende Philosophen‘ gegen den gesunden Menschenverstand richten – selbst wenn Lewis diese Zweifel polemisch ins Gegenteil umkehren will. Eine Theorie, die dem gesunden Menschenverstand wider-
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strebt, kann sicher nicht die gleiche Erklärungskraft für sich beanspruchen wie eine Theorie, die dem gesunden Menschenverstand entspricht. Doch nicht nur der von Adams unter Berufung auf den gesunden Menschenverstand richtigerweise reklamierte Sonderstatus der Wirklichkeit ist eine kontraintuitive Facette des GMR, sondern auch damit zusammenhängend die Tatsache, dass es nicht unserer gewöhnlichen Rede- und Denkweise von Möglichkeiten entspricht, dass diese gleichberechtigt von einem absoluten Standpunkt aus betrachtet werden können. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass für uns nicht alle Möglichkeiten gleich nah beziehungsweise weit weg sind, sondern manche Möglichkeiten näher liegen als andere. Beispielsweise ist die Möglichkeit, dass ich den ursprünglichen Zeitplan dieses Buch nicht einhalte, weil die Erstellung und korrekte Formatierung eines vollständigen Stichwortverzeichnisses länger dauert als anfangs gedacht, deutlich näher als die Möglichkeit, dass ich den ursprünglichen Zeitplan dieses Buches nicht einhalte, weil ich die Menschheit im Kampf gegen eine zwischenzeitlich stattgefundene Zombie-Apokalypse beschützen habe müssen. In der Terminologie des modalen Realismus gesprochen würde das bedeuten, von (mindestens) drei Welten zu sprechen: Der wirklichen Welt α, in der Sie, lieber Leser, das Buch mitsamt vollständigem und korrekt formatiertem Stichwortverzeichnis bereits in den Händen halten; einer Welt w1 , in der ein Counterpart von mir noch immer in der Bibliothek schwitzt, während Counterparts meiner Lektoren ungeduldig auf die Fertigstellung des Counterparts dieses Buches warten; und einer Welt w2 , in welcher ein Counterpart von mir gerade seine Lektoren vor einer Zombie-Apokalypse gerettet hat, sodass diese mit Nachsicht auf die verspätete Ablieferung des Manuskripts reagieren. Vom oben skizzierten göttlichen Standpunkt aus gesehen wären all diese Welten gleichberechtigt. Für uns in Welt α liegt es aber deutlich näher, w1 als tatsächliche Möglichkeit zu betrachten, während w2 einer zwar nicht unmöglichen, aber doch sehr weit hergeholten Gedankenspinnerei entspricht. Der GMR könnte dies zwar insofern einfangen, als er die Menge der möglichen Welten ordnet: Ähnlich wie in der Menge aller natürlichen Zahlen etwa die Zahlen 2, 3 und 9874 enthalten sind, sind in der Menge der möglichen Welten α, w1 und w2 enthalten. Auch 2, 3 und 9874 sind gleichberechtigte Mitglieder der Menge der natürlichen Zahlen, trotzdem ist die 2 gemäß der gängigen Ordnung näher an der 3 als an der 9874 und der 3 in vielerlei Hinsicht ähnlicher.⁶⁸ Vom göttlichen Standpunkt wären damit die Welten gleichberechtigt nebeneinander, vom relativen Standpunkt unserer Wirklichkeit wäre w1 näher und w2 weiter entfernt.
68 Beide Zahlen sind einstellig, Primzahlen, kleiner als 4 etc.
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Doch auch ein solches geordnetes gleichberechtigtes Nebeneinander von Welten entspricht nicht unserem intuitiven Nachdenken über Möglichkeiten: Stattdessen ist es häufig so, dass man über gewisse Möglichkeiten erst nachdenken kann, wenn man zuvor bereits andere Möglichkeiten durchdacht hat: Um das spezifische Szenario in w2 überhaupt als Möglichkeit denken zu können, musste ich beispielsweise erst über die Möglichkeit nachdenken, dass ich mein druckreifes Manuskript verspätet abgebe und habe mir dabei eine Welt wie w1 vorgestellt. Erst dadurch, dass ich mir eine Welt vorgestellt habe, in der mein Manuskript verspätetet abgeben wird, konnte ich darüber nachdenken, welche möglichen Gründe dies in dieser Welt haben könnte, bis ich schließlich die Zombie-Apokalypse als den irrwitzigsten ausgemacht habe. Erst durch den Gedanken an eine mögliche Welt, in der eine Zombie-Apokalypse stattfindet, haben sich diverse Möglichkeiten eröffnet, wie diese sich genau ausgestalten könnte. Dieses Beispiel illustriert, dass unsere intuitive Rede von Möglichkeiten nicht so von statten geht, dass wir aus einer unendlichen Menge von Welten – selbst wenn diese nach nahen und fernen Welten geordnet wären – eine Welt auswählen, von der wir gerade zu sprechen gedenken, sondern dass gewisse Möglichkeiten (und damit mögliche Welten) für uns überhaupt erst denkbar sind, wenn vorher näherliegende Möglichkeiten durchdacht worden sind. Der GMR müsste daher davon ausgehen, dass die Welten nicht nur in einem geordneten Verhältnis, sondern darüber hinaus auch in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen. Diese in der Intuition angelegte Hierarchie von Möglichkeiten theoretisch einzufangen, ist für den modalen Realismus ein zu komplexes und wahrscheinlich aussichtsloses Unterfangen, da sie dem im modalen Realismus angelegten gleichberechtigten Nebeneinander von Welten grundsätzlich widerspricht.⁶⁹ Ein modaler Realist würde sich an diesem Punkt wahrscheinlich darauf berufen, dass er die hierarchische Struktur von Möglichkeiten gar nicht einfangen muss, da man zwischen der erkenntnistheoretischen Frage, wie man über Möglichkeiten nachdenkt und von welchen Möglichkeiten man wissen kann, und der ontologischen Frage, welche Möglichkeiten insgesamt im Pluriversum realisiert sind, trennen sollte. Tatsächlich wäre dem insofern nachzugeben, als diese Fragen – wie Kripke es ausdrückt – „two different domains, two different areas“ (Kripke 1980, S. 36) betreffen. Dennoch bleibt es äußerst zweifelhaft, wenn eine ontologische Theorie wie der modale Realismus unserer intuitiven Weise, wie wir epistemologisch über
69 Ich danke Christian Schäfer für den grundlegenden Impuls und weitere wichtige Denkanregungen zu diesem Argument.
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eine Fragestellung nachdenken, grundsätzlich zu widersprechen scheint. Genau in diesem Sinne hat Meixner recht, wenn er schreibt: „Metaphysik und Epistemologie gehören zusammen (ebenso wie Metaphysik und Sprachphilosophie)“ (Meixner 2008, S. 11). Eine Theorie, die die hier skizzierte Hierarchie von Welten abzubilden vermag, wäre einer intuitiv abwegigen Theorie des gleichberechtigten Nebeneinanders von Welten daher vorzuziehen. Dass der modalmetaphysische Deflationismus Saul Kripkes genau dies leistet, zeige ich im vierten Kapitel dieses Buches. Es ist anzumerken, dass die hier geforderte Besonderheit des Wirklichen vielleicht ähnlich klingt, aber nicht identisch ist mit von Meixner als „Wirklichkeitssingularismus“ bezeichneten These, der zufolge es „eine und nur eine Wirklichkeit“ (Meixner 1997, S. 45) gibt. Meixner schlägt dabei Wirklichkeit als überzeugenderen Alternativbegriff zu möglichen Welten vor. Gemäß Meixners – wie er auch selbst zugesteht – gewöhnungsbedürftigen Terminologie ziele ich daher mit der Besonderheit des Wirklichen lediglich darauf ab, dass es nur eine wirkliche Wirklichkeit gibt, die sich für uns von anderen, möglichen Wirklichkeiten abhebt und der von einer modalmetaphysischen Theorie daher ein gewisser Sonderstatus eingeräumt werden muss. Gemäß der hier aufgestellten Forderung nach einer Besonderheit des Wirklichen kann eine modalmetaphysische Theorie, muss aber nicht davon ausgehen, dass es nur eine Wirklichkeit (in Meixners Terminologie beziehungsweise Welt in der konventionellen Terminologie) gibt – solange sie der oben skizzierten Intuition gerecht wird, dass unsere Welt etwas Besonderes ist.
3.4.3 Die Absurdität der Counterpart-Theorie in Bezug auf transworld identity Aus dem im GMR angelegten und soeben zurückgewiesenen gleichberechtigten Nebeneinander von Welten ergibt sich der im Folgenden näher betrachtete Einwand eines kontraintuitiven Umgangs des modalen Realismus mit dem Problem der transworld identity (vgl. Kap. 3.1.4). Dieser Einwand, den vor allem Meixner⁷⁰ stark macht, ist bereits in einer Fußnote von Kripkes Naming and Necessity angelegt, wie etwa Fara und Williamson herausarbeiten: Kripke’s famous objection to counterpart theory seems wholly appropriate. When we say that Humphrey might have won the election, it seems that we are talking about what might have happened to Humphrey, not about what does happen to someone else. (Fara und Williamson 2005, S. 27; vgl. Kripke 1980, S. 45, Fn. 13)⁷¹
70 Ich danke Uwe Meixner für seine wertvollen Kommentare zu diesem Kapitel. 71 Auch Meixner selbst schreibt den Einwand vor allem Kripke zu, vgl. Meixner 2006a, S. 50. Einen Hinweis darauf findet sich übrigens auch schon bei Robert M. Adams: „Another grave ob-
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Meixner, der den Einwand mehrfach in verschiedenen Formulierungen und mit verschiedenen Beispielen vorgebracht hat, schreibt etwa in seinem Buch Modalität: Es ist [am modalen Realismus, S. Krebs] zurecht immer wieder kritisiert worden, dass er reine Möglichkeiten des Tuns für eine Person – z. B. die Möglichkeit, dass U. M. einmal Geographie studiert – nicht anders begründen bzw. erklären kann als mit dem, was von jemand anderem als dieser Person, der in einer anderen möglichen Welt als sie lokalisiert ist (wobei beide jeweils nur in einer möglichen Welt lokalisiert sind), getan wird. (Meixner 2008, S. 117–118, Hervorh. im Orig.)⁷²
Kern dieses Einwands ist es, wie Meixner an anderer Stelle ausführt, „dass die lewissche Analyse singulärer Möglichkeitsaussagen, die den Gegenstückbegriff verwendet, schlichtweg zu verfehlen scheint, was wir mit solchen Möglichkeitsaussagen meinen“ (Meixner 2006a, S. 50). Denn egal, ob Uwe Meixner die Möglichkeit hatte, Geographie zu studieren oder nicht, so hat dies überhaupt nichts damit zu tun, ob irgendein anderer Mensch als Uwe Meixner (das heißt einer seiner nicht mit ihm identischen Counterparts) in irgendeiner anderen Welt Geographie studiert (vgl. Meixner 2006a, S. 49–51). Auch dieser Einwand hängt also mit absurd-kontraintuitiven Konsequenzen des modalen Realismus zusammen. Diese resultieren unter anderem daraus, dass Lewis’ Counterpart-Theorie keine zufriedenstellende Antwort auf das in der Debatte um modale Metaphysik zentrale Problem der transworld identity bietet (vgl. Kap. 3.1.4), da er die der Counterpart-Theorie zugrunde liegenden Ähnlichkeitsbeziehungen einerseits rein formal bestimmt (vgl. Kap. 3.2.2), andererseits es nicht sehr intuitiv ist, davon auszugehen, dass die Möglichkeiten einer Person der wirklichen Welt darüber zu erklären sind, was die Wirklichkeit einer anderen Person in einer möglichen Welt ist. Diese beiden Personen sind nämlich gemäß den ontologischen Komponenten des GMR zwei ontologisch verschiedene Individuen und haben – außer einer gewissen Ähnlichkeit – nichts miteinander gemein, wobei selbst das Ähnlichkeitskriterium, wie in Kap. 3.2.2 gezeigt wurde, von Lewis nur sehr unzureichend bestimmt wird.
jection to the indexical theory [= den modalen Realismus, S. Krebs] has to do with problems about the identify of persons and events in different possible worlds. I believe that it leads to the conclusion that the indexical theory does not provide a correct analysis of actuality concepts which we normally use in making predictions“ (Adams 1974, S. 216). 72 Meixner verwendet in diesem Argument wie durchgängig in seinen Arbeiten zur Modalität zur weiteren Präzisierung verschiedene Indizes, um verschiedene Typen von Modalität zu unterscheiden. Diese wurden aus Gründen der Übersichtlichkeit von mir aus dem Zitat entfernt, da sie an der Gültigkeit des Arguments nicht ändern. Für weitere Versionen dieses Einwands vgl. Meixner 2004, 138–139 u.144–146, 2006a, S. 49–53.
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Fara und Williamson schreiben die Standardantwort auf diesen Einwand aus Sicht eines modalen Realismus Allen Hazen zu: The standard response to Kripke, given by Hazen (1979) and many others, is to point out that counterpart theory is being offered as a semantic account of modal sentences, and that according to that account when we talk about what might have happened to Humphrey we are talking about what happens to someone else, his counterpart. (Fara und Williamson 2005, S. 27, Hervorh. im Orig., vgl. Hazen 1979)
Wenngleich dahin gestellt ist, ob das bloße Insistieren auf die Richtigkeit der Counterpart-Analyse von Seiten Hazens überhaupt den Humphrey-Einwands entkräftigt, argumentieren Fara und Williamson dagegen wiederum formal. Ihnen zufolge kann die Counterpart-Theorie nämlich nur dann eine semantische Erklärung für Modalaussagen anbieten, wenn ihr Übersetzungsschema gelingt; während sie – wie bereits erwähnt – aufzeigen, dass eine solche Übersetzung aus formalen Gründen scheitern muss (vgl. Kap. 3.2.2, insbes. Fn. 19). Sowohl der Entkräftungsversuch von Hazen als auch die Erwiderung von Fara und Williamson verfehlen dabei jedoch die Pointe des Einwands: Insbesondere in den Formulierungen von Meixner wird deutlich, dass es in dem Einwand gar nicht primär um eine rein formal-semantische Erklärung von Modalaussagen geht, sondern darum, dass eine philosophische Modalitätstheorie nicht alltäglichen Intuitionen in Bezug auf Möglichkeiten so eindeutig widersprechen darf. Meixner hält fest, dass Lewis in seinen Erwiderungen auf Kripkes HumphreyBeispiel „vollkommen uneinsichtig war, wie ein und dasselbe Possibile [. . . ] in verschiedenen möglichen Welten mit verschiedenen intrinsischen Eigenschaften vorkommen könnte“ (Meixner 2006a, S. 50, Hervorh. im Orig. vgl. D. K. Lewis 1986a, S. 199) – und schließt deshalb vollkommen zu Recht darauf, dass der modale Realismus im Lewis’schen Sinne nicht haltbar sei: Eine Transweltenidentität für Personen im eigentlichen Sinn kann es [gemäß dem GMR, S. Krebs] nicht geben, sondern nur einen Ersatz für sie mittels der counterpart-Beziehung. Damit gibt es nun aber in der Tat ein Problem der Transweltenidentität für den lewisschen Ansatz; denn die lewissche Antwort auf die Frage der Transweltenidentität für Personen ist [. . . ] nicht befriedigend. (Meixner 2008, S. 118, Hervorh. im Orig.)
Dieser Einwand, der dieselbe Stoßrichtung wie der bereits zuvor vorgebrachte Einwand in Bezug auf das gleichberechtigte Nebeneinander von Welten hat (und sich gewissermaßen aus diesem ergibt), zielt darauf ab, dass der GMR fundamentalen Intuitionen der Alltagssprache widerspricht. Im vierten Kapitel dieses Buches wird sich die deflationäre Metaphysik Kripkes ebenso an ihrem Umgang mit dem Problem der transworld identity messen lassen müssen.
3.4 Theorieexterne Kritik am Modalen Realismus |
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3.4.4 Drei Ansprüche an eine modale Metaphysik des gesunden Menschenverstands Die in den drei vorangegangenen Unterkapiteln vorgebrachten theorieexternen Einwände gegen den modalen Realismus haben vor allem gezeigt, dass Lewis’ Theorie kontraintuitive und teils absurde Konsequenzen nach sich zieht, die dem gesunden Menschenverstand (common sense) widersprechen. Aufgrund dieser ausführlichen Kritik und dem bereits zuvor stark gemachten Unvollständigkeitsargument von Divers und Melia kann der modale Realismus im Rahmen dieses Buches als hinreichend widerlegt gelten. Die zentrale These des GMR, dass mögliche Welten in Form von Paralleluniversen tatsächlich existieren und Möglichkeitsaussagen damit lediglich andere Welten betreffende Wirklichkeitsaussagen darstellen, ist damit zurückzuweisen. Dieses Zwischenergebnis ist angesichts einer langen Tradition der Kritik am modalen Realismus, auf welche in den vorausgegangen Unterkapiteln mehrfach hingewiesen wurde, jedoch nicht allzu besonders – und stellt trotz einer gewissen Popularität des modalen Realismus in gegenwärtigen Debatten keine große Überraschung dar. Für das vorrangige Ziel dieses Buches, Kripkes Ansatz einer deflationären modalen Metaphysik systematisch zu einer eigenständigen Position in der Debatte herauszuarbeiten, war diese ausführliche Kritik des modalen Realismus dennoch unerlässlich – nicht nur, weil Lewis historisch gesehen der wichtigste philosophische Gegenspieler für Kripke ist, wie in Kap. 3.2 ausgeführt wurde. Denn der viel wichtigere (und in der gegenwärtigen Debatte weitestgehend unberücksichtigte) Grund für die ausführliche Kritik des modalen Realismus ist es, dass sich aus dieser grundsätzlichen philosophischen Überlegungen entspringenden Kritik drei zentrale Ansprüche A1, A2 und A3 ableiten lassen, die eine modalmetaphysische Theorie erfüllen muss, um nicht dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen. Diese können wie folgt zusammengefasst werden: A1 Eine modalmetaphysische Theorie muss ideologisch weitgehend unbefangen sein. A2 Eine modalmetaphysische Theorie muss der in der Alltagssprache angelegten Hierarchie von Welten (und damit dem Besonderen des Wirklichen) gerecht werden. A3 Eine modalmetaphysische Theorie muss einen intuitiven Umgang mit transworld identity finden. Anspruch A1 leitet sich dabei unmittelbar aus dem in Kapitel 3.4.1 entwickelten Prinzip der ideologischen Unbefangenheit PIU beziehungsweise ideologischen Andockfähigkeit PIA ab und besagt, dass eine modalmetaphysische Theorie mög-
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lichst geringe ideologischen Voraussetzungen machen sollte. Konkret bedeutet dies, dass ein Ansatz möglichst mit dem Physikalismus, dem Dualismus, dem in der analytischen Philosophie weitestgehend unbeachteten Idealismus und verschiedenen Spielarten dieser Grundpositionen in Bezug auf das Körper-GeistProblem kompatibel sein sollte. Dagegen fordert A2, das Besondere des Wirklichen, wie in Kapitel 3.4.2 dargelegt, angemessen zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass die Uneinnehmbarkeit des göttlichen Standpunkts sowie das aus diesem Standpunkt resultierende kontraintuitive Nebeneinander von Welten, entweder umgangen oder zumindest in befriedigender Weise reflektiert werden muss, um A2 gerecht zu werden. Schließlich wird gemäß A3 ein dem gesunden Menschenverstand entsprechender Umgang mit dem in Kapitel 3.1.4 skizzierten Problem der transworld identity gefordert. Dass die dem GMR inhärente Counterpart-Theorie durch ihre Fokussierung auf Ähnlichkeitsbeziehungen und deren absurden Konsequenzen dies nicht zu leisten imstande ist, wurde in Kapitel 3.4.3 hinreichend dargelegt. Insbesondere die theorieexterne Kritik am GMR diente damit der Entwicklung eines Maßstabs für modalmetaphysische Theorien im Allgemeinen, wie die Ausbuchstabierung dieser drei konkreten Ansprüche an eine dem gesunden Menschenverstand entsprechende modale Metaphysik unterstreichen. Auf die hier entwickelten drei großen Ansprüche wird daher im weiteren Verlauf dieses Buches regelmäßig Bezug genommen. Insbesondere ergibt sich daraus nämlich die für das vierte Kapitel zentrale Aufgabe, zu zeigen, wie der von mir vertretene Ansatz diesen Ansprüchen genügen wird. Aber auch bei dem nun folgenden kursorischen Durchgang durch andere modalmetaphysische Positionen der jüngeren Vergangenheit wird auf den hier entwickelten Maßstab zurückgegriffen, um die Vorzüge und Probleme der jeweiligen Ansätze klarer benennen zu können.
3.5 Andere modalmetaphysische Positionen Unmöglich können in diesem Buch alle bisher vertretenen Theorien der Interpretation von möglichen Welten innerhalb der modalen Metaphysik vorgestellt werden. Die Debatte ist schlicht zu weitschweifig, um alle denkbaren Spielarten der gängigen Positionen wissenschaftlich angemessen darzustellen. Daher werden stellvertretend vier ausgewählte Positionen kursorisch vorgestellt, mit dem bisher entwickelten begrifflichen Apparat auf der modalmetaphysischen Landkarte (vgl. Kap. 3.1) verortet und gemäß den in Kapitel 3.4.4 entwickelten Ansprüchen bewertet. Bei diesen Positionen handelt es sich insbesondere um solche, die für die Entwicklung des von mir präferierten Ansatzes eines modalmetaphysischen De-
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flationismus nach dem Vorbild von Kripke besonders relevant sind: Der modale Realismus in Bezug auf unmögliche Welten (vgl. Kap. 3.5.1) geriert sich als konsequente Fortsetzung des GMR und soll daher zumindest kurz thematisiert werden. Der Meinongianismus hat gerade in letzten Jahren wieder großen Zuspruch erhalten und Kripke setzt sich in Reference and Existence direkt mit ihm auseinander. David Kaplans heuristischer modaler Realismus ist dagegen insbesondere aufgrund der von ihm darin entwickelten und später von Kripke kritisierten Idee des Jules-Verne-o-skop von großem Interesse (vgl. Kap. 3.5.3), während mit dem Ersatzismus (vgl. Kap. 3.5.4), u.a. von Alvin Plantinga und Robert Stalnaker, eine einflussreiche Position kurz vorgestellt wird, die dem im vierten Kapitel dieses Buch zu entwickelnden deflationären Ansatz zwar näher steht als die drei vorgenannten, sich von diesem aber dennoch deutlich unterscheidet.
3.5.1 Realismus in Bezug auf unmögliche Welten Kurz vorgestellt wird hier zunächst die Fortführung des GMR durch einige Schüler von David Lewis, insbesondere Christian Mortensen, David Vander Laan und Takashi Yagisawa. Während das Pluriversum bei Lewis nur mögliche Welten umfasst, sind deren Ansätze noch umfassender: Laut ihnen existieren neben möglichen Welten nämlich auch unmögliche Welten.⁷³ Diese hier als Realismus in Bezug auf unmögliche Welten bezeichnete Position stellt damit gewissermaßen eine extreme Spielart der ohnehin schon extremen Position des modalen Realismus dar. Neben der Existenz von Possibilia wird in dieser Spielart auch von der Existenz von Impossibilia ausgegangen, das heißt unmöglichen Individuen wie viereckigen Kreisen oder dem Barbier, der all jene und nur jene rasiert, die sich nicht selbst rasieren.⁷⁴ Dies entspricht gemäß der in Kapitel 3.1 gezeichneten Landkarte nicht nur einem Possibilismus, sondern darüber hinaus auch einem Impossibilismus, der an den von Williamson vertretenen Nezessitismus erinnert (vgl. Kap. 3.1.3). Genau wie der GMR wäre diese Position realistisch in Bezug auf die Existenz von Welten, würde Modalität auf Welten reduzieren wollen und das Problem der transworld identity genauso lösen müssen wie David Lewis mit seiner CounterpartTheorie.
73 Eine genauere Ausdifferenzierung derer Positionen findet hier nicht statt. Die Grundlage für diese kursorische Vorstellung bilden Mortensen 1997; Vander Laan 1997; Yagisawa 1988, 2010. 74 Wobei diese veranschaulichende Formulierung der Russell’schen Antinomoie (vgl. B. Russell 2010b, S. 101–102) unter Umständen aufgelöst werden könnte und ebenjener Barbier damit keine Unmöglichkeit mehr darstellen würde. Darauf wird hier jedoch nicht weiter eingegangen.
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Die Vorteile eines unmögliche Welten umfassenden modalen Realismus gegenüber dem in Kapitel 3.2 dargestellten GMR sind dabei rein formaler Natur: Durch die Annahme der Existenz unmöglicher Welten würde sich das Kriterium der Konsistenz als Kriterium für eine erfolgreiche Reduktion von Modalität als überflüssig erweisen (vgl. Kap. 3.1.1, 3.2.4 u. 3.3.2) und damit alle darauf abzielenden theorieinternen Einwände gegen den GMR hinfällig werden, insbesondere der in Kap. 3.3.1 dargestellte Lycan-Shalkowski-Einwand und darüber hinaus möglicherweise sogar das in Kap. 3.3.2 stark gemachte Unvollständigkeitsargument von Divers und Melia.⁷⁵ Je mehr der Realismus in Bezug auf unmögliche Welten jedoch den formalen und theorieinternen Problemen des GMR entgeht, desto stärker scheitert er an den in Kapitel 3.4.4 aufgestellten Ansprüchen an eine dem gesunden Menschenverstand entsprechende modalmetaphysische Theorie. Die in den Kapiteln 3.4.1 bis 3.4.3 aufgeführten weiterführenden philosophischen Kritikpunkte an Lewis’ modalem Realismus lassen sich ohne Weiteres auch auf diese Spielart des modalen Realismus übertragen. Der Realismus in Bezug auf unmögliche Welten wäre darüber hinaus ideologisch noch befangener als der GMR, da es philosophisch nur Sinn ergibt, die Existenz unmöglicher Welten anzunehmen, wenn man neben dem Physikalismus auch die Existenz möglicher Welten postuliert. Dass diese unmöglichen Welten gleichberechtigt neben den möglichen Welten und der aktualen Welt stehen, widerstrebt nicht nur der dem Anspruch A2 entsprechenden Besonderheit des Wirklichen, sondern lässt auch die Postulierung des göttlichen Standpunkts noch problematischer werden. Auch der von Meixner gegen Lewis stark gemachte Humphrey-Einwand lässt sich eins zu eins auf den modalen Realismus in Bezug auf unmögliche Welten übertragen, da dieser genötigt ist, transworld identity genau wie Lewis über Ähnlichkeitsbeziehungen zu ontologisch verschiedenen Counterparts zu erklären. Aus diesen Gründen kann festgehalten werden, dass der Realismus in Bezug auf unmögliche Welten noch krasser fundamentalen Intuitionen der Alltagssprache widerspricht als Lewis’ modaler Realismus und diese Position daher – trotz bestimmter formaler Vorteile – ebenso zurückzuweisen ist.
75 Eine detaillierte formale Auseinandersetzung mit dem Argument von Divers und Melia in Bezug auf die Positionen von Mortensen, Vander Laan und Yagisawa kann in diesem Buch nicht erfolgen; sie ist aufgrund der starken theorieexternen Kritikpunkte aber auch nicht nötig.
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3.5.2 Meinongianismus Peter van Inwagen schreibt in einer Fußnote seines Aufsatzes „Two concepts of possible worlds“: „Lycan mistakenly supposes that Lewis is a Meinongian“ (van Inwagen 2001c, S. 212, Fn. 9) und führt diese Verwechslung auf Konfusionen hinsichtlich des Wirklichkeitsbegriffs im modalen Realismus zurück.⁷⁶ Dennoch nehmen Bernard Linsky und Edward Zalta dies zum Anlass, der Frage nachzugehen, ob Lewis Meinongianer ist. Wenngleich sie diese Frage verneinen und auch Lewis selbst sich scharf von Meinong abgrenzt⁷⁷, halten sie fest, dass der Meinongianismus eine ontologische Position ist, der ähnlich wie Lewis’ modalem Realismus häufig mit „incredulous stares“ (D. K. Lewis 1986a, S. 133; vgl. Linsky und Zalta 1991, S. 438) begegnet wird. Nicht nur, weil Meinongs Theorie in den letzten Jahrzehnten wieder an Popularität innerhalb der analytischen Philosophie gewonnen hat⁷⁸, sondern vor allem weil Kripke sich in Reference and Existence (2013) relativ ausführlich mit ihr beschäftigt, wird sie daher im Rahmen dieses kursorischen Durchgangs durch verschiedene modalmetaphysische Positionen zumindest kurz porträtiert. Historisch wurzelt der Meinongianismus in der Gegenstandstheorie des österreichischen Philosophen Alexius Meinong⁷⁹, welche Anfang des 20. Jahrhunderts und damit noch weit vor den für dieses Buch relevanten Debatten um die Interpretation von möglichen Welten in der Modallogik entstanden ist. Alexander Pruss fasst Meinongs Gegenstandstheorie wie folgt knapp zusammen: Meinong sought to explain the intentionality of thought by invoking objects that correspond to all of our ideas, even ideas not exemplified in our world. Thus, there are some things that don’t exist. (Pruss 2011, S. 24)
Dabei macht Pruss auch deutlich, wie sich Meinong und Lewis unterscheiden: Während Lewis genau wie Meinong davon ausgeht, dass es Dinge gibt, die nicht (in der Wirklichkeit) existieren, lagert Lewis diese Possibilia in Welten aus (vgl. Pruss 2011, S. 24; Linsky und Zalta 1991, S. 438–444). Bei Meinong dagegen sind sie Teil der Wirklichkeit und finden ihren Platz in einem ontologischen Reich, das zwar nicht bei ihm selbst, aber in der späteren Diskussion häufig als Meinong-
76 Vgl. Lycan 1979, 1988, S. 43–44. 77 Insbesondere in seinem späteren Aufsatz „Noneism or Allism?“ (1990), aber auch schon in On the Plurality of Worlds (vgl. D. K. Lewis 1986a, S. 97–101). 78 Einflussreiche Meinongianer der Gegenwart sind etwa Terence Parsons, Roderick Chisholm und Richard Routley, vgl. insbesondere T. Parsons 1980; Chisholm 1982; Routley 1980. 79 Dargelegt vor allem in seinem Buch Untersuchungen zur Gegenstandstheorie und Psychologie (1904) und zahlreichen weiteren Aufsätzen.
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Dschungel (Meinong’s jungle, vgl. Routley 1980) oder, insbesondere bei Kripke, als Schattenwelt (shadowy land, vgl. Kripke 2013, S. 78) bezeichnet wird. Meinong spricht bei intentionalen (also nur gedachten) Gegenständen von einem Sosein, dass er von gewöhnlichem Sein unterscheidet: Es unterliegt also keinem Zweifel: was Gegenstand des Erkennens sein soll, muß darum noch keineswegs existieren. Indes könnten die bisherigen Ausführungen immer noch der Vermutung Raum geben, die Existenz könne nicht nur durch den Bestand ersetzt werden, sondern müsse es auch, wo keine Existenz vor liegt. Aber auch diese Einschränkung ist unstatthaft. Das lehrt ein Blick auf die beiden eigentümlichen Leistungen des Urteilens und Annehmens, die ich durch die Gegenüberstellung der „thetischen und synthetischen Funktion“ des Denkens festzuhalten versucht habe. Im ersteren Falle erfaßt das Denken ein Sein, im zweiten ein „Sosein“, jedesmal natürlich ein Objektiv, das ganz verständlich dort als Seinsobjektiv, hier als Soseinsobjektiv bezeichnet werden mag. (Meinong 1904, S. 7–8)
Dieses Sosein ist ontologisch unabhängig vom Sein, wie Meinong weiter ausführt, sodass Soseins-Aussagen über einen (in der Wirklichkeit nicht existierenden) goldenen Berg oder auch über runde Quadrate getroffen werden können: Das alles ändert nichts an der Tatsache, daß das Sosein eines Gegenstandes durch dessen Nichtsein sozusagen nicht mitbetroffen ist. Die Tatsache ist wichtig genug, um sie ausdrücklich als das Prinzip der Unabhängigkeit des Soseins vom Sein zu formulieren [. . . ]. Nicht nur der vielberufene goldene Berg ist von Gold, sondern auch das runde Viereck ist so gewiß rund als es viereckig ist. (Meinong 1904, S. 8)
Gemäß der in Kapitel 3.1 gezeichneten modalmetaphysischen Landkarte ist Meinong also Possibilist, da er davon ausgeht, dass es reinmögliche Gegenstände gibt (in seiner Terminologie: dass reinmögliche Gegenstände ein Sosein haben⁸⁰). Diese Possibilia gibt es laut seiner Gegenstandstheorie nicht nur als Gedankenkonstrukte, sondern dadurch, dass sie Gedankenkonstrukte sind, gibt es sie als Teil einer Schattenwelt, die ontologisch zu unserer Wirklichkeit gehört. Da die Terminologie der möglichen Welten Meinong fremd ist⁸¹, ist eine Einordnung Meinongs in Bezug auf die weiteren Aspekte der Landkarte schwierig. Da es ihm nicht um eine Reduktion des Modalitätsbegriffs geht, wäre er aber durchaus als Primitivist anzusehen. Darüber hinaus geht er wie beschrieben auch nicht von der Existenz
80 Eine genauere Ausdifferenzierung der Begriffe „Existenz“, „Sein“ und „Sosein“ bei Meinong würde an dieser Stelle zu weit führen. In der anglo-amerikanischen Philosophie würde man Meinong üblicherweise so charakterisieren, dass Possibilia in einer Schattenwelt sind, aber eben nicht existieren, vgl. dazu auch Fn. 82 81 Zumindest in ihrem heutigen Gebrauch; selbstverständlich ist Meinong des entsprechenden Begriffs bei Leibniz gewahr, der aber von der zwischen Kripke und Lewis geführten Debatte klar zu unterscheiden ist, vgl. Kap. 1.3.
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möglicher Welten aus, da seine Schattenwelt Teil der wirklichen Welt ist – und das Problem der transworld identity sich aus seiner Theorie heraus gar nicht erst stellt. Damit könnte die Meinong’sche Theorie in diesem Buch zur Frage nach einer Interpretation von möglichen Welten bereits abgehandelt sein, wenn nicht Kripke eine gewisse Sympathie zu der eben vorgestellten Ansicht von Meinong ausdrücken würde – und das obwohl er in einer Fußnote zugibt, Meinong nicht gelesen zu haben, sondern sich vor allem auf Russells Darstellung von Meinong zu stützen (vgl. Kripke 2011h, S. 63, Fn. 23).⁸² Beispielsweise zitiert Kripke die von Douglas Lackey geäußerte Verteidigung Meinongs gegen die Namenstheorie von Russell äußerst zustimmend: In this controversy [between Russell and Meinong] Russell has usually appeared to be an apostle of common sense while Meinong has appeared as a wild ontologizer hypostasizing entities at will. But Meinong’s theory says that „Pegasus is a flying horse“ is true, while Russell says that this assertion is false. The average man, if he knows his mythology, would probably agree with Meinong. (Lackey zitiert nach Kripke 2013, S. 55, Anm. im Orig.)⁸³
Wenngleich sich Kripke im weiteren Verlauf deutlich von Meinong abgrenzt und die ebenso nur wenig intuitive Ontologie seiner Gegenstandstheorie auch nicht zu akzeptieren bereit ist, macht Kripke Intuitionen der Alltagssprache geltend, um Meinongs Ansatz gegenüber den Konsequenzen der Russell’schen Kennzeichnungstheorie aus „On Denoting“ (vgl. Kap. 2.5.1) zu verteidigen, der zufolge etwa der Satz „Pegasus ist ein fliegendes Pferd“ falsch ist.⁸⁴ Inwieweit Kripkes da-
82 Dies trifft aber wahrscheinlich auf viele Theoretiker aus dem Bereich der analytischen Philosophie zu. Ähnlich wie Frege wurde auch Meinong insbesondere durch Russell rezipiert und dadurch im anglo-amerikanischen Sprachraum bekannt, während man seiner Philosophie im deutschsprachigen Raum lange Zeit kaum gewahr war. Zu Russells Darstellung von Meinong vgl. B. Russell 1905, S. 480–485. Auch das in diesem Buch skizzierte Porträt orientiert sich daher mehr an dem durch Russell geprägten und in der analytischen Philosophie gängigen Bild der Gegenstandstheorie von Meinong. Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass – wie Kripke sagt – es auch gut sein kann, dass der in diesem Kapitel vorgestellte Meinong ein von Russell ausgedachter fiktiver Philosoph sei, „who was so upset that he did not really exist that he invented a doctrine that even beings like him have some weaker form of existence“ (Kripke 2011e, S. 234). 83 Das Originalzitat von Lackey findet sich in seinem Herausgeberkommentar zu Russells Essays in Analysis, vgl. B. Russell 1973, S. 19; Krebs 2015, S. 27–28. 84 Zumindest bezeichnet Russell den analogen Satz „The King of France is bald“ als „plainly false“ (B. Russell 1905, S. 484). Kripke geht jedoch nicht ausführlich auf Russells Unterscheidung von primärem und sekundärem Gebrauch ein: Russell würde derlei Aussagen als plainly false im primären Gebrauch ansehen, im sekundären Gebrauch könnte es dagegen durchaus sein, dass auch laut Russell derlei Beispielssätze wahr sind (vgl. B. Russell 1905, S. 489–493 und Kap. 2.5.3 dieses Buches).
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mit zum Ausdruck gebrachte grundsätzliche Sympathie für Meinong die Frage erlaubt, ob seine eigene Position – und damit der in diesem Buch vertretene modalmetaphysische Deflationismus – vielleicht nicht so eindeutig dem Aktualismus zuzurechnen ist, wie es häufig in der Sekundärliteratur vorschlagen wird, wird in Kapitel 4.3.3 ausführlich diskutiert. Dafür wird dort die hier skizzierte Position Meinongs noch einmal aufgegriffen – und in Abgrenzung zu ihr Kripkes „alltagssprachliche Ontologie fiktiver Charaktere“ (Krebs 2015, S. 27) als überzeugende Antwort hinsichtlich der als dritter Aspekt der modalmetaphysischen Landkarte (vgl. Kap. 3.1.3) aufgeworfenen Frage nach dem ontologischen Inventar von Welten vorgestellt. Zu diesem Zeitpunkt ist es wichtig festzuhalten, dass Meinongs Gegenstandstheorie – anders als etwa Lycan es fälschlicherweise dargestellt hat – nur wenig mit Lewis’ modalem Realismus gemein hat. Wenngleich der Meinongianismus eine wichtige und einflussreiche Position innerhalb der gegenwärtigen Ontologie darstellt, hilft sie dagegen wenig bei der Frage danach, wie mögliche Welten metaphysisch zu interpretieren sind, da Possibilia bei Meinong nicht Teil von möglichen Welten, sondern der aktualen Welt sind und das Konzept der möglichen Welten damit überhaupt nur bedingt mit dem Meinongianismus in Verbindung zu bringen ist.
3.5.3 David Kaplans heuristischer modaler Realismus Inwieweit die Position von David Kaplan überhaupt als eigenständige modalmetaphysische Position gelten kann, ist weniger eindeutig als es der Titel dieses Abschnitts vermuten lässt. Wenn hier von Kaplans heuristischem modalen Realismus die Rede ist, dann geschieht das dabei stets unter Bezugnahme auf diese Aussage von Robert Stalnaker, der Kaplan wie folgt von Lewis abgrenzt: While some, such as David Kaplan, used the „distant planet“ image only playfully as a heuristic, David Lewis took it seriously, and argued that this conception of possible worlds provided the best explanation for modal discourse and modal facts. While few have followed Lewis in accepting a metaphysics of parallel universes, many have thought that this is what is required if one takes the possible worlds framework seriously as more than a useful fiction or a formal device. (Stalnaker 2011b, S. 102)
Mit dem ‚distant planet‘ image bezieht sich Stalnaker auf den von Lewis zu Beginn von On the Plurality of Worlds gezogenen Vergleich von möglichen Welten mit fernen Planeten:
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The worlds are something like remote planets; except that most of them are much bigger than mere planets, and they are not remote. Neither are they nearby. There are not at any spatial distance whatever from here. (D. K. Lewis 1986a, S. 2)
Kaplan übernimmt zwar dieses Bild zur Erklärung von Modalität, zieht aber nicht dieselben metaphysischen Konsequenzen wie Lewis. In anderen Worten: Kaplan hält an den explanatorischen Komponenten des GMR fest, wonach mögliche Welten eine explizite und nicht-modale Analyse der Familie von modalen Begriffen (vgl. Kap. 3.2.1 und Divers 2002, S. 47) anbieten. Gleichzeitig übernimmt Kaplan nicht die ontologischen Komponenten des GMR, wonach unendlich viele mögliche Welten existieren, die von derselben Art sind wie die aktuale Welt α, die in keiner raumzeitlichen Beziehung zueinander stehen und die von einer Kombination von Counterparts ‚bewohnt‘ werden (vgl. Kap. 3.2.1). Stattdessen sind diese ontologischen Komponenten des GMR für Kaplan lediglich eine wertvolle Heuristik, um die Rede von Möglichkeit und Notwendigkeit erklären zu können. Die nähere Beschäftigung mit diesem heuristischen modalen Realismus lohnt sich insbesondere aufgrund eines besonderen heuristischen Geräts, dem bereits in Kap. 3.1.4 angedeuteten Jules-Verne-o-skop, das Kaplan in seinem Aufsatz „Transworld Heir Lines“ einführt: Our view of individuals in different worlds is through the Jules Verne-o-scope. (Kaplan 1979, S. 99)
Den Zweck dieses überweltlichen Teleskops beschreibt er im Zusammenhang mit einem Beispiel des Musikers Bob Dylan, durch welches Kaplans Erklärung von transworld identity deutlich wird: I’ll even let you peep in at this other world through my Jules Verne-o-scope. Carefully examine each individual, check his fingerprints, etc. The problem is: which one, if any, is Bobby Dylan? That is, which one is our Bobby Dylan–of course he may be somewhat changed, just as he will be in our world in a few years. In that possible world which ours will become in, say, thirty years, someone may ask „What ever happened to Bobby Dylan?“ and set out to locate him. Our problem is to similarly locate him in [a possible world, S. Krebs] G (if he exists there). Although I will continue to speak of identification, there are reasons, to which I will return, for claiming that the Bobby Dylan in G is not strictly identical with our Bobby Dylan but related to him in a way something like descendant to ancestor, what Kurt Lewin called gen-identity. (Kaplan 1979, S. 93, Hervorh. im Orig.)
Genidentität bei Kurt Lewin bezeichnet dabei eine besondere Form der Beziehung eines Gegenstands zu sich selbst über verschiedene Zeitpunkte hinweg, die der Genese dieses Gegenstands über die Zeit Rechnung trägt – anders etwa als klassi-
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sche Begriffe der logischen Identität.⁸⁵ Kaplan würde damit gemäß seiner eigenen Terminologie (vgl. Kap. 3.1.4) einen Häkzeitismus vertreten, dem zufolge es Sinn ergibt, nach der Identifikation von Individuen über Welten hinweg zu fragen. Hier ist ein wichtiger Unterschied zu David Lewis, der besonderen Wert darauf legt, dass die Counterpart-Theorie keine Identifikation ein und desselben Individuums über Welten hinweg darbietet, sondern auf einer Ähnlichkeitsbeziehung von ontologisch verschiedenen Individuen basiert.⁸⁶ Auf diese Identifikation spielt auch der Titel von Kaplans Aufsatz an: Bei der „Transworld Heir Lines“ handelt es sich nämlich um die Erblinie (treffender wäre eigentlich: Verwandtschaftslinie) eines Individuums mit sich selbst über mögliche Welten hinweg, die mit Hilfe des Jules-Verne-o-skop nachverfolgt werden kann. Kripke kommentiert das Jules-Verne-o-skop und das diesem Gedankenspiel zugrunde liegende Bild ferner Planeten folgendermaßen: [I]ntuitively speaking, it seems to me not to be the right way of thinking about the possible worlds. A possible world isn’t a distant country that we are coming across, or viewing through a telescope. (Kripke 1980, S. 43–44)
Zu Kaplans Häkzeitismus und der Identifizierung von Individuen ergänzt er später: I don’t have to identify it [= ein beliebiger Gegenstand in einer kontrafaktischen Situation, S. Krebs] after seeing it through a telescope. If I am talking about it, I am talking about it, in the same way as when I say that our hands might have been painted green, I have stipulated that I am talking about greenness. (Kripke 1980, S. 53, Hervorh. im Orig.)
Dass er Kaplans Lösung von transworld identity ablehnt, hängt dabei eng mit sprachphilosophischen Fragen zur Referenz von Eigennamen zusammen, da Kaplans Bild von möglichen Welten und transworld identity zwangsläufig aus der von ihm kritisierten Kennzeichnungstheorie von Frege und Russell folgt (vgl. Kap. 2.5.1) – wogegen er im Zusammenhang mit seiner Theorie der rigid designation (vgl. Kap. 2.5.2) einen deutlich überzeugenderen Gegenentwurf anbietet, der – wie in Kapitel 4.5.1 erläutert wird – ein kohärentes Ganzes bildet.
85 Vgl. Lewin 1922, S. 7–20. Die hier geleistete äußerst grobe Definition wird diesem komplexen Begriff bei Lewin sicher nicht einmal ansatzweise gerecht, genügt aber vollkommen, um den Zweck des Jules-Verne-o-skop bei Kaplan zu verstehen. 86 Vgl. Kap. 3.2.2 und 3.4.3. Lewis bezeichnet sich daher explizit als Anti-Häkzeitist und widmet – vielleicht gerade wegen der Verwechslungsgefahr seiner Position mit der von Kaplan – diesem Aspekt zwei ganze Kapitel mit den Titeln „Against Trans-World Individuals“ und „Against Haecceitism“ in On the Plurality of Worlds, vgl. D. K. Lewis 1986a, S. 210–247.
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Nichtsdestotrotz führt Kaplans Lösung von transworld identity nicht in die Absurdität von Lewis’ GMR, der die Möglichkeiten einer Person der wirklichen Welt durch die Wirklichkeit einer anderen, von dieser Person verschiedenen Person in einer möglichen Welt erklärt (vgl. Kap. 3.4.3). Auf Kaplans Jules-Verne-o-skop werde ich im vierten Kapitel dieses Buches also ebenfalls wie auf den Meinongianismus noch einmal kurz zurückkommen, wenn es darum geht, eine deflationäre modale Metaphysik nach dem Vorbild von Kripke zu entwickeln. Erst dadurch kann gezeigt werden, warum genau auch Kaplans Jules-Verne-o-skop am Anspruch A3 scheitert. Darüber hinaus ist Kripkes Auseinandersetzung mit Kaplan insofern auch kritisch zu betrachten, als er – wie typisch für seinen Umgang mit anderen Positionen (vgl. Kap. 1.2) – Kaplan mehr als eine Strohmannposition rekonstruiert und an einigen Stellen in Naming and Necessity Kaplan und Lewis miteinander zu vermischen scheint, was beiden Autoren nicht gerecht wird (vgl. Kripke 1980, S. 44– 53).⁸⁷ Für den Moment ist festzuhalten, dass Kaplan auf der in Kapitel 3.1 skizzierten Landkarte – wie oben dargestellt – am ehesten als heuristischer modaler Realist einzuordnen ist, der so tut, als ob mögliche Welten existieren und für den transworld identity nicht nur „the central problem of philosophical interest in the development of intensional logic“ (Kaplan 1979, S. 94) darstellt, sondern der dieses Problem über sein Jules-Verne-o-skop zu lösen versucht. Da Kaplans modaler Realismus nur ein heuristisches Spiel ist (und es dabei unklar bleibt, inwieweit Kaplan modaler Reduktionist oder Primitivist ist – und wie er die Frage beantworten würde, ob es Possibilia gibt), bleibt er ideologisch dabei anknüpffähig an verschiedene Weltbilder, sodass Anspruch A1 erfüllt ist. Anspruch A2 kann er dagegen aus ähnlichen Gründen wie Lewis nicht gerecht werden, da auch Kaplans Heuristik davon ausgehen muss, dass die möglichen Welten gleichberechtigt nebeneinander existieren und von einem uneinnehmbaren göttlichen Standpunkt aus betrachtet werden können, sodass – zumindest im heuristischen Spiel – die Wirklichkeit ihre Sonderrolle verliert. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass Kaplans Jules-Verne-o-skop im Zusammenhang mit der Planetenmetapher vor allem ein Gedankenexperiment darstellt, welches das Problem der transworld identity auf eine bestimmte Weise in
87 Fairerweise muss man Kripke in diesem Fall jedoch zugestehen, dass weder Lewis’ On the Plurality of Worlds noch Kaplans „Transworld Heir Lines“ zum Zeitpunkt von Kripkes Originalvorträgen in Princeton schon veröffentlicht waren (wenngleich er deren damals noch unveröffentlichten Ansätze durchaus kannte, vgl. Stalnaker 2011b, S. 106, Fn. 4) – und er auf den Unterschied zwischen Kaplan und Lewis in Bezug auf transworld identity in einer nachträglich eingefügten Fußnote (vgl. Kripke 1980, S. 45, Fn. 13) hinweist.
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den Fokus rücken soll. Deshalb macht Kaplans heuristischer modaler Realismus streng genommen gar keine Aussage hinsichtlich der ontologischen Kernfrage dieses Buches, ob mögliche Welten existieren. Daher wird es Kaplan nur bedingt gerecht, ihn auf der modalmetaphysischen Landkarte verorten zu wollen. Wichtiger für den weiteren Verlauf ist es ohnehin, dass Kripkes nur spärliche Äußerungen zur Metaphysik möglicher Welten häufig unter kritischer Bezugnahme auf das hier vorgestellte Jules-Verne-o-skop erfolgen – und Kaplans „Transworld Heir Lines“ insbesondere aus diesem Grund als „locus classicus“ (Stalnaker 2011b, S. 106, Fn. 4) einer Position gilt, gegen die Kripke sich vorrangig wendet.
3.5.4 Ersatzismus und Aktualismus Aus dem im vorherigen Kapitel skizzierten Gedanken, dem zufolge mögliche Welten nur eine Heuristik darstellen, hat sich darüber hinaus eine vollständige modalmetaphysische Position entwickelt, die Lewis selbst als „Ersatzist Programme“ (D. K. Lewis 1986a, S. 136) bezeichnet: The ersatzers say that instead of an incredible plurality of concrete worlds, we can have one world only, and countless abstract entities representing ways that this world might have been. Likewise we can have abstract entities representing ways that donkeys or whatnot might have been. We need not disagree extravagantly with common sense about how many worlds, donkeys, atoms, or gods there are. The abstract representations are not worlds, donkeys, atoms, or gods. So there is no affront to common sense ideas about what there is. (D. K. Lewis 1986a, S. 136)
Laut Meixner geht es im Ersatzismus (ersatzism) darum, „abstrakte (doch eventuell bildhafte) Konstrukte für die nichtwirklichen unter den möglichen Welten einstehen zu lassen (wodurch ein ontologischer Bruch zwischen der zweifellos konkreten wirklichen Welt und allen anderen möglichen Welten resultiert)“ (Meixner 2006a, S. 53, Hervorh. im Orig.). Dies sei motiviert durch „Skepsis gegenüber dem konkret Nichtwirklichen und den gleichzeitigen Willen [. . . ], sich die Früchte des Mögliche-Welten-Begriffs für die logische Analyse nicht entgehen zu lassen“ (Meixner 2006a, S. 53). Lewis unterscheidet zwischen verschiedenen Typen des Ersatzismus: Sprachlicher Ersatzismus (linguistic ersatzism), bildlicher Ersatzismus (pictorial ersatzism) und magischer Ersatzismus (magical ersatzism), auf die hier jedoch nicht gesondert eingegangen werden kann, zumal auch Lewis niemanden benennen kann, „who explicitly support the pictorial or magical versions“ (D. K. Lewis 1986a, S. 141).
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Prototypischer Ersatzer ist laut Meixner Bas van Fraassen, der in „The Only Necessity is Verbal Necessity“ schreibt: The items in the models, such as possible worlds, I regard with a suspension of disbelief, as similar to the ropes and pulleys, threads, and little billiard balls that were introduced in nineteenth-century physics. (van Fraassen 1977, S. 74; vgl. Meixner 2006a, S. 53)
Lewis zählt insbesondere Richard Jeffrey, Rudolf Carnap, Brian Skyrms, aber auch die in den gegenwärtigen Debatten deutlich einflussreicheren Robert Stalnaker und Alvin Plantinga als Vertreter des Ersatzismus auf (D. K. Lewis 1986a, S. 141), was beispielsweise das folgende Zitat aus Plantingas „Actualism and Possible Worlds“ nur unterstreicht: A possible world, therefore, is a state of affairs, and is hence an abstract object. So α, the actual world, is an abstract object. It has no center of mass; it is neither a concrete object nor a mereological sum of concrete objects; indeed α, like Fords being ingenious, has no spatial parts at all. (Plantinga 1976, S. 144, Hervorh. im Orig.)
Eine sehr ähnliche Position nimmt auch Peter van Inwagen ein, dessen Abstraktionismus (abstractionism)⁸⁸ häufig in einem Atemzug mit der Position von Plantinga genannt wird: I will assume that at least some abstract objects – numbers, pure sets, ‚purely qualitative‘ properties and relations, possibilities, possible worlds themselves – exist in all possible worlds. (van Inwagen 2001d, S. 57–58)
Robert Stalnaker dagegen bezeichnet seinen Ersatzismus auch als ‚moderaten modalen Realismus‘ (vgl. Stalnaker 2003c, S. 28; D. K. Lewis 1986a, S. 136, Fn. 1), dem zufolge mögliche Welten nicht Teil der Einrichtung der Welt sind. Stattdessen sind sie primitive Begriffe der Theorie: Dies bedeutet, dass Stalnaker keinen metaphysischen Begriff von möglichen Welten vertreten möchte, sondern laut ihm mögliche Welten lediglich als Erklärungsrahmen für metaphysische Theorien dienen. Die Frage nach dem ontologischen Status möglicher Welten lässt Stalnaker damit offen. Durch seine ausführliche Lewis-Kritik schlägt er sich aber tendenziell auf die Seite derer, die mögliche Welten als abstrakte Konstrukte ansehen (vgl. Stalnaker 2003c, S. 38–39).
88 Van Inwagens Abstraktionismus entspricht der von Lewis als Ersatzismus vorgestellten Position; in seiner Terminologie bezeichnet van Inwagen den GMR als Konkretismus (concretism, vgl. van Inwagen 2001c, S. 227–242), um zu verdeutlichen, dass er sich von Lewis vor allem hinsichtlich der Frage unterscheidet, ob mögliche Welten als konkrete oder als abstrakte Objekte angesehen werden.
132 | 3 Was bedeuten mögliche Welten für die Metaphysik?
Auf der modalmetaphysischen Landkarte (vgl. Kap. 3.1) wäre der Ersatzismus hinsichtlich der Frage nach dem ontologischen Inventar als Aktualismus einzuordnen. Hinsichtlich der Frage nach dem ontologischen Status von möglichen Welten ist der Ersatzismus (in den meisten seiner Spielarten) ein Anti-Realismus (z. B. van Inwagen, Plantinga und van Fraassen). Stalnaker dagegen ist sich selbst bei der Zuordnung seiner Position als Anti-Realismus nicht ganz sicher, wenn er fragt: „Is the form of realism about possible worlds that I have been defending really realism?“ (Stalnaker 2003c, S. 38). Plantinga und Stalnaker unterscheiden sich dabei vor allem aufgrund ihres jeweiligen Umgangs mit transworld identity, das insbesondere für Stalnaker ein zentrales Problem innerhalb der modalmetaphysischen Debatte darstellt. Stalnaker versucht sich daher an einer „actualist counterpart theory“ (Stalnaker 2003a, S. 128), die statt von Ähnlichkeitsbeziehungen (wie bei Lewis, vgl. Kap. 3.2.2) von Identitätsbeziehungen ausgeht und rückt dabei vor allem eine rein formale Beschreibung kontrafaktischer Aussagen in den Vordergrund. Dagegen schreibt Plantinga in The Nature of Necessity Folgendes zu transworld identity und nimmt dabei Bezug auf das im vorangegangen Kapitel 3.5.3 vorgestellte Jules-Verne-oskop-Gedankenexperiment von David Kaplan: There is no such thing as „looking into“ another possible world to see what is going on there. There is no such thing as inspecting the inhabitants of another possible world with a view to deciding which, if any, is Socrates. A possible world is a possible state of affairs. In saying that an individual x exists or has a property P in a state of affairs S, we are pointing to the impossibility that S obtain and x fail to exist or fail to have P. So, for example, consider the state of affairs consisting in Socrates’ being a carpenter, and call this state of affairs ‚S‘. Does Socrates exist in S? Obviously: had this state of affairs been actual, he would have existed. But is there a problem of identifying, him, picking him out, in S–that is, must we look into S to see which thing therein is Socrates? Must there be or must we know of some empirically manifest property he has in this and every other state of affairs in which he exists? Surely not. (Plantinga 1974, S. 96, Hervorh. im Orig. vgl. Chihara 1998, S. 58–60)⁸⁹
Dies fasst er später so zusammen, dass er transworld identity als philosophisches Problem bezweifelt: Is there really any such thing as the problem of Transworld Identity? If there is, I am at a loss to see what it might be. (Plantinga 1974, S. 98)
Plantinga steht damit sehr nahe an der im vierten Kapitel dieses Buches herauszuarbeitenden und zu verteidigenden Position Kripkes, der ebenfalls fragt:
89 Auch im Original sind nicht alle Vorkommnisse von ‚S‘ kursiviert.
3.5 Andere modalmetaphysische Positionen |
133
Does the ‚problem‘ of ‚transworld identification‘ make any sense? Is it simply a pseudoproblem? (Kripke 1980, S. 50, Hervorh. im Orig.)
In Kripkes deflationärem Ansatz kommt jedoch noch die enge Verbindung zur Referenztheorie hinzu, durch welche sich die Frage nach transworld identity als philosophisches Problem erübrigt (vgl. Kap. 4.3.4), während es bei Plantinga unklar bleibt, wie er sicher stellen will, dass Sokrates im abstrakten Konstrukt S mit dem wirklichen Sokrates identisch ist.⁹⁰ Laut Lewis ist der Ersatzismus dennoch eine attraktive Position, insbesondere weil „the ersatzers have the advantage in agreement with common sense about what there is, and this is an advantage well worth having“ (D. K. Lewis 1986a, S. 140). Der Ersatzismus erfüllt damit mindestens die Ansprüche A1 und A2, die in Kapitel 3.4.4 an eine modale Metaphysik des gesunden Menschenverstands aufgestellt wurden. Lewis’ Hauptkritikpunkt am Ersatzismus – unabhängig davon, welcher konkreten Spielart – ist jedoch der Folgende: [T]he ersatzers must resort to primitive facts where genuine modal realists can offer analyses. (D. K. Lewis 1986a, S. 140–141)
Kennzeichnend für den Ersatzismus ist es daher, einen Primitivismus in Bezug auf Modalität zu vertreten (vgl. Kap. 3.1.1), dem zufolge Möglichkeit und Notwendigkeit Grundbegriffe der Realität sind, die nicht auf etwas ontologisch Grundlegenderes reduziert werden können. Dies führt jedoch unweigerlich zu einer gewissen Zirkularität, da der Ersatzismus in seiner Analyse des Möglichkeitsbegriffs auf den Möglichkeitsbegriff verweisen muss. Diese Zirkularität wird etwa auch von Adams und Plantinga offen zugegeben, jedoch als nicht weiter schlimm angesehen (vgl. Divers und Melia 2002, S. 22, Fn. 10). In Bezug auf den in diesem Buch von mir vertretenen modalmetaphysischen Deflationismus werde ich später zeigen, dass diese vermeintliche Zirkularität besser als Kohärenz zu umschreiben ist, die für und nicht gegen den modalmetaphysischen Deflationismus spricht (vgl. Kap. 4.5.1). Neutral betrachtet kann Lewis’ Einwand, der Ersatzismus biete keine Analyse des Modalitätsbegriffs, also kaum als Gegenargument gegen den Ersatzismus gelten. Erschwerend für Lewis kommt hinzu, dass die scheinbare Attraktivität des GMR, Modalität auf Welten reduzieren zu können, nur durch den hohen Preis der ideologischen Gebundenheit an den
90 Eine ausführliche Darstellung von Plantingas Ansichten zur transworld identity bietet van Inwagen 2001b.
134 | 3 Was bedeuten mögliche Welten für die Metaphysik?
Physikalismus (vgl. Kap. 3.4.1) eingekauft wurde, die ich in Kap. 3.4.1 ausführlich kritisiert habe. Direkt gegen den sprachlichen Ersatzismus gerichtet, aber auch auf andere Varianten übertragbar, wendet Lewis darüber hinaus ein, dass die Sprache, mit der die möglichen Welten als abstrakte Objekte konstruiert werden, keinesfalls so beschaffen sein kann, dass sie Eigenschaften integrieren kann, die der aktualen Welt fremd sind, da für solche α-fremden Eigenschaften keine Wörter vorhanden sein können (vgl. D. K. Lewis 1986a, S. 159 und Kap. 3.3.2). Wie eingangs in diesem Abschnitt herausgearbeitet wurde, geht der Ersatzismus nämlich davon aus, dass es nur eine Welt, nämlich die aktuale Welt gibt. Im Ersatzismus kann es daher per definitionem keine α-fremden Eigenschaften geben, wie bereits in Kap. 3.3.2 erwähnt wurde: Sie wären nämlich nirgendwo verortbar beziehungsweise es würde schlicht keinen Sinn ergeben, davon auszugehen, dass es Eigenschaften jenseits der aktualen Welt gibt, wenn man gleichzeitig davon ausgeht, dass es nichts jenseits der aktualen Welt gibt. Dieser Lewis’sche Vorwurf gegen den Ersatzismus ist jedoch durchaus kritisch zu sehen. Er führt unweigerlich zu der Frage, inwieweit man es einer Theorie zum Vorwurf machen kann, dass sie ein Phänomen nicht hinreichend integriert, wenn es gerade zum Wesenskern dieser Theorie gehört, dass es dieses Phänomen gar nicht gibt. Dies wäre ungefähr so, als würde Lewis den Atheismus dafür kritisieren, dass er die Dreifaltigkeit Gottes nicht hinreichend integrieren kann. Lewis’ Argument, im Unterschied zum Ersatzismus das Phänomen der α-fremden Eigenschaften in seinen GMR integrieren zu können, ist also nur ein vermeintlicher Vorteil gegenüber anderen modalmetaphysischen Erklärungen. Dass dieser vermeintliche Vorteil von Lewis’ GMR noch dazu in das Unvollständigkeitsargument von Divers und Melia führt und der GMR genau aufgrund dieser α-fremden Eigenschaften in seinen reduktionistischen Ambitionen scheitert, wurde in Kapitel 3.3.2 hinreichend dargelegt. Lewis hat hier also schlicht keinerlei tragfähiges Argument gegen Ersatzismus. Dennoch steht insbesondere auch Uwe Meixner kritisch gegenüber dem Ersatzismus, den er als „elenden Behelf“ (Meixner 1997, S. 46)⁹¹ bezeichnet, da dieser ebensowenig wie Lewis’ GMR eine „adäquate Deutung singulärer Möglichkeitsaussagen liefern“ (Meixner 2006a, S. 53) kann:
91 Eine Anspielung auf Kants Kritik an der ‚komparativen‘ Willensfreiheit in seiner „Kritik der praktischen Vernunft“, welche laut diesem am Kern des eigentlichen Problems vorbeiführt (vgl. Kant 1900ff.[a], S. 96; Meixner 1997).
3.5 Andere modalmetaphysische Positionen |
135
Der Satz „U.M. konnte 1977 Mathematik studieren“ besagt nämlich (wie mir evident scheint) etwas anderes, als dass gemäß mindestens einer abstrakten Konstruktwelt U.M. 1977 Mathematik studiert[.] (Meixner 2006a, S. 53; vgl. Meixner 1997, S. 46–47)
Damit ist das gewichtigste Argument gegen den Ersatzismus eines, das „Lewis in seiner umfänglichen Kritik [. . . ] gerade nicht gegen ihn vorbringt, nämlich dasselbe, was gegen Lewis’ modalen Realismus spricht“ (Meixner 2006a, S. 53, Hervorh. im Orig.): Der Ersatzismus kann Meixner zufolge nämlich den Anspruch A3 in Bezug auf einen intuitiven Umgang mit transworld identity genau deshalb nicht erfüllen, weil es auch nicht unserer intuitiven Redeweise in Bezug auf Möglichkeitsaussagen entspricht, Möglichkeiten in abstrakte Konstruktwelten auszulagern, wie es unter anderem Plantinga vorschlägt.⁹² Wenngleich sich im vierten Kapitel durchaus Ähnlichkeiten zwischen dem hier vorgestellten Ersatzismus und dem in diesem Buch vertretenen modalmetaphysischen Deflationismus herausstellen werden⁹³, handelt es sich bei Letzterem um eine eigenständige Position. Dies betrifft nicht nur – wie bereits angedeutet – den deutlich vom Ersatzismus verschiedenen Umgang mit transworld identity, sondern vor allem den grundsätzlichen Anspruch Kripkes, die sich in den letzten Jahren verselbstständigende modalmetaphysische Debatte nicht unnötig ‚aufzublähen‘, sondern sie an den gesunden Menschenverstand rückzubinden, wodurch er sich deutlich von den hier genannten Vertretern des Ersatzismus unterscheidet. Der Ersatzismus kann daher zwar in mancherlei Hinsicht als Vergleichspunkt zum modalmetaphysischen Deflationismus dienen, darf aber dennoch nicht mit seiner Herangehensweise an die Frage nach dem ontologischen Status von möglichen Welten verwechselt werden. Gerade aus diesem Grund war seine in dem vorangegangen Abschnitt erfolgte Verortung auf der modalmetaphysischen Landkarte für den Fortgang meiner Argumentation von großer Bedeutung.
92 Da der Ersatzismus jedoch „in different versions“ (D. K. Lewis 1986a, S. 140) auftritt, ist insbesondere bezüglich des Anspruchs A3 die Bewertung schwierig und kann hier nicht für jede einzelne Spielart des Ersatzismus geleistet werden. 93 Van Inwagen geht sogar soweit und listet Kripke neben Stalnaker und Plantinga als prototypischen Vertreter eines Abstraktionismus auf (vgl. van Inwagen 2001d, S. 57, Fn. 1), wobei er diese Zuordnung relativ exklusiv vertreten dürfte, da sich seine Ausführungen zum Abstraktionismus deutlich von dem unterscheiden, was Kripke im Bereich der modalen Metaphysik vorschwebt, wie sich in Kap. 4 dieses Buches zeigen wird.
136 | 3 Was bedeuten mögliche Welten für die Metaphysik?
3.6 Zusammenfassung Bevor im abschließenden vierten Kapitel Saul Kripkes modalmetaphysischer Deflationismus dargelegt und verteidigt wird, erfolgt an dieser Stelle ein kurzer Rückblick auf die bisher geleistete Systematisierung der jüngeren Debatte zur Frage nach dem ontologischen Status von möglichen Welten in der analytischen Philosophie . Dieses Kapitel behandelte vier wesentliche Punkte, die für ein Verständnis des modalmetaphysischen Deflationismus unerlässlich sind. Zunächst wurde eine Landkarte gezeichnet (vgl. Kap. 3.1), anhand derer Unterscheidungen einzelner Positionen zur Modalität verdeutlicht werden können. Später wurde mit David Lewis’ GMR die wichtigste Gegenposition zu Kripkes Ansatz skizziert (vgl. Kap. 3.2) und anschließend kritisiert (vgl. Kap. 3.3 und Kap. 3.4). Insbesondere im Rahmen der theorieexternen Kritik wurden dabei drei grundlegende Ansprüche herausgearbeitet, die sich an jede modalmetaphysische Position richten und an denen sich auch der modalmetaphysische Deflationismus messen lassen muss (vgl. Kap. 3.4.4). Der darauf folgende kursorische Durchgang durch andere wichtige Positionen der jüngeren Debatte (vgl. Kap. 3.5) erfolgte dabei entlang der Orientierungspunkte der zuvor entwickelten Landkarte und bewertete diese nach den zuvor herausgearbeiteten Ansprüchen an eine modale Metaphysik. Mit dem Realismus in Bezug auf unmögliche Welten, dem Meinongianismus, dem heuristischen modalen Realismus und dem Ersatzismus wurden vor allem Positionen skizziert, die für ein Verständnis des modalmetaphysischen Deflationismus eine wichtige Rolle spielen. Dabei wurde dieses Kapitel stets in dem Bewusstsein verfasst, dass ein kursorischer Durchgang durch verschiedene Positionen in der Philosophie ihren jeweiligen Vertretern nie vollkommen gerecht wird. Selbst wenn daher in Kap. 3.5 die wichtigsten Autoren der Debatte kurz thematisiert wurden, ist es nicht Anspruch meines Buches, einen vollständigen Überblick darüber zu bieten, welche Positionen und Spielarten von Positionen in der gesamten analytischen Philosophie des 20. und 21. Jahrhunderts bisher in Bezug auf die modale Metaphysik vertreten worden sind. Es ist daher wichtig, noch einmal zu betonen, dass andere Positionen stets mit dem konkreten Ziel ausgeführt wurden, später in Abgrenzung dazu Kripkes modalmetaphysischen Deflationismus entwickeln zu können – wobei insbesondere der Meinongianismus und das im heuristischen Realismus relevante Jules-Verne-o-skop von David Kaplan noch einmal aufgegriffen werden. Im Gegensatz dazu hat die in Kap. 3.1 modalmetaphysische Landkarte durchaus den Anspruch einer systematischen Vollständigkeit, da es keine Position hinsichtlich dem ontologischen Status von möglichen Welten geben kann, die sich nicht anhand ihrer Orientierungspunkte verorten lässt. Diese vier Orientierungs-
3.6 Zusammenfassung |
137
punkte, mit deren Hilfe in Kap. 4.3 auch der deflationäre Ansatz von Kripke systematisiert wird, können mit den folgenden Fragen kurz umschrieben werden. Erstens: Ist Modalität ein Grundbegriff der Wirklichkeit oder kann Modalität auf etwas anderes (beispielsweise Welten) reduziert werden (Primitivismus vs. Reduktionismus, vgl. Kap. 3.1.1)? Zweitens: Existieren mögliche Welten (Realismus vs. Anti-Realismus, vgl. Kap. 3.1.2)? Drittens: Welche Gegenstände gehören zum ontologischen Inventar dieser Welten (Aktualismus vs. Possibilismus, vgl. Kap. 3.1.3)? Und schließlich viertens: Wie geht die entsprechende Position mit dem modalmetaphysischen Problem der transworld identity, also der Frage nach der Identifizierung eines Individuums über mögliche Welten hinweg, um (vgl. Kap. 3.1.4)? Ebenjener Umgang mit dem zentralen Problem der transworld identity ist einer der gewichtigsten Gründe dafür, dass David Lewis’ modaler Realismus zurückzuweisen ist, wie ich in Kap. 3.4.3 dargelegt habe. Entsprechend erklärt sich auch der dritte, in Kap. 3.4.4 entwickelte, Anspruch an eine modalmetaphysische Position, eine intuitive Antwort für transworld identity formulieren zu können. Die beiden anderen Ansprüche, nämlich erstens möglichst ideologisch unbefangen zu sein und zweitens der in der Alltagssprache angelegten Besonderheit des Wirklichen gerecht zu werden, konnten ebenfalls aufgrund der Kritik am modalen Realismus herausgearbeitet werden – wobei insbesondere das Prinzip der ideologischen Unbefangenheit PIU bzw. Andockfähigkeit PIA eine grundsätzliche wissenschaftstheoretische Tugend verkörpern sollte, wie ich in Kap. 3.4.1 aufgezeigt habe. Die genannten Orientierungspunkte der modalmetaphysischen Landkarte sowie die drei Ansprüche an eine modale Metaphysik des gesunden Menschenverstandes stellen das Fundament dar, auf dem im folgenden vierten Kapitel dieses Buches der modalmetaphysische Deflationismus aufgebaut wird.
4 Modalmetaphysischer Deflationismus 4.1 Vorbemerkungen In diesem vierten Kapitel geht es darum, eine deflationäre Metaphysik möglicher Welten darzulegen. Charakteristisch für diese hier vertretene und auf den Ausführungen Saul Kripkes basierende Position ist die Eliminierung überflüssiger Annahmen innerhalb der modalen Metaphysik der analytischen Philosophie der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart. Wie bereits in der Einleitung und im weiteren Verlauf dieses Buches immer wieder angemerkt, bleiben Kripkes Bemerkungen zur modalen Metaphysik äußerst vage und geschehen meist in der direkten Auseinandersetzung mit anderen Autoren (insbesondere David Lewis und David Kaplan, vgl. Kap. 3.2 bis 3.4 und Kap. 3.5.3). Die von ihm im Vorwort von Naming and Necessity angekündigte Ausarbeitung seiner Ansicht zu möglichen Welten (vgl. Kripke 1980, S. 15, und Kap. 1) liegt auch heute, mehr als 40 Jahre nach den Naming-and-Necessity-Vorträgen, noch nicht vor. Bei der folgenden Darstellung einer deflationären Metaphysik möglicher Welten also nur bedingt um eine originalgetreue Systematisierung der Philosophie Kripkes, da Kripke selbst der Möglichkeit einer solchen Systematisierung seiner Philosophie skeptisch gegenübersteht (vgl. Kap. 1.2) – weswegen es auch für die Zukunft nicht sehr wahrscheinlich ist, dass Kripke selbst noch eine systematische Ausarbeitung seiner Ansicht zu möglichen Welten vorlegt. Aus diesen Gründen handelt es sich bei diesem Kapitel um die systematische Ausarbeitung einer Position, die stark an Kripkes äußerst knappe Ausführungen angelehnt ist und versucht, Kripkes Philosophie insgesamt möglichst gerecht zu werden und sie dennoch als ein kohärentes System zu präsentieren. Die damit verbundenen Schwierigkeiten wurden bereits in der Einleitung dieses Buches thematisiert (vgl. Kap. 1.1). Ebenfalls habe ich dort bereits erklärt, warum eine solche systematische Darstellung einer deflationären modalen Metaphysik dennoch für die Forschung von großem Interesse und außerordentlicher Relevanz ist. Um diese systematische Darstellung überhaupt leisten zu können, wird im folgenden Abschnitt zunächst dargelegt, was genau ich in diesem Buch unter Deflationismus – und darauf aufbauend unter modalmetaphysischem Deflationismus – verstehe.
https://doi.org/10.1515/9783110652642-004
4.2 Modalmetaphysischer Deflationismus: Begriffsursprung und -definition |
139
4.2 Modalmetaphysischer Deflationismus: Begriffsursprung und -definition Die Bezeichnung „Deflationismus“ für die in diesem Buch von mir vertretene Position geht keineswegs auf Kripke zurück noch charakterisiert er seine modalmetaphysischen Ansichten in irgendeiner seiner Veröffentlichungen als deflationär (vgl. Kap. 1.2). Zwar schreibt Robert Stalnaker in seinem Aufsatz „Possible Worlds Semantics“ beiläufig vom „metaphysically deflationary way that he [= Kripke, S. Krebs] is understanding possible worlds“ (Stalnaker 2011b, S. 105), leitet daraus jedoch keine Position des modalmetaphysischen Deflationismus ab oder arbeitet eine solche gar systematisch heraus. Warum ich den Deflationismus dennoch als die adäquateste Beschreibung von Kripkes modaler Metaphysik ansehe, wird im Verlauf dieses Kapitels deutlich. Das Adjektiv „deflationär“ beziehungsweise die daraus abgeleitete philosophische Position des Deflationismus geht insbesondere auf den semantischen Wahrheitsbegriff von Alfred Ayer zurück, der stark mit den semantischen Wahrheitsbegriffen von Frege, Ramsey und Quine verwandt ist und etwa von Paul Boghossian, Robert Brandom und Hartry Field in der jüngeren Vergangenheit wieder aufgegriffen wurde (vgl. Ayer 1958; Boghossian 1990, S. 161–166; Brandom 1994, S. 325–329; Field 1986, 1994; Stoljar und Damnjanovic 2014). In Language, Truth and Logic schreibt Ayer: [T]here is no problem of truth as it is ordinarily conceived. The traditional conception of truth as a ‚real quality‘ or a ‚real relation‘ is due, like most philosophical mistakes, to a failure to analyze sentences correctly. There are sentences [. . . ] in which the word ‚truth‘ seems to stand for something real [. . . ] [but] our analysis has shown that the word ‚truth‘ does not stand for anything. (Ayer 1958, S. 89)
In „The Criterion of Truth“ schreibt er außerdem: [It] is evident that in a sentence of the form „p is true“ or „it is true that p“ the reference to truth never adds anything to the sense. If I say that is true that Shakespeare wrote Hamlet, or that the proposition „Shakespeare wrote Hamlet“ is true, I am saying no more than that Shakespeare wrote Hamlet. Similarly, if I say that it is false that Shakespeare wrote the Iliad, I am saying no more than that Shakespeare did not write the Iliad. And this shows that the words ‚true‘ and ‚false‘ are not used to stand for anything, but function in the sentence merely as assertion and negation signs. That is to say, truth and falsehood are not genuine concepts. Consequently there can be no logical problem concerning the nature of truth. (Ayer 1935, S. 28–29, Hervorh. im Orig.)
140 | 4 Modalmetaphysischer Deflationismus
Diese Ausführungen Ayers¹ entsprechen der Position, die in der gegenwärtigen Forschung als Deflationismus beziehungsweise deflationäre Wahrheitstheorie bezeichnet werden. Die zentrale Lehre dieser Position lautet demnach: Zu behaupten, dass eine Aussage wahr ist, ist dasselbe wie diese Aussage zu behaupten. Von den spezifischen Problemen einer semantischen Wahrheitstheorie abstrahierend², lässt sich allgemein festhalten, dass es im Deflationismus um die Eliminierung überflüssiger Annahmen bei der philosophischen Interpretation eines formalen Kalküls geht. Trivialerweise könnte man – dem lateinischen Wortsinne entsprechend – auch sagen, dass es das vorrangige Ziel des Deflationismus ist, ein wenig Luft aus einer aufgeblähten philosophischen Debatte herauszulassen. Entsprechend schreiben etwa Stoljar und Damnjanovic in der Stanford Encyclopedia: The deflationary theory is attractive since it suggests that [. . . ] there is less to be puzzled about here than one might expect. (Stoljar und Damnjanovic 2014)
Die im weiteren Verlauf dieses Kapitels als modalmetaphysischer Deflationismus (beziehungsweise Deflationismus in Bezug auf mögliche Welten) bezeichnete Position lässt sich daher entsprechend den hier geleisteten Definitionen wie folgt charakterisieren: 1. Der modalmetaphysische Deflationismus besagt, dass es hinsichtlich der Frage nach dem ontologischen Status von möglichen Welten weniger Anlass zur philosophischen Konfusion gibt als man – insbesondere nach der in Kap. 3.2 bis 3.4 erfolgten Auseinandersetzung mit David Lewis– vielleicht erwarten würde. 2. Gemäß dem modalmetaphysischen Deflationismus ist die Behauptung, dass eine Aussage P in einer möglichen Welt wahr ist (das heißt ⋄P), dasselbe wie zu behaupten, dass P der Fall sein könnte (could have been the case).
1 Ähnliche Ausführungen finden sich bereits in Freges „Der Gedanke“: „Beachtenswert ist es auch, daß der Satz ‚ich rieche Veilchenduft‘ doch wohl denselben Inhalt hat, wie der Satz ‚es ist wahr, daß ich Veilchenduft rieche‘“ (Frege 1993, S. 34). Auch Ramsey argumentiert im Symposion „Facts and Propositions“ gegenüber Moore dafür, dass gilt: „‚Caesar was murdered is true‘ is the same as Caesar was murdered“ (Ramsey und Moore 1927, S. 158). 2 Wenngleich ich mich mit dem Deflationismus eines Begriffs aus dieser Debatte bediene, möchte ich in Bezug auf die wiederum sehr eigene Frage nach einer semantischen Wahrheitstheorie in diesem Buch keine Aussage treffen – und auch nicht behaupten, dass Kripke Vertreter einer deflationären Wahrheitstheorie ist. In seinem Aufsatz „Outline of a Theory of Truth“ (1975) skizziert er seinen eigenen Ansatz einer semantischen Wahrheitstheorie ausführlich. Kripke geht es dabei vor allem darum, die von ihm ausgemachte Wahrheitslücke (truth gap) zwischen formaler Logik und alltagssprachlichen Intuitionen zu verkleinern, was jedoch nicht zwangsläufig einem Deflationismus im hier präsentierten Sinne entspricht, vgl. Burgess 2013, S. 157–174.
4.2 Modalmetaphysischer Deflationismus: Begriffsursprung und -definition |
3.
141
Dies führt dazu, dass im modalmetaphysischen Deflationismus gezielt nach überflüssigen Annahmen innerhalb der philosophisch ‚aufgeblähten‘ Debatte um den ontologischen Status von möglichen Welten gesucht wird und diese nach Möglichkeit eliminiert werden.
Warum Kripkes Ausführungen zu möglichen Welten dieser Charakterisierung entsprechen und was die daraus resultierende Position eines modalmetaphysischen Deflationismus attraktiv macht, wird im Verlauf dieses Kapitels gezeigt. Deutlich für eine Zuordnung Kripkes zu einer solchen deflationären Theorie spricht dabei schon die folgende Passage aus dem Vorwort von Naming and Necessity, in welcher er darauf hinweist, dass die Debatte um mögliche Welten größtenteils auf einem begrifflichen Fehlgriff basiert: In the present monograph I argued against those misuses of the concept that regard possible worlds as something like distant planets, like our own surroundings but somehow existing in a different dimension, or that lead to spurious problems of ‚transworld identification‘. Further, if one wishes to avoid the Weltangst and philosophical confusions that many philosophers have associated with the ‚worlds‘ terminology, I recommended that ‚possible state (or history) of the world‘, or ‚counterfactual situation‘ might be better. One should even remind oneself that the ‚worlds‘ terminology can often be replaced by modal talk – ‚It is possible that . . . ‘ (Kripke 1980, S. 15, Hervorh. im Orig.)
„Mögliche Welt“ ist demnach insofern ein irreführender Begriff, als er mögliche Welten, etwa im Sinne Lewis’scher Paralleluniversen konnotiert, oder ähnliche Assoziationen mit fremden Planeten aus dem Bereich der Science-Fiction- oder Fantasy-Literatur hervorruft. Wenngleich sich diese Begrifflichkeit im Bereich der analytischen Philosophie durchgesetzt hat, handelt es sich laut Kripke auch bei „mögliche Welt“ um einen rigid designator (vgl. Kap. 2.5.2), der zwar auf ein bestimmtes Konzept referiert, aber keine Konnotationen zu Paralleluniversen o. ä. beinhaltet. Um den modalen Realismus gegen den Einwand von Lycan und Shalkowski zu verteidigen, dass „mögliche Welt“ bereits ein primitiv modaler Begriff sei (vgl. Kap. 3.3.1), und die Reduktion von Möglichkeit auf mögliche Welten daher scheitern müsse, schreibt Ross Cameron: The fact that the string of letters ‚possible‘ appears here is no more significant than the fact that the string ‚ham‘ appears in ‚hamburger‘: to conclude from the former that Lewis’s notion of a possible world is modal would be as much a mistake as when people assume that hamburgers are made from ham. (Cameron 2012, S. 2)
Während dem in Bezug auf Lewis voll und ganz zuzustimmen ist, übersieht Cameron, dass man in Bezug auf Kripke dasselbe für die Buchstabenfolge ‚world‘ sagen
142 | 4 Modalmetaphysischer Deflationismus
kann: Zu glauben, dass mögliche Welten Welten seien, wäre einer Kripke’schen Argumentation folgend genauso falsch wie zu glauben, dass es sich bei Leberkäse um Käse handelt. Kurz gesagt: „Mögliche Welt“ ist laut Kripke ein technischer Begriff aus dem Bereich der formalen Logik, der keinerlei Assoziationen zu Paralleluniversen oder Vergleichbarem aus dem Bereich der Science-Fiction-Literatur wecken soll. Stattdessen ist „mögliche Welt“ ein rigid designator, der auf ein bestimmtes philosophisches Konzept verweist, mit dem Möglichkeit und Notwendigkeit besser erfasst werden können und das im Verlauf dieses Kapitels näher untersucht wird. Kripke schlägt daher vor³, statt von einer möglichen Welt lieber von einem möglichen Zustand der Welt, einem möglichen historischen Verlauf oder schlicht einer kontrafaktischen Situation zu sprechen (vgl. Kripke 1980, S. 15 u. 48, Fn. 15, 2011g, S. 316). Gleichzeitig betont Kripke, dass mögliche Welten für ihn dennoch mehr sind als das in Kap. 2 dargelegte formale Behelfswerkzeug (formal device): But I do not wish to leave any exaggerated impression that I repudiate possible worlds altogether, or even that I regard them as a mere formal device. (Kripke 1980, S. 16)
Es bleibt anhand dieses Zitats und den weiteren Ausführungen Kripkes jedoch unklar, was genau es bedeutet, dass er die Ansicht, mögliche Welten seien nur ein formales Behelfswerkzeug, zurückweist. Stalnaker bringt diese Interpretationsschwierigkeit wie folgt auf den Punkt: Kripke walks a thin line between the view that they provide some kind of explication and the view that they are merely a convenient heuristic device. (Stalnaker 2011b, S. 103)
Nach meiner Lesart können mögliche Welten für Kripke durchaus unser Verständnis von Modalität erhellen: Obwohl ich Kripke in erster Linie als Logiker sehe (vgl. Kap. 1.2 und Krebs 2013, 2015), ist die von ihm in Naming and Necessity dargebotene „philosophische Rechtfertigung metaphysischer Notwendigkeit in der formalen Logik“ (Krebs 2015, S. 23) natürlich ein philosophisches Werk, das zentrale Begriffe, die sich aus der formalen Logik ergeben, philosophisch reflektiert. Mögliche Welten als ein rein formales Behelfswerkzeug anzusehen, würde dagegen bedeuten, die in Kap. 2.3.3 vorgestellten Kripke-Modelle in formal-mathematischen Kalkülen für verschiedene Berechnungen anzuwenden (wie es etwa in der mathematischen Logik und Teilbereichen der mathematischen Philosophie, aber auch in der Informatik und in einigen empirischen Sozialwissenschaften Usus ist), oh3 Genauer gesagt greift er einen offensichtlich mündlich geäußerten Vorschlag von Michael Slote auf, vgl. Kripke 1980, S. 48, Fn. 15.
4.3 Deflationäre Metaphysik auf der modalmetaphysischen Landkarte |
143
ne sich der philosophischen Dimension der Debatte um mögliche Welten beziehungsweise der Begriffe Möglichkeit und Notwendigkeit überhaupt bewusst zu werden.⁴ Mögliche Welten sind daher gemäß der hier vertretenen deflationären Metaphysik insofern mehr als ein formales Behelfswerkzeug, als sie nicht nur der bloßen Anwendung von Kripke-Modellen in formal-mathematischen Kontexten dienen, sondern das philosophische Konzept von Modalität grundlegend erhellen. Sie sind aber insofern nicht mehr als ein formales Behelfswerkzeug, als ihnen kein ontologischer Status im Sinne des GMR oder verwandter Theorien zukommt. Oder anders ausgedrückt: Die Philosophie darf bei aller Berechtigung der gegenwärtigen modalmetaphysischen Debatte nicht vergessen, was der eigentliche Zweck der formalen Kripke-Modelle ist und sich dabei in sinnlosen Fragen zum ontologischen Status möglicher Welten verlieren, wie Kripke es im Vorwort von Naming and Necessity verdeutlicht: Certainly the philosopher of ‚possible worlds‘ must take care that his technical apparatus not push him to ask questions whose meaningfulness is not supported by our original intuitions of possibility that gave the apparatus its point. (Kripke 1980, S. 18)
Um dieses hier bereits angedeutete Verständnis einer deflationären Metaphysik weiter zu vertiefen, empfiehlt es sich, sie im Folgenden zunächst anhand einiger Kripke-Belegstellen auf der in Kap. 3.1 gezeichneten modalmetaphysischen Landkarte einzuordnen – um im Anschluss daran eine modale Metaphysik nach Kripkes Vorbild als mehr oder weniger vollständige Position darlegen zu können. Deren philosophischen Vorzüge werden zum Ende dieses Kapitels vorgestellt, wobei dabei selbstverständlich auch vorgebrachte und mögliche Kritikpunkte entkräftet werden.
4.3 Deflationäre Metaphysik auf der modalmetaphysischen Landkarte 4.3.1 Deflationärer Primitivismus: Modalität als Grundbestandteil sprachlicher Beschreibung von Wirklichkeit Bei der hier vorgestellten Position eines modalen Deflationismus handelt es sich gemäß der in Kap. 3.1 gezeichneten modalmetaphysischen Landkarte um einen
4 Dies ist in den meisten eher anwendungsorientierten Disziplinen selbstverständlich auch nicht relevant und erforderlich.
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Primitivismus, der sich dadurch kennzeichnet, dass Möglichkeit und Notwendigkeit grundlegende Bestandteile der Wirklichkeit sind, die sich philosophisch nicht reduzieren lassen. Diese Einordnung stützt sich zunächst vor allem darauf, dass gemäß Kripke die von David Lewis angestrebte Reduktion von Modalität auf mögliche Welten zurückzuweisen ist. Dafür habe ich nicht nur in den Kapiteln 3.3 und 3.4 ausführlich argumentiert, sondern Kripke schreibt in einer Fußnote im Vorwort von Naming and Necessity auch explizit: I do not think of ‚possible worlds‘ as providing a reductive analysis in any philosophically significant sense, that is, as uncovering the ultimate nature, from either an epistemological or a metaphysical point of view, of modal operators, propositions, etc., or as ‚explicating‘ them. (Kripke 1980, S. 19, Fn. 18, Hervorh. im Orig., vgl. auch Stalnaker 2011b, S. 102–103)
Weiterhin ist es eine der zentralen Lehren aus Kripkes Naming and Necessity, dass es sich bei Notwendigkeit und Apriorizität um zwei voneinander strikt zu trennende philosophische Konzepte handelt: It’s certainly a philosophical thesis, and not a matter of obvious definitional equivalence, either that everything a priori is necessary or that everything necessary is a priori. Both concepts may be vague. That may be another problem. But at any rate they are dealing with two different domains, two different areas, the epistemological and the metaphysical. (Kripke 1980, S. 36, Hervorh. im Orig.)
In Bezug auf sein berühmtes Beispiel von der Goldbach’schen Vermutung schreibt Kripke weiter: The main point is that it is not trivial that just because such a statement is necessary it can be known a priori. Some considerable clarification is required before we decide that it can be so known. And so this shows that even if everything necessary is a priori in some sense, it should not be taken as a trivial matter of definition. It is a substantive philosophical thesis which requires some work. (Kripke 2011c, S. 15)
Damit positioniert sich Kripke offensiv gegen die bis dato in der analytischen Philosophie vorherrschende empiristisch-pragmatistische Weltanschauung, deren historische Wurzeln bei Hume und Kant zu finden sind und die in der grundlegenden Metaphysikskepsis von Russell und insbesondere Quine gipfelte (vgl. Hägler 1994, S. 11–13; Rorty 1980).⁵ Wie in Kap. 3.2.4.1 in Bezug auf Lewis’ modalen Realismus ausführlich gezeigt, läuft es dieser empiristisch-pragmatischen 5 Vgl. dazu auch Rudolf Carnaps berühmten Aufsatz „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ (1931), der gewissermaßen als Programmschrift für die analytische Philosophie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dient.
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Tradition zutiefst entgegen, Notwendigkeit als Grundbegriff der Wirklichkeit anzusehen, weswegen es für diese Tradition nur folgerichtig war, nicht nur von einer Ko-Extensivität, sondern teilweise auch von einer Synonymie der Begriffe „notwendig“ und „a priori“ beziehungsweise „kontingent“ und „a posteriori“ auszugehen (vgl. Kripke 1980, S. 34–36) – oder wie letztlich Lewis, Notwendigkeit auf etwas Grundlegenderes reduzieren zu wollen. Rorty schreibt dazu unter anderem: By rediscovering [. . . ] ‚metaphysical necessity‘, as opposed to Kant-Russell descriptionrelative ‚epistemic necessity‘, Kripke has revoked the charter of modern philosophy. (Rorty 1980, S. 5)
Zugespitzt könnte man mit Rorty und Hägler daher auch sagen: Kripke ordnet Notwendigkeit nicht nur dem Erklärungsbereich der Metaphysik zu (während er Apriorizität als eine Frage der Erkenntnistheorie ansieht), sondern er überwindet dadurch auch die bis dato in der analytischen Philosophie tief verwurzelte Metaphysikskepsis. Mit anderen Worten: Ohne Kripkes Ausführungen zur Notwendigkeit in Naming and Necessity gäbe es überhaupt keine Metaphysik als Disziplin in der analytischen Philosophie, die ein Phänomen wie Notwendigkeit hätte erklären können (vgl. Krebs 2013). Dies alleine spricht dafür, Kripkes modalen Deflationismus als einen Primitivismus einzuordnen – zumal ihm, wie bereits gezeigt, jedwede reduktionistischen Ansprüche fern liegen. Dennoch muss man besser sagen, dass Kripkes Position dem Primitivismus im Sinne der in Kapitel 3.1 gezeichneten Landkarte nicht eindeutig entspricht – obwohl, wie die vorausgegangenen Absätze gezeigt haben, vieles darauf hindeutet, dass seine Position einem Primitivismus deutlich näher steht als einem Reduktionismus. Inwieweit Möglichkeit und Notwendigkeit tatsächlich grundlegende Bestandteile der Wirklichkeit sind, ist mit Kripke jedoch als eine offene Frage zurückzuweisen.⁶ Stattdessen sind Möglichkeit und Notwendigkeit ein grundlegender Bestandteil jeder sprachlichen Beschreibung der Wirklichkeit. Daher würde es alltagssprachlichen Intuitionen zutiefst widersprechen, davon auszugehen, dass es Möglichkeit und Notwendigkeit nicht auch darüber hinaus gibt. Dieselbe Denkfigur findet sich in Kripkes Argumentation in Bezug auf das Körper-Geist-Problem. Aufgrund seiner Widerlegung der physikalistischen Identitätsthese (vgl. Kap. 3.4.1) wird Kripke häufig als Vertreter eines kartesianischen Dualismus angesehen. Diese Zuordnung ist allerdings grundlegend falsch, wie beispielsweise Burgess deutlich macht:
6 Kripke nimmt zu dieser Frage nicht explizit Stellung, sodass im Folgenden nur im Sinne der hier präsentierten Lesart gemutmaßt werden kann.
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Kripke makes it clear that one could reject the identity statement without endorsing any sort of Cartesian dualism. (Burgess 2013, S. 329; vgl. Kripke 1980, S. 155, Fn. 77; Shoemaker 2011)
Kripke schreibt in einer Fußnote in Naming and Necessity nach seiner Kritik am Physikalismus lediglich: „I regard the mind-body problem as wide open and extremely confusing“ (Kripke 1980, S. 155, Fn. 77)⁷, wobei es generell zu Kripkes eigener philosophischer Methodik gehört, seine Argumentation über die Kritik an Gegenpositionen zu entwickeln, sodass er sich häufig davor scheut, sich selbst einer klaren Position zuzuordnen (vgl. Kap. 1.2). Einerseits ist die Frage nach dem ontologischen Status von Möglichkeit und Notwendigkeit aus den genannten Gründen für Kripke ebenso wide open and extremely confusing, sodass er Modalität kaum als Grundbestandteil der Wirklichkeit betrachten kann. Andererseits ist es für Kripke selbstverständlich (das heißt intuitiv einsichtig, vgl. Kap. 1.2), dass die Rede von Möglichkeit und Notwendigkeit Grundbestandteil der Wirklichkeit ist – wobei es in der sprachlichen Realität bereits angelegt ist, davon auszugehen, dass Möglichkeit und Notwendigkeit tatsächlich existieren. Auf ein solches Verständnis Kripkes weisen seine Ausführungen zu den Beispielen der Aposteriorizität und dem Essentialismus im Allgemeinen hin (vgl. Kap. 2.4.3), die eng mit der ebenfalls sehr intuitiven Herangehensweise Barry Strouds in Bezug auf Fragen nach der metaphysischen Natur von Kausalität, Notwendigkeit und Werten verwandt sind. In seinem Buch Engagement and Metaphysical Dissatisfaction legt Stroud diese wie folgt dar: Accepting that some things hold with [. . . ] what looks like ‚absolute‘ necessity appears to be pervasive in our thinking and indispensable to any determinate, structured inquiry. Without denying that we do or even must think in these ways, it is possible to find this necessity puzzling or mysterious in relation to a reality that is thought to be independent of its being thought of in this or that way. It is easy to feel that we cannot simply take this apparently absolute necessity for granted as part of the way things are. We would like to „explain“ or „ground“ it in something or other, or „get behind“ it in some way that accounts for its metaphysical status and makes it intelligible to ourselves as part of the world. But could there be any such necessity in the world as it is completely independently of us and all our ways of thinking of it? [. . . ] A satisfyingly positive answer to this metaphysical question can seem unreachable. (Stroud 2011, S. 60–61)
Die Pointe von Strouds Ansatz besteht darin, dass bestimmte Phänomene (neben Notwendigkeit unter anderem Farben, Kausalität und Werte) Teil der menschli-
7 Ähnliche Äußerungen finden sich auch zum Ende seines Aufsatzes „Identity and Necessity“, vgl. Kripke 2011c, S. 25–26.
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chen Denkwirklichkeit sind, das heißt wir in unserer sprachlichen Verfasstheit⁸ gar nicht anders können als davon auszugehen, dass diese Phänomene existieren (vgl. Stroud 2000, 2011). Dies bezeichnet Stroud als Engagement.⁹ Diesem Engagement gegenüber steht die Metaphysical Dissatisfaction, die dadurch entsteht, dass Philosophen nach den letzten metaphysischen Gründen und Erklärungen für die Phänomene fragen, die zur Verfasstheit ihrer sprachlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit gehören, diese Suche nach der Wirklichkeit (Quest for Reality) aber aus prinzipiellen Gründen zum Scheitern verurteilt ist. Aus den bereits genannten Gründen, insbesondere aufgrund von Kripkes eigenwilliger Methodik (vgl. Kap. 1.2) und den Parallelen zu Kripkes Ausführungen zur Körper-Geist-Problematik, kann daher geschlossen werden, dass das Engagement, einhergehend mit einer grundlegenden Metaphysical Dissatisfaction, bei Stroud dieselbe funktionale Rolle einnimmt wie Kripkes modaler Primitivismus im Sinne der hier vorliegenden deflationären Lesart: Modalität ist demnach ein grundlegender Begriff unserer sprachlichen Bezugnahme auf die Wirklichkeit. Die Frage, ob dies gleichzeitig bedeutet, dass Modalität tatsächlich ein grundlegender Bestandteil der Wirklichkeit ist, kann nur in einer prinzipiellen metaphysischen Unzufriedenheit im Sinne Strouds enden. Wenn der in diesem Buch vertretene modalmetaphysische Deflationismus daher als Primitivismus zählt, dann handelt es sich um einen sprachlichen Primitivismus, der sich den metaphysischen Grenzen seiner Erklärungskraft stets bewusst ist. Im Sinne der in Kapitel 4.2 aufgestellten Definition des Deflationismus könnte man Kripkes modalen Primitivismus daher auch als deflationären Primitivismus charakterisieren.
4.3.2 Eliminativer Anti-Realismus Die Zuordnung der hier vertretenen deflationären Modalmetaphysik zum eliminativen Anti-Realismus gemäß der in Kapitel 3.1.2 vorgebrachten Definition von Josh
8 Und damit, wie ein von Stroud präferiertes Wittgenstein’sches Sprachverständnis nahelegt, auch unserer gesellschaftlichen Verfasstheit. 9 Da sich eine dem Stroud’schen Gedanken gerecht werdende deutsche Übersetzung von Engagement in diesem Kontext nicht so leicht finden lässt, verwende ich hier nur den englischen Begriff. Engagement könnte zudem auch mit den Begrifflichkeiten der Strouds Ansatz nahestehenden, wenngleich nicht von ihm rezipierte Transzendentalpragmatik von Karl-Otto-Apel (vgl. etwa Apel 1973) umschreiben werden, sodass man sich darunter so etwas wie Apels Apriori der Kommunikationsgemeinschaft oder auch die Bedingung der Möglichkeit von menschlicher Interaktion vorstellen kann.
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Parsons ergibt sich aus Kripkes zentraler These, dass mögliche Welten keinen ontologischen Status haben oder – anders gesagt – dass diese nicht existieren. Obwohl Kripkes Zurückweisung eines ontologischen Status von möglichen Welten sich aus seiner Ablehnung des Fremde-Planeten-Bildes von Kaplan (vgl. Kap. 3.5.3) ergibt, schreibt Hägler über Kripkes formale Modellstrukturen: Von ihrem Ansatz her ist die Kripke-Semantik somit auf ein realistisches Verständnis möglicher Welten angelegt; sie existieren nicht allein im Vermögen ihrer Bewohner, sich Weltzustände auszumalen, die von den bestehenden verschieden sind. Eine mögliche Welt unterscheidet sich von der bestehenden nicht darin, daß jene im Gegensatz zu dieser nicht existiert, sondern darin, daß nur diese ‚aktual‘ oder ‚wirklich‘ ist. (Hägler 1994, S. 89)
Einer solchen Interpretation hält Kripke allerdings, wie bereits in Kap. 4.2 gezeigt, entgegen, dass die modale Redeweise von möglichen Welten durch die Rede von möglichen Zuständen oder geschichtlichen Verläufen der wirklichen Welt ersetzt werden könnte und – wenn man präzise sein möchte – vielleicht sogar sollte. Im Gegensatz dazu geht es in Lewis’ modalem Realismus gerade darum, dass mögliche Welten sich nur insofern von der wirklichen Welt unterscheiden, als diese aus unserer Sicht ‚aktual‘ oder ‚wirklich‘ ist und die möglichen Welten aus Sicht ihrer jeweiligen Bewohner ‚aktual‘ oder ‚wirklich‘ sind. Dieses entspricht dem realistischen Verständnis möglicher Welten, das Hägler Kripke fälschlicherweise unterstellt (vgl. dazu auch Kripkes Umgang mit transworld identity, Kap. 4.3.4). Kripke geht allerdings unter keinen Umständen (und in keiner denkbaren Lesart) davon aus, dass mögliche Welten existieren – und auch seine formalen Modellstrukturen sind nicht so angelegt, dass daraus geschlossen werden könnte, mögliche Welten seien real. In diesem Sinne handelt es sich bei Kripkes deflationärer Metaphysik also sicher nicht um einen modalen Realismus, wenn man sich die in Kapitel 3.1.2 aufgestellte Definition von Parsons in Erinnerung ruft und das X durch mögliche Welten ersetzt: Realism [...] is an ontological doctrine. It is conjunctive, having two conjuncts. Here is my definition: realism about X is the doctrine that Xs exist, and that Xs are not constitutively dependent on the paradigmatic non-Xs. (J. Parsons 2005, S. 161, Hervorh. im Orig.)
Dies ist jedoch streng von der Frage zu trennen, ob Möglichkeiten existieren – also der Frage nach der Zuordnung einer Position zum Primitivismus beziehungsweise Reduktionismus in Bezug auf Modalität. Dann wäre die deflationäre Metaphysik Kripkes tatsächlich von ihrem Ansatz her auf ein realistisches Verständnis hin ausgelegt, jedoch nicht von möglichen Welten, sondern von Möglichkeiten, die, wie im vorangegangen Abschnitt gezeigt wurde, bei Kripke zumindest als Grundbestandteil jeder sprachlichen Beschreibung von Wirklichkeit verstanden werden
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dürfen. Wenn man für das X in Parsons Definition also Möglichkeiten statt möglicher Welten einsetzt, ist zumindest das zweite Konjunkt bei Kripke erfüllt, während das erste Konjunkt – wie ebenfalls im vorangegangen Abschnitt dargelegt – erfüllt sein könnte. Da gemäß der Definition des modalen Realismus, wie insbesondere in der im dritten Kapitel dieses Buches geleisteten Auseinandersetzung mit David Lewis deutlich geworden ist, mögliche Welten (und nicht Möglichkeiten) für X eingesetzt werden, ist Kripkes deflationäre Metaphysik eindeutig eine Form des eliminativen Anti-Realismus. Kripke schreibt an einschlägiger Stelle: ‚Possible worlds‘ are stipulated, not discovered by powerful telescopes. (Kripke 1980, S. 44, Hervorh. im Orig.)
Etwas, das allerdings ‚nur‘ von Menschen gesetzt (stipulated) ist und damit menschlicher Vorstellung entspringt, existiert jedoch auch nicht außerhalb der menschlichen Vorstellung. Insofern handelt es sich bei Kripkes deflationärer Metaphysik möglicher Welten um eine besondere Spielart des eliminativen AntiRealismus: Die Frage, ob mögliche Welten einen ontologischen Status haben, ist laut Kripke nämlich insofern fehlgeleitet, als sie auf einem Missverständnis dessen basiert, was mögliche Welten ursprünglich sind und wie diese als formaler Behelf unsere Redeweise von Möglichkeit erhellen können. Sie führt geradewegs in eine ‚aufgeblähte‘ modale Metaphysik, gegen die sich der hier vorgestellte modalmetaphysische Deflationismus insbesondere wendet. Wenn man die formale Kripke-Semantik mit Kripkes Ausführungen zur Referenz von Eigennamen und Gattungsbegriffen zusammen als kohärentes System denkt (vgl. Kap. 4.5.1), ergibt die Frage nach einem ontologischen Status möglicher Welten keinen Sinn. Diese Einschätzung geht einher mit Kripkes Ansichten zu fiktiven Entitäten, beispielsweise Sherlock Holmes oder Einhörnern, die gewissermaßen ebenfalls menschlicher Vorstellung entspringen und denen Kripke (wie die meisten Autoren abgesehen von Meinong und mit Einschränkungen auch David Lewis, vgl. Kap. 3.2.3 und 3.5.2) ebenfalls keinen ontologischen Status zuschreibt, wie im nächsten Abschnitt verdeutlicht wird. Dieser widmet sich der Frage, inwieweit Kripkes deflationäre modale Metaphysik dem Aktualismus zuzurechnen ist.
4.3.3 Deflationärer Aktualismus und Als-Ob-Possibilismus Wie in den Kapiteln 3.1.3 und 3.5.4 deutlich wurde, beantwortet der Aktualismus die Frage nach dem ontologischen Inventar wie folgt: [T]he only things that exist are the entities that make up the actual world. (Loux 2008, S. 173)
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Gemäß dem Aktualismus existieren also nur diejenigen Dinge, die wirklich existieren, das heißt die sich in der aktualen Welt vorfinden. Sherlock Holmes, Einhörner und andere fiktive Entitäten finden sich laut dem Aktualismus im ontologischen Inventar der aktualen Welt nicht wieder, da es sie in unserer Wirklichkeit nicht gibt. Die Gegenposition des Possibilismus dagegen geht durchaus davon aus, dass fiktive Entitäten einen ontologischen Status jenseits der Wirklichkeit haben können – sei es, dass sie in einer möglichen Welt existieren (wie bei David Lewis, vgl. Kap. 3.2) oder in einer zur wirklichen Welt gehörenden Schattenwelt (wie bei Alexius Meinong, vgl. Kap. 3.5.2). Die bisherigen Ausführungen zu Kripkes deflationärer Metaphysik möglicher Welten deuten dabei stark darauf hin, dass auch Kripke einen Aktualismus vertritt. Auch in seinem Buch Reference and Existence scheint er sich relativ eindeutig zu einem Aktualismus zu bekennen, wenngleich er seine Ansichten zum ontologischen Inventar der Wirklichkeit an keiner Stelle als aktualistisch bezeichnet.¹⁰ I agree with Russell that it couldn’t have been the case that „something“ didn’t exist. Things are not of two kinds, existers and nonexisters. (Kripke 2013, S. 37)
Daher teile ich die in der Forschung verbreitete Meinung (vgl. Jacquette 2015, S. 301–328), Kripkes Position eindeutig als aktualistisch zu verstehen. Dies zeigt sich insbesondere in Reference and Existence in seiner Auseinandersetzung mit dem possibilistischen Ansatz von Meinong, für den Kripke paradoxerweise eine grundsätzliche Sympathie empfindet (vgl. Kap. 3.5.2). Gerade aufgrund dieser Sympathie für den Meinongianismus entwickelt Kripke eine aktualistische „Ontologie der Alltagssprache“ (Krebs 2015, S. 27) für fiktive Gegenstände, die sich insbesondere in dem von ihm entwickelten Als-Ob-Prinzip (pretense principle)¹¹ ausdrückt: The types of names which occur in fictional discourse are, so to speak, „pretended names,“ part of the pretense of the fiction. The propositions in which they occur are pretended propositions rather than real propositions; or rather, as we might put it, the sentences pretend to express a proposition rather than really doing so. (Kripke 2013, S. 29)
Kern dieses Als-Ob-Prinzips ist es, dass Namen und Gattungsbegriffe für fiktive Entitäten nur so tun, als ob sie auf etwas verweisen; oder präziser gesagt: dass
10 Der Begriff „Aktualismus“ kommt in seinen drei einschlägigsten Veröffentlichungen Naming and Necessity, Philosophical Troubles und Reference and Existence nicht einmal vor. 11 Die inzwischen im deutschsprachigen Raum verbreitete Übersetzung als „Als-Ob-Prinzip“ geht auf die jüngsten Kripke-Übersetzungen von Uwe Voigt zurück.
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Sprecher in der linguistischen Realität so tun, als ob die entsprechenden fiktiven Entitäten existieren (wissend, dass sie es in Wirklichkeit nicht tun): [M]y view is that ordinary language quantifies over a realm of fictional or mythological entities. They don’t exist, so to speak, automatically: that is, they are not Meinongian in the sense that whatever is an object of thought exists in some second-class sense. On the contrary, it is an empirical question whether there was such and such a fictional character. Was there a fictional or legendary character who married his grandmother? [. . . ] If there was, this will be true in virtue of appropriate works of fiction or legend having been written, or at least told orally, or something of the kind. If there is such a fictional work, then there is such a fictional character. (Kripke 2013, S. 71)
Gemäß Kripkes Auffassung existieren fiktive Entitäten also genau deshalb, weil fiktive Geschichten ihre Existenz behaupten und Menschen sich in fiktiven Geschichten auf sie beziehen können (vgl. Krebs 2015, S. 28). Dies veranschaulicht er mit einem Beispiel aus dem Literaturunterricht: Ein Schüler, der in einem Lektüretest behaupten würde, es sei falsch, dass Hamlet Selbstgespräche führte, würde zu Recht eine schlechte Note für diese Antwort erhalten (vgl. Kripke 2013, S. 57), wenngleich Hamlet überhaupt nicht existiert und daher – zumindest nach Russells Auffassung fiktiver Entitäten (vgl. B. Russell 1905, S. 490) – jeder Satz, der den Namen einer fiktiven Entität enthält, falsch ist.¹² Kripke sieht sich mit seiner Auffassung, dass es durchaus wahre Sätze über fiktive Entitäten geben kann, deutlich näher an der Alltagssprache. Im Unterschied zu Russell schließt er nämlich durchaus die Möglichkeit sinnvoller Aussagen über fiktive Entitäten in seiner Ansicht ein, wenngleich diese dennoch keinen ontologischen Status jenseits der Fiktion besitzen. Fiktive Entitäten sind laut Kripke zwar innerhalb der Fiktion wirklich, jedoch nicht außerhalb dieser – wodurch sich Kripkes Auffassung wiederum von der Auffassung von Meinong unterscheidet, der fiktiven Entitäten zwar kein Sein, aber immerhin ein Sosein (beziehungsweise ein Sein in einer Schattenwelt, vgl. Kap. 3.5.2) zuspricht. Obwohl Kripkes vorhandene Sympathie für Meinong und das dieser Sympathie entspringende Als-Ob-Prinzip ihn auf den ersten Blick in die Nähe eines Possibilismus zu rücken scheinen, ist Kripke eindeutig Aktualist: Kern seiner Aussa-
12 Russell unterschied dabei zwischen primärem und sekundärem Gebrauch (occurence) von Kennzeichnungen (wozu er auch Eigennamen zählt, vgl. Kap. 2.5.1) beziehungsweise sprachlichen Ausdrücken allgemein. Laut Russell wären Sätze mit leeren Verweisen im primären Gebrauch immer falsch; im sekundärem Gebrauch könnten sie dagegen unter Umständen wahr sein (vgl. B. Russell 1905, S. 490). Diese für Russell zentrale Unterscheidung unterschlägt Kripke in seiner Darstellung Russells leider vollkommen. Es handelt sich dabei – wie beispielsweise auch schon Kripkes Rekonstruktion der Clustertheorie (vgl. Kap. 2.5.1) – um eine historisch nicht vollkommen einwandfreie Strohmannposition (vgl. Kap. 1.2).
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gen über fiktionale Entitäten ist es, dass wir nur so tun, als ob Possibilia existieren. Kripke ist daher zwar Als-Ob-Possibilist im Sinne seiner soeben dargelegten Ontologie der Alltagssprache, aber ein Als-Ob-Possibilismus ist eben gerade kein Possibilismus im metaphysischen Sinn. Im Gegenteil führt ihn diese Position formal dazu, die auf Frege und Russell zurückgehende klassische formale Logik um ein Existenzprädikat E x zu ergänzen, welches sowohl Frege als auch Russell in Bezug auf Kants berühmte Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises vermeiden wollten (vgl. Kripke 2013, S. 35–36, Fn. 6). Entsprechend wären für Kripke formale Konstruktionen wie die folgenden denkbar: (30)
Es gibt kein x, dass die Eigenschaften von Sherlock Holmes hat¹³ und existiert: ¬∃x(Sx ∧ Ex)
(31)
Es gibt ein x, dass die Eigenschaften von Sherlock Holmes hat und nicht existiert: ∃x(Sx ∧ ¬Ex)
Alternativ erlaubt dieses Verständnis auch einen Fiktionalitätsoperator (auf Englisch häufig auch story operator) beziehungsweise ein Fiktionalitätsprädikat in die formale Logik zu integrieren: (32)
Es gibt ein x, dass die Eigenschaften von Sherlock Holmes hat und fiktiv ist: ∃x(Sx ∧ Fx)
Trotz dieser eindeutigen Zuordnung zum Aktualismus bleibt Kripke seiner grundlegenden Theorieskepsis (vgl. Kap. 1.2) auch im Hinblick auf die Frage nach dem ontologischen Status von fiktiven Entitäten treu, wenn er zum Ende von Reference and Existence diesbezüglich das Ende von Russells „On Denoting“ zitiert: [W]hatever the true theory here may be, it will not have the simplicity that one expected beforehand. (Kripke 2013, S. 160)¹⁴
In Bezug auf die mit der Existenz von Fiktion zusammenhängende Frage nach der Referenz von Eigennamen schreibt Kripke außerdem:
13 Das heißt: Detektiv ist, in der Baker Street 221b in London lebt, Sherlock Holmes heißt, etc. 14 Im Original bei Russell heißt es dagegen: „[. . . ] it cannot have such a simplicity [. . . ]“ (B. Russell 1905, S. 493). Jedoch sollten an dieser Stelle keine kleinteiligen Spekulationen darüber angestellt werden, ob Kripke das Zitat in seinen Vorträgen einfach falsch wiedergegeben hat oder er sich bewusst vom Originalwortlaut abgrenzen wollte.
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The existence of fiction is a powerful argument for absolutely nothing: it cannot settle the question as between the Russellian theory and the Millian [= auch Kripkes eigener, vgl. Kap. 2.5.2, S. Krebs] theory, nor can it settle the question between Mill’s theory and any other theory. (Kripke 2013, S. 23)
Dies lässt sich so deuten, dass Kripke auch im Hinblick auf Fiktion eine deflationäre Metaphysik vertritt: Wenngleich sich – wie oben gezeigt – im Alltag durchaus sinnvolle Sätze mit Namen fiktiver Entitäten bilden lassen, lehnt Kripke die daraus resultierende ‚aufgeblähte‘ metaphysische Debatte um deren ontologischen Status insofern ab, als er mit Hilfe intuitiver Beispiele aufzeigt, dass unsere gesamte Rede von Fiktion dem Als-Ob-Prinzip unterliegt, dem zufolge wir zwar so tun (können), als ob Sherlock Holmes, Hamlet, der Weihnachtsmann und Einhörner existieren, dies aber nicht mit der Frage nach ihrer wirklichen Existenz verwechseln dürfen. Im Sinne der Terminologie dieses Buches darf Kripkes Aktualismus daher durchaus als deflationärer Aktualismus verstanden werden.
4.3.4 Kripkes Zurückweisung von transworld identity Wie in Kapitel 3.1.4 gezeigt, handelt es sich bei dem Problem der transworld identity um die Frage, wie ein Gegenstand über mehrere Welten hinweg identifiziert werden kann oder anders gesagt: um die Frage, wie sicher gestellt werden kann, dass es sich bei einem Gegenstand beziehungsweise einer Person in einer möglichen Situation tatsächlich um denselben Gegenstand beziehungsweise dieselbe Person der wirklichen Welt handelt. David Lewis findet die Antwort auf dieses Problem in den Ähnlichkeitsbeziehungen seiner Counterpart-Theorie, welche ich insbesondere in Kapitel 3.4.3 ausführlich kritisiert habe. David Kaplan schlägt mit seinem Jules-Verne-o-skop (vgl. Kap. 3.5.3) eine – ebenfalls kritisch zu sehende – Heuristik vor, um Individuen über mögliche Welten hinweg zu identifizieren. Anhand eines Beispiels über Richard Nixon schreibt Kripke in Abgrenzung mit genau diesen beiden Positionen über transworld identity: What seems to be more objectionable is that this depends on the wrong way of looking at what a possible world is. One thinks, in this picture, of a possible world as if it were like a foreign country. One looks upon it as an observer. Maybe Nixon has moved to the other country and maybe he hasn’t, but one is given only qualities. One can observe all his qualities, but, of course, one doesn’t observe that someone is Nixon. One observes that something has red hair (or green or yellow) but not whether something is Nixon. (Kripke 1980, S. 43)
Personale Identität – über Zeit oder über mögliche Welten hinweg – kann laut Kripke nämlich gerade nicht durch die Beobachtung von äußeren Qualitäten fest-
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gestellt werden, wie es Kaplan und Lewis suggerieren. Es kann also bei transworld identity gar nicht darum gehen, zu fragen, wie ein Individuum in einer anderen Welt als identisch mit einem Individuum der wirklichen Welt erkannt beziehungsweise ausfindig gemacht werden kann. Stattdessen beruht die Forderung nach transworld identity auf einer philosophischen Verwirrung, einhergehend mit einem falschen ontologischen Verständnis von möglichen Welten, wie Kripke es am Beispiel seines Vortragstisches verdeutlicht: Don’t ask: how can I identify this table in another possible world, except by its properties? I have the table in my hands, I can point to it, and when I ask whether it might have been in another room, I am talking, by definition, about it. I don’t have to identify it after seeing it through a telescope. If I am talking about it, I am talking about it, in the same way as when I say that our hands might have been painted green, I have stipulated that I am talking about greenness. Some properties of an object may be essential to it, in that it could not have failed to have them. But these properties are not used to identify the object in another possible world, for such an identification is not needed. (Kripke 1980, S. 52–53, Hervorh. im Orig.)
Laut Kripke muss ein Gegenstand beziehungsweise eine Person in einer möglichen Welt gar nicht erst identifiziert werden, um eine sinnvolle Modalaussage treffen zu können. Kripkes eben zitierte Ausführungen zum Nixon- und zum TischBeispiel lassen sich demnach wie folgt auf den schon in Kapitel 3.1.4 eingeführten Beispielsatz übertragen: (33)
Es ist möglich, dass Angela Merkel deutsche Fußballbundestrainerin ist.
Wenn ich in diesem Satz über Angela Merkel spreche, dann spreche ich über sie. Wenn ich mir ein Szenario vorstelle, in dem Angela Merkel die deutsche Fußballnationalmannschaft trainiert, muss ich mir daher nicht die Frage stellen, welche Person in diesem Szenario nun Angela Merkel ist. Stattdessen stelle ich mir nämlich ein Szenario vor, in dem Angela Merkel – die Angela Merkel aus unserer Wirklichkeit – die deutsche Fußballnationalmannschaft trainiert. Wie in Kap. 4.3.2 deutlich geworden ist, sieht Kripke mögliche Welten als von der aktualen Welt ausgehende Setzungen an. Da nun die mögliche Welt, in der Angela Merkel deutsche Fußballbundestrainerin ist, eine solche Setzung ist, ist auch Angela Merkel Teil dieser Setzung. Dies bedeutet, dass ausgehend von der wirklichen Welt ein mögliches Szenario mit Angela Merkel als ‚Hauptperson‘ ausgesagt wird. Die epistemologische Frage nach einer transworld identity zwischen wirklicher und möglicher Angela Merkel basiert dabei auf einer Verwirrung, die durch den missverständlichen Terminus der möglichen Welt ausgelöst wird, und ist damit als philosophisches Problem zurückzuweisen: Possible worlds are not something to which an epistemological question like this [= die Frage nach transworld identity, S. Krebs] applies. And if the phrase ‚possible worlds‘ is what makes
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anyone think some such question applies, he should just drop this phrase and use some other expression, say ‚counterfactual situation,‘ which might be less misleading. (Kripke 2011c, S. 12, Hervorh. im Orig.)
Dadurch wird Kripke– anders als etwa Lewis und Kaplan– nicht nur dem in Kapitel 3.4.4 dieses Buches aufgestellten Anspruch nach einem überzeugenden Umgang mit dem Problem der transworld identity gerecht, sondern gleichzeitig dem damit verwandten Anspruch nach einer Besonderheit des Wirklichen, wie ich in Kapitel 4.5.4 zeigen werde. Die wichtigste Grundlage dafür, transworld identity als philosophisches Problem zurückzuweisen, ist dabei sein Verständnis von Eigennamen als rigid designators (vgl. Kap. 2.5.2), das heißt starre Bezeichner, die in jeder möglichen Welt auf denselben Gegenstand beziehungsweise dieselbe Person verweisen. Anders die auf Frege und Russell zurückgehende Kennzeichnungstheorie (vgl. Kap. 2.5.1) geht Kripkes Ansatz nämlich davon aus, dass die Referenz von Eigennamen nicht durch bestimmte Eigenschaften (beziehungsweise Cluster von Eigenschaften) ihres Trägers ermittelt wird, im Falle Angela Merkels etwa „Deutsche Bundeskanzlerin“ oder „CDU-Vorsitzende“. Stattdessen bleibt die Referenz eines Eigennamens – als rigid designator verstanden – stets unverändert und wird über eine kausale Kette von Sprecher zu Sprecher tradiert (vgl. Kap. 2.5.2). Selbst wenn bestimmte Eigenschaften wegfallen (oder sich als falsche Eigenschaftszuschreibung herausstellen), verweist der Eigenname noch immer auf dieselbe Person. Wenn Angela Merkel also beispielsweise den CDU-Vorsitz verlieren oder als Bundeskanzlerin abgewählt werden sollte, ist sie noch immer Angela Merkel – und sie wäre auch dann noch Angela Merkel, wenn sich irgendwann herausstellt, dass sich die gesamte bundesdeutsche Öffentlichkeit in einer riesigen¹⁵ Täuschungsblase befunden hat und Angela Merkel niemals CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin war, sondern eine Frau namens Schmangela Schmerkel, die die wirkliche Angela Merkel vor einigen Jahrzehnten ermordet hat und seither lediglich vorgibt, Angela Merkel zu sein.¹⁶ Wenn man dieses Verständnis von rigid
15 Und damit natürlich sehr abwegigen, aber nichtsdestotrotz nicht unmöglichen 16 Kripke unterscheidet in einem solchen Fall zwischen der Sprecherreferenz und der semantischen Referenz eines sprachlichen Ausdrucks (vgl. Kripke 2011f, 2013, S. 103–132): Die Sprecherreferenz verweist dabei auf den Gegenstand, auf den die Sprecher glauben, sich mit einem Eigennamen zu beziehen. Die semantische Referenz dagegen verweist auf den Gegenstand, auf den sich der Eigenname tatsächlich bezieht. In vielen Fällen stimmen Sprecherreferenz und semantische Referenz überein. In obigem Täuschungsszenario würden die Sprecher – solange sie die Täuschung nicht entlarvt haben – sich mit dem Namen „Angela Merkel“ jedoch auf Schmangela Schmerkel beziehen, semantisch gesehen würde der Name „Angela Merkel“ aber dennoch stets auf die tatsächliche Angela Merkel verweisen.
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designation nun wie oben ausgeführt auf modale Kontexte überträgt, stellt sich die Frage nach transworld identity für eine deflationäre Metaphysik möglicher Welten nicht mehr. Dies entspricht auch der Ansicht von Uwe Meixner zu transworld identity, der Kripkes Humphrey-Einwand gegenüber Lewis stark gemacht hat (vgl. Kap. 3.4.3) und in Bezug auf sein eigenes Beispiel (nämlich die Frage, ob es möglich ist, dass U.M. Geographie studiert haben könnte) schreibt: Die Frage [. . . ] hat nämlich gemäß dem hier vertretenen Ansatz eine ganz offensichtliche, völlig zufriedenstellende Antwort: Die fragliche Person ist dieselbe genau so, wie die Person U.M., die in den folgenden beiden Sachverhalten vorkommt, ein und dieselbe ist: (i) dass U.M. niemals Geographie studiert; (ii) dass U.M. einmal Geographie studiert. (Meixner 2008, S. 118, Hervorh. im Orig.)
Darüber hinaus lässt sich diese deflationäre Antwort auf transworld identity auch auf Möglichkeitsaussagen über natürliche Arten oder Stoffe übertragen, wie das folgende Beispiel¹⁷ zeigt: (34)
Es ist möglich, dass Gold türkis ist.
Wie Eigennamen sind laut Kripke nämlich auch Stoffbezeichnungen, Arten- und Gattungsbegriffe wie etwa „Tiger“ oder „Gold“ rigid designators (vgl. Kap. 2.5.2). Bei einer Äußerung wie (34) stellt man sich daher entsprechend dem hier vertretenen Verständnis möglicher Welten lediglich vor, dass das in unserer Welt verbreitete Gold eine andere Farb-Eigenschaft hat, nämlich türkis und nicht gelb zu sein, und behauptet, dass es möglich ist, dass diese Vorstellung wahr sei, beziehungsweise die Welt auch so hätte verlaufen können oder in Zukunft so verlaufen kann, dass Gold türkis ist. Die Frage, was denn die Identität von Gold in der wirklichen Welt mit Gold in der möglichen Welt garantiert, stellt sich dann nicht mehr, da sie auf dem in einer Kennzeichnungstheorie angelegten epistemologischen Missverständnis beruht, Gegenstände über ihre Eigenschaften identifizieren zu wollen. Das scheinbare philosophische Problem der transworld identity ist damit aus der Perspektive eines modalmetaphysischen Deflationismus als Scheinproblem entlarvt und daher zurückzuweisen.
17 Das Beispiel und meine anschließenden Erläuterungen sind angelehnt an Kripkes Ausführungen zu theoretical identifications in Naming and Necessity, vgl. unter anderem Kripke 1980, S. 128–141.
4.4 Zusammenfassung des modalmetaphysischen Deflationismus |
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4.4 Zusammenfassung des modalmetaphysischen Deflationismus Die soeben vorgenommene ausführliche Einordnung des modalmetaphysischen Deflationismus auf der in Kapitel 3.1 gezeichneten Landkarte kann wie folgt zusammen gefasst werden: 1. Der modalmetaphysische Deflationismus ist ein Primitivismus, der Möglichkeit und Notwendigkeit als Grundbestandteil jeder sprachlichen Beschreibung von Wirklichkeit ansieht – gleichzeitig die Frage aber aus prinzipiellen Gründen für unbeantwortbar hält, inwieweit Möglichkeit und Notwendigkeit tatsächlich Grundbestandteil der Wirklichkeit sind. 2. Der modalmetaphysische Deflationismus ist ein eliminativer Anti-Realismus in Bezug auf mögliche Welten, demgemäß mögliche Welten keinerlei ontologischen Status besitzen und bereits die Frage nach einem ontologischen Status möglicher Welten auf einer Begriffsverwirrung hinsichtlich des Weltenbegriffs beruht. 3. Der modalmetaphysische Deflationismus ist ein Aktualismus, der davon ausgeht, dass alles, was existiert, wirklich existiert, das heißt sich in der aktualen Welt vorfindet. Damit existieren laut ihm keine Possibilia. Dennoch geht der modalmetaphysische Deflationismus von einem Als-Ob-Possibilismus aus, dem zufolge Aussagen über fiktive Entitäten insofern durchaus sinnvoll sind, als wir gemäß Kripkes Als-Ob-Prinzip bei derlei Aussagen nur so tun, als ob besagte fiktive Entitäten existieren. 4. Der modalmetaphysische Deflationismus betrachtet die Frage nach transworld identity als philosophisches Scheinproblem, das auf einem falschen realistischen Verständnis möglicher Welten und einer fehlerhaften Kennzeichnungstheorie sprachlicher Referenz basiert. Diese Zusammenfassung geht überein mit Kripkes wohl eindeutigster Stellungnahme zu seinem Verständnis von Modalität, der Würfelwurf-Analogie aus dem Vorwort von Naming and Necessity: An analogy from school–in fact, it is not merely an analogy–will help to clarify my view. Two ordinary dice (call them die A and die B) are thrown, displaying two numbers face up. For each die, there are six possible results. Hence there are thirty-six possible states of the pair of dice, as far as the numbers shown face-up are concerned, though only one of these states corresponds to the way the dice actually will come out. We all learned in school how to compute the probabilities of various events [. . . ]. For example [. . . ] the probability of throwing eleven is 2/36 = 1/18. [. . . ] The thirty-six possible states of the dice are literally thirty-six ‚possible worlds‘ [. . . ]. Only one of these miniworlds–the one corresponding to the way the
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dice in fact come up–is the ‚actual world‘, but the others are of interest when we ask how probable or improbable the actual outcome was (or will be). (Kripke 1980, S. 16)
Zunächst zeigt Kripke anhand dieser Analogie noch einmal auf, warum es sich bei transworld identity nur um ein Scheinproblem handelt: But when we talk in school of thirty-six possibilities, in no way do we need to posit that there are some thirty-five other entities, existent in some never-never land, corresponding to the physical object before me. Nor need we ask whether these phantom entities are composed of (phantom) ‚counterparts‘ of the actual individual dice, or are somehow composed of the same individual dice themselves but in ‚another dimension‘. The thirty-six possibilities, the one that is actual included, are (abstract) states of the dice, not complex physical entities. Nor should any school pupil receive high marks for the question ‚How do we know, in the state where die A is six and die B is five, whether it is die A or die B which is six? Don’t we need a „criterion of transstate identity“ to identify the die with a six [. . . ] with our die A?‘The answer is, of course, that the state (die A, 6; die B, 5) is given as such (and distinguished from the state (die B, 6; die A, 5)). The demand for some further ‚criterion of transstate identity‘ is so confused that no competent schoolchild would be so perversely philosophical as to make it. (Kripke 1980, S. 17, Hervorh. im Orig.)
Schließlich dient Kripke diese Analogie vor allem dafür, aufzuzeigen, dass mögliche Welten in der für dieses Buch relevanten modalmetaphysischen Debatte „little more than the miniworlds of school probability blown large“ (Kripke 1980, S. 18) sind. Genauso wie statt dem aktualen Ergebnis (Würfel A, 6, und B, 5) auch ein anderes Würfelergebnis (z.B. Würfel A, 3, und B, 4) hätte herauskommen können, hätte es auch so kommen können, dass Angela Merkel deutsche Fußballbundestrainerin und nicht deutsche Bundeskanzlerin geworden wäre. Bezüglich der Natur möglicher Welten schließt Kripke daher aus der Würfelwurf-Analogie: ‚Possible worlds‘ are total „‚ways the world might have been‘, or states or histories of the entire world“. (Kripke 1980, S. 18, Hervorh. im Orig.)¹⁸
Der Unterschied zu den ‚Miniwelten‘ der Analogie besteht also lediglich darin, dass mögliche Welten vollständige Beschreibungen dessen darstellen, wie die wirkliche Welt hätte verlaufen können, wenn die Dinge anders gekommen wären als sie es wirklich sind. Im Schulunterricht betrachtet man den Würfelwurf dagegen als ein isoliertes Ereignis. Um die Wahrscheinlichkeit, eine ‚11‘ zu würfeln, auszurechnen, spielt es keine Rolle, ob Angela Merkel oder doch Joachim Löw die deutsche Nationalmannschaft trainiert. Dagegen gibt es nicht eine, sondern unzählige mögliche Welten, in denen Angela Merkel deutsche Fußballbundes18 Vgl. dazu auch Kripkes Aussage aus einem jüngeren Aufsatz: „A possible world is [. . . ] the totality of facts in that world“ (Kripke 2015, S. 6).
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trainerin ist. All diese Welten haben gemeinsam, dass Angela Merkel deutsche Fußballbundestrainerin ist und dennoch unterscheiden sie sich in einzelnen Details, etwa dadurch, dass Schüler eines bestimmten Gymnasiums in einer dieser möglichen Welten eine ‚10‘, in einer anderen eine ‚11‘ würfeln. Dass mögliche Welten vollständige Beschreibungen dessen darstellen, wie die wirkliche Welt hätte verlaufen können, bedeutet indes nicht, dass man sich mit jeder Modalaussage sämtliche irrelevanten Nebentatsachen vor Augen führen muss. Genauso wenig würde man sich bei der nicht-modalen Aussage „Angela Merkel ist deutsche Bundeskanzlerin“ vor Augen führen, das just zum Zeitpunkt meiner Äußerung im Stochastik-Unterricht von einem bestimmten Schüler eine ‚12‘ gewürfelt wurde. Dass mögliche Welten vollständige Beschreibungen von Weltverläufen sind, hängt mit den im zweiten Kapitel dieses Buches erläuterten formal-mathematischen Gründen zusammen; faktisch sind sie aber letztlich nichts anderes als die Miniwelten aus Kripkes Würfelanalogie, weil es in Modalaussagen darum geht,¹⁹ nur einen gewissen Ausschnitt einer möglichen Welt zu betrachten – oder präziser: über einen gewissen Ausschnitt dessen zu sprechen, wie die wirkliche Welt hätte verlaufen können (und gleichzeitig davon auszugehen, dass alles andere entweder gleich bleibt oder zumindest irrelevant ist und daher ausgeblendet werden kann). Interessanterweise kommt eine solche deflationäre Metaphysik auch Aristoteles’ Auffassung von Modalität sehr nahe,²⁰ über die beispielsweise Sarah Waterlow in ihrem Buch Passage and Possibility schreibt:
19 Zumindest in aller Regel: Die Modalaussage „Es ist möglich, dass es die gesamte Welt nicht gibt“ stellt vielleicht eine interessante Ausnahme dar, über die es sich weiter nachzudenken lohnt, da sie sowohl Fragen der modalen Metaphysik als auch das Problem der negativen Existenzaussagen (vgl. Kap. 2.5.3) berührt. Insbesondere für den modalen Realismus könnte diese Aussage unter Umständen problematisch werden, weil sie interpretiert werden müsste als „Es gibt eine Welt in der es der Fall ist, dass es die Welt nicht gibt“, was mindestens paradox, wenn nicht absurd klingt. Gemäß dem hier präsentierten Deflationismus dagegen würde die Aussage vielleicht bedeuten, sich das reine Nichts im Sinne der Hegel’schen Logik vorzustellen versuchen. In diesem Zusammenhang interessant ist die These Markus Gabriels, demnach es die Welt gar nicht gibt, da die Welt nicht in der Welt vorgefunden werden kann – was dazu führt, dass die Welt als eine Art Rahmen aufzufassen ist, in dem es etwas geben kann oder auch nicht. Demnach wäre die Frage aber, ob es die Welt gibt, jedoch prinzipiell verfehlt, sodass auch keine sinnvollen Modalaussagen dazu formuliert werden können (vgl. Gabriel 2013). Eine Debatte dergestalt, ob es möglich ist, dass es die gesamte Welt nicht gibt, wäre für Kripke aber ohnehin so „perversely philosophical“ (Kripke 1980, S. 17), dass sie vom Kern dessen, worum es in der modalen Metaphysik gehen sollte (nämlich um die Frage, was Möglichkeit ist und wie Möglichkeitsaussagen zu interpretieren sind), zu weit wegführt. 20 Ich danke Christian Schäfer für diesen Hinweis.
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A „world“ is [according to Aristotle, S. Krebs] not something whose existence is possible, since possibility and its opposite belong only within the world, being assigned to times in actual history. Hence it is not even correct to say that this world is the only one possible, since nothing is either possible or necessary except in relation to it. (Waterlow 1982, S. 48)
Laut Waterlow geht Aristoteles also – genau wie Kripke– davon aus, dass Möglichkeit und Notwendigkeit nur von der wirklichen Welt aus erschlossen werden können, das heißt die Rede von Möglichkeit und Notwendigkeit nur deshalb Sinn ergibt, weil es eine wirkliche Welt gibt, in der diese Rede stattfindet. Dies wiederum entspricht Kripkes zentraler These, dass mögliche Welten von der aktualen Welt aus gesetzt werden – und eben nicht wie bei Lewis oder Kaplan entdeckt werden können als wären sie fremde Planeten, da mögliche Welten, wie oben dargestellt, eben nichts anderes sind als Weisen, wie die wirkliche Welt hätte sein können, oder mögliche Verläufe der wirklichen Welt. Wenngleich es in einer philosophischen Debatte sicher nicht von Nachteil ist, Aristoteles als historischen Gewährsmann auf seiner Seite zu wissen²¹, handelt es sich bei diesem Verweis auf Aristoteles um mehr als ein bloßes argumentum ad verecundiam. Der Verweis ist nämlich auch insofern erhellend, als Kripkes Zurückweisung möglicher Welten mit seinem Verständnis von aristotelischem Essentialismus einhergeht und seine Philosophie laut Rorty sich gerade dadurch auszeichnet, dass er der analytischen Philosophie „the Aristotelian way of looking at things“ (Rorty 1980, S. 4) aufgezeigt habe. Passend dazu schreibt auch Hilary Putnam, der in Bezug auf Fragen der Referenz und Essentialismus gemeinsam mit Kripke diesen Aristotelian way of looking at things in der analytischen Philosophie geprägt hat (vgl. Kap. 2.4.3), im Rahmen seiner berühmten sprachphilosophischen Analyse des Gehirn-im-TankGedankenexperiments über mögliche Welten: This ‚possible world‘ talk makes it sound as if there is a place where any absurd supposition is true, which is why it can be very misleading in philosophy. (Putnam 1981, S. 8, Hervorh. im Orig.)
Dies deutet darauf hin, dass auch Putnam Kripkes Modalitätsauffassung und damit den hier vertretenen Deflationismus möglicher Welten teilt, wobei auch Putnam vor allem dafür bekannt ist, feste Lehrmeinungen zu vermeiden, und die Stärke seiner philosophischen Aufsätze vor allem darin besteht, Argumente zu skizzieren, zu analysieren oder zu widerlegen – sodass sich auch in Putnams Werk keine systematische modale Metaphysik finden lässt. Dennoch unterstreicht die-
21 Inwieweit sich Kripkes und Aristoteles’ Modalitätsauffassung tatsächlich gleichen, wäre ein überaus spannendes Thema für eine über dieses Buch hinausgehende historische Untersuchung.
4.5 Argumente für den modalmetaphysischen Deflationismus |
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ser Verweis auf Putnams Position genau wie der obige Verweis auf Aristoteles, dass der modalmetaphysische Deflationismus in ein kohärentes Netz aus aristotelischem Essentialismus und sprachphilosophischer Referenztheorie eingewoben ist. Dieses Kohärenzargument bildet dabei durchaus ein sehr schlagkräftiges Argument – weit über ein sich auf Aristoteles berufendes Autoritätsargument hinaus – für die in diesem Buch vertretene Position, weshalb ich im folgenden Abschnitt ausführlich darauf eingehe.
4.5 Argumente für den modalmetaphysischen Deflationismus Am Ende des dritten Kapitels dieses Buches habe ich drei Ansprüche an eine modale Metaphysik des gesunden Menschenverstandes aufgestellt und begründet, nämlich: A1 Eine modalmetaphysische Theorie muss ideologisch weitgehend unbefangen sein. A2 Eine modalmetaphysische Theorie muss der in der Alltagssprache angelegten Hierarchie von Welten (und damit dem Besonderen des Wirklichen) gerecht werden. A3 Eine modalmetaphysische Theorie muss einen intuitiven Umgang mit transworld identity finden. Ein gewichtiger Teil meiner Argumentation für den modalmetaphysischen Deflationismus wird es sein, dass dieser diese drei Ansprüche erfüllt. Bevor jedoch im Folgenden auf diese Ansprüche im Einzelnen eingegangen wird, rücke ich das bereits angedeutete Kohärenzargument in den Fokus dieses Buches, da die innere Stimmigkeit einer Position wesentlich ist für deren Überzeugungskraft – und gerade die in Kapitel 3.3 herausgearbeiteten theorieinternen Unstimmigkeiten des modalen Realismus entscheidend waren, diesen als philosophische Position zu widerlegen. Außerdem dient das Kohärenzargument dazu, naheliegend scheinende Zirkularitätseinwände gegen Kripkes Position zu entkräften, was gleichzeitig auch eine vorweggenommene Antwort auf mögliche Kritik am modalmetaphysischen Deflationismus bedeutet, wie sie vor allem von gegenwärtigen Quine-Anhängern geltend gemacht werden könnte.
162 | 4 Modalmetaphysischer Deflationismus 4.5.1 Kohärenz des modalmetaphysischenen Deflationismus Der britische Idealist Francis Herbert Bradley schreibt über die Idee des Systems, auf den sich der Kohärenzgedanke zurückführen lässt: Truth is an ideal expression of the Universe, at once coherent and comprehensive. It must not conflict with itself, and there must be no suggestion which fails to fall inside it. Perfect truth in short must realize the idea of a systematic whole. And such a whole [. . . ] possessed essentially the two characters of coherence and comprehensiveness. (Bradley 1914, S. 223)
Dies aufgreifend, schreibt Nicholas Rescher im Rahmen seiner einflussreichen Ausführungen zur Kohärenztheorie der Wahrheit, dass ebendiese „die grundlegende idealistische Konzeption [vollendet], daß Wahrheit – und mit ihr die Realität, für die sie charakteristisch ist – ein umfassendes und geeignet zusammenhängendes systematisches Ganzes repräsentiert“ (Rescher 1977, S. 371). Die Kohärenztheorie geht dabei nicht nur davon aus, dass verschiedene Annahmen über die Wirklichkeit – um wahr zu sein – konsistent (das heißt widerspruchsfrei) sein müssen, sondern fordert darüber hinaus auch eine innere „Verbundenheit“ (Rescher 1977, S. 371) dieser Annahmen. Anders als der ebenfalls einer Kohärenztheorie anhängende Wiener Kreis und die ihm nachfolgende Schule des logischen Positivismus (resultierend etwa in der Theorie des „Web of Belief“ von Quine und Ullian 1978), sieht Rescher aus seinem idealistischen Hintergrund heraus Kohärenz nicht als Definition von Wahrheit, sondern als deren Kriterium an – und geht daher von einer grundsätzlichen Vereinbarkeit der Kohärenztheorie mit der klassischen Korrespondenztheorie von Wahrheit aus, der zufolge Wahrheit die Übereinstimmung einer (sprachlich gefassten) Annahme mit der Wirklichkeit bedeutet. Kohärenz mit anderen für wahr gehaltenen Annahmen ist also laut Rescher das wichtigste Kriterium, um die Wahrheit einer Aussage zu überprüfen – aber nicht zwangsläufig auch die Definition (oder das Wesen) von Wahrheit.²² Wenngleich man nicht unbedingt Reschers Einschätzung, Kohärenz als das wichtigste Wahrheitskriterium aufzufassen, teilen muss, spricht doch vieles dafür, Kohärenz als ein wichtiges Kriterium für Wahrheit aufzufassen – oder, um
22 Gleichzeitig gesteht Rescher zu, dass die Frage nach den Kriterien und die Frage nach der Definition durchaus miteinander verbunden sind beziehungsweise sich gegenseitig erhellen können, was er etwa an folgenden Beispielen ausführt: „Bei manchen Dingen gibt es tatsächlich überhaupt keinen Unterschied (Was ist ein Stuhl? Was soll man vernünftigerweise als Stuhl ansehen?); bei anderen zeigt sich ein Unterschied (Was ist ein unlösbares Problem? Was soll man vernünftigerweise als unlösbares Problem ansehen?). Die kriterienbezogene Frage kann selbständige Bedeutung haben, und sie kann sogar ein wichtiger Aspekt der Frage nach der ‚Bedeutung‘ in einem weiteren als dem streng definitorischen Sinn sein“ (Rescher 1977, S. 340).
4.5 Argumente für den modalmetaphysischen Deflationismus |
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nicht zu sehr auf die Problematik des Wahrheitsbegriffs in der Philosophie einzugehen, als ein wichtiges Kriterium für die Überzeugungskraft einer philosophischen Position. Dies leuchtet vor allem ein, wenn man sich überlegt, ob eine nichtkohärente philosophische Position, die in sich nicht stimmig ist und deren einzelne Annahmen sich nicht gegenseitig stützen, wirklich eine überzeugende Erklärung für ein bestimmtes Phänomen bieten kann. Nicht nur mit Rescher wäre diese Frage zu verneinen. Dass Kripkes Ansichten zur sprachlichen Referenz, dem aristotelischen Essentialismus und zur modalen Metaphysik (das heißt sein Deflationismus in Bezug auf mögliche Welten) sowie die sich daraus ergebenen Thesen zur AprioriKontingenz und Aposteriori-Notwendigkeit (vgl. Kap. 4.3.1) kohärent sind, beschreibt Rudolf-Peter Hägler wie folgt: Kripke hat [. . . ] essentialistische Annahmen mit anderen [. . . ] Thesen zu einem überaus kunstvollen Netz verwoben: aus einer Kritik traditioneller Bedeutungs- und Referenztheorien entwickelt er zunächst die Lehre von der ‚starren Designation‘ der Eigennamen und Artbezeichner sowie Elemente einer ‚kausalen Referenztheorie‘. Zugleich wird die kantische Koextensivität von ‚apriorisch‘ und ‚notwendig‘ aufgekündigt: mit ‚notwendig‘ als metaphysischem Term wird sodann die Existenz sowohl von kontingenten Wahrheiten a priori wie auch von notwendigen Wahrheiten a posteriori behauptet. (Hägler 1994, S. 13, Hervorh. im Orig.)
Tatsächlich gehen, wie bereits im zweiten Kapitel dieses Buches deutlich wurde, Kripkes Ansichten zu diesen verschiedenen Fragen miteinander einher: Kripkes Essentialismus ist eine unmittelbare Folge davon, dass er Modalität de re in der Modallogik akzeptiert; seine Zurückweisung von transworld identity ist nur durch seine sprachphilosophische These der rigid designation möglich und diese wiederum transportiert ein bestimmtes Bild sowohl von essentiellen Eigenschaften als auch vom metaphysischen Verständnis möglicher Welten. Den sich darauf gründenden Vorwurf der Zirkularität formuliert beispielsweise Christof Rapp: Wenn Kripke die starren Designatoren erdacht hat, damit auch in möglichen Welten von denselben Dingen gesprochen werden kann, ist es dann nicht zirkulär, starre Designatoren als diejenigen Ausdrücke zu definieren, die in allen möglichen Welten denselben Gegenstandsbezug haben? (Rapp 1995, S. 37)
Bemerkenswert ist darüber hinaus vor allem der polemische Kommentar Quines, der in einer Rezension über Kripkes „Identity and Necessity“ schreibt: I can read Kripke gratefully as abetting my effort to show what a tangled web the modalist weaves. (Quine 1972, S. 493)
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Dabei spielt er auf die folgende Zeile aus Walter Scotts Marmion an: O, what a tangled web we weave, / When first we practise to deceive! (Scott 1808, S. 343; vgl. Hägler 1994, S. 94, Fn. 13)
Quine wirft Kripke also vor, ein ‚betrügerisches Netz‘ an verschiedenen Annahmen zu einer modalen Position verwoben zu haben, um den aristotelischen Essentialismus (den Quine, wie in Kapitel 2.4.1 gezeigt, vehement ablehnt) wieder salonfähig machen zu können. Dieser Vorwurf gipfelt in der Überzeugung des Quine-Schülers David Lewis, mit seinem Genuinen Modalen Realismus – wie in Kapitel 3.3 gezeigt – die einzige modale Theorie anzubieten, die eine nichtzirkuläre Analyse des Möglichkeitsbegriffs ermöglicht, und diese auf dem physikalistischen Grundgedanken aufzubauen, dass Möglichkeit und Notwendigkeit aus der wirklichen Welt ausgelagert werden sollten.²³ Doch darf Kohärenz tatsächlich mit Zirkularität verwechselt werden? 4.5.1.1 Kohärenz und Zirkularität Zur Zirkularität der Kohärenztheorie schreibt etwa John Bender in der Encyclopedia of Philosophy: If there are no foundational beliefs that act as the ultimate source of epistemic justification, and if the lines of justification transmission are not infinitely long (which appears absurd given the finitude of our mental capacities), then the coherence theory seems forced to claim that justification can be ultimately but not viciously circular. [. . . ] But if A is the source of justification for B, how can B be the source of justification for A? The coherentist can reply that the ‚source‘ of justification is the entire belief system. (Bender 2006, S. 314)
Ein kohärentes System von Überzeugungen enthält demnach immer eine gewisse Zirkularität – unter anderem deshalb geben Alvin Plantinga, Robert Adams und andere Vertreter des modalmetaphysischen Aktualismus (vgl. Kap. 3.5.4) offen zu, dass ihre Erklärungen zu Möglichkeit und Notwendigkeit zirkulär sind (vgl. Divers und Melia 2002, S. 22, Fn. 10). Die für dieses Buch (und darüber hinaus für jede philosophische Arbeit) relevante Frage sollte daher nicht sein, ob eine Erklärung zirkulär ist, sondern ob es sich bei der in einer kohärenten Erklärung vorhandenen Zirkularität um eine hinnehmbare (vielleicht sogar wünschenswerte) oder um vitiöse Zirkularität handelt.
23 Dass ihm das nicht gelungen ist, wurde im dritten Kapitel dieses Buches hinreichend dargelegt. Insbesondere in Kap. 3.3 bin ich dabei auch auf die im Zusammenhang mit dem Argument von Divers und Melia aufgeworfene Frage eingegangen, ob Lewis’ GMR nicht selbst zirkulär ist.
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Nichtsdestotrotz ist anzuführen, dass Kripke in seiner Kritik an der sprachphilosophischen Clustertheorie (vgl. Kap. 2.5.1) schreibt: For any successful theory, the account must not be circular. (Kripke 1980, S. 68)
Jedoch beschränkt sich die hier laut Kripke zurückzuweisende Zirkularität auf eine Spezialfrage innerhalb der Referenztheorie (vgl. Kripke 1980, S. 81–82, 89–90 u. 160–162). Dies wird dadurch unterstrichen, dass er in Bezug auf dieses NichtZirkularitätskriterium den Vorschlag von William Kneale, Eigennamen wie „Sokrates“ als Abkürzung für eine Kennzeichnung wie „das Individuum, das ‚Sokrates‘ genannt wird“ aufzufassen (vgl. Kneale 1966), als ein besonders treffendes Beispiel für einen vitiösen Zirkel sieht: As a theory of the reference of the name ‚Socrates‘ it will lead immediately to a vicious circle. If one was determining the referent of a name like ‚Glunk‘ to himself and made the following decision, ‚I shall use the term „Glunk“ to refer to the man that I call „Glunk“‘, this would get one nowhere. One had better have some independent determination of the referent of ‚Glunk‘. This is a good example of a blatantly circular determination. (Kripke 1980, S. 72–73)
Die von Rapp kritisierte und von Quine als ‚betrügerisches Netz‘ verspottete Kohärenz in Kripkes modaler Metaphysik ist jedoch deutlich weitreichender als die von Kripke vorgebrachten Beispiele vitiöser Zirkularität innerhalb der Referenzdebatte. Die in dieser Kohärenz enthaltene Zirkularität kann daher nicht unmittelbar als vitiös kritisiert werden – zumal es für Vertreter einer Kohärenztheorie (zu denen gewissermaßen auch Quine selbst gehört, vgl. Quine und Ullian 1978) nicht abwegig erscheint, die Erklärungskraft eines kohärenten Systems – metaphorisch gesprochen – an seinem Kreisumfang abzumessen: It is not immediately clear how circularity of this sort [das heißt innerhalb eines weitreichenden kohärenten Systems, S. Krebs] is anything but vicious, no matter how wide the circle may be, even though some have argued that wideness of a justificatory circle immunizes against viciousness. (Bender 2006, S. 314)
Überzeugender als diese Selbstimmunisierung gegen Vitiosität ist jedoch die zuvor von Bender vorgeschlagene Strategie, dass das gesamte Überzeugungssystem die der Kohärenz inhärente Zirkularität rechtfertigt (vgl. Bender 2006, S. 314) – und es sich bei Kripkes modalmetaphysischem Deflationismus nicht um ein betrügerisches Netz verschiedener vitiöser Zirkelschlüsse handelt, sondern um eine in sich stimmige metaphysische Erklärung von Modalität. Dies hat vor allem zwei Gründe: Erstens ist eine kohärente Theorie, das heißt eine Theorie, die aus in sich stimmigen und sich auseinander ergebenen Annahmen und Erklärungen besteht, einer Theorie stets vorzuziehen, deren einzelne Bestandteile nur lose miteinander
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zusammenhängen und sich nicht oder nur wenig gegenseitig stützen. Genau dies legt Rescher in seinen verschiedenen Schriften zur Kohärenz als Kriterium von Wahrheit äußerst überzeugend dar (vgl. insbesondere Rescher 1977). Zweitens wäre – wenn man den Zirkularitätsvorwurf ernst nimmt – jegliche Form von begrifflichem Primitivismus in der Philosophie zurückzuweisen, das heißt es könnte gar keine die Wirklichkeit beschreibenden Grundbegriffe geben, da es ja gerade wesentlich für einen solchen Grundbegriff ist, dass dieser nicht ohne Begriffe der gleichen oder ähnlicher Art erklärt werden kann: Wenn Modalität (wovon der Primitivismus und auch, wie in Kap. 4.3.1 gezeigt, Kripkes deflationärer Primitivismus, ausgeht) ein Grundbestandteil jeder Beschreibung von Wirklichkeit darstellt, wie sollte es dann möglich sein, Modalität in nicht-modaler Terminologie zu erklären? In jeder primitivistischen Erklärung laufen daher Explanans und Explanandum zusammen, das heißt ein Primitivismus ist in gewissem Sinne immer zirkulär. Jedoch wird sich auch ein modaler Reduktionismus, wie ihn David Lewis vertritt, letztlich auf einen primitiven Grundbegriff der Wirklichkeit festlegen müssen, auf den Modalität zu reduzieren wäre (in Lewis’ Fall wäre das der Begriff der Welt, vgl. Kap. 3.2), dessen abschließende Erklärung entweder ebenfalls zirkulär wäre oder Gefahr läuft, in einen infiniten Regress zu geraten, beziehungsweise dogmatisch gesetzt werden muss.²⁴ Daher spricht die Kohärenz des modalmetaphysischen Deflationismus – trotz der ihr inhärenten Zirkularität – durchaus dafür, dass dieser eine überzeugende Erklärung von Modalität anbietet. Zumindest wäre das laut Nicholas Rescher wichtigste Kriterium für die Wahrheit (oder im Rahmen dieser Argumentation angemessener: für die Überzeugungskraft) der hier vertretenen Position erfüllt. Wie oben bereits erwähnt, wurden am Ende des dritten Kapitels dieses Buches drei weitere Kriterien beziehungsweise Ansprüche an eine überzeugende modalmetaphysische Position des gesunden Menschenverstands formuliert, anhand derer im Folgenden für den modalmetaphysischen Deflationismus argumentiert wird. Zunächst werde ich zeigen, warum der modalmetaphysische Deflationismus ideologisch unbefangen ist und damit den in Kap. 3.4.1 aufgestellten Prinzipien der ideologischen Unbefangenheit PIU beziehungsweise Andockfähigkeit PIA gerecht wird.
24 Auf diese Weise beschreibt etwa Hans Albert das Grundproblem philosophischer Letztbegründung in seiner berühmten Darstellung des sogenannten Münchhausentrilemmas, vgl. Albert 1968, S. 11–15.
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4.5.2 Ideologische Andockfähigkeit Das in Kap. 3.4.1 dieses Buches formulierte Prinzip der ideologischen Andockfähigkeit PIA lautet wie folgt: PIA Wenn zwei Erklärungen für ein Phänomen X miteinander konkurrieren, ist grundsätzlich die Erklärung vorzuziehen, die die größte ideologische Andockfähigkeit besitzt, das heißt die mit den meisten philosophischen Weltbildern oder Theorien hinsichtlich eines zweiten Phänomens Y vereinbar ist – insbesondere dann, wenn nur ein loser Zusammenhang zwischen X und Y besteht. Außerdem wurde in diesem Kapitel gezeigt, warum die feste Verbindung zwischen David Lewis’ GMR und dem Physikalismus als grundlegendem philosophischen Weltbild dieses Prinzip verletzt. Die Postulierung des modalen Realismus erscheint nämlich nur sinnvoll, wenn man den Physikalismus als Antwort auf das Körper-Geist-Problem und damit als philosophisches Weltbild zugrunde legt (vgl. Kap. 3.4.1). Anders gesagt: Der modale Realismus ist ideologisch befangen gemäß dem ebenfalls in Kap. 3.4.1 aufgestellten Prinzip der ideologischen Unbefangenheit PIU. Im Folgenden werde ich zeigen, dass Kripkes modalmetaphysischer Deflationismus PIA gerecht wird. Insbesondere im Unterschied zu Lewis’ GMR, aber auch zu anderen modalmetaphysischen Positionen (vgl. Kap. 3.5) wird sich herausstellen, dass die hier vertretene Position sich grundsätzlich neutral gegenüber philosophischen Grundfragen anderer Disziplinen (wie beispielsweise der Philosophie des Geistes, der Ethik und der Anthropologie) verhält und daher mit einer ganzen Bandbreite an philosophischen Weltbildern und Theorien kompatibel ist. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass Kripke durchaus als „Sokrates unserer Zeit“ (Voigt 2017, S. 337) angesehen werden darf, wie es Uwe Voigt im Nachwort zur deutschsprachigen Ausgabe der Philosophical Troubles festhält und ich es in der Einleitung dieses Buches bereits kurz dargestellt habe (vgl. Kap. 1.2). Kripke geht es in seiner philosophischen Arbeit vor allem darum, die „einflussreichen Theorien seiner Epoche grundsätzlich [. . . ] in Zweifel“ (Voigt 2017, S. 337) zu ziehen. Gleichzeitig behält er trotz seiner fundamentalen Kritik eine grundsätzliche Offenheit für die verschiedenen Weltbilder bei, auf denen diese Theorien zumeist basieren. Zunächst werde ich das am Beispiel des Körper-Geist-Problems verdeutlichen, bevor ich auf Kripkes Kompatibilität zu Theorien der Ethik und zur Existenz Gottes zu sprechen komme – und schließlich Kripkes minimale ideologischen Voraussetzungen im Kontext von PIA beleuchte.
168 | 4 Modalmetaphysischer Deflationismus 4.5.2.1 Ideologische Andockfähigkeit in Bezug auf das Körper-Geist-Problem Kripkes ideologische Andockfähigkeit zeigt sich insbesondere bei seinen Äußerungen zum Körper-Geist-Problem, welches er als „wide open and extremely confusing“ (Kripke 1980, S. 155, Fn. 77, vgl. Kap. 3.4.1) ansieht. Burgess schreibt dazu: Kripke leaves us without a definitive solution, or even a full statement of a settled position, on this central philosophical problem. One might have hoped for more, but is not Kripke’s freely confessed sense of puzzlement or mystery better by far than a glib false certainty based on ideological prejudices of the day? (Burgess 2013, S. 141–142)
Während die Frage, wie Kripke sich zum Körper-Geist-Problem positioniert, innerhalb der Kripke-Forschung umstritten ist²⁵ und er von manchen Forschern gar in die Nähe eines kartesischen Dualismus gerückt wird (vgl. Shoemaker 2011, S. 329), ist es im Rahmen dieses Buches vor allem wichtig festzuhalten, dass seine metaphysischen Ansichten zur Modalität von seinen Ansichten zur Philosophie des Geistes weitestgehend unabhängig sind. Lediglich sein bereits in Kap. 3.4.1 dieses Buches dargestelltes modales Argument gegen die physikalistische Identitätsthese würde es Kripke unmöglich machen, eine bestimmte Form des Physikalismus widerspruchsfrei zu vertreten. Jedoch baut dieses Argument nicht auf seinem modalmetaphysischen Deflationismus auf, sondern beruft sich stattdessen lediglich auf den formalen Beweis von Ruth Barcan Marcus, dem zufolge Identitätsaussagen stets notwendig sind (vgl. Kripke 1980, S. 97–101; Barcan Marcus 1961 und Kap. 3.4.1). Daher ist selbst dieses modale Argument gegen die physikalistische Identitätsthese unabhängig von der modalmetaphysischen Frage nach dem ontologischen Status von möglichen Welten. Während Kripke „never calls himself a dualist of any sort“ (Shoemaker 2011, S. 329), ist sein modalmetaphysischer Deflationismus durchaus mit der Grundidee eines kartesischen Dualismus vereinbar, dass Körper und Geist zwei voneinander verschiedene Substanzen sind.²⁶ Wenn es das Geistige (beispielsweise in Form von Bewusstsein) unabhängig vom Körperlichen gibt, ist die Möglichkeit, 25 Darauf deutet bereits die entsprechende Stelle bei Burgess hin. Einen guten Überblick zu dieser Debatte bietet zudem der von Alan Berger herausgegebene Sammelband Saul Kripke (2011). 26 Es ist anzumerken, dass das Adjektiv „kartesisch“ sich in der jüngeren Debatte der analytischen Philosophie nur vage auf Descartes bezieht (ähnlich wie „aristotelisch“ im aristotelischen Essentialismus sich nur vage auf Aristoteles bezieht), der in seinen Meditationen von drei Substanzen ausgeht, nämlich res cogitans, res extensa und der göttlichen Substanz, wobei die ersten beiden nicht unabhängig von der göttlichen Substanz existieren (vgl. Descartes 1986). Wenngleich Kripkes modalmetaphysischer Deflationismus auch mit dieser Position kompatibel wäre, verstehe ich hier – wie gemeinhin in der analytischen Philosophie üblich – unter kartesischem Dualismus die These, dass Körper und Geist (oder – je nach Terminologie – Leib und Seele bezie-
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dass Angela Merkel deutsche Fußballbundestrainerin ist, genauso vorstellbar wie unter der materialistischen Annahme, dass das Geistige letztlich nur eine Erscheinungsform des Körperlichen ist und vielleicht ganz auf dieses reduziert werden kann. Insbesondere ist Kripkes modalmetaphysischer Deflationismus auch mit der von Philosophen wie David Chalmers (2017) und Thomas Nagel (2012) stark gemachten Position des Panpsychismus kompatibel, mit dem das bereis seit Kripke heftig umstrittene physikalistische Paradigma innerhalb der analytischen Philosophie in den letzten Jahren endgültig ins Wanken geraten ist. Der Panpsychismus – der in verschiedenen Spielarten vertreten und sowohl materialistisch, idealistisch als auch dualistisch interpretiert werden kann, gemeinhin aber als eigenständige Position im Körper-Geist-Problem gilt – geht von der Existenz sogenannter Mikrosubjekte aus: Diese sind „omnipresent in the cosmos, and at least some of them are metaphysically necessary to ground the emergence of higher levels of consciousness in the process of evolution [= die sogenannten Makrosubjekte, S. Krebs]“ (Brüntrup und Jaskolla 2017a, S. 1–2). Laut Chalmers ist Panpsychismus „the thesis that some fundamental physical entities have mental states“ (Chalmers 2017, S. 19) – wobei in den verschiedenen Spielarten unterschiedlich definiert wird, was unter diesen mentalen Zuständen genau verstanden wird.²⁷ Weil David Lewis strikt daran festhält, dass eine erfolgreiche Physik²⁸ in der Lage ist, unsere Welt vollständig zu beschreiben, wäre für ihn die Annahme, dass einige fundamentale physikalische Entitäten mentale Zustände besitzen, unvereinbar mit seinem modalen Realismus (vgl. Kap. 3.4.1). Ebendiese mentale Zustände könnte eine erfolgreiche Physik nämlich gerade nicht (oder zumindest nur sehr schwer²⁹) erklären. Für den modalmetaphysischen Deflationismus dagegen wäre es durchaus eine attraktive Option, die geschilderten Grundannahmen des Panpsychismus in sich zu integrieren: Dann würden die mentalen Zustände der Mikrosubjekte nämlich das breite Spektrum des modallogischen Raums vielleicht erst festlegen, das heißt bestimmten, was überhaupt als möglich angesehen wer-
hungsweise das Physische und das Psychische) zwei voneinander verschiedene und nicht aufeinander reduzible Substanzen sind, während Gott als absolute Substanz in der analytischen Debatte um den kartesischen Dualismus kaum Erwähnung findet. 27 Eine Übersicht zum Panpsychismus bietet der Sammelband von Brüntrup und Jaskolla (2017). 28 Erfolgreich ist hier und im Folgenden im Sinne des Physikalismus, wie in Kap. 3.2.3 dargelegt, zu verstehen. 29 Es gibt durchaus Versuche, den Panpsychismus und den Physikalismus miteinander in Verbindung zu bringen (vgl. Brüntrup und Jaskolla 2017b), wenngleich der Panpsychismus sich grundsätzlich als Gegenprogramm zum Physikalismus versteht.
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den kann.³⁰ Jedoch ist der modalmetaphysische Deflationismus nicht von den Grundannahmen des Panpsychismus abhängig und kann auch ohne diesen sinnvoll gedacht werden. Grundsätzlich wäre Kripkes modale Metaphysik sogar an den Physikalismus andockfähig, da er sich in Bezug auf das Körper-Geist-Problem keinerlei Vorannahmen bedient. In Kap. 3.4.1 habe ich bereits argumentiert, dass Lewis’ modaler Realismus keineswegs aus dem Physikalismus folgt, das heißt andere Erklärungen von Modalität durchaus mit dem Physikalismus kompatibel sind. Dies gilt auch für Kripkes modale Metaphysik. Wie in Kap. 4.4 deutlich wurde, handelt es sich bei dieser Position nämlich um einen eliminativen Anti-Realismus, dem zufolge mögliche Welten keinen ontologischen Status besitzen. Dies kann grundsätzlich – muss aber nicht – so interpretiert werden, dass auch Möglichkeiten keinen ontologischen Status besitzen. Dann könnte man zwar über sie nachdenken, aber sie können nicht Wirklichkeit werden. Unsere alltägliche Redeweise von Möglichkeit wäre demnach also nur ein schöner Schein – ein Als-Ob in Kripkes Terminologie (vgl. Kap. 4.3.3)³¹, würde aber auf kein Phänomen der Wirklichkeit verweisen. Damit kann von einer erfolgreichen Naturwissenschaft auch nicht erwartet werden, dass sie das Phänomen der Möglichkeit erklärt, denn schließlich würde auch keiner von einer erfolgreichen Naturwissenschaft erwarten, dass sie die DNA von Einhörnern entschlüsselt.³² Auf diese Weise wäre der modalmetaphysische Deflationismus prinzipiell auch an den Physikalismus andockfähig, wenngleich Kripke selbstverständlich – wie oben ausgeführt – an anderer Stelle gegen den Physikalismus argumentiert. Obwohl es also abwegig ist, Kripkes Gesamtwerk mit dem Physikalismus in Verbindung zu bringen oder ihn als Physikalisten zu verstehen, zeigt die obige Argumentation, dass die zentralen Bestandteile seines modalmetaphysischen Deflationismus durchaus an einen strengen Physikalismus angedockt werden könnten. Kripkes einschlägige Argumente gegen den Physikalismus sind dagegen unabhängig von seinen Ausführungen zur modalen Metaphysik und zum ontologischen Status von möglichen Welten.
30 In seinem Aufsatz zur First Person finden sich einige dezente Hinweise darauf, dass Kripke dem Panpsychismus grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber steht, vgl. Kripke 2011g, S. 308– 311, beispielsweise wenn er in Bezug auf die Mereologie des Subjekts schreibt: „I certainly don’t think Descartes is identical to his body“ (Kripke 2011g, S. 310) und daraufhin betont, dass diese Nicht-Identität keine Widerlegung des Materialismus darstellt. Ich danke Uwe Voigt für diesen Hinweis. 31 Wie beispielsweise auch die Rede von Kausalität ein schöner Schein sein könnte. 32 Zumindest wenn man davon ausgeht, dass es keine Einhörner in der Wirklichkeit gibt.
4.5 Argumente für den modalmetaphysischen Deflationismus |
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4.5.2.2 Ideologische Andockfähigkeit in Bezug auf die Ethik und Gott Nicht nur hinsichtlich bestimmter Weltbilder und grundlegender Theorien in der Philosophie des Geistes ist der hier entwickelte modalmetaphysische Deflationismus andockfähig gemäß PIA. Auch in Bezug auf die Ethik und die Existenz Gottes ist der weitestgehend unbefangen und erlaubt daher, unabhängig von einem Weltbild oder einer Theorie eine möglichst umfassende Erklärung von Möglichkeit und Notwendigkeit. Dies ist insofern besonders hervorzuheben, als – wie in Kap. 3.4.2 dieses Buches gezeigt – der GMR von David Lewis konsequent ausgelegt in einen moralischen Indifferentismus oder Fatalismus führt, da gemäß diesem alle Welten gleichberechtigt nebeneinander existieren und es daher für eine ethische Bewertung keinen Unterschied machen kann, ob ein Verbrechen in der für uns wirklichen oder stattdessen in einer für uns möglichen Welt geschieht. Der modalmetaphysische Deflationismus ist hinsichtlich von moralischen Theorien dagegen vollkommen unbefangen und damit andockfähig an diverse Positionen und Weltbilder aus der philosophischen Ethik. Um mit dem modalmetaphysischen Deflationismus durchdenken zu können, wie die Welt noch hätte verlaufen können, braucht es nämlich kein bestimmtes Werte- oder Normensystem als Voraussetzung. Im Gegenteil kann die durch Kripke angestoßene modalmetaphysische Debatte dazu beitragen, Möglichkeiten in Form von ethischen Gedankenexperimenten konsequent zu Ende zu denken, und damit unser moralisches Urteilsvermögen schärfen. Insbesondere für Vertreter einer konsequentialistischen Ethik ist es unabdingbar, erst dann zu einem qualifizierten Urteil zu gelangen, nachdem sie verschiedene mögliche Weltverläufe bei der ethischen Bewertung einer Situation berücksichtigt haben. Gleichzeitig ist auch den meisten ernstzunehmenden Prinzipien- und Tugendethiken gemein, dass sie über mögliche Weltverläufe reflektieren, wenngleich diese nur bedingt zur moralischen Urteilsfindung beitragen.³³ Der modalmetaphysische Deflationismus bietet gewissermaßen eine überzeugende Erklärung dafür, was es unter anderem in der Ethik bedeutet, über mögliche Weltverläufe nachzudenken – ist dabei aber keiner bestimmten ethischen Theorie verpflichtet. Des Weiteren setzt der modalmetaphysische Deflationismus keinen göttlichen Standpunkt voraus, von dem aus gesehen alle Welten gleichberechtigt nebeneinander existieren, wie in Kap. 4.5.4 ausführlich gezeigt wird. Damit ist
33 Etwa in der Form von Überlegungen wie: Eine Welt, in der es Wert w oder Tugend t nicht gibt, ist nicht wünschenswert, daher müssen wir an w beziehungsweise t in allen Situationen festhalten. Beispielsweise argumentiert – grob zusammengefasst – Hans Jonas so im Prinzip Verantwortung (2003), wenn er die Natur als sine qua non beschreibt: Eine Welt, in der keine Verantwortung für die Natur übernommen wird, ist mit dem Erhalt echten menschlichen Lebens langfristig nicht vereinbar, daher müssen wir Verantwortung für die Natur übernehmen.
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Kripke auch hinsichtlich der Frage nach der Existenz Gottes vollkommen neutral. Die in diesem Buch vertretene Position ist daher sowohl mit einem Theismus als auch einem Atheismus (und diversen Zwischenpositionen) kompatibel, was Kripke auch insofern gerecht wird, als er in seinen philosophischen Arbeiten nicht auf Fragen zu Gott und Religion zu sprechen kommt. Lediglich auf die Frage, ob es sich bei dem Ausdruck „Gott“ um einen Eigennamen oder eine Kennzeichnung handelt, schreibt Kripke: „[S]uch cases needn’t necessarily bother us“ (Kripke 1980, S. 27). Die Antwort auf die Frage, wie der modalmetaphysische Deflationismus mit der Existenz Gottes umgeht, ist dieselbe. Hinzu kommt, dass Kripke– wie in Kap. 4.3.1 gezeigt – einen deflationären Primitivismus im Hinblick auf Möglichkeit und Notwendigkeit vertritt. Dies hat gegenüber den reduktionistischen Ambitionen anderer Theorien den Vorteil, dass er nicht erklären muss, worin genau eine vollständige und konsistente Reduktion besteht (vgl. Kap. 3.2.1, 3.3.1 und 3.3.2), und er von vornherein gegen theorieinterne formale Argumente wie das von Divers und Melia gegen David Lewis vorgebrachte Unvollständigkeitsargument (vgl. Kap. 3.3.2) immun ist. Das theorieinterne Argument gegen Kripke könnte dagegen lediglich auf die inhärente Zirkularität des deflationären Primitivismus abzielen – und wurde im vorangegangen Abschnitt durch Verweis auf die nicht-vitiöse Zirkularität einer jeden kohärenten Theorie bereits entkräftet (vgl. Kap. 4.5.1). Gemäß PIA könnte man daher auch in diesem Punkt für den modalmetaphysischen Deflationismus argumentieren, dass er eine größere Offenheit gegenüber verschiedenen Begriffen von Reduktion, Konsistenz und Vollständigkeit besitzt, während eine reduktionistisch ausgerichtete Position hier größere begriffliche Zugeständnisse machen muss. Wenngleich dieser spezielle Punkt sicherlich nicht überbewertet werden darf³⁴, unterstreicht er doch zumindest die ideologische Unvoreingenommenheit der in diesem Buch vertretenen Position. 4.5.2.3 Ideologische Voraussetzungen des modalmetaphysischen Deflationismus Gewisse ideologische Voraussetzungen macht der modalmetaphysische Deflationismus dagegen in der Frage nach der Referenz von Eigennamen und hinsichtlich der Vorannahme des aristotelischen Essentialismus (vgl. Kap. 2.4.2 und 2.5). Um eine kohärente Erklärung von Modalität anzubieten, muss er sich nämlich – wie
34 Andernfalls würde es schwer, überhaupt einen Reduktionismus in Bezug auf ein beliebiges Phänomen zu vertreten, was PIA selbstverständlich zuwiderlaufen würde, da das Prinzip ja gerade eine grundsätzliche Offenheit für verschiedene Weltbilder und Erklärungen anderer Phänomene einfordert.
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im vorangegangen Kapitel 4.5.1 gezeigt – auf rigid designation von Eigennamen berufen und zumindest die Möglichkeit von Modalität de re in der quantifizierten Modallogik akzeptieren. Doch auch hier kommt Kripke im Sinne des Prinzips der ideologischen Unbefangenheit PIU zugute, dass er rigid designation nicht als unumstößliche sprachphilosophische Theorie, sondern lediglich als besseres Bild von Referenz versteht (vgl. Kripke 1980, S. 93 u. Kap. 2.5.2), und auch sein Essentialismus nicht als besonders voraussetzungs- und folgenreiche metaphysische Theorie anzusehen ist. Kripke sagt zur Referenzfrage lediglich, dass einige sprachliche Ausdrücke (vor allem Eigennamen und bestimmte Arten- und Gattungsbegriffe) starr auf ihren Träger Bezug nehmen. Der modalmetaphysische Deflationismus wäre damit nicht mit einer Kennzeichnungs- oder Clustertheorie nach dem Vorbild von Frege und Russell (vgl. Kap. 2.5.1) kompatibel. Gleichzeitig ist sich Kripke auch der Probleme seines eigenen Referenzansatzes bewusst (vgl. Kap. 2.5.3) und seine modalmetaphysische Theorie daher offen für diverse Kompromisslösungen in Bezug auf Referenz, solange sie nicht das grundsätzliche Bild der rigid designation in Frage stellen. Dies bedeutet, dass nicht unbedingt vollständig ausgearbeitete (dafür aber problematische) direkte oder kausal-historische Referenztheorien, wie sie etwa von Nathan Salmon oder Scott Soames unter dem Label der Neuen Referenztheorie entwickelt wurden, vom modalmetaphysischen Deflationismus vorausgesetzt werden, sondern das ihm zugrundeliegende Bild von Referenz ideologisch deutlich weniger aufgeladen ist (obgleich er selbstverständlich auch mit stärkeren Stichreferenztheorien kompatibel wäre). Auch was Modalität de re betrifft, sind die ideologischen Voraussetzungen des modalmetaphysischen Deflationismus deutlich geringer als etwa Quine dies mit seiner pauschalen Kritik am aristotelischen Essentialismus Glauben zu machen scheint (vgl. Kap. 2.4.1). Während Kripkes Ausführungen in Naming and Necessity zur rigid designation und zum Essentialismus es in der analytischen Philosophie wieder salonfähig machten, nach dem Wesen von Dingen zu fragen und sich dadurch „der Ausdruck ‚aristotelischer Essentialismus‘ von einer abwertenden Wendung zu einer zumindest gelegentlich mit Stolz gewählten Selbstbeschreibung“ (Voigt 2017, S. 339) wandelte, kommt sein modalmetaphysischer Deflationismus durchaus auch mit einem minimalistischen Essentialismus aus, wie ihn etwa Penelope Mackie vorschlägt (vgl. Kap. 2.4.2 und Mackie 2006). Mackie akzeptiert zwar formal das quantifizieren sowohl in als auch über Modalaussagen (und damit Notwendigkeit de re), darüber hinaus geht sie aber davon aus, dass es nur triviale (das heißt keine interessanten) Eigenschaften gibt, die ein Gegenstand notwendig besitzen kann. Es ist demnach also etwa notwendig, dass Aristoteles die Eigenschaft „ein Mensch oder kein Mensch zu sein“ besitzt, aber es ist nicht notwendig, dass Aristoteles ein Mensch ist, da es durchaus mögliche
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Welten gibt, in denen Aristoteles ein Tausendfüßler ist. Laut Mackie sind manche Möglichkeiten in unserer Alltagssprache nur weniger relevant als andere, weswegen wir nur selten (und meist nur in so schrulligen philosophischen Abhandlungen wie der hier vorliegenden) über die möglichen Welten nachdenken, in denen Aristoteles als Tausendfüßler geboren wurde. Selbstverständlich gehen Kripkes eigene Ausführungen weit über einen solchen minimalistischen Essentialismus hinaus, wie beispielsweise das von ihm aufgestellte (jedoch wieder von ihm relativierte) Prinzip der Notwendigkeit des Ursprungs zeigt (vgl. Kap. 2.4.3). Dennoch können dieses Prinzip und Kripkes darauf aufbauende Beispiele (etwa „Saul Kripkes Schreibtisch ist aus Holz“, vgl. Kap. 2.4.3) – trotz seiner Kohärenz (vgl. Kap. 4.5.1) – als relativ unabhängig von seinem modalmetaphysischen Deflationismus angesehen werden, da die Überzeugungskraft von Kripkes einzelnen Essentialismusbeispielen oder dem Prinzip der Notwendigkeit des Ursprungs für seine Ansichten zur Metaphysik möglicher Welten unerheblich ist. Zwingend vorausgesetzt im modalmetaphysischen Deflationismus wird dagegen lediglich Modalität de re und damit ein minimalistischer Essentialismus. Gleichzeitig ist der modalmetaphysische Deflationismus anknüpfbar an ganz unterschiedliche metaphysische Theorien aus der aristotelischen Denktradition und ermöglicht es grundsätzlich, einen starken ontologischen Substanzoder Wesensbegriff in sich zu integrieren – wenngleich selbstverständlich auch dies nicht Kripkes eigenen Ausführungen zum Essentialismus entspricht, der sich von seinem Anspruch her deutlich bescheidener geriert. Die Ausführungen in diesem Abschnitt haben gezeigt, dass Kripkes modalmetaphysischer Deflationismus das in Kap. 3.4.1 aufgestellte wissenschaftstheoretische Prinzip der ideologischen Andockfähigkeit PIA in vielfacher Hinsicht erfüllt. Er ist kompatibel mit ganz unterschiedlichen Ansichten, Theorien und Weltbildern aus unterschiedlichen philosophischen Disziplinen und Traditionen – und kommt damit ohne starke Voraussetzungen hinsichtlich dieser aus. Der vielleicht wichtigste Grund dafür ist die Orientierung dieser hier vertretenen Position am gesunden Menschenverstand, welche im folgenden Abschnitt ausführlich betrachtet wird.
4.5.3 Intuitionen und der gesunde Menschenverstand Kripke ist es ein großes Anliegen, seine philosophischen Ausführungen an intuitive Annahmen über die Wirklichkeit anzuknüpfen: Of course, some philosophers think that something’s having intuitive content is very inconclusive evidence in favor of it. I think it is very heavy evidence in favor of anything, myself.
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I really don’t know, in a way, what more conclusive evidence one can have about anything, ultimately speaking. (Kripke 1980, S. 42)
Die folgende Darstellung, in welcher ich Kripkes Rückbindung an den gesunden Menschenverstand (common sense³⁵) als ein überzeugendes Argument für den modalmetaphysischen Deflationismus stark mache, beginnt mit grundsätzlichen Überlegungen zum Begriff des gesunden Menschenverstands und erfolgt anschließend in zwei argumentativen Schritten: Zunächst muss die bereits in Kap. 3.4.2 angesprochene Frage positiv beantwortet werden, ob eine intuitive Theorie einer kontraintuitiven Theorie tatsächlich vorzuziehen ist beziehungsweise inwieweit ein – kritisch geläuterter – gesunder Menschenverstand zur philosophischen Diskussion beitragen kann und sollte. Erst dann stellt sich sinnvoll die im Anschluss daran beantwortete Frage, inwieweit Kripke seinem Anliegen einer intuitiven Theorie überhaupt nachkommt, das heißt ob der modalmetaphysische Deflationismus tatsächlich als Theorie des gesunden Menschenverstands angesehen werden kann. 4.5.3.1 Zum Begriff des gesunden Menschenverstands Die Diskussion über das Wesen und die Evidenz von Intuitionen in der Philosophiegeschichte ist äußerst vielfältig, sodass dieser in diesem Abschnitt kaum vollständig Rechnung getragen werden kann.³⁶ Elijah Chudnoff beispielsweise unterscheidet zwischen doxastischen Erklärungen, die Intuitionen mit Überzeugungen in Verbindung bringen oder sie gar mit ihnen gleichsetzen, und Sui-generisErklärungen, die Intuitionen als einzigartige vor-doxastische Erfahrungen ansehen, die erst zu Überzeugungen führen (vgl. Chudnoff 2013, S. 25–26), wobei er sich mit seiner Auffassung von Intuitionen als intellektuelle Wahrnehmungen (intellectual perceptions) zu einem Vertreter der zweiten Gruppe zählen würde. Für
35 Ich verwende den deutschen Ausdruck „gesunder Menschenverstand“ hier als Übersetzung des englischen common sense. Darunter verstehe ich, wie im Folgenden deutlich wird, den durchschnittlichen Verstand eines ‚Normalbürgers‘. Das Adjektiv „gesund“ geht auf den deutschen Sprachgebrauch zurück und ist in keiner Weise wertend zu verstehen. Treffender wäre daher eigentlich ein dem Englischen wortwörtlich entsprechender Ausdruck wie „Gemeinsinn“, „Alltagsverstand“ oder „allgemeiner Menschenverstand“. Da in der deutschsprachigen Debatte aber genau dies zumeist mit „gesunder Menschenverstand“ zum Ausdruck gebracht werden soll, verwende ich diese Terminologie hier, mache aber darauf aufmerksam, dass ich später für eine kritische Läuterung des gesunden Menschenverstands argumentieren werde. Ich danke Christian Schäfer für den Hinweis auf eine missverständliche (von mir nicht gewünschte) Interpretation dieser deutschen Übersetzung in diesem Kontext, da man gut und gerne auch den kritisch geläuterten allgemeinen Menschenverstand als gesunden Menschenverstand bezeichnen könnte. 36 Sowohl systematisch als auch historisch einen guten Überblick bietet etwa Chudnoff 2013.
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David Lewis dagegen sind Intuitionen – genauso wie philosophische Theorien – nichts anderes als Meinungen, wie die folgende Passage aus seinem Vorwort der Philosophical Papers belegt: Our „intuitions“ are simply opinions; our philosophical theories are the same. Some are commonsensical, some are sophisticated; some are particular, some general; some are more firmly held, some less. But they are all opinions, and a reasonable goal for a philosopher is to bring them into equilibrium. (D. K. Lewis 1983b, S. x)
Die Frage, inwieweit Intuitionen mehr als Überzeugungen sind (also einen Suigeneris-Status, wie Chudnoff ihn vorschlägt, besitzen), ist für meine Argumentation dabei unerheblich. Es genügt als Arbeitsdefinition hier festzuhalten, dass Intuitionen zu Überzeugungen führen, die ohne ein bewusstes Schlussfolgern gewonnen werden – ganz gleich, ob sie darüber hinaus noch einen ontologischen oder anderweitig vor-doxastischen Status besitzen oder nicht. An diese Definition von Intuitionen als Überzeugungen knüpft etwa die im englischsprachigen Raum einflussreiche Philosophie des common sense an³⁷, die vor allem auf Thomas Reids Essays on the Intellectual Powers of Man (1785) zurückgeht und der zufolge Erkenntnis auf intuitiven Einsichten in die Wahrheit basiert, während der Vernunft nur die Aufgabe bleibt, sich mit diesen intuitiven Einsichten des gesunden Menschenverstands bewusst auseinanderzusetzen. Lewis hält dem jedoch, wie bereits in Kap. 3.4.2 erwähnt, entgegen: Common sense has no absolute authority in philosophy. It’s not that the folk know in their blood what the highfalutin’ philosophers may forget. (D. K. Lewis 1986a, S. 134)
Während er – wie im vorherigen Zitat deutlich wurde – im Vorwort der Philosophical Papers noch schreibt, dass es ein vernünftiges Ziel der Philosophie ist, philosophische Theorien und Intuitionen in ein Gleichgewicht (equilibrium) zu bringen, widerspricht er dem in seiner Reflexion über den ontologischen Status von möglichen Welten: Von einem Gleichgewicht ist hier keine Rede mehr, stattdessen ridikülisiert er geradezu die Einsichten des gesunden Menschenverstands, die seinem modalen Realismus widersprechen. Damit würde Lewis einer Position angehören, die Eric Schwitzgebel in einem Aufsatz als Verrücktismus (crazyism) stark gemacht hat: Crazyism can be treated as the conjunction of two sub-theses: (1) that something contrary to common sense must be true and (2) that whatever that true thing is, we are not epistemically compelled to believe it. (Schwitzgebel 2014, S. 665)
37 In der Literatur wird diese Strömung häufig auch als Schottische Schule bezeichnet.
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Dass dies jedoch eine Mindermeinung in der jüngeren Debatte ist, bestätigt etwa Kit Fine, der insbesondere für seine auf Kripkes modaler Logik aufbauenden Arbeiten zum Essentialismus in der analytischen Philosophie bekannt ist, und in einem populärwissenschaftlichen Interview bekennt: I’m firmly of the opinion that real progress in philosophy can only come from taking common sense seriously. A departure from common sense is usually an indication that a mistake has been made. (Marshall 2012)
Dabei ist es wichtig zu betonen, dass es einen großen epistemologischen Unterschied ausmacht, ob man wie Fine eine Abkehr vom gesunden Menschenverstand als Fehlerindikator ansieht oder ob man wie Kripke den gesunden Menschenverstand³⁸ als schlüssigstes Beweismittel (most conclusive evidence, vgl. Kripke 1980, S. 42³⁹) überhaupt ansieht. Diese von Kripke in Naming and Necessity ausgedrückte Einstellung zu Intuitionen und dem gesunden Menschenverstand ist sicherlich viel zu optimistisch – und wird auch von mir an dieser Stelle nicht geteilt, da sie letztlich zu einer relativ willkürlichen Diskussion darüber führt, was denn genau der gesunde Menschenverstand besagt, und jeder sich dabei ultimativ auf seine persönlichen Intuitionen als letzte Evidenz berufen würde. Rescher fordert in The Strife of Systems daher für den gesunden Menschenverstand Respekt ein, der jedoch nicht mit blinder Akzeptanz verwechselt werden darf (vgl. Rescher 1985, S. 18–19). Deshalb stimme ich der Aussage von Kit Fine durchaus zu, dass eine Theorie, die den gesunden Menschenverstand nicht ernst nimmt, nur schwer als eine überzeugende Erklärung eines bestimmtes Phänomens gelten kann und führe im Folgenden aus, wie ich mir eine kritische Läuterung des gesunden Menschenverstands vorstelle. 4.5.3.2 Kritische Läuterung des gesunden Menschenverstands Christian Illies führt eine solche kritische Läuterung unter Bezug auf John Rawls’ A Theory of Justice etwa am Beispiel der Moralphilosophie aus, in der Intuitionen
38 Kripke spricht im obigen Zitat nicht direkt vom gesunden Menschenverstand, sondern lediglich von Intuitionen; im Sinne der Philosophie des common sense können die beiden Begriffe hier gleichgesetzt werden (oder vielleicht präziser kann der gesunde Menschenverstand als die Summe aller intuitiven Einsichten verstanden werden). 39 Kripke geht es dabei nicht nur um den gesunden Menschenverstand als überzeugendes Falsifikationsverfahren zur Zurückweisung anderer Theorien, wie man zunächst annehmen könnte, sondern auch seine positive Argumentation etwa für den Essentialismus baut auf dem gesunden Menschenverstand als schlüssigsten Beweis auf, vgl. Kap. 2.4.3.
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aufgrund der Unvermitteltheit der durch sie gewonnenen Überzeugungen einerseits eine zentrale Rolle spielen, andererseits aufgrund ihrer Subjektivität die Gefahr mit sich bringen, dass auch auf Intuitionen aufbauende Theorien subjektiv oder gar willkürlich werden: Wollen wir in einer säkularen, demokratischen Gesellschaft zu allgemein akzeptierten Orientierungen kommen, so müssen die verwendeten Maßstäbe zustimmungsfähig sein. Das bedeutet aber, dass wir die Intuitionen und Wertüberzeugungen berücksichtigen müssen, die in unserer Kultur Gemeingut sind. Natürlich sind Intuitionen ihrerseits geformt von normativen Theorien und es lauern manche Gefahren für Fehlschlüsse. Angemessen ist eine gegenseitige Kontrolle: Moraltheorien dienen der Überprüfung und gegebenenfalls Kritik von „Intuitionen“ [. . . ], aber kritisch geläuterte Intuitionen sollten ihrerseits als Prüfstein für die Überzeugungskraft moralischer Theorien dienen. Verstoßen solche Theorien vehement gegen zentrale Intuitionen, ist damit ein starker Grund gegeben, diese Theorien wenn nicht abzulehnen, so doch äußerst kritisch zu prüfen. (Illies 2003, S. 22, Hervorh. im Orig.)
Illies fordert daher ein sogenanntes reflective equilibrium anzustreben, wie John Rawls in der Moralphilosophie den „verbindende[n] Ausgleich zwischen unseren Intuitionen und Theorien“ (Illies 2003, S. 22; vgl. Rawls 1971, S. 46–53) nennt. Was Illies hier für die Moralphilosophie vorschlägt, lässt sich auch auf die in diesem Buch gestellten philosophischen Fragen anwenden: Auch eine Theorie der modalen Metaphysik will eine allgemein akzeptierte Orientierung in Fragen von Möglichkeit und Notwendigkeit bieten und daher müssen auch ihre dafür verwendeten Maßstäbe zustimmungsfähig sein. Zustimmungsfähig und allgemein akzeptabel kann eine Theorie jedoch nur dann sein, wenn sie dem gesunden Menschenverstand nicht völlig zuwiderläuft. Wenngleich sich Intuitionen hinsichtlich unseres Verständnisses von Modalität durchaus durch eine überzeugende metaphysische Theorie verändern können (in Illies’ Terminologie: die Intuitionen kritisch geläutert werden können), sind sie gleichzeitig ein wichtiger Prüfstein für die Überzeugungskraft von philosophischen Theorien überhaupt und damit auch für den in diesem Buch entwickelten modalmetaphysischen Deflationismus. Ähnlich wie das in Kapitel 3.4.1 entwickelte Prinzip der ideologischen Andockfähigkeit lässt sich daher auch die bis hierher geleistete Argumentation für den gesunden Menschenverstand als ein wissenschaftstheoretisches Prinzip des gesunden Menschenverstands formulieren, das auf dem Rawls’schen Begriff des reflective equilibrium und der Illies’schen Idee der kritischen Läuterung von Intuitionen aufbaut: PGM Wenn zwei Erklärungen für ein Phänomen X miteinander konkurrieren, ist grundsätzlich die Erklärung vorzuziehen, die dem gesunden Menschenver-
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stand am nächsten kommt, das heißt die wenigsten Widersprüche zu kritisch geläuterten Intuitionen hinsichtlich von X aufweist. Dass Lewis’ GMR PGM nicht gerecht wird, ist bereits in Kap. 3.4.2 mehr als deutlich geworden. Lewis gibt seine Abkehr vom gesunden Menschenverstand in On the Plurality of Worlds darüber hinaus auch unumwunden zu (vgl. D. K. Lewis 1986a, S. 134). Dass Kripke Intuitionen und damit den gesunden Menschenverstand für seine eigene Philosophie in Anspruch nimmt, bedeutet jedoch noch nicht, dass er ihm auch tatsächlich gerecht wird. Daher wird im folgenden Abschnitt gezeigt, dass Kripkes modalmetaphysischer Deflationismus tatsächlich einen intuitiven Zugang zur Frage nach dem ontologischen Status von möglichen Welten bietet. Dies führe ich anhand von einigen zentralen Punkten in Kripkes Philosophie aus, bevor ich in Kapitel 4.5.4 noch einmal ausführlich aufzeige, dass Kripkes modalmetaphysischer Deflationismus der in der Alltagssprache angelegten Besonderheit des Wirklichen – und damit auch dem dritten Anspruch an eine modale Metaphysik des gesunden Menschenverstands (vgl. Kap. 3.4.4 und 4.5) – gerecht wird. Nicht mehr ausführlich eingehen werde ich auf Kripkes Umgang mit transworld identity und damit dem zweiten der drei Ansprüche: Dass die Zurückweisung von transworld identity als Pseudoproblem sowie Kripkes Humphrey-Einwand gegen David Lewis einem intuitiven Verständnis von Eigennamen und ihrer Referenz entspringt, habe ich in Kap. 3.4.3 und 4.3.4 hinreichend dargelegt. 4.5.3.3 Kripkes intuitiver Zugang zur Philosophie der Modalität In Kap. 2.4.3 habe ich gezeigt, dass Kripke seinen Individual- und Artessentialismus über Intuitionen begründet. Laut Christopher Hughes argumentiert Kripke dabei vor allem mit dem „man on the Clapham omnibus“ (C. Hughes 2004, S. 84), für den es offensichtlich sei, dass Gegenstände manche ihrer Eigenschaften akzidentiell und andere ihrer Eigenschaften essentiell besitzen. Auch das von Kripke diskutierte Prinzip des notwendigen Ursprungs (vgl. Kripke 1980, S. 114, Fn. 56) sei für den sprichwörtlichen Busreisenden offenkundig einsichtig. Dabei ist jedoch festzuhalten, dass nicht alles, was Kripke als intuitiv ansieht, unmittelbar für jeden offenkundig einsichtig ist. Insbesondere das in Naming and Necessity zentrale Beispiel „Wasser ist H2 O“ muss vor diesem Hintergrund kritisch gesehen werden, was ich bereits in einem früheren Aufsatz zu Kripkes Essentialismus ausgeführt habe: It is not very probable that the man on the Clapham omnibus would regard the statement ‚Water is necessarily H2 O‘ as intuitively evident, not even ‚Water is H2 O‘ without claiming its necessity. For most people, it is probably more intuitive to say that ‚Water is liquid‘ is a
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necessary truth, particularly because water, as one finds it in nature, is rarely pure H2 O. (Krebs 2013, S. 158, Hervorh. im Orig.)
Jedoch wäre es verfehlt, Kripkes Essentialismus an einzelnen Beispielen zu messen: Dass einige seiner Beispiele tatsächlich nicht so intuitiv sind, wie er seine Leser Glauben macht, bestätigt nur die im vorherigen Abschnitt ausformulierte Forderung nach einer kritischen Läuterung von Intuitionen. Diese hat bei Kripke– gerade bei diesem konkreten Beispiel – nicht hinreichend stattgefunden und daher fällt es schwer, eine überzeugende und zu Ende gedachte essentialistische Theorie auf seinen wenigen Beispielen zum Individual- und Artessentialismus aufzubauen. Dennoch stellt dies nicht in Frage, dass es grundsätzlich intuitiv ist, davon auszugehen, dass Gegenstände manche ihrer Eigenschaften notwendig besitzen, beispielsweise dass es für Angela Merkel notwendig ist, ein Mensch zu sein. Sie hätte also nicht etwa als Tausendfüßler oder Erdferkel geboren werden können (vgl. Stalnaker 2011b, S. 107–108; Kripke 1980, S. 96–97). Darüber hinaus ist der Essentialismus zwar eng mit Kripkes Ausführungen zum ontologischen Status von möglichen Welten verwoben, aber nur insofern grundlegend für den modalmetaphysischen Deflationismus als es ihm vor allem darum geht, Notwendigkeit de re grundsätzlich anzuerkennen, und es für ihn daher genügt, einige triviale Eigenschaften als notwendig anzusehen (vgl. Kap. 4.5.1). Dass es eine notwendige Eigenschaft von Wasser ist, entweder H2 O oder kein H2 O zu sein, wäre dabei ein deutlich unproblematischeres Beispiel für den Essentialismus und ist ohne Zweifel für jedermann im Clapham-Omnibus intuitiv einsichtig. Mit seiner Ansicht, dass Eigennamen rigid designators sind, begründet Kripke auch den zweiten wichtigen Knoten in seinem kohärenten modalen Netz (vgl. Kap. 4.5.1) durch Intuitionen. Laut ihm ist es unmittelbar einsichtig, dass der Name einer Person immer auf dieselbe Person verweist, egal von welchen möglichen Szenarien gerade die Rede ist. Dies wird am deutlichsten an seinem Beispiel von Richard Nixon im Zusammenhang mit den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen 1968, das wiederum in engem Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur transworld identity steht, deren Zurückweisung als Pseudoproblem ich bereits in Kap. 4.3.4 als besonders intuitiv herausgearbeitet habe: Suppose that someone said, pointing to Nixon, ‚That’s the guy who might have lost‘. Someone else says ‚Oh no, if you describe him as „Nixon“, then he might have lost; but, of course, describing him as the winner, then it is not true that he might have lost‘. Now which one is being the philosopher, here, the unintuitive man? It seems to me obviously to be the second. (Kripke 1980, S. 41)
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Hinzu kommt, dass Kripkes Ausführungen zur rigid designation selbstkritisch zwei prinzipielle Probleme dieses Ansatzes zur Referenz benennen, nämlich die Probleme von co-reference und no-reference, die ich in Kap. 2.5.3 ausführlich vorgestellt habe. Gleichzeitig habe ich in diesem Kapitel auf der Grundlage von Kripkes Argumentation aufgezeigt, warum auch die der rigid designation entgegenstehende Kennzeichnungstheorie von denselben Problemen betroffen ist und sein besseres Bild der rigid designation daher dennoch eine intuitiv einsichtige Erklärung von Referenz darstellt. Insbesondere Kripkes modales und sein epistemologisches Argument gegen die Kennzeichnungs- und Clustertheorie (vgl. Kap. 2.5.1) können dabei als unmittelbar dem gesunden Menschenverstand folgend angesehen werden. Daher lässt sich an dieser Stelle zusammenfassen, dass Kripke trotz einiger Bedenken bei einzelnen Beispielen in seinem Essentialismus hinsichtlich der wichtigsten Knoten seines kohärenten modalmetaphysischen Netzes (vgl. Kap. 4.5.1) durchaus gemäß seinem eigenen Anspruch dem oben ausformulierten Prinzip des gesunden Menschenverstands PGM gerecht wird und sein modalmetaphysischer Deflationismus daher auf kritisch geläuterten Intuitionen hinsichtlich des Sprachgebrauchs basiert. Im folgenden Abschnitt zeige ich auf, dass der modalmetaphysische Deflationismus darüber hinaus auch Anspruch A (vgl. Kap. 3.4.4 und 4.5) erfüllt und der in der Alltagssprache angelegten Besonderheit des Wirklichen gerecht wird.
4.5.4 Die Besonderheit des Wirklichen In Kapitel 3.4.2 habe ich ausgeführt, was unter dem in Kapitel 3.4.4 und 4.5 ausformulierten Anspruch A2 genau zu verstehen ist, der einfordert, dass eine modalmetaphysische Theorie der in der Alltagssprache angelegten Hierarchie von Welten und damit der Besonderheit des Wirklichen gerecht werden muss. Noch einmal kurz zusammengefasst geht es darum, dass es nur eine wirkliche Welt gibt, die sich für uns von anderen Welten unterscheidet, welche für uns lediglich mögliche Welten darstellen. Der wirklichen Welt muss daher ein gewisser philosophischer Sonderstatus eingeräumt werden. Unser Denken in Möglichkeiten ist darüber hinaus hierarchisch angelegt in dem Sinne, dass einige Möglichkeiten für uns realistischer sind, das heißt die ihnen entsprechenden möglichen Welten uns näher stehen, als andere. Gerade über sehr unrealistische Möglichkeiten können wir zumeist erst dann nachdenken, wenn wir zuvor über realistischere Möglichkeiten nachgedacht haben. In der von Harry Gensler vorgeschlagenen Metapher des galaktischen Reisens (vgl. Gensler 2010, S. 248–251, u. Kap. 2.3.3 dieses Buches) gesprochen: Manche Welten können wir erst nach einer oder
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gar mehreren Zwischenstationen auf anderen Welten betreten, während wir problemlos direkt zu näherliegenden Welten reisen können. Wir können also realistische oder sehr naheliegende Möglichkeiten gedanklich unmittelbar erfassen. Um über abwegigere Szenarien nachzudenken, muss zumeist ein gedanklicher Zwischenschritt über näherliegende Szenarien eingelegt werden. Ausgangspunkt aller Überlegungen über mögliche Szenarien ist dabei stets die wirkliche Welt. Grafisch lässt sich das wie folgt veranschaulichen:
w1
α
w2 ... w3.1
w3
... w3.3
w3.2
Abb. 4.1: Hierarchisches Nachdenken über Möglichkeiten und die Besonderheit des Wirklichen.
In dieser Grafik entspricht α der aktualen Welt, w1, w2 und w3 stehen für mögliche Welten und w3.1, w3.2, w3.3 für mögliche Welten, die erst gedacht werden, nachdem zuvor über w3 nachgedacht worden ist. Die übrigen Pfeile verweisen auf die unendlich vielen weiteren möglichen Welten (angedeutet durch drei Punkte), die die Grafik nicht berücksichtigen kann. Beispielsweise konnten wir uns, ausgehend von der wirklichen Welt α zum Zeitpunkt t⁴⁰, verschiedene Szenarien über den Ausgang der Fußballweltmeisterschaft 2018 denken. All diese Szenarien (oder möglichen Weltverläufe) werden durch eine mögliche Welt repräsentiert. w1 entspricht einer Welt, in der die deutsche Fußballnationalmannschaft bereits in der Gruppenphase der WM scheitert.⁴¹
40 t entspricht einem beliebigen Zeitpunkt vor dem 14. Juni 2018. 41 Streng genommen müsste hier von einer unendlich großen Menge von Welten gesprochen werden, in denen die deutsche Fußballnationalmannschaft in der Gruppenphase scheitert. w1 ist dann nicht der Name einer Welt, sondern der Name einer Menge von Welten. Dies gilt auch für alle folgenden Bezeichnungen wie w2, w3 usw. Um das Beispiel im Rahmen dieses Buches aber überhaupt fassbar machen zu können, möchte ich andere für das Beispiel irrelevante Ereignisse ausblenden. Da ich hier unmöglich der Totalität von Fakten gerecht werden kann, sind die Welten im Beispiel daher als Miniwelten analog zu Kripkes Würfelwurf-Analogie (vgl. Kap. 4.4) zu verstehen. Dies entspricht ohnehin der Praxis unseres Nachdenkens über mögliche Weltverläu-
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w2 entspricht einer möglichen Welt, in der die deutsche Fußballnationalmannschaft die Finalrunde erreicht, aber spätestens im Finale scheitert. w3 dagegen entspricht einer möglichen Welt, in der die deutsche Fußballnationalmannschaft den WM-Titel verteidigt und Fußballweltmeister 2018 wird. Über die Welten w3.1, w3.2 und w3.3 nachzudenken, lohnt sich erst, wenn man zuvor über w3 nachgedacht hat, also von einem möglichen Weltverlauf ausgeht, in dem Deutschland den WM-Titel 2018 gewinnt. w3.1 könnte beispielsweise eine Welt sein, in der Joachim Löw auf dem Höhepunkt seiner Karriere zurücktritt und den Ruhestand genießt; w3.2 eine Welt, in der sein Vertrag um weitere vier Jahre verlängert wird; und w3.3 eine Welt, in der Joachim Löw aufgrund seiner Verdienste für Deutschland in die Politik wechselst und neuer Bundespräsident wird. Der Grundgedanke der von Anspruch A2 eingeforderten Hierarchie von Welten besteht darin, dass die Welten w3.1, w3.2 und w3.3 der Welt w3 untergeordnet sind: Wir denken erst dann über weitere Möglichkeiten nach, die eintreten können, falls Deutschland Fußballweltmeister 2018 wird, wenn wir zuvor über die Möglichkeit nachgedacht haben, dass Deutschland Fußballweltmeister 2018 wird.⁴² Ausgangspunkt jedes Nachdenkens über Möglichkeiten ist dabei stets die wirkliche Welt, der damit eine Sonderrolle eingeräumt werden muss. Wie bereits in der Zusammenfassung des modalmetaphysischen Deflationismus (vgl. Kap. 4.4) deutlich wurde, entspricht dessen Erklärung von Modalität genau dem hier als intuitiv dargelegten Verständnis, wie wir über Möglichkeiten nachdenken. Über Möglichkeiten nachzudenken, bedeutet für Kripke nämlich, dass mögliche Welten gesetzt werden (vgl. Kripke 1980, S. 44), wobei der Ausgangspunkt dieser Setzungen stets die aktuale Welt ist. Möglichkeiten und Notwendigkeiten können also, wie in Kap. 4.4 gezeigt, bei Kripke nur von der aktualen Welt aus erschlossen werden – womit Kripke der Besonderheit des Wirklichen eine zentrale Rolle in seiner modalen Metaphysik einräumt. Dies zeigt sich bereits in dem weit über die modalmetaphysische Debatte hinaus verbreiteten formalen Kripke-Modell, auf welches die bis heute geläufige Se-
fe, da kaum ein spekulatives Gespräch über die Fußball-WM alle Szenarien bis ins letzte Detail durchdeklinieren würde und es für die meisten deutschen Fußballfans beispielsweise vollkommen unerheblich ist, welchen exakten Anthrazitton der Schal von Joachim Löw im letzten Gruppenspiel haben wird, wenn die deutsche Mannschaft bereits in der Gruppenphase ausscheiden sollte. Gemäß dem formalen Kripke-Modell gäbe es jedoch unendlich viele mögliche Welten, in denen Deutschland ausscheidet, die sich nur durch die Farbe des Schals von Joachim Löw unterscheiden. Um dieser Unendlichkeit der möglichen Szenarien gerecht zu werden, verwende ich in der Ausformulierung den unbestimmten Artikel („eine Welt“ statt „die Welt“). 42 Inzwischen wissen wir natürlich, dass wir uns das Nachdenken über w3.1, w3.2 und w3.3 besser erspart hätten.
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mantik für modale Kalküle zurückgeht (vgl. Kap. 2.3). Hier wird der aktualen Welt insofern eine Sonderrolle eingeräumt, als von ihr aus stets weitere Überlegungen hinsichtlich von Möglichkeits- und Notwendigkeitsaussagen angestellt werden. In Tableaubeweisen wird sie daher entweder mit einem besonderen Index versehen⁴³ oder weitere Welten richten sich in ihrer Benennung hierarchisch nach der aktualen Welt.⁴⁴ Formal gesehen würde einer Modalaussage, die Welt w3.1 im obigen Beispiel betrifft, von der aktualen Welt aus gesehen dabei zwei Möglichkeitsoperatoren vorangestellt: ⋄⋄P. Dies bildet die im Denken angelegte Hierarchie von Möglichkeiten formal ab: „Es ist möglich, dass Deutschland den WM-Titel verteidigt und dadurch ist es möglich, dass Joachim Löw auf dem Höhepunkt seiner Karriere zurücktritt“ oder kurz: „Es ist möglich, dass es möglich ist, dass P.“ Zwar kann in den Systemen S4 und S5 gezeigt werden, dass ⋄P aus ⋄⋄P abgeleitet werden kann, da es intuitiv ist, dass alles, was der Möglichkeit nach möglich ist, auch der Wirklichkeit nach möglich ist.⁴⁵ Jedoch spricht es nicht gegen das formale Kripke-Modell, dass es dennoch eine feinere Nuancierung erlaubt, die der geforderten Hierarchie von Welten und damit unserem epistemologischen Zugang zu Möglichkeit und Notwendigkeit gerecht wird, indem es zunächst zwischen ⋄P und ⋄⋄P unterscheidet und man – gemäß Genslers Reisemetapher – zunächst ein Ticket von α nach w3 benötigt, um von dort aus schließlich nach w3.1 zu kommen. Interessant ist es an dieser Stelle, kurz David Lewis’ formale CounterpartTheorie (vgl. Kap. 3.2.2 und D. K. Lewis 1968) als Vergleichspunkt zu betrachten, mit deren Hilfe er die Kripke-Semantik auf einen Prädikatenkalkül erster Ordnung zurückführen möchte. Auch in der Counterpart-Theorie wird der Wirklichkeit eine gewisse Sonderrolle eingeräumt, indem Lewis ein eigenes Prädikat A für Aktualität verwendet (vgl. D. K. Lewis 1968, S. 113) und die aktuale Welt @ als „unique“ (D. K. Lewis 1968, S. 114) bezeichnet. Dennoch kann sein Vorschlag, Modalität durch Quantoren abzubilden, der Hierarchie von Welten nicht gerecht werden, da etwa die Tableau-Beweise in der Counterpart-Theorie ohne Indizes für Welten aus-
43 Beispielsweise das in diesem Buch zumeist verwendete α oder alternativ @. 44 Fitting und Mendelsohn (1998) verwenden in ihren Tableaubeweisen beispielsweise den Index 1 für die aktuale Welt, 1.1 für eine von der aktualen Welt aus zugänglichen möglichen Welt, 1.1.1 für eine von Welt 1.1 zugänglichen möglichen Welt etc. Gensler schlägt für die aktuale Welt einen leeren Index vor, für nachgeordnete mögliche Welten W, WW, WWW etc., vgl. Gensler 2010, S. 232–237. 45 Für den formalen Beweis dazu vgl. Gensler 2010, S. 406 (Aufgabe 11.1a/3). Der Schluss ist jedoch in den ebenfalls in der formalen Modallogik gängigen, aber schwächeren Systemen B und T (vgl. Kap. 2.3.2) nicht zulässig, wobei in der Regel S5 als adäquates System für Möglichkeit und Notwendigkeit angesehen wird (vgl. Meixner 2008, S. 26–70).
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kommen, sondern einem gewöhnlichen Tableau-Beweis in der klassischen Logik entsprechen, nur dass ein zusätzlicher Quantor und ein Prädikat hinzukommen, die die jeweilige Welt andeuten, über die gerade gesprochen wird. Der Lewis’sche Gedanke, Welten mit Hilfe von Quantoren formal abzubilden beziehungsweise sie sogar auf diese zurückzuführen, entspricht daher formal wiederum dem göttlichen Standpunkt von oben, da für einen Quantor grundsätzlich eine Domäne bestimmt werden muss. Es muss also gewusst werden, worüber quantifiziert werden soll: Wenn ich die All-Aussage „Alle Schwäne am Bamberger Regnitzufer sind weiß“ treffe, impliziert dies, dass ich einen Standpunkt einnehmen oder mir diesen zumindest gedanklich vorstellen kann, von dem aus ich das gesamte Bamberger Regnitzufer überblicke. Wenn Lewis’ CounterpartTheorie über Welten quantifiziert, impliziert dies daher ebenfalls, dass er sich einen Standpunkt zumindest gedanklich vorstellen kann, von dem aus er alle Welten überblickt. Diesen göttlichen Standpunkt kann es jedoch – wie in Kapitel 3.4.2 ausführlich gezeigt – nicht geben. Auch auf der formalen Ebene bieten die Kripke-Modelle daher eine überzeugendere Erklärung von Möglichkeit und Notwendigkeit hinsichtlich der Hierarchie von Welten und der Besonderheit des Wirklichen als die von Lewis vorgeschlagene Reduktion der Kripke-Semantik auf einen Prädikatenkalkül erster Ordnung. Darüber hinaus unterstreicht Kripkes Kritik am Jules-Verne-o-skop von David Kaplan (vgl. Kap. 3.5.3 und 4.3.4), dass es ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Welten (also einen göttlichen Standpunkt) nicht geben kann. Am Beispiel von Möglichkeiten der ersten Person führt Kripke in seinem Aufsatz „The First Person“ aus, wie er sich das Nachdenken über Möglichkeiten genau vorstellt und wie sich darin die Besonderheit des Wirklichen widerspiegelt: I can wonder what will happen to me, and how things might have come out otherwise, even in the past, had only I done such-and-such. Here the picture should not be as if I might be thinking about possible worlds and then ‚tacking on‘ which person is me. The situation is the opposite; I am determining possibilities by reference to myself. (Kripke 2011g, S. 316–317)
Dieser Gedanke findet sich insbesondere auch in Kripkes Konzeption der rigid designators wieder, die vom Grundgedanken her einer intuitiven Redeweise über Möglichkeit und Notwendigkeit gemäß dem modalmetaphysischen Deflationismus entsprechen, wie ich im Folgenden abschließend zeigen werde. Gemäß Kripkes Bild der rigid designators verweisen Eigennamen in allen möglichen Welten auf denselben Träger, das heißt ein Name ist nach einem initialen Taufakt fest mit der Person verbunden, die diesen Namen trägt (vgl. Kap. 2.5.2). Der Name „Angela Merkel“ verweist seit der Hochzeit mit ihrem ersten Mann (die in diesem Fall den initialen Taufakt darstellt) auf die Person Angela Merkel. Diese
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wirkliche Verbindung zwischen Namen und Person ist die Basis für modale Überlegungen, die den Karriere- oder Lebensweg dieser Person betreffen, aber auch für ein Nachdenken über ihre notwendigen (oder essentiellen, vgl. Kap. 2.4.2) Eigenschaften, also kurz gesagt darüber, was für diese Person möglich oder notwendig ist. Wir können uns beispielsweise eine mögliche Welt denken, in der Angela Merkel (beziehungsweise die CDU/CSU) die Bundestagswahl 2017 verloren hat, woraufhin sie umgehend als Bundeskanzlerin zurückgetreten und Martin Schulz (oder jemand ganz anderes) deutscher Bundeskanzler geworden ist. Wir können uns aber (zumindest wenn Kripkes Beispiele für den Essentialismus zutreffen, vgl. Kap. 2.4.3) keine Welt denken, in der Angela Merkel kein Mensch ist. Für Angela Merkel ist es also nicht möglich, kein Mensch zu sein; es ist für sie aber möglich, die Bundestagswahl 2017 verloren zu haben oder gar niemals zur Bundeskanzlerin gewählt worden zu sein. Bezüglich der in den modalmetaphysischen Deflationismus eingewobenen Auffassung von Referenz als rigid designation wird anhand dieser Ausführungen deutlich, dass diese der Besonderheit des Wirklichen in jeder Hinsicht gerecht wird. Denn wenn wir über mögliche Karriere- oder Lebensverläufe (oder allgemeiner: Weltverläufe) von Personen nachdenken, liegt es nahe, zuerst an die aktuale Person zu denken und von dieser ausgehend zu überlegen, was passiert wäre oder passieren würde, wenn sie plötzlich einen anderen Karriere- beziehungsweise Lebensweg eingeschlagen hätte oder einschlagen würde. Da ein rigid designator gemäß Kripkes Definition nichts anderes ist als ein sprachlicher Ausdruck, der in allen möglichen Welten direkt auf denselben Gegenstand wie in der aktualen Welt referiert (vgl. Kap. 2.5.2), ist rigid designation im Grunde genommen nichts anderes als der sprachphilosophische Hintergrund, vor dem der modalmetaphysische Deflationismus dem Anspruchs der Besonderheit des Wirklichen gerecht wird.
4.6 Fazit Mit Kripkes modalmetaphysischem Deflationismus wurde in diesem Kapitel eine Position vorgestellt, die allen drei in Kap. 3.4.4 ausformulierten Ansprüchen an eine modale Metaphysik des gesunden Menschenverstands gerecht wird. Darüber hinaus ist diese Position von einer überzeugenden Kohärenz. Das bedeutet, dass sich ihre wichtigsten Prämissen auseinander ergeben und sich gegenseitig bedingen, wie ich in Kap. 4.5.1 dargelegt habe. Entsprechend der in Kap. 4.4 erfolgten Zusammenfassung kann der modalmetaphysische Deflationismus in einem Satz wie folgt charakterisiert werden: Es handelt sich um einen primitivistischen, aktualistischen (jedoch als-ob-
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possibilistischen), eliminativen Anti-Realismus in Bezug auf den ontologischen Status von möglichen Welten, der transworld identity aufgrund seiner engen Verbindung mit der Frage nach der Referenz in der Sprachphilosophie als Scheinproblem zurückweist und gleichzeitig einen aristotelischen Essentialismus in sich integrieren kann. Die Bezeichnung des modalmetaphysischen Deflationismus geht dabei – wie in Kap. 4.2 deutlich gemacht – auf die Position des Deflationismus aus der semantischen Wahrheitstheorie zurück, der zufolge es dasselbe ist, zu behaupten, dass eine Aussage wahr ist, und diese Aussage einfach zu behaupten. Ähnlich wie Ayer für den Deflationismus behauptet, dass es das „problem of truth as it is ordinarily conceived“ (Ayer 1958, S. 89) nicht gibt, geht der hier vertretene modalmetaphysische Deflationismus davon aus, dass die Frage nach dem ontologischen Status möglicher Welten weniger Anlass für Konfusion bietet als für gewöhnlich angenommen wird. Zu behaupten, dass P in einer möglichen Welt wahr ist, bedeutet nämlich im modalmetaphysischen Deflationismus nichts anderes, als zu behaupten, dass P der Fall sein könnte – was eng mit dem dieser Position inhärenten sprachlichen Primitivismus zusammenhängt, dem zufolge Möglichkeit und Notwendigkeit ein Grundbestandteil jeder sprachlichen Beschreibung von Wirklichkeit darstellen. Überflüssige Annahmen und Spekulationen zu möglichen Welten, die wie im Fall der Paralleluniversen-Metaphysik in Lewis’ modalem Realismus oder dem Jules-Verne-o-skop von David Kaplan an Science-Fiction-Literatur erinnern, sind dagegen aus den genannten Gründen zurückzuweisen. Genau solche Spekulationen führten nämlich in der jüngeren Vergangenheit überhaupt erst dazu, dass sich die analytische Philosophie der Modalität immer mehr in Scheindiskursen (etwa zur transworld identity) verloren hat, die am Kern einer jeden modalen Metaphysik, nämlich der Frage, was Möglichkeit und Notwendigkeit sind, vorbeiführen. Auch wenn Kripke es bisher selbst versäumt hat, seinen Ansatz systematisch auszuformulieren, unterstreicht die in diesem Kapitel geleistete Konturierung und Verortung seiner Philosophie, dass der aus dieser heraus entwickelte modalmetaphysische Deflationismus eine überzeugende Position in der gegenwärtigen Debatte zum ontologischen Status und zum Begriff der möglichen Welten darstellt. Anders als alle anderen in diesem Buch betrachteten Ansätze (die der systematischen Spannbreite dessen entsprechen, was überhaupt möglich ist, vgl. Kap. 3.5) erfüllt der modalmetaphysische Deflationismus alle Ansprüche an eine modale Metaphysik des gesunden Menschenverstands, indem er sowohl die natürliche Sprache als auch alltägliche Intuitionen zu Möglichkeiten und Notwendigkeiten ernst nimmt. Die in diesem Kapitel geleistete Darstellung und Verteidigung des modalmetaphysischen Deflationismus darf daher als Antwort auf eine sich in den
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letzten Jahren zunehmend ‚aufgeblähte‘ Debatte verstanden werden, zu deren Rückbindung an den gesunden Menschenverstand dieses Buch einen wichtigen Beitrag geleistet hat – wie ich in dem folgenden abschließenden Gesamtresümee aufzeigen werde.
5 Rückblick, Resümee und Potential für die künftige Forschung 5.1 Was in diesem Buch geleistet wurde Bevor die zentralen Forschungsergebnisse dieses Buches herausgestellt werden, bietet dieses Resümee einen kursorischen Rückblick auf den Argumentationsgang der vergangenen Kapitel. Dieser Rückblick dient nicht nur dazu, noch einmal in Erinnerung zu rufen, was bis hierher geleistet wurde, sondern bereitet darüber hinaus auch den abschließenden Ausblick auf die Debatte um den ontologischen Status von Welten in nicht-alethischen Modalkontexten vor, für die der hier vertretene modalmetaphysische Deflationismus eine hervorragende Ausgansposition darstellt. Um Kripkes modalmetaphysischen Deflationismus darlegen zu können, wurden im zweiten Kapitel dieses Buches die historischen und systematischen Grundlagen aufgezeigt, die für ein Verständnis der Debatte um den ontologischen Status von möglichen Welten in der jüngeren analytischen Philosophie notwendig sind. Neben einer kurzen Zusammenfassung der formal-logischen Hintergründe und einer Erläuterung der Kripke-Semantik im Kontext alethischer Modalkalküle, lag der Fokus darauf, diese in den Kontext der sprachphilosophischen Debatte um Referenz sowie der metaphysischen Debatte um den aristotelischen Essentialismus zu stellen. Dabei wurden mit Kripkes Bild der rigid designation (vgl. Kap. 2.5.2) und seinem Verständnis von Notwendigkeit de re (vgl. Kap. 2.4) gleich zwei wichtige Grundannahmen vorgestellt, die mit seinem modalmetaphysischen Deflationismus einhergehen. Darauf aufbauend wurde im dritten Kapitel das Ziel verfolgt, eine systematische Landkarte zu zeichnen, anhand der die Debatte um den ontologischen Status von möglichen Welten veranschaulicht werden kann (vgl. Kap. 3.1). Dabei konnte deutlich gemacht werden, dass eine modalmetaphysische Position grundsätzlich zu den folgenden vier Fragen Stellung beziehen muss: Sind Möglichkeit und Notwendigkeit primitive Grundbegriffe der Wirklichkeit oder können sie auf ein anderes Phänomen reduziert werden? Existieren mögliche Welten, das heißt besitzen sie einen ontologischen Status? Wie sieht das Inventar der möglichen Welten aus und gibt es sogenannte Possibilia? Und zu guter Letzt: Wie kann die Identität eines Individuums über mögliche Welten hinweg garantiert werden? Unter Bezugnahme auf diese vier Fragen habe ich mit dem Genuinen Modalen Realismus von David Lewis die wichtigste Gegenposition des in diesem Buch vertretenen Ansatzes vorgestellt. Anschließend wurde Lewis’ Position aufgrund https://doi.org/10.1515/9783110652642-005
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theorieinterner sowie theorieexterner Einwände zurückgewiesen (vgl. Kap. 3.2 bis 3.4). Auf Grundlage insbesondere der theorieexternen Einwände habe ich daraufhin drei Ansprüche formuliert, die dem gesunden Menschenverstand entspringen und sich an jede modalmetaphysische Position richten (vgl. Kap. 3.4.4). Diese Ansprüche konnten daraufhin als Maßstab an weitere in der gegenwärtigen Debatte anzutreffende Positionen, vom Meinongianismus über den Realismus in Bezug auf unmögliche Welten und David Kaplans heuristischen modalen Realismus hin zum aktualistischen Ersatzismus (vgl. Kap. 3.5), angelegt werden. Wenngleich der Durchgang durch andere modalmetaphysische Positionen keine historische Vollständigkeit beansprucht, deckt dieser die Bandbreite der gegenwärtigen Debatte in größtmöglicher Hinsicht ab, da bereits aufgrund der zuvor entwickelten modalmetaphysischen Landkarte eine systematische Vollständigkeit garantiert wird. Die in diesem Durchgang vorgestellten Positionen wurden vor allem danach ausgewählt, dass in Abgrenzung zu ihnen Kripkes modalmetaphysischer Deflationismus entwickelt werden konnte. Es handelt sich also um Positionen, auf die Kripke selbst unmittelbar Bezug nimmt oder die zur Erhellung der Argumentation in diesem Buch einen wichtigen Beitrag leisten. Das vierte Kapitel widmete sich vorrangig Kripkes Ausführungen zu Möglichkeit und Notwendigkeit, auf deren Grundlage ich die Position des modalmetaphysischen Deflationismus entwickelt habe. Das Ziel war hierbei nicht, eine Interpretation von Kripkes Werk zu liefern, sondern vielmehr eine auf seiner Philosophie basierende systematische Position zum ontologischen Status möglicher Welten herauszuarbeiten. Der Begriff des Deflationismus ist aus der semantischen Wahrheitstheorie entlehnt. In Bezug auf die hier im Fokus stehende Fragestellung zur Interpretation möglicher Welten besagt der modalmetaphysische Deflationismus vor allem, dass insgesamt weniger Anlass zur philosophischen Konfusion besteht als es etwa die Debatte um die Paralleluniversen-Metaphysik von David Lewis und das Jules-Verne-o-skop von David Kaplan vermuten lassen. Das Ziel meiner Darlegung des modalmetaphysischen Deflationismus ist es dabei, überschüssige Luft aus einer in den letzten Jahrzehnten zunehmend ‚aufgeblähten‘ Debatte zu lassen, indem Scheindebatten und -fragen als solche entlarvt werden. Auf der im dritten Kapitel entwickelten modalmetaphysischen Landkarte lässt sich der modalmetaphysische Deflationismus wie folgt verorten: Er ist ein modaler Primitivismus, der Möglichkeit und Notwendigkeit als Grundbestandteile jeder sprachlichen Beschreibung von Wirklichkeit auffasst (und damit auch – zumindest eingeschränkt – als Grundbestandteile der Wirklichkeit ansieht). Gleichzeitig ist er ein eliminativer Anti-Realismus in Bezug auf mögliche Welten, der die Frage nach deren Existenz als verfehlt zurückweist. Dies geht einher mit seiner aktualistischen Grundausrichtung, der zufolge alles, was existiert, wirklich existiert. Dennoch erlaubt dieser Aktualismus aufgrund von Kripkes
5.2 Ertrag für die Forschung |
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Als-Ob-Prinzip, sinnvolle sprachliche Äußerungen über fiktive Entitäten zu tätigen – und zwar dadurch, dass wir im Sprechen wissen, dass wir nur so tun, als ob fiktive Entitäten wirklich wären. Das Problem der transworld identity basiert laut dem modalmetaphysischen Deflationismus dagegen auf einer Verwirrung aus sprachphilosophischer Referenz, die sich intuitiv auflösen lässt, wenn man die rigid designation von Eigennamen und Gattungsbegriffen ernst nimmt. Mit dem modalmetaphysischen Deflationismus ist es gelungen, eine Position darzulegen, die die zum Ende des dritten Kapitels formulierten Ansprüche an eine modale Metaphysik des gesunden Menschenverstands erfüllt. Mein auf Kripkes Ausführungen basierender Ansatz ist ideologisch weitestgehend unvereingenommen und damit andockfähig an eine Vielzahl von philosophischen Weltbildern und Theorien aus anderen Disziplinen. Darüber hinaus wird er der Besonderheit des Wirklichen in jeglicher Hinsicht gerecht und weist transworld identity auf besonders intuitive Weise zurück. Außerdem bildet mein Beitrag zur Debatte um den ontologischen Status von möglichen Welten ein überzeugendes kohärentes Netz mit Kripkes Ausführungen zur rigid designation und zur Notwendigkeit de re, mit dessen Hilfe mögliche Zirkularitätseinwände grundsätzlich zurückgewiesen werden können. Auf dem Weg zur Darlegung des modalmetaphysischen Deflationismus sind einige in der gegenwärtigen Forschung unzureichend thematisierte Fragen beantwortet und Lösungsvorschläge entwickelt worden. Nach diesem kursorischen Rückblick auf das in diesem Buch insgesamt Geleistete fasse ich im folgenden Abschnitt nun ergebnisorientiert zusammen, was durch meine Arbeit für die Forschung erreicht worden ist.
5.2 Ertrag für die Forschung Dieses Buch ist die erste monographische Abhandlung über Kripkes Philosophie in deutscher Sprache. Während im englischsprachigen Raum in den letzten Jahren bereits einige Monographien zu Kripkes gesamter Philosophie oder einzelnen Aspekten seines Werkes erschienen, hat es die deutschsprachige Forschung bisher versäumt, sich mit dem wohl einflussreichsten analytischen Philosophen der Gegenwart ausführlich auseinanderzusetzen. Doch auch in englischer Sprache gibt es kein Werk, das Kripkes Ausführungen zu Möglichkeit und Notwendigkeit in der hier dargebotenen Weise zusammenfasst und daraus eine systematische Position in der Debatte um den ontologischen Status von möglichen Welten entwickelt, die in ihrer Vollständigkeit mit dem hier vorgeschlagenen modalmetaphysischen Deflationismus vergleichbar wäre.
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Wenngleich ich dieses Buch nicht als exegetische Auseinandersetzung mit Kripkes Werk betrachte, darf sie durchaus als Aufforderung dafür angesehen werden, Kripkes Werk in der deutschsprachigen Forschung ernster zu nehmen. In diesem Zusammenhang erhoffe ich mir, mit meiner grundsätzlichen Einschärfung und Konturierung seines an vielen Stellen unsystematischen Werks und der in Teilen Neujustierung einer deutschen Terminologie einer künftigen deutschsprachigen Debatte zu Kripkes Philosophie und anderen Aspekten der analytischen Metaphysik den Weg geebnet zu haben. Das Ergebnis dieses Buches zeigt, dass es sich lohnt, aus den von Kripke eher vage formulierten Äußerungen eine in sich kohärente Gesamtposition zu entwickeln, die Möglichkeit und Notwendigkeit an alltagssprachliche Intuitionen zurückbindet und damit dem gesunden Menschenverstand gerecht werden kann. Der modalmetaphysische Deflationismus ist ein eigenständiger Beitrag in der Debatte um den Begriff und die Ontologie möglicher Welten. Gleichzeitig können mit dem modalmetaphysischen Deflationismus einige Fragestellungen und Probleme der gegenwärtigen Debatte als Scheinprobleme entlarvt werden. Damit kann klar der Anspruch formuliert werden, dass die analytische Metaphysik der Modalität sich wieder dem Thema verschreiben sollte, das ihren Wesenskern ausmacht, nämlich der Frage, was Möglichkeit und Notwendigkeit sind und was es bedeutet, diese Begriffe zu verwenden. Um diese Debatte überblicken zu können, ist die im dritten Kapitel dieses Buches entwickelte modalmetaphysische Landkarte von entscheidender Bedeutung. Zwar bietet meine darin vorgeschlagene Systematisierung auf den ersten Blick nicht viel mehr als eine Zusammenfassung dessen, was in der jüngeren Vergangenheit zu möglichen Welten von verschiedenen Autoren und Strömungen beigetragen wurde. Dennoch zähle ich die modalmetaphysische Landkarte zu den wichtigsten Forschungsergebnissen dieser Arbeit: Diese Systematisierung erlaubt es, grundsätzlich jede Position in der gegenwärtigen Debatte zu erfassen und die wichtigsten Unterschiede zwischen verschiedenen Positionen schnell und deutlich herauszuarbeiten, wie ich es selbst in meinem kursorischen Durchgang durch verschiedene Beiträge der modalen Metaphysik (vgl. Kap. 3.5) demonstriert habe. Die Landkarte erlaubt eine Priorisierung der entscheidenden Fragestellungen, wie sie bisher nirgendwo sonst geleistet wurde. Damit kann sie als Vorbild beziehungsweise Vorlage für künftige Beiträge zur modalen Metaphysik dienen. Während ich mich in meiner theorieinternen Kritik von David Lewis’ GMR vor allem auf das schon vielfach ausdiskutierte Unvollständigkeitsargument von Divers und Melia konzentriert habe (vgl. Kap. 3.3.2), basiert die theorieexterne Kritik am GMR vor allem auf eigenständigen Überlegungen von grundsätzlicher philosophischer Bedeutung, wie sie in der zumeist an formalen Spezialfragen und Einzelphänomenen interessierten Debatte der analytischen Philosophie eher unüblich
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sind.¹ Jedoch bin ich davon überzeugt, dass gerade diese grundsätzlichen philosophischen Überlegungen erhellend sind, um die gesamte modale Metaphysik der jüngeren analytischen Philosophie in einem neuen Licht betrachten zu können. Gerade aus dieser grundsätzlichen Kritik an Lewis’ GMR hat sich ein wissenschaftstheoretischer Maßstab für die Überzeugungskraft einer modalmetaphysischen Theorie entwickeln lassen, mit dessen Hilfe andere Positionen der Debatte, speziell im vierten Kapitel aber Kripkes deflationäre Metaphysik möglicher Welten, erfolgreich bewertet werden konnten. Diesem modalmetaphysischen Maßstab kommt eine ähnliche Bedeutung für die künftige Forschung zu wie der modalmetaphysischen Landkarte: Ihm fällt nicht nur im Rahmen dieses Buches eine wichtige Rolle als Prüfstein von Kripkes modaler Metaphysik zu, sondern ich verstehe ihn durchaus darüber hinaus als Vorlage für die Bewertung künftiger Beiträge zur Debatte um den ontologischen Status von möglichen Welten. Insbesondere das von mir im Rahmen von Anspruch A1 (vgl. Kap. 3.4.1 und 3.4.4) entwickelte Prinzip der ideologischen Unbefangenheit beziehungsweise ideologischen Andockfähigkeit ist von einer größeren Bedeutung und verdient es, als eigenständiges wissenschaftstheoretisches Prinzip jenseits der speziellen Debatte um den ontologischen Status von möglichen Welten ernst genommen zu werden. Ähnliches trifft auf meine Ausführungen zur Kohärenz (vgl. Kap. 4.5.1) und zum gesunden Menschenverstand (vgl. Kap. 4.5.3) zu, wobei ich mich dabei insbesondere auf das in der Moralphilosophie von John Rawls entwickelte reflective equilibrium und die von Christian Illies daraufhin eingeforderte kritische Läuterung von Intuitionen berufe – und aufzeige, warum dieses Vorgehen auch in der Metaphysik (beziehungsweise in allen philosophischen Disziplinen) als wissenschaftstheoretische Tugend aufgefasst werden sollte. Schließlich wurde mit der Darlegung des modalmetaphysischen Deflationismus auch Klarheit über den in der gegenwärtigen Sprachphilosophie hochrelevanten Begriff der rigid designation gewonnen. Wie bereits in Kap. 2.5.2 gezeigt, kann die beispielsweise auch in der Linguistik zentrale Frage nach der Referenz von Eigennamen und Gattungsbegriffen nicht losgelöst von Überlegungen zur Modalität betrachtet werden. Kripkes in diesem Zusammenhang weit verbreiteter Vorschlag, Eigennamen und Gattungsbegriffe als direkt mit ihrem Bezugsgegen-
1 Selbstverständlich beanspruche ich nicht Originalität für alle in meiner theorieexternen Kritik genannten Argumente. Der Humphrey-Einwand gegen transworld identity (vgl. Kap. 3.4.3) wurde beispielsweise von Kripke selbst in die Debatte eingebracht und später vor allem von Uwe Meixner weiterentwickelt und immer wieder stark gemacht, wie ich in den relevanten Abschnitten deutlich gemacht habe. Dasselbe gilt für alle anderen Autoren und Impulse, auf denen meine theorieexterne Kritik basiert.
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stand verbunden anzusehen, kann erst dann vollständig verstanden werden, wenn er mit seinen Ausführungen zur Modallogik und zu möglichen Welten zusammen gedacht wird. Ein rigid designator ist bei Kripke nämlich als Ausdruck definiert, der sich in jeder möglichen Welt auf denselben Gegenstand bezieht. Wenn mögliche Welten aber nicht im deflationären Sinne verstanden werden, lässt sich mit dieser Definition kaum etwas anfangen. Durch den Aktualismus des modalmetaphysischen Deflationismus und die Erfüllung des Anspruchs nach der Besonderheit des Wirklichen wird aber klar, dass auch ein rigid designator immer von der aktualen Welt, das heißt der unmittelbaren Wirklichkeit, aus gedacht werden muss, wie es meine Ausführungen in Kap. 4.5.4 unterstreichen. Damit wurde in diesem Buch en passant auch ein wichtiger Beitrag für die sprachphilosophische Debatte um die Referenz von Eigennamen und Gattungsbegriffen geleistet, da nicht nur der modalmetaphysische Deflationismus nicht ohne rigid designation auskommt (vgl. Kap. 4.5.1), sondern vice versa das sprachphilosophische Konzept der rigid designation nicht ohne ein grundlegendes Verständnis von möglichen Welten im Sinne des modalmetaphysischen Deflationismus vollständig begriffen werden kann. Auch dies ist ein wichtiges Ergebnis meiner Arbeit für die weitere Forschung jenseits der Frage nach dem ontologischen Status von möglichen Welten. Zum Abschluss wird der Fokus darüber hinaus kurz auf eine Frage gelenkt, zu der bisher kaum eine relevante Debatte vorherrscht, für die der hier entwickelte modalmetaphysische Deflationismus aber einen entscheidenden Impuls liefern kann: Die Frage nach der Interpretation von Welten in nicht-alethischen Modalkontexten. Diese wird im nächsten und letzten Abschnitt dieses Buches zumindest noch kurz skizziert, um das Potential des modalmetaphysischen Deflationismus aufzuzeigen, auch in dieser Frage für eine Klärung im Sinne des gesunden Menschenverstands sorgen zu können.
5.3 Welten in nicht-alethischen Modalkontexten Wie zu Beginn des zweiten Kapitels erwähnt, gibt es neben der alethischen Modallogik (also der Logik von Möglichkeit und Notwendigkeit) auch andere Modalkalküle, die sich ebenfalls der Kripke-Semantik bedienen und daher den Begriff der Welt im Sinne dieses Buches voraussetzen, um Äußerungen einen Wahrheitswert zuweisen zu können (vgl. Kap. 2.2). Genau wie dieses Buch konzentriert sich die gesamte Debatte zur metaphysischen Interpretation der Modallogik in der jüngeren analytischen Philosophie jedoch fast ausschließlich auf die alethische Modallogik, das heißt die Frage, ob mögliche Welten im formal-logischen Kalkül von Möglichkeit und Notwendigkeit
5.3 Welten in nicht-alethischen Modalkontexten |
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existieren. Dabei bleibt häufig unbeachtet, dass die Welten der Kripke-Semantik auch in anderen nicht-wahrheitsfunktionalen Modalkalkülen eine wichtige Rolle als Erklärungsindex für die Wahrheit der durch einen Modaloperator qualifizierten Aussagen einnehmen. In dem folgenden Entwurf wird daher die Frage aufgeworfen, ob sich etwas für die Frage nach dem ontologischen Status von Welten ändert, wenn man sie aus dem Blickwinkel einer nicht-alethischen Modallogik stellt. Besonders eignet es sich, diese Frage exemplarisch anhand der deontischen Modallogik (also dem formal-logischen Kalkül von Pflicht und Erlaubnis) und der temporalen Modallogik (dem formal-logischen Kalkül der Zeit) anzureißen, da die hier ins Spiel kommenden Intuitionen zum ontologischen Status von möglichen Welten vielleicht anders ausfallen könnten als bei der Betrachtung der alethischen Modallogik. Gleichzeitig werde ich dabei kurz skizzieren, welche Antworten der modalmetaphysische Deflationismus hier zum ontologischen Status von Pflicht und Erlaubnis beziehungsweise von Zeit anbietet. Dies wiederum dient nicht nur dazu, die Attraktivität dieser Position noch einmal abschließend zu unterstreichen, sondern stellt vor allem heraus, welches Potential für zukünftige Forschung in der von mir in diesem Buch systematisch entwickelten modalen Metaphysik Kripkes steckt.
5.3.1 Welten in der deontischen Logik Unter der deontischen Logik wird im Allgemeinen der formal-logische Kalkül von Pflicht und Erlaubnis verstanden.² Technisch funktioniert die deontische Logik wie die alethische Modallogik mit ihren Operatoren ◻P und ⋄Q, wobei diese in deontischen Kontexten wie folgt interpretiert werden: – – –
◻P: „Es ist verpflichtend, dass P.“ ⋄Q: „Es ist erlaubt, dass Q.“ ¬⋄R: „Es ist nicht erlaubt, dass R.“ („Es ist verboten, dass R“).³
Um derlei Aussagen einen Wahrheitswert zuweisen zu können, wird gemäß der Kripke-Semantik auch in der deontischen Logik mit Welten gearbeitet: Gensler
2 Für die technischen Hintergründe der folgenden Ausführungen vgl. Gensler 2010, S. 267–289; Priest 2008, S. 48–49. 3 Häufig werden statt ◻ und ⋄ auch einfach O und P als Symbole für den Pflicht- (obligation) beziehungsweise Erlaubnisoperator (permission) verwendet. Beispiele für die Verwendung dieser Operatoren finden sich in Kap. 2.2
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spricht von deontischen Welten, die er als Teilmenge der möglichen Welten der alethischen Modallogik ansieht (vgl. Gensler 2010, S. 280). Eine deontische Welt ist eine mögliche Welt, die aus moralischer Perspektive gerecht ist, wobei die formale Logik keine Vorgaben macht, was unter Gerechtigkeit zu verstehen ist, sondern dies selbstverständlich eine Frage der philosophischen Ethik bleibt, die in diesem Buch nicht beantwortet werden kann.⁴ Gemäß diesem Modell ist die Aussage „Johanna muss ihre Hausaufgaben machen“ genau dann wahr, wenn Johanna in allen deontischen Welten ihre Hausaufgaben macht. Die Aussage „Johanna darf nach Erledigung ihrer Hausaufgaben fernsehen“ ist genau dann wahr, wenn es eine deontische Welt gibt, in der Johanna nach der Erledigung ihrer Hausaufgaben fernsieht. Ohne die sich aus der Kripke-Semantik ergebenden Welten wäre es auch in der deontischen Logik nicht möglich, einen Wahrheitswert für die genannten Beispiele zu bestimmen. Das Konzept einer deontischen Welt ist dabei noch deutlich unklarer als das schwerpunktmäßig in diesem Buch untersuchte Konzept der möglichen Welt in der alethischen Modallogik: In der gegenwärtigen Debatte wurden deontische Welten aus modalmetaphysischer Perspektive bisher noch gar nicht systematisch untersucht. Auch wenn in diesem Entwurf die Frage nach dem Konzept und dem ontologischen Status von deontischen Welten sicher nicht abschließend beantwortet werden kann, möchte ich zumindest kurz andeuten, wie sich der modalmetaphysische Deflationismus unter dem Blickwinkel der deontischen Logik präsentiert.
4 Häufig wird in der deontischen Logik statt von gerechten Welten auch von moralisch idealen Welten gesprochen. Dies würde aber zu der Absurdität führen, dass der Satz: „Es ist verpflichtend/geboten, dass ein Mörder für sein Verbrechen bestraft wird“ genau dann wahr ist, wenn in jeder moralisch idealen Welt ein Mörder für sein Verbrechen bestraft wird. Jedoch kann eine Welt, in der Morde geschehen, kaum als moralisch ideale Welt angesehen werden, weswegen ich in diesem Zusammenhang lieber von einer gerechten statt einer moralisch idealen Welt spreche. Ich danke den Teilnehmern des philosophischen Oberseminars an der Universität Augsburg am 15. April 2016 für eine lebhafte Diskussion zu genau dieser Frage. In diesem Zusammenhang habe ich auch mit Uwe Voigt seinen spannenden Vorschlag diskutiert, ob man in der deontischen Logik vielleicht gar nicht von gerechten beziehungsweise moralisch idealen Welten sprechen sollte, sondern stattdessen die Frage nach Pflicht und Erlaubnis über Zugänglichkeitsrelationen (vgl. Kap. 2.3.3) erfassen. Dies würde eine Semantik für deontische Modalkalküle nach dem folgenden Modell mit sich bringen: „Es ist erlaubt, dass P“ ist genau dann wahr, wenn es eine mögliche Welt w gibt, in der P der Fall ist und die von der aktualen Welt α aus betreten werden darf. „Es ist verpflichtend, dass Q“ ist genau dann wahr, wenn in allen Welten, die von der aktualen Welt α aus betreten werden dürfen, Q der Fall ist. Auch dieser – meiner Meinung nach sehr überzeugende – Vorschlag verdient eine wesentlich ausführlichere Würdigung als es dieser Entwurf leisten kann und unterstreicht daher vor allem das in diesem Buch angelegte Potential für weitere Forschungsfragen im Bereich der modalen Metaphysik.
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Dieser könnte in erster Linie dazu dienen, verschiedene normative Theorien formal zu erklären. Wenn beispielsweise John Rawls in A Theory of Justice (1971) sein berühmtes Gedankenexperiment des Schleier des Nichtwissens (veil of ignorance) vorstellt, lässt er die Menschen im Urzustand (original position) – formal gesehen – eine Bandbreite möglicher Welten setzen, in denen unterschiedliche – deskriptive und normative – Aussagen Geltung haben. Diese Setzungen entsprechen genau den Setzungen möglicher Welten in Kripkes modalmetaphysischem Ansatz („possible worlds are stipulated“, Kripke 1980, S. 44, Hervorh. im Orig., vgl. Kap. 4.3.2): Es werden unterschiedliche Situationen und Szenarien durchdacht, um daraufhin eine Entscheidung treffen zu können, welche Entscheidung verwirklicht werden soll. Mutatis mutandis kann auch die Funktionsweise utilitaristischer und anderer Ethiken durch den modalmetaphysischen Deflationismus verdeutlicht werden. Der Grundgedanke, dass deontische Welten gesetzt werden, um eine Entscheidung besser verorten zu können, führt letztlich auf die Einsicht zurück, dass Entscheidungen als Leistung der Intelligenz (das heißt des Denkens) angesehen werden. Dem Willen dagegen kommt letztlich die Entscheidung zu, eine Auswahl zu treffen, welche der durchgedachten Szenarien (Welten) er realisieren möchte. Gerade vor dem Hintergrund der insbesondere in Kapitel 4.5.1 aufgezeigten Verbindungen zwischen Kripkes modaler Metaphysik und einem aristotelischen Essentialismus ist es interessant anzumerken, dass sich ein ähnliches Modell auch bei Aristoteles findet, der – ähnlich wie auch schon Platon – den Willen dem Denken unterordnet, was beispielsweise in seiner Auseinandersetzung mit Willensschwäche (Akrasia) in der Nikomachischen Ethik (vgl. Aristoteles 2017, EN VII 1–11) deutlich wird.⁵ Der modalmetaphysische Deflationismus entspricht – soweit dies in diesem kurzen Entwurf festgestellt werden kann – also auch in Bezug auf die deontische Modallogik ebenfalls gängigen Intuitionen und einem in seinen Grundsätzen aristotelischen (das heißt mit Aristoteles’ Philosophie kompatiblen) Weltbild. Wie hier angedeutet wurde, lohnt es sich durchaus, die modalmetaphysische Debatte einmal unter dem Blickwinkel der deontischen Logik zu betrachten – und es wäre Anlass für eine eigenständige Untersuchung, die konkreten Vorzüge des modalmetaphysischen Deflationismus auch diesbezüglich herauszuarbeiten.
5 Ich danke Christian Schäfer für die Anregung sowie ihm und Fabian Geier für weiterführende Diskussionen zu diesem Gedanken.
198 | 5 Rückblick, Resümee und Potential für die künftige Forschung 5.3.2 Welten in der temporalen Logik Ähnlich wie in der deontischen Logik wird auch in der temporalen Logik grundsätzlich auf die Kripke-Semantik, das heißt mögliche Welten, zurückgegriffen, um die Wahrheitswerte von Aussagen wie den folgenden bestimmen zu können: 1. ◻P: „Für alle Zeitpunkte gilt P.“ 2. ⋄Q: „Für einen Zeitpunkt gilt Q.“⁶ Analog zur alethischen Modallogik werden die Zeitpunkte durch Welten repräsentiert. Wenn man aber – wie Kripke– die Existenz möglicher Welten abstreitet, würde das konsequenterweise darauf hinauslaufen, auch die Existenz von Vergangenheit und Zukunft abzustreiten, sofern man in Bezug auf die temporale und die alethische Modallogik dieselbe Position zum ontologischen Status von Welten einnehmen möchte. Dies ist aber insofern geboten, als sich die temporale Modallogik formal kaum von der alethischen Modallogik unterscheidet, sodass eine überzeugende modalmetaphysische Position nur schwer andere metaphysische Konsequenzen aus dem Kalkül der Zeit als aus dem Kalkül von Möglichkeit und Notwendigkeit ziehen kann. Diesen Umstand versucht sich auch David Lewis zunutze zu machen, wenn er für seinen modalen Realismus (und damit die Existenz möglicher Welten) wie folgt argumentiert⁷: My indexical theory of actuality exactly mirrors a less controversial doctrine about time. Our present time is only one time among others. We call it alone present not because it differs in kind from all the rest, but because it is the time we inhabit. The inhabitants of other times may truly call their own times ‚present‘, if they mean by ‚present‘ what we do; for the meaning we give to ‚present‘ is such that it is indexical, and refers at any time t to that time t itself. (D. K. Lewis 1973, S. 86, Hervorh. im Orig.)
6 Beispiele für die Verwendung dieser Operatoren finden sich in Kap. 2.2. Darüber hinaus wird in der modalen Zeitlogik typischerweise zwischen zukünftigen und vergangenen Zeitpunkten unterschieden, sodass die Operatoren [P] und
für die Vergangenheit (past) und [F] und für die Zukunft (future) verwendet werden. [P]P bedeutet demnach „Für alle vergangenen Zeitpunkte gilt P“, Q dagegen „Für einen beliebigen zukünftigen Zeitpunkt gilt Q“, vgl. Priest 2008, S. 318–319. Da in diesem Entwurf jedoch nur eine grundsätzliche metaphysische Frage zur Ontologie der Zeit aufgeworfen wird, möchte ich zum besseren Verständnis die temporale Modallogik analog zur alethischen und deontischen Modallogik hier nur mit ◻P und ⋄Q als Operatoren vorstellen. 7 Auch Ross Cameron greift in seiner Verteidigung von Lewis’ GMR diesen Gedanken auf und argumentiert unter Verweis auf Theodore Sider (2003), dass Modalität und Zeit als Paar fungieren, das auf dieselbe Weise auf Welten reduziert werden kann, vgl. Cameron 2012, S. 18–19.
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Da der modalmetaphysische Deflationismus als eliminativer Anti-Realismus die Existenz von möglichen Welten abstreitet, müsste er – wie in diesem Zitat von Lewis deutlich wird – auch abstreiten, dass temporale Welten, das heißt Zeitpunkte der Vergangenheit und der Zukunft, einen ontologischen Status haben. Während ich dieser Argumentation grundsätzlich zustimme, ist die Gegenfrage berechtigt, was daran problematisch ist, in der Philosophie der Zeit davon auszugehen, dass Vergangenheit und Zukunft nicht existieren. In seinen Ausführungen zur Zeit-Theorie von Augustinus schreibt etwa Stalnaker: Only the present really exists (we are supposing). So the word ‚now‘ picks out the time that is uniquely real (that is uniquely realized). But, one might object, do not speakers in the past, and in the future, who say ‚only the present really exists‘ refer to their own times, and do they not speak the truth? Yes, they did, or will, refer to their own times, and they did, or will, speak the truth. But the fact remains (according to our hypothesized metaphysics) that their times do not exist now, which is to say that they do not exist at all (except as memory or anticipation). The fact that those times were or will be real does not show that they are real. (Stalnaker 2003c, S. 30, Hervorh. im Orig.)
Wenngleich Stalnaker sich selbst nicht als Verteidiger dieser augustinischen ZeitTheorie versteht, zeigt er hier durchaus eine für den modalmetaphysischen Deflationismus attraktive Strategie auf, mit der Frage umzugehen, ob die Vergangenheit und die Zukunft existieren. Analog zum Aktualismus als Orientierungspunkt auf der modalmetaphysischen Landkarte hat etwa Thomas M. Crisp (2003) die Position des Präsentismus (presentism) ausgeführt, der zufolge alles was existiert, nur in der Gegenwart existiert. Während ich einem solchen Verständnis von Zeit durchaus aufgeschlossen gegenüberstehe und auch den modalmetaphysischen Deflationismus in diese Richtung deute, wäre es Anlass für eine eigenständige, weit über das Anliegen dieses Buches hinausgehende Untersuchung, Kripkes Ausführungen zur Zeit⁸ mit dem hier dargelegten deflationären Verständnis von möglichen Welten in Verbindung zu bringen. Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass die Antwort des modalmetaphysischen Deflationismus zum ontologischen Status von Zeit ähnlich ausfallen dürfte wie das Fazit, das Daniel von Wachter zu der entsprechenden Debatte in der jüngeren analytischen Philosophie zieht: [M]einer Meinung nach [ist] die Frage, ob die Vergangenheit existiert oder nur die Gegenwart [. . . ] eine Scheinfrage. Das einzige, was es da zu entdecken gibt, ist, ob wir auch von Vergangenem sagen, es existiere. Auf die Frage ist nur zu antworten, daß wir das Wort „existiert“
8 Es ist ein für die gegenwärtige Forschung unglücklicher Umstand, dass ein Großteil von Kripkes Arbeiten zur Zeit (wie beispielsweise seine „Time and Identity“-Vorlesungsreihe in Princeton aus dem Jahr 1978) noch nicht veröffentlicht wurde.
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soundso verwenden. Eine tiefere, metaphysische wahre Antwort gibt es nicht. (von Wachter 2014, S. 9, Hervorh. im Orig.)
Ähnlich wie der modalmetaphysische Deflationismus zwar als klarer Aktualismus einzustufen ist, aber dennoch durch Kripkes Als-Ob-Prinzip durchaus gewisse possibilistische Tendenzen integrieren kann (vgl. Kap. 4.3.3), lässt sich daher auch für die Philosophie der Zeit schließen, dass mein hier vertretener Ansatz einem Präsentismus nahesteht, aber dennoch davon ausgeht, dass wir sinnvoll so sprechen können, als ob Ereignisse in der Vergangenheit und Zukunft existieren. Der modalmetaphysische Deflationismus wäre dann zwar ein Präsentismus, gleichzeitig aber ein Als-Ob-Präteritismus und ein Als-Ob-Futurismus. Die Konfusionen um die Existenz von Vergangenheit und Zukunft wären dann lediglich – wie auch von Wachter konstatiert – sprachliche Konfusionen, die zu metaphysischen Scheindiskussionen führen⁹, die mit dem modalmetaphysischen Deflationismus entlarvt werden können.
5.4 Zusammenfassung Wie soeben dargelegt, ist mit dem in diesem Buch entwickelten modalmetaphysischen Deflationismus nicht nur ein wichtiger Schritt zur Auflösung der gegenwärtigen Debatte um den ontologischen Status von möglichen Welten getan. Er stellt nämlich auch zur bisher kaum debattierten Frage nach dem ontologischen Status von Welten in der nicht-alethischen Modallogik ein Wegweiser dar, der die Richtung künftiger Debatten mitprägen kann. In ihm steckt das Potential, in Zukunft auch zur Philosophie von Pflicht und Erlaubnis sowie zur Philosophie der Zeit Klarheit und Struktur zu schaffen und grundsätzliche Fragen zum ontologischen Status von Welten zu beantworten. Wenngleich dieses Potential in dieser Forschungsarbeit nur angedeutet werden konnte, bin ich optimistisch, dass es nicht nur eine mögliche, sondern auch eine zukünftige Forschungsarbeit gibt, die den modalmetaphysischen Deflationismus auch hinsichtlich der nicht-alethischen Modallogik gewinnbringend analysiert und bewertet, indem sie auf den mit der Veröffentlichung dieses Buches wirklich gewordenen Forschungsergebnissen aufbaut.
9 Analog etwa zum Problem der transworld identity gibt es in der Philosophie der Zeit die Frage nach der Identität eines Gegenstands über die Zeit hinweg, die bereits seit der Antike anhand des Theseus-Paradox vergeblich diskutiert wurde und die demselben sprachphilosophischen Missverständnis um Referenz und rigid designation unterliegt wie transworld identity, vgl. Kap. 4.3.4
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Stichwortverzeichnis α-Fremdheit 88–90, 134 a posteriori siehe a priori a priori 39, 43, 144–146, 163 Abstraktionismus 131, 135 Aktualismus 8, 45, 52–54, 59–63, 73, 80, 121, 126, 130–135, 137, 150, 152, 157, 164, 187, 191, 194, 199, 200 Als-Ob-Prinzip 45, 149–153, 157, 170, 191, 200 Andockfähigkeit siehe Ideologische Unbefangenheit Anti-Realismus siehe Realismus Clustertheorie 4, 33, 35–40, 43, 155, 165, 173, 181 co-reference siehe Koreferentialität Counterpart-Theorie 8, 21, 27, 56–57, 65, 68–74, 77, 78, 97, 107, 108, 110, 111, 116–118, 120–122, 127, 128, 132, 153, 158, 185 Deflationismus 1–3, 6, 7, 9, 11, 12, 14, 27, 46, 48, 49, 51, 53–55, 57, 80, 95, 97, 104, 106, 116, 121, 126, 133, 135–141, 143, 145, 147, 149, 156, 157, 159–163, 165–175, 178–181, 183, 185–187, 189–197, 199, 200 Deontische Logik 12–14, 195–197 Eigennamen siehe Referenz Epistemische Logik 12–14 Erkenntnistheorie 3, 38, 97, 112, 115, 144, 145, 154–156, 164, 176, 177, 181, 184 Ersatzismus 54, 61, 121, 130–135 Essentialismus 10–12, 20, 23, 25–34, 43, 44, 49–51, 71–74, 146, 160, 161, 163, 164, 168, 172–174, 177, 179–181, 186, 187, 189, 197 Existenzquantor 22–23, 52, 56, 61–62, 69, 70, 152, 185 https://doi.org/10.1515/9783110652642-007
Familienähnlichkeit 38 Fiktion 44–46, 61, 126, 149–153, 157, 191 Fremde natürliche Eigenschaften siehe α-Fremdheit Göttlicher Standpunkt 107–114, 119–122, 129, 172, 185 Gültigkeit 13, 17 Genidentität 127–128 Gesunder Menschenverstand siehe Intuition Grounding 82, 105 Häkzeitismus 65, 126–130 Humphrey-Einwand 97, 116–118, 129, 156, 179, 193 Ideologische Unbefangenheit 95–97, 100–109, 119, 120, 161, 166–174, 193 Implikation 14–17, 21, 104 Indexikalität 72–73, 107–110, 116, 198 Intuition 29–32, 79, 80, 97, 106, 108, 109, 113–120, 122, 125, 135, 137, 143, 145, 146, 153, 161, 174–181, 183–185, 188, 191–193, 195, 197 Jules-Verne-o-skop 5, 54, 65, 112, 121, 127–130, 132, 136, 153, 185, 187, 190 Körper-Geist-Problem 52, 85, 87, 94, 100, 120, 145, 147, 167–170 Kausalität 44, 68, 72, 76, 77, 82, 84, 99, 105, 146, 155, 163, 170, 173 Kennzeichnungstheorie 33–44, 48, 65, 125, 128, 151, 155–157, 165, 173, 181 Kohärenz 103, 133, 162–166, 174, 186, 193 Konsistenz 69, 81, 84, 86–88, 91, 112, 122, 172 Kontingentismus siehe Nezessitismus
214 | Stichwortverzeichnis Kontingenz 6, 19, 20, 23, 28, 39, 54, 55, 63, 75, 101, 145, 163 Koreferentialität 12, 44, 46–49, 181 Kripke-Modelle 17–20, 143, 183–185, 196 Möglichkeit 1, 3, 4, 6, 7, 9, 12, 13, 15, 16, 19, 20, 31, 54–56, 62, 68, 73, 75, 77, 82, 85, 87, 89, 90, 92–95, 98–100, 103, 105, 106, 111–115, 117, 127, 133, 138, 141–147, 149, 151, 157, 159, 160, 164, 168, 170–173, 178, 183–185, 187, 189–192, 194, 198 Modaler Realismus 2, 4, 5, 8, 9, 13, 19, 21, 27, 51–61, 63, 65–124, 126–138, 140, 141, 143–145, 148–150, 153–156, 160, 164, 166, 167, 169–172, 176, 179, 184, 185, 187, 189, 190, 192, 193, 198, 199 Modalität de dicto siehe Modalität de re Modalität de re 23, 24, 27, 50, 73, 74, 163, 173, 174, 180, 189, 191 Modallogik 1, 6, 7, 9, 11–14, 16–21, 24–26, 28, 30, 32, 33, 37, 39, 49–51, 69, 70, 73, 74, 78, 110, 123, 163, 173, 184, 194–198, 200 Modelltheorie siehe Kripke-Modelle Nezessitismus 9, 53, 62–63, 121 no-reference 44–46, 49, 181 Notwendigkeit 1, 3, 4, 6, 7, 9, 12, 13, 15–17, 19–25, 32, 43, 49, 50, 54–56, 73, 75, 77, 78, 82, 93, 98–100, 105, 106, 111, 127, 133, 142–146, 157, 160, 163, 164, 171–174, 178, 180, 184, 185, 187, 189–192, 194, 198 Ockhams Skalpell 78–80, 82 Physikalismus 73, 77, 78, 87, 98–106, 108, 109, 120, 122, 134, 146, 167–170 Possibilismus 8, 45, 52, 59–63, 71–74, 137, 187, 200 Primitivismus siehe Reduktionismus
Quantor siehe Existenzquantor Realismus 2, 4, 5, 8, 9, 13, 19, 21, 27, 51–61, 63, 65–138, 140, 141, 143–145, 147–150, 153–157, 160, 161, 164, 166, 167, 169–172, 176, 179, 184, 185, 187, 189–193, 198, 199 Reduktionismus 52–59, 68, 75, 79, 81–95, 98–101, 104–106, 109, 125, 129, 131, 133, 137, 141, 143–147, 149, 157, 166, 169, 172, 187, 189, 191 Referentielle Opazität 23, 47, 48 Referenz 4, 5, 10–12, 20, 22, 28, 32–51, 59, 60, 65, 128, 133, 149, 152, 155, 157, 160, 161, 163, 165, 172, 173, 179, 181, 186, 187, 189, 191, 193, 194, 200 rigid designation 2, 33, 35, 36, 39–51, 65, 128, 156, 163, 173, 180, 181, 185, 186 Semiotisches Dreieck 35–36, 40–41, 47 Substanz 28, 168, 174 Supervenienz 75–78, 80, 93, 98, 100 Temporale Logik 12–14, 195, 198–200 Theseus-Paradox 64, 200 transworld identity 5, 31, 53, 54, 64, 65, 71, 97, 112, 116–122, 125, 127–130, 132, 133, 135–137, 148, 153–158, 161, 163, 179, 180, 185, 187, 190, 191, 193, 200 Unmögliche Welten 9, 54, 66, 81, 84, 87, 112, 121–122, 136, 190 view from nowhere siehe Göttlicher Standpunkt Vollständigkeit 13, 17, 68, 69, 80–96, 159, 169, 172 Wahrheit 11–15, 17–20, 34, 39, 47, 93, 95, 99, 103, 139–143, 162–166, 176, 187, 190, 194–196, 198 Wahrheitsfunktionalität 12, 13, 17–20, 195
Stichwortverzeichnis |
Wasser 31, 32, 43, 179, 180 Weltfremdheit siehe α-Fremdheit
Zirkularität 80, 81, 133, 134, 161, 163–166, 172, 191
215
Personenverzeichnis Adams, Robert 97, 107–110, 113, 114, 116, 133, 164 Albert, Hans 166 Apel, Karl-Otto 147 Aquin, Thomas von 29 Aristoteles 6–8, 10–12, 15, 20, 21, 23, 25, 26, 28, 29, 32, 43, 49, 50, 73, 77, 159–161, 163, 164, 168, 172–174, 187, 189, 197 Armstrong, David 60, 61, 88 Ayer, Alfred 139, 140, 187 Barcan Marcus, Ruth 15, 21, 25, 26, 101, 168 Bender, John 164, 165 Berger, Alan 11, 168 Bergmann, Gustav 55, 105 Boghossian, Paul 139 Booker, Christopher 103 Brüntrup, Godehard 169 Bradley, Francis 162 Brandom, Robert 139 Bremer, Manuel 91 Burgess, John 11, 16–18, 26, 27, 48, 101, 102, 140, 145, 168 Cameron, Ross 29, 58, 75, 81, 84–86, 90–94, 141, 142, 198 Carnap, Rudolf 18, 25, 131, 144 Chalmers, David 100, 169 Chihara, Charles 132 Chisholm, Roderick 123 Chudnoff, Elijah 175, 176 Clauberg, Johann 78 Comenius, Johann Amos 7 Copeland, Jack 18 Correia, Fabrice 82 Cresswell, Max 11, 16, 17 Crisp, Thomas 199 Daly, Chris 67 Damnjanovic, Nic 76, 139, 140 Davidson, Donald 100 https://doi.org/10.1515/9783110652642-008
Della Rocca, Michael 32 deRosset, Louis 55 Descartes, René 145, 168–170 Devitt, Michael 57, 58 Divers, John 54, 55, 61, 67, 68, 74, 80, 81, 83, 84, 86–92, 94–97, 104, 112, 119, 122, 127, 133, 134, 164, 172, 192 Donnellan, Keith 40 Dummett, Michael 36 Embry, Brian 55 Fara, Michael 70, 109, 110, 116, 118 Field, Hartry 139 Fine, Kit 55, 82, 105, 177 Fitch, Gregory 5, 11, 16–18, 40 Fitting, Melvin 7, 11, 15–18, 184 Forbes, Graeme 70 Frege, Gottlob 5, 8, 14, 33–39, 42, 43, 56, 65, 125, 128, 139, 140, 152, 155, 173 Føllesdal, Dagfinn 25 Gabriel, Markus 159 Geach, Peter 47 Gensler, Harry 19, 181, 184, 195, 196 Graff Fara, Delia 37 Hägler, Rudolf-Peter 30–32, 34, 40, 43, 144, 145, 148, 163, 164 Hazen, Allen 118 Heller, Mark 97, 107 Hintikka, Jaakko 18 Hirst, Rodney 57, 58 Hughes, Christopher 24, 27–29, 43, 44, 179 Hughes, George 11, 16, 17 Hume, David 25, 75–78, 80, 93, 98, 105, 144 Illies, Christian 177, 178, 193 Jacquette, Dale 150
Personenverzeichnis |
Jaskolla, Ludwig 169 Jeffrey, Richard 131 Jonas, Hans 171 Kant, Immanuel 5, 25, 42, 134, 144, 145, 152, 163 Kaplan, David 5, 9, 54, 57, 65, 112, 121, 126–130, 132, 136, 138, 148, 153–155, 160, 185, 187, 190 Kellerwessel, Wulf 103 Kim, Jaegwon 100 Kneale, William 165 Krebs, Sebastian 25, 29, 30, 125, 126, 142, 145, 150, 151, 180 Löbner, Sebastian 35 Langford, Cooper 16, 21 Leibniz, Gottfried Wilhelm 7, 8, 19, 22, 27, 47, 60, 99, 100, 110, 124 Lewin, Kurt 127 Lewis, Clarence Irving 14–18, 21 Lewis, David 2, 4, 5, 8, 9, 13, 19, 21, 27, 51–61, 63, 65–124, 126–138, 140, 141, 143–145, 148–150, 153–156, 160, 164, 166, 167, 169–172, 176, 179, 184, 185, 187, 189, 190, 192, 193, 198, 199 Linsky, Bernard 41, 44, 123 Liske, Michael-Thomas 21 Loux, Michael 6, 7, 56, 61, 149 Lowe, Jonathan 28 Lycan, William 55, 80–87, 91, 95, 122, 123, 126, 141 Mackie, Penelope 27, 173, 174 Mates, Benson 15 Matthews, Gareth 21, 26–28 Meinong, Alexius 9, 54, 121, 123–126, 129, 136, 149–151, 190 Meixner, Uwe 2, 8, 11, 17, 59, 61, 66, 68, 70–74, 76, 96–99, 105, 116–118, 122, 130, 131, 134, 135, 156, 184, 193 Melia, Joseph 54, 55, 67, 68, 74, 80, 81, 83, 84, 86–92, 94–97, 104, 112, 119, 122, 133, 134, 164, 172, 192 Mendelsohn, Richard 7, 11, 15–18, 184
217
Menzel, Christopher 59, 60 Mill, John Stuart 36, 41, 153 Miller, Richard 81–83 Mortensen, Christian 66, 87, 121, 122 Nagel, Thomas 100, 111, 169 Odgen, Charles 35 Parsons, Josh 58 Parsons, Terence 27, 123 Paseau, Alexander 91 Peacocke, Christopher 55, 105 Peirce, Charles, Sanders 7 Perry, John 41, 44, 46 Plantinga, Alvin 9, 53, 56, 57, 60, 61, 121, 131–133, 135, 164 Priest, Graham 11, 12, 18, 60, 195, 198 Prior, Arthur 18 Pruss, Alexander 66, 96, 97, 99, 107, 112, 123 Putnam, Hilary 25, 32, 33, 40, 43, 160, 161 Quine, Willard Van Orman 7, 8, 20–28, 32, 33, 37, 47, 48, 56, 65, 73, 100, 139, 144, 161–165, 173 Ramsey, Frank 139, 140 Rapp, Christof 24, 25, 28, 32, 35, 40, 43, 163, 165 Rawls, John 177, 178, 193, 197 Reid, Thomas 176 Rescher, Nicholas 103, 162, 163, 166, 177 Richard, Mark 48 Richards, Ivor 35 Richards, Tom 97, 112 Rigoni, Adam 70 Rorty, Richard 24, 25, 144, 145, 160 Routley, Richard 123, 124 Russell, Bertrand 5, 8, 14–16, 21, 33–36, 38, 39, 42, 43, 56, 65, 74, 79, 99, 106, 121, 125, 128, 144, 145, 150–153, 155, 173 Russell, Jeffrey 70
218 | Personenverzeichnis Salmon, Nathan 29, 44, 173 Schäfer, Christian 103, 115, 159, 175 Schnieder, Benjamin 28, 82 Schwartz, Stephen 40, 44 Schwitzgebel, Eric 176 Scott, Walter 164 Searle, John 33, 37, 38 Shalkowski, Scott 55, 80–82, 84–87, 91, 95, 122, 141 Shoemaker, Sydney 101, 102, 146, 168 Sider, Theodore 198 Sinhababu, Neil 97, 98, 107 Skyrms, Brian 131 Soames, Scott 44, 173 Sprigge, Timothy 29 Stalnaker, Robert 9, 27, 29, 31, 56, 61, 74, 79, 99, 112, 121, 126, 129–132, 135, 139, 142, 144, 180, 199 Stoljar, Daniel 139, 140 Stroud, Barry 76, 146, 147 Tetens, Holm 19 Thomason, Richmond 70 Tichy, Pavel 27
van Fraassen, Bas 131, 132 van Gulick, Robert 54, 94 van Inwagen, Peter 9, 57, 123, 131–133, 135 van Riel, Raphael 54, 94 Vander Laan, David 66, 75, 87, 96, 121, 122 Voigt, Uwe 3–5, 150, 167, 170, 173, 196 von Wachter, Daniel 199, 200 Waterlow, Sarah 9, 159, 160 Wedgwood, Ralph 55 Whitehead, Alfred 8, 14–16, 21 Williams, Donald 107 Williamson, Timothy 9, 52, 55, 63, 70, 105, 109, 110, 116, 118, 121 Wittgenstein, Ludwig 33, 37, 38, 147 Yagisawa, Takashi 65, 66, 87, 121, 122 Zalta, Edward 123 Ziff, Paul 40, 42